Energie- und Klimasicherheit durch Sonnenenergie

Energie- und Klimasicherheit durch Sonnenenergie

von Gerhard Knies

In W&F 3-2006 mit dem Schwerpunkt »Konfliktherd Energie« haben wir u.a. das Memorandum der Naturwissenschaftler-Initiative »Energie und Zukunft« veröffentlicht. Dr. Gerhard Knies, selbst Mitglied dieser Initiative, setzt sich in einem Leserbrief an W&F kritisch mit diesem Dokument auseinander.

Klimawandel und Energieverknappung sind täglich deutlicher werdende Gefahren des gegenwärtigen fossilen Energiesystems. Dass der Energiebedarf der weiter im Wachstum befindlichen Menschheit auch aus sauberen, erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden könnte, wird oft in Frage gestellt – manchmal mit vordergründigen Hintergedanken. Die Eigentümer von Kohle, Öl und Gasfeldern, die Besitzer von Kerntechnologie, die Entwickler von Fusionstechnologie sehen in den Erneuerbaren Energien (EE) eine unliebsame Konkurrenz und reden diese deshalb klein. Aber auch unter den Befürwortern der EE gibt es jetzt Stimmen, die sich am Kleinreden der EE beteiligen: In einem von der NaturwissenschaftlerInnen Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.« in W&F 3/06 veröffentlichen Memorandum zur nachhaltigen Energieversorgung wird behauptet: „Zusammengenommen können all diese Techniken (Anm.: erhöhte Energieeffizienz in Kraftwerken, Kraft-Wärme-Kopplung, CO2 Abscheidung, Erneuerbare Energien) jedoch die fossilen Energieträger wohl nur zum Teil substituieren. Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten Energiebedarf können sie auf keinen Fall decken.“

Nun sollte man bei Naturwissenschaftlern erwarten, dass eine solche Aussage auf Daten beruht. Doch Angaben über die auf der Erde verfügbaren Potenziale der EE und über die angesetzten zukünftigen Energiebedarfe, aus denen eine solche Schlussfolgerung gezogen werden müsste, werden nicht gemacht. Ist diese Aussage, die für die Stoßrichtung des Memorandums grundlegend ist, eine naturwissenschaftlich belegbare Tatsache, oder ist sie eine Spekulation?

Ich habe die dafür relevanten Zahlen recherchiert und komme zu gänzlich anderen Ergebnissen.

Um die Sache zu vereinfachen, betrachte ich hier nur die Solarenergie in den Wüsten der Erde. Hierzu gibt es leicht überprüfbare gesicherte Daten:

1. Wüstenflächen der Erde = 36 Millionen km² (Global Deserts Outlook, UNEP, 2006)

2. Energie der mittleren jährlichen direkten Normalstrahlung auf 1 km² Wüste = 2,2 TWh = 0,28 Mtce = 1,4 Millionen Barrel Öl (Studie MED-CSP des DLR für das BMU, 2005, www.dlr.de/tt/med-csp)

3. Globaler Energieverbrauch = 13 Gtce/Jahr (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Ressourcen, BGR, Hannover, Energiestudie 2004)

4. Effizienz der Energie-Umwandlung – Strahlung zu Elektrizität > 11%.

Hier bedeuten: TWh = Terawatt Stunden = Milliarden kWh, Gtce (Mtce) = Giga (Mega) Tonnen Steinkohle äquivalent, (1tce = 8140 kWh = 29 GJ (Giga Joule) = 5 Barrel Öl).

Die Wüsten erhalten jährlich Solarenergie von 10.000 Gtce = 700facher Welt-Jahresverbrauch. Oder: Der Welt-Jahresverbrauch an Energie kommt in 5,7 Stunden Sonnenschein in den Wüsten an.

Die Sonne strahlt jährlich Energie wie in einer Kohleschicht von 20 cm oder wie in einem Ölteppich von 22 cm Dicke enthalten auf die Wüsten. Rein rechnerisch könnte man damit über 9 Millionen TWh Strom pro Jahr erzeugen, etwa das 500-fache des weltweiten Stromverbrauchs von derzeit ca. 17.000 TWh. Hierfür würden ca. 0,2% der Wüstenflächen ausreichen.

Diese Zahlen zeigen, dass es in den Wüsten mehr als genug Solarenergie gibt, auch für die wachsende Menschheit.

In der Tabelle (siehe unten) wird das Solarenergie Angebot der Wüsten mit den Daten über Vorräte und Verbrauche fossiler Brennstoffe verglichen.

Aus der Tabelle sind 3 Punkte hervor zu heben:

1. Der globale Primärenergie Jahresbedarf von 13,1 Gtce kommt in 5,7 Stunden als Solarstrahlung in den Wüsten der Erde an (und der für 2100 erwartete [WBGU Bericht 2004] von 55 Gtce in 2 Tagen).

2. Die Energie aller nachgewiesenen fossilen Reserven kommt in 47 Tagen, und die aller vermuteter Ressourcen in 227 Tagen als Solarstrahlung an.

3. Der Energiegehalt aller bekannten und vermuteten Vorkommen an spaltbaren Elementen für Kernkraftwerke kommt in 13 Tagen als Solarstrahlung

Eine Satelliten gestützte Auswahl von Gebieten nach geographischen und ökonomischen Gütekriterien durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt kommt zu dem Ergebnis, dass in den MENA Wüsten solarthermische Kraftwerke 630.000 TWh Elektrizität pro Jahr erzeugen könnten (www.dlr.de/tt/trans-csp), also mehr als das 40-fache des gegenwärtigen weltweiten Stromverbrauchs von 17.000 TWh. Für den gesamten deutschen Strombedarf von 500 TWh/Jahr würde die Fläche von Berlin und Hamburg reichen (ca. 2000 km²).

Um mit der Sonnenenergie der Wüsten tatsächlich die fossilen Brennstoffe weltweit ablösen zu können, sind 3 Fragen zu beantworten:

  • Kann Solarenergie den Bedarf zeitgerecht beliefern?
  • Kann Solarenergie von den Wüsten zu den Regionen großen Bedarfs übertragen werden?
  • Ist Solarenergie ökonomisch akzeptabel?

Solarstrom zeitlich nach Bedarf

Fossile Brennstoffe sind gespeicherte Energie – Sonnenenergie muss man nehmen wenn die Sonne scheint. Sonnenschein selbst lässt sich nicht speichern, aber seine Energie kann in Hochtemperatur-Wärme umgewandelt und dann mit einfachen Mitteln verlustarm über Stunden oder Tage gespeichert werden. Das gibt solarthermischen Kraftwerken eine Vorzugsstellung: Aus gespeicherter Solarenergie können sie Strom nach Bedarf erzeugen, sogar nachts. Thermische Energiespeicherung ist technisch kein Problem und ist kostengünstig.

Längere Perioden ohne direktes Sonnenlicht können durch fossile Ergänzungsfeuerung überbrückt werden. Solarthermische Kraftwerke benötigen keine externen Ersatzkapazitäten: sie liefern gesicherte Leistung.

Übertragung zu Regionen des Bedarfs

Nach der Umwandlung in Strom kann Solarenergie problemlos und über tausende Kilometer übertragen werden. Bei Gleichstrom mit hoher Spannung (HGÜ), typischerweise zwischen 500 und 1000 kV, sind die Übertragungsverluste recht gering: ca. 3% auf 1000 Kilometer. Da große Wüsten in Nord- und Süd-Amerika, Nord- und Süd-Afrika, Nahem Osten, Indien, China und Australien vorhanden sind, könnte sauberer Strom aus Wüsten an mehr als 90% der Weltbevölkerung geliefert werden.

Ökonomie des Wüstenstroms

Solarkraftwerke erhalten Dampf aus Solarkollektoren. Dessen Energie kann mit der von Öl direkt verglichen werden. Die Kosten für Solardampf wie aus 1 Barrel Öl erzeugbar liegen jetzt, je nach Standort, zwischen 50 und 70 $. Diese Kosten können in 10-15 Jahren durch Massenproduktion auf unter 30 $ gebracht werden, mit der Tendenz langfristig weiter zu sinken, im Unterschied zu Öl und Gas. Diese Kosten variieren mit örtlicher Solarstrahlung und Kapitalkosten. Als Materialien werden in größeren Mengen lediglich Glas und Eisen gebraucht, die in großen Mengen auf der Erde vorhanden sind.

Nach Studien des DLR (siehe www.trec-eumena.org) sind innerhalb von 2-3 Dekaden erreichbar:

  • Strom Erzeugungskosten: 4 – 6 c$/kWh
  • MENA-EU Übertragungskosten: 1 – 2 c$/kWh

Mit einem EU-MENA Verbundnetz als Infrastruktur für Energie- und Klima-Sicherheit kann Solarstrom aus den Wüsten nicht nur konkurrenzfähig sondern zur »least cost option« auch für Europa werden. Kohle- und Kernkraftwerke können in ca. 50 Jahren durch Solarstrom und andere erneuerbare Energien ersetzt sein. Weitere Investitionen in Technologien zum Abbau der gefährlichen, auslaufenden fossilen Energieträger verschärfen den Klimawandel und das nukleare Risiko. Mit der Erschöpfung der fossilen Vorräte werden sie wertlos, aber nicht schadlos. Investitionen in Solartechnologie dagegen sind von dauerhaftem Wert für Klima und Energiesicherheit.

Strom und Entsalzung in K-W Kopplung

Thermische Solarkraftwerke können ca. 35% der zugeführten Solarenergie in Elektrizität umwandeln. Von der übrigen Energie können ca. 50% zur Meerwasser Entsalzung verwendet werden. So kann die Solarenergie mit bis zu 85% genutzt und mit der Abwärme von 1 TWh Strom ca. 40 Millionen m³ Wasser in Kraft-Wärme Kopplung entsalzt werden.

Globale fossile Energien: Nachgewiesene Reserven, vermutete Ressourcen, jährlicher Verbrauch, statische Reichweite

Fossil energy source
In Giga tonnes coal equivalent (Gtce) *
Proven Reserve (expected additional Resources)
Gtce
Annual Production/ consumption
Gtce
Static depletion time of reserves
In years
Solar energy delivery time to the global deserts, corresponding to
Global reserves (Resources)
in days
Annual fossil consumption
in hours
Total 1,279 (6,224) 13.1 98 47 (227) 5.7
Oil (conventional) 233 (118) 5.5 42 8.5 (4.3) 2.4
Oil (non-conv.) 96 (361) 3.5 (13.2)
Natural gas (conv.) 196 (230) 3.0 65 7.2 (8.4) 1.3
Natural gas (non-conv.) 2 (1,687) 0.1 (62)
Coal (hard and lignite) 697 (3,541) 4.1 170 25 (129) 1.8
Uranium, Thorium 56 (293) 0.5 101 2.0 (11) 0.2
1 Gtce = 29 EJ = 8,140 TWh-thermal = 5 Billion bbl oil
(Quelle: BGR, Energiestudie 2004) und die entsprechenden Lieferzeiten als Solarenergie auf 36 Millionen km² Wüste (www.unep.org/geo/gdoutlook/018.asp#fig12)

Mit der Energie der Wüsten gegen die Verwüstung der Erde:

1. Das Solarenergie Angebot der Wüsten ist mehr als 700-mal so groß wie der globale Primärenergie Verbrauch.

2. Mit Solarthermischen Kraftwerken kann man es sehr effektiv nutzen, denn sie können Solarenergie viele Stunden speichern und so Strom nach Bedarf produzieren, auch nachts.

3. Durch elektrische Fernübertragung könnten über 90% der Weltbevölkerung Solarstrom aus Wüsten erhalten. Kern- und Fusionstechnik würden vollständig überflüssig.

4. Technologie- und Wüstengürtel könnten in Kooperation Strom zu 4-6 c$/kWh und gemäß Bedarf erzeugen.

5. Wie von Prinz Hassan von Jordanien auf der Hannover Messe 2006 vorgeschlagen, könnten mit einem »Apollo« Programm DESERTEC die Wüsten in den Dienst für dauerhafte globale Energie- und Klima-Sicherheit gestellt werden (www.clubofrome.org).

6. The Club of Rome und die Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation TREC bereiten eine derartige Kooperation von Technologie- und Wüsten-Ländern vor.

7. Mit der Solarenergie der Wüsten und den vielen anderen global vorhandenen erneuerbaren Energien könnten wir uns weltweit üppig mit Energie versorgen und die Erde vor der fortschreitenden Verwüstung durch fossile Brennstoffe bewahren – wenn wir es nur wollten.

8. Eine grundlegende These des Memorandums: „Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten Energiebedarf können sie (die Erneuerbaren Energien und andere) auf keinen Fall decken.“ steht im krassen Widerspruch zu den bekannten technischen Möglichkeiten der Solarenergie, und die darauf gestützte These „Es gibt nach unserer Einschätzung keinen rein technischen Ausweg aus der Energiekrise,“ ist dann nicht mehr zwingend. Die Möglichkeiten der EE klein zu reden schadet unserer Zukunft und nutzt den Befürwortern der Kernenergie.

Dr. Gerhard Knies, Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation TREC, in Kooperation mit The Club of Rome gerhard.knies@trec-eumena.org / www.trec-eumena.org / www.clubofrome.org

Sichere und konfliktarme Energieversorgung?

Erneuerbare Energien:

Sichere und konfliktarme Energieversorgung?

von Marcel Krämer

Die fossilen Energiereserven nehmen ab und dementsprechend wird das Ringen um den Zugriff auf selbige härter, die Gefahr neuer Kriege zur Sicherung des Zugangs zu Energieträgern ist latent. Sind Erneuerbare Energien »die« Alternative? Können sie die Energieversorgung weitgehend sichern, sind sie zu bezahlen? Marcel Krämer bejaht diese Fragen, verweist aber gleichzeitig auf neue – gegenüber militärischen Konflikten vergleichsweise harmlose – Konfliktherde, die bei Nichtbehandlung aber den verstärkten Einsatz Erneuerbarer Energien verzögern oder auch verhindern können.

Der Anteil Erneuerbarer Energien an der Strom- und Wärmeversorgung sowie im Verkehrssektor ist in den vergangenen Jahren in Deutschland stetig gestiegen. Insbesondere im Strombereich konnte mit dem massiven Ausbau der Windenergienutzung auf nunmehr 18.500 MW installierter Leistung der Anteil aller Erneuerbaren Energien (u.a. Wasserkraft, Windenergie, Photovoltaik) auf über 10% des Bruttostromverbrauchs in 2005 gesteigert werden (BMU 2006, Wittke 2006). Der erneuerbare Anteil am gesamten Primärenergieaufkommen lag demnach bei 4,6%.

Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass die restliche Versorgung durch konventionelle, zumeist nicht-heimische Energieträger bereitgestellt wird. Dabei spielte das Erdöl mit 36% die dominierende Rolle vor Erdgas (22,7%), Steinkohle (12,9%), Uran (12,5%) und Braunkohle (11,2%) (Wittke 2006). Außer bei der Braunkohle und den Erneuerbaren Energien müssen die Energieträger weitgehend importiert werden, manche sogar zu 100%. Die Importquote lag 2005 beim Erdöl bei 97% (davon über 60 % aus der GUS und den OPEC-Staaten), beim Erdgas wurden gut 85% importiert (davon allein 35% aus Russland), die Steinkohle stammt immerhin noch zu 60% aus ausländischer Förderung (Wittke 2006). Das Uran zum Betrieb von Atomkraftwerken wird zu 100% aus dem Ausland bezogen (Informationskreis Kernenergie).

Diese Situation beeinflusst auch die Fortentwicklung des »Weißbuchs der Bundeswehr«, in dem die künftige Ausrichtung des Aktionsfeldes des deutschen Militärs skizziert werden soll. Der Entwurf beinhaltet als einen wesentlichen Aspekt die zukünftige Sicherung des Zugangs zu Energieträgern durch die Bundeswehr ( Netzeitung 2006, Telepolis 2006). Nie zuvor seit dem Ende des 2. Weltkrieges wurde in Deutschland die Frage der Energieversorgung so offen mit militärischen Optionen in Verbindung gebracht. Das Festhalten an der fossil-nuklearen Energieversorgung mit diesen und anderen Konsequenzen wurde u.a. auch von Hermann Scheer, Franz Alt und Peter Hennicke kritisiert.

Auch die Erneuerbare-Energien-Branche befasst sich mit der Thematik. So wurde die Jahreskonferenz Erneuerbare Energien im Jahr 2006 unter das Motto »Zukunft braucht Sicherheit« gestellt und u.a. wurden Redner der Nato eingeladen. Als großer Vorteil der Erneuerbaren Energien wird die lokale und regionale Versorgungsstruktur angeführt, die unabhängiger von Energieimporten macht und damit auch die Gefahr (militärischer) Konflikte um Energieressourcen mindert. Tatsächlich ist es eine wesentliche Eigenschaft Erneuerbarer Energien, dass die Anlagen (z.B. Wasserkraft, Windenergie, Photovoltaik, Biogas oder Geothermie) dezentral und im Vergleich zu den fossil-nuklearen Kraftwerken meist in deutlich kleineren Einheiten (Bereich bis zu wenigen Megawatt) installiert werden. Aber auch diese Struktur hat Konfliktfelder, die jedoch gegenüber den möglichen militärischen Auseinandersetzungen um fossile und nukleare Energien vergleichsweise harmlos anmuten: gesellschaftliche Akzeptanzkonflikte.

Neue Konfliktherde

In einer Untersuchung im Rahmen eines Studienseminars der Universität Marburg im Jahr 2001 wurde anhand einer konkret geplanten Windenergieanlage (WEA) analysiert, welches Konfliktpotenzial mit der Nutzung dieser Erneuerbaren Energie einhergeht (Ackermann 2001). Es zeigte sich, dass selbst diese Energienutzung, die vergleichsweise sehr wenige Emissionen (Geräusche, Abgase, CO2) hat und ohne irreversible Eingriffe in die Umwelt auskommt, ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial birgt. Dabei handelt es sich meist um Akzeptanzfragen, die eher selten auf eine konkrete persönliche Beeinträchtigung durch die Anlagen zurückzuführen sind. In der Diskussion werden auch allgemeine ökologische und ökonomische Argumente gegen die Windenergienutzung angeführt (im Vergleich zu fossilen Energieträgern angeblich höhere Kosten, Zweifel an der Menge von CO2-Emissionseinsparungen). Diese Argumente eignen sich allerdings nicht, den Ausbau der Erneuerbaren Energien grundsätzlich in Frage zu stellen, sie sind mithin kein brennender Konfliktherd mehr. In den meisten Fällen ist es bisher gelungen, auch die lokalen Konflikte um die genutzten Standorte durch angemessene Lösungen und Aufklärung zu entschärfen.

Ist nun die Nutzung Erneuerbarer Energien das Allheilmittel zur Vermeidung (militärischer) Konflikte um Energie(bereitstellung), insbesondere wenn auch die Vermeidung von CO2-Emissionen berücksichtigt wird, die globale Veränderungen und mögliche Konflikte zur Folge haben?

Tatsächlich entfällt der Anlass für solche Konflikte, wenn jede Gesellschaft lokal und regional mit Erneuerbaren Energien ihren Energiebedarf deckt. Das Potenzial für die Nutzung Erneuerbarer Energien ist dabei von Land zu Land unterschiedlich. Nachweislich kann jedoch mit regenerativen Energien wie Solar- und Windenergie, Geothermie und Biomassenutzung der heutige und künftig erwartete Strom- und Wärmebedarf weltweit gedeckt werden (Greenpeace 2006). Auch in dem an Energierohstoffen armen Deutschland lässt sich die Strom- und Wärmeversorgung allein mit Erneuerbaren Energien decken (Nitsch 2004). Eine Reduktion des Energiebedarfs des Verkehrssektors sowie ein Umstieg auf Erneuerbare Energien erweist sich hingegen als deutlich ambitionierter, wenn auch nicht unmöglich. Es ist zu erwarten, dass der Verkehrssektor zukünftig die Hauptrolle beim Energiebedarf in Deutschland und Europa spielen wird. Dazu äußern sich selbst ehemalige Verfechter der »Verkehrswende« in ungewohnter, weil resignativ wirkenden, Weise (Schmidt 2004).

Eine Veränderung der Energieversorgung hin zu einem nachhaltigen System bringt jedoch auch neue Konflikte mit sich: Neben den erwähnten Akzeptanzfragen, sind etwa die in der Folge der Nutzung Erneuerbarer Energien notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen der Energieversorgung (z.B. Netzausbau) zu nennen. Außerdem ist auf jeden Fall – auch bei Beibehaltung der fossil-nuklearen Energieversorgung – eine erhebliche Kostensteigerung für die Energienutzung zu erwarten (auch und insbesondere im Verkehrsbereich), woraus innergesellschaftliche Konflikte um den freizügigen Zugang zu Energiedienstleistungen entstehen können. Einmal mehr brechen hier Konflikte sozialer Dimension auf, die auch in anderen Bereichen konstatiert werden müssen (z.B. Bildung). Nicht zuletzt sind während der Phase des Übergangs zu einer Komplettversorgung durch Erneuerbare Energien weiterhin fossile Energieträger zu importieren, womit das Konfliktfeld der Energieimporte weiterhin offen bleibt.

Akzeptanzfragen

Die Windenergienutzung in Deutschland kann als Beispiel gelten, wenn das Konfliktpotenzial durch die Nutzung Erneuerbarer Energien dargestellt werden soll. Es geht hierbei im Wesentlichen um die Akzeptanz der neuen Technologie, die mit neuen Erfahrungen verbunden ist (Geräusch- und andere Emissionen wie Schattenschlag oder Lichtreflexe, Änderung des gewohnten Landschaftbilds). Bei mehr als 17.000 Anlagen mit Gesamthöhen bis zu 150 Metern ist nachvollziehbar, dass aufgrund der weiten räumlichen Verteilung an manchen Orten Streit um einzelne Projekte entstanden ist. Insgesamt kann jedoch konstatiert werden, dass die grundsätzliche Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Technologie zu Gunsten der Windenergie entschieden wurde und so der derzeitige Stand hoher installierter Leistung erreicht werden konnte. Viele Konflikte wurden durch eine frühzeitige Einbeziehung betroffener AnwohnerInnen vermieden. Auch neue, im Bereich der Energieversorgung bis dahin unübliche Betreibermodelle (Bürgerwindrad) haben dazu beigetragen, dass vielerorts der Bau und die Nutzung der Anlagen von einer breiten Mehrheit der Betroffenen unterstützt wurde. Neues, bislang noch ungeklärtes Konfliktpotenzial kann durch die geplante Nutzung der Offshore-Windenergie entstehen, insbesondere durch Nutzungskonkurrenzen (Seeschifffahrt, Schutz von Meer und Umwelt, wirtschaftliche und militärische Nutzungsinteressen).

Während die Onshore-Flächennutzung aus wirtschaftlichen und genehmigungsrechtlichen Gründen in Deutschland weitgehend abgeschlossen sein dürfte und der Zubau im Wesentlichen durch das sog. Repowering (neue, größere Anlagen an vorhandenen Standorten) zu erwarten ist, treten nun andere Erneuerbare Energien auf den Plan und können Konfliktpotenzial durch ihre Installation und Nutzung hervorrufen. Neben der Solarenergie / Photovoltaik, die durch Flächenverbrauch bei Freifeld-Anlagen (sog. Solar-Kraftwerken) nicht unumstritten sind, ist insbesondere die Biomassenutzung nicht problemfrei. Dieses ist insbesondere bei größeren Anlagen auf evtl. vorhandene Geruchsemissionen und Zuliefererverkehr zurückzuführen (Biogas). Auch die Nutzung von Nahrungsmitteln für die Strom- und Wärmeerzeugung sorgt für kritische Auseinandersetzung mit dieser Art der Energieversorgung. Von geothermischen Anlagen wird dagegen ein sehr geringes Konfliktpotenzial zu erwarten sein.

Strukturwandel

Ein massiver Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energien hat aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften auch erhebliche Anpassungen der zugehörigen Infrastruktur zur Folge. So hat z.B. die 2005 veröffentlichte Studie »Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore bis zum Jahr 2020«, die von der Deutschen Energie Agentur (dena) koordiniert wurde, aufgezeigt, dass bei dem zu erwartenden Zubau von Windenergie bis 2020 etwa 1.000 km zusätzliche Höchstspannungsleitungen (380-kV-Netzebene) verlegt werden müssen. Jedoch schon 50 km Neubau verursachen z. T. erhebliche Konflikte (Weser Kurier 2006). Es ist zu erwarten, dass der notwendige Infrastruktur-Umbau durch die zunehmende Nutzung von Erneuerbaren Energien weitere Konflikte hervorruft. Auch die sich ändernde Betreiberstruktur, die eine vermehrte Nutzung Erneuerbarer Energien mit sich bringt, wird nicht ohne Widerstand bleiben: Ein vermehrter Einsatz dezentraler, von lokalen Akteuren betriebener Erzeugungseinheiten (Wind, Photovoltaik, Biomasse) soll in Zukunft die heute bekannte zentrale Versorgungsstruktur der großen Energieversorger ablösen. Es ist zu erwarten, dass die heutigen Energieversorger dies nicht ohne weiteres hinnehmen werden.

Kostensteigerungen

Unabhängig von den Anteilen der verschiedenen Energieträger zur Versorgung ist zu erwarten, dass die Kosten für den/die EinzelneN deutlich steigen werden. Dies lässt sich bei den Energieträgerimporten durch den erhöhten Aufwand begründen, während der Einsatz Erneuerbarer Energien durch die Begleitkosten der dargestellten Infrastrukturmaßnahmen ebenfalls eher höhere Aufwendungen als heute üblich erfordert. Damit wird der Zugang zu Energiedienstleistungen (wieder) zu einem teuren Gut, das sich nicht jedeR in der Gesellschaft ohne Abstriche leisten kann. Insofern sind auch auf diesem Feld Konflikte zu erwarten.

Transformationsprozesse

Nach einer vom Bundesministerium für Umwelt 2004 veröffentlichten Studie (Nitsch 2004) ist es möglich, dass die Energieversorgung in 2050 zum weit überwiegenden Teil aus Erneuerbaren Energien geleistet wird. Neben einer substanziellen Effizienzsteigerung (d.h. massiver Energieeinsparung) wandelt sich bis dahin aber auch die Struktur des restlichen verbleibenden fossilen Energieträgermixes. Insbesondere geht im Stromsektor bei wachsendem Windenergieanteil (durch Offshore-Nutzung) aus technischen und Emissionsgründen damit ein Wechsel von auf Kohle zu auf Gas basierender Verstromung einher (vgl. auch Krämer 2003). Da der Importanteil beim Erdgas jedoch über 85% liegt und dieser Wert bis 2050 eher noch steigen wird, ist das Ziel einer vollkommen regenerativen Energieversorgung nur über den Umweg durch höhere Gasimporte zu erreichen. Immerhin steht am Ende dieses Wegs die Verheißung einer weitgehenden Unabhängigkeit von Energieimporten und einer signifikanten Reduzierung des militärischen Konfliktpotenzials.

Zusammenfassung

Die Nutzung Erneuerbarer Energien führt zu einer Veränderung der Konfliktfelder im Energieversorgungssektor. Es geht aufgrund der Charakteristik der Erneuerbaren Energien nicht um die Sicherung des Zugangs zu den Energieträgern, sondern »nur noch« um die gesellschaftsinternen Konflikte bei Bau und Betrieb der Anlagen sowie der dazu notwendigen Infrastruktur. Am Beispiel der Windenergienutzung konnten auf diesem Feld schon viele Erfahrungen gesammelt werden. Doch auch der Weg zu einer Komplettversorgung durch Erneuerbare Energien reduziert das »externe«, d.h. mit der Beschaffung von Energieträgern zusammenhängende Konfliktpotenzial nicht sofort. Durch einen erhöhten Einsatz von Erdgas verstärkt sich im Gegenteil die Problemlage sogar zunächst noch. Insgesamt wird auch die Nutzung Erneuerbarer Energien einen Anstieg des Strompreises nur wenig verringern, so dass in Zukunft auch vermehrt innergesellschaftliches Konfliktpotenzial über den Zugang zu Energiedienstleistungen zu erwarten ist. Eine zukünftige Energieversorgung basierend auf Erneuerbaren Energien ist somit zwar nicht völlig konfliktfrei, aber nur ihr Einsatz verspricht überhaupt eine Reduzierung des bei fossiler Energieversorgung zwangsläufigen und im Vergleich zu den hier vorgestellten Konfliktfeldern erheblich bedrohlicheren internationalen Ressourcenkonflikts.

Literatur

Ackermann, H./ Krämer, M./ Melsheimer, O./ Scheffran, J. (2001): Energienutzung – Konflikte, Potenziale, Szenarien. In: Zoll, R. (Hrsg.), LIT-Verlag, Münster.

Alt, Franz (2002): Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne. Riemann Verlag.

BMU, AGEE-Stat (2006): Entwicklung der erneuerbaren Energien im Jahr 2005 in Deutschland. Stand: Februar 2006. www.erneuerbare-energien.de

Greenpeace (2006): Schwarzbuch Versorgungssicherheit. Hamburg.

Hennicke, Peter, et al. (2005): Weltmacht Energie. Herausforderung für Demokratie und Wohlstand. Hirzel Verlag, Stuttgart.

Informationskreis Kernenergie. www.kernenergie.de

Krämer, M. (2003): Modellanalyse zur Optimierung der Stromerzeugung bei hoher Einspeisung von Windenergie, Düsseldorf, VDI-Verlag.

Netzeitung vom 19.05.2006: SPD unzufrieden mit Verteidigungsminister Jung. www.netzeitung.de

Nitsch, Joachim et al.(2004): Ökologisch optimierter Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien in Deutschland. Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Stuttgart, Heidelberg, Wuppertal, März 2004

Scheer, Hermann (2002): Solare Weltwirtschaft. Strategie für die ökologische Moderne. Kunstmann Verlag.

Scheer, Hermann (2005): Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien. Kunstmann Verlag.

Schmidt, Albert / Kuhn Fritz / Hustedt, Michaele (2004): Von der Verkehrswende zur Nachhaltigen Mobilität. Positionspapier der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, 23. April 2004.

Telepolis 17.05.2006: Deutsche Kriege für das »nationale Interesse«? www.telepolis.de

Weser Kurier, 20. Mai 2006: Neuer Funken im Stromstreit.

Wittke, Franz / Ziesing, Hans-Joachim (2006): Hohe Energiepreise dämpfen Primärenergieverbrauch in Deutschland. DIW-Wochenbericht Nr. 10/2006, pp. 117..133. Berlin: 8.3.2006

Dr. Marcel Krämer, Diplom-Physiker und promovierter Wirtschaftswissenschaftler, war zuletzt Geschäftsführer des Zentrums für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg und Hannover (ForWind). Kontakt: marcel.kraemer@lichtquant.de

Energie und Zukunft

Energie und Zukunft

Memorandum zur nachhaltigen Energieversorgung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.«

von NatWis

Die aktuelle Debatte um die weltweite Energieversorgung greift zu kurz: Sie sucht technische Lösungen und klammert weitgehend die Frage nach dem Wirtschaftssystem und der ihm entsprechenden Lebens- und Produktionsweise aus. Der Zusammenhang aber zwischen naturwissenschaftlich-technischen Fakten und dem heutigen Industrie- und Wirtschaftssystem insgesamt muss thematisiert werden, um Illusionen bzw. falsche Entscheidungen über zukünftige Möglichkeiten des Wirtschaftens und Lebens auf der Erde zu vermeiden und nachhaltige, zukunftsfähige Lösungen zu finden und zu realisieren. Die Naturwissenschaftler-Initiative möchte dazu mit diesem Memorandum einen Beitrag leisten.

Die bisherigen Bemühungen, die CO2-Emissionen zu reduzieren und somit den Klimawandel zu beeinflussen, haben ihr Ziel nicht erreicht. Global steigen die CO2-Emissionen weiter erheblich an: Allein 2005 um 4,5 %, so stark wie seit 1976 nicht mehr. Die neueste Klimaprognose des Umwelt-Bundesamtes fordert, um die Erwärmung der Atmosphäre wenigstens auf 2 Grad zu begrenzen, eine Reduzierung um 40% bis 2020, um 80% bis 2050. Dabei werden die heute schon auftretenden erheblichen Folgen des Klimawandels bereits einkalkuliert. Für Deutschland wurden die bis 2005 vorgesehenen bescheidenen Reduzierungs-Ziele um 25% zwischen 1990 und 2005 nicht erreicht. Die CO2-Emissionen der europäischen Industrienationen müssten aber um ein Mehrfaches dieses Wertes reduziert werden, denn die Europäer emittieren pro Kopf das fünffache Chinas, das zehnfache afrikanischer Länder.

Gas-Kraftwerke zur Verbesserung der energietechnischen Effizienz, verbunden mit der Kraft-Wärme-Kopplung, insbesondere als dezentrale Anlagen, sind heute technisch ausgereift und wichtige Projekte. Die CO2-Abscheidung, wenn sie sich als großtechnisch realisierbar erweisen sollte und die Lagerung geklärt wäre, könnte ebenfalls einen Beitrag leisten. Diese Entwicklungen sind jedoch, soweit sie auf fossilen Brennstoffen basieren, Übergangs-Technologien. Maßnahmen zur Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien müssen beschleunigt ergriffen und diese Technologien weiter entwickelt werden.

Zusammengenommen können all diese Techniken jedoch die fossilen Energieträger wohl nur zum Teil substituieren. Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten zusätzlichen Energiebedarf können sie auf keinen Fall decken. Atomenergie aus Kernspaltung, die zur Zeit als »Renaissance der Kernenergie« von interessierter Seite in Spiel gebracht wird, ist keine verantwortbare, aber auch keine im erforderlichen Umfang realisierbare Technik zur Energiegewinnung. Es gibt also nach unserer Einschätzung keinen rein technischen Ausweg aus der Energie-Krise: Das »perpetuum mobile« wird trotz intensiver Suche nicht gefunden werden.

Bereits das Problem begrenzter Ressourcen, aber auch die unerwünschten Nebenwirkungen ihrer Nutzung, erfordern deshalb grundlegende gesellschaftlich-ökonomische Veränderungen, die in ihrer Tiefe und Tragweite wohl einen Epochenwandel von ähnlicher Größenordnung bedeuten wie der Wandel zur Industriegesellschaft vor ca. 250 Jahren.

Derzeit sind in Deutschland erhebliche Investitionen in Großkraftwerke geplant. Damit werden technische, finanzielle und gesellschaftliche Entscheidungen getroffen, die die Energiepolitik für die nächsten Jahrzehnte festlegen. Entweder wird, geleitet durch die Interessen der dominierenden Energie-Großwirtschaft, die schon jetzt krisenhafte Entwicklung weiter betrieben – oder es werden Maßnahmen getroffen, die in Richtung einer grundlegenden Veränderung von Energiewandlung und Energienutzung führen und damit den notwendigen Epochenbruch einläuten.

Es ist höchste Zeit, zu handeln!

Die fossilen Energieträger werden knapp, die Auseinandersetzung um diese Ressource wird schärfer. Es haben bereits Kriege um Öl begonnen. Die Klimaerwärmung hat inzwischen messbare und dramatische Folgen. Nach Jahren, in denen warnende Stimmen aus Teilen der Naturwissenschaft und insbesondere der Klimaforschung überhört wurden, bleibt sehr wenig Zeit, um eine weitere Zuspitzung der globalen krisenhaften Entwicklung zu vermeiden. Folgende Notwendigkeiten aktueller Energiepolitik bestehen deshalb aus unserer Sicht:

Ausstieg aus der Atomenergie

Atomkraftwerke, wie andere Großkraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung auch, sind wenig effektiv, da sie nur Strom produzieren und 60% bis 70% ihrer Primärenergie ungenutzt verlieren. Das Risiko der Atomenergienutzung beruht im Wesentlichen auf den erheblichen Problemen in den Bereichen radioaktive Umweltbelastung von der Urangewinnung bis zum Kraftwerk, Anlagensicherheit und der bis heute offenen Frage des Umgangs mit den radioaktiven Abfällen. Bei den heutigen 443 weltweit betriebenen Reaktoren besteht das prinzipielle Risiko eines Unfallszenarios mit Kernschmelze und nachfolgender massiver Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt. Eine solche Reaktorkatastrophe ist mit extremen und langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt verbunden. Dabei können Unfallszenarien sowohl durch die zugrunde liegende Technologie oder menschliches Versagen selbst bedingt sein (interne Ursachen), oder es können externe Ereignisse auslösend sein (Erdbeben, Flugzeugabstürze, terroristische Anschläge, Kriegseinwirkungen).

Die heutige zivile Kernenergienutzung ist janusköpfig: Sie verwendet Technologien, die speziell für die Atomwaffenprogramme der Kernwaffenstaaten entwickelt wurden und damit ein beständiges zivil-militärisches Dual-Use-Potenzial mit Proliferationsrisiko darstellen. So sind für die Anreicherung von Reaktorbrennstoff benötigte Anlagen prinzipiell auch in der Lage, hochangereichertes Uran für Waffenprogramme zu produzieren (siehe die aktuelle Diskussion um das iranische Zentrifugenprogramm). Wiederaufarbeitungstechnologien für abgebrannten Brennstoff schaffen Zugang zu Plutonium, welches ebenfalls in Kernwaffen verwendet werden kann (siehe die Diskussion um die Kernwaffenfähigkeit Nord-Koreas).

Die bei der Bestrahlung von Reaktorbrennstoff anfallenden hochradioaktiven Abfälle müssen über extrem lange Zeiträume sicher gelagert werden. Hierfür gibt es bislang weltweit keine technisch und gesellschaftlich tragfähige Lösung.

Bei einer Fortsetzung oder gar einem Ausbau der zivilen Kernenergienutzung würden diese Risiken und Probleme bestehen bleiben bzw. vervielfacht. Deshalb ist eine Fortsetzung der gegenwärtigen Kernenergienutzung oder eine Laufzeit-Verlängerung nicht verantwortbar. Der ins Feld geführte Beitrag der Atomenergie zur Lösung der Klimaproblematik wäre ohnehin gering – auch wegen der meist unerwähnt bleibenden »grauen Energie«, die vom Uran-Abbau bis zu den Herstellungsprozessen von Kraftwerken und Brennstoffen CO2 freisetzt. Der nukleare Anteil an der weltweiten Primärenergiebereitstellung liegt lediglich bei 5-6%. Selbst ein schneller Ausbau z.B. auf das Doppelte, der technisch kaum realisierbar ist (von der Planung zur Inbetriebnahme brauchte man im Schnitt 22 Jahre), würde also wenig zur Energieversorgung beitragen. Auch die in diesem Kontext diskutierten neuartigen Nuklearsysteme (vom Europäischen Druckwasserreaktor EPR bis zu Generation IV-Konzepten) lassen keine signifikanten Durchbrüche in den Bereichen der Sicherheit, der Nichtverbreitung und der Entsorgungsproblematik erwarten. Wir warnen eindringlich vor der Illusion, es könne ein inhärent sicheres Reaktorsystem und ein proliferationsresistentes nukleares Gesamtsystem ohne Entsorgungsproblematik entwickelt werden. Überdies würden bereits bei einer Fortschreibung der Kernenergienutzung auf dem gegenwärtigen Niveau die wirtschaftlich ausbeutbaren Uranlagerstätten in wenigen Jahrzehnten an eine Grenze stoßen. Daher sind Ausbauszenarien auch aus dieser Perspektive höchst fraglich.

Wegen der dafür erforderlichen riesigen Investitionsmittel würde die sich aktuell bietende Chance auf einen Umbau des deutschen Energiesystems finanziell über Jahre blockiert, der allein die Abhängigkeit von Energie-Rohstoff-Importen verringern kann.

Ob irgendwann Kernfusionsreaktoren ans Stromnetz gehen könnten, ist heute noch völlig ungewiss. Weder die technische noch überhaupt erst die wissenschaftliche Machbarkeit ist demonstriert, sie würden zudem extrem hohe Investitionskosten verursachen. Die Fusionsforschung bekommt aber – zusammen mit der nuklearen Sicherheitsforschung – immer noch knapp die Hälfte der öffentlichen Fördermittel für Energieforschung in Deutschland. Dies ist nicht zu rechtfertigen, denn es geht bei der Fusionsforschung eindeutig nicht um Effizienzsteigerung und Kostensenkung bei einer existierenden Technologie, wie in weiten Bereichen der regenerativen Technologien. Mit den Forschungsmitteln von zur Zeit jährlich etwa 500 Millionen Euro für die Fusion in Europa wird ein völlig ungedeckter Scheck auf die Zukunft ausgestellt. Denn die von den Proponenten reklamierten günstigen Eigenschaften der Fusion, die Lösungen für Probleme der heutigen Kerntechnologie versprechen, sind abhängig von einer ganzen Reihe wesentlicher technischer – insbes. auch materialtechnischer – Durchbrüche, von denen heute niemand weiß, ob sie so realisierbar sein werden. So droht beispielsweise nach heutigem Kenntnisstand auch der Fusion die Notwendigkeit einer langfristigen Endlagerung radioaktiver Abfälle, die aufgrund der Aktivierung der Reaktorstrukturmaterialien durch die harte Neutronenstrahlung entstehen. Auch wäre die Brennstoffkonzeption auf Basis des radiologisch problematischen und für Kernwaffenanwendungen begehrten Materials Tritium kritisch zu überprüfen.

Die Erfahrungen mit der Kernspaltung zeigen, dass die bei der Entwicklung in Aussicht gestellten Leistungen und die dann eingetretene Realität weit auseinanderklaffen. Mitte der 70er Jahre kündigten seriöse Wissenschaftler und Ingenieure die komplette Umstellung des Energiesystems bis zum Jahr 2000 auf Atomenergie mit 4000 bis 5000 Reaktoren weltweit an, „Stromzähler werden unnötig“. Heute haben wir 443 Reaktoren mit 5-6% Anteil, Tschernobyl hinter uns und möglicherweise bald Krieg wegen der »zivilen« Nutzung durch Iran und Nordkorea, die diese Länder kernwaffenfähig machen könnte.

Generell müssen Möglichkeiten im Wissenschafts- und Techniksystem gefunden werden, bei finanziell sehr aufwendigen Großprojekten rechtzeitig umzusteuern, wenn sich abzeichnet, dass die realen Möglichkeiten technisch und zeitlich weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleiben oder sich sicherheitsrelevante Probleme stellen. Heute ist daher eine Umschichtung der Forschungsfördermittel von Kernspaltung und Fusion zu regenerativen Energietechnologien anzuempfehlen.

Ausstieg aus der fossilen Energie durch deren politisch gesteuerte und sozial abgefederte Verteuerung

Die bisherigen niedrigen Energiekosten – im wesentlichen erreicht durch Nutzung der fossilen Vorräte und immer noch staatlich z.T. mit jährlichen Milliardenbeträgen subventioniert (z.B. deutsche Kohle) – haben dazu geführt, dass ohne jegliche ökonomische Hemmnisse CO2-Emmissionen produziert wurden. Damit verbundene Folgen der Klimaänderung sind inzwischen allgemein bekannt. Weniger bedacht wird, dass durch das Missverhältnis zwischen den Kosten menschlicher Arbeit und den niedrigen Energie- und Rohstoffkosten die technische Rationalisierung der Produktion in einem Ausmaß ermöglicht wurde, das inzwischen weit über sinnvolle technische Erleichterung menschlicher Arbeit hinausgeht und lediglich zur Steigerung der Renditen führt. So wurden in praktisch allen Ländern Massenarbeitslosigkeit und damit große soziale Probleme erzeugt.

Nur durch eine politisch entschiedene Verteuerung des fossilen Treibstoffs (über die durch den »Markt« schon heute erzeugte Verteuerung hinaus) kann dieses Missverhältnis korrigiert und die notwendige drastische Reduzierung des fossil betriebenen Verkehrs auf der Straße und in der Luft erreicht werden – insbesondere des Verkehrs, der lediglich durch ökonomische Kalküle bezüglich der Arbeitskosten erzeugt wird bzw. durch die Autobahnen als »just in time-Lager«. Dazu gehört auch die sonstige, technisch nicht erforderliche, ökonomisch erzwungene Mobilität (z.B. lange Wege zum Arbeitsplatz). Schließlich betreibt auch das Militär eine nicht verantwortbare Verschleuderung von fossiler Energie

Die Öko-Steuer sollte deshalb als richtiger Ansatz weiter entwickelt werden, und zwar sozial abgefedert und gezielt auf fossil erzeugte Energie und große Energieverbraucher bezogen, insbesondere in Verkehr (besonders Flugbenzin!) und Industrie. Soziale Abfederung heißt: Der Basis-Verbrauch der Haushalte für Heizung etc. bleibt günstig, Mehrverbrauch wird progressiv besteuert. Dies muss international durchgesetzt werden, um die ungleiche Inanspruchnahme von Energie zwischen Nord und Süd auszugleichen. Wie dies im einzelnen geschieht, ist in internationalen Projekten zu erarbeiten. So könnten Rahmenbedingungen geschaffen und finanzielle Mittel freigesetzt werden, um den aufgrund der Klimarisiken erforderlichen raschen Ausstieg aus dem Verbrauch fossiler Energieträger zu bewerkstelligen. Die Mittel aus einer solchen Steuer könnten zudem, wie in der Öko-Steuer bereits begonnen, für soziale und gesundheitliche Vorsorge eingesetzt werden und so die heute allein an die abhängige Arbeit gebundenen Sozialsysteme entlasten bzw. langfristig ersetzen. Zu diesem Instrumentarium gehört auch der Emissions-Zertifikate-Handel, vorausgesetzt, die Zertifikate werden schon heute drastisch und zukünftig schneller verknappt als bisher geplant und nicht wie bisher »umsonst« ausgegeben.

Förderung der Energieeinsparung

Im globalen Vergleich ist die Inanspruchnahme von Energiedienstleistungen pro Person in Deutschland und den anderen »alten« Industrieländern immer noch viel zu hoch (2003: USA rund 11 Kilowatt, Europa 6 kW, China rund 1 kW, Afrika unter 0,5 kW). Das Energie-Nutzungs-Niveau von USA oder Europa ist keineswegs übertragbar auf die gesamte Menschheit. Denn die maximale Tragfähigkeit des Biosystems für menschlich verursachten zusätzlichen Primär-Energie-Umsatz ist begrenzt und heute schon erreicht. Verträglich ist nach plausiblen Berechnungen (s. Global Challenges Network, H.P. Dürr) ein »Dauer-Leistungsbedarf« pro Person von etwa 1,5 kW – das entspricht etwa dem Niveau eines Schweizer Bürgers um 1967. Es geht also nicht nur um Energie-Effizienz, sondern im wesentlichen um Suffizienz auf immer noch hohem Niveau.

Zwar gibt es noch ein erhebliches Potential an Einsparmöglichkeiten durch technische Maßnahmen (ein Schritt in die richtige Richtung ist das Investitionsprogramm der Bundesregierung zur energetischen Sanierung von Bauten). Das wird jedoch nicht ausreichen; zudem hatten bislang Energie-Spar-Maßnahmen häufig einen quantitativen Schub zur Folge, der den Einspareffekt wieder aufhob (Rebound-Effekt). Neben der energietechnischen Optimierung (z.B. drastische Senkung des Verbrauchs bei Automobilen und Elektrogeräten) müssen also Änderungen der Wirtschaftsweise und des Lebensstils stattfinden. Zu den Änderungen des Lebensstils gehören die Beendigung der Billigfliegerei und die Reduzierung des Freizeitverkehrs, aber auch die großflächige Vermeidung unnötigen Verbrauchs im täglichen Leben. Hier hat die energetische Beratung und Aufklärung der Bevölkerung einen zentralen Stellenwert. Generell sind nach den schlechten Erfahrungen mit »Selbstverpflichtungen« der Wirtschaft entsprechende verbindliche Grenzwerte durch politische Entscheidungen festzulegen, die die Freiheit zur Verschleuderung von Energie einschränken. Aber auch eine Entwicklung langlebiger Güter und ihre Wiederverwendung nach Wiederaufarbeitung (Re-Manufacturing) zur Verlängerung der Lebenszyklen, besonders der hochtechnologischen Güter, tragen zum Energie-Sparen bei.

Ausbau der Erneuerbaren Energien

Der notwendige beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energie (EE) ist unstrittig. Dennoch werden im Verhältnis immer noch zu viele öffentliche und private Mittel für Forschung, Entwicklung, Förderung fossiler und nuklearer Energiequellen (inzwischen auch deren unvermeidbaren Rückbau) ausgegeben, anstatt sie in regenerative Energieträger umzulenken. Zudem gibt es immer noch viel zu wenig Aufklärungs- und Bildungsanstrengungen in Richtung nachhaltiger, erneuerbarer Energiesysteme, von der Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen zum bewussten Umgang mit Energie bis zu den Hochschulen, die noch zu wenige entsprechende Studiengänge anbieten. Viele Stellen, die sich bisher den Erneuerbaren gewidmet haben, werden derzeit an den Hochschulen nicht wieder besetzt.

Erneuerbare Energiesysteme haben neben der CO2-Neutralität den großen Vorteil, dass sie vielfältig gestaltet werden können – insbesondere dezentral, in räumlicher Nähe zu den Ressourcen und nahe an der Nutzung, vernetzt zum Ausgleich unterschiedlicher Lagen. Der Gewinn wird in der Region erwirtschaftet und dort auch wieder sinnvoll eingesetzt. Sie bergen damit ein ungleich geringeres Konflikt-Potential als die global sehr ungleich verteilten fossilen Ressourcen mit ihren langen Transportwegen oder gar die atomaren Energiewandlungsverfahren, mit ihren militärischen Risiken. Sie eröffnen damit auch die Chance, die Wirtschaft zu deglobalisieren, d.h. wieder stärker auf Regionen zuzuschneiden. So werden z.B. Forst- und Landwirte zu Energiewirten. Damit können EE durch die Struktur ihrer Erzeugung und Nutzung zum Abbau wirtschaftlicher Macht beitragen, die durch großtechnische Konzentration der Energieversorgung (in Deutschland im wesentlichen bei vier Konzernen) entstanden ist.

Technologisch weitgehend ausgereift ist im Bereich EE die Windenergie. Andere Techniken haben zum Teil noch Entwicklungsbedarf. Für solche Entwicklungen können an die jeweilige klimatische, kulturelle und soziale Situation angepasste technische und ökonomische Konzepte erarbeitet werden, die sich von den bisherigen Strukturen lösen. Dieses Potential ermöglicht auch dezentrale und kleinteilige Lösungen wie Mikro-Energie-Systeme, um strukturschwache Gebiete, die heute von einer ausreichenden Energieversorgung abgeschnitten sind, gemäß den lokalen Bedürfnissen schneller, sicherer und überdies weitaus preiswerter (Mikro-Finanzierung) zu versorgen als bisher. Dies betrifft rund zwei Milliarden Menschen insbesondere in den Ländern des Südens, die damit größere Chancen auf eine nachhaltige Entwicklung bekommen.

Ein Epochenwandel ist nötig und möglich

Neben den hier angeführten Maßnahmen, die heute bereits realisierbar sind, ist mittelfristig eine grundlegende Veränderung der global vorherrschenden Wirtschafts- und Lebensweise unabdingbar. Von vielen mag dies als »unrealistisch« angesehen werden.

Wir setzen aber zum einen darauf, dass die notwendigen Veränderungen politischer Natur und damit auch politisch durchsetzbar sind – in Deutschland z.B. gegen die großen Energie-Konzerne. Hier ist besonders die regionale Ebene angesprochen. Auch auf internationaler Ebene ist dies möglich, wenn die Entscheidungen treffenden Organisationen demokratisch aufgebaut und nicht unter einem nach der Wirtschaftskraft der beteiligten Länder abgestuften Einfluss stehen wie heute z.B. WTO und Weltbank. Weltweit gibt es zum anderen vielfältige Organisationen bzw. Bewegungen aus der Zivilgesellschaft, die sich zunehmend international vernetzen und vielfältige Formen des Wirtschaftens entwickeln oder schon praktizieren. Die heute noch dominierende neoliberal-kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise ist keineswegs alternativlos und schon gar nicht eine Art »Naturgesetz«; sie ist im globalen Maßstab erst durch politische Entscheidungen in den letzten Jahrzehnten ermöglicht worden und im übrigen erst rund 250 Jahre entfaltet in Betrieb. Große Länder des Südens haben in den letzten Jahren begonnen, sich von der Vorherrschaft dieses, die »Globalisierung« beherrschenden, Wirtschaftssystems zu lösen und Alternativen zu entwickeln.

Im Bereich Energie und Klima ist es besonders deutlich, dass die Naturgesetze und die stofflichen Restriktionen in einer endlichen Welt nicht verhandelbar sind, im Gegensatz zu ökonomischen, politischen und sozialen Systemen und Regeln. Hierauf sollte sich unser »Realismus« beziehen. Technik und Naturwissenschaft sind zu vielen großartigen Leistungen in der Lage, aber dauerhaft nur in »Allianz« (Ernst Bloch) mit der Natur. Viele Naturwissenschaftler neigen dazu, die »Machbarkeit« ihrer Visionen unabhängig von den praktischen Lebens-Bedingungen zu sehen, sich damit zu überschätzen und die durch die Realisierung verursachten Probleme für Mensch und Natur zu verdrängen. Auch die Technik hat gerade im Energiebereich Heilsversprechen abgegeben, die durch die Katastrophe in Tschernobyl bezüglich der Frage der technischen Sicherheit, insgesamt durch die heute deutlich gewordenen nicht intendierten negativen Folgen für die Natur und den Frieden widerlegt wurden. Naturwissenschaft und Technik sind also mit verantwortlich für die sich abzeichnende Krise im Energiebereich.

Nach diesen Erfahrungen steht es Naturwissenschaftlern und Technikern gut an, wieder mehr Realismus an den Tag zu legen, der seit jeher professioneller Standard von Naturwissenschaftlern und besonders von Ingenieuren ist. Das bedeutet auch, die hinter den angeblichen »Sachzwängen« der Ökonomie stehenden Interessen und die Ideologien der herrschenden neoliberalen Lehre nüchtern an den stofflichen Bedingungen zu messen.

Das zentrale Paradigma hinter den herrschenden ökonomischen »Gesetzen« ist das »Wachstum«, von dem die Lösung aller sozialen Probleme erwartet wird. Hier setzen wir aus naturwissenschaftlicher Sicht an:

Beendigung des Wachstums-Paradigmas

Auf die natürlichen »Grenzen des Wachstums« hat seit 1973 u.a. der Club of Rome hingewiesen. In vielen Punkten haben wir heute die Grenzen des materiellen Wachstums bereits überschritten. Die Vorstellung, dass die materielle Produktion sich weiterhin weltweit in Form der bisherigen Exponentialfunktionen steigern lässt, widerspricht grundlegenden Naturgesetzen und der Tatsache der Endlichkeit der Ressourcen. Das bisherige ökonomische Modell der Industrienationen ist also aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht global übertragbar und trägt die Logik des Misslingens in sich.

Es gilt daher, aus der bisherigen kapitalistisch geprägten Wachstums-Ökonomie auszusteigen und Modelle sozial und ökologisch angepasster Ökonomien und Techniken zu entwickeln. Solche Modelle werden beispielhaft bereits in einzelnen Ländern realisiert und müssen in internationaler Kooperation gestaltet werden, nicht in Konkurrenz der Länder und Menschen gegeneinander. Das heißt auch, dass in den bisherigen Industrieländern eine radikale Reduzierung der Inanspruchnahme energetischer und stofflicher Ressourcen erforderlich ist, um den Ländern des Südens die Möglichkeit zu geben, ihre materiellen Lebensverhältnisse zu verbessern – was ohne eine sinnvolle Steigerung der ihnen zur Verfügung stehenden Energie-Dienstleistung nicht möglich sein wird.

Weichenstellung zwischen ungesteuertem »Weiter so« oder bewusster Gestaltung der Zukunft

Nach wie vor wird von einem Großteil der politischen und wirtschaftlichen »Eliten« in den meisten Ländern die kapitalistische Wachstums- und Konkurrenz-Ökonomie für alternativlos gehalten. Der Glaube an den »Technischen Fortschritt«, der durch Wettbewerb und Markt angetrieben und damit im Sinne dieser Ökonomie und der hinter ihr stehenden Interessen geformt wird, konnte nur so lange halten, wie scheinbar unerschöpfliche Quellen der Natur zur Verfügung standen. 1986, als durch das Unglück von Tschernobyl das Scheitern des Technik-Optimismus deutlich wurde, der mögliche Folgen schlicht verdrängt, schien eine kurze Zeit lang wenigstens in einigen Ländern die Politik durch die erklärte Absicht zum Ausstieg aus der Atomenergie zu reagieren. Auch die wachsende Kenntnis von den ökologischen Folgewirkungen förderte Überlegungen, die bewusste Gestaltung des »Technischen Fortschritts« durch die Gesellschaft zum Programm zu machen.

Seit 1989/90 aber lässt sich die Politik von einer Wirtschaft mehr und mehr dominieren, die »die Märkte« zur maßgeblichen Orientierungsgröße und die ökonomische Konkurrenz zwischen Menschen und Nationen zum einzigen Antrieb machen will. Damit wird aber lediglich der uralte Kampf um die begrenzten Naturschätze verschärft, in dem heute die fossilen und nuklearen Energieträger eine zentrale Rolle spielen. Durch die ökologischen Folgewirkungen und die heutigen Möglichkeiten der Militär-Technik im atomaren, biologischen und chemischen Bereich kann dieser Kampf allerdings bis zur Vernichtung der Menschheit eskalieren.

Gegen dieses Szenario setzen wir die verantwortungsbewusste Gestaltung der Technik und des gesellschaftlichen Lebens auf der Basis nachhaltiger Entwicklung, die das ökologische und soziale Element vorrangig berücksichtigt und die Ökonomie daran anpasst. Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie sind für die Menschen da, nicht umgekehrt. In dieser Phase der Geschichte wird von uns weltweite Nachdenklichkeit, Kreativität, Mut und Tatkraft verlangt, um international und lokal zu handeln.

Epochenwandel als Chance

Die notwendige säkulare Trend-Umkehr eröffnet die Chance, in den bisherigen Industrienationen Fehlentwicklungen der Wirtschaft zu korrigieren und gleichzeitig in den armen Nationen sozialen Wohlstand zu erzeugen, der von Anfang an unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit aufgebaut wird. Hat sich bisher der Wohlstand der reichen Nationen aus ihrer Ausbeutung der fossilen Rohstoff- und Energiequellen gespeist, wird ein künftiger Wohlstand für alle Menschen auskommen müssen mit dem, was die Erde uns an knappen Rohstoffen liefern kann und was wir durch die Einstrahlung der Sonne täglich an Energie geliefert bekommen.

Die Erkenntnis, dass die Ressourcen und damit auch die technischen Möglichkeiten begrenzt sind, kann innovative gesellschaftliche Dynamiken entfalten, die durch weltweite Verständigung über das Notwendige und Wünschenswerte gefördert werden. So kann eine Wissenschaft und Technik realisiert und finanziert werden, die sich mit den sozialen und ökologischen Zielen der »Nachhaltigkeit« organisch verbindet, indem sie außer Produktion und Konsum auch die Quellen der Ressourcen einbezieht und die möglichst weitgehende Rückführung der Güter in den natürlichen Kreislauf systematisch sowie regional und ökonomisch differenziert organisiert. Hier wird sich erweisen, ob unsere Zivilisation mit all ihrer Wissenschaft und Technik ihren Namen verdient und die Herausforderung annimmt, vor die uns die sich abzeichnende Energie- und Klima-Krise stellt

Widerstand gegen Ressourcenaneignung

Widerstand gegen Ressourcenaneignung

von Martin Zint

Am 10.11.1995 wurde der nigerianische Schriftsteller Ken Saro Wiwa in Port Harcourt, Nigeria, gehängt und mit ihm acht seiner Mitstreiter von MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People). Es waren kaltblütige Morde mit Hilfe der nigerianischen Justiz, die auf diese Weise korrupte Politiker und unverantwortliche Manager schützte. Ken Saro Wiwa hatte die Zerstörung seiner Heimat, des Niger-Deltas, und das Leiden seines Volkes, der Ogoni, unter den Folgen der Ölförderung zum Gegenstand seiner literarischen Arbeit gemacht. Dadurch gerieten die desaströsen Bedingungen, unter denen Erdöl produziert wird, in den Blick einer interessierten internationalen Öffentlichkeit.

Genau zu dieser Zeit wurden die Pläne der Firma ESSO1 bekannt, Ölfelder im zentralafrikanischen Tschad zu erschließen. Auch im Tschad war und ist die Menschenrechtssituation erschreckend. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 haben sich im Tschad verschiedene Präsidenten mit Gewalt an die Macht gebracht und diese mit brutaler Gewalt behauptet. Als in den 1990er Jahren nach einer vordergründigen Demokratisierungsphase eine Verbesserung der Lage erwartet wurde, überschrieb Amnesty International im Jahr 1993 seinen Bericht zur Lage im Tschad: „Der Alptraum geht weiter.

In diesem Umfeld wollte ein Konsortium aus den Firmen ESSOMobil, elf und Shell 3,4 Milliarden US$ investieren, und zwar für ca. 300 Bohrlöcher und eine 1.070 Kilometer lange Pipeline aus dem Dorf Komé im Süden des Tschad an die Atlantikküste Kameruns – die erste Pipeline aus Zentralafrika an die Westküste Afrikas.

Das Tschad/Kamerun Erdöl- und Pipelineprojekt (TKEPP) ist ein Beispiel für den Versuch zivilgesellschaftlicher Gruppen, Einfluss auf ein industrielles Großprojekt zu nehmen. Seit den 1990er Jahre hatten sich die sozialen Bewegungen professionalisiert. Methoden der Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und politischer Lobbyarbeit wurden zu zielgerichteten Kampagnen gebündelt. Nichtregierungsorganisationen (NRO) versuchten auf verschiedenen Ebenen, politische Prozesse zu steuern. Dies war u. a. eine Reaktion auf eine zunehmende Privatisierung des politischen Handelns. Wichtige Entscheidungen über die Lebensbedingungen der Bewohner eines ganzen Landes werden von den Managern privater Konzerne gefällt. Dadurch und durch den Zerfall staatlicher Strukturen in einigen Ländern Afrikas gingen Regierungen als verantwortliche Ansprechpartner verloren. An ihre Stelle traten in manchen Bereichen privatwirtschaftliche Unternehmen und zwischenstaatliche Organisationen, zuvorderst die internationalen Finanzinstitutionen.

Weltbank im Boot der Ölmultis

3,4 Milliarden US$ Investitionssumme für das TKEPP bedeuten die bisher größte privatwirtschaftliche Investition im subsaharischen Afrika. Privatbanken hatten abgewunken, die Risiken schienen ihnen zu groß. Da beschloss ESSO, die Weltbank ins Boot zu holen.2 Die letztlich gewährten 150 US$ Weltbankkredit (0,04%) erscheinen zwar angesichts der Gesamtsumme sehr gering. Bedeutsam ist aber die Tatsache, dass die Weltbank überhaupt finanziell in das Projekt involviert ist. Als Projektbeteiligte wacht sie darüber, dass die Projektvereinbarungen eingehalten werden. Damit ist das Konsortium u.a. faktisch gegen Enteignung geschützt, zumindest solange die Regierung des Tschad die Kooperation der Weltbank braucht. Die Verwendung von Mitteln aus dem Armutsbekämpfungsfonds der Weltbank für die Absicherung des wirtschaftlichen Risikos einer Privatfirma stellt allerdings einen Missbrauch dar. „Sozialhilfe für Ölmultis“ nannte der amerikanische Environmental Defense Fund die Kredite.

Weltbank und Konsortium konterten durch die Betonung der Chancen zur Armutsbekämpfung, die mit dem Projekt verbunden sein sollten. Weltbank und Exxon Mobil wollten aus dem TKEPP ein Modellprojekt für Armutsbekämpfung in öffentlich-privater Partnerschaft machen. Die steile Rhetorik bot weitere Ansatzpunkte für die Arbeit der NROen. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen setzten gewisse Hoffnungen auf das Engagement der Weltbank. Deren Richtlinien führten immerhin auch einige umweltschutz- und entwicklungsorientierte Aspekte in das Gesamtprojekt ein.

Ziviler Widerstand vor Ort

Im Jahr 1997 waren in der Ölregion im Tschad unter dem Vorwand der Rebellenbekämpfung mehrere hundert Menschen von staatlichen Sicherheitskräften umgebracht worden. Es brauchte viel Mut, um unter diesen Umständen den Widerstand gegen die Art und Weise, in der das TKEPP betrieben wurde, zu organisieren. Die internationalen Unterstützer bemühten sich deshalb besonders um Schutz für die lokalen Akteure. Dazu wurden die Kommunikationsmöglichkeiten verbessert. Die Spende einer deutschen Kirchengemeinde erlaubte einer kleinen Organisation, der »Association Tchadien pour La Non-Violence/ATNV«, die Anschaffung eines Faxgerätes. Diese lokale Menschenrechtsorganisation schulte Bewohner der Ölregion in Methoden der Menschenrechtsbeobachtung. So entstanden beweiskräftige Protokolle über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die per Fax direkt an die Unterstützer weltweit verschickt werden konnten.

Lokale Militärkommandanten mussten plötzlich damit rechnen, dass ihre Verbrechen bekannt wurden. Als im März 1997 dreiundzwanzig Gläubige und der Priester bei der Frühmesse in der Kathedrale von Moundou (Süd-Tschad) überfallen und verschleppt wurden, waren die internationalen Partner um 8:00 Uhr darüber informiert und forderten die Weltbank und die eigenen Regierungen zum Handeln auf. Schon gegen 12:00 Uhr lagen die ersten internationalen Reaktionen in N’Djaména vor, darunter die des Vatikans. Am frühen Nachmittag wurden die noch lebenden Entführungsopfer in Moundou freigelassen.

…und mit internationalen Strukturen

Damit solche Aktionen rasch und zuverlässig geschehen konnten, waren hauptamtliche Strukturen nötig, die in Deutschland, Kamerun und dem Tschad mit Finanzierung der Hilfswerke Brot für die Welt, MISEREOR und des Friedensdienstes EIRENE geschaffen wurden. Die NRO-Vertreterinnen (Frauen spielten dabei eine zentrale Rolle, vor allem im Tschad) schauten sich zunächst an, wer in dem Projekt Interessen verfolgt und welche Zugänge es zu diesen »Stakeholders« gibt.

Da waren zunächst die drei Ölfirmen, die sich im Konsortium zusammengeschlossen hatten, die französische Staatsfirma Elf Aquitaine, die niederländische Royal Dutch Shell plc und ESSO als Konsortialführer (operator). Zumindest zu den europäischen Firmen sollte ein Zugang möglich sein, zumal die Ölkonzerne u.a. durch die Brent-Spar-Affäre3 und die Ermordung Ken Saro Wiwas unter starkem Legitimierungsdruck standen. Elf und Shell zogen sich dann auch 1999 aus dem Projekt zurück und wurden durch Chevron und PETRONAS ersetzt. Welche Gründe für den Rückzug ausschlaggebend waren, wurde nicht öffentlich bekannt. Shell hatte aber schon 1998 in einem Brief an die AG Erdöl angekündigt, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, wenn sich die Menschenrechtssituation im Tschad nicht verbessern sollte. Die Vermutung liegt nahe, dass zwei europäische Konzerne, die sich nicht den Unwillen der Verbraucher zuziehen wollten, gegen zwei Konzerne ausgetauscht wurden, denen die Reaktionen sensibilisierter europäischer Verbraucher egal sind.

Noch zu einem weiteren Akteur, der Weltbank, hatten die deutschen Gruppen, wie andere europäische und US-amerikanische Organisationen auch, eine Zugangsmöglichkeit. Die in das Projekt involvierten Internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, International Finance Corporation) werden von der deutschen Bundesregierung als Anteilseigner mit gestaltet und kontrolliert. Als wenig zugänglich erwiesen sich die Regierungen Kameruns und des Tschad.

Mit dieser Struktur konnten die zivilgesellschaftlichen Gruppen in Kamerun und im Tschad verlässliche Informationen an die Partnerorganisationen weltweit liefern. Diese nutzten das Material zur Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Umgekehrt lieferten die internationalen NROen Informationen an ihre lokalen Partner.

Erste Erfolge im Vorfeld des Pipelinebaus

Einen ersten Eindruck von der Effektivität dieser Strategie bekamen Konsortium, Weltbank und Regierung des Tschad im Januar 1998. Brot für die Welt hatte in Donia, einem Marktflecken im Ölfördergebiet, eine Konferenz finanziert. Dort kamen erstmals alle Akteure an einen Tisch, korrekter ausgedrückt: in den Saal einer katholischen Missionsstation. Dabei waren NRO-Vertreter und Journalisten aus Nigeria, Kamerun, Europa und den USA. Sie trafen auf etwa 100 Vertreter lokaler Gruppen. In Arbeitsgruppen zu Einzelthemen hatten sie die Umweltverträglichkeitsstudie durchgearbeitet, die Esso vorgelegt hatte. Diese enthielt unter anderem eine Liste von 64 Dörfern, deren Bewohnern konsultiert worden seien. Ein Mann meldete sich zu Wort und stellte sich als Bürgermeister eines der Dörfer vor, das in dieser Liste genannt würde. Er könne sich an keine Konsultation erinnern. Es seien wohl mal zwei Jeeps vorbeigekommen. In einem hätten Soldaten gesessen, in dem anderen eine weiße Frau. Sie habe erklärt, dass hier Öl gefördert werden solle, und gefragt, ob wir was dagegen hätten. „Wir wissen, was wir in Gegenwart von Soldaten zu sagen haben“, sagte der Bürgermeister, „auf keinen Fall etwas, was den ESSO-Leuten nicht gefallen könnte.“

Ein Bauer meldete sich zu Wort und verwies auf ein bereits im tschadischen Parlament verabschiedetes Gesetz, nach dem ESSO für jeden Mangobaum, den es für ein Bohrloch oder die Pipeline fällt, 3.000 CFA (4,58 Euro) Entschädigung zahlen muss. „Meine Mangobäume bringen pro Ernte einen Ertrag von ca. 50.000 CFA pro Baum, bei zwei Ernten im Jahr“, erklärte der Bauer. „Was soll ich da mit 3.000 CFA?“

Für die Firma ESSO-Tschad waren solche Aussagen desaströs, da die Konsultation der Betroffenen und angemessene Entschädigungen zu den Richtlinien der Weltbank gehören. Eine Vertreterin der deutschen Umweltschutzorganisation »urgewald« informierte bei der Konferenz über diese Richtlinien der Weltbank sowie über die Rechte, die betroffene Bürger auch gegenüber dieser Institution haben. Dazu gab es einen Leitfaden, wie genau man diese Rechte praktisch wahrnimmt. In der Region leben auch einige Akademiker, die nach einem Studium mangels Alternativen in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Zum großen Erstaunen der Vertreter des Konsortiums waren diese in der Lage, die komplizierten Studien zu beurteilen. Ihre Erkenntnis: Es handelt sich um reine Literaturstudien, die mit der Realität der Region nicht viel zu tun haben. „ESSO muss seine Hausaufgaben neu machen!“ titelte die größte Zeitung des Landes nach der Konferenz von Donia.

Durch die Präsenz von Vertretern internationaler Medien wurde auch in Europa und den USA berichtet. Einmal mehr erwies sich die enorme Bedeutung von Bildern und Symbolen für die politische Arbeit, denn in keinem Bericht fehlte die Geschichte vom Mangobaum. Innerhalb eines Jahres legte ESSO 19 weitere Studien vor, und die Entschädigungsleistungen wurden neu verhandelt. Die Weltbank richtete eine Internationale Beratergruppe ein, die den Fortgang des Projektes regelmäßig beobachten sollte, und als »Sahnehäubchen« ließ sich die Regierung des Tschad darauf ein, ein weltweit einmaliges Gesetz zu erlassen. In diesem Gesetz über die Verwendung und Kontrolle der Öleinnahmen (Gesetz #001/99) wurde festgelegt, dass 80% der Öleinnahmen für prioritäre Sektoren der Armutsbekämpfung ausgegeben werden, 15% in einen Fonds für zukünftige Generationen eingezahlt werden und 5% der Förderregion direkt zugute kommen.

…und neue Probleme nach dem Baubeginn

Der 6. Juni 2000 markiert einen Wendepunkt des TKEPP. Das Direktionsgremium der Weltbank akzeptierte das Projekt, und das Konsortium begann sofort mit den Bauarbeiten. Für die mit dem Projekt befassten NROen änderte sich die Zielsetzung. Bis zum letzten Moment hatte man auf verschiedenen Wegen versucht, Verbesserungen im Projektdesign und Garantien dafür zu erreichen. Ab sofort galt es nur noch, die bescheidenen Erfolge zu verteidigen. In der Praxis bedeutete das, von der Lobbyarbeit auf das Monitoring umzustellen. Das ursprüngliche Ziel, die Menschen der Region vor Krieg und Menschenrechtsverletzungen zu bewahren, rückte wieder in den Mittelpunkt.

Die Internationale Beratergruppe4 (International Advisory Group/IAG) nahm im Sommer 2001 ihre Arbeit auf. Sie stellte rasch fest, dass das Projekt in „zwei Geschwindigkeiten“ voranschreitet. Während die Bauarbeiten in einem raschem Tempo voranschritten, schleppten sich die flankierenden Maßnahmen zur Abfederung der Folgen oder zur Einbindung der Bevölkerung in die wirtschaftliche Entwicklung sehr langsam dahin. Die Berichte der IAG haben reinen Empfehlungscharakter, sind aber eine gute Dokumentation der Fakten rund um das Projekt und damit eine glaubwürdige Quelle für kritische Nachfragen.

Der »Ressourcenfluch«

Seit dem 10. Oktober 2003 fließt das Öl aus dem Tschad. Seitdem ist das Land ein weiteres Beispiel für den so genannten Ressourcenfluch. Er bezeichnet das Phänomen, dass Ressourcenreichtum in den Förderländern anscheinend zwangsläufig zu autoritären Regimen und zu wirtschaftlichem Niedergang führt.5 Pünktlich mit Beginn der Ölförderung kam es im Tschad zu Engpässen in der Energieversorgung, die Zahlungsschwierigkeiten des Staates verschärften sich und damit auch die innenpolitischen Spannungen. Die Zahl der bewaffneten Rebellenbewegungen nahm sprunghaft zu. Der Konflikt im benachbarten Darfur, der Heimatregion des derzeitigen Präsidenten Déby, verschärfte die Situation weiter. Die Massaker im Sudan setzten Präsident Déby unter den Druck seiner eigenen Ethnie, der Zaghawa. Sie werfen ihm mangelnde Hilfe gegen die Angriffe durch Milizen vor, die von der sudanesischen Regierung unterstützt werden. Im Dezember 2005 liefen große Teile seiner Präsidentengarde zu den Rebellen über, darunter mehrere Generäle.

Die Regierung warf der Weltbank, der Zivilgesellschaft und dem Konsortium vor, die wirtschaftliche Misere des Landes durch den restriktiven Umgang mit den Ölgeldern verursacht zu haben. Am 29. 12.2005 änderte das Parlament das Gesetz über die Verwendung der Öleinnahmen und kippte damit den Grundstein des so genannten Modellprojektes. Auf diplomatischer Ebene setzte hektische Betriebsamkeit ein. Am 6. Januar 2006 kündigte die Weltbank an, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Tschad suspendiert und Kredite im Wert von 124 Million US$ einfriert. Trotzdem unterschrieb Präsident Déby am 11.1.2006 das neue Gesetz und setzte es in Kraft. Damit löste er den Fonds für zukünftige Generationen auf. Ab sofort konnten Ölgelder auch für die Bereiche nationale Sicherheit und allgemeine Verwaltung ausgegeben werden. Die Weltbank stand vor dem Scherbenhaufen ihres Modellprojektes.

Für den 3. Mai 2006 waren im Tschad Präsidentschaftswahlen angesetzt. Um für eine dritte Amtszeit kandidieren zu können, hatte der amtierende Präsident Déby die Verfassung ändern lassen. Am 26. April 2006, eine Woche vor den Wahlen, gab die Weltbank bekannt, dass sie sich mit der Regierung des Tschad über eine Fortsetzung der Zusammenarbeit geeinigt habe. Der volle Text der Vereinbarung ist nicht bekannt. Die Weltbank teilte lediglich mit, dass 70% der Öleinnahmen in die prioritären Sektoren der Armutsbekämpfung fließen sollen. Militärausgaben dürfen nach Angaben der Weltbank nicht aus den Öleinnahmen bestritten werden.

Die Opposition boykottierte diese Wahlen fast geschlossen. Unabhängige Wahlbeobachter stellten eine extrem geringe Beteiligung an den Wahlen fest sowie gravierende Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung. Das von Präsident Déby ernannte Verfassungsgericht kam zu der Ansicht, Déby habe 64,67% der Stimmen erreicht. Damit blieb es weit hinter dem Ergebnis der »unabhängigen« Wahlkommission zurück, die die Wahlen organisiert hatte. Sie hatte Déby bereits mit 77,53% zum Sieger erklärt. Oppositionspolitiker nannten das eine Farce, die sie nicht anerkennen. Frankreich und die USA erkennen das Wahlergebnis allerdings an. Präsident Déby gilt damit für weitere fünf Jahre als legitimer Präsident der Republik Tschad.

Trotz der guten Dokumentation sind die Einschätzungen des TKEPP sehr kontrovers. Weltbank- und Industrievertreter sehen weiter ein Modellprojekt. Noch nie habe die Zivilgesellschaft so viel Einfluss auf das gesamt Design eines solchen Projektes gehabt. Zentrale Forderungen seien im Tschad Gesetz geworden, viele Förderprogramme in Arbeit, insbesondere für die Ölregion. Internationale Spezialisten kümmern sich unter Einsatz von viel Geld um den Aufbau effektiver Verwaltungsstrukturen.

Armutsbekämpfung nach wie vor mangelhaft

Nur, der Einfluss der NROen reichte bei weiten nicht aus, um aus dem Projekt ein Vorhaben zu machen, dass die Rechte der Betroffenen wahrt. Das im Gesetz über die Verwendung der Öleinnahmen vorgesehene Kontrollgremium funktioniert zwar und legt aussagekräftige Berichte vor.6 Die belegen eindrucksvoll, wie Ölgelder veruntreut werden. In jedem anderem Land würde sich die Justiz der Fälle annehmen. Seit der Veröffentlichung des besonders brisanten Berichtes zum Jahr 2004 ist bis heute jedoch noch nicht eine Person zur Rechenschaft gezogen worden.

Das Inspection Panel, die Inspektionsinstanz der Weltbank, hat sich zweimal mit dem TKEPP befasst. Die entstandenen Berichte sind eindrucksvolle Dokumente, wie unvorteilhaft für die Betroffenen die Weltbank ihre Arbeit verrichtet. Das vernichtende Urteil des Inspection Panel, „unter den gegebenen Verhältnissen wird das Projekt auf absehbare Zeit nicht zur Armutsbekämpfung beitragen“,7 konterte der damalige Weltbankpräsident Wolfensohn mit der Bemerkung, diese Feststellung komme viel zu früh, die Ölförderung sei auf dreißig Jahre angelegt. Da könne sich noch viel tun.

Die Diskussion zum TKEPP hat die Gesamtdiskussion um die Problematik der extraktiven Industrien belebt und die Weltbank veranlasst, ihre Politik in diesem Bereich zu evaluieren. Am Extractive Industries Review Process8 (EIR, 2001–2003) wirkten auch NRO-Vertreter aus dem Bereich des TKEPP mit. Der Abschlussbericht enthält einige sehr wichtige Empfehlungen, so z.B. die Erkenntnis, dass funktionierende staatliche Strukturen Voraussetzung sind, damit Ressourcenproduktion armutsbekämpfend und entwicklungsfördernd wirksam werden kann. Alle Versuche, diese Strukturen mit den Einnahmen aus der Ressourcenvermarktung aufzubauen, wie im Falle des Tschad, sind bisher gescheitert. Norwegen bspw. füllt seine Rentenkasse mit Öleinnahmen. Aber dort wird von den Regierenden Rechenschaft über die effektive Verwendung der Öleinahmen gefordert. Das schafft Zufriedenheit bei den Wählern und nicht Putschgelüste. Stärkerer Druck der internationalen Gemeinschaft könnte vielleicht wirksam sein. Reiseverbote für Despoten und ihre Familien wären eine weitere Möglichkeit, um Einfluss zu nehmen9. Dazu gehört auch das Einfordern demokratischer Standards, statt offenkundigen Betrügereien ein legitimatorisches Mäntelchen umzuhängen.

Das TKEPP macht außerdem klar, dass Einheimische keine lästigen Störenfriede sind, sondern Experten für ihre eigenen Belange. Gut ausgebildete und engagierte Betroffene können viel zur Entwicklung ihrer Region beitragen, wenn es gelingt, sie aus der Arbeitslosigkeit zu holen. Eine Lösung könnte ein von den Ölfirmen alimentierter Fonds sein, aus dem die Kosten für die Abfederung sozialer Nebenwirkungen der Projekte finanziert werden. Leider werden aber bisher auch hier die Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.

Großprojekte mit weit reichenden Auswirkungen auf die sozialen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse müssen von möglichst demokratisch legitimierten Gremien begleitet werden, deren Ergebnisse für die Beteiligten verbindlich sind. Das verlangt eine funktionierende nationale und internationale Gerichtsbarkeit.

»Good Governance« ist die Voraussetzung, damit wirtschaftliches Engagement armutsmindernd wirksam werden kann. Diese Erkenntnis aus dem Abschlussbericht des EIR-Prozesses muss ernst genommen werden. Good Governance lässt sich nicht nachträglich herstellen, das Beharrungsvermögen der Machthaber an der sprudelnden Geldquelle ist erwiesenermaßen zu groß.

Deshalb werden wir Öl-Verbraucher im Norden die bestehenden Probleme solange weiter verschärfen, wie wir bereit sind, jeden Preis für unsere »Droge« Öl zu bezahlen. Geld alleine löst keine Problem, es schafft sie eher.

Literatur

Martin Petry: Wem gehört das schwarze Gold? Engagement für Frieden und Gerechtigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Erdölprojekt Tschad/Kamerun, Brandes & Apsel, Frankfurt 2003

Barbara Dietrich, Tschad: Hirse, Schwarzes Gold und Menschenrechte, Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 29, 1998; www.erdoel-tschad.de

Anmerkungen

1) Die Tochterfirma von ExxonMobil im Tschad firmiert als »ESSO Exploration and Production Chad Inc.«, kurz ESSO, www.essochad.com.

2) Noel K. Tshiani: Rede bei der Weltbank-Evaluierungskonferenz 10/2005 in N’Djaména, Bericht der AG-Erdöl 2005.

3) Geplante Verschrottung einer Bohrinsel durch Versenken in der Nordsee (Shell).

4) www.gic-iag.org.

5) Siehe unter anderen: Terry Lynn Karl: The Paradox of Plenty (Oil Booms and Petro-States), 1997-09-01, Studies in International Political Economy , No 26; Michael Ross: A Closer Look at Oil, Diamonds, and Civil War, Department of Political Science, University of California, Los Angeles, 2006.

6) www.ccsrp.td; leider ist der Jahresbericht 2004 nicht online verfügbar, liegt aber dem Autor in französisch vor und kann über m.zint@zintweb.de angefordert werden.

7) The Inspection Panel: Investigation Report – Chad-Cameroon Petroleum and Pipeline Project (Loan No. 4558-CD), Weltbank, 17.07. 2002.

8) www.eireview.org/.

9) Brahim Déby, Sohn des Präsidenten Idriss Déby, wurde am 4.6.06 von einem Pariser Gericht wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitz zu sechs Monaten Gefängnis und 2.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Aber er darf in Frankreich bleiben.

Martin Zint ist Journalist und Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Erdölprojekt Tschad-Kamerun.

Energie und Entwicklung

Energie und Entwicklung

von Noara Kebir

Wachsender Energiebedarf einer Nation wird in herkömmlichen volkswirtschaftlichen Betrachtungen gerne mit einer positiv konotierten volkswirtschaftlichen Entwicklung in Verbindung gebracht. So wird der Energiehunger aufstrebender »Tigernationen« wie Indien, China und Thailand zwar in Hinsicht auf verknappende globale Ressourcen mit Verunsicherung, bis hin zu kriegerisch militärischen Vorsorgemaßnahmen, begleitet, doch das dem zugrunde liegende Wirtschaftssystem und die damit einhergehende monopolistische, auf verknappende Ressourcen basierende Energiepolitik bleibt unangetastet: Auch wenn die USA im Irak die eigenen Öl-Interessen sichern möchten, ändert das nichts daran, dass das amerikanische Idealbild eines irakischen Marktes eine 24-Stunden leuchtende, 4×4-Ranger-fahrende Nation ist. Dieses Szenario basiert ganz wesentlich auf der Verknappung von Ressourcen und einem fruchtbaren Wettbewerb um diese, setzt aber gleichzeitig eine Riege von Verlierern voraus. Was passiert aber, wenn die »Verlierer« sich entscheiden, auf ein anderes Prinzip zu setzen?

Die Situation der ärmeren Entwicklungsländer spiegelt die Folgen der Ölpreissteigerungen sehr deutlich: So entsprach die Höhe der weltweiten Mittel für Entwicklungshilfe schon im Jahr 2003 (ca. 54 Mrd US$ ) relativ genau den Mehrausgaben der Entwicklungsländer für den gestiegenen Ölpreis (ca. 60 Mrd. US$). Dieser wird bekanntlich seither noch um einige Dollars mehr pro Barrel gehandelt. Die Konsequenzen sind besonders für Menschen in strukturschwachen Regionen sehr deutlich spürbar. So ist der Preis für Diesel in den abgelegenen Regionen Tanzanias im letzten Jahr von 0,4 Euro auf 0,8 Euro pro Liter gestiegen. Vor dem Hintergrund einer Bevölkerungsmehrheit, die mit weniger als 1 Euro pro Tag auskommen muss, bedeuten solche Preissteigerungen eine elementare Energiekrise.Die Preisexplosion versperrt für Viele den Zugang zur täglich notwendigen Energie, vom Transport bis hin zur Nahrungsmittelzubereitung und Beleuchtung.

An diesem Beispiel wird die besondere Bedeutung von Erneuerbaren Energien für die Entwicklungsländer deutlich: Sie können dezentral eingesetzt werden und basieren auf lokalen Ressourcen. Sie bieten den Menschen die Möglichkeit einer Entwicklung unabhängig von globalen Märkten und monopolistischem Machtgezerre.

Eines der zentralen Probleme besteht jedoch darin, dass diese Technologien zum jetzigen Zeitpunkt durch ihren hohen Innovationsgehalt merklich höhere Investitionskosten verursachen als die konventionellen Technologien. Das führt dazu, dass Erneuerbare Energien gerade von Menschen in Entwicklungsländern, die in der Regel einen schlechten bis gar keinen Zugang zu Finanzinstitutionen haben, äußerst schwer einzusetzen sind; es sei denn, man greift auf bestimmte System-immanente Mechanismen zurück. Genau das tut Grameen Shakti in Bangladesh und ist damit einer der erfolgreichsten Vertreiber von Solar-Home-Systemen weltweit. Das Unternehmen verkauft Photovoltaik, eines der teuersten Energiesysteme, an Haushalte im ländlichen Bangladesh, einer der ärmsten Regionen der Welt.

Der Mikroenergiesektor

Zum besseren Verständnis der Erfolge von Grameen Shakti und anderer ähnlich operierender Unternehmen, lohnt sich ein genauerer Blick auf den so genannten Mikroenergiesektor; ein Sektor, der für viele Entwicklungsländer typisch ist und eine hervorragende Grundlage für die Verbreitung erneuerbarer Energien liefert:

Der Mikroenergie-Sektor fängt dort an, wo das elektrische Netz – und damit der klassische Energiesektor – aufhört. In Bangladesh leben über 70 Prozent der Menschen in diesem Sektor, dass heißt: Ohne Zugang zu moderner Elektrizitätsversorgung. Weltweit betrifft das etwa zwei Milliarden Menschen.

Auch wenn diese Orte netzfern sind, stellt sich immer wieder heraus, dass im Mikroenergie-Sektor ein bedeutender Handel mit Energie stattfindet, die Haushalte zunehmende Energiekosten haben und auch bestimmte Energietechnologien an Bedeutung gewinnen.

Der zunehmende Handel mit Energie in den ländlichen Regionen hängt zum einen damit zusammen, dass die traditionell eingesetzte Biomasse mittlerweile so knapp geworden ist, dass die Allgemeinheit nur noch in wenigen Regionen einen freien Zugang zu den Biomasseressourcen, insbesondere Holz, hat. Die meisten Menschen müssen ihre Biomasse käuflich erwerben. Weiterhin haben Energieträger aus dem »kommerziellen« klassischen Energiesektor auch in diesen Regionen an Bedeutung gewonnen: Mit Kerosin oder Petroleum werden unzählige Lampen betrieben und mit Dieselgeneratoren kleine Inselnetze mit Elektrizität versorgt. Mit Hilfe von Autobatterien und ähnlichen Akkumulatoren wird die Elektrizität gespeichert und zu Orten transportiert, die oft Tagesreisen entfernt liegen.

Mit Kerosin werden in den ländlichen Regionen Bangladeshs sowie vieler anderer Entwicklungsländer vorwiegend Lampen betrieben. Die Lampen dienen nicht nur der Beleuchtung der inneren Räume im Haus. Zahlreiche Händler nutzen diese Lampen, um nach Sonnenuntergang ihr Geschäft zu beleuchten. Kerosin bekommt aber auch in den Regionen, in denen es gar kein Holz mehr gibt, eine zunehmende Bedeutung als Brennstoff zum Kochen.

Da es außerhalb der Hauptachsen in den großen Städten keine Straßenbeleuchtung gibt, nutzen die Rikschafahrer ebenfalls Kerosinlampen, um überhaupt gesehen zu werden.

Kerosin ist aber ein problematischer Energieträger in den strukturschwachen Regionen. Die Verbrennung in den Lampen ist gesundheitsschädlich und verschmutzt die unmittelbare Umgebung. Das Licht ist außerdem mit etwa 20 bis 40 Lumen sehr schwach. Zum Vergleich: eine herkömmliche 60-Watt-Glühbirne hat eine Leuchtkraft von 600 Lumen.

Der Preis wiederum ist nicht nur abhängig von der Qualität des Kraftstoffes, es spielen auch andere Faktoren eine Rolle, so zum Beispiel die Lage einer Region. Handelt es sich um ein Dorf, das in der Nähe großer Verkehrswege liegt oder um eine Ansiedlung auf einer der zahlreichen Inseln im Golf von Bengalen: Längere Transportwege führen zu höheren Kerosinpreisen. Da die Preise in Bangladesch in der Regel Verhandelungssache sind, kommt es auch darauf an, wie gut die Beziehungen zum Händler sind.

Elektrizität findet auch in den Regionen Anwendung, die nicht an das Netz angeschlossen sind. Elektrisches Licht hat wegen seiner Emissionsfreiheit eine wesentlich größere Beliebtheit als Kerosin- und Petroleumlampen. Darüber hinaus haben Radio und Fernsehen sowie andere elektrische Anwendungen in diesen Regionen schon längst Einzug genommen. Die Hauptquelle für Elektrizität sind Dieselgeneratoren und Akkus.

Weil Diesel und Kerosin flüssige Energieträger sind, eignen sie sich sehr gut für den Transport und sind in allen Regionen mit mangelhafter Infrastruktur beliebte Kraftstoffe. Mit Diesel werden zahlreiche Generatoren betrieben, welche wiederum kleine Inselnetze mit Strom versorgen. Diese Generatoren haben den Vorteil, dass sie in der Anschaffung preiswert sind und die Technologie einfach zu beherrschen ist. Sie sind jedoch auch sehr störanfällig und unzuverlässig.

In den Autobatterien und den Akkumulatoren wird Energie chemisch gespeichert. Die Menge, die sich speichern lässt, ist vergleichsweise gering. Die Akkus werden in so genannten Battery-Shops aufgeladen. Diese Läden befinden sich entweder in Dörfern, die an das elektrische Netz angeschlossen sind oder die über ein leistungsstarkes Inselnetz mit einem Dieselgenerator verfügen. Das Laden der Akkumulatoren kann mehrere Tage dauern.

Aufgrund des enthaltenen Bleis wiegen die Akkumulatoren zwischen 25 und 50 kg und sind entsprechend schwer zu transportieren. Je nach Entfernung vom Netz steigen die Transportkosten erheblich. Darüber hinaus muss wegen der zahlreichen Flüsse, die das Land durchziehen, häufig das Transportmittel gewechselt werden.

Mit den Akkus werden hauptsächlich Schwarzweiß-Fernseher betrieben. Wohlhabende Familien haben einen eigenen Fernseher. Üblicher ist jedoch, dass das Gerät von einem Restaurant oder Teeshop betrieben wird. Die Akkus werden auch zum Betrieb von Radios, Ventilatoren und Leuchtstoffröhren eingesetzt.

Betrachtet man den Teil der Bevölkerung von Bangladesh, der nicht an das öffentliche Netz angeschlossen ist, so ist festzustellen, dass die Menschen in diesen strukturschwachen Regionen Energie einsetzen und dieser Einsatz, insbesondere durch die Verknappung der Ressourcen, einen zunehmend höheren monetären Wert bekommt. Die Verteuerung der Ressourcen durch die Preissteigerungen auf dem Weltmarkt tut ihr übriges.

Kerosinlampen, Dieselgeneratoren und aufladbare Akkumulatoren sind Energiesysteme, die sich zwar für den dezentralen Einsatz eignen, jedoch bei weitem nicht an die Umstände und Bedürfnisse der Menschen angepasst sind. Besonders Dieselgeneratoren und aufladbare Akkumulatoren sind ursprünglich für andere Zwecke konzipiert worden und können in diesen Regionen als improvisierte Lösungen angesehen werden. Trotzdem haben diese Technologien über die Möglichkeit ihres dezentralen Einsatzes hinaus noch andere Gemeinsamkeiten: Sie sind relativ klein, sie lassen sich gut transportieren, und sie sind bezahlbar für die Menschen, die sie nutzen.

Der dezentrale Einsatz und die Mobilität sind aber auch Eigenschaften, die von modernen Energietechnologien, wie Photovoltaik- oder kleinen Windkraftanlagen, erfüllt werden. Dass bei diesen Technologien keine fossilen Energieträger mehr benötigt werden, macht sie für den Einsatz in diesen Regionen wesentlich geeigneter. Zwei Aspekte machen die Einführung dieser Technologien in strukturschwachen Regionen jedoch schwierig: Zum einen der relativ hohe Preis und zum anderen das fehlende Know-how.

Um so spannender ist es zu sehen, wie das Unternehmen Grameen Shakti sich mit Energiesystemen auf der Basis von Photovoltaik auf diesen Markt behauptet und damit exemplarisch vorführt, welche Chancen auf Erneuerbare Energien basierende Technologien im Mikroenergie-Sektor haben.

Das Unternehmen Grameen Shakti

Das Unternehmen Grameen Shakti ist 1996 als Tochterunternehmen aus der international bekannten Grameen Bank hervorgegangen, die in Bangladesh seit den siebziger Jahren über ein breites Netzwerk an Filialen Kleinstkredite an arme Bevölkerungsteile, insbesondere Frauen, vergibt. Grameen Shakti ist daraus als Idee einer ländlichen Elektrifizierung auf Basis Erneuerbarer Energien entstanden.

Heutzutage vertreibt Grameen Shakti unabhängig von der Grameen Bank über ein Netz von weit mehr als 100 eigenen Filialen Solar-Home-Systems, solarzellenbasierte Systeme zur häuslichen Energieversorgung. Das System ist dem Bedarf an dezentrale Energieversorgung und an Ressourcenunabhängigkeit durch die Nutzung von Solarzellen angepasst. Es wird als Energiequelle vornehmlich im häuslichen Bereich für Licht und die Nutzung von Fernseher oder Radio eingesetzt. Darüber hinaus gibt es Anwendungen im Bereich der Mobiltelefone oder anderer Kleingeräte.

Das Produkt Solar-Home-System besteht zum Einen aus dem technischen System und zum Anderen aus einem außerordentlichen Servicepaket zur Finanzierung, Installation vor Ort, Schulung und einer Servicegarantie vor Ort von drei Jahren. Das ist für die Regionen, in denen das Unternehmen operiert, einmalig. Für die Kunden, die sonst als »Arme« höchstens karitative Zuwendungen kennen, ist es ein Novum auf diese Art und Weise ernst genommen zu werden. Das Standardsystem hat eine Leistung von 50 Watt und einen marktüblichen Preis von ungefähr 400 Euro. Bei einer Laufzeit von zwei bis drei Jahren liegt die monatliche Finanzierungsrate bei etwa zehn Euro und die Anzahlung zwischen 60 und 100 Euro. Aufgrund der kleinen Beträge spricht man von Mikrofinanzierung.

Die Abzahlung der Raten stellt für den Großteil der Kunden kein Problem dar, da sie ab sofort die Brennstoffkosten sowie die Ausgaben für Batterieaufladen und Batterietransport sparen. Die Finanzinstrumente von Grameen Shakti sind sehr genau an die bereits vorhandenen Energieausgaben ihrer Kunden angepasst und ermöglichen ihnen somit einen weichen Technologieübergang.

Bis Heute sind über 50.000 Systeme verkauft worden. Grameen Shakti finanziert sich als Non-Profit-Unternehmen über die eigenen Einnahmen im operativen Geschäft und ist nicht auf dauerhafte Subventionen angewiesen. Dadurch ist es Grameen Shakti möglich, weitestgehend unabhängig unternehmerisch tätig zu sein.

Der Erfolg des Grameen-Shakti-Modells basiert auf dem hohen Bedarf an Elektrifizierung in ländlichen Regionen, der Mikrofinanzierung und dem umfassenden Service, der den richtigen Einsatz und damit den dauerhaften Nutzen für den Kunden garantiert.

Durch die Tätigkeit von Grameen Shakti ist es den Kunden möglich, sich von zentralen und damit staatlichen Lösungen der Energieversorgung unabhängig zu machen und sich dadurch auch aus einer Wartehaltung gegenüber dem Staat zu emanzipieren. Die Unabhängigkeit von knapper werdenden Ressourcen, wie Öl, verhilft ihnen – gerade vor dem Hintergrund der einleitend in diesem Artikel beschriebenen globalen Zusammenhänge – zu eigenständiger Entwicklung auf der Basis sicherer und stabiler Energiekosten.

MicroEnergy International

Im Jahr 2002 wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen Grameen Shakti, der Nichtregierungsorganisation Results Germany und dem Institut für Energietechnik an der Technischen Universität Berlin eine Replikationsstrategie entwickelt. Daraus ist das Unternehmen MicroEnergy International hervorgegangen, das zum einen das Kompetenznetzwerk Energie & Entwicklung an der TU-Berlin koordiniert und zum anderen das Modell und die Erfahrung von Grameen Shakti über Bangladesh hinaus verbreitet. Im Mittelpunkt steht dabei die Qualifizierung und Finanzierung von Unternehmern in Entwicklungsländern, die sich den Herausforderung einer Mikro-Energie-Wende stellen möchten.

Literatur

Daniel Philipp, Noara Kebir: Ländliche Elektrifizierung auf der Basis von erneuerbaren Energien in Kombination mit Mikrofinanzierung, Verlag: Peoples Globalization Edition, ISBN: 3-00-014751-9

Mohammed Yunus: Grameen Bank, Eine Bank für die Armen der Welt, Gustav Lübbe Verlag, 1997.

www.gshakti.org Kontakt: MicroEnergy International, kontakt@microenergy-international.com

Zentraleinrichtung Kooperation, Franklinstr. 28/29, D-10587 Berlin, Germany http://www.Microenergy-International.com

Noara Kebir ist Geschäftsführerin der NaturwissenschaftlerInnen Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit und Leiterin des Afrika-Ressorts von MicroEnergy International.

Energie ist Macht

Energie ist Macht

von Jürgen Wagner

Energie! Jenes Elixier, das die menschliche Entwicklung vorangetrieben hat, um das aber auch seit frühester Zeit Kriege geführt wurden, ist das Thema dieser Ausgabe von W&F. In der heutigen Zeit, sind es Öl und Gas, von denen die Menschheit – vermeintlich – abhängig ist. Daniel Yergin, der Verfasser der Chronik des Öls (Der Preis, Frankfurt 1991, S. 964), über dessen Bedeutung für die modernen Industriegesellschaften: „Die Kontrolle des Öls oder zumindest der Zugang zu ihm, war immer ein großes strategisches Ziel. Das Öl erlaubt den Nationen, Besitz anzusammeln, ihre Wirtschaft anzutreiben, Güter zu produzieren und zu verkaufen, Waffen zu kaufen oder herzustellen, Kriege zu gewinnen.“

Energie, so war es immer, ist Macht, und diese wird notfalls auch militärisch gesichert. Im Lichte schwindender (Öl)Ressourcen wird die Verfügungsgewalt über das »Schwarze Gold« immer wichtiger. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern bei sämtlichen Großmächten nimmt die militärische Versorgungssicherung inzwischen einen zentralen Stellenwert in den strategischen Planungen ein. Dies gilt auch und besonders für Deutschland und die Europäische Union. So kommentierte »Die Welt« (12.5.06) den Entwurf für ein neues Weißbuch der Bundeswehr folgendermaßen: „Die Feststellung, die Bundesregierung werde zur Wahrung ihrer Interessen auch militärische Mittel einsetzen, ist nur konsequent. Und mit der Formulierung, dass sich die Regierung besonders jenen Regionen zuwenden werde, in denen Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, begibt sich Deutschland endlich auf gleiche Augenhöhe mit anderen Ländern, in denen dieses Verhalten eine Selbstverständlichkeit ist.“

Zusätzlich zu den von Yergin benannten Punkten, die das »Schwarze Gold« machtpolitisch so wichtig machen, wird ein weiterer Aspekt immer bedeutsamer: Die Fakturierung, also die Frage, mit welcher Währung Öl (und auch Gas) auf dem internationalen Markt erworben werden kann. Da Öl bislang ausschließlich in Dollar gehandelt wurde, erzeugt dies eine gigantische Nachfrage nach der US-Währung, die zentral zu Washingtons Dominanz des Weltfinanzsystems beiträgt. Inzwischen liebäugeln aber mehr und mehr Öl produzierende Länder (z.B. Venezuela, Saudi Arabien, Iran und der Irak bis zum US-Einmarsch) mit einem Wechsel zum Euro. Der hierdurch zwangsläufig entstehende Nachfrageeinbruch würde es Washington nahezu unmöglich machen, sein gigantisches doppeltes Defizit von Haushalt und Handelsbilanz weiterhin über das Drucken von Papierschnipseln (Schulden in Form von Staatsanleihen) zu finanzieren. Nicht wenige sehen in dieser Herausforderung der US-amerikanischen Vorherrschaft die eigentliche Triebfeder für die beispiellose Militarisierung der US-Außenpolitik.

Dazu der republikanische Kongressabgeordnete Ron Paul (Texas) vor dem US-Repräsentantenhaus (Februar 2006): „Unser gesamtes wirtschaftliches System hängt davon ab, dass das gegenwärtige Dollar-Recycling-System Bestand hat. Wir leihen uns jährlich 700 Mrd. Dollar von unseren ‘großzügigen Wohltätern’, welche dafür hart arbeiten und unsere Dollarnoten für ihre Produkte annehmen. Weiter borgen wir uns all die Gelder aus, die wir für die Sicherung des Empires brauchen (Verteidigungsbudget: 450 Mrd. Dollar) und noch mehr. Die Militärmacht, welcher wir uns ‘erfreuen’, wird zu der ‘Deckung’ unserer Währung …Am wichtigsten ist, dass die Dollar-Öl-Beziehung aufrecht erhalten wird, um ihn als überragende Währung zu sichern. Jeder Angriff auf diese Beziehung wird machtvoll beantwortet werden – so wie es immer schon geschehen ist.“

Ein Ausbruch aus dem Energiedilemma muss also zwei Komponenten umfassen. Zum einen müssen alternative und zukunftssichere Energien konsequent gefördert werden. Nur hierdurch kann verhindert werden, dass in absehbarer Zukunft militärisch um den letzten Tropfen Öl gekämpft wird. Andererseits ist dies allein aber nicht ausreichend. Denn selbst wenn ein solcher Aufbruch in die erneuerbaren Energien gelingt, bleibt das Problem der Verfügungsgewalt. Um den Teufelskreis aus Energie, Macht und im schlimmsten Fall Krieg zu durchbrechen, muss der Zugang der Menschheit zu Energie pluralisiert und demokratisiert werden. Energie ist keine gewöhnliche Handelsware, die beliebig den Kräften des Marktes sowie den Profit- und Machtlogiken der jeweilig interessierten Akteure unterworfen werden kann und darf. Ob Esso, Chevron – oder wie sie alle heißen – Öl oder irgendeinen anderen Energieträger verkaufen, das wird für den Nutzer wahrscheinlich viel weniger positive Folgen haben, als viele sich erhoffen. Denn solange die Verfügungsgewalt in den Händen der Großkonzerne bleibt, werden sie diesen Vorteil stets zu nutzen wissen. Deshalb ist nicht nur die Abkehr von Energiedinosauriern wie Öl und Gas sowie von der Atomkraft dringend notwendig, wir müssen generell Umdenken. Im wahrsten Sinne des Wortes: »Power to the People!«

Ihr Jürgen Wagner

Energie, Klima und internationale Sicherheit

Energie, Klima und internationale Sicherheit

von Jürgen Scheffran

Während US-Soldaten am Persischen Golf Ölinteressen sichern, haben die Wirbelstürme des Jahres 2005 am Golf von Mexiko (allen voran der Hurrikan Katrina) in den USA Nachdenklichkeit ausgelöst. Der Ölpreisschock und die Erfahrung, gegen Naturkatastrophen an der Heimatfront nicht gewappnet zu sein, haben eine Debatte über die eigene »Energiesicherheit« angestoßen. Präsident Bush, dessen Umfragewerte in den Keller sackten, kritisierte in seiner jährlichen Rede an die Nation am 31. Januar 2006 die Sucht nach Öl und legte Programme zur Förderung alternativer Energiequellen auf.1 Ohne sein Zutun lagen die USA bereits 2005 bei der Produktion erneuerbarer Energien weltweit vorn, gefolgt von Deutschland.2

Die Energieversorgung ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der Menschheit. Der Umbau des Energiesystems betrifft die gesamte Gesellschaft bis hin zur Frage von Krieg und Frieden. Die Verbindungen zwischen Energie und Sicherheit sind vielschichtig:3

  • Energie ist ein wichtiger Produktionsfaktor der Wirtschaft, und Wohlstand braucht eine sichere Energieversorgung. Energiemangel wird als Bedrohung angesehen.
  • Die Energienutzung hat direkte Auswirkungen auf die Sicherheit, wenn Staaten den Zugriff auf Energiequellen militärisch absichern. Kriege, Bürgerkriege und andere Konfliktformen können umgekehrt die Verfügbarkeit von Energie beeinträchtigen, wie die Bombardierung der Energieinfrastruktur im Irak oder die Sprengung von Ölplattformen im Golfkrieg 1990 gezeigt haben.
  • Die Energienutzung kann Risiken beinhalten und zur Quelle von Konflikten werden (Beispiele Klimawandel oder Tschernobyl).
  • Das Energiesystem ist ein komplexes Netz und potenziell verwundbar durch Störungen. Dazu zählen Naturkatastrophen ebenso wie Sabotageakte und (Terror-)Angriffe durch nichtstaatliche Akteure.
  • Die Auseinandersetzung und der Wettstreit über die zukünftige Energiepolitik und ihre Umsetzung können zu ernsten Konflikten zwischen Staaten, Unternehmen oder Bürgern führen, aber auch ein Feld lokaler, nationaler und internationaler Kooperation werden.

Es handelt sich um eine Wechselwirkung: Die Verfügbarkeit von Energie hat Folgen für die Sicherheit, und der Grad der Sicherheit beeinflusst den Zugang, die Verteilung und Nutzung von Energie. Diese enge Kopplung wird besonders deutlich im Nahen Osten. Das Interesse der USA am Öl Irans und die Sanktionen verstärken hier Bestrebungen, die Kernwaffenoption zu verfolgen (unter dem Deckmantel einer friedlichen Nutzung der Kernenergie).

Von der Sucht nach Öl zum Ende des fossilen Zeitalters

Die Abhängigkeit vom Öl ist ein Ergebnis des 20. Jahrhunderts, in dem sich Erdöl zu einer scheinbar unerschöpflichen, leicht zu transportierenden und billigen Energieressource entwickelte, zu einem Treibstoff der Globalisierung. Viele Kriege waren mit dem Zugriff auf Erdöl und andere fossile Energieressourcen verbunden. Die Erdölabhängigkeit der industrialisierten Welt wurde offenkundig im Jom-Kippur-Krieg 1973 und der Ölkrise von 1973/74. In der 1974 auf Initiative Henry Kissingers gegründeten Internationalen Energie-Agentur (IEA) versuchten die westlichen Länder der OECD ihre Energiepoltik zu koordinieren. Seit der Carter-Doktrin von 1980 verfolgen die USA ihre »vitalen Interessen« am Persischen Golf offiziell mit militärischen Mitteln.

Angesichts der Vorteile von Kohle und Öl wurden die unübersehbaren Nachteile in Kauf genommen oder auf andere abgewälzt. Neben den Problemen der Abhängigkeit und Konflikthaftigkeit stehen die ökologischen Risiken. Erdöl verschmutzt Gewässer, Böden und die Atmosphäre. Die Kohleförderung birgt hohe Unfallrisiken, verursacht erhebliche Schäden an Landschaft und Grundwasser (etwa durch die Sprengung und Ausbaggerung ganzer Landstriche) und setzt bei der Verbrennung säurebildende Schadstoffe und klimarelevante Treibhausgase frei. Mit dem wachenden Anteil an Erdgas werden einige dieser Umweltschäden abgeschwächt, bleiben aber relevant.

Die Zeit fossiler Energieträger geht zwar dem Ende entgegen, die Frage ist aber: wie rasch? Bei Fortsetzung der gegenwärtigen Förderrate würden die Vorräte von Erdöl in 42 Jahren, von Erdgas in 65 und von Kohle in 169 Jahren aufgebraucht sein.4 Mit der Entdeckung neuer Ressourcen (etwa der Ölsände in Kanada) mag die Förderzeit etwas verlängert werden, doch kann die Entdeckungsrate nicht mit dem Verbrauch mithalten. Über die Hälfte der ursprünglichen Ölvorkommen sind bereits verbraucht, die Erschließungskosten entlegener Quellen nehmen zu.

Neben dem Nahen Osten mit zwei Dritteln aller Ölvorräte sind die ölreichen Republiken der ehemaligen Sowjetunion besonders konfliktträchtig. In dieser »strategischen Ellipse« bauen konkurrierende globale und regionale Mächte ihren Einfluss aus. Für Russland ist der Krieg in Tschetschenien eine Gelegenheit, sich mit Gewalt den Zugriff auf die Öl- und Gasressourcen der Region zu sichern. Besonders umstritten sind die Transportwege und Pipelinerouten.

Seit der Wohlstand der Nationen auf Öl gründet, wird die Verknappung und die geopolitische Abhängigkeit als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen. Die Terroranschläge des 11. September, die ihren Ursprung in Saudi Arabien hatten, und der von der Bush-Administration forcierte fossil-nukleare Weg verschärften die Risikowahrnehmung noch. Aufgrund der wachsenden Nachfrage steigern die USA ihre Ölabhängigkeit von den großen Ölförderländern. 40% der Importe stammen aus den OPEC-Staaten, allein 20% vom Persischen Golf. Unliebsame politische Wechsel in diesen Ländern werden von Washington argwöhnisch verfolgt, so auch im Falle der Regierung von Hugo Chavez in Venezuela, das rund 15 % der Ölversorgung der USA liefert. Bei den Ölreserven liegt Saudi-Arabien (262 Mrd. Barrel oder 25 % der weltweiten Ölreserven) an erster Stelle, gefolgt von Iran und Irak mit jeweils halb soviel, für die USA genug Anreiz, in der Region ihre Herrschaft zu sichern.

Da Energie ein wichtiger Faktor für Wachstum und Entwicklung ist, steigt der Energieverbrauch global weiter an (von 1994 bis 2004 um mehr als 20%).5 Während in Industrieländern wie Deutschland und den USA eine Entkopplung von Wachstum und Energieverbrauch zu beobachten ist, forcieren Länder wie China und Indien die Industrialisierung mit einer expansiven Energiepolitik. Der durch die wachsende Nachfrage steigende Energiepreis behindert dagegen die Entwicklung.

Wenn es keinen grundlegenden Wandel gibt, trifft im Verlaufe dieses Jahrhunderts der gestiegene Bedarf auf ein Minimum gesicherter Energiereserven, was nach Hermann Scheer erhebliches Konfliktpotenzial birgt: „Ressourcenkrisen spitzen sich wegen der nahenden Erschöpfung von Erdöl, Erdgas und einigen strategischen Rohstoffen zu … Die Fragen des Zugangs können dramatische Konflikte provozieren. Sie bergen die Gefahr wirklicher Weltkriege.“6

Klimawandel als Sicherheitsrisiko

Nicht weniger dramatisch erscheinen die Folgen der globalen Erwärmung, die zu einem großen Teil durch die kohlenstoffhaltigen fossilen Energieträger verursacht wird. Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen in diesem Ausmaß weitergeht, wird der erwartete Anstieg der mittleren globalen Temperatur von 3 bis 6 Grad Celsius in diesem Jahrhundert Mensch und Natur in vielen Regionen der Welt vor enorme Anpassungsschwierigkeiten stellen. Die möglichen Folgen wurden in dem dritten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2001 ausführlich beschrieben, und der für dieses Jahr geplante vierte Bericht dürfte die Ergebnisse noch übertreffen.

Bereits jetzt sind in einigen Regionen ökologische Veränderungen zu beobachten, die auf die Erwärmung der Erde zurückgehen. Ökosysteme können bei einem raschen Klimawechsel ihre Stabilität verlieren, bisher angepasste Arten aussterben. Besonders verwundbar sind Ökosysteme, die sich nur langsam anpassen können, etwa Gletscher, Feuchtgebiete, Mangroven, Korallenriffe, Ökosysteme in der Arktis und in Gebirgen, boreale und tropische Wälder.

Gesellschaften, die stark von Naturprozessen und Landwirtschaft abhängig sind, wären vom Klimawandel besonders betroffen. Der Verlust der Artenvielfalt, Ernteausfälle, Hunger und Armut treffen vor allem Entwicklungsländer, die verwundbarer sind als Industrienationen. Regionen, in denen ohnehin zu wenig Nahrung oder Wasser zur Verfügung steht, könnten klimabedingte Einbrüche nicht verkraften. Sie sind auch empfindlich gegenüber der Ausbreitung von Seuchen, die mit der Verschiebung der Klimazonen auch nördlichere Regionen erfassen würden.7

Viele Experten sind der Ansicht, dass mit der Zunahme der globalen Temperatur extreme Wetterereignisse deutlich zunehmen. Vorboten sind in Form von Wirbelstürmen, Dürren, Waldbränden, Flutkatastrophen und Hitzewellen bereits erkennbar. Sie machen vor Industrienationen nicht Halt, wie die Elbeflut von 2002, die europäische Hitzewelle 2003 oder die Rekordserie von Wirbelstürmen 2005 gezeigt haben. Besonders besorgniserregend ist die Möglichkeit eines abrupten Klimawandels. An Eisbohrungen wird deutlich, dass es in der Erdgeschichte mehrfach Klimasprünge innerhalb weniger Jahrzehnte gegeben hat, die den Übergang zu den Eiszeiten markierten.

Die globalen Ozeanströmungen haben hier eine Schlüsselrolle. Eine Veränderung des Temperatur-Salz-Verhältnisses im Nordatlantik könnte dazu führen, dass der warme Golfstrom, der für milde Temperaturen in Nordeuropa sorgt, abgeschwächt wird, was eine deutliche Abkühlung der nördlichen Hemisphäre bewirken könnte. Weitere destabilisierende Effekte wären das Abrutschen des Eisschelfs in Grönland und der Westantarktis, die Freisetzung von eisgebundenen Treibhausgasen wie Methan, oder die Änderung des asiatischen Monsuns. Das Schmelzen der Polkappen und der weitere Meeresspiegelanstieg betreffen viele Küstenregionen und drohen ganze Inselketten verschwinden zu lassen. Die Kombination der verschiedenen Rückkopplungen ist bislang nur wenig verstanden. Es ist möglich, dass durch menschliche Aktivitäten eine Schwelle zu gefährlichen Klimabereichen überschritten wird, was nicht mehr einfach umkehrbar ist. Das von der Menschheit durchgeführte globale »Klimaexperiment« ist äußerst riskant. Welche Extremereignisse auch immer eintreffen, es wären Katastrophen, die Millionen, wenn nicht gar Milliarden Menschen betreffen.

Sollte es nicht gelingen, den Klimawandel in Grenzen zu halten, stehen Anpassung, Risikominimierung, Gefahrenabwehr und Konfliktregulierung auf der Tagesordnung. Hier spielt eine wichtige Rolle, wie sich die Folgen des Klimawandels auf die sozialen Strukturen auswirken, ob sie von diesen abgefedert werden oder ob sie Konflikte verstärken.8.

Ein Beispiel ist der Wasserkonflikt im Nahen Osten. Konkrete Auseinandersetzungen gab es um das Wasser des Nil, des Euphrat und des Jordan. Der Staat Israel war frühzeitig bestrebt, seine Wasseransprüche mit allen Mitteln abzusichern, auf Kosten der Palästinenser, denen deutlich weniger Wasser zugeteilt wurde als den Siedlern im Westjordanland. Klimastudien prognostizieren für den Nahen Osten eine zunehmende Wasserknappheit, doch ob dies bestehende Konfliktlinien weiter verschärft oder eher kooperative Lösungen befördert, hängt davon ab, welche Fortschritte der Friedensprozess macht und ob es gelingt, Instrumente und Strukturen für eine Konfliktlösung zu schaffen. Ein Anknüpfungspunkt sind die Verhandlungsprozesse über die gemeinsame Wassernutzung, die verschiedene Parteien und Positionen an einen Tisch bringen.

Ein anderes Beispiel ist die zunehmende Dürre und Wüstenbildung in Nordafrika, die die Konkurrenz zwischen ansässigen Bauern und wandernden Viehhirten zuspitzt. Im Falle des Darfur-Konflikts in Sudan eskalierte die Auseinandersetzung, als die Regierung gegen die den Bauern nahe stehenden Rebellen mit Unterstützung von arabisch-stämmigen Milizen aus den Reihen der Viehhirten vorging. Eine Studie des Sandia-Forschungslabors untersucht, ob klimatische Veränderungen als Ursachenfaktor in diesem Konflikt eine Rolle gespielt haben oder noch spielen könnten.9

In diesen und anderen Regionen zeigt sich, dass Klimaänderungen die Existenz von Menschen und Gesellschaften bedrohen und damit die humanitäre Sicherheit in einem fundamentalen Sinne beeinträchtigen können. Vor allem sind Gruppen betroffen, die zu schwach sind, um mit den Folgen fertig zu werden, doch sie treffen auch Mittel- und Oberschichten, wenn diese keine wirksamen Abwehr- und Schutzmaßnahmen ergreifen können. Eine Katastrophe erzeugt mehr Verlierer als Gewinner und verschärft soziale Spannungen und Ungleichheiten.

Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass damit gewaltförmige Konflikte oder gar Kriege zunehmen, wie von einer Studie von Schwartz und Randall suggeriert wird. Diese beiden Pentagon-Berater entwickeln die apokalyptische Vision einer durch eine Abschwächung des Nordatlantikstroms ausgelösten Klimakatastrophe. Nach Ansicht der Studie bringt der abrupte Klimawechsel Menschen und Regierungen in Not, schafft Chaos und Anarchie, bewirkt Konflikte und Kriege um Rohstoffe und Nahrung bis hin zur Verbreitung von Atomwaffen und der Androhung ihres Einsatzes. Im Gegenzug bauen Staaten »virtuelle Festungen«, um sich und ihre Ressourcen zu schützen. Kernenergie wird zu einer entscheidenden Energiequelle, was die Kernwaffenverbreitung in weitere Staaten, einschließlich Japan und Deutschland, antreibt.10

Ein solches Szenario dramatisiert die Gefahren, indem es Klimawandel primär als Problem nationaler militärischer Sicherheitspolitik sieht. Es lässt außer Acht, dass das Militär der Absicherung der Wirtschafts- und Lebenweise verpflichtet ist, die den Klimawandel verursacht. Den sozialen, ökonomischen, ökologischen und technischen Risikofaktoren ist mit traditionellen Instrumenten der Sicherheitspolitik nicht beizukommen. Sie erfordern eine umfassende, auf Prävention und Ursachenvorbeugung gerichtete Strategie, in der Militär – wenn überhaupt – nur eine Nebenrolle spielen kann.

Rennaissance der Kernenergie?

Angesichts der Risiken der fossilen Energien präsentiert sich die Kernenergie als Retter in der Not, um der Ölkrise und der globalen Erwärmung entgegen zu treten. Dabei sind die sicherheitspolitischen Implikationen der Kernenergie lange bekannt. Die Spaltung des Atoms erfolgte im Krieg und ihr erster Einsatz zerstörte zwei Städte. Seitdem hat der nukleare Rüstungswettlauf mehrere Billionen Dollar verschlungen. Dass das in Kernwaffen verwendete Nuklearmaterial von der friedlichen Nutzung kaum zu trennen ist, war kein Geheimnis, als US-Präsident Eisenhower mit dem »Atoms for Peace « Programm in den fünfziger Jahren die nukleare Proliferation forcierte. Die zivile Nutzung hat zwar in einigen Staaten einen relevanten Anteil an der Elektrizitätsversorgung, ist aber längst nicht so billig wie zu Beginn erhofft. Trotz des den Nichtkernwaffenstaaten im Nichtverbreitungsvertrag zugesicherten Rechts auf Kernenergie und der Einrichtung eines weltweiten Kontrollsystems, ist das Vertrauen nicht sehr hoch. Wie die Kriegsdrohungen der USA gegen Iran (und zuvor gegen Irak und Nordkorea) zeigen, soll bestimmten Staaten jegliche sensitive Nukleartechnik verwehrt werden. Befreundete Staaten, besonders wenn sie bereits die Bombe haben, werden dagegen großzügig mit Nukleartechnik und –materialien unterstützt, wie die indisch-amerikanische Kooperation zeigt. Wohin diese Zweischneidigkeit führt, hat die hemmungslose Verbreitung von Kerntechnik durch den pakistanischen Atomwissenschaftler A.Q. Khan gezeigt.

Im gesamten nuklearen Zyklus, vom Uranbergbau bis zur Endlagerung, werden gesundheitsschädliche radioaktive Stoffe frei gesetzt. Das Risiko einer Reaktorkatastrophe kann nicht ausgeschlossen werden, die Endlagerproblematik bleibt über tausende von Jahren bestehen. Kriege oder Terroranschläge gegen kerntechnische Anlagen bleiben ein hohes Sicherheitsrisiko. Die angekündigten inhärent sicheren und proliferationsresistenten Reaktoren lassen bislang auf sich warten, und die Fusionsenergie liegt seit Jahrzehnten für Jahrzehnte in der Zukunft. Harrisburg und Tschernobyl haben der Kernenergie-Industrie schwere Schläge versetzt, von denen sie sich bis heute nicht erholt hat. Die Verkettung von Umständen mag unglücklich gewesen sein, aber sie zeigte, dass es perfekte Sicherheit bei der Kernenergie nicht gibt. Die Schadensfolgen erreichten kontinentale Dimensionen. Eine breite Gegenbewegung, die auf die Risiken aufmerksam machte, sorgte in einigen Ländern für Ausstiegsbeschlüsse.

Wie friedlich und nachhaltig sind die Alternativen?

Während der fossil-nukleare Weg in einer Sackgasse gefangen scheint, lösen erneuerbare Energien große Erwartungen aus. Für Franz Alt ist die Alternative eine Schicksalsfrage der Menschheit: „Die große politische Entscheidung des 21. Jahrhunderts wird heißen: Krieg um Öl oder Frieden durch Sonne!“11 Auch wenn der Gegensatz hier als Schwarz-Weiß-Gemälde präsentiert wird, setzen erneuerbare Energieträger den Risiken und Konflikten des fossil-nuklearen Energiepfades eine Alternative entgegen. Im Unterschied zu fossilen sind regenerative Energien orts- und zeitgebunden, entstehen in Wechselwirkung mit der Umwelt.

Am deutlichsten zeigt die Wasserkraft, dass aber auch erneuerbare Energiequellen Konflikte provozieren können. Große Staudammprojekte bedeuten großflächige Eingriffe in Landschaft und Ökologie, erzwingen die (gewaltsame) Umsiedelung der ansässigen Bevölkerung und verursachen den Verlust von Kulturgütern. Nutzen und Risiken sind oft ungleich verteilt, und die Betroffenen tragen den Schaden, oft ohne hinreichende Kompensation.

Landschaftseingriffe stellen auch das vorrangige Problem der Windenergie dar. Während Windräder am Horizont für manche zukunftsweisend sind (back to the past), lehnen Gegner dies strikt ab und kritisieren u.a. Geräuschemmissionen und Schattenwurf. Probleme wirft auch die energetische Nutzung der Biomasse auf. Der Anbau von Bioenergie ist flächenintensiv und kann in Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitteln und anderen Bioprodukten stehen. Durch Regulierung muss eine Beeinträchtigung der Lebensmittelproduktion vermieden und die Unterstützung der lokalen Bevölkerung gewonnen werden, etwa durch Gewinnbeteiligung, Schaffung von Arbeitsplätzen oder Mitwirkung in Kooperativen.

Gegenüber anderen Energieformen erscheint das Konfliktpotenzial der Solarenergie niedrig. Bei einer dezentralen Nutzung von Solaranlagen sind die Eingriffe in soziale und ökologische Strukturen gering, die Akzeptanz hoch, aber auch die Kosten. Eine industrielle und großflächige Nutzung der Solarenergie könnte Probleme bereiten, besonders wenn die solaren Ressourcen des Südens von Industrieländern beansprucht werden. Andere erneuerbare Quellen, wie Erdwärme oder Ozeanenergie, erscheinen in diesem Zusammenhang unbedeutend.

Auch wenn die Nutzung Erneuerbarer Energien auch Konfliktpotenziale, beinhaltet, sind diese mit den Kriegen um Öl, den Folgen des Klimawandels oder den Risiken der Kernenergie nicht vergleichbar. Es handelt sich meist um innergesellschaftliche Auseinandersetzungen im kleinen Maßstab, und sie sollten auch so behandelt werden. Allerdings muss auf die soziale und ökologische Akzeptanz geachtet und damit möglichen Folgen und Konflikten vorgebeugt werden.

Die Bedeutung der Energie- und Klimapolitik

Indem sie bedrohliche Risiken vermeidet und die internationale Zusammenarbeit auf lokaler und globaler Ebene verbindet, kann Energie- und Klimapolitik als Beitrag zur Sicherheitspolitik angesehen werden. Grundsätzlich ist der präventive Politiktyp, der durch Limitations- und Absorptionsstrategien auf Konfliktvermeidung zielt, zu bevorzugen gegenüber dem reaktiven Politiktyp, der in einer Welt von Krisen und Katastrophen auf nachsorgende Lösungen zum Krisenmanagement und Katastrophenschutz vertraut.

Artikel 2 der Klimarahmenkonvention formuliert das Ziel, eine „gefährliche anthropogene Klimaveränderung“ zu verhindern, definiert jedoch nicht, was gefährlich ist und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Angesichts der ungleichen Verteilung der Kosten und Risiken werden geeignete Gerechtigkeitsprinzipien diskutiert. Um ein Überschreiten gefährlicher Schwellen zu vermeiden, werden Leitplanken für den Klimawandel vorgeschlagen, die die Anpassungsfähigkeit natürlicher und sozialer Systeme berücksichtigen.12 Vielfach wird als Zielkriterium formuliert, dass der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre eine Verdoppelung des vorindustriellen Wertes nicht überschreiten soll, was einer Stabilisierung des CO2-Anteils bei 550 ppm (millionstel Volumenanteile) und einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 2 Grad Celsius entspricht. Dies wäre nur mit einer Verringerung des Treibhausgasausstoßes um mindestens 50% zu erreichen.

Um Unsicherheiten zu verringern, werden Daten, Modelle und Indikatoren verbessert. Zur Vermeidung von Risiken und Kosten sind adaptive Strategien für eine risiko- und konfliktminimierende Energieversorgung zu entwickeln. Der erforderliche Umbau des Energiesystems kostet Billionen von Euro und betrifft die gesamte Wirtschaft wie auch die Lebensweise der Menschen.13 Die Frage ist, ob mit der Energierevolution auch entsprechende politische Veränderungen einher gehen. Bringt die Energiewende tatsächlich den Übergang zu einer demokratischen, dezentralen und heimischen Energieversorgung, wie die Verfechter des »small is beautiful« (Amory Lovins) erhoffen? Kann jeder Landbesitzer auf dem eigenen Acker oder dem eigenen Dach Energie durch Windanlagen, Pflanzen und Solarzellen selber »anbauen« und ins Netz einspeisen? Wird »power to the people« eine für jedermann zugängliche Energieversorgung erlauben, gar eine stärkere Partizipation an der Macht?

Angesichts der ökonomischen Globalisierungstendenzen, die eine weitere Konzentration von Wachstum, Macht und Gewalt in den Händen weniger befördern, ist übertriebener Optimismus nicht angebracht. Fossil-nukleare Energien werden auf absehbare Zeit weiter genutzt und hoffentlich durch Energieeinsparung, technische Effizienz und verschärfte Emissionsauflagen sozial- und umweltverträglicher gestaltet werden. Wichtige Fragen stellen sich auch hier, die gesellschaftliche Strukturen und politische Machtverhältnisse betreffen: Wer wird das zur Energiesammlung nötige Land besitzen? Wer wird darüber entscheiden, ob Land zur Erzeugung von Nahrungsmitteln oder von Energie genutzt wird, ob dies durch gut oder schlecht bezahlte Arbeitskräfte geschieht unter Einsatz von Chemie und durch gewaltige Erntemaschinen? Werden dies Kleinbauern sein oder internationale Agrar-, Bio- und Chemiekonzerne, die mit Energie- und Transportkonzernen verflochten sind? Wird es gelingen, die erneuerbaren Energien über Transport- und Verbundnetze kostengünstig und großflächig zu verteilen? Und schließlich: Wird das solare Zeitalter auch ein friedlicheres Zeitalter werden?

Anmerkungen

1) G. W. Bush: State of the Union Address by the President, 31 Jan., 2006, Washington, D.C., www.whitehouse.gov/news/releases/2006/01/print/20060131-10.html.

2) Neue Energie, 4/2006.

3) Zusammenfassende Darstellungen zum Thema: J. Scheffran, W. Bender, S. Brückmann, M.B. Kalinowski, W. Liebert: Energiekonflikte, Dossier 22, Wissenschaft und Frieden 2/1996; H. Ackermann, M. Krämer, O. Melsheimer, J. Scheffran: Energienutzung – Konflikte, Potenziale, Szenarien, in: R. Zoll (Hg.): Energiekonflikte. Münster: LIT, 2001, S. 17-95; F. Alt: Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne, München: Riemann, 2002; F. Umbach: Globale Energiesicherheit, München 2003; T.H. Karas: Energy and National Security, Sandia Report 2003-3287, Albuquerque; J, H, Kalicki, D.L. Goldwyn (ed.): Energy and Security, Johns Hopkins University Press, 2005; D. Yergin, Ensuring Energy Security, Foreign Affairs, March/April, 85(2), 2006; Energie für das 21. Jahrhundert, Internationale Politik 61 (2006) 2.

4) BMWi: Energiedaten 2000, Bundesministerium für Wirtschaft & Technologie: Berlin, Bonn 2000.

5) BP: Statistical Review of World Energy, June 2005; www.bp.com:

6) H. Scheer: Solare Weltwirtschaft. München: Verlag Antje Kunstmann, 1999, S. 16.

7) Zu verschiedenen Folgen des Klimawandels siehe: H. J. Schellnhuber, W. Cramer, N. Nakicenovic, T. Wigley, G. Yohe (eds.): Avoiding Dangerous Climate Change, Cambridge University Press, 2006.

8) Zur Diskussion über Klima, Sicherheit und Konflikt siehe: J. Scheffran: Konfliktfolgen energiebedingter Umweltveränderungen am Beispiel des globalen Treibhauseffekts, in: W. Bender, (Hrsg.): Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft, Darmstadt 1997; BMU: Climate Change and Conflict, Berlin, 2002; J. Barnett: Security and Climate Change, Global Environmental Change 13(1) 2003, 7-17; J. Scheffran: Energiekonflikte und Klimakatastrophe: Die neue Bedrohung?, PROKLA 135/2, Vol.34, 2004; Human Security and Climate Change, Workshop, Oslo, 21–23 June 2005, www.cicero.uio.no/humsec/list_participants.html.

9) M. Boslough, et al.: Climate Change Effects on International Stability: A White Paper, Sandia National Laboratories Albuquerque, New Mexico, December 2004.

10) P. Schwartz, D. Randall: An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States National Security, Washington, Oct. 2003 (www.ems.org/climate/pentagon_climatechange.pdf).

11) Alt 2002, a.a.O., S.18.

12) G. Petschel-Held, eta al.: The Tolerable Windows Approach: Theoretical and Methodological Foundations, Climatic Change, 41, 1999, 303-331; WBGU, Energiewende zur Nachhaltigkeit, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Berlin, 2003.

13) Von den jüngsten Energie-Szenarien siehe: BMWi/BMU: Energieversorgung für Deutschland, Statusbericht für den Energiegipfel am 3. April 2006, Berlin, März 2006; Deutsche Physikalische Gesellschaft: Klimaschutz und Energieversorgung in Deutschland, 1990 – 2020, Bad Honnef, Sept. 2005; Endogenous Technological Change and the Economics of Atmospheric Stabilization, The Energy Journal, Special Issue, March 2006.

Dr. Jürgen Scheffran ist W&F-Redakteur und Wissenschaftler an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign (USA), wo er zum Thema Energie und Klima unterrichtet und ein Projekt zu erneuerbaren Energien leitet.

Öl, Geopolitik und der kommende Krieg gegen den Iran

Öl, Geopolitik und der kommende Krieg gegen den Iran

von Michael Klare

Während sich die Vereinigten Staaten auf einen Angriff gegen den Iran vorbereiten ist eines sicher: Die Bush-Administration wird Öl niemals als Grund für diesen Krieg benennen. Wie im Falle des Irak werden Massenvernichtungsmittel als wesentliche Legitimation für den US-amerikanischen Angriff angeführt werden. „Wir werden den (iranischen) Bau von Atomwaffen nicht tolerieren“, so formulierte es Präsident Bush in einer viel zitierten Rede Mitte 2003. Zu einem Zeitpunkt, an dem feststeht, dass der Irak keine unerlaubten Waffen besaß und damit der Hauptgrund der US-Regierung für die Invasion nicht mehr existent ist, sollte die Behauptung der Bush-Regierung, dass ein Angriff auf den Iran aufgrund dessen vermeintlichen Nuklearpotentials gerechtfertigt sein würde, zu umfassender Skepsis auffordern. Wichtiger noch, jede seriöse Einschätzung sollte den Blick auf die strategische Bedeutung des Irans für die Vereinigten Staaten, auf dessen Rolle für das globale Energiegleichgewicht richten.

Bevor dies weiter ausgeführt wird, möchte ich festhalten, dass ich nicht behaupte, Öl sei die einzige Triebfeder hinter der offensichtlichen Entschlossenheit der Bush-Administration die iranischen Militärkapazitäten zu zerstören. Zweifellos gibt es zahlreiche Sicherheitsexperten in Washington, die wirklich über das iranische Nuklearprogramm beunruhigt sind, ebenso wie es viele gab, die sich tatsächlich um die irakischen Kapazitäten Sorgen gemacht haben. Das respektiere ich. Aber kein Krieg wird durch einen einzelnen Faktor ausgelöst und öffentliche Verlautbarungen machen deutlich, dass viele Aspekte, einschließlich Öl, eine Rolle bei der Entscheidung der Regierung gespielt haben, im Irak einzumarschieren. Ebenso ist es vernünftig anzunehmen, dass viele Faktoren – wiederum einschließlich Öl – hinsichtlich der Entscheidungsfindung für einen möglichen Angriff auf den Iran zusammen wirken

Wie viel Gewicht dem Faktor Öl bei der Entscheidungsfindung der Bush-Administration zukommt, ist etwas, was wir zu diesem Zeitpunkt nicht mit absoluter Sicherheit sagen können. Berücksichtigt man jedoch die Bedeutung, die Energie in den Karrieren und Überlegungen verschiedener hochrangiger Offizieller dieser Regierung gespielt hat, wäre es in Anbetracht der immensen Ressourcen des Iran irrwitzig, den Faktor Öl nicht mit einzukalkulieren; allerdings kann man sicher sein, dass die mediale Berichtererstattung und Lageanalyse in Amerika im Großen und Ganzen an den Ursachen vorbeigehen wird, so wie es schon bei den Vorbereitungen zum Einmarsch in den Irak der Fall war.

Eine weitere Anmerkung: Spricht man über die Bedeutung des Öls für das amerikanische strategische Denken hinsichtlich des Irans, ist es wichtig, über die Frage des iranischen Potenzials zur Befriedigung des künftigen Energiebedarfs unseres Landes hinauszugehen. Da der Iran eine strategische Position an der nördlichen Seite des Persischen Golfes besetzt, ist er in der Lage, die Ölfelder Saudi Arabiens, Kuwaits, Iraks und der Vereinigten Arabischen Emirate zu bedrohen, die zusammengenommen über mehr als die Hälfte der bekannten Weltölvorkommen verfügen. Der Iran liegt auch an der Straße von Hormuz, der engen Wasserstraße, durch die täglich 40% der Weltölexporte gehen. Zudem entwickelt sich der Iran zu einem wesentlichen Öl- und Gasversorger Chinas, Indiens und Japans, was Teheran zusätzlichen Einfluss verschafft. Diese geopolitische Dimension bestimmt unzweifelhaft ebenso die strategischen Überlegungen der US-Administration, wie die Absicht, von dem iranischen Potenzial erhebliche Ölmengen in die USA zu exportieren.

Auf dieser Grundlage will ich mit einer Einschätzung des künftigen iranischen Energiepotenzials fortfahren. Laut der jüngsten Einschätzung des Oil and Gas Journals, verfügt der Iran über die zweitgrößten noch nicht angezapften Petroleumreserven in der Welt, geschätzte 125,8 Mrd. Barrel. Nur Saudi Arabien mit schätzungsweise 260 Mrd. Barrel besitzt mehr; Irak, der dritte in der Liste, hat etwa 115 Mrd. Barrel. Mit soviel Öl – etwa ein Zehntel der weltweiten Energievorräte – wird dem Iran sicherlich eine Schlüsselrolle in der globalen Energiegleichung zukommen, egal was sonst noch passiert.

Es ist nicht allein die schiere Größe der Vorkommen, die im Falle des Iran von Bedeutung ist; nicht weniger wichtig sind seine zukünftigen Produktionskapazitäten. Zwar verfügt Saudi Arabien über höhere Reserven, aber es produziert derzeit nahe an seinem Fördermaximum (um die 10 Millionen Barrel am Tag). Während man aber annimmt, dass die weltweite Nachfrage, angetrieben von dem signifikant steigenden Verbrauch der USA, Chinas und Indiens, um 50 % ansteigt, wird Saudia Arabien wahrscheinlich nicht in der Lage sein, seine Fördermenge in den nächsten 20 Jahren deutlich zu erhöhen. Auf der anderen Seite besitzt der Iran ein beträchtliches Zuwachspotential: Er produziert zur Zeit über 4 Millionen Barrel am Tag, aber man geht davon aus, dass er in der Lage ist, seine Fördermenge um ungefähr weitere 3 Millionen Barrel täglich zu steigern. Nur wenige andere Länder, wenn überhaupt, besitzen dieses Potenzial, darum wird Irans Bedeutung als Produzent in den nächsten Jahren zwangsläufig weiter zunehmen.

Und der Iran besitzt nicht nur Öl im Überfluss, sondern auch Erdgas. Laut dem Oil and Gas Journal besitzt der Iran geschätzte 940 Billionen Kubikfuß Erdgas, das sind ungefähr 16% der gesamten Weltreserven (nur Russland hat mit 1.680 Billionen Kubikfuß einen größeren Vorrat). Da etwa 6.000 Kubikfuß Gas dem Energiegehalt von einem Barrel Öl entsprechen, stellen Irans Gasreserven das Äquivalent zu 155 Milliarden Barrel Öl dar. Dies wiederum bedeutet, das sich seine Reserven zusammengenommen auf ungefähr 270 Milliarden Barrel Öl belaufen, nur geringfügig weniger als Saudi-Arabiens gesamte Vorräte. Zur Zeit fördert der Iran nur einen kleinen Teil seiner Gasreserven, ungefähr 2,7 Billionen Kubikfuß im Jahr. Das heißt, der Iran ist eines der wenigen Länder, die in der Zukunft imstande sein werden, erheblich größere Mengen Erdgas zu liefern.

All dies bedeutet, dass dem Iran eine entscheidende Rolle im zukünftigen Energiegleichgewicht der Welt zukommen wird. Dies ist besonders zutreffend, weil die weltweite Erdgasnachfrage schneller wächst als die nach jeder anderen Energiequelle, einschließlich Öl. Während die Welt im Augenblick mehr Öl als Gas verbraucht, werden die lieferbaren Petroleummengen voraussichtlich in nicht allzu ferner Zukunft schrumpfen, da die weltweite Förderung an ihre maximal aufrechterhaltbare Menge stößt – vielleicht schon 2010 – und ab dann ein schrittweiser, aber nicht umkehrbarer Rückgang beginnt. Die Erdgasförderung wird ihren Höhepunkt wahrscheinlich erst in einigen Jahrzehnten überschreiten und deshalb vermutlich viel des fehlenden Angebots abdecken können. Erdgas wird auch in vielen Anwendungsbereichen für attraktiver als Öl gehalten, besonders weil bei seinem Verbrauch (Verbrennung) weniger CO2 (das erheblich zum Treibhauseffekt beiträgt) freigesetzt wird.

Zweifellos würden die großen US-Energiegesellschaften heute liebend gern mit dem Iran zusammenarbeiten, um die riesigen Öl- und Gasvorkommen abzubauen. Jedoch werden sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch die präsidiale Verfügung (EO)12959, von Präsident Clinton 1995 unterzeichnet und von Präsident Bush im März 2004 erneuert, davon abgehalten. Die USA haben auch ausländischen Firmen, welche mit dem Iran Geschäfte machen, Strafen angedroht (unter dem Iran-Lybia-Sanctions-Act 1996), aber dies hat viele große Firmen nicht davon abgehalten, Zugang zu Irans Reserven zu suchen. China, das riesige zusätzliche Mengen an Gas und Öl benötigt, um seine boomende Wirtschaft weiter voranzutreiben, richtet sein Augenmerk verstärkt auf den Iran. Laut dem US-Energieministerium lieferte der Iran 2003 14% der chinesischen Ölimporte und wird vermutlich zukünftig noch größere Mengen liefern. China wird wahrscheinlich auch bei seinen Flüssiggasimporten auf den Iran angewiesen sein. Im Oktober 2004 unterzeichnete der Iran einen Vertrag über 100 Milliarden US-$ und einer Laufzeit von 25 Jahren mit Sinopec, einer großen chinesischen Energiefirma. Hier geht es um den gemeinsamen Abbau eines der größten Gasfelder des Iran und die Lieferung von Flüssiggas nach China. Wenn dieser Vertrag Wirklichkeit wird, handelt es sich um eine der größten chinesischen Auslandsinvestitionen und eine wichtige strategische Verbindung dieser beiden Länder.

Indien ist ebenfalls sehr daran interessiert, Öl und Gas aus dem Iran zu erhalten. Im Januar 2005 unterzeichnete die Gas Authority of India Ltd. (GAIL) einen 30 Jahres-Vertrag mit der National Iranian Gas Export Corp. über den Transfer von jährlich 7,5 Millionen Tonnen Flüssiggas nach Indien. Dieser schätzungsweise 50 Milliarden US-$ schwere Handel sieht auch eine indische Beteiligung an dem Abbau der iranischen Gasfelder vor. Bemerkenswerterweise führen indische und pakistanische Amtsträger Gespräche über den Bau einer 3 Milliarden US-$ teuren Flüssiggaspipeline vom Iran über Pakistan nach Indien – ein außergewöhnlicher Schritt für zwei langjährige Feinde. Falls die Pipeline fertig gestellt würde, könnte sie beide Länder mit einer beträchtlichen Menge Gas versorgen und Pakistan jährlich 200-250 Millionen US-$ an Transitgebühren einbringen. „Die Gaspipeline verspricht Gewinn für alle Beteiligten, für den Iran, Indien und Pakistan“, erklärte der pakistanische Premierminister Shaukat Aziz im Januar 2005.

Trotz der offensichtlichen Anziehungskraft des Pipelineprojekts als Impuls für die Aussöhnung zwischen Indien und Pakistan – Atommächte, die seit 1947 drei Kriege um Kaschmir führten und die in der Debatte über den zukünftigen Status dieses Gebietes an einem toten Punkt angelangt sind – wurde das Pipeline-Projekt von Außenministerin Condoleezza Rice während einer Indienreise missbilligt. „Wir haben der indischen Regierung unsere Sorge über die Gaspipelinekooperation zwischen dem Iran und Indien mitgeteilt“, sagte sie am 16.März 2005 nach einem Treffen mit dem indischen Außenminister Natwar Singh in Neu-Delhi. Tatsächlich hat die US-Regierung sich als unwillig erwiesen, irgendein Projekt zu unterstützen, welches dem Iran einen ökonomischen Vorteil verspricht. Dies hat Indien jedoch nicht davon abgehalten, mit dem Pipeline-Projekt fortzufahren.

Auch Japan tanzt in den Augen Washingtons aus der Reihe, was die energiepolitischen Beziehungen zum Iran angeht. Anfang 2003 erwarb ein Konsortium dreier japanischer Gesellschaften einen 20prozentigen Anteil an der Entwicklung des Soroush-Nowruz Offshore-Feldes im Persischen Golf. Es wird angenommen, dass dieses Feld etwa 1 Milliarde Barrel Öl enthält. Ein Jahr später erteilte die iranische Offshore Oil Company einen 1,26 Milliarden US-$ Auftrag zur Gewinnung von Gas und Flüssiggas aus dem Soroush-Nowruz und anderen Offshore-Feldern an die japanische JGC Corporation.

Berücksichtigt man die iranische Rolle für das globale Energiegleichgewicht hat die Bush-Administration deshalb zwei strategische Ziele: Der Wunsch, die iranischen Öl- und Gasfelder für die Ausbeutung durch amerikanische Firmen zu öffnen und die Sorge über Teherans wachsende Verbindungen zu Amerikas Rivalen auf dem globalen Energiemarkt. Nach geltendem US-Recht kann das erste dieser Ziele nur erreicht werden, wenn der Präsident EO 12959 aufhebt, was aber wahrscheinlich so lange nicht geschehen wird, wie der Iran von anti-amerikanischen Mullahs kontrolliert wird und es ablehnt, seine Urananreicherungsaktivitäten, verbunden mit der möglichen Verwendung zum Bau einer Bombe aufzugeben. Gleichzeitig lässt das Verbot von US-Investitionen in die iranische Energieproduktion Teheran keine andere Wahl als den Kontakt mit anderen Verbraucherländern zu suchen. Aus Sicht der Bush-Administration gibt es nur einen schnellen Weg um diese unangenehme Konstellation zu verändern: ein Regimewechsel im Iran – den Ersatz der derzeitigen Führungsriege durch eine neue, die deutlich freundlicher gegenüber den amerikanischen strategischen Interessen ist.

Dass die US-Regierung anstrebt, einen Regimewechsel im Iran herbeizuführen, steht außer Frage. Allein schon die Tatsache, dass der Iran zusammen mit Saddams Irak und Kim Jong Ils Nordkorea in der Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation im Jahr 2002 in die »Achse des Bösen« aufgenommen wurde, war ein unmissverständlicher Indikator hierfür. Bush ließ seine Bestrebungen nochmals im Juni 2003 zu einem Zeitpunkt öffentlich werden, an dem es zu studentischen regierungsfeindlichen Protesten in Teheran kam. „Dies ist der Beginn, dass Menschen sich für einen freien Iran aussprechen, was ich begrüße“, erklärte er damals. Die iranischen Volksmudschaheddin (oder Mujahedin – e Khalq, MEK), eine gegen die Regierung gerichtete Miliz, die Terroranschläge im Iran verübte und die ihre Basis nun im Irak hat, steht auf der Liste der Terrororganisationen des US-Außenministeriums. Im Jahr 2003 berichtete die Washington Post, dass einige hochrangige Regierungsoffizielle die MEK gerne für einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran benutzen würden, ähnlich, wie die Nordallianz gegen die Taliban in Afghanistan eingesetzt wurde. Das ist aber offensichtlich nicht gelungen.

Die iranische Führung ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie von der Bush-Administration ernsthaft bedroht wird und wird zweifellos alle Schritte unternehmen, um einen US-Angriff zu verhindern. In diesem Kontext ist Öl wiederum ein zentraler Faktor sowohl in Teherans als auch in Washingtons Überlegungen. Um amerikanische Angriffspläne zu durchkreuzen, droht der Iran damit, in diesem Fall die Straße von Hormuz zu schließen und den Öltransport per Schiff durch den Persischen Golf zu behindern. „Ein Angriff auf den Iran ist gleichbedeutend mit der Gefährdung Saudi Arabiens, Kuwaits und, um es kurz zu machen, des gesamten Öls des Mittleren Ostens“, sagte Mohsen Rezai, Sekretär des Wächterrats, am 1. Mai 2005.

Solche Drohungen werden vom US-Verteidigungsministerium sehr ernst genommen. „Wir sind der Ansicht, dass der Iran in kürzester Zeit die Straße von Hormuz schließen kann, dabei wird er eine mehrschichtige Strategie anwenden, die vorwiegend auf Marine-, Luft- und einige Bodenkräfte setzt“, gab Vizeadmiral Lowell E. Jacoby bei einer Anhörung vor dem Geheimdienstkomitee des Senats am 16. Februar 2005 an.

Die Vorbereitung des Angriffs auf den Iran hat ohne Zweifel höchste Priorität für die obersten Pentagonbeamten. Im Januar 2005 berichtete der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh im New Yorker, dass das Verteidigungsministerium geheime Kommandounternehmen zur Aufklärung im Iran unternimmt, vermutlich um versteckte iranische Nuklear- und Raketenanlagen aufzuspüren, die in künftigen Angriffen ausgeschaltet werden könnten. „Mir wurde verschiedentlich mitgeteilt, dass der Iran das nächste strategische Ziel ist“, sagte Hersh bezüglich seiner Interviews mit hohen Militärs. Kurz danach enthüllte die Washington Post, dass das Pentagon Aufklärungsdrohnen über dem Iran einsetzt, um die Position von Waffenlagern zu lokalisieren und die iranische Luftverteidigung zu testen. Die Washington-Post schrieb: „Luftspionage [dieser Art] ist üblich für militärische Vorbereitungen auf einen Luftangriff.“ Es gab Berichte über Gespräche zwischen amerikanischen und israelischen Offiziellen über mögliche israelische Schläge gegen iranische Waffenlager- und Produktionsstätten, vermutlich mit einer verdeckten Unterstützung der USA.

Bei Washingtons Sorge über die iranischen Bestrebungen an Massenvernichtungsmittel und ballistische Raketen zu gelangen, steht die Sicherheit Saudi Arabeins, Kuwaits, des Iraks und anderer Öl produzierender Golfstaaten sowie Israels, tatsächlich stärker im Mittelpunkt als die Angst vor einem direkten iranischen Angriff auf die Vereinigten Staaten. „Teheran verfügt über das einzige Militär in der Region, das seine Nachbarn und die Sicherheit des Golf gefährden kann“, erklärte Jacoby in seiner Februar-Anhörung. „Sein expandierendes ballistisches Raketenarsenal stellt eine potenzielle Gefahr für die Staaten der Region dar.“ Es ist diese regionale Bedrohung, die die amerikanischen Führer vorrangig zu eliminieren suchen.

Gerade in diesem Kontext wird deutlich, dass die amerikanischen Angriffspläne auf den Iran grundlegend von der Sorge um die Sicherheit der US-Energieversorgung bestimmt werden, ebenso wie es bei der US-Invasion im Irak 2003 der Fall war. In der aufschlussreichsten Aussage über die Motive des Weißen Hauses, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen, beschrieb Vizepräsident Dick Cheney (in einer Rede vor Kriegsveteranen im August 2002) die vom Irak ausgehende Gefahr folgendermaßen: „Sollten alle Bestrebungen [an Massenvernichtungsmittel zu gelangen] realisiert werden, wären die Auswirkungen für den Mittleren Osten und die Vereinigten Staaten gigantisch … Bewaffnet mit einem Arsenal dieser Waffen des Terrors und auf 10 Prozent der Weltölreserven sitzend, kann von Saddam Hussein angenommen werden, dass er die Vorherrschaft über den gesamten Mittleren Osten sowie die Kontrolle eines großen Teils der Weltölversorgung anstreben [und] direkt Amerikas Freunde in der ganzen Region bedrohen wird.“ Alles, was man tun muss, ist das Wort »iranische Mullahs« für Saddam Hussein einzusetzen und man erhält eine perfekte Erklärung für die Gründe der Bush-Administration, einen Krieg gegen den Iran zu führen.

Während man sich öffentlich auf die iranischen Massenvernichtungswaffen konzentriert, denken Schlüsselfiguren der Regierung sicher an die geopolitische Rolle, die der Iran in der globalen Energiegleichung spielt und an seine Möglichkeiten die Ölströme zu behindern. Wie im Falle des Irak ist das Weiße Haus entschlossen, diese Gefahr ein für allemal zu eliminieren. Auch wenn Öl vielleicht nicht der einzige Grund der US-Regierung für einen Krieg gegen den Iran ist, so ist es doch ein zentraler Faktor der strategischen Überlegungen, die einen Krieg wahrscheinlich machen.

Michael Klare ist Professor am Hampshire College und Autor des Buches »Blood and Oil: The Dangers and Consequences of America’s Growing Dependency on Imported Oil«, Metropolitan Books. Übersetzung: Brigitte Keinath

Macht und die Sicherheit der Energieversorgung

China:

Macht und die Sicherheit der Energieversorgung

von M. Parvizi Amineh

China hat vor kurzem Japan im Bereich des Öl- und Gasverbrauchs überholt und steht damit weltweit an zweiter Stelle. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der Ölverbrauch den der Vereinigten Staaten übersteigen wird, da Prognosen davon ausgehen, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt (GDP) zwischen 2002 und 2025 jährlich um 6,2 Prozent ansteigen wird. Damit würde China zur weltweit größten Wirtschaftsmacht, wenn man das Bruttoinlandsprodukt zu Grunde legt. Diese Entwicklung wird nicht nur die Strategie und die Politik Chinas zur Sicherung der Ölversorgung für den eigenen Bedarf bestimmen, sondern auch einen beträchtlichen Einfluss auf die geopolitischen Beziehungen ausüben.

Chinas wirtschaftliches Wachstum hat seinen Energiebedarf rapide ansteigen lassen. Bereits seit 1993 ist China Nettoimporteur von Öl. Diese Entwicklung wird sich in der Zukunft noch verstärken. 2004 überstieg der Bedarf, der sich auf insgesamt 6,5 Millionen Barrel/Tag belief, deutlich die heimische Ölproduktion, die laut internationaler Prognose der US Energy Information Administration (EIA) von 2005 3,6 Millionen Barrel/Tag betrug.

Abhängigkeit vom Energieimport

Prognosen für das Jahr 2025 sagen voraus, dass der Ölverbrauch Chinas bei 14,2 Millionen Barrel/Tag liegen wird. Zwischen 2002 und 2015 wird der Verbrauch jährlich um 5,8 Prozent ansteigen, in den verbleibenden Jahren der Voraussage wird sich das Wachstum halbieren. Obwohl China versucht, die heimische Produktion zu erhöhen, wird bis 2025 ein Netto-Import von 10,9 Millionen Barrel/Tag erwartet. Das bedeutet ein Anstieg des Ölimports um ungefähr 960 Prozent in den nächsten beiden Dekaden. Damit wird der Erdölimport nahezu 70 Prozent des chinesischen Energiebedarfs abdecken. Durch die wachsende Abhängigkeit Chinas von Ölimporten wächst auch die Sorge der chinesischen Regierung um die Sicherheit der Energieversorgung und um die Befriedigung des wachsenden Bedarfs.

Im Jahr 2003 hatte der Erdgasverbrauch Chinas nur einen Anteil von ca. 3 Prozent am gesamten Energieverbrauch und er wurde von der heimischen Produktion mit 33,6 Mill. Kubikmeter abgedeckt. Man erwartet jedoch, dass das Niveau des Gasverbrauchs sich bis 2010 verdoppeln und bis 2025 auf 170 Mrd. Kubikmeter anwachsen wird, das wären dann 3,5 Prozent des Weltgasverbrauchs. Das Anwachsen des Gasverbrauchs soll durch wachsende heimische Produktion und Importe durch Pipelines und Flüssiggas befriedigt werden.

Wie wird China seinen Energiebedarf befriedigen?

Die größten Öl- und Gasreserven konzentrieren sich auf zwei Regionen: der persische Golf umfasst annähernd 60 Prozent der bekannten Ölreserven, während in der Region des Kaspischen Meeres mit den fünf Anrainerstaaten Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Iran und Russland fast 35 Prozent der bekannten globalen Gasreserven lagern. China wird diese Quellen weiter anzapfen müssen, um eine ausreichende Energieversorgung zu sichern.

Sechzig Prozent der chinesischen Ölimporte kommen heute schon aus dem Persischen Golf. 2003 war Iran mit 14 Prozent des Gesamtimports der zweitgrößte Öllieferant Chinas. Gleichzeitig war China Irans Hauptlieferant von dual-use Technologien, obwohl China zu den Unterzeichnerstaaten der internationalen Übereinkünfte gehört, die die Weiterverbreitung von Technologien verbieten, die zur Herstellung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen dienen können. Oman und Jemen werden ebenfalls immer wichtigere Handelspartner im Ölgeschäft.

Saudi-Arabien ist Chinas größter Öllieferant, während umgekehrt China Saudi-Arabiens größter Kunde ist. Saudi-Arabien wird laut Washington Times (vom 16. September 2004) bald nicht mehr zu den Top 5 der US-Öllieferanten zählen. Gleichzeitig führt seine wachsende Bindung an China zu erhöhten Spannungen zwischen der Bush-Regierung und den Saudis, besonders nach dem 11. September. Die Saudis sind sich bewusst, dass sie allein mit den Vereinigten Staaten ihr Regime nicht werden verteidigen können, woraus der Wunsch resultiert, ihre Sicherheitspolitik zu diversifizieren. Dabei erscheint China als interessierter Partner. Hierbei stellen die Waffenlieferungen Chinas an den Persischen Golf eine potenzielle Gefahr für die Sicherung US-amerikanischer Interessen in der Region dar. So warnte bereits die Kommission zur Überwachung der amerikanisch-chinesischen Wirtschafts- und Sicherheitsbelange, die vom amerikanischen Kongress geschaffen wurde, um die Beziehungen der Vereinigten Staaten und China zu überwachen, im Jahre 2002 davor, dass „der Handel mit diesen Regimes eine wachsende Bedrohung US-amerikanischer Sicherheitsinteressen im Nahen Osten“ darstelle. Die Haupttriebfeder der Beziehungen Chinas zu Regierungen, denen vorgeworfen wird den Terrorismus zu fördern, ist seine Abhängigkeit von ausländischem Öl zur Entwicklung der eigenen Wirtschaft. Diese Abhängigkeit wird in den kommenden Jahrzehnten weiter wachsen. Man ist sich in China der Tatsache bewusst, dass die Sicherheit seiner Energieversorgung kurzfristig von der Kooperation mit den Vereinigten Staaten abhängt. Aber chinesische Politiker sehen auch, dass die Vereinigten Staaten von Amerika versuchen, eine beherrschende Stellung am Persischen Golf zu erreichen und den chinesischen Einfluss einzudämmen.

Der Zugang zum Persischen Golf wird somit neben der Taiwan-Frage, den Handelsbeziehungen und den Menschenrechtsfragen zu einem weiteren zentralen Konfliktelement in den chinesisch-US-amerikanischen Beziehungen.

Dies ist ein wesentlicher Grund für Chinas Hinwendung zur Kaspischen Region. China muss Zugang zu den gewaltigen Ölreserven der Region gewinnen, um seine Energieabhängigkeit am Persischen Golf zu reduzieren. Um das zu erreichen, treibt China eine Stabilitätspolitik in der Region der fünf zentralasiatischen Republiken (Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) voran und stellt sich zugleich dem Vordringen des US-amerikanischen Einflusses entgegen.

Unter geographischem Gesichtspunkt ist die Kaspische Region für China aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zugänglicher als der Persische Golf. Russland, Zentral-Asien und China teilen sich die eurasische Landmasse, wodurch überirdische Öl- und Gaspipelines eine attraktive Option für den Energietransport darstellen. So versprach 1997 die »China Nationale Petroleum Gesellschaft« 9,5 Mrd. US-Dollar in den Bau von Pipelines und der Erschließung von Ölfeldern zu investieren. Chinas nationale Ölgesellschaften haben damit begonnen in Kasachstan zu investieren. Kasachstan ist bisher der einzige zentral-asiatische Staat, der Öl nach China exportiert. Kasachisches Öl wird bislang über die Bahn transportiert. Dies wird sich allerdings ändern, sobald die 1.000 Kilometer lange Pipeline von Kasachstans Karaganda Region in den Westen Chinas fertig gestellt sein wird.

Im Jahre 2002 schlossen Russland und China eine Durchführbarkeitsstudie für eine chinesisch-russische Pipeline ab, die von Angarsk (Russland) nach Daqing (China) führen soll. Der Baubeginn war für Juli 2003 geplant. Jedoch waren auch die Japaner interessiert und unterbreiteten Russland attraktive Investitionsangebote. Vor diesem Hintergrund schlug die russische »Transneft Open Joint Stock Oil Transporting Co« eine alternative Route von Angarsk zum russischen Pazifikhafen Nakhodka vor. Jedoch favorisierte der russische Minister für Rohstoffe die Angarsk-Daqing Route und erhielt darin die Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der die strategische Relevanz dieser Route hervorhob.

Allerdings garantiert die geographische Verschiebung der chinesischen Ölimport-Interessen in die Kaspische Region keine höhere Versorgungssicherheit. Mit Ausnahme Russlands ist die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Stabilität in der Kaspischen Region wie auch der Region des Persischen Golfes von Unwägbarkeiten bedroht.

In einem durch geopolitische Konkurrenzkämpfe um die Ressourcen gekennzeichneten Umfeld, können diese beiden instabilen Regionen durch äußeren Druck leicht weiter destabilisiert werden, wenn es nicht gelingt, die dortigen Öl- und Gasmärkte mit ökonomischer und politischer Stabilität zu verbinden.

Die Kontrolle über die Förderung und den Transport der Öl- und Gasreserven des Kaspischen Raums und des Persischen Golfs wird einen erheblichen Einfluss auf die politische und ökonomische Zukunft nicht nur für diese beiden Regionen haben. Öl und Gas sind für Jahrzehnte die beiden primären Energiequellen gewesen und stellten somit einen Machtfaktor dar. Es wird erwartet, dass bis 2020 etwa 70 Prozent des Energiebedarfs weiterhin über diese beiden Energieträger abgedeckt wird.

Laut der US Energy Information Administration (EIA) wird der Ölverbrauch von 82 Mio. Barrel/Tag im Jahre 2004 auf 100 Mio. Barrel/Tag im Jahre 2015 und 119 Mio. Barrel/Tag für das Jahr 2025 anwachsen. Angesichts dieses wachsenden Energiehungers zeigen sich Experten beunruhigt über die begrenzt vorhandenen Kapazitäten: Bestehende Öl- und Gasressourcen befänden sich im Niedergang und die Entdeckung und Erschließung neuer Gas- und Ölfelder gestalteten sich enttäuschend. In Folge dessen werden die großen Erdöl importierenden Länder eine vermutlich aggressivere Politik verfolgen, um ihren Energiehunger befriedigen zu können. Militärische Interventionen zur Sicherung der Förderung und des Transportes dieses Energieträgers werden wahrscheinlicher. Diese Entwicklung wird ein bestimmender Faktor in Fragen des globalen Friedens und der Sicherheit werden.

Künftiges geopolitisches Szenario

Auf der Grundlage der gegenwärtig nachweisbaren weltweiten Öl- und Gasvorkommen stellt die Kaspische Region neben dem Persischen Golf einen Schwerpunkt dar. Bedenkt man, dass nicht nur in China sondern auch in anderen Staaten – wie USA, Japan, die EU und Indien – der Energiebedarf wächst, lässt sich vorhersagen, dass alle diese Akteure ein zunehmendes Interesse an einen Zugriff auf die Öl- und Gasreserven der Regionen um den Persischen Golf und das Kaspische Meer sowie Russlands haben werden. Als Antwort auf ihre wachsende Importabhängigkeit werden die Energieimporteure ihre energiepolitischen Sicherheitsstrategien auf diese Entwicklung einstellen. Die zentrale Frage ist hierbei, ob hinsichtlich des wachsenden chinesischen Energiehungers die übrigen großen Erdöl importierenden Staaten gegenüber China eine konkurrierende Position einnehmen oder ob sich eine Kooperationslösung zwischen ihnen und den Erdölförderländern generieren lässt.

Es ist bislang nicht deutlich erkennbar, ob die drei wichtigsten konkurrierenden Mächte – die USA, Russland und China – sich als Rivalen, Verbündete oder als eine Art Kombination von beidem betrachten: Russland und China formulieren ein gemeinsames Interesse in der Kaspischen Region, haben allerdings bislang noch keine gemeinsamen praktischen Schritte unternommen. Die USA hingegen werden politischen, ökonomischen und vielleicht militärischen Druck anwenden, um ihren Einfluss in dieser Region zu erweitern und versuchen alle Hürden, die den sicheren Energiefluss gefährden, zu beseitigen. Wie groß die Entschlossenheit der USA hierzu ist, beweist deren Kriegspolitik gegenüber dem Irak und die Nuklearkrise um den Iran. Russland und China sind derzeit noch nicht in der Lage, dem konventionellen US-amerikanischen Militärpotenzial etwas entgegen zu setzen und werden daher eine unmittelbare militärische Konfrontation vermeiden. Vielmehr werden sie versuchen, sich mit den lokalen Mächten in der Kaspischen Region zu verbünden, um auf diese Weise ihre dortigen Interessen zu verteidigen. Der Albtraum aller drei Mächte ist eine Allianz zwischen zwei von ihnen, die sich gegen den dritten richtet. Der schlimmste Fall für die Welt wäre eine unmittelbare direkte Konfrontation der drei Mächte.

Die Bush-Administration beispielsweise will diese Region dominieren, sich Russland und China als die beiden größten Herausforderer unterordnen und eine strategische Allianz zwischen beiden verhindern. Zur gleichen Zeit könnte die Rivalität um das Kaspische Öl und die Erdgasvorkommen zu einer für die USA ungünstigen Entwicklung führen: Das Entstehen eines Energiemarktes und eines sicherheitspolitischen Konstruktes unter (teilweisem) Ausschluss der USA. Bilaterale Abkommen zwischen China und Russland, China und Iran, Russland und Iran, aber auch regionale Kooperationsformen wie die Schanghai Kooperation Organisation können als erste Schritte für eine solche Entwicklung gewertet werden.

Dieser Supermacht-Wettbewerb wird bereits als »the new great game« (das neue große Machtspiel) in Anlehnung an den Kampf zwischen Großbritannien und Russland im 19. Jahrhundert über die Erbmasse des Ottomanischen und Persischen Reiches bezeichnet.

Dr. M. Parvizi Amineh ist Programm Direktor (Energy Program Asia) und Senior Research Fellow am Internationalen Institut für Asien Studien (IIAS) in Leiden, Niederlande Übersetzung: Dr. Alexander Neu

Abhängig von Rohstoffen und Monopolstrukturen

Europäische Energiepolitik:

Abhängig von Rohstoffen und Monopolstrukturen

von Karsten Smid

Die Zukunft der Energieversorgung berührt nicht allein die Umwelt- oder Wirtschaftspolitik, sondern wirft zunehmend außen- und sicherheitspolitische Fragen auf. Verknappung, wachsender Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt um Ressourcen, Klimaerwärmung und die Weiterverbreitung (Proliferation) von Atomwaffentechnik umschreiben die neue Dimension der Energiedebatte. Die Energiepolitik gewinnt in immer schärferer Form geostrategische Bedeutung. Bei rasant steigender Nachfrage wird immer offensichtlicher: Der Vorrat an fossilen Brennstoffen und Uran ist endlich. Der Zugriff auf die wertvollen Ressourcen wird daher mit politischer Macht gesichert und nötigenfalls mit militärischer Gewalt verteidigt. Diese Politik der Energiesicherung verstärkt die Ungerechtigkeit in der Welt: Während die reichen Industrieländer ungehemmt ihren Energiehunger stillen, haben die ärmeren Länder das Nachsehen.

Europa hat die Frage der Versorgungssicherheit bislang weitgehend den Energiekonzernen überlassen, deren Unternehmensstrategie vorrangig auf Gewinnmaximierung gerichtet ist. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, die Interessen der Konzerne seien identisch mit denen der nationalen Regierungen. Folgerichtig ist es auch ein Fehler, die strategische Ausrichtung der Energiepolitik den Energiekonzernen zu überlassen. Die bisherige Energieversorgung führt dazu, dass einige wenige Konzerne riesige Gewinne realisieren und ihre Monopolstellung weiter ausbauen. Ihre Umsätze übertreffen das Bruttosozialprodukt einiger europäischer Staaten.

Wir stehen energiepolitisch am Scheideweg: Wird der Ausbau erneuerbarer Energien forciert oder setzten wir weiter vor allem auf fossile und atomare Energieträger mit der Folge doppelter und wachsender Abhängigkeit: Zum einen von den Energiekonzernen und zum anderen von Rohstoffimporten.1 Die erstere zementiert die alten, auf fossilen Brennstoffen basierenden Strukturen. Die zweite erhöht dramatisch den Beschaffungsdruck: Die begleitenden Umstände, die stoffgebundene Abhängigkeit, das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Stoff, der Kontrollverlust über die Menge des Konsums und das bei Engpässen extrem aggressive Verhalten zum Beschaffen des Stoffes weist Parallelen auf zu einem Heroinabhängigen: Der Stoff – in diesem Falle Öl und Gas – muss »auf Teufel komm raus« beschafft werden, sonst droht der Kollaps.

Peak Oil – Schluss mit dem billigen Erdöl

Die Industriegesellschaften stehen an einem historischen Wendepunkt: 150 Jahre lang war Erdöl der Treibstoff der aufstrebenden Nationen. Der Zugang zur billigen Ressource sichert ihnen auch heute noch Wohlstand, Überfluss und Macht. Doch unaufhaltsam nähert sich das Ende des Ölzeitalters. Jedes Jahr wird so viel Erdöl verbraucht, wie die Natur im Laufe von einer Million Jahren geschaffen hat. Wir müssen davon ausgehen, dass 90 Prozent der förderbaren Erdölvorräte bereits entdeckt sind. Weltweit kommt auf zwei Fass Öl, die verbraucht werden, nicht einmal ein Fass Öl, das neu gefunden wird. Geologen sehen den »Peak Oil“ (auch: »depletion midpoint«) kommen, den Zeitpunkt, an dem die höchste Ölfördermenge erreicht wird. Manche Experten erwarten ihn bereits um das Jahr 2010. Nach dem »Peak Oil« wird die Weltölproduktion zwangsläufig sinken.

Auch Europas Ölvorräte gehen allmählich zur Neige. An ihre Stelle treten zunehmend Erdöllieferungen aus den OPEC-Ländern, insbesondere der Golfregion. Diese Länder gelten als politisch ebenso instabil wie die gesamte Kaukasus-Region. Weltweit müssen die Konzerne immer mehr Aufwand treiben, um Ölquellen zu erschließen. Sie dringen zu diesem Zweck in immer sensiblere Naturregionen vor. Unberührte Urwaldgebiete in Afrika und Lateinamerika werden von Ölpipelines durchschnitten, Ölleckagen bedrohen artenreiche Naturschutzgebiete in Alaska, Westsibirien oder Sachalin.

Bei der Verbrennung von Öl wird das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Vor den Konsequenzen der Erderwärmung in Folge der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre warnen Klimawissenschaftler immer eindringlicher. Gletscher schmelzen in ungeahntem Tempo ab. Der Meeresspiegel steigt. Der Permafrostboden taut auf und setzt Methan frei. Die Intensität von Hurrikanen steigt. Niederschläge nehmen zu. Dürren und Hitzewellen halten länger an.

Leidtragende sind in erster Linie die armen, unterentwickelten Länder. Überschwemmungen, Hurrikane und lang anhaltende Dürreperioden können in Zukunft eine Welle von Klimaflüchtlingen auslösen, die nach Europa drängt. Es kann auch Südeuropäer treffen, die wegen der Versteppung ganzer Landstriche nach Norden fliehen müssen.

Das Fazit ist eindeutig: Die knappen Ölvorräte, die bedrohte Versorgungssicherheit sowie der begonnene Klimawandel gebieten ohne Alternative, sich energisch den Erneuerbaren Energien zuzuwenden.

Die verletzlichen Adern der Öl- und Erdgasversorgung

Ungeachtet all dieser Probleme treibt die Europäische Union (EU) die Erschließung der Öl- und Gastransportrouten voran. Das Programm INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe)2 hat den Ausbau des Pipelinenetzes, und damit den Zugriff auf russische, kaukasische und zentralasiatische Öl-Felder und Gasvorkommen zum Ziel.34

Im Ölsektor geht es vorrangig um die Erneuerung und den Ausbau der Druschba-Pipeline, über die Deutschland einen Großteil des russischen Öls aus Westsibirien5 importiert, und um zusätzliche Pipelines in Südosteuropa. Der Bosporus, Nadelöhr und riskante Schifffahrtsroute für die riesigen Öltanker, soll durch zusätzliche Pipelines entlastet werden.

Das Erdgas aus Russland wird bisher auf dem Landweg über Pipelines nach Europa gepumpt. Die deutschen Erdgasimporte laufen entweder über die Transitländer Ukraine, die Slowakei und Tschechien oder über Weißrussland und Polen. Wie anfällig dieses zweiadrige Versorgungssystem ist, hat der russisch-ukrainische Gasstreit gezeigt. Als Russland wegen Auseinandersetzungen um die Preisgestaltung zum 1. Januar 2006 die Gaslieferung an die Ukraine stoppte, meldeten gleich mehrere europäische Länder einen vorübergehenden Rückgang der vereinbarten Liefermengen um bis zu 40 Prozent.

Um diese Abhängigkeit zu verringern, sind zwei große Pipelineprojekte in Planung. Über die ca. 1.300 Kilometer lange Trans-European Gaspipeline (Ostseepipeline) soll das russische Gas von St. Petersburg durch die Ostsee nach Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern und dann weiter über die Niederlande nach Großbritannien gepumpt werden – zuerst 25 bis 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, nach dem Bau einer zweiten Röhre das Doppelte. Das Gas soll aus dem westsibirischen Jushno-Russkoje-Gasfeld kommen.

Das zweite Projekt ist die Aserbaidschan – Georgia – Türkei Gaspipeline, die Gas aus der kaspischen Region liefern soll. Diese Pipeline (auch BTE Pipeline genannt) verläuft von Aserbaidschan nach Tbilisi und dann südwärts an der türkischen Stadt Erzurum vorbei. Es ist geplant, sie dort an das türkische Leitungssystem anzuschließen. Die BTE-Rohrleitung soll das Erdgas vom Giant-Offshorefeld Azeri von Shah Deniz transportieren, dessen Reserven auf 460 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden. Im vollen Ausbaustadium ab 2009 wird sie laut Planung eine Kapazität von etwa 8 Milliarden Kubikmetern pro Jahr erreichen.

Wie der Erdölmarkt in Europa von den Ölmultis Esso, Shell, BP und Total beherrscht wird, ist auch der Gasmarkt unter Kontrolle von großen Versorgungsunternehmen. Russland ist mit seinem Staatsunternehmen Gasprom auf dem besten Wege, gemeinsam mit seinen (mehr oder weniger abhängigen) Nachbarländern eine Art »Gaskartell« aufzubauen. Auf der deutschen Seite finden sich E.ON-Ruhrgas, RWE, Wingas und Co., die ihre eigenen Interessen verfolgen – vor allem das Interesse der Profitmaximierung. Die Gefahr einer neuen Abhängigkeit von Oligopolstrukturen ist unabweisbar.

Grünbuch Energiesicherheit und Nato-Strategien

Die Abhängigkeit Europas von Öl- und Gasimporten wächst beständig. Das im März 2006 von der EU-Kommission vorgestellte Grünbuch »Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie« bemerkt dazu: „Der Energiebedarf der Union (wird) in den nächsten 20 bis 30 Jahren zu 70 % (statt wie derzeit zu 50 %) durch Importe gedeckt werden, wobei einige aus Regionen stammen, in denen unsichere Verhältnisse drohen.“

Was kaum ein Europäer weiß: Die EU importiert schon heute mehr Rohöl als die USA, die gemeinhin als besonders ölabhängig gelten. Im Jahr 2004 führte die EU 508 Millionen Tonnen Öl ein (USA: 501 Millionen Tonnen), davon allein 159 Mio. Tonnen aus dem Mittleren Osten.6

Das Grünbuch mahnt folgerichtig eine „klar definierte Energieaußenpolitik“ an. Diese soll die Modernisierung und den Bau neuer Infrastruktureinrichtungen, insbesondere Erdöl- und Erdgasrohrleitungen und Flüssiggas-(LNG)-Terminals sicherstellen, die für eine stabile Energieversorgung als erforderlich betrachtet werden. Daneben sollen Energiedialoge die Partnerschaft mit Erzeuger- und Transitländern festigen.

Für die EU ist die kaspische Region dabei von zentraler Bedeutung. Neue Öl- und Erdgaspipelines sollen die europäischen Energieversorger an die Region anbinden. Der Kampf um die Ölreserven am kaspischen Meer, das »Great Game«, ist unter den konkurrierenden Nationen voll entbrannt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion versucht Washington, auf die kaspischen Energievorräte zuzugreifen und unterstützt Initiativen, um die Ölfelder für westliche Investoren zu erschließen und Exportpipelines zu errichten, wie die drei Milliarden Dollar teure Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline (BTC). Das Engagement soll abgesichert werden durch die Stationierung amerikanischer Streitkräfte im kaspischen Raum. Neben Europa und den USA will sich auch China von Osten her über Kasachstan den Zugriff auf das kaspische Öl sichern.

Auf politischer Ebene will die EU bei der Internationalen Energie Agentur (IEA) und beim G8-Gipfel im Juli 2006 in St. Petersburg die Versorgungssicherheit auf die Tagesordnung setzen. Das Grünbuch sieht Europas Energiesicherheit durch Konkurrenten gefährdet: „Eine geringere Nutzung fossiler Brennstoffe durch diese Länder (Vereinigte Staaten, Kanada, China, Japan und Indien) wäre auch für die Energieversorgungssicherheit Europas von Vorteil.“

Die wachsende Energieabhängigkeit und die zunehmende Konkurrenz der Hochverbrauchsländer bei verknappten Weltreserven ist auch Thema der NATO und ihrer militärischen Strategien zur Ressourcensicherung. So ist die geostrategische Sicherung lebenswichtiger Ressourcen seit April 1999 ein Teil der offiziellen NATO-Strategie. „Die Interessen der Allianz können auch durch Risiken weitläufiger Natur gefährdet werden, zu denen die Zufuhr von lebenswichtigen Ressourcen gehört“, so das strategische Konzept der NATO.7

In Szenarien wird auch schon der Ernstfall geprobt. Im Garmisch Game´99 spielten 90 hochrangige Militärs und Diplomaten drei Tage unter Anleitung der US Army folgendes Szenario durch: Eine Krise in der Kaukasus-Region erfordert den militärischen Einsatz. Die Frage: Wie groß ist das strategische Interesse Europas an der Region? Die Rahmenbedingungen: September 2009, die kaspischen Energiequellen, in erster Linie Öl, sind wichtig für Europa; Georgien ist eine wichtige Transitroute; der Zugriff aufs Öl am persischen Golf ist unzuverlässig auf Grund von Spannungen zwischen Iran und Irak.8 57 Prozent der Beteiligten hielten das Szenario für plausibel und 62 % stimmten der These zu, dass der Zugriff aufs kaspische Öl im Jahr 2009 von signifikanter strategischer Bedeutung ist.

Die EU bereitet sich bereits auf kommende Kriege um Ressourcen vor. Dies geht aus Unterlagen des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS) hervor. Das »European Defence Paper«, das im Auftrag des EU-Rates vom ISS in Paris erstellt wurde, spielt ebenfalls entsprechende Szenarien durch. So heißt es: „Das militärische Ziel der (fiktiven) Operation ist es, das besetzte Territorium zu befreien und Kontrolle über einige der Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfen des Landes X zu bekommen.“9 Zukünftige regionale Kriege könnten Europas Interessen in wichtigen Fragen berühren. So könnte nach dem Szenario des »European Defence Paper« „die direkte Bedrohung von Europas Wohlstand und Sicherheit, zum Beispiel in Form von Unterbrechung der Ölversorgung und/oder der massiven Steigerung für die Kosten von Energie-Ressourcen“ einen NATO-Einsatz im Mittleren Osten notwendig machen.10

Die Militarisierung des kaspischen Raumes ist in vollem Gange. Auf der Konferenz »Versorgungssicherheit im Kaspischen Raum«, veranstaltet vom Marshall European Center for Security Studies (US Office of the Secretary of Defense), trafen sich im September 2005 Energieexperten aus der Region mit hochrangigen NATO-Vertretern und US-Experten in Garmisch Partenkirchen, um über die militärstrategische Dimension der Energiesicherung zu diskutieren. Auf der Tagesordnung standen die Reaktion auf kriegerische Auseinandersetzungen, terroristische Attacken und Unfälle in der Region sowie die Schulung von Streitkräften zur Sicherung von Ölpipelines, Pumpstationen und Gas- und Ölplattformen.11

Auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) lässt keinen Zweifel daran, im Krisenfall militärisch einzugreifen. Zu den sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands gehört nach Jungs Meinung „auch eine freie und sichere Energieversorgung“. „Wenn Terroristen etwa eine Meerenge kontrollieren, dann liegt es natürlich auch im deutschen Interesse, wieder für den freien Handel zu sorgen.“12 In bislang nicht gekannter Offenheit verriet Jung auch den Grund für den derzeitigen Einsatz deutscher Soldaten am Horn von Afrika: Beteiligung an der Sicherung der Ölversorgung.

Damit nähert sich die Strategie der europäischen Energieaußenpolitik unter dem Druck wachsender Ressourcenknappheit der vielfach kritisierten aggressiven US-amerikanischen Außenpolitik zur strategischen Absicherung ihrer Öllieferungen und Transportrouten an.

Klimakiller Kohle und Risikotechnik Atom

Angesichts der dramatischen Entwicklung auf den Rohstoffmärkten sieht die Kohleindustrie ihr Comeback und wirbt mit dem heimischen Energieträger Kohle und seinen ergiebigen Reserven. Auch Atomenergiebefürworter spekulieren immer lauter über die Verlängerung von Restlaufzeiten in Deutschland und präsentieren sich als Retter des Klimas. Betrachten wir deren Argumente einmal genauer.

Die Kohlelobby führt neue Kraftwerkstechnologien ins Feld, die darauf abzielen, das klimaschädliche Kohlendioxid zukünftig im Kraftwerk aufzufangen und im geologischen Untergrund zu speichern, das so genannte »CO2 freie Kraftwerk«. Doch die Entwicklung der CO2-Abscheidetechnik braucht noch Jahrzehnte, bei der Anwendung der Technik sinkt der ohnehin schon schlechte Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke rapide. Und von einer vollständigen CO2-Abscheidung kann gar keine Rede sein. Optimisten rechnen mit einem Abscheidegrad von 85%, so dass noch ein erheblicher Anteil an Kohlendioxid in die Luft geschleudert wird. Beim derzeitigen Entwicklungsstand kann die Propagandaoffensive für das angeblich CO2 freie Kraftwerk deshalb nur als Alibi bewertet werden, um den Bau von herkömmlichen, klimaschädigenden Kohle-Kraftwerken zu rechtfertigen. Der Bau neuer Kohlekraftwerke führt uns zurück in eine ineffiziente Energiesteinzeit und energiepolitisch in eine Sackgasse.

Auch das Argument der Versorgungssicherheit ist nur oberflächlich betrachtet plausibel. Eine weitere Nutzung der Kohle ist mit dem Klimaschutz nicht vereinbar. Wie kann es im Interesse einer sicheren Versorgung liegen, unsere natürlichen klimatischen Verhältnisse zu destabilisieren?

Ebenfalls ist Atomkraft keine Lösung für die Energieprobleme der Welt. Die wirtschaftlich abbaubaren Uranvorräte sind weltweit in absehbarer Zeit erschöpft. Atomenergie ist gefährlich und nicht beherrschbar. Die Wahrscheinlichkeit von Atomunfällen erhöht sich mit der Zahl der Reaktoren. Das Unfallrisiko steigt mit längeren Laufzeiten aufgrund von Alterungsprozessen und Materialermüdungen. Für die hochradioaktiven Abfälle gibt es kein sicheres Endlager. Eine unvermeidliche Konsequenz aus der Nutzung von Atomenergie ist die Produktion des Bombenstoffes Plutonium. Je weiter die Atomtechnologie weltweit verbreitet wird, desto mehr Länder haben Zugriff auf die Grundstoffe und das Know-how zum Bau von Atombomben. Hinzu kommt, dass viele Atomanlagen nur unzureichend gegen Terrorattacken gesichert sind.

Auch ein wirkungsvoller Klimaschutz ist mit Atomkraft nicht machbar. Ein nukleares Klimaschutzszenario würde allein für Deutschland den Neubau von etwa 60 Atomkraftwerken bis 2050 bedeuten.13 Niemand kann dies ernsthaft bei dieser Risikotechnik in Erwägung ziehen.

Dezentrale Strukturen

Die traditionelle Kraftwerkstechnologie baut auf Großkraftwerke mit zentralen Versorgungsaufgaben und einer ebenso zentralisierten gigantischen Infrastruktur von der Förderung über den Transport bis zur Verteilung, die wenigen überregional agierenden Großkonzernen außerordentliche Renditen beschert. Die Nutznießer sind intensiv damit beschäftigt, unter anderem mit aufwändiger Lobbyarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien, den Umbau hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung zu behindern.

Eine dezentrale Energieversorgung aus Blockheizkraftwerken, Windenergie-, Photovoltaik- und Geothermieanlagen sowie anderen regenerativen Quellen versetzt demgegenüber regionale Anbieter – wie Stadtwerke – wieder in die Lage, ihren eigenständigen Beitrag zu einer sicheren Energieversorgung der Bevölkerung zu leisten.

Nachhaltige Versorgungssicherheit können langfristig nur Erneuerbare Energien und dezentrale Strukturen garantieren. Nur sie sichern Unabhängigkeit, bewahren vor politischer und ökonomischer Erpressbarkeit und schützen vor Blackouts aufgrund politischer, militärischer oder gar terroristischer Ereignisse in den Erzeuger- oder Transitländern.

Wir brauchen eine mittel- und langfristig angelegte Umorientierung der Energiepolitik, die nicht nur die Risiken minimiert, sondern die Struktur der Energienutzung ändert und insbesondere die Bedrohung durch die globale Erwärmung der Erde mitberücksichtigt, einschließlich der dramatischen Zunahme von Klimaextremen.

Eine nachhaltige Energieversorgung mit der Ausrichtung auf erneuerbare Energien, Energiesparmaßnahmen und Energieeffizienz ist machbar. Sie schützt das Klima und die Ressourcen, reduziert die atomaren Risiken und verringert die Abhängigkeit von Rohstoffen und Monopolstrukturen. Sie schafft Arbeitsplätze und hilft, den Frieden weltweit zu sichern. Damit entstünde eine Versorgungssicherheit neuen Typs, die nachhaltig ist und einen Knäuel von Problemen lösen hilft: grüne Versorgungssicherheit.

Anmerkungen

1) Ausführlicher dazu: Karsten Smid: Schwarzbuch Versorgungssicherheit, Greenpeace, April 2006.

2) www.inogate.org, Das zweite europäische Programm TRACECA (Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia) erschließt die dazu gehörigen Verkehrswege in die Region.

3) Kai Ehlers: Reicht Europa bis nach Kasachstan? in Jürgen Wagner, Tobias Pflüger: Welt -Macht- Europa, Juni 2006.

4) S.W. Garnett, A.Rahr, K. Watanabe: Der kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Ein Bericht an die Trilaterale Kommission, Berliner Schriften zur internationalen Politik, 2001.

5) Zu der ökologisch katastrophalen Situation in Westsibirien siehe: IWACO, West Siberian Oil Industry – Environmental and Social Profile, Greenpeace, Juni 2001.

6) BP- Statistical Review 2005

7) North Atlantic Treaty Organization (NATO): The Alliance´s Strategic Concept, Brüssel, 1999.

8) International Game ´99 – Garmisch, The Center for Naval Warfare Studies, Captain James T. Harrington, U.S. Navy, Strategic Research Department, Research Report 13-99. Auch auf Details wird nicht verzichtet. So stirbt Sadam Hussain laut Spielanleitung im Jahr 2006 eines natürlichen Todes.

9) Zitiert nach Andreas Zumach: Die kommenden Kriege, Köln 2005.

10) Institute for Security Studies: European defence – A proposal for a White Paper, Report of an independent Task Force, Paris, May 2004, www.iss-eu.org

11) Energy Security in the Caspian Basin – September 25 – 28, 2005, www.marshallcenter.org

12) Interview mit Verteidigungsminister Jung: Bundeswehr wird künftig auch Energieversorgung sichern müssen, Focus, 21.05.2006.

13) Enquete-Kommission, Nachhaltige Energieversorgung, Deutscher Bundestag, Juli 2002

Karsten Smid, ist Kampagnenleiter bei Greenpeace. Er arbeitet zu den Themen Klimaschutz, internationale Energiepolitik und Corporate Social Responsibility (CSR) von Energiekonzernen.