Protest als Katalysator für Transformation?

Protest als Katalysator für Transformation?

Der Einfluss von zivilem Protest auf sozial-ökologische Transformation in Regionalzentren

von Antonia Boeckle, Michael Volpert, Christina Warmann, Anna Weißenberger und Ulrike Zeigermann

Angesichts komplexer Herausforderungen wie Klimawandel und sozialer Ungleichheit hat in Deutschland der zivile Widerstand besonders unter jungen Menschen zugenommen. Dieser Beitrag diskutiert die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ziviler Protest als Katalysator für gesellschaftliche Transformation dient. Anhand einer Fallstudie zum Regionalzentrum Würzburg wird gezeigt, wie ziviler Protest Nachhaltigkeitsentscheidungen und -strukturen in Städten fördern kann. Der Fokus des Beitrags liegt auf Dynamiken in den Bereichen Biodiversität, Bildung, Antidiskriminierung und Mobilität.

Angesichts komplexer Herausforderungen, wie dem Klimawandel oder sozialer Ungleichheit, die auch in Deutschland zunehmend spürbar sind, mehrte sich in den letzten Jahren der zivile Widerstand gegen eingeschlagene politische Pfade. Der Protest für eine sozial-ökologische Transformation wuchs insbesondere unter jungen Menschen (Fopp, Axelsson und Tille 2021). Kleinere Großstädte, sogenannte Regionalzentren, welche sich als überregionale Bildungs-, Kultur-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte auszeichnen und einen überregionalen Versorgungs- und Entwicklungsauftrag erfüllen, spielen in diesem Kontext gesellschaftlichen Wandels eine besondere Rolle. Sie können einerseits als Zentren für Innovation verstanden werden, in denen zum Beispiel zivile Aktionsformen sozialer Bewegungen Impulse für Wandel geben. Andererseits wird im Zusammenhang mit zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und Dringlichkeit der Probleme der Einfluss von zivilgesellschaftlichen Proteststrategien auf sozial-ökologische Transformationsbereiche, wie Biodiversität, nachhaltige Bildung, Antidiskriminierung oder Mobilität, hinterfragt und angezweifelt (Cattino und Reckien 2021). Vor diesem Hintergrund untersucht diese Studie anhand der Stadt Würzburg, ob und inwiefern ziviler Protest als Katalysator für gesellschaftliche sozial-ökologische Transformation dient.

Würzburg kann als typischer Fall eines Regionalzentrums in Deutschland betrachtet werden. Während zivilgesellschaftlicher Protest in nationalen politischen Veränderungsprozessen gut dokumentiert ist, fehlt es an detailliertem Wissen, wie diese Dynamiken auf lokaler Ebene in Städten funktionieren und wie sie in die breitere Agenda der nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung integriert werden können.

Unser Beitrag basiert auf einer Studie, die mit einem qualitativen Forschungsansatz Protest- und Veränderungsdynamiken anhand eines Process Tracing1 in vier sozial-ökologischen Transformationsbereichen (Biodiversität, nachhaltige Bildung, Antidiskriminierung und Mobilität/Verkehr) untersucht. Damit werden die Mechanismen identifiziert, die in direktem Zusammenhang mit den beobachteten Veränderungen in den jeweiligen Transformationsbereichen in städtischen Kontexten stehen. Zudem ermöglicht die Methode es, die komplexen Interaktionen zwischen Protestgruppen, lokalen Behörden, Unternehmen und anderen relevanten Akteuren zu erfassen und zu analysieren. Basierend auf einer qualitativen Inhaltsanalyse von elf Expert*inneninterviews sowie Dokumenten- und Medienanalysen, vergleichen wir die Effekte von lokalem Protest hinsichtlich vier theoretisch hergeleiteter Analysekategorien: politische Entscheidungen, Institutionalisierung von Nachhaltigkeitsprinzipien, Bildung neuer Kooperationen und Netzwerke sowie gesellschaftliche Widerstände bzw. gegenteilige Reaktionen. Durch die Fokussierung auf spezifische Ereignisse kann nachvollzogen werden, wie und warum bestimmte Protestformen Einfluss auf politische Entscheidungen, Gesetzgebung und andere relevante Bereiche genommen haben.

Die umstrittene Rolle von Protest in sozial-ökologischen Transformationen

Öffentliche Beteiligung und Partizipation werden vielfach als positiv für informierte demokratische Prozesse bewertet, weil dadurch ein diverseres Spektrum an Perspektiven und Interessengruppen einbezogen und die Akzeptanz für die Entscheidungen gestärkt werden können. Diese unterschiedlichen Perspektiven werden teilweise sogar als Voraussetzung für Nachhaltigkeitspolitik betrachtet (Glass und Newig 2019). Die individuelle und kollektive Beteiligung reicht von unverbindlicher Zustimmung bis hin zur gewaltsamen Durchsetzung von Interessen. Dazwischen gibt es weitere Beteiligungsformen des legalen und illegalen Aktivismus und gewaltfreien Protests (siehe dazu auch Grimm in dieser Ausgabe, S. 6).

Die politische Debatte wie auch die wissenschaftliche Literatur sind unschlüssig hinsichtlich der Bewertung von zivilem legalen Protest für eine sozial und ökologisch transformative lokale Politik (Cattino und Reckien 2021). Zunächst deutet Protest auf eine Ablehnung politischer Entscheidungen und einen gesellschaftlichen Dissens über Probleme und deren Lösungsansätze hin. Gleichzeitig bedeutet diese Form der öffentlichen Beteiligung auch die Möglichkeit für Bürger*innen, zu einem gemeinsamen Verständnis komplexer Herausforderungen und potenzieller Lösungen zu gelangen, sich zu »vernetzen«, im Verlauf des Prozesses zu lernen, »politische Entscheidungen zu beeinflussen« und damit gesellschaftspolitische Änderungen zu bewirken (Chu, Anguelovski und Carmin 2016). Angenommene Vorteile zivilen Protests beziehen sich auf die Gerechtigkeit von Entscheidungsprozessen durch Einbeziehung vielfältiger gesellschaftlicher Perspektiven und Akteure, zivilgesellschaftliches Empowerment, langfristig eine größere Bereitschaft zur politischen Partizipation sowie vermehrte individuelle Verhaltensänderungen (Cloutier et al. 2015). »Nachhaltige Ansätze« können so mithilfe breiter gesellschaftlicher Akzeptanz in der lokalen Verwaltung »institutionalisiert« werden und dauerhaft zu stärkeren und widerstandsfähigeren Gemeinschaften führen. Insbesondere angesichts der Klimakrise und der damit verbundenen Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Transformation wird öffentliche Beteiligung daher oftmals als Katalysator oder gar Erfolgsbedingung für die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaften durch polyzentrische Entscheidungsfindung angesehen (Ostrom 2010).

Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass ziviler Protest den Status quo unterstützt. So deuten einige Studien darauf hin, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu schlechteren Ergebnissen und weniger transformativem Handeln führen kann (Wamsler et al. 2020). Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn vorhandene ungleiche Machtverhältnisse durch gewaltfreien Protest verstärkt werden. Ein Beispiel liefert die Forschung zur Energiewende, die zeigt, dass lokale Proteste den Ausbau von Windkraft oftmals verhindern (Hoeft, Messinger-Zimmer und Zilles 2017). Beteiligung kann insofern auch »gegenteilige Reaktionen« mit Blick auf sozial-ökologische Transformationen hervorbringen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Fördert ziviler Protest Transformation oder verstärkt er eher den Status quo auf lokaler Ebene bzw. in Regionalzentren?

Protest als Katalysator für Netzwerke

In den von uns untersuchten Bereichen Biodiversität, nachhaltige Bildung, Antidiskriminierung und Mobilität ist gesellschaftlicher Protest zunächst als Ablehnung des Status quo zu verstehen. So gab es in der Stadt Würzburg Anfang der 2000er Jahre beispielsweise zunehmend rassistisch motivierte Übergriffe, die zu gesellschaftlicher Empörung führten, bei denen jedoch gleichzeitig Unterstützung, Beratung, Dokumentation und Vermittlung durch öffentliche Behörden ausblieben. Betroffene und zivilgesellschaftliche Akteure organisierten sich daraufhin in diversen Gruppierungen, um durch zivilen Protest auf der Straße, durch Schreiben und Aufforderungen an die lokale Politik und die Erarbeitung von Vorschlägen zur Sichtbarmachung und Lösung des Problems beizutragen. Als 2006 ein weiterer rassistischer Überfall in der Straßenbahn Aufsehen erregte, wurde der Protest verstärkt.

Die diversen zivilgesellschaftlichen Akteure tauschten sich inhaltlich aus und entwickelten ein gemeinsames Verständnis der komplexen Herausforderungen in Verbindung mit Inklusion, Diversität und Integration, das sie in einem sogenannten »Würzburger Modell« veröffentlichten. Dieses Würzburger Modell ist bis heute Referenzrahmen für Aktivitäten im Bereich Antidiskriminierung. Auf organisatorischer Ebene führte die Kooperation der zivilgesellschaftlichen Protestakteure 2006 zum Zusammenschluss und Vernetzung in einem Bündnis für Demokratie und Zivilcourage (WBDZ). Ziel des Bündnisses ist es nach eigenen Angaben bis heute „zu mehr Engagement für eine friedvolle Gemeinschaft auf[zu]rufen und Menschen dazu [zu] befähigen, sich zu gegebenem Anlass zu wehren bzw. anderen beizustehen“ (Bündnis für Zivilcourage 2024).

Nach Aussage der Interviewpartner*innen erlaubt der zivilgesellschaftliche Protest den Würzburger*innen insofern eine Form der politischen Beteiligung, die u.a. durch Workshops, Seminare und Informationsveranstaltungen zu einer gesteigerten Sensibilisierung für Diskriminierung und Ungerechtigkeit in der Stadtgesellschaft beitrug und 2011 zur Einrichtung einer unabhängigen Antidiskriminierungsstelle führte. Mit den frühen Erfolgen des Protests erfuhr das Bündnis ab 2012 eine deutliche Ausweitung auf knapp 100 Vereine. Diese engagieren sich bis heute und bewirkten u.a. 2021 die Einrichtungen einer digitalen Meldeplattform »Würzburg schaut hin« und einer jährlichen »Würzburger Woche gegen Rassismus«.

Die beschriebenen Prozesse illustrieren, wie Protest und die damit einhergehende Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen können. Gleichwohl muss einschränkend vermerkt werden, dass die »lokalen Veränderungen« und die Sichtbarkeit des Problems weiterhin im Vergleich zu anderen Themen politisch marginal bleiben und »Wandel nur sehr langsam« erfolgt. Ein wesentlicher Unterschied der Vernetzungsprozesse in den Transformationsbereichen besteht in ihrer thematischen Breite und den beteiligten Akteuren. Im Transformationsbereich Biodiversität ist das Netzwerk beispielsweise thematisch breiter aufgestellt und betrachtet den Biodiversitätsschutz als integralen Bestandteil des Klimaschutzes, während das Netzwerk im Bereich Mobilität und Verkehr stärker auf konkrete infrastrukturelle Maßnahmen und politische Entscheidungen fokussiert ist. Im Bildungsbereich wiederum ist die Netzwerkbildung stark durch Initiativen der Erwachsenenbildung geprägt.

Protest und politische Entscheidungen

Die Wirkung von zivilgesellschaftlichem Protest auf politische Entscheidungen variiert nach Thematik und strukturellen Bedingungen. Im föderalen System in Deutschland werden Politiken primär auf der Bundesebene formuliert und gegebenenfalls nachrangig auf Landesebene präzisiert. Die lokale Ebene dient maßgeblich der Implementierung dieser Entscheidungen, wobei dennoch Schwerpunkte gesetzt werden können. Entsprechend gilt es, durch Protest die zuständigen Entscheidungsträger*innen zu adressieren. »Verstärkungseffekte« im Falle von vielfältigen lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen, welche sich in einem Transformationsbereich engagieren, können hierbei erfolgreich sein.

Beispielhaft hierfür sind die Entwicklungen im Transformationsbereich Biodiversität. Dieser zielt auf den Schutz der biologischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren ab. Die Biodiversitätspolitik wird durch internationale Ziele, nationale Gesetzgebungen und Strategien auf Landesebene definiert. Deshalb gilt es durch den lokalen Protest die Bundes- und Landesebene zu erreichen, um Entscheidungen zu beeinflussen. Dieser Bereich ist strukturell benachteiligt, weil die Natur nur indirekt über den Menschen repräsentiert werden kann und Interessen dadurch nur mittelbar politisch geäußert werden. In Würzburg wurden Biodiversitätsfragen, insbesondere in Bezug auf Stadtbegrünung, erst in den letzten fünf Jahren in der Stadtpolitik berücksichtigt. Das erfolgreiche bayerische Volksbegehren »Artenvielfalt – Rettet die Bienen« 2019 wurde auch von Umwelt- und Klimainitiativen in Würzburg unterstützt. Das Volksbegehren führte dazu, dass die städtische Begrünung in Würzburg, in Form von Straßenbegleitgrün, vorangetrieben wurde und im Jahr 2020 eine Biodiversitätsstelle im Landkreis Würzburg eingerichtet wurde. Zusätzlich trat die Stadt Würzburg im Frühling 2019 dem Bündnis »Kommunen für biologische Vielfalt« bei.

Protest und die Institutionalisierung lokaler Nachhaltigkeitspolitik

Zivilgesellschaftliches Engagement kann für spezifische Themen ein »Problembewusstsein schaffen« und, wie anhand der zuvor erwähnten unabhängigen Antidiskriminierungsstelle und Biodiversitätsberatungsstelle zu sehen ist, dazu führen, dass neue Themen in den lokalen Strukturen verankert werden. Auch im Bereich Bildung führte zivilgesellschaftliches Engagement in Würzburg dazu, dass neue nachhaltigkeitsrelevante Themen, Projekte und Veranstaltungen für verschiedene gesellschaftliche Zielgruppen verstetigt wurden. Beispielsweise wurden Projekte wie »Zukunft mit Klasse« und der »konsumkritische Stadtrundgang« ins Leben gerufen und in den Schulen respektive im Tourismusangebot der Stadt verankert. Das führte u.a. dazu, dass es Kooperatio­nen zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und städtischen Bildungseinrichtungen gab und diese inzwischen in der Stadt Würzburg fest etabliert sind.

Unsere Analysen haben außerdem gezeigt, dass ziviler Protest dazu führen kann, dass »neue Formen der lokalen Entscheidungsfindung« etabliert werden, um zivilgesellschaftliche Perspektiven stärker in vorhandene Entscheidungsverfahren zu integrieren. Beispielhaft können die Aktivitäten von »Würzburg erneuerbar« angeführt werden. Diese zivilgesellschaftlichen Gruppierungen haben eine wesentliche Rolle bei der Etablierung von Gremien zur partizipativen Entscheidungsfindung über lokale Mobilitäts- und Klimakonzepte gespielt. Zu solchen Gremien zählt u.a. der Klimabeirat, der den Würzburger Stadtrat, seine Ausschüsse und die Stadtverwaltung in Angelegenheiten des kommunalen Klimaschutzes und der Klimaanpassung berät. Zudem gibt es den Radverkehrsbeirat, der sich aus Vertreter*innen der Stadtverwaltung, Stadträt*innen, Mobilitätsclubs, Initiativen und einer Fahrradexpert*in aus jedem Stadtteil zusammensetzt, um sicherzustellen, dass die Belange des Radverkehrs umfassend berücksichtigt werden. Beide Gremien sind auf Druck der Zivilgesellschaft entstanden und zeugen von einer lokalen Institutionalisierung nachhaltiger Themen und Prozesse. Sie ermöglichen einen »strukturierten Austausch zwischen Interessengruppen« und lokaler Politik und tragen dazu bei, dass »diverse gesellschaftliche Perspektiven« in transformativen Ansätzen berücksichtigt werden.

Gegenteilige Reaktionen auf zivilen Protest

Platzprobleme in der Innenstadt Würzburgs führen immer wieder zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer*innen. Zivilgesellschaftliche Gruppierungen und die Stadt wollen daher grundsätzlich gleichermaßen den Ausbau von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr sowie die E-Mobilität und eine saubere Logistik fördern. Dennoch haben vereinzelte lokale Proteste in der Vergangenheit ambitionierte Maßnahmen für eine ökologische Verkehrswende verhindert. Prominentestes Beispiel ist in Würzburg die Initiative des interfraktionellen Bündnisses »Besser leben im Bischofshut«2, die 2022 auf einem großen außerhalb gelegenen Parkplatz Gebühren einführen wollte, um die Einnahmen davon zur Finanzierung einer für alle kostenlosen Straßenbahnnutzung in der Innenstadt zu verwenden. Diese Initiative wurde von einer »mächtigen Gegenbewegung« gekippt. Und nicht nur das: Ein Bürger*innenbegehren für kostenfreies Parken auf dem besagten Platz wurde eingereicht und erhielt große Zustimmung, obwohl davon nur vergleichsweise wenige Pendler*innen aus dem Umland profitieren.

Protest wirkt demnach nicht automatisch als Katalysator für sozial-ökologische Transformationen. In den Bereichen Antidiskriminierung und Biodiversität wurden auch »Tendenzen zu kurzfristigem, reaktivem Handeln« in Reaktion auf zivilgesellschaftlichen Protest deutlich, ohne dass langfristige, ambitionierte Veränderungsstrategien verfolgt worden wären. In solchen Fällen wiesen Interview­partner*innen jedoch darauf hin, dass integrative Ansätze basierend auf Dialog mit Bürger*innen vor Ort Konflikte minimieren und eine breitere Akzeptanz für sozial-ökologische Veränderungen schaffen können. Sie betonten, dass strukturierte deliberative Verfahren notwendig seien, um relevante Perspektiven in lokalen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Durch die Vernetzung lokaler Initiativen über Themen- und Ebenengrenzen hinweg kann ziviler Protest eine größere gesellschaftliche Sichtbarkeit und politische Wirkung entfalten.

Fazit

Am Beispiel zivilgesellschaftlichen Engagements in Würzburg zeigt unsere Analyse, dass ziviler Protest in Städten positive Auswirkungen auf nachhaltigkeitsbezogene Ziele und Entscheidungen haben kann, wenn er die Bildung von thematisch einschlägigen Netzwerken fördert, zur Entwicklung neuer Strukturen beiträgt und inklusive Entscheidungsprozesse unterstützt. Ziviler Protest kann insofern grundsätzlich als Katalysator für sozial-ökologische Transformationen in Regionalzentren verstanden werden, der nicht nur auf bestehende Probleme aufmerksam macht, sondern auch innovative Formen der Zusammenarbeit und Lösungsfindung fördern kann. Allerdings zeigen die Ereignisse insbesondere im Transformationsbereich Mobilität und Verkehr auch, dass es Bruchpunkte gesellschaftlicher Toleranz gibt und dass diese der transformativen Wirkung ziviler Interventionen auch Grenzen aufzeigen. Es zeigt sich ebenso, dass die politischen Entscheidungen in den Transformationsbereichen Antidiskriminierung, Mobilität und Verkehr, Biodiversität und Bildung bisher deutlich hinter den Forderungen des Protests zurückbleiben. Als reaktive Maßnahmen auf den Protest werden nur begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen – bzw. im Bereich Biodiversität ökologische Nutzungsflächen – bereitgestellt, die häufig nicht langfristiger Natur sind.

Anmerkungen

1) Process Tracing ist eine qualitative Forschungsmethode, die in den Sozialwissenschaften verwendet wird, um die Entscheidungsprozesse und Kausalmechanismen hinter spezifischen Ereignissen (»Outcomes«) zu untersuchen. Dabei werden detaillierte und systematische Analysen von Fällen durchgeführt, um zu verstehen, wie bestimmte Ereignisse zu einem spezifischen Outcome geführt haben (Starke 2022, S. 2). Die Methode stützt sich auf die Identifizierung und Analyse von »Spuren« oder Beweisen, welche die Verbindung zwischen potenziellen Ursachen und ihren Wirkungen aufzeigen.

2) Die Bezeichnung »Bischofshut« bezieht sich auf die mittelalterliche Umgrenzung der Altstadt Würzburgs, welche an die Form eines Bischofshuts erinnert.

Literatur

Bündnis für Zivilcourage (2024): Über uns. Homepage des Würzburger Bündnis für Demokratie und Zivilcourage e.V. URL: zivilcourage-wuerzburg.de/ueber-uns/.

Cattino, M.; Reckien, D. (2021): Does public participation lead to more ambitious and transformative local climate change planning? Current Opinion in Environmental Sustainability 52, S. 100-110.

Chu, E.; Anguelovski, I.; Carmin, J.(2016): Inclusive approaches to urban climate adaptation planning and implementation in the Global South. Climate Policy 16(3), S. 372-392.

Cloutier, G.; Joerin, F.; Dubois, C.; Labarthe, M.; Legay, Ch.; Viens, D. (2015): Planning adaptation based on local actors’ knowledge and participation: a climate governance experiment. Climate Policy 15(4), S. 458-474.

Fopp, D.; Axelsson, I.; Tille, L. (2021): Gemeinsam für die Zukunft – Fridays For Future und Scientists For Future: Vom Stockholmer Schulstreik zur weltweiten Klimabewegung. Bielefeld: transcript Verlag.

Glass, L.-M.; Newig, J. (2019): Governance for achieving the Sustainable Development Goals: How important are participation, policy coherence, reflexivity, adaptation and democratic institutions? Earth System Governance 2, 100031.

Hoeft, Ch.; Messinger-Zimmer, S.; Zilles, J. (Hrsg.) (2017): Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende: Lokale Konflikte um Windkraft, Stromtrassen und Fracking. Bielefeld: transcript Verlag.

Ostrom, E. (2010): Polycentric systems for coping with collective action and global environmental change. Global Environmental Change 20(4), S. 550-557.

Wamsler, C.; Alkan-Olsson, J.; Björn, H.; Falck, H.; Hanson, H.; Oskarsson, T.; Simonsson, E.; Zelmerlow, F. (2020): Beyond participation: When citizen engagement leads to undesirable outcomes for nature-based solutions and climate change adaptation. Climatic Change 158(2), S. 235-254.

Starke, P. (2022): Process Tracing in der Policy-Forschung. In: Wenzelburger, G.; Zohlnhöfer, R. (Hrsg.): Handbuch Policy-Forschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-26.

Antonia Boeckle ist Studentin der Sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg. Sie interessiert sich insbesondere für die ökologische Nachhaltigkeit und die Förderung von Biodiversität in Städten.
Michael Volpert ist Masterstudent der Sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg. Sein Studienschwerpunkt liegt auf der nachhaltigen Transformation von Unternehmen und Wirtschaftssektoren.
Christina Warmann studiert im Master Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg und hat ihren Studienschwerpunkt auf soziale Nachhaltigkeit gelegt. Sie ist studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Quantitative Sozialforschung.
Anna Weißenberger interessiert sich als Masterstudentin der Sozialwissenschaftlichen Nachhhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg vor allem für die Transformation von Städten und für Umweltpolitik.
JProf. Dr. Ulrike Zeigermann ist Junior-Professorin für Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg und assoziierte Forscherin am Centre Marc Bloch Berlin.

Eine Epoche der Ambivalenz

Eine Epoche der Ambivalenz

Von der Zangenkrise zum »Kampf der Sozialismen«

von Klaus Dörre

Der Beitrag argumentiert, dass wir in einer Epoche der Ambivalenz leben, in der einfache Wahrheiten vielleicht populär sein mögen, aber nicht realitätstauglich sind. Auch die Friedensbewegungen und die politische Linke müssen sich einer Widersprüchlichkeit stellen, die nicht im Selbstlauf zu einer positiven Synthese drängt. Die Suche nach Auswegen aus der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise wird umso dringlicher.

Was der Schriftsteller Peter Weiss in den 1970ern während einer Phase gesellschaftlichen Aufbruchs in seinen Notizbüchern notierte, trifft – freilich unter völlig anderen Vorzeichen – auch für die Gegenwart zu: „Die Epoche der Ambivalenz und der Kontroversen. Es war unmöglich, eine absolut richtige, zutreffende Ansicht zu haben, man kam der Wahrheit am nächsten, wenn man den bestehenden Zwiespalt in die Analyse des Sachverhalts einbezog. Monolithische Haltungen von vornherein zum Mißglücken verurteilt, und wenn sie mit Gewalt aufrecht erhalten werden, zeigen sie desto deutlicher das Atavistische ihres Charakters“ (Weiss 1981, S. 177). Auch heute leben wir in einer Epoche von Widersprüchen, die allerdings nicht zu einer positiven Synthese drängen und denen einfaches Denken keineswegs gerecht werden kann. Handelt es sich tatsächlich um eine Zeitenwende, um einen Kampf zwischen Autokratien und demokratischen Gesellschaften, wie es Robert Kagan (2008), Mitbegründer eines neokonservativen Think Tanks, und mit ihm inzwischen viele andere behaupteten? Ich plädiere für eine andere, eine alternative Sicht der Dinge. Wir befinden uns, so meine These, inmitten einer epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise, die das Ende der »billigen Dinge«, das Ende von billiger Natur, billiger Energie, billiger Sorgeleistungen und auch billiger Arbeit einleitet. Diese Metakrise prägt die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts und treibt zu einer neuen Weltordnung – ein Übergang, der von Naturkatastrophen, Kriegen und Massenaufständen begleitet sein wird. Diese konfliktreiche Periode zwingt progressive soziale Bewegungen, Gewerkschaften und die verblieben Organisationen der politischen Linken zu einer strategischen Neuausrichtung, die mit einer realistischen Betrachtung der Lage beginnen muss. Nachfolgend beschränke ich mich auf vier Überlegungen.

1) Von der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise…

Beginnen wir mit der Krisendiagnose. Bei einer Krise handelt es sich ihrer allgemeinsten Definition nach um einen überwindbaren Zustand. Zangenkrise besagt, dass das wichtigste Mittel zur Überwindung ökonomischer Stagnation und zur Pazifizierung interner Konflikte im Kapitalismus, die Generierung von Wirtschaftswachstum nach den Kriterien des Bruttoinlandsprodukts, unter Status-Quo-Bedingungen ökologisch zunehmend destruktiv und deshalb gesellschaftszerstörend wirkt. Mit dem Status Quo sind in diesem Zusammenhang hoher Emissionsausstoß, ressourcenintensive Produktions- und Lebensweisen sowie ein beständig steigender Energieverbrauch auf fossiler Grundlage gemeint. Der Zangengriff von ökonomischen und ökologischen Verwerfungen markiert Störungen der Gesellschafts-Natur-Beziehungen, die in ihren Wechselwirkungen eben keine Krise wie jede andere sind. Alle sozialen Felder und gesellschaftlichen Teilsysteme werden von den Auswirkungen eines instrumentellen Verhältnisses zur Natur durchdrungen. Mit der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise ist eine Bezeichnung gewählt, die eine klare Hierarchie der Krisenursachen benennt. Es handelt sich um eine Metakrise, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit den Übergang zu einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän (Crutzen 2019), einleitet.

Der Begriff des Anthropozän besagt, dass die Menschheit zur einflussreichsten Kraft auf dem Planeten geworden ist. Sie hat es selbst in der Hand, nachhaltige Beziehungen zur Natur zu schaffen und ihr instrumentelles Verhältnis zu Naturressourcen und nichtmenschlichen Lebewesen zu überwinden. Ob wir die Artenvielfalt erhalten, die Überhitzung des Planeten stoppen, den Verbrauch endlicher Ressourcen einschränken, Hunger und Massenelend überwinden, den Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen decken, eine fortschreitende Abholzung der Wälder und die nachfolgende Versteppung beenden und dem Anthropozän eine lange Dauer verleihen, hängt in erster Linie vom praktischen Tun in menschengemachten Gesellschaften ab.

Nun existiert die Menschheit allerdings nur als nach Nationen, Klassen, Geschlechtern, Alter, Machtressourcen etc. differenziertes Kollektiv. Hinzu kommt, dass die Störungen der Gesellschafts-Natur-Beziehungen in der Gegenwart in erster Linie von kapitalistischen Ökonomien ausgehen. Deshalb halten Sozialwissenschaftler wie Jason Moore die Bezeichnung Kapitalozän für angemessener (Moore 2015, S. 169ff.). In dieser Präzisierung ist auch angelegt, dass die expansive Bewegungsform kapitalistischer Gesellschaften auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen an unüberwindbare Grenzen stößt (Dixson-Decléve et al. 2022). Graduelle Prozesse wie die Erderhitzung oder auch der steigende Ressourcen- und Energieverbrauch können den Planeten auf dramatische Weise verändern und für Menschen zumindest in Teilen unbewohnbar machen. So ist der Meeresspiegel seit Beginn des 20. Jahrhunderts um ca. 20 cm gestiegen. Das Eis an den Polen schmilzt rascher als erwartet. Schon 2014 erreichte der westantarktische Eisschild wahrscheinlich einen Kipppunkt, der das gesamte Ökosystem destabilisiert und den Zerfall des Eisschilds beschleunigt. Das Ansteigen des Meeresspiegels bedroht zunächst kleinere Inseln und tiefer gelegene Küstenregionen (IPCC 2022); das macht das Graduelle des Klimawandels aus. Er wirkt zunächst unsichtbar und sozialgeographisch differenziert: Deshalb wird er über längere Zeiträume hinweg vor allem ein »Schicksal« der anderen sein; während Millionen Menschen in küstennahe Regionen des Globalen Südens das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bereits bis zum Halse steht, lässt es sich in den reichen Staaten des Nordens auch für die Angehörigen subalterner Klassen noch immer einigermaßen gut leben. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beginnt sich allerdings mit zunehmender Geschwindigkeit zu ändern.

2) … zum »Würgehalsband-Effekt«

Das hängt mit einer Dynamik zusammen, die der US-amerikanische Ökonom James Galbraith (Galbraith 2016, S. 121-151) als »Würgehalsband-Effekt« bezeichnet hat. Danach sind energie- und ressourcenintensive Ökonomien, wollen sie rentabel sein, auf ein stabiles Umfeld angewiesen. Die Preise für Rohstoffe, Öl, Energie etc. müssen einigermaßen berechenbar bleiben, weil Investitionen, die sich allenfalls langfristig amortisieren, ansonsten zu risikoreich wären. In unsicheren Zeiten machen hohe Fixkosten für Gas und Öl, aber auch für seltene Erden oder Weizen und andere Nahrungsmittel hingegen eine besondere Verwundbarkeit dieser auf billigen Naturstoffen und hohem Ressourcenverbrauch basierenden Wirtschaftsweise aus. Wie das Würgehalsband bei einem Hund verhindert wirtschaftliche und politische Instabilität nicht unbedingt jegliches Wirtschaftswachstum, doch die Preise für Energie und darüber vermittelt auch für viele andere Güter steigen rasch an, um, von spekulativen Manövern beeinflusst, zeitweilig wieder zu fallen. Zugleich gibt es Krisengewinner, die, wie etwa die Öl- und Rüstungskonzerne, genau in diesen Zeiten hohe zusätzliche Gewinne abschöpfen. Insgesamt beeinträchtigt das Auf und Ab der Konjunktur und des Wachstums jedoch die Profitabilität und Leistungsfähigkeit vieler Unternehmen, ihre Investitionsbereitschaft sinkt und Verteilungskämpfe – nicht nur zwischen Klassen(-fraktionen), sondern auch innerhalb der Staatsapparate – gewinnen an Intensität (Galbraith und Dörre 2018).

Genau das ist in der Gegenwart der Fall. Die Verteuerung der »billigen Dinge« hatte bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt. Dies hat eine Vielzahl an Ursachen – Streiks in den sozialen Dienstleistungsbetrieben, öffentlichkeitswirksame Interventionen von Klimabewegungen und Gewerkschaften, Hungerrevolten, Aufwendungen für Katastrophenschutz und vieles andere mehr. Der Ukraine-Krieg und die Inflation haben diese Tendenz dramatisch forciert. Diese Entwicklung ist mit Marktmechanismen offenkundig nicht mehr zu korrigieren. Das Hauptproblem marktverträglicher Instrumente besteht darin, dass sie in ihren Auswirkungen »sozial blind« sind. Die kleinen Geldbörsen werden letztendlich immer weitaus stärker belastet als die großen Einkommen. Nehmen wir die Bundesrepublik als Beispiel: In Deutschland hat die untere Hälfte der Lohnabhängigen gemessen am steigenden Volkseinkommen seit der Jahrtausendwende kontinuierlich an frei verfügbarem Einkommen verloren. Steigen die Preise für Heizung, Strom, Mobilität, Mieten und Nahrungsmittel, wird dieser frei verfügbare Einkommensanteil immer geringer. Selbst für Durchschnittsverdiener*innen mit einem realen Nettolohn von monatlich 1.578 Euro (vgl. DGB 2021, S. 25) wird es dann schwer, ohne staatliche Hilfe über die Runden zu kommen.

Diese Entwicklung ist äußerst konfliktträchtig. Zielsicher ist die radikale Rechte dabei, den Würgehalsband-Effekt politisch auszunutzen. Der jüngste französische Präsidentschaftswahlkampf bietet dafür Anschauungsunterricht. Bereits im ersten Wahlgang zeichnete sich ein »neuer Klassenkampf« ab: Während sich hinter Emmanuel Macron vor allem die bessergestellte Wähler*innenschaft aus den großen Städten versammelte, votierten die weniger Betuchten in den Vorstädten für den Linken Jean-Luc Mélenchon, auf dem Lande aber für die rechtsradikale Marine Le Pen, die sich nur deshalb als gemäßigt geben konnte, weil mit Éric Zemmour ein noch weiter rechts stehender Kandidat um Stimmen konkurrierte. Sage und schreibe 67 Prozent der Arbeiter*innen votierten für die rechtsradikale Kandidatin (Wiegel und Záboji 2022). Zielsicher hatte sich Le Pen die Auswirkungen des »Würgehalsband-Effekts« zunutze gemacht und steigende Preise für Energie, Heizung, Nahrungsmittel und Mobilität zum Wahlkampfthema Nummer eins gemacht. Das konnte ihr gelingen, weil in Frankreich – darin zahlreichen westeuropäischen Gesellschaften ähnlich – klassenspezifische Ungleichheiten zunehmen, während die ausgleichende Kraft organisierter Arbeitsbeziehungen in Gestalt von Tarifverträgen, betrieblicher Mitbestimmung und gewerkschaftlichen Organisationsgraden seit langem rückläufig ist. Mittlerweile befindet sich Le Pen in »bester« Gesellschaft. Im schwedischen Volksheím haben die rechtsradikalen Schwedendemokraten die Wahlen gewonnen. In Italien schickt sich die verharmlosend als »Postfaschistin« bezeichnete Giorgia Meloni an, neue Regierungschefin zu werden. In Polen und Ungarn sitzen rechte Autokraten fest in ihren Regierungssesseln, während die trumpistischen Republikaner in den USA bereit zu sein scheinen, jegliche Reformmehrheit zu blockieren. Tatsächlich ist die Gefahr eines neuen Autoritarismus, ja eines neuen Faschismus riesengroß (vgl. Frankenberg und Heitmeyer 2022). Die aktuelle Schwäche sozialer Bewegungen und die Zersplitterung der Linken trägt dazu maßgeblich bei.

3) Nachhaltigkeit als Abwesenheit von Gewaltsamkeit

Das ließe sich ändern, wenn die politische Linke endlich damit beginnen würde, Streitigkeiten zurückzustellen und grassierendes Sektierertum zu überwinden, um sich zumindest in Grundfragen zu verständigen. Dabei ist zu bedenken, dass es in einer »Epoche der Ambivalenz« nicht die eine, ewig gültige Wahrheit geben kann. Inhaltliche Differenzen gehören ausgetragen; jede der streitenden Parteien sollte sich aber darüber bewusst sein, dass sie irren könnte. Dies vorausgesetzt, halte ich drei Themenkomplexe für zentral.

Die Rückkehr des intervenierenden Staates

Schon weil (1) radikal progressive gesellschaftliche Veränderungen derzeit völlig unwahrscheinlich erscheinen, kommt jede Spielart zukunftstauglicher progressiver Politik nicht umhin, Einfluss auf das aktuell dominante Krisenmanagement auszuüben. Auf europäischer wie auch auf nationalstaatlicher Ebene zeichnet sich ab, was als wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel über die Covid-19-Pandemie und den Ukraine-Krieg hinaus Bestand haben wird: Heute ist der intervenierende Staat zurück. Er wirkt als Ressourcenbeschaffer, Planer und Finanzier von Infrastruktur, Garant von Eigentumsrechten gegenüber der Konkurrenz aus Übersee, Seuchen-Manager und – im besten Falle – als Beschleuniger sozial-ökologischer Innovation. Nicht ob, sondern wie Staats­interventionen aussehen, ist zumindest in den alten kapitalistischen Zentren zu einer entscheidenden Frage für die Überlebensfähigkeit des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Systems geworden. Das Grundproblem, vor dem der neue Staatsinterventionismus steht, resultiert aus der Aufgabe, überschüssiges Kapital in die richtigen Felder zu lenken, um sozial und ökologisch nachhaltig wirken zu können. Einerseits ist der Kapitalbedarf in wichtigen wirtschaftlichen Sektoren und Branchen gewaltig, andererseits werden überfällige Investitionen in soziale und ökologische Nachhaltigkeit kurzfristig kaum Gewinne abwerfen. Sie sind deshalb für private Unternehmen wenig attraktiv und können ohne Umverteilung von den Reichsten zu den weniger Begüterten nicht sozialverträglich finanziert werden. Entscheidend ist deshalb nicht, dass der Staat interveniert, sondern wie er Einfluss ausübt. Hier grassiert jedoch industrie- und wirtschaftspolitische Fantasielosigkeit. Staatsbeamt*innen, die über Jahrzehnte hinweg gelernt haben, dass die Wirtschaft in der Wirtschaft stattfindet, können gar nicht kreativ handeln, wenn sie nicht durch Druck aus der demokratischen Zivilgesellschaft dazu gezwungen werden.

Politikgestaltung entlang der SDGs

Für die Beurteilung von Staatsaktivitäten gibt es (2) einen großartigen Maßstab, auf den sich die Staatengemeinschaft zu großen Teilen geeinigt hat – die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, bekannt als »Sustainable Development Goals« (SDGs). Diese Ziele sind hervorragend geeignet, auch solche Nachhaltigkeitspolitiken normativ zu begründen, die eine Überwindung des Wachstumskapitalismus anvisieren. In ihrer Kombination und Gleichrangigkeit können universelle Nachhaltigkeitsziele eine subversive Kraft entfalten, weil sie den kapitalistischen Expansionismus in all seinen Spielarten mit der Aufforderung zu Rechtfertigungen (Boltanski und Thevenot 1991) konfrontieren, die eine rasche Verringerung von Emissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch anmahnen und die gerechte Verteilung eines Wohlstands einklagen, der auch künftigen Generationen noch zur Verfügung steht. Die SDGs kennen nur noch eine Welt, die sich entweder gemeinsam und solidarisch entwickelt oder eine Ära des globalen Niedergangs einleitet. Vor allem reduzieren sie Nachhaltigkeit nicht auf ihre ökologische Dimension. Ziel eins fordert die weltweite Überwindung aller Ausprägungen von Armut, Ziel zehn die Verringerung sozialer Ungleichheit – beides Orientierungen, die soziale Nachhaltigkeit anvisieren. Diese Ziele werden unauflöslich mit ökologischer Nachhaltigkeit zusammengebracht und zusammengedacht. So verlangt Ziel sieben die Sicherung des Zugangs zu nachhaltig produzierter Energie für alle, Ziel 13 fordert die wirksame Bekämpfung des Klimawandels und Ziel 14 klagt die schonende Nutzung der Meere und Ozeane ein, um nur drei besonders markante Koordinaten zu nennen. Wichtig ist jedoch, dass es keine hierarchische Rangfolge der Ziele gibt. Wenn-dann- oder Zuerst-danach-Beziehungen zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit werden ausgeschlossen. Es gibt keine Ziele erster und zweiter Klasse, sondern ein Koordinatensystem, in das alle Kriterien für Nachhaltigkeit gemeinsam eingehen. Deshalb eignen sich die SDGs als zentrale Inhalte einer neuen, weltweiten Rechtfertigungsordnung, die normative Maßstäbe für jedes Gemeinwesen setzt. Mithilfe einer an den SDGs ausgerichteten Rechtfertigungsordnung wird es möglich, alles im Sinne von Nachhaltigkeit Erreichte am Nötigen und Wünschbaren zu messen. Jeder Kompromiss, jede Bewährungsprobe eignet sich als Ausgangspunkt neuer Kritik durch gesellschaftliche Akteure. Werden Ziele nicht oder nur ungenügend umgesetzt, besteht je nach Perspektive die Gefahr oder Chance einer weitreichenden Delegitimierung des Handelns herrschender Klassen und dominanter Eliten. Die SDGs sind konfliktträchtig, weil sie zumindest diskursiv wirken. Statt Fundamentalkritik zu üben, macht es daher für progressive gesellschaftliche Akteure, die sich der Notwendigkeit einer Nachhaltigkeitsrevolution bewusst sind, Sinn, sich an Definitionskämpfen zu beteiligen, in denen darüber entschieden wird, welche Richtung der gesellschaftliche Wandel einschlägt und auf welche Weise der Staat interveniert. Statt sich in inhaltsleeren »Nachhaltigkeits«-Diskussionen zu verlieren, kann sich die politische Linke dabei an einem Nachhaltigkeitsbegriff orientieren, wie ihn der zu Unrecht fast vergessene Sozialwissenschaftler Kai Tjaden bereits zu Jahrtausendwende vorgeschlagen hat (Tjaden 2002). Er versteht Nachhaltigkeit als den Gegenbegriff zur Gewaltsamkeit. Gewaltsamkeit meint für ihn weit mehr als die Ausübung von physischem Zwang und militärischem Konflikt. Gewaltsamkeit bezieht sich nach Tjaden auch auf den strukturellen Zwang, den soziale Ungleichheiten ausüben; sie findet sich in Geschlechterverhältnissen ebenso wie in Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen und Nationen und sie findet ihren Ausdruck auch in der menschlichen Dominanz über die außermenschliche Natur und ihre Lebewesen.

Überwindung der Gewaltsamkeit fokussieren

Nachhaltigkeit bedeutet demnach (3) die Überwindung von Gewaltsamkeit. Sie beinhaltet zwingend „den Verzicht auf kriegerische Mittel der Politik“ (Tjaden 2002, S. 16). Damit ist zugleich gesagt: Politiken, die den Anteil des Rüstungsetats am BIP auf zwei Prozent und mehr festlegen wollen, können nicht nachhaltig sein; sie sind das Gegenteil – Ausweis ökologischer und sozialer Gegenrevolution. In einer »Epoche der Ambivalenz« mag vieles strittig sein, jedes Argument trifft auf gehaltvolle Gegenargumente. Nehmen wir den Ukraine-Krieg. Sicherlich war die Westausdehnung der NATO falsch und ein Verstoß gegen mündliche Abmachungen, die seinerzeit mit Michael Gorbatschows Regierung getroffen wurden; die Rechtfertigung für einen Angriffskrieg ist damit aber nicht gegeben. Selbstverständlich kann man dennoch gegen eine Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine sein – doch hieße dies, dass sich das Land mit leichten Waffen zu verteidigen hätte. Selbstverständlich kann man Sanktionen in Frage stellen – doch welche Mittel gäbe es dann, dem Aggressor etwas entgegenzusetzen? Welche Widerstandsformen stünden einer Bevölkerung zur Verfügung, die ein umfassendes Konzept ziviler Verteidigung niemals eingeübt hat? Und ja, auch die Ukraine ist, so wie alle postsowjetischen Gesellschaften, ein Oligarchenkapitalismus und damit alles andere als eine »Vorzeigedemokratie«. Erst jüngst hat ein Gesetz elementare soziale und gewerkschaftliche Rechte de facto außer Kraft gesetzt (Röthig und Yarmolyuk-Kröck 2021; ÖGB 2021). Doch das sind Konflikte, die innerhalb der Ukraine, innerhalb der russischen Föderation ausgetragen werden müssen. Kriege rechtfertigen sie nicht. Trotz kontroverser Beurteilungen der Lage gibt es einen gemeinsamen Nenner, der nicht kleingeredet werden darf: allen progressiven Kräfte bleibt nur, mit allen verfügbaren friedlichen Mitteln darauf hinzuwirken, dass es zu einem sofortigen Waffenstillstand und zu Friedensverhandlungen kommt. Einen »Siegfrieden«, gleich für welche Partei, kann es nicht geben. Die Waffen müssen schweigen, so rasch wie möglich. Alles andere bedeutet den Bruch mit Nachhaltigkeitszielen und läuft auf einen – zumindest latenten – Exterminismus hinaus.1

4) »Kampf der Sozialismen«?

Ziele sind das eine, Wege zur Zielerreichung etwas völlig anderes. Mit dem Ökonomen Thomas Piketty (2022) sei hinzugefügt, dass nichts dagegen spricht, sich den nötigen Wandel friedlich vorzustellen. Historisch betrachtet waren es allerdings stets Naturkatastrophen, große Krisen und Kriege, die revolutionäre Veränderungen mit sich brachten. Schon deshalb wäre es fatal, würden die progressiven gesellschaftlichen Kräfte die Systemfrage der radikalen Rechten überlassen. Heute geht es, um das Motiv Walter Benjamins (Benjamin 1982) aufzugreifen, bei der Suche nach gesellschaftlichen Alternativen vor allem um die Suche nach einem Notausgang, nach Auswegen aus einer epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise, die das Überleben menschlicher Zivilisation infrage stellt. In Zukunft werden wir deshalb möglicherweise, so jedenfalls Thomas Pikettys Prognose, den Übergang von einem »Krieg der Kapitalismen« zum »Kampf der Sozialismen« erleben (Piketty 2022, S. 256ff.). Dem berühmten französischen Ökonomen schwebt dabei die Auseinandersetzung eines demokratisch-ökologischen, partizipativen und kulturell diversen Sozialismus mit autoritär-diktatorischen Staatssozialismen vor, wie ihn beispielsweise die kommunistische Partei Chinas zu realisieren beansprucht.

Ganz gleich wie man zu solchen Prognosen steht: Sollen, ja dürfen »wir« im wissenschaftlichen Diskurs wie im politischen Alltag hinter einen Ökonomen zurückfallen, der vom Liberalen zum überzeugten Sozialisten geworden ist? Ich hielte das für fatal und habe mich deshalb mit meiner »Utopie des Sozialismus« (Dörre 2022) selbst klar positioniert. Das vor allem, weil es innerhalb der Grenzen, die die profitgetriebene kapitalistische Marktexpansion setzt, zwar politischen Handlungsspielräume, letztendlich aber keinen nachhaltigen Ausweg aus der Zangenkrise gibt. Trotz der tristen Lage, in welcher sich die gesellschaftliche wie auch die politische Linke derzeit in vielen Ländern befindet, sind intellektuelle Suchbewegungen, die sich um Begriffe wie den des »Ökosozialismus« (Arruzza et al. 2019, S. 63), der »Gemeinwohlökonomie« (Werneke und Zanker 2022) oder den eines »radikalen Humanismus« (Mason 2019) ranken, alles andere als trivial. Zeugen sie doch von einem intellektuellen Prozess, der die Hegemonie der ratlos wirkenden kapitalistischen Eliten in Frage stellt. Historisch betrachtet wäre es nicht das erste Mal, dass radikaler Wandel sich auf diese Weise Bahn bricht (Wallerstein 2014). Politisch entscheidend ist jedoch immer der nächste Schritt – und der ist gegenwärtig leicht zu bestimmen: Er muss auf der Straße stattfinden. Wir benötigen Massenproteste für die Besteuerung von Übergewinnen und Rüstungsprofiteuren; Einsatz der Mittel zur Deckelung von Strom- und Gaspreisen und ein Sondervermögen für ein radikales, rasch wirkendes Klimapaket!

Anmerkung

1) Exterminismus – eine Wortschöpfung des Historikers E. P. Thompson aus der Zeit des Kalten Krieges, eskalierender Blockkonfrontation und wechselseitiger Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen –bezeichnet diejenigen Mechanismen von Volkswirtschaften, politischen Ordnungen und Ideologien, die als Schubkraft in eine Richtung wirken, deren Resultat die Auslöschung großer Menschenmassen sein muss (Albrecht 1997, Spalten 1188-1192).

Literatur

Albrecht, U. (1997): Exterminismus. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 3, Spalten 1188-1192.

Arruzza, C.; Bhattacharya, T.; Fraser, N. (2019): Feminismus für die 99 %. Ein Manifest. Berlin: Matthes & Seitz.

Benjamin, W. (1982): Das Passagen-Werk. In: Gesammelte Schriften. Band V in zwei Teilbänden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Boltanski, L.; Thévenot, L. (1991 [2007]): Über die Rechtfertigung. Eine Soziologie der kritischen Urteilskraft. Hamburg: Hamburger Edition.

Crutzen, J. (2019): Das Anthropozän. München: oekom.

DGB (2021): DGB Verteilungsbericht. Ungleichheit in Zeiten von Corona. Berlin.

Dixson-Decléve, S. et al. (2022): Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. München: oekom.

Dörre, K. (2022): Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. 2. erweiterte Auflage. Berlin: Matthes & Seitz.

Frankenberg, G.; Heitmeyer, W. (Hrsg.) (2022): Treiber des Autoritären. Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt a.M.: Campus.

Galbraith, J. K. (2016): Wachstum neu denken. Was die Wirtschaft aus der Krise lernen muss. Zürich: Rotpunkt.

Galbraith, J. K.; Dörre, K. (2018): The great financial crisis and the end of normal. Berliner Journal für Soziologie 28(1-2), S. 39-54.

IPCC (2022): Summary for policymakers. In: Climate change 2022: Impacts, adaptation and vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the IPCC. Cambridge/New York: Cambridge University Press, S. 3–33.

Kagan, R. (2008): Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung? München: Siedler.

Mason, P. (2019): Klare, lichte Zukunft. Eine radikale Verteidigung des Humanismus. Berlin: Suhrkamp.

Moore, J. W. (2015): Capitalism in the web of life. London/New York: Verso.

ÖGB (2021): Ukraine: Regierung droht Gewerkschaft mit kompletter Entmachtung. Blogbeitrag, oegb.at, 4.10.2021.

Piketty, Th. (2022): Eine kurze Geschichte der Gleichheit. München: C.H. Beck.

Röthig, M.; Yarmolyuk-Kröck, K. (2021): Ukraine Gewerkschaftsmonitor. Berlin: FES.

Tjaden, K. (2002): Nachhaltigkeit und Gewaltsamkeit. Historische und theoretische Bemerkungen. spw – Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 126, S. 13-17.

Wallerstein, I. (2014): Die strukturelle Krise oder Warum der Kapitalismus sich nicht mehr rentieren könnte. In: Wallerstein, I. et al. (Hrsg.): Stirbt der Kapitalismus? Fünf Szenarien für das 21. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 17-48.

Weiss, P. (1981): Notizbücher 1971-1980, Erster Band, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Werneke, F.; Zanker, K. (Hrsg.) (2022): Renaissance des Gemeinwohls? Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Pandemie. Hamburg: VSA.

Wiegel, M.; Záboji, N. (2022): Die „strahlende“ Verliererin. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.4.2022.

Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der FSU Jena und forscht u.a. zu Kapitalismus und Nachhaltigkeit.

Energie- und Klimasicherheit durch Sonnenenergie

Energie- und Klimasicherheit durch Sonnenenergie

von Gerhard Knies

In W&F 3-2006 mit dem Schwerpunkt »Konfliktherd Energie« haben wir u.a. das Memorandum der Naturwissenschaftler-Initiative »Energie und Zukunft« veröffentlicht. Dr. Gerhard Knies, selbst Mitglied dieser Initiative, setzt sich in einem Leserbrief an W&F kritisch mit diesem Dokument auseinander.

Klimawandel und Energieverknappung sind täglich deutlicher werdende Gefahren des gegenwärtigen fossilen Energiesystems. Dass der Energiebedarf der weiter im Wachstum befindlichen Menschheit auch aus sauberen, erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden könnte, wird oft in Frage gestellt – manchmal mit vordergründigen Hintergedanken. Die Eigentümer von Kohle, Öl und Gasfeldern, die Besitzer von Kerntechnologie, die Entwickler von Fusionstechnologie sehen in den Erneuerbaren Energien (EE) eine unliebsame Konkurrenz und reden diese deshalb klein. Aber auch unter den Befürwortern der EE gibt es jetzt Stimmen, die sich am Kleinreden der EE beteiligen: In einem von der NaturwissenschaftlerInnen Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.« in W&F 3/06 veröffentlichen Memorandum zur nachhaltigen Energieversorgung wird behauptet: „Zusammengenommen können all diese Techniken (Anm.: erhöhte Energieeffizienz in Kraftwerken, Kraft-Wärme-Kopplung, CO2 Abscheidung, Erneuerbare Energien) jedoch die fossilen Energieträger wohl nur zum Teil substituieren. Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten Energiebedarf können sie auf keinen Fall decken.“

Nun sollte man bei Naturwissenschaftlern erwarten, dass eine solche Aussage auf Daten beruht. Doch Angaben über die auf der Erde verfügbaren Potenziale der EE und über die angesetzten zukünftigen Energiebedarfe, aus denen eine solche Schlussfolgerung gezogen werden müsste, werden nicht gemacht. Ist diese Aussage, die für die Stoßrichtung des Memorandums grundlegend ist, eine naturwissenschaftlich belegbare Tatsache, oder ist sie eine Spekulation?

Ich habe die dafür relevanten Zahlen recherchiert und komme zu gänzlich anderen Ergebnissen.

Um die Sache zu vereinfachen, betrachte ich hier nur die Solarenergie in den Wüsten der Erde. Hierzu gibt es leicht überprüfbare gesicherte Daten:

1. Wüstenflächen der Erde = 36 Millionen km² (Global Deserts Outlook, UNEP, 2006)

2. Energie der mittleren jährlichen direkten Normalstrahlung auf 1 km² Wüste = 2,2 TWh = 0,28 Mtce = 1,4 Millionen Barrel Öl (Studie MED-CSP des DLR für das BMU, 2005, www.dlr.de/tt/med-csp)

3. Globaler Energieverbrauch = 13 Gtce/Jahr (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Ressourcen, BGR, Hannover, Energiestudie 2004)

4. Effizienz der Energie-Umwandlung – Strahlung zu Elektrizität > 11%.

Hier bedeuten: TWh = Terawatt Stunden = Milliarden kWh, Gtce (Mtce) = Giga (Mega) Tonnen Steinkohle äquivalent, (1tce = 8140 kWh = 29 GJ (Giga Joule) = 5 Barrel Öl).

Die Wüsten erhalten jährlich Solarenergie von 10.000 Gtce = 700facher Welt-Jahresverbrauch. Oder: Der Welt-Jahresverbrauch an Energie kommt in 5,7 Stunden Sonnenschein in den Wüsten an.

Die Sonne strahlt jährlich Energie wie in einer Kohleschicht von 20 cm oder wie in einem Ölteppich von 22 cm Dicke enthalten auf die Wüsten. Rein rechnerisch könnte man damit über 9 Millionen TWh Strom pro Jahr erzeugen, etwa das 500-fache des weltweiten Stromverbrauchs von derzeit ca. 17.000 TWh. Hierfür würden ca. 0,2% der Wüstenflächen ausreichen.

Diese Zahlen zeigen, dass es in den Wüsten mehr als genug Solarenergie gibt, auch für die wachsende Menschheit.

In der Tabelle (siehe unten) wird das Solarenergie Angebot der Wüsten mit den Daten über Vorräte und Verbrauche fossiler Brennstoffe verglichen.

Aus der Tabelle sind 3 Punkte hervor zu heben:

1. Der globale Primärenergie Jahresbedarf von 13,1 Gtce kommt in 5,7 Stunden als Solarstrahlung in den Wüsten der Erde an (und der für 2100 erwartete [WBGU Bericht 2004] von 55 Gtce in 2 Tagen).

2. Die Energie aller nachgewiesenen fossilen Reserven kommt in 47 Tagen, und die aller vermuteter Ressourcen in 227 Tagen als Solarstrahlung an.

3. Der Energiegehalt aller bekannten und vermuteten Vorkommen an spaltbaren Elementen für Kernkraftwerke kommt in 13 Tagen als Solarstrahlung

Eine Satelliten gestützte Auswahl von Gebieten nach geographischen und ökonomischen Gütekriterien durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt kommt zu dem Ergebnis, dass in den MENA Wüsten solarthermische Kraftwerke 630.000 TWh Elektrizität pro Jahr erzeugen könnten (www.dlr.de/tt/trans-csp), also mehr als das 40-fache des gegenwärtigen weltweiten Stromverbrauchs von 17.000 TWh. Für den gesamten deutschen Strombedarf von 500 TWh/Jahr würde die Fläche von Berlin und Hamburg reichen (ca. 2000 km²).

Um mit der Sonnenenergie der Wüsten tatsächlich die fossilen Brennstoffe weltweit ablösen zu können, sind 3 Fragen zu beantworten:

  • Kann Solarenergie den Bedarf zeitgerecht beliefern?
  • Kann Solarenergie von den Wüsten zu den Regionen großen Bedarfs übertragen werden?
  • Ist Solarenergie ökonomisch akzeptabel?

Solarstrom zeitlich nach Bedarf

Fossile Brennstoffe sind gespeicherte Energie – Sonnenenergie muss man nehmen wenn die Sonne scheint. Sonnenschein selbst lässt sich nicht speichern, aber seine Energie kann in Hochtemperatur-Wärme umgewandelt und dann mit einfachen Mitteln verlustarm über Stunden oder Tage gespeichert werden. Das gibt solarthermischen Kraftwerken eine Vorzugsstellung: Aus gespeicherter Solarenergie können sie Strom nach Bedarf erzeugen, sogar nachts. Thermische Energiespeicherung ist technisch kein Problem und ist kostengünstig.

Längere Perioden ohne direktes Sonnenlicht können durch fossile Ergänzungsfeuerung überbrückt werden. Solarthermische Kraftwerke benötigen keine externen Ersatzkapazitäten: sie liefern gesicherte Leistung.

Übertragung zu Regionen des Bedarfs

Nach der Umwandlung in Strom kann Solarenergie problemlos und über tausende Kilometer übertragen werden. Bei Gleichstrom mit hoher Spannung (HGÜ), typischerweise zwischen 500 und 1000 kV, sind die Übertragungsverluste recht gering: ca. 3% auf 1000 Kilometer. Da große Wüsten in Nord- und Süd-Amerika, Nord- und Süd-Afrika, Nahem Osten, Indien, China und Australien vorhanden sind, könnte sauberer Strom aus Wüsten an mehr als 90% der Weltbevölkerung geliefert werden.

Ökonomie des Wüstenstroms

Solarkraftwerke erhalten Dampf aus Solarkollektoren. Dessen Energie kann mit der von Öl direkt verglichen werden. Die Kosten für Solardampf wie aus 1 Barrel Öl erzeugbar liegen jetzt, je nach Standort, zwischen 50 und 70 $. Diese Kosten können in 10-15 Jahren durch Massenproduktion auf unter 30 $ gebracht werden, mit der Tendenz langfristig weiter zu sinken, im Unterschied zu Öl und Gas. Diese Kosten variieren mit örtlicher Solarstrahlung und Kapitalkosten. Als Materialien werden in größeren Mengen lediglich Glas und Eisen gebraucht, die in großen Mengen auf der Erde vorhanden sind.

Nach Studien des DLR (siehe www.trec-eumena.org) sind innerhalb von 2-3 Dekaden erreichbar:

  • Strom Erzeugungskosten: 4 – 6 c$/kWh
  • MENA-EU Übertragungskosten: 1 – 2 c$/kWh

Mit einem EU-MENA Verbundnetz als Infrastruktur für Energie- und Klima-Sicherheit kann Solarstrom aus den Wüsten nicht nur konkurrenzfähig sondern zur »least cost option« auch für Europa werden. Kohle- und Kernkraftwerke können in ca. 50 Jahren durch Solarstrom und andere erneuerbare Energien ersetzt sein. Weitere Investitionen in Technologien zum Abbau der gefährlichen, auslaufenden fossilen Energieträger verschärfen den Klimawandel und das nukleare Risiko. Mit der Erschöpfung der fossilen Vorräte werden sie wertlos, aber nicht schadlos. Investitionen in Solartechnologie dagegen sind von dauerhaftem Wert für Klima und Energiesicherheit.

Strom und Entsalzung in K-W Kopplung

Thermische Solarkraftwerke können ca. 35% der zugeführten Solarenergie in Elektrizität umwandeln. Von der übrigen Energie können ca. 50% zur Meerwasser Entsalzung verwendet werden. So kann die Solarenergie mit bis zu 85% genutzt und mit der Abwärme von 1 TWh Strom ca. 40 Millionen m³ Wasser in Kraft-Wärme Kopplung entsalzt werden.

Globale fossile Energien: Nachgewiesene Reserven, vermutete Ressourcen, jährlicher Verbrauch, statische Reichweite

Fossil energy source
In Giga tonnes coal equivalent (Gtce) *
Proven Reserve (expected additional Resources)
Gtce
Annual Production/ consumption
Gtce
Static depletion time of reserves
In years
Solar energy delivery time to the global deserts, corresponding to
Global reserves (Resources)
in days
Annual fossil consumption
in hours
Total 1,279 (6,224) 13.1 98 47 (227) 5.7
Oil (conventional) 233 (118) 5.5 42 8.5 (4.3) 2.4
Oil (non-conv.) 96 (361) 3.5 (13.2)
Natural gas (conv.) 196 (230) 3.0 65 7.2 (8.4) 1.3
Natural gas (non-conv.) 2 (1,687) 0.1 (62)
Coal (hard and lignite) 697 (3,541) 4.1 170 25 (129) 1.8
Uranium, Thorium 56 (293) 0.5 101 2.0 (11) 0.2
1 Gtce = 29 EJ = 8,140 TWh-thermal = 5 Billion bbl oil
(Quelle: BGR, Energiestudie 2004) und die entsprechenden Lieferzeiten als Solarenergie auf 36 Millionen km² Wüste (www.unep.org/geo/gdoutlook/018.asp#fig12)

Mit der Energie der Wüsten gegen die Verwüstung der Erde:

1. Das Solarenergie Angebot der Wüsten ist mehr als 700-mal so groß wie der globale Primärenergie Verbrauch.

2. Mit Solarthermischen Kraftwerken kann man es sehr effektiv nutzen, denn sie können Solarenergie viele Stunden speichern und so Strom nach Bedarf produzieren, auch nachts.

3. Durch elektrische Fernübertragung könnten über 90% der Weltbevölkerung Solarstrom aus Wüsten erhalten. Kern- und Fusionstechnik würden vollständig überflüssig.

4. Technologie- und Wüstengürtel könnten in Kooperation Strom zu 4-6 c$/kWh und gemäß Bedarf erzeugen.

5. Wie von Prinz Hassan von Jordanien auf der Hannover Messe 2006 vorgeschlagen, könnten mit einem »Apollo« Programm DESERTEC die Wüsten in den Dienst für dauerhafte globale Energie- und Klima-Sicherheit gestellt werden (www.clubofrome.org).

6. The Club of Rome und die Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation TREC bereiten eine derartige Kooperation von Technologie- und Wüsten-Ländern vor.

7. Mit der Solarenergie der Wüsten und den vielen anderen global vorhandenen erneuerbaren Energien könnten wir uns weltweit üppig mit Energie versorgen und die Erde vor der fortschreitenden Verwüstung durch fossile Brennstoffe bewahren – wenn wir es nur wollten.

8. Eine grundlegende These des Memorandums: „Den durch weiteres globales Wachstum erzeugten Energiebedarf können sie (die Erneuerbaren Energien und andere) auf keinen Fall decken.“ steht im krassen Widerspruch zu den bekannten technischen Möglichkeiten der Solarenergie, und die darauf gestützte These „Es gibt nach unserer Einschätzung keinen rein technischen Ausweg aus der Energiekrise,“ ist dann nicht mehr zwingend. Die Möglichkeiten der EE klein zu reden schadet unserer Zukunft und nutzt den Befürwortern der Kernenergie.

Dr. Gerhard Knies, Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation TREC, in Kooperation mit The Club of Rome gerhard.knies@trec-eumena.org / www.trec-eumena.org / www.clubofrome.org

Sichere und konfliktarme Energieversorgung?

Erneuerbare Energien:

Sichere und konfliktarme Energieversorgung?

von Marcel Krämer

Die fossilen Energiereserven nehmen ab und dementsprechend wird das Ringen um den Zugriff auf selbige härter, die Gefahr neuer Kriege zur Sicherung des Zugangs zu Energieträgern ist latent. Sind Erneuerbare Energien »die« Alternative? Können sie die Energieversorgung weitgehend sichern, sind sie zu bezahlen? Marcel Krämer bejaht diese Fragen, verweist aber gleichzeitig auf neue – gegenüber militärischen Konflikten vergleichsweise harmlose – Konfliktherde, die bei Nichtbehandlung aber den verstärkten Einsatz Erneuerbarer Energien verzögern oder auch verhindern können.

Der Anteil Erneuerbarer Energien an der Strom- und Wärmeversorgung sowie im Verkehrssektor ist in den vergangenen Jahren in Deutschland stetig gestiegen. Insbesondere im Strombereich konnte mit dem massiven Ausbau der Windenergienutzung auf nunmehr 18.500 MW installierter Leistung der Anteil aller Erneuerbaren Energien (u.a. Wasserkraft, Windenergie, Photovoltaik) auf über 10% des Bruttostromverbrauchs in 2005 gesteigert werden (BMU 2006, Wittke 2006). Der erneuerbare Anteil am gesamten Primärenergieaufkommen lag demnach bei 4,6%.

Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass die restliche Versorgung durch konventionelle, zumeist nicht-heimische Energieträger bereitgestellt wird. Dabei spielte das Erdöl mit 36% die dominierende Rolle vor Erdgas (22,7%), Steinkohle (12,9%), Uran (12,5%) und Braunkohle (11,2%) (Wittke 2006). Außer bei der Braunkohle und den Erneuerbaren Energien müssen die Energieträger weitgehend importiert werden, manche sogar zu 100%. Die Importquote lag 2005 beim Erdöl bei 97% (davon über 60 % aus der GUS und den OPEC-Staaten), beim Erdgas wurden gut 85% importiert (davon allein 35% aus Russland), die Steinkohle stammt immerhin noch zu 60% aus ausländischer Förderung (Wittke 2006). Das Uran zum Betrieb von Atomkraftwerken wird zu 100% aus dem Ausland bezogen (Informationskreis Kernenergie).

Diese Situation beeinflusst auch die Fortentwicklung des »Weißbuchs der Bundeswehr«, in dem die künftige Ausrichtung des Aktionsfeldes des deutschen Militärs skizziert werden soll. Der Entwurf beinhaltet als einen wesentlichen Aspekt die zukünftige Sicherung des Zugangs zu Energieträgern durch die Bundeswehr ( Netzeitung 2006, Telepolis 2006). Nie zuvor seit dem Ende des 2. Weltkrieges wurde in Deutschland die Frage der Energieversorgung so offen mit militärischen Optionen in Verbindung gebracht. Das Festhalten an der fossil-nuklearen Energieversorgung mit diesen und anderen Konsequenzen wurde u.a. auch von Hermann Scheer, Franz Alt und Peter Hennicke kritisiert.

Auch die Erneuerbare-Energien-Branche befasst sich mit der Thematik. So wurde die Jahreskonferenz Erneuerbare Energien im Jahr 2006 unter das Motto »Zukunft braucht Sicherheit« gestellt und u.a. wurden Redner der Nato eingeladen. Als großer Vorteil der Erneuerbaren Energien wird die lokale und regionale Versorgungsstruktur angeführt, die unabhängiger von Energieimporten macht und damit auch die Gefahr (militärischer) Konflikte um Energieressourcen mindert. Tatsächlich ist es eine wesentliche Eigenschaft Erneuerbarer Energien, dass die Anlagen (z.B. Wasserkraft, Windenergie, Photovoltaik, Biogas oder Geothermie) dezentral und im Vergleich zu den fossil-nuklearen Kraftwerken meist in deutlich kleineren Einheiten (Bereich bis zu wenigen Megawatt) installiert werden. Aber auch diese Struktur hat Konfliktfelder, die jedoch gegenüber den möglichen militärischen Auseinandersetzungen um fossile und nukleare Energien vergleichsweise harmlos anmuten: gesellschaftliche Akzeptanzkonflikte.

Neue Konfliktherde

In einer Untersuchung im Rahmen eines Studienseminars der Universität Marburg im Jahr 2001 wurde anhand einer konkret geplanten Windenergieanlage (WEA) analysiert, welches Konfliktpotenzial mit der Nutzung dieser Erneuerbaren Energie einhergeht (Ackermann 2001). Es zeigte sich, dass selbst diese Energienutzung, die vergleichsweise sehr wenige Emissionen (Geräusche, Abgase, CO2) hat und ohne irreversible Eingriffe in die Umwelt auskommt, ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial birgt. Dabei handelt es sich meist um Akzeptanzfragen, die eher selten auf eine konkrete persönliche Beeinträchtigung durch die Anlagen zurückzuführen sind. In der Diskussion werden auch allgemeine ökologische und ökonomische Argumente gegen die Windenergienutzung angeführt (im Vergleich zu fossilen Energieträgern angeblich höhere Kosten, Zweifel an der Menge von CO2-Emissionseinsparungen). Diese Argumente eignen sich allerdings nicht, den Ausbau der Erneuerbaren Energien grundsätzlich in Frage zu stellen, sie sind mithin kein brennender Konfliktherd mehr. In den meisten Fällen ist es bisher gelungen, auch die lokalen Konflikte um die genutzten Standorte durch angemessene Lösungen und Aufklärung zu entschärfen.

Ist nun die Nutzung Erneuerbarer Energien das Allheilmittel zur Vermeidung (militärischer) Konflikte um Energie(bereitstellung), insbesondere wenn auch die Vermeidung von CO2-Emissionen berücksichtigt wird, die globale Veränderungen und mögliche Konflikte zur Folge haben?

Tatsächlich entfällt der Anlass für solche Konflikte, wenn jede Gesellschaft lokal und regional mit Erneuerbaren Energien ihren Energiebedarf deckt. Das Potenzial für die Nutzung Erneuerbarer Energien ist dabei von Land zu Land unterschiedlich. Nachweislich kann jedoch mit regenerativen Energien wie Solar- und Windenergie, Geothermie und Biomassenutzung der heutige und künftig erwartete Strom- und Wärmebedarf weltweit gedeckt werden (Greenpeace 2006). Auch in dem an Energierohstoffen armen Deutschland lässt sich die Strom- und Wärmeversorgung allein mit Erneuerbaren Energien decken (Nitsch 2004). Eine Reduktion des Energiebedarfs des Verkehrssektors sowie ein Umstieg auf Erneuerbare Energien erweist sich hingegen als deutlich ambitionierter, wenn auch nicht unmöglich. Es ist zu erwarten, dass der Verkehrssektor zukünftig die Hauptrolle beim Energiebedarf in Deutschland und Europa spielen wird. Dazu äußern sich selbst ehemalige Verfechter der »Verkehrswende« in ungewohnter, weil resignativ wirkenden, Weise (Schmidt 2004).

Eine Veränderung der Energieversorgung hin zu einem nachhaltigen System bringt jedoch auch neue Konflikte mit sich: Neben den erwähnten Akzeptanzfragen, sind etwa die in der Folge der Nutzung Erneuerbarer Energien notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen der Energieversorgung (z.B. Netzausbau) zu nennen. Außerdem ist auf jeden Fall – auch bei Beibehaltung der fossil-nuklearen Energieversorgung – eine erhebliche Kostensteigerung für die Energienutzung zu erwarten (auch und insbesondere im Verkehrsbereich), woraus innergesellschaftliche Konflikte um den freizügigen Zugang zu Energiedienstleistungen entstehen können. Einmal mehr brechen hier Konflikte sozialer Dimension auf, die auch in anderen Bereichen konstatiert werden müssen (z.B. Bildung). Nicht zuletzt sind während der Phase des Übergangs zu einer Komplettversorgung durch Erneuerbare Energien weiterhin fossile Energieträger zu importieren, womit das Konfliktfeld der Energieimporte weiterhin offen bleibt.

Akzeptanzfragen

Die Windenergienutzung in Deutschland kann als Beispiel gelten, wenn das Konfliktpotenzial durch die Nutzung Erneuerbarer Energien dargestellt werden soll. Es geht hierbei im Wesentlichen um die Akzeptanz der neuen Technologie, die mit neuen Erfahrungen verbunden ist (Geräusch- und andere Emissionen wie Schattenschlag oder Lichtreflexe, Änderung des gewohnten Landschaftbilds). Bei mehr als 17.000 Anlagen mit Gesamthöhen bis zu 150 Metern ist nachvollziehbar, dass aufgrund der weiten räumlichen Verteilung an manchen Orten Streit um einzelne Projekte entstanden ist. Insgesamt kann jedoch konstatiert werden, dass die grundsätzliche Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Technologie zu Gunsten der Windenergie entschieden wurde und so der derzeitige Stand hoher installierter Leistung erreicht werden konnte. Viele Konflikte wurden durch eine frühzeitige Einbeziehung betroffener AnwohnerInnen vermieden. Auch neue, im Bereich der Energieversorgung bis dahin unübliche Betreibermodelle (Bürgerwindrad) haben dazu beigetragen, dass vielerorts der Bau und die Nutzung der Anlagen von einer breiten Mehrheit der Betroffenen unterstützt wurde. Neues, bislang noch ungeklärtes Konfliktpotenzial kann durch die geplante Nutzung der Offshore-Windenergie entstehen, insbesondere durch Nutzungskonkurrenzen (Seeschifffahrt, Schutz von Meer und Umwelt, wirtschaftliche und militärische Nutzungsinteressen).

Während die Onshore-Flächennutzung aus wirtschaftlichen und genehmigungsrechtlichen Gründen in Deutschland weitgehend abgeschlossen sein dürfte und der Zubau im Wesentlichen durch das sog. Repowering (neue, größere Anlagen an vorhandenen Standorten) zu erwarten ist, treten nun andere Erneuerbare Energien auf den Plan und können Konfliktpotenzial durch ihre Installation und Nutzung hervorrufen. Neben der Solarenergie / Photovoltaik, die durch Flächenverbrauch bei Freifeld-Anlagen (sog. Solar-Kraftwerken) nicht unumstritten sind, ist insbesondere die Biomassenutzung nicht problemfrei. Dieses ist insbesondere bei größeren Anlagen auf evtl. vorhandene Geruchsemissionen und Zuliefererverkehr zurückzuführen (Biogas). Auch die Nutzung von Nahrungsmitteln für die Strom- und Wärmeerzeugung sorgt für kritische Auseinandersetzung mit dieser Art der Energieversorgung. Von geothermischen Anlagen wird dagegen ein sehr geringes Konfliktpotenzial zu erwarten sein.

Strukturwandel

Ein massiver Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energien hat aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften auch erhebliche Anpassungen der zugehörigen Infrastruktur zur Folge. So hat z.B. die 2005 veröffentlichte Studie »Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore bis zum Jahr 2020«, die von der Deutschen Energie Agentur (dena) koordiniert wurde, aufgezeigt, dass bei dem zu erwartenden Zubau von Windenergie bis 2020 etwa 1.000 km zusätzliche Höchstspannungsleitungen (380-kV-Netzebene) verlegt werden müssen. Jedoch schon 50 km Neubau verursachen z. T. erhebliche Konflikte (Weser Kurier 2006). Es ist zu erwarten, dass der notwendige Infrastruktur-Umbau durch die zunehmende Nutzung von Erneuerbaren Energien weitere Konflikte hervorruft. Auch die sich ändernde Betreiberstruktur, die eine vermehrte Nutzung Erneuerbarer Energien mit sich bringt, wird nicht ohne Widerstand bleiben: Ein vermehrter Einsatz dezentraler, von lokalen Akteuren betriebener Erzeugungseinheiten (Wind, Photovoltaik, Biomasse) soll in Zukunft die heute bekannte zentrale Versorgungsstruktur der großen Energieversorger ablösen. Es ist zu erwarten, dass die heutigen Energieversorger dies nicht ohne weiteres hinnehmen werden.

Kostensteigerungen

Unabhängig von den Anteilen der verschiedenen Energieträger zur Versorgung ist zu erwarten, dass die Kosten für den/die EinzelneN deutlich steigen werden. Dies lässt sich bei den Energieträgerimporten durch den erhöhten Aufwand begründen, während der Einsatz Erneuerbarer Energien durch die Begleitkosten der dargestellten Infrastrukturmaßnahmen ebenfalls eher höhere Aufwendungen als heute üblich erfordert. Damit wird der Zugang zu Energiedienstleistungen (wieder) zu einem teuren Gut, das sich nicht jedeR in der Gesellschaft ohne Abstriche leisten kann. Insofern sind auch auf diesem Feld Konflikte zu erwarten.

Transformationsprozesse

Nach einer vom Bundesministerium für Umwelt 2004 veröffentlichten Studie (Nitsch 2004) ist es möglich, dass die Energieversorgung in 2050 zum weit überwiegenden Teil aus Erneuerbaren Energien geleistet wird. Neben einer substanziellen Effizienzsteigerung (d.h. massiver Energieeinsparung) wandelt sich bis dahin aber auch die Struktur des restlichen verbleibenden fossilen Energieträgermixes. Insbesondere geht im Stromsektor bei wachsendem Windenergieanteil (durch Offshore-Nutzung) aus technischen und Emissionsgründen damit ein Wechsel von auf Kohle zu auf Gas basierender Verstromung einher (vgl. auch Krämer 2003). Da der Importanteil beim Erdgas jedoch über 85% liegt und dieser Wert bis 2050 eher noch steigen wird, ist das Ziel einer vollkommen regenerativen Energieversorgung nur über den Umweg durch höhere Gasimporte zu erreichen. Immerhin steht am Ende dieses Wegs die Verheißung einer weitgehenden Unabhängigkeit von Energieimporten und einer signifikanten Reduzierung des militärischen Konfliktpotenzials.

Zusammenfassung

Die Nutzung Erneuerbarer Energien führt zu einer Veränderung der Konfliktfelder im Energieversorgungssektor. Es geht aufgrund der Charakteristik der Erneuerbaren Energien nicht um die Sicherung des Zugangs zu den Energieträgern, sondern »nur noch« um die gesellschaftsinternen Konflikte bei Bau und Betrieb der Anlagen sowie der dazu notwendigen Infrastruktur. Am Beispiel der Windenergienutzung konnten auf diesem Feld schon viele Erfahrungen gesammelt werden. Doch auch der Weg zu einer Komplettversorgung durch Erneuerbare Energien reduziert das »externe«, d.h. mit der Beschaffung von Energieträgern zusammenhängende Konfliktpotenzial nicht sofort. Durch einen erhöhten Einsatz von Erdgas verstärkt sich im Gegenteil die Problemlage sogar zunächst noch. Insgesamt wird auch die Nutzung Erneuerbarer Energien einen Anstieg des Strompreises nur wenig verringern, so dass in Zukunft auch vermehrt innergesellschaftliches Konfliktpotenzial über den Zugang zu Energiedienstleistungen zu erwarten ist. Eine zukünftige Energieversorgung basierend auf Erneuerbaren Energien ist somit zwar nicht völlig konfliktfrei, aber nur ihr Einsatz verspricht überhaupt eine Reduzierung des bei fossiler Energieversorgung zwangsläufigen und im Vergleich zu den hier vorgestellten Konfliktfeldern erheblich bedrohlicheren internationalen Ressourcenkonflikts.

Literatur

Ackermann, H./ Krämer, M./ Melsheimer, O./ Scheffran, J. (2001): Energienutzung – Konflikte, Potenziale, Szenarien. In: Zoll, R. (Hrsg.), LIT-Verlag, Münster.

Alt, Franz (2002): Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne. Riemann Verlag.

BMU, AGEE-Stat (2006): Entwicklung der erneuerbaren Energien im Jahr 2005 in Deutschland. Stand: Februar 2006. www.erneuerbare-energien.de

Greenpeace (2006): Schwarzbuch Versorgungssicherheit. Hamburg.

Hennicke, Peter, et al. (2005): Weltmacht Energie. Herausforderung für Demokratie und Wohlstand. Hirzel Verlag, Stuttgart.

Informationskreis Kernenergie. www.kernenergie.de

Krämer, M. (2003): Modellanalyse zur Optimierung der Stromerzeugung bei hoher Einspeisung von Windenergie, Düsseldorf, VDI-Verlag.

Netzeitung vom 19.05.2006: SPD unzufrieden mit Verteidigungsminister Jung. www.netzeitung.de

Nitsch, Joachim et al.(2004): Ökologisch optimierter Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien in Deutschland. Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Stuttgart, Heidelberg, Wuppertal, März 2004

Scheer, Hermann (2002): Solare Weltwirtschaft. Strategie für die ökologische Moderne. Kunstmann Verlag.

Scheer, Hermann (2005): Energieautonomie. Eine neue Politik für erneuerbare Energien. Kunstmann Verlag.

Schmidt, Albert / Kuhn Fritz / Hustedt, Michaele (2004): Von der Verkehrswende zur Nachhaltigen Mobilität. Positionspapier der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, 23. April 2004.

Telepolis 17.05.2006: Deutsche Kriege für das »nationale Interesse«? www.telepolis.de

Weser Kurier, 20. Mai 2006: Neuer Funken im Stromstreit.

Wittke, Franz / Ziesing, Hans-Joachim (2006): Hohe Energiepreise dämpfen Primärenergieverbrauch in Deutschland. DIW-Wochenbericht Nr. 10/2006, pp. 117..133. Berlin: 8.3.2006

Dr. Marcel Krämer, Diplom-Physiker und promovierter Wirtschaftswissenschaftler, war zuletzt Geschäftsführer des Zentrums für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg und Hannover (ForWind). Kontakt: marcel.kraemer@lichtquant.de

Energie, Klima und internationale Sicherheit

Energie, Klima und internationale Sicherheit

von Jürgen Scheffran

Während US-Soldaten am Persischen Golf Ölinteressen sichern, haben die Wirbelstürme des Jahres 2005 am Golf von Mexiko (allen voran der Hurrikan Katrina) in den USA Nachdenklichkeit ausgelöst. Der Ölpreisschock und die Erfahrung, gegen Naturkatastrophen an der Heimatfront nicht gewappnet zu sein, haben eine Debatte über die eigene »Energiesicherheit« angestoßen. Präsident Bush, dessen Umfragewerte in den Keller sackten, kritisierte in seiner jährlichen Rede an die Nation am 31. Januar 2006 die Sucht nach Öl und legte Programme zur Förderung alternativer Energiequellen auf.1 Ohne sein Zutun lagen die USA bereits 2005 bei der Produktion erneuerbarer Energien weltweit vorn, gefolgt von Deutschland.2

Die Energieversorgung ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der Menschheit. Der Umbau des Energiesystems betrifft die gesamte Gesellschaft bis hin zur Frage von Krieg und Frieden. Die Verbindungen zwischen Energie und Sicherheit sind vielschichtig:3

  • Energie ist ein wichtiger Produktionsfaktor der Wirtschaft, und Wohlstand braucht eine sichere Energieversorgung. Energiemangel wird als Bedrohung angesehen.
  • Die Energienutzung hat direkte Auswirkungen auf die Sicherheit, wenn Staaten den Zugriff auf Energiequellen militärisch absichern. Kriege, Bürgerkriege und andere Konfliktformen können umgekehrt die Verfügbarkeit von Energie beeinträchtigen, wie die Bombardierung der Energieinfrastruktur im Irak oder die Sprengung von Ölplattformen im Golfkrieg 1990 gezeigt haben.
  • Die Energienutzung kann Risiken beinhalten und zur Quelle von Konflikten werden (Beispiele Klimawandel oder Tschernobyl).
  • Das Energiesystem ist ein komplexes Netz und potenziell verwundbar durch Störungen. Dazu zählen Naturkatastrophen ebenso wie Sabotageakte und (Terror-)Angriffe durch nichtstaatliche Akteure.
  • Die Auseinandersetzung und der Wettstreit über die zukünftige Energiepolitik und ihre Umsetzung können zu ernsten Konflikten zwischen Staaten, Unternehmen oder Bürgern führen, aber auch ein Feld lokaler, nationaler und internationaler Kooperation werden.

Es handelt sich um eine Wechselwirkung: Die Verfügbarkeit von Energie hat Folgen für die Sicherheit, und der Grad der Sicherheit beeinflusst den Zugang, die Verteilung und Nutzung von Energie. Diese enge Kopplung wird besonders deutlich im Nahen Osten. Das Interesse der USA am Öl Irans und die Sanktionen verstärken hier Bestrebungen, die Kernwaffenoption zu verfolgen (unter dem Deckmantel einer friedlichen Nutzung der Kernenergie).

Von der Sucht nach Öl zum Ende des fossilen Zeitalters

Die Abhängigkeit vom Öl ist ein Ergebnis des 20. Jahrhunderts, in dem sich Erdöl zu einer scheinbar unerschöpflichen, leicht zu transportierenden und billigen Energieressource entwickelte, zu einem Treibstoff der Globalisierung. Viele Kriege waren mit dem Zugriff auf Erdöl und andere fossile Energieressourcen verbunden. Die Erdölabhängigkeit der industrialisierten Welt wurde offenkundig im Jom-Kippur-Krieg 1973 und der Ölkrise von 1973/74. In der 1974 auf Initiative Henry Kissingers gegründeten Internationalen Energie-Agentur (IEA) versuchten die westlichen Länder der OECD ihre Energiepoltik zu koordinieren. Seit der Carter-Doktrin von 1980 verfolgen die USA ihre »vitalen Interessen« am Persischen Golf offiziell mit militärischen Mitteln.

Angesichts der Vorteile von Kohle und Öl wurden die unübersehbaren Nachteile in Kauf genommen oder auf andere abgewälzt. Neben den Problemen der Abhängigkeit und Konflikthaftigkeit stehen die ökologischen Risiken. Erdöl verschmutzt Gewässer, Böden und die Atmosphäre. Die Kohleförderung birgt hohe Unfallrisiken, verursacht erhebliche Schäden an Landschaft und Grundwasser (etwa durch die Sprengung und Ausbaggerung ganzer Landstriche) und setzt bei der Verbrennung säurebildende Schadstoffe und klimarelevante Treibhausgase frei. Mit dem wachenden Anteil an Erdgas werden einige dieser Umweltschäden abgeschwächt, bleiben aber relevant.

Die Zeit fossiler Energieträger geht zwar dem Ende entgegen, die Frage ist aber: wie rasch? Bei Fortsetzung der gegenwärtigen Förderrate würden die Vorräte von Erdöl in 42 Jahren, von Erdgas in 65 und von Kohle in 169 Jahren aufgebraucht sein.4 Mit der Entdeckung neuer Ressourcen (etwa der Ölsände in Kanada) mag die Förderzeit etwas verlängert werden, doch kann die Entdeckungsrate nicht mit dem Verbrauch mithalten. Über die Hälfte der ursprünglichen Ölvorkommen sind bereits verbraucht, die Erschließungskosten entlegener Quellen nehmen zu.

Neben dem Nahen Osten mit zwei Dritteln aller Ölvorräte sind die ölreichen Republiken der ehemaligen Sowjetunion besonders konfliktträchtig. In dieser »strategischen Ellipse« bauen konkurrierende globale und regionale Mächte ihren Einfluss aus. Für Russland ist der Krieg in Tschetschenien eine Gelegenheit, sich mit Gewalt den Zugriff auf die Öl- und Gasressourcen der Region zu sichern. Besonders umstritten sind die Transportwege und Pipelinerouten.

Seit der Wohlstand der Nationen auf Öl gründet, wird die Verknappung und die geopolitische Abhängigkeit als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen. Die Terroranschläge des 11. September, die ihren Ursprung in Saudi Arabien hatten, und der von der Bush-Administration forcierte fossil-nukleare Weg verschärften die Risikowahrnehmung noch. Aufgrund der wachsenden Nachfrage steigern die USA ihre Ölabhängigkeit von den großen Ölförderländern. 40% der Importe stammen aus den OPEC-Staaten, allein 20% vom Persischen Golf. Unliebsame politische Wechsel in diesen Ländern werden von Washington argwöhnisch verfolgt, so auch im Falle der Regierung von Hugo Chavez in Venezuela, das rund 15 % der Ölversorgung der USA liefert. Bei den Ölreserven liegt Saudi-Arabien (262 Mrd. Barrel oder 25 % der weltweiten Ölreserven) an erster Stelle, gefolgt von Iran und Irak mit jeweils halb soviel, für die USA genug Anreiz, in der Region ihre Herrschaft zu sichern.

Da Energie ein wichtiger Faktor für Wachstum und Entwicklung ist, steigt der Energieverbrauch global weiter an (von 1994 bis 2004 um mehr als 20%).5 Während in Industrieländern wie Deutschland und den USA eine Entkopplung von Wachstum und Energieverbrauch zu beobachten ist, forcieren Länder wie China und Indien die Industrialisierung mit einer expansiven Energiepolitik. Der durch die wachsende Nachfrage steigende Energiepreis behindert dagegen die Entwicklung.

Wenn es keinen grundlegenden Wandel gibt, trifft im Verlaufe dieses Jahrhunderts der gestiegene Bedarf auf ein Minimum gesicherter Energiereserven, was nach Hermann Scheer erhebliches Konfliktpotenzial birgt: „Ressourcenkrisen spitzen sich wegen der nahenden Erschöpfung von Erdöl, Erdgas und einigen strategischen Rohstoffen zu … Die Fragen des Zugangs können dramatische Konflikte provozieren. Sie bergen die Gefahr wirklicher Weltkriege.“6

Klimawandel als Sicherheitsrisiko

Nicht weniger dramatisch erscheinen die Folgen der globalen Erwärmung, die zu einem großen Teil durch die kohlenstoffhaltigen fossilen Energieträger verursacht wird. Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen in diesem Ausmaß weitergeht, wird der erwartete Anstieg der mittleren globalen Temperatur von 3 bis 6 Grad Celsius in diesem Jahrhundert Mensch und Natur in vielen Regionen der Welt vor enorme Anpassungsschwierigkeiten stellen. Die möglichen Folgen wurden in dem dritten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2001 ausführlich beschrieben, und der für dieses Jahr geplante vierte Bericht dürfte die Ergebnisse noch übertreffen.

Bereits jetzt sind in einigen Regionen ökologische Veränderungen zu beobachten, die auf die Erwärmung der Erde zurückgehen. Ökosysteme können bei einem raschen Klimawechsel ihre Stabilität verlieren, bisher angepasste Arten aussterben. Besonders verwundbar sind Ökosysteme, die sich nur langsam anpassen können, etwa Gletscher, Feuchtgebiete, Mangroven, Korallenriffe, Ökosysteme in der Arktis und in Gebirgen, boreale und tropische Wälder.

Gesellschaften, die stark von Naturprozessen und Landwirtschaft abhängig sind, wären vom Klimawandel besonders betroffen. Der Verlust der Artenvielfalt, Ernteausfälle, Hunger und Armut treffen vor allem Entwicklungsländer, die verwundbarer sind als Industrienationen. Regionen, in denen ohnehin zu wenig Nahrung oder Wasser zur Verfügung steht, könnten klimabedingte Einbrüche nicht verkraften. Sie sind auch empfindlich gegenüber der Ausbreitung von Seuchen, die mit der Verschiebung der Klimazonen auch nördlichere Regionen erfassen würden.7

Viele Experten sind der Ansicht, dass mit der Zunahme der globalen Temperatur extreme Wetterereignisse deutlich zunehmen. Vorboten sind in Form von Wirbelstürmen, Dürren, Waldbränden, Flutkatastrophen und Hitzewellen bereits erkennbar. Sie machen vor Industrienationen nicht Halt, wie die Elbeflut von 2002, die europäische Hitzewelle 2003 oder die Rekordserie von Wirbelstürmen 2005 gezeigt haben. Besonders besorgniserregend ist die Möglichkeit eines abrupten Klimawandels. An Eisbohrungen wird deutlich, dass es in der Erdgeschichte mehrfach Klimasprünge innerhalb weniger Jahrzehnte gegeben hat, die den Übergang zu den Eiszeiten markierten.

Die globalen Ozeanströmungen haben hier eine Schlüsselrolle. Eine Veränderung des Temperatur-Salz-Verhältnisses im Nordatlantik könnte dazu führen, dass der warme Golfstrom, der für milde Temperaturen in Nordeuropa sorgt, abgeschwächt wird, was eine deutliche Abkühlung der nördlichen Hemisphäre bewirken könnte. Weitere destabilisierende Effekte wären das Abrutschen des Eisschelfs in Grönland und der Westantarktis, die Freisetzung von eisgebundenen Treibhausgasen wie Methan, oder die Änderung des asiatischen Monsuns. Das Schmelzen der Polkappen und der weitere Meeresspiegelanstieg betreffen viele Küstenregionen und drohen ganze Inselketten verschwinden zu lassen. Die Kombination der verschiedenen Rückkopplungen ist bislang nur wenig verstanden. Es ist möglich, dass durch menschliche Aktivitäten eine Schwelle zu gefährlichen Klimabereichen überschritten wird, was nicht mehr einfach umkehrbar ist. Das von der Menschheit durchgeführte globale »Klimaexperiment« ist äußerst riskant. Welche Extremereignisse auch immer eintreffen, es wären Katastrophen, die Millionen, wenn nicht gar Milliarden Menschen betreffen.

Sollte es nicht gelingen, den Klimawandel in Grenzen zu halten, stehen Anpassung, Risikominimierung, Gefahrenabwehr und Konfliktregulierung auf der Tagesordnung. Hier spielt eine wichtige Rolle, wie sich die Folgen des Klimawandels auf die sozialen Strukturen auswirken, ob sie von diesen abgefedert werden oder ob sie Konflikte verstärken.8.

Ein Beispiel ist der Wasserkonflikt im Nahen Osten. Konkrete Auseinandersetzungen gab es um das Wasser des Nil, des Euphrat und des Jordan. Der Staat Israel war frühzeitig bestrebt, seine Wasseransprüche mit allen Mitteln abzusichern, auf Kosten der Palästinenser, denen deutlich weniger Wasser zugeteilt wurde als den Siedlern im Westjordanland. Klimastudien prognostizieren für den Nahen Osten eine zunehmende Wasserknappheit, doch ob dies bestehende Konfliktlinien weiter verschärft oder eher kooperative Lösungen befördert, hängt davon ab, welche Fortschritte der Friedensprozess macht und ob es gelingt, Instrumente und Strukturen für eine Konfliktlösung zu schaffen. Ein Anknüpfungspunkt sind die Verhandlungsprozesse über die gemeinsame Wassernutzung, die verschiedene Parteien und Positionen an einen Tisch bringen.

Ein anderes Beispiel ist die zunehmende Dürre und Wüstenbildung in Nordafrika, die die Konkurrenz zwischen ansässigen Bauern und wandernden Viehhirten zuspitzt. Im Falle des Darfur-Konflikts in Sudan eskalierte die Auseinandersetzung, als die Regierung gegen die den Bauern nahe stehenden Rebellen mit Unterstützung von arabisch-stämmigen Milizen aus den Reihen der Viehhirten vorging. Eine Studie des Sandia-Forschungslabors untersucht, ob klimatische Veränderungen als Ursachenfaktor in diesem Konflikt eine Rolle gespielt haben oder noch spielen könnten.9

In diesen und anderen Regionen zeigt sich, dass Klimaänderungen die Existenz von Menschen und Gesellschaften bedrohen und damit die humanitäre Sicherheit in einem fundamentalen Sinne beeinträchtigen können. Vor allem sind Gruppen betroffen, die zu schwach sind, um mit den Folgen fertig zu werden, doch sie treffen auch Mittel- und Oberschichten, wenn diese keine wirksamen Abwehr- und Schutzmaßnahmen ergreifen können. Eine Katastrophe erzeugt mehr Verlierer als Gewinner und verschärft soziale Spannungen und Ungleichheiten.

Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass damit gewaltförmige Konflikte oder gar Kriege zunehmen, wie von einer Studie von Schwartz und Randall suggeriert wird. Diese beiden Pentagon-Berater entwickeln die apokalyptische Vision einer durch eine Abschwächung des Nordatlantikstroms ausgelösten Klimakatastrophe. Nach Ansicht der Studie bringt der abrupte Klimawechsel Menschen und Regierungen in Not, schafft Chaos und Anarchie, bewirkt Konflikte und Kriege um Rohstoffe und Nahrung bis hin zur Verbreitung von Atomwaffen und der Androhung ihres Einsatzes. Im Gegenzug bauen Staaten »virtuelle Festungen«, um sich und ihre Ressourcen zu schützen. Kernenergie wird zu einer entscheidenden Energiequelle, was die Kernwaffenverbreitung in weitere Staaten, einschließlich Japan und Deutschland, antreibt.10

Ein solches Szenario dramatisiert die Gefahren, indem es Klimawandel primär als Problem nationaler militärischer Sicherheitspolitik sieht. Es lässt außer Acht, dass das Militär der Absicherung der Wirtschafts- und Lebenweise verpflichtet ist, die den Klimawandel verursacht. Den sozialen, ökonomischen, ökologischen und technischen Risikofaktoren ist mit traditionellen Instrumenten der Sicherheitspolitik nicht beizukommen. Sie erfordern eine umfassende, auf Prävention und Ursachenvorbeugung gerichtete Strategie, in der Militär – wenn überhaupt – nur eine Nebenrolle spielen kann.

Rennaissance der Kernenergie?

Angesichts der Risiken der fossilen Energien präsentiert sich die Kernenergie als Retter in der Not, um der Ölkrise und der globalen Erwärmung entgegen zu treten. Dabei sind die sicherheitspolitischen Implikationen der Kernenergie lange bekannt. Die Spaltung des Atoms erfolgte im Krieg und ihr erster Einsatz zerstörte zwei Städte. Seitdem hat der nukleare Rüstungswettlauf mehrere Billionen Dollar verschlungen. Dass das in Kernwaffen verwendete Nuklearmaterial von der friedlichen Nutzung kaum zu trennen ist, war kein Geheimnis, als US-Präsident Eisenhower mit dem »Atoms for Peace « Programm in den fünfziger Jahren die nukleare Proliferation forcierte. Die zivile Nutzung hat zwar in einigen Staaten einen relevanten Anteil an der Elektrizitätsversorgung, ist aber längst nicht so billig wie zu Beginn erhofft. Trotz des den Nichtkernwaffenstaaten im Nichtverbreitungsvertrag zugesicherten Rechts auf Kernenergie und der Einrichtung eines weltweiten Kontrollsystems, ist das Vertrauen nicht sehr hoch. Wie die Kriegsdrohungen der USA gegen Iran (und zuvor gegen Irak und Nordkorea) zeigen, soll bestimmten Staaten jegliche sensitive Nukleartechnik verwehrt werden. Befreundete Staaten, besonders wenn sie bereits die Bombe haben, werden dagegen großzügig mit Nukleartechnik und –materialien unterstützt, wie die indisch-amerikanische Kooperation zeigt. Wohin diese Zweischneidigkeit führt, hat die hemmungslose Verbreitung von Kerntechnik durch den pakistanischen Atomwissenschaftler A.Q. Khan gezeigt.

Im gesamten nuklearen Zyklus, vom Uranbergbau bis zur Endlagerung, werden gesundheitsschädliche radioaktive Stoffe frei gesetzt. Das Risiko einer Reaktorkatastrophe kann nicht ausgeschlossen werden, die Endlagerproblematik bleibt über tausende von Jahren bestehen. Kriege oder Terroranschläge gegen kerntechnische Anlagen bleiben ein hohes Sicherheitsrisiko. Die angekündigten inhärent sicheren und proliferationsresistenten Reaktoren lassen bislang auf sich warten, und die Fusionsenergie liegt seit Jahrzehnten für Jahrzehnte in der Zukunft. Harrisburg und Tschernobyl haben der Kernenergie-Industrie schwere Schläge versetzt, von denen sie sich bis heute nicht erholt hat. Die Verkettung von Umständen mag unglücklich gewesen sein, aber sie zeigte, dass es perfekte Sicherheit bei der Kernenergie nicht gibt. Die Schadensfolgen erreichten kontinentale Dimensionen. Eine breite Gegenbewegung, die auf die Risiken aufmerksam machte, sorgte in einigen Ländern für Ausstiegsbeschlüsse.

Wie friedlich und nachhaltig sind die Alternativen?

Während der fossil-nukleare Weg in einer Sackgasse gefangen scheint, lösen erneuerbare Energien große Erwartungen aus. Für Franz Alt ist die Alternative eine Schicksalsfrage der Menschheit: „Die große politische Entscheidung des 21. Jahrhunderts wird heißen: Krieg um Öl oder Frieden durch Sonne!“11 Auch wenn der Gegensatz hier als Schwarz-Weiß-Gemälde präsentiert wird, setzen erneuerbare Energieträger den Risiken und Konflikten des fossil-nuklearen Energiepfades eine Alternative entgegen. Im Unterschied zu fossilen sind regenerative Energien orts- und zeitgebunden, entstehen in Wechselwirkung mit der Umwelt.

Am deutlichsten zeigt die Wasserkraft, dass aber auch erneuerbare Energiequellen Konflikte provozieren können. Große Staudammprojekte bedeuten großflächige Eingriffe in Landschaft und Ökologie, erzwingen die (gewaltsame) Umsiedelung der ansässigen Bevölkerung und verursachen den Verlust von Kulturgütern. Nutzen und Risiken sind oft ungleich verteilt, und die Betroffenen tragen den Schaden, oft ohne hinreichende Kompensation.

Landschaftseingriffe stellen auch das vorrangige Problem der Windenergie dar. Während Windräder am Horizont für manche zukunftsweisend sind (back to the past), lehnen Gegner dies strikt ab und kritisieren u.a. Geräuschemmissionen und Schattenwurf. Probleme wirft auch die energetische Nutzung der Biomasse auf. Der Anbau von Bioenergie ist flächenintensiv und kann in Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitteln und anderen Bioprodukten stehen. Durch Regulierung muss eine Beeinträchtigung der Lebensmittelproduktion vermieden und die Unterstützung der lokalen Bevölkerung gewonnen werden, etwa durch Gewinnbeteiligung, Schaffung von Arbeitsplätzen oder Mitwirkung in Kooperativen.

Gegenüber anderen Energieformen erscheint das Konfliktpotenzial der Solarenergie niedrig. Bei einer dezentralen Nutzung von Solaranlagen sind die Eingriffe in soziale und ökologische Strukturen gering, die Akzeptanz hoch, aber auch die Kosten. Eine industrielle und großflächige Nutzung der Solarenergie könnte Probleme bereiten, besonders wenn die solaren Ressourcen des Südens von Industrieländern beansprucht werden. Andere erneuerbare Quellen, wie Erdwärme oder Ozeanenergie, erscheinen in diesem Zusammenhang unbedeutend.

Auch wenn die Nutzung Erneuerbarer Energien auch Konfliktpotenziale, beinhaltet, sind diese mit den Kriegen um Öl, den Folgen des Klimawandels oder den Risiken der Kernenergie nicht vergleichbar. Es handelt sich meist um innergesellschaftliche Auseinandersetzungen im kleinen Maßstab, und sie sollten auch so behandelt werden. Allerdings muss auf die soziale und ökologische Akzeptanz geachtet und damit möglichen Folgen und Konflikten vorgebeugt werden.

Die Bedeutung der Energie- und Klimapolitik

Indem sie bedrohliche Risiken vermeidet und die internationale Zusammenarbeit auf lokaler und globaler Ebene verbindet, kann Energie- und Klimapolitik als Beitrag zur Sicherheitspolitik angesehen werden. Grundsätzlich ist der präventive Politiktyp, der durch Limitations- und Absorptionsstrategien auf Konfliktvermeidung zielt, zu bevorzugen gegenüber dem reaktiven Politiktyp, der in einer Welt von Krisen und Katastrophen auf nachsorgende Lösungen zum Krisenmanagement und Katastrophenschutz vertraut.

Artikel 2 der Klimarahmenkonvention formuliert das Ziel, eine „gefährliche anthropogene Klimaveränderung“ zu verhindern, definiert jedoch nicht, was gefährlich ist und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Angesichts der ungleichen Verteilung der Kosten und Risiken werden geeignete Gerechtigkeitsprinzipien diskutiert. Um ein Überschreiten gefährlicher Schwellen zu vermeiden, werden Leitplanken für den Klimawandel vorgeschlagen, die die Anpassungsfähigkeit natürlicher und sozialer Systeme berücksichtigen.12 Vielfach wird als Zielkriterium formuliert, dass der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre eine Verdoppelung des vorindustriellen Wertes nicht überschreiten soll, was einer Stabilisierung des CO2-Anteils bei 550 ppm (millionstel Volumenanteile) und einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 2 Grad Celsius entspricht. Dies wäre nur mit einer Verringerung des Treibhausgasausstoßes um mindestens 50% zu erreichen.

Um Unsicherheiten zu verringern, werden Daten, Modelle und Indikatoren verbessert. Zur Vermeidung von Risiken und Kosten sind adaptive Strategien für eine risiko- und konfliktminimierende Energieversorgung zu entwickeln. Der erforderliche Umbau des Energiesystems kostet Billionen von Euro und betrifft die gesamte Wirtschaft wie auch die Lebensweise der Menschen.13 Die Frage ist, ob mit der Energierevolution auch entsprechende politische Veränderungen einher gehen. Bringt die Energiewende tatsächlich den Übergang zu einer demokratischen, dezentralen und heimischen Energieversorgung, wie die Verfechter des »small is beautiful« (Amory Lovins) erhoffen? Kann jeder Landbesitzer auf dem eigenen Acker oder dem eigenen Dach Energie durch Windanlagen, Pflanzen und Solarzellen selber »anbauen« und ins Netz einspeisen? Wird »power to the people« eine für jedermann zugängliche Energieversorgung erlauben, gar eine stärkere Partizipation an der Macht?

Angesichts der ökonomischen Globalisierungstendenzen, die eine weitere Konzentration von Wachstum, Macht und Gewalt in den Händen weniger befördern, ist übertriebener Optimismus nicht angebracht. Fossil-nukleare Energien werden auf absehbare Zeit weiter genutzt und hoffentlich durch Energieeinsparung, technische Effizienz und verschärfte Emissionsauflagen sozial- und umweltverträglicher gestaltet werden. Wichtige Fragen stellen sich auch hier, die gesellschaftliche Strukturen und politische Machtverhältnisse betreffen: Wer wird das zur Energiesammlung nötige Land besitzen? Wer wird darüber entscheiden, ob Land zur Erzeugung von Nahrungsmitteln oder von Energie genutzt wird, ob dies durch gut oder schlecht bezahlte Arbeitskräfte geschieht unter Einsatz von Chemie und durch gewaltige Erntemaschinen? Werden dies Kleinbauern sein oder internationale Agrar-, Bio- und Chemiekonzerne, die mit Energie- und Transportkonzernen verflochten sind? Wird es gelingen, die erneuerbaren Energien über Transport- und Verbundnetze kostengünstig und großflächig zu verteilen? Und schließlich: Wird das solare Zeitalter auch ein friedlicheres Zeitalter werden?

Anmerkungen

1) G. W. Bush: State of the Union Address by the President, 31 Jan., 2006, Washington, D.C., www.whitehouse.gov/news/releases/2006/01/print/20060131-10.html.

2) Neue Energie, 4/2006.

3) Zusammenfassende Darstellungen zum Thema: J. Scheffran, W. Bender, S. Brückmann, M.B. Kalinowski, W. Liebert: Energiekonflikte, Dossier 22, Wissenschaft und Frieden 2/1996; H. Ackermann, M. Krämer, O. Melsheimer, J. Scheffran: Energienutzung – Konflikte, Potenziale, Szenarien, in: R. Zoll (Hg.): Energiekonflikte. Münster: LIT, 2001, S. 17-95; F. Alt: Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne, München: Riemann, 2002; F. Umbach: Globale Energiesicherheit, München 2003; T.H. Karas: Energy and National Security, Sandia Report 2003-3287, Albuquerque; J, H, Kalicki, D.L. Goldwyn (ed.): Energy and Security, Johns Hopkins University Press, 2005; D. Yergin, Ensuring Energy Security, Foreign Affairs, March/April, 85(2), 2006; Energie für das 21. Jahrhundert, Internationale Politik 61 (2006) 2.

4) BMWi: Energiedaten 2000, Bundesministerium für Wirtschaft & Technologie: Berlin, Bonn 2000.

5) BP: Statistical Review of World Energy, June 2005; www.bp.com:

6) H. Scheer: Solare Weltwirtschaft. München: Verlag Antje Kunstmann, 1999, S. 16.

7) Zu verschiedenen Folgen des Klimawandels siehe: H. J. Schellnhuber, W. Cramer, N. Nakicenovic, T. Wigley, G. Yohe (eds.): Avoiding Dangerous Climate Change, Cambridge University Press, 2006.

8) Zur Diskussion über Klima, Sicherheit und Konflikt siehe: J. Scheffran: Konfliktfolgen energiebedingter Umweltveränderungen am Beispiel des globalen Treibhauseffekts, in: W. Bender, (Hrsg.): Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft, Darmstadt 1997; BMU: Climate Change and Conflict, Berlin, 2002; J. Barnett: Security and Climate Change, Global Environmental Change 13(1) 2003, 7-17; J. Scheffran: Energiekonflikte und Klimakatastrophe: Die neue Bedrohung?, PROKLA 135/2, Vol.34, 2004; Human Security and Climate Change, Workshop, Oslo, 21–23 June 2005, www.cicero.uio.no/humsec/list_participants.html.

9) M. Boslough, et al.: Climate Change Effects on International Stability: A White Paper, Sandia National Laboratories Albuquerque, New Mexico, December 2004.

10) P. Schwartz, D. Randall: An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States National Security, Washington, Oct. 2003 (www.ems.org/climate/pentagon_climatechange.pdf).

11) Alt 2002, a.a.O., S.18.

12) G. Petschel-Held, eta al.: The Tolerable Windows Approach: Theoretical and Methodological Foundations, Climatic Change, 41, 1999, 303-331; WBGU, Energiewende zur Nachhaltigkeit, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Berlin, 2003.

13) Von den jüngsten Energie-Szenarien siehe: BMWi/BMU: Energieversorgung für Deutschland, Statusbericht für den Energiegipfel am 3. April 2006, Berlin, März 2006; Deutsche Physikalische Gesellschaft: Klimaschutz und Energieversorgung in Deutschland, 1990 – 2020, Bad Honnef, Sept. 2005; Endogenous Technological Change and the Economics of Atmospheric Stabilization, The Energy Journal, Special Issue, March 2006.

Dr. Jürgen Scheffran ist W&F-Redakteur und Wissenschaftler an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign (USA), wo er zum Thema Energie und Klima unterrichtet und ein Projekt zu erneuerbaren Energien leitet.

Katrina – eine normale Katastrophe?

Katrina – eine normale Katastrophe?

von Marianne Kolter

Die Wirbelstürme des Jahres 2005 haben die Verwundbarkeit der Supermacht USA demonstriert. Während die Bush-Administration immense Summen für Kriege und Terrorismusbekämpfung aufwendet, versagt sie bei Naturkatastrophen wie dem Hurrikan Katrina. An solchen Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel begünstigt werden, haben auch die USA selbst einen erheblichen Anteil, indem sie sich weigern, internationale Klimaschutzvereinbarungen zu akzeptieren. Mit Katrina ist aber auch in den USA die Debatte über Ursachen, Folgen und Wege zur Vermeidung von Naturkatastrophen in Gang gekommen.

Katrina, welch schöner Name für einen Hurrikan, der mit Windgeschwindigkeiten bis zu 230 km/h am Montag, dem 29. August 2005 über die US-Bundesstaaten Louisiana, Alabama und Mississippi hinweg fegte. An der Südküste der USA wurden zahlreiche Gemeinden nahezu dem Erdboden gleichgemacht, Gebäude, Geschäfts-, Industrie- und Infrastrukturanlagen zerstört oder stark beschädigt. Mehr als 1.500 Menschen starben im Laufe des Hurrikans und der folgenden Flut, mehr als 2.000 werden heute noch vermisst. Betroffen waren ca. 230.000 qkm, das entspricht etwa der Fläche der Britischen Insel. Die Dämme, die New Orleans vor den Wassermassen des Lake Pontchartrain schützen sollten, brachen, und während des ersten Tages wurden 80% der Stadt und der umliegenden Gemeinden überflutet.

In den nächsten Tagen waren Rettungsdienste in New Orleans und anderen zerstörten Gebieten mit der Bergung der Eingeschlossenen beschäftigt. In den beiden großen Notunterkünften herrschte Not an allem, was Menschen brauchen. Es fehlten Lebensmittel, Wasser, Hygieneartikel, Toiletten und Waschanlagen, alles in allem ein Bild des Chaos und der Hilflosigkeit der Rettungsdienste des reichsten Landes der Welt. Bald wurden Stimmen laut, die Untätigkeit der Behörden habe rassistische Motive, denn die meisten der in New Orleans Eingeschlossenen waren Afroamerikaner. Ein Zyniker unter meinen amerikanischen Freunden meinte: „Jeder der das nicht überlebt, kostet die Sozialbehörden kein Geld mehr.“

Versagen des Katastrophenschutzes

Die US-Regierung zeigte ein Bild der Unfähigkeit und Unentschlossenheit, das trifft besonders zu auf die nationale Katastrophenschutzorganisation FEMA (Federal Emergency Management Agency) und das zuständige Ministerium für Heimatschutz (Depatment of Homeland Security). Die Konzentration auf die terroristische Bedrohung habe zu einer Vernachlässigung der Gefahren durch Naturkatastrophen geführt, so die Kritiker der Katastrophenpolitik.1

Die Kritik konzentrierte sich zunächst auf das Scheitern des Katastrophenschutzes. Warum wurden öffentliche Busse oder Sonderzüge nicht bereit gestellt? Warum verließen trotz angeordneter Evakuierung viele Menschen nicht die Stadt? Die meisten derjenigen, die blieben, waren Afroamerikaner und Menschen mit geringem Einkommen (10.000-20.000 US-Dollar pro Jahr). In einer Telefonumfrage unter Überlebenden gaben 49% der Befragten als Grund an, sie hätten angenommen, es würde schon nicht so schlimm werden, 21% nannten die fehlenden Eigenmittel zur Flucht aus der Stadt.2 Als Lehre aus diesem Verhalten zogen Katastrophenforscher den Schluss, dass die Stadt und die Selbstorganisationsstrukturen der Menschen – etwa religiöse Gemeinschaften und Nachbarschaftsorganisationen – in der Zukunft Aufklärungsarbeit über die Gefahren eines Hurrikans leisten müssten. Es seien Transportmittel bereitzustellen und die Evakuierungsvorgänge besser zu organisieren sowie Ziele für die Evakuierung, d.h. Notunterkünfte außerhalb der Stadt, zu benennen.

Unabhängig von den Ursachen der verstärkten Sturmaktivitäten im Golf von Mexiko und in der Karibik verlangt die Tatsache, dass mehr und mehr Menschen in hoch gefährdeten Gebieten leben sowie Infrastruktur- und Industrieanlagen dort angesiedelt sind, Katastrophenvorsorge, die im Ernstfall einsatzfähig ist. Es ist für die nächsten Jahre nicht zu erwarten, dass die extremen Wetterereignisse in den Staaten am Golf von Mexiko und der Karibik nachlassen werden.

Schadensbilanz

Die Bestandsaufnahme nach Katrina wies die größten Schäden aus, die jemals ein Naturereignis in den USA verursacht hat, Schätzungen zufolge etwa 115 Milliarden US-Dollar, die gesamtwirtschaftlichen Folgeschäden werden auf mindestens das Doppelte geschätzt. In New Orleans und den umliegenden Gemeinden gingen 240.000 Arbeitsplätze verloren.3 50% der Häuser der Stadt wurden zerstört, die Infrastruktur wurde schwer beschädigt, wochenlang gab es weder fließendes Wasser noch Strom, Schulen und Krankenhäuser mussten z.T. aufgegeben werden. In den ersten Monaten nach der Katastrophe stellte die Bundesregierung in Washington 62,3 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau zur Verfügung, der größte Teil wird vom Department of Homeland Security verwaltet und über die Katastrophenschutzbehörde FEMA an die Betroffenen verteilt.4 1,36 Millionen Menschen hatten bis April 2006 bei der FEMA Anträge auf Beihilfe für den Wiederaufbau gestellt.5 Das U.S. Army Corps of Engineers erhielt 310 Millionen US-Dollar für die Reparatur der Dämme und Deiche in New Orleans, die Bauarbeiten sollten bis zum 1.6.2006, dem offiziellen Beginn der Hurrikansaison 2006, abgeschlossen sein.6 Etwa die Hälfte der Bewohner ist nach New Orleans zurückgekehrt, zehntausende der Katastrophenflüchtlinge leben in von FEMA unterhaltenen Notquartieren wie Wohnwagen oder Hotels.

Zunächst galt die öffentliche Aufmerksamkeit nahezu ausschließlich den Menschen der Region, doch bereits nach wenigen Tagen richteten Umweltforscher und -aktivisten ihr Augenmerk auch auf die Schäden an der Umwelt.

Der Ausbau der Stadt New Orleans und der umliegenden Gemeinden sowie der Industrie- und Hafenanlagen im Mündungsdelta des Mississippi haben die natürlichen Pufferzonen zum Golf von Mexiko, d.h. große Schwemmland- und Feuchtgebiete zerstört. Stürme und Wellen, die in der Vergangenheit durch diese vorgelagerten Barrieren abgeschwächt wurden, greifen heute die Siedlungen an der Küste des Golf von Mexiko direkt an. Louisiana verliert etwa alle 20 Minuten Küstenfläche in der Größe eines Fussballstadions, Katrina allein kostete New Orleans 3.885 Hektar Schwemmland.7

Die Flut schwemmte einen giftigen Mix von Stoffen aus Industrieanlagen, Mülldeponien, Kläranlagen und so genannten Landfills – mit Abfall und Schutt gefüllte Senken, auf denen ein Teil der Stadt gebaut wurde –, aus Geschäften und Privathaushalten in die Stadt, dessen genaue Zusammensetzung bis heute niemand kennt und dessen langfristige Wirkung weiterer Untersuchungen bedarf.8 Unter anderem wurden etwa 26,5 Millionen Liter Öl aus Industrie- und privaten Tanks freigesetzt, dazu kommen die Tankfüllungen von mehr als 350.000 Fahrzeugen, die überflutet wurden. Geht man von einer durchschnittlichen Tankfüllung von 30 Litern aus, sind mehr als 35 Millionen Liter Öl in das Gebiet von New Orleans geschwemmt worden. Die Naturkatastrophe Katrina entspricht einer »Tankerkatastrophe« vom Ausmaß des Tankerunglücks der Exxon Valdez (etwa 40 Mio Liter).9

Folgen für die Energieversorgung

Weitere Schäden verursachte Katrina an den Anlagen der Erdölindustrie im Golf von Mexiko. „Katrina schädigte insgesamt 18 Ölbohrinseln, mindestens 5 davon müssen vollständig verschrottet werden. Weitere Schäden gibt es an mindestens 34 Förderplattformen, wovon 18 Plattformen totaler Schrott sind. Und es kann sein, dass diese Zahl noch weiter steigt. Ein neuer Bericht des MMS (Minerals Management Service) geht inzwischen von insgesamt 58 beschädigten Ölbohrinseln und Förderplattformen im Golf aus. Noch wesentlich größer ist die Unsicherheit bei den Schäden an den Ölpipelines, die die Förderplattformen mit dem Land verbinden.“10 Über 18.000 qkm breiteten sich Ölteppiche im Golf von Mexiko aus.

Die Schäden an den Produktionsanlagen der Ölindustrie führten zu einem Produktionsausfall, der bis in den Oktober hineinreichte. Die gerade begonnenen Aufräum- und Reparaturarbeiten wurden durch den Hurrikan Rita (24.9.2006) unterbrochen, der weitere Schäden an den Anlagen der Erdölindustrie im Golf von Mexiko anrichtete. Insgesamt wurden mehr als 100 Öl- und Gasplattformen von den beiden Hurrikanen beschädigt oder zerstört, 20% der täglichen Produktion der Raffinerien des Landes fielen zeitweise aus.11 30.000 Arbeiter mussten von den Förderplattformen im Golf von Mexiko evakuiert werden, ihre Rückkehr wurde verzögert, weil die vorhandenen Hubschrauber zur Rettung der Hurrikanopfer eingesetzt wurden.12 Weltweit führte dies zu einem Anstieg der Preise für Rohöl und an den Zapfsäulen zu einer starken Belastung der Verbraucher – so die gängigen Erklärungen für die Preisentwicklung. Experten sehen das kritischer. „Für die Ölexperten, die wirklich mit Rohöl und Raffinerien zu tun haben und nicht nur mit Futures und Optionen, sind die gängigen Erklärungen für die Preissteigerungen nicht einleuchtend. So soll der Super-Hurrikan ‘Katrina’ am Montag den deutlichen Preisanstieg um gut drei Dollar verursacht haben… ‘Dennoch ist die Versorgung nicht gefährdet’, sagt Schult-Bornemann (Exxon-Mobil). Das System der Ölförderung und -verteilung enthält genug Mengenpuffer, um flexibel zu reagieren und die Verbraucher wie gewohnt mit Ölprodukten zu beliefern.“13 Schult-Bornemann und andere Experten der Ölwirtschaft äußern die Vermutung, dass der gestiegene Einfluss der Finanzmärkte auf die Erdölindustrie diese Preissteigerungen ebenso zu verantworten habe wie die tatsächliche Verbrauchssteigerung auf dem Weltmarkt (4,3 Prozent in 2004), die nach landläufiger Meinung durch die schnell wachsenden Volkswirtschaften in China und Indien zu verantworten ist. Ein Blick auf die Daten des vergangenen Jahrzehnts zeigt jedoch, dass die Steigerung des Energieverbrauchs in den USA mehr als doppelt so hoch war als in Indien und auch die Zunahme in China ist im Vergleich mit den USA nicht spektakulär.

Primärenergieverbrauch, 1994-2003 (in Quadrillion Btu)14

Verwundbar zeigte sich auch das Transportwesen des Landes. Der Hafen von Südlouisiana und der Hafen von New Orleans, die zusammen etwa 12% des Umschlags US-amerikanischer Häfen meistern, sowie kleinere Häfen an der Golfküste wurden für mehr als eine Woche geschlossen. Durch diese Häfen gehen etwa 28% des Rohöls, fast die Hälfte der raffinierten Ölprodukte und fast 20% des Erdgases. Aber nicht nur die Energieversorgung stockte, auch der Export der Produkte des gesamten Mittleren Westens der USA, insbesondere Agrarerzeugnisse wie Mais (81%), Ölstaaten (74%) und Weizen (23%), werden in den Häfen am Mississippidelta abgewickelt.15 Die Existenz der Farmer dieser Region hängt z.T. an den Kapazitäten eben dieser Häfen.

Klimadebatte

Die Hurrikansaison 2005, die hinsichtlich der Zahl und Intensität der Wirbelstürme alle Rekorde gebrochen hat, hat auch die Klimadebatte in den USA angefacht. Die US-Regierung, die die internationale Zusammenarbeit in der Klimapolitik auf ein Minimum reduziert und das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet hat, steht unter Druck. Al Gore, der bei der Präsidentenwahl 2000 denkbar knapp unterlag, macht mit seinem Klimafilm »An Inconvenient Truth« Furore in den Massenmedien, und wird trotz Dementis als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt. Fernsehsender und Zeitschriften widmen sich den Gefahren des Klimawandels und sehen in einer neuen Energiepolitik den Schlüssel zur Gefahrenreduktion.

Auch wenn der statistische Nachweis schwierig ist, äußern einige Wissenschaftler die Ansicht, dass die Zunahme der Wirbelstürme nicht allein auf natürliche Zyklen, sondern auch auf den Klimawandel zurück zu führen ist. Matthew Huber von der Purdue-Universität stellt fest: „…das gesamte Ausmaß der Zyklonenaktivitäten, sei es durch eine höhere Intensität der Stürme oder durch häufigere Stürme, hat sich bei einem Anstieg von einem Viertel Grad in den globalen Durchschnittstemperaturen verdoppelt“.16 Selbst unter den Vertretern der Konservativen wächst die Aufmerksamkeit für die Klimafrage. Vertreter evangelikaler Kirchen und Religionsgemeinschaften haben eine »Evangelical Climate Initiative« ins Leben gerufen, die sich dem Schutz der Schöpfung verpflichtet sieht.

Auch die Regierung sah sich nach Katrina gezwungen, der Energie- und Klimafrage größere Aufmerksamkeit zu widmen. Präsident George W. Bush forderte seine Landsleute zum Energie sparen auf, um die Abhängigkeit von Öllieferungen aus dem Ausland zu verringern. In ihrer Energiepolitik setzt die Regierung allerdings nicht auf die im Kyoto-Protokoll entwickelte Strategie reduzierter Treibhausgase; neben dem Aufruf zum Energie sparen setzt sie auf die Entwicklung neuer Technologien für die Verarbeitung konventioneller Energie wie Kohle und Öl und auf die Förderung erneuerbarer Energien. Ohne politische Entscheidungen, die die Verbraucher zum Erwerb Energie sparender Geräte und die Wirtschaft zu Investitionen in Energie schonende Technologien zwingen, bleiben diese Äußerungen Bushs nach Ansicht kritischer Beobachter wahrscheinlich folgenlos.

Katrina hat gezeigt, dass ein Naturereignis das mächtigste Land der Welt vor eine unlösbare Aufgabe stellen kann. Mehrere zehntausend Menschen waren tagelang hilflos inmitten einer von einer gefährlichen Giftbrühe überfluteten Stadt gefangen und auf sich allein gestellt. Das Beispiel des kleinen Kuba, auf dem vor dem Einfall von Katrina Zehntausende in Sicherheit gebracht worden waren und nur vier Menschen starben (drei von ihnen durch einen Busunfall während der Evakuierung), macht deutlich, es braucht mehr als ein Naturereignis, um eine Naturkatastrophe auszulösen, die die Umwelt, Infrastruktur und Eigentum, aber auch die Menschen selbst bedroht. Katastrophenschutz kann auf Dauer wenig anrichten, wenn die Ursachen nicht angegangen werden.

1994 2003 Differenz
USA 89.28 98.31 9.03
China 34.02 45.48 11.46
India 9.97 14.03 4.06
World 357.5 420.98 63.48

Anmerkungen

1) Siehe u.a. USA Today, 7.9.2005, Washington Post, 30.8.2005.

2) Elliott, James R./Pais, Jeremy, Race, Class and Hurricane Katrina: Social Differences in Human Response to Disaster, in: Social Science Research, Vol. 35, Issue 2, June 2006, pp. 295-321. Es wäre zu untersuchen, ob die Tatsache, keine Mittel zur Flucht aus einem gefährdeten Gebiet zu haben, eine fatalistische Haltung erzeugt, verstärkt oder überdeckt.

3) Soltau, Eleanor, Putting Case Management to the Ultimate Test: Rebuilding New Orleans after Katrina, Part 1, in: The Case Manager, Vol. 17, Issue 2, March-April 2006, pp. 56-59.

4) President’s Council on Integrity and Efficiency/Executive Council on Integrity and Efficiency, Oversight of Gulf Coast Hurricane Recovery -. A 90-Daz Progress Report to Congress, December 30, 2006, http://www.dhs.gov/interweb/assetlibrary/OIG_90DayGulfCoast_Dec05.pdf.

5) Elliott/Pais, 2006, a.a.O.

6) President’s Council on Integrity and Efficiency, 2006, a.a.O.

7) Vgl. Lambourne, Helen: New Orleans ‘risks extinction’, http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4673586.stm. Bei diesem und anderen im folgenden zitierten Online-Dokumenten sind keine Seitenzahlen ausgewiesen.

8) Natural Resources Defense Council: After Katrina, New Solutions for Safe Communities and a Secure Energy Future, September 2005, www.nrdc.org.

9) Vergl. Statement of Erik D. Olson, Natural Resources Defense Council: The Environmental Effects of Hurricane Katrina, Submitted in Writing to Hearings Before the Committee on Environment and Public Works of the United States Senate, October 6, 2005.

10) Greenpeace: Auswirkungen des Hurrikans Katrina auf die Öl- und Gasinfrastruktur im Golf von Mexiko, September 2005, www.greenpeace.de. Vgl. Auch die Satellitenbilder von Ölteppichen unter www.skythruth.org.

11) Vgl. Chow, Edward, Elkind, Jonathan: Hurricane Katrina and US Energy Security, in: Survival, vol 47, no. 4, Winter 2005-2006, pp. 145-160.

12) Vgl. ebenda.

13) http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/544890.html?nv=ct_mt

14) Vgl. Table 11.3, World Primary Energy Consumption by Region, 1994-2003, in: Energy Information Administration (EIA), http://www.eia.doe.gov, die Daten für 2003 sind vorläufig. Ein Quadrillion Btu sind 10<^>15 <^*>British Thermal Units, etwa soviel wie eine Milliarde Gigajoule.

15) Vgl. National Geographic, Special Edition, Katrina – Why It Became a Man-made Disaster, p. 49.

16) 2 Studies Link Global Warming to Greater Power of Hurricanes, http://www.nytimes.com/2006/05/31/science/31climate.html, 31.5.2006, die Studie wird in der nächsten Ausgabe der Geophysical Research Letters veröffentlicht.

Marianne Kolter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung International Programs and Studies an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign, USA.

Klimapolitik ist Friedenspolitik

Klimapolitik ist Friedenspolitik

Wird weniger Öl und Gas verbraucht profitieren Frieden und Umwelt

von Detlef Bimboes und Joachim H. Spangenberg

Die durch den Menschen ausgelöste Klimaänderung schreitet unerbittlich voran. Die extremen Wetterlagen der letzten Jahre – Dürren, Fluten, Hitzewellen – sind unübersehbare Warnsignale. Wenn die mittlere globale Erwärmung um mehr als zwei Grad Celsius über den Werten vor dem Industriezeitalter liegt, führt das zu unkontrollierbaren Folgen für Mensch und Natur. Ein erheblicher Teil des technisch-sozial noch zu bewältigenden Toleranzbereichs ist bereits ausgeschöpft und mehr ist fest programmiert. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, aber anstatt zu handeln, werden weiter fossile Energieträger ungebremst verbraucht.

Europa ist inzwischen der weltweit größte Importeur von Öl und Gas, gefolgt von den USA und Japan. Hohe und immer stärkere Nachfrage besteht in Süd- und Ostasien. Indien und China haben einen dramatisch wachsenden Bedarf an Öleinfuhren. Er steigt jährlich um 20 – 30 Prozent. In 12 Jahren werden die dynamisch wachsenden Volkswirtschaften Ostasiens soviel Rohöl auf dem Weltmarkt einkaufen wie derzeit in der Golfregion gefördert wird (Grobe 2003, S. 3).

Ende der Öl- und Gasvorräte in Sicht

Gleichzeitig mit der steigenden Nachfrage schrumpfen die globalen Vorräte an leicht förderbarem Öl und Gas. Die Schere zwischen Verbrauch und Vorräten klafft immer weiter auseinander. Die Unsicherheit der Reserven und die Schwierigkeit ihrer Erschließung wachsen. So musste der Ölkonzern RoyalDutch/Shell bereits das dritte Jahr in Folge seine von ihm als nachgewiesen und rentabel förderbar eingestuften Ölvorräte nach unten korrigieren (FR 2004, S. 13). Damit beginnt erstmals sichtbar zu werden, was schon lange vorhergesagt wurde: Um 2005 herum, spätestens 2010 dürfte die Hälfte dieser leicht förderbaren Erdölvorräte – bezogen auf die Ausgangsmenge seit Beginn des Ölzeitalters – verbraucht sein. Dann ist der Höhepunkt erreicht oder anders gesagt, ist »das Glas nur noch halb voll«. Rund um den Globus werden jährlich ca. 3,65 Mrd. Tonnen Öl und ca. 2,4 Billionen Kubikmeter Erdgas gefördert. Demgegenüber werden jährlich gerade noch ca. 10 Mrd. Barrel Erdöl neu gefunden, was in etwa 1,3 Mrd. Tonnen entspricht (Campbell 2002, S. 30). Das Maximum der weltweiten Gasförderung könnte um das Jahr 2020 oder sogar schon früher erreicht sein (Campbell 2002, S. 111). Während die Weltförderung an Öl und Gas ab 2015 (plus/minus 5 Jahre) sinken dürfte, wird allein der Konsum des schon bisher größten Energieverschwenders, der USA, bis dahin um rund ein Drittel steigen.

Dem Argument, dass die sicheren Reserven an leicht förderbarem Öl und Gas recht begrenzt und in absehbarer Zeit erschöpft sind, wird seitens der Energiewirtschaft entgegen gehalten, dass es darüber hinaus große Vorräte an so genanntem nicht konventionellen Öl- und Gasvorräten gibt, die noch auf lange Zeit eine Nutzung von Öl und Gas ermöglichen würden. Dabei handelt es sich um Schweröle, Teersand, Ölschiefer, Öl- und Gasvorkommen in Tiefseegewässern und Polarregionen. Allen gemeinsam ist, dass ihre Förderung teuer ist, sie zumeist geringe Förderraten haben und ihre Nutzung schwere Umwelt- und Klimaschäden nach sich ziehen würde. Hinzu kommt der Energieaufwand für die Gewinnungsprozesse, der zusätzlich erhebliche Mengen an klimaschädlichem Kohlendioxid entstehen ließe.

Ölquellen sind Kriegsquellen

70 Prozent der Weltrohölreserven und 40 Prozent der Welterdgasreserven befinden sich in einem politischen Krisenbogen, der vom Persischen Golf über das Kaspische Becken bis nach Zentralasien reicht. Bereits in den nächsten Jahren wird der Anteil des Persischen Golfes (inklusive Irak und Iran) an der globalen Rohölproduktion kontinuierlich wachsen und der Anteil des Atlantischen Beckens (Nordamerika und Europa) abnehmen. Der Kampf um die Verteilung des »Kuchens« hat längst begonnen. Die abnehmende Kurve der Verfügbarkeit von Energieressourcen und die ansteigende Nachfrage nähern sich ihrem Kreuzungspunkt. Ist die Nachfrage auf dem gegenwärtigen Preisniveau nicht mehr zu befriedigen, werden steigende Energiepreise mit allseits durchschlagender Wirkung unausweichlich (Scheer 2000, S. 308). Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist tief in die Strukturen aller Wirtschaftssysteme der »fossilen Moderne« eingegraben. Deshalb kann bei steigenden Preisen nicht beliebig mit Verbrauchsverringerungen reagiert werden. Vor diesem Hintergrund sind kurz- und mittelfristig keine flexiblen Anpassungen an die Preissignale der Märkte zu erwarten, sondern eher eine ausgedehnte Phase wirtschaftlicher Krisen und sozialer Härten.

Ölquellen sind Kriegsquellen. Wer über diese Quellen herrscht, Förderung und Transport kontrolliert, übt entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die Volkswirtschaften der Welt aus. Auch deshalb stehen US-Truppen an den Energiequellen und in der Nähe der Pipelines im gesamten Krisenbogen.

Die USA sind mit dieser Strategie keineswegs alleine: Bereits seit 1991 wird die Militärstrategie der NATO mit der Sicherung des weltweiten Zugangs zu strategischen Ressourcen wie Erdöl begründet. Die sich immer klarer abzeichnende Militarisierung der EU- Außen- und Sicherheitspolitik hat ebenfalls diesen Krisenbogen im Blick, wobei langfristig angelegte Energieinteressen eine zentrale Rolle spielen. Inzwischen wird auch in Deutschland in außenpolitisch meinungsbildenden Kreisen – so in den Reihen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik – in diese Richtung argumentiert (Umbach 2003).

Kurswechsel zur Sonnenenergie

Das Schrumpfen der Öl- und Gasvorräte ist – anders als es die ressourcenökonomische Theorie wahrhaben will – unvermeidlich und der bereits ebenso unvermeidliche, aber noch begrenzbare Klimawandel schränkt die Möglichkeiten ein, auf Kohle als Ersatz zurückzugreifen. Aus dieser Situation gibt es nur einen unbequemen, aber verlässlichen Ausweg. Er besteht darin, die Nachfrage nach Öl und Gas dauerhaft unter das (sinkende) Niveau der Förderung und damit langfristig auf einen Wert nahe Null zu senken.

Eine zukunftsfähige Energieversorgung setzt auf »weniger und besser«, auf Energiesparen und die Energiewende. Langfristig sind Solarenergie, Rest-Biomasse, Geowärme, Wind und Wasser sowie Wasserstoff als Sekundärträger in der Lage, den gesamten Bedarf an Strom, Wärme und Kraftstoffen zu decken, wenn der Energieverschwendung Einhalt geboten wird. Das ist nicht neu – mehrere Enquetekommissionen des Deutschen Bundestags, die wissenschaftlichen Beiräte der Bundesregierung und viele andere Experten stützen diese Forderungen seit mehr als einem Jahrzehnt und haben die Machbarkeit massiver Einsparungen ohne Verlust an Lebensqualität vielfach nachgewiesen. Solche Veränderungen sind aber nur zumutbar, wenn Arbeits- und Sozialpolitik dem Rechnung tragen: Statt stagnierender Realeinkommen und zunehmender Armut muss mehr und nicht weniger soziale Sicherung geboten werden. Die Energiewende ist also kein technisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Projekt.

Technisch ist die Kombination von Energiesparen und solarer Energiewende ohne weiteres möglich. Die Enquete-Kommission »Nachhaltige Energieversorgung« hat sich dafür ausgesprochen, dass in Deutschland der Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent reduziert wird. Sie zeigt, dass auf die Dauer eine solare Vollversorgung in der Bundesrepublik möglich ist. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes kann der Ausstoß an Kohlendioxid bis 2020 um 40 Prozent vermindert werden (UBA 2003). Die Empfehlung aus dem Weißbuch der EU-Kommission, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2010 von lediglich 6 auf 12 Prozent zu erhöhen, bleibt jedenfalls weit hinter dem zurück, was möglich ist und zeigt die Handschrift der fossilen Energiewirtschaft.

Energieeffizienz, erneuerbare Energien und solarer Umbau sind auch die angemessene, weil friedliche Antwort Europas auf die Falle von Konkurrenz, Gewalt und Kriegen um die zur Neige gehenden Vorräte an Öl und Gas (Scheer 1999, Campbell 2002, Altvater 2003). Zudem ist eine solche Energiewende trotz erheblicher Umstellungskosten volkswirtschaftlich attraktiv: heute gibt die EU jährlich ca. 240 Milliarden Euro für Öl- und Gasimporte aus, das entspricht 6% der Gesamtimporte oder 1,2% des BIP (1999, nach Umbach 2004).

Das realistische Etappenziel heißt: Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ist der Weltenergieverbrauch zu stabilisieren und überwiegend auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Fossile Energieträger, also Gas, Öl und Kohle werden dann nur noch ergänzend und übergangsweise gebraucht. Eine solare Weltwirtschaft ist eine friedensfähige Grundlage – ob sie eine friedlichere Welt bringen wird, wird nicht zuletzt von der Lösung der sozialen Fragen abhängen.

Klimaschutz ohne Biss, die Energiewirtschaft auf der Bremse

Der weltweit kommerziell erfasste Primärenergiebedarf, der sich heute zu 85 Prozent aus Kohle, Erdöl und Erdgas speist, führte bereits 1990 zu einem Ausstoß von knapp 21 Mrd. Tonnen Kohlendioxid. Berechnungen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC) für einen wirksamen Klimaschutz zeigen, dass der Kohlendioxid-Ausstoß in den Industriestaaten bis 2050 um 80 Prozent auf weltweit durchschnittlich 1,1 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr gesenkt werden muss. Die von der Bundesregierung avisierte Verminderung um 40 Prozent bis zum Jahre 2020 ist insofern ein plausibles Zwischenziel.

Diesen Ansprüchen genügt das sog. Kyoto-Protokoll nicht. In Kyoto war vereinbart worden, die wichtigsten Treibhausgase in einem Zeitfenster zwischen 2008 und 2012 gegenüber 1990 weltweit um bescheidene 5,2 Prozent zu vermindern (für die Bundesrepublik um 21%). Zurzeit droht die Europäische Union durch den Anstieg der Treibhausgase in einer Reihe von EU-Staaten, darunter Deutschland, damit zu scheitern, die von ihr übernommenen Verpflichtungen zur Reduzierung umzusetzen. Hauptursache ist die Steigerung der CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor um 20% seit 1990. Der von großem politischen Wirbel begleitete Emissionshandel wird nur einen begrenzten Beitrag dazu leisten können, die Treibhausgasemissionen einzudämmen, zumal seine Zielsetzungen vor kurzem vollends verwässert wurden.

Konservative und Liberale treten ganz offen für den Weg des »weiter so wie bisher« ein und wollen Klimaschutz »light« vor allem außerhalb Deutschlands betreiben. Da will auch der SPD-Bundeswirtschaftsminister nicht zurückstehen. Er setzt gemeinsam mit der Kohlelobby und Teilen der Gewerkschaften auf den Bau von Kohlekraftwerken und propagiert eine neue Kraftwerksgeneration, mit der durch die Abtrennung von Kohlendioxid bei der Verbrennung »Nullemission« erreicht werden soll (FR 2004, S. 11). Diese Strategie wird sehr clever mit dem Hinweis auf die Versorgungssicherheit verkauft – der größte Teil der Kohlenvorräte liegt nicht in Krisenregionen. Es werden weder die erheblichen Kosten noch der notwendige Energieaufwand (insbesondere für Transportpipelines, Tiefenverpressung in ehemalige Öl- und Gaslagerstätten) erwähnt. Zudem wird nicht auf die Tatsache hingewiesen, dass die Zuverlässigkeit einer dauerhaft umweltverträglichen Speicherung von Kohlendioxid, d. h. seines dauerhaften Ausschlusses aus der Biosphäre, ebenfalls nicht endgültig geklärt ist (UBA 2003, S. 30).

Im Übrigen dürfen Stein- und insbesondere Braunkohle nicht nur wegen ihrer hohen spezifischen Kohlendioxid-Emissionen, sondern auch infolge der anderen gravierenden Probleme für Mensch und Natur bei Förderung und Nutzung keine führende Rolle mehr in der Planung für eine zukunftsfähige Energieversorgung einnehmen. Innerhalb der fossilen Brennstoffe ist stattdessen auf Erdgas umzusteuern, da es aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung die geringsten spezifischen Emissionen an Kohlendioxid aufweist.

Solare Zukunft braucht Sicherheit und Zusammenarbeit

Die EU verbraucht mit 6% der Weltbevölkerung 16% der kommerziellen Weltenergie. Ihre Abhängigkeit von Importen für Öl und Gas wird – wenn die Vorräte weiter so verschleudert werden wie bisher – von gegenwärtig 70 Prozent bei Öl und 40 Prozent bei Gas auf fast 80 Prozent für Öl und fast 70 Prozent für Gas im Jahre 2020 anwachsen (EU-Kommission 2001, S. 23). In den kommenden Jahren wird eine großräumige, breit gefächerte Energieinfrastruktur – Kraftwerke, Speicheranlagen, Pipelines etc. – mit Anbindung an Lieferländer außerhalb der EU (vor allem Russland, Kaspi-Region, Mittlerer Osten, Nordafrika) entstehen. Bestehende Systeme werden modernisiert und ergänzt. Dafür hat die Sprecherin der weltweiten Energiebranche, die Internationale Energieagentur (IEA) einen Finanzbedarf von 2,1 Billionen Dollar errechnet. Weltweit schätzt sie, dass bis 2030 nicht weniger als 16 Billionen Dollar in die fossile Energiestruktur investiert werden müssen, davon 60% für die Stromerzeugung.

Allein in Deutschland müssen bis 2025 mindestens 40 Prozent der Kraftwerke aus Altersgründen durch neue Kraftwerke ersetzt und ein großer Teil der restlichen Kraftwerke modernisiert werden. Da Kraftwerke eine Laufzeit von ca. 50 Jahren haben heißt das, dass jetzt über die Energiestruktur entschieden wird, die noch 2050/60 am Netz sein wird (Trittin, FR 2003, S. 7) Damit würde auf Jahrzehnte hinaus die Nutzung fossiler Energievorräte zementiert (präziser: clementiert) und der forcierte Ausbau erneuerbarer Energien blockiert (UBA 2003).

Diese Situation nutzen die nach wie vor aktiven Fürsprecher der Atomenergie, an ihrer Spitze die für Energie und Verkehr zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio, um diese als vorgebliche Lösung des CO2-Problems anzupreisen. Auch der EU-Kommission müsste jedoch bekannt sein, dass ein verstärkter Ausbau der Kernenergie – neben allen bekannten Risiken – ökonomisch als Kohlendioxid-Treiber wirkt, weil er dazu beiträgt, dass dann für die notwendige Reduktion des Ausstoßes an Kohlendioxid um 80 Prozent bis 2050 entsprechend weniger Finanzmittel bereitstehen (Sauer, 2001, S. 69 ff.).

Energieversorgung friedlich sichern

Setzt sich der Kurs der Energiekonzerne durch, dann wächst die Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Öl- und teilweise auch von Gaslieferungen aus Krisenregionen. Das Interesse der EU an einer langfristig gesicherten Energieversorgung ist legitim, aber die Wahl der Mittel und Methoden dazu ist nicht beliebig. Die zunehmende Militarisierung der Außenpolitik, das Verständnis von Handlungsfähigkeit als die Fähigkeit zum militärischen Eingreifen widerspricht dem Ziel, stabile internationale Beziehungen aufzubauen und damit den Sicherheits- und Wohlstandsinteressen der EU ebenso wie den Eigeninteressen der potenziellen Partner. Die Fixierung sowohl der europäischen als auch der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auf militärische Handlungsfähigkeit ist ein Pawlowscher Reflex auf die militärisch orientierte Neudefinition von Macht und Legitimität in den USA. Aber wieso sollte ein Europa diesem Kurs folgen wollen, das friedliche Kooperation, die Suche nach gemeinsamen Interessen, Konfliktmoderation und -prävention über viele Jahre als Erfolgsmodell – auch als wirtschaftliches – erlebt hat?

Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, mit so vielen Staaten wie möglich und getragen von Geist und Buchstaben der KSZE Schlussakte von Helsinki, das schafft für alle Beteiligten die nötige Sicherheit für die Zukunft. Dazu gehört, dass durch eine Energiewende die Konkurrenz um schrumpfende Vorräte mittelfristig entspannt wird (eine überfällige neue Entspannungspolitik), und die Militarisierung der Außen- und Wirtschaftspolitik, die mit der in Brüssel am 12.12.2003 beschlossenen europäischen Sicherheitsstrategie forciert wurde, wieder zurückgefahren wird.

Soziale und nachhaltige wirtschaftliche Wohlfahrt sind nicht ohne stabile Abnahmepreise und langfristige Lieferverträge mit den Ländern zu haben, mit denen man dauerhaft zusammenarbeitet. Sie sind entscheidende Voraussetzung für deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung (das gilt insbesondere für Russland, vgl. Medvedev 2004) und sie ermöglichen auch die Vorbereitung auf das postfossile Zeitalter, wie es in Kuwait traditionell und in Kasachstan aktuell politisch vorangetrieben wird. Kuwait investiert seit Jahren massiv in Sektoren außerhalb des Ölgeschäfts, um auch nach dessen Ende noch Einkünfte zu haben. Kasachstan hat jetzt, nachdem zuerst alles privatisiert wurde, mit Auflagen begonnen, wie viel Prozent der Zulieferungen aus nationaler Produktion kommen müssen, um eine Binnenwirtschaft aufzubauen, die die Grundlage für künftigen Wohlstand bilden soll.

Gemeinsam in die solare Moderne

Die EU bezieht 10% ihres Rohöls aus Libyen und 29% ihres Erdgases aus Algerien; dies und die weiteren Öl- und Gasvorkommen in Marokko, Tunesien und Mauretanien sind Thema der 1995 in Barcelona beschlossenen »strategischen Partnerschaft« von EU und Anrainerstaaten des Mittelmeers. Trotz seiner breiten gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Grundlage ist der Prozess bislang nur unzureichend zur strategischen Zusammenarbeit genutzt worden.

Eine solche Partnerschaft der Union gibt es noch nicht mit den östlichen Nachbarn, aber auch hier ist längerfristig eine Kooperation viel versprechend und plausibel. So haben die CIS – Wirtschaftsgemeinschaft aus Russland, Ukraine, Weißrussland und Kasachstan – und die Europäische Union weitaus mehr konvergierende Eigeninteressen als strategische Differenzen. Sie alle können nicht dabei gewinnen, wenn sie sich im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen oder Bündnisstrukturen (NATO) den Interessen der USA unterordnen. Stattdessen können alle Staaten beider Wirtschaftsgemeinschaften in der Zusammenarbeit gewinnen. So ermöglicht die Kombination von Kapital und Technik aus Westeuropa mit Ressourcen und Märkten in Osteuropa eine für beide Seiten viel versprechende Partnerschaft. Insbesondere die Gasreserven Russlands, die zweitgrößten der Welt, und die ebenfalls erheblichen Reserven Kasachstans sind für eine Übergangsstrategie zu einer klimagerechten Energieversorgung attraktiv.

Deshalb ist die zwischen der EU und Russland im Herbst 2000 proklamierte strategische Energiepartnerschaft zügig durch Abkommen zu vertiefen. Dabei wären künftige Energielieferungen, wie bereits 1999 von Russland ins Gespräch gebracht, nicht mehr in US-Dollar, sondern in Euro zu verrechnen. Das wäre ein erster Schritt um unabhängiger vom US-Dollar zu werden, der noch die Weltenergiemärkte beherrscht.

EU – Russland: Enge Kooperation statt Würgegriff

Die Europäische Union sieht, wie der Beschluss der EU-Außenminister zur Zusammenarbeit mit Russland vom 23.2.2004 zeigt, noch viele humanitäre und institutionelle Probleme, die einer engen Zusammenarbeit im Wege stehen, aber fast alle lösbar sind. Allerdings dürfte das EU-Verlangen nach einer Liberalisierung der russischen Gasindustrie für Russland so kaum hinnehmbar sein. Denn dahinter verbirgt sich das Ziel der europäischen Energiewirtschaft, die russischen Energieressourcen nicht nur zu nutzen, sondern auch zu besitzen. Der Schlüssel dafür ist der Energie-Charta-Vertrag, den etliche Staaten der Kaspi-Region bereits unterzeichnet haben, nicht jedoch bislang Russland und die USA. Er verpflichtet die Unterzeichner auf die Privatisierung der Ressourcenvorräte wie der Transitwege, sowie auf den freien Transfer der in einem Land erwirtschafteten Gewinne. Russland hat dagegen für Naturressourcen das »natürliche Monopol« des Staates aufrechterhalten. Die zudem von Russland verlangten »marktgerechten Energiepreise« dürften faktisch auf eine Freigabe der Energiepreise auf dem russischen Energiebinnenmarkt hinauslaufen. Das würde Russland empfindlich treffen, denn bislang werden mit den höheren Exportpreisen für Öl und Gas und den daraus resultierenden Einnahmen die niedrigen inländischen Gaspreise für Industrie und Bevölkerung subventioniert. Würde dies aufgegeben, dann ginge die bisherige bescheidene Konsolidierung der russischen Staatsfinanzen und der seit geraumer Zeit anhaltende wirtschaftliche und soziale Aufschwung verloren. Im Übrigen steht europäischen Investitionen auch ohne die Deregulierung des russischen Energiebinnenmarkts nichts im Wege, wie das erfolgreiche Beispiel der Firma Ruhrgas zeigt.

Ein weiterer Stachel in den Beziehungen ist die Strategie der EU für einen euroasiatischen Transportkorridor. Er dient im Wesentlichen dem Ziel, Europa unter Umgehung Russlands mit Öl und Gas aus den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres zu versorgen und eigene Hegemonialinteressen in dieser Region durchzusetzen. Eine tragende Säule dafür ist die Unterstützung der EU und Deutschlands für die politisch, ökologisch und ökonomisch stark umstrittene Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan.

Beide Beispiele machen deutlich, das einerseits zwar mit Russland weiterhin im Bereich der Energieversorgung kooperiert, andererseits aber zugleich eine neuerliche Ausdehnung seines Macht- und Herrschaftsbereichs unterbunden werden soll (Umbach, 2004). Solch eine Politik des Umzingelns, gekoppelt mit »Teilen und Herrschen« im Umgang, schürt von vornherein Misstrauen. Damit bauen sich nicht nur latente und offene Spannungen zwischen der EU und Russland auf, sondern ebenso wird die Gestaltung der Beziehungen Russlands zu seinen Nachbarn als ein langfristig angelegtes, kooperatives Miteinander erschwert. Stattdessen werden alte, kontraproduktive Strukturen des Ringens um Macht und Einfluss verstärkt.

Literatur

Altvater, Elmar: Die Währung des schwarzen Goldes, in: Internationaler Rundbrief Nr. 17 von ATTAC, S. 1 vom 16.01.2003.

Altvater, Elmar: Die Gläubiger entmachten, in: Freitag Nr. 44, S. 5 vom 24. Oktober 2003.

Campbell, Colin et al: Ölwechsel! – Das Ende des Ölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft, DTV, München 2002.

EU-Kommission: Grünbuch – Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit, S. 23, Luxemburg 2001.

Frankfurter Rundschau: Zweifel am Niveau der Förderreserven der Ölmultis wachsen, in: FR Nr. 12, S. 13 vom 15.01.2004.

Frankfurter Rundschau: Feuer unterm Dach beim Emissionshandel, in: FR Nr. 24, S. 11 vom 29.11.2004;

Grobe, Karl: Putins großes Spiel, in FR Nr. 262, S. 3 vom 10.11.03.

Medvedev, Sergei: Putins Second Republic: Russian Scenarios, in: Internationale Politik und Gesellschaft Nr. 1, S. 96-114, 2004.

Sauer, Gustav W.: Die ökologische Herausforderung – Umweltzerstörung als sicherheitspolitische Determinante, Deutscher Universitäts-Verlag, S. 69 ff, Wiesbaden 2001.

Scheer, Hermann: Solare Weltwirtschaft – Strategie für die ökologische Moderne, Kunstmann Verlag, München 1999.

Scheer, Hermann: Kein friedliches Europa ohne eine solare Revolution, in: Mader, G. et al.: Ökonomie eines friedlichen Europa – Ziele, Hindernisse, Wege; Schriftenreihe des ÖSFK, Studien für europäische Friedenspolitik, Bd 6, Agenda Verlag, Münster 2000.

Trittin, Jürgen: Klimaschutz ist ein Markt ungeahnter Größe, in: Frankfurter Rundschau Nr. 209, S. 7 vom 08.09.2003.

Umbach, Frank: Security Partnership and Strategic Energy Resources, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin, Januar 2004.

Umbach, Frank: Globale Energiesicherheit – strategische Herausforderungen für die europäische und deutsche Außenpolitik, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Oldenbourg Verlag, München 2003.

Umweltbundesamt: Anforderungen an die zukünftige Energieversorgung – Analyse des Bedarfs zukünftiger Kraftwerkskapazitäten und Strategie für eine nachhaltige Stromnutzung in Deutschland, Berlin, August 2003.

Dr. Detlef Bimboes ist Diplombiologe. Er lebt und arbeitet in Wiesbaden; Joachim H. Spangenberg ist Diplombiologe und Ökologe. Er lebt in Köln, lehrt in Versailles und arbeitet in Wien. Die Langfassung dieses Beitrages kann unter http://www.natwiss.de/11-05-04tonnenweisefrieden-jsdb-fin.pdf heruntergeladen werden.

JP-8 – Der Treibstoff, der krank macht

JP-8 – Der Treibstoff, der krank macht

von Marion Hahn

In ihrem Buch „Umweltkrank durch NATO-Treibstoff?“ hat die Autorin auf die Verbindungslinien zwischen der weitverbreiteten Krankheit Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS) und dem Golfkriegs-Syndrom (GKS) hingewiesen. Für sie handelt es sich um ein und dieselbe Krankheit, die ursächlich zusammenhängt mit einer Vergiftung durch den NATO-Treibstoff JP-8, der über Atmung, die Haut und/oder durch Nahrung aufgenommen wurde. In einem Artikel für Wissenschaft und Frieden (1-2002, S. 65ff) berichtete sie über ihre umfassenden Recherchen, die zu diesem Ergebnis führten. Seitdem hat sie zahlreiche Reaktionen erhalten, die zum Teil ihre These stärken, zum Teil aber auch anzweifeln. Auffallend gering ist demgegenüber das Echo aus der Politik. Bei JP-8 handelt es sich um den NATO-Treibstoff, und wenn an der These von Frau Hahn nun etwas dran ist und von diesem Treibstoff Gefahren für Soldaten und Zivilisten ausgehen, ist die faktische Nichtbehandlung dieses Themas durch die offiziellen Stellen ein Skandal.

Nach einer Besprechung meines Buches „Umweltkrank durch NATO-Treibstoff?“1 im Rundfunk meldete sich im September 2001 telefonisch ein Arzt aus dem US-Militärhospital Landstuhl bei der zuständigen Redakteurin. Er erkundigte sich eingehend nach dem Wissensstand zu JP-8 und bedauerte, dass er nicht selber aktiv werden kann, da er der militärischen Schweigepflicht unterliegt. Er beendete das Gespräch mit den Worten: „Nicht nur ich, sondern etliche meiner Medizinerkollegen warten seit nunmehr über 10 Jahren sehnlichst darauf, dass diese Bombe endlich hochgeht.“ Dass Landstuhler Militärärzte im Jahr 2001 von „10 Jahren“ sprechen, dürfte kein Zufall sein, denn das war ungefähr die Zeit, als JP-8 mit dem 1. Golfkrieg beim US-Militär umfassend eingeführt wurde.

Vereinzelt war JP-8 schon in den 80er Jahren im Einsatz: Es wurde an einigen Orten erprobt und war zum Beispiel der Treibstoff, mit dem die »A 10 Thunderbolt« der US-Airforce betankt war, die am 8.12.1988 in die Innenstadt von Remscheid stürzte.2 In der Nähe der Absturzstelle gibt es seitdem einige schwer MCS-Kranke, zu denen ich regelmäßigen Kontakt habe. Über sie erfuhr ich auch, dass Augenzeugen der Katastrophe aufgefallen war, dass das Flugzeug nicht direkt nach dem Aufprall explodierte. Das ist vor dem Hintergrund der nachfolgenden Informationen nachvollziehbar.

JP-8 weist einige Besonderheiten auf, die ihn von anderen Treibstoffen deutlich unterscheiden:

  • JP-8 ist für alle militärischen Motoren geeignet, d.h. vom Feldkocher über Panzer bis hin zum Kampf- und Transportflugzeug. Sinn der Sache ist, dass das Militär, wenn es fernab jeglicher westlicher Infrastruktur als Eingreiftruppe landet, all seine Gerätschaften problemlos aus einem einzigen Tank versorgen kann.
  • JP-8 ist jederzeit unter allen klimatischen Bedingungen einsatzbereit. Theoretisch kann das Militär seinen Einsatz in einem tropischen Land unterbrechen, um umgehend in der Arktis einzugreifen. Mit JP-8 gibt es weder Probleme im extremen oberen noch im extremen unteren Temperaturbereich.
  • JP-8 wurde auch aus Sicherheitsgründen entwickelt und ist explosionsgehemmt: Es hat einen höheren Flammpunkt, ist weniger leicht brennbar und erhöht somit die Sicherheit für Piloten und Soldaten.3

In meinem Buch stellte ich die Theorie auf, dass es sich bei den typischen MCS- und GKS-Symptomen immer vor allem um eine klassische 1,2-Dibromethan-Vergiftungssymptomatik handelt. Bürgerinitiativen an Militärstandorten griffen diese Fragestellungen auf, und brachten Anfragen an Bundestag und Landtage auf den Weg.4 Die Antworten waren ernüchternd: JP-8 sei bis auf 0,02% Vol. identisch mit dem Treibstoff Jet A 1, wie ihn z.B. die Lufthansa benutzt, hieß es zum Beispiel. Da stellt sich allerdings die Frage, warum zivile Luftfahrtgesellschaften, wie Lufthansa und KLM, aufgrund der bestehenden Unterschiede kein Interesse an JP-8 haben.

Auch wird immer wieder betont, dass es barer Unsinn sei, in einem Treibstoff, mit dem auch Flugzeuge mit Düsenantrieb geflogen werden, Blei zu vermuten und den Einsatz von halogenierten Kohlenwasserstoffen wie 1,2-Dibromethan (EDB) zu unterstellen. Einige Fachleute behaupteten, dass der Militärtreibstoff auf gar keinen Fall verbleit sei und die Additivierung mit halogenierten Kohlenwasserstoffen allein deshalb auch keinen Sinn mache.

Inzwischen gibt es aber eine Reihe weiterer Fakten, die belegen, dass sowohl Blei als auch halogenierte Flammschutzmittel – wie 1,2-Dibromethan – im Spiel sind und das sogar in hohem Maße.

Im medizinischen Gutachten, das der Genehmigung des Ausbaus der US-Airbase Spangdahlem zugrunde liegt, findet sich die bemerkenswerte Information, dass es bei der Verlegung von 11 Großraumflugzeugen von der US-Airbase Frankfurt zur US-Airbase Spangdahlem zu einer Zunahme der Bleiemissionen um 72,8 % käme.5 Als die lokale Presse nachhakte, wurde seitens des US-Militärs behauptet, ein falscher Treibstoff läge den Berechnungen der Gutachter zugrunde. Wie das, wenn es doch nur einen einzigen Treibstoff – nämlich JP-8 – gibt? Angeblich wurde die Studie bleifrei neu gerechnet, doch ist die korrigierte Version des Gutachtens bisher – selbst nach mehrmaliger Anforderung durch die Einwender gegen die Flugplatzerweiterung – von keinem gesehen worden und nach letzten Informationen existiert sie auch gar nicht.

Den Verdacht, JP-8 könne verbleit sein, erhärten auch die Bleiwerte, die vor einigen Jahren im Umfeld der Einflugschneise des NATO-Flugplatzes Geilenkirchen (bekannt als AWACS-Standort) gemessen wurden.6 Der Mittelwert von Blei (Schwebstaub in der Luft) ist 32,54 ng/m. Der zweite für Blei angegebene Mittelwert lautet 765,9 mg/kg. Auf meine wiederholte Frage, wie dieser Wert zustande kam und welche Art von Materialien untersucht wurden, teilte mir der Leiter der Studie am Telefon mit, dass der ng/m Wert in mg/kg umgerechnet worden sei. Es sei aber auch möglich, dass Analysen von Bodenmaterial, Wasser und Schlamm vorgenommen wurden. Es läge so lange (ca. 3-4 Jahre) zurück, er könne sich nicht erinnern, sein Kollege werde zurückrufen. Auf diesen Anruf warte ich trotz zweifacher Zusage immer noch. Anlass für die Studie war übrigens die Häufung von Leukämiefällen bei Kindern und JP-8 gilt als Leukämie-Verursacher. Am Messpunkt Schneise (laut Bürgerinitiative Einflugschneise) wurde ein maximaler Wert von 1767 mg/kg gemessen. Das ist ein Vielfaches der durchschnittlichen Bleibelastung in Böden. In Schleswig-Holstein liegt z. B. Bleibelastung bei 30-40 mg/kg. Für einen Fachmann, den ich gelegentlich zu Rat ziehe, sind die Bleiwerte von Geilenkirchen ein »alter Hut«. Nach seinen Aussagen kommen sie einwandfrei vom militärischen Treibstoff, denn alle Schwerstlastmotoren, inkl. Transport- und Tankflugzeuge mit Turboprop-Antrieb, benutzten verbleiten Treibstoff.

Das deckt sich mit den Informationen von Militärpiloten auf der »Internationalen Luftfahrtausstellung« ILA 2002 in Berlin. Hier meine laienhafte Wiedergabe: Um die Leistung der Flugzeuge zu verbessern, würde das Gemisch aus Treibstoff und Luft verdichtet, so dass ein höherer Druck entstünde. Der habe vor ca. 10-12 Jahren ca. 11bar betragen, heute läge er bei 25bar. Da es bei 20bar im Motor zu brennen anfange, müsse man verbleien. Alle Flugzeuge, die Schwerstlasten transportieren und alle Tankflugzeuge seien verbleit.

Allein im Zusammenhang mit der Verbleiung von einem Treibstoff ist eine Additivierung von 1,2-Dibrom- und/oder 1,2-Dichlorethan zwingend notwendig. Beide Stoffe sind aber sowohl in Deutschland als auch in den USA verboten.

Aber mit der Additivierung von halogenierten Kohlenwasserstoffen hat man noch ein militärisches Problem gelöst. Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau hat ein schwedisches Forschungsinstitut herausgefunden, dass es während des Golfkrieges 1991 gängige Praxis war, pro Tankfüllung 25 kg Halone zuzusetzen, um die Explosionsgefahr herabzusetzen für den Fall, dass das Flugzeug von feindlichem Feuer getroffen würde. Insgesamt rechnet man damit, dass während dieses Krieges mindestens 3.000 Tonnen Halone eingesetzt wurden. Soweit den schwedischen Forschern bekannt ist, ist diese Anwendung von Halogen auch heute Standard.7

Im Römpp, dem über alle Zweifel erhabenen Chemie-Fachlexikon, steht, dass der Begriff Halon sich zusammensetzt aus dem englischen Begriff »halogenated hydrocarbon« und die Kurzform ist für Halogenkohlen(wasser)stoffe, die als Feuerlöschmittel Verwendung finden.8 Sicherheitshalber und um als chemischer Laie nicht sofort von der Fachwelt verrissen zu werden, fragte ich beim Umweltbundesamt, im Fachbereich Toxikologie einer deutschen Universität und in einem renommierten chemischen Analyseinstitut nach: 1,2-Dibromethan ist auf jeden Fall und ohne Zweifel ein Halon.

1,2- Dibromethan war unserem zivilen verbleiten Treibstoff mit 0,01 % beigemischt und galt in dieser geringen Konzentration schon als höchst problematisch. Darum wurde es verboten. Rechnet man die Menge von 25 kg Halon auf die Tankfüllung von Kampfflugzeugen um, die eine Tankkapazität von ca. 400 bis 1200 kg haben, so kommt man auf eine Additivierung in Höhe von ca. 2-5 Prozent. Als ich vor einigen Jahren beiläufig erfuhr, dass dem Treibstoff JP-8 halogenierte Kohlenwasserstoffe in Höhe von 5 % zugesetzt wären, kommentierte das ein bekannter Toxikologe mit den Worten: „Dann gnade uns Gott, dann haben wir aber ein Riesenproblem!“ Es ist schon unglaublich: Wir Zivilisten kaufen uns FCKW-freie Kühlschränke, haben unsere Halon haltigen Feuerlöscher fachgerecht entsorgen lassen und das Militär kippt diese Stoffe eimerweise in die Atmosphäre!

Die Beurteilung, JP-8 sei nahezu identisch mit Jet A 1, kann man einigen unter den Fachleuten vielleicht nicht einmal zum Vorwurf machen. Bisher wurden die JP-8-Proben, die analysiert wurden, immer aus dem Tanklager oder aus der frisch betankten Maschine gezogen. Mir liegen aber Informationen vor, nachdenen in US-Flugzeugen – je nach Bedarf – die Additivierung erst nach dem Tankvorgang stattfindet. Die Frage muss also neu gestellt werden: Nicht „was ist im JP-8 drin“, sondern „was wird wo, wann und wie additiviert“ !

Auch wenn die Kriegsgebiete weit von den MCS-Kranken in Deutschland entfernt liegen, zahlreiche Kampfflugzeuge sind hier gestartet und gelandet, z.B. in Spangdahlem. Also müssen dort auch Aditive gelagert und an Bord gekommen sein. Ein weiterer uns Zivilisten betreffender Aspekt ist die Betankung von Militärflugzeugen in der Luft, die über unseren Köpfen regelmäßig trainiert wird. Schließlich hat die US-Airforce in der Anfangsphase der Luftbetankung viele Flugzeuge und Soldaten durch Explosionen während des Tankvorgangs verloren.

Auch Praktiken auf Panzerübungsplätzen betreffen uns Zivilisten, zumindest wenn man am Rande einer solchen Einrichtung lebt. Von einem US-Veteranen weiß ich, dass er nach einer der schwersten Panzerschlachten des 1. Golfkrieges an GKS erkrankte.9 In seinem Buch führt er aus, dass der Geruch der Schlacht nicht – wie von ihm erwartet – Pulver war, sondern Diesel (also JP-8, der alleinige Treibstoff). Die US-Army hat ihre Panzer im Kampf vernebelt, damit sollte der Panzer für den Feind schwerer erkennbar werden. Diese Art der Vernebelung wird auch auf den Panzerübungsplätzen bei uns trainiert. Dass Panzer im Kampf und während der Übungen durch einen explosionsgehemmten Treibstoff besser geschützt sind, liegt auf der Hand.

Und nach noch etwas muss im JP-8 gesucht werden: Nach dem Medium, das dafür sorgt, dass nach dem Betankungsvorgang die Additive sofort und vollständig im JP-8 verteilt werden. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um ein Fluortensid namens PFOS (Perfluoroktansulfonsäure) handelt. Ein Chemiker machte mich darauf aufmerksam, dass 1,2-Dibromethan allein nicht ausreiche, um MCS zu verursachen, dazu bräuchte es noch eine stabile Traägersubstanz, wie z.B. hochproblematische, biologisch nicht abbaubare Fluortenside.10 In der Zeitschrift für Umweltmedizin entdeckte ich dann eine kleine Meldung über PFOS, das aus scheinbar unerfindlichen Gründen überall gefunden wird und von den USA inzwischen im Zivilbereich still und leise aus dem Verkehr gezogen wurde.11 Da sich PFOS hauptsächlich in Blut und Leber anreichert, ließ ich mein Blut auf PFOS untersuchen. Gleichzeitig wurde auch nach einem zweiten Fluortensid namens PFOA (Perfluoroktansäure) gesehen. Ich hatte beides im Blut und wandte mich zwecks weiterer Informationen an Fachleute in der deutschen Fluorchemie. Mein Gesprächspartner fragte entsetzt, wo ich denn um Gottes Willen gearbeitet hätte und wie PFOS in mein Blut gelangen konnte.

PFOS ist äußerst reaktiv und wird ideal über das Wasser verteilt. So könnte erklärt werden, warum auch in Gebieten, die nicht unmittelbar neben Militäreinrichtungen oder an NATO-Pipelines liegen, MCS auftritt.

Aus meinem MCS-Bekanntenkreis haben sich 15 Betroffene auf PFOA und PFOS untersuchen lassen. Alle MCS-Kranken waren positiv. Allerdings hatten wir auch eine Ausnahme: Ein Gesunder hatte ebenfalls PFOA und PFOS im Blut. Der Umweltmediziner Rainer Pliess aus dem unterfränkischen Sulzheim hat ca. 40 seiner Patienten auf PFOA und PFOS untersuchen lassen. Bei etwa der Häfte der Patienten wurde nichts im Blut gefunden, es waren alles Patienten, die aufgrund relativ einfacher Allergien in seine Praxis gekommen waren, die z.B. auf Erdbeeren oder Tomaten reagierten. Die andere Hälfte der Patienten, in deren Blut PFOA und PFOS gefunden wurde, waren alles schwerkranke MCS-Fälle mit der bekannten dubiosen Mehrfachsymptomatik. Derselbe Arzt hat im Laufe der letzten Jahre knapp 3.000 seiner umweltkranken Patienten auf Blei untersuchen lassen. Alle waren hoch belastet.

Wie früher mit JP-8 und 1,2-Dibromethan schritt ich auch bei PFOA und PFOS zum Selbstversuch. Ich organisierte mir eine kleine Menge der Substanzen, um mir daraus homöopathische Medikamente herstellen zu lassen. Beide Substanzen waren getrennt in Glasröhrchen und noch einmal in Plastikröhrchen verpackt. Ich wollte sehen, wie die Substanzen aussahen und öffnete nur die Plastikröhrchen. Mit dem PFOA hatt ich keine Probleme. Das PFOS indes haute mich buchstäblich um: Bei 36 °C im vergangenen August bekam ich sofort Schüttelfrost, der ca. 5 Stunden intensiv anhielt, ich wurde kreidebleich und meine Pupillen weiteten sich so, dass keine Iris mehr zu sehen war. Diese Symptome waren mir vertraut, ich fühlte mich, als hätte man mich zurück in das fränkische Dorf katapultiert, indem ich MCS-krank geworden bin.

Wer mit MCS/GKS zu tun hat, sollte meines Erachtens auf Belastungen durch Blei (Bleitetraethyl, das giftig ist wie ein Nervenkampfstoff) und Brom (1,2-Dibromethan) sowie PFOA und vor allem PFOS untersucht werden. Offenbar sind es die Tenside, die Haut und Schleimhaut durchdringen und verletzten und die als Verstärker und Transporteure für Fremdchemikalien im Blut ihre fatale Rolle spielen.

Wenn man MCS/GKS so behandeln will, dass – wie in meinem Fall – ein fast ganz normales Alltagsleben wieder möglich ist, muss man die Krankheit verstanden haben. Dazu sind m.E. die obigen Informationen unerlässlich.

Und wenn man verhindern will, dass sich MCS noch weiter ausbreitet, muss man sich mit meinen Fragestellungen auseinandersetzen, schließlich ist es erklärtes Ziel des US-Militärs, den Treibstoff JP-8 bis zum Jahre 2010 weltweit kommerziell verfügbar zu machen: „Most of all, the single fuel must be commercially available world wide. This is of vital importance to a force projection army.“12

Fazit: Die dargestellten neuen Informationen bestätigen meine Hypothese, dass Stoffe wie Blei und 1,2-Dibromethan für die Krankheiten MCS und GKS verantwortlich sind und dass ihnen gefährliche Fluortenside wie PFOS als Hilfsmittel dienen. Zu den in meinem Buch bereits dargestellten Zusammenhängen sind in einem solchen Maße neue Informationen hinzugekommen, dass die Lücke des Zweifels, dass Blei und Stoffe wie 1,2-Dibromethan im NATO-Treibstoff JP-8 enthalten sind, geschlossen werden kann.

Anmerkungen

1) Hahn, Marion: Umweltkrank durch NATO-Treibstoff? Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS) und Militär-Emissionen, Heidelberg, PVH 2001.

2) Bundesminister der Verteidigung, Staatssekretär: An Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Staatssekretärin Christiane Friedrich sowie an den Oberbürgermeister der Stadt Remscheid und die Fraktionen von B9O/Die Grünen, CDU, FDP und SPD in den Gremien der Stadt Remscheid, 1402872-V07 vom 20.2.02, S. 3.

3) Air Force Times 18.1.1999.

4) Ulrike Höfken (MdB, B 90/Die Grünen): Pressemitteilung vom 18.11.2002, Überprüfung der gesundheitlichen Risiken durch Flugzeug Treibstoff JP-8 dringend erforderlich. Die Antworten auf die von Frau Höfken gestellten Fragen wurden von der WV IV vertraulich gegeben; Klaus Rüter (Chef der Staatskanzlei, Landesregierung Rheinland-Pfalz): Seine Antworten zu Fragen von Monika Fink (MdL) im Gemeindeblatt der Gemeinde Speicher/Herforst, Ausgabe 3/2003, S. 5; Kreisverwaltung Landkreis Ostprignitz-Ruppin, Umweltamt – Untere Wasserbehörde: Flugbenzin JP-8, AZ eng-06015, Schreiben 6720/eng-3325 vom 8.11.02 an Normen Kruschat (Bürgerinitiative FREIe HEIDe gegen die Einrichtung von Europas größtem Bombenabwurf-Übungsgelände bei Wittstock).

5) Scheuch, K. und G. Jansen: Medizinisches Gutachten über die Auswirkungen des Flug- und Bodenlärms sowie der Schadstoffimmissionen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für den militärischen Flugplatz Spangdahlem im Zusammenhang mit der Verlegung von Streitkräften an diesen Flugplatz. Auftraggeber: Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung, Staatsbauamt/LBB-Niederlassung Trier, 6.9.2001, Zusammenfassung S. 7.

6) Goldschmidt E. et al: Untersuchungsprogramm Interreg I, Messung luftgetragener Schadstoffe im Bereich Schinveld, Teveren, Geilenkirchen. Chemisches und Lebensmitteluntersuchungsamt der Stadt Aachen, ohne Datum, S. 84 ff, Anhang S. A 9 ff.

7) Raffalski, Uwe: Cold Lab AB, Kiruna (Schweden): Dunkelheit in der Mitte des Tages. Brennende Ölquellen, verschmutztes Trinkwasser und giftiger Militärschrott. Uwe Raffalski über die zu erwartenden Umweltschäden im Irak-Krieg. Frankfurter Rundschau Nr. 72, 26.3.03, S. 7.

8) Halone in CD Römpp Chemie-Lexikon, Version 1.0, Stuttgart/New York: Thieme Verlag 1995.

9) Kuhn, Steven E. und Frank Nordhausen: Soldat im Golfkrieg. Vom Kämpfer zum Zweifler. Berlin: Ch. Links Verlag 2003, S. 75.

10) Stürmer, Hans-Dieter: Ölbekämpfung mit Tensiden in Gewässern. 2003, www.LTWS.de (UBA)

11) Zeitschrift für Umweltmedizin: Warnung vor neuer Stoffgruppe, Hamburg, 10. Jg., Heft 2/2002, S. 62.

12) Brown, Scott A. et al: A Single Fuel for the Battlefield, http://www.auartermaster.army.mil/oqmg…1_1977/Autumn/singlefuel.html

Marion Hahn hat Ethnologie, Psychologie und Philosophie studiert. Sie ist 1989/90 im fränkischen Westheim an MCS (Multiple Chemikalien-Sensitivität) erkrankt und forscht seitdem nach den Ursachen dieser Krankheit.

Ökologie & Frieden in krisenträchtigen Regionen

Ökologie & Frieden in krisenträchtigen Regionen

Der Beitrag der Wirtschaft

von Paul Schäfer

Unter diesem Titel hat die Evangelische Akademie Loccum sich erstmals mit der Rolle der Wirtschaft bei der Entstehung, der Eskalation, aber auch der Regulierung bzw. Vorbeugung von gewaltförmigen Konflikten beschäftigt. Damit hat die Akademie die positive Tradition fortgesetzt, neue Themen aufzugreifen und Richtungen der öffentlichen Debatte mitzuprägen. Eine weitere Stärke der Akademie: Bei der Bearbeitung der neuen Fragen Kontrahenten unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Positionen zusammen zu bringen. Gerade in den Bereichen Frieden, Sicherheit, Umwelt, Entwicklung hat Loccum in der Vergangenheit spannende Debatten organisiert (Ost – West, Friedensbewegung – Bundeswehr etc.). Diese Konferenz hat Vertreter aus multinationalen Unternehmen, Ministerien, internationaler Einrichtungen und Engagierte aus der Umwelt- , Entwicklungs- und Friedenspolitik zusammengeführt.

Erstmalig vorgestellt wurden zwei Studien: Die eine befasst sich mit dem Zusammenhang der (illegalen) Ausplünderung des Tropenwaldes mit dem gewaltförmigen Austrag von Konflikten – am Beispiel Indonesiens. Durchgeführt wurde sie vom Adelphi Research Institut in Berlin, gefördert durch InWent, eine verhältnismäßig neue, dem BMZ eng verbundene Einrichtung, die u.a. die frühere Carl-Duisberg-Gesellschaft ablöste und die sich als bildungs- bzw. ausbildungspolitische Säule der Entwicklungspolitik versteht. Studie: Etwa ein Viertel der bewaffneten Konflikte heutzutage steht nach Einschätzung des Adelphi-Forschers Dr. Carius mit dem Kampf um die Ressource Holz/Wald in einem ursächlichen Zusammenhang. Daher erscheint es überfällig, sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen. Zündstoff bekam die Tagung an dieser Stelle auch dadurch, dass sich eine Reihe von NGO- und Wissenschaftsvertretern aus betroffenen Regionen (Indonesien, Philippinen, aber auch Vietnam) beteiligte und in Verbindung mit weiteren »Repräsentanten des Südens« aus Afrika und Lateinamerika andere Perspektiven auf die Problemlagen eröffneten. Während der »Norden« dazu neigt, sich mehr auf die lokalen und regionalen Akteure zu beziehen, die durch Korruption und Gewalt ihre Anteile an der Ausplünderung der Natur usurpieren, richtete »der Süden« den Fokus eher auf die Nachfrager nach solchen Gütern, wie Tropenholz, auf die in den industriellen Zentren involvierten Unternehmen, auf Schuldenkrise und unzureichende Entwicklungshilfe. Es ist zu hoffen, dass sich daraus ein fortgesetzter Dialog entwickelt, denn weder einseitige Schuldzuweisungen noch paternalistisch anmutende Vorschläge über »good governance« in den Entwicklungsländern (so wichtig Regelungen gegen Korruption und über gute Regierungsführung sind) werden weiterhelfen.

In der zweiten Studie, unter dem Titel »In Stabilität investieren«, wurde in grundsätzlicher Weise der Frage nachgegangen, wie die Finanzwelt (Versicherungen, Banken, Investmentfonds) zur Befriedung und nachhaltigen Entwicklung in gefährdeten Regionen beitragen kann. Diese Forschungsarbeit entstand im Rahmen der »Finance Initiative« des UN-Entwicklungsprogramms (UNEP, Genf). Mareijke Hussels (UNEP FI) stellte die Eingangsfrage: Wann tritt Gewalt auf? Ihre Antwort: In Zeiten raschen Wandels, der mit verschärftem Wettbewerb um Ressourcen, Identitäten, Ideologie und Macht einhergeht. Die Studie der UNEP macht klar, wie wichtig »Conflict Analysis, Risk assessment und -management« gerade für die international agierende Geschäftswelt ist. Sie versucht zugleich die Vorteile herauszuarbeiten, die es für den Finanzsektor hat, wenn er sich in Verbindung mit der Staatenwelt und der Zivilgesellschaft um Konfliktprävention, um Standards des angemessenen Verhaltens in Konfliktfällen und um »investment in post-conflict-builduing« bemüht. Vertreter der Finanzwirtschaft merkten in der Debatte an, dass noch deutlicher zwischen verschiedenen Konflikttypen und Akteuren unterschieden werden müsse und die Rolle solcher Finanzinstitutionen wie »ranking-agencies« in die Untersuchung einbezogen werden müsse. Außerdem sollten die Realitäten »on the ground« mehr Beachtung finden. Warum bspw. sollte sich die Wirtschaft in Afghanistan eingedenk der schwierigen Lage engagieren? Schließlich: Der Finanzsektor könne Kriege zwar nicht verhindern, aber in einigen Fällen durch Information und die Herstellung von Transparenz die Staatengemeinschaft zum frühzeitigen Eingreifen in Krisenfällen bringen. Denn diese Einrichtungen verfügten oft über mehr Kenntnisse über Krisenregionen als die Geheimdienste oder die diplomatischen Vertretungen der verschiedenen Länder.

Am Beginn der Tagung hatte Dr. Armbruster vom BuMin für Entwicklungszusammenarbeit bereits einen weiten Bogen über die heutige Problemlage gespannt, für einen erweiterten Sicherheitsbegriff plädiert und ausgeführt, dass Frieden und strukturelle Stabilität im Interesse der Wirtschaft läge. Er ließ allerdings auch keinen Zweifel daran, dass es auch Geschäftemacherei gäbe, die sich über soziale Folgen hinwegsetze und sogar zur Verschärfung von Konflikten beitragen könne. Namentlich erwähnte er Waffenlieferungen, die Firmen, die an der Rohstoffausbeutung im Kongo verdienen wollten und Ölkonzerne, die auf den Bau der Baku-Ceyhan-Pipeline (Aserbeidshan, Georgien, Türkei/Kurdistan) gedrängt hätten.

Es ist evident, dass die Frage der Ökonomie durch die Globalisierungsprozesse neue Brisanz erlangt hat. AutorInnen sprechen von der Privatisierung der Weltpolitik. Der Begriff hat verschiedene Facetten. Er zielt auf die Machtverschiebungen zwischen transnationalen Konzernen und den Einzelstaaten – zu Gunsten Ersterer – ab, hat aber auch auf die galoppierende Erosion staatlicher Strukturen in den besonders konfliktträchtigen Regionen, in denen private Akteure (etwa Warlords) eine prominente Rolle spielen, im Visier. Dass Geschäftsbelange von Privatunternehmen und gewaltförmige Konflikte etwas miteinander zu tun haben könnten, wurde in Loccum intensiver am Beispiel der Ausplünderung wertvoller Rohstoffvorkommen in der Demokratischen Republik Kongo thematisiert. In Studien der Vereinten Nationen wurden Ross und Reiter genannt. Auch Untersuchungen der Weltbank haben sich dieses Themas angenommen und Kritisches zutage gefördert. Doch bleibt die Frage, ob es hier lediglich um »Schwarze Schafe« geht oder ob sich Skrupellosigkeit und Gewinnsucht nicht strukturbedingt verbinden. Und es bleibt die Frage, ob die vom Chefankläger des ISGH angestrebte Strafverfolgung der beteiligten Unternehmen auf Basis der bestehenden Rechtslage überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.

Dass Privatunternehmen im Zuge der Globalisierung eine immer wichtigere Rolle spielen, ist also unverkennbar. Es bleiben dennoch viele Fragen offen:

  • Inwieweit sind die Vertreter der »global players« in ihren unternehmerischen Planungen und Strategien von Destabilisierungsprozessen in den Ländern betroffen und wenn ja, wie reagieren sie darauf?
  • Welche Relevanz haben die inzwischen weit verbreiteten »Standards for Sustainability«, denen sich die Unternehmen verpflichtet fühlen, wenn sich Widersprüche aus kurzfristigem wirtschaftlichem Nutzen und ökologischen/sozialen/politischen Folgen ergeben?
  • Verstehen sich die Wirtschaftseliten als auch politische Akteure oder als reine Geschäftsleute? Welche Bewusstseins- und Einstellungsveränderungen ergeben sich aus den gegenwärtigen Globalisierungsprozessen?
  • Von welchen Vorstellungen der internationalen und regionalen Konfliktregulierung lassen sie sich dabei leiten?

Noch scheint nicht ausgemacht, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Schlagzeilen macht regelmäßig das Weltwirtschaftsforum in Davos, das nach eigenem Anspruch die global engagierten Unternehmensvertreter mit Entscheidungsträgern der Politik zusammenführen und zukunftsfähige Konzepte für nachhaltige globale Entwicklung erarbeiten will. Offenkundig wird hier der Anspruch formuliert, global mitgestaltend wirken zu wollen. Andererseits wurden gerade bei der Loccumer Tagung die Vertreter der Geschäftswelt nicht müde zu betonen, dass Privatunternehmen weder über die Instrumente noch über die Legitimation verfügten, um die heutigen Probleme des globalen Überlebens zu lösen. Eine andere Frage, die im Raum steht, lautet: Geht es bei solchen Veranstaltungen wie dem Weltwirtschaftsforum, aber auch Symposien und Broschüren der einzelnen Firmen über Nachhaltigkeit und Konfliktbearbeitung, um mehr als PR-Kampagnen der in die Kritik geratenen »Geschäftswelt«? Oder hat in diesen Kreisen ein Umdenkungsprozess eingesetzt, weil die Problemlage das verlangt? Kann man davon ausgehen, dass, wie es im Konzept des »Global Compact« des VN-Generalsekretärs Kofi Annan angestrebt wird, die Unternehmen bereits wichtige Partner im Rahmen globaler Krisenbewältigungsstrategien sind, oder dass sie dafür noch gewonnen werden müssen?

Die Debatten in Loccum jedenfalls haben die Ambivalenzen und Widersprüche der heutigen Entwicklung offengelegt. Die Vertreter der Energiewirtschaft konnten einigermaßen plausibel zeigen, dass ihre Investitionen langfristiger Natur sind und sie daher ein hohes Interesse an Frieden und Stabilität haben müssen. Den kritischen Nachfragen nach ihrer Rolle in solchen Konfliktregionen wie Kolumbien, Nigeria oder Indonesien wichen sie eher aus und verwiesen auf ihre Investitionen in soziale Projekte vor Ort. Die Frage, ob es für Privatfirmen ggf. auch »No Go Areas« geben könnte, weil ein bestimmtes Geschäft umweltunverträglich und konfliktfördernd sein könnte, stellt sich auf den Chefetagen dieser Unternehmen derzeit nicht. Hier ist noch viel Diskussionsbedarf.

Das gilt auch für die Erarbeitung umfassender und zugleich möglichst konkreter Konzepte, die allen Beteiligten »Win-Win-Optionen« eröffnen können. In diesem Rahmen wären auch die spezifischen Beiträge der verschiedenen Akteure – Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft – noch genauer herauszuarbeiten. In dieser Hinsicht wurde in Loccum ein Anfang gemacht, der eine Fortsetzung verlangt.

Wo war die Friedenscommunity?

Interessant ist der Blick in die TeilnehmerInnen-Liste der Loccumer Tagung: Der Diskussion stellten sich Vertreter der großen Erdölkonzerne (BP und SHELL), der Versicherungsbranche (Gerling), der Chemie-Unternehmen (BASF). Könnte es sein, dass v.a. die Branchen reagieren müssen, die im besonderen Maße im Rampenlicht öffentlicher Kritik stehen oder die am direktesten von den Chaotisierungsprozessen in den Entwicklungsregionen betroffen sind? Ansonsten blieb die Resonanz in der Wirtschaft eher spärlich.

Vertreten waren Repräsentanten des UN-Entwicklungsprogramms (UNEP), des UN-Instituts für Abrüstungsforschung, des »World Business Council for Sustainable Development«, des BMZ und des Umweltministeriums, InWent, schließlich eine größere Anzahl von Menschen aus der NGO-Szene , ob aus dem internationalen Bereich wie »International Alert« oder »Transparency International«, oder aus nationalen Zusammenhängen wie »Germanwatch«, »Robin Wood« etc. Es fällt auf, dass in hohem Maße Repräsentanten der Entwicklungs- und Umweltpolitik vertreten waren, aus der Friedenspolitik im engeren Sinne bis auf drei Ausnahmen niemand. Offenkundig ist der Anfang der neunziger Jahre formulierte Anspruch, dass man Entwicklungs-, Regional- und Friedensforschung stärker zusammen bringen müsse, noch uneingelöst. Das gilt auch für die bewegungsorientierten Gruppen der EZ einerseits, der Friedensbewegung andererseits. Dass Friedens- und Entwicklungspolitik und Globalisierungskritik zusammen gehören, ist bislang eher programmatischer Vorsatz. Die Realisierung steht noch aus.

Paul Schäfer ist W&F- Redakteur

Kein Frieden auf dem Erdgipfel?

Kein Frieden auf dem Erdgipfel?

USA bereiten sich auf einen nachhaltigen Krieg vor

von Jürgen Scheffran

Im Juni 1992 trafen sich in Rio de Janeiro Tausende Vertreter von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen zum »Erdgipfel« für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UN Conference on Environment and Development, UNCED). Viele fuhren mit großem Enthusiasmus und hohen Erwartungen nach Rio, kamen jedoch meist ernüchtert wieder. Zu groß waren die Divergenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, zu stark die Widerstände etablierter Interessen und Machtstrukturen, zu offenkundig die Abneigung der US-Regierung unter George Bush (sen.) gegen Einschränkungen des Wirtschaftswachstums und der politischen Handlungsfreiheit der USA. Angesichts dieser Konfliktlage verwundert es nicht, dass viele Kompromissformeln unverbindlich und vage blieben, und konkrete Entscheidungen in die Zukunft verschoben wurden. Dennoch war im Nachhinein UNCED 1992 eines der wichtigsten internationalen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Letztlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass die globalen Umweltprobleme alle Nationen dieses Planeten bedrohen und somit nur gemeinsam und kooperativ lösbar sind. In wenigen Wochen startet in Johannesburg der nächste Gipfel, von vielen Rio+10 genannt. Jürgen Scheffran zu dem Erreichten und Nichterreichten, zu den Problemen und Chancen.
176 Staaten einigten sich in Rio auf das gemeinsame Leitbild der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development), das Lösungen für die brennenden ökologischen und sozialen Probleme der Erde in Aussicht stellte. Ohne Rio hätte es keine Erdcharta gegeben, keine globale und lokale Agenda 21, keine Biodiversitätskonvention und auch keine Klimarahmenkonvention, nebst Kyoto-Protokoll. Diese Abkommen gelten bis heute als Eckpfeiler der internationalen Umweltpolitik. Ein wichtiger Schritt zur Institutionalisierung war die Gründung der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD), die im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) angesiedelt ist und die Umsetzung des globalen Aktionsprogramms der Agenda 21 überwachen und vorantreiben soll.

Der Rio-Prozess

Das Ergebnis von Rio war ein hart erkämpfter und zerbrechlicher Kompromiss, der Nord und Süd Zugeständnisse machte. So wurden dem Süden Wachstumsspielräume zugebilligt, ohne Verpflichtungen in der Klimapolitik übernehmen zu müssen. Der Norden bekannte sich erstmalig zu seiner Verantwortung als Hauptverursacher der globalen Umweltzerstörung und stimmte grundsätzlich einem Transfer von Technologien und Finanzmitteln zu. Die Agenda 21 richtet sich nicht nur an Regierungen, sondern gerade auch an die Zivilgesellschaft, die ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten soll.1

Wichtiger noch als der Erdgipfel war der daraus hervorgehende Nachfolgeprozess, allen voran die Serie internationaler Konferenzen, auf denen das Spektrum von Umwelt und Entwicklung abgearbeitet und neue internationale Umweltverträge abgeschlossen wurden, wie die Wüstenkonvention. Bestehende Vereinbarungen wurden durch Protokolle ergänzt, wie das Cartagena-Protokoll der Biodiversitätskonvention und das Kyoto-Protokoll der Klimarahmenkonvention. Mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 wurden erstmals konkrete Emissionsminderungen bei Treibhausgasen vereinbart, die bei der Konferenz in Bonn im Juli 2001 aber abgeschwächt wurden, um ein Scheitern zu verhindern.

Gemäß der Devise »Global denken – lokal handeln« strahlte der »Geist von Rio« auf die lokale und kommunale Ebene aus und bringt bis heute Umweltschützer, Gewerkschafter und Menschenrechtler an einen Tisch mit Unternehmern, Politikern und Kirchenvertretern, um das Konzept der Nachhaltigkeit »vor Ort« in die Tat umzusetzen. In wachsendem Maße werden Nichtregierungsorganisationen (NGO) in die Umsetzung der lokalen Agenda 21 einbezogen, nehmen teil an UNO-Konferenzen und haben die Möglichkeit, auf Entscheidungsprozesse und Verhandlungen Einfluss zu gewinnen.

Schwachpunkte und Defizite

Trotz einiger Erfolge, ist zehn Jahre nach Rio der internationale Verhandlungsprozess festgefahren. Schon die Zwischenbilanz zum fünften Jahrestag von Rio 1997 war ernüchternd. Obwohl Regierungsvertreter und NGOs in Nord und Süd die andauernde Umweltzerstörung und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich anprangerten, konnte die Sondersitzung in New York sich nicht einmal auf eine gemeinsame politische Erklärung einigen.

Im Herbst dieses Jahres steht wieder ein Erdgipfel an, der »Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung« in Johannesburg. Schon der häufig verwendete Untertitel »Rio+10« zeigt, dass es hier weniger um Durchbrüche für zukunftsweisende Konzepte und konkrete Vereinbarungen geht, als vielmehr um die Bilanzierung und Zelebrierung des bisher erreichten. Von der Aufbruchstimmung in Rio ist nichts mehr zu spüren. Nachhaltige Entwicklung bleibt ein Schlüsselwort, doch droht der Begriff zu einem Lippenbekenntnis in Positionspapieren von Staaten, Firmen und NGOs zu verkommen. Zwar gibt es eine Vielzahl von Katalogen für nachhaltige Indikatoren, es fehlen jedoch klar definierte und allgemein anerkannte Maßstäbe, wie die zugrundeliegende Zielsetzung mit Inhalt gefüllt und umgesetzt werden kann. So lässt sich der Begriff für die unterschiedlichsten Zwecke instrumentalisieren. Johannesburg droht eine Harmonieveranstaltung zu werden, auf der zwar Dialoge gepflegt werden, jedoch kein Streit.2

Dass die Debatte um Nachhaltigkeit an Ausstrahlungskraft verloren hat, ist auch selbstverursacht. Der ursprünglich ganzheitliche Ansatz, der soziale, ökologische und ökonomische Interessen ausbalancieren wollte (repräsentiert durch das »Nachhaltigkeitsdreieck«), ist durch die Aufspaltung in sektorale Einzelprozesse und den Wettstreit partikularer Interessen weitgehend verloren gegangen. Jeder kämpft in seinem Bereich und verliert das übergeordnete Ziel aus dem Auge. Die soziale und selbst die ökologische Dimension hat gegenüber der ökonomischen Dimension an Bedeutung verloren, wobei die wirtschaftlichen Aspekte oft auf »nachhaltiges Wachstum« beschränkt werden, so als sei die dem Ausdruck innewohnende Widersprüchlichkeit kein Thema mehr. Dass Entwicklung weit mehr bedeutet als ein steigendes Bruttosozialprodukt, gerät so wieder in Vergessenheit.

Dass die sozio-politische Komponente gegenüber der ökonomischen an Bedeutung verlieren konnte, ist vor allem auch eine Folge der wirtschaftlichen Globalisierung, die der politischen Internationalisierung zuwider läuft. Der Shareholder übertrumpft den Stakeholder, die einst beschworene globale Partnerschaft der Völker wird dem Konkurrenzkampf der Volkswirtschaften geopfert. Schneller als die Herausbildung einer Weltpolitik und einer Weltgesellschaft erfolgt die Herausbildung des Weltmarkts. Öffentliche Güter, allen voran die natürliche Umwelt, werden entweder privatisiert oder, wenn sie nicht genug Profit erwarten lassen, privaten Interessen geopfert. Zwar ist der Rio-Prozess noch nicht gescheitert, doch ist seine Durchsetzung erheblich schwerer geworden.

Hinzu kommt, dass im vergangenen Jahrzehnt der Zustand der Umwelt sich weiter verschlechtert hat und damit der politische Handlungsspielraum eingeengt wird. Die Trends, die das Worldwatch-Institut zur Jahrtausendwende festgestellt hat, sind beunruhigend. Verwiesen sei hier nur auf die Degradation von Wasser, Wäldern und Ackerland, die Gefährdung der Artenvielfalt und die Überfischung der Meere. Trotz verbleibender Unsicherheiten über das genaue Ausmaß des Katastrophe lassen sich die »harten« Fakten nicht einfach wegdiskutieren, wie dies der dänische Statistiker Björn Lomborg3 versucht. Auch gesellschaftliche Trends weisen in die falsche Richtung, etwa das anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung, die hohe Arbeitslosigkeit, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Konzentration ökonomischer Macht, der Einfluss der globalen Finanzmärkte und die Fundamentalisierung vieler Gesellschaften als Reaktion auf die Globalisierung.Besonders schwer wiegen die Probleme und Folgeschäden des Klimawandels für die Menschheit. In ihrem jüngsten Bericht weisen die Experten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) auf unkalkulierbare Risiken und tiefgreifende Veränderungen im Naturhaushalt der Erde hin.4 Überschwemmungen und Dürren, Wassermangel und vermehrte Waldbrände, schwindende Gletscher und Meeresspiegelanstieg, Stürme und wechselnde Ozeanströmungen sind Katastrophen, die viele Menschen betreffen. Nicht weniger schwerwiegend sind die schleichenden Veränderungen, wie Ernteausfälle, Verlust von Artenvielfalt, Zunahme von Hunger und Armut. Diese treffen vor allem Entwicklungsländer des Südens, die aufgrund ihrer naturräumlichen Bedingungen und den schlechteren Anpassungsmöglichkeiten verwundbarer gegenüber einem Temperaturanstieg sind als die Industrieländer, aber am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind.

Abrüstung und Konversion – Kein Thema auf dem Erdgipfel

Ein Thema, das in Johannesburg wohl keine Rolle spielen wird, wie seinerzeit schon in Rio, ist die Frage von Krieg und Frieden, von Militär und Sicherheit, von Terror und Gewalt, von Abrüstung und Konversion. „Was in Rio fehlt: Das Thema Militär und Umwelt“, monierte im Sommer 1992 Michael Renner vom Worldwatch-Institut in der Frankfurter Rundschau. Er beklagte, dass die enormen Kosten und Risiken des militärischen Sektors und die Chancen von Abrüstung und Rüstungskonversion für die Lösung globaler Probleme beim Erdgipfel ausgeblendet worden seien.

Dabei gab es durchaus Vorschläge, die Agenda zu erweitern. Anfang 1991 hatte ich die Gelegenheit, in New York als Berater einer Studie der UNO-Abrüstungsabteilung (Department for Disarmament Affairs) mitzuwirken, in der die Möglichkeiten und Optionen untersucht wurden, militärische Ressourcen für den Umweltschutz und zur Katastrophenhilfe einzusetzen. In Vorbereitung des Erdgipfels von Rio sollten Vorschläge erarbeitet werden, wie die erhoffte Friedensdividende aus dem Rüstungsbereich der Lösung globaler Probleme zugute kommen könne. Experten aus den USA, Russland, China, Brasilien, Ghana und Schweden stellten eine Reihe von Vorschlägen zusammen, etwa die Umwidmung von Rüstungsbudgets und Personal, von Ausrüstung und Know-How (z.B. Umgang mit toxischen und radioaktiven Stoffen), von Forschung und Entwicklung bis hin zu konkreten technischen Geräten (Computer, Fahrzeuge, Flugzeuge, Satelliten).5

Herrschte bei der Nutzung entsprechender Ressourcen aus dem Militärsektor noch weitgehende Einigkeit, so traten Divergenzen vor allem da auf, wo es um die Institutionalisierung und die Frage des Zugriffs auf natürliche Ressourcen ging. Die schwedische Botschafterin Maj Britt Theorin, die die Expertengruppe leitete, setzte sich für das Konzept einer international agierenden Grünhelmtruppe ein. Widerspruch kam von dem brasilianischen Wissenschaftler Celso Lafer (der 1992 Außenminister Brasiliens wurde), der auch die Ansicht kritisierte, den Amazonasurwald als Erbe der Menschheit zu betrachten, wohl aus der Befürchtung, den Regenwald eines Tages gegen eine internationale Intervention verteidigen zu müssen. Als Kompromissformel einigten sich die Experten auf eine Bezeichnung, die weniger militärisch klang und die Hilfsfunktion betonte (environmental relief team).

Die Ergebnisse der Expertenstudie wurden mit einiger Zeitverzögerung veröffentlicht und fanden nicht wie geplant Eingang in den Erdgipfel von Rio. Den USA und anderen Staaten war das Thema wohl zu heikel. Es hätte den Blick auf die negativen Folgen von Rüstung und Krieg für Umwelt und Entwicklung gelenkt und Hoffnungen auf eine Friedensdividende in diesem Bereich geweckt. Sicherlich mag es auch gute Gründen gegeben haben, den Erdgipfel nicht zu überfrachten und einen Minimalkonsens nicht zu gefährden. Letztlich war aber die völlige Ausblendung der Thematik ein Fehler.

Immerhin entwickelte sich aus der Initiative der UN-Abrüstungsabteilung eine Serie von internationalen Konferenzen, auf denen die Möglichkeiten für Rüstungskonversion thematisiert wurde. Ein Ausfluss der Bemühungen war die Gründung des Internationalen Bonner Konversionszentrums (BICC). Bekanntlich floss die Friedensdividende nicht in die Lösung globaler Probleme, sondern über Steuersenkungen vorwiegend in private Taschen. Zudem bekam die Debatte eine zunehmend problematische Wendung, als auf der ersten Konferenz Anfang 1992 in Bochum der damalige Umweltminister Klaus Töpfer gemeinsam mit Maj Britt Theorin das Konzept der Grünhelme öffentlich vorstellte, ohne es hinreichend gegenüber dem Militär abzugrenzen (was eine Voraussetzung für echte Konversion ist). Kritiker polemisierten folgerichtig gegen den Einsatz militärischer Operationen zum Schutz der Umwelt und befürchteten eine Ausweitung des militärischen Aufgabenbereichs.

Dass die Befürchtungen berechtigt waren, zeigte sich, als das Pentagon unter Clinton 1996 im Rahmen des Konzepts »präventiver Verteidigung« eine eigene Abteilung für Umweltsicherheit einrichtete, und somit das Militär sich Umweltaufgaben einverleibte, statt konvertiert zu werden.6 Auch in der NATO und in Deutschland wurde der Einsatz des Militärs an der Umweltfront diskutiert. Solche reaktiven Strategien dienen der Interessendurchsetzung und Risikominimierung für die ökonomisch und militärisch besser gerüsteten Staaten und verschärfen das Konfliktpotential noch.

Bushs Agenda für den nachhaltigen Krieg

Verglichen mit der Situation Anfang der neunziger Jahre, als der gerade beendete Kalte Krieg noch Hoffnung stiftete, findet der Johannesburg-Gipfel in einer völlig veränderten Weltlage statt. Sie ähnelt mehr der Situation Anfang der achtziger Jahre, als der Bericht Global 2000 des glücklosen US-Präsidenten Jimmy Carter von seinem Nachfolger Ronald Reagan in die Schublade verbannt wurde. Zwar geht es heute nicht mehr um den Existenzkampf zweier hochgerüsteter Supermächte, aber die USA unter George W. Bush (jun.) kämpfen nicht weniger verbissen gegen die Achse des Bösen. Dass einige der Feinde hausgemacht sind, interessiert dabei ebenso wenig wie das mögliche Scheitern des Rio-Prozesses und die daraus folgende Destabilisierung internationaler Sicherheit. Riskiert werden auch die potentiell riesigen Schäden durch Umweltzerstörung und Klimawandel für die USA selbst, z.B. durch die Austrocknung des Weizengürtels der USA oder die Zunahme von Überschwemmungen, Hurricans und Tornados. Folgenreich könnte auch die Ausbreitung von Seuchen in nördlichere Regionen der USA sein, was die Gesundheit oder gar das Leben von Millionen von US-Amerikanern bedrohen könnte. Hier könnte eine präventive Gefahrenabwehr weit mehr Sicherheit für die Bürger der USA bringen als der Kampf an der Front der »homeland defense« mit Militär, Geheimdiensten und Antiterrorkrieg.

Bush’s Agenda für die Welt des 21. Jahrhunderts ist nicht die eines nachhaltigen Friedens, sondern die eine „langandauernden nachhaltigen Krieges“. Die Zeitung New Europe spielt weiter mit dieser irritierenden Begrifflichkeit aus der Umweltpolitik:7 „Die Vereinigten Staaten werden ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, die NATO-Staaten unter dem Oberbefehl Amerikas zu halten, in diesem Krieg, der wahrscheinlich in mehreren Wellen ausgeführt wird und durch Elemente der Nachhaltigkeit charakterisiert wird, in dem Sinn, dass die Feinde erneuerbar sein werden und daher die Ziele in jeder Runde neu definiert werden müssen. … In einem solchen langandauernden und unbestimmten Prozess werden die „erneuerbaren“ Ziele nicht allein aufgrund krimineller terroristischer Aktivitäten gewählt, sondern auch unter Berücksichtigung politischer und finanzieller Ausgaben und des Bedarfs bestimmter Bereiche der Rüstungsindustrie. …Dieser neue Typus eines von den USA angeführten Krieges zielt darauf ab, durch eine komplizierte Abfolge von Schritten die bislang verfehlte Globalisierung auf höherem Niveau herzustellen.“

In einem solchen Krieg an allen Fronten und für alle Zeiten macht es für Bush keinen Unterschied, ob er internationale Umweltabkommen scheitern lässt, wie das Kyoto-Protokoll oder Rüstungskontrollverträge, wie den ABM-Vertrag. In beiden Fällen geht es darum, Beschränkungen der nationalen Souveränität durch das Völkerrecht abzulegen, um ungehindert agieren zu können. Dabei bedient Bush in erster Linie die Interessen seiner Klientel aus Rüstungs-, Öl- und Kernenergielobby, für die eine friedliche und nachhaltige Welt das Ende ihrer Existenz bedeuten dürfte. Ungeniert werden dabei alle Ressourcen beansprucht, die für die Sicherheit und Wirtschaft der USA wichtig sind. Nach den Terroranschlägen vom 11. September, die die Verwundbarkeit der Industriegesellschaft demonstrierten, hat in den USA das Interesse an der Ressourcensicherung gegenüber diversen Bedrohungen deutlich zugenommen.8 Sicherheits-, Umwelt- und Energiepolitik verschmelzen so zu einer seltsamen Gemengelage. In diesem Zusammenhang kann auch der Antiterrorkrieg der USA gegen Afghanistan gesehen werden, gegen ein Land an der Schnittstelle von Südasien, Zentralasien und Nahost, in einer Region mit den weltweit größten Ressourcen fossiler Energie.

Auch für Russland ist der »Antiterrorkrieg« in Tschetschenien eine willkommene Gelegenheit, sich mit Gewalt den Zugriff auf die Ölressourcen der Region zu sichern. Die geschätzten Ölreserven liegen bei 17,5 – 34 Mio. Barrel, vergleichbar zu denen der USA (22 Mio.) und der Nordsee (17 Mio.). Die natürlichen Gasreserven sind sogar noch größer. Die Tatsache, dass der »weiche Unterleib« der ehemaligen Sowjetunion reich an energetischen und teilweise auch mineralischen Rohstoffen ist, hat zusätzlich die Begierde führender Industrienationen und großer internationaler Energiekonzerne geweckt.9

Von der negativen zur positiven Kopplung

Die jüngsten Entwicklungen, insbesondere die unheilvolle Verknüpfung der Globalisierung mit Terror und Krieg, bestätigt Befürchtungen, in einer unfriedlichen und von Gewalt bestimmten Welt sei nachhaltige Entwicklung nur schwer realisierbar. Umgekehrt wird es mit einer Zunahme von Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung zunehmend schwieriger, die Bedingungen des Friedens zu sichern.10 Die fatale Negativkopplung von Umweltzerstörung, Unterentwicklung und Krieg hat durch den 11. September einen Quantensprung erfahren. Wie am Beispiel der fossilen Energienutzung und der globalen Erwärmung angedeutet, besteht die Gefahr, dass die weitere Weltentwicklung in ein sich selbst verstärkendes Negativszenario abdriftet, in dem wenige gewinnen und viele verlieren. Je weiter das Negativszenario fortgeschritten ist, desto mehr kann sich eine selbsterhaltende Kopplung von Wachstum, Macht und Gewalt herausbilden, die verbunden mit autoritären Strukturen einen nachhaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft blockiert. Anstelle präventiver Vermeidungsstrategien gewinnt dann ein nachsorgendes Risiko- und Konfliktmanagement an Bedeutung, das erst dann greift, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Für den Rio-Prozess sind dies düstere Aussichten.

Die Welt muss jedoch nicht untätig wie ein Kaninchen auf die Schlange USA schauen. Im Unterschied zum ABM-Vertrag, bei dem der einzige Vertragspartner Russland die Kröte schluckte, haben sich beim Kyoto-Protokoll die anderen Staaten das Vorgehen der USA nicht gefallen lassen und das Abkommen im Juli 2001 in Bonn unterzeichnet. Zwar musste das Abkommen erhebliche Federn lassen, doch ist in der derzeitigen Situation, in der die USA auf nahezu allen Feldern einseitig agieren wollen, die Verteidigung des Kyoto-Protokolls ein Erfolg. Damit lässt sich ein bis dahin nicht dagewesener Mechanismus in Gang setzten, der eine Eigendynamik entfalten kann. Ein Vorbild ist die Gründung der Teststopp-Organisation in Wien, die schon seit Jahren arbeitet, ohne dass das zugehörige Abkommen ratifiziert worden wäre. Interessanterweise sah sich Bush kürzlich genötigt, die Bedeutung des Umweltschutzes für die US-Wirtschaft zu betonen, wohl aus der Befürchtung, den damit verbundenen Markt den Europäern oder Japanern überlassen zu müssen.

Eine weitere Möglichkeit zum Aufbrechen der Negativkopplung ist die Entwicklung partizipativer Konzepte zur Konfliktlösung auf lokaler, regionaler und globaler Ebene. Oft ist es gar nicht notwendig, den Umweg über globale Verhandlungsprozesse zu gehen, denn viele Probleme und Konflikte tauchen auf der lokalen oder regionalen Ebene auf und können auch nur dort gelöst werden. Umgekehrt kann eine erfolgreiche Durchsetzung solcher Konzepte Ausstrahlungseffekte auch auf die globale Ebene haben und dazu beitragen, Mehrheiten zu finden, ggf. auch ohne die USA.

Grundsätzlich ist zur dauerhaften Problemlösung der »präventive Politiktyp«, der durch Limitations- und Absorptionsstrategien auf Konfliktvermeidung zielt, besser geeignet als der»reaktive Politiktyp«, dem es im wesentlichen um eine Anpassung an die oder Reparatur der veränderten Umweltbedingungen geht. Das integrierte Konzept einer nachhaltigen Ressourcennutzung, das sich präventiv darum bemüht, die Konfliktursachen auszuschließen (durch Ressourceneinsparung, Effizienzsteigerung, angepasste Technologien, Beseitigung der Asymmetrien, Verbesserung der Kooperation, Änderung der Lebensweise, Dialog und Partizipation von Stakeholdern und Betroffenen),ist somit ein Beitrag zur Friedenssicherung.

Anmerkungen

1) Siehe weiter H. Leitschuh-Fecht, P. Stephan: »Rio + 10«. Der Count-down läuft!, in: G. Altner, et.al. (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2002, München, Beck, 2001, S. 64-76.

2) Eine kritische Auseinandersetzung mit Weltumweltkonferenzen gibt H. Scheer: Klimaschutz durch Konferenzserien: Eine Fata Morgana, Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/01, S. 1066-1073.

3) Lomborg, Björn: The scepticel environementalist, Cambridge University Press, 2001.

4) IPCC: Climate Change 2001, Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge University Press, 2001. Zusammenfassungen aller drei Berichte finden sich unter http://www.ipcc.ch. Die Folgen des Klimawandels und mögliche Anpassungsmöglichkeiten für die Europäische Union (EU) wurden untersucht in: M-L. Parry (Ed.): Assessment of Potential Effects and Adaptations for Climate Change in Europe: The Europe ACACIA Project. Jackson Environment Institute, University of East Anglia, Norwich, UK, 2000, Summary and conclusions unter www.jei.uea.ac.uk/projects/acacia_report.htm.

5) Potential Uses of Military-Related Resources for Protection of the Environment, Disarmament Study Series No. 25, New York, United Nations, Office for Disarmament Affairs, A/46/364, 1993. Eine Zusammenfassung findet sich in J. Scheffran, Panzer gegen die ökologische Krise?, Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1992, 128- 132.

6) Siehe weiter J. Scheffran: Militärs an die Ökofront? Umweltpolizist USA, Wissenschaft und Frieden, 15. Jg., 4/97, S. 42-46; Abdruck in: Frankfurter Rundschau, Dokumentation, 20.4.98.

7) New Europe, 10th Year, No.473, June 16-22, 2002, http://www.new-europe.info/September2001.htm.

8) Siehe etwa die Stellungnahme von US Senator John F. Kerry, Energy Security is American Security, Washington: Center for National Policy, January 22, 2002. Zur Debatte über Energiesicherheit sei verwiesen auf: A. Makhijani, Securing the Energy Future of the United States: Oil, Nuclear, and Electricity Vulnerabilities and a post-September 11, 2001 Roadmap for Action, Washington: IEER, November 2001; A. Makhijani, The Cheney Energy Plan: Technically Unsound and Unsustainable, IEER, Sept.100, 2001.

9) D. Bimboes: Zündstoff Öl und Gas, Dossier 34, Wissenschaft und Frieden, 1999; A. Bozdag: Um Öl und Gas. Internationale Konfliktlinien im Kaukasus und in der kaspischen Region. In: Blätter für deutsche und internationale Politik,5/96, S. 587-597.

10) J. Scheffran: Leben bewahren gegen Wachstum, Macht, Gewalt – Zur Verknüpfung von Frieden und nachhaltiger Entwicklung, Wissenschaft und Frieden, 3/96, S. 5-9; J. Scheffran, W. Vogt (Hrsg.): Kampf um die Natur – Umweltzerstörung und die Lösung ökologischer Konflikte, Darmstadt: WBG / Primus, 1998.

Dr. Jürgen Scheffran ist Mitarbeiter am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und Redakteur von W&F