Militär kontra Islamismus

Militär kontra Islamismus

von Ulrike Dufner

Besteht die Gefahr, daß sich in der Türkei ein zweites iranisches System etabliert? Kommt es in dem am engsten mit Europa verbundenen Staat des mittleren Ostens zu einem islamischen Gottesstaat? Was steckt hinter dieser Agitation der türkischen Militärs? U. Dufner untersucht die Hintergründe der bisher beispiellosen Kampagne des Militärs gegen islamistische Aktivitäten, der Parteiverbote, Kleidungsvorschriften, Zugangsbeschränkungen für religiöse Schulen usw.

Es vergeht gegenwärtig kaum ein Tag, an dem die türkischen Zeitungen nicht über Demonstrationen von StudentInnen gegen das Kopftuchverbot, über Strafverfahren gegen AnhängerInnen islamistischer Organisationen oder über die Laizismus-Frage berichten. Diese Berichte lassen sich wie ein roter Faden bis zum 28.Februar 1997 zurückverfolgen. An diesem Tag verfaßte der Nationale Sicherheitsrat der Türkei, ein Gremium bestehend aus hochrangigen Militärs und Vertretern der Regierung, ein Memorandum gegen den »Fundamentalismus«. In dem darin enthaltenen 20-Punkte-Programm wird die damalige Regierung unter der Führung von Necmettin Erbakan aufgefordert, Maßnahmen zur Eindämmung islamistischer Aktivitäten zu ergreifen.

Das Militär fordert unter anderem:

  • Maßnahmen, die verhindern sollen, daß »muslimische Militante« den Verwaltungsapparat durchdringen;
  • die Wohlfahrtspartei wird angehalten, nicht weiter Offiziere zu rekrutieren, die aufgrund von islamistischen Sympathien vom Militär ausgeschlossen wurden;
  • private, nicht staatlich kontrollierte Koran-Kurse zu schließen;
  • jegliche Propaganda für die Einführung des islamischen Rechts in privaten Rundfunk- und Fernsehsendern zu verbieten;
  • Einschränkungen bezüglich religiöser Kleidung in öffentlichen Einrichtungen zu erlassen;
  • Finanzorganisationen, die Sufi-Orden bzw. Religionsgemeinschaften angehören, stärker zu kontrollieren;
  • die Schulpflicht auf acht Jahre zu verlängern;
  • den Paragraphen 163 des türkischen Strafgesetzbuches wieder einzuführen, der das Politisieren von Religion verbietet und der erst Anfang der neunziger Jahre abgeschafft worden war.

Eine weitere Maßnahme von zentraler Bedeutung ist die Einrichtung der sog. Arbeitsgruppe West innerhalb des Militärs, die Informationen über die Aktivitäten islamistischer Gruppierungen sammeln soll.

Jede einzelne dieser Forderungen stellte für sich schon eine Kampfansage an den damaligen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan dar und war für diesen unannehmbar. Betrachtet man die Forderungen als Ganzes, so wird deutlich, daß die Struktur der islamistischen Strömung zerschlagen und das Unterbreiten von als »islamisch« verstandenen Symbolen in der Öffentlichkeit verboten werden sollten. Die Forderungen richteten sich in großen Teilen auch gegen Kernelemente der Politik der islamistischen Wohlfahrtspartei (RP) Erbakans seit den 80er Jahren. Nach dem erzwungenen Rücktritt Necmettin Erbakans im Juni letzten Jahres wurden die von den Militärs geforderten Maßnahmen sukzessive umgesetzt.

So wurde im August der Zugang zu Koranschulen beschnitten und zudem die Pflichtschulzeit auf acht Jahre erhöht. Das diesbezüglich vom Parlament verabschiedete Gesetz sieht ein Verbot religiöser Unterweisung in den ersten acht Schuljahren vor. Nur Schüler, die mindestens fünf Schuljahre absolviert haben, können sich wahlweise zum Religionsunterricht anmelden, der außerhalb der normalen Schulzeiten oder in den Ferien stattfindet. Zudem darf der Religionsunterricht nur von Geistlichen oder Lehrern gehalten werden, die von der staatlichen Religionsbehörde zur Lehre befugt sind. Schließlich sollen Absolventen von Imam-Hatip-Schulen nur noch Theologie studieren dürfen. Mit dieser Maßnahme und dem Verbot der religiösen Unterweisung in den ersten acht Schuljahren wird den Imam-Hatip-Schulen der Boden entzogen, da sie ab dem fünften Schuljahr einsetzen.

Die Aktivitäten richten sich auch zunehmend gegen Stiftungen der islamistischen Strömung. Der Nationale Sicherheitsrat beriet im Juni 1997 über die Finanzquellen islamistischer Organisationen und insbesondere über ca. 500 Stiftungen, die gegründet wurden, um die religiöse Ausbildung zu organisieren. Nach Angaben des Nationalen Sicherheitsrates existierten zusätzlich zu den 500 Stiftungen rund 2.500 Vereine, etwa 1.000 Firmen und Konzerne, 1.200 Heime und 800 Schulen, in denen die Umwandlung der Türkei in einen Gottesstaat propagiert werde. Erste Ermittlungen wurden im August 1997 gegen die Nationale Jugenstiftung, eine der Wohlfahrtspartei nahestehende Stiftung, aufgenommen. Diese Stiftung unterhält Studentenwohnheime, organisiert Veranstaltungen und Diskussionsrunden zu diversen Themen mit gesellschaftspolitischem Bezug.

Auch der »Verein Unabhängiger Unternehmer« gerät unter Druck. Er wurde 1992 von kleinen und mittleren Unternehmern, insbesondere aus Zentralanatolien, gegründet, die dem islamistischen, in Teilen nationalistischen, politischen Lager zuzuordnen sind. Die Staatsanwaltschaft forderte im Mai 1998 das Verbot des Vereins, u.a. wegen finanzieller Unterstützung islamistischer Organisationen.

Im Juli 1998 wurde der Bau neuer Moscheen von der Genehmigung des staatlich ernannten Muftis abhängig gemacht; seit August 1997 dürfen nur noch Muezzine großer Moscheen über Lautsprecher zum Gebet rufen. Weitere Maßnahmen, die sich gegen ein öffentliches Darstellen islamischer Symbolik richten, betreffen insbesondere neu erlassene Kleidungsvorschriften. Im April dieses Jahres werden neue Vorschriften über das korrekte Erscheinungsbild männlicher Beamter erlassen. Darin heißt es u.a., daß die Barthaare die Lippen nicht bedecken dürfen, der Schnurrbart nicht an den Seiten herunter hängen und auf der Höhe der Lippen enden solle. Die unterschiedlichen Bärte sind in der Türkei oftmals Kennzeichen der politischen Zugehörigkeit der Bartträger und haben einen hohen symbolischen Stellenwert. Der Bart von streng gläubigen Muslimen oder von Islamisten ist ein zu einem Halbmond geformter Vollbart. Dieser entspricht nun nicht mehr dem geforderten Erscheinungsbild türkischer Beamter. Eine vergleichbare Vorschrift enthält die neue Hochschulordnung. Vom kommenden Hochschuljahr an soll nach der neuen Hochschulordnung das Tragen des symbolträchtigen Türban (Kopftuch) verboten werden. Zur Immatrikulation bzw. Verlängerung des Studentenausweises sind Photos vorzulegen, auf denen Kopf und Nacken der Studentinnen unbedeckt und die Männer ohne Vollbart abgebildet sind. Die Hochschuldirektoren sind für die Durchführung dieser Vorschriften zuständig. Verwaltungsbeamte oder DozentInnen und ProfessorInnen, die Studentinnen mit Kopftuch oder Studenten mit Vollbart die Teilnahme an Vorlesungen oder Prüfungen erlauben, müssen mit Disziplinarverfahren rechnen.

Im November 1997 wurden des weiteren erste Maßnahmen zur Einschränkung privater islamistischer Rundfunksender beschlossen, die „gegen die säkularen Grundlagen der Verfassung verstoßen.“

Schließlich wurde im Januar 1998 die Wohlfahrtspartei vom türkischen Verfassungsgericht wegen Verstoßes gegen das Laizismusprinzip der türkischen Verfassung verboten. Gegen Necmettin Erbakan und fünf weitere führende Funktionäre der Partei wurde ein fünfjähriges Politikverbot verhängt.

Zu fragen ist nach dem Hintergrund dieses Generalangriffs des türkischen Militärs auf die islamistische Strömung. Eines kann mit Sicherheit schon ausgeschlossen werden: Die von den türkischen Militärs und den Medien verbreitete Panik vor einem zweiten iranischen System, vor dem Sturz des politischen Systems und der Errichtung eines wie auch immer gestalteten »islamischen Gottesstaates«. Das ist nicht die eigentliche Ursache. Es geht in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um andere zentrale Fragen der Macht und des Machterhaltes.

Zunächst seien einige Gründe aufgeführt, warum der vermeintliche Schutz vor einem »islamischen Gottesstaat« nicht das Motiv der Militärs darstellt.

Gerade in der Übergangszeit zwischen Militärherrschaft und ziviler Regierung nach dem Militärputsch 1980 wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, um dem Islam eine spezielle Rolle in der Gesellschaft zuzuweisen. Hierfür wurden insbesondere in der Zeit der direkten Militärherrschaft zahlreiche Anstrengungen zum Ausbau islamischer bzw. religiöser Bildungseinrichtungen unternommen: So wurde erst 1982 die sogenannte Moral- und Sittenlehre als Pflichtfach in den Grund- und Mittelschulen verfassungsmäßig festgeschrieben. AbsolventInnen der religiösen Gymnasien (Imam-Hatip-Gymnasien) erhielten in diesem Zeitraum Zugang zu allen Fachgebieten an den Universitäten. Die Imam-Hatip-Schulen insgesamt – also Mittelschulen und Gymnasien – wurden stark ausgebaut (die Anzahl von Imam-Hatip-Gymnasien stieg von 249 im Jahr 1979/80 auf 341 im Jahr 1982/83, die der Mittelschulen von 349 auf 374 im selben Zeitraum). Darüber hinaus stieg die Anzahl der staatlichen Korankurse von 2.002 im Jahr 1979 auf 4.691 im Jahr 1988.

Die 1983 gewählte Regierungspartei ANAP unter der Leitung Turgut Özals stellte des weiteren ein Sammelbecken der vor dem Militärputsch zugelassenen politisch-konservativen bis hin zu islamistischen Strömungen dar. Unter der Regierung Turgut Özals wurde eine Ideologie der Türkisch-Islamischen Synthese propagiert, die versuchte, eine Klammer um das islamistisch-nationalistische Spektrum zu legen und diese Strömungen einzubinden. So waren Abgeordnete der ehemaligen islamistischen Nationalen Heilspartei (die Vorgängerin der im Januar verbotenen Wohlfahrtspartei Erbakans) ebenso in die ANAP eingebunden wie Anhänger von religiösen Sufi-Orden, etwa des Nakshibendi-Ordens. In dieser Zeit wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen und Begünstigungen für die Gründung sogenannter Islamischer Finanzinstitutionen gelegt. Diese Finanzinstitutionen bildeten mit den im »Verein Unabhängiger Unternehmer« (MÜSIAD, Müstakil Isadamlar Dernegi) zusammengeschlossenen Unternehmern das »islamistische« Segment der türkischen Ökonomie der 90er Jahre.

Schließlich war die Wohlfahrtspartei insbesondere seit Anfang der 90er Jahre bestrebt, ihr Image einer Partei der konservativen Moschee-Besucher abzustreifen. Sie versuchte verstärkt, eine konservative, religiös angehauchte Partei der Mitte zu verkörpern und gleichzeitig die diversen Flügel der islamistischen Strömung einzubinden. Denn die islamistische Strömung der Türkei ist seit Mitte der 80er Jahre enorm gespalten. Auf der einen Seite finden sich traditionsbewußte, konservative Kräfte – insbesondere aus zentralanatolischen Gebieten – die in Teilen einige der Sufi-Orden unterstützen, sowie die nach oben strebenden, jüngeren Unternehmer Anatoliens, zusammengeschlossen in dem Verein MÜSIAD. Auf der anderen Seite findet sich eine städtische Klientel, die sich aus unabhängigen studentischen Gruppierungen und aus eher vormals sozialdemokratisch orientierten verarmten Unterschichten zusammensetzt. Schließlich stellen die kurdischen Gebiete von jeher eine der traditionellen Wählerhochburgen der islamistischen Partei dar.

Betrachtet man die Politik während der einjährigen Regierungszeit Erbakans, also von Juli 1996 bis Juni 1997, so vermag man keine Elemente zu finden, die auf einen Sturz des bestehenden Systems und die Gründung eines wie auch immer gearteten islamischen Staates hinweisen. Vielmehr war die Wohlfahrtspartei gezwungen, ihr Versagen bei der Lösung dringend anstehender sozial- und wirtschaftspolitischer Fragen durch symbolische Akte zu kompensieren. Dementsprechend versuchte die Partei, Assoziationen zur siegreichen Erzwingung Konstantinopels für sich zu instrumentalisieren und forderte, das Ayasofya-Museums wieder in eine Moschee umzuwandeln; die RP forderte den Bau von Moscheen am Taksim-Platz in Istanbul, auf dem eine Büste von Mustafa Kemal (dem Gründer der Türkischen Republik) thront, und in Cankaya, dem Regierungsviertel Ankaras. Erbakan wollte die öffentlichen Dienstzeiten an die Fastenrituale anpassen und Pilgerreisen nach Mekka auf dem Landweg ermöglichen. Schließlich reichte er ein Gesetzesvorhaben ein, welches das Tragen des Kopftuches an öffentlichen Verwaltungen, Schulen und Universitäten erlauben sollte. Verglichen mit der Förderung islamischer Einrichtungen zur Zeit der Militärherrschaft und der ANAP-Ära sind diese Maßnahmen nicht besonders aufsehenerregend.

Der Grund für das harsche Vorgehen der Militärs gegen die islamistische Strömung seit dem letzten Jahr ist vielmehr auf folgende Ursachen zurückzuführen:

Der nationalistisch-konservative Block in der Türkei ist in verschiedene politische Parteien gespalten, die Mutterlandspartei, ANAP (Vorsitz: Mesut Yilmaz), die Partei des Rechten Weges, DYP (Vorsitz: Tanju Ciller), die Demokratische Türkei Partei, DTP (einige Abgeordnete waren u.a. aufgrund der Ciller-Erbakan- Regierungskoalition aus der DYP ausgetreten und hatten die DTP gegründet) und diverse kleine nationalistische Parteien wie die faschistische Nationale Bewegungspartei, MHP (deren ehemaliger Vorsitzender Alparslan Türkes und die »Grauen Wölfe« international bekannt sind), und die Große Einheitspartei, BBP (eine islamistisch-nationalistische Partei, die sich in den neunziger Jahren von der MHP abspaltete). Keine der großen konservativen Parteien – ANAP bzw. DYP – war in den 90er Jahren in der Lage, allein die Regierung zu stellen. Einer Koalitionsbildung standen insbesondere persönliche Rivalitäten im Wege. Im Unterschied dazu gewann die Wohlfahrtspartei in den 90er Jahren bei den Kommunalwahlen und war stärkste Fraktion bei der Parlamentswahl 1995. Es zeichnete sich ab, daß sie ihre Basis und Wählerschaft trotz mangelnder politischer Lösungskonzepte durch eine geschickte Propaganda und die besondere Arbeit ihrer Kommunalregierungen stabilisieren konnte und vermutlich in der Lage gewesen wäre, sie weiter auszubauen. Die RP drohte zusehends, die ehemaligen Parteien, die über Jahrzehnte die Regierung stellten, abzulösen und eine dominante Partei der Mitte zu werden.

Interessant ist zudem, daß der eingangs erwähnte 20-Punkte-Katalog des Nationalen Sicherheitsrates zu einer Zeit verabschiedet wurde, als wesentlich ein anderes Ereignis die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit erregten: der Unfall von Susurluk. Die Unfallopfer in dem Fahrzeug legten direkte Verbindungen zwischen türkischer Drogenmafia, Killerkommandos und Militär bzw. Sicherheits- und Staatsapparat nahe. Selten zuvor war das Ansehen des Staates und des Sicherheitsapparates derart ins Wanken geraten. Es gab zahlreiche oppositionelle Aktivitäten der Zivilgesellschaft, die eine Aufklärung dieser Verbindungen einforderte. Zudem wurde mit diesem Unfall das Vorgehen des türkischen Militärs und Sicherheitsapparates gegen die kurdische Bewegung in Mißkredit gebracht. Mit dem Proklamieren eines neuen Feindbildes und einer neuen Bedrohung der inneren Sicherheit sollte von den Verbindungen zwischen Staat, Mafia und Sicherheitsapparat abgelenkt und die Legitimität des Staates und des Militärs wieder hergestellt werden.

Von kritischen Wissenschaftlern der Türkei werden die Gründung eines Krisenstabes beim Ministerpräsidium (9. Januar 1997), das Memorandum des Nationalen Sicherheitsrates und die Errichtung der »Arbeitsgruppe West« im Militärapparat im Februar 1997 als ein indirekter Militärputsch bezeichnet. Der Krisenstab ist damit beauftragt, Maßnahmen zur Vorbeugung, Verhinderung und Beseitigung von Krisen zu ergreifen, die die innere Einheit, Verfassung, Demokratie etc. gefährden. Dieser Krisenstab wurde in das Sekretariat des Nationalen Sicherheitsrates eingebunden, dem Ministerpräsidenten unterstellt und ist dem Militär und dem Ministerpräsidenten verantwortlich. Er untersteht jedoch nicht der Kontrolle des Parlaments. Hiermit hat sich das Militär das Recht auf die Intervention in die Politik des Landes gesichert, die über das schon bestehende Maß an Einflußnahme des Nationalen Sicherheitsrates hinausgeht. Die Arbeitsgruppe West innerhalb des Militärs hat die Aufgabe, Aktivitäten der islamistischen Strömung zu beobachten. Zudem gelang es dem Militär, die zivile Regierung derart unter Druck zu setzen, daß sie die in dem Memorandum geforderten Maßnahmen umsetzte und entsprechende Gesetze durch das Parlament peitschte. Mit dem fortdauernden Beschwören der Gefahr eines »zweiten Iran« wird die Legitimation für militärisches Eingreifen geschaffen.

Möglicherweise ist die Wohlfahrtspartei oder die im vergangenen Dezember neu gegründete Nachfolgepartei, die Tugendpartei (FP, Fazilet Partisi), auch deswegen kein geeigneter Bündnispartner für das Militär, weil sie im Unterschied zu den übrigen konservativen Parteien über eine Verankerung in der Bevölkerung verfügt, auf den Druck dieser Basis reagieren muß und den Militärs nicht Garant genug für ihr freies Agieren sein kann. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, daß auch die Tugendpartei von einem Verbot bedroht ist. Denn am 16. August verkündete das Staatssicherheitsgericht, zu prüfen, ob die Tugendpartei nicht lediglich eine Fortsetzung der Wohlfahrtspartei darstelle und damit ebenso von dem Urteil des türkischen Verfassungsgerichts vom Januar diesen Jahres betroffen sei.

Dr. phil. Ulrike Dufner, Köln, Mitglied der INAMO-Redaktion

Die Herrscher über Nahost

Die Herrscher über Nahost

Das militärische Dreieck Türkei – Israel – USA

von Andreas Buro

Der Frieden im Nahen Osten steht auf schwachen Füßen. Die Konfliktlinien sind vielfältig: Militäreinsätze gegen Minderheiten (Türkei), nicht eingelöste Vereinbarungen (Israel – Palästina), besetzte Gebiete (Südlibanon), Gebietsansprüche (Zypern), das Dauerthema Saddam Hussein usw.
Kritisch beobachten in dieser Situation die arabischen Staaten die wachsende militärische Zusammenarbeit zwischen der Türkei, Israel und den USA. Die damit verbundene Geheimhaltungspolitik schürt zusätzliche Ängste.

Wurde der Golfkrieg 1991 geführt, um Kuwait vor den irakischen Truppen zu retten und seine staatliche Selbständigkeit zu erhalten? Ging es vorwiegend um Ölinteressen der USA und die Umverteilung der Ölexportquoten der OPEC-Länder? Sollten die Legitimation für die US-Basen in der Region gefestigt und neue Waffensysteme getestet werden? Galt es den US-amerikanischen Rüstungsexport in die Region zu beleben oder sollte die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes neue unipolare Vormachtstellung der USA und des westlichen globalen Militärsystems in der »Neuen Weltordnung« (Präsident Bush) demonstriert werden? Die Meinungen über die Ziele dieses Krieges gehen noch immer weit auseinander. Ein Ergebnis läßt sich jedoch konstatieren: Der Versuch, eine arabisch-<->islamische Regionalmacht zu etablieren, wurde rigoros abgeblockt. Ägypten hatte bereits 1967 im Sechs-Tage-Krieg einen solchen Versuch mit einer katastrophalen militärischen Niederlage gegen Israel bezahlen müssen.

Im 1. Golfkrieg gegen den Iran der Ayatollahs ging es dem Irak offiziell um Gebietsansprüche gegenüber dem Nachbarn. Im Hintergrund stand jedoch immer das Ziel, zur regionalen und arabischen Führungsmacht aufzusteigen. Schon früh hatte sich der Irak – mit Unterstützung Frankreichs – um den Aufau der Grundlagen für eigene nukleare Waffen bemüht. Israel, die »inoffizielle« Atomwaffenmacht und Besitzerin fast aller einschlägigen Waffensysteme hatte völkerrechtswidrig und ohne Kriegserklärung 1981 den im Bau befindlichen Atomreaktor Osirak durch Luftangriffe zerstört. Damit demonstrierte es eindeutig, daß es in Nahost keine arabische Regionalmacht dulden wolle. Aus arabischer Sicht wurde Israel angesichts der enormen Lieferungen und Unterstützungen sowie der Deckung Israels durch die USA im Sicherheitsrat bei allen seinen Verstößen gegen UN-Resolutionen als ein militärischer Brückenkopf der USA verstanden.

Das Interesse der USA an Nahost hat sich seit dem Ende des Ost-West-<->Konfliktes erheblich erweitert. Galt bis dahin die Türkei als strategischer Eckpfeiler gegen den Osten und konnte sie sich deshalb der besonderen Unterstützung der NATO-Staaten erfreuen, so verlor sie diese Funktion mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums. Nun wurden ihr aber neue Funktionen zugeschrieben u.a.:

  • als Militärstützpunkt gegenüber dem Irak;
  • als Bollwerk gegen den »islamischen Fundamentalismus«;
  • als Brücke zu den Turkvölkern in Asien;
  • als Durchgangsland zur Ausbeutung der Öl-, Gas- und Bodenschätze rund um das kaspische Meer, an denen die USA und der Westen ein sehr großes Interesse haben;
  • und schließlich auch als einer partiellen Regionalmacht in Nahost.

Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß Israel alle diese Funktionen nicht wahrnehmen könnte. Treten jedoch Israel und die Türkei gemeinsam auf, so gewinnen sie eine große Überlegenheit gegenüber allen anderen Staaten der Region. Der israelische Verteidigungsminister Mordechai brachte es mit den Worten auf den Punkt: „Wenn unsere beiden Länder sich die Hand reichen, wird daraus eine starke Faust„ ( FR 9.9.98). Die beiden Staaten haben sich die Hände gereicht. Bereits seit Ende 1995 verhandelten die türkischen Militärs mit Zustimmung der USA mit Israel. Die Regierung der Türkei, also die gewählten Politiker, wurde nicht hinzugezogen. Am 23. Februar 1996 schlossen beide Staaten dann ein Militärabkommen. Sein Inhalt ist bis heute nicht genau bekannt, dürfte aber eine weit größere Bedeutung haben, als die offiziellen Aussagen glauben machen wollen. G.Gürbey ( Zur Rolle der Türkei im Nahost-Friedensprozeß, in: Hoffmann, S. und Ibrahim, F. (Hg.): Versöhnung im Verzug, Bonn 1996, S. 226) beschreibt den Inhalt folgendermaßen: „Es sieht den Austausch von Informationen und gemeinsame Militärmanöver vor, erlaubt den Luftwaffen Israels und der Türkei, Übungsflüge über den Territorien des jeweils anderen Landes durchzuführen und damit eine intensive sicherheitspolitische Zusammenarbeit, insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus.“ Das Abkommen zielt auch auf die Errichtung einer »strategischen Allianz«. Zusätzlich hofft die türkische Seite, von den hochentwickelten israelischen Techniken in der elektronischen Kriegführung Nutzen zu ziehen. Bereits 1996 hatte die Türkei den Auftrag zur Modernisierung von 54 Kampfflugzeugen des Typs F-16 an ein israelisches Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen vergeben. Im Dezember beschlossen beide Länder, die Zusammenarbeit auch auf gemeinsame Rüstungsprojekte auszudehnen. Geplant ist eine Koproduktion der israelischen Luft<->Luft-Rakete Popeye II und der Raketenabwehrwaffe Arrow (FR 9.9.98). 1998 wurden gemeinsame Flottenmanöver, und zwar zusammen mit US-Kriegs<->schiffen durchgeführt. Das erste fand am 7. Januar 98 im Mittelmeer statt. An ihm waren neben den Kriegsschiffen auch Aufklärungsflugzeuge und Kampfhubschrauber beteiligt. Der israelische Verteidigungsminister Mordechai begründete sie mit den Worten: „Den Frieden in der Region zu erhalten und gegen mögliche Angriffe solcher Staaten zusammenzuarbeiten, die Terrorismus unterstützen, sowie ballistische Raketen und Chemiewaffen herstellen.“ (Nützliche Nachrichten 1/98, S. 13 und 3/98, S. 10) Die Adressaten dieser Botschaft waren offensichtlich Iran, Syrien und Irak.

Vor dem jüngsten Besuch von Premierminister Yilmaz im September 1998 in Israel sprach der israelische Premier Netanyahu von einer „zentralen Achse“, die das „Fundament der Sicherheitsstrukturen in dieser Region“ bilden werde. Die israelische Presse bezeichnete die Militärkooperation beider Länder als einen der wichtigsten diplomatischen Erfolge der israelischen Außenpolitik seit der Unterzeichnung des Osloer Friedensabkommens vor fünf Jahren. Beide Länder seien „natürliche Verbündete“, und ihre Zusammenarbeit werde „die strategische Balance im Nahen Osten verändern“ ( FR 9.9.98). Es ist leicht vorstellbar, daß die arabischen Staaten gerade dies fürchten. Sie protestierten immer wieder im Laufe der Herausbildung dieser »militärischen Faust«.

Die Bedeutung der »zentralen Achse« Ankara – Jerusalem ist jedoch erst richtig zu würdigen, wenn sie in das globale, unipolare Militärsystem eingeordnet wird. Die bipolare Welt des Ost-West-<->Konflikts ist mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums zu einer unipolaren Welt mit den USA als globaler militärischer Hegemonialmacht geworden. Im Bereich der westlichen Industriestaaten werden vorrangig schnelle Eingreiftruppen auf- und ausgebaut. Obwohl keine militärische Bedrohung dieser Länder erkennbar ist, wird die qualitative Aufrüstung systematisch fortgeführt. Die Umgestaltung der alten zu einer »neuen NATO«, wie sie neuerdings offiziell genannt wird, die außerhalb des Verteidigungsauftrages und des NATO-Vertrags<->gebietes, also out-of-area, tätig wird, zeigt eindeutig: Die reichen Industriestaaten unter Führung der USA organisieren ein weltweites militärisches Eingreifsystem. Die NATO wird so von einem Instrument der, wie auch immer fraglichen und bedrohlichen, Verteidigung zu einem Instrument der Durchsetzung von Interessen außerhalb des eigenen Lebensbereiches. Gegenüber der »Schild-Funktion« gewinnt die »Schwert-Aufgabe« eine ganze neue Qualität. In dem Eingreifsystem übernimmt die NATO »die Zuständigkeit« vom Atlantik bis weit nach Afrika, Nahost und Asien. Der pazifische und südasiatische Bereich sollen von den USA in Kooperation vor allem mit Japan und regionalen Vereinbarungen kontrolliert werden.

Die USA und die Türkei sind Mitglieder der NATO, Israel jedoch nicht. Das sich in Nahost anbahnende de-facto-<->Militärbündnis von zwei NATO-Staaten mit Israel bedeutet dementsprechend, daß die NATO an die israelische Politik wie auch an die US-amerikanische »Rohstoffpolitik« in Richtung Asien angekoppelt wird. Allerdings ist dieser Vorgang doppelgesichtig, denn die NATO selbst hat keinen direkten Einfluß auf das Verhalten des neuen Militärdreiecks in Nahost, da es sich ja um ein eigenständiges Militärbündnis von Staaten handelt. Da die USA und die EU-Staaten trotz aller atlantischer Partnerschaft auch Konkurrenten sind, läßt sich das neue Machtdreieck in Nahost auch andersherum lesen, nämlich daß es bestens dazu geeignet ist, die europäischen NATO-Staaten in ihrer out-of-area Politik aus dem Nahen Osten auszugrenzen. War doch Nahost einst französisches und englisches Einflußgebiet, in der Türkei spiel(t)en die Deutschen eine besondere Rolle, und stellte sich nicht Frankreich in der Irak-Krise Anfang ‘98 aus Öl- und Exportinteressen gegen einen erneuten US-amerikanischen Militärschlag gegen den Irak! Solche unsicheren Partner könnten der Durchsetzung weitreichender US-amerikanischer Interessen nur Schaden zufügen.

Israel und die Türkei sind zweifellos unvergleichbare Länder. Dennoch haben sie einige Gemeinsamkeiten. So z.B.:

  • Beide haben große Minderheiten in ihrem Herrschaftsgebiet, denen sie vorwiegend mit Mitteln der Gewalt begegnen. Verbindend ist für sie dagegen, daß es sowohl in der Türkei (etwa 24.000) wie auch in Israel (etwa 120.000) türkisch-jüdische Bewohner gibt (Gürbey 1996, S. 227).
  • Beide fühlen sich von islamistischen Tendenzen bedroht und versuchen sie zurückzudrängen oder abzuschrecken.
  • Beide haben expansionistische Ziele. Die Türkei in Zypern, im Nord-Irak und in der griechischen Inselwelt. Israel vor allem bezogen auf West-Jordanland und Jerusalem.
  • In beiden spielt das Militär eine sehr große bis überwältigende Rolle, während Strategien der Versöhnung und Kooperation weitgehend vernachlässigt oder sogar aktiv bekämpft werden. Der israelische Ministerpräsident Rabin, der den Osloer Vertrag umsetzen wollte, wurde ermordet. Der türkische Präsident Özal wollte eine friedliche, politische Lösung der Kurdenfrage erreichen und starb unter mysteriösen Umständen kurz nach der öffentlichen Bekanntgabe seiner Absichten.
  • Beide Länder haben für die Interessen der Vormacht des globalen Militärsystems eine hervorragende Bedeutung. Sie können daher einer weitgehenden politischen und militärischen Unterstützung der USA sicher sein, selbst wenn sie gegen internationales Recht, menschenrechtliche Verpflichtungen und UN-Beschlüsse verstoßen.
  • Syrien ist für beide Länder aus unterschiedlichen Gründen ein gegnerisches Land. Es unterstützt(e) die kurdische Guerilla PKK in ihrem Kampf gegen die Türkei – vermutlich vor allem, um dadurch ein Gegenpfand gegen Einschränkungen von Wasserzuflüssen aus der Türkei in der Hand zu haben. Die jüngste Kriegsdrohung der Türkei gegenüber Syrien im Oktober ‘98 hat zwar zu einem gemeinsamen Vertrag geführt, womit jedoch die Konfliktlage vermutlich nicht endgültig bereinigt wurde. Israel hat sich angesichts der türkischen Kriegsdrohung zurückgehalten. Trotzdem dürfte Damaskus sehr wohl bewußt sein, daß es mit zwei kooperierenden starken Militärmächten zu tun hat, die es mühelos in die Zange nehmen können. Nach wie vor verweigert Israel eine Rückgabe der Golan-Höhen an Syrien.

Neben den genannten Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch unterschiedliche Interessen. Weder Israel noch die Türkei möchten in die spezifischen Konflikte der anderen Seite mit einbezogen werden. Die Türkei als islamisches Land mit erheblichen Wirtschaftsinteressen in anderen islamischen Ländern möchte nicht in den israelisch-palästinensischen Konflikt geraten und auch nicht als ein Partner Israels in dieser Hinsicht bewertet werden. Andererseits kann Israel kein Interesse daran haben, Teil des NATO-Streites zwischen der Türkei und Griechenland zu werden, was Ankara nicht ungern sehen würde. Jedenfalls bezeichnete der türkische Ministerpräsident bei seinem Besuch in Israel im September ‘98 die Stationierung von Luftabwehrraketen im griechischen Teil Zyperns als eine Bedrohung der ganzen Region. Fraglich ist, ob es den Militärpartnern gelingen wird, die verschiedenen Konfliktfelder in der Wahrnehmung der anderen Staaten der Region tatsächlich säuberlich zu trennen. Schließlich wird die vereinbarte Unterstützung Israels für die technische Verbesserung der türkischen Streitkräfte als Bedrohung für andere Staaten der Region verstanden werden. Aufgrund der Geheimhaltung der Vereinbarungen beider Staaten und der militärischen Kooperationspraxis wird eine solche Trennung schwer durchzuhalten sein. Hierfür ein Beispiel: „Hartnäckig halten sich Gerüchte, wonach türkische Kampfflugzeug-Piloten bereits während des Sommers ‘98 in Israel Angriffe auf simulierte Abwehr-Raketenstellungen geübt hätten.„ (FR 9.9.98)

Die sich herausbildende Konstellation einer türkisch-israelisch-US-ameri<->kanischen regionalen Militärhegemonie in Nahost stellt die türkische Außenpolitik vor das Problem, diese neue Position mit gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu den arabischen Staaten zu verbinden. Die Türkei hat zwar Israel bereits 1949 anerkannt, dann aber doch eine Politik der Unterstützung der palästinensischen Ansprüche betrieben. Während der Kriege 1967 und 1973 stellte sich die Türkei auf die arabische Seite und verweigerte sogar den USA die Nutzung ihrer Militäreinrichtungen zur militärischen Versorgung Israels (s. Gürbey 1996 auch zum Folgenden). Auch in der Folgezeit versuchte Ankara bezogen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt eine Politik der Friedensförderung zu betreiben. Dies lag nicht zuletzt im wirtschaftlichen Interesse der Türkei, mußte es doch versuchen, in seiner Region mit den islamisch-arabischen Nachbarstaaten gute politische Voraussetzungen für eine Ausweitung des wirtschaftlichen Austausches zu schaffen. In der Özalschen Nahost-Politik konnte in der Tat eine erhebliche Steigerung des Handels, und zwar auch mit Israel, erreicht werden. Heute ist zu fragen: Wird nicht die Politik der militärischen Troika in Nahost, die sich in vielfacher Weise gerade gegen diese Nachbarstaaten wendet, die vorsichtige Regionalpolitik der Türkei in Frage stellen? Die Ansätze hierfür liegen auf der Hand: Seit dem Golf-Krieg 1991 stellt die Türkei den USA und der NATO militärische Einrichtungen für Operationen gegen den Irak zur Verfügung; die mittlerweile ständige Invasion türkischer Truppen in den Nord-Irak und deren Einmischung in die politischen Konflikte der dortigen Kurden und im Oktober ‘98 die Bedrohung Syriens mit Krieg, der nur knapp abgewendet wurde.

Die Herausbildung regionaler, militärischer Dominanz durch die Troika Türkei-Israel-USA verheißt keine friedenspolitische Wende, denn:

  • Das Primat des Militärischen in der Region wird gefördert und die Falken werden gestärkt. Die »Arroganz der Macht« militärischer Überlegenheit wird nicht friedensfördernd sein.
  • Erhebliche Ressourcen werden in eine forcierte Aufrüstung fließen und so für die Landesentwicklung und die soziale Dimension nicht mehr zur Verfügung stehen. Schon jetzt hat die Gesellschaft der Türkei, deren Eliten in Mafia und Korruption in erheblichem Maße verstrickt sind, schweren Schaden durch den türkisch-kurdischen Krieg genommen. Auf solchem Boden gedeihen nationalistische, rassistische und fundamentalistische Einstellungen.
  • Der Kampf in den Gesellschaften, um ihre Demokratisierung und die Unterwerfung des Militärischen unter die Politik gewählter Regierungen, wird durch die Militarisierung der Politik schwer behindert und fördert autoritäre Tendenzen.
  • Die Bereitschaft, die vorhandenen Konflikte in der Region durch kooperative Lösungen, die allen Vorteile bringen, zu lösen, sinkt weiter. Die arabische Zeitung Al-Sharq (1.7.98): „Durch die Teilnahme an den Seemanövern hat die Türkei eine Position in der vordersten Front eingenommen, um die israelischen und amerikanischen Ziele gegen die arabischen Länder durchzusetzen.“ (Zit. nach Kurdish Life, Nr. 26, 1998) Gegenwärtig sind z.B. auch alle Angebote der kurdischen Guerilla zu einem Waffenstillstand mit dem Ziel, eine politische Lösung innerhalb der Türkei zu erreichen, vom militärisch beherrschten Nationalen Sicherheitsrat in Ankara abgeblockt worden. Nach der Turkish Daily News sind die Erfolge der türkischen Mai-Offensive von 1997 gegen die PKK-Guerilla der guten Zusammenarbeit zwischen der Türkei, Israel und den USA zu verdanken (TDN 15.6.97, zit. ebd.).
  • Die Region wird zunehmend für Interessen der USA und der G 7 instrumentalisiert, wodurch zusätzliche Konflikte und Anforderungen in die Region hineingetragen werden, etwa aus dem rohstoffreichen Raum um das kaspische Meer.
  • Die von der Türkei angestrebte Aufnahme in die EU wird durch den Kurs der weiteren Militarisierung der Politik, der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen und der sozialen und wirtschaftlichen Destabilisierung des eigenen Landes zusätzlich erschwert werden, aber auch durch die wachsende militärische Konfrontation mit dem EU-Mitglied Griechenland.

Eine solche Politik regionaler Militärdominanz hat mit Friedenspolitik nichts zu tun. Sie überwindet nicht Konflikte, sondern produziert diese geradezu.

Prof. Dr. Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V.

Eine Demokratie braucht Menschenrechte

Eine Demokratie braucht Menschenrechte

von Harald Gesterkamp

Die Türkei, strategisch bedeutendes Bindeglied zwischen Europa und dem Nahen Osten, ist für schwere Menschenrechtsverletzungen bekannt – obwohl das Land über alle Institutionen eines demokratischen Rechtsstaates verfügt. Den Versprechen jeder neu gewählten Regierung, die Situation zu verbessern, folgen jedoch seit Jahren keine Taten.

Wie viele andere Menschen hatte sich auch der Fotograf Metin Göktepe am 8. Januar 1996 auf dem Friedhof eingefunden, um über die Beisetzung von Gefangenen zu berichten, die vier Tage zuvor in der Haftanstalt Ümraniye in Istanbul zu Tode geprügelt worden waren. Doch die Menschen wurden von der Polizei daran gehindert, an der Beerdigung teilzunehmen. Außer dem für die Tageszeitung »Evrensel« tätigen Göktepe wurden noch mehrere hundert Trauergäste festgenommen.

Die Polizei brachte die Festgenommenen zur Sportanlage von Eyüp. Dort wurde Göktepe noch am selben Abend gegen 20.30 Uhr tot aufgefunden. Über die Vorgänge in dem Sportzentrum existiert ein heimlich aufgenommenes Videoband, auf dem zu sehen ist, wie Häftlinge mißhandelt werden. Göktepes Tod, so der Autopsiebericht der Istanbuler Universität, ist durch Schläge herbeigeführt worden.

Die türkischen Behörden versuchten die wahre Todesursache tagelang zu vertuschen. Der Polizeipräsident von Istanbul erklärte, der Journalist sei bei einem Fluchtversuch gestürzt und gestorben. Letztlich aber konnte sich das Innenministerium dem Druck der Öffentlichkeit nicht widersetzen und ordnete eine Untersuchung an. Im Februar 1996 wurde ein Gerichtsverfahrens gegen elf Polizisten wegen Mordes eingeleitet. Drei Jahre später wurden fünf Beamte wegen „unbeabsichtigter Tötung“ zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Trotz des vergleichsweise milden Urteils – eine vorzeitige Haftentlassung nach drei Jahren ist wahrscheinlich – ist es einer der wenigen Fälle, in denen Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen wurden.

Nicht nur bei Metin Göktepe, auch gegenüber anderen einheimischen Journalisten greifen die türkischen Behörden mitunter zu illegalen Methoden, um sie mundtot zu machen. Anfang der 80er Jahre wurden regierungskritische Journalisten zumeist dadurch zum Schweigen gebracht, daß man sie zu langen Haftstrafen verurteilte. Heute müssen sie eher befürchten, getötet zu werden. Für Journalisten ist die Türkei inzwischen zu einem gefährlichen Land geworden. Seit 1992 sind 14 Journalisten, die über die Menschenrechtssituation in den kurdischen Gebieten berichtet hatten, getötet worden, im Gewahrsam der Sicherheitskräfte »verschwunden« oder in der Haft ums Leben gekommen. Bei den Getöteten handelte es sich mehrheitlich um Mitarbeiter der in kurdischem Besitz befindlichen Tageszeitungen »Yeni Ülke«, »Özgür Gündem«, »Özgür Ülke« und »Yeni Politika«, die inzwischen sämtlich ihr Erscheinen einstellen mußten. Alle vier Zeitungen galten bei den Sicherheitskräften als „legale Organe der PKK“. Acht Korrespondenten und weitere elf Personen, die die genannten Zeitungen lediglich ausgetragen oder verkauft hatten, wurden unter Umständen ermordet, die eine Täterschaft des Staates nahelegen. Zwei Redakteure »verschwanden«, zahlreiche andere Mitarbeiter wurden festgenommen und gefoltert. Einige befinden sich bis heute im Gefängnis.

Als 1992 nahezu jeden Monat ein türkischer Journalist ermordet wurde, reagierte die Regierung darauf mit ungetrübter Selbstgerechtigkeit. So erklärte der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Süleyman Demirel am 11. August: „Bei denjenigen, die getötet wurden, handelte es sich nicht wirklich um Journalisten. Es waren Militante, die sich als Journalisten getarnt haben. Sie bringen sich gegenseitig um.“ Bei amnesty international ist nicht bekannt, daß offizielle Stellen in der Türkei die Morde an Journalisten jemals verurteilt hätten. Statt dessen hieß es in einem vertraulichen Rundschreiben der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller vom 30. November 1994 an ihre Kabinettskollegen: „Die Aktivitäten bestimmter Publikationsorgane, insbesondere die von Özgür Ülke bedeuten einen eindeutigen Angriff auf die bleibenden und geistigen Werte des Staates. Um eine solch massive Bedrohung der unteilbaren Einheit des Vaterlandes abzuwenden, ersuche ich das Justizministerium, die entsprechenden Publikationsorgane zu ermitteln und gegen sie vorzugehen.“ Vier Tage später explodierten in den Redaktionsräumen von Özgür Ülke in Istanbul und Ankara Sprengsätze, die beide Büros weitgehend zerstörten. Ein Mitarbeiter von Özgür Ülke wurde getötet und 19 verletzt. Die Regierung reagierte auf den Vorfall mit einer Erklärung, in der sie jeglichen Zusammenhang zwischen dem Rundschreiben von Ministerpräsidentin Çiller und den Sprengstoffanschlägen bestritt und Özgür Ülke erneut des „Separatismus“ bezichtigte.

Paradoxe Entwicklung zur Meinungsfreiheit

An der Frage der freien Meinungsäußerung wird ersichtlich, wie paradox die Entwicklungen in der Türkei verlaufen. Denn es gibt auch positive Tendenzen: So lag die Zahl der amnesty international namentlich bekannten gewaltlosen politischen Gefangenen Ende der 80er Jahre noch bei mehreren hundert, Mitte der 90er Jahre nur noch bei knapp über zehn. In den vergangenen Monaten hat die Zahl derjenigen, die ausschließlich wegen der Äußerung ihrer Meinung inhaftiert wurden, jedoch wieder zugenommen.

Es ist das Verdienst der türkischen Zivilgesellschaft, daß sich nach dem Ende der Militärherrschaft 1984 die Meinungsfreiheit wieder durchgesetzt hat. Unter den Generälen waren alle politischen Parteien wie auch die meisten Gewerkschaften verboten. Hunderte wurden inhaftiert und gefoltert, nur weil sie ihre Überzeugungen gewaltfrei geäußert hatten. Die Propagierung des Kommunismus, des kurdischen »Separatismus« oder einer auf religiösen Prinzipien basierenden Regierungsform wurde mit langjährigen Freiheitsstrafen bedroht.

Proteste von politischen Parteien, Gewerkschaftsverbänden und anderen Organisationen verhallten nicht ungehört: Im April 1991 wurden mehrere politische Paragraphen des Strafgesetzbuches abgeschafft und 29.000 Inhaftierte freigelassen, darunter alle amnesty bekannten gewaltlosen politischen Gefangenen. Die Mutterlandspartei (ANAP) hob Anfang der 90er Jahre das staatliche Rundfunkmonopol auf. Inzwischen existieren in der Türkei Hunderte von unabhängigen Radiostationen und unzählige örtliche oder per Satellit zu empfangende Fernsehsender. In Zeitungen und im Rundfunk werden politische Fragen in einer Offenheit diskutiert, die vor einem Jahrzehnt noch undenkbar gewesen wäre. Die türkischen Medien legen keine Zurückhaltung an den Tag, öffentliche Skandale aufzudecken. Sie nutzen ihre neu gewonnene Freiheit mit scharfzüngiger Kritik an der Politik der türkischen Machthaber.

Bei diesem Bild einer Gesellschaft, in der lebhaft und offen diskutiert wird, mutet es absurd an, daß nach wie vor Menschen rigidesten Beschränkungen in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung unterworfen werden, wenn der Staat sich in seiner Integrität gefährdet fühlt. Sobald Ehre und Würde der Sicherheitskräfte bedroht erscheinen oder der Kampf gegen den kurdischen »Separatismus« in Frage gestellt wird, nimmt der Staat für sich das Recht in Anspruch, einzuschreiten. Dabei ist die Türkei bereits 1954 der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten, in dem in Artikel 10 das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert wird. Doch das Land wird bis heute seinen Verpflichtungen aus der Konvention nicht gerecht.

Ein wichtiges Mittel, um Meinungsfreiheit zu unterdrücken, ist der Artikel 8 des Anti-Terror-Gesetzes. Der Paragraph stellt „separatistische“ Äußerungen unter Strafe. Seitdem im Juli 1993 die türkische Ministerpräsidentin und der Generalstabschef der Streitkräfte angesichts der Zuspitzung des Konflikts im Südosten der Türkei die Medien zur Unterstützung in einem „totalen Krieg“ gegen den „Separatismus“ aufriefen, hat Artikel 8 Hochkonjunktur. Artikel 28 der Verfassung, in dem es heißt: „Die Presse ist frei und unterliegt keiner Zensur“, hat seitdem faktisch keine Gültigkeit mehr. Wer gegen das Vorgehen der Regierung im Südosten der Türkei protestiert, riskiert Verfolgung und Inhaftierung.

Zu den nach Artikel 8 oder ähnlich lautenden Artikeln des Türkischen Strafgesetzbuches Inhaftierten zählen Rechtsanwälte und Gewerkschafter, Akademiker und Schriftsteller, Verleger und Journalisten. Die zunehmende Verfolgung hat nicht nur die türkischen Medien in Unruhe versetzt, sondern auch bei führenden Politikern und selbst Regierungsmitgliedern Besorgnis ausgelöst. Der ehemalige Kulturminister Fikri Saglar ging sogar so weit, den inhaftierten Haluk Gerger – ehemals Generalsekretär der Türkischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen – und den Hochschuldozenten Fikret Baskaya im September 1994 im Gefängnis zu besuchen: „Mir ist bewußt, wie entwürdigend und beschämend die Situation für Sie sein muß. Ich bitte Sie um Verzeihung„.

Weiterhin systematische Folter

Ende Oktober 1995 wurde – im Vorfeld der Diskussion, ob die Türkei in die Zollunion der Europäischen Union aufgenommen wird – Artikel 8 etwas abgeschwächt. Doch auch in seiner neuen Fassung definiert er „separatistische Propaganda“ als Straftatbestand, selbst wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt Gewalt befürwortet hat. Lediglich der Passus „ungeachtet der Mittel, Absichten und Ideen“ wurde gestrichen. Außerdem wurde die Höchststrafe von fünf auf drei Jahre Freiheitsentzug herabgesetzt und den Gerichten ein Ermessensspielraum eingeräumt, gegen erstmals Verurteilte Geldstrafen oder zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen zu verhängen. Die Mehrzahl der nach Artikel 8 inhaftierten Personen kam mit Inkrafttreten der Gesetzesänderungen vorläufig frei. Doch die meisten der Urteile wurden inzwischen bestätigt. In der Regel wurden bei den Wiederaufnahmeverfahren die Strafen um die Hälfte reduziert oder zur Bewährung ausgesetzt. Die betreffenden Personen bleiben bis zum Abschluß der Berufung in Freiheit.

Auch Yasar Kemal, der bekannteste lebende Schriftsteller der Türkei, mußte sich 1995 unter der Anklage des Verstoßes gegen Artikel 8 vor dem Staatssicherheitsgericht in Istanbul verantworten, weil er für das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« einen Artikel verfaßt hatte. Der Prozeß endete mit einem Freispruch. Aus Protest gegen die strafrechtliche Verfolgung des prominenten Autors trugen 1.080 Intellektuelle, Schriftsteller, Verleger und Künstler ihren Namen in ein Buch »Gedankenfreiheit in der Türkei« ein, ein Band mit Beiträgen von Personen, die wegen ihrer Schriften inhaftiert oder angeklagt sind. Die türkischen Behörden klagten 185 der Unterzeichner nach Artikel 8 an. Ihre Verfahren ruhen zur Zeit für drei Jahre. Danach werden die Akten geschlossen, wenn es keine neuen Vorwürfe gibt. Yasar Kemal jedoch wurde am 7. März 1996 zu einer Bewährungsstrafe von 20 Monaten Haft verurteilt, weil er unter dem Titel »Dunkle Wolken über der Türkei« einen Beitrag für den Sammelband verfaßt hatte. Damit habe er sich gemäß Paragraph 312 des Strafgesetzbuches der „Aufwiegelung zum Haß“ schuldig gemacht, urteilte das Gericht.

Menschenrechtler im Fadenkreuz

Zielscheibe sind auch die Menschenrechtler. Der Türkische Menschenrechtsverein IHD mit inzwischen knapp 16.000 Mitgliedern hat seit seiner Gründung 1986 Menschenrechtsverletzungen konsequent und öffentlich angeprangert. Er hat sich damit in den Reihen von Regierung und Sicherheitskräften erbitterte Feinde gemacht. Zahlreiche Mitglieder sind wegen ihres couragierten Eintretens inhaftiert und gefoltert worden. Zehn IHD-Menschenrechtler sind in den vergangenen sieben Jahren ermordet worden. Auf den IHD-Vorsitzenden Akin Birdal wurde im Mai dieses Jahres ein Attentat verübt. Birdal wurde von sechs Kugeln getroffen, als unbekannte Männer sein Büro in Ankara stürmten und ohne Vorwarnung schossen. Er überlebte schwerverletzt. Wenige Monate später bestätigte ein Berufungsgericht eine über einjährige Haftstrafe gegen den 50jährigen. Birdal ist gerade dabei, bei der medizinischen Rehabilitation Fortschritte zu machen. Sollte er ins Gefängnis müssen, könnte seine medizinische Behandlung nicht fortgesetzt werden. Nach dem jüngsten Urteil darf er bis ans Lebensende keine Funktion mehr in irgendeinem Verein ausüben. Birdal hatte mehrfach die Kurdenpolitik und die schweren Menschenrechtsverletzungen der türkischen Behörden öffentlich kritisiert.

Damit in der Türkei begangene Menschenrechtsverletzungen nicht nach außen dringen, verweigern die türkischen Behörden manchen Kritikern aus dem Ausland die Einreise. Ausländische Journalisten und Mitglieder von Untersuchungsdelegationen wurden gezwungen, die Türkei zu verlassen. Auch Mitarbeiter von amnesty international, die Menschenrechtsverletzungen recherchieren wollten, erhielten ein Einreiseverbot. Ein Vertreter der Organisation wurde in der Türkei einmal sogar festgenommen, 48 Stunden lang in Gewahrsam gehalten und anschließend des Landes verwiesen.

Daß amnesty international in der Türkei nicht gern gesehen ist, überrascht nicht: Seit mehr als zwei Jahrzehnten kritisiert die Organisation die Folter. Weder innerstaatliche noch internationale Rechtsvorschriften haben verhindern können, daß Folter auf türkischen Polizeistationen weiterhin systematisch angewendet wird. Nicht nur amnesty international, auch andere Organisationen sind zu diesem Ergebnis gekommen.

Mitglieder des Europäischen Ausschusses gegen Folter inspizierten im Dezember 1992 unangekündigt das Polizeipräsidium von Ankara und fanden Gegenstände, die eindeutig Folterzwecken dienen. Sie stießen unter anderem auf „ein Bett, ähnlich einer Bahre, an dem acht Gurte befestigt waren. Es entsprach exakt der Beschreibung, die Personen von einem Möbelstück gegeben hatten, an das sie angeschnallt gewesen waren, während man ihnen Stromstöße versetzte. Uns konnte keine plausible Erklärung für das Vorhandensein dieses Bettes in einem Raum, der ersichtlich als »Verhörraum« diente, geliefert werden.“ Auch im Polizeipräsidium von Diyarbakir sahen Ausschuß-Mitglieder Folterwerkzeuge. In Istanbul wurden sie 1996 ebenfalls fündig.

Jeder, der in der Türkei in Polizeihaft genommen wird, ist von Folter bedroht. Eine Vielzahl der amnesty international zur Kenntnis gelangten und glaubwürdig belegten Vorwürfe über Folterungen und Mißhandlungen stammen von Menschen jeden Alters und Geschlechts, von Angehörigen gesellschaftlicher Randgruppen – etwa Transvestiten oder Behinderte –, von religiösen Minderheiten wie den Alewiten, von Rechtsanwälten, Ärzten, Oppositionellen, Flüchtlingen oder auch von Parlamentariern. In der Türkei sind auch Menschen gefoltert worden, deren Verhaftung mit rein kriminellen Delikten in Zusammenhang stand, die lediglich ihren Ausweis nicht vorweisen konnten oder die sich geringfügiger Verkehrsdelikte schuldig gemacht hatten.

Der für das türkische Innenministerium tätige Haldun Hasmet Aysan, der 1992 in Ankara wegen Übertretung der Straßenverkehrsvorschriften festgenommen und im Gewahrsam der Polizei geschlagen worden war, sagte der Tageszeitung »Hürriyet«: „Wenn so etwas schon Menschen wie mir passiert, wird mir angst und bange um den einfachen Bürger.“ Sadik Örsoglu, Mitglied der Mutterlandspartei von Ministerpräsident Mesut Yilmaz, suchte im Dezember 1995 die Polizeistation von Yedikule in Istanbul auf, um sich nach zwei seiner Familienangehörigen zu erkundigen, die unter dem Verdacht der Beteiligung an einer Straftat festgenommen worden waren. Kaum hatte er die Wache betreten, wurde Örsoglu verhört und dabei mit Fußtritten gegen die Genitalien so schwer mißhandelt, daß er anfing zu bluten. Man brachte ihn daraufhin in ein Krankenhaus, wo er operiert werden mußte. Als amnesty international im März 1996 ein Gespräch mit ihm führen konnte, mußte er noch immer einen Katheter tragen. Der betreffende Beamte ist inzwischen vom Dienst suspendiert worden.

Gefoltert wird vor allem, wenn sich die Häftlinge von der Außenwelt isoliert in Polizeigewahrsam befinden. Ziel der Folterungen ist es, Geständnisse zu erpressen oder die Opfer dazu zu zwingen, für die Polizei als Informanten tätig zu werden. Oftmals dienen Folterungen auch der willkürlichen Bestrafung von Kleinkriminellen oder vermeintlichen Anhängern verbotener Organisationen. Zu den häufigsten Foltermethoden zählen neben Schlägen und Tritten das Aufhängen an auf dem Rücken gefesselten oder an Stangen festgebundenen Armen, das Abspritzen mit eiskaltem Wasser aus Hochdruckstrahlern, sexuelle Übergriffe gegen Frauen und gegen Männer, Elektroschocks an Fingern, Zehen, im Mund- und Genitalbereich sowie Schläge auf die Fußsohlen.

Auch Kinder und Jugendliche werden von der Folter nicht verschont. In dem jüngsten ai-Bericht werden zahlreiche Beispiele geschildert, in denen Kinder von staatlichen Beamten mißhandelt wurden. Bei systematischer Folter darf es nicht überraschen, daß mancher Festgenommene zu Tode kommt: Seit 1990 dürften mehr als hundert Menschen an den Folgen der Folter gestorben sein.

Das Problem der Straflosigkeit

Die Folterer kommen fast immer ungeschoren davon. Das System der Straflosigkeit hat den Nährboden für immer neue Folterungen sowie für weitere Menschenrechtsverletzungen geschaffen: So ist in den vergangenen sieben Jahren die Zahl der »Verschwundenen« in der Türkei genauso sprunghaft gestiegen wie die Zahl derjenigen, die politischen Morden zum Opfer gefallen sind.

Seit 1991 haben die Sicherheitskräfte damit begonnen, einen regelrechten Krieg gegen vermeintliche Staatsfeinde zu führen. Im kurdischen Südosten setzte eine bislang nicht gekannte Welle politischer Morde ein, die schließlich auch Ankara und Istanbul erreichte. Viele der Morde im Südosten tragen die Handschrift von »Todesschwadronen«. Schon bald gab es Beweise dafür, daß Armeeangehörige in die Tötungen verwickelt waren. So konnten die Täter unbehelligt Kontrollposten des Militärs passieren und benutzen mitunter Militärfahrzeuge oder Hubschrauber.

Viele der bereits mehr als tausend Mordopfer in den kurdischen Gebieten galten bei den Sicherheitskräften als Staatsfeinde, viele waren Mitglieder der HADEP, einer legalen und im Parlament vertretenden pro-kurdischen Partei.

Die kurdischen Dorfbewohner geraten bei dem Konflikt zwischen die Fronten: „Wenn wir in unser Dorf zurückkehren, können wir wenigstens unser Vieh versorgen und nach unseren Familien schauen. Die Regierung erlaubt uns die Rückkehr, aber nur unter der Bedingung, daß wir als Dorfschützer für sie arbeiten. Lassen wir uns darauf ein, so werden wir von den PKK-Terroristen angegriffen. Lehnen wir es ab, so greifen uns die Sicherheitskräfte an,“ klagt ein kurdischer Dorfbewohner, der aus seinem Heimatort vertrieben worden ist.

Im Südosten gibt es etwa 55.000 paramilitärische Dorfschützer. Teilweise sind sie sogar an Einsätzen gegen Ziele im Nordirak beteiligt. Die Teilnahme am System der Dorfschützer ist freiwillig – auf dem Papier. Mehr als 2.000 Dörfer, deren Bewohner sich weigerten, wurden im Zuge von Strafmaßnahmen der Militärs dem Erdboden gleichgemacht. Zwei Millionen Kurden sind Schätzungen zufolge aus den Dörfern geflüchtet. Die Regierung hat mehrfach versucht, die Dorfbewohner selbst oder die PKK dafür verantwortlich zu machen. Bezeichnend ist die Aussage von Ex-Premier Tansu Çiller: „Selbst wenn ich mit eigenen Augen gesehen hätte, daß staatliche Kräfte ein Dorf zerstören, glauben könnte ich es immer noch nicht.“ Den Krieg im Südosten begründet das Militär immer mit dem Argument der Sicherheit. „Wir werden den Terrorismus besiegen, aber Demokratie und Menschenrechte behindern uns dabei„, beklagte General Ahmet Çörekçi im Juli 1995 gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Auf der anderen Seite sind seit 1993 mehrere hundert Zivilisten und Gefangene von der PKK getötet worden. Die meisten hatten sich den Dorfschützern angeschlossen. amnesty international hat zahlreiche Übergriffe der PKK dokumentiert und die PKK mehrfach – unter anderem bei einem Gespräch mit Vertretern der Organisation im August 1994 in London – aufgefordert, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten. Die PKK hat mehrfach in der Vergangenheit die Gefährdung von Zivilisten in Kauf genommen oder vorsätzlich gemordet, unter anderem 90 Lehrer. Diese werden von der PKK als Vertreter des türkischen Staates angesehen. Die Dorfbevölkerung ist zum Spielball ihrer militärischen Interessen gemacht worden. Es ist bittere Ironie des Konfliktes im Südosten, daß die Mehrzahl der von der PKK getöteten Menschen Kurden waren.

Reformen sind möglich

Bei ernsthaftem politischen Willen könnte die türkische Regierung durchaus Menschenrechtsreformen auf den Weg bringen. Die wirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen sind geeignet, die Idee der Menschenrechte dauerhaft zu tragen. Seit 1996 wurden auch einige Gruppen von amnesty international in der Türkei gegründet. Die ai-Sektion war 1980 nach dem Militärputsch zwangsweise geschlossen worden.

Die Türkei blickt auf nahezu ein halbes Jahrhundert Mehrparteiendemokratie zurück. Trotz wiederholter Machtergreifung durch das Militär – 1960, 1971 und 1980 – scheinen die parlamentarischen Strukturen fest verankert zu sein. Einige Abgeordnete scheuen nicht länger davor zurück, Regierung und Militär in Menschenrechtsfragen scharf zu kritisieren.

Als die Regierung Demirel nach den Parlamentswahlen vom Oktober 1991 versprach, Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte zu ergreifen, die Polizeistationen mit „Wänden aus Glas“ zu versehen und eine Versöhnung anzustreben, wurde das Land von einer Welle des Optimismus erfaßt. Auf die Einlösung des Versprechens warten die Türken noch heute.

Dennoch sind auch Fortschritte zu verzeichnen. Besonders bei der Todesstrafe: Die letzte Hinrichtung in der Türkei hat im Oktober 1984 stattgefunden, so daß das Land inzwischen zu den Staaten zu zählen ist, die die Todesstrafe zwar nicht per Gesetz, aber de facto abgeschafft haben. Das türkische Parlament hat schon seit geraumer Zeit keine Bestätigung von Todesurteilen mehr ausgesprochen und sämtliche Todesurteile umgewandelt, die für vor April 1991 begangene Straftaten verhängt worden waren. In diesem Jahr hat die Regierung die Abschaffung der Todesstrafe in absehbarer Zeit versprochen.

In anderen Bereichen stehen längst überfällige Reformen aber weiterhin aus. So wären mehrere zu Tode geprügelte Gefangene wahrscheinlich noch am Leben, wenn die Regierung es nicht bis heute unterlassen hätte, sicherzustellen, daß Polizeibeamte niemals Zugang zu Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen erhalten. Zwar hat es nicht den Anschein, als würde in den türkischen Gefängnissen, anders als auf den Polizeistationen, systematisch gefoltert. Gleichwohl hat amnesty international zahlreiche Berichte erhalten, denen zufolge politische Gefangene bei Fahrten von und zu Gerichtsverhandlungen oder ins Krankenhaus von der Gendarmerie mißhandelt worden sind.

amnesty international hat den türkischen Regierungen in den zurückliegenden Jahren immer wieder Reformvorschläge unterbreitet, deren Umsetzung leicht zu realisieren wäre und die dennoch eine grundlegende Verbesserung der Menschenrechtssituation zur Folge haben würden. Die türkische Staatsführung hat alle Möglichkeiten, Veränderungen herbeizuführen. Sie kann sich dabei des Rückhalts weiter Kreise des zivilen Teils der türkischen Gesellschaft sicher sein. Warum also bleiben selbst einfachste, aber dennoch erfolgversprechende Reformen aus?

Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf Forderungen einiger maßgeblicher gesellschaftlicher Gruppen in der Türkei nach Reformen ist widersprüchlich. Regierungen, die über den meisten Einfluß auf die türkische Staatsführung verfügen – die Mitglieder der NATO und insbesondere der Europäischen Union – nutzen nicht einmal die von ihnen selbst zur Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen geschaffenen Mechanismen, wie sie über den Europarat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Vereinten Nationen gegeben sind. Die Türkei gilt als geschätzter Verbündeter und als strategisches Bollwerk gegenüber der Instabilität in Teilen des Nahen Ostens und Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Darüber hinaus ist die Türkei ein bedeutender Handelspartner und bietet einen lukrativen Markt für den Absatz militärischer Güter.

Eine entscheidende und nach wie vor ungelöste Frage ist, in welchem Maße der Sicherheitsapparat ziviler Kontrolle untersteht. Die Sicherheitskräfte, die sich aus Polizei, Gendarmerie, Militär und Nachrichtendiensten zusammensetzen, bilden faktisch einen Staat im Staate. Für alle Fragen der inneren wie äußeren Sicherheit sind bis heute allein die Streitkräfte zuständig.

Mesut Yilmaz, amtierender Ministerpräsident der Türkei, hat im August 1995, als er noch der parlamentarischen Opposition angehörte, das Problem der Machtverteilung offen angesprochen. Im Oktober 1994 wollte er an einer Untersuchungsdelegation nach Tunceli teilnehmen. Die Militärbehörden hinderten die Parlamentarier aber daran, niedergebrannte Siedlungen aufzusuchen. Gegenüber der Tageszeitung »Cumhuriyet« erklärte Yilmaz im August 1995: „Wenn in einem Land nicht einmal der stellvertretende Ministerpräsident zu evakuierten Dörfern vorgelassen wird, überlasse ich es Ihrer Vorstellungskraft, sich auszumalen, welche Art von Einfluß Oppositionsparteien ausüben können. Zuerst muß die Souveränität der Zivilbehörden hergestellt werden.“

Die türkische Regierung sollte endlich damit beginnen, Armee, Gendarmerie und Polizei ihrer Aufsicht und Kontrolle zu unterstellen. Die Zeit bloßer Absichtserklärungen muß ein Ende haben. Anfang 1995 übermittelte die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller dem Innenminister ein vertrauliches Schreiben, in dem es hieß: „Verdächtige, gleich welcher Straftat beschuldigt, dürfen nicht mißhandelt werden. Polizeistationen sollten inspiziert und Werkzeuge, die sich für Mißhandlungen eignen, entfernt werden.“ Im April 1995 wurde Sahabettin Özaslaner festgenommen und in Ankaras Polizeipräsidium von Beamten der Anti-Terrorismus-Abteilung verhört. In einem späteren Gespräch, das amnesty international mit ihm führen konnte, berichtete er, an eine Vorrichtung, von seinen Befragern als Foltertisch bezeichnet, angeschnallt und gefoltert worden zu sein. Es handelte sich dabei um dieselbe Vorrichtung, die der Europäische Ausschuß gegen Folter 1993 im Polizeipräsidium von Ankara entdeckt hatte. Vermutlich steht sie noch heute da.

Harald Gesterkamp ist Redakteur des »ai- JOURNALs«, dem von amnesty international herausgegebenen monatlichen »Magazin für die Menschenrechte«.

Editorial

Editorial

von Jürgen Nieth

„Der türkische Regierungschef Yilmaz steht vor dem Rücktritt“ (TAZ, 13.11.98), „PKK-Chef Öcalan in Rom festgenommen“ (SZ 14.11.98), „Der Jugendliche Serientäter »Mehmet« darf in die Türkei abgeschoben werden“ (FAZ 14.11.98). Drei Schlagzeilen, die dem W&F Schwerpunktthema »Türkei« eine unerwartete Aktualität geben:

Die im Sommer letzten Jahres gebildete Regierung Yilmaz ist am Ende. Letzte Stolpersteine waren die Behauptungen eines Mafia-Killers und die Aussagen des Geschäftsmannes Yigit, der aus dem »Nichts« kam und innerhalb von zwei Wochen 1,6 Mrd US-Dollar in den Kauf zweier Fernsehstationen und zweier angesehener Zeitungen investierte; offensichtlich dabei unterstützt vom Regierungschef, der an einem neuen, ihm politisch nahestehenden Medienkonzern interessiert war und der dazu – so wird vermutet – mit der Mafia anbandelte.

Die Regierung Yilmaz war als Minderheitenregierung bereits seit langem gelähmt und es darf vorausgesagt werden, daß auch die nächste Regierung kein stabiles Fundament haben wird. In der Türkei droht eine äußerst brisante Situation zu entstehen. Und es ist die Frage, wie die Militärs, die längst die eigentlichen Träger der Macht sind, in dieser Situation reagieren.

Staatspräsident Demirel gab Ende 1997 die Zahl der Opfer des türkisch-kurdischen Konfliktes mit 37.000 an. In den 14 Jahren, die der Krieg nun andauert, wurden zusätzlich über 3.000 Dörfer zerstört und etwa 3 Millionen Menschen vertrieben.

Ohne Frage, daß die Lösung dieses Konfliktes angegangen werden muß.

Zum 1. September hat die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einen einseitigen Waffenstillstand verkündet, der bis zu den Parlamentswahlen im April 1999 gelten sollte. Bereits im April hatte PKK-Vorsitzender Öcalan in einem Brief an den türkischen Generalstab versichert, daß es nicht die Absicht der PKK sei, die Türkei zu spalten, sondern daß es darum gehe, „den Weg für Verhandlungen zu bahnen“ und für die „ nationale Kurdenfrage eine Lösung zu finden.“ Nach einer freien politischen Betätigung in der Türkei werde die PKK auch die Wahlentscheidungen der Menschen in der Türkei respektieren. Positionen, die in Verbindung mit der Waffenstillstandserklärung noch einmal unterstrichen wurden und mit denen die Hauptforderungen des türkischen Staates nach einem Gewaltverzicht und nach Anerkennung der Staatsgrenzen erfüllt werden. Doch die türkische Regierung lehnte erneut jedes Gespräch mit der PKK ab. „Mit Banditen gibt es keinen Waffenstillstand, wir haben mit ihnen nichts zu besprechen“, so Verteidigungsminister Ismet Sezgin.

Nach der militärischen Offensive der türkischen Armee in den letzten Wochen ist möglicherweise die Verhaftung Öcalans der entscheidende Schlag gegen die PKK, möglich sind aber auch eine Zunahme der Gewalt und die Herausbildung neuer militanter Gruppen. Auf jeden Fall ist die Kurdenfrage damit nicht gelöst. Dafür gibt es keine »militärische Lösung«.

»Mehmet«, so der ihm aus Datenschutzgründen zugewiesene Name, wurde als 14jähriger am 14.11.98 in die Türkei abgeschoben. »Mehmet« wurde in Deutschland geboren, hier sozialisiert und hier straffällig. Aber, er ist einer von über 2 Millionen in der BRD lebender Menschen mit türkischem Paß und so konnte er abgeschoben werden. Seit Monaten schon ging es für einen Teil der Politik und der Medien in dieser Frage nur noch darum: Wie werden wir den los. Wie schön wäre es, wenn ein Bruchteil dieser Aufmerksamkeit mal den Problemen der Jugendlichen gewidmet würde – es sind immerhin rund 400.000 – die zum großen Teil hier geboren, zwischen zwei Kulturkreisen aufwachsen: der deutschen Mehrheitsgesellschaft einerseits und den Anforderungen ihrer Eltern und Großeltern andererseits. Wenn jeder Zwanzigste in unserem Land zugezogen ist oder aber Eltern mit einer nicht deutschen Staatsangehörigkeit hat, dann reicht es nicht, wenn die Mehrheitsgesellschaft eine »Bereicherung der Speisekarte« und eine »vielfältigere Versorgung mit Dienstleistungen« dankend annimmt; dann muß sie auch bereit sein bei Konflikten nach zivilen, nach menschlichen Lösungswegen zu suchen. Bei uns entstandene Probleme müssen auch bei uns bearbeitet werden.

Nicht als Schlagzeile sondern eher versteckt gab es am 13.11. auch noch die Meldung, daß der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, die Türkeipolitik der alten Bundesregierung als „falsch und schädlich“ bezeichnet hat. Während Kohl die Türkei erst in der über-übernächsten Gruppe der EU-Beitrittskandidaten sah, ist für Verheugen die Türkei selbstverständlich ein Land, das für eine Vollmitgliedschaft in der EU in Frage kommt. Wenn es sich hier nicht nur um eine neue »Sprachregelung« handelt, wenn die rot-grüne Regierung wirklich eine aktive Politik des Einfluß nehmens in Richtung Entwicklung der Demokratie, Einhaltung der Menschenrechte und Respektierung nationaler Minderheiten betreiben will – drei Gebiete auf denen sicher ganz viel passieren muß vor einem EU-Beitritt der Türkei – so ist das zu begrüßen. Statt deutsche Waffen an den Bosporus – deutsche Initiativen für Verständigung (auch im Inneren), für die Einhaltung der Menschenrechte und für zivile Konfliktlösung, das wäre ein echter Schritt vorwärts.

Ihr Jürgen Nieth

Der türkisch-kurdische Konflikt

Vorschläge für eine zivile Konfliktlösung

Der türkisch-kurdische Konflikt

von Andreas Buro

Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden (IWIF) e.V. in Zusammenarbeit mit der Kooperation für den Frieden

Der türkisch-kurdische Konflikt ist immer noch nicht beendet. Gegenwärtig droht er erneut zu eskalieren. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das kurdische Siedlungsgebiet auf die Türkei, Irak, Syrien und Iran aufgeteilt. In der Folge entstanden in allen vier Ländern Minderheiten-Konflikte, wie sie oft bei der Entstehung von Nationalstaaten auftreten.1 Minderheiten wurden unterdrückt und einer Zwangsassimilierung unterworfen. Gewaltausbrüche von beiden Seiten und Feindbilder erschwerten eine vernünftige Regelung. Die Folgen in der Türkei waren eine wachsende Verfeindung innerhalb der Gesellschaft, die Blockade von Demokratisierungsprozessen, ein Anwachsen der riesigen sozialen Probleme in den kurdischen Gebieten, keine Lösung der berechtigten kurdischen Ansprüche auf eine eigenständige Kultur und Selbstverwaltung. Auf kurdischer Seite entstand immer wieder der Wunsch nach einem eigenen kurdischen Staat. Nach vielen Aufständen der Kurden seit den 20er Jahren führte seit 1984 die PKK – die kurdische Aufstandsbewegung im türkischen Teil der kurdischen Siedlungsgebiete – einen bewaffneten Kampf gegen die türkische Armee und Polizei. Dabei wurden nach offizieller Darstellung über 37.000 Menschen getötet und ungefähr 3.600 Weiler und Dörfer zerstört. Etwa 3 Millionen Kurdinnen und Kurden wurden vom Militär vertrieben. Ankara, wie auch die EU, haben die Jahre zwischen 1999 und 2004 – während eines einseitigen Waffenstillstands der PKK, in denen sich die kurdische Seite auf eine politische Lösung im Rahmen des türkischen Nationalstaates orientierte – nicht für eine politische Lösung genutzt. Nach Aufkündigung des Waffenstillstandes im Juni 2004 weiteten sich die Kämpfe aus. Jetzt stehen wieder über hunderttausend türkische Soldaten in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei. Türkische Spezialteams führen Operationen jenseits der türkisch-irakischen Grenze durch, und irakisch-kurdische Ortschaften werden bombardiert. Während es in den Kämpfen der 90er Jahre fast keine Bombenanschläge gab, wurden diese nun zur Waffe im gesamten Gebiet der Türkei. Im Oktober 2006 hat die Guerilla einen neuen unbefristeten Waffenstillstand ausgerufen. Die EU-Staaten halten trotzdem an ihrem Terrorismus-Vorwurf gegenüber der PKK und ihren Organisationen fest und erschweren sich so die Möglichkeit, in den Konflikt vermittelnd eingreifen zu können. Es gilt, eine weitere Eskalation des gewaltsamen Konflikts zu verhindern und ihn mit zivilen Mitteln beizulegen. Dazu können staatliche, internationale und nicht-staatliche Stellen einen Beitrag leisten. Auch die Erfahrungen, die in Europa mit nationalen Minderheiten gemacht wurden – z. B. das Südtirol-Abkommen zwischen Österreich und Italien – sollten herangezogen werden. Deutschland könnte in dem Konflikt eine wichtige Rolle im Sinne präventiver Diplomatie und Politik spielen. Leider hat es bisher diese Rolle nicht wahrgenommen. Das Monitoring-Projekt (siehe Kasten Seite 3) dient dem Ziel der zivilen, friedlichen Lösung des Konflikts. Es ist ein Vorhaben der »Kooperation für den Frieden«.

Der Hintergrund des Konflikts

Die Kurden und ihre Kultur

Die Meder, die als Vorfahren der Kurden gelten, ließen sich um 1000 v. C. östlich des Zagros-Gebirges nieder und bildeten dort verschiedene Reiche. Die Kurden lebten seit der Antike vorwiegend als Viehzüchter und Bauern in einem relativ geschlossenen Siedlungsraum, der sich etwa über 2.000 km von Nordwesten nach Südosten von der heutigen Türkei und Syrien bis in den Irak und den Iran erstreckte. Sie hatten keinen unmittelbaren Zugang zum Persischen Golf, zum Schwarzen, Kaspischen und Mittelmeer. Wenn im Folgenden von Kurdistan gesprochen wird, so ist nicht ein Nationalstaat im heutigen Sinne gemeint, sondern eine historische Region und ein geographischer Siedlungsraum.

Unter der arabischen Herrschaft traten die Kurden im Laufe des 7. bis 9. Jahrhunderts zum sunnitischen Islam über. Abgesehen von den Aleviten – vermutlich etwa ein Drittel der Kurden – zählen in der Gegenwart deshalb die meisten Kurden zur gleichen Religion wie die türkische Bevölkerung.

Die Existenz im Schnittfeld der Kulturen zwischen Europa, Asien und Afrika bedeutete für die Kurden auch ein Leben in dauerhaftem Unfrieden und politischer Zersplitterung. Schon im ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung wurde Kurdistan Teil des assyrischen und dann des altpersischen Staates. Im Laufe der Jahrhunderte gerieten die kurdischen Stämme, und später die kurdischen feudalen Fürstentümer, in die Abhängigkeit von iranischen Schahs und byzantinischen Herrschern. Erst im 11. Jahrhundert n. Chr. setzt die Zuwanderung von Seldschucken, einem Turkvolk aus Asien, ein. Anfang des 14. Jahrhunderts gründete Osman, einer ihrer Herrscher, das osmanische Reich, das 1453 Konstantinopel – das heutige Istanbul – eroberte und damit das byzantinische, christliche Reich beendete. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde das osmanische Reich zu einem Vielvölkerstaat und zu einer Großmacht in Asien, Europa und Afrika, das auch die kurdischen Gebiete umfasste. Das Reich zerfiel endgültig zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Rahmen des Ersten Weltkrieges. Das kurdische Siedlungsgebiet wurde auf die Türkei, Iran, Syrien und den Irak aufgeteilt. Von den etwa 30 Millionen Kurdinnen und Kurden leben gegenwärtig über 16 Mio. innerhalb der Grenzen der Türkei, über 7 Mio. in Iran, 4,5 Mio. in Irak, 1,5 Mio. in Syrien, über 1 Mio. in Europa, davon 700.000 in der Bundesrepublik. Das kurdische Volk ist das dritt- oder viertgrößte Volk im Nahen und Mittleren Osten, neben Türken, Arabern und Persern.

Die kurdische Bevölkerung lebt bis zur Gegenwart zu einem großen Teil in gesellschaftlichen Strukturen, in denen Clan-Bindungen eine erhebliche Bedeutung haben. Nationale Orientierungen wurden hierdurch immer wieder behindert. Ein wesentlicher Grund dafür, dass die Kurden sich nicht frühzeitiger mit Intensität für die Bildung eines Nationalstaates eingesetzt haben.

Die Sprache der Kurden gehört zu den indogermanischen Sprachen und ist mit dem Persischen verwandt. Sie besteht hauptsächlich aus den Dialekten Kurmanci (Kurmandschi), Sorani und Zazaki (Dimilki). Kurden benutzen heute das lateinische, arabisch-persische und das kyrillische Alphabet. In der Türkei, dem Iran, Irak und in Syrien wurde in der Vergangenheit die Vermittlung der kurdischen Sprache, Kultur und Geschichte, also alles was mit den Kurden zu tun hat, eingeschränkt oder verboten. Trotzdem wurden in Irakisch-Kurdistan viele Bücher und Wörterbücher herausgegeben. Auch im Ausland wurde publiziert. Alleine in Schweden erschienen in den letzten 50 Jahren 123 Zeitungen, Zeitschriften und Bulletins. (Özgür Politika, 28.7.00) Im Sommer 2000 wurde in Istanbul ein Kurdisch-Türkisches Wörterbuch mit 40.000 Wörtern vom Kurdischen Institut veröffentlicht. (Hürriyet, 19.6.00)

In der Türkei wurden selbst die Wörter »Kurde« und »Kurdistan« durch neue Begriffe, wie z.B. »Bergtürken«, »Ost- bzw. Südostanatolien«, ersetzt. Die traditionellen Namen der Ortschaften, Berge und Flüsse wurden türkisiert. Feste, wie Newroz, wurden bis vor einigen Jahren verboten und das Tragen kurdischer Trachten untersagt. Damit sollte eine Zwangsassimilierung vorangetrieben und die kurdische kulturelle Identität zerstört werden. Das ist bislang jedoch weitgehend misslungen.

Gerade der Versuch Ankaras, die kurdische kulturelle Identität auszulöschen, hat diese zu einem zentralen Thema der Auseinandersetzung gemacht. In der Türkei, in der die kurdischen Kinder in den Schulen nach wie vor nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden dürfen, bemühen sich kurdische Menschen mit Hilfe von kurdischen Fernseh-(MEDYA-TV/Roj-TV), Internet- und Radiosendungen aus dem Ausland, ihre Sprache schreiben zu lernen und ihre Kultur und Dichtung weiter zu geben.2

Der politische Zusammenhang des heutigen Konflikts

Der politische Ausgangspunkt ist der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs. Es war Kriegsverbündeter Deutschlands und Österreichs. Die Siegermächte England und Frankreich besetzten Istanbul und teilten das Reich nach ihren Interessen auf (Diktatfrieden von Sèvres 1920). Danach sollten Kurden und Armenier laut Artikel 62, 63, und 64 eigene Staaten gründen können. Die große türkische Nationalversammlung lehnte diesen Vertrag ab. Unter der Führung von General Kemal Atatürk (Vater der Türken) wurde der nationale militärische Widerstand organisiert, den auch die Kurden tatkräftig unterstützten, da man ihnen Gleichberechtigung als Nation mit der türkischen versprach. Dieser Kampf zwang die Alliierten 1923, im Friedensvertrag von Lausanne die Unabhängigkeit und Souveränität der neuen Türkei als Nationalstaat anzuerkennen. In dem Vertrag wurde das kurdische Siedlungsgebiet zwischen der Türkei, Iran, Irak und Syrien aufgeteilt.

Nach Lausanne wurden in der Türkei alle Versprechen von Gleichberechtigung gegenüber den Kurden gebrochen. Aus der multi-ethnischen Gesellschaft sollte nun eine türkische Gesellschaft werden. Jeder, der in der Türkei lebt, ist Türke, lautete die Devise.

Am Tag der Abschaffung des Kalifats (3.3.1924) verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Vereinheitlichung des Schulwesens. Danach galten die kurdischen Schulen als gesetzwidrig und wurden geschlossen. Die Kurden fühlten sich betrogen und befürchteten den Verlust ihrer Kultur durch Zwangsassimilation. Die offizielle Kurdenpolitik wurde in einem Gesetz vom 8. bzw. 24. September 1925 festgelegt. Darin heißt es u.a.: „Die beiden Völker können und dürfen nicht gleichberechtigt zusammenleben. Deswegen müssen die Kurden assimiliert und Kurdisch muss verboten werden. Die Kurden müssen in den Westen zwangsdeportiert und Türken im Osten an ihrer Stelle angesiedelt werden. Der Osten muss durch einen mit weiten Vollmachten ausgestatteten Generalgouverneur, wie in den Kolonien, regiert werden. Alle in wichtigen Positionen stehenden Beamten müssen Türken sein und aus dem Westen stammen.“ 3

Die Folge waren zahlreiche kurdische Aufstände zwischen 1925 und 1938, die alle blutig niedergeschlagen wurden. Damit ist die Grundsituation des türkisch-kurdischen Konflikts gekennzeichnet, der seitdem immer wieder mit Gewalt ausgetragen wurde.

Nach 1945 hat sich die Türkei im aufkommenden Ost-West-Konflikt dem Westen zugewandt, sie wurde Mitglied der NATO. Es entstand ein Mehrparteiensystem, doch die türkische Armee verstand sich als übergeordneter Hüter der kemalistischen Grundwerte und putschte 1960, 1971 und 1980 gegen die gewählten Regierungen. Ihre Repression richtete sich gegen alle demokratischen Institutionen, viele Parteien und gesellschaftliche Organisationen wurden verboten. Die Kurden waren in besonderem Maße betroffen. 210.000 Strafverfahren wurden nach dem Militärputsch von 1980 gegen die Opposition eingeleitet, Filme und Bücher verboten, Folter war in den Gefängnissen an der Tagesordnung. Alle Möglichkeiten, für die kurdischen Anliegen legal einzutreten, waren versperrt. Von September bis Dezember 1980 flohen etwa 60.000 türkische Staatsbürger – darunter viele Kurden – nach Deutschland.

Vor dem Militärputsch von 1980 gab es verschiedene Zusammenschlüsse und Organisationen für eine politische Interessenvertretung der Kurden in und außerhalb der Türkei,4 die von der PKK als Konkurrenten verstanden und von ihr auch mit Gewalt bekämpft wurden. Rückblickend konnte sich die PKK (Avantgarde Arbeiterpartei Kurdistans) als wichtigste Kraft durchsetzen.

Am 15. 8. 1984 stürmten Guerillaeinheiten der PKK zwei Kasernen der türkischen Armee. Damit wurde die bis heute andauernde militante Aufstandsbewegung der Kurden eingeleitet. Sie basierte nicht mehr auf Clan-Zusammenhängen, sondern auf kurdisch-nationalen und kulturellen Ansprüchen. Ankara bekämpft sie als eine separatistische Bewegung.

Eskalationsentwicklung

Die Kämpfe zwischen 1984 und 1998 waren sehr verlustreich und von großen Flüchtlingsströmen begleitet. Nach der Ausrufung eines einseitigen Waffenstillstandes durch die PKK (1.9.1998) und der Inhaftierung des PKK-Vorsitzenden, Abdullah Öcalan, auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali entspannte sich die Situation. Dieser Prozess wurde durch die Reform-Bemühungen aufgrund des EU-Beitrittswunsches der neuen AKP-Regierung in Ankara unterstützt. Der Ausnahmezustand im kurdischen Siedlungsgebiet wurde aufgehoben. Kurdischkurse für Erwachsene und Sendungen in kurdischer Sprache wurden ermöglicht, allerdings nur in sehr begrenztem Maße. Die grundsätzlichen Probleme des Konflikts wurden jedoch nicht ernsthaft in Angriff genommen. Das türkische Militär setzte trotzdem seine Angriffe auf die Guerilla fort – während des einseitigen Waffenstillstands von 1998-2004 gab es etwa 700 Operationen. Am 1. Juni 2004 wurde deshalb der einseitige Waffenstillstand durch die PKK aufgekündigt.

Seitdem ist der militärische Konflikt wieder eskaliert. Verdeckte Anschläge des Militärs gegen zivile Ziele provozierten die Kurden. Eine kleine kurdische Gruppe führte Sprengstoffanschläge in verschiedenen Teilen der Türkei aus. Die Armee zog Truppen an der Grenze zum Nordirak zusammen und griff in Irakisch-Kurdistan Dörfer an, in denen sie PKK-Guerilla vermutete. Die türkische Generalität forderte die USA auf, im kurdischen Nordirak gegen die PKK vorzugehen, um die Rückzugsbasis der Guerilla zu vernichten. Für die USA ist dieses Problem ambivalent. Einerseits stuft sie nach wie vor die PKK als terroristische Vereinigung ein, andererseits ist der kurdische Teil des Nordirak der stabilste und treueste Verbündete der USA. Die USA wollen auf keinen Fall, dass durch einen Einmarsch türkischer Truppen auch diese Region destabilisiert wird, sie lehnen deshalb jegliche türkische Intervention ab. Die USA haben einen Sondergesandten beauftragt, sich dieser Frage anzunehmen. Jüngst kam es zu Dreiergesprächen zwischen Vertretern der USA, der türkischen Regierung und der Regierung Irakisch-Kurdistans.

Mit diesem Prozess verzahnt, verläuft in der Türkei ein Machtkampf zwischen der Generalität und der islamisch geprägten AKP-Regierung. Das Militär befürchtet durch die Anpassungen an die EU-Forderungen Macht zu verlieren und wendet sich gegen die AKP-Regierung, der es die Islamisierung der Türkei vorwirft. Das Militär ist anscheinend an einer Fortsetzung des Krieges gegen die PKK interessiert, lehnt eine Amnestie der Guerilla ab und fordert deren Kapitulation. Dazu mobilisiert es türkisch-nationalistische Gefühle in der Gesellschaft, die geeignet sind, Feindbilder zu verstärken. Der türkisch-kurdische Konflikt wird zur Zeit durch einen Konflikt zwischen Militär und Regierung überlagert. 2007 wird es in der Türkei Präsidenten- und Parlamentswahlen geben. Das veranlasst die AKP-Regierung wegen ihrer Wählerklientel zu großer Zurückhaltung in der Kurdenfrage.

Gegenwärtig stehen die USA in der Kurdenfrage nicht mehr umstandslos an der Seite des türkischen Militärs. Sollten die US-Truppen aus dem Irak zurückgezogen werden, dürfte allerdings für den türkisch-kurdischen Konflikt, wenn er bis dahin nicht beigelegt ist, eine völlig neue Konstellation zugunsten der Interventionswünsche des türkischen Militärs entstehen.

Zusammenhänge mit anderen Konflikten in der Region

Der türkisch-kurdische Konflikt stand immer im Zusammenhang mit den Politiken der Nachbarstaaten Iran, Irak und Syrien. Mit diesen Staaten verband die Türkei das gemeinsame Interesse, alle kurdischen Bestrebungen zur Bildung eines eigenen Nationalstaates zu unterdrücken. Die Organisierung der Kurden und das Aufkommen des Gefühls einer kurdischen Identität sollte verhindert werden. Daraus folgte eine generelle Repression gegenüber der kurdischen Bevölkerung und ihrer Kultur. Diese Politik hat aber dazu geführt, dass sich die Kurden fast überall als ausgegrenzt aus den Gesellschaften ihres Landes empfanden und sich um so mehr ihrer kurdischen Identität zuwandten.

Ein anderes Element bestand oft in der Instrumentalisierung der Kurden für die Austragung von Konflikten zwischen den vier Staaten. Verkürzt gesagt: Man förderte die Kurden der anderen, um dem anderen Staat damit Schwierigkeiten zu bereiten. Wichtigste Beispiele waren die syrische Duldung des Hauptquartiers und der Rückzugsbasis der PKK in ihrem Land und die jahrelange Unterstützung der irakischen KDP und PUK vom Iran aus.

Friedensfördernde und friedenshindernde Einflüsse der internationalen Politik

Internationale Politik hat einen wesentlichen Anteil an dem türkisch-kurdischen Konflikt. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg ging es den westlichen Siegermächten darum, die Türkei im West-Ost-Konflikt auf ihre Seite zu ziehen. Sie wurde 1952 in die NATO aufgenommen und zum wichtigen Stationierungsort für US-amerikanische Atomwaffen, die sich gegen die UdSSR richteten. Diese Waffen wurden zwar im Rahmen der Vereinbarungen um die Kuba-Krise 1963 abgezogen, die »Waffenbrüderschaft« der NATO-Staaten blieb jedoch über alle Militärputsche in der Türkei (1960, 1971, 1980) hinweg dominierend. Die Kurdenfrage in der Türkei war deshalb kein Thema in den internationalen Beziehungen zwischen diesen Ländern. Dies änderte sich auch nicht, als in den 90er Jahren die USA, die Türkei und Israel gemeinsam in Nahost die Funktion einer regionalen Hegemonialmacht ausübten. Die militanten Kämpfe der kurdischen PKK ab 1984 wurden als terroristische Angriffe definiert, ohne dass man ihren Ursachen nachgegangen wäre. Massive Waffenlieferungen an die Türkei – Deutschland lieferte nicht nur Militärausrüstung aus DDR-Beständen, sondern auch Leopardpanzer, U-Boote und anderes militärisches Großgerät – verstärkten die Parteinahme zugunsten der offiziellen Politik in Ankara; die türkische Generalität, die den Kampf gegen die PKK organisierte, war der direkte Ansprech- und Verhandlungspartner.

Je mehr die Konflikte in Nah- und Mittelost eskalierten, um so stärker wurde die ablehnende Haltung der westlichen Regierungen gegenüber den kurdischen Ansprüchen, die über lange Zeit auch tatsächlich einen separatistischen Charakter hatten. Diese Ablehnung wurde noch durch zum Teil gewalttätige Demonstrationen von Exil-Kurdinnen und -Kurden in Westeuropa – und speziell in Deutschland – verstärkt. Dies trug auch dazu bei, dass der einseitige, zunächst unbegrenzte Waffenstillstand der PKK – nach der Entführung und Gefangennahme ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 – und die Bereitschaft, zu einer politischen Lösung im Rahmen der Türkei zu kommen, von außen nicht aufgegriffen und zur Lösung dieses Konflikts genutzt wurde.

In die Haltung der westlichen Staaten gegenüber der Kurdenfrage ist erst seit den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und der Irak-Besetzung durch die USA etwas Bewegung gekommen.

In den EU-Beitrittsverhandlungen führt die Art und Weise, wie in der Türkei Minderheiten behandelt werden, immer wieder zu Auseinandersetzungen, auch wenn dabei die vorsichtig taktierende Brüsseler Kommission die Kurdenfrage nur sehr zurückhaltend anspricht. Auf Dauer wird sie jedoch nicht darum herum kommen, deutlicher und genauer zu werden, da die Menschenrechtsdefizite in der Türkei nur zusammen mit der Lösung der Kurdenfrage überwunden werden können. Das Europäische Parlament thematisiert mit größerer Deutlichkeit diese Problematik.

Die Besetzung des Iraks durch die USA hat in Washington ein neues Interesse an der Kurdenfrage geweckt. Das autonome irakisch-kurdische Gebiet ist in dem sonst so unruhigen Irak die stabilste Region. Sie soll nicht durch türkische Angriffe auf Rückzugsbasen der PKK destabilisiert werden. Die Interessen der USA und des türkischen Militärs stehen hier im Widerspruch, wenigstens solange der Irak als Einheit bestehen bleibt. Das könnte Chancen für neue Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber der Kurdenfrage eröffnen.

Bezug Deutschlands zu dem Konflikt

Das Deutsche Reich hat sich im Rahmen seiner Expansionspolitik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts um gute Beziehungen zum Osmanischen Reich und zur Türkei bemüht. Kaiserbesuche, Bagdad-Bahn und Kriegspartnerschaft im Ersten Weltkrieg mögen als Stichworte genügen. Im Zweiten Weltkrieg blieb die Türkei neutral. Die Beziehungen nach 1945 liefen vor allem über die Wirtschaft und die NATO. Deutschland ist im Im- und Export der größte Wirtschaftspartner der Türkei. Aus der Türkei kamen auf Wunsch der deutschen Industrie viele Gastarbeiter, die sich zu einem großen Teil dauerhaft ansiedelten. Darunter waren auch – zusammen mit Flüchtlingen – etwa 700.000 Kurden. Der türkisch-kurdische Konflikt wurde in der Folge auch in Deutschland ausgetragen, zum Teil mit großen friedlichen Demonstrationen, aber auch mit Aktionen, die nicht gewaltfrei verliefen. Die Bundesregierung nahm die PKK im November 1993 in die Liste der terroristischen Organisationen auf. Noch immer gibt es Prozesse gegen und Verurteilungen von PKK-Mitglieder/n, werden Büros kurdischer Organisationen durchsucht, denen man Nähe zur PKK nachsagt.

Die rot-grüne Bundesregierung hat sich für eine EU-Beitrittsperspektive der Türkei stark gemacht, den türkisch-kurdischen Konflikt jedoch nicht entsprechend thematisiert. Premierminister Erdogan konnte noch 2003 bei seinem Besuch in Berlin unwidersprochen behaupten, es gäbe keine kurdische Frage.

Im Gegensatz zur offiziellen Politik haben sich Organisationen aus dem zivil-gesellschaftlichen Bereich in erheblichem Maße bemüht, zur Beilegung des türkisch-kurdischen Konflikts beizutragen. Einige Beispiele:

  • Evangelische Akademien haben viele Seminare zu diesem Thema angeboten;
  • Evangelische Landeskirchen haben sich mit dem Konflikt befasst;
  • der Interkulturelle Rat in Deutschland hat sich um Dialoge zwischen Türken und Kurden bemüht;
  • der 1995 gegründete Dialog-Kreis konnte in vielen Veranstaltungen und Veröffentlichungen auch PolitikerInnen einbeziehen. Er bemühte sich auch um aktuelle Analysen und strategische Handlungsvorschläge;
  • die Ärzte-Vereinigung IPPNW stellte ständige Kontakte und eine Zusammenarbeit zwischen in Deutschland lebenden türkischen und kurdischen Mitbürgern her;
  • Amnesty international und Menschenrechtsvereine haben recherchiert und Menschenrechtsverletzungen bekannt gemacht;
  • Pro Asyl und Flüchtlingsbeiräte der Länder haben Asylsuchende beraten und gegenüber Gerichten über die Hintergründe von Flucht und Vertreibung berichtet, Rechtshilfe-Vereine wie Azadi nahmen sich der Probleme an;
  • das Netzwerk Friedenskooperative führte jahrelang gemeinsam mit anderen Friedensorganisationen eine Kampagne unter dem Motto »Schweigen tötet! Frieden jetzt« durch.

Dazu kamen Organisationen der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden, die sich mit dem Konflikt aus ihrer Sichtweise auseinander setzten. Bei fast allen diesen Aktivitäten, die auf Dialog und Verständigung zielten, war im Gegensatz zu den kurdischen Organisationen die Bereitschaft der türkischen eher gering, sich auf einen Dialog mit der kurdischen Seite einzulassen.

Bezug der EU zu dem Konflikt

Im Oktober 2005 nahm die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf. Man spricht von einer Verhandlungsdauer von 10-15 Jahren. In einigen EU-Staaten herrscht große Skepsis, ob ein Beitritt der Türkei überhaupt wünschenswert ist. In den Vorverhandlungen wurde die Kurdenfrage nicht explizit angesprochen. Gesprochen wurde aber über Minderheitenrechte, was je nach Sichtweise die Kurden ein- oder ausschließt. Trotzdem ist festzuhalten: das Bemühen Ankaras um einen Beitritt zur EU hat bisher den größten Anstoß für Veränderungen und Diskussionen in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Freiheitsrechte gegeben. Auch wenn diese bisher nicht ausreichend waren, so wurde immerhin der Ausnahmezustand aufgehoben, und es wurden erste Lizenzen für zeitlich begrenzte kurdischsprachige Sendungen erteilt. Die Verhandlungen sind in Bezug auf die Kurdenfrage – trotz aller Mängel – einer der wichtigsten Faktoren zur Veränderung.

Das Europäische Parlament hat immer wieder umfassende Erklärungen zum Türkei-Beitritt und zur Kurdenfrage abgegeben. Diese Stellungnahmen sind wichtig für das öffentliche Meinungsbild, auch wenn sie nicht unmittelbar die Politik bestimmen.

Nach einer Debatte über die kulturelle Situation der Kurden hat die Parlamentarische Versammlung des Europa-Rats am 4. Oktober 2006 eine Entschließung angenommen, die dazu aufruft, diese Kultur durch unterstützende Maßnahmen auf europäischer Ebene zu schützen. In diesem Zusammenhang sind auch die Regelungen des Europa-Rats zu Fragen der Minderheitenrechte von Bedeutung. Die Türkei und Frankreich sind die beiden einzigen Europaratsstaaten, die dem Europarats-Rahmenabkommen zu Minderheiten bisher nicht beigetreten sind. Der internationale Reviewprozess ist dadurch blockiert. Wenn Frankreich dem Rahmenabkommen beitreten würde, hätte dies auch Auswirkungen auf die Türkei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat bisher in zahlreichen Urteilen kurdisch-stämmigen BürgerInnen der Türkei Recht gegeben. Urteile, denen sich Ankara in aller Regel unterwerfen muss. Oft handelt es sich um exemplarische Fälle, die auch über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind.

Die legitimen Interessen der Akteure

Interessen der Kurden, die direkt betroffen sind

Von verschiedenen Gruppierungen sind immer wieder Listen mit Forderungen für die Lösung des kurdischen Problems in der Türkei aufgestellt worden. An erster Stelle steht die Anerkennung der kurdischen kulturellen Identität durch den Staat und ihre Verankerung in der Verfassung. Damit verbunden ist das Recht auf Erziehung in kurdischer Sprache in der Schule und die Benutzung der kurdischen Dialekte neben dem Türkischen. Zum Zweiten wird eine Beendigung der Militär- und Willkürherrschaft in den kurdischen Siedlungsgebieten gefordert und die Errichtung einer rechtsstaatlichen Ordnung. Ein Teil der Flüchtlinge und Vertriebenen möchte in ihre Heimatorte zurückkehren. Bislang machen bürokratische Hürden und Behinderungen durch das Militär dies meist unmöglich. Auch haben sich vielfach die sogenannten Dorfwächter5 Häuser und Land der Vertriebenen angeeignet. Die wirtschaftliche und soziale Situation im kurdischen Siedlungsgebiet ist weit unter dem Niveau der westlichen Türkei. Die Nutzung von Naturressourcen, insbesondere der Wasserkraft, kommt der Region kaum zugute. Man erhofft eine Verbesserung der Infrastruktur als Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung. Vorgetragen wird auch die Forderung nach einer Dezentralisierung des Staatswesens und damit nach einer größeren Selbstverwaltung im lokalen und regionalen Bereich (das betrifft auch die vornehmlich türkisch bewohnten Gebiete). Alle diese Forderungen und Wünsche sind im Rahmen einer Modernisierung und Liberalisierung der türkischen Gesellschaft und des Staatswesens verhandelbar.

Nicht verhandelbare Interessen des türkischen Staates

Nicht verhandelbar ist für den türkischen Staat die Abtrennung der kurdischen Siedlungsgebiete. Dies ist im Rahmen der bestehenden nationalstaatlichen Ordnung in den meisten Teilen der Welt eine anerkannte Position, auch wenn dies von nationalen Minderheiten oftmals nicht akzeptiert wird.

Öcalan hat in jüngster Zeit einen »Demokratischen Konföderalismus« gefordert. Dieses gesellschaftliche Modell weicht völlig von der bisherigen Staatsstruktur der Türkei ab und dürfte für die Türkei keine Verhandlungsbasis sein.

Der Verzicht auf Gewalt von Minderheiten zur Durchsetzung politischer Ziele ist für Ankara im Sinne des Gewaltmonopols des Staates unabdingbar. Dies setzt allerdings auch ein rechtsstaatliches Verhalten der staatlichen Institutionen und die Möglichkeit zur demokratischen Mitwirkung für die kurdische Bevölkerung voraus.

Interessen des internationalen Umfelds

Für den kurdischen Nordirak (in der irakischen Verfassung als Kurdistan bezeichnet) ist es wichtig, dass aus dem türkisch-kurdischen Konflikt nicht eine permanente Interventionsdrohung durch die Türkei wird. Deshalb hat diese Region ein großes Interesse an der friedlichen Beilegung dieses Konflikts. Ähnliches gilt für die USA, die an der Aufrechterhaltung der Stabilität des Nordirak interessiert sind. Washington befürwortet seit langer Zeit einen Beitritt der Türkei zur EU. Auch dieser Wunsch setzt eine friedliche Lösung der Kurdenfrage voraus, was sich bisher allerdings nicht in der US-Außenpolitik niedergeschlagen hat.

Wenn eine friedliche Lösung der Kurdenfrage im Rahmen der Türkei erreicht wird, so hat das eine Signalwirkung für den Iran und Syrien. Ohne die Sorge vor einem kurdischen Separatismus können diese Länder entspannter Probleme ihrer kurdischen Minderheiten angehen.

Die EU müsste ebenfalls ein legitimes Interesse an der friedlichen Lösung der Kurdenfrage haben. Sie wird bei den Beitrittsverhandlungen Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Freiheits- und Menschenrechte nicht durchsetzen können, solange etwa 20 bis 30% der Bevölkerung der Türkei daran nicht teilhaben können. Allerdings wird dieses legitime Interesse bislang nicht ausreichend deutlich in den Verhandlungen und Positionen der EU. Sie hält nach wie vor an der Einstufung der PKK-Organisationen als terroristisch fest.

Was für die EU gilt, gilt im wesentlichen auch für Deutschland. Kommt hinzu, dass das Verhältnis der hier lebenden Kurden zu den hier lebenden Türken wichtig ist für die Integration beider in die deutsche Gesellschaft. Aufgrund seiner vielfältigen Beziehungen müsste Deutschland noch stärker an einer friedlichen Lösung interessiert sein, nutzt aber bisher seine Einflussmöglichkeiten kaum aus.

Ziele ziviler Konfliktbearbeitung

Das übergeordnete Ziel muss darin bestehen, der kurdisch-stämmigen Bevölkerung in der Türkei ein gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen. Sie hat ein Recht, so zu leben, dass sie ihre kurdische kulturelle und sprachliche Identität ohne Diskriminierung bewahren und ihre soziale und wirtschaftliche Situation verbessern kann. Um dieses zu erreichen, sind folgende Unterziele zu bearbeiten:

  • Vertrauen zwischen der türkischen und der kurdischen Bevölkerung und deren Eliten aufbauen.
  • Über einseitige Gesten und Schritte eine Dynamik der gegenseitigen Zuwendung erreichen, in der keine Seite ihr »Gesicht« verliert.
  • Förderung des Dialogs auf möglichst vielen Ebenen über mögliche Kompromisse.
  • Abbau von Befürchtungen der türkischen Seite vor separatistischen Bestrebungen.
  • Stärkung der politischen Administration gegenüber dem militärischen Establishment.
  • Förderung der Bereitschaft der EU und der EU-Staaten, die Kurden-Frage aufzugreifen und zu einer friedlichen Lösung beizutragen.
  • Abbau von Feindbildern gegenüber den Kurden und ihren Organisationen, die im Ausland oft unter dem Label »Terrorismus« gesehen und verfolgt werden.
  • Förderung der kurdischen Kultur im In- und Ausland.

Zivile Möglichkeiten zur Konfliktentschärfung und Konfliktlösung

Eine notwendige Vorbemerkung: Konflikte dieser Art hängen von Entscheidungen und vom Verhalten auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen ab. Es wäre illusionär zu glauben, ein Wandel könnte allein aufgrund gesellschaftlicher und sozialer Bewegungen herbeigeführt werden. Deshalb werden im Folgenden auch Vorschläge für internationales und nationalstaatliches Handeln unterbreitet, wenngleich wir wissen, dass solche Vorschläge oft nicht akzeptiert oder doch nur sehr allmählich in Betracht gezogen werden. Es wird immer behauptet, die jeweilige militärische Konfliktbearbeitung sei alternativlos. Die folgenden Vorschläge belegen, dass es sehr wohl zivile und menschenrechtlich geprägte Alternativen zu den vorherrschenden Kriegspolitiken gibt.

Es geht um Strategien mit dem Ziel einer friedlichen politischen Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt für die Zivilgesellschaft, für Regierungs- und EU-Politik, die wie ein Bausteinsystem, dort wo es möglich ist, umgesetzt werden. Dabei ist nicht zu erwarten, dass Friedensstiftung und -vermittlung durch einen einmaligen Akt zu erreichen sind; es geht darum, von verschiedenen Akteuren und Ansätzen aus einen Prozess ziviler Konfliktbearbeitung anzustoßen und damit auch die zunächst noch bestehenden Blockaden für einen Dialog zu überwinden.

Zivile Handlungsoptionen für den türkischen Staat

Die staatliche Einheit der Türkei ist gegenwärtig nicht gefährdet, da die kurdische Seite sich zu einer politischen Lösung im Rahmen des türkischen Staates bekennt. Die Anklage wegen separatistischer Bestrebungen hat ihre Grundlage verloren. Im Gegensatz zu Konfliktsituationen in anderen Ländern – zum Beispiel Nordirland oder Sri Lanka – kann die Regierung der Türkei sich bei einer Politik der Aussöhnung auf eine überwiegend religiöse Gemeinsamkeit von Türken und Kurden beziehen, um die zwischen beiden Ethnien bestehenden Ressentiments oder gar Feindbilder zugunsten von Versöhnung und Kooperation, dauerhaft abzubauen.

Die im Folgenden genannten Elemente einer Politik der Versöhnung können nicht vollständig sein und müssen weiter differenziert werden.

1. Türkische und kurdische Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler u.a. treten in der Türkei für eine Politik der Aussöhnung und des Gewaltverzichts ein. Dabei streben sie auch die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) in der EU an.

2. Ankara spricht den Wunsch nach Aussöhnung und gegenseitiger Anerkennung offen aus und regt einen innergesellschaftlichen Dialog im Rahmen des türkischen Staates an.

3. Um dem Wunsch nach Aussöhnung Glaubwürdigkeit zu verleihen, wird eine Amnestie für alle aus politischen Gründen Verurteilten und für alle, die an den Kämpfen teilgenommen haben, erlassen. Dann können diejenigen, die sich heute im Exil befinden, in ihre Heimat zurückkehren und sich dort für ihre Ziele mit demokratisch-politischen Mitteln einsetzen.

4. In dem innergesellschaftlichen Dialog wird auch darüber gesprochen, in welcher Weise die multi-ethnische Dimension der Gesellschaft in der türkischen Verfassung ihren Niederschlag findet. Dadurch würde die Gemeinsamkeit im Rahmen des Staates gestärkt und nicht geschwächt. Kemal Atatürk hat in der frühen Phase des Kampfes zur Bildung des Nationalstaates Türkei die Kurden als Brudervolk bezeichnet und versprochen, es gleichberechtigt an dem neuen Staat teilhaben zu lassen. Dieses Versprechen würde so eingelöst.

5. Ankara strebt eine Politik der Aussöhnung und der kulturellen Gleichberechtigung an. Auch innerhalb der EU gibt es Länder mit Sprachenvielfalt und mehreren kulturellen Traditionen. Die EU als Ganzes ist ein multikulturelles Gebilde. Die Respektierung der unterschiedlichen kulturellen Traditionen und Sprachen wird nicht die Bedeutung des Türkischen als verbindende Sprache im Staat mindern.

6. Die Flüchtlinge aus den kurdischen Siedlungsgebieten, die während der vergangenen Kämpfe vertrieben wurden, dürfen zurückkehren. Da die meisten Flüchtlinge materielle Verluste erlitten haben, ist eine solidarische Hilfe für ihre Rückkehr dringend geboten. Bei den Erdbebenkatastrophen haben Menschen und Organisationen aus der ganzen Türkei – und aus dem Ausland – solidarisch geholfen. Wenn dies zum Vorbild für die Rücksiedlung der Flüchtlinge würde, würde das Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt.

7. Die so genannten Dorfwächter erhalten im Sinne einer Aussöhnungspolitik eine gleichwertige Perspektive für ihr Leben wie die zurückkehrenden Flüchtlinge. Lokale Dialoge unter Anleitung geschulter Konfliktschlichter können hierbei hilfreich sein. Die dabei gesammelten Erfahrungen werden im Bereich der Friedensforschung an Universitäten eingebracht.

8. Die Entwicklung im Osten und Südosten der Türkei ist bislang zugunsten von Investitionen und Infrastruktur im Norden und Westen vernachlässigt worden, obwohl diese Region mit ihren großen Siedlungsgebieten der Kurden einen erheblichen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Leistung der Türkei beiträgt. Die Menschen dort haben vielfach den Eindruck, sie würden in kolonialer Weise ausgebeutet. In der Zeit des bewaffneten Kampfes ist die Ausbildung der nachwachsenden Generation, die soziale und medizinische Versorgung sowie die materielle Infrastruktur weitgehend zusammengebrochen. Es hat eine Ausgrenzung stattgefunden, die nach allen entwicklungspolitischen Erfahrungen nicht ohne große Anstrengungen rückgängig gemacht werden kann. Um den Menschen in diesen Gebieten das Gefühl zu vermitteln, dass sie »dazu gehören« und ihr Schicksal der Türkei wichtig ist, wird eine große Anstrengung des Aufbaus – nach Möglichkeit international unterstützt – unternommen.

Zivile Handlungsoptionen für PKK, Guerilla und lokal gewählte Vertreter

1. Rückzug der Guerilla aus der Türkei nach Irakisch-Kurdistan und freiwillige Entwaffnung unter internationaler Kontrolle, z.B. nach dem aktuellen Vorbild der maoistischen Guerilla in Nepal (die sich dort allerdings erst nach Abschluss des Friedensabkommens unter die Obhut der UNO begeben hat). Die Initiative dazu geht von der PKK aus, die die UN um Unterstützung in diesem Anliegen bittet. Verzicht auf Drohungen jedweder Art. Damit würde der türkischen Generalität der militärische Gegner und damit die Legitimation für militärisches Vorgehen entzogen. Ein solcher Schritt würde zum Abbau von Feindbildern beitragen.

2. Die kurdische Seite arbeitet einen Vorschlag für ein Stufenprogramm der Vertrauensbildung und Aussöhnung aus. Es enthält eine zeitliche Schrittabfolge parallel zum Rückzug und zur Selbstentwaffnung der Guerilla, z.B.:

  • Stufe1: Ausweitung der kurdischen Medienprogramme und Liberalisierung des Unterrichts in Kurdisch. Ausbildung von LehrerInnen für den Kurdisch-Unterricht.
  • Stufe 2: Erleichterung der Rückkehr kurdischer Flüchtlinge in ihre Dörfer und Städte und Unterstützung bei der Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlagen. – Aufnahme von Gesprächen zwischen den gewählten Bürgermeistern und einem von der Regierung beauftragten Sonderbotschafter über Probleme und Wünsche der Bevölkerung in den kurdischen Siedlungsgebieten. Damit würde ein Dialog über »Alltagsprobleme« eingeleitet, der zur Vertrauensbildung erheblich beitragen kann. Einsetzung einer paritätischen Kommission (Regierung und Bürgermeister) zur Untersuchung und Regelung der Dorfwächter-Problematik.
  • Stufe 3: Amnestie für die politischen Gefangenen und für die Beteiligung an den militärischen Konflikten der letzten Jahre auf beiden Seiten. Das bedeutet u.a. die Rückkehrmöglichkeit für alle am Krieg beteiligten Kurdinnen und Kurden, ohne dass sie durch den Staat Türkei verfolgt würden. Zu diesem Zeitpunkt löst sich die PKK und ihre Guerilla-Truppe endgültig auf. Die Amnestie schließt auch den Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, ein. Die Bildung einer oder mehrerer politischer Parteien, die die Interessen der kurdischen Bevölkerung vertreten, ist möglich, ohne dass sie als Nachfolgeorganisation der PKK verfolgt werden.
  • Stufe 4: Für die Ost- und Südost-Türkei mit den kurdischen Siedlungsgebieten wird ein umfassendes Entwicklungsprogramm aufgelegt. Die EU und die EU-Staaten werden aufgerufen, sich an diesem Programm zu beteiligen. In diesem Zusammenhang wird eine kurdische Institution gegründet, die sich für die Wiederentfaltung der kurdischen Kultur einsetzt. Der Unterricht in kurdischer Sprache wird allgemein eingeführt.
  • Stufe 5: Nach einer Wahlrechtsreform, die es den kurdischen Parteien ermöglicht, auch in der Großen Nationalversammlung vertreten zu sein, und nach Parlamentswahlen beruft der Präsident eine Verfassungskommission. Sie soll die bestehende Verfassung in Hinblick auf das gleichberechtigte Zusammenleben der Völker in der Türkei überprüfen und Vorschläge für eine Stärkung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung ausarbeiten. Diese werden dem Parlament zur Beschlussfassung vorgelegt.

Zivile Handlungsoptionen für die USA

1. Um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern, bestehen die USA gegenüber der Türkei konsequent auf einem Interventionsverbot in Irakisch-Kurdistan.

2. Gleichzeitig drängen die USA auf eine politische Lösung des Konflikts und die türkische Generalität dazu, sich auf eine Amnestie für die Guerilla einzulassen.

3. Die USA setzen sich gemeinsam mit den EU-NATO-Staaten in diesem Sinne dafür ein, die Einstufung der kurdischen Guerilla als »terroristisch« fallen zu lassen.

4. Die USA beteiligen sich an einem Entwicklungsprogramm für den Osten und Südosten der Türkei.

Zivile Handlungsoptionen für die EU

1. Die EU führt mit der Türkei Beitrittsverhandlungen. Da die Menschenrechtsprobleme in der Türkei nicht gelöst werden können, ohne die kurdische Frage friedlich zu lösen, legt die EU bei ihren Verhandlungen stärkeres Gewicht auf eine friedliche Lösung des Konflikts.

2. Der Rat der EU ruft die Türkei und die kurdische Seite auf, den Konflikt friedlich beizulegen und dazu einen Gewaltverzicht zu vereinbaren. Falls erforderlich, ergreift das Europäische Parlament eine Initiative in diesem Sinne.

3. Da die kurdische Guerilla zum 1.10.2006 erneut einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen hat, beschließt der zuständige EU-Ministerrat, ihre Einstufung als »terroristisch« aufzuheben.

Zivile Handlungsoptionen für Deutschland und andere EU-Staaten

1. Die Bundesregierung setzt ihre im November »98 verkündete Absicht um, eine Initiative zur Förderung einer politischen Lösung in der Kurdenfrage zu ergreifen. Sie nutzt ihre EU-Präsidentschaft, um einen Prozess der Vermittlung mit langem Atem einzuleiten und voranzutreiben.

2. Gleichstellung der Kurden: Die zur Zeit in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden kommen überwiegend aus der Türkei. Sie sind zum Teil seit 30 Jahren bei uns und haben wie andere Immigrantengruppen einen großen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes geleistet. Trotzdem sind sie immer noch nicht den anderen Immigrantengruppen gleichgestellt, sondern werden vornehmlich als Türken behandelt. Mit der Anerkennung der Kurden als eigenständiger Bevölkerungsgruppe und der Umsetzung der sich daraus ergebenden Rechte – muttersprachlicher Unterricht, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache, freie Namensgebung für kurdische Kinder und Einrichtung von Beratungs- und Betreuungszentren für KurdInnen usw. – würde manche Benachteiligung der Kurdinnen und Kurden in Deutschland aufgehoben. Im Grunde muss nur der Bundestagsbeschluss vom 7. November 1991 (BT-Drucksache 12/ 1362) in die Tat umgesetzt werden. In ihm heißt es. „In der Bundesrepublik lebt eine große Gruppe von Kurden. Auch ihnen muss die Möglichkeit zur Bewahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität gegeben werden.“

3. Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland Asyl erhalten oder beantragt haben und sich in kurdischen Organisationen betätigt haben, werden unter keinen Umständen in die Türkei zurück geschickt, ehe dort nicht eine generelle Amnestie für solche Personen ausgesprochen wurde. In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach einer Amnestie gegenüber der Türkei zu vertreten.

4. Bundestag und Bundesregierung setzen sich dafür ein, dass in der EU die Einstufung der PKK als »terroristisch« aufgehoben wird, zumal die kurdische Guerilla erneut am 1.10.2006 einen unbefristeten, einseitigen Waffenstillstand ausgerufen hat. Die Aufhebung dieser Einstufung erleichtert es, in Deutschland und den EU-Staaten über das kurdische Anliegen und über Schritte für eine friedliche, zivile Lösung einen offenen Dialog zu führen. Das ändert nichts daran, dass Straftaten nach dem deutschen Strafgesetz geahndet werden.

5. Organisierung von »Hearings zur Türkei-Kurden-Frage«, bei denen alle wichtigen Akteure angehört werden. Diese Hearings könnten in Deutschland von der Regierung oder einem speziellen Gremium organisiert und dokumentiert werden, so dass sie für jeden zugänglich werden. Die Botschaft nach außen hieße, wir beginnen uns mit dieser Frage zu beschäftigen.

6. Die Bundesregierung schlägt der EU-Kommission vor, im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eine Monitoring-Gruppe zu bilden, die alle relevanten Informationen zu dem Konflikt sammelt und jährlich einen Bericht mit Empfehlungen für die weitere zivile Bearbeitung des Konflikts herausgibt. Dieser wird auch im Europäischen Parlament erörtert.

7. Friedensforschungsinstitute werden gebeten, den Konflikt in seinen Dimensionen zu analysieren und Strategien ziviler Konfliktbearbeitung und Vorschläge für eine politische Lösung zu entwickeln.

8. Zur Etablierung und Ausweitung von »dezentralen Dialogen« wird eine europäische Dialog-Stiftung geschaffen, die von der EU finanziert wird. Die Bundesregierung und NRO setzen sich hierfür ein. Sie hat vor allem die Aufgabe, NRO und soziale und berufliche Gruppen der Zivilgesellschaft aus der Türkei und EU-Europa miteinander ins Gespräch zu bringen. Dies dient gleichzeitig der Stärkung der Zivilgesellschaft als Ansprechpartnerin zum Abbau von Konflikten und kann das Interesse und Engagement an diesem Problem innerhalb der EU ausweiten. Soll die Stiftung ihren Zweck erfüllen, so müssen alle Konfliktparteien ungehindert am Dialog teilhaben können. Dafür sind die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Eine solche Stiftung kann später auch für die Dialog-Vermittlung in anderen Konflikten des Kontinents herangezogen werden und möglicherweise in Kooperation mit der OSZE ihre Schwerpunkte bestimmen.

9. Anregung und Förderung eines Programms der Städtepartnerschaften und -kooperationen zwischen deutschen bzw. EU-Städten und Städten in den kurdischen Regionen. Zusätzlich sollte das BMZ eine Zusammenarbeit mit Kommunen der Region weiter entfalten. Hierdurch würde sowohl die Anteilnahme Deutschlands bzw. der EU-Staaten, wie auch deren Hilfsbereitschaft signalisiert. Außerdem würde eine bessere Kenntnis des jeweiligen Selbstverständnisses und der Lebensumstände die Folge sein.

10. Es sind Konzepte zur Stärkung der Verständigungs-, Schlichtungs- und Friedensschaffensfunktion der OSZE auszuarbeiten und in die OSZE zur Diskussion und möglichen Beschlussfassung einzubringen. Friedensforschung und spezialisierte Institute können dafür herangezogen werden. Im Rahmen der OSZE sind nicht nur der gesamteuropäische Bereich sondern auch die USA und Kanada angesprochen. Am Beispiel des türkisch-kurdischen Konflikts könnte damit die Funktion eines solchen nicht-militärisch bestimmten Bündnisses zum Nutzen aller erkundet und ausgeweitet werden.

Handlungsoptionen für Soziale Bewegungen und NRO

1. Einladung türkischer und kurdischer Repräsentantinnen und Repräsentanten, die eine friedliche Lösung des Konflikts befürworten, nach Deutschland und in andere EU-Staaten zu Konferenzen und Gesprächen mit Multiplikatoren, Medien sowie Politikerinnen und Politikern.

2. Die Handlungsoptionen für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts werden in der Öffentlichkeit bekannt gemacht, um dafür zivilgesellschaftliche Unterstützung zu erhalten. Es gilt also, Kirchen, Gewerkschaften, humanitäre Vereinigungen, Friedensforschung, politische Parteien und Medien anzusprechen, damit sie den Konflikt thematisieren und tätig werden.

3. Es ist eine entsprechende Lobby-Arbeit gegenüber dem Europäischen Parlament und der EU-Kommision in Brüssel erforderlich. Damit zu verbinden ist eine Internationalisierung des Themas innerhalb der EU durch die Hinzuziehung von Organisationen und Institutionen der Zivilgesellschaft in den EU-Staaten.

4. Unterstützung der Bildung einer kulturellen, friedenspolitisch orientierten kurdischen Repräsentation in Deutschland bzw. EU-Europa, die zur Ansprech- und Dialogpartnerin für Politik, Friedensforschung und Kultur werden kann.

5. Auf- und Ausbau eines türkisch-kurdischen Dialogs in Deutschland mit dem Ziel, eine gemeinsame friedenspolitische Position zu erarbeiten.

6. Ein friedenspolitisches Symposium mit TeilnehmerInnen aus der Türkei, aus Deutschland und anderen EU-Ländern, das in der Türkei abgehalten wird. Hierbei sollen ethnische Konflikte in Staaten untersucht und Erfahrungen aus Strategien der Versöhnung gewonnen werden. Aus dem Symposium könnten sich weitere Aufträge für Untersuchungen und Projekte ergeben.

Road Map für eine friedliche, zivile Lösung

In diesem Fahrplan werden die oben angesprochenen Handlungsoptionen der verschiedenen Akteure in eine zeitliche Abfolge gebracht, so dass eine Strategie der zivilen Konfliktbearbeitung erkennbar wird. Freilich dient dies nur der Orientierung, zumal einzelne Schritte sich überschneiden und/oder unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen werden. Unerwartete Ereignisse werden Anlass geben, die hier vorgeschlagene Abfolge zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern und zu erweitern. Die oben dargelegten Handlungsoptionen werden im Folgenden nur verkürzt angesprochen.

1. Türkische und kurdische Intellektuelle, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen u.a. treten in der Türkei für eine Politik der Aussöhnung und des Gewaltverzichts ein. Dabei streben sie auch die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) in der EU an.

2. NRO laden türkische und kurdische Repräsentantinnen und Repräsentanten, die eine friedliche Lösung des Konflikts befürworten, nach Deutschland und in andere EU-Staaten für Konferenzen und zu Gesprächen mit Multiplikatoren, Medien sowie PolitikerInnen und Politker ein.

3. Die Handlungsoptionen für eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts werden in der Öffentlichkeit der EU-Staaten bekannt gemacht, um dafür Unterstützung zu erhalten. Kirchen, Gewerkschaften, humanitäre Vereinigungen, Friedensforschung, politische Parteien und die Medien werden angesprochen, damit sie den Konflikt thematisieren und tätig werden. Gegenüber dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission in Brüssel wird eine entsprechende Lobby-Arbeit begonnen.

4. Eine parteipolitisch unabhängige, kulturelle, friedenspolitisch orientierte kurdische Repräsentation wird in Deutschland und anderen europäischen Ländern gefördert, die zur Ansprech- und Dialogpartnerin für Politik, Friedensforschung und Kultur werden kann.

5. Die kurdischen Organisationen, die bisher den bewaffneten Kampf geführt oder unterstützt hatten, erklären ihre grundsätzliche Bereitschaft zum Gewaltverzicht. Soziale Bewegungen und NRO starten eine Kampagne für die Aufhebung des Terrorismus-Verdikts gegen diese Organisationen.

6. Bundestag und Bundesregierung setzen sich dafür ein, dass in der EU die Einstufung der PKK und anderer kurdischer Organisationen als »terroristisch« ausgesetzt wird, solange die kurdische Guerilla an ihrem unbefristeten, einseitigen Waffenstillstand festhält, und begründen dies friedenspolitisch. Der EU-Ministerrat wendet sich an die USA und an alle weiteren NATO-Staaten, die Einstufung der kurdischen Guerilla als »terroristisch« aufzugeben.

7. In Deutschland werden von der Regierung oder einem speziellen Gremium »Hearings zur Türkei-Kurden-Frage« organisiert, bei denen alle wichtigen Akteure angehört werden können. Ihre Positionen werden dokumentiert, so dass sie jederman zugänglich sind.

8. Die EU legt bei ihren Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stärkeren Nachdruck als bisher auf die Lösung der Kurdenfrage, ohne die die Menschenrechtsprobleme in der Türkei nicht gelöst werden können.

9. Der Rat der EU ruft die Türkei und die kurdische Seite auf, den Konflikt friedlich beizulegen und dazu einen Gewaltverzicht auszurufen. Falls erforderlich ergreift das Europäische Parlament eine Initiative in diesem Sinne.

10. Um eine Ausweitung des türkisch-kurdischen Konflikts zu vermeiden, wenden sich die USA weiterhin gegen jegliche militärische Intervention der Türkei in Irakisch-Kurdistan.

11. Die Regierung in Ankara spricht offiziell den Wunsch nach Aussöhnung aus, und verbindet damit die Absicht, einen innergesellschaftlichen Dialog im Rahmen des türkischen Staates anzuregen.

12. Die kurdische Seite arbeitet einen Vorschlag für ein Stufenprogramm der Vertrauensbildung und Aussöhnung aus. Er enthält eine zeitliche Schrittabfolge parallel zum Rückzug und zur Entwaffnung der Guerilla, z.B.:

  • Stufe 1: Ausweitung der kurdischen Medienprogramme und Liberalisierung des Unterrichts in kurdischer Sprache. Ausbildung von LehrerInnen für den Kurdisch-Unterricht.
  • Stufe 2: Erleichterung der Rückkehr kurdischer Flüchtlinge in ihre Dörfer und Städte und Unterstützung bei der Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlagen. Aufnahme von Gesprächen zwischen den gewählten BürgermeisterInnen und einem von der Regierung beauftragten Bevollmächtigten über Probleme und Wünsche der Bevölkerung in den kurdischen Siedlungsgebieten. Einsetzung einer paritätischen Kommission von Regierungsseite und der Seite der BürgermeisterInnen zur Untersuchung und Regelung der Dorfschützer-Problematik.
  • Stufe 3: Amnestie für die politischen Gefangenen und für die Beteiligten an den vorgängigen militärischen Konflikten auf beiden Seiten. Sie eröffnet u.a. die Rückkehrmöglichkeit und freie politische Betätigung für alle am Krieg beteiligten Kurdinnen und Kurden, ohne dass sie durch den Staat der Türkei verfolgt werden. Zu diesem Zeitpunkt löst sich die PKK/Kongragel und ihre Guerilla-Truppe endgültig auf. Die Amnestie schließt auch den Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, ein. Die Bildung einer oder mehrerer politischer Parteien, die auch die Interessen der kurdischen Bevölkerung vertreten, ist möglich, ohne dass sie als Nachfolgeorganisation der PKK verfolgt werden.
  • Stufe 4: Für die Ost- und Südost-Türkei mit den kurdischen Siedlungsgebieten wird ein umfassendes Entwicklungsprogramm aufgelegt. Die EU und die EU-Staaten bieten an, sich an diesem Programm zu beteiligen. In diesem Zusammenhang wird eine kurdische Institution gegründet, die sich für die Wiederentfaltung der kurdischen Kultur einsetzt. Der Unterricht in kurdischer Sprache wird für kurdische Kinder eingeführt.
  • Stufe 5: Nach einer Wahlrechtsreform, die es den kurdischen Parteien ermöglicht, auch in der Großen Nationalversammlung vertreten zu sein, und nach Parlamentswahlen beruft der Präsident eine Verfassungskommission. Sie soll die heutige Verfassung in Hinblick auf das gleichberechtigte Zusammenleben der Völker in der Türkei überprüfen und Vorschläge für eine Stärkung der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung ausarbeiten.

13. Die deutsche Bundesregierung setzt ihre im November '98 verkündete Initiative zur Förderung einer politischen Lösung in der Kurdenfrage um.

  • Gleichstellung der Kurden: Mit der Anerkennung der Kurden als eigenständiger Bevölkerungsgruppe und der Umsetzung der sich daraus ergebenden Rechte – muttersprachlicher Unterricht, Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache, freie Namensgebung für kurdische Kinder und Einrichtung von Beratungs- und Betreuungszentren für Kurdinnen und Kurden usw. – würde die Benachteiligung der kurdischen Minderheit in Deutschland aufgehoben. Der Bundestagsbeschluss vom 7. November 1991 (BT-Drucksache 12/1362) wird mit Hilfe der Länder in die Tat umgesetzt. In ihm heißt es: »In der Bundesrepublik lebt eine große Gruppe von Kurden. Auch ihnen muss die Möglichkeit zur Bewahrung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität gegeben werden.«
  • Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland Asyl erhalten oder beantragt haben und sich in kurdischen Organisationen betätigt haben, dürfen unter keinen Umständen in die Türkei zurück geschickt werden, ehe dort nicht eine generelle Amnestie für solche Personen ausgesprochen wurde. In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach einer Amnestie gegenüber der Türkei zu vertreten.
  • Friedensforschungsinstitute werden gebeten, den Konflikt in seinen Dimensionen zu analysieren und daraus Strategien ziviler Konfliktbearbeitung und Vorschläge für eine politische Lösung zu entwickeln.
  • Die Bundesregierung schlägt der EU-Kommission vor, im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eine Monitoring-Gruppe zu bilden, die alle relevanten Informationen zu dem Konflikt sammelt und jährlich einen Bericht mit Empfehlungen für die weitere zivile Bearbeitung des Konflikts herausgibt.

14. Die USA drängen auf eine politische Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts, um die Stabilität in Irakisch-Kurdistan zu sichern. Deshalb ersuchen sie die türkische Generalität, sich auf eine Amnestie für die Guerilla einzulassen.

15. Um dem Wunsch nach Aussöhnung Glaubwürdigkeit zu verleihen, beschließt Ankara eine Amnestie für alle aus politischen Gründen Verurteilten und für alle, die an den Kämpfen teilgenommen haben. Damit können diejenigen, die sich heute im Exil befinden, in ihre Heimat zurückkehren und sich dort für ihre Ziele mit demokratisch-politischen Mitteln einsetzen.

16. NRO in Deutschland bemühen sich, hiesige türkische und kurdische Verbände anzusprechen, und versuchen, mit ihnen einen türkisch-kurdischen Dialog in Deutschland in Gang zu setzen. Das Ziel ist, eine gemeinsame friedenspolitische Position zu erarbeiten.

17. Rückzug der Guerilla aus der Türkei und freiwillige Entwaffnung unter internationaler Kontrolle. Auf Drohungen jedweder Art wird verzichtet.

18. In einem innergesellschaftlichen Dialog in der Türkei beginnt man auch darüber zu sprechen, in welcher Weise die multi-ethnische Dimension der Gesellschaft in der türkischen Verfassung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Einen Anknüpfungspunkt bietet die Position von Kemal Atatürk, der in der frühen Phase des Kampfes zur Bildung des Nationalstaates Türkei die Kurden als Brudervolk bezeichnet und versprochen hatte, es gleichberechtigt an dem neuen Staat teilhaben zu lassen.

19. Zur Etablierung und Ausweitung von gesellschaftlichen Dialogen wird eine europäische Dialog-Stiftung geschaffen, die von der EU finanziert wird. Sie hat vor allem die Aufgabe, NRO und soziale und berufliche Gruppen der Zivilgesellschaft aus der Türkei und EU-Europa miteinander ins Gespräch zu bringen, die Zivilgesellschaft als Ansprechpartnerin zum Abbau von Konflikten zu stärken und das Interesse an der Lösung dieses Problems innerhalb der EU auszuweiten.

20. In der Türkei wird eine Reihe friedenspolitischer Symposien mit TeilnehmerInnen aus der Türkei, aus Deutschland und eventuell aus anderen EU-Ländern in Zusammenarbeit mit der Friedensforschung organisiert. In Vorträgen und Arbeitsgruppen werden ethnopolitische Konflikte in verschiedenen Staaten untersucht und Erfahrungen mit Versöhnungsstrategien ausgewertet.

21. Wie bei den Erdbebenkatastrophen Menschen und Organisationen aus der ganzen Türkei – und aus dem Ausland – geholfen und damit das Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt haben, wird solidarische Hilfe für die Flüchtlinge aus den kurdischen Siedlungsgebieten, die in ihre Heimatorte zurückkehren wollen, aus der Türkei und Europa geleistet. Soziale Bewegungen und NRO mobilisieren hierfür.

22. Im Sinne von Aussöhnungspolitik erhalten die so genannten Dorfschützer eine gleichwertige Perspektive wie die zurückkehrenden Flüchtlinge. Lokale Dialoge unter Anleitung geschulter Konfliktschlichter werden eingeleitet. Dafür werden in der Türkei lokale Konfliktschlichter ausgebildet.

23. Die Entwicklung im Osten und Südosten der Türkei ist bislang vernachlässigt worden. Um den Menschen in diesen Gebieten Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, ist eine große Anstrengung des Aufbaus – nach Möglichkeit international unterstützt – notwendig. USA und EU erklären ihre Bereitschaft, ein Entwicklungsprogramm für die Region finanziell zu unterstützen. Zusätzlich sollte das BMZ seine Zusammenarbeit mit Kommunen der Region weiter entfalten. Durch Städtepartnerschaften und -kooperationen mit deutschen bzw. EU-Städten kann eine weitere Förderung der Region erreicht werden.

24. Konzepte zur Stärkung der Verständigungs-, Schlichtungs- und Friedensschaffensfunktion der OSZE werden ausgearbeitet und in die OSZE zur Diskussion und möglichen Beschlussfassung eingebracht. Friedensforschung und spezialisierte Institute sollten dafür herangezogen werden.

Der hier ansatzweise formulierte Fahrplan für die Überwindung des türkisch-kurdischen Konflikts

  • kann die Türkei und ihre Bürgerinnen und Bürger von der schon so lange währenden schweren Last des gewaltsamen Konfliktaustrags befreien und dazu beitragen, dass der unabdingbare Friedensdialog über die »Kurdenfrage« beginnt;
  • eröffnet eine konkrete und konstruktive Perspektive für die kurdische Bevölkerung und die kurdischen Organisationen in der Türkei und in Europa;
  • erweitert die Erfahrungen und institutionellen Instrumente Europas und der Türkei für eine Politik der zivilen Konfliktbearbeitung.

Das Monitoring Projekt

Die »Kooperation für den Frieden«, eine Dachorganisation der Friedensbewegung, hat im März 2006 ein Monitoring-Projekt für Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention gestartet. Dieses Projekt soll der Öffentlichkeit die Möglichkeiten eines zivilen Umgangs mit Konflikten nahe bringen und den Befürwortern der angeblich alternativlosen Aufrüstungs- und Interventionspolitik entgegentreten. In Dossiers und Analysen sollen Vorschläge zum Umgang mit drängenden gewaltträchtigen Auseinandersetzungen erarbeitet werden. Ein erstes Dossier befasst sich mit dem »Atomkonflikt Iran«, das vorliegende enthält Vorschäge zur Bearbeitung des türkischen-kurdischen Konflikts, es folgt die Befassung mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

Nähere Informationen: Kooperation für den Frieden, c/o Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 53111 Bonn, Tel.: 0228-692904, Fax: 0228-692906, E-Mail: friekoop@bonn.comlink.org

Kooperation für den Frieden

ist ein Zusammenschluss friedenspolitisch aktiver Organisationen und Initiativen in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Kooperation für den Frieden

  • organisiert Diskussions- und Beratungsprozesse innerhalb der Friedensbewegung
  • fördert den Austausch von Informationen und Einschätzungen zwischen Organisationen und Gruppen
  • unterstützt oder initiiert Veranstaltungen und Kampagnen
  • veröffentlicht die aus diesen Prozessen hervorgegangenen Positionen
  • verbreitet Aktionsvorschläge für die Friedensarbeit
  • ermöglicht persönliche Kontakte zwischen Aktiven, z.B. bei der Mitarbeit im Kooperationsrat oder bei den jährlichen Konferenzen.

In der Kooperation für den Frieden wirken mit:

Aachener Friedenspreis; Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF); Aktionsgemeinschaft Friedenswoche Minden; Antikriegsbündnis »Menschen für den Frieden Düsseldorf«; Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion KURVE Wustrow; Bremer Aktion für Kinder (BAKI); Bund demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi); Bund für Soziale Verteidigung (BSV); Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU); Christen für gerechte Wirtschaftsordnung (CGW); Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG/VK); EUCOMmunity; Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung von Kriegsdienstverweigerern (EAK); Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland / Friedensausschüsse; Frauen in Schwarz Hamburg; Frauennetzwerk für Frieden e.V.; Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD); Friedensforum Münster; Friedensinititiative Nottuln e.V.; Friedensgruppe Altenholz; Friedensrat Müllheim; Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Hauptvorstand; Internationale JuristInnen gegen ABC-Waffen (IALANA); Infostelle für Friedensarbeit; Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW); Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF); Internationaler Versöhnungsbund – deutsche Sektion; Komitee für Grundrechte und Demokratie; Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung in der Region Ingolstadt; Leserinitiative Publik e.V.; Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH; Lebenshaus Schwäbische Alb – Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.; Mönchengladbacher Friedensforum; NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit«; Netzwerk Friedenskooperative; Netzwerk Friedenssteuer; Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christinnen und Christen; Ökumenisches Zentrum für Umwelt-, Friedens- und Eine-Welt-Arbeit, Berlin; Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF); Pax Christi – Deutsche Sektion; Rhöner Friedenswerkstatt im UNESCO-Biosphärenreservat, Künzell; Ver.di-Jugend; Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden.

(www.koop-frieden.de)

Literatur

Al-Dahoodi, Zuhdi: Die Kurden: Geschichte, Kultur und Überlebenskampf, Frankfurt am Main 1987.

Ammann, Birgit: Kurden in Europa: Ethnizität und Diaspora, Münster 2000.

Besikci, Ismail: Kurdistan – Internationale Kolonie, Frankfurt am Main 1991.

Bruinessen, Martin van: Agha, Scheich und Staat: Politik und Gesellschaft Kurdistans, Berlin 1989.

Buro, Andreas: BürgerInnen-Information: Das Monitoring-Projekt – Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt und Kriegsprävention, Hg.: Kooperation für den Frieden, Bonn 2006.

Dialog-Kreis (Hg.): Parlamentarier der Türkei durchbrechen Tabu in der Kurdenfrage, Idstein 1998.

Dialog-Kreis (Hg.): Wirtschaft contra Militär in der Türkei. Aus dem TÜSIAD-Bericht »Perspektiven der Demokratisierung in der Türkei«, Idstein 1997.

Dietert-Scheuer, Amke: Möglichkeiten der Konfliktlösung in der Türkischen Republik, Hamburg 1999.

Dialog-Kreis (Hg.): Zur Lage und zu den Erwartungen der kurdischen Vertriebenen. Eine Studie von Göc-Der, Köln 2002.

Günther, Siegwart-Horst; Brentjes, Burchard: Die Kurden. Ein Abriss zur Geschichte und Erfahrungsberichte zur aktuellen humanitären Situation, Wien 2001.

IPPNW (Hg.): Deutschland und NATO im Türkei-Kurdistan-Krieg, Berlin 1999.

Kizilhan, Ilhan: Der Sturz nach oben. Kurden in Deutschland, Frankfurt am Main 1995.

Kieser, Hans-Lukas: Der verpasste Friede: Mission, Ethnie und Staat in den Ostprovinzen der Türkei 1839-1938, Zürich 2000.

Steinbach, Udo: Geschichte der Türkei, München 2000.

Strohmeier, Martin; Yalçin-Heckmann, Lale: Die Kurden: Geschichte, Politik, Kultur, München 2000.

Sahin, Mehmet: Die Europäische Union, die Türkei und die Kurden, Köln 2001.

Sahin, Mehmet; Kaufeld, Ralf: Daten und Fakten zu Kurden und Kurdistan, Eine Chronologie, Köln 2002.

Uzun, Mehmed: Einführung in die kurdische Literatur, St. Gallen 1994.

Welt-Geschichte, Bd. 3 und 5, Göttingen 1996 (Bertelsmann Lexikon Verlag).

Aktuelle Informationen bei:

Azadi, azadi@t-online.de; www.nadir.org/azadi/

DTF Infopost – Informationen des Demokratischen Türkeiforums, info@tuerkeiforum.net, www.tuerkeiforum.net

ISKU / Informationsstelle Kurdistan e.V., isku@nadir.org; www.nadir.org/isku/

Kurdistan Report, www.kurdistanreport.de

Kurdistan Rundbrief, www.kurdistan-rundbrief.de

Koalition für einen Demokratischen Irak (KDI), kdi@gmx.net

Mezopotamian Development Society, MESOP@online.de

NAVEND – Zentrum für kurdische Studien e.V., info@navend.de, www.navend.de

Nützliche Nachrichten – Dialog-Kreis: »Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden, dialogkreis@t-online.de, www.dialogkreis.de

Kurdisches PEN-Zentrum, webmaster@pen-kurd.org, www.pen-kurd.org

Zentrum für Türkeistudien, www.zft-online.de

Anmerkungen

1) In der Türkei werden die Kurden rechtlich nicht als Minderheit betrachtet. Zur Zeit des Kampfes gegen die alliierten Siegermächte des Ersten Weltkrieges galten sie noch als »Brudervolk«. Sie sind deshalb in dem Abkommen von Lausanne 1922/23 in den Art. 38-45, in denen die Rechte der Minderheiten garantiert werden, nicht aufgeführt. Dies spielt bis zur Gegenwart in den Argumentationen der türkischen Regierung eine Rolle.

2) Diese kurze von Andreas Buro, Ralf Kaufeldt und Mehmet Sahin zusammengestellte Übersicht stützt sich vornehmlich auf: Celilé, Celil: Kurdische Märchen, Frankfurt/Main und Leipzig 1993; Chaliand, Gérard (Hg.): Kurdistan und die Kurden, Bd. 1, Göttingen 1984; Vanly, Ismet Cherif: Kurdistan und die Kurden, Bd. 2, Göttingen 1986; Sahin, Mehmet / Kaufeldt, Ralf: Daten und Fakten zu Kurden und Kurdistan. Eine Chronologie, Köln 2002

3) Deng Nr. 21, 22, 23. Zit. nach Sahin, Mehmet: Türkei: Ausweg aus der Sackgasse – Zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage, Hg.: Dialogkreis, Köln 1997.

4) Vgl. Sahin, M. / Kaufeldt, R., a.a.O.

5) Während der Kämpfe in den 90er Jahren wurden von Ankara in den kurdischen Dörfern Einheimische angeworben und bewaffnet, um die Guerilla aus den Dörfern fernzuhalten. Viele Kurden sind damals geflohen, um diesen Dienst nicht leisten zu müssen.

Prof. Dr. Andreas Buro ist Mitbegründer des Dialogkreises »Türkei: Die Zeit ist reif für eine politische Lösung« und friedesnpolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie Der Autor bedankt sich für Vorschläge und Verbesserungen bei: Klaus F. Anders, Hanne-Margret Birckenbach, Volker Böge, Ursula Emmerich, Ulrich Frey, Matthias Jochheim, Wolfgang Jungheim, Nasrin Sadeghi und dem Seminar über das Monitoring Projekt in Gießen, Mehmet Sahin, Martin Singe und Herbert Wulf.