Bilder im Zeitalter des Drohnenkriegs

Bilder im Zeitalter des Drohnenkriegs

Tim Holert im Interview mit Felix Koltermann

von Tim Holert und Felix Koltermann

Am Rande der Tagung »Image Operations«, die im April 2014 in Berlin stattfand, führte Felix Koltermann ein Gespräch mit Tim Holert über »operative Bilder und die Funktion von Bildern in Kriegen.

FK: Die Tagung trägt den Titel »Image Operations«. Was verbinden Sie mit dem Begriff?

TH: Zum einen ist natürlich der Bezug zu Harun Farockis Begriff der »operativen Bilder« offensichtlich und auch gesucht. Farocki beobachtet seit Jahrzehnten mit den Mitteln des Dokumentarfilms unterschiedliche Kontexte der Bildgebung und der Transformation unseres weiterhin stark an Repräsentation und Abbildung orientierten Bildbegriffs. So ist ihm etwa bei den Simulationen, die in der Ausbildung von Piloten zum Einsatz kommen, aufgefallen, dass solche Bilder zu Bestandteilen einer funktionalen, technischen Umgebung geworden sind, die ein mehr oder weniger automatisches Handeln und Verhalten bedingen. Eine solche determinierende oder programmierende Funktion von Bildern bezeichnet Farocki als operativ.

Der Begriff der »Image Operations«, wie ihn die Organisatoren dieser Tagung verstehen, ist allerdings noch etwas weiter gefasst. Es geht hier nicht nur um die erwähnten, Handlungen und Entscheidungen konditionierenden Funktionen von Bildern in technisch kontrollierten Umgebungen, sondern um jene Bildoperationen, die beispielsweise Feindvorstellungen formen, zur Identifizierung mit Opfern oder Tätern auffordern und generell auf Meinungsbildung aus sind. Diese Operationen finden im Raum der Öffentlichkeit, der Zivilgesellschaft und der Medien statt; sie zeigen sich an den Bildpolitiken von Medienkonzernen oder Nichtregierungsorganisationen oder daran, wie Bilder von Staaten und der Wirtschaft zur Propagierung ihrer Ziele und zur Bewerbung ihrer Produkte eingesetzt werden.

Darüber hinaus wird in der Tagung an einen anderen, doch wieder näher an Farocki liegenden Begriff von Operativität oder Operationalität angeknüpft, der sich auf bildgebende Verfahren und deren Handlungen auslösende und steuernde Funktionen in den diagnostischen und therapeutischen Bereichen der modernen, in vieler Hinsicht digitalisierten Medizin bezieht. Also kann man von einer gewissen Öffnung und Erweiterung des Farockischen Begriffs sprechen.

FK: Muss man bei der determinierenden Funktion, die Bilder nach dieser Logik einnehmen können, verschiedene Kontexte unterscheiden, in denen Bilder operieren oder eingesetzt werden?

TH: Unbedingt. Ich würde davon abraten, einen Bildbegriff anzustreben, der wie ein Passepartout auf alle Kontexte passt. Das wäre vollkommen unangemessen. Dafür sind die spezifischen operativen Einsatzgebiete von Bildern tatsächlich zu unterschiedlich und bedingen auch jeweils die Wirkung, die Bilder haben können. Wenn man sich etwa klarmacht, wie das Militär die Zirkulation von Bildern kontrolliert und ganze Bildräume dem öffentlichen Blick beispielsweise durch Zensur verwehrt, dann ist offensichtlich, dass es weniger um Bilder als um asymmetrische Sichtbarkeiten geht, und die Verfügbarkeit visueller Daten immer auch deren Abwesenheit bedeuten kann. Für die einen sind sie entscheidende Hilfsmittel bei der Definition und Destruktion so genannter Zielpersonen (oder allgemeiner: »targets«), für die anderen bleiben sie mehr oder weniger »Bildgerüchte«, um welche sich Vorstellungen von militärischem Handeln ranken, die aber wiederum dort wirkmächtig werden können, wo diese Bildgerüchte öffentlich diskutiert werden.

FK: Gerade im Zusammenhang mit Bildern und Krieg ist immer wieder der Begriff des »Bilderkriegs« in Gebrauch. Meiner Wahrnehmung nach steckt hinter diesem Begriff auch eine Form der Versicherheitlichung des Bilddiskurses. Wie schätzen Sie das ein? Halten Sie es für produktiv, diese Rahmung »Bilderkrieg« zu benutzen?

TH: Ich halte ehrlich gesagt nicht allzu viel von dieser Formulierung. Natürlich erscheint die Metapher sehr griffig, jeder kann sich darunter irgendetwas vorstellen. Zugleich ist »Bilderkrieg« aber eine der ungenauesten Begriffsprägungen. Man muss bei der Verwendung des Begriffs »Krieg« sehr vorsichtig sein. Aufgrund seiner Kombination aus imaginativer Wucht und semantischer Vagheit lässt er sich ideologisch allzu leicht aufladen. Er wandert dann in unterschiedliche Bereiche, die als kriegerisch zu bezeichnen ihren wahren Charakter, etwa als Polizeiaktionen oder der immer umfassenderen Prägung des Alltags durch Aspekte von Sicherheit und Versicherheitlichung, verkennen. Wenn zwischen dem »War on Drugs« und dem »War on Terror« die Grenzen fließend werden, muss unterschieden werden zwischen der Militarisierung von polizeilichen Formen des Regierens und jener Rhetorik, die diese Militarisierung legitimiert und ihr eine – durchaus brisante – Evidenz und Plausibilität verleiht. So lädt auch die Verwendung der Formel »Bilderkriege« letztlich dazu ein, beide Bestandteile der Metapher, die jeweils für sich schon höchst vieldeutig sind, weiter zu verunklären.

FK: Heißt dies, dass in der Diskussion um die Funktion von Bildern in Kriegen auch eine Art von Ideologisierung des Diskurses stattfindet, die die Verschiebung der Auseinandersetzung vom eigentlichen Kriegsgeschehen zur Bildebene zum Ziel hat?

TH: Das wird mit Prägungen wie »image wars« oder »cyber wars« durchaus angestrebt. Man will damit die Vorstellung etablieren, dass sich das Kriegsgeschehen von den physischen Körpern und den Landschaften in die Virtualität von Bildern und Informationen verlagern lässt. Wie gesagt, ich halte nicht allzu viel davon, den Begriff Krieg in dieser oder anderer Weise zu dehnen.

Andererseits ist beispielsweise nicht zu leugnen, dass Datenverarbeitung und Kampfgeschehen unauflöslich miteinander verwoben sind. Die Realität militärischer Ereignisse ist nicht mehr ohne Bezug auf ihre kybernetische Dimension zu begreifen. Zwischen den computerisierten Plattformen militärischer Aufklärung, Überwachung und strategischer Planung und den handelnden (und leidenden) Personen in den physischen »Theatern« des Krieges besteht längst viel mehr als der gute alte Funkkontakt. Die Ebenen oder Räume des Bildlichen sind hier auf unterschiedliche Weise aktiviert. Das reicht von der Krypto-Propaganda des »embedded journalism« oder den neuen, in den sozialen Medien ausgeübten Formen verallgemeinerter Berichterstattung durch Bildreporter und Blogger, die sich außerhalb oder am Rand der Sphären des professionell organisierten Journalismus bewegen, bis hin zu per Satellit oder Drohne erhobenen Datenpaketen, die als Bilder auf den Monitoren der Kontrollräume und tragbarer Kommunikationsgeräte im Kampfgebiet ausgegeben werden.

FK: In ihrem Vortrag auf der Konferenz »Image Operations« haben Sie vor allem über den Drohnenkrieg referiert. Wie ist denn dort das Verhältnis? Spielen digitale Bildtechniken dort nicht eine entscheidende Rolle, weil sie diese Form der Kriegführung erst möglich gemacht haben?

TH: Ja. Aber es sind ja nicht nur Techniken der Bildgebung, sondern hoch entwickelte digitale Steuerungssysteme, die von satellitengestützten Verfahren bis zu eher traditionellen Radar- und Infrarotanwendungen reichen. Insofern wird man sich da sehr genau überlegen müssen, wie man den Bildbegriff in diesem Kontext kalibriert. Sicherlich ist es so, dass im Bereich der IRS (intelligence, reconnaissance, surveillance) nach wie vor auch die repräsentierenden Bilder eine große Rolle spielen, also beispielsweise die Full-Motion-Video-Feeds, welche die Drohnenpiloten und Bildanalysten am Boden auswerten und in Abstimmung mit den geheimdienstlichen und Regierungsstellen zur Definition bestimmter Missionen verwenden. Aber mit den traditionellen Konzepten und Performanzen des Bildes, die bis in die Renaissance und weiter zurück reichen, sind heute unauflöslich oftmals Bildlichkeiten verbunden, die sich weniger »visuell« als in mathematischen Formeln ausdrücken lassen.

Wenn das, was wir gemeinhin als »Bild« erkennen und begreifen, auch in seiner algorithmischen, vermeintlich nicht-ästhetischen Dimension theoretisch reflektiert wird, rückt ein angemessenes Verständnis des aktuellen Visuellen näher. Schlicht gesagt: Bilder sind ein Rohstoff, den Computerprogramme in eine Form bringen, die wiederum operativ »lesbar« ist. Nur in diesem Sinne lässt sich auch von einer Bildgestütztheit der Drohnenkriege sprechen. Noch einmal anders: Bilder in dem unmittelbaren Verständnis, das wir von ihnen haben mögen, »operieren« weiterhin in den neuen militärtechnologischen Assemblagen, aber man muss sie als Schnittstellen der Mensch-Maschine-Interaktionen, als komplexe Interfaces begreifen lernen, um von ihnen nicht länger eine Wahrheit über die Wirklichkeit zu erwarten. Andererseits könnte man auch sagen, dass Bilder letztlich immer schon, spätestens seit Erfindung der Fotografie, in dieser Weise – als auszuwertende Datensätze und Anlässe zur Mustererkennung und Feinbestimmung – verwendet wurden, zum Zwecke der Sichtbarmachung des Verborgenen und zur Produktion eines Ziels.

Ob eine Unterscheidung von unmittelbarer Bildevidenz und der Sprache der Codes und Algorithmen weiterhin sinnvoll ist, wo es um, wie es im Militärjargon heißt, tödliche »find, fix, and finish«-Missionen geht, berührt Fragen der Ontologie des Sichtbaren.

FK: Wenn wir nochmal zurückgehen zur visuellen Darstellung von Krieg: Was sind aus Ihrer Wahrnehmung die zentralen Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte?

TH: Eine immer wieder und zurecht zitierte Zäsur war der Zweite Golfkrieg von 1990/91, der die Fadenkreuz-Bilder aus den Köpfen der amerikanischen Marschflugkörper einführte. Diese Bilder haben die Vorstellung von Krieg und Kriegführung, von Sichtbarkeit und Sichtbarmachung militärischer Gewalt immens verändert.

Natürlich gab es auch schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg Luftaufnahmen für Aufklärungszwecke, die auf militärische Entscheidungen direkten Einfluss nahmen. Oder man denke an den Vietnamkrieg und die spektakulären Bilder, die aus der Warte des Flugzeugs die Bombenteppiche und damit die (vermeintliche) Überlegenheit der amerikanischen Luftmacht dokumentierten. Aber mit den Entwicklungen seit den 1990er Jahren, zu denen auch satellitengestützte kartografisch-fotografische Erfassungen der Erde aus dem Orbit und die Einführung von Lokalisierungstechnologien wie GPS gehören, wurde die neoimperiale Vertikalität zu einem prägenden Element der Machtausübung.

Je mehr die dominante Visualität »top-down« organisiert ist, desto prekärer, aber auch wichtiger wird das Bildgeschehen am Boden. Der Bildjournalismus, ob nun von professionellen Reportern oder von »citizen journalists« betrieben, schildert und dokumentiert ja unter anderem jene Realitäten der Zerstörung, die von einer vertikalen Bild- und Kriegführung verursacht wurden. Die von Leuten am Boden gemachten Bilder sind auch deshalb von so großer Bedeutung, weil wir es heute vermehrt mit Bildern zu tun haben, die sich vom menschlichen Eingriff, vom menschlichen Auge und der Hand, die die Kamera hält, vollkommen befreit haben. Sie werden von Kameras produziert, die auf eine Rakete oder eine Drohne montiert sind. Das verändert auch die Vorstellungen darüber, wer der Agent oder die Agentin der Bildproduktion (nicht nur) in Kriegssituationen ist. Die Drohnen liefern Bilder genau diesen Typs und vermitteln damit das Gefühl, dass die Bildproduktion letztlich automatisiert und autonomisiert worden ist, also nur noch bis zu einem gewissen Grad menschlicher Kontrolle unterliegt.

Dazu kommen andere Veränderungen, wie die schon erwähnte »Einbettung« des Journalismus durch die USA, die zu Bildern des Krieges führte, die man so noch nicht kannte. Vieles, was nach »9/11« an neuen Bildsituationen durch die Krieg führenden Parteien angeregt und dirigiert wurde, ist relativ neu.

FK: Was bedeuten die von Ihnen geschilderten Veränderungen über Bildpraktiken im Krieg für den Konsumenten oder Rezipienten? Braucht es eine neue Bildkompetenz, oder was ist nötig, um diese Bilder überhaupt entschlüsseln und kontextualisieren zu können?

TH: Die erforderliche Bild- und Medienkompetenz ist schon eine andere geworden, weil man Bilder heute unter den Generalverdacht stellt, weitgehend manipulierbar zu sein. Dahinter steht das Wissen darüber, wie Bildbearbeitungsprogramme und die Digitalisierung auch zu einer Formbarkeit und zu einer Manipulierbarkeit des Bildes geführt haben.

Damit zusammen hängt auch die Frage, die beispielsweise von den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten immer wieder gestellt wird, inwieweit etwa Handyvideos aus Kriegs- und Krisengebieten, die in die Nachrichten geraten, authentisch sind und inwieweit man von ihnen als dokumentarische oder journalistische Bilder im traditionellen Sinne der Profession sprechen kann. Immer mehr Akteure sehen sich ermächtigt, in die Rolle des Bildjournalisten zu schlüpfen. Das heißt, dass die Kompetenzen oder die Legitimitäten nicht mehr in der Weise festgezurrt sind, wie das traditionellerweise mit einem sehr strengen journalistischen Kodex der Fall gewesen ist, wo immer auch eine gewisse Professionalität der Ausgangspunkt war, um Bilder in den etablierten Medien überhaupt für satisfaktionsfähig zu halten.

Das heißt, auf der einen Seite braucht es zur Rezeption der Bilder eine veränderte, ausgeweitete Kompetenz, die vor allem die Überprüfung von Authentizität betrifft. Aber auf der Bildproduktionsseite zeigt sich eine veränderte Landschaft der Zuständigkeit und der Kompetenz.

FK: Bleibt damit dem Rezipienten letztlich nichts anderes übrig, als diese Kompetenz den Institutionen, die diese Bilder verbreiten, wie den klassischen Medieninstitutionen, zu überlassen, weil die Bildkompetenz so speziell ist, dass sie ein normaler Medienkonsument, der in Deutschland sozialisiert ist und kein spezielles Interesse an diesem Thema hat, eigentlich kaum haben kann?

TH: Ja, einerseits stimmt das. Weiterhin wird die Verantwortung für die Beurteilung von Bildern an die betreffenden Institutionen mit Deutungsautorität delegiert, oft auch sehr bereitwillig. Anderseits gibt es heute unendlich viel mehr Möglichkeiten, sich auch innerhalb kürzester Zeit gewisse Grundvoraussetzungen der Bild- und Medienkompetenz anzueignen. Das Internet und seine Infrastruktur der Suchmaschinen und Veröffentlichungsplattformen treibt einen förmlich in – natürlich stark formatierte – Praktiken der Produktion und Rezeption von »Bildern«. Gefordert (manchmal auch: gefördert) wird der angeblich selbstständige Umgang mit Bildern, die man in den sozialen Medien zirkulieren lassen soll. Das heißt, die Bereitschaft wird permanent geweckt und gesteigert, sich selbst ins Bild zu setzen und dabei auch als bildnerisch kreativ zu verstehen, was einhergeht mit einer erhöhten Laxheit oder Naivität im Umgang mit den besagten Plattformen, auf denen Bilder archiviert und verbreitet werden.

FK: Wenn wir abschließend nochmal auf den Zusammenhang von Bildern und Krieg schauen: Sind aus Ihrer Perspektive Strategien des Widerstands erforderlich, um Bilder aus dem militärischen Zusammenhang herauszulösen, und wie könnten diese aussehen? Braucht es vielleicht so etwas wie eine zivile Wiederaneignung des Bildes oder des Bildbegriffs?

TH: Ja, diese Notwendigkeit gibt es. Mir gefällt sehr gut, was die israelische Philosophin und Fototheoretikerin Ariella Azoulay dazu sagt. In Anlehnung an Rousseau, Benjamin, Arendt, Deleuze, Lyotard und andere schlägt sie – im konkreten Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts – den Begriff eines »fotografischen Sozialvertrags« vor. Damit verbunden ist der Gedanke, die Fotografie sei eine Praxis, bei der die verschiedenen an ihr beteiligten Akteure – die Kameras; diejenigen, die mit ihnen Fotos machen; diejenigen, von denen Fotos gemacht werden; diejenigen, die Fotos betrachten – in eine vertragsähnliche Beziehung zueinander treten, welche eine spezifische Form von Zivilität und Bürger_innenschaft sowohl herstellt wie bedingt.

Die Anerkennung des Anderen, die Verantwortung für das fotografisch Aufgenommene und für die je eigene Rolle in den Prozessen, die zu einer Fotografie führen, stören auf verunsichernde, politische Weise die Gewissheit über Eigentumsverhältnisse und Autorschaft. Einzelne Fotografien und »die Fotografie« als kooperatives oder konflikthaftes Ereignis werden in diesem Sinne zu einer geteilten, interaktiven und damit ethischen Angelegenheit. Die Betrachtung einer Fotografie erschöpft sich dann nicht in ihrer Interpretation entlang ästhetischer Kriterien, sondern involviert eine Verpflichtung, die Herrschaftsverhältnisse, die sich in ihr zeigen, mit den Kompetenzen einer Bild-Bürgerin oder eines Bild-Bürgers zu analysieren und zu kritisieren – und damit den Funktionen militärischer Kontrolle oder politischer Manipulation zu entwinden.

Zwischen den verschiedenen Seiten einer fotografischen Handlung entsteht also eine verpflichtende Bürgerschaft des fotografischen Bildes, die ich als Objekt, als Rezipient oder als Produzent annehmen kann. Dabei geht es nicht nur um Verantwortung im ethisch-moralischen Sinn, sondern um politisches Handeln in der Auseinandersetzung mit Bildern und mit Infrastrukturen der Bildlichkeit. Das betrifft auch und vor allem widerständige Bildpraktiken. Auf jeden Fall erscheint mir geboten, die Strategien des eigenen Bildhandelns diskursiv zu erfassen und sie gegebenenfalls zu verändern, um nicht in die Fallen einer bestimmten, abgelebten Vorstellung von Gegenpropaganda zu tappen, sondern ein aufgeklärtes Verständnis davon zu entwickeln, was es heißt, zu einem Akteur in Bildfragen zu werden – gerade dort, wo Bilder hochgradig militarisiert sind.

Ernste Spiele

Die Beziehung von Bildern, sowohl fotografischen wie computergenerierten, zum Krieg ist so vielschichtig und komplex, wie es das Geschehen des Krieges selbst ist. Bildgebende Verfahren haben eine immer größere Bedeutung in der zeitgenössischen Kriegstechnologie (siehe nebenstehendes Interview mit Tim Holert). Wie computergenerierte Bilder für das Training von Soldaten eingesetzt werden, ist noch bis Jahresende in der vierteiligen Werkreihe »Ernste Spiele« von Harun Farocki zu sehen, die in der gleichnamigen Ausstellung im Berliner Museum für Gegenwartskunst (Hamburger Bahnhof) gezeigt wird.

Das Simulieren von Krieg ist heute nicht nur ein elementarer Teil von Computerspielen, sondern auch zentraler Bestandteil der Einsatzvorbereitung von Soldaten, insbesondere in der US Army. Farockis Werkzyklus »Ernste Spiele« greift dieses Thema auf und zeigt verschiedene Möglichkeiten der Nutzung computergenerierter Bilder. Mit dem Titel der Arbeit greift er den Begriff der »Serious Games« auf, mit dem digitale Spiele bezeichnet werden, die nicht der Unterhaltung, sondern dem Training bestimmter Gruppen – in diesem Fall Soldaten – dienen.

Der Videozyklus »Ernste Spiele« hat dokumentarischen Charakter und wurde auf US-amerikanischen Militärbasen gedreht. Er umfasst vier Teile, die unterschiedliche Aspekte der Nutzung von Videospiel-Simulationen für das militärische Training der US-Armee zeigen. Im ersten Film, »Ernste Spiele I: Watson ist tot«, sind amerikanische Rekruten zu sehen, die in der digitalen Simulation einer Übung mit Militärjeeps durch eine Wüstenlandschaft fahren und dabei verschiedene Aufgaben bewältigen. Das Video »Ernste Spiele II: Drei tot« zeigt junge Rekruten bei einem simulierten Antiterroreinsatz gegen arabische Statisten auf einer Militärbasis in Kalifornien. In »Ernste Spiele III: Immersion« ist eine Testperson beim Einsatz einer Videosimulation zur Behandlung von Soldaten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zu sehen. Im letzten Teil des Werkkomplexes, »Ernste Spiele IV: Eine Sonne ohne Schatten«, wird ein Ausbilder gezeigt, wie er die technische Beschaffenheit der Software vorführt, um die Computersimulationen für die Soldaten so realitätsnah wie möglich zu gestalten.

Auf anschauliche Art und Weise zeigt »Ernste Spiele«, welche sozialen und medialen Praktiken das Training für den Krieg mit sich bringt und welche mediale Hilfsmittel dabei zum Einsatz kommen. Die Grenze zwischen Videospiel und Simulation des Ernstfalls scheinen dabei fließend zu sein und orientieren sich allein am Ziel der in Farockis Arbeiten gezeigten Verfahren und Praktiken: der Perfektionierung des militärischen Handelns der Soldaten.

Die Ausstellung »Ernste Spiele« ist noch bis Anfang 2015 im »Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst« in Berlin zu sehen. Die Ausstellung ist Dienstag, Mittwoch und Freitag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen sind unter smb.museum/hbf zu finden . Eine Übersicht über Farockis Arbeiten findet sich auf der Webseite des Künstlers, farocki-film.de.

Felix Koltermann

Tim Holert ist ein in Berlin lebender deutscher Kunsthistoriker. Zusammen mit Mark Terkessidis gründete er das »Institute for Studies in Visual Culture«. Seit vielen Jahren forscht Holert zu bildwissenschaftlichen Fragestellungen, unter anderem zum Verhältnis von Bildern und Krieg. Holert veröffentlichte zahlreiche Monographien und Sammelbände, darunter das 2008 erschienene Buch »Regieren im Bildraum«.
Felix Koltermann ist Friedens- und Konfliktforscher, Trainer und Journalist. Er promoviert an der Universität Erfurt über die fotojournalistische Produktion in Israel und den palästinensischen Gebieten. Auf fotografieundkonflikt.blogspot.com bloggt er zum Thema.

Drohnenkrieg-zentrale Ramstein

Drohnenkrieg-zentrale Ramstein

von Jürgen Nieth

Über den US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz wird der weltweite Drohnenkrieg der USA gesteuert. Er ist „ein Zentrum der US-Exekutionslogistik. Der drohnengesteuerte Tod in Afghanistan, Somalia oder Jemen hat also auch einen deutschen Absender“, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (SZ 04.04.14, S.4) nach neuen Recherchen von Westdeutschem Rundfunk, Norddeutschem Rundfunk und SZ.

Bundesregierung ohne Ahnung?

Bereits im vergangenen Jahr hatten Panorama und SZ über eine Drohnen-Kommandozentrale in Ramstein berichtet und darüber, dass von den Kelly-Barracks in Stuttgart die Drohnenangriffe in Afrika befehligt werden.

„Die Bundesregierung gab sich damals ahnungslos. Man habe keine Erkenntnisse über eine Beteiligung der US-Stützpunkte in Deutschland am Drohnenkrieg, sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Piper, im November dem Bundestag.“ (SZ 04.04.14, S.6) Auch nach den neuesten Enthüllungen sagt Regierungssprecher Seibert zum Kenntnisstand der Bundesregierung: „Die amerikanische Regierung hat gegenüber der Bundesregierung bestätigt, dass von amerikanischen Stützpunkten in Deutschland solche bewaffneten und ferngesteuerten Luftfahrzeuge weder geflogen noch gesteuert werden.“ (Stuttgarter Zeitung 05.04.14, S.7) Genau das hat aber weder 2013 noch 2014 jemand behauptet. Es ging immer darum, dass die Einsätze von Ramstein aus unterstützt werden.

Ohne Ramstein läuft nichts

Nach den neuesten Erkenntnissen scheint »unterstützt« allerdings weit untertrieben zu sein.

Dem ehemaligen Drohnenpiloten der US Air Force Brandon Bryant, der aus Gewissensgründen den Dienst quittierte, bescheinigte die US-Luftwaffe, dass er an 1.626 gezielten Tötungen beteiligt war. Er führt in Panorama (ARD 03.04.2014) u.a. aus: „Die Luftwaffen-Basis in Ramstein spielt eine ganz wesentliche Rolle für den weltweiten Drohnenkrieg. Ohne diese Basis in Deutschland würde das alles nicht funktionieren. Es ist das Epizentrum aller Informationsflüsse für die Übersee-Operationen der USA.“ Und so läuft das nach seinen Informationen ab: „Also wir haben die Drohne hier irgendwo in diesem Gebiet. Sie kreist irgendwo über Afghanistan, Pakistan, dem Jemen oder sonstwo. Und das hier ist ein kommerzieller Satellit, der kann etwa von CNN sein. Und dann haben wir eine Satellitenschüssel, hier drüben auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Hier kommt das Signal an. Das Signal geht also von der Predator-Drohne nach Ramstein und dann durch ein Glasfaserkabel mitten durch den Ozean bis zur Cannon-Airbase in den USA, wo ich stationiert war. In den mehr als 6.000 Stunden, die ich geflogen bin, und in den tausenden Missionen gab es keinen einzigen Einsatz, bei dem ich nicht Ramstein angerufen hätte, um mich mit meiner Drohne verbinden zu lassen. Im Luftwaffenstützpunkt Ramstein laufen wirklich alle Informationen zusammen, wie durch einen Trichter.“

Ramstein ist aber nicht nur Durchgangsstation für Drohnendaten, die Daten werden hier auch ausgewertet und verarbeitet.

Völkerrechtswidrige Drohneneinsätze

„Die USA sehen die gezielten Tötungen als legalen Akt der Kriegsführung. Die Bundesregierung sieht das zwar anders, hält sich aber zurück,“ schreibt die Rheinzeitung (05.04.14, S.5). Sie zitiert den Sprecher des Außenministeriums, Martin Schäfer: „Das kommt doch sehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Eine generelle Beurteilung kann es nicht geben.“

Die SZ (05.04.14, S.6) verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 30.01.2014, nach dem „Deutschland ‚völkerrechtswidrige Militäroperationen’, die ‚durch ausländische Staaten von deutschem Territorium’ aus durchgeführt werden, nicht dulden darf. Sollte das US-Militär einen Terrorverdächtigen ‚außerhalb eines bewaffneten Konflikts’ völkerrechtswidrig per Drohne hinrichten, könnte das ‚eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt darstellen’“.

Auch Christian Rath geht in der taz (07.04.14, S.6) auf das unterschiedliche Rechtsverständnis ein. „Die US-Ideologie vom »Krieg gegen den Terror« wird in Europa nicht geteilt. Die Hinrichtung von Terroristen ohne Gerichtsverfahren per Drohnenbeschuss wäre nach deutschem Recht als Kriegsverbrechen oder Mord zu bewerten.“ Ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts dürften die neuen Erkenntnisse wohl trotzdem nicht auslösen. Die taz (05.04.14, S.2) verweist darauf, dass die „Strafgerichtsbarkeit über die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte […] bei den USA“ liegt. Ermittlungen würden sich schwierig gestalten, da „der Zutritt deutscher Behörden zu ausländischen militärischen Liegenschaften bzw. Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen nur mit Zustimmung der ausländischen Kommandeure zulässig“ sind.

Und wieder mal aussitzen?

Bereits vor den Enthüllungen in ARD und SZ gab es Hinweise auf das Drehkreuz Ramstein. „In Militärzeitschriften und Jobprofilen auf dem Karriereportal LinkedIn beschreiben amerikanische Mitarbeiter […] die Funktionsweise des Analysezentrums DGS-4. In mehreren solcher Profile beschreiben Militärs und Zivilangestellte aus Ramstein über ihre Beteiligung an den Drohneneinsätzen im ‚weltweiten Krieg gegen den Terror’.“ (SZ 04.04.14, S.1)

Die Bundesregierung wollte das aber offensichtlich nicht wissen, und es ist auch jetzt nicht zu erwarten, dass sie von selbst ernsthaft etwas gegen den US-Drohnenkrieg unternimmt. Zu den Gründen schreibt Ulrike Winkelmann in der taz (07.04.14, S.12): „Wenn das zur Urteilsfindung notwendige Wissen in der Zeitung steht, ist es schwierig sich hinter Ahnungslosigkeit zu verschanzen. Selbstredend wird die Bundesregierung aber genau das versuchen. Denn eine echte Diskussion über den Krieg gegen den Terror würde die USA […] inspirieren, zu erläutern, wie die deutschen Geheimdienste erstens mitmachen und zweitens profitieren.“

Winkelmann äußert deshalb genau wie Prantl (SZ 04.04.14, S.4) die Hoffnung, dass der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages Ramstein thematisiert und sich „mit Verantwortungsbewusstsein und Mut an die Arbeit macht“.

Nachbemerkung:

Wir hätten gerne auch aus der FAZ, der Welt, der Frankfurter Rundschau, dem Spiegel u.a. Zeitungen zitiert. Doch außer den hier zitierten Medien haben wir nur Kurzmeldungen in verschiedenen Regionalzeitungen gefunden.

Jürgen Nieth

FifF unterstützt Drohnen-Kampagne

FifF unterstützt Drohnen-Kampagne

von FifF

Das »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.« unterstützt die neu gegründete »Drohnen-Kampagne«.

Anfang März trafen sich Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen in Hannover, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit unbemannten, bewaffneten Drohnen (so genannten. Kampfdrohnen) zu beraten. Anlass dazu gaben die in letzter Zeit sich häufenden Überlegungen aus Regierungskreisen zur Anschaffung dieser neuen Waffen.

Die Teilnehmenden sprachen sich »gegen die Etablierung von Drohnentechnologie für Krieg, Überwachung und Unterdrückung« aus und formulierten den Appell »Keine Kampfdrohnen!«, dem sich bereits über 100 Organisationen und Initiativen angeschlossen haben.

Die Kampagne zielt auf die Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahren, die durch die Aufrüstung mit Kampfdrohnen und Aufklärungsdrohnen verbunden sind, und fordert von Bundesregierung und Bundestag, den Irrweg der Anschaffung und Produktion bewaffneter Drohnen sowie die diesbezügliche Forschung und Entwicklung aufzugeben und sich für ein weltweites Verbot und die völkerrechtliche Ächtung dieser Waffen einzusetzen. Zudem wird sich das Bündnis um eine stärkere Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Gruppen auch auf internationaler Ebene bemühen, Informationen sammeln und als Plattform für Aktivitäten zur Verfügung stehen. Mehr Informationen unter drohnen-kampagne.de.

Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.

Dokumentation: Gezielte Tötungen

Dokumentation: Gezielte Tötungen

von Philip Alston, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen

Als »Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen« hat Philip Alston dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine »Studie über gezielte Tötungen« vorgelegt. In seiner Zusammenfassung hält Alston fest, dass sich in den letzten Jahren einige Staaten eine Politik zu eigen gemacht haben, die gezielte Tötungen auch im Hoheitsgebiet anderen Staaten zulässt. Diese Politik werde als notwendige und legitime Antwort auf »Terrorismus« und »asymmetrische Kriegsführung « gerechtfertigt, habe sich jedoch insofern als problematisch erwiesen, als sie die Grenzen des jeweils anzuwendenden Rechts verschwimmen lasse und ausdehne. Sein Bericht befasst sich mit den verschiedenen Formen dieser Politik gezielter Tötungen und mit den dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen. Wir dokumentieren vor allem die Passagen des Berichts, die die Politik gezielter Tötung dokumentieren und die die neue Technik – den Einsatz von Drohnen – betreffen.

In […] den letzten Jahren haben einige Staaten den Einsatz gezielter Tötungen, auch im Hoheitsgebiet anderer Staaten, entweder offen oder implizit zur Politik gemacht. […]

All dies führte zu dem höchst problematischen Ergebnis, dass die Grenzen des jeweils anzuwendenden Rechts – des Rechts der Menschenrechte, des Kriegsvölkerrechts und der für die Anwendung von Gewalt zwischen Staaten geltenden Regeln – verwischt und ausgeweitet wurden. Selbst wenn eindeutig das Kriegsvölkerrecht anwendbar ist, besteht die Tendenz, den Kreis der Personen, die zulässige Ziele sind, und die zu erfüllenden Kriterien zu erweitern. Darüber hinaus haben die betreffenden Staaten es oft unterlassen, eine rechtliche Begründung für ihre Politik zu geben, die bestehenden Sicherungsvorkehrungen offenzulegen, die gewährleisten sollen, dass gezielte Tötungen tatsächlich rechtmäßig und zielgenau sind, oder Rechenschaftsmechanismen für Verstöße vorzusehen. Am beunruhigendsten ist jedoch die Tatsache, dass sie sich geweigert haben offenzulegen, wer getötet wurde, aus welchem Grund dies geschah und zu welchen Nebenfolgen es gekommen ist. Als Ergebnis dieser Entwicklungen wurden klare Rechtsnormen durch eine vage umschriebene »Lizenz zum Töten« ersetzt und ein enormes Rechenschaftsvakuum geschaffen.

Was das maßgebende Recht betrifft, so verstoßen viele dieser Praktiken gegen klare anwendbare Vorschriften. Wird zur Rechtfertigung einer bestimmten Auslegung einer völkerrechtlichen Norm das Gewohnheitsrecht geltend gemacht, sind die Politik und die Praxis der großen Mehrzahl der Staaten zugrunde zu legen, nicht die der Handvoll von Staaten, die geflissentlich bemüht waren, sich ihren eigenen, individuellen normativen Rahmen zu schaffen. Im Übrigen würde der eine oder andere dieser Staaten viele der Rechtfertigungsgründe für gezielte Tötungen, die er heute in bestimmten Zusammenhängen selbst ins Treffen führt, wohl kaum gelten lassen, wenn sie in Zukunft von einem anderen Staat angeführt würden. […]

Der Begriff der »gezielten Tötung«

Obwohl der Begriff der »gezielten Tötung« so häufig gebraucht wird, ist er im Völkerrecht nicht festgeschrieben und lässt sich auch nicht ohne weiteres einem bestimmten normativen Rahmen zuordnen. In den allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff im Jahr 2000 Eingang gefunden, als Israel seine Politik »gezielter Tötungen« von mutmaßlichen Terroristen in den besetzten palästinensischen Gebieten öffentlich bekannt gab. Seither wurde er auch auf andere Situationen angewandt, beispielsweise

die Tötung des »Rebellenführers« Omar Ibn al Khattab in Tschetschenien im April 2002, angeblich durch russische Soldaten,

die Tötung des mutmaßlichen Al-Qaida-Führers Ali Qaed Senyan al-Harithi und fünf weiterer Männer im November 2002 in Jemen, Berichten zufolge durch einen »Hellfire«-Flugkörper einer vom CIA […] eingesetzten »Predator«-Drohne.

die zwischen 2005 und 2008 von sri-lankischen Regierungstruppen und von der Oppositionsgruppe LTTE durchgeführten Tötungen von Personen, die von der jeweils anderen Seite als Kollaborateure benannt worden waren, und

die mutmaßlich von 18 Angehörigen des israelischen Nachrichtendienstes »Mossad« durchgeführte Tötung von Mahmoud al-Mahbouh, einem Führer der Hamas, im Januar 2010 in einem Hotel in Dubai. […]

Gezielte Tötungen finden somit in unterschiedlichsten Zusammenhängen statt und können von Staaten und Bediensteten des Staates in Friedenszeiten wie auch in Zeiten bewaffneten Konflikts oder von organisierten bewaffneten Gruppen in bewaffneten Konflikten begangen werden. Die Mittel und Methoden, die zur Anwendung kommen, sind vielfältig: Heckenschützen, Schüsse aus nächster Nähe, das Abfeuern von Flugkörpern von Hubschraubern, Kampfhubschraubern oder Drohnen, Autobomben, Vergiftung.

Das gemeinsame Element in all diesen Fällen ist, dass tödliche Gewalt absichtlich und bewusst, mit einem bestimmten Grad des Vorsatzes, gegen eine oder mehrere von dem Täter im Voraus genau bestimmte Personen angewendet wird. […]

Eine neue Politik gezielter Tötungen

Das Phänomen gezielter Tötung durchzieht die gesamte Geschichte. In der neueren Zeit fanden gezielte Tötungen durch Staaten nur sehr eingeschränkt statt beziehungsweise, wenn es eine entsprechende De-Facto-Politik gab, war diese inoffiziell und wurde gewöhnlich dementiert […]

Seit einiger Zeit jedoch verfolgen einige Staaten entweder offen eine Politik, die gezielte Tötungen zulässt, oder sie verfolgen eine solche Politik der Form nach, während sie gleichzeitig ihre Existenz in Abrede stellen.

Israel

In den 1990er Jahren weigerte sich Israel kategorisch, gezielte Tötungen zuzugeben, und erklärte angesichts derartiger Anschuldigungen, dass die Israelischen Verteidigungskräfte diese uneingeschränkt zurückwiesen. Weder gebe es eine Politik der vorsätzlichen Tötung von Verdächtigen, noch werde es eine solche Politik oder eine solche Realität jemals geben. Der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Lebens sei ein Grundprinzip der Israelischen Verteidigungskräfte. Im November 2000 jedoch bestätigte die israelische Regierung das Bestehen einer Politik, wonach sie gezielte Tötungen zur Selbstverteidigung und nach dem humanitären Völkerrecht als gerechtfertigt erachtete, da die Palästinensische Behörde Terrorismus und insbesondere gegen Israel gerichtete Selbstmordanschläge weder verhindern, noch untersuchen und strafrechtlich verfolgen würde. Bestärkt wurde dies durch ein 2002 ergangenes, nur in Teilen veröffentlichtes Rechtsgutachten des Leiters der Rechtsabteilung der Israelischen Verteidigungskräfte über die Voraussetzungen, unter denen Israel gezielte Tötungen für rechtmäßig erachtet.

Die von Israel durchgeführten gezielten Tötungen fanden Berichten zufolge zumeist in der »Zone A« statt, einem unter der Kontrolle der Palästinensischen Behörde stehenden Teil des Westjordanlands. Sie waren gegen Mitglieder verschiedener Gruppen gerichtet, darunter Fatah, Hamas und der Islamische Dschihad, die nach Angaben israelischer Behörden an der Planung und Durchführung von Anschlägen auf israelische Zivilpersonen beteiligt waren. Bei den gezielten Tötungen kamen unter anderem Drohnen, Heckenschützen, aus Hubschraubern abgefeuerte Flugkörper, Tötungen aus nächster Nähe sowie Artillerie zum Einsatz. Eine von einer Menschenrechtsgruppe durchgeführte Studie ergab, dass zwischen 2002 und Mai 2008 mindestens 387 Palästinenser infolge gezielter Tötungseinsätze ums Leben kamen. 234 von ihnen waren Ziele dieser Operationen; die restlichen waren Kollateralopfer.

Die rechtlichen Grundlagen dieser Politik waren später Gegenstand eines Urteils des israelischen Obersten Gerichtshofs vom Dezember 2006. Der Gerichtshof sprach weder ein allgemeines Verbot gezielter Tötungen durch israelische Soldaten aus, noch erklärte er sie für generell zulässig, sondern befand stattdessen, dass über die Rechtmäßigkeit jeder Tötung im Einzelfall zu entscheiden sei. Ohne ins Einzelne zu gehen, stellte er fest, dass das anwendbare Recht das Gewohnheitsrecht der internationalen bewaffneten Konflikte sei, und zog weder die Anwendbarkeit der Menschenrechtsnormen noch des humanitären Rechts der nicht internationalen bewaffneten Konflikte in Erwägung. Er verwarf das Vorbringen der Regierung, Terroristen seien »unrechtmäßige Kombattanten«, die jederzeit angegriffen werden könnten. Stattdessen befand er, dass das anwendbare Recht die gezielte Tötung von Zivilpersonen zulasse, solange diese „unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen“, sofern vier kumulative Voraussetzungen erfüllt seien:

Die mit der Tötungsoperation beauftragten Kräfte tragen die Verantwortung dafür, die Identität der Zielpersonen und das Bestehen einer Tatsachengrundlage zu verifizieren, die das Kriterium der „unmittelbaren Teilnahme“ erfüllt;

selbst wenn die Regierung eine Person aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen als rechtmäßiges Ziel benennt, ist die Tötung dieser Person durch staatliche Kräfte nur dann zulässig, wenn keine nichttödlichen Mittel verfügbar sind;

nach jeder gezielten Tötung hat eine nachträgliche, unabhängige Untersuchung der „Identifizierung der Zielperson und der Umstände des Angriffs“ stattzufinden; und

für Kollateralschäden an Zivilpersonen gilt das Gebot der Verhältnismäßigkeit nach dem humanitären Völkerrecht.

Es hat danach Berichte gegeben, wonach israelische Kräfte gezielte Tötungen durchführten, die gegen die vom Obersten Gerichtshof festgelegten Anforderungen verstießen. Diese von amtlichen israelischen Stellen zurückgewiesenen Berichte beruhten angeblich auf Verschlusssachen, die eine Soldatin der Israelischen Verteidigungskräfte während ihres Militärdienstes entwendet hatte; die Soldatin wurde der Spionage angeklagt.

Israel hat weder die Grundlagen für seine rechtlichen Schlussfolgerungen offenbart noch Einzelheiten über die seinen Entscheidungen über gezielte Tötungen zugrunde liegenden Richtlinien, die erforderlichen Beweise oder sonstigen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, die eine Tötung rechtfertigen würden, oder die Ergebnisse von Einsatzauswertungen in Bezug auf die Gesetzmäßigkeit dieser Aktionen offen gelegt.

Vereinigte Staaten von Amerika

Die USA setzen weiter Drohnen und Luftangriffe für gezielte Tötungen in den bewaffneten Konflikten in Afghanistan und Irak ein, wo diese Einsätze, soweit öffentlich bekannt, von den Streitkräften durchgeführt werden. Sie sollen darüber hinaus bald nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit der Verfolgung einer geheimen Politik gezielter Tötungen begonnen haben, in deren Rahmen die Regierung glaubwürdigen Behauptungen zufolge gezielte Tötungen im Hoheitsgebiet anderer Staaten durchgeführt hat. Dieses geheime Programm wird Berichten zufolge vom Auslandsnachrichtendienst CIA mittels »Predator«- oder »Reaper«-Drohnen durchgeführt, doch waren angeblich auch Spezialeinsatzkräfte an der Durchführung des Programms beteiligt und zivile Auftragnehmer dabei behilflich.

Der erste Einsatz einer CIA-Drohne für eine Tötung fand nach glaubwürdigen Berichten am 3. November 2002 statt, als der mutmaßlich für den Bombenanschlag auf den Zerstörer USS Cole verantwortliche Al-Qaida-Führer Qaed Senyan al-Harithi in Jemen durch einen von einer »Predator«-Drohne abgefeuerten Flugkörper in seinem Auto getötet wurde. Seither ereigneten sich Berichten zufolge mehr als 120 Drohnenangriffe, doch ist diese Zahl unmöglich zu verifizieren. Die Treffgenauigkeit von Drohnenangriffen ist stark umstritten und für Außenstehende ebenfalls nicht zu verifizieren. Meldungen über die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung in Pakistan reichen von etwa 20 (nach in den Medien zitierten Angaben anonymer Vertreter der US-Regierung) bis zu vielen Hunderten.

Der CIA lenkt seine Drohnenflotte angeblich von seiner Zentrale in Langley (Virginia) aus, in Koordinierung mit Drohnensteuerern, die die Starts und Landungen aus der Nähe verborgener Flugplätze in Afghanistan und Pakistan durchführen. Die CIA-Flotte wird Berichten zufolge von Zivilisten gesteuert, zu denen sowohl Beamte des Nachrichtendiensts als auch private Auftragnehmer (oft Militärpersonal im Ruhestand) gehören. Laut Medienberichten wird die endgültige Genehmigung für einen Angriff in der Regel vom Leiter der geheimen Operationen des CIA oder seinem Stellvertreter erteilt. Angeblich besteht eine von hochrangigen Regierungsmitarbeitern gebilligte Liste von Zielpersonen, wobei die Kriterien für die Aufnahme in die Liste sowie alle weiteren Aspekte des Programms jedoch unbekannt sind. Der CIA ist nicht verpflichtet, Zielpersonen namentlich zu identifizieren; die Entscheidung darüber, ob eine Person zum Ziel wird, kann vielmehr auf Überwachungsergebnissen und Bewertungen von »Lebensmustern« beruhen.

Das Militär führt ebenfalls eine Liste von Zielpersonen in Afghanistan. Aus einem am 10. August 2009 veröffentlichten Bericht des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats geht hervor, dass auf der Liste des Militärs Drogenbarone verzeichnet sind, die im Verdacht stehen, die Taliban finanziell zu unterstützen. In dem Bericht heißt es, dass das Militär der Anwendung von Gewalt gegen diese ausgewählten Zielpersonen keine Einschränkungen auferlege; dies bedeute, dass sie auf dem Gefechtsfeld getötet oder gefangen genommen werden könnten. Voraussetzung für die Aufnahme in die Liste seien zwei verifizierbare menschliche Quellen sowie zusätzliche hinreichende Beweise.

Der Rechtsberater des Außenministeriums umriss kürzlich die von der Regierung angeführte juristische Rechtfertigung für gezielte Tötungen. Sie beruhe auf ihrem erklärten Selbstverteidigungsrecht sowie auf dem humanitären Völkerrecht, da sich die USA „in einem bewaffneten Konflikt mit der Al-Qaida, den Taliban und verbündeten Kräften“ befänden. Diese Erklärung ist ein wichtiger Ausgangspunkt, geht indessen nicht auf einige der entscheidensten rechtlichen Fragen ein, wie die Reichweite des bewaffneten Konflikts, in dem sich die Vereinigten Staaten erklärtermaßen befinden, die Kriterien dafür, welche Personen zum Ziel gemacht und getötet werden dürfen, das Bestehen materieller oder verfahrensrechtlicher Schutzvorschriften zur Gewährleistung der Rechtmäßigkeit und der Treffgenauigkeit der Tötungen sowie das Bestehen von Rechenschaftsmechanismen.

Russland

Russland hat seine 1999 aufgenommenen Militäreinsätze in Tschetschenien als eine Operation zur Terrorismusbekämpfung beschrieben. Im Laufe des Konflikts soll Russland Kommandotrupps der Armee eingesetzt haben, um Gruppen von Aufständischen aufzuspüren und zu vernichten, und auf entsprechende Meldungen hin rechtfertigte Russland gezielte Tötungen in Tschetschenien damit, dass sie durch den Kampf gegen den Terrorismus notwendig seien. Diese Rechtfertigung ist insbesondere deswegen problematisch, weil große Teile der Bevölkerung als Terroristen bezeichnet wurden. Obwohl es glaubwürdige Berichte über gezielte Tötungen außerhalb Tschetscheniens gibt, hat sich Russland geweigert, die Verantwortung dafür zu übernehmen oder anderweitig eine Rechtfertigung für die Tötung anzugeben, und hat darüber hinaus bei jeder Untersuchung oder Strafverfolgung die Kooperation verweigert.

Im Sommer 2006 erließ das russische Parlament ein Gesetz, das es den russischen Sicherheitsdiensten gestattet, mutmaßliche Terroristen im Ausland zu töten, wenn der Präsident eine diesbezügliche Ermächtigung erteilt. Das Gesetz bedient sich einer äußerst weiten Definition des Terrorismus und terroristischer Aktivitäten; darunter fallen „Praktiken der Beeinflussung der Entscheidungen von Regierungen, Kommunalverwaltungen oder internationalen Organisationen durch die Terrorisierung der Bevölkerung oder durch andere Formen illegaler Gewaltaktionen“, sowie jede „Ideologie der Gewalt“.

Das Gesetz scheint keine Beschränkung des Einsatzes militärischer Gewalt „zur Unterdrückung internationaler terroristischer Aktivitäten außerhalb der Russischen Föderation“ vorzusehen. Der Präsident muss sich der Unterstützung des Föderationsrats versichern, um reguläre Soldaten außerhalb Russlands einsetzen zu können, während er Sicherheitskräfte des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB) nach seinem Ermessen einsetzen kann. Als das Gesetz erlassen wurde, betonten russische Parlamentarier laut Pressemeldungen, dass sich das Gesetz gegen Terroristen richte, die sich in gescheiterten Staaten verbergen, und dass die Sicherheitsdienste in anderen Situationen bei der Verfolgung ihrer Ziele mit ausländischen Nachrichtendiensten zusammenarbeiten würden. Die Parlamentarier unterstrichen außerdem, dass sie beim Erlass eines Gesetzes, das den Einsatz von Militär- und Spezialkräften außerhalb der Landesgrenzen zur Abwehr von Bedrohungen von außen gestattet, dem Beispiel Israels und der Vereinigten Staaten folgten.

Es gibt keine öffentlich verfügbaren Informationen über Verfahrensvorkehrungen, die gewährleisten sollen, dass die von Russland durchgeführten gezielten Tötungen rechtmäßig sind, über die Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Person zum Ziel gemacht werden kann, oder über Rechenschaftsmechanismen für die Überprüfung derartiger gezielter Einsätze.

Eine neue Technologie

Drohnen wurden ursprünglich entwickelt, um nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und um Überwachungs- und Aufklärungsflüge durchzuführen. Heute verfügen mehr als 40 Länder über diese Technologie. Einige von ihnen, darunter Israel, Russland, die Türkei, China, Indien, Iran, das Vereinigte Königreich und Frankreich, besitzen oder streben nach dem Besitz von Drohnen mit der zusätzlichen Fähigkeit, lasergelenkte Flugkörper mit einem Gewicht zwischen 15 und mehr als 45 Kilogramm abzufeuern. Die Vorteile bewaffneter Drohnen sind verlockend: Sie erlauben vor allem im feindlichen Gelände gezielte Tötungen ohne oder mit geringem Risiko für das Personal des durchführenden Staates und sie können vom Heimatstaat aus ferngesteuert werden. Es ist auch denkbar, dass nichtstaatliche bewaffnete Gruppen diese Technologie erlangen könnten.

(Anmerkung der W&F-Redaktion: In einem umfassenden Mittelblock untersucht Alston rechtliche Fragen. Für ihn ist nicht jede gezielte Tötung rechtswidrig. Ob eine gezielte Tötung rechtmäßig ist, hängt bei Alston von dem Kontext ab, in dem sie durchgeführt wird – in einem bewaffneten Konflikt, außerhalb eines bewaffneten Konflikts oder im Zusammenhang mit zwischenstaatlicher Gewaltanwendung. Er plädiert für die Einhaltung der Regelung im humanitären Völkerrecht, nach der gezielte Tötungen nur dann rechtmäßig sind, „wenn die zu tötenden Personen »Kombattanten« oder »Kämpfer« sind oder, wenn es sich um Zivilpersonen handelt, nur solange, wie sie »unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen«. Darüber hinaus muss die Tötung militärisch notwendig sein, die Anwendung von Gewalt muss verhältnismäßig sein, so dass jeder erwartete militärische Vorteil im Lichte der zu erwartenden Schäden für sich in der Nähe befindende Zivilpersonen betrachtet wird, und es ist alles praktisch Mögliche zu tun, um Fehler zu vermeiden und den Schaden für die Zivilbevölkerung auf ein Mindestmaß zu beschränken.“)

Der Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungen

Der Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungen hat beträchtliche Kontroversen ausgelöst. Nach Ansicht einiger sind Drohnen als solche nach dem humanitären Völkerrecht verbotene Waffen, da sie Zivilpersonen zwangsläufig unterschiedslos töten oder ihre unterschiedslose Tötung zur Folge haben, wenn sie sich beispielsweise in der Nähe einer Zielperson befinden. Es ist richtig, dass das humanitäre Völkerrecht Einschränkungen der Waffen vorsieht, die die Staaten einsetzen können, und Waffen, die beispielsweise ihrer Natur nach unterschiedslos wirken (wie biologische Waffen), verbietet. Dennoch unterscheidet sich ein Flugkörper, der von einer Drohne aus abgefeuert wird, durch nichts von jeder anderen gebräuchlichen Waffe, wie von einer Schusswaffe, die ein Soldat betätigt, oder von einem Flugkörper abfeuernden Hubschrauber oder Kampfhubschrauber. Die entscheidende Rechtsfrage ist bei jeder Waffe dieselbe: Ist ihr konkreter Einsatz mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar oder nicht?

Bedenklicher ist der Einsatz von Drohnen deshalb, weil sie es den Kräften des Staates leichter machen, ohne Risiko zu töten, und politische Entscheidungsträger und militärische Befehlshaber daher versucht sein werden, die rechtlichen Beschränkungen in Bezug darauf, wer unter welchen Umständen getötet werden kann, zu weit auszulegen. Die Staaten müssen gewährleisten, dass die von ihnen angelegten Kriterien bei der Entscheidung darüber, wer zum Ziel gemacht und getötet werden darf – das heißt wer ein rechtmäßiger Kombattant ist oder was eine »unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten« darstellt, die Zivilpersonen einem direkten Angriff aussetzt –, sich nicht danach unterscheiden, welche Waffe sie wählen.

Die Befürworter von Drohnen argumentieren, dass Drohnen im Vergleich zu anderen Waffen über bessere Überwachungsfähigkeiten verfügen, höhere Präzision ermöglichen und daher besser geeignet seien, Kollateralschäden in Form von Opfern und Verletzungen unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Bis zu einem bestimmten Maß mag das zutreffen, doch ist das Bild unvollständig. Die Präzision, Genauigkeit und Rechtmäßigkeit eines Drohnenangriffs hängen von Erkenntnissen aus der Nachrichtengewinnung durch Personen ab, die zur Grundlage der Entscheidung über das Angriffsziel gemacht werden.

Drohnen können eine Überwachung aus der Luft und die Gewinnung von Informationen über »Lebensmuster« ermöglichen, die es dem Bedienungspersonal gestatten, zwischen friedlichen Zivilpersonen und den an unmittelbaren Feindseligkeiten teilnehmenden Personen zu unterscheiden. Dank dieser fortgeschrittenen Überwachungsfähigkeiten sind die Kräfte eines Staates tatsächlich besser in der Lage, während eines Angriffs Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Diese optimalen Bedingungen sind jedoch möglicherweise nicht in jedem Fall gegeben. Vor allem aber kann das Bedienungspersonal einer Drohne, das Tausende von Kilometern von der Umgebung eines potenziellen Ziels entfernt ist, hinsichtlich der Nachrichtengewinnung durchaus noch stärker benachteiligt sein als Bodentruppen, die selbst häufig nicht in der Lage sind, verlässliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Während meiner Mission nach Afghanistan zeigte sich deutlich, wie schwer es selbst für die Truppen vor Ort ist, genaue Informationen zu erlangen. Aus Aussagen von Zeugen und Familienangehörigen ging hervor, dass die internationalen Kräfte oft zu schlecht über lokale Praktiken informiert waren oder Informationen zu leichtgläubig interpretierten, um sich ein verlässliches Bild der Lage verschaffen zu können. Allzu oft gingen die von den internationalen Kräften durchgeführten bemannten Luftangriffe, bei denen Menschen ums Leben kamen, auf fehlerhafte nachrichtendienstliche Erkenntnisse zurück. Zahlreiche weitere Beispiele lassen erkennen, dass die Rechtmäßigkeit einer gezielten Tötungsoperation stark davon abhängt, wie zuverlässig die ihr zugrunde liegenden Erkenntnisse sind. Die Staaten müssen daher für das Vorhandensein der notwendigen Verfahrensvorkehrungen sorgen, um zu gewährleisten, dass die Erkenntnisse, auf denen die Entscheidungen über die Angriffsziele beruhen, genau und nachprüfbar sind.

Aufgrund der Tatsache, dass das Bedienungspersonal Tausende von Kilometern vom Gefechtsfeld entfernt ist und die Operationen ausschließlich über Computerbildschirme und Audioleitungen ausführt, entsteht noch das zusätzliche Risiko, dass sich eine »Playstation«-Mentalität des Tötens herausbildet. […]

Außerhalb eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungen wahrscheinlich nie rechtmäßig. Eine mit Drohnen durchgeführte gezielte Tötung im Hoheitsgebiet eines Staates, über das dieser die Kontrolle ausübt, würde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die Anforderungen erfüllen, die die Menschenrechtsnormen für die Anwendung tödlicher Gewalt vorsehen.

Außerhalb seines Hoheitsgebiets (oder in einem Gebiet, über das er keine Kontrolle ausübt) und dort, wo die Lage am Boden nicht die Intensität eines bewaffneten Konflikts erreicht hat, in dem das humanitäre Völkerrecht gelten würde, könnte ein Staat theoretisch versuchen, den Einsatz von Drohnen zu rechtfertigen, indem er sich auf das Recht zur antizipatorischen Selbstverteidigung gegen einen nichtstaatlichen Akteur beruft. Er könnte theoretisch auch behaupten, dass die menschenrechtliche Anforderung, zuerst nichtletale Mittel einzusetzen, nicht erfüllt werden könne, wenn der Staat keine Mittel habe, die Zielperson gefangen zu nehmen oder den anderen Staat dazu zu veranlassen, dies zu tun. Praktisch gesehen gibt es sehr wenige Situationen außerhalb aktiver Feindseligkeiten, in denen das Kriterium für antizipatorische Selbstverteidigung – eine Notwendigkeit, die „gegenwärtig und überwältigend ist und keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt“ – erfüllt wäre. Diese Hypothese birgt dieselbe Gefahr wie das Szenario der »tickenden Zeitbombe« im Zusammenhang mit der Anwendung von Folter und Zwang bei Verhören: Ein gedankliches Experiment, das eine seltene notfallbedingte Ausnahme von einem absoluten Verbot postuliert, kann diese Ausnahme effektiv institutionalisieren. Die Anwendung eines solchen Szenarios auf gezielte Tötungen droht das menschenrechtliche Verbot der willkürlichen Tötung eines Menschen bedeutungslos zu machen. Darüber hinaus würde die mit Hilfe einer Drohne durchgeführte Tötung anderer Personen als der Zielperson (etwa von Familienangehörigen oder anderen, die sich in der Nähe aufhalten) nach den Menschenrechtsnormen eine willkürliche Tötung darstellen, was Staatenverantwortlichkeit und individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit auslösen könnte.

Die Erfordernisse der Transparenz und der Rechenschaft

Es ist höchst besorgniserregend, dass die Staaten ihren nach den Menschenrechtsnormen und dem humanitären Völkerrecht bestehenden Verpflichtungen zu Transparenz und Rechenschaft in Bezug auf gezielte Tötungen nicht nachkommen. Bislang hat kein Staat die Rechtsgrundlage für gezielte Tötungen, einschließlich seiner Interpretation der hier erörterten Rechtsfragen, umfassend öffentlich dargelegt. Ebenso hat kein Staat offen gelegt, welche Verfahrensvorkehrungen und sonstigen Sicherungsmaßnahmen von ihm eingerichtet wurden, um zu gewährleisten, dass die Tötungen rechtmäßig und berechtigt sind, und mit welchen Rechenschaftsmechanismen sichergestellt wird, dass rechtswidrige Tötungen untersucht, strafrechtlich verfolgt und bestraft werden. Mit ihrer Weigerung, ihre Politik transparent zu gestalten, verstoßen die Staaten, die gezielte Tötungen durchführen, gegen die völkerrechtlichen Regelungen, die der rechtswidrigen Anwendung von tödlicher Gewalt gegen Personen Schranken setzen.

Die Verpflichtung zur Transparenz besteht sowohl nach dem humanitären Völkerrecht als auch nach dem Recht der Menschenrechte. Die Nichtoffenlegung gibt den Staaten praktisch eine unzulässige »Lizenz zum Töten«. […]

Die vom Deutsche Übersetzungsdienst (www.un.org/depts/german/) der Vereinten Nationen angefertigte Übersetzung des gesamten, mit zahlreichen ausführlichen Fußnoten versehenenen Berichts über gezielte Tötungen, der auf den 28. Mai 2010 datiert ist, finden Sie unter www.un.org/depts/german/menschenrechte/ a-hrc14-24add6-deu.pdf.

Die Grenzen moderner westlicher Kriegsführung

Die Grenzen moderner westlicher Kriegsführung

Der Glaube an die High-Tech-Lösung

von Niklas Schörnig

Die Erwartungen an moderne Kriegsführung kommen einer Quadratur des Kreises gleich: High Tech soll hohe Opferzahlen, vor allem in der Zivilbevölkerung und bei den eigenen Truppen, vermeiden. Gleichzeitig soll der Gegner zuverlässig kampfunfähig gemacht, der Krieg rasch gewonnen und die Situation in der Nachkriegsphase stabilisiert werden. Die moderne Kriegsführung bleibt aber kein Monopol westlicher Staaten, zudem hängt ihr Erfolg auch von politischen Faktoren ab und bleibt aus, wenn der Gegner zu asymmetrischen Mitteln greift.

Wenn man der Frage nach den Grenzen moderner Kriegsführung nachgeht, besteht die Gefahr, sich ausschließlich auf militärisch-technologische Aspekte zu konzentrieren. Der Diskurs zur aktuellen »Revolution in Military Affairs« (RMA), also der High-Tech-Rüstung amerikanischer bzw. westlicher Armeen, zeichnet sich durch einen „Techno-Fetischismus“ (Beier 2006, S.266) aus, der die technologische Leistungsfähigkeit einzelner Waffensysteme in den Vordergrund stellt. Dieser Fokus ist insoweit nachvollziehbar, als moderne Kriegsführung zumindest aus westlicher Sicht im Wesentlichen High-Tech-Kriegsführung ist und damit in der Regel die amerikanische bzw. »westliche« Kriegsführung meint, wie sie im Golfkrieg 1991 oder dem Irakkrieg 2003 demonstriert wurde.

Neben der technologischen Dimension müssen aber auch politische Anforderungen an die moderne Kriegsführung berücksichtigt werden. Denn Kriegsführung findet spätestens seit dem Vietnamkrieg unter globaler Beobachtung durch Medien und nationale Öffentlichkeiten statt. Erst vor dem Hintergrund technologischer Ansprüche und politischer Vorgaben zeichnen sich die Grenzen moderner Kriegsführung in aller Deutlichkeit ab.

Die technologische Seite der neuen Kriegsführung

Unter moderner Kriegsführung wird heute der Rückgriff auf modernste Waffensysteme verstanden. Hier spielen Waffensysteme eine Rolle, deren Entwicklung noch in die Zeit des Kalten Krieges zurückreicht, deren Durchsetzung aber auf die rasanten Fortschritte im Bereich der Mikro- und Kommunikationselektronik seit den 1980er Jahren zurückgeht (Neuneck/Alwardt 2008).

Im Vordergrund steht erstens die Fähigkeit, sich der Ortung durch den Feind zu entziehen (z.B. durch so genannte Stealth-Technologie). Zweitens die erhöhte Präzision der Waffensysteme und Raketen, die – bei geeigneten Bedingungen – mittels Satelliten- oder Laserzielführung inzwischen eine Genauigkeit von wenigen Metern erreichen können. Die dritte Komponente umfasst die dank verbesserter Sensorik in Satelliten und unbemannten Flugzeugen (unmanned aerial vehicles/UAVs oder auch Drohnen) immer ausgefeiltere Aufklärungsmöglichkeiten, die sowohl den Kommandeuren als auch den individuellen Einheiten ein immer besseres Lagebild vermitteln. Herzstück dieser RMA ist schließlich die Vernetzung aller am Kampf beteiligten Einheiten durch moderne Kommunikationselektronik via Satellit und ein konstanter Datenaustausch zwischen den Einheiten. Das hier immer wieder vorgebrachte Schlagwort ist »Netzwerk-zentrierte Kriegsführung«; im Jargon der Bundeswehr lautet es »vernetze Operationsführung«. Ziel ist es, gegenüber dem Kontrahenten »Informationsüberlegenheit« zu erlangen, den »Nebel des Krieges« zu lichten und so die Wirkung der einzelnen Waffensysteme zu »multiplizieren«. Auch soll es den einzelnen Einheiten auf Basis eines einheitlichen Lagebilds möglich werden, mit nur geringer zentraler Steuerung im Rahmen eines vorgegebenen Schlachtplans selbstsynchronisiert zu agieren.

Als prototypische Waffe dieser High-Tech-Transformation können die inzwischen in der Presse intensiv diskutierten bewaffneten Drohnen gelten. Ferngesteuert, mit umfangreicher Sensorik ausgestattet und mit Boden-Luft Raketen bewaffnet, verbinden sie zeitnahe Aufklärung und Präzisionsangriffe auf eine zuvor nicht umzusetzende Weise (Wirbel 2010). Bei all diesen Systemen sind westliche Staaten die treibenden Kräfte. Das wirft die Frage auf, warum.

Politische Ansprüche an moderne Kriegsführung

In seiner hervorragenden Arbeit »The New Western Way of War« (Shaw 2005) hat der britische Politikwissenschaftler Martin Shaw herausgearbeitet, dass westliche Staaten in der Art ihrer Kriegsführung besonderen politischen Zwängen unterliegen, die sich aus der Tatsache einer globalen Medienöffentlichkeit gepaart mit Ansprüchen westlicher Bürgerinnen und Bürger an ihre Politikerinnen und Politiker ergeben. Westliche Demokratien, so Shaw, können heute nur noch „Risikotransferkriege“ (Shaw 2005) führen, bei denen zentrale Risiken, speziell Risiken für die eigenen Soldatinnen und Soldaten, vermieden oder auf andere Gruppen abgewälzt würden – man denke an die Nordallianz in Afghanistan. Shaws Beobachtung deckt sich mit dem Konsens in der Literatur, der westlichen Öffentlichkeiten und Entscheidungsträgern eine hohe Sensibilität gegenüber eigenen Verlusten unterstellt, die seit dem Ende des Ost-West Konfliktes noch einmal deutlich angestiegen sei.

Speziell für die USA, aber auch für andere westliche Staaten, hat sich die Vermeidung eigener Opfer in militärischen Auseinandersetzungen inzwischen fast zu einem eigenständigen Missionsziel entwickelt (Schörnig 2009). Eigene Opfer, so die Überlegung, führen zu einer Erosion der öffentlichen Unterstützung für einen Militäreinsatz und möglicherweise gar zu einem Verlust des politischen Mandats der Entscheidungsträger. Ziel sind deshalb schnelle und eindeutige Siege mit nur geringen eigenen Verlusten.

Zunehmend gewinnt auch der Schutz von Zivilisten auf der Gegenseite einen immer höheren Stellenwert und wirkt so ebenfalls auf die Art der westlichen Kriegsführung ein. Das gilt besonders, wenn der Militäreinsatz mit Verweisen auf humanitäre Notlagen legitimiert wurde und zivile Verluste als das Missionsziel konterkarierend wahrgenommen werden. Allerdings sind sich Beobachter einig, dass der Schutz von Zivilisten auf der Gegenseite von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern dem Ziel der Vermeidung eigener Opfer untergeordnet wird (Shaw 2005, S.107).

Kriegsführung im Risikotransferkrieg

Viele der oben vorgestellten technologischen Entwicklungen begünstigen die von Shaw beschriebenen politischen Ansprüche des Risikotransferkriegs auf besondere Weise. Zwei Trends lassen sich hierbei ausmachen: die steigende Bedeutung von Distanzwaffen aus der Luft und der Einsatz leichterer Bodeneinheiten.

Moderne westliche Kriegsführung bedeutet in sehr starkem Maß Krieg aus der Luft und basiert auf dem Einsatz von Distanzwaffen. Schon im Golfkrieg 1991 suggerierten Videoaufnahmen von präzise ihre Ziele treffenden Raketen, dass die Zeit der Flächenbombardements grundsätzlich vorbei sei. Dank verbesserter Aufklärung und immer präziserer Raketen seien nun Angriffe mit »chirurgischer« Präzision gegen bewusst ausgewählte Ziele möglich.

Obwohl schon 1991 der Eindruck umfassender Präzision vermittelt wurde, waren doch nur ca. 17.000 der über 210.000 abgeworfenen alliierten Bomben (etwa 8%) tatsächlich »intelligente« Präzisionsmunition. Während des Kosovo-Krieges 1999 war ihr Anteil auf ca. 28%, während des Angriffs auf Afghanistan 2001/2002 auf ca. 52% gestiegen. Im Irakkrieg des Jahres 2003 lag der Anteil von Präzisionsmunition schließlich bei über 64% (Minkwitz 2008, S.71).

Westliche Militärs und Politikerinnen und Politiker verweisen gern auf diese Zunahme präziser Bomben, um ihre Anstrengungen bei dem Versuch, zivile Opfer nach Möglichkeit zu minimieren, zu verdeutlichen (blenden dabei aber aus, dass immer noch in erheblichem Maß von Streumunition Gebrauch gemacht wird). Gleichzeitig bedeuten präzise Distanzwaffen wie Luft-Boden-Raketen auch, dass die eigenen Soldatinnen und Soldaten in besonderer Weise vor Feindeinwirkungen geschützt sind – sowohl weil sich die Waffen aus immer größerer Entfernung präzise zum Ziel führen lassen, als auch weil immer weniger Anflüge, bei denen sich die Piloten einem Risiko aussetzen, notwendig werden, ehe das Ziel tatsächlich zerstört wird.

Basierend auf ihrer praktisch ungefährdeten Luftüberlegenheit begannen die Kriege 1991, 1999 und 2001/2002 mit umfangreichen Luftoperationen, die das Ziel hatten, die immer besser aufgeklärte militärische Infrastruktur des Feindes soweit es ging zu zerstören oder die militärische Führung mittels eines so genannten Enthauptungsschlages zu töten. Während man 1991 und 1999 fast ausschließlich auf die Wirkung der eigenen Luftüberlegenheit setzte, kam im Afghanistankrieg 2001/2002 eine modifizierte Variante des Risikotransferkrieges zum Tragen: Lokale Verbündete (in diesem Fall Kämpfer der Nordallianz) wurden durch Spezialeinheiten am Boden und Luftstreitkräfte in einem Maß unterstützt, dass diese in die Lage versetzt wurden, umfangreiche Militäroperationen gegen die Kämpfer der Taliban durchzuführen. Auch hier war die Gefährdung der eigenen Soldatinnen und Soldaten gering.

Der Krieg gegen den Irak 2003 ließ schließlich die zweite Dimension moderner Kriegsführung erkennen: Anstatt den Feind zunächst mit umfangreichen Luftschlägen zu zermürben oder auf lokale Truppen zu setzten, erfolgten Luft- und Bodenoperationen nun gleichzeitig. Große Teile der Invasionstruppen waren nur relativ leicht gepanzert und damit deutlich mobiler als klassische, schwer gepanzerte Einheiten. Man ging davon aus, Informationsüberlegenheit, optimale Aufklärung und reibungslose Interoperabilität reiche den Einheiten zum Selbstschutz. So sollte das Ziel der schnellen Einnahme Bagdads erreicht werden. Andere Städte auf dem Weg wurden nicht eingenommen, sondern umrundet, irakische Einheiten umfahren, anstatt sich in Gefechte verwickeln zu lassen.

Es kam zwar vereinzelt noch zu klassischen Panzerschlachten, wie man sie für die zwischenstaatlichen Kriege des Kalten Krieges vorhergesagt hatte. Aber auch hier spielte die technologische Überlegenheit den amerikanischen Truppen in die Hände, so dass sich die Auseinandersetzungen dank größerer Reichweite, stabilisierter Geschütze und besseren Ortungsgeräten zu einer einseitigen Angelegenheit entwickelten (Boot 2006, S.385-418). Diese Asymmetrie zugunsten des Westens zeigt sich auch in den Verlusten, die die US-Truppen in den Konflikten hatten: Während 1991 noch 148 amerikanische Soldatinnen und Soldaten ihr Leben verloren, waren es 2003 trotz umfangreicher Bodenoperationen »nur« 138.

Insgesamt haben die genannten Kriege gezeigt, dass westliche Staaten anderen Staaten, die zwar hochgerüstet sind, aber nicht über die neueste Militärtechnologie verfügen, in klassischen zwischenstaatlichen Kriegen so überlegen sind, dass sie den Krieg fast vollständig nach ihren Vorstellungen führen können. Durch die Fähigkeit, den ausgespähten Gegner aus immer größerer Distanz punktgenau zu bekämpfen und die eigenen Soldaten immer stärker vom eigentlichen Schlachtfeld fern zu halten, konnten sowohl die militärischen als auch politischen Vorgaben, Missionen mit minimierten eigenen Verlusten durchzuführen, umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund scheint Streben nach dem „Krieg ohne Blutvergießen“ (Mandel 2004) – zumindest bei den eigenen Soldatinnen und Soldaten – gelungen zu sein.

Grenzen der modernen Kriegsführung

Nachdem die anfängliche Euphorie über die »leichten« militärischen Siege verklungen war, wurden die Probleme und Grenzen der westlichen High-Tech-Kriegsführung immer deutlicher – selbst in den militärischen Szenarien, für die die aktuelle westliche Kriegsführung eigentlich optimiert ist. Hoch vernetzte Streitkräfte ringen beispielsweise mit dem Problem, dass auf allen Führungsebenen immer mehr Detailinformationen vorliegen und Vorgesetzte sich in Fragen des Mikromanagements einschalten, was zu Kompetenzproblemen und Verwirrung führt. Grundsätzlicher haben die Einführung von immer mehr Sensoren und die Vernetzung von immer mehr Einheiten zu einem exponentiellen Wachstum an Daten geführt, die es auszuwerten und zu beurteilen gilt. Das stellt höhere Anforderungen sowohl an die verfügbaren Datenbandbreiten als auch an die Auswertung. Der Mensch stößt an kognitive Grenzen, die auf ihn einstürzende Datenflut zu beherrschen. Verschärft wird das Problem dadurch, dass Entscheidungen immer rascher getroffen werden müssen. Die Zeitspanne zwischen der Aufklärung eines Ziels und der Möglichkeit seiner Bekämpfung beträgt mit bewaffneten Drohnen nur noch Sekunden; es besteht kaum noch die Möglichkeit einer kritischen Überprüfung des Ziels, will man die militärischen Vorteile voll ausnutzen.

Den Militärs ist inzwischen bewusst geworden, dass Menschen mit der Unmenge an Daten, die binnen Kurzem ausgewertet und beurteilt werden müssen, überfordert sind und der Druck fatale Fehlentscheidungen produzieren kann. Deshalb übernehmen immer häufiger Computer mit entsprechenden Programmen die Auswahl, Priorisierung und Bewertung der Daten. So bewerten bei Drohneneinsätzen der US-Luftwaffe z.B. Computer die Wahrscheinlichkeit und Zahl von zivilen Opfern. Trotz aller Technologie kommt es aber immer wieder zu fatalen Fehlern – es sei nur an die Angriffe auf die chinesische Botschaft im Kosovo-Krieg oder die Bombardierung von Zivilisten im Irak oder in Afghanistan erinnert. Die Hoffnung von Befürwortern moderner Kriegsführung, es ließen sich dank perfekter Aufklärung die Friktionen des Krieges ausschalten, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Illusion, von der ethischen Frage, inwieweit Computern tatsächlich die Entscheidung über Leben und Tod von Menschen übertragen werden soll, ganz zu schweigen (Sparrow 2007).

Darüber hinaus ist Kriegsführung, die in so hohem Maß auf Informationsübermittlung angewiesen ist, besonders anfällig für Störungen und Angriffe auf die Kommunikationsinfrastruktur. Da moderne Kriegsführung im Wesentlichen von Satellitenkommunikation und Elektronik abhängt, sind verstärkte Investitionen in Anti-Satellitenwaffen und eine Ausweitung der Kampfzone in den Weltraum zu befürchten. Nicht nur in den USA arbeitet man inzwischen fieberhaft an Alternativen zur Satellitenkommunikation (z.B. gerichtete Datenübertragung per Laser). Aber selbst wenn es gelänge, andere Kommunikationsmöglichkeiten zu entwickeln, bestünde immer noch die Abhängigkeit von GPS-Satelliten bei der Ortung, Orientierung und Navigation. Ohne Satellitennavigation wäre der schnelle Vorstoß amerikanischer Truppen im Irak 2003 praktisch unmöglich gewesen (Boot 2006).

Im Zuge der Hochtechnisierung ergibt sich ein weiteres Problem: Der Erfolg hängt im Wesentlichen davon ab, dass der technologische Abstand zum Gegner ausreichend groß ist und der Gegner nicht mit innovativen und unerwarteten Reaktionen kontert oder sich selbst mit modernen Waffensystemen ausrüstet. Die oben beschriebenen militärischen Erfolge haben aber zu einer sprunghaften Nachfrage nach Raketen, Cruise Missiles und unbemannten Drohnen geführt, die auch für westliche High-Tech-Armeen eine gefährliche Herausforderung darstellen. Im November 2010 stellte China z.B. auf der 8. International Aviation and Aerospace Exhibition in Zhuhai 25 neue Drohnen vor, darunter auch bewaffnete Modelle. Der Iran hatte einige Monate zuvor eine selbst konstruierte Drohne vorgestellt. Zumindest in einigen Bereichen ist das High-Tech-Monopol des Westens inzwischen also nicht mehr gegeben oder zumindest wurde viel Vorsprung eingebüßt.

Weil viele moderne Waffensysteme auf dual-use-Technologien basieren, ist es relativ einfach, zumindest Teile der RMA kostengünstig und mit geringem technischen Aufwand zu kopieren. Der Kampf der Hisbollah gegen Israel hat gezeigt, wie wenig selbst hoch technisierte Streitkräfte einem Gegner entgegenzusetzen haben, der mit relativ einfachen und per Zeitschaltung gezündeten Raketen Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung durchführt. Vermutlich mit iranischer Unterstützung gelangte die Hisbollah zudem in den Besitz von Anti-Schiff-Raketen, mit denen sie ein israelisches Kampfschiff schwer beschädigte.

Besonders deutlich werden die Grenzen der modernen Kriegsführung, wenn man die Ebene des klassischen Staatenkriegs mit seinen Schlachtfeldern und Frontverläufen verlässt und sich auf die so genannten »Kleinen Kriege«1 bzw. die Besatzungsphase nach einem bewaffneten Konflikt konzentriert. Die Beispiele Irak und Afghanistan haben gezeigt, dass dank deutlicher Luftüberlegenheit wenige – und dazu noch leicht ausgerüstete – Invasionstruppen schnelle Erfolge erzielen können, diese in der Besatzungsphase aber schnell in Schwierigkeiten geraten, wenn sie mit Guerilla-Widerstand konfrontiert werden. Die Statistik zeigt, dass die meisten westlichen Soldatinnen und Soldaten in der Phase des vermeintlichen Friedens, also nach dem Ende der regulären Kampfhandlungen, ums Leben kamen. Trotz enormer Investitionen in elektronische Gegenmaßnahmen haben sich improvisierte Sprengfallen (improvised explosive devices, IEDs) zur Hauptbedrohung westlicher Soldatinnen und Soldaten entwickelt. Solchen Angriffen von Aufständischen lässt sich mit High-Tech-Waffen nur schwer beikommen, weshalb in asymmetrischen Szenarien der Vorteil meist bei den militärisch »schwächeren« Guerilla-Kämpfern liegt.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass der Einsatz von High-Tech-Waffen zur Aufstandsbekämpfung oft für Zulauf zu den Aufständischen sorgt. Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet z.B., wo die CIA immer häufiger höchst umstrittene Drohnenangriffe gegen vermeintliche Terroristen und Aufständische fliegt, sorgen die Angriffe aus der Luft für extremen Ärger unter der Zivilbevölkerung, da sie als feige und »unheroisch« wahrgenommen werden. Für besonderen Unmut sorgt die Tatsache, dass völlig unklar ist, wie viele Zivilisten den vermeintlich hoch präzisen Drohnenangriffen zum Opfer gefallen sind. Die bislang seriöseste amerikanische Quelle geht davon aus, dass mindestens 30% aller von amerikanischen Drohnen Getöteten unschuldige Zivilisten sind (Bergen/Tiedemann 2009).

Das führt schließlich zur wohl bedeutendsten Grenze moderner Kriegsführung: Trotz der Versuche, diese als »chirurgisch«, »intelligent« und hoch präzise zu präsentieren, kennzeichnen hohe zivile Opferzahlen immer noch die aktuellen Militäreinsätze; der Krieg ohne eigenes und ziviles Blutvergießen bleibt eine unerfüllbare Illusion. Zwar sind die Fortschritte in der Aufklärung und die gestiegene Präzision aktueller Waffensysteme nicht von der Hand zu weisen. Aktuelle Studien haben gezeigt, dass westliche Demokratien im Kampf stärker auf Zivilisten Rücksicht nehmen, als das für autoritäre Regime gilt (Watts 2008), zumindest solange sie nicht unter zu starken militärischen Druck geraten und den Schutz der eigenen Seite gewährleisten können (Downes 2008).

Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich moderne Kriege vollziehen, den unklaren Frontverläufen, den städtischen Szenarien, der zunehmend unschärferen Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Infrastruktur und der oft nicht gegebenen klaren Unterscheidung in Kombattanten und Nicht-Kombattanten, liegt die Hauptlast des Krieges immer noch bei der Zivilbevölkerung. Das wird die zunehmende Technisierung des Krieges nicht verhindern können.

Krieg bleibt immer gleich

Das Versprechen westlicher Militärs, der Rüstungsindustrie und auch vieler Politikerinnen und Politiker, mit modernsten High-Tech-Waffensystemen dem Krieg seinen Schrecken zu nehmen, hat sich nicht erfüllt. Die Asymmetrie zugunsten westlicher Armeen, die Voraussetzung der modernen Kriegsführung, ist schon jetzt im Schwinden begriffen. Für die wahrscheinlichen Szenarien zukünftiger Auseinandersetzungen ist der blinde Glaube an die eigene technologische Überlegenheit kontraproduktiv. Aber selbst dort, wo die westliche Art der Kriegsführung noch uneingeschränkt zum Tragen kommt, bleiben hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, die von den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern im Sinne einer utilitaristischen Abwägung als notwendiges Übel hingenommen werden. Denn das Hauptaugenmerk gilt dem Schutz der eigenen Truppen. Reicht die Technologie zum Schutz nicht aus, gerät die moderne Kriegsführung an ihre Grenzen, so wird das Risiko auf andere Gruppen verlagert, z.B. indem westliche Truppen durch lokale Truppen mit einer vermeintlich höheren Opfertoleranz ersetzt werden oder die Toleranz gegenüber »Kollateralschäden« erhöht wird. Auch wenn Militärs und Politik etwas anderes behaupten: Die Grenzen der modernen Kriegsführung sind nicht nur erreicht, sie sind bereits überschritten.

Literatur

Beier, J. Marshall (2006): The Western Way of War. Outsmarting Technologies: Rhetoric, Revolutions in Military Affairs, and the Social Depth of Warfare. In: International Politics, Jg. 43, Nr. 2, S.266-480.

Bergen, Peter and Tiedemann, Katherine: Revenge of the Drones. An Analysis of Drone Strikes in Pakistan. 19. Oktober 2009; www.newamerica.net/publications/policy/revenge_of_the_drones.

Boot, Max (2006): War Made New. Technology, Warfare, and the Course of History 1500 to Today. New York: Gotham.

Downes, Alexander B. (2008): Targeting Civilians in War. Ithaca: Cornell University Press.

Mandel, Robert (2004): Security, Strategy, and the Quest for Bloodless War. Boulder: Lynne Rienner.

Minkwitz, Olivier (2008): Die technologische Komponente der militärischen Transformation. In: Jan Helmig / Niklas Schörnig (Hrsg.): Die Transformation der Streitkräfte im 21. Jahrhundert. Militärische und politische Dimensionen der aktuellen »Revolution in Military Affairs«. Frankfurt: Campus, S.63-80.

Neuneck, Götz / Alwardt, Christian (2008): The Revolution in Military Affairs, its Driving Forces, Elements and Complexity. IFAR Working Paper Nr. 13. Hamburg: IFSH.

Schörnig, Niklas (2009): In der Opferfalle. Die Bundesregierung und die zunehmenden Gefallenen der Bundeswehr in Afghanistan. HSFK-Standpunkt 2/2009, Frankfurt.

Shaw, Martin (2005): The New Western Way of War: Risk-Transfer War and Its Crisis in Iraq. Cambridge: Polity.

Sparrow, Robert (2007): Killer Robots. In: Journal of Applied Philosophy, Jg. 24, Nr. 1, S.62-77.

Watts, Stephen (2008): Air War and Restraint: The Role of Public Opinion and Democracy. In: Matthew Evangelista / Harald Müller / Niklas Schörnig (2008): Democracy and Security. Preferences, norms, and policy-making. London und New York: Routledge, S.53-71.

Wirbel, Loring (2010): Kriegsführung mit Drohnen. In: Wissenschaft & Frieden, Jg. 28, Nr. 3 (3-2010), S.42-45.

Anmerkungen

1) Der weit verbreitete Begriff des »Kleinen Krieges« soll das Kriegsgeschehen in diesen Konflikten in keiner Weise verharmlosen oder banalisieren. Er dient typologisch lediglich einer sprachlichen Abgrenzung vom »großen« zwischenstaatlichen Krieg.

Dr. Niklas Schörnig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Der Aufstieg der Drohnen

Der Aufstieg der Drohnen

von Dave Webb

Am 18. September 2010 fand in London eine Tagung zu »Drone Wars« (Drohnenkriegen) statt. Sie wurde organisiert vom Internationalen Versöhnungsbund (Fellowship of Reconciliation) und brachte zum ersten Mal in Großbritannien Wissenschaftler, Forscher und Friedensaktivisten zusammen, um Fragen zu diskutieren, die sich aus dem zunehmenden Einsatz unbemannter Flugkörper – so genannter unmanned aerial vehicles (UAVs), im Deutschen auch »Drohnen« – durch Sicherheitskräfte und Militärs zu diskutieren. In etwa 45 Ländern werden knapp 300 unterschiedliche Drohnentypen für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke vorgehalten oder entwickelt. Israel nutzt sie zur Aufklärung vor bewaffneten Angriffen auf den Libanon und Gaza. Die USA stationieren Tausende in allen Größen und Bauarten für eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten in Afghanistan und Pakistan und sind führend in der Entwicklung dieser Militärtechnologie.1 Drohnen machen immer häufiger Schlagzeilen, da sie in der Region Afghanistan-Pakistan erheblich zu zivilen Todesfällen beitragen.

Die Konferenz wurde von Chris Cole (Versöhnungsbund) eröffnet und geleitet. Der Versöhnungsbund führt seit einiger Zeit eine breitere Kampagne zur Aufklärung über die Nutzung von Drohnen durch Großbritannien. Seine neue Broschüre »Convenient Killing: Armed Drones and the ‚Playstation’ Mentality» (Bequemes Töten: Bewaffnete Drohnen und die ‚Playstation’-Mentalität) wurde auf der Konferenz vorgestellt. Vor kurzem deckte der Versöhnungsbund mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes auf, dass in den USA stationierte Piloten der britischen Luftwaffe mehr als 400 Drohneneinsätze in Afghanistan durchführten und in den ersten 17 Monaten seit der Stationierung der Reaper-Drohne im Jahr 2008 bereits 84 Raketen abschossen.

Noel Sharkey (Professor für Künstliche Intelligenz und Robotik an der Universität Sheffield) hielt einen erhellenden und zugleich beunruhigenden Vortrag über »Robotic Weapons: Where Next?« (Kampfroboter: Wohin als nächstes?). Es gab Workshops zum Einsatz von Drohnen durch Israel, zur Rechtmäßigkeit von Drohneneinsätzen und zur Drohnenforschung und –entwicklung durch die Firma BAE Systems. Eine Gruppe aus Wales berichtete über ihre Erfahrungen mit einer Kampagne, die sich gegen die Ausweitung von Drohnen-Testflügen in der Region wendet.

Schwerpunktthemen der Tagung waren u.a. die hohe Zahl getöteter Zivilisten durch Drohnenangriffe, der unrechtmäßige Einsatz von Drohnen für gezielte Tötungsaktionen der USA, die Möglichkeit, dass die Kriegsführung aufgrund der großen Distanz zwischen den Piloten vom tatsächlichen Gefechtsfeld immer mehr zum Computerspiel mutiert sowie die Besorgnis erregende Entwicklung künftiger Kampfrobotersysteme.

Die Problematik lässt sich an zwei Beispielen erläutern: Beim Einmarsch Israels in den Gaza im Winter 2008/2009 wurden mindestens 87 Zivilisten, viele davon Kinder, durch israelische Drohnen getötet. Der Bericht »Genau falsch: Zivilisten in Gaza durch israelische Drohnenraketen getötet«, von Human Rights Watch (Juni 2009), betont, dass Drohnenangriffe häufig gar keine entscheidende Rolle im Kampf- oder Verteidigungsgeschehen spielen, und kommt zum Schluss, dass es die israelischen Drohnenpiloten „versäumten, die nötige Vorsicht walten zu lassen“ und nicht ausreichend sicherstellten, dass es sich bei ihren Zielen nicht etwa um Zivilisten handelte.

In Pakistan wurden seit 2004 über 1.500 Menschen bei mehr als 165 Drohnenangriffen getötet, von denen 155 seit Januar 2008 ausgeführt wurden. Die meisten Opfer wurden zu Militanten erklärt, es gibt aber keine offiziellen Zahlen über getötete Zivilisten und Medienberichte sind weder zuverlässig, noch erzählen sie in der Regel die ganze Geschichte. So wurden im Juli vergangenen Jahres in Südwaziristan (Pakistan) mindestens 60 Menschen, die einer Beerdigung beiwohnten, Opfer eines Predator-Angriffs. Solche Angriffe heizen antiamerikanische Gefühle an und werden allgemein als Ausdruck für amerikanische Feigheit und eine ehrlose Kampfmentalität interpretiert. Die Folge: Sie taugen prima zur Rekrutierung neuer Terroristen.

Drohnen werden aber nicht nur vom Militär eingesetzt sondern auch vom US-Geheimdienst CIA, der schon 2004 heimlich die Firma Blackwater (heute Xe) damit beauftragte, hochrangige Al Kaida-Kommandanten in ihren geheimen Lagern in Pakistan und Afghanistan aufzuspüren und sie umzubringen. Das geschah zwar unter George W. Bush jun., setzte sich aber unter US-Präsident Obama fort. Im Oktober vergangenen Jahres warnte der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte, Philip Alston, die USA, dass »gezielte Tötungen« wahrscheinlich unrechtmäßig seien. Er mahnte, die CIA müsse das Völkerrecht einhalten, das willkürliche Hinrichtungen verbietet.

Auch aktuelle und künftige Forschungsvorhaben und Pläne für Kampfroboter wurden auf der Tagung vorgestellt. Maschinen müssen in Zukunft verzögerungsfrei Entscheidungen über Aktionen, Zielpunkte und Feuerbefehle treffen und daher immer autonomer agieren können. 2003 hielt es das US Joint Forces Command in seiner Studie »Unmanned Effects: Taking the Human Out of the Loop« (Unbemannte Wirkungen: Den Menschen aus der Entscheidungsfindung raushalten) für denkbar, dass im Jahr 2025 vernetzte, autonome Kampfroboter im Gefechtsfeld die Norm seien.

Ein Ziel der Tagung war es, Campaignern und Forschern den Informations- und Ideenaustausch zu ermöglichen, z.B. zu der oben bereits erwähnten Kampagne in Wales (siehe www.bepj.org.uk). Unter anderem drehte sich die Diskussion um die Frage, wie die Medien zur Berichterstattung animiert werden können und wie sich die Behauptung, dass solche Technologien vor Ort neue Jobs schaffen, kontern lässt.

Es wurde vereinbart, die Zusammenarbeit zum Thema Drohnen fortzusetzen (Informationen unter www.for.org.uk).

Der Dringlichkeit des Themas ist wohl geschuldet, dass sich im September bzw. Oktober dieses Jahres in Europa zwei weitere Tagungen mit den Folgen von Forschung und Entwicklung für die Roboterkriegsführung befassen.

Ein Seminar, das am 11. Oktober in London stattfindet, wird vom Science Policy Centre der Royal Society durchgeführt und geht u.a. folgender Frage nach: »Controlling drone wars: time for restrictions on armed robots?« (Rüstungskontrolle bei Drohnen: Zeit für Beschränkungen bei bewaffneten Robotern?). Dabei geht es um ethische, juristische und politische Fragestellungen im Zusammenhang mit der Weiterverbreitung von Kampfrobotern. Auch der mögliche Trend zu autonom agierenden Systemen wird dort diskutiert.

Einige Tage früher organisiert das International Committee for Robot Arms Control (ICRAC) einen Workshop in Berlin. Das ICRAC fordert ein Rüstungskontrollregime ein, das die Stationierung autonomer Roboter im Krieg regelt und die Entscheidung über tödliche Gewaltanwendung nicht allein Maschinen überlässt (mehr Informationen unter www.icrac.co.cc).2

Der Einsatz von Robotern revolutioniert die Kriegsführung. Er ist eine Herausforderung für honoriges, ethisches und rechtmäßiges Verhalten in den Forschungslabors und auf dem Gefechtsfeld. Daher müssen wir uns dringend mit den permanenten technologischen Weiterentwicklungen befassen. Die Tagung in London und die anderen kurz danach geben hoffentlich den entsprechenden Anstoß.

Anmerkungen

1) Siehe Loring Wirbel, Kriegsführung mit Drohnen. In: W&F 3-2010, August 2010.

2) Anmerkung der Redaktion: Für W&F 1-2011, das sich schwerpunktmäßig mit moderner Kriegsführung befasst, schreibt Jürgen Altmann im Kontext dieser Tagung einen Artikel zur Rüstungskontrolle bei Robotern.

Dave Webb, Übersetzt von Regina Hagen

Kriegsführung mit Drohnen

Kriegsführung mit Drohnen

von Loring Wirbel

Im März 2010 berichtete Ronald Arkin vom Georgia Institute of Technology der Zeitschrift The Economist, seine Forschungsgruppe arbeite an der Software »Ethical Architecture« zur Steuerung unbemannter Flugkörper (Unpiloted Aerial Vehicles/UAVs, das sind so genannte Drohnen). Mit dem Programm sollen Drohnen in die Lage versetzt werden, während des Flugs unter ethischen Kriterien über einen bewaffneten Angriff zu entscheiden. Das scheint zunächst makaber, zeigt aber ein Bewusstsein für die ethischen Probleme, die durch Drohnenangriffe auf Menschen aufgeworfen werden, das die Regierung unter Barack Obama seit ihrem Amtsantritt im Januar 2009 vermissen ließ.

Am 14. Mai 2010 enthüllte die New York Times, dass die US-Regierung den radikalen Prediger Anwar al-Awlaki, der in den USA zur Welt kam, gezielt zum »Tod durch Drohne« freigegeben hat. Der US-Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) wurde zwar in den 1970er und 1980er Jahren durchweg für Mordversuche an Staatsführern wie Fidel Castro (Kuba) und Patrice Lumumba (Kongo) kritisiert, dennoch nimmt die CIA im Rahmen der Drohnenkriegsführung nach wie vor Personen ins Visier. Es ist absurd: Der US-Nachrichtendienst National Security Agency (NSA) darf die elektronische Kommunikation eines Verdächtigen erst nach einem aufwendigen Genehmigungsprozess abhören. Wenn die CIA einen Verdächtigen aber mit einer Drohne umbringen will, braucht sie dafür lediglich ein Genehmigungsverfahren des Nationalen Sicherheitsrates der USA.

Wie kam es, dass die Vereinigten Staaten wieder auf die freizügigen CIA-Praktiken aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zurück griffen? Ein Grund ist wohl das Bestreben, in Irak und Afghanistan billig zu militärischen Erfolgen zu kommen. Ein weiterer Grund ist, dass im Pentagon und in den Geheimdiensten die Meinung vorherrscht, Drohnenangriffe verursachten weniger »Kollateralschäden« (getötete Zivilisten) als ausgedehnte Luftangriffe. Gekoppelt mit der relativ neuen Möglichkeit, robotische Flugkörper mit Hilfe von Mikroelektronik und weltraumgestützten Navigationssystemen zu steuern, führt dies fast zwangsläufig zur Aufwertung von Drohnen zum Kernelement der Kriegsführung.

Die Zuständigkeit für Drohnen bei bewaffneten Einsätzen ist nur schwer auszumachen, da das Verteidigungsministerium und die CIA inzwischen zur Genehmigung von bewaffneten Drohnenangriffen ein kompliziertes Verfahren auf drei Ebenen eingeführt haben. Einigermaßen transparent ist die Zuständigkeit der US-Luftwaffe für Dutzende von Drohnenflügen, die täglich über Konfliktzonen stattfinden. Dabei handelt es sich meist um unbewaffnete Aufklärungsflüge. Wenn der Einsatz Teil einer größeren, integrierten Offensive ist, kann die Luftwaffe auch bewaffnete Drohnenangriffe mit Hellfire-Raketen oder JDAM-Fliegerbomben anordnen. Allerdings wurde dem Pentagon schon bei den Angriffen auf Afghanistan im Oktober 2001 klar, dass es die traditionellen militärischen Einsatzregeln auf Grund der vielstufigen Befehlskette schwer machen, mit Drohnen auf Individuen zu zielen.

Ab 2002 leitete die CIA von ihren Basen in Djibouti und Katar aus viele bewaffnete Drohnenmissionen. Für die Geheimdienste war es einfacher, Flüge zum Ausschalten von islamistischen Kampfgruppen freizugeben, waren die Regeln für einen Raketeneinsatz doch weniger stringent, wenn die zuständige Behörde ihre Beteiligung an dem Einsatz gegenüber der Öffentlichkeit nicht zugab.

Seit aber Präsident Obama ins Weiße Haus einzog, ist sogar noch eine weitere Ebene der Drohnenzuständigkeit aufgetaucht, die es der nationalen Führung erlaubt, bestimmte Drohnenflüge einfach abzustreiten – diese Verschleierung der Befehlsgewalt bezeichnet die CIA gerne als »plausible Dementierbarkeit«. Nach Angaben des Journalisten Jeremy Scahill und etlicher anderer Quellen führt das Joint Special Operations Command (JSOC, streitkräfteübergreifendes Kommando für Sondereinsätze) unbestätigte bewaffnete Drohnenangriffe in Afghanistan, Pakistan und Irak durch. Diese Einsätze werden direkt von Blackwater durchgeführt (die Firma nennt sich inzwischen Xe), und zwar über die Tochtergesellschaften Blackwater Select Inc. und Total Intelligence Solutions Inc. Die Drohnen werden in Pakistan und Afghanistan von Basen gestartet, deren Existenz quer durch die militärischen Hierarchien abgeleugnet wird.

Seit CIA-Direktor Leon Panetta US-Präsident Obama im Februar 2009 neue Drohneneinsätze vorschlug, steigen die Zahlen von Drohnenangriffen und der dadurch verursachten Todesfälle von Zivilisten buchstäblich jeden Monat. Einige Analysten, denen das Potential von Drohnen erst in jüngerer Zeit bewusst wurde, nennen Obama inzwischen »Drohnenpräsident«. In Folge dessen stieg in den USA die Kritik an den Drohneneinsätzen, und sie geht sowohl von progressiven Gegnern des Kriegs als auch von konservativen Gegnern des Präsidenten aus. Aber gebührt Obama das zweifelhafte Verdienst, Erfinder der Drohnenkriegsführung zu sein? Ein kurzer Blick in die Geschichte unbemannter Flugkörper macht rasch klar, dass Drohnen bereits in der Amtszeit von Bill Clinton und George W. Bush jr. eine Rolle spielten. 2009/10 besteht der Unterschied darin, dass Obama Drohnen zu seiner »Waffe der Wahl« für Irak, Afghanistan und Pakistan gemacht hat.

Roboterplattformen und automatisierter Krieg

Drohnen werden von allen Staaten mit nennenswerten Streitkräften eingesetzt. Die allererste Variante eines unbemannten Flugkörpers war der Marschflugkörper V-1 der deutschen Wehrmacht, Drohnen wurden aber bis zum Vietnam-Krieg vor allem für die Schulung von Kampfpiloten genutzt. Bisweilen ergänzten sie auch die U2- und SR71-Spionageflüge über China und Vietnam. Als eine kostengünstige Alternative zu bemannten Flugzeugen gelten sie aber erst seit den 1990ern, als die Mikroelektronik so weit fortgeschritten war, dass leistungsfähige Radar-, Bildverarbeitungs- und Abhörelektronik auf Träger montiert werden konnten, die kleiner als ein kompakter Personenwagen waren.

Etwa zur selben Zeit war die Entwicklung »intelligenter Bomben« so weit fortgeschritten, dass es in den Bereich des Möglichen rückte, Hellfire-Raketen und JDAM-Fliegerbomben von unbemannten Plattformen abzufeuern, da sie nach dem Abschuss bis zu einem gewissen Maß zur intelligenten Zielfindung fähig waren. Als diese Technologien in den späten 1990er Jahren einsatzreif wurden, begann das Pentagon, die unterschiedliche Bestimmung der unbemannten Flugkörper bereits anhand der Namensgebung zu unterscheiden: die Serienbezeichnung RQ wurde für unbewaffnete Aufklärungsdrohnen gewählt, MQ für bewaffnete Angriffsdrohnen.

Routinemäßige Drohneneinsätze gab es zum ersten Mal bei den Bombenangriffen im Kosovo-Krieg, als US-Drohnen nach Taszar (Ungarn), Gjader (Albanien) und Tuzla (Bosnien) verlegt wurden, um Serbien mit einem Netz von Drohnen zu umgeben, die ständig auf Patrouille waren. Allerdings wurden diese unbemannten Flugkörper fast ausschließlich zur Aufklärung genutzt, da bewaffnete Drohnen erst im Jahr 2000 zur Verfügung standen.

Inzwischen reicht die Bandbreite verfügbarer Drohnen von handgestarteten Miniaturgeräten in der Größe einer Libelle bis zum Global Hawk, der etwa so groß wie ein Business Jet ist und pro Stück bis zu 60 Millionen US$ kostet. Drohnen finden sich in den Arsenalen von mehr als 40 Ländern, allerdings werden etwa 60% der Einsätze von den Vereinigten Staaten durchgeführt. Mit Drohnen werden weltweit inzwischen über fünf Milliarden US$ pro Jahr umgesetzt. Wurden 2003 über Irak, Afghanistan und Pakistan noch etwa 35.000 Flugstunden von US-Drohnen registriert, so wird für 2010 schon mit fast einer Milliarde Flugstunden gerechnet.

Als in den 1990er Jahren die ersten kleinen Drohnen aufkamen – darunter die Typen Hunter und Pioneer von TRW und QL-289 von Bombardier/Dornier –, waren noch keine autonomen Einsätze möglich, sondern die Steuerung erforderte eine erhebliche Mitwirkung von Piloten am Boden. Die zwei wichtigsten Plattformen aus den frühen Jahren der Afghanistan- und Irak-Kriege waren der in großen Höhen fliegende Global Hawk RQ-4, der von Northrop Grumman gebaut und ausschließlich zur Aufklärung eingesetzt wurde, sowie der tief fliegende Predator von General Atomics, der sich sowohl für RQ-Aufklärungseinsätze als auch für bewaffnete MQ-Einsätze eignet. Diese Systeme werden vom Boden aus von Piloten befehligt, deren Expertise mehr mit der eines erfahrenen Videospielers zu tun hat als mit der eines herkömmlichen Flugzeugpiloten. Die Schulungszentren, z.B. auf den Luftwaffenstützpunkten Creech (Nevada) und Holloman (New Mexico), ähneln Spielhallen – und tatsächlich streifen die Rekrutierungsbeauftragten der US-Luftwaffe und sogar der US-Armee seit dem Jahr 2000 auch durch Spielhallen, um zur Steuerung dieser Drohnen Teenager mit besonders flinker Auge-Hand-Koordination anzuheuern.

Als der Krieg gegen Ende des Jahrzehnts auf Pakistan übergriff, gab es von der bewaffneten Predator-Version bereits drei Generationen: den MQ-1 Predator A, den MQ-9 Predator B (auch Reaper genannt, = Sensenmann) sowie den Prototypen von Predator C (Avenger, = Rächer). Für einen bewaffneten Drohneneinsatz werden auf dem Boden bis zu 30 Kräfte gebraucht, und selbst für eine Aufklärungsdrohne noch bis zu 20. Die Zielsoftware für solche Systeme wurde ursprünglich mit dem Joystick von einem Laptop aus bedient, inzwischen gibt es auch schon Touchscreen-Ausführungen für kleine Endgeräte, z.B. für das iPhone. Das Training muss allerdings weiterhin von militärischen Spezialkräften durchgeführt werden, die mit GPS-gestützten Navigationswerkzeugen umgehen können, weshalb bei Einsätzen, die ausschließlich mit Drohnen arbeiten, auf einen »space cadre« (Weltraum-Kader) nicht verzichtet werden kann, also auf Experten, die mit militärischer Weltraumtechnologie vertraut sind.

Die gezielte Mitwirkung der Firma General Atomic an CIA-Einsätzen begann mit der Aufklärungsdrohne Gnat (Moskito), die von den ersten CIA-Teams genutzt wurde, als sie als Reaktion auf die Attentate vom 9. September begannen, in Afghanistan einzusickern. Am 7. Oktober 2001, also dem ersten Tag der Luftangriffe der »Allianz der Willigen« auf Afghanistan, konnte der Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar dem CIA beim ersten Versuch, ihn zu töten, entkommen, weil die Erteilung der Abschussgenehmigung durch die Befehlshierarchie des Pentagon verzögert wurde. Daraufhin verlangte die CIA für ihre Einsätze weniger strikte Regeln. Am 15. November 2001 wurde bei einem gezielten Tötungseinsatz eines Predator Mohammed Atef getötet; im November 2002 meldete die CIA nach einem bewaffneten Großangriff mit Drohnen auf al Kaida Erfolg.

Als vor der Invasion in den Irak im Zuge des regionalen Truppenaufbaus neue CIA-Basen in Djibouti und Katar eingerichtet wurden, bekam die CIA ihre eigenen Predator-Drohnen, die getrennt von denen des Pentagon abgerechnet und inventarisiert wurden. Diese Aufrüstung wirft die Frage der Rechenschaftspflicht bei solchen Angriffen auf. Am 3. November 2002 beispielsweise wurde von der CIA-Basis in Djibouti ein Predator gestartet, der im Jemen eine Hellfire-Rakete auf ein Auto abfeuerte und alle sechs der al Kaida zugerechneten Insassen tötete. Die Regierung Bush behauptete, die CIA habe vor dem Abschuss der Hellfire keine Identitätsüberprüfung angefordert. Da sowohl die Bedeutung des Jemen als auch die der CIA-Basis in Djibouti in den Jahren 2009-10 erheblich zugenommen hat, ist die Frage angebracht, wo wohl die Verantwortung für künftige Angriffe liegen mag, die auf jemenitischem Hoheitsgebiet stattfinden.

Drohnen als Jäger und Killer

Während sich der erste Predator für den zielbestimmten Angriff eignete, handelt es sich beim neueren Predator B Reaper um den ersten so genannten »hunter-killer« (Jäger-Killer). Er kann zunächst im Aufklärungsmodus über einem Bereich kreisen und dann in den Angriffsmodus umschalten. Der neun Meter lange Reaper fliegt 400 km/h, überträgt bis zu zehn Echtzeit-Videobilder pro Sekunde und ist mit bis zu 14 Raketen und zwei 1.000 kg-Fliegerbomben bewaffnet. Die Bewaffnung geht dabei nicht zu Lasten der Aufklärungsmöglichkeit. Der Reaper begann vor zwei Jahren die erste Predator-Generation zu ersetzen, und schon 2009 bildete das Air Education and Training Command der US-Luftwaffe mehr Piloten für die bodengestützte Steuerung unbemannter Flugkörper aus, als für Einsätze mit herkömmlichen Flugzeugen.

Auch beim Einsatz von Kampfrobotern wie dem Predator spielen unbewaffnete Drohnen oder bodengestützte Elektronik bei der Zielfindung häufig eine wichtige Rolle. Den Global Hawk beispielsweise halten viele für ein reines Spionagesystem, da er in Höhen von 18.000 m oder mehr fliegt. Der Global Hawk kann aber durchaus Ziele erkunden, die später von einem Predator angegriffen werden. Aus diesem Grund wird der Global Hawk auch in anderen Regionen stationiert, z.B. zur Überwachung Nordkoreas.

Ein neues Folgesystem, RQ-170 Sentinel (Wächter), das den Spitznamen Beast of Kandahar (Bestie von Kandahar) trägt, wurde von Lockheed Martin Advanced Development Programs entwickelt und nutzt wie der B2-Bomber die Tarnkappentechnologie; d.h. der Sentinel kann überhaupt nur vom neuesten High-Tech-Radar erfasst werden. Da die afghanischen Taliban keine und selbst die pakistanischen Militärs nur über einfache Radarsysteme verfügen, ist davon auszugehen, dass mit Sentinel vor allem der Einsatz von Drohnen im pakistanischen Luftraum vor dem pakistanischen Militär geheim gehalten werden soll. Hartnäckig halten sich außerdem Gerüchte, es sei auch eine bewaffnete MQ-Version des Sentinel entwickelt und sogar stationiert worden.

Deshalb kommt dem Joint Special Operations Command (JSOC) eine besondere Bedeutung zu. Der investigative Journalist Jeremy Scahill schrieb im Dezember 2009 in der Zeitschrift The Nation, dass das JSOC in der pakistanischen Stadt Karachi eine Außenstelle aufgebaut hat, deren Existenz von offiziellen Stellen nicht bestätigt wird und die ausschließlich mit Angestellten der Sicherheitsfirmen Blackwater Select und Total Intelligence Solutions Inc. betrieben wird. Die dort stationierten Teams beteiligen sich an so genannten »extraordinary renditions« (eine vom US-Gesetz nicht gedeckte Überstellung von Personen an andere Länder, die z.B. Verhöre unter Anwendung von Folter durchführen; die Übersetzerin) sowie an Drohnen-Bombardements im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Die Recherchen von Scahill deckten sich mit den Aussagen mehrerer Artikel in der New York Times. Diese berichtete im August 2009, dass Blackwater in der Vergangenheit eine »Eingreiftruppe« steuerte, die vom Büro des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney eingerichtet worden war. Später war die Truppe auch für Einsätze mit bewaffneten Drohnen zuständig – zusätzlich zu den Drohnen, die die CIA ohnehin im Arsenal hatte.

Die CIA startet aber auch selbst unbemannte Flugkörper in Pakistan und Afghanistan, und zwar von Shamsi und Dschalalabad aus. Allerdings gerieten sie damit in Pakistan zunehmend in die Kritik, insbesondere, seitdem US-Präsident Obama und CIA-Direktor Panetta im vergangenen Januar einer Ausweitung des Programms zustimmten. Seither haben JSOC und Blackwater einige Führungsposten übernommen und starten Drohnen unter eigener Regie, nutzen dazu aber spezielle JSOC-Standorte in oder dicht an Waziristan und anderen pakistanischen Grenzprovinzen.

Diese Struktur zum Management von Drohnen ist vor dem Hintergrund der Pläne zu einem konventionellen »Prompt Global Strike« zu sehen. (Dies bezeichnet die Möglichkeit, jeden Punkt der Erde innerhalb von 30 Minuten mit konventionellen Waffen angreifen zu können; die Übersetzerin.) Diese Pläne der Obama-Regierung drangen im Mai 2010 im Kontext der Vertragsverhandlungen über nukleare Abrüstung mit Russland an die Öffentlichkeit. Global Strike selbst ist nichts Neues. Die Idee, ein Arsenal konventioneller Waffen für prompte Präzisionsschläge vorzuhalten, wurde im August 2003 beim Strategischen Kommando des US-Militärs in Omaha/Nebraska zum ersten Mal diskutiert, als die militärische Führung überlegte, die Zuständigkeit für Drohnen mit der für konventionell bewaffnete Minuteman III-Raketen zusammen zu legen. Seither wurde beim Strategischen Kommando ein Global Strike-Kommando angesiedelt, das die Obama-Regierung auch in einer Welt für entscheidend hält, in der die Rolle von Kernwaffen immer mehr zurück gefahren wird.

Die wachsende Bedeutung des Weltraums für militärische Operationen und die Zuständigkeit des Strategischen Kommandos für Drohneneinsätze ergab sich aus der Neuausrichtung der »strategischen Triade« durch den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Die alte Triade bezog sich nur auf Kernwaffen und unterschied zwischen drei Kategorien strategischer (Kern-) Waffen bzw. Trägersysteme: land-, see- und luftgestützt (letzteres sind die Kernwaffenbomber). Die neue Triade umfasst nun die folgenden drei Bereiche:

Offensivwaffen einschließlich Drohnen, Flugzeuge, Schiffe und Raketen, wobei die Unterscheidung in nuklear und konventionell entfällt,

Defensivwaffen einschließlich Raketenabwehr und

Infrastruktur einschließlich der globalen und weltraumgestützten Aufklärungs- und Kommunikationsnetzwerke.

Das Strategische Kommando hat in allen drei Bereichen eine Schlüsselposition.

Im Frühjahr 2009 lieferte Lockheed Martin an das Strategische Kommando der USA ein Internet-Portal aus: Integrated Strategic Planning and Analysis Network Kollaborative Information Environment (ISPAN-CIE, Strategisches Planungs- und Analysenetzwerk – gemeinsame Informationsumgebung). Dieses Tool weist dem Global-Strike-Kommando sowie dem Weltraumkommando der US-Luftwaffe eine zentrale Rolle bei der Missions- und Zielplanung sämtlicher bewaffneter und unbewaffneter Drohnen zu, auch der Drohnen von JSOC, sowie eine gewisse indirekte Aufsicht bzw. sogar Kontrolle der unbemannten Flugkörper der CIA. Der Zugriff auf diese Werkzeuge gibt dem Strategischen Kommando der USA die Illusion, es seien nach wie vor Menschen in die Befehlskette eingebunden. General Kevin Chilton, der Oberkommandierende des Strategischen Kommandos, sagte, dieser »Befehlskreis« sei inzwischen auf Mikrosekunden verkürzt. Viele Kritiker, auch solche aus dem Militär, befürchten hingegen, dass die Verteilung der Einsatzregeln für bewaffnete Drohnen auf drei Ebenen in Kombination mit der Fähigkeit von Hunter-Killer-Drohnen, eigenständig den Zeitpunkt eines Angriffs auf ein bestimmtes Ziel festzulegen, letztlich dazu führt, dass bewaffnete Drohnenangriffe ohne jegliche menschliche Intervention stattfinden können.

Dies war jüngst der Auslöser für das Interesse der Medien für Roland Arkins Entwicklung einer »Drohnenbewusstsein«-Software. Das Pentagon hat ein Netz von Drohnen, bemannten Flugzeugen sowie Aufklärungs-, Navigations- und Kommunikationssatelliten in seine »einheitliche Luft- und Weltraum-Umgebung« eingebaut. Gemäß den Anforderungen für Prompt Global Strike muss dieses System in Krisenzeiten tatsächlich prompt, d.h. nahezu ohne Verzug, funktionieren. Das vernetzte System ist auf die Nutzung des Weltraums angewiesen und setzt quasi eine unilaterale Inanspruchnahme des Weltraums, wie sie 2006 in der Nationalen Weltraumpolitik der Regierung Bush zum ersten Mal formuliert wurde, voraus. Obwohl Peter Marquez vom Nationalen Sicherheitsrat 2009 von Präsident Obama mit der Ausarbeitung einer neuen multilateralen Weltraumpolitik beauftragt wurde, ist darüber noch nicht viel nach außen gedrungen. Wenn in der Strategie Kernwaffen zunehmend von Prompt Global Strike verdrängt werden und der Einsatz von Drohnen in Pakistan und Afghanistan immer üblicher wird, ist die unilaterale Weltraumnutzung damit impliziert.

Die Frage des Einsatzes von bewaffneten Drohnen wird sich sicherlich im Laufe des Jahres 2010 weiter zuspitzen, wenn Präsident Obama die Truppen in Afghanistan um 35.000 Soldaten aufstockt und eine bewaffnete Version der Drohne Sentinel in Pakistan stationiert wird und wenn vielleicht die weitgehend autonom agierende Kampfplattform auch noch um Tarnkappenmerkmale aufgerüstet wird. Die Kriegsführung mit Robotern ist bereits in vollem Gange.

Loring Wirbel lebt in Colorado Springs, dem Standort der Peterson Air Force, der u.a. das Nordkommando (NORAD) und die Weltraumkommandos der US-Luftwaffe und US-Armee beherbergt. Er schreibt seit mehr als 20 Jahren über Kommunikations-, Radar- und elektronische Aufklärungs- bzw. Spionagetechnologie und hat dabei häufig Militärdienstleister im Blick.
Übersetzt von Regina Hagen.

Pakistan im Visier

Pakistan im Visier

von Graham Usher

Unter dem Kürzel »Afpak« ist die Regionalisierung des Afghanistan-Krieges in der Strategiedebatte der USA bekannt geworden; tatsächlich hat der Krieg zahlreiche regionale Dimensionen und verschiedene Akteure versuchen, die Entwicklung in Afghanistan zu beeinflussen. Dabei ist – wie am Beispiel Pakistans gezeigt wird – das Verhältnis zu den Taliban und aktuellen Entwicklungen, wie etwa dem möglichen Rückzug der US- und NATO-Truppen, von einer Vielzahl von Faktoren abhängig.

Pakistan steht im Mittelpunkt des Plans von Präsident Barack Obama, den US-Krieg in Afghanistan zu beruhigen. Wenn es – wie er beteuert – das „allumfassende Ziel“ ist, „Al Qaeda in Afghanistan zu stören, zu demontieren und zu besiegen“, dann wird der Krieg vor allem in Pakistan geführt werden. Denn in Afghanistan ist Al Qaeda mit seinen weniger als einhundert Kämpfern schon vor längerem besiegt worden.

Und wenn es das Ziel des Militärs ist, die Taliban zu schwächen, dann wird der Kampf vor allem im Süden Afghanistans und an seinen südlichen Grenzen zu Pakistan, dem paschtunischen Kernland des Aufstandes, geführt werden. Wenn die Taliban-Guerilla bloß die Grenze nach Pakistan überschreitet, ist Islamabad als Haltelinie gefordert, die eine Neuformierung der Taliban verhindert und diese stattdessen festsetzt und zerschlägt. Geht es nach den Visionen, die US-General David Petraeus, Kommandierender des US-Zentralkommandos CENTCOM, gegenüber dem US-Kongress formuliert hat, dann sollen die pakistanischen Armee und Sicherheitsdienste als „Fanghandschuh oder als Amboss“ für den US-amerikanischen Werfer bzw. Hammer dienen.

Pakistan allerdings ist geneigt, weder die eine noch die andere Rolle zu übernehmen. Das militärische Establishment des Landes steht Obamas Truppenverstärkung (»surge«) in Afghanistan ablehnend gegenüber, weil es fürchtet, dass die Talibankämpfer dadurch tatsächlich über die Grenze getrieben werden, wo sie sich einem Talibanaufstand auf pakistanischem Gebiet anschließen würden, in den bereits jetzt 200.000 pakistanische Soldaten entlang der Grenze zu Afghanistan verstrickt sind. Pakistans belagerte Zivilregierung will auch keinen Beginn des Rückzugs der US-Truppen im Juli 2011, wie Obama es angekündigt hat. Wie langsam auch immer die Reduzierung stattfinden würde – die Regierung weiß, dass mit dem Abzug der USA aus Afghanistan auch der besondere Status Pakistans als Frontstaat verschwände – und damit auch die damit verbundene Freigebigkeit. Und die Bevölkerung Pakistans lehnt sowohl die Truppenaufstockung als auch den Rückzug ab. Während die Klugen unter ihnen anerkennen, dass sich Pakistan einer im eigenen Land entstandenen islamistischen Rebellion in den Stammesgebieten und in der nordwestlichen Grenzprovinz gegenübersieht, wissen die meisten, dass die historische Ursache ihres Konflikts in der elendigen 30-jährigen Verwicklung des US-Militärs wie der pakistanischen Streitkräfte in die Verhältnisse in Afghanistan zu finden ist.

Bevölkerung, Regierung und Militär teilen die Interpretation, dass Obamas kürzliche Attacke auf die Taliban die Anerkennung der US-Niederlage ist. Für einige ist es zudem die Rehabilitierung der pakistanischen Militärstrategie gegenüber Afghanistan, nachdem General Pervez Musharraf dazu gezwungen worden war, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im »Kampf gegen den Terror« die Seiten zu wechseln.

Die Strategie bestand in selektiver Aufstandsbekämpfung. Auf Drängen der USA haben Agenten der Armee und der Geheimdienste Jagd auf Al Qaeda gemacht und der CIA bzw. den Visieren von »Predator«-Drohnen eine große Zahl von Flüchtlingen und Verdächtigen – aber auch etliche einheimische Gegner, die nichts mit Al Qaeda zu tun haben – ausgeliefert. Der bekannteste Gefangene ist Khalid Sheikh Mohammed, der angebliche Vordenker der Anschläge vom 11. September, den die Obama-Administration vor ein Zivilgericht in New York stellen möchte. Im Jahr 2009 hat die Armee – in einer verspäteten Offenbarung von Eigeninteresse – den Kampf mit den pakistanischen Taliban und anderen mit diesen kooperierenden sunnitischen Jihad-Gruppen in deren neuen »Emiraten« in Swat, Bajaur und Südwasiristan gesucht, also in jenen Gebieten, die Obama als das Epizentrum des gewaltsamen, von Al Qaeda praktizierten Extremismus bezeichnet hat. Als Vergeltung und in Erinnerung an Al Qaeda im Irak richten diese Gruppen in pakistanischen Städten wie Peschawar Massaker an.

Allerdings hat die Armee niemals die afghanischen Taliban und deren Anführer Mullah Omar verfolgt. Auch hat sie nie mit den afghanischen Taliban verbündeten Kommandeuren wie Jalaluddin und Sirajuddin Haqqani oder Gulbuddin Hekmatjar zugesetzt, deren Bataillone sich in Balutschistan und Stammesgebieten wie Nordwasiristan aufhalten. Diese Milizen bekämpfen die US- und NATO-Streitkräfte in Afghanistan, haben aber kein Interesse daran bzw. lehnen es explizit ab, den Aufstand auf Pakistan auszuweiten. Die Armee hat stattdessen – wie der pakistanische Militärexperte Ayesha Siddiqa formuliert – vielfältige Beziehungen zu diesen »pro-pakistanischen« Gruppen als „eine Art Versicherung“ gepflegt. „Das Militär hat vor 9/11 in den Taliban einen Aktivposten gesehen. Warum sollte es diesen zerstören, besonders wenn die ausländischen Truppen abziehen und in Afghanistan ein Machtvakuum entsteht?“

In den kommenden 18 Monaten wird Washington enormen Druck auf Islamabad ausüben, um eine Änderung dieses Kalkül zu erreichen. Nur wenige pakistanische Beobachter gehen davon aus, dass die Armee und ihre Geheimdienste dies können oder wollen. Diese gutbezahlten Klienten der USA wollen ihre Förderer nicht unbedingt bluten sehen in Afghanistan, aber sie sind widerspenstig gegenüber dessen Mahnungen, weil kein Staat zu Handlungen gezwungen werden kann, die er als selbstzerstörerisch ansieht. Kein pakistanischer General glaubt, dass Obamas Truppenaufstockung die Taliban innerhalb von 18 Monaten zum Rückzug zwingen kann, wo dies doch US- und NATO-Truppen seit acht Jahren vergeblich versuchten haben. Und sobald im Endergebnis die Auseinandersetzung von Washington für beendet erklärt wird, benötigt Pakistan die früheren Mitspieler, die afghanischen Taliban, die Haqqanis und Hekmatjar, um den Kampf in dem nach-amerikanischen afghanischen Kriegen aufzunehmen.

Eine Front zuviel

Während Obama sehr klar formulierte, was in Afghanistan zu tun sei, blieb er anlässlich der Verkündung der Truppenaufstockung vor Kadetten in West Point am 1. Dezember 2009 bezüglich Pakistan recht bedeckt. Er konterte den Vorwurf, die USA seien – wie bereits nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan 1989 – wieder dabei, die Region Hals über Kopf zu verlassen, mit einem Bekenntnis zur Fortsetzung der Engagements zugunsten Islamabads. „Amerika wird ein starker Unterstützer der pakistanischen Sicherheit und Prosperität auch noch lange nach der Einstellung der Kampfhandlungen bleiben“, betonte er. Aber Washington werde „keine sicheren Rückzugsorte für Terroristen, deren Aufenthalt bekannt und deren Ziele eindeutig seien, tolerieren“, fügte er mit Blick auf die Praxis Pakistans, einige radikale Islamisten zu bekämpfen, andere jedoch ungestört zu lassen, hinzu.

Vor dem Senatskomitee für die Streitkräfte äußerte sich Außenministerin Hillary Clinton am 2. Dezember 2009 über die neue Politik hingegen deutlicher. „Es ist schwierig, die verschiedenen Gruppen, die in Pakistan operieren und die alle – so denken wir – in der einen oder anderen Weise mit Al Qaeda in Verbindung stehen, auseinander zu halten, einige auszulassen und andere zu verfolgen“, sagte sie. „Es wird unser fortgesetztes Bemühen sein (…), zu einer Situation zu kommen, in der die Pakistani mehr gegen all die aufständischen terroristischen Gruppen tun, die sie bedrohen, die uns und die afghanische Bevölkerung in Afghanistan bedrohen sowie andere Nachbarn in der Region.“

Um zu einer solchen Situation zu kommen, schlagen die USA einen Deal vor. Die Obama-Administration wird Islamabad anbieten, dass die US-Hilfs- und Handelszusagen „unbegrenztes Potential“ haben und dass ihre Diplomaten dabei helfen werden, die Spannungen mit Indien um die umstrittene Region Kaschmir und bezüglich der Anschläge in Mumbai 2008, bei denen New Delhi von einer Beteiligung pakistanischer Stellen ausgeht, zu reduzieren. Im Gegenzug wird von der pakistanischen Armee erwartet, dass sie gegen die Rückzugsorte der afghanischen Taliban und mit ihr verbündeter Aufständischer auf dem eigenen Staatsgebiet vorgeht – oder US-Spezialeinheiten die Möglichkeit dazu gibt. Ein pakistanischer Offizieller interpretierte die Botschaft der Obama-Administration so: „Wenn pakistanische Hilfe nicht stattfindet, müssen die USA es selbst in die Hand nehmen.“

Die deutliche Sprache ist kein Bluff. Obama hat bereits einen neuen CIA-Plan bestätigt, demzufolge das Einsatzgebiet der »Predator«-Drohnen innerhalb Pakistans von den Stammesgebieten auf die »befriedeten« Regionen wie Balutschistan ausgedehnt wird, wo Mullah Omar angeblich zeitweise Zuflucht sucht. Der Plan sieht bei der Verfolgung von Taliban- und/oder Al Qaeda-Kämpfern zudem Kommando-Aktionen auf pakistanischem Gebiet vor. Während seiner bisherigen Amtszeit hat Obama mehr Angriffe mit Drohnen autorisiert und dadurch sind mehr pakistanische, afghanische oder andere Menschen innerhalb Pakistans ums Leben gekommen als in den acht Jahren von Präsident George W. Bush. Einige dieser Operationen – gewöhnlich Mordanschläge auf vermutete Al Qaeda-Flüchtige oder ausländische Kämpfer – wurden in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Geheimdienst durchgeführt.

Andere hingegen nicht. Zahlreiche Raketenangriffe haben zudem ZivilistInnen getötet, was zu einer weiteren Intensivierung der ohnehin in vielen Teilen des Landes bereits anzutreffenden anti-amerikanischen Stimmung geführt hat. In der Öffentlichkeit verurteilt die Armee die Drohnen-Angriffe als kontraproduktiv bezüglich des Versuchs der Spaltung der Militanten von den Stämmen im Grenzgebiet. Im privaten Gespräch ätzen die Generäle, dass jede »Hellfire«-Rakete, die in Süd- und Nord-Wasiristan die Erde umgräbt, die Aussagen der radikalen Islamisten (und anderer Oppositionskräfte) bestätigen, dass Pakistan nur ein Handlanger im »Krieg der USA« ist.

Trotz der tatsächlichen und stillschweigenden Drohungen aus Washington ist die Armee nicht besonders willens, mehr als das zu tun, was bisher bereits getan wird. Ein Grund dafür liegt in der Geschichte. Unter Druck der USA drang das pakistanische Militär zunächst 2004 in Süd-Wasiristan ein, um Flüchtige der Al Qaeda zu jagen. Damit begann eine vierjährige Serie von Offensiven, die von »Friedensabkommen« mit Stämmen unterbrochen wurde, die mit den pakistanischen Taliban kooperierten. Diese »Stammeskampagnen« waren ein Desaster. Sie führten lediglich dazu, dass die pakistanischen Taliban von einem Ableger des großen afghanischen Bruders zu einer lebendigen, mit Al Qaeda verbündeten Stammesbewegung wurden, die im Jahr 2008 etwa 30.000 Männer unter Waffen hatte und den Großteil der Stammesgebiete und weite Gebiete der ruhigen nordwestlichen Grenzprovinz kontrollierte.

Der Armee gelang es 2009, einen Teil dieses Gebietes durch Counterinsurgency-Kampagnen zurückzugewinnen. Einerseits verfügt sie über Waffenüberlegenheit, aber sie hat zugleich Mühe darauf verwandt, zwischen jenen Stammesgebieten zu unterscheiden, die pakistanische Taliban beherbergen, die dem Staat feindlich gegenüberstehen, und jenen, die afghanischen Taliban Zuflucht ermöglichen, die gegen US- und NATO-Truppen kämpfen, gegenüber Islamabad jedoch untätig sind. Geht es nach Obama, dann soll Pakistan auf diese Unterscheidung verzichten.

Es ist eine Front zu viel, sagt der Armeesprecher, Generalmajor Athar Abbas. „Wenn wir es mit allen Stammesmilizen aufnehmen, einschließlich den Haqqanis und anderen pro-afghanischen Talibangruppen, und die USA das Land morgen verlassen, werden wir uns allein einem Aufstand der Stämme gegenüber sehen. Wir möchten nicht, dass ihr kurzfristiger Vorteil unsere langfristige Pein wird.“

Einkreisung

Es gibt weitere Gründe für die Zurückhaltung der Armee, sich an Obamas Truppenaufstockung zu beteiligen. Historisch hat die Armee sich mit den afghanischen Taliban verbündet, um pakistanische Einflussnahme in Afghanistan zu ermöglichen, insbesondere im paschtunischen Gürtel, der durch beide Länder verläuft. Aus diesem Eigeninteresse hat Islamabad die Taliban zwischen 1996 und 2001 unterstützt, als die Miliz eine de facto Regierung errichtete, die den Großteil Afghanistans kontrollierte. Daher rühren die noch immer existierenden Kontakte mit den afghanischen Taliban, den Haqqanis und Hekamtjar. Es ist illusorisch anzunehmen, diese Kontakte würden von der Armee angesichts eines absehbaren Rückzugs der USA aufgegeben. Die Verbindungen werden enger, nicht nur um der Truppenaufstockung zu widerstehen, sondern auch um den Einfluss der Armee nach dem US-Rückzug zu stärken.

Soweit es das pakistanische Militär betrifft, so sieht es sich in Afghanistan zwei Gegnern gegenüber – und das sind weder die Taliban noch Al Qaeda. Ein Feind ist das Regime von Präsident Hamid Karzai, insbesondere seine entstehenden militärischen und Geheimdienstabteilungen. Diese Kräfte werden zumeist von tadschikischen Warlords kommandiert, die früher zur »Nordallianz« gehörten, ein Konglomerat von anti-Taliban-Milizen, das 2001 gemeinsam mit US-Spezialeinheiten die Taliban-Regierung gestürzt hat. Die Pakistani betrachten die Tadschiken als feindlich und aufständisch gegenüber den sich beidseits der Grenze erstreckenden paschtunischen Gebieten, von denen die Karzai-Regierung glaubt, sie vielen zur Gänze unter afghanische Souveränität. Zudem macht die Armee die von Tadschiken dominierten Geheimdienste für einen Teil der Unruhen in Pakistan verantwortlich.

Der zweite Gegner ist Indien, mit dem Pakistan in einem lang-dauernden Konflikt verwickelt ist. Der Einfluss Indiens in Afghanistan ist – in den Worten eines in Kabul ansässigen Botschafters – „strategisch und weitreichend“, so dass Pakistan gebührend alarmiert ist. Die Regierung in Neu Delhi war der regionale Rückhalt der »Nordallianz« und ist nun Karzais stärkster Verbündeter in Südasien. Indien ist einer der größten ausländischen Kreditgeber Afghanistans und hat zur Ausbildung der Streitkräfte beigetragen. Zusammen mit dem Iran hat Indien in Westafghanistan ein Straßennetz gebaut, das Kabul Zugang zum Persischen Golf ermöglicht, ohne pakistanische Häfen nutzen zu müssen – Kapazitäten also, die Islamabad als lebensnotwendig für seine ökonomische Zukunft betrachtet.

Angesichts der fortgesetzten Stationierung des Großteils der Streitkräfte an der Ostgrenze zu Indien und eines nicht beigelegten Konflikts in Kaschmir ist es der Albtraum Islamabads, dass indische und pro-indische afghanische Streitkräfte die Lücke füllen, die auf der westlichen Flanke durch den Abzug der US- und NATO-Truppen entstehen wird. „Wir sind besorgt über das übertriebene Engagement Indiens in Afghanistan“, sagt Abbas. „Wir betrachten es als Einkreisung. Was wird morgen geschehen, wenn amerikanische Ausbilder durch indische ersetzt werden? Die Führung in Afghanistan ist vollständig dominiert durch die Indien-freundliche »Nordallianz«. Deren Angliederung an Indien betrachten wir mit großer Sorge. Wir sehen darin ein zukünftiges Zwei-Fronten-Szenario.“

Historisch gesehen haben bewaffnete Einheiten ethnischer Gruppen – teilweise auf Geheiß von Regionalmächten – Machtvakua in Afghanistan gefüllt. Die afghanischen Taliban sind die stärkste Kampftruppe unter den Paschtunen, der größten ethnischen Gruppe in Afghanistan. Sie sind in der Vergangenheit von Pakistan gegen tadschikische, hasarische und usbekische Kämpfer, die wiederum von Indien, dem Iran und Russland unterstützt wurden, gefördert worden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese Machtbalance in Zukunft umkippt noch dass die Loyalitäten sich verschieben werden, sagt Ahmed Rashid, ein altgedienter Analytiker der Situation Afghanistans. „Liegt es im Interesse Pakistans, die afghanischen Taliban gegen sich aufzubringen, wenn diese in den kommenden zwei bis drei Jahren wieder an die Macht kommen?“ fragt er.

Wiederholt sich Geschichte?

Gibt es irgendeine Hoffnung darauf, dass sich eine düstere Wiederholung der afghanischen Geschichte vermeiden lässt? Statt die Taliban in Afghanistan zu schwächen, könnten USA und NATO anfangen, mit ihnen zu verhandeln. Die Grundlage der Gespräche ist klar: Rückzug gegen die Zusicherung der Taliban, die Macht mit anderen afghanischen Gruppen zu teilen und transnationale Akteure wie Al Qaeda daran zu hindern, von afghanischem Territorium aus andere anzugreifen, sei es in der Nähe oder in der Ferne.

Pakistanische Regierungen haben diese Linie seit den späten 1990er Jahren angeboten; die Logik von Verhandlungen beinhaltet, dass das grundsätzliche Verhältnis zwischen den Taliban und Al Qaeda weniger ideologischer Art ist, sondern von materiellen oder taktischen Interessen bestimmt ist, und dass die Taliban im Kern eine paschtunische Bewegung und keine islamistische sind. Als Gegenleistung für eine Beteiligung an der Macht würden sich die Anführer der Taliban gegen ihre jihadistischen Verbündeten wenden, argumentiert Asif Ahmed Ali, ein ehemaliger pakistanischer Außenminister: „Wir müssen mit den Taliban sprechen. Es gibt keinen Frieden in Pakistan und in Afghanistan ohne solche Gespräche. Die Taliban sind die einzige Kraft, die Al Qaeda vertreiben kann.“

Ein nationaler Pakt, der den Taliban und anderen afghanischen Gruppen gerecht würde, könnte in ein umfassenderes regionales Abkommen eingebettet werden, bei dem alle Nachbarn Afghanistans ihre Verbündeten bzw. die ihnen nahestehenden Gruppen dazu drängen müssten, einer fairen Vertretung in einem »neutralen« afghanischen Gemeinwesen zuzustimmen. Iran, Saudi-Arabien, Russland, China und die zentralasiatischen Republiken würden alle Einfluss auf ein solches Abkommen haben, aber die entscheidenden Akteure sind Pakistan und Indien.

Zur Beendigung der Stellvertreterkriege in Afghanistan wäre es notwendig, dass Islamabad seine Unterstützung jihadistischer Gruppen beendet, die Indien und Neu Delhi angreifen, und zu ernsthaften Verhandlungen zur Beendigung des Kaschmir-Konflikts findet. Bewegung zugunsten eines indisch-pakistanischen Friedens könnte der Schlüssel für eine Reduzierung der autochthonen Kämpfe in Afghanistan sein. Frieden zwischen den beiden bedeutendsten südasiatischen Mächten ist tatsächlich, wie Obama JournalistInnen im Rahmen eines Mittagessens im Weißen Haus sagte, „das Wichtigste für eine lang andauernde Stabilität in der Region“.

Leider hat der Präsident diese Einsicht im Rahmen seiner Rede in West Point nicht weiter ausgeführt, die die Bedeutung einer regionalen Perspektive für das Afghanistanproblem kaum erwähnte. Auch hat er bisher keine ernsthaften Aufrufe an die Taliban zu Verhandlungen gerichtet, sondern den Olivenzweig nur jenen gereicht, die „der Gewalt abschwören und die Menschenrechte ihrer Mitbürger respektieren“ – Bedingungen, die die Mehrheit der Minister Karsais, die Gesamtheit seiner bewaffneten Verbände und die Mehrheit des US- und NATO-Militärs ausschließen.

Stattdessen scheint Obama in Afghanistan – ganz wie Bush im Irak – ganz auf eine Erhöhung der Truppenzahl und der Waffen zu vertrauen, um eine Phase im Kampf zu ermöglichen, die für die Installierung eines Regimes nötig ist, das in den kommenden regionalen Kriegen für die Interessen Washingtons kämpfen wird. Im schlechtesten Fall kann die Truppenaufstockung Afghanistan jene Art intergruppaler Metzelei hinterlassen, die sich bereits in den 1990er Jahren als Inkubator für Al Qaeda erwiesen hat. Der günstigste Fall könnte darin bestehen, dass durch die Truppenzuführung „die Taliban gezwungen werden, sich mit den USA auf einen Abzug zu verständigen“, meint der Pakistanexperte Shuja Nawaz. Aber Verhandlungen könnten ein solches Ergebnis rascher bringen als eine Fortsetzung des Krieges.

In jedem Fall erkennt das pakistanische Militär derzeit nichts, das es zu einer Revision der Strategie selektiver Aufstandsbekämpfung veranlassen könnte. Die Armee wird nicht der »Amboss« sein, gegen den der US-»Hammer« schlägt, um die afghanischen Taliban zu zerschlagen. Sie könnte zwar als »Fanghandschuh« fungieren, aber nicht in dem von Petraeus metaphorisch gemeinten Sinne. Im »Fanghandschuh« ruht der Ball, nachdem der gegnerische Schlagmann ausgeholt hat; aber viel öfter nimmt der Fänger den Ball heraus und wift ihn direkt zum Werfer zurück.

Graham Usher ist Mitherausgeber des »Middle East Report«.