Klimapolitik ist Friedenspolitik

Klimapolitik ist Friedenspolitik

Wird weniger Öl und Gas verbraucht profitieren Frieden und Umwelt

von Detlef Bimboes und Joachim H. Spangenberg

Die durch den Menschen ausgelöste Klimaänderung schreitet unerbittlich voran. Die extremen Wetterlagen der letzten Jahre – Dürren, Fluten, Hitzewellen – sind unübersehbare Warnsignale. Wenn die mittlere globale Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius über den Werten vor dem Industriezeitalter liegt, führt das zu unkontrollierbaren Folgen für Mensch und Natur. Ein erheblicher Teil des technisch-sozial noch zu bewältigenden Toleranzbereichs ist bereits ausgeschöpft und mehr ist fest programmiert. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, aber anstatt zu handeln, werden weiter fossile Energieträger ungebremst verbraucht.

Europa ist inzwischen der weltweit größte Importeur von Öl und Gas, gefolgt von den USA und Japan. Hohe und immer stärkere Nachfrage besteht in Süd- und Ostasien. Indien und China haben einen dramatisch wachsenden Bedarf an Öleinfuhren. Er steigt jährlich um 20 – 30 Prozent. In 12 Jahren werden die dynamisch wachsenden Volkswirtschaften Ostasiens soviel Rohöl auf dem Weltmarkt einkaufen wie derzeit in der Golfregion gefördert wird (Grobe 2003, S. 3).

Ende der Öl- und Gasvorräte in Sicht

Gleichzeitig mit der steigenden Nachfrage schrumpfen die globalen Vorräte an leicht förderbarem Öl und Gas. Die Schere zwischen Verbrauch und Vorräten klafft immer weiter auseinander. Die Unsicherheit der Reserven und die Schwierigkeit ihrer Erschließung wachsen. So musste der Ölkonzern RoyalDutch/Shell bereits das dritte Jahr in Folge seine von ihm als nachgewiesen und rentabel förderbar eingestuften Ölvorräte nach unten korrigieren (FR 2004, S. 13). Damit beginnt erstmals sichtbar zu werden, was schon lange vorhergesagt wurde: Um 2005 herum, spätestens 2010 dürfte die Hälfte dieser leicht förderbaren Erdölvorräte – bezogen auf die Ausgangsmenge seit Beginn des Ölzeitalters – verbraucht sein. Dann ist der Höhepunkt erreicht oder anders gesagt, ist »das Glas nur noch halb voll«. Rund um den Globus werden jährlich ca. 3,65 Mrd. Tonnen Öl und ca. 2,4 Billionen Kubikmeter Erdgas gefördert. Demgegenüber werden jährlich gerade noch ca. 10 Mrd. Barrel Erdöl neu gefunden, was in etwa 1,3 Mrd. Tonnen entspricht (Campbell 2002, S. 30). Das Maximum der weltweiten Gasförderung könnte um das Jahr 2020 oder sogar schon früher erreicht sein (Campbell 2002, S. 111). Während die Weltförderung an Öl und Gas ab 2015 (plus/minus 5 Jahre) sinken dürfte, wird allein der Konsum des schon bisher größten Energieverschwenders, der USA, bis dahin um rund ein Drittel steigen.

Dem Argument, dass die sicheren Reserven an leicht förderbarem Öl und Gas recht begrenzt und in absehbarer Zeit erschöpft sind, wird seitens der Energiewirtschaft entgegen gehalten, dass es darüber hinaus große Vorräte an so genanntem nicht konventionellen Öl- und Gasvorräten gibt, die noch auf lange Zeit eine Nutzung von Öl und Gas ermöglichen würden. Dabei handelt es sich um Schweröle, Teersand, Ölschiefer, Öl- und Gasvorkommen in Tiefseegewässern und Polarregionen. Allen gemeinsam ist, dass ihre Förderung teuer ist, sie zumeist geringe Förderraten haben und ihre Nutzung schwere Umwelt- und Klimaschäden nach sich ziehen würde. Hinzu kommt der Energieaufwand für die Gewinnungsprozesse, der zusätzlich erhebliche Mengen an klimaschädlichem Kohlendioxid entstehen ließe.

Ölquellen sind Kriegsquellen

70 Prozent der Weltrohölreserven und 40 Prozent der Welterdgasreserven befinden sich in einem politischen Krisenbogen, der vom Persischen Golf über das Kaspische Becken bis nach Zentralasien reicht. Bereits in den nächsten Jahren wird der Anteil des Persischen Golfes (inklusive Irak und Iran) an der globalen Rohölproduktion kontinuierlich wachsen und der Anteil des Atlantischen Beckens (Nordamerika und Europa) abnehmen. Der Kampf um die Verteilung des »Kuchens« hat längst begonnen. Die abnehmende Kurve der Verfügbarkeit von Energieressourcen und die ansteigende Nachfrage nähern sich ihrem Kreuzungspunkt. Ist die Nachfrage auf dem gegenwärtigen Preisniveau nicht mehr zu befriedigen, werden steigende Energiepreise mit allseits durchschlagender Wirkung unausweichlich (Scheer 2000, S. 308). Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist tief in die Strukturen aller Wirtschaftssysteme der »fossilen Moderne« eingegraben. Deshalb kann bei steigenden Preisen nicht beliebig mit Verbrauchsverringerungen reagiert werden. Vor diesem Hintergrund sind kurz- und mittelfristig keine flexiblen Anpassungen an die Preissignale der Märkte zu erwarten, sondern eher eine ausgedehnte Phase wirtschaftlicher Krisen und sozialer Härten.

Ölquellen sind Kriegsquellen. Wer über diese Quellen herrscht, Förderung und Transport kontrolliert, übt entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die Volkswirtschaften der Welt aus. Auch deshalb stehen US-Truppen an den Energiequellen und in der Nähe der Pipelines im gesamten Krisenbogen.

Die USA sind mit dieser Strategie keineswegs alleine: Bereits seit 1991 wird die Militärstrategie der NATO mit der Sicherung des weltweiten Zugangs zu strategischen Ressourcen wie Erdöl begründet. Die sich immer klarer abzeichnende Militarisierung der EU- Außen- und Sicherheitspolitik hat ebenfalls diesen Krisenbogen im Blick, wobei langfristig angelegte Energieinteressen eine zentrale Rolle spielen. Inzwischen wird auch in Deutschland in außenpolitisch meinungsbildenden Kreisen – so in den Reihen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik – in diese Richtung argumentiert (Umbach 2003).

Kurswechsel zur Sonnenenergie

Das Schrumpfen der Öl- und Gasvorräte ist – anders als es die ressourcenökonomische Theorie wahrhaben will – unvermeidlich und der bereits ebenso unvermeidliche, aber noch begrenzbare Klimawandel schränkt die Möglichkeiten ein, auf Kohle als Ersatz zurückzugreifen. Aus dieser Situation gibt es nur einen unbequemen, aber verlässlichen Ausweg. Er besteht darin, die Nachfrage nach Öl und Gas dauerhaft unter das (sinkende) Niveau der Förderung und damit langfristig auf einen Wert nahe Null zu senken.

Eine zukunftsfähige Energieversorgung setzt auf »weniger und besser«, auf Energiesparen und die Energiewende. Langfristig sind Solarenergie, Rest-Biomasse, Geowärme, Wind und Wasser sowie Wasserstoff als Sekundärträger in der Lage, den gesamten Bedarf an Strom, Wärme und Kraftstoffen zu decken, wenn der Energieverschwendung Einhalt geboten wird. Das ist nicht neu – mehrere Enquetekommissionen des Deutschen Bundestags, die wissenschaftlichen Beiräte der Bundesregierung und viele andere Experten stützen diese Forderungen seit mehr als einem Jahrzehnt und haben die Machbarkeit massiver Einsparungen ohne Verlust an Lebensqualität vielfach nachgewiesen. Solche Veränderungen sind aber nur zumutbar, wenn Arbeits- und Sozialpolitik dem Rechnung tragen: Statt stagnierender Realeinkommen und zunehmender Armut muss mehr und nicht weniger soziale Sicherung geboten werden. Die Energiewende ist also kein technisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Projekt.

Technisch ist die Kombination von Energiesparen und solarer Energiewende ohne weiteres möglich. Die Enquete-Kommission »Nachhaltige Energieversorgung« hat sich dafür ausgesprochen, dass in Deutschland der Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent reduziert wird. Sie zeigt, dass auf die Dauer eine solare Vollversorgung in der Bundesrepublik möglich ist. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes kann der Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent vermindert werden (UBA 2003). Die Empfehlung aus dem Weißbuch der EU-Kommission, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 von lediglich 6 auf 12 Prozent zu erhöhen, bleibt jedenfalls weit hinter dem zurück, was möglich ist und zeigt die Handschrift der fossilen Energiewirtschaft.

Energieeffizienz, erneuerbare Energien und solarer Umbau sind auch die angemessene, weil friedliche Antwort Europas auf die Falle von Konkurrenz, Gewalt und Kriegen um die zur Neige gehenden Vorräte an Öl und Gas (Scheer 1999, Campbell 2002, Altvater 2003). Zudem ist eine solche Energiewende trotz erheblicher Umstellungskosten volkswirtschaftlich attraktiv: heute gibt die EU jährlich ca. 240 Milliarden Euro für Öl- und Gasimporte aus, das entspricht 6% der Gesamtimporte oder 1,2% des BIP (1999, nach Umbach 2004).

Das realistische Etappenziel heißt: Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ist der Weltenergieverbrauch zu stabilisieren und überwiegend auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Fossile Energieträger, also Gas, Öl und Kohle werden dann nur noch ergänzend und übergangsweise gebraucht. Eine solare Weltwirtschaft ist eine friedensfähige Grundlage – ob sie eine friedlichere Welt bringen wird, wird nicht zuletzt von der Lösung der sozialen Fragen abhängen.

Klimaschutz ohne Biss, die Energiewirtschaft auf der Bremse

Der weltweit kommerziell erfasste Primärenergiebedarf, der sich heute zu 85 Prozent aus Kohle, Erdöl und Erdgas speist, führte bereits 1990 zu einem Ausstoß von knapp 21 Mrd. Tonnen Kohlendioxid. Berechnungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC) für einen wirksamen Klimaschutz zeigen, dass der Kohlendioxid-Ausstoß in den Industriestaaten bis 2050 um 80 Prozent auf weltweit durchschnittlich 1,1 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr gesenkt werden muss. Die von der Bundesregierung avisierte Verminderung um 40 Prozent bis zum Jahre 2020 ist insofern ein plausibles Zwischenziel.

Diesen Ansprüchen genügt das sog. Kyoto-Protokoll nicht. In Kyoto war vereinbart worden, die wichtigsten Treibhausgase in einem Zeitfenster zwischen 2008 und 2012 gegenüber 1990 weltweit um bescheidene 5,2 Prozent zu vermindern (für die Bundesrepublik um 21%). Zurzeit droht die Europäische Union durch den Anstieg der Treibhausgase in einer Reihe von EU-Staaten, darunter Deutschland, damit zu scheitern, die von ihr übernommenen Verpflichtungen zur Reduzierung umzusetzen. Hauptursache ist die Steigerung der CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor um 20% seit 1990. Der von großem politischen Wirbel begleitete Emissionshandel wird nur einen begrenzten Beitrag dazu leisten können, die Treibhausgasemissionen einzudämmen, zumal seine Zielsetzungen vor kurzem vollends verwässert wurden.

Konservative und Liberale treten ganz offen für den Weg des »weiter so wie bisher« ein und wollen Klimaschutz »light« vor allem außerhalb Deutschlands betreiben. Da will auch der SPD-Bundeswirtschaftsminister nicht zurückstehen. Er setzt gemeinsam mit der Kohlelobby und Teilen der Gewerkschaften auf den Bau von Kohlekraftwerken und propagiert eine neue Kraftwerksgeneration, mit der durch die Abtrennung von Kohlendioxid bei der Verbrennung »Nullemission« erreicht werden soll (FR 2004, S. 11). Diese Strategie wird sehr clever mit dem Hinweis auf die Versorgungssicherheit verkauft – der größte Teil der Kohlenvorräte liegt nicht in Krisenregionen. Es werden weder die erheblichen Kosten noch der notwendige Energieaufwand (insbesondere für Transportpipelines, Tiefenverpressung in ehemalige Öl- und Gaslagerstätten) erwähnt. Zudem wird nicht auf die Tatsache hingewiesen, dass die Zuverlässigkeit einer dauerhaft umweltverträglichen Speicherung von Kohlendioxid, d. h. seines dauerhaften Ausschlusses aus der Biosphäre, ebenfalls nicht endgültig geklärt ist (UBA 2003, S. 30).

Im Übrigen dürfen Stein- und insbesondere Braunkohle nicht nur wegen ihrer hohen spezifischen Kohlendioxid-Emissionen, sondern auch infolge der anderen gravierenden Probleme für Mensch und Natur bei Förderung und Nutzung keine führende Rolle mehr in der Planung für eine zukunftsfähige Energieversorgung einnehmen. Innerhalb der fossilen Brennstoffe ist stattdessen auf Erdgas umzusteuern, da es aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung die geringsten spezifischen Emissionen an Kohlendioxid aufweist.

Solare Zukunft braucht Sicherheit und Zusammenarbeit

Die EU verbraucht mit 6% der Weltbevölkerung 16% der kommerziellen Weltenergie. Ihre Abhängigkeit von Importen für Öl und Gas wird – wenn die Vorräte weiter so verschleudert werden wie bisher – von gegenwärtig 70 Prozent bei Öl und 40 Prozent bei Gas auf fast 80 Prozent für Öl und fast 70 Prozent für Gas im Jahre 2020 anwachsen (EU-Kommission 2001, S. 23). In den kommenden Jahren wird eine großräumige, breit gefächerte Energieinfrastruktur – Kraftwerke, Speicheranlagen, Pipelines etc. – mit Anbindung an Lieferländer außerhalb der EU (vor allem Russland, Kaspi-Region, Mittlerer Osten, Nordafrika) entstehen. Bestehende Systeme werden modernisiert und ergänzt. Dafür hat die Sprecherin der weltweiten Energiebranche, die Internationale Energieagentur (IEA) einen Finanzbedarf von 2,1 Billionen Dollar errechnet. Weltweit schätzt sie, dass bis 2030 nicht weniger als 16 Billionen Dollar in die fossile Energiestruktur investiert werden müssen, davon 60% für die Stromerzeugung.

Allein in Deutschland müssen bis 2025 mindestens 40 Prozent der Kraftwerke aus Altersgründen durch neue Kraftwerke ersetzt und ein großer Teil der restlichen Kraftwerke modernisiert werden. Da Kraftwerke eine Laufzeit von ca. 50 Jahren haben heißt das, dass jetzt über die Energiestruktur entschieden wird, die noch 2050/60 am Netz sein wird (Trittin, FR 2003, S. 7) Damit würde auf Jahrzehnte hinaus die Nutzung fossiler Energievorräte zementiert (präziser: clementiert) und der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien blockiert (UBA 2003).

Diese Situation nutzen die nach wie vor aktiven Fürsprecher der Atomenergie, an ihrer Spitze die für Energie und Verkehr zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio, um diese als vorgebliche Lösung des CO2-Problems anzupreisen. Auch der EU-Kommission müsste jedoch bekannt sein, dass ein verstärkter Ausbau der Kernenergie – neben allen bekannten Risiken – ökonomisch als Kohlendioxid-Treiber wirkt, weil er dazu beiträgt, dass dann für die notwendige Reduktion des Ausstoßes an Kohlendioxid um 80 Prozent bis 2050 entsprechend weniger Finanzmittel bereitstehen (Sauer, 2001, S. 69 ff.).

Energieversorgung friedlich sichern

Setzt sich der Kurs der Energiekonzerne durch, dann wächst die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Öl- und teilweise auch von Gaslieferungen aus Krisenregionen. Das Interesse der EU an einer langfristig gesicherten Energieversorgung ist legitim, aber die Wahl der Mittel und Methoden dazu ist nicht beliebig. Die zunehmende Militarisierung der Außenpolitik, das Verständnis von Handlungsfähigkeit als die Fähigkeit zum militärischen Eingreifen widerspricht dem Ziel, stabile internationale Beziehungen aufzubauen und damit den Sicherheits- und Wohlstandsinteressen der EU ebenso wie den Eigeninteressen der potenziellen Partner. Die Fixierung sowohl der europäischen als auch der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auf militärische Handlungsfähigkeit ist ein Pawlowscher Reflex auf die militärisch orientierte Neudefinition von Macht und Legitimität in den USA. Aber wieso sollte ein Europa diesem Kurs folgen wollen, das friedliche Kooperation, die Suche nach gemeinsamen Interessen, Konfliktmoderation und -prävention über viele Jahre als Erfolgsmodell – auch als wirtschaftliches – erlebt hat?

Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, mit so vielen Staaten wie möglich und getragen von Geist und Buchstaben der KSZE Schlussakte von Helsinki, das schafft für alle Beteiligten die nötige Sicherheit für die Zukunft. Dazu gehört, dass durch eine Energiewende die Konkurrenz um schrumpfende Vorräte mittelfristig entspannt wird (eine überfällige neue Entspannungspolitik), und die Militarisierung der Außen- und Wirtschaftspolitik, die mit der in Brüssel am 12.12.2003 beschlossenen europäischen Sicherheitsstrategie forciert wurde, wieder zurückgefahren wird.

Soziale und nachhaltige wirtschaftliche Wohlfahrt sind nicht ohne stabile Abnahmepreise und langfristige Lieferverträge mit den Ländern zu haben, mit denen man dauerhaft zusammenarbeitet. Sie sind entscheidende Voraussetzung für deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung (das gilt insbesondere für Russland, vgl. Medvedev 2004) und sie ermöglichen auch die Vorbereitung auf das postfossile Zeitalter, wie es in Kuwait traditionell und in Kasachstan aktuell politisch vorangetrieben wird. Kuwait investiert seit Jahren massiv in Sektoren außerhalb des Ölgeschäfts, um auch nach dessen Ende noch Einkünfte zu haben. Kasachstan hat jetzt, nachdem zuerst alles privatisiert wurde, mit Auflagen begonnen, wie viel Prozent der Zulieferungen aus nationaler Produktion kommen müssen, um eine Binnenwirtschaft aufzubauen, die die Grundlage für künftigen Wohlstand bilden soll.

Gemeinsam in die solare Moderne

Die EU bezieht 10% ihres Rohöls aus Libyen und 29% ihres Erdgases aus Algerien; dies und die weiteren Öl- und Gasvorkommen in Marokko, Tunesien und Mauretanien sind Thema der 1995 in Barcelona beschlossenen »strategischen Partnerschaft« von EU und Anrainerstaaten des Mittelmeers. Trotz seiner breiten gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Grundlage ist der Prozess bislang nur unzureichend zur strategischen Zusammenarbeit genutzt worden.

Eine solche Partnerschaft der Union gibt es noch nicht mit den östlichen Nachbarn, aber auch hier ist längerfristig eine Kooperation viel versprechend und plausibel. So haben die CIS – Wirtschaftsgemeinschaft aus Russland, Ukraine, Weißrussland und Kasachstan – und die Europäische Union weitaus mehr konvergierende Eigeninteressen als strategische Differenzen. Sie alle können nicht dabei gewinnen, wenn sie sich im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen oder Bündnisstrukturen (NATO) den Interessen der USA unterordnen. Stattdessen können alle Staaten beider Wirtschaftsgemeinschaften in der Zusammenarbeit gewinnen. So ermöglicht die Kombination von Kapital und Technik aus Westeuropa mit Ressourcen und Märkten in Osteuropa eine für beide Seiten viel versprechende Partnerschaft. Insbesondere die Gasreserven Russlands, die zweitgrößten der Welt, und die ebenfalls erheblichen Reserven Kasachstans sind für eine Übergangsstrategie zu einer klimagerechten Energieversorgung attraktiv.

Deshalb ist die zwischen der EU und Russland im Herbst 2000 proklamierte strategische Energiepartnerschaft zügig durch Abkommen zu vertiefen. Dabei wären künftige Energielieferungen, wie bereits 1999 von Russland ins Gespräch gebracht, nicht mehr in US-Dollar, sondern in Euro zu verrechnen. Das wäre ein erster Schritt um unabhängiger vom US-Dollar zu werden, der noch die Weltenergiemärkte beherrscht.

EU – Russland: Enge Kooperation statt Würgegriff

Die Europäische Union sieht, wie der Beschluss der EU-Außenminister zur Zusammenarbeit mit Russland vom 23.2.2004 zeigt, noch viele humanitäre und institutionelle Probleme, die einer engen Zusammenarbeit im Wege stehen, aber fast alle lösbar sind. Allerdings dürfte das EU-Verlangen nach einer Liberalisierung der russischen Gasindustrie für Russland so kaum hinnehmbar sein. Denn dahinter verbirgt sich das Ziel der europäischen Energiewirtschaft, die russischen Energieressourcen nicht nur zu nutzen, sondern auch zu besitzen. Der Schlüssel dafür ist der Energie-Charta-Vertrag, den etliche Staaten der Kaspi-Region bereits unterzeichnet haben, nicht jedoch bislang Russland und die USA. Er verpflichtet die Unterzeichner auf die Privatisierung der Ressourcenvorräte wie der Transitwege, sowie auf den freien Transfer der in einem Land erwirtschafteten Gewinne. Russland hat dagegen für Naturressourcen das »natürliche Monopol« des Staates aufrechterhalten. Die zudem von Russland verlangten »marktgerechten Energiepreise« dürften faktisch auf eine Freigabe der Energiepreise auf dem russischen Energiebinnenmarkt hinauslaufen. Das würde Russland empfindlich treffen, denn bislang werden mit den höheren Exportpreisen für Öl und Gas und den daraus resultierenden Einnahmen die niedrigen inländischen Gaspreise für Industrie und Bevölkerung subventioniert. Würde dies aufgegeben, dann ginge die bisherige bescheidene Konsolidierung der russischen Staatsfinanzen und der seit geraumer Zeit anhaltende wirtschaftliche und soziale Aufschwung verloren. Im Übrigen steht europäischen Investitionen auch ohne die Deregulierung des russischen Energiebinnenmarkts nichts im Wege, wie das erfolgreiche Beispiel der Firma Ruhrgas zeigt.

Ein weiterer Stachel in den Beziehungen ist die Strategie der EU für einen euroasiatischen Transportkorridor. Er dient im Wesentlichen dem Ziel, Europa unter Umgehung Russlands mit Öl und Gas aus den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres zu versorgen und eigene Hegemonialinteressen in dieser Region durchzusetzen. Eine tragende Säule dafür ist die Unterstützung der EU und Deutschlands für die politisch, ökologisch und ökonomisch stark umstrittene Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan.

Beide Beispiele machen deutlich, das einerseits zwar mit Russland weiterhin im Bereich der Energieversorgung kooperiert, andererseits aber zugleich eine neuerliche Ausdehnung seines Macht- und Herrschaftsbereichs unterbunden werden soll (Umbach, 2004). Solch eine Politik des Umzingelns, gekoppelt mit »Teilen und Herrschen« im Umgang, schürt von vornherein Misstrauen. Damit bauen sich nicht nur latente und offene Spannungen zwischen der EU und Russland auf, sondern ebenso wird die Gestaltung der Beziehungen Russlands zu seinen Nachbarn als ein langfristig angelegtes, kooperatives Miteinander erschwert. Stattdessen werden alte, kontraproduktive Strukturen des Ringens um Macht und Einfluss verstärkt.

Literatur

Altvater, Elmar: Die Währung des schwarzen Goldes, in: Internationaler Rundbrief Nr. 17 von ATTAC, S. 1 vom 16.01.2003.

Altvater, Elmar: Die Gläubiger entmachten, in: Freitag Nr. 44, S. 5 vom 24. Oktober 2003.

Campbell, Colin et al: Ölwechsel! – Das Ende des Ölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft, DTV, München 2002.

EU-Kommission: Grünbuch – Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit, S. 23, Luxemburg 2001.

Frankfurter Rundschau: Zweifel am Niveau der Förderreserven der Ölmultis wachsen, in: FR Nr. 12, S. 13 vom 15.01.2004.

Frankfurter Rundschau: Feuer unterm Dach beim Emissionshandel, in: FR Nr. 24, S. 11 vom 29.11.2004;

Grobe, Karl: Putins großes Spiel, in FR Nr. 262, S. 3 vom 10.11.03.

Medvedev, Sergei: Putins Second Republic: Russian Scenarios, in: Internationale Politik und Gesellschaft Nr. 1, S. 96-114, 2004.

Sauer, Gustav W.: Die ökologische Herausforderung – Umweltzerstörung als sicherheitspolitische Determinante, Deutscher Universitäts-Verlag, S. 69 ff, Wiesbaden 2001.

Scheer, Hermann: Solare Weltwirtschaft – Strategie für die ökologische Moderne, Kunstmann Verlag, München 1999.

Scheer, Hermann: Kein friedliches Europa ohne eine solare Revolution, in: Mader, G. et al.: Ökonomie eines friedlichen Europa – Ziele, Hindernisse, Wege; Schriftenreihe des ÖSFK, Studien für europäische Friedenspolitik, Bd 6, Agenda Verlag, Münster 2000.

Trittin, Jürgen: Klimaschutz ist ein Markt ungeahnter Größe, in: Frankfurter Rundschau Nr. 209, S. 7 vom 08.09.2003.

Umbach, Frank: Security Partnership and Strategic Energy Resources, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin, Januar 2004.

Umbach, Frank: Globale Energiesicherheit – strategische Herausforderungen für die europäische und deutsche Außenpolitik, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Oldenbourg Verlag, München 2003.

Umweltbundesamt: Anforderungen an die zukünftige Energieversorgung – Analyse des Bedarfs zukünftiger Kraftwerkskapazitäten und Strategie für eine nachhaltige Stromnutzung in Deutschland, Berlin, August 2003.

Dr. Detlef Bimboes ist Diplombiologe. Er lebt und arbeitet in Wiesbaden; Joachim H. Spangenberg ist Diplombiologe und Ökologe. Er lebt in Köln, lehrt in Versailles und arbeitet in Wien. Die Langfassung dieses Beitrages kann unter http://www.natwiss.de/11-05-04tonnenweisefrieden-jsdb-fin.pdf heruntergeladen werden.

Es ging nicht nur um Öl

Es ging nicht nur um Öl

Das US-Hegemonialsystem und der Irak-Krieg

von Mohssen Massarrat

Die Vereinigten Staaten führten nach dem zweiten Weltkrieg beinahe ein halbes Jahrhundert unangefochten die westliche Welt. Ihre Führungsposition beruhte auf ökonomischer, politischer, militärischer und auch kultureller Hegemonie. Europa und die gesamte westliche Welt orientierten sich am American way of life und legitimierten in Abgrenzung vom sowjetischen Lager aus Eigeninteresse und Überzeugung alle US-dominierten multilateralen Institutionen wie die Weltbank, den IWF, die WTO und die NATO. Doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion offenbart sich ein ganz anderes Amerika. Den historischen Wandel bringt der »Spiegel« (Nr. 30/2003) auf den Punkt: Der Irakkrieg „war der erste Krieg einer Weltmacht, die sich entschlossen hat, die Welt mehr mit dem American way of war zu beeindrucken als mit dem American way of life.“ Dieser Wandel ist nicht nur auf die neue US-Regierung zurück zu führen, das offensiv-missionarische und aggressiv-kriegslüsterne Auftreten der Neokonservativen darf über die Grundstrukturen des neuen Amerikas nicht hinweg täuschen.

Die USA stellen ein komplexes Hegemonialsystem dar mit vier, ihrem Wesen nach unterscheidbaren und voneinander unabhängigen, jedoch hegemonialpolitisch verschränkten Säulen: die innergesellschaftlichen, sicherheitspolitisch-militärstrategischen, geostrategischen und währungspolitischen Triebkräfte (siehe Abbildung auf S. 12).

Innergesellschaftliche Spaltung, Militärindustrieller Komplex und Hegemonialsystem

Die US-Gesellschaft war und ist eine multikulturell, multiethnisch, sozial und räumlich zutiefst gespaltene Gesellschaft. Die nicht-europäischen Einwanderergemeinden wie die Chinesen und Latinos leben neben den Schwarz-Amerikanern immer noch in Ghettos, eine Integration der in ihrer überwältigenden Mehrheit unterprivilegierten Farbigen hat immer noch nicht stattgefunden. Der Individualismus, die kommunale Basisdemokratie und der Dezentralismus stellen zwar eine tragfähige Grundlage der bewundernswerten kulturell-künstlerischen Errungenschaften dar, die Amerika für viele in der Welt attraktiv machen, sie stehen jedoch dem auf Grund der territorialen Ausdehnung des Landes besonders ausgeprägten Zentralismus in Washington und der damit einhergehenden Entpolitisierung der Menschen bei weltpolitischen Themen gegenüber. Die positiven Auswirkungen des American way of life und der kulturellen Hegemonie der USA in der westlichen Welt einerseits und die äußere Bedrohung durch den sowjetischen Feind andererseits reichten jedoch offensichtlich aus, um die innergesellschaftlich-soziokulturelle und territoriale Kluft über Jahrzehnte zu verdecken und eine breite gesellschaftliche Legitimation für die innen- und außenpolitischen Projekte der USA herzustellen. Doch der American way of life erhielt mit der Krise des fordistischen Konsummodells deutliche Kratzer, das Feindbild Kommunismus verschwand mit der Sowjetunion, der Neoliberalismus verstärkte die Ellenbogenmentalität und die kollektiven Ängste gerade angesichts des Fehlens eines angemessenen sozialen Netzes.1

Es ist durchaus kein Zufall, dass in den letzten zwei Jahrzehnten die Religion und religiöses Denken nach einer längeren Dominanzperiode radikal-liberaler Traditionen erneut in die US-Gesellschaft und -Politik Einzug gehalten hat. Nach Meinungsumfragen „bezeichnen sich 46 Prozent der US-Bürger – wie George W. Bush – als evangelikale Christen, das heißt als ‘wiedergeboren‘ ; 48 Prozent lehnen die Evolutionstheorie als Ketzerei ab, 68 Prozent glauben, sie seien schon einmal dem Teufel begegnet… Und Tom de Lay, der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus glaubt sich von Gott berufen, die ,biblische Weltanschauung‘ in der amerikanischen Politik zu stärken, wonach nur das Christentum lehre, wie man ,mit den Realitäten dieser Welt zurechtkommen‘ könne.“2 Noch deutlicher bekannte sich der Präsident selbst sich zu einer Religiosität. Die Rede ist von George W. Bushs „Mission, ‘die der göttlichen Vorsehung folgt‘, vom ‘demütigen Führer eines großen Landes‘, vom ‘Bruder in Christus‘ und von der Freiheit, ‘die nicht Amerikas Geschenk an die Welt … sondern ein Gottesgeschenk an die Menschheit sei‘“3 Horst Eberhard Richter spricht in diesem Zusammenhang von der „moralischen Krise der Amerikaner.“4

Besorgnis erregend ist dabei, dass der übermächtige Militärindustrielle Komplex (MIK) und das Pentagon samt der ihnen nahestehenden, mit den US-Massenmedien wirkungsvoll vernetzten »Denkfabriken«, wie dem American Enterprise Institut, es verstanden haben, diese »moralische Krise der Amerikaner« für die Zustimmung zu einer aggressiven Außenpolitik zu kanalisieren. Der MIK, der der US-Gesellschaft einen beträchtlichen Anteil der Ressourcen wegnimmt, hat im Unterschied zur Autoindustrie oder Ölindustrie keine sozialen Verbündeten in der US-Gesellschaft. Vor allem nach dem Wegfall des Feindbildes Sowjetunion ist er auf neue tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen, auf neue Feindbilder und Konflikte angewiesen, um seinen Fortbestand innenpolitisch zu legitimieren. Die innergesellschaftliche Konsensbildung jenseits der soziokulturellen Gegensätze und territorialen Divergenzen gerät so in die Abhängigkeit von neuen Bedrohungspotentialen jenseits der Vereinigten Staaten, die Suche nach neuen Feinden wird zu einem Wesensmerkmal des neuen Amerikas: „Ein halbes Jahrhundert lang standen die USA für politische und wirtschaftliche Freiheit“ schreibt Emmanuel Todd in der Einleitung seines »Nachrufes« auf die Weltmacht USA. „Aber heute“, konstatiert Todd „erscheinen sie immer mehr als ein Faktor der internationalen Unordnung, und wo sie können, fördern sie Instabilität und Konflikte.“5 Zahlreiche Ereignisse in den letzten zwei Jahrzehnten untermauern diese Beurteilung.

Die US-Intervention im Iran/Irak-Krieg zu Gunsten des Iraks in den achtziger Jahren hat die Konfliktstrukturen im Mittleren Osten vertieft, das Saddam-Regime gestärkt und dessen Überfall auf Kuwait gefördert. Auch in den neunziger Jahren haben die Vereinigten Staaten beim Bosnien- und Kosovo-Konflikt auf dem Balkan die Chancen nicht-militärischer Lösungen leichtfertig verspielt und Militärinterventionen eindeutig den Vorzug gegeben. Besonders folgenreich ist der Umgang der USA mit dem Nahost-Konflikt. Todd spricht offen aus, was viele in Europa und anderen Weltregionen denken. Sie verstehen nicht, konstatiert Todd, „warum Amerika den Konflikt zwischen Israel und Palästina nicht regelt, obwohl es dazu in der Lage wäre. Sie fragen sich allmählich, ob es Washington ins Konzept passen könnte, dass dieser ständig schwelende Konflikt im Nahen Osten existiert und dass die arabischen Völker wachsende Feindseligkeit gegenüber der westlichen Welt bekunden.“6 Die US-Nahost- und -Afghanistanpolitik hat die islamisch-fundamentalistischen Strömungen in der islamischen Welt gestärkt und dem internationalen Terrorismus den Nährboden geliefert.

Gewollt oder ungewollt hat sich eine unheilige Allianz zwischen dem Pentagon und dem internationalen Terrorismus herausgebildet, die sich gegenseitig hochschaukeln. Im Irak arbeiten offenbar Anhänger des alten Regimes inzwischen mit der Al Qaida sehr eng zusammen, der durch die US-Regierung konstruierte Kriegsgrund wurde erst durch den Irak-Krieg tatsächlich herbeigeführt. Die Schurkenstaaten-Theorie entstand in der Ära von Präsident Clinton, die neokonservativen Republikaner ergänzten diese Konstruktion durch die Erfindung der »Achse des Bösen«. Das Regime von Saddam Hussein, das zu dieser »Achse« gehörte, wurde inzwischen gestürzt. Unzählige Pläne gegen den Iran und Nordkorea – die anderen, zu dieser Achse gehörenden »Schurkenstaaten« – warten auf ihre Umsetzung, so z.B. der CIA-Plan, die iranischen Nuklearanlagen durch Militärschläge anzugreifen,7 und der »Plan 5030« des US-Verteidigungsministeriums zum Zweck gezielter und riskanter Provokationen an der Süd-Nordkoreanischen Grenze.8

US-Nuklearstrategie und Hegemonialsystem

Während der Ära des »Kalten Krieges« war der Hauptadressat des westlichen nuklearen Abschreckungssystems naturgemäß die Sowjetunion. In diesem System standen die europäischen Verbündeten der USA, aber auch Japan, unter dem nuklearen Schutzschirm der USA. Sie wurden sicherheitspolitisch damit de facto zu Protektoraten der USA und akzeptierten ihrerseits bereitwillig deren Hegemonialposition. Mit der Auflösung der Sowjetunion und der Bereitschaft der sowjetischen Führung unter Gorbatschow zur umfassenden Abrüstung auch bei den ABC-Waffen entstand für Europa und Japan historisch die reale Chance, sich von ihrem Protektorats-Status zu lösen und ihren außenpolitischen Handlungsspielraum im Rahmen einer multilateral ausgerichteten Weltordnung zu erweitern. Doch kam es aller Wahrscheinlichkeit nach auch aus demselben Grund nicht zu dieser allgemein erhofften Entwicklung. Bereits Ende der achtziger Jahre scheinen sich jene Kräfte in den USA durchgesetzt zu haben, die ganz im Sinne einer unilateralistischen Weltordnung die im Kalten Krieg entstandenen sicherheitspolitischen Abhängigkeiten Europas und Japans aufrecht erhalten wollten. Die begonnene Abrüstung von strategischen Trägersystemen und ABC-Waffen wurde bereits vor dem Ende des Kalten Krieges gestoppt, die Pläne für den Aufbau von Raketenabwehrsystemen im Weltraum aktualisiert.

Die US-Politikstrategen handelten schon damals nach Imperativen, die Brzezinski in seiner »Strategie der Vorherrschaft« präzise formuliert hat, nämlich „Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeiten in Fragen der Sicherheit zu bewahren.“9 Die neokonservativen Unilateralisten führten Brzezinskis strategische Ideen in ihrem Projekt »American Century« konsequent zu Ende. Präsident George W. Bush kündigte Ende 2001 endgültig Amerikas Rückzug von dem seit 1972 gültigen ABM-Vertrag an.10 Das Pentagon entwickelte neue Militärstrategien, die den Einsatz von Atomwaffen auch gegen Nicht-Atomstaaten ausdrücklich vorsehen,11 die US-Regierung weigert sich, den Vertrag über die nukleare Nichtweiterverbreitung von 1968 zu erfüllen und bewilligt Haushaltsmittel für die Entwicklung von neuartigen nuklearen Sprengköpfen.12 Ob es bei der Installierung von Raketenabwehrsystemen wirklich darum geht, die eigene Verwundbarkeit gegen atomare Bedrohungen auszuschließen, bleibt dahin gestellt. Erreicht wird auf jeden Fall die Aufrechterhaltung eines diffusen nuklearen Bedrohungspotentials, das quasi als nukleares Damoklesschwert die mächtigsten ökonomischen Rivalen der USA, Japan und die EU, davon zurückhält, sich von ihrem Protektoratsstatus zu lösen und die unilateralistische US-Hegemonie, wenn auch zähneknirschend, hinzunehmen. Die atomare Sicherheitsstrategie der USA ist insofern nicht allein gegen traditionell »feindliche« Atommächte wie Russland und China, sondern hegemonialpolitisch gesehen auch gegen eigene westliche Verbündete gerichtet.

Öl, Geostrategie und Hegemonialsystem

Das ökonomische Interesse der USA an Ölressourcen des Mittleren Ostens ist unbestritten. Dieses Interesse ist vielschichtig und zielt einerseits auf die US-Ökonomie selbst, somit ist es von innenpolitischer Relevanz ; andererseits zielt es auf die US-Außenpolitik und ist in der herausragenden Bedeutung begründet, die die mittelöstlichen Ölquellen im Hegemonialsystem der USA einnehmen. Für die US-Ökonomie sind wiederum zwei Funktionen der mittelöstlichen Ölquellen zu unterscheiden: Erstens als Öllieferant, wobei dieser Aspekt nicht der wichtigste ist, da die USA bisher nur ein Viertel ihres Importbedarfs aus dieser Region beziehen. Zweitens als Steuerungshebel der Öl- und Energieweltmarktpreise, da im Mittleren Osten 67% der weltweiten Ölressourcen mit den niedrigsten Produktionskosten vorkommen. Bei einer Preisdifferenz von beispielsweise 10 Dollar/Barrel sparen die USA bei einer Importmenge von jährlich 3,8 Mrd. Barrel Öl 38 Mrd. Dollar an Devisen, die US-Ökonomie als Ganzes spart bei einem Gesamtverbrauch fossiler Energien von 15 Mrd. Barrel Öläquivalent (Kohle, Öl, Erdgas) aus Eigenproduktion und Import ca. 150 Mrd. Dollar Energiekosten ein.13 Bei einer Preisdifferenz von 20 Dollar erhöhen sich diese Beträge auf das Doppelte.14 Die Einflussnahme auf die Öl- und Energiepreise und deren Regulierung auf ein der US-Ökonomie zuträgliches Niveau war vor allem auch aus innenpolitischen Gründen das Ziel aller US-Regierungen. Billigöl galt und gilt immer noch als Lebenselixier des American way of life und als Wachstumsmotor der US-Wirtschaft. Die mittelöstlichen Ölquellen könnten – sofern kein grundlegender Wandel auf regenerative Versorgungsstrukturen stattfindet – in Zukunft wegen der Knappheitstendenzen fossiler Energien in den USA und in anderen Weltregionen einen deutlich höheren Stellenwert erlangen. In der Vergangenheit dominierte jedoch das Interesse der USA, den Ölpreis im Rahmen einer umfassenderen Strategie der Kontrolle und Beherrschung der weltweiten Energieversorgung zu lenken. Diese Strategie sollte der zweifachen Interessenkonstellation der USA, nämlich den spezifisch innenpolitischen und den hegemonialpolitischen Interessen, Rechnung tragen. Innerhalb dieser Strategie kam einer engen Kooperation mit Saudi-Arabien als dem größten Ölproduzenten und -exporteur sowie Kuwait und den Arabischen Emiraten, die zusammen über einen Weltmarktanteil von 17,4% und 45% der OPEC-Produktion verfügen, die Schlüsselrolle zu.

Die USA verfügten darüber hinaus im letzten halben Jahrhundert über vielfältige ökonomische, geheimdiplomatische Instrumente, um die Ölweltmarktpreise über mehrere Jahrzehnte zu steuern.15 Die hegemonialpolitische Interessenkonstellation der USA beruht auf der Abhängigkeit ihrer traditionell sicherheitspolitischen Vasallen, nämlich der EU und vor allem Japan sowie darüber hinaus auch der asiatischen Schwellenländer von den mittelöstlichen Ölquellen.16 Die US-Hegemonie gegenüber diesen Staaten stützte sich während des »Kalten Krieges« außer auf die Säule des nuklearen Schutzschirmes auch auf die Säule der störungsfreien Ölversorgung zu niedrigen Preisen. Der Unilateralismus verlangt die Beibehaltung der nuklearen Säule und Verstärkung der Energieversorgungssäule. Letztere eignet sich hervorragend dazu, auch Indien und China als Atomstaaten und ökonomisch aufsteigende Großmächte, deren Ölnachfrage und Ölabhängigkeit von mittelöstlichen Energiequellen drastisch zunimmt, dem Hegemonialsystem unterzuordnen und gleichzeitig Russland als potentiell militärischen Rivalen mit eigenen energie- und geostrategischen Interessen an den Rand zu drängen. Dazu bedürfte es allerdings nicht nur einer verstärkten Kontrolle von Ölquellen der Persischen Golf-Region, sondern der Ausdehnung dieser Kontrolle auch auf die Kaspische Meer-Region.

Doch damit die öl- und geostrategische Säule im Hegemonialsystem die beschriebene Bedeutung erlangen kann, muss der Hegemon den gesamten Raum »Greater Middle East« militärisch, logistisch und ökonomisch direkt oder indirekt beherrschen. Dazu gehören:

  • ein dichtes Netz militärischer Stützpunkte und Präsenz der US-Armee an strategisch wichtigen Standorten,
  • eine möglichst große Zahl von Verbündeten und von den USA abhängiger Regime,
  • die totale Kontrolle der Versorgungsstrukturen und Transportrouten für Öl und der Gaspipeline sowie des Zugangs zu den Weltmeeren und
  • die Beteiligung einer möglichst großen Zahl von US-Konzernen im Energie- und Infrastrukturanlagen-Bereich.

Im Lichte dieser hegemonialpolitischen Geostrategie erscheinen der Sturz der Taliban in Afghanistan und des Regimes von Saddam Hussein im Irak sowie die Installierung von US-freundlichen Regimen in beiden Ländern als besonders wichtig. Ihnen kommt sogar die Schlüsselfunktion zu: Afghanistan wegen des Pipeline-Projekts für den Transport von Erdgas und Öl vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean, und Irak, um vor allem Saudi-Arabien bei Bedarf unter Druck setzen zu können.

Dollar und Hegemonialsystem

Als Leitwährungsland verfügen die USA über die Option, die inländischen Investitionen über Auslandsverschuldung zu finanzieren und diese über den Hebel der Notenpresse zu bedienen. Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Wood-Systems entschieden sich die US-Regierungen verstärkt für den bequemen Weg eines durch den Rest der Welt mitfinanzierten Wachstumsmodells. Charles A. Kupchan, der Berater von Präsident Clinton, bringt das Wundermodell auf den Punkt: „Das Land muss seinen Way of life finanzieren, sein Handelsbilanzdefizit ausgleichen, es liebt den Konsum und hasst es zu sparen. Deshalb haben sich Investoren Amerika als Investitionsort ausgesucht, sie lieben den Dollar und seine Stabilität.“17 „Hass auf Sparen und Lust auf Konsum“, somit ein Leben über die eigenen Verhältnisse und auf Kosten aller anderen Nationen. Diesen Luxus können sich dank des Dollars als Leitwährung nur die Vereinigten Staaten leisten. Die Netto-Auslandsverschuldung der USA stieg als Folge der fremdfinanzierten Investitionspolitik von 250 Mrd. in 1982 auf 2.000 Mrd. US-Dollar in 2000, dies macht 22,6% des US-Bruttoinlandsproduktes aus.18 Dieser bequeme Weg der Wohlstandsvermehrung ist allerdings nur so lange möglich, wie der Dollar seine Leitwährungsfunktion beibehält. Verliert der Dollar diesen Status an den Euro, so könnte das „Staaten und Privatanleger veranlassen“, konstatiert Kupchan, „bei Rücklagen und Investitionen dem Euro den Vorzug vor dem Dollar einzuräumen. … Das hätte schwerwiegende Folgen für das Land, das extrem abhängig von ausländischem Kapital ist.“19 Anstatt dieser Perspektive durch umfassende sozial-ökologische Reformen vorzubeugen, zieht es die politische Führung der USA vor, die Leitwährungsfunktion des Dollars und den privilegierten Status der asymmetrischen Handels- und Kapitalflüsse trotz offensichtlicher Risiken hegemonialpolitisch aufrecht zu erhalten.

Dem Erdöl kommt in diesem Zusammenhang in zweifacher Hinsicht eine Schlüsselrolle zu. Zum einen, weil der Ölmarkt der größte Einzelprodukt-Markt ist und der weltweite Ölhandel auf Dollar-Basis daher einen wichtigen Stabilitätsfaktor der US-Währung darstellt. Zum anderen, weil die größten Ölexporteure Saudi-Arabien, Kuwait und Arabische Emirate bisher ihre Devisenüberschüsse – bis 1990 rund eine Billion Dollar – in erster Linie in den USA investierten.20 Saudi-Arabien steht unter massivem Druck, nicht nur den Ölverkauf weiterhin in US-Dollar abzuwickeln, sondern auch das eigene Kapitalvermögen – rund 400 Mrd. Dollar – nicht aus den USA abzuziehen. So gesehen werden Öl und Geostrategie auch währungspolitisch zu einem hegemonialpolitischen Faktor, Ölkriege werden gleichzeitig auch Währungskriege. Dies gilt auf besondere Weise gerade auch für den Irak-Krieg. Der Irak hatte schon Ende 2000 damit begonnen, die tägliche Ölförderung von 2,4 Mio. Barrel in Euro abzuwickeln. Auch der »Schurkenstaat« Iran verkauft sein Öl zum Großteil in Euro, damit drängt sich der Euro zum ersten Mal in eine klassische Dollar-Domäne.21 Als Besatzungs- und Hegemonialmacht mitten in der Persischen Golf-Region hoffen die USA, den für die eigene Volkswirtschaft lukrativen Kreislauf von Rüstungsgüter gegen Petro-Dollars nicht nur für die Zukunft am Leben zu erhalten, sondern zusätzlich auch die Position des Dollars durch umfangreiche Wiederaufbau-Aufträge an die US-Konzerne zu stärken.22

Grenzen des neuen Amerikas

Lange vor dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums war es absehbar: Die Welt bewegte sich unaufhaltsam auf eine multipolare Zukunft zu. Neue ökonomische Riesen, wie die EU, Japan und China, kündigten sich als eigenständige ökonomische und politische Zentren an. Auf diese Entwicklung reagierte das neue Amerika trotzig, rückwärtsgewandt und narzistisch. Die Repräsentanten Amerikas fürchten den endgültigen Verlust der historisch einmaligen Position mit der magnetischen Anziehungskraft für Menschen und für das Kapital auf dem gesamten Globus. Anstatt sich durch umfassende Reformen und einen sozialen, ökonomischen und ökologischen Strukturwandel der multipolaren Entwicklung anzupassen, hoffen sie darauf, den erlangten Status auf Grund des unerreichbaren militärischen Vorsprungs auch in Zukunft halten und gegebenenfalls sogar ausbauen zu können. Der gesamte Globus wird in militärische »Schutzzonen« aufgeteilt,23 die von den USA dominierten multilateralen Institutionen der Weltwirtschaft wie IWF, Weltbank und WTO werden immer offensiver in den Dienst der globalen Umverteilung zu Gunsten der eigenen Volkswirtschaft gestellt. Der Neoliberalismus liefert mit seinen Postulaten Liberalisierung, Privatisierung und Wachstum durch Verbilligung der Arbeits- und Naturressourcen die ideologische Rechtfertigung der globalen Reichtumsumverteilung. Die militärischen Kosten der amerikanischen Hegemonialordnung – mögen sie auch mehrere hundert Milliarden Dollar im Jahr betragen – dürften nur einen Bruchteil der Gewinne ausmachen, die Amerika dank seiner Hegemonialordnung gewissermaßen als »Hegemonialrente« aus der Weltwirtschaft abschöpft.

Im Irak-Krieg, dem vorläufigen Höhepunkt von Amerikas Hegemonialpolitik und dessen Strategie der Vorherrschaft, kamen wie in keinem anderen Krieg der USA in den letzten Jahrzehnten nahezu alle entscheidenden hegemonialstrukturellen Triebkräfte, wie sie oben analysiert wurden, zum Tragen. Der Irak-Krieg war nicht – wie überwiegend angenommen wurde – nur ein Ölkrieg, er war gleichzeitig ein innenpolitischer, ein rüstungs- und militärstrategischer, öl- und geostrategischer und ein währungspolitischer Krieg.

Doch in dem Land, in dem der politische Erfolg des neuen Amerikas vorexerziert werden sollte, zeigen sich auch die Grenzen eben dieses neuen Amerika. Die Iraker weigern sich – trotz ihrer bitteren Erfahrungen mit dem alten Regime – die militärische Besatzung Iraks als Befreiung zu legitimieren. Das Desaster im Irak führt dazu, dass immer mehr Amerikaner aus Politik und Wissenschaft sich zu Wort melden und für eine Abkehr vom eingeschlagenen Weg plädieren. Eine Chance, den Aufbau einer anderen, humaneren Weltordnung einzuleiten.

Anmerkungen

1) Vgl. dazu auch Nielebock, Thomas: Die amerikanische Krisen- und Kriegspolitik im Lichte innenpolitischer Motive, in: Frankfurter Rundschau, 26.02.1991; Krell, Gerd: Arroganz der Macht, Arroganz der Ohnmacht. Der Irak, die Weltordnungspolitik der USA und die transatlantischen Beziehungen, HSFK-Report I/2003, Frankfurt/M.

2) Lapham, Lewis H.: Die Faust des Gerechten. Der religiöse Faktor in der US-Politik, in: Le Monde diplomatique, Juli 2003. Vgl. ferner Lazare, Daniel: Die Glaubensgemeinschaft USA und ihre Ketzer. in: Le Monde diplomatique, August 2002.

3) Lapham 2003.

4) Richter, Horst Eberhard: Stillhalten ist tödlich. Eine Lehre des Krieges gegen Irak, in: Frankfurter Rundschau, 3.09.2003.

5) Todd, Emmanuel: Weltmacht USA. Ein Nachruf, München, 2003, S. 13.

6) Todd, 2003, S. 15.

7) Die Los Angeles Times berichtet diesbezüglich über einen »CIA-Eventualplan«. Vgl. dazu Neue Osnabrücker Zeitung, 3.08.2003.

8) Vgl. dazu Karl Grobe in der Frankfurter Rundschau, 09.09.2003.

9) Brzezinski, Zbignew: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Frankfurt/M., 1997, S. 65.

10) Vgl. dazu Kubbig, Bernd W.: Jetzt haben die USA den Freifahrtschein für unbegrenzte Aufrüstung, in: Frankfurter Rundschau, 14.06.2002, und Nassauer, Otfried: Die Rückkehr der Atomkrieger, in: Frankfurter Rundschau, 13.05.2003.

11) So beispielsweise im Nuclear Posture Review vom Januar 2002. Ferner in: Nationale Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen …, vgl. dazu Rotblat, Joseph: Es wächst die Gefahr, dass ein neues nukleares Wettrüsten beginnt, in: Frankfurter Rundschau, 06.08.2003.

12) Ebenda und Nassauer 2003.

13) Die Mengenangaben beziehen sich auf 2002. Eigene Berechnung nach British Petroleum, BP Statistical Review of World Energy, 2003, London.

14) Hierbei wird von einem hypothetischen Knappheitspreis für Öl ausgegangen, der sich auf den Weltmärkten frei herausbilden würde. Dieser Preis dürfte sich dann auf einem deutlich höheren Niveau – um ca. 50 Dollar/Barrel – bewegen. Beim aktuellen Ölpreis von ca. 25 Dollar/Barrel geht es in Wirklichkeit um Abschöpfung von Preisdifferenzen um ca. 25 Dollar/Barrel. Näheres dazu vgl. Massarrat: Das Dilemma der ökologischen Steuerreform. Plädoyer für eine nachhaltige Klimapolitik durch Mengenregulierung und neue politische Allianzen, Marburg, 2000, Kapitel 10.

15) Nur im Zeitraum 1974-1985 gelang es der OPEC in ihrer Gesamtheit, Saudi-Arabien, Kuwait und die Arabischen Emirate in eine auf Autonomie der OPEC zielende Öl- und Mengenpreis-Politik einzubinden, die zu den Ölpreissprüngen von 1974 und 1979 führte. Ausführlicher dazu siehe Massarrat, 2000 (Anm. 14), ebenda, Kapitel 7-9.

16) Die EU bezieht 35%, Japan 97% und asiatische Schwellenländer 96% ihrer Ölimporte aus dem Mittleren Osten.

17) Kupchan, Charles A.: Die USA brauchen Europa, Interview, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 6/2003, S. 686.

18) Le Monde diplomatique (Hrsg.): Atlas der Globalisierung, Berlin, 2003, S. 98.

19) Kupchan, 2003, S. 686.

20) Vgl. dazu auch Abdolvand, Behrooz/Adolf, Mathias: Verteidigung des Dollars mit anderen Mitteln, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 2/2003, S. 181 f.

21) Abdolvand, Behrooz/ Adolf, Mathias, 2003, S. 182.

22) Über den währungspolitischen Hintergrund besteht bei den kritischen Analysen des Irak-Krieges inzwischen allgemeine Übereinstimmung, jedoch mit teilweise gegensätzlichen Begründungen. Vgl. dazu: Altvater, Elmar: Die Währung des schwarzen Goldes; sowie Massarrat, Mohssen: Anmerkungen zu Elmar Alvaters Beitrag. Beide Beiträge in: attac (Hrsg.): Kritik der Globalisierungskrieger. Arbeitspapier Nr. 1-2003 aus dem Wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland.

23) Vgl. dazu Nassauer, Ottfried: Eine neue militärische Aufteilung der Welt, in: Frankfurter Rundschau, 15.07.2002.

Dr. Mohssen Massarrat ist Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück

Golfkrieg III – Ein Krieg um Öl?

Golfkrieg III – Ein Krieg um Öl?

von Dirk Eckert

12 Jahre nach dem Zweiten Golfkrieg planen die USA einen erneuten Krieg gegen den ungeliebten ehemaligen Verbündeten. Der Irak, der nach Saudi-Arabien über die zweitgrößten Erdölreserven im Nahen Osten verfügt, wollte sich 1990 auch noch die kuwaitischen einverleiben. Der Golfkrieg II verhinderte das, der Irak wurde militärisch vernichtend geschlagen. Infolge der anschließenden UN-Waffeninspektionen wurden dann noch mehr Waffen vernichtet als im Krieg selbst, und ein bis heute wirkendes Wirtschaftsembargo verhinderte einen Wiederaufbau. Der Irak verlor seine Rolle als Regionalmacht und ist heute selbst nach amerikanischen Geheimdiensterkenntnissen keine Gefahr mehr für seine Nachbarn. Trotzdem drängt US-Präsident George W. Bush seit seinem Amtsantritt – und verstärkt seit dem 11. September 2001 – auf Krieg. Begründet wird das mit dem notwendigen Kampf gegen den Terrorismus – obwohl hier keinerlei Verbindungen hergestellt werden konnten – und der erneuten Produktion von Massenvernichtungswaffen durch das irakische Regime – für die bisher auch keine Beweise auf den Tisch gelegt wurden. Da liegt der Verdacht nahe, dass auch diesmal, wie beim Golfkrieg II, das Öl eine zentrale Rolle spielt.
Seit dem Zweiten Golfkrieg wird der Irak am Boden gehalten: Die Waffeninspekteure haben ihn weiter entwaffnet, die Truppen – und auch zivile Einrichtungen wie z. B. Straßen und Brücken – werden in der nördlichen Flugverbotszone seit Mai 1991 ständig durch die US-amerikanische und britische Luftwaffe bombardiert. Das Wirtschaftsembargo hat über einer Millionen Irakern – unter ihnen ca. 500.000 Kinder – das Leben gekostet.1 Eine Situation, die die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright mit den Wort kommentierte: „Ich glaube, das ist eine sehr schwere Entscheidung, aber der Preis – wir glauben, es ist den Preis wert.“2 Die Aufrechterhaltung der Sanktionen entsprang einem Kosten-Nutzen-Kalkül, wie Albright deutlich machte: „Es ist hart für mich, so etwas zu sagen, denn ich bin auch ein Mensch, aber meine erste Verpflichtung ist es, dafür zu sorgen, dass US-Truppen nicht losziehen und den Golfkrieg noch einmal kämpfen müssen.“3

Die Sanktionen können jedoch nicht auf immer und ewig gelten, und auch der weltweite Protest gegen das Embargo wächst. Das »Öl-für-Nahrungsmittel«-Programm war ein erster Schritt, um wenigstens die Lage der Bevölkerung zu verbessern. Die irakische Regierung hat sich bereits auf die Beendigung des Embargos eingestellt und eine Reihe von Verträgen mit ausländischen Investoren geschlossen, die nach Beendigung der Sanktionen etwa die irakische Ölindustrie modernisieren können.4 Zu nennen sind hier Frankreich, China, Indien, Italien, Vietnam, Algerien und vor allem Russland: Der russische Energiekonzern Lukoil hat bereits 1997 einen 4-Milliarden-Dollar-Vertrag mit dem Irak abgeschlossen. Damit soll ein Ölfeld im Südirak erschlossen werden, indem 15 Milliarden Barrel Öl vermutet werden. Das russische Unternehmen Slavneft schloss 2001 einen Vertrag über 52 Millionen Dollar ab.

Außen vor geblieben sind, wenig verwunderlich, die amerikanischen Ölkonzerne. Die USA befürchten, dass das so bleibt, so lange Saddam Hussein an der Macht ist. Nur ein Krieg gegen den Irak könnte diese Situation grundsätzlich verändern und die amerikanischen Ölkonzerne in eine Topposition katapultieren: Ein von den USA eingesetztes, wie auch immer geartetes Regime kann sämtliche Ölverträge neu verhandeln. Der ehemalige CIA-Chef R. James Woolsey hat denn auch Unternehmen, die bereits heute mit dem Hussein-Regime verhandeln, offen in der »Washington Post« gedroht: „Frankreich und Russland haben Ölfirmen und eigene Interessen im Irak. Ihnen sollte gesagt sein, wenn sie behilflich sind, dem Irak eine anständige Regierung zu bringen, werden wir unser möglichstes tun um sicherzustellen, dass eine neue Regierung und amerikanische Firmen eng mit ihnen zusammenarbeiten.“ Andernfalls aber dürfte es „schwierig bis unmöglich sein, eine neue irakische Regierung zu überzeugen, mit ihnen zusammenzuarbeiten“.5 Die »Washington Post« berichtet auch, dass sich Vertreter amerikanischer Ölfirmen mit irakischen Oppositionsgruppen getroffen haben. Der Iraqi National Congress (INC), den die USA und dabei insbesondere das Pentagon unterstützen6, bezieht offiziell keine Position zu der Frage, wie die irakische Erdölindustrie nach Saddam Hussein aussehen soll. Der Vorsitzende Ahmed Chalabi hat sich aber bereits für ein Konsortium unter Führung von US-Ölkonzernen ausgesprochen.

US-Präsident George W. Bush hat Chalabis INC gestärkt, als er am 3. Oktober mit einer »National Security Presidential Directive« anordnete, 5.000 irakische Oppositionelle militärisch auszubilden. Den Großteil der Rekruten darf der INC auswählen.7 Möglicherweise steht das in Zusammenhang mit Plänen – die kurz vorher bekannt geworden, allerdings noch nicht offiziell sind – nach denen die USA nach dem Sturz Saddam Husseins eine von ihnen geführte Militärverwaltung einrichten wollen.8 Die 5.000 Rekruten würden dann das »Bodenpersonal« stellen. Als historisches Vorbild wurde Japan nach dem Zweiten Weltkrieg genannt. Der Oberkommandierende der US-Streitkräfte am Persischen Golf, General Tommy Franks, wird bereits als Gouverneur gehandelt. Die New York Times nannte unter Berufung auf Beamte in Washington zwei Gründe für diese Option:

  • Erstens gelte es eine chaotische Situation zu verhindern, wie sie in Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes bestehe.
  • Zweitens könnten die USA nur so die vollständige Kontrolle über das Land erlangen und alle Massenvernichtungswaffen aufspüren.

Würde der Irak unter Militärverwaltung gestellt, hätten die USA außerdem die vollständige Kontrolle über die Erdölindustrie des Landes. Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass sich unter diesen Umständen die amerikanischen Firmen den Großteil der Erdölförderung unter den Nagel reißen und dass nur für Verbündete und solche, die es werden sollen, noch ein Stück vom Kuchen übrigbleibt. Auch die Besatzungskosten könnten unter diesen Umständen dem Irak aufgebürdet werden, der sie mit den Dollars aus den Öllizenzen bezahlen könnte.

In diesen Zusammenhang passt auch der Bericht eines Kongress-Abgeordneter gegenüber der NY Daily News, nach dem Präsident Bush auf einer Konferenz zugesagt hat, dass amerikanische Ölfirmen nach einem Krieg im Irak investieren würden, sprich: die Ölindustrie übernehmen werden.9 Unter Berufung auf Regierungsbeamte schreibt die Zeitung weiter, die Einnahme der irakischen Ölfelder sei eines der ersten Kriegsziele der USA, es gelte zu verhindern, dass Saddam Hussein die Ölquellen in Brand stecke, wie 1991 in Kuwait. Ob eine Besetzung des Irak durch die USA wirklich machbar und politisch vertretbar ist, daran gibt es allerdings große Zweifel. So kam bereits Kritik vom ehemaligen Außenminister Henry Kissinger, den die »New York Times« mit den Worten zitiert, er sei gegen eine „längere Besetzung eines muslimischen Landes im Herzen der muslimischen Welt durch einen westlichen Staat, der für sich das Recht in Anspruch nimmt, das Land umzuerziehen“.10

Die Kontrolle über die irakischen Ölvorkommen ist für die USA auch aus zwei weiteren Gründen von Interesse:

  • Erstens ließe sich damit die Abhängigkeit vom größten Ölproduzenten der Welt, Saudi-Arabien, reduzieren. Im »Defense Policy Board«, einem Beratungsgremium des US-Verteidigungsministeriums, wurden diesen Sommer Stimmen laut, die Saudi-Arabien der Unterstützung des Terrorismus bezichtigten und die US-Unterstützung des Feudalregimes beenden wollten.11 Saudi Arabien reagierte unter anderem mit einer Werbekampagne, um das schwer angekratzte Image der Ölscheichs in den USA zu verbessern.12
  • Zweitens kann mit dem irakischen Erdöl die Macht der OPEC wenn nicht gebrochen, so doch empfindlich geschwächt werden. Die FAZ schreibt dazu: „Dieser neue Irak könnte aus der OPEC austreten, die Förderbeschränkungen des Ölkartells unterlaufen und die dominierende Rolle Saudi-Arabiens am Golf schwächen. Selbst wenn der Irak in der OPEC bliebe, brächen in dem Kartell erhebliche Spannungen aus.“13 Eine neue irakische Regierung könnte die jahrelangen Sanktionen ins Feld führen, die nun eine Erhöhung der Ölförderung nötig machten, um Geld für den Wiederaufbau des Landes zu erwirtschaften. Der »Economist« fragte bereits: „Opec, Ruhe in Frieden?“14

Ein Krieg würde die USA in den Besitz des irakischen Öls bringen. Noch wichtiger aber ist es für die Vereinigten Staaten, die Golfregion militärisch zu kontrollieren. Ein Blick in die »BP Statistical Review of World Energy 2002«15 zeigt, wie abhängig die industrialisierte Welt vom Erdöl der Golfregion ist. Bemerkenswert ist dabei, dass Europa und Japan viel abhängiger sind als die Vereinigten Staaten. So verbrauchten die USA im Jahr 2001 895,6 Millionen Tonnen Erdöl. Davon kamen 138 Millionen Tonnen aus dem Nahen Osten. Die EU wiederum verbraucht mit 637,1 Millionen Tonnen weniger Erdöl als die Vereinigten Staaten, aber mit 176,2 Millionen Tonnen mehr Erdöl aus der Golfregion. Japan, die führende Wirtschaftsmacht in Ostasien, ist fast vollständig vom Öl aus der Golfregion abhängig. Von 247,2 Millionen Tonnen Verbrauch im Jahr 2001 stammten 208,8 aus Nahost. Wer die Golfregion kontrolliert, sitzt also am Ölhahn von Japan und teilweise auch der EU.

Die Kriegsablehnung oder zumindest Skepsis gegenüber einem neuen Golfkrieg durchzog im Sommer alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland. Selbst die Wirtschaft und ihr nahestehende Gruppen und Parteien stimmten in den Chor der Kriegsskeptiker ein. Der Grund war weniger die Sorge um deutsche Investitionen im Irak – das hätte nur einzelne getroffen, und nach einem amerikanischen Sieg würden wohl auch deutsche Firmen ein Stück vom Kuchen abbekommen – als vielmehr die Furcht vor einem anhaltend hohen Ölpreis. Bereits im Golfkrieg 1990/91 war der Ölpreis in die Höhe geschossen. Bei einem kurzen Krieg ist das kein so großes Problem, aber ein längerer Krieg mit hohem Ölpreis würde unweigerlich die Weltwirtschaft in eine Krise ziehen. „Die Weltwirtschaft würde ein Militärschlag zweifellos hart treffen“, so die Investmentbank WestLB Panmure. Ein „Rückfall in die Rezession“ sei dann „wohl unvermeidlich“. Und Hans-Werner Sinn, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), warnte, ein steigender Erdölpreis würde „zu realen Einkommensverlusten in der westlichen Welt“ führen, „die Konsumenten geben weniger aus, und die Konjunktur erhält einen Dämpfer“.16

Anders liegen die Interessen der Russischen Föderation, die einen Krieg ebenfalls ablehnt. Russland kann mit der gegenwärtigen Situation – einem hohen Ölpreis auf dem Hintergrund eines drohenden Krieges – sehr gut leben, denn es will seine seit dem Ende der Sowjetunion zurückgegangene Ölproduktion von geschätzten 7,4 Millionen Barrel auf 12 Millionen erhöhen. Russland würde dann soviel Öl fördern wie Saudi-Arabien und Iran zusammen.17 Ein – durch den Krieg bedingt – steigender Ölpreis käme Russland als Ölproduzenten zwar gelegen. Nach einem Krieg aber droht der Ölpreis zu verfallen, wenn der Irak ins Ölgeschäft zurückkehrt. Das würde Russlands Anstrengungen zum Wiederaufbau der eigenen Ölproduktion gründlich torpedieren.

Im Kriegsfall entscheidend ist deshalb, ob die OPEC gewillt ist, den Ölpreis unter der als kritisch erachteten Marke von 30 Dollar pro Barrel zu halten. Bei ihrem Treffen am 18. September im japanischen Osaka verständigte sich die Organisation auf eine Politik der Preisstabilität. „Wir werden auf Engpässe reagieren, ganz gleich was das Ereignis oder die Ursachen sind“, so der saudische Ölminister Ali el Nuaimi.18 Im Oktober erhöhten die OPEC-Länder die Fördermenge um 2,7 Millionen Barrel pro Tag. Die Förderung des Irak hinzugerechnet lieferte die OPEC damit durchschnittlich 26,52 Millionen Barrel pro Tag. Vereinbart waren eigentlich 21,7 Millionen. Die Wirkung blieb nicht aus: Der Ölpreis fiel so stark, dass OPEC-Präsident Rilwanu Lukman an die Mitglieder des Kartells appellierte, die vereinbarten Förderquoten wieder besser einzuhalten. Gleichzeitig bekräftigte er nochmals, dass das Kartell im Kriegsfall den Preis stabil halten werde.19

Halten Saudi-Arabien und die OPEC den USA auf diese Weise den Rücken frei, so dürfte die Kriegsablehnung in Europa, und vor allem in Deutschland, schwächer werden. Ein Beispiel ist ein Bericht der Deutschen Bank. In »Globale Trends bis zum Jahresende« rechnen ihre Ökonomen mit einem Krieg zwischen November 2002 und Februar 2003 und mit einem schnellen Sieg der USA. Daher komme es Anfang 2003 zu einer „kräftigen Zulage bei den US-Investitionen“. Der Ölpreis würde nur kurz steigen, weil andere Länder erklärt hätten, Produktionsausfälle zu kompensieren, und „[e]in Krieg ist an den Ölmärkten bereits weitgehend eingespeist.“ Nach dem Krieg rechnen die Wirtschaftsexperten mit einer höheren Ölproduktion im Irak und infolgedessen einer Schwächung der OPEC.20

Wie allen Industrieländern geht es auch der Bundesrepublik bei einem Irakkrieg um das Öl und seinen Preis. Geht man von einen schnellen Sieg der Amerikaner aus und davon, dass nur etwas vom Kuchen abbekommt, der auch bereit ist militärisch mitzumischen, dann ist zu befürchten, dass die rot-grüne Bundesregierung ihr Wahlversprechen bricht, sich nicht an einem Krieg zu beteiligen. Hierfür gibt es – unterhalb der Grenze des direkten Einsatzes von Bundeswehrsoldaten im Krieg – einige Optionen. Das beginnt bei den Spürpanzern, die in Kuwait stationiert sind und trotz US-amerikanischem Aufmarsch am Golf nicht zurückgezogen werden, das betrifft die Nutzung der amerikanischen Militärbasen in Deutschland und schließlich auch die deutschen Soldaten in den Awacs-Aufklärungsflugzeugen der NATO.

Anmerkungen

1) Vgl. UNICEF: Results of the 1999 Iraq Child and Maternal Mortality Surveys, http://www.unicef.org/reseval/iraqr.html

2) Im Internet als Video in Ausschnitten zu finden, z.B. unter http://home.attbi.com/~dhamre/docAlb.htm

3) Zit. n. Phil Hirschkorn: Bomber’s defense focuses on U.S. policy on Iraq, in: CNN, 4.6.01, http://www.cnn.com/2001/LAW/06/04/embassy.bombings.02/

4) Vgl. Dan Morgan/David B. Ottaway: In Iraqi War Scenario, Oil Is Key Issue, in: Washington Post, 15.9.2002.

5) Ebd.

6) Die Washington Post ordnet die verschiedenen irakischen Oppositionsgruppen verschiedenen Teilen der US-Regierung zu. Vgl. Karen DeYoung and Daniel Williams: Training of Iraqi Exiles Authorized, in: Washington Post, 19.20.2002.

7) Vgl. ebd.

8) Vgl. David E. Sanger/Eric Schmitt: U.S. Has a Plan to Occupy Iraq, Officials Report, in: New York Times, 11.10.2002.

9) Vgl. Timothy J. Burger: Postwar Iraqi oil plan, in: NY Daily News, 10.10.2002, http://www.nydailynews.com/news/story/25815p-24406c.html

10) David E. Sanger/Eric Schmitt, a.a.O..

11) Vgl. Jürgen Wagner: Kontrolle ist besser, in: analyse und kritik, Nr. 464, 16.8.2002, http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse-02-52-akIrak.pdf

12) Vgl. Dirk Eckert: Alliierte und ein Rennpferd für den Frieden, in: Telepolis, 6.9.2002.

13) Rainer Hermann: Der Irak, die Opec und das Öl, in: FAZ, 2.9.2002.

14) Don’t mention the O-word, in: Economist, 12.9.2002.

15) http://www.bp.com/downloads/1090/oil.pdf

16) Kriegsgefahr belastet deutsche Wirtschaft, in: Welt am Sonntag, 15.9.2002.

17) Vgl. Rainer Hermann: Der Irak, die Opec und das Öl, in: FAZ, 2.9.2002.

18) OPEC will im Kriegsfall umgehend auf Öl-Knappheit reagieren, afp, 19.9.2002.

19) Vgl. Ölpreis stabilisiert sich, in: Süddeutsche Zeitung, 11.11.2002.

20) Vgl. Hermannus Pfeiffer, Krieg hilft der Wirtschaft, in: taz, 31.10.2002, S. 10.

Dirk Eckert ist Politikwissenschaftler, freier Journalist und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Öldurst

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von Jürgen Nieth

Öldurst 1

„Wir finden ein hochbrisantes, internes Dokument der US-Armee vom März 2001. Also erstellt 6 Monate vor dem 11. September. Szenario eines Irak-Krieges. Mit genauem Aufmarsch- und Angriffsplan. Unter dem Stichwort »regionale Interessen der USA« heißt es an erster Stelle – ungeschminkt: »gesicherter Zugang zum Öl am Golf«.

Das propagierte Kriegsziel: »Verbreitung demokratischer Werte«, ist an vorletzter Stelle der Liste versteckt.“

Sonja Mikisch, Chefredakteurin von Monitor in der ARD am 21.11.02,

www.wdr.de/tv/monitor/sendetermine.html

Öldurst 2

„Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen.“ Wir werden „durch freie Märkte und freien Handel eine neue Ära globalen Wirtschaftswachstums auslösen.“

Neue Militärdoktrin der Bush-Regierung vom September 2002 in der auch das Recht zum militärischen Erstschlagals Vorbeugung gegen feindliche Attacken, d. h . zum Präventivkrieg, formuliert wird. Zitiert nach FR vom 28.09.02, S. 14.

Öldurst 3

„Es geht um Ölinteressen. Zurzeit ist der Irak für die amerikanische Öl- und Gasindustrie verschlossen. Mit einem Regimewechsel kommt aber die Aufhebung der Sanktionen – und US-Firmen werden wieder in den Irak zurückkehren können. Ich rede nicht nur von der Öl- und Gasindustrie, sondern auch von der Ausrüstungsindustrie, also Technik, Anlagen, Service. Das Interesse am Wiederaufbau der irakischen Ölfelder ist groß, es geht ja um eine riesige Industrie […] Die Meinungsverschiedenheiten, die Frankreich und Russland mit den USA haben, haben mit der Zukunft der Ölvorkommen in einem Irak nach Saddam zu tun. Die Angst der Russen und der Franzosen ist, ob ihre Verträge, die sie in der Zeit Saddam Husseins unterschrieben haben, bestehen bleiben. Ob sie weiterhin mit diesen Verträgen arbeiten können.“

Fred Mutalibov, Börsenanalyst und einer der bekanntesten Ölmarkt-Experten der USA in der Monitor-Sendung, ARD 21.11.02

Öldurst 4

„Wenn es dazu kommt, dass nur die Vereinigten Staaten und Großbritannien als einzige uns dabei helfen werden, das Land zu befreien und Saddam Hussein und sein Regime loszuwerden, dann wird eine Übergangsregierung gewiss mit großem Wohlwollen auf diese beiden Länder schauen.“

Nabil Nugawi vom Iraqi National Congress, der sich als Dachverband der irakischen Opposition versteht, mit Sitz in London, am 21.11.02 in Monitor.

Öldurst 5

„Die USA haben mit Hamid Karzai einen Mann an die Spitze Afghanistans gesetzt, der früher als Berater des amerikanischen Ölkonzerns Unocal tätig war und noch Mitte der 90er Jahre mit den Taliban über den Bau einer Erdgasleitung durch Afghanistan verhandelt hat.

Einer der ersten Entscheidungen, die Karzai als Übergangspräsident traf, war dann auch der Beschluss mit dem Bau der von der amerikanischen Ölindustrie gewünschten Erdgasleitung so bald wie möglich zu beginnen – wann immer das auch sein mag. Wenn es Georg W. Bush gelänge, jetzt auch noch einen Unocal-Berater an die Spitze des Irak zu hieven, hätte er in der Tat die rohstoffpolitische Verwundbarkeit der USA entscheidend verringert.“

Jürgen Todenhöfer, von 1972 bis 1990 MdB sowie entwicklungs- und rüstungspolitischer Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion, am 08. Oktober 2002 in der Frankfurter Rundschau, S.7.

Öldurst 6

„Seit August dieses Jahres eskalieren diese britisch-amerikanischen Luftangriffe ständig, […] die Angriffe richten sich immer häufiger auch gegen Ziele außerhalb der beiden »Flugverbotszonen« in Nord- und Südirak […] Die britisch-amerikanischen Kampfbomber (greifen) auch gezielt Brücken und andere zivile Einrichtungen an. Ende September wurde an zwei Tagen der Zivilflughafen von Basra bombardiert.“

Andreas Zumach in der TAZ vom 12. Oktober 2002, S. 3.

Öldurst 7

„Bevor Irak mit dem Überfall auf Kuwait im Sommer 1990 den Zorn Washingtons auf sich zog, setzte auch die Familie Bush auf gute Beziehungen zu Saddam. In der »Nationalen Sicherheitsdirektive 26« dekreditierte der Vater des heutigen Präsidenten im Oktober 1989 zwar »Menschenrechtserwägungen« sollten »weiter ein wichtiges Element unserer Politik gegenüber Irak« sein. Im langfristigen Interesse der USA lägen aber »normale Beziehungen« zu Saddam.“

Dietmar Ostermann in der Frankfurter Rundschau vom 7.Oktober 2002, S. 2.

Öldurst 8

„Die Regierungen der USA und Großbritanniens wollen den Krieg. Der wohl einzige Weg ihn noch zu verhindern wäre, wenn alle Verbündeten dazu nein sagten. Für einen totalen Alleingang hat die US-Regierung nicht den Mut, weil sie Probleme mit ihrer eigenen Bevölkerung fürchten muss. Wie viele Menschen die USA im Irak töten spielt für diese Geofaschisten keine Rolle. Ich benutze den Ausdruck ganz bewusst: Die USA sind ein geofaschistisches Land. Es ist auf der Weltebene faschistisch, obwohl es zu Hause demokratische Züge hat […] Ich sehe Faschismus als Gewaltfrage: also bereit zu sein, eine beliebige Menge von Leben zu opfern zur Erreichung politischer Ziele […] Die Schätzungen der von den USA weltweit getöteten Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg schwanken zwischen 12 und 16 Millionen […] Bei allen US-Interventionen geht es darum, das eigene ökonomische System zu befördern.“

Johan Galtung, Friedens- und Konfliktforscher, in der TAZ vom 28. September 2002, S. 4.

Das Letzte

Schweijk bei der NATO

Leonid Kuchma, der Präsident der Ukraine, war ungeladen zum Gipfel des Euroatlantischen Kooperationsrates in Prag angereist. Protokollarisches Ungemach dräute, hätte ihn doch die normale Sitzordnung der NATO, an den englischen Staatsnamen orientiert, just neben jene beiden Staatsmänner plaziert, die ihn partout nicht treffen wollten – Tony Blair und George W. Bush.

Doch Tschechien erinnerte sich seines »Nationalhelden« und bewies Phantasie: Es bemühte die zweite Amtssprache der Allianz und die Sitzordnung wurde an den französischen Staatsnamen orientiert.

Der nötige Abstand war wiederhergestellt. Ein sichtbarer Beweis für Tschechiens NATO-Tauglichkeit.

Nur der Profit zählt

Nur der Profit zählt

TotalFinaElf und der Umweltschutz

von Jörg Feddern

Der französische Erdölkonzern Elf-Aquitaine ist in den Schlagzeilen. In Deutschland geht es um Millionen-Schmiergelder im Zusammenhang mit dem Kauf der Leuna-Werke, in Frankreich stehen in einem Aufsehen erregenden Korruptionsprozess ein ehemaliger Außenminister und Teile der alten Geschäftsführung vor Gericht. Die Untersuchungsrichter sind dabei, wie die FAZ (31.05.01) schreibt, „auf ein übles Gemisch aus Korruption, Wirtschaftsinteressen, Geheimdienstaktionen, Waffenhandel und politischer Einflussnahme gestoßen – vornehmlich in Afrika.“ Durch den Zusammenschluss von Elf mit TotalFina ist der Konzern jetzt auf Platz vier der Ölunternehmen in der Welt vorgerückt. Ob sich durch die Prozesse und den Zusammenschluss etwas am »System« ändert, bleibt abzuwarten. Wie stark Wort und Taten aber auch bei TotalFinaElf auseinander klaffen, belegt Jörg Feddern am Beispiel der Erdölproduktion in Russland, wo Profit allemal vor Umweltschutz geht.
TotalFinaElf ist nach der Fusion aus TotalFina und Elf Aquitaine das größte Unternehmen Frankreichs und das viertgrößte Ölunternehmen der Welt. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 150.000 Mitarbeiter und besitzt 10,5 Milliarden Barrel (circa 1,35 Mrd. Tonnen) an eigenen Öl- & Gasreserven. Dieser Vorrat reicht bei der aktuellen Jahresproduktion von 766 Millionen BOE noch 14 Jahre. TotalFinaElf betreibt 29 Raffinerien (mit einer Tageskapazität von zusammen 2,4 Mio. Barrel) und verkauft in den 20.000 eigenen Tankstellen täglich 524 Mio. Liter Kraftstoff.

TotalFinaElf ist mit 14,5 Prozent Anteil hinter dem französischen Staat zweitgrößter Anteilseigner des Atomkonzerns Compagne Générale des Matières Nucléaires (Cogema), vor allem bekannt durch die weltgrößte Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennelemente in La Hague.

TotalFinaElf und die französische Politik

Der Name ELF stand in der Vergangenheit lange Zeit für eine französische Parallel-Außenpolitik, der vor allem in Afrika großer Einfluss nachgesagt wurde. „Frankreichs ELF hat jahrelang das Spiel Afrikanischer Politik gespielt – nicht nur um die Kontrolle über die begehrten Öllizenzen zu gewinnen, sondern auch als ein Arm französischer Diplomatie und Intelligenz.“1 Beispiel: Nach einem Besuch von Jacques Chirac in Angola im Juni 1998 erhielt Elf die umkämpfte Fördererlaubnis (»ultra-deep licence«) in einem Abschnitt eines neuen angolanischen Offshore-Ölfeldes. Andre Tarallo, Ex-Afrikabeauftragter von Elf, erläutert das System: „Im Ölgeschäft sprechen wir von Prämien. Es gibt offizielle Prämien, die in den Verträgen erwartet werden; (…) die Ölgesellschaft, die eine Bohrerlaubnis haben möchte, willigt beispielsweise ein, den Bau eines Krankenhauses, einer Schule oder einer Straße zu finanzieren, bzw. – im Falle, dass sich das Interesse an einer Gegend als begründet erweist – eine ansehnliche Geldsumme zu zahlen. Von Elf – wie auch von diversen anderen Ölgesellschaften – wurde diese Praktik immer genutzt.“2

TotalFinaElf und die Umwelt

Umweltleitlinien des Gesamtkonzerns sucht man vergebens. Die einzige Erwähnung des Begriffs »Environment« auf der TotalFinaElf-Homepage betrifft das neue Motoröl Aquazole (Dieselöl-Wasser-Emulsion), das Partikel- und Stickoxid-Emissionen reduziert. Die Klimaveränderung wird von TotalFinaElf auf ihrer Webpage zwar nicht geleugnet, der Konzern bekennt sich selbst zu einer Mitverantwortung (z.B. durch Abfackeln von Erdgas bei der Ölförderung, Energieverbrauch der Raffination), eine ökologische Unternehmensbewertung, durchgeführt von einem Münchener Unternehmen im vergangenen Jahr, kam jedoch zu einem deutlich negativen Ergebnis bezüglich der Umweltpolitik. Beide Unternehmen lagen in der ökologischen Bewertung unter dem Durchschnitt aller untersuchten Ölkonzerne. Elf Aquitaine belegte Platz 11, Total Fina sogar nur Platz 18 von 23 untersuchten Unternehmen.3 Diese Situation dürfte sich durch die Fusion kaum geändert haben.

TotalFinaElf in Deutschland

Elf Aquitaine (bzw. die Konzern-Tochter Elf Oil Deutschland) besitzt seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland insbesondere die Raffinerie Leuna. Seit dem 1. September 2000 haben sich auch in Deutschland die beiden Konzerne TotalFina und Elf zusammengeschlossen. Sie beschäftigen 1250 Mitarbeiter und unterhalten in Deutschland das fünftgrößte Tankstellennetz.

Bei Elf Oil Deutschland finden sich zehn Umweltleitlinien, die neben generellen Absichtserklärungen („Die Elf Oil Deutschland sieht ihre Umweltpolitik als eine Aufgabe an, die sie regelmäßig und systematisch an die ökologischen & gesellschaftlichen Anforderungen anpassen wird.“) und dem konkreteren Ziel der „Vermeidung bzw. Reduzierung von Abfällen, Abwässern, Lärmemissionen und Schadstoffen“ auch folgenden Passus enthalten: „Die Elf Oil Deutschland erwartet von ihren Lieferanten und sonstigen Partnern, dass sie die Normen & Richtlinien anwenden und umsetzen, die für die Elf Oil Deutschland selbst gelten.“4

TotalFinaElf und das russische Erdöl

TotalFina nennt als eigene und als Partner-Produktions-Standorte in Russland Kharyaga (Timan Pechora Becken, autonome Region Nenets) und Romashkino (südl. Ural) sowie vier Stellen im Kaspischen Meer.5 Der russische Staat erhält 6 Prozent der Fördermenge als Lizenzgebühr, das restliche Öl wird über den lettischen Hafen Ventspils verschifft. TotalFina hat deshalb die Kapazität der 146 Kilometer langen Pipeline Kharyaga-Usa auf 10.000 Barrels/Tag (bpd) erhöht.

Elf Aquitaine hat darüber hinaus im März 1998 für 528 Mio. US-Dollar einen 5 Prozent-Anteil an Yuksi Oil, Russlands größtem Ölkonzern, gekauft. Elf erhielt damit einen Sitz im Vorstand und nimmt an Prospektionen neuer Felder in Westsibirien teil.

Mitschuldig an einer gigantischen Ölpest

Ein großer Teil des russischen Rohöls, das nach Deutschland exportiert wird, kommt über die »Druschba-Pipeline« (Pipeline der Freundschaft) zu den Raffinerien Schwedt (16,33 Prozent Anteil von TotalFinaElf) und Leuna. Insgesamt rund 20 Mio. Tonnen russischen Öls gelangen auf diesem Weg in den Westen.6

Die Mitteldeutsche Erdöl-Raffinerie GmbH wurde für knapp fünf Milliarden Mark in unmittelbarer Nachbarschaft des früheren Leuna-Werkes errichtet. Während das frühere Leuna-Werk als größtes DDR-Kombinat 28.000 Menschen beschäftigte, finden heute in der Raffinerie nur noch 550 Menschen Arbeit, weitere 2.000 bei den Dienstleistern. Die Raffinerie gilt als eine der modernsten der Welt. Pro Stunde fließen etwa 1.000 Tonnen Rohöl, d.h. jährlich rund 10 Millionen Tonnen, aus der russischen Pipeline in das Werk.7Doch was anschließend »sauber« in die Tanks von Autos, Flugzeugen und Häusern fließt, ist begleitet von einer gigantischen Ölpest in Russland. Allein in den westsibirischen Ölförderregionen, wo der größte Teil des Erdöls für die Raffinerie in Leuna und Schwedt gefördert wird, treten pro Jahr bis zu 5.000 Brüche von Ölpipelines auf. Jährlich werden bis zu 300 Havarien mit Ölaustritten von bis zu 100.000 Tonnen gemeldet. Auslaufendes Öl (schätzungsweise treten jährlich drei bis zehn Millionen Tonnen aus) verseucht Böden und Gewässer. Riesige Ölseen zerstören den Lebensraum von Menschen, Tieren und Pflanzen.8 Von den bestehenden Pipelines sind etwa ein Drittel über 30 Jahre alt und reparaturbedürftig. Doch es passiert so gut wie nichts.Auch die einheimische Bevölkerung leidet zunehmend unter der Ölverschmutzung. Im Gebiet von Surgut, einer Stadt mitten in einem der größten Ölfelder Sibiriens, leben beispielsweise die Chanten, Nenzen und Mansen. Ihr Lebensraum ist akut bedroht. Mehrere Millionen Hektar Rentierweide sind bereits durch das Öl vernichtet, Wasser und Nahrungsmittel verseucht. Die Luft ist durch das Gasabfackeln belastet. Das dabei frei werdende krebserregende Benzpyren überschreitet vielerorts die zulässigen Grenzwerte.9

Als einer der Hauptimporteure russischen Rohöls ist TotalFina Elf mitschuldig an den dort herrschenden Zuständen. Doch die von TotalFinaElf selbst festgelegten »Umweltleitlinien« scheinen in dieser Gebieten außer Kraft gesetzt.10 Es wird nichts unternommen, um die Situation zu ändern, im Gegenteil: Die Gewinne des Konzerns werden weiter und weiter gesteigert, auf Kosten der Umwelt und der dort ansässigen Bevölkerung.

Greenpeace konfrontierte TotalFinaElf wiederholt mit den Zuständen in den betroffenen Gebieten. Bei zahlreichen Aktionen vor den Raffinerien des Konzerns in Ostdeutschland demonstrierte Greenpeace gegen die Praktiken vor allem in Westsibirien. Während eines vierwöchigen Camps begannen Greenpeace-Aktivisten mit dem Beseitigen von Öl im Samotlor-Ölfeld und machten vor, was die eigentliche Aufgabe von TotalFinaElf u. a. ist. Doch statt sich Gedanken über die Veränderung der bestehenden Zustände zu machen, versucht der Konzern mit einstweiligen Verfügungen Greenpeace daran zu hindern, die Öffentlichkeit über die Missstände zu informieren. Erst Anfang diesen Jahres ließ der Konzern per Gericht untersagen, dass Greenpeace unter der Internetadresse www.oil.of.elf.de über die Zustände in den sibirischen Fördergebieten berichtet und TotalFinaElf als Mitverantwortlichen benennt.

Auch der Versuch, sich mit der Begründung aus der Affäre zu ziehen, dass TotalFinaElf gar kein Öl aus den von Greenpeace genannten Gebieten bezieht, ist gescheitert. TotalFinaElf unterhält einen Exportvertrag mit der Tyumen Oil Co. in dem festgelegt wird, dass TotalFinaElf eine festgesetzte Menge Rohöl von Tyumen Oil abnimmt. Der russische Ölkonzern sicherte damit im Juli 1999 eine Obligation über 103 Millionen US-Dollar ab.11Laut der Nachrichtenagentur Reuters ist Tyumen Oil einer der wenigen langfristigen russischen Öl-Lieferanten von TotalFinaElf und verkauft 70 Prozent seiner Ölexporte an den französischen Konzern.12 TotalFinaElf trägt somit als Großkunde der russischen Ölförder- und Transportfirmen ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Ölpest in den russischen Fördergebieten.

Greenpeace fordert, dass sich TotalFinaElf zu einer Mitverantwortung an den Zuständen in den betroffenen russischen Gebieten bekennt, zusammen mit seinen russischen Partnern konkrete Projekte zur Reparatur der russischen Pipelines startet und die Säuberung der ölverseuchten Landschaften schnellstmöglich in Angriff nimmt.

Greenpeace fordert weiterhin, dass TotalFinaElf seinen Konzern-Leitlinien gerecht wird und gemeinsam mit den russischen Ölfirmen und Lieferanten akzeptable Umweltstandards bei Ölförderung und Öltransport erarbeitet und umsetzt.

Das, was für TotalFinaElf gilt, gilt auch für die deutsche Mineralölindustrie, die mit vielen Firmen in Russland engagiert ist. Sie muss endlich einen Beitrag leisten, um die Umweltzerstörung in den russischen Ölfördergebieten drastisch zu verringern.

Anmerkungen

1) dpa 09.02.2000: Langwierige Eheschließung von Frankreichs ewigen Öl-Rivalen.

2) Global Witness Ltd: A Crude Awakening. The Role of the Oil and Banking Industries in Angola‘s Civil War and the Plunder of State Assets.

3) oekom research, München, Environmental Rating TotalFina und Elf Aquitaine, 09/2000.

4) http://www.elf.de/in_deutschland/umwelt/leitlinien_text_inhalt2.html

5) TotalFina: 1999, factbook. http://www.TotalFinaElf.com/us/html/bi/df/da/1999/fato99.pdf

6) Atrium, Dezember 2000; Mitarbeiterzeitung von TotalFinaElf, S. 3.

7) Greenpeace-Factsheet: Bonjour Elf – Gute Nacht Sibirien, 6/2000.

8) Greenpeace-Factsheet: Schwarzes Gold, schwarze Pest, 4/2000.

9) Greenpeace spezial: Umweltkatastrophe in Sibirien, April 2000.

10) Petroleum Economist, Vol. 66 No. 11 Pg. 41, 11/1999: Totalfina. http://library.northernlight.com/EL20000405070002837.html

11) World Reporter, accession number & update 06305097 19990722 (Datastar-File Repro): TNK Presents $103 M Bond Issue. Source: The Moscow Times, 21 July 1999, p. 10.

12) Reuters, 04.08.00: Russia: Greenpeace Urges France‘s Total to clean up Taiga. Quelle: Moscow Times 04/08/2000.

Jörg Feddern ist Kampagnenleiter im Bereich Energie von Greenpeace Deutschland e.V.

Patrioten, Politunternehmer, Profiteure

Patrioten, Politunternehmer, Profiteure

Zur politischen Ökonomie von Bürgerkriegen

von Wolf-Christian Paes

Viele bewaffnete Konflikte der jüngeren Zeit in den Ländern der »Dritten Welt«, wie etwa der Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo, erscheinen dem ausländischen Beobachter auf den ersten Blick unerklärlich. Obwohl in den vergangenen Jahren mehr als anderthalb Millionen Menschen dem blutigen Konflikt im Kongo zum Opfer gefallen sind, erscheint das Land kaum auf den Titelseiten der Weltpresse. Zu undurchschaubar sind die Konfliktlinien zwischen dem halben Dutzend bewaffneter Gruppen auf einem Territorium von der Größe Westeuropas, unerklärlich die Motivation ausländischer Mächte wie Simbabwe oder Ruanda zur bewaffneten Intervention auf der einen oder anderen Seite. Der Kongo steht beispielhaft für eine neue Art von Konflikten, die nur noch wenig mit unseren Vorstellungen von einem »modernen« Krieg zwischen zwei disziplinierten Parteien zu tun hat. Seine Akteure sind kleine bewaffnete Gruppierungen – häufig angeführt von selbst ernannten Warlords –, Frontlinien gibt es nicht und die Opfer sind zumeist unter der Zivilbevölkerung zu finden, während eine direkte Konfrontation mit dem Gegner häufig vermieden wird.
Weltweit wurden im vergangenen Jahr 36 bewaffnete Konflikte gezählt, dabei handelte es sich in der Mehrzahl um innerstaatliche Konflikte, die überwiegend in Afrika (13) und Asien (12) stattfinden (HIIK, 2001). Die Hintergründe dieser Konflikte sind für Außenstehende häufig schwer durchschaubar, sie erregen kaum Aufmerksamkeit in den Industrienationen. In den Medien werden sie – so sie überhaupt Erwähnung finden – zumeist mit Hinweis auf religiöse oder ethnische Spannungen erklärt. Fernsehbilder von vierzehnjährigen »Freiheitskämpfern« in Liberia oder Sierra Leone, die im Drogenrausch Zivilisten die Gliedmaße abschneiden, tragen zum Eindruck sinnloser Gewalt bei.

Grausam sind diese »neuen Bürgerkriege« sicher, aber irrational? Im Falle des Kongokrieges hat eine aktuelle Studie für den UN Sicherheitsrat (UN, 2001) ein Schlaglicht auf einen zuvor weit gehend übersehenen Aspekt des Krieges geworfen – die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes durch die Kriegsparteien. Die Studie wirft insbesondere den mit Ruanda und Uganda verbündeten Rebellenbewegungen Mouvement de libération congolais (MLC) und Rassemblement congolais pour la démocratie (RCD) vor, den Krieg durch die Ausbeutung von Bodenschätzen (Diamanten, Gold, Coltan), sowie durch den Export von Agrarprodukten (insbesondere Kaffee) zu finanzieren. Dabei dienen die jeweiligen Schutzmächte Ruanda und Uganda nicht nur als Nachschubbasis für die im Kongo kämpfenden Truppen, sondern auch als Drehscheibe für den Export der Kriegsbeute. Ihre militärische Unterstützung lassen sich die Regierungen der beiden Nachbarstaaten dabei in harter Münze vergüten – die UN Studie wirft dem ugandischen Präsidenten Museveni vor, er sei der Pate (Godfather) der organisierten Ausplünderung des Nachbarlandes.

Ähnliche Anschuldigungen werden ebenso gegen die andere Seite erhoben, auch die Regierung in Kinshasa sicherte sich die Unterstützung von Angola, Namibia und Simbabwe durch die Vergabe von Schürfrechten – so erhielt etwa die angolanische Staatsfirma Sonangoldie Ölexplorationsrechte vor der kongolesischen Küste, während das simbabwische Militär eine ganze Reihe von Wirtschaftsunternehmen im Süden des Kongos betreibt. Die Interessen reichen von der Diamantenförderung bis hin zu Agrarunternehmen (ICG, 2000; Paes, 2001). Der simbabwische Verteidigungsminister sprach in diesem Zusammenhang von einem Einsatz, der sich selbst finanzieren müsse, da sich Harare die geschätzten Kosten von 27 Millionen US$ pro Monat für die Versorgung seiner 11.000 Mann starken Truppe im Kongo ansonsten nicht leisten könne.

Vom Raubrittertum zum Systemstreit – und wieder zurück

Der Zugang zu Ressourcen spielte schon immer eine wichtige Rolle in bewaffneten Konflikten – Waffen müssen gekauft, Soldaten versorgt und Verbündete bei Laune gehalten werden. Bis in die Neuzeit hinein waren Armeen dabei zumeist auf sich selbst gestellt – die bewaffneten Haufen des dreißigjährigen Krieges lebten von der Plünderung der eroberten Gebiete, wobei sich politische und Profitinteressen durchaus ergänzten. Die Söldnerheere der frühen Neuzeit wurden ebenso durch die Aussicht auf reiche Beute gelockt wie die Freibeuter der englischen Königin Elizabeth I, die ihre unterlegene Marine im Krieg gegen Spanien durch die Ausgabe von »Prisenbriefen« an private Kriegsunternehmer verstärkte. Der transatlantische Sklavenhandel wurde durch Profitstreben motiviert, ebenso die Errichtung von Kolonialreichen, insbesondere dort, wo sie durch private Handelgesellschaften wie die Vereinigte Holländische Ostindiengesellschaft (VOC) geschah. Ein besonderes Beispiel für die Verquickung von Profitstreben und Politik stellt die Errichtung des »Kongo Freistaates« durch den belgischen König Leopold II unter dem Deckmantel einer philanthropischen Gesellschaft dar (Hochschild, 1999).

In der jüngeren Vergangenheit wurde die direkte Verquickung von Profit und Gewalt durch die bürokratischen Armeen der Moderne abgelöst, die – zumindest in den meisten Industrienationen – ihren Sold aus dem Verteidigungsbudget erhalten und auf ausgereifte Logistiksysteme zur Versorgung zurückgreifen können. Mit dem internationalen Kriegsrecht sollten Kriege »zivilisiert«, Übergriffe auf Zivilisten möglichst vermieden werden. Auf den Schlachtfeldern der Moderne standen sich nicht mehr die Heereshaufen verfeindeter Feudalherren im Streit um Ländereien und Titel gegenüber, sondern die »Bürgersoldaten« der Nationalstaaten. Konfliktursache waren nunmehr immer häufiger politische Ideen – von den revolutionären Ideen des 18. Jahrhunderts über den Faschismus bis hin zum Kalten Krieg. Natürlich fand keiner dieser Konflikte in einem sozialen und wirtschaftlichen Vakuum statt, auch in der Neuzeit spielten Profitinteressen eine Rolle in bewaffneten Konflikten. Trotzdem dominierte der Streit zwischen politischen Systemen die jüngere Geschichte und drängte die Diskussion um wirtschaftliche Interessen in den Hintergrund.

Zur Zeit des Kalten Krieges überschattete der Konflikt zwischen Ost und West die Weltpolitik, regionale Konflikte wurden fast ausschließlich durch die ideologische Linse betrachtet. Geschickt lavierten Kriegsherren zwischen den Fronten, einige Guerillaführer, wie etwa der Angolaner Jonas Savimbi, schafften es zu unterschiedlichen Zeiten von verschiedenen Großmächten Unterstützung zu erhalten. Umfangreiche Waffenlieferungen sowie finanzielle und politische Hilfe an befreundete Gruppen schufen ein Klima, in dem Guerillabewegungen relativ unabhängig von der wirtschaftlichen Situation ihres Operationsgebietes agieren konnten.

Mit dem Ende des Kalten Krieges änderte sich diese Situation grundlegend – nachdem sich die Sowjetunion unter Gorbatschow aus der Peripherie zurückzog, änderten sich die strategischen Parameter auch für die westlichen Staaten. Militärhilfe wurde reduziert, Entwicklungshilfe – zuvor nicht selten politisch motiviert – konditioniert. Auch wenn sich die Großmächte keinesfalls vollständig aus ihren Einflussgebieten zurückzogen, so konnten politische Gruppen nicht mehr auf die bedingungslose Unterstützung durch die eine oder andere Seite im Gegenzug für ein politisches Lippenbekenntnis vertrauen. Kritische Fragen nach dem Demokratie- und Menschenrechtsverständnis wurden lauter, auch Washington trennte sich von einigen Vasallen in der Dritten Welt.

Trotzdem ist die Welt seit dem Ende des Kalten Krieges nicht friedlicher geworden, das erhoffte Ende der Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen ist nicht eingetreten. Sicher, viele regionale Konflikte – insbesondere in Lateinamerika – sind friedlich gelöst worden. Druck aus dem Ausland auf die ehemaligen Verbündeten und neues Vertrauen in die Schlichtungsfunktion der Vereinten Nationen mag dabei eine Rolle gespielt haben. Sicherlich war aber die nachlassende Unterstützung mit Waffen und Geld ein wichtiger Aspekt in Ländern wie Nicaragua und Mosambik.

Aber nicht alle bewaffneten Konflikte fanden so ein rasches Ende. Viele Guerillabewegungen haben bereits in der Endphase des Kalten Krieges ihre Einnahmequellen diversifiziert, Gelder aus dem Drogenhandel füllen die Kriegskassen in Lateinamerika und Südostasien, ebenso wie die Ausbeutung von Diamantenvorkommen in Westafrika oder der Export von Edelhölzern in Kambodscha. Ideologie und Geschäftsinteresse vermischen sich zunehmend, es geht nicht nur um die Versorgung der eigenen Truppen, sondern auch um persönliche Bereicherung. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist eine neue Form von Konflikt aufgetaucht, in der politische Argumente keine Rolle mehr zu spielen scheinen. »Kriegsunternehmer« beherrschen das Bild, häufig ehemalige Soldaten der verschiedenen bewaffneten Bewegungen, die den Konflikt privatisieren. Perverserweise profitieren sie von der neuen Zurückhaltung der Großmächte – mit dem Ende des Systemstreites ist nicht nur die Neigung zur Militärhilfe, sondern auch zur Entsendung der eigenen Jungs als »Friedensstifter« in Krisengebiete zurückgegangen. Die Raubritter sind zurück…

Konflikte um Ressourcen

Der Zusammenhang zwischen Ressourcenreichtum bzw. -armut und dem Risiko einer bewaffneten Auseinandersetzung war in den vergangenen Jahren Gegenstand einer Reihe von empirischen Studien. Traditionell wurde eher der Mangel an Ressourcen (Wasser, Land, Nahrungsmittel) mit Konflikten in Verbindung gebracht. Bevölkerungswachstum bei einer gleichzeitigen Verschlechterung der ökologischen (und oftmals der ökonomischen) Situation führt unter diesem Szenario zu anhaltenden Verteilungskonflikten (Bennett, 1991; Homer-Dixon, 1999; Meyers, 1993).

Neuere Literatur (Collier/Hoeffler, 2001; Berdal/Malone, 2000) betont dagegen eher den Zusammenhang zwischen einem Übermaß an Ressourcen und dem Risiko bewaffneter Konflikte. Nach dieser Argumentationslinie sind insbesondere rohstoffreiche Länder einem besonderen Risiko ausgesetzt, da Verteilungskonflikte zwischen konkurrierenden Eliten vorprogrammiert sind. Kriegszeiten bieten – folgt man diesem Gedanken – besondere Bereicherungsmöglichkeiten. Einerseits sind demokratische Kontrollmechanismen (Medien, Opposition) in einer Konfliktsituation besonders leicht – mit Hinweis auf die externe Bedrohung – auszuschalten. Andererseits bieten Kriege besondere Einkommenschancen für skrupellose Gewaltunternehmer – diese können in der direkten Plünderung der eroberten Gebiete liegen, aber auch in der Versorgung von Soldaten und Zivilbevölkerung mit Konsumgütern, die in einer Konfliktsituation Höchstpreise erzielen können. Medienberichte deuten etwa darauf hin, dass die ugandischen Streitkräfte neben Waffen und Munition auch Kühlschränke und Fernsehgeräte in den besetzten Ostteil des Kongos transportierten – um sie dort zu verkaufen.

Kommerzielle, politische und militärische Interessen liegen häufig eng beieinander – während etwa die ebenfalls im Kongo involvierte simbabwische Armee verschiedene Joint-Ventures zur Rohstoffförderung betreibt, wird die Familie des ugandischen Präsidenten verdächtigt, an einer der unzähligen privaten Fluggesellschaften beteiligt zu sein, welche den Transport von Waren aller Art zwischen der Hauptstadt Kampala und den besetzten Zonen im Kongo durchführen.

Die Erscheinungsformen dieser Raubökonomie sind dabei durchaus vielfältig und reichen von der »offiziellen« Ausbeutung von Bodenschätzen durch Staaten oder bewaffnete Gruppierungen zur Kriegsfinanzierung über einflussreiche Individuen, die ihre Position oder ihre Kontakte im Regierungsapparat zur Korruption nutzen, bis hin zu einzelnen Kämpfern, die zum Überleben darauf angewiesen sind, Reisende an Straßensperren zu berauben.

Es existieren zahlreiche Beispiele für die erste Variante, die Ausbeutung von Bodenschätzen zur Kriegsfinanzierung – so nutzen etwa im angolanischen Bürgerkrieg beide Konfliktparteien den natürlich Reichtum des Landes, um ihre Feldzüge zu finanzieren (Cilliers/Dietrich, 2000). Dabei kann die ehemals marxistisch-orientierte MPLA-Regierung in Luanda auf die reichen Ölvorkommen des Landes zurückgreifen, deren Exporte – oh Ironie der Geschichte! – überwiegend an den ehemaligen Klassenfeind USA geliefert werden. Dagegen bezieht die ehemals von den USA und Südafrika unterstützte UNITA den Großteil ihrer Einnahmen aus dem Diamantenexport – alleine in den neunziger Jahren mehrere Milliarden US$ (Jung, 2000). Nach dem Ende des Kalten Krieges waren auch Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes – analog zum Bürgerkrieg in Mosambik, der durch einen Verhandlungsfrieden beendet werden konnte – aufgekeimt. Aber eine Verhandlungslösung scheiterte an dem Unwillen der Konfliktparteien die Macht zu teilen – und die Reichtümer des Landes erlauben eine Fortführung des Krieges auch ohne ausländische Unterstützung.

Während im Falle Angolas – trotz weit verbreiteter Korruptionsvorwürfe – immerhin noch ein im weitesten Sinne politisches Ziel, der militärische Sieg, unterstellt werden kann, ist in anderen Konflikten die Politik noch weiter in den Hintergrund getreten. Anstatt Ressourcen zu nutzen, um Kriege zu führen, werden Kriege geführt, um Ressourcen ausbeuten zu können. Es sind gerade diese Konflikte, die dem Beobachter irrational und unerklärlich, ja mittelalterlich erscheinen. Warlords, wie der Liberianer Charles Taylor, verfolgen keine politischen Ziele jenseits persönlichen Machtstrebens und Profitinteresses (Ellis, 1999). Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Kriegsführung – nicht mehr die Vernichtung des Gegners oder die Kontrolle von Territorium ist das Kriegsziel, sondern die Kontrolle von Ressourcen – Minen, Plantagen, Verkehrsverbindungen und Häfen. Die Zivilbevölkerung kommt in diesem Szenario nur als Rekrutierungspool für neue Kämpfer, tributpflichtige Untertanen – oder als Geisel bei Verhandlungen mit internationalen Hilfsorganisationen vor.

Auch Konflikte, bei denen es vordergründig um politische Fragen – etwa ethnische oder religiöse Spannungen – geht, haben häufig eine Ressourcendimension. Sezessionsbestrebungen werden verstärkt, wenn die lokale Bevölkerung das Gefühl hat, nicht ausreichend an den auf dem eigenen Territorium geförderten Bodenschätzen zu partizipieren. Die Aussicht, ein zweites Brunei oder Kuwait zu werden, verstärkt die zentrifugalen Kräfte gerade in zentralistisch regierten multiethnischen Staaten. Die Liste reicht von der kongolesischen Kupferprovinz Katanga in den sechziger Jahren über die Unabhängigkeitsbestrebungen der angolanischen Erdölenklave Cabinda bis in das Indonesien unserer Tage. Nicht zufällig tragen die Unruheregionen Aceh und Irian Jaya (West-Papua) mit ihren reichen Öl- und Mineralienvorkommen wesentlich zum Steueraufkommen des Landes bei – Gelder, die in Jakarta ausgegeben werden.

Natürlich eignen sich nicht alle Ressourcen gleich gut zur Ausbeutung unter Kriegsbedingungen – Landwirtschaft etwa ist schwierig, weil einerseits die Transportverbindungen zu den Märkten fehlen und andererseits die Gewinnmargen (mit Ausnahme des Anbaus von Pflanzen, die zur Drogenherstellung dienen) relativ niedrig sind. Auch kapitalintensive Produktionszweige sind selten zu realisieren, da kaum eine Kriegspartei über das notwendige Startkapital verfügt und andererseits Investoren nur schwer in ein Krisengebiet gelockt werden können. Die Ausnahme von dieser Grundregel sind Erdölvorkommen, insbesondere dort, wo das schwarze Gold offshore, d.h. mit Bohrplattformen gefördert werden kann. Diese bieten nicht nur einen ausreichenden Schutz gegen Angriffe, sondern haben auch große Vorteile beim Abtransport des schwarzen Goldes, das in aller Regel direkt zu den Raffinerien der Importeure verschifft werden kann, ohne jemals die Küste des Exportstaates zu erreichen. Bei der Erdölproduktion handelt es sich um eine reine Enklavenwirtschaft – abhängig von ausländischem Kapital und Fachwissen – die Menschen des Exportstaates profitieren kaum vom Ölboom – mit Ausnahme einer kleinen Elite natürlich. Eine Kriegssituation trägt dazu bei, dass dies so bleibt, indem sie Regierungen und Konzernen die Möglichkeit gibt, mangelnde Transparenz mit nationalen Sicherheitsinteressen zu erklären.

Waffenschieber und Söldner – Bürgerkriegsökonomien und das Ausland

Die Bezeichnung Bürgerkrieg ist trügerisch, da sie suggeriert, dass ein Konflikt – gewissermaßen unter der Käseglocke – ohne ausländische Einflussnahme stattfindet. Ausländische Interessen sind nach dem Ende des Kalten Krieges zumeist privatwirtschaftlich organisiert und von kommerzieller Natur, liegen doch die Märkte der meisten unter Kriegsbedingungen ausgebeuteten Ressourcen im Ausland. Die Liste der interessierten Parteien reicht dabei von internationalen Rohstoffunternehmen wie Elf Aquitaine über den südafrikanischen Diamantenmonopolisten De Beers bis hin zu dubiosen Waffenhändlern, Transportunternehmern und Söldnern.

Als unwillkommener Nebeneffekt des Zusammenbruches des Ostblocks wurden auch die Waffenmärkte der Welt teilprivatisiert. Waren es zuvor zumeist Regierungen, die Geschäfte mit Verbündeten machten, sind nun große Menge von Kriegsgerät aus zumeist östlicher Produktion auf den Märkten verfügbar – zusammen mit den notwendigen Instrukteuren, Transportflugzeugen und Piloten. Waffenembargos lassen sich nur mit großem Aufwand überwachen und gegen entsprechende Bezahlung sind Zollbeamte unter Umständen bereit, nicht so genau hinzuschauen (Wood/Peleman, 1999).

Dabei sind auch ausländische Unternehmen im Sicherheitssektor tätig – etwa als Ausbilder und Militärberater, aber auch als »Werksschutz« für die Niederlassungen internationaler Konzerne. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt bis zum Söldnertum. Firmen wie das angeblich mittlerweile aufgelöste südafrikanische Unternehmen Executive Outcomes, die britische Sandline International oder die amerikanische Dynacorps bieten ein Leistungsspektrum das vom Personen- über den Werksschutz bis hin zu vollständigen Militäroperationen reicht. Für ihre Dienste lassen sich die Firmen häufig mit Förderlizenzen entlohnen – und werden damit selbst zu Akteuren auf den Gewaltmärkten der sog. Dritten Welt (Musah/Fayemi, 2000).

Private Sicherheitsunternehmen werden dabei keinesfalls nur von Auftraggebern im Trikont bezahlt, auch US-Regierungsstellen greifen gerne auf diese Unternehmen, die zumeist von Exmilitärs geführt werden, zurück – sei es, um die kroatische Armee auszubilden, oder um den amerikanischen Feldzug gegen die Drogenkartelle in Kolumbien zu führen. Wo es nicht opportun oder innenpolitisch nicht durchsetzbar erscheint westliche Soldaten einzusetzen, haben sich diese Unternehmen einen wachsenden Markt geschaffen.

Auch die Bedeutung von Hilfslieferungen für Bürgerkriegsökonomien sollte nicht unterschätzt werden (Anderson, 1999): Einerseits profitieren die Konfliktparteien direkt von Lebensmittellieferungen, von denen unweigerlich ein Teil bei den Militärs landet. Andererseits übernimmt die Internationale der Hilfsorganisationen Dienstleistungen im sozialen Bereich, die unter normalen Umständen der Staat bzw. die Befreiungsbewegung zu leisten hätte, verringert damit den sozialen Druck auf die Militäreliten und setzt Ressourcen für die Kriegsführung frei.

Ein weiterer wichtiger »ausländischer« Faktor in Bürgerkriegen ist die ethnische Diaspora, die einerseits politisch in den Gastländern arbeitet, aber auch finanziell und personell als Mobilisierungsbasis für Befreiungsbewegungen dient. So finanzierte die Kosovo Befreiungsarmee (UCK) einen Teil ihres Kampfes über den »Heimatland-Fonds«, der durch die Überweisung von Gastarbeitern in Westeuropa gespeist wurde. Ähnliche Finanzierungsmodelle – über freiwillige Spenden und erzwungene »Revolutionssteuern« – sind etwa auch bei der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) bekannt.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die ökonomische Dimension von Konflikten lange Zeit unterschätzt worden ist und erst in jüngerer Zeit sich einer stärkeren Aufmerksamkeit erfreut. Die Einsicht, dass der natürliche Ressourcenreichtum eines Landes nicht nur Entwicklungschancen, sondern auch neue Konfliktpotenziale beinhaltet, ist ernüchternd. Trotzdem muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass in allen Kriegsökonomien die Verlierer bereits feststehen, nämlich die zivile Bevölkerung, die unter den Folgen des Konfliktes zu leiden hat.

Literatur

Anderson, Mary B. (1999): Do No Harm – How Aid can support Peace – or War, Boulder.

Berdal, Mats/Malone, David (Hrsg.) (2000): Greed and Grievance – Economic Agendas in Civil War, Boulder.

Bennett, O. (Hrsg.) (1991): Greenwar: Enviroment and Conflict, London.

Cilliers, Jakkie/Dietrich, Christian (Hrsg.) (2000): Angola’s War Economy – The Role of Oil and Diamonds, Pretoria.

Collier, Paul/Hoeffler, Anke (2001): Greed and Grievance in Civil War, Weltbank Paper, Washington, 04. Januar 2001.

Ellis, Stephen (1999): The Mask of Anarchy – The Destruction of Liberia and the Religious Dimension of an African Civil War, London.

Heidelberger Institut für Konfliktforschung (HIIK) (2001): Konfliktbarometer 2000, Heidelberg (Internet: www.hiik.de).

Hochschild, Adam (1999): King Leopold’s Ghost – A Story of Greed, Terror and Heroism in Colonial Africa, New York.

Homer-Dixon, T. (1999): Enviroment, Scarcity and Violence, Princeton.

International Crisis Group (ICG) (2000): Scramble for the Congo – The Anatomy of an Ugly War, Nairobi/Brussels (ICG Africa Report No. 26) (Internet: www.intl-crisis-group.org).

Jung, Anne (2000): Harte Männer schenken harte Steine. Diamanten für die Kriegskasse, in: Wissenschaft und Frieden 4/2000, S. 52-55.

Meyers, N. (1993): Ultimate Security: the Enviromental Basis of Political Stability, New York.

Musah, Abdel-Fatau/Fayemi J. Kayode (2000): Mercenaries – An African Security Dilemma, London.

Paes, Wolf-Christian (2001): Warlords und Waffenhändler – die politische Ökonomie des Kongokrieges, in: Afrika Süd 1/2001, S. 16-19.

United Nations (2001): Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of Congo, Letter dated 12 April 2001 from the Secretary-General to the President of the Security Council, S/2001/357, New York.

Wood, Brian/Peleman, Johan (1999): The Arms Fixers – Controlling the Brokers and Shipping Agents, Oslo (PRIO Report 3/99).

Wolf-Christian Paes ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bonner Konversionszentrums (BICC).

Kontrolle der Erdöleinkünfte Angolas

Kontrolle der Erdöleinkünfte Angolas

Ein Schritt gegen Korruption und Kriegsfinanzierung?

von Human Rights Watch

Am 3. April 2001 kündigten der Internationale Währungsfonds (IWF) und die angolanische Regierung den Beginn eines »Staff Monitored Programs« (SMP) an, einer Übereinkunft zur Durchführung zahlreicher wirtschaftlicher und institutioneller Reformen in Angola, als Voraussetzung für weitere Kreditvergabe und Zusammenarbeit mit dem IWF und der Weltbank. Das SMP enthält eine Klausel zur Überwachung von Einkünften aus der Ölproduktion, Oil Diagnostic (Öl-Diagnose) genannt. Human Rights Watch (HRW) glaubt, dass das Öl-Einkünfte-Diagnose-Verfahren, wenn es durchgeführt werden sollte, zu einen zwar begrenzten, aber positiven Schritt in Richtung auf mehr Transparenz in der Haushaltsführung, öffentliche Rechnungslegung und auch zu stärkerer Beachtung der Menschenrechte führen würde. Gleichzeitig äußert HRW die Sorge, dass die angolanische Regierung nicht in der Lage sein wird, die mit der Vereinbarung verbundenen Bedingungen zu erfüllen. In einem Hintergrundbericht – den wir im Folgenden stark gekürzt veröffentlichen – geht HRW ein auf die Entwicklung der Oil Diagnostic in der jüngeren Vergangenheit und die mit Öl und Menschenrechten zusammenhängenden Themen.
Die Oil Diagnostic ist von besonderer Bedeutung, da die Einkünfte aus der Ölproduktion die größte Einkommensquelle der angolanischen Regierung waren und sind. Von 1995 bis 1999 betrug der Erlös aus dem Öl, nach Schätzungen des IWF, etwa 70 bis 89 Prozent der Regierungseinkünfte und etwa 85 bis 92 Prozent der Exporteinnahmen.1 Die Öl-Ressourcen ermöglichten es der Regierung ihren Konflikt mit Jonas Savimbis UNITA (Uniao Nacional da Independenca Total da Angola) fortzusetzen.

Die Undurchsichtigkeit des Haushalts und der Ausgaben der angolanischen Regierung hat unter multilateralen Finanzinstitutionen, NROs, Firmen und Regierungen wie auch in Angola selbst Besorgnis hervorgerufen. Insbesondere trifft das zu auf die Verwendung öffentlicher Gelder aus Öl-Einkünften für heimliche Waffenkäufe und die Beleihung zukünftiger Öl-Einkünfte im Austausch für direkte Regierungsanleihen. In einigen Fällen der jüngsten Vergangenheit flossen die Einnahmen am Finanzministerium und an der Zentralbank vorbei entweder direkt durch die Kassen des Präsidialbüros oder durch die Kassen der staatseigenen Firma Sonangol und wurden heimlich zum Kauf von Waffen verwendet. Dies nährte natürlich Korruptionsvorwürfe (…).2 Zudem reagierte die Regierung auf die Kritik in Presse und Öffentlichkeit an der Verwendung der Öl-Einkünfte mit der Bestrafung von Journalisten und der Einschränkung der Pressefreiheit. Deshalb hängen in Angola fiskalische Transparenz, politische Verantwortlichkeit und Menschenrechte untrennbar zusammen.

Einzelheiten der Oil Diagnostic

Die Oil Diagnostic untersucht nicht, wie die Regierung ihre Einkünfte aus dem Öl verwendet, nachdem sie in der Zentralbank eingegangen sind. Zweck der Diagnose ist es zu bestimmen, ob die Höhe der Einkünfte aus dem Erdöl mit der Höhe der Einlagen in der Zentralbank übereinstimmt. Es sollen Mechanismen entwickelt werden, mit denen die Regierung ihre Einkünfte genau kontrollieren.kann (…)

Im Idealfall wird die Übereinkunft zu einer wesentlichen Verbesserung der Verwendung der Öl-Einkünfte führen und größere Transparenz und verantwortliche Rechnungslegung in der Verwendung solcher Einkünfte nach sich ziehen. Es gibt aber eine Reihe von Einschränkungen, die eine solche Entwicklungen behindern können. Dazu gehören:

  • Die angolanische Regierung hat sich nicht verpflichtet die KPMG-Berichte (KPMG, mit der Überprüfung beauftragte international tätige Wirtschaftsprüfer-Gesellschaft) öffentlich zu machen, einschließlich des Abschlussberichts; IWF und Weltbank dürfen ohne Zustimmung der angolanischen Regierung die Diagnose-Berichte nicht herausgeben. HRW fordert deshalb die angolanische Regierung auf sich zu verpflichten, alle Öl-Diagnose-Berichte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der IWF und die Weltbank sollen auf der Veröffentlichung bestehen und sie zu einer Bedingung jeglicher weiterer Zusammenarbeit machen. Angesichts der Ernsthaftigkeit der Empfehlungen, die für den Abschlussbericht zu erwarten sind, ist es wichtig, dass die Regierung Angolas den Bericht in ganzer Länge veröffentlicht und regelmäßig der Öffentlichkeit ihres Landes einen Sachstandbericht über die Umsetzung der Empfehlungen gibt (…)
  • Das Diagnoseprogramm ist nicht rückwirkend, obwohl es in der Vergangenheit Kontroversen über Öl-für-Waffen-Geschäfte und Kredite gegen künftige Öl-Einnahmen gab. KPMG soll nur Daten bis zurück zum Jahr 1998 untersuchen, als Vergleichsgrundlage für die gegenwärtige Produktions- und Einnahmenhöhe. Es ist nicht klar, ob diese Daten in die Quartalsberichte einfließen. HRW ist der Ansicht, dass die Daten aus den Jahren vor 2000 in den ersten Bericht einfließen sollten.
  • Die Regierung sollte ausführlich öffentliche Rechenschaft über alle von KPMG festgestellten Diskrepanzen zwischen den projektierten und den aktuellen Einkünften, die in die Zentralbank eingeflossen sind, ablegen. Besonders bedeutsam ist dies, weil die Fähigkeit von KPMG zur Aufklärung dieser Diskrepanzen von der Bereitstellung von Informationen durch die Regierung abhängt.
  • Das Diagnoseprogramm untersucht nicht die Verwendung oder den Missbrauch von Öl-Einkünften durch Einzelpersonen in der Regierung. HRW vertraut darauf, dass der IWF, die Weltbank und die Regierung Angolas eine umfassende Untersuchung einleiten werden, wenn hier Diskrepanzen auftreten sollten (…)

Die Zusammenarbeit zwischen KPMG und den Öl-Firmen in Angola ist wesentlich für das Gelingen der Diagnose. Die Firmen verfügen über eigene Daten über die Ölförderung und Abgaben an die Regierung, die wichtig sind für Vergleiche mit den amtlichen Angaben.

Das Übereinkommen zwischen KPMG und der Regierung sieht vor, „dass die Regierung alle betroffenen Firmen zur vollen Zusammenarbeit“ mit den Beratern „verpflichten wird, unter Berücksichtigung der in der Industrie üblichen Vertraulichkeit“.3 (…) Die meisten Firmen haben KPMG bereits Informationen zur Verfügung gestellt (…)4

Waffen, Öl und mangelnde Transparenz

Angolas Regierung ist in einen lang andauernden Krieg gegen die UNITA verwickelt. Verteidigungsausgaben sind der größte Ausgabenposten der Regierung. Nach IWF-Schätzungen betrugen die Verteidigungsausgaben zwischen 1995 und 1999 im Durchschnitt 34,6 Prozent der Gesamtausgaben, nach dem Zusammenbruch des Friedensprozesses von Lusaka Ende 1998 erreichten sie 1999 sogar 41 Prozent.5 In einigen Fällen liefen Zahlungen für Waffenkäufe an Finanzministerium und Zentralbank vorbei und wurden direkt durch Sonangol oder das Präsidialbüro getätigt. Es gab erhebliche Differenzen zwischen amtlichen Angaben über die Verteidigungsausgaben und unabhängigen Angaben. Zum Beispiel besagten die amtlichen Zahlen, dass die Verteidigungsausgaben für 1997 bis 1998 sich auf 11,1 Prozent beliefen6. Der IWF schätzt jedoch, dass 40 Prozent für Verteidigungszwecke ausgegeben wurden und stellte fest, dass weniger als die Hälfte dieser Ausgaben, nämlich nur 18,1 Prozent, offiziell angegeben wurden.7 (…) Öffentliche Rechenschaft ist besonders wichtig bei Waffenkäufen durch Regierungen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben und bei denen eine große Gefahr besteht, dass die Waffen missbraucht werden. Alle Konfliktparteien in Angola haben schwere Menschenrechtsverletzungen begangen. Der Regierung werden Massenerschießungen, wahlloses Töten von Zivilisten, Plünderungen, Zwangsrekrutierungen, Vertreibungen, der Einsatz von Antipersonenminen, die Verfolgung der politischen Opposition und Beschränkung der Pressefreiheit zur Last gelegt. Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass die angolanische Regierung neue Minenfelder angelegt hat, obwohl sie den Anti-Landminen-Vertrag (Mine Ban Treaty) im Dezember 97 unterzeichnet hat.

Die UNITA ist ihrerseits verantwortlich für Massenhinrichtungen, Folter, Verstümmelungen, Menschenraub, Geiselnahme und für die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.8

Einige Vorfälle lenkten die internationale Aufmerksamkeit auf die Verbindung zwischen Waffen, Öl und der Notwendigkeit regierungsamtlicher Transparenz und Rechenschaft in Angola. So etwa der Waffen-gegen-Öl-Deal zu Beginn der 90er Jahre, der zur Verhaftung einiger Personen durch die französischen Behörden führte; die mit »oil signature bonus payments« bezahlten Waffenbeschaffungen, die nach dem geplatzten Lusaka-Abkommen stattfanden; ein Waffen-gegen-Öl-Geschäft mit der Slowakei im Jahr 2000 und der Aufgriff eines ukrainischen Frachters bei den Kanarischen Inseln, der Waffen für Angola geladen hatte, im Februar 2001.

Waffenbeschaffung nach dem Zusammenbruch des Lusaka-Friedensvertrags 1998

Nach dem Ende des Friedensabkommens von Lusaka im Dezember 1998 flammten die Kämpfe zwischen der Regierung Angolas und der UNITA wieder auf. Neue Waffenlieferungen fachten Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Kriegsrecht an und die internationale Gemeinschaft zeigte wenig Willen, das 1993 gegen die UNITA verhängte Waffenembargo der Vereinten Nationen durchzusetzen. Ende 1998 erwarb die UNITA (finanziert durch die Einnahmen aus dem Diamantenhandel, d.R.) große Mengen Waffen aus dem Ausland, Nachbarstaaten unterliefen die Sanktionen, insbesondere Südafrika, Kongo, Zaire, Sambia, ebenso Togo und Burkina Faso.9

Es gab auch Waffenlieferungen an die Regierung während des Friedensprozesses. Diese waren zwar nicht illegal, unterminierten aber den Geist des Vertrags von Lusaka und das Vertrauen in den Friedensprozess. Die Waffen stammten vor allem aus Weißrussland, Brasilien, Bulgarien, China, Israel, der Ukraine und Südafrika.10 Russland, dessen Regierung eine der Mediatoren der Troika in dem Friedensprozess war, unterminierte seine Stellung, indem es große Mengen Waffen an die Regierung Angolas verkaufte. Portugal, das zweite Troika-Mitglied, nahm eine militärische Zusammenarbeit mit der angolanischen Regierung auf (…)

Der drastische Ölpreisverfall 1998 verursachte Einnahmeausfälle der angolanischen Regierung. Aber etwa 870 Millionen US-Dollar in Fonds von Signature Bonus Payments auf Ölexploration und Off-Shore Tiefsee-Konzessionen der Blocks 31, 32 und 33 wurden von der Regierung für die Bezahlung ihrer Waffenkäufe verwendet. Diese Fonds waren nach Aussage des Außenministers zweckgebunden für die »Kriegsanstrengungen«.11 Die multinationalen Firmen BP, Exxon-Mobil und Elf sind stark in diesen Blocks engagiert, hauptsächlich weil nur diese »Majors« die technische Expertise und das Investmentkapital haben, das benötigt wird, um diese schwierigen und teuren Tiefseekonzessionen auszubeuten.

Waffentransfers an die angolanische Regierung aus jüngerer Zeit

(…) Angola und die Slowakei unterzeichneten am 3. April 2000 – am gleichen Tag, an dem das SMP bekannt gegeben wurde – einen Öl-gegen-Waffen-Tauschvertrag. Dieser Deal beinhaltet nach Berichten 6 SU-22 Bomber und möglicherweise T-72 Kampfpanzer.12

Am 24. Februar 2001 ergriffen die spanischen Behörden auf den Kanarischen Inseln einen ukrainischen Frachter mit Waffen, die nach Angola geliefert werden sollten. Sie fanden etwa 636 Tonnen Waffen, darunter Granaten, Nachtsichtgeräte, und Munition (…)13 Angolanische Regierungsvertreter bestätigten, dass die Fracht für Angola bestimmt sei und dass angolanische Staatsunternehmen Simportex sie legal von der staatlichen russischen Waffenfirma Rosvooruzhenie erworben habe (…) Am 11. Januar 2001 deklarierte ein deutscher Frachter seine Ladung russischer und tschechischer Waffen, die in Plymouth konfisziert wurden, als „landwirtschaftliche Güter“.14

Oil Mortgaging

(…) Weil sie weder Reserven an ausländischer Währung noch Rückstellungen für den Schuldendienst hat, verwandte die angolanische Regierung ihre zukünftige Ölproduktion als Garantie für Kredite. Der IWF schätzte, dass Öl-gestützte Kredite im Jahr 1999 33 Prozent der gesamten Auslandsschulden des Landes in Höhe von 8,78 Milliarden US-Dollar ausmachten.15 Diese Öl-finanzierten Kredite liefen manchmal an der Zentralbank vorbei (…) Zu diesen hoch verzinsten Krediten zählten vier Verträge mit dem Schweizerischen Banken-Verein (Union Bancaire Suisse, UBS) und andere mit Paribas, der Banque Nationale de Paris (BNP) und dem Bankers´ Trust. Die Kredite umfassen etwa 300 Millionen US-Dollar und haben eine Laufzeit von drei Jahren oder weniger.16

Im Frühjahr 1998 schloss die angolanische Regierung einen Vertrag mit der schweizerischen Ölhandelsfirma Glencore, in dem sie buchstäblich das letzte Barrel aus der regierungseigenen Ölförderung als Garantie für Vorauszahlungen in Höhe von etwa 900 Millionen US-Dollar vergab. Der Vertrag missachtete grundlegende Standards an Transparenz, da er durch Sonangol und das angolanische Präsidialbüro zuwege gebracht wurde und nicht durch das Finanzministerium oder die Zentralbank. Seine Klauseln garantierten Glencore etwa 75.000 Barrels pro Tag vom Produktionsanteil der Regierung. Der Rest war gebunden durch Vorfinanzierungen der Lloyd´s Bank, BP, Chevron und Elf-Aquitaine (heute TotalFina-Elf).17 (…) Sonangol kündigte die Unterzeichnung eines Kreditvertrags über 575 Millionen US-Dollar mit der UBS in London am 18. Mai 1999 an. Ein wesentlicher Teil dieses Kredits war zur Rückzahlung vorher aufgenommener Kredite bestimmt.18 Nur etwa 35 Millionen US-Dollar waren »frisches Geld«.19 Der letzte Kredit streckte tatsächlich die Rückzahlungsfristen für Angola über eine längere Zeit und erleichterte damit die kurzfristigen Rückzahlungsbedingungen (…).

Die Regierung und die öffentliche Kritik an der Verwendung der Öl-Gelder

Die Regierung sieht sich wachsendem Unmut über ihre Wirtschaftspolitik und andere Politikfelder ausgesetzt. Nach Angaben des Economic Intelligence Unit (EIU) vom August 2000, „wuchs die öffentliche Kritik an der Regierung beträchtlich. Sie betraf hauptsächlich Korruption im Amt. Die erstarkende Friedensbewegung äußerte wachsende Unzufriedenheit mit der politischen Führung des Landes, weil sie den Eindruck hat, dass der riesige Ölreichtum keine spürbaren Wohltaten für die allgemeine Bevölkerung erbracht habe.“20

Tatsächlich sind die Sozialausgaben in Angola ziemlich niedrig. Der IWF schätzte, dass sie zwischen 1995 und 1999 nur etwa 11,6 Prozent der Staatsausgaben betrugen. Dann, mit dem erneuten Beginn des Bürgerkrieges Ende 1998, erreichten die Verteidigungsausgaben 1999 den höchsten Stand seit fünf Jahren und die Sozialausgaben fielen weiter auf 9,4 Prozent zurück.21 Die Weltbank berichtete, dass „die Einkommensschere in Angola zwischen 1995 und 1998 stark auseinander gegangen ist. Das Einkommen der reichsten 10 Prozent der Bevölkerung erhöhte sich deutlich um 44 Prozent, während die ärmsten 10 Prozent der Einwohner Einbußen von 59 Prozent hinnehmen mussten.“22 Das Land nahm im UN-Entwicklungsprogramm Human Development Index (HDI) Platz 160 von 174 Ländern ein. Der IWF berichtet, dass von den 13 Millionen Einwohnern 9 Millionen in „absoluter Armut“ leben23, und laut UNICEF hatte Angola im Jahr 2000 die zweithöchste Kindersterblichkeitsrate der Welt.24 Der UN-Flüchtlingskommissar schätzt die Zahl der Vertriebenen auf etwa 4 Millionen, darunter 2,7 Millionen Menschen in den letzten drei Jahren.25

Die Regierung hat sich zwar verpflichtet, die Situation der Menschenrechte zu verbessern, reagiert aber auf Kritik an der Verwendung der Öl-Gelder besonders feindselig. Das wird sichtbar an der zunehmenden Beschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit und an einer Reihe von Maßnahmen gegen einheimische Journalisten.

Im Juli 2000 sollte das Presserecht neu geregelt werden (…) Der Gesetzentwurf sah Haftstrafen von 2 bis 8 Jahren vor für jeden Journalisten, der die Ehre oder den Ruf des Präsidenten beschädigte; er ermächtigte die Behörden festzulegen, wer als Journalist arbeiten dürfe und Publikationen – auch ausländische – nach Gutdünken zu beschlagnahmen oder zu verbieten. Er erlaubte die Festnahme und Verhaftung von Journalisten für 30 Tage ohne Anklage. (…) Angesichts der weit verbreiteten Kritik im In- und Ausland zog die Regierung den Gesetzesentwurf im Oktober 2000 zurück und kündigte die Bildung eines Komitees aus Regierungsmitgliedern und Nichtregierungsmitgliedern an, das das Gesetz revidieren soll.26 Zum Zeitpunkt des vorliegenden Berichts hatte die Regierung das Komitee aber noch nicht gebildet.

Die Regierung ergriff ebenfalls Maßnahmen gegen die Parteien der politischen Opposition, die ihre Politik kritisierten. Am 24. Januar 2001 nahm die Polizei 8 Mitglieder der PADPA (Partei für Demokratie und Fortschritt in Angola) fest, nachdem diese einen friedlichen Hungerstreik vor Dos Santos’ Residenz durchgeführt und den Präsidenten zum Rücktritt wegen wirtschaftlichen Missmanagements und Korruption aufgefordert hatten. Die Demonstranten forderten auch die Offenlegung von Einzelheiten über den französischen Waffen-für-Öl-Skandal und kritisierten, dass die Regierung keine weiteren Friedensverhandlungen mit der UNITA betreibe. Zwei der Demonstranten wurden kurz nach ihrer Festnahme wieder freigelassen, aber sechs von ihnen wurden des „illegalen Protests“ beschuldigt. Vor Gericht wurden die Anklagen allerdings fallen gelassen.27

Schlussbemerkung

Während des Fortganges des Öl-Diagnose-Verfahrens sollte die Regierung Angolas die Gelegenheit nutzen, sich von einem Umfeld, das von Krieg, schlechter Regierungspraxis, Wirtschaftskrise und weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen geprägt ist, zu lösen und ein Klima der Transparenz, offizieller Rechenschaftslegung und Gesetzmäßigkeit, »good governance« und nachhaltiger sozialer Entwicklung zu schaffen. All dies sind Bedingungen für eine dringend notwendige Verbesserung der Menschenrechtslage im Land. In diesem Zusammenhang könnte die Oil Diagnostic einen wichtigen Schritt zu Transparenz und öffentlicher Rechenschaftslegung darstellen (…).

Anmerkungen

1) Internationaler Währungsfonds (IMF): Angola – Recent Economic Developments, IMF Staff Country Report Number 00/111, August 2000, S. 13, 41.

2) Siehe z. B. Global Witness: A Crude Awakening: the Role of the Oil and Banking Industries in Angola´s Civil War and the plunder of the State Assets, Dezember 1999.

3) Gespräch von HRW-Vertretern mit KPMG in Luanda am 6. Dez. 2000.

4) Verschiedene Gespräche zwischen HRW und Vertretern der Öl-Firmen und des IWF sowie Korrespondenz mit Royal Dutch/Shell in Dez. 2000 und Jan 2001. Sowie Economist Intelligence Unit: Angola: Country Report, Febr. 2001, S. 17.

5) IWF: Angola – Recent Economic Development, S. 43.

6) HRW-Gespräch mit einem Vertreter des angolan. Verteidigungsministerium, Luanda, Aug. 1998.

7) IWF: a.a.O, S. 43

8) Für umfassende Berichte über Menschenrechtsverletzungen aller Konfliktparteien siehe Angola Unravels: The Rise and Fall of the Lusaka Peace Process (New York, Human Rights Watch, 1999) und HRW: Angola – Arms Trade and Violations of the Laws of War Since the 1992 Elections (New York, Human Rights Watch, 1994).

9) Ebda, S. 108-154; siehe auch United Nations: Report of the Panel of Experts on Violation of Security Council Sanctions against UNITA, U. N. Security Council Report S/2000/203, 10. März 2000; und United Nations: Final Report of the Monitoring Mechanism on Angola Sanctions, U. N. Security Council Report S/2000/1225, 21. Dez. 2000.

10) siehe allgemein Angola Unravels, S. 103-108.

11) Angola Unravels, S. 94-98, und HRW-Gespräch mit Außenminister Venancio de Moura am 9. Dez. 1998 in Luanda.

12) HRW: Human Rights Watch World Report 2001 (New York: Human Rights Watch), S. 32-33; und Economist Intelligence Unit (EIU): Angola – Country Report, June 2000, S. 27.

13) nach Berichten von Agence France Presse (AFP), 1. März 2001, und Radio Ecclesia, Luanda, 2. März 2001.

14) HRW-Gespräch mit britischen Zöllnern am 14. Januar 1994 in Plymouth.

15) Angola – Recent Economic Developments, S. 15, 39.

16) HRW-Gespräch mit Vertreter der Banco Nacional de Angola, Luanda, Aug. 1998.

17) HRW hatte Einsicht in eine Kopie der vertraulichen Memoranden zwischen Glencore und Sonangol-Vertretern. Siehe auch Africa Confidential, Vol. 39, Nr. 14, 10. July 1998.

18) Oil Company Signs 575m-dollar Loan Agreement, Reuters , 21. Mai 1999.

19) HRW-Gespräch mit einem Informanten aus der Öl-Industrie, London, 21. Mai 1999; s. a. Standard Chartered Bank Pressemitteilung vom 9. März 2001.

20) Economist Intelligence Unit (EIU): Angola – Country Report, Aug. 2000, S. 17-18.

21) IWF: Angola – Recent Economic Developments, S. 43.

22) Weltbank: Angola – Country Brief, Sept. 2000.

23) IWF: Angola – Recent Developments, S. 19.

24) UNICEF: State of the World´s Children 2001 (New York: UNICEF, Dez. 2000, Abb. 1: Basic Indicators).

25) United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR): 2001 Global Appeal, Addendum I: Angola IDP Programme in Short, Jan 2001, S. 12-16; und Economist Intelligence Unit (EIU): Angola – Country Report, Nov. 2000, S. 14.

26) siehe das Kapitel über Angola im Bericht des U.S. Department of State: Country Human Rights Reports 2000 (Washington D.C.: U.S. Department of State, 2001).

27) HRW-Gespräch mit Fernando Macedo von der angolanischen Menschenrechtsorgani- sation »Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie« in London, 13. März 2001.