Drohnenkrieg in der Ukraine
Drohnenkrieg in der Ukraine
Fakten und erste Folgenabschätzung
von Hans-Jörg Kreowski
Am 24. Februar 2022 hat Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, der den seit 2014 anhaltenden Krieg in Teilen der Ostukraine auf das ganze Land ausweitete. Zum Einsatz kommen nahezu alle verfügbaren konventionellen Waffensysteme. Von beiden Kriegsparteien werden aber mit unbemannten Luftfahrzeugen auch neuartige Systeme eingesetzt, die erst seit Kurzem zum Waffenarsenal auf dem Schlachtfeld gehören. Diese teils bewaffneten, teils unbewaffneten Drohnen spielen eine nicht zu unterschätzende, aber begrenzte Rolle in diesem Krieg, die im Folgenden näher beleuchtet werden soll.
Die Geschichte der Drohnenkriegsführung ist eine kurze Geschichte. Unbemannte Waffensysteme knüpfen zwar an ferngelenkte Waffen an, deren Militärgeschichte weiter zurückreicht – die tatsächliche Entwicklung ist allerdings in den letzten 30 bis 40 Jahren geschehen. Ein bedeutender Ausgangspunkt für die Entwicklung unbemannter Waffen war die auf zehn Jahre ausgelegte Strategic Computing Initiative (SCI) der USA, in der ab 1983 mit mehreren hundert Mio. US$ Forschungskapital auf der Basis Künstlicher Intelligenz unter anderem autonome Landfahrzeuge entwickelt werden sollten. Auch wenn SCI Ende der 1980er Jahre als gescheitert galt, ging die Entwicklung von unbemannten Vehikeln und insbesondere von unbemannten Luftfahrzeugen von da an weiter, so dass neben Aufklärungsdrohnen auch Killerdrohnen am Anfang des 21. Jahrhunderts einsatzbereit waren und inzwischen viele tausend Einsätze in Afghanistan, Pakistan und mehreren anderen Kriegsschauplätzen der Welt hinter sich haben. Dem »Krieg gegen den Terror« der USA und ihrer Verbündeten sind in völkerrechtswidriger Weise vor allem auch tausende Zivilpersonen zum Opfer gefallen. Dass Kampfdrohnen mittlerweile auch in einem Krieg zwischen zwei regulären Armeen ein entscheidender Faktor sein können, hat sich spätestens 2020 im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan gezeigt. Hier konnten die angreifenden Truppen Aserbaidschans durch Einsatz unbemannter Waffensysteme – in diesem Fall der türkischen Kampfdrohne »Bayraktar TB2« – Übermacht gegenüber den armenischen Truppen erlangen.
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine offenbart sich nun, dass es inzwischen eine breite Palette kriegsverwendbarer Kampf- und Aufklärungsdrohnen gibt. Die dazu verfügbaren Informationen sind mit einiger Vorsicht zu genießen, weil sie mit Propaganda, Über- und Untertreibung und Irreführung gemischt sind und so manches geheim gehalten wird. Dennoch zeichnet sich erkennbar ab, dass mit den verschiedenen Typen der Drohnen ein neues Waffensystem in das ohnehin schon weitgefächerte Arsenal der Tötungsmaschinerie eingefügt worden ist.
Drohnen auf Seiten der Ukraine
Die größte mediale Aufmerksamkeit hat die von der Ukraine eingesetzte Kampf- und Aufklärungsdrohne »Bayraktar TB2« erfahren – dies betraf die umstrittene Anschaffung und erst recht die militärische Kampfverwendung in den Jahren 2019 und 2020. Sie wird von der türkischen Rüstungsschmiede Baykar Defense hergestellt und für rund 5 Mio. Euro pro Stück verkauft. Ihr Erstflug war 2014. Sie fliegt vollautonom, kann 24 Stunden in mittlerer Höhe in der Luft bleiben, hat eine Reichweite von rund 150km und lässt sich mit lasergelenkten »Minibomben« mit einem Gewicht zwischen 6 und 22kg oder Luft-Boden-Panzerabwehrraketen bewaffnen.1 Die Ukraine hat bereits 2019 die ersten sechs TB2-Drohnen beschafft und vor allem zu Aufklärungszwecken gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine eingesetzt. Zu Beginn des russischen Angriffs verfügte die Ukraine über mindestens 20 (eher zwei- oder dreimal so viele) dieser Drohnen, die anscheinend anfangs auch sehr erfolgreich bei der Erstellung von Lagebildern und direkt gegen russische Panzer und Artillerie eingesetzt wurden. Das ist etwas überraschend, weil solche Drohnen relativ langsam und niedrig fliegen und deshalb vergleichsweise leicht von Flugabwehrsystemen abgeschossen werden können. In den ersten Kriegswochen hatte die russische Seite damit anscheinend einige Probleme, zumal die TB2 gegenüber sonstigen Drohnen dieser Art klein ist und deshalb vom Radar schwerer zu erfassen. Inzwischen konnte aber die russische Seite eine ganze Reihe TB2-Drohnen abschießen, so dass mit ihnen in letzter Zeit wohl wesentlich weniger Wirkung zu erzielen war.
Daneben sind auch viel kleinere Drohnen im Einsatz. So haben die USA der Ukraine in den ersten Kriegswochen Drohnen vom Typ »Puma« und »Switchblade« zur Verfügung gestellt, die beide vom US-Unternehmen AeroVironment hergestellt werden. Puma ist eine Leichtgewichtsdrohne in Form eines Modellflugzeugs mit einer Reichweite von 20 bis 60km, die bis sechs Stunden in der Luft bleiben kann und der Aufklärung dient. Switchblade ist eine Kamikaze-Drohne, von denen die Ukraine mehrere hundert Stück geliefert bekommen hat. Sie passt in einen Rucksack und wird aus einem Rohr abgeschossen. Die größere Version wiegt 15kg, fliegt bis zu 40 Minuten, hat eine Reichweite von 40km, und ihr Gefechtskopf kann gepanzerte Fahrzeuge zerstören. Sie kann per Tablet ferngesteuert werden oder autonom in einem vorgegebenen Gebiet eigenständig Ziele suchen. Wird der Abschuss freigegeben, stürzt sie sich in ihr Ziel. Ansonsten zerstört sie sich selbst nach Ablauf der 40 Minuten. Der besondere Vorteil gegenüber sonstigen Granaten ist, dass ihr Ausgangspunkt vom Gegner nicht zurückverfolgt werden kann.
Darüber hinaus ist eine ganze Reihe von Drohnen aus ukrainischer Eigenentwicklung im Einsatz. Sie sind relativ klein, in der Art größerer Modellflugzeuge, und haben teilweise sehr einfache Sprengladungen, die über den erreichten Zielen abgeworfen werden. Dennoch deuten Berichte darauf hin, dass sie als Aufklärungsdrohnen bei der Zielermittlung für Artilleriestellungen zeitnah sehr brauchbare Lagebilder liefern. Es heißt auch, dass der Einsatz kleiner Drohnen in den ersten Tagen des Krieges maßgeblich geholfen hat, die 60km lange Panzerkolonne der russischen Armee zu stoppen und die Einnahme eines Flughafens nahe Kiew zu verhindern – ein herber Rückschlag für die russischen Angreifer.
Drohnen auf Seiten Russlands
Die russische Seite verfügt ebenfalls über ein ganzes Arsenal an Drohnen – über die zur Verfügung stehende Anzahl kann nur spekuliert werden, da es keine Einsicht in die entsprechenden Produktionszahlen der russischen Seite gibt. Dazu gehören taktische Drohnen wie die »Forpost-R« und die »Orlan-10«. Die Forpost-R-Drohne wird in Russland mit einer israelischen Lizenz gebaut. Sie ist etwas kleiner als die TB2, hat aber ähnliche technische Eigenschaften. Sie war ursprünglich nur für Aufklärungszwecke vorgesehen, kann inzwischen aber mit einer Lenkrakete bewaffnet werden und wurde bereits gegen eine ukrainische Raketenstellung eingesetzt. Die Orlan-10 ist eine kleine Drohne aus russischer Entwicklung, die seit 2010 produziert wird. Sie hat eine mittlere Reichweite von 120km bei Fernsteuerung und bis zu 1.000km bei autonomem Flug, und kann für viele Aufgaben rund um Überwachung und Aufklärung eingesetzt werden. Zumindest in der Kriegsphase zwischen 2016-2020 wurde sie bei der elektronischen Kriegsführung eingesetzt, beispielsweise zum Versenden von drohenden, einschüchternden oder irreführenden Meldungen an die ukrainischen Soldaten (DRF Lab 2017). Die russische Armee verfügt außerdem mit der »Orion« auch über eine Aufklärungs- und Kampfdrohne, ähnlich der TB2 auf ukrainischer Seite. Sie wird von der Kronstadt Group gebaut und ist erst seit Kurzem im Einsatz. Erwähnenswert ist auch die vom Kalaschnikow-Konzern hergestellte Kamikaze-Drohne »KUB-BLA«, die mit mehr als 100km/h 30 Minuten lang fliegen und drei Kilogramm Sprengstoff mit sich führen kann. Sie dient der Bekämpfung entfernter Bodenziele – auch sie stürzt sich in ihr Ziel. Es wird vermutet, dass diese Drohne bereits mit einem Modus ausgestattet ist, der sie vollständig autonom agieren lässt.
Trotz der Investition von umgerechnet mehreren Milliarden US$ in die Entwicklung und Produktion von russischen Drohnen in den letzten zehn Jahren sieht es danach aus, dass ihre Verfügbarkeit eingeschränkt ist, dass sie nur selten eingesetzt werden und sie keine sonderlichen Wirkungen erzielen (vgl. hierfür Bode und Nadibaidze 2022). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich das seit der Annexion der Krim gegen Russland bestehende Handelsembargo für technologische Güter und insbesondere hochwertige Elektronik an dieser Stelle mittlerweile als wirksam erweist. Ein weiteres Indiz in diese Richtung ist, dass bei der Untersuchung abgeschossener russischer Drohnen improvisierte und eigentlich zivile Bauteile entdeckt wurden.
Drohnen einer dritten Seite
Eine weitere Drohne spielt in diesem Krieg vermutlich eine sehr spezifische Rolle: die Riesendrohne »Global Hawk«. Sie wird von keinem der beiden Kriegsgegner eingesetzt, sondern von den US Air Force und der NATO. Sie kann 24 Stunden lang autonom in bis zu 20km Höhe fliegen und während eines Einsatzes mit hochauflösenden Kameras und Seitensichtradar ein Gebiet der Größe Österreichs überwachen. Die Global Hawk wird schon seit 2015 regelmäßig eingesetzt, um russische Truppenbewegungen nahe der Ukraine zu beobachten. Es wird vermutet, dass die ukrainische Militärführung von der NATO großflächige und präzise Lagebilder zur Verfügung gestellt bekommt (siehe z.B. Monroy 2022, Wiener Zeitung 2022). Die Drohne hat keine aktive Kampffähigkeit.
Eine noch sehr vorläufige Bilanz
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine werden von beiden Seiten Aufklärungs- und Kampfdrohnen eingesetzt, wobei die bewaffneten Drohnen eher keinen entscheidenden Faktor darstellen. Aufklärungsdrohnen scheinen dagegen eine wichtige Rolle bei der Erstellung von präzisen Lagebildern und der Zielfindung – und damit für den gezielten Einsatz konventioneller Waffen – zu spielen. Drohnen tragen also zur Effizienzsteigerung der konventionellen Kriegsführung bei und werden von allen Kriegsparteien verwendet. Sie stellen insofern also keine Ausnahme mehr dar. Vermutlich werden sie durch ihre Aufklärungskapazitäten eher zu einer Verlängerung der Kampfhandlungen in der Ukraine beitragen, da Kriegsparteien sich schneller einen Überblick über die Lage verschaffen können und eine Einschätzung zur Sinnhaftigkeit der Aufrechterhaltung einer Kampfhandlung treffen können. Ganz im Gegensatz zur Erzählung von »chirurgischer Präzision« und »Lufthoheit« sind unbemannte Luftfahrzeuge erwartbar vor allem eine Erweiterung der Artilleriekapazitäten einer Kriegspartei. Der Krieg in der Ukraine wird dadurch weder humaner noch schneller beendet werden können.
Nach den Erfahrungen im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien und vorher schon in Syrien und Libyen werden bewaffnete und unbewaffnete Drohnen auf den Schlachtfeldern der Zukunft ein integrales Element der Kriegsführung im Gesamtarsenal der Tötungsmaschinerie sein – mit wachsender Bedeutung, wie der aktuelle Krieg unter Beweis stellt. Der österreichische Oberst des Generalstabsdienstes sagt: „Drohnen sind im Gefecht nicht mehr wegzudenken.“ (Berliner Zeitung 2022, S. 2) Das gilt umso mehr, als ihr Einsatz die eigenen Soldat*innen nicht unmittelbar gefährdet. Denn bei einer fliegenden Drohne lässt sich ihr Ausgangspunkt nicht bestimmen.
Es gibt inzwischen ein breites Angebot an Drohnen, wobei insbesondere die kleinen, aber sehr wirkungsvollen Drohnen billig und vergleichsweise leicht zu bauen und zu beschaffen sind. Nicht nur sehr viele Staaten der Welt können sich das leisten, sondern auch Rebellen- und Terrorgruppen. Es gibt also ein eklatantes und hochgefährliches Proliferationsproblem. Diesen Geist hätte man nie aus der Flasche lassen dürfen.
Wider das globale Drohnen-Wettrüsten
Da sich Politik und Militär in vielen Ländern der Welt von Kriegsdrohnen eine militärische Überlegenheit versprechen, hat in diesem Bereich ein Rüstungswettlauf begonnen, dessen Folgen noch gar nicht absehbar sind. Eine tatsächliche oder vermeintliche Überlegenheit durch die Verfügbarkeit von Drohnen könnte die Schwelle zu militärischen Abenteuern senken. Es könnte sich aber auch herausstellen, dass bewaffnete Drohnen gar nicht sonderlich taugen, wenn der Gegner über eine funktionierende Luftabwehr verfügt.
Drohnen sind besonders perfide Waffen, weil sie allein durch ihre Präsenz im Luftraum des Einsatzgebiets über einen längeren Zeitraum hinweg die in der Nähe befindlichen Soldat*innen und Zivilpersonen in Angst und Schrecken versetzen können – wie unter anderem Erfahrungen in Afghanistan und dem Irak gezeigt haben.
Zudem wird mit Hochdruck an vollautonomen Systemen gearbeitet. Es muss davon ausgegangen werden, dass bei einigen Drohnentypen solche Entscheidungsprogramme längst installiert sind und vielleicht sogar inoffiziell bereits aktiviert wurden – trotz aller ethischer Bedenken. Und was nicht ist, kann noch werden (vgl. Kreowski et al 2021; Altmann et al. 2020; Fuchs et al. 2020).
Auf UN-Ebene wurde daher die »Group of Govermental Experts on Lethal Autonomous Weapons« gebildet, zu der über 100 Staaten gehören und die seit 2017 jährlich für rund zwei Wochen in Genf formell über ein Verbot tödlicher autonomer Waffen berät. Da die USA, viele weitere NATO-Staaten, Russland, China und andere gegen ein Verbot votieren, werden die Verhandlungen bestenfalls auf eine Regulierung hinauslaufen. Das ist deshalb besonders enttäuschend, weil die aufgeführten Argumente zum Proliferationsproblem, zum Drohnenrüstungswettlauf und zur abgesenkten Kriegsschwelle bei der Verfügbarkeit von Kriegsdrohnen ein Verbot nahelegen. Und das gilt nicht nur für letale autonome Drohnen, sondern auch für teilautonome Killerdrohnen sowie Aufklärungs- und Zielfindungsdrohnen, die direkt mit tödlichen Waffen gekoppelt sind. Denn diese drei Formen von Kriegsdrohnenverwendung unterscheiden sich in ihrer Wirkung kaum voneinander.
Anmerkung
1) Im Folgenden stammen technische Informationen zu einzelnen Drohnentypen überwiegend aus öffentlich dazu einsehbaren Quellen. Von einzelnen Belegen wird daher abgesehen. Ansonsten stützt sich der kurze Abriss zum Drohneneinsatz auf russischer und auf ukrainischer Seite auf die lesenswert detaillierte IMI-Studie 3/2022 von Marischka (2022) und dem c’t-Artikel von Bode und Nadibaidze (2022), soweit kein anderer Verweis angegeben ist. Beide Publikationen sind umfangreich recherchiert.
Literatur
Altmann, J. et al. (2020): Autonome Waffensysteme – auf dem Vormarsch? W&F Dossier 90.
Berliner Zeitung (2022): Kompaktes Kriegsgerät. 20.06.2022, S. 2.
Bode, I.; Nadibaidze, A. (2022): Autonome Drohnen und KI-Waffen im Ukraine-Krieg. c’t 2022, Heft 10, S. 128-131.
DRF Lab (Atlantic Council Digital Forensic Research Lab) (2017): Electronic warfare by drone and SMS. How Russia-backed separatists use “pinpoint propaganda” in the Donbas. Blogbeitrag @DRFLab auf Medium.com, 18.05.2017.
Fuchs, A. et al. (2020): Mit Kampfdrohnen und Killerrobotern – für gerechten Frieden? W&F Dossier 89.
Kreowski, H.-J. et al. (2021): Künstliche Intelligenz zieht in den Krieg. W&F Dossier 93.
Marischka, Ch. (2022): Drohnen im Ukraine-Krieg. Technologietransfer als Gamechanger – und Kriegsgrund? IMI-Studie 2022/03. Tübingen: Selbstverlag, 26.02.2022.
Monroy, M. (2022): NATO-Spionagedrohnen machen Überstunden. Netzpolitik.org, Blogbeitrag, 23.05.2022.
Wiener Zeitung (2022): Ukraine-Krise: Russischer Sand im diplomatischen Getriebe, 21.02.2022.
Hans-Jörg Kreowski ist Professor (i. R.) für Theoretische Informatik an der Universität Bremen. Er ist Mitglied im Vorstand des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) im Vorstand von W&F.