Sabine Korstian: 4 Artikel
2010-2
Sabine Korstian
Im Haus der Vernunftflucht
„Immer wenn es um die Iren ging, ist bei den Briten die Vernunft aus dem Fenster geflogen.“ An diesen Spruch einer nordirischen Bekannten muss ich oft denken, wenn über den Islam diskutiert wird. Nicht wegen Iren und Briten, sondern wegen der Vernunftflucht, die offenbar einsetzt, sobald das Stichwort Islam fällt. Im multikulturell bewohnten Haus der Vernunftflucht wimmeln die üblichen Verdächtigen – Intoleranz, Ignoranz, verzerrte Wahrnehmung, Neid, Vorurteile, Aus- und Abgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus, Rassismus – meist geschmückt als Kulturdeterminismus – und ähnlich hässliche Hausgenossen, die verstärkt und ermuntert seit 9-11 mit einem neuen Jargon ihren Hass- und Projektionsobjekten religiöse Etikette anheften. Da Menschen im Guten wie im Bösen gleich sind, sollte das nicht überraschen, sondern eher die Frage aufwerfen, ob es nicht weniger das »Anderssein« ist, an dem man sich stört, als vielmehr das hässliche Spiegelbild des Eigenen. So verwundern weitere Gemeinsamkeiten nicht, wie Demokratiefeindlichkeit, Gewaltverherrlichung, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus.
2009-4
Sabine Korstian
Zehn Jahre Ziviler Friedensdienst (ZFD)
Ein Erfolgsmodell mit Wachstumsschwierigkeiten
„Job oder Dienst?“ – mit dieser Frage leitete Christine Schweitzer die Vorstellung der Ergebnisse ihrer Studie zur »Rekrutierung und Qualifizierung von Personal im Zivilen Friedensdienst« auf einem Studientag, zu dem die Akademie für Konflikttransformation geladen hatte, ein. Die Akademie hatte die Studie angesichts eines dringender werdenden Problems in Auftrag gegeben, und zwar dem Mangel an qualifizierten Friedensfachkräften (FFK), die sich für eine Entsendung im Rahmen des ZFD eignen. Dass die Mittel für den ZFD im Jahre 2009 um 50% erhöht wurden, ist zwar eine gute Nachricht, kann aber zum Problem werden, wenn Stellen nicht besetzt werden können oder nur mit überforderten MitarbeiterInnen. Schließlich kann das Wachstum kein Ziel an sich sein, Maßstab bleibt vielmehr, inwiefern Friedensfachkräfte bei ihrem Einsatz vor Ort ihrem voraussetzungsvollen Anspruch, als Außenstehende positiv in einen sich anbahnenden oder schon ausgebrochenen Konflikt eingreifen zu können oder Friedenskonsolidierung unterstützen zu können, gerecht werden.
2008-1
Sabine Korstian
Jerusalem
Eindrücke und wirre Geschichten rund um eine Konferenz in der heiligen wie umstrittenen Stadt
„Jetzt sehen wir also das wahre Leben hier?“ flüstert mir Linda aus den USA zu, die wie ich Referentin auf der Konferenz des INSAN Center für Frauen- und Geschlechterforschung der Al-Quds (arab. für Jerusalem) Universität1 am 5. November 2007 war. Eine Zivilstreife hat unseren Bus von Jerusalem nach Abu Dis, ein Ort bei Ostjerusalem, durch den die »separation barrier« wie überall um Jerusalem als Mauer verläuft und wo sich ein Campus der Universität befindet, angehalten und den Fahrer zu ihrem Fahrzeug mitgenommen. Ich muss sie enttäuschen, denn er ist einfach nur dabei erwischt worden, wie er beim Fahren telefoniert hat. Verärgert kommt er mit einem Strafzettel wieder. Ein langweiliges Verkehrsdelikt, nichts politisches. Ach so. Das „wahre Leben“ besteht eher darin, dass wir überhaupt in diesem Bus sitzen, der statt der zehn Minuten, die es früher waren, als es die Mauer noch nicht gab, eine dreiviertel Stunde bis Abu Dis braucht - vorausgesetzt es gibt keinen längeren Aufenthalt am Checkpoint.