40 Jahre W&F
Zur Geschichte der Zeitschrift
1979 beschloss die NATO neue Atomraketen in Mitteleuropa zu stationieren. Eine neue Runde aggressiven Wettrüstens war damit vorgezeichnet. Das Ende der Entspannungspolitik zwischen West und Ost wurde eingeläutet. Sehr schnell breitete sich in der alten Bundesrepublik, die Stationierungsort dieser Mittelstreckenraketen werden sollte, die Angst davor aus. Zu Recht. Mit der Dislozierung dieser Waffen würde die Bundesrepublik noch mehr ins Zielfeuer des militärischen Kontrahenten, den Staaten des Warschauer Vertrages, geraten. Die Frage des Überlebens im Zeitalter nuklearer Konfrontation war in zugespitzter Form auf die Tagesordnung gesetzt. Hunderttausende gingen bei Demonstrationen auf die Straße; eine hier bis dato unvorstellbare Massenbewegung. Bei der zentralen Demonstration am 10. Oktober 1981 im Bonner Hofgarten beteiligten sich über 250.000 Menschen, am 22. Oktober 1983 waren weit über eine Million Menschen bundesweit auf den Beinen.
Aufbruch in den Wissenschaften: Für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung
Eine Besonderheit dieser Bewegung kristallisierte sich recht rasch heraus: Sie erfasste in einem auch bis dahin nicht gekannten Ausmaß Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Intellektuelle, die sich herausgefordert fühlten, Positionen gegen den Krieg und die Aufrüstung zu beziehen. Auch Vertreter*innen von Disziplinen, die eher als unpolitisch galten und die sich eher von den politischen Tagesauseinandersetzungen fernhielten, wurden aktiv – namentlich Naturwissenschaftler*innen, aber auch Computerspezialist*innen. Hatten im Jahr 1957 18 Atomwissenschaftler mit dem „Göttinger Appell“, der sich gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr richtete, für Aufsehen gesorgt, nahmen 1983 weit über 3.000 Menschen am Kongress der neu gegründeten Naturwissenschaftler*innen-Initiative „Verantwortung für den Frieden“ an der Universität Mainz teil. Neben der Problematik der Mittelstreckenraketen mobilisierte auch die von US-Präsident angekündigte Militarisierung des Weltraums (Strategic Defense Initiative/SDI). Noch größeres Echo fand der Tübinger Kongress der Ärzt*innen gegen den Atomkrieg (IPPNW) im Frühjahr 1984. Ca. 6.000 Ärzt*innen und Angehörige medizinischer Berufe setzen sich mit den fürchterlichen Folgen eines Atomkrieges auseinander („Wir werden Euch nicht helfen können“) und diskutierten, was man für eine friedlichere Welt tun kann. Diese neuartige Bewegung war dadurch gekennzeichnet, dass sie die eigene Verantwortung als Staatsbürger*in und als Wissenschaftler*in für bedrohliche Entwicklungen in der Gesellschaft in den Blick nahm und nach Anknüpfungspunkten suchte, die eigene fachliche Kompetenz einzubringen. Lehre und Forschung als wissenschaftliche Funktionen und Handlungsräume wurden nicht mehr allein immanent betrachtet, sondern ihre Rolle in Gesellschaft und Politik hinterfragt. Damit gerieten auch andere Gegenwarts- und Zukunftsprobleme in den Blick, neue, gesellschaftszugewandte Formen der Wissensvermittlung – wie z.B. die bundesweit zahlreichen Ringvorlesungen als studium generale – wurden entwickelt und an vielen Hochschulstandorten interdisziplinär umgesetzt.
Der Informationsdienst Wissenschaft und Frieden (1983-1987)
Vor diesem Hintergrund entwarf der 1983 zum Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi, Sitz Marburg) gewählte Dr. Rainer Rilling die Idee, zur breiteren Vermittlung des Wissens und überregionalen Verbindung ein publizistisches Instrument auf den Weg zu bringen. Damals gab es noch kein Internet, keine Blogs, keine Sozialen Medien, keine Videokonferenzsysteme…
Seitens des BdWi gab es das institutionelle Eigeninteresse, seine eher sozial- und geisteswissenschaftliche Mitgliedschaft mit Blick auf naturwissenschaftlich-technische und medizinische Berufsgruppen zu erweitern. Rainer Rilling war damals einer der wenigen Wissenschaftssoziologen, die sich intensiv und kritisch mit den Verbindungen von Forschung/Entwicklung und dem Militär beschäftigten. Vertraut war er u.a. mit dem in den USA seit 1948 erscheinenden und renommierten „Bulletin of the Atomic Scientists“. Unmittelbar nach den verheerenden Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki hatten sich dort Atomforscher*innen zusammengefunden, um sich mit ihrer besonderen Verantwortung für diese Entwicklung auseinanderzusetzen. Die Atombombe war für sie der zugespitzte Ausdruck der Gefahren und Bedrohungen, die der Pandora-Büchse der modernen Wissenschaft entsprungen waren – und auch weiterhin entspringen. Albert Einstein und Robert Oppenheimer führten die Liste der Unterstützer*innen an, die mit ihren Kenntnissen die Öffentlichkeit aufklären und die Politik beeinflussen wollten. In der deutschen Wissenschaftsgemeinschaft war das Bulletin aber kaum bekannt. Das Bulletin diente nun in gewisser Weise als Vorbild – auch wenn klar war, dass nicht annähernd dieselben Ressourcen zur Verfügung stehen würden.
Im Oktober 1983 erschien die erste Ausgabe des »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden«. Im Leitartikel dieser Ausgabe 1/83 schrieb Prof. Dr. Werner Dosch (Naturwissenschaftler, Univ. Mainz): „Die Gesellschaft kann auf Dauer nicht mit den Mitteln zu ihrer Vernichtung leben.“ Dosch spricht darin von der Notwendigkeit neuen Denkens für eine friedlichere Welt. Damit brachte er das weitgespannte Ansinnen der Zeitschrift auf den Punkt: Sie sollte zu einer umfassenden Entmilitarisierung des Denkens, der Gesellschaft, der Internationalen Beziehungen beitragen, nicht mehr und nicht weniger.
Paul Schäfer wurde verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift. Er konzipierte und redigierte zusammen mit Rainer Rilling die Ausgaben des Informationsdienstes. Zum Aufgabenspektrum gehörte gerade in den Anfangsjahren auch die Teilnahme an Veranstaltungen und Kongressen, die für die Akquise von Beiträgen, den Verkauf der Zeitschrift und das Einwerben von Abonnent*innen gleichermaßen genutzt wurde. Es war in hohem Maße also Netzwerkarbeit, die hier geleistet wurde. Vieles war aber auch „Handarbeit“: Computer steckten noch in den Kinderschuhen, auch die Kuvertierung wurde auf den Tischen im BdWi-Büros eigenhändig erledigt. Professionelle Unterstützung gab es durch Stefan Knaab bei Satz, Layout und Design der Zeitschrift – er macht dies bis heute!
Von Beginn an gelang es, Persönlichkeiten als Autor*innen zu gewinnen, die in ihren Fachdisziplinen und fachspezifischen Initiativen eine herausgehobene Rolle spielten, wie Peter Starlinger, Werner Dosch, Bernhard Gonsior, Dieter Senghaas, Walter Jens und viele mehr. Darauf aufbauend übernahmen 1985 Repräsentant*innen aus den Initiativen der Naturwissenschaftler*innen, Psycholog*innen und Informatiker*innen, wie auch in der Friedens-Community bekannte Einzelpersönlichkeiten die Herausgeberschaft der Zeitschrift: Prof. Dr. Ulrich Albrecht, Dr. Jürgen Altmann, Prof. Dr. Armin Bachmann, Prof. Dr. Gernot Böhme, Dr. Ulrich Briefs, Prof. Dr. Egbert Brieskorn, Prof. Dr. Jutta Held, Helga Genrich, Prof. Dr. Jörg Huffschmid, Prof. Dr. Robert Jungk, Dr. Knut Krusewitz, Prof. Dr. Hans Jürgen Krysmanski, Prof. Dr. Helmut Ridder, Dr. Rainer Rilling, Ekkehard Sieker, Prof. Dr. Jürgen Siekmann, Prof. Dr. Jürgen Schneider, Prof. Dr. Gert Sommer, Prof. Dr. Gerda von Staehr, Prof. Dr. Peter Starlinger, Prof. Dr. Marie Veit und Dr. Herbert Wulf.
In der Tat erfüllte der Informationsdienst/die Zeitschrift die Funktion einer Dienstleistung für eine friedenspolitisch engagierte Öffentlichkeit und der Unterstützung für Fachleute in der Wissenschaft, den Medien, der Politik. Inhaltlich lag der Fokus auf Beiträgen zu aktuellen waffentechnologischen Entwicklungen und zur militärischen Forschung, zur Verstrickung der Fachdisziplinen in militärische und andere Gewaltverhältnisse, zur Außen- und Sicherheitspolitik der maßgeblichen internationalen Akteure, aber auch zu Abrüstungs- und Rüstungskontrollkonzepten. Es fanden darüber hinaus auch Beiträge ihren Platz, die zum vertieften Nachdenken über Krieg und Frieden anregten: So erschienen Texte zu „Vor- und Nachkriegsbildern“, „zur Funktion von Komödien nach Kriegen“ oder zum „Verhältnis von Sittlichkeit und Naturwissenschaft“. Und so konnte in den 1980er Jahren eine Leser*innenschaft gewonnen werden, die bis heute einen relativ stabilen Kern der Abonnent*innen ausmacht. Angesichts des Zeitraums von fast vierzig Jahren, in dem vergleichbare Publikationen längst haben aufgeben müssen, ein bemerkenswerter Vorgang.
Eine Zeitschrift im Umbruch (1987-1995)
Gegen Ende dieser 1980er-Dekade reagierte die Zeitschrift mit einer Reihe von Metamorphosen auf das sich verändernde Umfeld. 1987 wurde im Design und Umfang endgültig der Schritt vom »Dienst« zur »Zeitschrift« getan. Nach dem Ende des Kalten Krieges strukturierten sich auch die friedenswissenschaftlichen Zusammenhänge in der Bundesrepublik neu. W&F vereinigte sich 1992 mit »Frieden« (vormals »mediatus«), der Zeitschrift des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V., Weilheim. Aus dem »Informationsdienst Wissenschaft und Frieden« wurde die Vierteljahreszeitschrift »Wissenschaft und Frieden«.
Damit wurde auch der Institutionalisierung von Friedensforschung und Friedensbewegung, die auf die Phase der unmittelbaren Mobilisierung folgte, Rechnung getragen. Der Verein »Wissenschaft und Frieden e.V.« wurde 1994 gegründet, in dem die verschiedenen berufsspezifischen Initiativen Sitz und Stimme hatten und den Vorstand stellten. Später kamen Repräsentant*innen der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) und des 2001 gegründeten Zentrums für Konfliktforschung der Universität Marburg dazu. Dieser Bezug auf die Trägergruppen war fortan quasi das strukturbildende Element der Zeitschrift. Es wurde Wert darauf gelegt, dass sich diese Gruppen in Vorstand und Redaktion gleichermaßen wiederfinden.
Mit der Übernahme der Abonnent*innen von »Frieden und Abrüstung«, der Zeitschrift der Initiative für internationalen Ausgleich und Sicherheit (IFIAS), zum Beginn des Jahres 1998 festigte W&F seine Position als größte interdisziplinäre Wissenschaftszeitschrift für Friedensforschung, Friedensbewegung und Friedenspolitik im deutschsprachigen Raum.
Diese Erfolgsgeschichte hat vermutlich auch damit zu tun, dass W&F (nachzulesen im Editorial 4/1995 der damaligen Redakteurin Caroline Thomas und des damaligen Vorsitzenden des Herausgeberkreises Prof. Dr. Peter Krahulec) mehr war und ist als eine Zeitschrift. »Wissenschaft und Frieden« ist ein politisches Projekt und ein Netzwerk von Wissenschaftler*innen, „friedenswissenschaftlich multidisziplinär und einmalig“.
Neue Zeiten – neue Themen und Strukturveränderungen (die neunziger Jahre)
In diesem Zeitraum änderte sich nicht nur das äußerliche Erscheinungsbild von W&F: Seit Beginn der 1990erJahre hat jede Ausgabe ein Schwerpunktthema, das von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Mit der Wende 1989/90 und den Folgeentwicklungen haben sich indes die Themenstellungen verändert, hat die Bandbreite der behandelten Probleme beträchtlich zugenommen. Mit dem Ende des Kalten Krieges, einigen wichtigen Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen, der Verabschiedung der Charta von Paris im Rahmen der OSZE verknüpften sich große Hoffnungen auf eine sich „entrüstende Welt“, die sich den eigentlichen Zukunftsfragen gemeinschaftlich, friedlich zuwenden könne. Mit dem Golfkrieg 1990/91, bewaffneten Konflikte im auseinanderbrechenden Sowjetimperium und nicht zuletzt den Kriegen auf dem Balkan, zeigte sich jedoch bald, dass diese Hoffnung trügerisch war.
»Wissenschaft und Frieden« musste sich mit den sogenannten „neuen Kriegen“ und deren Ursachen beschäftigen: Es ging um die Kontexte und Ursprünge von Nationalismus und Rechtsextremismus, von Unterentwicklung, fragilen Staaten und gewaltoffenen Räumen und vielem mehr. Aber auch Fragen nach der Rolle der Vereinten Nationen, dem Verhältnis von Völkerrecht und Menschenrechten, der Funktion der Medien, dem Sinn und Zweck internationaler Militärmissionen und nach zivilen Alternativen zu militärischen „Lösungen“ der neuen Konflikte waren auf die Tagesordnung gesetzt. Diese wurden in der politischen Öffentlichkeit und in der Friedensbewegung kontrovers diskutiert. W&F hat sich fortlaufend diesen Themen gewidmet und versucht, darauf Antworten zu geben und Vorschläge an die Politik zu formulieren. Als Beispiel sei nur das Heft 3/98 mit dem Titel „Friedenskonzepte“ genannt.
Als höchst relevant für die friedenswissenschaftlichen Diskurse im Laufe der 1990er Jahre sollte sich die Herausbildung neuer Studiengänge zur Friedens- und Konfliktforschung erweisen (am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg, an der Universität Tübingen und der Fernuniversität Hagen). Insgesamt konnte eine Zunahme friedenswissenschaftlicher Bemühungen durch eine größere Anzahl von Einrichtungen, Lehrstühlen und Studiengängen verzeichnet werden. Daneben bildeten sich – als neuer Strang der Friedensarbeit – Initiativen zur Verankerung ziviler Konfliktbearbeitung heraus, die mit der Einrichtung des Zivilen Friedendienstes (ZFD) nach 1998 und den damit zusammenhängenden Trägern (Forum Ziviler Friedensdienst, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung) eine institutionelle Form fanden. Ein Ergebnis dieses Prozesses ist, dass Fragen nach positiven Alternativen zu einer militärlastigen Außen- und Sicherheitspolitik stärker in den öffentlichen Fokus gerückt werden konnten. Nicht zuletzt war die Erweiterung des Horizonts der friedenspolitisch Engagierten auch mit der Einbeziehung der Expertise aus der Entwicklungspolitik und der Regionalforschung verbunden, die nach Ausweitung der Vernetzungsarbeit verlangte. W&F war seitdem sehr bemüht und durchaus erfolgreich, immer wieder junge Redakteur*innen zu gewinnen, die sich in diesen genannten Feldern bewegten und die Arbeit der Redaktion mitprägen konnten.
Vom erweiterten Sicherheitsbegriff zur Friedenslogik
Horizonterweiterung ist das richtige Stichwort, um die Arbeit der Zeitschrift nach der Wende 1990 zu charakterisieren. Dieser Prozess korrespondierte mit den Diskursen, Denkrichtungen und Neuorientierungen in friedensbezogener Forschung, Politik und Bewegung in diesem Zeitraum. Bereits in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre hatten sich naturwissenschaftliche Forscher*innen und Arbeitsgruppen mit den Folgen des Einsatzes militärischer Gewalt auf die moderne Gesellschaft beschäftigt und waren zu dem Befund der „Zivilisationsunverträglichkeit“ gekommen. Die Frage der „zivilen Verwundbarkeit“ war in diesen Jahren durch einige Großereignisse ins Blickfeld gerückt: Die gewaltige Explosion in einer Chemiefabrik in Bhopal 1984 und der Atomreaktorunfall in Tschernobyl 1986 lösten eine Debatte über „Risikotechnologie“ aus, in der auch das bisherige auf Wissenschaft und Technik gestützte Wachstumsmodell des industriellen Kapitalismus zusehends in Frage gestellt wurde (Berichte des »Club of Rome« u.a.). Neben der Bedrohung der Menschheit durch atomare und auch konventionelle Kriege wurde die rabiate und skrupellose Ausplünderung der Natur zum Zwecke der Gewinnerwirtschaftung zusehends als Bedrohung des irdischen Lebens wahrgenommen. Auf eine historische Pointe sei in diesem Kontext hingewiesen: Die Friedensbewegung hatte Ende der 1980er mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff auf diese Entwicklung reagiert. Frieden, Ökologie und gesellschaftliche Entwicklung sollten zusammengedacht werden. Sicherheitsstrateg*innen und Militärs übernahmen in den 1990er Jahren diesen Ansatz, allerdings um interventionistische Politiken besser legitimieren zu können. Der Begriff der „erweiterten Sicherheit“ machte die Runde; er sollte ausdrücken, dass Militärinterventionen nur erfolgreich sein können, wenn sie das gesamte soziale, wirtschaftliche und politische Umfeld betrachten bzw. in die Intervention mit einbeziehen. Diese „Instrumentalisierung“ löste wiederum eine heftige Kritik der Friedensbewegung gegen diese Art von „vernetzter Sicherheit“ und eine Rückbesinnung auf den hergebrachten Sicherheitsbegriff (Reduzierung der militärischen Gefahr) aus.
Heute wird man darüber nachdenken müssen, ob zum Einen der im UN-Rahmen seit langem favorisierte Begriff der „menschlichen Sicherheit“ stärker aufgegriffen werden sollte, d.h. Sicherheit von den Menschen, ihren Bedürfnissen nach Schutz vor Gewalt, Armut, Not usw. her zu denken anstatt von machtstaatlichen Interessen. Zum Anderen hat sich als fruchtbarer Ansatz gezeigt, der herkömmlichen Sicherheitslogik eine Friedenslogik gegenüberzustellen, die sich von anderen Paradigmen zwischenstaatlichen und innergesellschaftlichen Handelns leiten lässt. Die Debatte darüber wird weitergehen müssen.
Frieden und nachhaltige Entwicklung zusammendenken
In unserer Zeitschrift haben wir früh damit begonnen, die vielfältigen Verbindungslinien zwischen Kriegen, bewaffneten Konflikten, ressourcenverschlingender Aufrüstung und der epochalen Umweltkrise ins Visier zu nehmen. 1996 erschien das Schwerpunktheft „Leben und Überleben“ (3/96). Der Physiker und Friedensforscher Jürgen Scheffran veröffentlichte darin einen Beitrag mit dem programmatischen Titel „Zur Verknüpfung von Frieden und nachhaltiger Entwicklung“. Heute, 25 Jahre später, ist dieser Anspruch von drängender Brisanz und Aktualität. Folgerichtig spielen in den neueren Ausgaben der Zeitschrift globale Überlebensfragen, die kategorisch nach einer Politik des Friedens und der nachhaltigen Entwicklung verlangen, eine prominentere Rolle. So in den Themenheften „Der kranke Planet“ (3/20) und „Umwelt, Klima, Konflikt – Krieg oder Frieden mit der Natur“ (4/20). Dabei wird Wert darauf gelegt, diese Probleme aus der Perspektive verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen in den Blick zu nehmen. Diesen Anspruch einzulösen, spielt in der Redaktionsarbeit eine große Rolle. Das betrifft die Planung der Schwerpunkte ebenso wie die konkrete Konzeptionierung der einzelnen Ausgaben. Dieses Herangehen ist und bleibt das vielleicht wichtigstes Unterscheidungsmerkmal von W&F zu anderen Publikationen.
Dieser komplexe Ansatz verlangt ständig neue Anstrengungen, sich mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen und die Zeitschrift weiterzuentwickeln. Nur so konnte ein großer Teil der Stammleser*innenschaft behalten und zugleich immer wieder neue Bezieher*innen gewonnen werden.
Erfolgsbilanz: Kontinuität und Wandel
Diese Bilanz verdankt sich der ehrenamtlichen Tätigkeit eines Redaktionskollektivs und des großen Engagements – chronisch unterbezahlter – verantwortlicher Redakteur*innen. Sie sollen daher nicht unerwähnt bleiben: Paul Schäfer, der die ersten Jahre des Informationsdienstes verantwortete; Caroline Thomas, die diese Funktion von 1991 bis Ende 1995 innehatte. Jürgen Nieth wurde 1996 verantwortlicher Redakteur und füllte dieses Amt ganze elf Jahre aus, Fabian Virchow, der zwischen 2006 und 2010 diese Funktion innehatte und die Aufgabe schließlich an Regina Hagen übergab, die vom August 2010 bis November 2020 die Redaktion leitete und insgesamt 41 (!) Ausgaben verantwortete.
In den letzten Jahren wurde deutlich, dass »Wissenschaft und Frieden« wieder einen Innovationsschub braucht, um weiter wirken zu können. Redaktion und Vorstand des Vereins arbeiten an diesen Baustellen. Neben Fragen der Organisation, der Werbung, der finanziellen Konsolidierung steht das Thema „Digitalisierung“ weit oben. Aber auch die Weiterentwicklung der Redaktionsarbeit (personelle Erweiterung etc.) wird angegangen werden. Da fügt es sich gut, dass mit der Ausgabe 1/2021 David Scheuing (Jahrgang 1989) die Redaktionsleitung übernommen hat, der neben friedenswissenschaftlicher Expertise jede Menge neuer Ideen und Vorschläge zur Zukunft von »Wissenschaft und Frieden« einbringt.