Fait accompli


Fait accompli

Ist die Denuklearisierung Koreas noch möglich?

von Herbert Wulf

Um die Verhandlungen über Nordkoreas Atomprogramm und die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel ist es in den letzten Monaten still geworden. Verstärkt durch die Aufmerksamkeit für andere globale Probleme rückt der Konflikt über Nordkoreas Atom­ambitionen in den Hintergrund. Dabei treibt das Land sein militärisches Programm mit Raketentests voran und signalisiert zugleich: Ihr müsst schon mit uns verhandeln! Dem überraschenden und dann als historisch bezeichneten Treffen zwischen Donald Trump und Kim Yong-un im Juni 2018 in Singapur folgte ein als Misserfolg bewertetes zweites Treffen im Februar 2019 in Hanoi und dann auch rasch die Ernüchterung. Von einem Durchbruch oder historischen »Deal« ist nicht mehr die Rede. Doch die diplomatischen Verhandlungen verlau­fen weiter, diskret, auf niederschwelligem Niveau.

Folgende Vereinbarungen wurden getroffen, um die kritische Situation um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm zu entschärfen:

Die Regierung Nordkoreas stimmte zu,

  • das Nuklearprogramm einzufrieren und u.a. die Reaktoren stillzulegen, in denen waffenfähiges Material produziert wird,
  • umfassende Inspektionen der Internationalen Atomenergieorganisation zuzulassen,
  • den Abtransport des nuklearen Materials zu erlauben und
  • sämtliche militärisch relevanten Nuklearanlagen abzubauen.

Die USA sagten zu,

  • technische Hilfe im Energiesektor zu leisten und
  • die Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen anzustreben – einschließlich der diplomatischen Anerkennung und der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen.

Ziel ist die Denuklearisierung der gesamten koreanischen Halbinsel und die Zusammenarbeit bei der Verwirklichung der Nicht-Weiterverbreitung von Nuklearwaffen.

Gestern: Hoffnung und Enttäuschung

Was für ein zukunftweisender »Deal«! Schade nur, dass dies nicht bei dem Treffen zwischen Präsident Donald Trump und Regierungschef Kim Jong-un 2018 in Singapur vereinbart wurde, sondern der Kern des Abkommens zwischen den USA und Nordkorea aus dem Jahr 1994 war. Vor mehr als 25 Jahren gelang es nach zähen Verhandlungen in Genf, das so genannte »Agreed Framework« abzuschließen; es regelte bis auf das nordkoreanische Raketenprogramm sämtliche nordkoreanischen Nuklearwaffenprobleme.

Statt darüber zu spekulieren, was heute auf die Treffen in Singapur und Hanoi folgen und ob daraus vielleicht doch noch ein »historischer Deal« werden könnte, ist es interessant, zu analysieren, warum denn das weitreichende Abkommen von 1994 nicht umgesetzt wurde und was daraus für heute folgt. Was also ging bei der Umsetzung des »Agreed Framework« von 1994 schief?

Das Grundproblem dieses Abkommens war das mangelnde gegenseitige Vertrauen der beteiligten Regierungen. Gegen Nordkorea blieb weiterhin der Verdacht, im Geheimen am Atomprogramm zu arbeiten. Nordkorea warf den westlichen Vertragsteilnehmern vor, ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen. Teil dieses Vertrages war es, Nordkorea zwei Leichtwasserreaktoren zur Energiegewinnung zu liefern, eine Zusage, die nicht nur von den USA, sondern auch von der Europäischen Union und Japan mitgetragen und finanziert werden sollte, aber nie verwirklicht wurde. Im Nachhinein muss man es als naiv bezeichnen, einer Regierung Zusagen für die Lieferung moderner Nukleartechnologie zu machen, wenn man sie im Verdacht hat, weiterhin Atompläne zu verfolgen.

1998 wurde ein auf Geheimdienstinformationen basierender Artikel in der New York Times lanciert, der behauptete, Nordkorea baue einen unterirdischen Plutoniumreaktor und eine Wiederaufbereitungsanlage zur Abtrennung des Plutoniums. Die Regierung in Washington hegte den Verdacht, dass Nordkorea am »Agreed Framework« vorbei eine alternative Quelle zur Herstellung waffenfähigen Materials erschließen wolle. Der Zeitungsbericht lieferte den Gegnern des Abkommens Munition, mit der sie den Beweis für Nordkoreas Betrugsmanöver zu besitzen glaubten. Nach Inspektionen einer US-Delegation gab das Außenministerium jedoch bekannt, dass die betreffenden Anlagen in Nordkorea nicht zur Herstellung von Waffenmaterial geeignet seien.

Nordkorea heizte die prekäre, von gegenseitigem Misstrauen gekennzeichnete Situation damals zusätzlich an, indem es eine mehrstufige ballistische Rakete mit einer Flugbahn über Japan hinweg testete. Erst ein Jahr später »normalisierten« sich die Beziehungen wieder, und die USA lieferten zusätzliche Nahrungsmittel, nachdem Pjöngjang ein Testmoratorium für weitreichende Raketen ankündigt hatte.

Entscheidend für die erneute Beendigung des Tauwetters war der Regierungswechsel in Washington im Januar 2001. Bill Clintons Außenministerin Madeleine Albright hatte Pjöngjang im Oktober 2000 in der Erwartung besucht, das »Agreed Framework« zu retten, ein Folgeabkommen über das nordkoreanische Raketenprogramm zu erzielen und damit eine weitere Stufe der Normalisierung der Beziehungen anzubahnen. Die neue US-Administration unter George W. Bush hingegen verfolgte eine andere Nordkoreapolitik, der zwei sich ausschließende Strategien zugrunde lagen. Das von Colin Powell geführte Außenministerium verhandelte zwar weiter mit Nordkorea, die Hardliner aber riefen zu einer härteren Gangart auf. Insbesondere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der damalige UN-Boschafter der USA und spätere Sicherheitsberater John Bolton torpedierten die Verhandlungen. Das zarte Pflänzchen vorsichtiger Annäherung erstarb abrupt, als US-Vizepräsident Richard Cheney apodiktisch erklärte: „Ich bin vom Präsidenten beauftragt, sicherzustellen, dass mit keiner der Tyranneien dieser Welt verhandelt wird. Wir verhandeln nicht mit dem Bösen, wir besiegen es.

Hatte die Clinton-Regierung abgewartet und auf einen Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage spekuliert, so versuchte die Bush-Regierung aktiv, dies durch Verschärfung der Sanktionen herbeizuführen. Es kam anders: 2003 trat Nordkorea aus dem Nichtverbreitungsvertrag aus, 2005 erklärte es sich offiziell zum Atomwaffenstaat.

Unterdessen wurde dennoch wieder verhandelt und ein weiteres Abkommen vereinbart, das im Jahr 2005 im Rahmen der so genannten Sechs-Parteien-Gespräche zwischen Nord- und Südkorea, den USA, China, Russland und Japan zustande kam. Nordkorea verpflichtete sich darin, „alle Atomwaffen und bestehenden Nuklearprogramme“ aufzugeben und dem Atomwaffensperrvertrag wieder beizutreten. Auch dieses Abkommen scheiterte 2009. Die Differenzen über die als notwendig erachteten Inspektionen vor Ort veranlassten die nordkoreanische Regierung, sich einseitig aus den Gesprächen zurückzuziehen.

Heute: Stillstand oder zukunftsweisende Diplomatie?

Die Ergebnisse des Treffens in Singapur mehr als zwei Jahrzehnte später muten gegenüber dem Abkommen von 1994 vage, zaghaft und nichtssagend an. Kim Jong-un verpflichtete sich in der Abschlusserklärung zur vollständigen Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, allerdings ohne festen Zeitplan und ohne Angaben, was unter »Denuklearisierung« zu verstehen sei. Donald Trump sagte im Gegenzug »Sicherheitsgarantien« zu, ebenfalls ohne Details, worin sie bestehen sollen. Darüber hinaus wollen die Regierungen dem Wunsch beider Völker nach „Frieden und Wohlstand“ entsprechen. Heißt dies, Nordkorea gibt sein Atomprogramm auf? Heißt dies, die USA ziehen ihre Soldaten aus Südkorea ab und kündigen den Atomschutzschirm für Südkorea und Japan?

Was für blumige, zu nichts verpflichtende Worthülsen! Inzwischen ist die Zeit der großen Sprüche vorbei, stattdessen wird im Stillen weiterverhandelt. Dies ist sicherlich erfolgversprechender als schlecht vorbereitete pompöse Treffen auf höchster Ebene.

Morgen: Und was bedeutet dies für die unmittelbare Zukunft?

Die jahrzehntelangen Verhandlungen mit der nordkoreanischen Regierung haben gezeigt, dass Pjöngjang mit seinem wiederholten Ausstieg aus den Verhandlungen, mit militärischen und sicherheitspolitischen Provokationen, mit gelegentlichem Entgegenkommen, gar mit Bereitschaft zur Unterzeichnung von Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen ein äußerst schwieriger und nicht leicht berechenbarer Verhandlungspartner ist.

Doch auch die Politik der USA war bedeutsamen Schwankungen unterworfen. Die stark ideologisch motivierten Beurteilungen der nordkoreanischen Politik in Washington waren geprägt vom Misstrauen gegenüber den drei Kim-Regierungen. Signale der Entspannung gingen meist mit Drohungen einher. Und nicht nur Nordkorea nahm es mit der Vertragstreue nicht so genau.

Was sind nun die Treffen in Singapur und Hanoi und die jetzigen diplomatischen Kontakte wert? Historisch war das Treffen in Singapur insofern, als erstmals ein US-Präsident mit einem nordkoreanischen Machthaber zusammenkam. Geschickt und überraschend zugleich hatte Kim Jong-un seine Strategie der sicherheitspolitischen Provokationen der letzten Jahre zu einer Charmeoffensive Richtung Südkorea und USA verändert und damit eine sicherheitspolitisch durchaus gefährliche Situation in Südostasien entschärft. Trumps spontane Bereitschaft zum Treffen, dann seine Absage und später die abermalige Zusage zeigen, wie unvorbereitet, ja konfus die US-Regierung in diese Gespräche ging. Das Kim-Regime wurde zweifellos international aufgewertet: Der Sieger, um es in Trump‘schen Denkmustern auszudrücken, ist Kim Jong-un.

Folgende Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen:

1. Euphorie über die Annäherung ist keinesfalls angebracht. Selbst der Abschluss detaillierter Abkommen bedeutet nicht, dass diese auch Realität werden, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Außerdem ist der Weg zu einem neuen Abkommen noch weit.

2. Nordkorea wird kaum auf sein Atomprogramm verzichten, es sei denn, Kim Jong-un wird seitens der USA glaubhaft versichert und verbindlich zugesagt, auf einen Regimewechsel zu verzichten. Indes bedeuten auch solche Zusagen der US-Regierung wenig, wie die einseitige Kündigung des Iran-Deals durch die USA zeigt. Das heißt: Die nordkoreanische Regierung wird von Trump kaum Vertragstreue erwarten.

3. Nach den Erfahrungen mit von außen forcierten Regimewechseln im Irak und in Libyen betrachtet Kim Jong-un das Atomprogramm als Lebensversicherung für sein Regime. Man muss dem Machthaber schon viel bieten, um ihn zu Zugeständnissen zu veranlassen.

4. Trotz der vertrackten Lage sollte die Chance auf Entspannung wahrgenommen werden, denn zu Verhandlungen gibt es nur zwei Alternativen: erstens, eine schlechte und nicht akzeptable, nämlich eine militärische Auseinandersetzung, möglicherweise mit Atomwaffen; zweitens, Abwarten und Nichtstun wie unter Obama. Die Konsequenz wäre der weitere Ausbau des Atomprogramms.

Hindernisse auf dem Weg zur Denuklearisierung

Es existiert eine Vielzahl Hindernisse und Konflikte, die für den Abschluss eines wirksamen und nachhaltigen Abkommens aus dem Weg geräumt oder zumindest berücksichtigt werden müssten.

  • Innergesellschaftlich hat das Atomprogramm eine große Bedeutung in Nordkorea. Es ist nicht nur ein Prestigeprojekt der Kim-Regierung. Mit Pathos und nationalem Stolz feiert die Bevölkerung die wissenschaftliche Ingenieurleistung. Das Atomprogramm hat durchaus eine soziale Funktion, die die Regierung sich zunutze macht.
  • Im Fokus der Kim-Regierung steht bei ihren Verhandlungen mit den USA nicht allein das Atomprogramm. Auch das innerkoreanische Verhältnis ist zu beachten. Eine »deutsche« Lösung für die Teilung, die einer Annexion durch Südkorea entspräche, ist für Nordkorea eine Horrorvorstellung. Deshalb sind Sicherheitsgarantien für Nordkorea unabdingbar.
  • Die Isolierung Nordkoreas, teils selbst herbeigeführt durch eine bewusste Politik der Autarkie, teils erzwungen durch die jahrzehntelangen US- und UN-Sanktionen, will die nordkoreanische Regierung unbedingt durchbrechen, nicht zuletzt, um wirtschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen.
  • Das Verhältnis zwischen den USA und Nordkorea wurde von Nordkorea schon immer mit dem Ziel gestaltet, auf Augenhöhe zu verhandeln. Daher rührt die relativ unkomplizierte Akzeptanz, mit dem »Dealmaker« aus Washington in entspannter Atmosphäre Gespräche zu führen. Endlich erhielt man die Anerkennung, die jahrzehntelang verweigert worden war.
  • Auf einer Metaebene spielt die US-chinesische Rivalität in Asien und global eine entscheidende Rolle. Nordkorea ist in seinem Außenhandel zu 95 Prozent von China abhängig und kann die chinesische Position nicht ignorieren. Gerade weil sowohl China als auch die USA nordkoreanische Atomwaffen nicht tolerieren wollen, hat Nordkorea mit seinem Arsenal ein Faustpfand für Verhandlungen in der Hand.

In dieser Situation könnte es hilfreich sein, dass eine neutrale Partei eine Moderatorenrolle übernimmt. Dazu bietet sich eigentlich die EU an, die häufig von Verantwortung für den Frieden in der Welt spricht. Brüssel äußert sich allerdings kaum zu einem Dialog mit Nordkorea oder einer Vermittlung in dieser Situation.

Vielleicht hilft ein Blick auf andere Länder, um eine Idee zu bekommen, wie es mit dem nordkoreanischen Atomprogramm weiter gehen könnte.

  • Da ist das Modell Israel: Die Existenz israelischer Nuklearwaffen wird stillschweigend hingenommen.
  • Libyen: Die Regierung Gaddafi verzichtete 2003 auf Atomwaffen, aber die zugesagte Normalisierung der internationalen Beziehungen blieb aus. Seit einer internationalen Militärintervention 2011 und dem Sturz Gaddafis herrscht Chaos im Land.
  • Indien: Das Land ist nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrags und kritisiert diesen Vertrag als unfair. De facto ist Indien als Nuklearmacht anerkannt.
  • Iran: Der Vertrag mit dem Iran von 2015 ist ein hervorragendes Modell. Bekanntermaßen hielten sich die USA nicht an diesen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag und kündigten ihn 2018 auf.
  • Südafrika gab sein weit fortgeschrittenes Nuklearwaffenprogramm nach dem Fall des Apartheid-Regimes 1989 auf und ließ die Überprüfung durch die Internationale Atomenergieorganisation zu.

Für Nordkorea erscheint ein Dreistufenplan erfolgversprechend. In Phase 1 sollte über das Atomprogramm und die wirtschaftliche Sicherheit des Landes verhandelt werden, also Einfrieren des Atomprogramms und graduelle Lockerung der Wirtschaftssanktionen. Phase 2 sollte der Durchführung von Vereinbarungen gewidmet sein, einschließlich Inspektionen durch die Internationale Atomenergieorganisation, vertrauensbildenden Maßnahmen, wie die Reduzierung der konventionellen Waffenarsenale, der kompletten Aufhebung der Sanktionen sowie wirtschaftlicher Hilfe in Infrastruktur und Landwirtschaft für Nordkorea. Phase 3 schließlich sollte den kompletten Abbau militärisch relevanter Nuklearkapazitäten und den Abzug der auf US-Kriegsschiffen in der Region vorhandenen Nuklearwaffen vorsehen. Gleichzeitig sollte die Grenze zwischen Nord- und Südkorea demilitarisiert werden und die Normalisierung sämtlicher politischer und wirtschaftlicher Beziehungen stattfinden. Ob der politische Wille und die Ausdauer auf beiden Seiten für eine solche Lösung reichen?

Herbert Wulf, Professor für internationale Beziehungen i. R., war Leiter des Bonn International Center for Conversion (BICC) und leitete ein Projekt der Vereinten Nationen zur Rüstungskontrolle in Nordkorea. In dieser Funktion war er mehrfach in Nordkorea tätig.

Interreligiöser Dialog


Interreligiöser Dialog

Friedens- und Konfliktkonzepte in Indonesien und Südkorea

von Gabriella Hornung

In der Friedens- und Konfliktforschung ist der interreligiöse Dialog als Untersuchungsgegenstand immer noch nur ein Randphänomen, obwohl dieser sich in Friedens- und Konfliktprozessen positiv auswirken kann. In vielen asiatischen Ländern besteht eine lange Tradition des interreligiösen Dialogs, aus der sich gelungene Beispiele für Methoden einer Verständigung aufzeigen lassen. Indonesien und Südkorea sollen im Folgenden als Anschauungsbeispiele vorgestellt werden.

Indonesien ist weltweit der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung. Nach dem letzten offiziellen Zensus aus dem Jahr 2010 (UN Statistics Division 2020) machten Muslime etwa 87 % der Bevölkerung aus; 3 % der Bevölkerung gehörten dem katholischen Glauben an; etwa 7 % rechneten sich einer protestantischen Gruppe zu, 0,7 % einer buddhistischen, etwa 1,7 % einer hinduistischen und weniger als ein Prozent dem Konfuzianismus. Diese sechs Glaubensrichtungen werden vom Staat als Religionen anerkannt; der Glaube an einen Gott ist gemäß der Staatsphilosophie »Pancasila« verpflichtend.

Im Heidelberger Konfliktbarometer 2019 werden für Indonesien insgesamt sieben Konflikte aufgelistet, ein Konflikt unter Bezug auf militante islamistische Gruppierungen explizit unter dem Aspekt »system/ideology« sowie zwei weitere, bei denen die Konfliktparteien entlang religiöser Identitätslinien auszumachen sind (HIIK 2020). Die Notwendigkeit für einen interreligiösen Austausch als Methode der Friedensarbeit liegt daher nahe. Aus Indonesien schaffen es meist nur die negativen Schlagzeilen über den Einfluss islamischer Fundamentalist*innen in die westlichen Medien. Erfolgreiche Bemühungen um Verständigung zahlreicher anderer Akteure werden außer Acht gelassen, obwohl die weltweit zunehmende religiöse Pluralisierung dazu drängt, sich »best practices« aus Ländern anzuschauen, die auf eine längere Geschichte des erfolgreichen Austausches über Religionen hinweg zurückblicken können.

Tatsächlich setzen sich in Indonesien neben Einzelpersonen etliche Organisationen für einen interreligiösen Dialog ein, um ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Religionsgruppen zu ermöglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Institutionalisierung religiöser Gruppierungen in Indonesien sehr ausgeprägt ist. Mit einer Mitgliedszahl von etwa 40 Millionen Menschen ist etwa die Nahdlatul Ulama die größte muslimische Organisation, gefolgt von der Muhammadiyah mit etwa 30 Millionen Anhängern. Die Organisationen nehmen nicht nur wichtige Repräsentationsfunktionen für ihre Anhänger*innen wahr, sondern agieren auch als Ansprechpartner für einen interreligiösen Austausch. Beispielsweise wurde 2017 von der Nahdlatul Ulama in Absprache mit anderen Religionsvertreter*innen der Aufbau eines Datencenters gestartet, das der Auswertung von Social-media-Beiträgen zur Analyse fundamentalistischer Tendenzen im Internet dient. Auf dieser Basis wurden Handlungsempfehlungen erarbeitet bzw. Kooperationen mit Internetdienstleistern zur Bekämpfung fundamentalistischer Aussagen initiiert. Ein weiteres Beispiel: Die der Nahdlatul Ulama nahestehende und vom ehemaligen Staatspräsidenten Abdurrahman Wahid gegründete Wahid Foundation forscht u.a. zur Stärkung von (religiöser) Toleranz und zur Rolle von Frauen bei der Bekämpfung extremistischer Strömungen im Islam.

In Südkorea bietet sich ein etwas anderes Bild: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung definiert sich als keiner Religion zugehörig. Von den etwa 44 % der Bevölkerung, die im Jahr 2015 angaben, einer Religion anzugehören, bekannten sich 45 % zum Protestantismus, 35 % zum Buddhismus, 18 % zum Katholizismus und weitere 2 % zu einer anderen Religion (korea.net o.J.). Konflikte zwischen den religiösen Gruppierungen werden selten öffentlich diskutiert. In persönlichen Gesprächen mit Buddhist*innen oder Katholik*innen wird jedoch häufig das als aggressiv empfundene Missionierungsbestreben einiger protestantischer Gruppierungen kritisiert.

Auch in Südkorea gibt es etliche Organisationen, Vereine, religiöse Zusammenschlüsse und natürlich auch Einzelpersonen, die sich für ein friedvolles Miteinander einsetzen. Asien­weit engagiert sich u.a. der regionale Zusammenschluss »Asian Conference of Religions for Peace« (ACRP) für Frieden. In Seoul diskutieren Teilnehmer*innen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit der Gruppe »Aha! Beyond Boundaries« gemeinsam religiöse Texte. In einer anderen Initiative organisieren buddhistische und christliche Nonnen regelmäßig Exkursionen zu Pilgerstätten unterschiedlicher religiöser Gruppierungen (Quelle: persönliche Begegnungen in Seoul).

Perspektiven auf Frieden und Konflikt: Religion und Kultur

In der Friedens- und Konfliktforschung wird Religion bisher vor allem unter dem Aspekt der Kultur wahrgenommen, deren Einfluss unterschiedlich bewertet wird. Während zum Beispiel Johan Galtung, John Paul Lederach und Kevin Avruch der Prägung von Frieden und Konflikten durch Kultur einen hohen Stellenwert einräumen, spielt sie in den Theorien von John Burton eine untergeordnete Rolle (Ramsbotham et al. 2016). Anna Bernhard macht darauf aufmerksam, dass bei friedensbildenden Maßnahmen kulturelle Aspekte für den gesamten Verlauf, von der Handhabung eines Konflikts bis hin zur Festlegung und Priorisierung von Zielen, eine zentrale Rolle spielen (Bernhard 2013, S. 23 f.). Konkrete Auswirkungen von Kultur und insbesondere von religiöser Zugehörigkeit auf Friedens- und Konfliktvorstellungen anhand von Fallbeispielen wurden bisher jedoch kaum analysiert. Dabei zeigen Initiativen aus Indonesien und Südkorea, dass Aspekte wie Gemeinschaftszugehörigkeit und von religiösen Lehren geprägte Denkweisen durchaus einen wichtigen Einfluss auf diese Vorstellungen haben.

Hierbei sind nicht nur einzelne Textpassagen aus dem Koran oder aus buddhistischen Sutren relevant, sondern ganze Denkkonstrukte, in die Vorstellungen eingebettet sind. Ein Beispiel: Ramsbotham, Woodhouse und Miall (2016) übersetzen die erste der Vier Edlen Wahrheiten, die ein wesentliches Fundament des Buddhismus bilden, nämlich die des Leids als Grundkonstitution des menschlichen Lebens, als »Konflikt«. Die Vier Edlen Wahrheiten unter diesem Ansatz weiterdenkend formulieren sie, dass die Erkennung der Konfliktursache notwendig sei, um den Konflikt zu transformieren und Frieden zu ermöglichen. Die Ursache von Leid – nach Ramsbotham et al. also Konflikt – ist laut buddhistischer Lehre vor allem im »Durst«, oder nach anderer Übersetzung in der »Gier«, zu finden, d.h. zum Beispiel in der Gier nach dem Werden oder nach der Erfüllung von Bedürfnissen.

Doch was heißt dies konkret für die Friedensarbeit? Erstens wäre die Schlussfolgerung, dass für Buddhist*innen das Wort »Konflikt« eine andere Bedeutung hat als für Nichtbuddhist*innen, und zweitens, dass die Transformation eines Konflikts einem anderen Ziel folgt. Am Beispiel der von Johan Galtung entwickelten Idee der menschlichen Grundbedürfnisse, wie etwa dem nach Sicherheit und Freiheit, deren Berücksichtigung in der Friedensarbeit von zentraler Bedeutung sein müsse (Galtung 1980), sähe das so aus: Da menschliche Bedürfnisse als »Gier nach etwas« gedeutet werden können, würde sich die Frage stellen, was nach dem Ansatz von Ramsbotham et al. eigentlich in einer buddhistischen Friedensarbeit erreicht werden soll.

Eine ausführliche Darstellung der buddhistischen Erkenntnislehre würde hier zu weit greifen, trotzdem noch der Hinweis auf einen anderen Aspekt, der unter dem Gesichtspunkt buddhistischer Friedens- und Konfliktvorstellungen häufig diskutiert wird, nämlich die Vorstellung, dass Konflikte auf einer falschen Wahrnehmung der (anderen) Konfliktpartei beruhen. Das bedeutet für die auf buddhistischer Lehre beruhende Friedensarbeit, dass diese maßgeblich bei der Reflexion der eigenen Wahrnehmung des Konflikts anfängt. Dies kann zum Beispiel Auswirkungen auf einen Mediationsworkshop haben, indem Schwerpunkte auch nach religiösen Gesichtspunkten gesetzt werden, beispielsweise durch eine Differenzierung der unterschiedlich wahrgenommenen Realitäten nach buddhistischer Vorstellung.

Auch im Islam gibt es spezifische Vorstellungen von Konflikt und Frieden; der Koran fordert dazu auf, sich für den Frieden einzusetzen. Hamideh Mohagheghi (2010) verweist auf Sure 2,208 und auf die Bedeutung des Begriffs »Jihad« als Einsatz für eine gute Tat, also auch für den Frieden. Für die Friedensarbeit ist jedoch nicht nur wichtig, was sich in religiösen Texten findet, sondern wie Gemeinschaft erlebt und das Individuum von ihr getragen wird, auf welche Weise sich Denkweisen in der Sprache manifestieren und wie diese in Friedens- und Konfliktprozessen gebraucht wird. So spielt es für die Vorstellung von Frieden eine Rolle, ob eine Person sich stärker über eine Gemeinschaft definiert oder ob sie sich in erster Linie für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse einsetzt. In vielen asiatischen Regionen bedeutet das, dass in einem Friedensprozess nicht primär die eigene Situation zur Debatte steht, sondern vor allem die einer Gemeinschaft.

Religiöse Akteure, interreligiöser Dialog und Friedensarbeit

Religiöse Akteur*innen als Entscheidungsträger*innen und Ansprechpartner*innen, die in politische Prozesse eingebunden werden müssen, finden zunehmend Beachtung nicht nur in der Fachliteratur, sondern auch im politischen Geschehen. Ramsbotham et al. nennen hier vor allem Publikationen aus den frühen 1990er Jahren als Startpunkt für die Auseinandersetzung (des Westens) mit der Rolle von Religionen für den Frieden. S. Ayse Kadayifci-Orellana weist auf die Bedeutung des Millenium Peace Summit of World Religious and Spiritual Leaders hin (Kadayifci-Orellana 2013).

Im Kontext vieler so genannter Ideologiekonflikte, die religiös aufgeladen sind, stellt der interreligiöse Dialog eine wichtige Form der Friedensarbeit dar. Daher lohnt es sich, nicht nur religiöse Akteure stärker in politischen Prozessen wahrzunehmen, sondern auch ihren Beitrag zur Friedensarbeit in der Friedens- und Konfliktforschung zu untersuchen.

Da Vertrauensbildung zu Personen anderer religiöser Zugehörigkeiten zum Fundament einer funktionierenden pluralistischen Gesellschaft gehört, ist interreligiöser Dialog aber auch unabhängig von Wertekonflikten wichtig. Gruppen wie »Aha! Beyond Boundaries« in Seoul, die sich für eine interreligiöse Verständigung durch die gemeinsamen Diskussionen religiöser Texte einsetzen, können ebenso ein Gemeinschaftsgefühl stärken, indem sie das gemeinsame Inter­esse an den Texten in den Mittelpunkt stellen, wie regelmäßige Treffen offizieller Repräsentant*innen der anerkannten Religionsgemeinschaften in Indonesien. Vertrauensbildung durch interreligiösen Dialog muss daher ein wichtiger Bestandteil der Friedensarbeit sein, sei es als Konfliktprävention oder als konfliktbearbeitende Maßnahme etwa bei Konflikten, die entlang religiöser Zugehörigkeiten geführt werden.

Literatur

Bernhard, A. (2013): Dynamics of Relations between different Actors when Building Peace – The Role of Hybridity and Culture. Berlin: Berghof Foundation, Projekt »Cultures of Governance and Conflict Resolution in Europe and India«, CORE.

Galtung, J. (1980): The Basic Needs Approach. Manuskript; online verfügbar auf transcend.org.

Heidelberg Institute for International Conflict Research/HIIK (2020): Conflict Barometer 2019. Disputes – non-violent crisis – violent crisis – limited wars – wars. No. 28. Heidelberg.

Kadayifci-Orellana, S.A. (2013): Inter-Religious Dialogue and Peacebuilding. In: Cornille, C. (ed.): The Wiley-Blackwell Companion to Inter-Religious Dialogue. Oxford: Wiley-Blackwell, S. 149-167.

korea.net (o.J.) Über Korea – Religion. german.korea.net (eine Webseite der südkoreanischen Regierung).

Mohagheghi, H. (2010): Vielfalt der Religionen als eine Chance für das friedliche Zusammenleben -– aus islamischer Perspektive. In: Weiße, W.; Gutmann, H.-M. (Hrsg.): Religiöse Differenz als Chance? Positionen, Kontroversen, Perspektiven. Münster: Waxmann, S. 119-130.

O’Leary, J.S. (2010): Skillful Means as a Hermeneutic Concept. In: Cornille, C. (ed.): Interreligious Hermeneutics. Eugene, Or.: Cascade Books, S. 163-183.

Ramsbotham, O.; Woodhouse, T.; Miall, H. (2016): Contemporary Conflict Resolution – The prevention, management and transforma­tion of deadly conflicts. Cambridge, UK/Malden, MA: Polity.

UN Statistics Division (2020): Popular statistical tables, country (area) and regional profiles. data.un.org.

Wrogemann, H. (2015): Theologie Interreligiöser Beziehungen – Religionstheologische Denkwege, kulturwissenschaftliche Anfragen und ein methodischer Neuansatz. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Gabriella Hornung promoviert an der Universität Rostock zu interreligiösem ­Dialog in Asien. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte umfassen u.a. interreligiösen Dialog, Religion und Politik sowie Religion und Entwicklung(szusammenarbeit).

Längst überfälliger Gipfel


Längst überfälliger Gipfel

von Rainer Werning

Man mag es drehen und wenden, wie man will: Das Zusammentreffen von US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un war im wahrsten Wortsinn historisch. Da reichten sich am 12. Juni 2018 im südostasiatischen Singapur zwei Männer die Hände, die noch Anfang dieses Jahres schwadronierten, wer über den größeren Knopf verfüge, um seine Raketen gegen die jeweils andere Seite abzufeuern.

Erst seit 1972 kam es zu drei innerkoreanischen Avancen, die allerdings aufgrund außenpolitischer Konstellationen bzw. direkter Intervention seitens der USA vereitelt wurden: die »Gemeinsame Süd-Nord-Erklärung über die friedliche nationale Wiedervereinigung« vom 4. Juli 1972; das um die Jahreswende 1991/1992 zwischen Seoul und Pjöngjang ausgehandelte »Abkommen über Aussöhnung, Nichtaggression, Austausch und Kooperation« und die »Gemeinsame Erklärung zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel« sowie die anlässlich des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens in Pjöngjang von beiden Staatschefs, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il (Vater von Kim Jong-Un), am 15. Juni 2000 vereinbarte »Nord-Süd-Deklaration«. Möglich geworden war dieser Gipfel nach dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs im Februar 1998, der in Anlehnung an eine bekannte Fabel von Äsop vis-à-vis dem Norden eine »Sonnenscheinpolitik« verfolgte.

Den Höhepunkt dieser »Sonnenscheinpolitik« bildete der Besuch von US-Außenministerin Madeleine K. Albright in Pjöngjang am 23. und 24. Oktober 2000. Höchst ungewöhnlich auch die Szenen zwei Wochen zuvor. Da hatte US-Präsident Bill Clinton mit dem 72-jährigen Vizemarschall Jo Myong-Rok den Sondergesandten Kim Jong-Ils und die damalige Nummer zwei der nordkoreanischen Nomenklatura im Oval Office im Weißen Haus mit einem herzlichen Händeschütteln willkommen geheißen. Bei der Gelegenheit überreichte Vizemarschall Jo dem Gastgeber einen Brief von Kim mit einer Einladung zum Besuch in Pjöngjang. Dann teilte er Clinton mit: „Wenn Sie nach Pjöngjang kommen, wird Ihnen Kim Jong-Il garantieren, alle Ihre Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen.“ Außerdem verpflichteten sich Washington und Pjöngjang im Rahmen eines Gemeinsamen Kommuniqués anlässlich der Jo-Visite u.a., „formell den Koreakrieg zu beenden, indem das Waffenstillstandsabkommen von 1953 durch einen dauerhaften Friedensvertrag ersetzt wird“.

Während also zu Beginn des Jahres 2001 alle Zeichen auf Entspannung in Korea standen, geriet die Situation nach dem Amtsantritt von George W. Bush aus den Fugen. Er bezeichnete Nordkorea unverblümt als einen „Bedrohungsfaktor in Ostasien“, mit dem Gespräche ausgesetzt und erst nach einer kompletten Neubestimmung der US-Asienpolitik wieder aufgenommen würden. Den innerkoreanischen Dialog kanzelte er als „naiv“ ab. Vor allem die in Washington vor und nach der Irak-Invasion (2003) wiederholte Forderung notwendiger »Regimewechsel« ließ in Pjöngjang die Alarmglocken schrillen. Nachdem Präsident Bush bereits im Januar 2002 Nordkorea als Teil seiner ominösen »Achse des Bösen« ausgemacht hatte, verwies die Regierung Nordkoreas die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde des Landes, belud den Atomreaktor in Yongbyon mit neuen Brennstäben und erklärte den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag.

Der am 9. Mai 2017 gewählte Präsident Südkoreas, Moon Jae-In, ist das Beste, was seinem Land und der Entspannungspolitik auf der Halbinsel passieren konnte. Ohne seine neu inszenierte »Sonnenscheinpolitik« wäre eine um die Jahreswende 2017/18 erfolgte vierte Nord-Süd-Annäherung nicht zustande gekommen, vom gemeinsamen Besuch Moons und Kims im Grenzort Panmunjom am 27. April und eben dem Trump-Kim-Gipfeltreffen in Singapur ganz zu schweigen. Dort wurde immerhin vereinbart, ein »Friedensregime« auf der Halbinsel zu errichten, die bilateralen Beziehungen zu verbessern und die Denuklearisierung anzugehen. Mit »Friedensregime« ist zuvörderst die Schaffung vertrauenbildender Maßnahmen und die Überführung des Waffenstillstandsabkommens in einen Friedensvertrag im Sinne einer Folge »progressiver, aufeinander abgestimmter Etappen« gemeint.

Hardliner in Seoul wie Washington und in den letzten Wochen vor allem Medien in den USA, wie NBC News, CNN und The Wall Street Journal, beharren indes prioritär auf der alten CVID-Position (comprehensive, verifiable, irreversible denuclearization – umfassende, verifizierbare, unumkehrbare Denuklearisierung). Das kann bestenfalls das Resultat, mitnichten die Vorbedingung eines langwierigen Verhandlungsprozesses sein.

Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist mit den Schwerpunkten Ost- und Südostasien, ist u.a. Koautor des jüngst erschienenen Buches »Brennpunkt Nordkorea« (Berlin: edition berolina) und (Nord-) Korea-Dozent an der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) in Bonn-Röttgen.

Krise oder Chance?


Krise oder Chance?

Korea, Nordostasien und Trump

von Christine Ahn und Tae Lim

Wie hat sich die Politik der USA gegenüber Nordkorea unter Trump verändert? Gab es eine erkennbare Abkehr von dem »pivot to Asia« der Regierung Barack Obama, der vor allem den Aufstieg Chinas eindämmen sollte? Wie wird sich die globale Neuordnung auf die Außenpolitik auswirken, insbesondere mit Blick auf den seit 65 Jahren ungelösten Konflikt auf der koreanischen Halbinsel? Die Autor*innen beleuchten Hintergründe und versuchen, einen Ausblick auf die künftige Entwicklung zu geben.

Im ersten Jahr der Präsidentschaft von Donald Trump erlebten die Vereinigten Staaten und, aufgrund der globalen US-Dominanz, auch die Welt gravierende Veränderungen. 2017 zogen sich die Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Handelsabkommen »Transpazifische Partnerschaft« (TPP) zurück und kürzten die Mittel für die Entwicklungshilfe und die Vereinten Nationen erheblich. Gleichzeitig baute Nordkorea seine nuklearen Kapazitäten aus, und die USA reagieren anders darauf als bisher, was die Gefahr eines neuen Krieges auf der koreanischen Halbinsel heraufbeschwört.

Der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry meinte dazu: „Die Amerikaner*innen sollten sich darüber klar sein, dass wir am Rande eines Krieges mit dem nordkoreanischen Regime stehen, welches – anders als noch 1994 – nun im Besitz eines Arsenals von vermutlich 20 Nuklearwaffen ist.“ In Washington sagen viele, die Gefahr eines Krieges liege bei 30 bis 50 Prozent; auch der republikanische Senator Bob Corker glaubt, Trump bereite den „Weg zum Dritten Weltkrieg“ vor.

Die Verhärtung der US-Politik gegenüber Nordkorea

Die Spannungen nahmen weiter zu, als Trump in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2017 drohte, „Nordkorea völlig zu zerstören“. Der nordkoreanische Außenminister Ri Yong-ho reagierte darauf mit der Erklärung, da die USA „unserem Land den Krieg erklärt haben, behalten wir uns von jetzt an das Recht auf Selbstverteidigung vor“.

Obamas »strategische Geduld«, eine Kombination aus Sanktionen, aggressiven militärischen Übungen und Cyberkriegsführung, scheiterte dabei, das Atomwaffenprogramm von Nordkorea zu stoppen. Stattdessen testete Nordkorea während Obamas Amtszeit vier Nuklearwaffen und über 90 ballistische Raketen. Bei ihrem Treffen im Weißen Haus nach Trumps Wahlsieg warnte Obama seinen Nachfolger, Nordkorea würde seine größte außenpolitische Herausforderung sein. Im Januar 2017 schrieb Trump beim Kurznachrichtendienst Twitter „Es wird nie passieren“ und meinte damit die Fähigkeit Nordkoreas, das Festland der USA mit einer nuklear bewaffneten Langstreckenrakete zu erreichen. Ein Jahr später testete Nordkorea eine Wasserstoffbombe und startete eine Interkontinentalrakete des Typs Hwasong-15, die Japan überflog und eine Reichweite von etwa 12.800 km aufwies. Damit demonstrierte Nordkorea, dass es in der Tat jeden Ort des Festlands der Vereinigten Staaten erreichen kann.

Die Trump-Administration nahm sich mehrere Monate Zeit, um ihre Nordkoreapolitik zu überprüfen, und teilte dann mit, sie würde die Entnuklearisierung Nordkoreas mit einer „Politik des maximalen Drucks und der absoluten Entschlossenheit“ erzwingen. Dieser Ansatz läuft im Wesentlichen auf »strategische Geduld 2.0« hinaus – eine Kombination aus aggressiver Militarisierung der asiatischen Pazifikregion, verschärften Sanktionen, die vor allem durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängt werden sollen, und Druck auf andere Länder, die diplomatischen Verbindungen mit Pjöngjang abzubrechen. Damit setzt Trump die fehlgeschlagene Politik Obamas fort, dennoch gibt es einige signifikante Unterschiede.

„Es findet eine deutliche Verlagerung hin zum Militärischen statt“, die es unter einer demokratischen Präsidentschaft nicht gegeben hätte, sagte Tim Shorrock, seit vielen Jahren Journalist bei »The Nation«. Shorrock ist überzeugt, eine Präsidentin Hillary Clinton hätte den Rat von Experten wie William Perry gesucht, der sich dafür aussprach, Nordkorea als Nuklearmacht zu akzeptieren, aber auf ein Ende der Nuklearwaffen- und Raketentests im Gegenzug zu einer Kombination aus Friedensabkommen und ökonomischen Anreizen hinzuarbeiten.

Obwohl die Regierungen Clinton, Bush jr. und Obama alle ernsthaft einen präemptiven Militärschlag gegen Nordkorea in Erwägung gezogen hatten, kamen sie jeweils zu dem Schluss, dass die Kosten viel zu hoch wären. Käme es auf der koreanischen Halbinsel zu einem Krieg, würden nach einer Schätzung des US Congressional Reseach Service [Wissenschaftlicher Dienst des US-Kongresses] bei konventioneller Kriegsführung binnen Kurzem mehr als 300.000 Menschen getötet. Kämen Nuklearwaffen zum Einsatz, wären bis zu 25 Millionen Menschen betroffen. Nach Plänen des Pentagon würden bei einem Erstschlag der USA auch Bodentruppen intervenieren, um die überall in Nordkorea versteckten unterirdischen Nukleareinrichtungen zu lokalisieren und zu sichern.

Das letzte Mal, dass die USA kurz davor standen, einen Präemtivschlag gegen Nordkorea durchzuführen, war 1994, als das Pentagon nur noch auf Bill Clintons Genehmigung des Militärschlags wartete. Diese Pläne wurden in letzter Minute durch den ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter gestoppt, der nach Pjöngjang flog und mit dem damaligen Machthaber Nordkoreas, Kim Il-sung, die Wiederaufnahme von Verhandlungen aushandelte, die schließlich zum Genfer Rahmenabkommen (Agreed Framework) führten. William Perry war damals US-Verteidigungsminister und bereit „Krieg zu riskieren, befürwortet inzwischen aber eindeutig eine friedliche Lösung. Kürzlich bestätigte Perry: „Ich glaube nicht, dass Nordkorea diese Waffen […] einsetzen wird, solange es nicht zu einem Angriff provoziert wird“.

Obwohl ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel unvorstellbar wäre, planen außenpolitische Falken im Weißen Haus ernsthaft einen präemptiven Schlag gegen Nordkorea. Die Ratio der »blutige Nase«-Strategie ist folgende: Bevor es soweit ist, dass Nordkorea die USA mit einer nuklear bewaffneten Langstreckenrakete erreichen könnte, solle das US-Militär einen Präzisionsschlag gegen eine Raketenstellung Nordkoreas ausführen, um zu demonstrieren, welcher Schaden dem Land zugefügt werden könnte.

Warum Nordkorea die Bombe will

Als Trump in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen den Nordkoreaner*innen mit ihrer Auslöschung drohte, erwähnte er nicht, dass die Vereinigten Staaten während des Koreakrieges (1950-1953) Nordkorea schon einmal völlig zerstörten. Der Koreakrieg forderte fast vier Millionen Leben. Auf Korea wurden damals mehr Bomben abgeworfen als im gesamten Verlauf des Zweiten Weltkrieges im asiatisch-pazifischen Kriegsgebiet. Curtis LeMay, im Koreakrieg General der US-Luftwaffe, sagte nach Kriegsende bei einer Anhörung im US-Kongress: Wir haben so gut wie jede Stadt in Nord- wie Südkorea niedergebrannt […] Wir haben über eine Million koreanischer Zivilist*innen getötet und mehrere Millionen aus ihrer Heimat vertrieben.1 Bruce Cumings, Historiker an der Universität von Chicago, zufolge haben die Vereinigten Staaten „in Nordkorea mehr Städte zerstört als während des Zweiten Weltkrieges in Japan oder Deutschland. Alle Nordkoreaner*innen wissen davon […] Wir hören davon nichts“. Trotz all dieser Verbrechen trieben die Nordkoreaner*innen die Vereinigten Staaten damals in eine Pattsituation und erzwangen 1953 einen Waffenstillstand.

Die Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel reicht bis ins Jahr 1958 zurück, als die USA nur wenige Jahre nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens damit begannen, auf ihren Stützpunkten in Südkorea Nuklearwaffen zu stationieren, und damit das Abkommen eindeutig verletzten. Zu Hochzeiten des Kalten Krieges hatten die USA in Südkorea bis zu 950 Nuklearwaffen stationiert, von denen allerdings keine mehr im Land sind.

Seit 1976 führen die Vereinigten Staaten und Südkorea jedes Jahr große gemeinsame Militärübungen durch, die von Nordkorea stets als Vorbereitung für eine Invasion eingestuft werden. An den zwei bis drei Monate dauernden Manövern nehmen jeweils Hunderttausende südkoreanische und US-Soldaten teil und es kommen Flugzeugträger, Tarnkappenbomber und nuklearwaffenfähige (wenn auch nicht nuklear bewaffnete) Bombenflugzeuge zum Einsatz. Während der Manöver befindet sich Nordkorea in einer Art Ausnahmezustand, was das Militär und die ohnehin schwache Wirtschaft unter zusätzlichen Druck setzt. Nordkorea ist zwar bemüht, seine konventionellen Waffen und Truppen einsatzbereit zu halten, seine Militärausgaben liegen aber bei deutlich weniger als einem Prozent des US-Verteidigungshaushalts. Nordkorea verfügt nach Aussagen von Überläufer*innen seines Militärs sowie von Kommandeuren des gemeinsamen Kommandos der Streitkräfte Südkoreas und der USA über veraltete Waffensysteme und schlecht ausgerüstete und ausgebildete Soldat*innen.

Der kontinuierliche und starke Druck auf Nordkoreas Militär und seine Sicherheitskräfte sind der Grund, weshalb Nordkorea auf Nuklearwaffen setzt. Um die Abschreckung angesichts eines möglichen präemptiven Schlags der USA glaubwürdig zu gestalten, konzentriert sich Nordkorea auf die Entwicklung mobiler Trägersysteme für nukleare Sprengköpfe, einschließlich Interkontinentalraketen und ballistischer Raketen, die von U-Booten aus gestartet werden können.

Im November 2017 führte Nordkorea einen erfolgreichen Test seiner Interkontinentalrakete Hwasong-15 durch, die bis zur Ostküste der USA fliegen könnte. Experten stellen allerdings die Abschreckungsfähigkeit der mobilen Startrampen in Frage, da das Land angeblich über lediglich 724 km asphaltierte Straßen verfügt. „Hwasong-15 wird wahrscheinlich in Silos in der Nähe des Bergs Baekdu stationiert“, sagt Dr. Jang Young-guen, Raketenexperte an der Korea Aerospace University; damit allerdings erhöhe sich auch die Gefahr eines US-Angriffs auf den Stationierungsort.

Beobachter gehen davon aus, dass die getestete Hwasong-15 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinander brach, was die Abschreckungsfähigkeit des Landes in Frage stellen würde. Nam Moon-hee, Nordkoreaexperte bei »SisaIN«, einer unabhängigen südkoreanischen Zeitschrift, rechnet damit, dass Hardliner in Washington auf einen präemptiven Schlag drängen werden, bevor aus Nordkoreas fortgeschrittenem Raketenprogramm wirklich eine zuverlässige Interkontinentalrakete hervorgeht, die das Festland der USA erreichen kann – das könnte schon Mitte 2018 der Fall sein. „Als erste militärische Option würden die USA vermutlich eine Seeblockade verhängen“, sagte Nordkoreaexperte Young C. Kim der Tageszeitung »Kyunghyang Shinmun«. „Je nachdem, wie Nordkorea darauf reagiert, könnte dies zu einem ausgewachsenen Krieg führen“. US-Außenminister Rex Tillerson deutete diese Möglichkeit als Reaktion auf den nordkoreanischen Raketentest vom November bereits als Option an.

Die Koreakrise im Kontext der Spannungen zwischen den USA und China

„Es gibt keine militärische Lösung, vergessen Sie es“, sagte Steve Bannon, bis vor Kurzem einer von Trumps wichtigsten Beratern, wenige Tage nachdem Trump im August 2017 davor gewarnt hatte, er werde Nordkorea mit „Feuer und Wut begegnen“. Nordkorea, so Bannon, sei „nur ein Nebenschauplatz“. Das echte Ziel sei China, mit dem sich die USA in einem „Handelskrieg“ befinde. 2011 bereits hatte der damalige US-Präsident Obama einen »pivot to Asia« (Schwenk Richtung Asien) verkündet, um China einzudämmen. Auch Trump sieht China als Bedrohung für die globale Hegemonie der USA und fordert das Land auf militärischem, ökonomischem und politischem Feld heraus.

Unter Obama planten die USA die Verlegung von 60 % der im Nahen und Mittleren Osten und in Europa stationierten US-Luft- und Seestreitkräfte in den asiatisch-pazifischen Raum bis zum Jahr 2020. Außerdem stimmte die US-Regierung einer Anpassung der Richtlinien für die Verteidigungskooperation zwischen den USA und Japan (US-Japan Joint Defense Cooperation) zu, was die Re-Militarisierung Japans fördert. In den Richtlinien wurde jegliche geografische Einschränkung gestrichen, wo das japanische Militär – die so genannten Selbstverteidigungskräfte – eingesetzt werden kann; außerdem wird die militärische Ausrüstung Japans stärker an die der USA angeglichen. Obama unternahm darüberhinaus den Versuch, zwischen den USA, Südkorea und Japan ein trilaterales Militärbündnis zu schmieden. Und schließlich vereinbarte die Regierung Obama im Jahr 2015 mit der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-hye den Aufbau des Raketenabwehrsystems THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) im Lande; die Indienststellung wurde allerdings bis Sommer 2017 zurückgestellt. Nach der Suspendierung Parks infolge eines Korruptionsskandals und angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass Moon Jae-in bei der erforderlich gewordenen Präsidentschaftswahl siegen und an die frühere »Sonnenscheinpolitik« anknüpfen würde, nutzte die Trump-Administration das politische Vakuum bis zu den Neuwahlen und begann einfach mit dem Aufbau des umstrittenen Raketenabwehrsystems, das nicht nur vor nordkoreanischen Raketen schützen soll, sondern mit seinem leistungsfähigen Radarsystem auch die Überwachung Chinas ermöglicht. Die Bedrohung durch das nordkoreanische Nuklear- und Raketenprogramm wurde von den USA also für eine deutliche Militarisierung der Region genutzt.

Die andere Säule des »pivot to Asia« war das transpazifische Handelsabkommen TPP, welches nach Obamas Vorstellungen einen regionalen Handels- und Wirtschaftsblock mit Anrainerländern Chinas schaffen sollte. Trump aber zog sich – auch auf Wunsch seiner nationalistischen Wählerbasis – unverzüglich aus TPP zurück und drohte China stattdessen mit Strafzöllen und Sanktionen. Die von der Regierung Trump im Dezember 2017 verabschiedete »Nationale Sicherheitsstrategie«, die Blaupause seiner Außenpolitik, benennt China ausdrücklich als ökonomischen Konkurrenten und macht klar, Washington werde „nicht länger die Augen verschließen vor Verstößen, Betrug oder ökonomischer Aggression.

Die Trump-Administration versucht, Chinas Ruf als eine globale Führungsmacht zu schmälern und das historische Bündnis zwischen Peking und Pjöngjang zu untergraben. Beim Gipfeltreffen der USA mit China brachte Trump das „furchtbare“ Handelsabkommen zwischen den USA und China in einen direkten Zusammenhang mit dem nordkoreanischen Nuklearwaffenprogramm. Wiederholt argumentierten die USA, China sei für die Situation mit Nordkorea verantwortlich, obwohl Peking kaum direkten Einfluss auf Pjöngjang haben dürfte. Laut Nam Moon-hee erhöht Trump als Teil der US-Strategie, mit der Chinas Einfluss als Vermittler in der Region geschwächt werden soll, den Druck auf Peking, die Schlinge um Nordkorea mit zusätzlichen Sanktionen enger zu ziehen. Wenn die USA mit Nordkorea direkte Gespräche aufnehmen, also ohne China als Vermittler, könnte dies Chinas globalen Einfluss untergraben. Und tatsächlich betonte US-Außenminister Tillerson auf die Frage, ob Washingtons Kontakte zu Nordkorea über China führten: „[W]ir haben zwei, drei Kanäle nach Pjöngjang offen, […] direkte“.

Die Neuausrichtung der Außenpolitik in der Ära Trump

Viele ringen noch darum, die US-Politik gegenüber Nordkorea zu verstehen, eines ist aber unübersehbar: Die Sorge vor unbesonnenen Handlungen der USA nimmt zu. Besonders deutlich wurde dies nach dem nordkoreanischen Raketentest vom November 2017, als der südkoreanische Präsident Moon sagte: „Wir müssen eine Situation verhindern, in der Nordkorea falsche Schlussfolgerungen zieht und uns mit Nuklearwaffen bedroht oder in der die USA einen präemptiven Schlag in Betracht ziehen. Diese Sorge findet sogar innerhalb der Trump-Administration Widerhall. Joseph Yun, der Abgesandte des US-Außenministeriums für Nordkorea, der immer wieder zu geheimen Treffen mit Vertretern Nordkoreas zusammenkommt, warnte, das Weiße Haus hätte eine „beeinträchtigte“ Diplomatie.

Die Notwendigkeit, einen Dialog zu beginnen, wurde erkannt. Nord- und Südkorea verständigten sich auf den Beginn eines Annäherungsprozesses. In seiner Neujahrsansprache 2018 betonte der nordkoreanische Staatsführer Kim Jong-un, beide Koreas „sollten sich bemühen, die militärischen Spannungen zu verringern“, und signalisierte, Nordkorea werde eine Delegation zu den Olympischen Winterspielen nach Pyeongchang entsenden. Südkorea reagierte umgehend und nahm die Telefon-Hotline in Panmunjom an der Waffenstillstandslinie wieder in Betrieb. Beide Seiten einigten sich auf ein Treffen der beiden Staaten am 9. Januar 2018, um über die Teilnahme an den Olympischen Winterspielen und weitere Themen, wie Familienzusammenführungen und Nuklearwaffen, zu sprechen.

„Südkoreas Regierung wird einen Krieg um jeden Preis verhindern“, erklärte Präsident Moon letzten August und arbeitet seither stetig an der Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Nach monatelangen Verhandlungen gelang es Moon auch, die Beziehungen zu China aufzutauen, die seit der Stationierung von THAAD sehr frostig waren. Moon legte auch den Grundstein für einen vorübergehenden »Stopp-für-Stopp«, indem er im Sinne eines »Olympischen Friedens« die Winterspiele in Pyeongchang zum Anlass nahm, um gemeinsame Militärmanöver mit den USA zu verschieben. Trump erklärte sich mit der Verschiebung der Manöver bis nach den Spielen einverstanden.

Im Herbst 2017 erinnerte Präsident Moon Nordkorea, „ökonomische Entwicklung ist unmöglich ohne internationale Kooperation“, und versprach Nordkorea mehr Sicherheit durch „innerkoreanische und ostasiatische ökonomische Zusammenarbeit“. Im September 2017 kündigten Moon und der russische Präsident Wladimir Putin gemeinsam eine Initiative für trilaterale nordostasiatische Kooperation an, die Nordkorea einbindet und Themen wie Energieversorgung und Transportwesen umfassen soll. Diese Ankündigung kam zur richtigen Zeit, weil viele Analysten davon ausgehen, dass Kim Jong-un inzwischen zu Gesprächen bereit sei und „die Aufmerksamkeit wieder auf die angeschlagene Wirtschaft des Landes lenken“ wolle, wie Tim Shorrock schrieb.

Der Vorstoß in Richtung Dialog nimmt auch im US-Kongress Fahrt auf. Tim Kaine, demokratischer Senator und während Hillary Clintons Wahlkampf Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, schrieb: „Über die Jahre hat Nordkorea wiederholt die Idee angesprochen, den [Korea-] Krieg endlich mit einem Friedensvertrag abzuschließen. Wir sollten ohne Vorbedingungen Verhandlungen aufnehmen“. Im November 2017 kündigten Abgeordnete beider Häuser des Kongresses eine neue parteiübergreifende Gesetzesinitiative an, um auszuschließen, dass Präsident Trump Nordkorea ohne die Zustimmung des Kongresses angreifen kann.

Nachdem Kim Jong-un angekündigt hat, Nordkorea habe die Ziele seines Nuklearwaffenprogramms erreicht, könnte er nun zu Wirtschaftsgesprächen bereit sein. Die von Moon und Putin vorgeschlagene ökonomische Initiative, die innerkoreanische Annäherung sowie Druck der größeren an dem »UN-Kommando« beteiligten Staaten2 auf die USA, direkte Gespräche mit Nordkorea zu führen, könnten hilfreich sein. Vielleicht können die Wirtschaftsvereinbarungen zwischen Russland und Europa, die den Weg zur deutschen Wiedervereinigung ebneten, als Modell für das offizielle Ende des Koreakrieges dienen.

Vieles wird sich erst in den kommenden Monaten klären, aber schon jetzt sind sich weltweit alle einig, dass diplomatische Schritte hin zu einem Friedensprozess der Unterstützung bedürfen, um einen verheerenden Nuklearkrieg zu verhindern, und hoffentlich auch, um den lange ersehnten koreanischen Friedensvertrag zu ermöglichen.

Anmerkungen

1) Diese Zahlen sind zu niedrig. Viele Quellen sprechen von knapp einer Million getöteter Soldaten und etwa drei Millionen getöteter Zivilist*innen, deshalb schreiben die Autor*innen weiter oben von „fast vier Millionen Leben“. Zahlreiche Opfer waren Chines*innen [der Übersetzer].

2) Die 1950 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete Resolution 84 unterstellte die damals gegen Nordkorea kämpfenden Truppen dem US-amerikanischen Oberbefehl und gestattete ihnen, unter der UN-Flagge zu agieren. Dieses Arrangement wird als »UN-Kommando« bezeichnet und ist mangels eines Friedensvertrags offiziell bis heute gültig [der Übersetzer].

Literatur

Der Originaltext samt Quellenangaben kann bei der Redaktion angefordert werden (redaktion@wissenschaft-und-frieden.de). Aufgrund vieler koreanischer Quellenangaben wurde hier auf Literaturverweise verzichtet.

Christine Ahn ist Gründerin und Internationale Koordinatorin von »Women Cross DMZ«, eine globale Frauenbewegung, die für ein offizielles Endes des Koreakrieges, die Wiedervereinigung koreanischer Familien und eine Führungsrolle von Frauen bei der Friedensschaffung mobilisiert.
Tae Lim ist Masterstudierender für Ingenieurswesen an der University of Michigan, Ann Arbor. Er hat einen Bachelor in Astrophysik der University of California, Berkeley. Momentan ist er Praktikant bei »Women Cross DMZ«.

Aus dem Englischen übersetzt von Marius Pletsch.

Atomwaffentest in Nordkorea

Atomwaffentest in Nordkorea

Eine Stellungnahme

von Götz Neuneck

Nordkorea führte nun schon den zweiten Nukleartest in diesem Jahr durch. Weitere Tests sind zu erwarten, genauso wie ein verschärftes Wettrüsten in Südostasien.

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr hat die Demokratische Volksrepublik Korea (DPRK) am 9. September 2016, dem Nationalfeiertag Nordkoreas, einen unterirdischen Kernwaffentest auf ihrem Testgelände in der Provinz Nord-Hamgyong durchgeführt. Die Auswertung der vom nationalen Datenzentrum für die Überwachung des Umfassenden Kernwaffenteststoppvertrages (CTBT),1 das von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover betrieben wird, aufgezeichneten seismischen Signale zeigt eine Raumwellenmagnitude zwischen 5,1 und 5,3. Dies entspricht in etwa einer Detonationsstärke von ca. 25 ± 7,5 Kilotonnen TNT-Äquivalenten.2 Sollte sich eine Magnitude von 5,3 bestätigen, so wäre dies der bisher stärkste Nuklearwaffentest Nordkoreas gewesen (siehe Tabelle).

Datum

Magnitude [mb]

Ladungsstärke [kt]

Radionuklidnachweis

09.10.2006

4,1

0,5-1

ja

25.05.2009

4,7

2-4

nein

12.02.2013

5,1

6-9

ja

05.01.2016

5,1

7-9

nein

09.09.2016

5,1/5,3

9-30

ausstehend

Tabelle 1: Kernwaffentests in Nordkorea

In dem von der CTBT-Organisation betriebenen weltweiten International Monitoring System (IMS) konnten in der unmittelbaren Umgebung 25 seismische Stationen Mess-Signale auffassen und mit großer Genauigkeit das Epizentrum lokalisieren.3 Nach Aussagen der CTBTO war die Detonationsstärke etwas größer als bei den Vorgängertests. Allerdings war die Explosionsstärke der letzten drei Tests von ähnlicher Größe, daher ist es sehr wahrscheinlich, dass ein ähnlicher Sprengkopftyp ein weiteres Mal getestet wurde. Den endgültigen Beweis, ob es sich um einen Kernwaffentest gehandelt hat, wird die internationale Gemeinschaft erst erlangen, wenn es dem IMS gelingt, radioaktive Spuren der Explosion zu messen. Es bleibt dennoch äußerst plausibel, dass es sich hier um eine weitere unterirdische Nuklearexplosion gehandelt hat.

Weltweit wurde der Test verurteilt und auf die nordkoreanische Nichteinhaltung des internationalen Tabus von Nukleartest und Nichtverbreitungsnormen verwiesen. US-Präsident Obama sprach von einer ?schweren Bedrohung der regionalen Sicherheit und des internationalen Friedens und der Stabilität? und kündigte ?ernste Konsequenzen? an.4 Der deutsche Außenminister Steinmeier bestellte ein weiteres Mal den nordkoreanischen Botschafter in Berlin ein. Auch das russische und das chinesische Außenministerium verurteilten den Test und riefen zur Mäßigung und zur Wiederaufnahme der »Sechs-Parteiengespräche« über ein kernwaffenfreies Korea auf. Sowohl der Generalsekretär der Vereinten Nationen als auch der Generalsekretär der Internationalen Atomenergieorganisation sowie der Chef der CTBTO meldeten sich zu Wort und verwiesen auf den Bruch diverser Resolutionen des UN-Sicherheitsrates durch Nordkorea.5

Schon Tage vor dem Test waren durch Satellitenaufnahmen Aktivitäten an mehreren Tunneleingängen des Testgeländes Punggye-ri beobachtet worden.6 Die nordkoreanische Regierung gab nach dem Test an, dass ein Sprengkopf getestet wurde, der kompakt genug sei, um auf eine ?strategische Rakete? montiert zu werden.7 Die möglicherweise nun erlangte ?Standardisierung? ermögliche Nordkorea die Produktion von ?kleineren, leichteren und verschiedenartigen nuklearen Sprengköpfen?.8 Das »DPRK Nuclear Weapons Institute« hatte erklärt, Nordkorea sei nun in der Lage, transportfähige Sprengköpfe herzustellen.

Wie stets wurde dieser Kernwaffentest zuvor von Raketentests begleitet.9 Seit Februar 2016 feuerte Nordkorea ca. 30 ballistische Raketen mit einer Reichweite von 200 km und mehr ab. In diesem Jahr fanden auch bereits einige Aufsehen erregende Tests von Mittelstreckenraketen statt. So wurde am 24. August 2016 eine U-Boot-gestützte Rakete (KN-11) abgeschossen. Sie legte dabei eine Entfernung von ca. 500 km zurück. Weitere Tests von Mittelstreckenraketen fanden im Mai und Juni (Musudan, 2.500-4.000 km) sowie im Juli, August und September (No-Dong, ca. 1.000 km) statt. Nicht alle Tests waren erfolgreich, und Nordkorea setzt alles daran, seine Fähigkeiten im besten Licht darzustellen. Mit einem Mittelstreckenpotenzial kann Nordkorea im Stationierungsfall mögliche Ziele in Südkorea, Japan und eventuell auch US-Streitkräfte auf Guam bedrohen. Die Entwicklung einer Interkontinentalrakete (ICBM), die die USA erreichen kann, dürfte jedoch noch einige Zeit brauchen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob Nordkorea einsetzbare Nuklearsprengköpfe aus unterschiedlichen waffenfähigen Materialien (Plutonium, hoch angereichertes Uran) herstellen und auf seinen getesteten Mittelstreckenraketen stationieren wird. Bisher wurden die Kernwaffentests von 2006, 2009 und 2013 eher als symbolische Akte interpretiert, u.a. um die USA wieder an den Verhandlungstisch zu bringen und weitere Zugeständnisse zu erhalten. Auch wollte Nordkorea durch die Tests signalisieren, dass es einen Angriff der USA mit seinem (wenn auch nicht näher bekannten) Nuklearpotenzial abschrecken kann. Nun dürfte sich die Situation in Nordostasien zuspitzen, da die meisten Staaten in der Region damit rechnen müssen, dass Nordkorea nuklearwaffenfähige Mittelstreckenraketen stationieren wird. Allerdings hat Nordkorea immer wieder durch bearbeitete Propagandafotos und zweifelhafte Statements, wie z.B. im Januar 2016 die Behauptung, eine Wasserstoffbombe getestet zu haben, die eigenen Fähigkeiten übertrieben dargestellt, um ernst genommen zu werden.

Mögliche Folgen und Reaktionen

Seit Langem wird versucht, mit diplomatischen Mitteln ein Ende der nuklearen Rüstung einschließlich der Beschränkung von Raketentests zu erreichen und das militärische Nuklearprogramm Nordkoreas zu beenden.10 Die Kombination aus weltweiter Verurteilung, verschärften Sanktionen, Embargos und verstärkter Isolation hat allerdings nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Nach dem letzten Nukleartest im Januar 2016 hatten die USA entschieden, in Südkorea eine Batterie des Raketenabwehrsystems »Terminal High Altitude Area Defense« (THAAD) zum Schutz Südkoreas und der US-Truppen zu stationieren.11 Trotz erheblicher lokaler Proteste hat die südkoreanische Regierung dem inzwischen zugestimmt. Die USA verfügen zur Zeit schon über fünf THAAD-Batterien, von denen eine in Guam stationiert ist.12 Die Stationierung von THAAD provoziert China, da die Volksrepublik fürchtet, diese Raketenabwehrkapazität könnte sein relativ kleines strategisches Nukle­ararsenal unterminieren. Wenn die nordkoreanische Raketenentwicklung schnell voranschreitet, wird eine THAAD-Abwehrbatterie nicht ausreichen, sodass ein weiterer Wettlauf zwischen Offensivraketen und Defensivsystemen vorprogrammiert ist.

Ein weiteres Konfliktfeld ist das ausstehende Inkrafttreten des Umfassenden Kernteststoppabkommens CTBT, dem sich seit 1996 183 Staaten angeschlossen haben. Der Vertrag kann erst in Kraft treten, wenn ihn auch die folgenden acht Staaten ratifiziert haben: Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und USA. Um die internationale Norm eines weltweiten Kernwaffenteststopps zu stärken, sollte der überfällige Ratifikationsprozess so schnell wie möglich aktiver betrieben werden. Zwar wird dies Nordkorea nicht unmittelbar beeindrucken, aber die Festigung einer überprüfbaren Norm wird den Druck auf die Länder, die nicht ratifiziert haben, erhöhen. Am 23. September 2016 wurde im UN-Sicherheitsrat die Resolution 2310 mit 14:0 Stimmen verabschiedet. Diese ruft die ausstehenden Länder auf ?ohne weitere Verzögerung? zu ratifizieren, die CTBTO weiter zu unterstützen und das weltweite Testmoratorium einzuhalten.

Das Dossier Nordkoreas wird nun eine Top-Priorität für die neue US-Regierung bilden. Es ist zu erwarten, dass es eine weitere US-Gesprächsoffensive mit Nordkorea gibt, aber auch verstärkte Rückversicherungsmaßnahmen für Südkorea und Japan durch die Stationierung weiterer THAAD-Batterien.

Anmerkungen

1) CTBT steht für Comprehensive Test Ban Treaty. Die für den CTBT geschaffene Organisation (CTBTO) in Wien arbeitet bis zum Inkrafttreten des 1996 vereinbarten internationalen Vertrags provisorisch, verfügt weltweit aber bereits über 321 seismische, hydroakustische, Infraschall- und Radionuklid-Mess-Stationen und 16 Labors. Bis auf Nordkorea halten sich alle Länder der Welt seit 1998 an den Vertrag bzw. an ein Testmoratorium.

2) Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: BGR registriert vermutlichen fünften nordkoreanischen Kernwaffentest. keine Datumsangabe; bgr.de.

3) CTBTO: CTBTO Executive Secretary Lassina Zerbo on the unusual seismic event detected in the Democratic People's Republic of Korea. 9.9.2016; ctbto.org.

4) The White House: Statement by the President on North Korea?s Nuclear Test, September 9, 2016.

5) Nach dem Nukleartest vom Januar 2016 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2270, die u.a. Schiffsinspektionen erlaubt und ein Embargo für Flugzeugtreibstoff und seltene Mineralien verhängt. Siehe: United Nations – Meetings Coverage: Security Council Imposes Fresh Sanctions on Democratic People's Re­public of Korea, Unanimously Adopting Resolution 2270 (2016). 2.3.2016.

6) Joseph S. Bermudez and Jack Liu: New Activity Near All Three Portals at the Punggye-ri Nuclear Test Site. US-Korea Institute at SAIS – 38 North, 8. September 2016. Die Website »38 North« (38north.org) bietet Analysen zu Nordkorea.

7) Das Statement des DPRK Nuclear Weapon Institute wird im Eintrag »DPRK Conducts Fifth Nuclear Test« auf nkleadershipwatch.wordpress.com vom 9.9.2016 wiedergegeben.

8) Hierzu heißt es in der Originalerklärung des DPRK Nuclear Weapons Institute (siehe Fußnote 7): ?The standardization of the nuclear warhead will enable the DPRK to produce at will and as many as it wants a variety of smaller, lighter and diversified nuclear warheads of higher strike power with a firm hold on the technology for producing and using various fissile materials.?

9) Eine Zeitleiste der nordkoreanischen Raketentests findet sich unter 38north.org/2016/08/missiletimeline082416/.

10) Eine bis 2014 reichende Chronologie der entsprechenden diplomatischen Bemühungen findet sich auf der Website der Arms Control Association unter legacy.armscontrol.org/­factsheets/dprkchron.

11) Die THAAD Batterie soll 220 km südöstlich von Seoul in Seongju stationiert werden.

12) Eine THAAD Batterie besteht aus einem TPY-2 X-Band-Radar, einem Führungszentrum und einigen Startgeräten, die bis zu acht Abfangraketen aufnehmen können. Die Abfanghöhe liegt zwischen 40 und 200 km.

Prof. Dr. Götz Neuneck ist Physiker und geschäftsführender wissenschaftlicher Ko-Direktor des Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Dieser Text erschien am 14. September 2016 als IFSH-Stellungnahme und wurde für W&F leicht aktualisiert und überarbeitet.

Kollateralschaden des Koreakriegs

Kollateralschaden des Koreakriegs

60 Jahre ohne Friedensvertrag

von Christine Ahn

Der Koreakrieg endete laut der üblichen Geschichtsschreibung vor 60 Jahren, wenn auch nur mit einem Waffenstillstand, nicht mit einem Friedensvertrag. Unsere Autorin sieht dies anders: Dieser Krieg sei bis heute nicht beendet, mit fatalen Folgen für die Koreaner nördlich wie südlich der Demarkationslinie. Auch gigantische Aufrüstungsmaßnahmen seien Folge des nie beendeten Krieges, und mitschuldig an der Misere seien die USA.

Die Insel Jeju wurde 2011 für ihre außerordentliche landschaftliche Schönheit zu einem der sieben neuen Weltwunder gewählt. Gut 100 Kilometer südlich der koreanischen Halbinsel gelegen, weist Jeju Island die weltweit höchste Zahl an UNESCO-Geoparks sowie mehrere Biosphärenreservate und als UNESCO-Weltkulturerbe ausgewiesene Stätten auf.

An der Südküste der Insel, weniger als zwei Kilometer vom UNESCO-Biosphärenreservat Beom Islet entfernt, liegt das 450 Jahre alte Dorf Gangjeong. Die Straßen dieser landwirtschaftlich geprägten Ortsgemeinde sind von Mauern aus Lavagestein gesäumt; Mandarinen-, Aprikosen- und Feigenbäume wachsen in Hülle und Fülle. Entlang Ganjeongs Küste, wo frisches Quellwasser auf Meerwasser trifft, zieht sich ein großes Lavamassiv, von den Dorfbewohnern liebevoll »Gureombi« genannt. Dieses seltene marine Ökosystem – das einzige felsige Feuchtgebiet auf der Insel Jeju – beheimatet verschiedene bedrohte Arten und Weichkorallenriffe. Von den 132 in Korea vorkommenden Korallenarten finden sich 92 an der Küste von Jeju und davon wiederum 66 in diesem Gebiet. Seit Generationen bieten diese Gewässer den Fischern und den »haenyo«, Jejus berühmten Meerestaucherinnen, eine stabile Existenzgrundlage. Seit einigen Jahren sind sie allerdings auch Schauplatz einer hartnäckigen Widerstandsbewegung von DorfbewohnerInnen, die sich erbittert gegen den Bau eines südkoreanischen Marinestützpunktes wehren. Die Jeju Naval Base soll u.a. Stützpunkt für das amerikanische Raketenabwehrsystem werden, das der Eindämmung Chinas dienen soll.

Jeju liegt in der Koreastraße, ziemlich genau im Schnittpunkt zwischen Beijing, Hongkong, Shanghai, Tokio, Taipeh und Wladiwostok. Viele Kommentatoren sagen, Jeju sei ein Opfer des »Asia Pacific Pivot«, der politisch-strategischen Umorientierung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum, die die Regierung Obama im Jahr 2011 angekündigt hat. Diese neue außenpolitische Doktrin sieht vor, dass die USA mittels aggressiver ökonomischer Expansion und dem Einsatz militärischer Mittel ihre Vorherrschaft über diese Region sichern. Dazu sollen erhebliche militärische Kontingente nach Asien und in die Pazifikregion verlegt werden; Bestandteil der Planung sind zusätzliche bzw. erweiterte Militärbasen, Überwachung und moderne Kriegsführung. Das Pentagon hat entschieden, 60% seiner Luft- und Seestreitkräfte in Asien und dem Pazifik zu stationieren, u.a. in Vietnam, den Philippinen und Australien. Zweifellos verschärft der «Pivot« die Spannungen in einer Region, die ohnehin noch von Konflikten aus dem letzten Jahrhunderts geprägt ist.

Korea als Rechtfertigung für US-»Pivot«

Der nie formell beendete Koreakrieg ist einer dieser ungelösten Konfliktea und liefert die Begründung für die weitere Militarisierung des Landes und für den Bau der Marinebasis auf Jeju.

Es wird oft übersehen, dass vor allem ein Land den USA als Rechtfertigung für ihre militärische Expansion in der asiatisch-pazifischen Region dient: Korea. Bruce Cumings, der führende Historiker zur koreanischen Geschichte, schreibt dazu: „Weder […] der Vietnamkrieg noch der Marshall-Plan waren Ursache für den hohen Verteidigungshaushalt und den nationalen Sicherheitsstaat, sondern der Koreakrieg. Er bedingte die Transformation von einer begrenzten Eindämmungsdoktrin zu einem globalen Kreuzzug. Letzterer wiederum entfachte den McCarthyismus just dann neu, als dieser zu verebben schien, und verlieh damit auch dem Kalten Krieg seinen langen Atem.“

Wie vor 60 Jahren dient auch heute Korea als Rechtfertigung für die amerikanische Aggression im asiatisch-pazifischen Raum. Als Nordkorea im Dezember 2012 erfolgreich einen Satelliten startete und wenige Monate später erneut eine Atomwaffen testete, drängten die USA den UN-Sicherheitsrat zu weiteren Sanktionen, dieses Mal unter Beteiligung Chinas. Nordkorea verschärfte daraufhin den Ton: Das Land erklärte das Waffenstillstandsabkommen für ungültig und drohte mit Schlägen auf US-amerikanische und südkoreanische Ziele, falls ein Angriff auf nordkoreanisches Territorium erfolgen sollte. Das entscheidende Wort hierbei wurde in den US-Medien unterschlagen: „falls“. Dies setzte einen Feuersturm militärischer Reaktionen in Gang, darunter eine beispiellose Machtdemonstration der USA während eines gemeinsam mit Südkorea durchgeführten Gefechtsübung. Im Rahmen dieses Militärmanövers schickten die USA nuklearwaffenfähige Tarnkappenbomber des Typs B-2 nach Südkorea. Diese Bomber können 30.000-Pfund-Bomben abwerfen, die speziell für die Zerstörung von Nordkoreas unterirdischen Militäranlagen entwickelt wurden. Auch das mit Tomahawk-Raketen ausgerüstete Atom-U-Boot U.S.S. Cheyenne nahm an dem Manöver teil. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta sagte, die Vereinigten Staaten stünden „jeden Tag wenige Zentimeter vor einem Krieg mit Nordkorea“.

Das Wissen um die Geschichte

In Wahrheit sind die USA immer noch im Krieg mit Nordkorea. Nach dem Tod von vier Millionen Koreanern, die meisten davon Zivilisten, blieb der Koreakrieg trotz Unterzeichnung des vorläufigen Waffenstillstandabkommens zwischen den USA, Nordkorea und China am 27. Juli 1953 ungelöst. Der Waffenstillstand enthielt drei zentrale Klauseln:

1. Innerhalb von drei Monaten sollen die Unterzeichnerstaaten eine dauerhafte Friedensregelung ausarbeiten. Diese Vereinbarung wurde nie erfüllt.

2. Alle ausländischen Truppen sollen sich aus Korea zurückziehen. China rief daraufhin sämtliche Truppen zurück, die USA hingegen stationieren immer noch 28.500 Soldaten auf 80 Militärbasen und in anderen Einrichtungen in ganz Südkorea.

3. Es sollen keine neuen Waffen in Korea eingeführt werden. Auch diese Klausel verletzten die USA mit der Stationierung von Nuklearwaffen in Südkorea, die erst 1991 von der Regierung Bush sen. abgezogen wurden.

Dieses Jahr jährte sich das Waffenstillstandsabkommens zum 60. Mal – und die gesamte Ära seither ist durch Krieg, die Teilung des Landes und die anhaltende Militarisierung Koreas gekennzeichnet, im Norden wie im Süden.

Das Wissen um diese Geschichte ist Voraussetzung zum Verständnis der gegenwärtigen Situation. Der nie beendete Koreakrieg ist ursächlich für die gegenwärtige Krise auf der koreanischen Halbinsel und für Maßnahmen wie den Bau der Militärbasis auf Jeju. Es ist einfach, Nordkorea als kriegslüstern zu verurteilen. In Wirklichkeit wird Nordkorea provoziert, und zwar durch den »Pivot« und die amerikanisch-koreanischen Kriegsspiele, bei denen Zehntausende amerikanische und südkoreanische Soldaten eine Invasion in und Besetzung von Nordkorea simulieren. Nordkorea ist der perfekte Schwarze Peter für Washington, um den »Pivot« zu begründen, ohne die wahre Absicht – die Eindämmung Chinas – zuzugeben. Seitdem die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton diesen »Pivot« im Jahr 2011 ankündigte, verzeichnete die Rüstungsindustrie der USA ungeachtet der globalen Rezession eine Umsatzsteigerung um fünf Prozent. Und seitdem Washingtons im Dezember 2012 dem Verkauf von Drohnen an Seoul zustimmte, wächst auch der Waffenhandel der USA mit Japan, Taiwan, Singapur, Australien und anderen US-Alliierten.

Unterdessen treibt die südkoreanische Regierung die Sprengung und Ausbaggerung der Korallenriffe von Gangjeong für die Marinebasis mit Hochdruck voran. Südkoreas Wirtschaft hängt fast ausschließlich vom Seehandel ab – ein Resultat der Teilung der Halbinsel entlang des 38. Breitengrades. Gemäß der südkoreanischen Marineplanung sollen an der Basis 20 Kriegsschiffe andocken können, einschließlich der Aegis-Boote mit der Raketenabwehr der USA.

Gegen den Bau der Basis gibt es täglich Proteste von Dorfbewohnern und sympathisierenden Aktivisten, darunter den großen Glaubensgemeinschaften des Landes; US-Stars wie Filmemacher Oliver Stone und Schriftstellerin Gloria Steinem unterstützen die Bewegung mit Solidaritätsbesuchen.1 Dennoch arbeiten die Firmen Samsung und Daelim im Auftrag der Regierung rund um die Uhr, um die Basis bis 2015 fertig zu stellen.

Die Kosten des Krieges

Es gibt noch mehr Kollateralschäden des nie beendeten Koreakrieges. Kürzlich fand an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) eine Konferenz statt, die vom Korea Policy Institute, dem UCLA Center for Korean Studies und den United Methodist Women on Ending the Korean War veranstaltet wurde. Eine junge koreanisch-amerikanische Frau warf die Frage auf, warum ihre Generation Interesse an der Wiedervereinigung Koreas haben sollte, wo die Kosten für die Unterstützung des verarmten Nordens für Südkorea doch absolut unerschwinglich seien.

Ich forderte sie auf, das Problem anders zu betrachten, und fragte meinerseits: „Wie hoch sind die Kosten für die Aufrechterhaltung der Teilung und den permanenten Kriegszustand?“ Dabei geht es nicht nur um die Verschwendung knapper öffentlicher Gelder für die Kriegsvorbereitung, die die öffentlichen Kassen überall belastet. Den meisten Amerikanern ist nicht bewusst, dass die US-Regierung mehr als die Hälfte des Staatshaushalts für den militärisch-industriellen Komplex ausgibt, während gleichzeitig jedes vierte Kind hungrig zu Bett geht und fast 50 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung dastehen.

Zu den Kosten dieses Krieges gehören auch Repressionen im Namen der nationalen Sicherheit auf beiden Seiten der demilitarisierten Zone. Im so genannten demokratischen Südkorea definiert das vom Kalten Krieg geprägte »National Security Law« Gewerkschafter, Umwelt-, Friedens- und andere im Bereich sozialer Gerechtigkeit tätige Aktivisten als »Kommunisten«; infolgedessen unterwerfen sich die meisten Menschen einer Art Selbstzensur und sagen lieber nicht, was sie denken.

Gegenwärtig führen die Konservativen unter Führung der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-hye, Tochter des früheren Diktators Park Chung-hee, der Korea 18 Jahre lang mit eiserner Faust regierte, eine regelrechte Hexenjagd durch. Während der Präsidentschaftswahlen 2012 griff der Inlandsgeheimdienst »National Intelligence Service« (NIS) in den demokratischen Prozess ein: Er organisierte eine Hetzkampagne gegen liberale und linke Kandidaten, die er in einer Rufmordkampagne in mehreren Online-Foren als Kommunisten und Sympathisanten des Nordens verleumdete. Als landesweit Rufe nach Auflösung des NIS aufkamen, konterte der Geheimdienst mit Razzien in den Büros der Unified Progressive Party, verhaftete mehrere Mitglieder der Partei, darunter den Abgeordneten Lee Seok-ki, und stellte sie unter Anklage. Er behauptet, Lee sei Anführer der »Revolutionary Organization«, die angeblich gemeinsam mit Nordkorea einen bewaffneten Aufstand plane. Die Situation ist inzwischen so eskaliert, dass aus allen Bereichen der südkoreanischen Zivilgesellschaft die Forderungen erhoben wird, diese Hexenjagd zu beenden und das Augenmerk wieder auf die wahren Kriminellen zu richten, namentlich den NIS.

Nördlich der demilitarisierten Zone gibt es einen weiteren Kollateralschaden des unbeendeten Koreakrieges: die Menschenrechtskrise in Nordkorea, geschürt von 60 Jahren Sanktionen, die vor allem von den USA betrieben werden und die Wirtschaft des Nordens lahm legten sowie die Menschen in das Elend zwangen.

Es ist allgemein bekannt, dass im Krieg oder unter der Drohung des Krieges bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte oft eingeschränkt oder bedroht sind. Auch die USA begründen Menschenrechtsverletzungen mit der nationalen Sicherheit. Unter diesem Vorwand rechtfertigte die Regierung Bush jr. die systematische Folter von Gefangenen, und sogar Präsident Obama führte die nationale Sicherheit ins Feld, um zu erklären, warum Guantanamo nicht geschlossen werden kann.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will auf keinen Fall die Praxis Nordkoreas rechtfertigen, Flüchtlinge zwangsweise nach Nordkorea zurückzuführen und dort in Umerziehungslager zu stecken. Der Gedanke an diese Vorgehensweise ist nur schwer zu ertragen. Aber die Suche nach einer Lösung dieser Menschenrechtskrise verlangt einen holistischen Ansatz und eine kontextbezogene Wahrnehmung, warum Nordkorea sich so verhält. Man muss zur Wurzel des Konflikts vordringen: den nie beendeten Koreakrieg, der auf beiden Seiten der demilitarisierten Zone die Militarisierung und die Verletzung der Menschenrechte im Namen der nationalen Sicherheit vorangetrieben hat. In den Vereinigten Staaten und den anderen Ländern des Westens mangelt es an jeglicher Historisierung des Koreakriegs und seine Folgen und damit auch an einem tieferen Verständnis, warum so viele Menschen aus Nordkorea fliehen.

Elend und getrennte Familien

Die Teilung hat unmittelbare Folgen vor allem für die nordkoreanischen Frauen, die auf der Suche nach einem besseren Leben den Großteil der Nordkoreaflüchtlinge stellen, sind Frauen auf der Flucht doch besonders vielfältigen Gefahren ausgesetzt, u.a. dem Menschenhandel und der sexuellen Ausbeutung. Sogar die Washington Post stellte fest, dass „nordkoreanische Überläufer vor allem Frauen aus der Arbeiterschicht und aus ländlichen Gebieten sind, die vor Hunger und Armut fliehen, nicht vor politischer Repression.“

An dem Elend der Menschen in Nordkorea sind die Vereinigten Staaten federführend mitschuldig, und dies in mehrerer Hinsicht: Zum einen wirkten sich die Sanktionen in den vergangenen 60 Jahren massiv auf das Alltagsleben der Nordkoreaner aus. Auf seiner letzten Reise nach Nordkorea, die er gemeinsam mit anderen Friedensnobelpreisträgern unternahm, sagte der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter: „Werden Sanktionen über ein ganzes Volk verhängt, dann leiden die Menschen am stärksten und die Führer am wenigsten.“ Und weiter: „Aufgrund der Sanktionen blieb den Nordkoreanern ein angemessener Zugang zu Handel und Gewerbe verwehrt, mit verheerenden Folgen für die nordkoreanische Wirtschaft.“ Zum anderen zwingt der unbeendete Krieg Nordkorea dazu, seine begrenzten Ressourcen in das Militär zu stecken. Als Nordkorea im Frühjahr 2013 das Waffenstillstandsabkommen aufkündigte, erklärte das Regime, der unbeendete Krieg habe das Land dazu gezwungen, „große personelle und materielle Ressourcen auf die Verstärkung der Streitkräfte zu verwenden, obwohl diese für die ökonomische Entwicklung und die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung dringend benötigt würden“. Dies ist wahrlich ein Eingeständnis, das wir in ähnlicher Form bislang weder von den USA noch von Südkorea gehört haben.

Und schließlich leiden Millionen getrennter Familien in Korea und in der gesamten Diaspora unter den Kriegsfolgen. Schätzungen zufolge sind immer noch zehn Millionen Familien auseinander gerissen aufgrund der Teilung entlang der entmilitarisierten Zone. Wir sollten auf der ganzen Welt unsere kollektive Energie darauf verwenden, die 1,2 Millionen Landminen in der demilitarisierten Zone zu entschärfen, so dass Koreaner aus dem Norden und dem Süden diese unbehindert überqueren können. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Koreakrieg endlich mit einem endgültigen Friedensvertrag beendet wird.

Anmerkung

1) Die Proteste gegen die Marinebasis auf Jeju und ihre historische Vorgeschichte (entsetzliche Massaker der unter US-Befehl stehenden südkoreanischen Sicherheitskräfte an 60.000 BewohnerInnen von Jeju während des Koreakrieges) schildert Regis Tremblay in seinem Film »The Ghosts of Jeju« (2013, 90 Min.); www.theghostsofjeju.net.

Christine Ahn ist Gründungsmitglied des Korea Policy Institute, der National Campaign to End the Korean War und der Global Campaign to Save Jeju Island.
Übersetzt von Bentje Woitschach

Kriegsgerassel

Kriegsgerassel

von Jürgen Nieth

Große Töne vom kleinen Kim beschäftigten im April weltweit die Nachrichtenagenturen.

Auf einer Plenarsitzung des ZK der Arbeiterpartei hatte Kim Jong Un Ende März erklärt, das nordkoreanische „Nuklearwaffenarsenal sei »das Leben der Nation« und auch für »Milliarden von Dollar« nicht verhandelbar“. Anfang April kündigte er dann an, den 2007 stillgelegten Plutonium-Reaktor in Yongbyon wieder hochzufahren und die Urananreicherung erneut aufzunehmen. Am 3. April sperrte Nordkorea den Zugang zum gemeinsam mit Südkorea betriebenen Industriepark Kaesong, und einen Tag später „bewilligte Kim dann offiziell »eine gnadenlose Operation der Streitkräfte« – sprich Nuklearschläge – gegen die USA“. Vorausgegangen war dieser Politik der „Drohungen und Hasstiraden“ ein dritter Atomwaffentest am 12. Februar 2013 (alle Zitate Der Spiegel, 08.04.13, S.89).

Der Irre vom Dienst?

Für C. Neidhart (SZ, 16.04.13, S.4) wurde Kim Jong Un damit zum „Buhmann des Jahres“, und für C. Wergin (Die Welt, 13.04.13, S.3) führt sich „der neue Führer […] auf wie ein Berserker“. F. Henning geht in der taz (16.04.13, S.14) noch einen Schritt weiter und wählt die Überschrift „Der Irre vom Dienst“. Vor acht Jahren hatte bereits der Spiegel (7/2005) beim Vater von Kim Jong Un getitelt: „Der Irre mit der Bombe.“ Jetzt begnügte er sich mit „Der Feind der Welt“ (08.04.13).

Drohungen oder reale Kriegsgefahr?

Eine reale Kriegsgefahr sieht C. Wergin (Die Welt, 13.04.13, S.3): „Nordkorea hat Südkorea zur Geisel seiner konventionell bestückten Raketen und seiner Atomsprengköpfe gemacht und könnte möglicherweise auch Japan mit atomarem Feuer überziehen […] Und niemand kann sagen, ob das Regime […] nicht irgendwann den roten Knopf drückt.“ Der Spiegel (08.04.13) verweist auf die Eskalationsgefahr: „Die USA bringen eine mächtige Flotte in Stellung – eine falsche Bewegung könnte eine verheerende Kettenreaktion auslösen.“

Die Gefahr eines Angriffskrieges durch Nordkorea sieht die Mehrheit der in den deutschen Medien zitierten Asienexperten und Kommentatoren allerdings nicht.

Drei Beispiele: In der taz (15.04.13, S.12) stellt M. Fritz fest: „Trotz Kriegsrhetorik gibt es bisher keine Indizien für Angriffsvorbereitungen. Eigene Manöver finden fernab der feindlichen Truppen statt. Die 1,2 Millionen Soldaten bleiben in ihren Kasernen.“

Josef Joffe formuliert im Handelsblatt (11.04.13, S.12): „Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges auf der koreanischen Halbinsel tendiert gegen null […] Der 30-Jährige […] kann keinen Krieg wollen, nicht zuletzt, weil er ihn nicht gewinnen kann […] Kims Kanonen hätten nicht mehr Zeit als eine Minute, dann wären sie das Opfer der radargesteuerten Konter-Artillerie des Klassenfeindes.“

Und B. Bartsch schreibt in der FR (15.04.13, S.11): „Das Regime […] hat […] häufig bewiesen, dass es bei aller Skrupellosigkeit äußerst rational agiert. Eine vollkommene Isolation oder gar ein Krieg wären für Nordkoreas Herrscher politischer Selbstmord.“

Hintergründe

Innenpolitische Gründe sind für fast alle Kommentatoren ausschlaggebend für das Kriegsgerassel. So schreibt M. Pohl in der FAZ (15.04.13, S.7): „Nach seiner gut einjährigen Amtszeit hat Kim Jong-un machtpolitisch noch lange nicht das Format seines Vaters Kim Jong-il oder gar seines Großvaters Kim Il-sung – er steht unter einem enormen Legitimationsdruck gegenüber Partei […] und Militär.“ Die Mentoren des jungen Kim „müssen nun das militärische Establishment aufbrechen, die Rolle der Partei stärken und aus dem jungen Diktator einen militärischen Führer machen.“ Pohl verweist auf notwendige Wirtschaftsreformen. Zur anderen „Seite der Imagekampagne für Kim Jong-un“ gehöre, dass der einst geschasste Wirtschaftsreformer Pak Pong-ju jetzt als Regierungschef die Aufgabe habe, die Versorgungslage zu verbessern. Auch C. Neidhart geht in der SZ (16.04.13, S.4) auf den Hunger in Nordkorea ein und meint: So kann es nicht weitergehen, „der junge Kim soll – und will wohl auch – das Los seines Volkes verbessern […] Die freien Märkte, die heute mehr als die Hälfte der Versorgung Nordkoreas leisten, sind […] 1994/95 als (illegale) Selbsthilfe-Instrumente entstanden. Das Regime […] unterdrückte sie vorübergehend wieder, akzeptiert sie aber heute.“

Eskalation statt Deeskalation

Trotzdem bringen die USA eine Streitmacht in diese Region, „wie sie die Welt lange nicht mehr gesehen hat: Zwei US-Flugzeugträger mit Begleitschiffen sind auf dem Weg in den Westpazifik. Zwei Lenkwaffen-Zerstörer und die selten zur Schau gestellte Radarplattform SBX-1 zur Raketenabwehr sind bereits dort; in den kommenden Tagen wird das Atom-U-Boot USS »Charlotte« eintreffen […] Die US-Luftwaffe unterstützt diese Armada mit B-52-Langstrecken- und B-2-Tarnkappenbombern. Beide können Atombomben tragen.“ (Der Spiegel, 08.04.13, S.88) Auch aus Japan und Südkorea kommen den Konflikt eskalierende Forderungen. Japans Premier Shinzo Abe „erhöhte zum ersten Mal seit elf Jahren den Verteidigungsetat. Dem Nationalisten Abe kommen Kims Provokationen entgegen, denn er will sowieso die pazifistische Verfassung revidieren, die seinem Land 1946 […] aufgezwungen wurde.“ (ebd., S.92) Und in Seoul wird der Ruf nach eigenen Atomwaffen lauter. „Wenn Washington kein nukleares Südkorea will, dann muss es wenigstens taktische Nuklearwaffen in unser Land verlegen“, zitiert der Spiegel (15.04.13, S.84) Chung Woo Taik von der Regierungspartei.

Spirale der Gewalt durchbrechen

Es wird dringend Zeit, diese Spirale der Gewalt zu durchbrechen […] Die Politik der Konfrontation, die seit […] Georg W. Bush den Umgang mit diesem Regime in Pjöngjang bestimmt hat, ist an ihr Ende gelangt […] eine vorsichtige Lockerung der UN-Sanktionen, unter denen die Nordkoreaner sehr leiden, [könnte] ein Schritt sein, um Vertrauen zu schaffen.“ (S. Hebestreit, FR, 09.04.13, S.11) Auch für den Asien-Korrespondenten des Guardian ist die „Zeit […] reif, einen neuen Ansatz im Umgang mit Nordkorea zu suchen – den direkten Dialog“ (Freitag, 11.04.13, S.8). In dieselbe Richtung geht R. Klüver (SZ, 12.04.13, S.4): Die USA „müssen Nordkorea signalisieren, dass sie selbst unter diesen Umständen mit sich reden lassen“. Sie haben „den Schlüssel zur Lösung der Krise in der Hand“.

Ihr Jürgen Nieth

Antipersonenminen in Südkorea

Antipersonenminen in Südkorea

von Joo-hi Lee

Vor einem Jahr haben die USA ihre Zustimmung zu dem internationalenVertrag über ein Verbot der Anti-Personen-Minen verweigert. Ihre Zustimmung hatten sie von einer Ausnahmegenehmigung für Südkorea abhängig gemacht. Eine Haltung, die weltweit heftigen Protest hervorgerufen hat. Die Position der US-amerikanischen Regierung in Bezug auf die Anti-Personenminen in Südkorea kann wie folgt zusammengefaßt werden:

  • Die US-Streitkräfte in Südkorea – ca. 37.000 Soldaten stark – wollen noch bis zum Jahr 2006 ihre Landminen auf der koreanischen Halbinsel auslegen. Insgesamt liegen auf der südlichen Seite der innerkoreanischen Grenze ca. 1 Million Landminen, die sowohl von den südkoreanischen als auch von amerikanischen Streitkräften ausgelegt wurden. Dazu kommen noch eine Million Minen, die die Streitkräfte in Reserve haben.
  • Die US-Regierung behauptet, diese Antipersonen- und Panzerminen würden gebraucht wegen der Invasionsgefahr durch Nordkorea. Die Minen würden im Falle eines Angriffs aus Nordkorea die Geschwindigkeit des Angreifers reduzieren. Ohne diese Minen würde die Todeszahl auf 6.000 Soldaten im Anfangsstadium eines nordkoreanischen Angriffs steigen. Es gehe also um die »Schutzbedürftigkeit« ihrer in Südkorea stationierten Streitkräfte.
  • Obwohl keiner Armee mehr High-Tech-Abwehrmittel zur Verfügung stehen als den US-Streitkräften, behaupten diese, daß sie bisher kein Mittel gefunden hätten, das die Landminen taktisch ersetzen könne.

Invasionsgefahr

Seit Ende des Korea-Krieges beschwören sowohl die US-Regierungen als auch die südkoreanischen Regierungen die Gefahr eines Angriffs aus Nordkorea. Es herrscht auf der koreanischen Halbinsel seit 1953 ein Kalter Krieg zwischen der Volksrepublik Nordkorea auf der einen Seite und der Republik Südkorea und den Vereinigten Staaten auf der anderen. Darunter leiden vor allem mehr als 10 Millionen Koreaner, deren Familien beiderseits der Grenze leben. Aus Sicht der Friedensbewegung sind für diese Entwicklung alle drei Regierungen verantwortlich zu machen. Anstatt konsequent nach Wegen für ein Friedensabkommen zu suchen, modernisieren sie beständig ihre Waffenarsenale, rüsten sie ohne Pause weiter auf.1 Dabei ist der Süden mit Sicherheit technisch wesentlich besser gerüstet als der Norden.

Schutz amerikanischer Soldaten

Nach einer Veröffentlichung der Organisation der Vietnam-Veteranen-Stiftung in den Vereinigten Staaten wurden viele US-Soldaten mit eigenen Minen verstümmelt und getötet. US-Generäle bezeichneten die »Schutzfunktionen« der Minen für die eigenen Soldaten als eher fraglich. Die Manövrierfähigkeit der Soldaten werde durch Minen ziemlich beschränkt, in extremen Situationen wie schnell notwendigen Positionsveränderungen wachse die Gefahr für die eigenen Soldaten. Nach einer Meldung der New York Times waren Minen verantwortlich „für mehr als ein Viertel der amerikanischen Kriegstoten in Vietnam.“2 In der gleichen Zeitung heißt es etwas später: „Antipersonenminen jagten auch US- bzw. UNO-Soldaten in die Luft. Minen verursachten ein Drittel der amerikanischen Opfer in Vietnam, ein Zehntel der im Golf-Krieg und auf dem Balkan getöteten US-Soldaten.“ 3

Reduzierung der Angriffsgeschwindigkeit

Dem Planungsteam der US-Streitkräfte in Südkorea schwebt ein Kriegsszenario vor, in dem die nordkoreanische Armee mit Panzern und in einem schnellem Tempo an allen Fronten gleichzeitig angreift. Demzufolge legten sie an allen erdenklichen Strecken Panzerminen aus, und um die Minen vor einer Beseitigung durch nordkoreanische Minenspezialisten zu schützen, vergruben sie um die Panzerminen herum Antipersonenminen. Dadurch soll der Angriff gestoppt und genügend Zeit für einen Gegenangriff gewonnen werden.

Das Szenario selbst ist äußerst fraglich. Der US-amerikanische Strategieforscher Michael O´Hanlon vom Brookingsinstitut belegt aber darüber hinaus, daß die US-Armee über genügend Instrumente verfügt, um einem Angriff schnell Einhalt zu gebieten. Zum Beispiel: Tow Panzerabwehr-Raketen, M1 Abrams Kampfpanzer, südkoreanische K-1 Kampfpanzer, andere Panzerabwehr-Artillerie und Kampfflugzeuge, die mit modernster Bewaffnung ausgerüstet sind.4

Tatsächlich fühlt sich eher Nordkorea bedroht von der stärkeren militärischen Schlagkraft der gemeinsamen Streitkräfte von Südkorea und den Vereinigten Staaten (CFC: Combined Forces Command). Als der Korea-Spezialist Selig S. Harrison vom Woodrow Wilson International Center for Scholars 1992 Nordkorea besuchte, erfuhr er vom nordkoreanischen Vize-Stabchef General Kwon Jung-young: „Die südkoreanische und us-amerikanische Luftwaffe ist der Nordkoreas überlegen. Es wäre daher notwendig, unser Heer in der vordersten Reihe um die Demarkationslinie zu stationieren, um der Fähigkeit Südkoreas entgegenzutreten, tief in unseren Verteidigungsraum einzudringen.“ 5

Kein Ersatz für Landminen?

Die USA begründen den Einsatz ihrer Minen auch mit der Existenz nordkoreanischer Minen. Sie verfügen aber über ausreichende Mittel gegen diese nordkoreanischen Minen. Um Minen zu entdecken, zu klassifizieren, zu zerstören und zu beseitigen entwickelten die US-Streitkräfte verschiedene Systeme wie

  • »die Fern-Smartminen-Beseitigung«. Mit Simulation der akustischen und seismischen Signale zerstört dieses System die in entfernter Lage vergrabenen Smartminen;
  • den »Tragbaren Minendetektor«. Dieses Minensuchgerät ist bestückt mit bodendurchdringendem Radar, elektromagnetischer Induktion und vorausblickender Infrarot-Wärmeabbildung ;
  • das »Luftgestützte-Minenfelder-Suchsystem«. Ein Sensor ist entweder in einem UH-60 Hubschrauber oder in einem unbemannten Flugkörper (UAV) installiert;
  • das »Küsten-Kriegsschauplatz-Aufklärungs- und Analysesystem«. Unbemannter Flugkörper mit optischem Sensor;
  • das »Kräftige Planierschild«. Planierraupe mit Planierschild zur Beseitigung von Landminen u.a.6

Den gemeinsamen Streitkräften Südkoreas und der Vereinigten Staaten stehen schließlich noch weitere Waffensysteme zur Verfügung, um einen Angriff aus dem Norden in kürzester Zeit zurückzuschlagen. Deshalb ist die Argumentation unhaltbar, nach der aufgrund fehlender »Ersatzmittel« an den Landminen weiter festgehalten werden müsse.

Einsatztermin bis zum Jahr 2006

Dem Verfasser ist es nicht ersichtlich, warum das US-Verteidigungsministerium vorhat, seine Landminen auf der koreanischen Halbinsel bis zum Jahr 2006 einsatzbereit zu halten. Erklärbar ist das nur als Vorwand der US-Regierung

  • um jener Konventionsregelung auszuweichen, nach der alle gelagerten Antipersonenminen binnen vier Jahren und die in Minenfelder verstreuten Antipersonenminen innerhalb von zehn Jahren zerstört werden sollen;
  • um Zeit für die Weiterentwicklung der noch besser tötenden Smartminen zu gewinnen, die in der Verbotsregelung nicht eingeschlossen sind.7

Vorschläge zur Beseitigung aller Minen

Der Verfasser ist in der Meinung, daß sich die drei Länder USA, Süd- und Nordkorea nachträglich der Konvention über das Verbot der Antipersonenminen anschließen müssen. Darüber hinaus müssen sie in Verhandlungen eintreten, um die koreanische Halbinsel zur minenfreien Zone zu verwandeln.

Dafür sind folgende Schritte notwendig:

  • Die drei Regierungen müssen gemeinsam bekanntgeben und untersuchen, wo sie ihre Minen ausgelegt haben, die genauen Stellen orten und Minenkarten erstellen.
  • Etappenweise muß ein Beseitigungs- und Kostenplan aufgestellt werden. Für die entstehenden Kosten sollte ein gemeinsamer Etat bereitgestellt werden.
  • Unter Einbeziehung der Forschung muß mit der vollständigen Räumung der Minen begonnen und ein Wiederaufbauplan für die bisher minenverseuchten Gebiete entwickelt werden.
  • Eine landesweite Aufklärungskampagne, wie es die »Internationale Kampagne zum Verbot der Landminen (ICBL)« vorgemacht hat, muß realisiert werden.

Eine Entminung in Süd- und Nordkorea könnte ein erster Schritt sein auf dem Weg zu einer Friedenszone auf der koreanischen Halbinsel.

Anmerkungen

1) Vgl. Verteidigungsministerium, Weißbuch 1996-1997, Seoul 1997. Zurück

2) Leitartikel, Lagging on Land Mines, in: New York Times, 13.6.1997, S. A 24. Zurück

3) Tim Weiner: U.S. Is Wary of Ban on Land Mines, in: New York Times, 17.6.1997, S. A 10. Zurück

4) Vgl. Michael O´Hanlon: Stopping a North Korea Invasion. Why Defending South Korea Is Easier than the Pentagon Thinks, in: International Security, Vol. 22, No. 4 (Spring 1998), S. 148-151. Zurück

5) Selig S. Harrison: Waffenstillstandabkommen und Sicherung des Friedens, in: Tageszeitung Hankyoreh, 24.7.1995, S. 5. Zurück

6) Siehe Barbara Starr: Countermine tests to aid amphibious operations, in: Jane´s Defense Weekly, 3.9.1997, S. 11. Zurück

7) Vgl. Vertragstext: Konvention über das Verbot des Gebrauchs, der Lagerung, Produktion und Übergabe von Antipersonenminen und ihre Zerstörung (18.9.1997, Oslo), in: http://www.icbl.org. Zurück

Joo-hi Lee, Diplom-Politologe, Friedensforscher aus Südkorea, z.Z. wohnhaft in Schwäbisch Gmünd.

Südkorea rüstet auf

Südkorea rüstet auf

Neue Tendenzen in der Rüstungspolitik

von Joo-hi Lee

Absurd scheint mir die ungebrochene weltweite Rüstung an allen Ecken des »globalen Dorfes«. In Europa ist der Erzfeind der NATO schon längst verschwunden, trotzdem erweitert sich die NATO gen Osten. Der Eurofighter findet keinen unmittelbaren Gegner, trotzdem wird er bald gebaut und an die vier europäischen Luftstreitkräfte geliefert werden. Die US-Amerikaner wollen neue Abwehrraketen entwickeln, obwohl feindliche Raketen die Vereinigten Staaten praktisch nicht mehr bedrohen. In Süd- und Ostasien herrscht kein akuter Kriegszustand, doch alle Länder beteiligen sich am Rüstungs-Wettlauf. Auf der koreanischen Halbinsel verhungern Teile der nordkoreanischen Bevölkerung, doch das südkoreanische Militär denkt in erster Linie daran weiter aufzurüsten.

Rüstungsbeschaffungen der Marine

Nach neuesten Meldungen will die südkoreanische Marine Seeminen und mehr als zehn Super Lynx Hubschrauber kaufen und die Radarsysteme der P-3C Orion U-Boot-Jagdflugzeuge modernisieren. Während der Beschaffungspreis des Hubschraubers nicht bekannt gegeben wurde, wurden als Ankaufssumme für die Seeminen 56 Mio. US Dollar und für die Modernisierung der Radarsysteme 34 Mio. Dollar genannt.1

Die Aufrüstung der Marine beschleunigte sich seit Ende der 80er Jahre im Zeichen der »Anti-U-Boot Kriegsstrategie«. Eine gewaltige Aufrüstung wurde in Gang gesetzt: Bisher produzierte Daewoo Shipbuilding sechs U-Boote vom Typ 209 mit deutscher Lizenz. Der Fachzeitschrift Defense News vom 23.08.96 zufolge werden noch weitere drei U-Boote von Daewoo in Lizenz gebaut. Der Bau von U-Booten wird damit begründet, daß die nordkoreanische Marine 87 U-Boote habe und damit in quantitativer Hinsicht der südkoreanischen überlegen sei. Dabei wird das Alter und die geringere Verdrängungsmasse dieser U-Boote übersehen. Der amerikanische Marine-Kommandeur Joseph Lodmell schätzte, daß Nordkorea über die wohl derzeit älteste und leistungsschwächste U-Boot-Flotte der Welt gebiete.2

Das Unternehmen Daewoo Shipbuilding setzte im Oktober 1996 den ersten großen Zerstörer, Kwanggeto-ham (3.200t), ins Wasser. Der Aufbau dieser neuen Zerstörer läuft unter dem Decknamen »KDX-Programm«. Insgesamt 16 bis 18 Schiffe sollen bis zum Jahr 2004 gebaut werden. In diesem Zusammenhang muß allerdings betont werden, daß die wichtigen Waffensysteme wie Raketen und Kanonen sowie die elektronische Systeme wie Radar- und Navigationsgeräte weiterhin aus dem Ausland (vor allem: Vereinigte Staaten, Holland und Italien) importiert werden sollen.

Um nordkoreanische U-Boote aufzufinden, entschied sich das Verteidigungsministerium am 9.11.1990 zum Kauf des U-Boot-Jagdflugzeugs P-3C. Insgesamt sollten acht Flugzeuge von der Rüstungsfirma Lockheed eingeführt werden.3 Wegen der Infiltration einer nordkoreanischen Spezialtruppe am 18.9.1996 schlug Südkoreas Präsident Kim Young-sam dann vor, eine weitere P-3C zu beschaffen. Diese Beschaffung kam unerwartet, da die Entscheidungsträger eher dem französischen Modell Atlantique 2 den Vorzug geben wollten. Die Beschaffung wurde durch Daewoo Heavy Industries vermittelt, die dafür eine Provision erhielten-. Bei einem Auftragsvolumen von ca. 736 Mio. Dollar wurde eine Provisionszahlung in Höhe von 29,75 Mio. Dollar vereinbart, von der Lockheed ca. 4 Mio. sofort bezahlte. Die restlichen 25,75 Mio. Dollar sollten später gezahlt werden, doch Lockheed zögerte mit der Auszahlung. Im März 1995 kam dann überraschende Hilfe aus dem Verteidigungsministerium. Es klagte gegen Lockheed vor dem in Paris befindlichen Internationalen Schiedsgericht für Handelsfragen.4 Am 1.4. 1997 gab es dann eine Wende, als vor einem Gericht in Seoul Anklage gegen Daewoo erhoben wurde, nach der die vereinbarte Provision im Höhe von 25,75 Mio. Dollar überbewertet sei und dementsprechend in die staatlichen Kassen zurückgezahlt werden solle.5 Anzumerken ist, daß Daewoo Heavy Industries auch als Zulieferer für den Außenflügel des P-3C eine Rolle spielt, d.h. durch Vermittlung dieses Rüstungsgeschäfts gewann Daewoo eine direkte Gegenleistung.

1990 hatte die Marine bereits zwölf Lynx U-Boot Jagdhubschrauber gekauft. Damals beliefen sich die Beschaffungskosten auf 200 Mio. Dollar. Wenn noch weitere 13 Super Lynx angeschafft werden sollten, entstehen neue Beschaffungskosten von weit über 200 Mio. Dollar, wenn man nur den alten Preis zugrunde legt.

Beschaffungen für die Luftwaffe

Bei der Luftwaffe stehen drei Beschaffungsprogramme im Mittelpunkt:

  • F-16 Kampfflugzeuge
  • Zwei Aufklärungsflugzeuge
  • Abwehrraketen gegen ballistische Scud-Raketen.

Lizenzproduktion von F-16 Kampfflugzeugen

Am 28.3.1991 entschied sich die südkoreanische Regierung dafür, die seit Anfang der 80er Jahre ins Visier genommene Produktion koreanischer Kampfflugzeuge (KFP) zu starten. Es handelt sich um 120 F-16 Kampfflugzeuge, die vom Rüstungsunternehmen General Dynamics teils gekauft (12), teils zusammengebaut (36) und teils in Lizenz (72) hergestellt werden sollten. Am 7.11.1995 präsentierte Samsung Aerospace seine erste F-16 in der Öffentlichkeit. Nach Angaben des Korean Newsreview vom 21.06.97 hat Samsung inzwischen 36 Stück zusammengebaut.

Lizenzgeber ist hier Lockheed Martin, und an der Produktion waren alle wichtigen Luft- und Raumfahrtunternehmen Koreas beteiligt, so beispielsweise Samsung Aerospace, Daewoo Heavy Industries, KAL, Hyundai-Precision u.a. Samsung als Generalunternehmen baut Teile in seiner Fabrik in Sachon zusammen und produziert auch F-100-PW-299-Triebwerke in Lizenz; Daewoo Heavy Industries stellt Flugzeugrümpfe her; Hyundai Technology Development produziert Teile der Raketenabschußvorrichtung und Treibstoffbehälter, KAL Teile der Flügel.

Zur Realisierung dieses gewaltigen Projekts hat das Verteidigungsministerium 5,44 Milliarden Dollar bis zum Jahr 1999 eingeplant. Im Oktober 1996 kündigte die Luftwaffe an eine nächste Staffel moderner Kampfflugzeuge ab 2002 zu kaufen; die Rede ist von 120 Stück.6 Als Kandidaten meldeten sich bereits Jagdflugzeuge wie F-15E, SU-37, EF-2000 und Rafale. Im Oktober 1996 fand eine regelrechte Rüstungsmesse der Luftwaffe in Seoul statt, bei der sich zahlreiche Firmen um die lukrativen Aufträge bewarben. Erstmals seit Ende des Korea-Krieges war bei dieser Gelegenheit auch ein russisches Kampfflugzeug, die SU-37, am Himmel über Seoul zu sehen. Die konservative Zeitung Chosun Ilbo bezeichnete eben jenes als „traumhaftes Kampfflugzeug“.7

p>Zunächst plant die Luftwaffe die Bestellung von 60 Kampfflugzeugen für den Zeitraum 2002 bis 2008 und weitere 60 für den Zeitraum danach. Dafür soll eine Summe zwischen 7,24 und 9,66 Mrd. Dollar bereitgestellt werden. Nominal gerechnet steigen die Ausgaben für das zweite KFP im Vergleich zum ersten um 133 bis 177<0> <>% an. Erfahrungsgemäß, werden sich aber die Projektkosten mit der Zeit noch wesentlich stärker erhöhen.8

Als Begründung für die Beschaffung moderner Kampfflugzeuge führte das Verteidigungsministerium auch hier die quantitative Überlegenheit Nordkoreas an. So soll Nordkorea über 730 Kampfflugzeuge verfügen, während Südkorea »nur« über 445 Maschinen verfüge.9 Nach dieser Zahlenlogik gibt es erst nach 2015 eine quantitative Parität.

Vergleicht man die Luftwaffe nach qualitativen Kriterien entsteht allerdings ein ganz anderes Bild. Die folgende Tabelle zeigt, welche Seite mehr Schlagkraft aufgebaut hat. In diesem Vergleich sind nur jene Maschinen berücksichtigt, die, besonders angesichts der rasanten Entwicklung bei den Luft/Luft-Raketen, im modernen Luftkrieg einigermaßen »kampf- und überlebensfähig« sind.

Davon will das Verteidigungsministerium allerdings nichts wissen. So behauptet Park Yong-ok, Staatsekretär im Verteidigungsministerium, sogar: „Um den lokalen Anteil der entwickelten Waffensysteme zu erhöhen, ist es notwendig, daß der Staat seine langfristigen Investitionen sowohl im High-Tech-Bereich als auch im Bereich der Rüstungsindustrie forciert.11 Eine andere Zielsetzung besagt, daß Südkorea bis zum Jahr 2005 auf den zehnten Rang der Luft- und Raumfahrtnationen der Welt aufsteigen soll. Zu dieser Zielsetzung gehört, daß bis zum Jahr 2005 weitere 4,73 Mrd. Dollar investiert werden sollen, um mittlere Verkehrsflugzeuge zu produzieren.12

Beschaffung von Aufklärungsflugzeugen

In der Diskussion um die Beschaffung von Frühwarn Kommando- und Kontrollflugzeugen(FKKF) ist es den südkoreanischen Strategen offensichtlich gelungen, eine günstige Stimmung für ihre Ziele zu schaffen. In der Argumentation für die Anschaffung dominieren zwei Argumentationsstränge:

  • FKKF ist unbedingt notwendig, um die Sicherheitsaufgaben angemessen wahrnehmen zu können.
  • Der Bündnispartner behält wichtige Informationen über nordkoreanische Flugbewegungen und Einsätze der Luftwaffe für sich.

Vor allem mit diesem letzten Argument wird versucht eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Wunsch entsteht, daß Südkorea sich lieber selbst um seine Luftaufklärung kümmern sollte (am besten mit dem System, welches sich bei den Amerikanern bewährt hat oder einem vergleichbaren).

Daß diese Argumentation Früchte trägt, wird deutlich in der sonst eher sehr kritischen Zeitschrift MAL, die jetzt die Position vertritt, daß die Aufklärer im Hinblick auf eine informelle Selbstbestimmung des Landes gekauft werden sollten.13

Ende 1996 wurde die Katze dann auch endlich aus dem Sack gelassen: „Wir werden in Kürze 2 FKKF beschaffen.“ hieß es in der Presse.14 Im Rennen sind drei Rüstungsunternehmen: Eine erste Variante ist eine Boeing 767 mit APY-2 Radarsystem von Northrop-Grumman; eine zweite ist der Phalcon F-3 Radar der israelischen Elta Electronics Industries. Die Firma Elta entscheidet noch nicht, zu welchem Trägerflugzeug ihr System intergriert werden soll. Als Auswahl schlug sie vor, entweder ein neues kommerzielles Flugzeug oder eine gebrauchte Boeing 767. Das letzte ist das Erieye-System des schwedischen Unternehmens Ericsson. Es ist für Saab A340B oder Saab 2000 Flugzeuge bestimmt.

Je nach Konfiguration des Flugzeuges, der elektronischen Systeme und Bodenkontrollstationen wird der Systempreis unterschiedlich sein. Aus zwei Beispielen – einer japanischen und einer brasilianischen Entscheidung – kann man ableiten, daß er ungefähr zwischen 1.4 und 1.6 Mrd. Dollar je System liegt. Beschafft die Luftwaffe zwei Systeme, kostet das also rund 3 Mrd. Dollar.

Patriot-Luftabwehrsystems

Mit dem Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers W. Cohen in Seoul am 10.-12.4.1997 wurde die Diskussion um den Kauf der Abwehrrakete vom Typ Patriot wieder neu entfacht. Es ging darum, ob Südkorea entweder amerikanische Patriot-Raketen oder russische S-300V kaufen soll.15 Vor drei Jahren hatte es ähnliche Diskussionen gegeben, aber damals ging es darum, ob überhaupt Abwehrraketen beschafft werden sollten.16 Durch die Eskalation um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm kam die Diskussion erneut auf. Dabei ging es konkret um die Abwehr nordkoreanischer ballistischer Raketen vom Typ Nodong-1/2 (500-1300 km).17

Noch 1994 antwortete der Verteidigungsminister Lee Byung-tae vor dem Parlament, daß zum jetztigen Zeitpunkt keine Anschaffungspläne für Patriot-Raketen existierten (22.2.94); sein Sprecher sagte auch, es seien weder Vereinbarungen getroffen, noch Konsultation über den Zeitplan der Stationierung und die Anzahl der Systeme unternommen worden (27.1.94); Präsident Kim Young-sam erklärte, seine Regierung plane keine Anschaffung von Patriot-Raketen (26.2.94) und Oppositionsführer Lee Gi-taek gab eine Stellungnahme dahingehend ab, daß die Patriot auf keinen Fall in Südkorea stationiert werden sollte (ebd). Die nordkoreanische Regierung äußerte damals, sie würde es als schwere militärische Provokation betrachten, wenn Patriots in Süden stationiert würden (29.1.94).

Demgegenüber behauptet der Friedensforscher Kim Chang-soo bereits 1994, daß es in der mittelfristigen Strategieplanung Kaufpläne für PAC-2 gäbe für 199718; der Oppositionspolitiker Lim Bok-jin stellte aufgrund des Materials aus dem Verteidigungsministerium fest, daß im Projekt für die »Nächste Generation von Fernlenkwaffen« (ab 1997) der Kaufplan für Patriot enthalten sei (22.2.94); Die Zeitschrift Defense News berichtete, daß die Clinton-Regierung versuchte Südkorea zu überzeugen, Abwehrraketen aus den Vereinigten Staaten zu kaufen, und gleichzeitig für die gemeinsame Produktion Verhandlung führe (3.2.94); ein Sprecher von Raytheon betonte, daß sein Unternehmen bisher acht Monate Verhandlungen geführt habe, und er sei zuversichtlich, daß Südkorea Patriot kaufen würde (4.2.94).

So lief Pro und Contra zum Kauf von Patriot-Raketen. Hervorgehoben werden muß, daß damals von Beschaffungskosten um 600 Mio. Dollar die Rede war. Darin enthalten waren vier Systeme, 384 Raketen und 96 Abschußrampen, einschließlich der verschiedenen Fahrzeuge.19 Drei Jahre später erhöhte sich diese Summe auf ca. 1 Mrd. Dollar.20 Wie man neuerdings hört geht es der amerikanischen Regierung und dem Patriot-Hersteller um die Sicherung von 20 000 Arbeitsplätzen.21

Härtester Konkurrent der Amerikaner sind in diesem Fall die Russen, denn die russische Rakete kostet »nur« 70-80Mio. Dollar je System gegenüber 150 Mio. für die Patriot.22 Hinzu kommt, daß die Regierung in Südkorea unter Umständen die Kaufsumme mit den Schulden der früheren Sowjetunion gegenüber dem südlichen Korea (mehr als 1 Mrd. Dollar) verrechnen kann.

Bisher ist Südkorea ein Markt, auf dem US-Waffensysteme mehr als 80 Prozent der gesamten Waffenimporte ausmachen. Das könnte sich bald ändern durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen koreanischen und russischen Rüstungsproduzenten. So schloß Daewoo Shipbuilding mit dem russischen Unternehmen Rubin einen Vertrag ab über eine gemeinsame U-Boot-Entwicklung (1800 t). Dabei sagte Letzterer zu, sein technisches Know-how an Daewoo zu übergeben.23 Damit könnte sich Daewoo, nach der Zusammenarbeit mit HDW in Kiel, eine zweite Quelle für die U-Boot-Technologie erschließen. In einem anderem Fall plant Samsung Aerospace zusammen mit dem russischem Unternehmen Roswertol den Bau von Hubschraubern. Bei Samsung verbliebe das alleinige Recht der Vermarktung im asiatischen Raum.24 Zum vierten wird die Zusammenarbeit der beiden Industrien intensiviert werden: Laser, Flugzeug, High-Tech Material, Elektronik, Gentechnik, Kunstfasermaterial für Flugzeug u.a.25 Darüber hinaus will Rußland MiG-29, Minen, Torpedos, Panzermunition und SA-6/8/16-Raketen verkaufen.

Ein derartiger Technologietransfer und Waffenhandel wird ohne Zweifel zum Nachteil der nordkoreanischen Streitkräfte führen, da seine High-Tech Waffensysteme aus sowjetischer bzw. russischer Herkunft stammen. Südkorea verschafft sich mit dem Zugang zu den russischen Waffensystemen eine detaillierte Kenntnis der Waffen der Gegenseite. Eine Tatsache, die immer stärker die Entscheidungsträger und Strategen in Nordkorea beunruhigt und die Lage zusätzlich destabiliseren kann.

Tabelle:
Vergleich zwischen Süd- und Nordkorea10
Südkorea + Nordkorea +
F-4 96 MiG-21 130
F-5 250 MiG-23 60
SU- 25 20
F-16 66 – 78 MiG-29 30
Gesamtzahl 412 – 424 240

Anmerkungen

1) S Korea buys extra Super Lynxes in ASW drive, in: Jane's Defence Weekly (JDW), 25.6.97, S. 4; Lt. Asian Defence Journal (ADJ) werden sogar 13 Stück beschafft. 2/97, S. 36. Zurück

2) J. Lodmell, It Only Takes One, in: U.S. Naval Institute Proceedings, 12/96, S. 33. Zurück

3) Hong Un-tak, Die größten Korruptionsaffären der 6. Republik Koreas, in: Shindonga, 12/95, S. 128ff. Zurück

4) Joongang Daily News (JDN), 20.9.96. Zurück

5) Jane's Defence Weekly (JDW), 2.4.97. Zurück

6) Shon Tae-kyu, The Next-Next Generation of Combat Aircraft Focused To 4 Types, in: Hankuk, 9.10.96. Zurück

7) Chosun Ilbo, 24.10.96. Zurück

8) Focus, 17/97, S. 178. Im Fall des Kampfflugzeuges F-22 erhöhte sich der Stückpreis um 255 Prozent für den Zeitraum 1982-1997. Zurück

9) Time, 13.6.94, S. 33; Nach einer anderen Quelle hätte Nordkorea 766 Stück, Südkorea 382. Siehe ADJ, 2/97, S. 20. Zurück

10) Bruce Cumings, Where The Cold War Never Ends, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 1-2/97, S. 44; Abrüstungen in Süd- u. Nordkorea und Wege zum Frieden I, in: Korea ist Eins, 4/93, S. 26; AW&ST, 13.1.97, S. 213;
Oh Won-chul, 10 Jahre Zeitverlust und Entscheidung für bald ausscheidende F-16, in: Shindonga, 12/95, S. 136ff. Zurück

11) Park Yong-ok, Korea's Defense for the 21st Century, in: Korea World Affairs, Spring 1996, S. 33. Zurück

12) AW&ST, 9.10.96, S. 32; FAZ, 11.4.97. Zurück

13) Oh Youn-ho, Alternative für Unabhängigkeit der Militärinformationen gegenüber USA, in: MAL, 4/94, S. 40ff. Zurück

14) Hankuk, 12.11.96; Sankei Shimbun, 27.11.96; Asahi Shimbun, 11.12.96; Hankyoreh, 29.12.96; KNR, 4.1.97. Zurück

15) U.S. Warns Seoul On Russian Missiles, in: International Herald Tribune (IHT), 7.4.97, S. 4; $ 1 Billion Patriots or Missiles SA-12s, in: KNR, 12.4.97, S. 12; Barbara Starr, USA urges S Korea to buy Patriot over S-300V, in: JDW, 16.4.97, S. 3. Zurück

16) Hankuk, 4.2.94; 22.2.94; 22.4.94; Hankyoreh, 27.1.94; 26.2.94; 29.1.97. Zurück

17) Joseph Bermudez, N Korea set for more ballistic missile tests, in: JDW, 23.10.96, S .5. Zurück

18) Vgl. Kim Chang-soo, Die in Patriot versteckte globale Planung der Vereinigten Staaten, in: MAL, 4/94, S. 103. Zurück

19) Kim Chang-soo, a.a.O.; Hankuk, 18.1.94; 4.2.94. Zurück

20) KNR, 12.4.97, S. 12; Jane's Intelligence Review(JIR), 4/97, S.177. Zurück

21) D. Waller, How Washington Works Arms Deals, in: Time, 14.4.97, S. 48ff. Zurück

22) Höhere Beamte besuchten Seoul, in: Hankyoreh, 4.4.97; Dem Bericht von JIR zufolge kostet die S-300 Rakete je 400 000 Dollar, siehe 4/97, S. 177. Zurück

23) JDW, 30.10.96, S. 17. Zurück

24) JDN, 25.10.96. Zurück

25) JIR, 4/97, S. 176. Zurück

Joo-Hi Lee ist Diplom-Politologe und Doktorand am Fachbereich Politikwissenschaft der FU Berlin. Seit April 1996 hat er politisches Asyl beantragt, da er als Friedensforscher wegen seiner Kritik am südkoreanischen Militär im Land verfolgt wird.

„Waffen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten“

„Waffen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten“

Zum U-Boot-Geschäft zwischen Südkorea und der Bundesrepublik Deutschland

von Joo-Hi Lee

1989 war in einer südkoreanischen Zeitung zu lesen, daß die südkoreanische Marine im Jahr 1987 drei Untersee-Boote von der BRD-staatseigenen Howaldtswerke-Deutsche Werft AG (HDW) gekauft hat.1 Die koreanische Regierung hat diesen Kauf bestätigt. Es bleiben einige Fragen und Widersprüche. Die Boote wurden teurer als zum Weltmarktpreis gekauft und der U-Boot-Typ, um den es hier geht, ist für die südkoreanischen Küstengewässer nicht geeignet. Schließlich besteht der begründete Verdacht, daß der Differenzbetrag zwischen Weltmarktpreis und überhöhtem Kaufpreis in die Taschen der regierenden Partei (DJP) von Präsidenten Roh Tae Woo weitergeleitet wird.2

Es stellt sich die Frage, ob der Verkauf der U-Boote an die südkoreanische Marine nicht gegen bundesrepublikanische Gesetze verstößt, z.B. gegen das Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz, da dieses Geschäft „das friedliche Zusammenleben der Völker“, nämlich der Koreaner in Süd- und Nordkorea stört.3

A B C D
Weltmarktpreis lt oppos. Gruppen Kaufpreis lt. kor. Marine Kaufpreis lt. oppos Gruppen Kaufpreis lt.Mierzwa10
1 Stück 150 200 228 120
3 Stück 450 600 684 360
Differenz (B-A)= 150 (C-B)= 84 (C-A)= 234
(B-D)=240 (C-D)= 324 (Mio. US-Dollar)
A u. C: Angaben von oppositionellen
Parteien;
B: Angaben der südkoreanischen Marine;
D: Angaben
von deutschen Quellen

Die Bundesregierung hat inzwischen auf Anfrage mitgeteilt, daß sie „seit Dezember 1987 die Herstellung und den Export von 6 U-Booten für die Marine der Republik Korea genehmigt“ hat. Weiter heißt es: „Die Entscheidungen sind entsprechend den Vorschriften des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen und den »Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« vom 28.04.1982 getroffen worden. Die Bundesregierung hat dabei in Übereinstimmung mit ihrer bisherigen Genehmigungspraxis der Tatsache Rechnung getragen, daß es sich bei U-Booten – anders als bei landgestützten Geräten – um Waffen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten handelt, die insbesondere nicht bei inneren Unruhen im Empfängerland eingesetzt werden können.4

Hier soll zum einen auf die Vorgeschichte der U-Boot-Geschäfte der Bundesregierung mit Südkoreas Regime eingegangen werden, zweitens sollen die während der diesmaligen regulären Parlamentsuntersuchung von einer südkoreanischen Oppositionspartei (PDP) gestellten Anfragen und die Antworten der Regierung behandelt werden.

Zur Vorgeschichte

Einer Meldung des SIPRI-Instituts zufolge bestellte die südkoreanische Regierung im Jahre 1986 2 U-Boote vom Typ 209/3 bei der HDW und plante darüber hinaus, unter einem Lizenzabkommen 12 weitere Unterseeboote in Südkorea zu produzieren5. „Im Zentrum des deutschen Griffs nach den Weltmeeren steht die Firma IKL, das »Ingenieur-Kontor Lübeck, Prof. Gabler Nachf. GmbH«. Die Boote ließ das IKL bisher bei HDW in Kiel, der Howaldtswerke/Deutsche Werft AG, bauen, sowie bei Emdener Thyssen Nordseewerft (TNSW). Neuerdings wird der Bau mehr und mehr exportiert, in die Türkei etwa oder nach Südkorea, wobei die Lübecker Ingenieure nur noch die Blaupausen, das Know-how, verkaufen.“ 6 Der FAZ zufolge „hat die deutsche Wehrtechnik gute Chancen, in absehbarer Zeit einen südkoreanischen Auftrag über 4 Unterseeboote zu erhalten… Unklar ist bisher, ob auch das erste Boot schon in Korea montiert oder noch in der Bundesrepublik gefertigt wird.“7 In der Zeitschrift Wehrtechnik wird allerdings darauf hingewiesen, daß ein U-Boot von der HDW geliefert und zwei in Lizenz in Korea gebaut werden sollen.8 Diese Information scheint verläßlich, da sie sich zum einen mit einer Meldung des SIPRI aus dem Jahr 1989 deckt und auch der südkoreanische Verteidigungsminister Lee Sang Hoon während der parlamentarischen Untersuchung den Kauf dreier U-Boote bestätigte, ohne allerdings die Anzahl der Lizenzbauten zu nennen.9

Zur Frage des Kaufpreises

Unter der Voraussetzung, daß die südkoreanische Marine 3 Untersee-Boote von der BRD gekauft hat, läßt sich obige Rechnung aufmachen:

Diese unterschiedlichen Preise beruhen auf Fragen der Parlamentarier und Antworten des Verteidigungsministers sowie auf bundesdeutschen Erhebungen.11 Der tatsächliche Kaufpreis ist nur auf diesem Wege annähernd zu ermitteln, da er als Staatsgeheimnis behandelt wird. Von diesem Vergleich kann man vorläufig schlußfolgern, daß erstens aufgrund der Beweisführung der oppositionellen Parteien die südkoreanische Marine die U-Boote um 234 oder 150 Mio. US-Dollar zu teuer gekauft hat; daß zweitens unter Zugrundlegung deutscher Quellen der Differenzbetrag sogar mit 240 bis 324 Mio. Dollar zu beziffern ist.12

Die Aussage des südkoreanischen Verteidigungsministers wird aus folgenden zwei Gründe widerlegt:

Einmal bestellte Ende Oktober 1989 die südkoreanische Regierung weitere drei U-Boote zum Stückpreis von 165 Mio. US-Dollar13, der sich dem von der oppositionellen Partei für Frieden und Demokratie behaupteten Weltmarktpreis annäherte. Es ist jedoch normalerweise so, daß wegen der Rüstungsinflation der Beschaffungspreis fast immer teurer wird. Aber er verbilligte sich diesmal von 200 Mio. Dollar auf 165.14 Zum anderen kaufte das vom Volk zurückgedrängte Chun-Regime (1980-1987) eigentlich nur ein komplettes U-Boot, und weitere zwei U-Boote sollen von der Daewoo-Werft in Lizenz gebaut werden.15 D.h. rechnerisch gesehen veranschlagt sich der Kaufumfang mit 200 Mio. DM zuzüglich 42,6 Mio. DM (Preis von Blaupausen)16. Bisher unbekannt blieben die Kosten von Bauhilfe, U-Boot-Komponenten, Provision und Lizenzgebühr.

Daraus ergeben sich folgende Fragen:

  • Wohin sind die Gelder gegangen?
  • Werden sie als Parteispenden mißbraucht, oder haben einige Marinegenerale und für Anschaffung der Waffensysteme Verantwortliche diese Gelder in ihre eigenen Tatschen gesteckt?
  • Hat die HDW eine teurere Quittung für die Generale und Staatsbeamten ausgestellt, und wenn ja, verstößt eine solche doppelte Ausstellung der Quittung gegen irgendein bundesdeutschen Gesetz?

Diese Fragen müssen in einem Untersuchungsausschuß des deutschen Bundestages wie im Fall der Südafrika-Affäre untersucht werden.

Ckarakteristika der gekauften und bestellten U-Boote

Bei dem hier behandelten Waffenhandel geht es um U-Boote des Typs 209-1200, die:

von IKL entworfen und danach von HDW hergestellt werden;

konventionell d.h. mit Dieselmotoren angetrieben werden, die von der Daimler-Benz eigenen MTU gebaut werden;

mit 1200 t Verdrängungsmasse normalerweise in der Seetiefe von 80m laufen, während die koreanische Küstentiefe sich auf ca. 20-40m beläuft, womit ihre Eignung für die Küstenverteidigung Koreas fraglich ist.

Was den zukünftigen Kauf und die Lizenzproduktion der U-Boote seitens Koreas angeht, unterscheiden sich die Angaben:

Den oppositionellen Parteien zufolge werden 6 Stück von der Daewoo-Werft unter Lizenz von HDW gebaut werden17; in dem Bericht von Wehrtechnik (3/88) „bezifferte das Land seinen Bedarf einmal mit etwa zehn Booten.“ (S. 68) Diese Vermutung wird neuerdings dadurch bestätigt, daß der Präsident Roh Tae Woo unmittelbar vor dem Antritt seines Staatsbesuches in Bonn (20-22.11.1989) Ende Oktober 1989 den Auftrag an die HDW für weitere 3 U-Boote gebilligt hat.18

Wie umfangreich dieses Geschäft ist, wird dadurch erkennbar, daß der Umsatz von HDW im Jahr 1983 mit 1.610 Mio. DM beziffert wird.19 Demgegenüber beläuft sich der Umfang des Südkorea-Geschäfts (ausgehend von bisher bestellten 6 U-Booten) auf ca. 1.200- 1.860 Mio. DM20.

Auf der anderen Seite macht das Geschäft, anteilig an den südkoreanischen Rüstungsausgaben für 1990 ca. 6 Prozent bis 9 Prozent aus.21 Dieser Anteil macht den Löwenanteil an den Neuanschaffungen wichtiger Waffengattungen, z.B. Einführung der Frühwarnsysteme AWACS, Kauf und Produktion der 120 Kampfflugzeuge u.a. für die 90er Jahre aus.22 Also wurde neuerdings beschloßen, daß 38.1 Prozent des Militärbudgets des kommenden Jahres für diese Anschaffung neuer Ausrüstung gebraucht werden. Im Vergleich zu den gesamten bundesdeutschen Rüstungsexporten im Jahre 1988 (1,45 Mrd. US-Dollar), ist dieses Geschäft auf 1,08 Mrd. US- Dollar veranschlagt.23

Beziehungen zwischen koreanischen und bundesdeutschen Rüstungsunternehmen

Nach dem Archiv des IFSH lieferte die bundesrepublikanische Regierung im Zeitraum von 1964 bis 1989 14 Staaten der Länder der Dritten Welt 45 U-Boote.24 Zu diesem Rüstungsexport zählten nicht nur komplette Waffensysteme, sondern auch Ersatzteile, Militärhilfe, Produktionstechnik und -technologie mit/ohne Lizenzen sowie Ausbildung.25

Der Friedensforscher und Rüstungsexperte Herbert Wulf bemerkt hierzu: „Kein Land der Welt lieferte so viele U-Boot-Neubauten in Entwicklungsländer wie die Werften aus der Bundesrepublik (besonders die im Besitz der öffentlichen Hand befindliche Howaldtswerke Deutsche Werft).“ 26

Zu den weltbekannten Konstrukteuren und U-Boot-Bauern gehören IKL, HDW und TNSW. Andere führende bundesrepublikanische Rüstungsproduzenten nehmen an diesem Geschäft teil. „An einem U-Boot wie dem 209er hängt eine ganze Kette von wichtigen und einflußreichen Zulieferern: Siemens (Elektromotoren), MTU (Dieselgeneratoren), Krupp Mak (Torpedorohre), AEG (Lenktorpedos), Varta (Batteien), Zeiss (Sehrohre), um nur einige zu nennen.“ 27

Bis zum Jahr 1986 war der Waffenhandel zwischen der BRD und Südkorea von geringerer Bedeutung, ausgenommen die Ausbildung der Offiziere, Lieferung kleinerer Waffen, Waffenteile, Klimaanlagen für eine Korvette und ein Übungssystem für Mörser.24 Dagegen verstärkte sich die Zusammenarbeit der beiden Staaten nach 1986. Außer den U-Booten importierte Südkorea 1987 Such- und Ziel-Radar von Siemens; der südkoreanische Rokit (Repubic of Korea Indigenous Tank)-Panzer wird mit MTU-Motoren angetrieben. 200 Motoren werden geliefert. Dieses Geschäft hat ein Volumen von 400 Mio. DM.25 Bis dahin war es der größte Rüstungsexport der BRD nach Südkorea.

Es ist sehr wichtig hier noch einmal zu fragen, was das hauptsächliche Ziel des Staatsbesuches Roh Tae Woos in der Bundesrepublik Deutschland war. Hervorzuheben ist, daß die „Zusammenarbeit und Kooperation beider Rüstungsindustrien und -unternehmen oben auf der Tagesordung stehen“.26 Der südkoreanische Wissenschafts- und Technikminister traf sich mit dem bundesrepublikanischen Forschungsminister und besuchte u.a. die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V.(DFVLR). Themen der Unterhaltungen sollten „Untersee-Forschung, Forschungssatelliten sowie Luft- und Raumtechnik“ sein.27

Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen bundesdeutsche Gesetze

„Die bundesdeutschen Exportgesetze bieten der Regierung und ihren Kontrollbehörden zahlreiche Möglichkeiten, den Rüstungsexport schärfer als in der Vergangenheit einzuschränken. Offensichtlich fehlt es am politischen Willen, die Gesetze restriktiv anzuwenden. (Hervorhebung von JH) Mit merkwürdig anmutenden Interpretationskünsten wird Rüstungsexporteuren ein großer Handlungsspielraum geschaffen. Rüstungsfirmen konnten sich durchaus ermuntert fühlen, die bestehenden Gesetze nicht allzu eng auszulegen, da sie in vielen Fällen Rückendeckung aus Bonn hatten.“<0> 28

Südkorea gehört zu einem der gefährlichsten Spannungsgebiete der Welt.

Dies läßt sich mit folgenden Argumenten eindeutig belegen:

  1. Der renommierte südkoreanische Friedensforscher Lee Young-Hee stellt fest: „Die koreanische Halbinsel, die in Nord und Süd geteilt ist und sich seit 40 Jahren in ständiger Kriegsbereitschaft (Hervorhebung von JH) befindet, bleibt in Nordostasien der Brennpunkt eines nuklearen Krieges, der auf die ganze Welt überspringen kann.“ 29
  2. Die militärischen Potentiale von Süd- und Nordkorea zusammengenommen zählen zur »Weltspitze«:

    • Die Zahl der Soldaten beläuft sich auf 1,3 Mio. und rangiert damit an vierter Stelle in der Welt nach China, der UdSSR und den USA30;
    • Mit einem Umfang von 7,6 Mrd. US-Dollar (umgerechnet mit Basispreis 1986)31 sind die Militärausgaben im Jahr 1988 die achthöchsten der Welt.
  3. „Die USA haben angeblich etwa 600 Atomwaffen und eine mehr als 40 000 Mann starke Armee in Südkorea stationiert, während es in Nordkorea weder Nuklearwaffen noch Truppen aus der VR China oder der UdSSR gibt.“ 32 „Korea (Süd) ist das einzige Land, in dem die amerikanischen Truppen ständig auf der Alarmstufe DEFCON 4 in Bereitschaft sind, eine Stufe höher als normal.“ 33 Dieses direkte Engagement der USA beinhaltet die besondere Gefahr eines »Überspringens« eines Regionalkonfliktes in Korea auf die globale Ebene.
  4. Seit 1976 fand jährlich das Kriegsmanöver »Team Spirit« in Südkorea statt. Daran nahmen 1989 um 300 000 südkoreanische und US-amerikanische Soldaten teil. Diese Kriegsübung zielt auf die Offensive gegen Nordkorea und die Sowjetunion ab.34

Es spricht alles dafür, daß Korea zu den »Nicht-NATO-Ländern« gehört, das den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen (beschlossen am 28.4.1982)35 zufolge nicht mit Waffen aus der BRD beliefert werden dürfte. Dort heißt es in Punkt 13.: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern darf nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen. Lieferungen an Länder, bei denen eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus.“ (Hervorhebung von JH)

Die negative Bedeutung des U-Boot-Geschäfts zwischen BRD und Südkorea zeigt sich u.a. in der Befürchtungen der Vereinigten Staaten im Jahre 1987, die „sich mit der Entscheidung schwergetan [hatten], weil diese für Korea neuartige Bewaffnung das Spannungsverhältnis auf der koreanischen Halbinsel verändern könnte.“ 36

Es ist nicht auszuschließen, daß der Kauf von 6 U-Booten in drei Jahren (1987-1989) durch die südkoreanische Regierung eine entsprechende Aufrüstung in Nordkorea nach sich zieht und daß infolgendessen die Rüstungsspirale in beiden Teilen gegen den Willen der Bevölkerung37 eine weitere Drehung nach oben macht, und zwar mit Hilfe der Bundesregierung und im Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) vom 20.4.1961 und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) vom 28.4.1961, in denen Rüstungsexporte dieser Art untersagt bzw. beschränkt werden.38 Dort heißt es:

§ 6 Versagung der Genehmigung. (…) (3) Die Genehmigung ist zu versagen, wenn 1. die Gefahr besteht, daß die Kriegswaffen bei einer friedenstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden, 2. Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würden.“ (KWKG)39

§ 7 Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen

(1) Rechtsgeschäfte und Handlungen im Außenwirtschaftsverkehr können beschränkt werden, um (…) 2. eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten oder 3. zu verhüten, daß die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden.“ (AWG)

Angesichts des Entspannungsprozesses in Europa und im Verhältnis zwischen den USA und der UdSSR ist die m.E. verfassungs- und gesetzeswidrige Genehmigung des U-Boot-Geschäfts durch die Bundesregierung ein verwerflicher Akt, der unterbunden werden muß. In der BRD selbst und weltweit muß ein solcher politischer Druck erzeugt werden, damit weitere Geschäfte gestoppt werden.

Joo-Hi Lee ist Doktorand im Fach Politologie an der Philipps-Universität Marburg.