Protest als Katalysator für Transformation?
Protest als Katalysator für Transformation?
Der Einfluss von zivilem Protest auf sozial-ökologische Transformation in Regionalzentren
von Antonia Boeckle, Michael Volpert, Christina Warmann, Anna Weißenberger und Ulrike Zeigermann
Angesichts komplexer Herausforderungen wie Klimawandel und sozialer Ungleichheit hat in Deutschland der zivile Widerstand besonders unter jungen Menschen zugenommen. Dieser Beitrag diskutiert die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ziviler Protest als Katalysator für gesellschaftliche Transformation dient. Anhand einer Fallstudie zum Regionalzentrum Würzburg wird gezeigt, wie ziviler Protest Nachhaltigkeitsentscheidungen und -strukturen in Städten fördern kann. Der Fokus des Beitrags liegt auf Dynamiken in den Bereichen Biodiversität, Bildung, Antidiskriminierung und Mobilität.
Angesichts komplexer Herausforderungen, wie dem Klimawandel oder sozialer Ungleichheit, die auch in Deutschland zunehmend spürbar sind, mehrte sich in den letzten Jahren der zivile Widerstand gegen eingeschlagene politische Pfade. Der Protest für eine sozial-ökologische Transformation wuchs insbesondere unter jungen Menschen (Fopp, Axelsson und Tille 2021). Kleinere Großstädte, sogenannte Regionalzentren, welche sich als überregionale Bildungs-, Kultur-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte auszeichnen und einen überregionalen Versorgungs- und Entwicklungsauftrag erfüllen, spielen in diesem Kontext gesellschaftlichen Wandels eine besondere Rolle. Sie können einerseits als Zentren für Innovation verstanden werden, in denen zum Beispiel zivile Aktionsformen sozialer Bewegungen Impulse für Wandel geben. Andererseits wird im Zusammenhang mit zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und Dringlichkeit der Probleme der Einfluss von zivilgesellschaftlichen Proteststrategien auf sozial-ökologische Transformationsbereiche, wie Biodiversität, nachhaltige Bildung, Antidiskriminierung oder Mobilität, hinterfragt und angezweifelt (Cattino und Reckien 2021). Vor diesem Hintergrund untersucht diese Studie anhand der Stadt Würzburg, ob und inwiefern ziviler Protest als Katalysator für gesellschaftliche sozial-ökologische Transformation dient.
Würzburg kann als typischer Fall eines Regionalzentrums in Deutschland betrachtet werden. Während zivilgesellschaftlicher Protest in nationalen politischen Veränderungsprozessen gut dokumentiert ist, fehlt es an detailliertem Wissen, wie diese Dynamiken auf lokaler Ebene in Städten funktionieren und wie sie in die breitere Agenda der nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung integriert werden können.
Unser Beitrag basiert auf einer Studie, die mit einem qualitativen Forschungsansatz Protest- und Veränderungsdynamiken anhand eines Process Tracing1 in vier sozial-ökologischen Transformationsbereichen (Biodiversität, nachhaltige Bildung, Antidiskriminierung und Mobilität/Verkehr) untersucht. Damit werden die Mechanismen identifiziert, die in direktem Zusammenhang mit den beobachteten Veränderungen in den jeweiligen Transformationsbereichen in städtischen Kontexten stehen. Zudem ermöglicht die Methode es, die komplexen Interaktionen zwischen Protestgruppen, lokalen Behörden, Unternehmen und anderen relevanten Akteuren zu erfassen und zu analysieren. Basierend auf einer qualitativen Inhaltsanalyse von elf Expert*inneninterviews sowie Dokumenten- und Medienanalysen, vergleichen wir die Effekte von lokalem Protest hinsichtlich vier theoretisch hergeleiteter Analysekategorien: politische Entscheidungen, Institutionalisierung von Nachhaltigkeitsprinzipien, Bildung neuer Kooperationen und Netzwerke sowie gesellschaftliche Widerstände bzw. gegenteilige Reaktionen. Durch die Fokussierung auf spezifische Ereignisse kann nachvollzogen werden, wie und warum bestimmte Protestformen Einfluss auf politische Entscheidungen, Gesetzgebung und andere relevante Bereiche genommen haben.
Die umstrittene Rolle von Protest in sozial-ökologischen Transformationen
Öffentliche Beteiligung und Partizipation werden vielfach als positiv für informierte demokratische Prozesse bewertet, weil dadurch ein diverseres Spektrum an Perspektiven und Interessengruppen einbezogen und die Akzeptanz für die Entscheidungen gestärkt werden können. Diese unterschiedlichen Perspektiven werden teilweise sogar als Voraussetzung für Nachhaltigkeitspolitik betrachtet (Glass und Newig 2019). Die individuelle und kollektive Beteiligung reicht von unverbindlicher Zustimmung bis hin zur gewaltsamen Durchsetzung von Interessen. Dazwischen gibt es weitere Beteiligungsformen des legalen und illegalen Aktivismus und gewaltfreien Protests (siehe dazu auch Grimm in dieser Ausgabe, S. 6).
Die politische Debatte wie auch die wissenschaftliche Literatur sind unschlüssig hinsichtlich der Bewertung von zivilem legalen Protest für eine sozial und ökologisch transformative lokale Politik (Cattino und Reckien 2021). Zunächst deutet Protest auf eine Ablehnung politischer Entscheidungen und einen gesellschaftlichen Dissens über Probleme und deren Lösungsansätze hin. Gleichzeitig bedeutet diese Form der öffentlichen Beteiligung auch die Möglichkeit für Bürger*innen, zu einem gemeinsamen Verständnis komplexer Herausforderungen und potenzieller Lösungen zu gelangen, sich zu »vernetzen«, im Verlauf des Prozesses zu lernen, »politische Entscheidungen zu beeinflussen« und damit gesellschaftspolitische Änderungen zu bewirken (Chu, Anguelovski und Carmin 2016). Angenommene Vorteile zivilen Protests beziehen sich auf die Gerechtigkeit von Entscheidungsprozessen durch Einbeziehung vielfältiger gesellschaftlicher Perspektiven und Akteure, zivilgesellschaftliches Empowerment, langfristig eine größere Bereitschaft zur politischen Partizipation sowie vermehrte individuelle Verhaltensänderungen (Cloutier et al. 2015). »Nachhaltige Ansätze« können so mithilfe breiter gesellschaftlicher Akzeptanz in der lokalen Verwaltung »institutionalisiert« werden und dauerhaft zu stärkeren und widerstandsfähigeren Gemeinschaften führen. Insbesondere angesichts der Klimakrise und der damit verbundenen Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Transformation wird öffentliche Beteiligung daher oftmals als Katalysator oder gar Erfolgsbedingung für die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaften durch polyzentrische Entscheidungsfindung angesehen (Ostrom 2010).
Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass ziviler Protest den Status quo unterstützt. So deuten einige Studien darauf hin, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu schlechteren Ergebnissen und weniger transformativem Handeln führen kann (Wamsler et al. 2020). Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn vorhandene ungleiche Machtverhältnisse durch gewaltfreien Protest verstärkt werden. Ein Beispiel liefert die Forschung zur Energiewende, die zeigt, dass lokale Proteste den Ausbau von Windkraft oftmals verhindern (Hoeft, Messinger-Zimmer und Zilles 2017). Beteiligung kann insofern auch »gegenteilige Reaktionen« mit Blick auf sozial-ökologische Transformationen hervorbringen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Fördert ziviler Protest Transformation oder verstärkt er eher den Status quo auf lokaler Ebene bzw. in Regionalzentren?
Protest als Katalysator für Netzwerke
In den von uns untersuchten Bereichen Biodiversität, nachhaltige Bildung, Antidiskriminierung und Mobilität ist gesellschaftlicher Protest zunächst als Ablehnung des Status quo zu verstehen. So gab es in der Stadt Würzburg Anfang der 2000er Jahre beispielsweise zunehmend rassistisch motivierte Übergriffe, die zu gesellschaftlicher Empörung führten, bei denen jedoch gleichzeitig Unterstützung, Beratung, Dokumentation und Vermittlung durch öffentliche Behörden ausblieben. Betroffene und zivilgesellschaftliche Akteure organisierten sich daraufhin in diversen Gruppierungen, um durch zivilen Protest auf der Straße, durch Schreiben und Aufforderungen an die lokale Politik und die Erarbeitung von Vorschlägen zur Sichtbarmachung und Lösung des Problems beizutragen. Als 2006 ein weiterer rassistischer Überfall in der Straßenbahn Aufsehen erregte, wurde der Protest verstärkt.
Die diversen zivilgesellschaftlichen Akteure tauschten sich inhaltlich aus und entwickelten ein gemeinsames Verständnis der komplexen Herausforderungen in Verbindung mit Inklusion, Diversität und Integration, das sie in einem sogenannten »Würzburger Modell« veröffentlichten. Dieses Würzburger Modell ist bis heute Referenzrahmen für Aktivitäten im Bereich Antidiskriminierung. Auf organisatorischer Ebene führte die Kooperation der zivilgesellschaftlichen Protestakteure 2006 zum Zusammenschluss und Vernetzung in einem Bündnis für Demokratie und Zivilcourage (WBDZ). Ziel des Bündnisses ist es nach eigenen Angaben bis heute „zu mehr Engagement für eine friedvolle Gemeinschaft auf[zu]rufen und Menschen dazu [zu] befähigen, sich zu gegebenem Anlass zu wehren bzw. anderen beizustehen“ (Bündnis für Zivilcourage 2024).
Nach Aussage der Interviewpartner*innen erlaubt der zivilgesellschaftliche Protest den Würzburger*innen insofern eine Form der politischen Beteiligung, die u.a. durch Workshops, Seminare und Informationsveranstaltungen zu einer gesteigerten Sensibilisierung für Diskriminierung und Ungerechtigkeit in der Stadtgesellschaft beitrug und 2011 zur Einrichtung einer unabhängigen Antidiskriminierungsstelle führte. Mit den frühen Erfolgen des Protests erfuhr das Bündnis ab 2012 eine deutliche Ausweitung auf knapp 100 Vereine. Diese engagieren sich bis heute und bewirkten u.a. 2021 die Einrichtungen einer digitalen Meldeplattform »Würzburg schaut hin« und einer jährlichen »Würzburger Woche gegen Rassismus«.
Die beschriebenen Prozesse illustrieren, wie Protest und die damit einhergehende Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen können. Gleichwohl muss einschränkend vermerkt werden, dass die »lokalen Veränderungen« und die Sichtbarkeit des Problems weiterhin im Vergleich zu anderen Themen politisch marginal bleiben und »Wandel nur sehr langsam« erfolgt. Ein wesentlicher Unterschied der Vernetzungsprozesse in den Transformationsbereichen besteht in ihrer thematischen Breite und den beteiligten Akteuren. Im Transformationsbereich Biodiversität ist das Netzwerk beispielsweise thematisch breiter aufgestellt und betrachtet den Biodiversitätsschutz als integralen Bestandteil des Klimaschutzes, während das Netzwerk im Bereich Mobilität und Verkehr stärker auf konkrete infrastrukturelle Maßnahmen und politische Entscheidungen fokussiert ist. Im Bildungsbereich wiederum ist die Netzwerkbildung stark durch Initiativen der Erwachsenenbildung geprägt.
Protest und politische Entscheidungen
Die Wirkung von zivilgesellschaftlichem Protest auf politische Entscheidungen variiert nach Thematik und strukturellen Bedingungen. Im föderalen System in Deutschland werden Politiken primär auf der Bundesebene formuliert und gegebenenfalls nachrangig auf Landesebene präzisiert. Die lokale Ebene dient maßgeblich der Implementierung dieser Entscheidungen, wobei dennoch Schwerpunkte gesetzt werden können. Entsprechend gilt es, durch Protest die zuständigen Entscheidungsträger*innen zu adressieren. »Verstärkungseffekte« im Falle von vielfältigen lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen, welche sich in einem Transformationsbereich engagieren, können hierbei erfolgreich sein.
Beispielhaft hierfür sind die Entwicklungen im Transformationsbereich Biodiversität. Dieser zielt auf den Schutz der biologischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren ab. Die Biodiversitätspolitik wird durch internationale Ziele, nationale Gesetzgebungen und Strategien auf Landesebene definiert. Deshalb gilt es durch den lokalen Protest die Bundes- und Landesebene zu erreichen, um Entscheidungen zu beeinflussen. Dieser Bereich ist strukturell benachteiligt, weil die Natur nur indirekt über den Menschen repräsentiert werden kann und Interessen dadurch nur mittelbar politisch geäußert werden. In Würzburg wurden Biodiversitätsfragen, insbesondere in Bezug auf Stadtbegrünung, erst in den letzten fünf Jahren in der Stadtpolitik berücksichtigt. Das erfolgreiche bayerische Volksbegehren »Artenvielfalt – Rettet die Bienen« 2019 wurde auch von Umwelt- und Klimainitiativen in Würzburg unterstützt. Das Volksbegehren führte dazu, dass die städtische Begrünung in Würzburg, in Form von Straßenbegleitgrün, vorangetrieben wurde und im Jahr 2020 eine Biodiversitätsstelle im Landkreis Würzburg eingerichtet wurde. Zusätzlich trat die Stadt Würzburg im Frühling 2019 dem Bündnis »Kommunen für biologische Vielfalt« bei.
Protest und die Institutionalisierung lokaler Nachhaltigkeitspolitik
Zivilgesellschaftliches Engagement kann für spezifische Themen ein »Problembewusstsein schaffen« und, wie anhand der zuvor erwähnten unabhängigen Antidiskriminierungsstelle und Biodiversitätsberatungsstelle zu sehen ist, dazu führen, dass neue Themen in den lokalen Strukturen verankert werden. Auch im Bereich Bildung führte zivilgesellschaftliches Engagement in Würzburg dazu, dass neue nachhaltigkeitsrelevante Themen, Projekte und Veranstaltungen für verschiedene gesellschaftliche Zielgruppen verstetigt wurden. Beispielsweise wurden Projekte wie »Zukunft mit Klasse« und der »konsumkritische Stadtrundgang« ins Leben gerufen und in den Schulen respektive im Tourismusangebot der Stadt verankert. Das führte u.a. dazu, dass es Kooperationen zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und städtischen Bildungseinrichtungen gab und diese inzwischen in der Stadt Würzburg fest etabliert sind.
Unsere Analysen haben außerdem gezeigt, dass ziviler Protest dazu führen kann, dass »neue Formen der lokalen Entscheidungsfindung« etabliert werden, um zivilgesellschaftliche Perspektiven stärker in vorhandene Entscheidungsverfahren zu integrieren. Beispielhaft können die Aktivitäten von »Würzburg erneuerbar« angeführt werden. Diese zivilgesellschaftlichen Gruppierungen haben eine wesentliche Rolle bei der Etablierung von Gremien zur partizipativen Entscheidungsfindung über lokale Mobilitäts- und Klimakonzepte gespielt. Zu solchen Gremien zählt u.a. der Klimabeirat, der den Würzburger Stadtrat, seine Ausschüsse und die Stadtverwaltung in Angelegenheiten des kommunalen Klimaschutzes und der Klimaanpassung berät. Zudem gibt es den Radverkehrsbeirat, der sich aus Vertreter*innen der Stadtverwaltung, Stadträt*innen, Mobilitätsclubs, Initiativen und einer Fahrradexpert*in aus jedem Stadtteil zusammensetzt, um sicherzustellen, dass die Belange des Radverkehrs umfassend berücksichtigt werden. Beide Gremien sind auf Druck der Zivilgesellschaft entstanden und zeugen von einer lokalen Institutionalisierung nachhaltiger Themen und Prozesse. Sie ermöglichen einen »strukturierten Austausch zwischen Interessengruppen« und lokaler Politik und tragen dazu bei, dass »diverse gesellschaftliche Perspektiven« in transformativen Ansätzen berücksichtigt werden.
Gegenteilige Reaktionen auf zivilen Protest
Platzprobleme in der Innenstadt Würzburgs führen immer wieder zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer*innen. Zivilgesellschaftliche Gruppierungen und die Stadt wollen daher grundsätzlich gleichermaßen den Ausbau von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr sowie die E-Mobilität und eine saubere Logistik fördern. Dennoch haben vereinzelte lokale Proteste in der Vergangenheit ambitionierte Maßnahmen für eine ökologische Verkehrswende verhindert. Prominentestes Beispiel ist in Würzburg die Initiative des interfraktionellen Bündnisses »Besser leben im Bischofshut«2, die 2022 auf einem großen außerhalb gelegenen Parkplatz Gebühren einführen wollte, um die Einnahmen davon zur Finanzierung einer für alle kostenlosen Straßenbahnnutzung in der Innenstadt zu verwenden. Diese Initiative wurde von einer »mächtigen Gegenbewegung« gekippt. Und nicht nur das: Ein Bürger*innenbegehren für kostenfreies Parken auf dem besagten Platz wurde eingereicht und erhielt große Zustimmung, obwohl davon nur vergleichsweise wenige Pendler*innen aus dem Umland profitieren.
Protest wirkt demnach nicht automatisch als Katalysator für sozial-ökologische Transformationen. In den Bereichen Antidiskriminierung und Biodiversität wurden auch »Tendenzen zu kurzfristigem, reaktivem Handeln« in Reaktion auf zivilgesellschaftlichen Protest deutlich, ohne dass langfristige, ambitionierte Veränderungsstrategien verfolgt worden wären. In solchen Fällen wiesen Interviewpartner*innen jedoch darauf hin, dass integrative Ansätze basierend auf Dialog mit Bürger*innen vor Ort Konflikte minimieren und eine breitere Akzeptanz für sozial-ökologische Veränderungen schaffen können. Sie betonten, dass strukturierte deliberative Verfahren notwendig seien, um relevante Perspektiven in lokalen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Durch die Vernetzung lokaler Initiativen über Themen- und Ebenengrenzen hinweg kann ziviler Protest eine größere gesellschaftliche Sichtbarkeit und politische Wirkung entfalten.
Fazit
Am Beispiel zivilgesellschaftlichen Engagements in Würzburg zeigt unsere Analyse, dass ziviler Protest in Städten positive Auswirkungen auf nachhaltigkeitsbezogene Ziele und Entscheidungen haben kann, wenn er die Bildung von thematisch einschlägigen Netzwerken fördert, zur Entwicklung neuer Strukturen beiträgt und inklusive Entscheidungsprozesse unterstützt. Ziviler Protest kann insofern grundsätzlich als Katalysator für sozial-ökologische Transformationen in Regionalzentren verstanden werden, der nicht nur auf bestehende Probleme aufmerksam macht, sondern auch innovative Formen der Zusammenarbeit und Lösungsfindung fördern kann. Allerdings zeigen die Ereignisse insbesondere im Transformationsbereich Mobilität und Verkehr auch, dass es Bruchpunkte gesellschaftlicher Toleranz gibt und dass diese der transformativen Wirkung ziviler Interventionen auch Grenzen aufzeigen. Es zeigt sich ebenso, dass die politischen Entscheidungen in den Transformationsbereichen Antidiskriminierung, Mobilität und Verkehr, Biodiversität und Bildung bisher deutlich hinter den Forderungen des Protests zurückbleiben. Als reaktive Maßnahmen auf den Protest werden nur begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen – bzw. im Bereich Biodiversität ökologische Nutzungsflächen – bereitgestellt, die häufig nicht langfristiger Natur sind.
Anmerkungen
1) Process Tracing ist eine qualitative Forschungsmethode, die in den Sozialwissenschaften verwendet wird, um die Entscheidungsprozesse und Kausalmechanismen hinter spezifischen Ereignissen (»Outcomes«) zu untersuchen. Dabei werden detaillierte und systematische Analysen von Fällen durchgeführt, um zu verstehen, wie bestimmte Ereignisse zu einem spezifischen Outcome geführt haben (Starke 2022, S. 2). Die Methode stützt sich auf die Identifizierung und Analyse von »Spuren« oder Beweisen, welche die Verbindung zwischen potenziellen Ursachen und ihren Wirkungen aufzeigen.
2) Die Bezeichnung »Bischofshut« bezieht sich auf die mittelalterliche Umgrenzung der Altstadt Würzburgs, welche an die Form eines Bischofshuts erinnert.
Literatur
Bündnis für Zivilcourage (2024): Über uns. Homepage des Würzburger Bündnis für Demokratie und Zivilcourage e.V. URL: zivilcourage-wuerzburg.de/ueber-uns/.
Cattino, M.; Reckien, D. (2021): Does public participation lead to more ambitious and transformative local climate change planning? Current Opinion in Environmental Sustainability 52, S. 100-110.
Chu, E.; Anguelovski, I.; Carmin, J.(2016): Inclusive approaches to urban climate adaptation planning and implementation in the Global South. Climate Policy 16(3), S. 372-392.
Cloutier, G.; Joerin, F.; Dubois, C.; Labarthe, M.; Legay, Ch.; Viens, D. (2015): Planning adaptation based on local actors’ knowledge and participation: a climate governance experiment. Climate Policy 15(4), S. 458-474.
Fopp, D.; Axelsson, I.; Tille, L. (2021): Gemeinsam für die Zukunft – Fridays For Future und Scientists For Future: Vom Stockholmer Schulstreik zur weltweiten Klimabewegung. Bielefeld: transcript Verlag.
Glass, L.-M.; Newig, J. (2019): Governance for achieving the Sustainable Development Goals: How important are participation, policy coherence, reflexivity, adaptation and democratic institutions? Earth System Governance 2, 100031.
Hoeft, Ch.; Messinger-Zimmer, S.; Zilles, J. (Hrsg.) (2017): Bürgerproteste in Zeiten der Energiewende: Lokale Konflikte um Windkraft, Stromtrassen und Fracking. Bielefeld: transcript Verlag.
Ostrom, E. (2010): Polycentric systems for coping with collective action and global environmental change. Global Environmental Change 20(4), S. 550-557.
Wamsler, C.; Alkan-Olsson, J.; Björn, H.; Falck, H.; Hanson, H.; Oskarsson, T.; Simonsson, E.; Zelmerlow, F. (2020): Beyond participation: When citizen engagement leads to undesirable outcomes for nature-based solutions and climate change adaptation. Climatic Change 158(2), S. 235-254.
Starke, P. (2022): Process Tracing in der Policy-Forschung. In: Wenzelburger, G.; Zohlnhöfer, R. (Hrsg.): Handbuch Policy-Forschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 1-26.
Antonia Boeckle ist Studentin der Sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg. Sie interessiert sich insbesondere für die ökologische Nachhaltigkeit und die Förderung von Biodiversität in Städten.
Michael Volpert ist Masterstudent der Sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg. Sein Studienschwerpunkt liegt auf der nachhaltigen Transformation von Unternehmen und Wirtschaftssektoren.
Christina Warmann studiert im Master Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg und hat ihren Studienschwerpunkt auf soziale Nachhaltigkeit gelegt. Sie ist studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Quantitative Sozialforschung.
Anna Weißenberger interessiert sich als Masterstudentin der Sozialwissenschaftlichen Nachhhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg vor allem für die Transformation von Städten und für Umweltpolitik.
JProf. Dr. Ulrike Zeigermann ist Junior-Professorin für Sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Würzburg und assoziierte Forscherin am Centre Marc Bloch Berlin.