Rüstungsexportkontrollatlas | 2023
Rüstungsexportkontrollatlas
mit Beiträgen von David Scheuing und Marius Pletsch, Andrea Kolling, Anna Katharina Ferl, Andreas Seifert, Luca Schiewe und Julius-Anton Bussenius, Simone Wisotzki, Jürgen Grässlin, Markus Bayer, Max Mutschler, Michael Brzoska, Anna von Gall
herausgegeben durch Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)
in Koordination mit der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.
erscheint als Beilage zu W&F 4/2023
Vorwort
von David Scheuing und Marius Pletsch
Deutsche Rüstungsexporte boomen – aber so ganz genau ist der Öffentlichkeit oft nicht klar, was und warum von welchem Unternehmen wohin exportiert wird. Es wird vielmehr eine emotionale und oft erstaunlich faktenfreie Diskussion im öffentlichen Raum geführt, weshalb »deutsche Tabus« fallen müssten. Dabei gibt es an der derzeitigen Praxis von Rüstungsproduktion und -export viel zu kritisieren: Mangelnde Transparenz, widersprüchliche Exportentscheidungen, undemokratische Entscheidungsverfahren und vieles mehr.
Im Kontext der Militarisierungs- und Rüstungsschübe, verstärkt durch die »Zeitenwende« und die Bestrebung, Deutschland »kriegstüchtig« zu machen, sehen wir eine dreifache Relevanz für einen Rüstungsexportkontrollatlas, den wir hiermit vorlegen.
Zum einen hatte es in den Jahren vor dem einschneidenden Ereignis des russischen Einmarsches in die Ukraine am 24. Februar 2022 doch signifikante Bewegung und Zusagen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegeben, eine umfassendere und bedeutungsvollere Rüstungsexportkontrolle möglich zu machen. Dies mündete noch im Herbst 2021 im Versprechen des Koalitionsvertrags gemeinsam mit der FDP, ein solches Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg zu bringen. Seither jedoch herrscht weitgehend Stille.
Zum zweiten hat die öffentliche Diskussion um die Lieferung von Rüstungsgütern und Waffen an dritte Staaten in den vergangenen zwei Jahren eine dramatische Verschiebung erlebt. Von einer sehr skeptischen Haltung der breiteren Öffentlichkeit hin zu einer vor allem auf die moralische Gebotenheit der Waffenlieferungen ausgerichteten Debatte, in der die Konsequenzen einer solchen Exporthaltung ebenso wie die historische Sinnhaftigkeit einer restriktiven Haltung gleichsam missachtet oder diskreditiert werden.
Zum dritten zeugten die Schritte des zuständigen Wirtschaftsministeriums im Spätsommer 2023 auch von der Bereitschaft, Exporte für bestimmte Rüstungsgüter deutlich zu vereinfachen und zu erleichtern. Die Rede ist von den neuen »Allgemeingenehmigungen«. Diese passen sich in ein schon länger erkennbares Exportgebahren ein, in dem die praktizierte »restriktive« Rüstungsexportpolitik zunehmend ausgehöhlt wird (nicht zuletzt durch Lobbydruck der Rüstungsindustrie), z.B. im Rahmen von europäischen Gemeinschaftsprojekten oder bei entsprechend gelagerten geopolitischen Interessen des Staates.
In allen diesen Dimensionen bedarf es der Erinnerung an die Bedingungen und Konsequenzen von Rüstungsproduktion und -export und einer Schärfung der Debatte um Rüstungskontrolle. Damit dies auch gelingen kann, geht der Atlas logisch in drei Schritten vor: Der erste Teil des Atlas zeigt die Bedeutung der Rüstungsproduktion für den Standort Deutschland, seine Verflechtungen, seine Finanzierungen und seine Niederlassungen. Der zweite Teil des Atlas arbeitet dann sowohl Bedingungen für die Exportargumentationen heraus, als auch die ganz konkreten Konsequenzen von Exporten.
Im dritten Teil des Atlas werden die aktuellen strukturellen Bedingungen für Rüstungskontrolle, deren Veränderungs- und Optimierungsmöglichkeiten sowie Möglichkeiten für Aktions- und Widerstandsformen aufgebracht.
In den vergangenen 30 Jahren sind in Deutschland vielfach kleinere Rüstungsatlanten erschienen. Die zahlreichen Publikationen unter diesem Titel sind bislang ausschließlich regional orientiert gewesen (u.a. Thüringen, Hessen, Bodensee, Nordrhein-Wesfalen, Hamburg). Dem gegenüber stehen globale Atlanten, die allerdings schon vor vielen Jahren erschienen sind und keinen spezifischen Fokus auf die Verwicklung deutscher Unternehmen, Standorte und Exporte aufweisen.
Der vorliegende Atlas soll diese Lücke zu füllen beginnen und als Grundlage für informierte Gespräche dienen. Wir danken daher unseren Autor*innen, die jeweils mit ihren Beiträgen versucht haben, eine solche Einordnung zu ermöglichen. Nicht zuletzt gilt unser Dank der Heinrich-Böll-Stiftung, durch deren Förderung dieser Atlas überhaupt erst möglich werden konnte.
Eine gewinnbringende Lektüre wünschen,
Marius Pletsch und David Scheuing
RÜSTUNG: Definition, Finanzierung, Produktion
Aufrüstung und Kriegswirtschaft als Konsequenz der so genannten „Zeitenwende“?
von Andrea Kolling
Was ist Rüstung? „Alles was schießt und knallt“, so kategorisierte Anfang der 1990er Jahre ein Ministerialbeamter bei einem Gespräch im zuständigen Wirtschaftsministerium das Kriegsgerät salopp. Cyberwar und europäische Weltraumrüstung lagen noch in der Zukunft und der Zusammenbruch der Sowjetunion war gerade erst geschehen. Zur gleichen Zeit wurde über eine Friedensdividende debattiert und die Rüstungsindustrie gab sich verschämt kleinlaut und bangte um ihre Pfründe.
Heute jedoch wird ungeniert über modernstes Kriegsgerät geredet, dessen Wirkmächtigkeit und Sinnhaftigkeit betont und die Notwendigkeit einer so genannten »nachhaltigen«, d.h. im Klartext einer langfristigen und umfassenden waffentechnischen Unterstützung für Staaten nahegelegt – auch jenseits der Ukraine, ob mit oder ohne offizielle NATO-Mitgliedschaft.
Rüstung als Gewaltmittel
Weit gefasst bedeutet sich »zu rüsten«, sich gegen feindliche äußere Bestrebungen unter Sicherung des eigenen Territoriums und der Bevölkerung zur Wehr setzen zu können. Das bedeutet, militärische Maßnahmen und Mittel zur Vorbereitung einer kriegerischen Handlung, sei es Angriff oder Verteidigung, bereitzuhalten, zu produzieren und zu warten. Dazu existieren in Deutschland, wie in allen Staaten mit entsprechenden industriellen Produktionsmöglichkeiten, Regeln und Gesetze, die den Rahmen einer Rüstungsproduktion von privaten oder staatlichen Unternehmen bestimmen. Im Gegensatz zu Frankreich sind es in Deutschland private Unternehmen mit einem unterschiedlichen und schwankenden Anteil an Rüstungsproduktion. Zu den Top-Ten bezogen auf das Umsatzvolumen zählen in Deutschland Airbus, Rheinmetall, Thyssen-Krupp. Unübersichtlich ist die Zahl und Auftragslage mittelständischer Rüstungshersteller und Zulieferer (→ vgl. Seifert).
Ganz eng verstanden beinhaltet Rüstung ausschließlich die Rüstungsgüter, die im Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) erwähnt werden: Raketen aller Art, Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber mit integriertem Waffensystem zur Zielerfassung, Feuerleitsysteme, integrierte elektronische Kampfmittel, Kampfführungssysteme, Kriegsschiffe, Unterseeboote, kleine Wasserfahrzeuge mit Angriffswaffen, jegliche Minenkampfboote: Minenleger, -räumboote, -jagdboote, Landungsboote, -schiffe, Munitionstransporter, Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, gepanzerte kampfunterstützende Fahrzeuge, Türme für Kampfpanzer, Maschinengewehre und Pistolen, voll- und halbautomatische Gewehre, Kanonen, Haubitzen, Mörser jeder Art, rückstoßarme, ungelenkte, tragbare leichte Panzerabwehrwaffen, Minenleg-/Wurfsysteme, Torpedos, Minen und Bomben aller Art, Handgranaten, Sprengladungen, Vollmantelweichkerngeschosse, Gewehrgranaten, Geschosse, Gefechtsköpfe, Zünder, Zielsuchköpfe, Submunition, Dispenser zur systematischen Verteilung von Submunition, auch besondere Laserwaffen. Also alles was fliegt, fährt und schwimmt, gepanzert ist und „schießt und knallt“. Die Liste umfasst den engen Kernbereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Von der Liste ausgenommen sind Kriegswaffen, auf deren Herstellung die Bundesrepublik verzichtet hat: Atomwaffen, biologische und chemische Waffen.
Problematisch wird es bei der Frage nach in einem weiteren Sinne verstandenen Rüstungsgütern, bis hin zu dem Bereich der Dual-Use Güter, die sowohl eine zivile als auch eine militärische Verwendung finden können (→ siehe Ferl). Hier lässt der Gesetzgeber auch im Interesse der Industrie bewusst eine breite Grauzone und Spielraum.
Abb 1: Waffengattungen
Wie ist die Herstellung von Gewaltmitteln erlaubt?
In der Bundesrepublik Deutschland steht über allem das Grundgesetz Artikel 26: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Dazu der Abs. 2: „Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Die im Grundgesetz vorgesehene nähere Regelung sollen zwei Gesetze gewährleisten: das Kriegswaffenkontrollgesetz als das wesentliche Ausführungsgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz für den Export. Zwei gesetzliche Grundlagen plus Regularien, die klar definieren sollen, in welchem Handlungsfeld es den Produzenten erlaubt ist zu handeln.
Für Kriegswaffen muss ein Unternehmen eine Produktionserlaubnis beantragen. Dies kann mit einer Voranfrage geschehen – telefonisch, heute auch per Mail/SMS. Positiv beschiedene Voranfragen könnten zwar nachträglich von der Rüstungsindustrie eingeklagt werden, was sie aber aus eigenem Interesse nicht tun werden, da sie sonst befürchten würden beim nächsten Mal eher bei Aufträgen nicht berücksichtigt zu werden. Voranfragen werden auch nicht im jährlichen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung veröffentlicht. Über die Gespräche, ob eine Genehmigung in Aussicht gestellt werden könnte oder wie das gewünschte Gut gestaltet sein müsste, so dass eine Produktion für ein Unternehmen bzw. ein Export genehmigt werden könnte, oder warum es chancenlos bleiben wird, erfährt die Öffentlichkeit nichts. Im Dunkeln lässt sich gut munkeln, sagt der Volksmund. Doch wird die immer wieder von Parteien in der Oppositionsrolle propagierte und von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen seit Jahrzehnten geforderte »bessere Transparenz« umgesetzt? Nach wie vor gibt es mehr Wirrwarr als Klarheit, zahlreiche Regelungslücken und eine nebulöse Rüstungspolitik mit vielen Fragezeichen.
Das KWKG von 1961 beinhaltet ein grundsätzliches Verbot mit Genehmigungsvorbehalt. Das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) lässt sich dahingegen so lesen, dass der Export von genehmigungspflichtigen Gütern grundsätzlich befürwortet werden kann, aber unter Genehmigungsvorbehalt steht. Dort heißt es: Handlungen können beschränkt werden, um die wesentlichen Sicherheitsinteressen zu gewährleisten und gemäß dem Grundgesetz eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten, aber auch EU-Projekte zu gewährleisten und zugleich EU-Ratsbeschlüsse über wirtschaftliche Sanktionen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) umzusetzen, ebenso UN-Embargos. Zugleich soll aber in die Freiheit der Wirtschaft möglichst wenig eingegriffen werden. Ein Spagat und große Verantwortung in der Abwägung zwischen kapitalistischen, unternehmerischen Exportinteressen und möglicherweise todbringendem Gerät. Gegen einen Export spräche es beispielsweise, wenn bekannt werden sollte, dass der zugesicherte Endverbleib bei einem Empfänger nicht gewährleistet sein könnte (→ siehe Grässlin). Ausführende Behörde ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit Sitz in Eschborn. Es gilt die Einzelfallprüfung. Als genehmigungspflichtige Güter gelten Waren, die in einer umfangreichen, differenzierten Liste des KWKG und AWG gelistet sind. Schiffsmotoren als Solche sind zivil, keine gelisteten Güter, auch wenn sie später in Schiffe einer ausländischen Marine eingebaut werden. Gelistet sind Komponenten, Bauteile sowie ihre technische Unterstützungsleistung, dafür sind Genehmigungen notwendig. Ebenso für sogenannte Dual-Use-Güter, also Waren, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Über die EU-Dual-Use-Verordnung werden diese Exporte innerhalb und außerhalb der EU kontrolliert. Die Federführung bei Exportgenehmigungen liegt im Wirtschaftsministerium. Grundsätzlich greift der EU-Gründungsvertrag von 1957 und der Nationalstaat kann darüber allein bestimmen, welches und wie viel Rüstungsmaterial gewollt ist. Es ist der Kernbereich nationaler Souveränität.
Dem Gesetz nachgeordnet sind Richtlinien als politische Willenserklärung der Bundesregierung, die allerdings nicht rechtlich verbindlich sind. Die ersten Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern wurden 1971 formuliert und dreimal überarbeitet: 1982, 2000 unter der ersten Rot-Grünen Bundesregierung und zuletzt 2019 unter Angela Merkels Führung. Sie bedeuten Orientierung für eine Genehmigungspolitik, die laut eigenem Bekunden restriktiv zu gestalten ist, doch ist Restriktivität in der Rüstungsexportpolitik mehr Label als Praxis. Allein die Länderliste, in welche nicht geliefert werden soll, wurde in den letzten 30 Jahren Zug um Zug verringert und der Export insbesondere in so genannte Drittstaaten, d.h. Länder außerhalb von EU und NATO, ausgeweitet. Nach den Grundsätzen sollten die Lieferungen an Drittstaaten nur Ausnahmen sein (→ siehe Bayer und Mutschler). Die deutschen Regelungen gelten zwar als die strengsten der Welt, doch Papier ist geduldig. Anfang 2018 heißt es noch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD „keine Rüstungsexporte in Krisenregionen“ mehr und den Export von Kleinwaffen in so genannte Drittstaaten „grundsätzlich“ nicht mehr genehmigen zu wollen sowie Anträge für Technologieexporte in Drittstaaten künftig stärker zu prüfen, wenn damit ausländische Rüstungsproduktionen aufgebaut werden können.
„Zeitenwende“ bedeutet Aufrüstungsjahrzehnte
Der epochale Bruch mit dem 24.2.2022, der Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen geopolitischen Machtverschiebungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Rüstungsentscheidungen, sowohl was den Export und die Beschaffungen für die Bundeswehr betrifft, als auch monetär über das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr und das 2%-NATO-Ziel hinaus. Ein Schub in Quantität und Qualität. Zwar wird noch in der jetzt veröffentlichten »Nationalen Sicherheitsstrategie« der Bundesregierung die „restriktive Rüstungsexportpolitik“ betont, zugleich heißt es, die Bundesregierung werde die Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung neu fassen und das Strategiepapier der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie aktualisieren. Konterkariert wird die restriktive Linie, indem es heißt: „die Bundesregierung wird die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähige Präzisionswaffen“, sowie eine Stärkung der „sicherheits- und verteidigungsindustriellen Basis befördern“ – dies bei gleichzeitigem Schutz von nationalen und europäischen Schlüsseltechnologien. Bei Beschaffungen soll primär auf europäische Lösungen gesetzt werden – eine bemerkenswerte Verschiebung vom nationalstaatlichen Interesse in Richtung europäischer Union. Zugleich schimmert ein Führungsanspruch in der neuen nationalen Sicherheitsstrategie durch, z.B. als logistische Drehscheibe in Europa mit dem Ausbau militärischer Mobilität. Große Ambitionen der »Fortschrittskoalition« der Ampel-Regierung.
Gleichzeitig zur neuen Nationalen Sicherheitsstrategie gibt das grün geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zum
1. September 2023 neue Regularien zur vereinfachten und schnelleren Lieferung von Rüstungsgütern für Bündnis- und neue Wertepartner heraus. Verkauft wird dies als ein Fortschritt an Effizienz und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, dabei soll die Einzelfallprüfung bei ausgewählten EU- und NATO-Partnern sowie Wertepartnern entfallen (→ siehe Brzoska). Sie werden als Allgemeinverfügung gebündelt, so laut Pressemitteilung von BMWK und BAFA vom 25.7.23. Eine zielgenaue Kontrolle soll vorrangig durch eine vertiefte Einzelfallprüfung bei den sonstigen Drittländern geschehen. Umgesetzt wird eine EU-Dual-Use-Verordnung von 2021 für eine Reihe von Ländern. Im Hinblick auf die neuen Wertepartner bedeutet das, dass keine Einzelanträge mehr gestellt werden müssen.
Als neue Wertepartner werden u.a. die Republik Korea, Singapur, Chile, Uruguay und Argentinien genannt. Die politische Steuerung durch derartige Festlegungen tritt sichtbar heraus: Warum wird beispielsweise nicht Brasilien aufgeführt? Wegen der nicht gelieferten Gepard-Panzer-Munition für die Ukraine? Oder weil Brasilien gerade eine Autoproduktion mit chinesischer Hilfe aufbaut, anstatt auf deutsche VW-Produktion zu setzen? Oder weil Brasilien BRICS-Gründungsmitglied ist? Der kleine Staat Singapur erhält zukünftig noch mehr und einfacher gelistete Güter. Wozu eigentlich? Auch wenn es sich um sogenannte Dual-Use-Güter handelt, eine transparente Rüstungsexportpolitik sieht anders aus.
Über eine weitreichende Verfügung wird Rüstungsexportpolitik gemacht und wo bleibt das im Koalitionsvertrag angekündigte Rüstungsexportkontrollgesetz? Die aktuelle Bestimmung gilt nur bis zum März 2024 und dann wird sie in ein Gesetz überführt oder stillschweigend verlängert. Die neue Allgemeinverfügung zeigt, wohin die Reise geht: in Richtung Priorität auf europäischer Ebene verbunden mit einer stärkeren Liberalisierung nicht nur im Dual-Use-Bereich. Die Positionen innerhalb der Regierung scheinen sich da wenig zu unterscheiden. Exportinteressen gehen verstärkt in Richtung Lateinamerika und Indopazifik. Welche genaue Linie verfolgt die Ampel bezüglich der Rüstungsproduktion, der EU und mit dem Export in Länder außerhalb und innerhalb von NATO, EU, einzelnen Wertepartnern und Drittländern. Wie werden Lieferungen im Einzelnen begründet? In Spannungsgebiete, Krisenregionen? Wurde im Bundessicherheitsrat (→ siehe Infokasten nebenan) als oberstem Entscheidungsgremium darüber gesprochen und sich parteiübergreifend verständigt?
Ob ein angekündigter »Nationaler Sicherheitsrat« im Hinblick auf Transparenz und informierte öffentliche Debatten zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik da Abhilfe schaffen würde, darf bezweifelt werden. Eine umfassende Transparenz, inklusive differenzierter Begründungen, ist erforderlich, wenn die Einbeziehung von Zivilgesellschaft hinter blumigen Worten nicht völlig zur Farce werden soll. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf umfassende Informationen, zumindest nach Rüstungsbeschlüssen der Regierung.
Wie und wozu genau sollen die Bundeswehr und andere Armeen in Zukunft ertüchtigt und ausgestattet werden? Welche Ziele gibt es und welche roten Linien? Mehr von allem? Worthülsen wie »Sicherheit« und »Verteidigung« sollten detailliert und rechenschaftspflichtig erläutert werden. Wie sollen Entgrenzungen im Hinblick auf zukünftige Konflikte und Kriege verhindert werden? Warum wird »Abschreckung« mit nuklearer Teilhabe manifestiert? Welche Gefechtsführungskapazitäten werden angestrebt? Dies ist umso wichtiger, da die Öffentlichkeit aktiv an diesen Entscheidungen beteiligt sein will und sollte.
Waren in den vergangenen Jahrzehnten nach verschiedenen Umfragen durchgängig 70-80% der deutschen Bevölkerung gegen Rüstungsexporte eingestellt, so hat sich das seit dem 24.2.2022 und dem russischen Einmarsch in die Ukraine scheinbar auf um die 50% in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine eingependelt. Auswirkungen solcher Befragungen auf politische Entscheidungsträger*innen sind ohnehin nicht zu erwarten, aber sie verraten etwas über das Verhältnis von breiter Öffentlichkeit und Rüstung – in Zahlen sichtbar gemacht.
Um eine stabile mehrheitliche Zustimmung zu Rüstungslieferungen zu generieren, bewährt sich die »Salamitaktik«, peu à peu immer etwas mehr in Menge und Art der Mandate und Praxis der Bundeswehreinsätze. Sichtbar wird das beispielsweise auch in der Veränderung der »Out-of-Area«- Einsätze der Bundeswehr außerhalb der EU: Von der ersten Feldlazarett-Lieferung im Rahmen eines UN-Mandats nach Kambodscha 1993 über das Brunnenbauen bis zum vorläufigen Ende risikoreicher deutscher Militärambitionen beim desaströsen Abzug aus Kabul im August 2021. Die entsprechende Entwicklung der Zustimmung zu Waffenexporten in die Ukraine ist ein Musterbeispiel für diese Taktik. Hier hieß es zuerst: keine schweren Waffen, dann doch, dann hieß es: keine Panzer, dann wurden sie doch genehmigt und nun die aktuelle Diskussion über die »Taurus«-Lieferung. Was folgt dann?
Absehbare Trends der Aufrüstung
Und allenthalben wird gerüstet: Der Ukraine-Krieg gilt als der erste große Drohnenkrieg und befeuert auch hierzulande erneut Debatten um die Bewaffnung von Drohnen. Auch wenn die Drohnen nicht kriegsentscheidend sein werden, kriegstauglich sind sie schon lange. Noch ist der Abnutzungskrieg mit Mensch und Material klassisch konventionell. Mehr Verdun als Cyberwar. »Warproofed« gilt als Qualitätsausweis bei Rüstungsgütern. In der Ukraine wird die Zukunft des Krieges mit Drohnen, Smartphones, Cyberangriffen, Logistik, Überwachung, Automatisierungen und allen aktuell verfügbaren Informationstechnologien im Gefecht, getestet und verbessert. Die Zeit nach dem Krieg wird sichtbar machen, wohin sich Europa insgesamt und die Staaten rüstungstechnisch entwickeln und protegiert werden.
Erste Trends sind erkennbar: Schwere hochtechnische Präzisionswaffen sollen nach der Nationalen Sicherheitsstrategie erforscht und gefördert werden. Die Zivilklauseln an den Universitäten sind da für manch eine Politiker*in und Hochschulrektor*in ein ärgerliches Hindernis, auch für MdB Willsch (CDU) kürzlich in einer Bundestagsdebatte. Die Schieflage zwischen Zivilschutzmaßnahmen, Entwicklungszusammenarbeit und der Priorisierung von Militär wird nicht nur fortgeschrieben, sie wird erheblich zunehmen. Bedeutet das eine Entwicklung in Richtung einer Militärwirtschaft für den Industriestandort Deutschland und – als ein Gegengewicht zum »Inflation Reduction Act« der USA – ein Vielfaches mehr an europäischen und bilateralen Rüstungskooperationen? Angenehme Zukunftsaussichten für die Rüstungsproduzenten. Die Weichen werden heute gestellt. Jedoch ist nicht zu vergessen: Munition und Bomben sind Verbrauchsgüter, mit dem Blut vieler getränkt.
Schwammige Kategorien für Rüstungsgüter, wie defensiv oder offensiv, sind weniger militärisch klare Kategorien, als politisch ideologische, um Rüstungsproduktion und Exporte breit akzeptabler zu machen. Und trotzdem: Eine Lieferung von Helmen in die Ukraine wurde unisono medial lächerlich gemacht, hatte aber defensiven Charakter. Rein faktisch war es ein genehmigungspflichtiger Rüstungsexport aus Beständen der Bundeswehr, in ein nicht EU- und NATO-Land, das sich zudem im Krieg befand. Dies sollte nicht aus den Augen verloren werden, nur weil die Forderung nach Aufrüstung heute als Mehrheitsmeinung propagiert wird.
Grundsätzlich geht es um die Definition und Umsetzung von menschlicher Sicherheit, letztlich um unser aller Leben in Deutschland und Europa. Immer mehr Rüstung wird nicht zu einem friedlicheren, sicheren, wertebasierten Europa beitragen. Meine Generation, die der Nachkriegskinder mit den kriegstraumatisierten und abwesenden Vätern, wurde im Kalten Krieg der Rüstungsspiralen und Konfrontation sozialisiert. Aus unserer Erfahrung ist klar, dass der aktuelle heiße Krieg in Europa mit Entgrenzungspotential beendet werden muss, bevor sich die Rüstungsspiralen und ihre Eskalationslogik ungehemmt Bahn brechen. Die Gestaltungsmöglichkeiten der postulierten Zeitenwende sollten nicht das Kriegsmaterial und Produktionskapazitäten priorisieren, sondern das friedliche Zusammenleben befördern.
Andrea Kolling ist langjähriges Mitglied in der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte, sowie im europäischen Netzwerk gegen Waffenhandel ENAAT – European Network against Arms Trade, ehemalige Vorsitzende der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung, und BUKO-Kampagne: Stoppt den Rüstungsexport.
Das Problem mit der KI.
Oder: Warum Rüstung mitunter schwer greifbar ist
von Anna-Katharina Ferl
Staaten setzen auf Rüstung als Machtinstrumente, um ihre eigene Sicherheit zu bewahren. Oft meinen sie, dass schon ein kleiner technologischer Vorsprung eine entscheidende Rolle bei der Frage nach Sieg oder Niederlage in bewaffneten Konflikten spielt (Dickow, Hansel und Mutschler 2015). Neue Technologien spielen eine immer wichtigere Rolle in bewaffneten Konflikten, wie der Krieg gegen die Ukraine aktuell zeigt. Gleichzeitig sind diese wenig bis gar nicht reguliert und neue Initiativen bleiben oft erfolglos (Daase et al. 2023). Die stetige Entwicklung und der Einsatz neuer Militärtechnologien macht das Feld der Rüstung komplexer und bringt neue Probleme mit sich. Insbesondere Entwicklungen im digitalen Bereich können weitreichende militärische Potentiale haben, werden aber vor allem im zivilen Bereich entwickelt (sogenannte Dual-Use Technologien). Ab wann zählt eine Technologie dann als Rüstungsgut?
Ein weiterer Faktor, der die Definition von Rüstung erschwert, ist die immaterielle Natur dieser digitalen Entwicklungen. Digitale Technologien, die aus Software bestehen, können ungleich schwerer einer direkten militärischen Nutzung zugeordnet werden als beispielsweise ein Panzer. Die weitreichenden Folgen technologischer Neuerungen im Rüstungsbereich sind aber kein neues Phänomen. Bereits die Entwicklung von Feuerwaffen revolutionierte den Krieg im ausgehenden Mittelalter und leitete eine neue Zeitordnung ein (Müller und Schörnig 2006). Während des Ost-West Konflikts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es eine Vielzahl neuer technologischer Entwicklungen, die ein Wettrüsten nach sich zogen. Diese zeigen, dass die Entwicklung neuer Militärtechnologien schon immer Herausforderungen und Probleme mit sich brachte.
Was ist also neu an den aktuellen Entwicklungen? Welche neuen Probleme werfen neue Waffen(-technologien) auf? Dies wird im Folgenden exemplarisch aufgezeigt an den Herausforderungen, die die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) in Rüstungstechnologien mit sich bringt.
Künstliche Intelligenz und digitale Waffen
Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde: Ihr wird bereits jetzt ein revolutionäres Potential zugeschrieben – und das nicht nur in unserem Alltag, sondern insbesondere auch im militärischen Bereich (Horowitz 2018). Allerdings sollten wir davon absehen, KI zu überschätzen. Aktuelle Entwicklungen im KI-Bereich sind vor allem auf eng gefasste Spezialaufgaben ausgerichtet – weit entfernt von Vorstellungen einer künstlichen Superintelligenz. Dennoch bringt der anhaltende technologische Fortschritt eine Reihe von Herausforderungen mit sich, die sich auch im Rüstungsbereich zeigen.
Dabei ist KI keine eigenständige Technologie wie ein Kampfflugzeug, sondern vielmehr eine Grundlagentechnologie, die bestimmte Anwendungen, auch militärische, ermöglicht. Zu den wichtigsten Anwendungsbereichen von KI zählen autonome Funktionen. Diese können autonomes Fahren im Straßenverkehr ermöglichen, z.B. autonome Taxis, wie sie in San Francisco erprobt werden. KI-gestützte Autonomie kann aber auch militärisch nutzbar gemacht werden, indem z.B. bewaffnete Drohnen nicht mehr durch einen Menschen gesteuert werden, sondern Tätigkeiten selbstständig und ohne menschliche Kontrolle ausführen können (Franke 2016).
Autonome Funktionen bergen das Risiko, die Kriegsführung zu beschleunigen und Eskalationsgefahren zu potenzieren. Außerdem gehen weitreichende völkerrechtliche und ethische Fragen mit Autonomie in Waffensystemen einher, die bisher ungelöst bleiben (Sauer 2022). Dafür ist der Erhalt menschlicher Kontrolle über KI-gesteuerte Waffensysteme, insbesondere über die kritischen Funktionen der Zielauswahl und Zielbekämpfung, entscheidend (Boulanin et al 2020). Im Fall von KI zeigt sich bereits die oben angesprochene essentielle Herausforderung neuer Technologien: sie sind oft prinzipiell doppelt nutzbar, zivil und militärisch, also »Dual-Use«. Diese bergen drei Problematiken: erstens sind Dual-Use Risiken schwerer abschätzbar als reine Rüstungsprojekte, zweitens können Dual-Use Risiken Rüstungsdynamiken antreiben, und drittens müssten bereits während der Forschung und Entwicklung diese Risiken präventiv eingedämmt werden (Riebe und Reuter 2019).
Während die Militärausgaben weltweit steigen (Bales et al. 2021), ist der militärische Anteil an Forschung und Entwicklung seit Ende des Ost-West-Konflikts rückläufig (Altmann 2007). Das bedeutet aber auch, dass vermehrt Forschung im zivilen Bereich stattfindet, die einerseits von Militärs eingekauft oder direkt in Auftrag gegeben wird. Dabei spielen multinationale Konzerne, wie Google, Amazon oder Microsoft eine entscheidende Rolle.
Ein drittes Problem in diesem Feld ist die rasante Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Technologien. Die Politik kann oft gar nicht so schnell nachziehen und Probleme erkennen und regulieren. Daher warnten erst vor Kurzem Expert*innen und namhafte Personen wie Bill Gates in einer öffentlichen Erklärung vor den Risiken von KI.1 Der aktuelle Stand der Forschung und Entwicklung bleibt allerdings oft intransparent, da sowohl im wirtschaftlichen als auch im militärischen Bereich Geheimhaltung an erster Stelle steht. Dass ein Projekt wie »Project Maven« (→ siehe Infokasten nebenan) öffentlich wird, ist eher die Ausnahme als die Regel.
Das Projekt Maven von Google und Pentagon
‚Project Maven‘ ist eines der bekanntesten und umstrittensten KI-Rüstungsprojekte im zivil-militärischen Bereich der letzten Jahre. 2017 gab das US-Verteidigungsministerium den Auftrag an Google, ein KI-Programm zu entwickeln, um Videomaterial von Drohnen effizienter nach relevanten Objekten und Zielen zu durchsuchen. Die schiere Masse an Videomaterial sollte durch die KI schneller und besser durchsucht und relevante Informationen direkt für die militärische Entscheidungsfindung bereitgestellt werden. Das Programm wurde erst 2018 publik und nach anhaltenden Protesten der Belegschaft stellte Google die gesamte Zusammenarbeit mit dem Pentagon 2019 ein. Allerdings arbeitet Google seit 2021 wieder an Projekten für das Pentagon, neben anderen großen Unternehmen, wie Amazon und Microsoft.
Peitz, Dirk (2018): Project Maven. Google wird einfach ersetzt.Zeit online, online verfügbar: https://www.zeit.de/digital/internet/2018-06/maven-militaerprojekt-google-ausstieg-ruestungsexperte-paul-scharre/komplettansicht.
Wakabayashi, Daisuke; Conger, Kate (2021): Google Wants to Work With the Pentagon Again, Despite Employee Concerns. The New York Times, online verfügbar: https://www.nytimes.com/2021/11/03/technology/google-pentagon-artificial-intelligence.html.
Möglichkeiten der Regulierung Künstlicher Intelligenz
Wie kann die Politik diesen Entwicklungen nun entgegenwirken? Welche Maßnahmen gäbe es auch auf internationaler Ebene, um KI-Technologien zu regulieren, die nicht vor Staatsgrenzen Halt machen? Rüstungskontrolle dient dazu, die negativen Effekte von Rüstungsdynamiken zu begrenzen und gegenseitige Sicherheit zu gewährleisten, um die Beziehungen zwischen Staaten zu stabilisieren. Rüstungskontrolle kann dabei entweder quantitativ bestimmte Höchstgrenzen für Waffenkategorien setzen oder qualitativ die Leistung und technologische Weiterentwicklung von Waffensystemen regulieren.
Rüstungskontrolle ist also eine politische Maßnahme, um bestimmte Rüstungsgüter zu regulieren und Rüstungsdynamiken einzudämmen. Allerdings zeigt sich hier auch, dass Rüstungskontrolle einerseits in der Regel den technologischen Entwicklungen hinterherläuft – also oftmals nicht rechtzeitig reguliert. Andererseits stellt die technische Komplexität von KI-Anwendungen die Rüstungskontrolle vor neue definitorische Herausforderungen, da es nicht mehr »nur« ausreicht, physisch z.B. Sprengköpfe zu zählen, sondern die Probleme oft in ein paar Zeilen Softwarecode stecken. Daher ist auch die Verifikation, also die Überprüfung, dass sich alle Mitglieder eines solches Übereinkommens daranhalten würden, im KI-Bereich extrem schwer bis unmöglich, wenn Softwarecode relativ leicht geändert oder versteckt werden kann.
Für »präventive Rüstungskontrolle«, die oft schon in der Phase der Entwicklung ansetzt, scheint es bei KI-Entwicklungen noch nicht zu spät – aber die Zeit läuft (Altmann 2008). Trotz des eigentlich logischen Ansatzes, Rüstung zu regulieren, ehe Staaten enorme Summen dafür ausgegeben haben, und einer Reihe solcher Bemühungen, bleiben Erfolge präventiver Rüstungskontrolle rar. Dies liegt vor allem daran, dass technische Entwicklungen bis dato ungeahnte militärische Relevanz entwickeln könnten und Staaten sich ungern Regelungen unterwerfen, ehe das Potenzial einer Technologie vollständig erkannt wurde. Auch in den aktuellen Diskussionen über Rüstungskontrolle wird eine präventive Kontrolle der militärischen Nutzung künstlicher Intelligenz gefordert, insbesondere solcher Funktionen, die Autonomiesteigerungen in Waffensystemen ermöglichen.
Zentrale Begriffe und Konzepte:
Rüstungskontrolle: Alle Vereinbarungen, die die Verringerung der Kriegsgefahr anstreben durch eine Reihe von Maßnahmen, die Vertrauensbildung und Transparenz stärken, aber auch die konkrete Steuerung von Rüstung und Kontrolle bestimmter Waffen einschließt.
Abrüstung: Bezeichnet solche rüstungskontrollpolitischen Maßnahmen, die auf die Verringerung oder komplette Abschaffung militärischer Fähigkeiten und Rüstungsgütern abzielen.
Nichtverbreitung: Verhinderung der Verbreitung (Proliferation) bestimmter Rüstungsgüter auf immer mehr Staaten.
Verifikation: Die Überprüfung, ob die Mitgliedsstaaten einer Rüstungskontrollvereinbarung diese auch einhalten und somit Betrug zu verhindern oder aufzudecken.
Bundeszentrale für politische Bildung (2013): Eine kurze Geschichte der Abrüstung und Rüstungskontrolle, https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m7/articles/m7-01.
Schörnig, Niklas (2017): Rüstung, Rüstungskontrolle und internationale Politik. In: Sauer, Frank; Masala, Carlo (Hrsg.): Handbuch internationale Beziehungen.
Wiesbaden: Springer VS, S. 959–990.
Der Handlungsbedarf im Bereich der präventiven Rüstungskontrolle künstlicher Intelligenz ist aber nicht nur auf autonome Waffensysteme begrenzt. Militärische KI-Anwendungen zeigen sich nicht nur im klassischen Waffentypus, sondern gerade in weniger durchsichtigen Bereichen der militärischen Entscheidungsfindung (Welchen Einfluss haben Vorurteile in der KI-gestützten Zielauswahl?, vgl. Villasenor 2019) oder der Verschränkung mit Nuklearwaffen und deren Kontrolle (Baldus 2022). Allerdings sollte künstliche Intelligenz weder über- noch unterschätzt werden. Die Risiken und Potentiale müssen sorgfältig abgeschätzt werden, damit eine Regulierung möglicher problematischer Anwendungen schnell und umfassend gelingen kann. Außerdem müssen international dringend Regeln für die verantwortungsvolle Forschung und Innovation aufgestellt werden (Boulanin, Brockmann und Richards 2020).
Stop »Killer Robots«: Autonome Waffensysteme und der Versuch einer präventiven Regulierung
Seit 2014 treffen sich Staatenvertreter*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und wissenschaftliche Expert*innen im Rahmen der Waffenkonvention der Vereinten Nationen (CCW) zu einem möglichen Verbot autonomer Waffensysteme, bevor diese militärisch entwickelt und genutzt werden. Trotz der anfänglichen Fortschritte und der breiten internationalen Bereitschaft, Gespräche über die präventive Regulierung autonomer Funktionen in Waffensystemen zu führen, ist der Prozess ins Stocken geraten. Dies liegt einerseits im politischen Interesse einiger Staaten, keine Einschränkungen in der Entwicklung von Technologien hinzunehmen, die ihnen in Zukunft militärische Vorteile verschaffen könnten.
Andererseits sehen Beobachter*innen, wie Rosert und Sauer (2021), das Problem auch in einer suboptimalen Strategie der Kampagne »Stop Killer Robots«. Die Kampagne war zwar maßgeblich daran beteiligt, das Thema auf die Agenda der internationalen Staatengemeinschaft zu setzen, die Ausrichtung an früheren humanitären Rüstungskontrollmaßnahmen, wie blendende Laserwaffen und Antipersonenminen war jedoch weniger erfolgreich. Dies liegt einerseits daran, dass autonome Waffensysteme wesentlich abstraktere und komplexere Technologien sind, andererseits die völkerrechtlichen Probleme weniger eindeutig als bei vorherigen Waffengattungen sind. Auch der Begriff »Killerroboter« für autonome Waffensysteme ist eher kontraproduktiv. In der Debatte hat sich auch das Prinzip menschlicher Kontrolle über solche autonomen Systeme als zentrales Ergebnis herauskristallisiert, dass als positive Verpflichtung auf mehr Rückhalt als die Forderung eines Verbots stoßen könnte.
Viele Beobachter*innen sind insgesamt aber dennoch pessimistisch, was die Aussichten auf eine präventive Regulierung oder gar eines Verbots autonomer Waffensysteme in naher Zukunft angeht. Allerdings gibt es seit einiger Zeit Bestrebungen, den Prozess auch außerhalb der CCW weiterzuführen. So haben 70 Staaten 2022 in der VN-Generalversammlung eine gemeinsame Erklärung zu autonomen Waffensystemen eingebracht. Im November 2023 wurde eine Resolution im Ersten Komitee der Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit angenommen, in der der VN-Generalsekretär aufgerufen wird, die Herausforderungen autonomer Waffensysteme zu untersuchen.
Rosert, Elvira; Sauer, Frank (2021): How (not) to stop the killer robots: A comparative analysis of humanitarian disarmament campaign strategies. Contemporary Security Policy 42 (1), 4-29.
Altmann, Jürgen; Brahms, Renke; Dahlmann, Anja; Ferl, Anna-Katharina; Küchenmeister, Thomas; Trittenbacher, Johanna; Weber, Jutta (2020): Autonome Waffensysteme – auf dem Vormarsch? Wissenschaft und Frieden W&F Dossier 90.
Anna-Katharina Ferl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) und forscht zu Fragen der militärischen Nutzung künstlicher Intelligenz, autonomen Waffensystemen und der Kontrolle und Regulierung von Militärtechnologien. Sie ist außerdem Mitglied in PRIFs Forschungsgruppe »Emerging Disruptive Technologies« und promoviert an der Goethe Universität Frankfurt.
Deutsche Rüstungsschmieden: Spezialisiert, vernetzt, internationale Akteure
von Andreas Seifert
Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen dem von der Industrie reproduzierten Selbstbild einer leistungsfähigen, zu technologischen Spitzenleistungen fähigen Rüstungsindustrie in Deutschland und den Verzögerungen in der Beschaffung und den Mängeln an Waffensystemen – der schwarze Peter wird dabei vielleicht zu leicht dem Beschaffungswesen der Bundeswehr zugeschoben. Doch wer ist damit gemeint, wenn von »der deutschen Rüstungsindustrie« gesprochen wird, welches sind die großen und die kleinen Firmen, die dazu gezählt werden müssten?
Es gibt nur wenige systematische Erhebungen zur Rüstungsindustrie in diesem Land – das liegt unter anderem auch daran, dass sie – volkswirtschaftlich betrachtet – nicht mehr relevant ist. Nach einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln waren in der Rüstungsindustrie 2020, also vor dem Beginn des Ukrainekrieges, rund 55.000 Menschen beschäftigt und sie erzeugte einen Umsatz von 11 Mrd. € (vgl. IDW 2022) – zum Vergleich betrug allein der Inlandsumsatz der deutschen Automobilindustrie im gleichen Jahr rund 153 Mrd. € und der Gesamtumsatz deutscher Autohersteller sogar 506 Mrd. €, bei rund 774.000 Beschäftigten (Statista 2023). 2013 veröffentlichte der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) eine Studie in der der Kernbereich der Rüstungsindustrie (also Unternehmen, die direkt in der Waffenproduktion tätig sind) gerade einmal 17.220 Beschäftigte zählt und rund 80.000 weitere im erweiterten Bereich der Sicherheitsindustrie zu verorten sind (Schubert et al. 2012). Erst mit sogenannten indirekten und induzierten Beschäftigungseffekten wurde diese Zahl auf 316.000 Menschen in Deutschland hochgerechnet, die von der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie profitieren. Die Studie spricht von einem Produktionswert von 22,6 Mrd. € für die Branche und einem überdurchschnittlichen Wachstum im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und einer hohen Exportquote (vgl. ebd.). Die Diskrepanz der Zahlen mag erstaunen und erklärt sich nur teilweise aus den unterschiedlichen methodischen Ansätzen. Aktuelle Statistiken erfassen nur unzureichend, welche Güter und Umsätze mit welchen Beschäftigten zusammenhängen und wo die Grenzen zwischen Sicherheit, Verteidigung oder Waffen und Rüstungsgütern verlaufen.
Der Blick in die Mitgliedsverzeichnisse der großen Lobbyvereinigungen wie dem Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) und dem Anwenderforum für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung (AFCEA) zeigt ein sehr viel differenzierteres Bild der Branche. Es sind Unternehmen engagiert, die in der überwiegenden Zahl auch, wenn nicht sogar mehrheitlich in zivilen Bereichen tätig sind und bei denen das »Rüstungsgeschäft« ein weiteres Betätigungsfeld unter vielen darstellt (vgl. IMI 2022). Würde man alle Beschäftigten und Umsätze pauschal der Rüstung zuschlagen, würde die Rüstung in Deutschland groß erscheinen. Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) selbst spricht mit Blick auf die kleineren Firmen von einem „Wehrtechnischen Mittelstand“ dem rund 1.350 Unternehmen in Deutschland zuzurechnen sind und sich dadurch charakterisieren, dass sie nicht mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen und einen Umsatz unter 300 Mio. € aufweisen.
In einer der vielen Aufstellungen zu den größten Rüstungsunternehmen Deutschlands wurden vom Portal »Technik und Wirtschaft für die Deutsche Industrie – Produktion« 2018 genannt:
Abb. 3
Diese Aufstellung ist erklärungsbedürftig. Die Umsätze vieler Unternehmen liegen nicht aktuell vor – sie sind immer als eine Tendenz zu verstehen und der aktuelle Krieg in der Ukraine wird diese Zahlen und ggf. auch die Reihenfolge ändern. Ein paar Anmerkungen: ein wesentliches Unternehmen, in das der Bund 2019 eingestiegen ist (Hensoldt Germany), ist nicht einmal erfasst; MAN (Platz 10) gehört in das Portfolio des Volkswagen-Konzerns, der das Geschäft mit schweren Lastkraftwagen unter dem Dach von Traton gebündelt hat, zu dem weitere Militärlastwagenhersteller gehören, MAN arbeitet mit Rheinmetall zusammen; Jenoptik (Platz 8) hat einen Teil des Militärgeschäftes an Hensoldt verkauft; MBDA (Platz 7) ist mit Ländergesellschaften in Deutschland, Frankreich und Italien angesiedelt, hier ist nur der deutsche Geschäftsbereich erfasst, das Unternehmen gehört Airbus, BAE Systems (GB) und Leonardo (IT) zu gleichen Teilen; KMW (Platz 4) ist mit dem französischen Produzenten Nexter zu KMW + Nexter Defense Systems (KNDS) fusioniert; Rheinmetall (Platz 2) ist in einem Jointventure mit MAN namens »Rheinmetall MAN Military Vehicles«; Airbus (Platz 1) ist ein europäisches Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden und es ist nicht ganz eindeutig, ob nicht noch Teile des Geschäftes in die Statistik eingeflossen sind, die an Hensoldt verkauft wurden.
Die Aufstellung in der Abb. 3 suggeriert eine Klarheit, die sich bei genauerem Besehen auflöst, da die Verbindungen zwischen den Unternehmen nicht sichtbar sind. Auch die Dynamik der Branche hat in den Jahren seit 2019 zugenommen. Sie zeigt die großen Firmen, wie sie in der öffentlichen Wahrnehmung und Debatte eine Rolle spielen – allen voran die Platzhirsche Airbus und Rheinmetall. Im internationalen Vergleich sind die großen deutschen Unternehmen eher klein. Das Stockholmer Friedenforschungsinstitut SIPRI veröffentlicht jährlich eine Liste der 100 größten Unternehmen im Bereich Waffenproduktion und militärischer Services – Lockheed Martin aus den USA führt diese Liste an: mit über 60 Mrd. US$ Umsatz – also einem mehrfachen der gesamten Branche in Deutschland. Dieser Liste nach findet sich das erste deutsche Unternehmen auf Platz 31(Abb. 4). Als trans-europäisch werden weitere Unternehmen gelistet, die in Deutschland substanziell produzieren (Abb.5).
Abb. 4 und Abb. 5
Der Blick auf die Umsätze und Beschäftigtenzahlen allein blendet aber andere Aspekte aus, die zur Bewertung der Unternehmen wesentlich sind. Der Aktivist Jürgen Grässlin spricht mit Blick auf den Handfeuerwaffenproduzenten Heckler & Koch aus Oberndorf nicht ohne Begründung von dem „tödlichsten Unternehmen“ Deutschlands (Grässlin 2013). Tatsächlich sind nicht wenige auch der kleinen Unternehmen Spezialisten, ggf. sogar Weltmarktführer für bestimmte Bauteile, die in Waffensystemen weltweit ihren Einsatz finden – sie sind so gesehen »wesentliche Akteure« auch wenn ihr Umsatz (oder ihr Umsatz im Rüstungsbereich) vergleichsweise gering ausfällt. Hier ist es wichtig in den Blick zu nehmen, dass Großwaffensysteme wie Panzer, Kampfflugzeuge oder Kampfschiffe nicht von einem einzigen Unternehmen gebaut werden, sondern sich aus Baugruppen und Teilen unterschiedlicher Hersteller zusammensetzen. Unternehmen bilden daher Konsortien, um solche Aufträge überhaupt bearbeiten zu können.
Andreas Seifert ist Politikwissenschaftler und ist als Vorstand bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in den Themenfeldern Sicherheitspolitik in Ostasien und Rüstungsindustrie aktiv.
Zehn ausgewählte Standorte deutscher Rüstungsschmieden
Abb. 6 und Abb. 7
Wer finanziert die deutsche Rüstungsindustrie – und wie? Ein Überblick von Facing Finance e.V.
von Julius-Anton Bussenius und Luca Schiewe
Ohne Bankkredite, ohne Exportkredite, ohne Versicherungen von Rückversicherern, ohne Risikenübernahme von Investmentbanken, ohne Investitionen von Fonds und ohne Anleihenverkäufe an der Börse ist es auch für deutsche Rüstungskonzerne schwer, auf den (internationalen) Markt zu gelangen und sich dort zu halten. Doch über welche Strukturen und Wege erhalten deutsche Rüstungsunternehmen konkret Gelder?
Die Umschreibung »deutsche Rüstungsindustrie« kann unterschiedlich weit gefasst werden und bedarf einer Spezifizierung (→ vgl. Seifert). Nach der Mitgliederliste des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) umfasst die »deutsche Rüstungsindustrie« aktuell 221 Mitgliedsunternehmen, von denen 187 namentlich genannt werden. Nach Angaben des BDSV betätigen sich seine Mitgliedsunternehmen in Deutschland auf dem Gebiet der Ausrüstung von Organen der Landesverteidigung und inneren Sicherheit in der Wehr-, oder Sicherheitstechnik mit industriellen oder digitalen Wertschöpfungsketten. Die Mitgliedschaft ist unabhängig von der Unternehmensgröße und bietet damit eine gute Annäherung an ein breites Verständnis der deutschen Rüstungsindustrie.
Finanzierungswege der Rüstungsindustrie
Die deutsche Rüstungsindustrie ist bezüglich Eigentümerstruktur, Ort des Unternehmenssitzes, Mitarbeiter*innenzahl und Jahresumsatz sehr heterogen. Je nach Unternehmensstruktur nutzen deutsche Rüstungsfirmen auch sehr unterschiedliche Finanzierungswege. Um einen Überblick zu bekommen, lohnt es sich, die Unternehmen zunächst anhand der zentralen Faktoren Eigentümerstruktur und Ort des Unternehmenssitzes zu kategorisieren (vgl. Abb. 8 und 9). Unter den BDSV-Mitgliedsunternehmen haben 129 ihren Hauptsitz in Deutschland, während 58 ihren Hauptsitz im Ausland haben oder deutsche Tochterunternehmen von ausländischen Konzernen sind. Bezüglich der Eigentümerstruktur befinden sich 95 Unternehmen in privatem Besitz, meist mittelständische Familienunternehmen, die eher kleinere Mitarbeiter*innenzahlen und Jahresumsätze aufweisen; Sechs gehören Finanzinvestoren, die das Ziel verfolgen, diese Unternehmen profitabler zu machen und anschließend weiterzuverkaufen oder an die Börse zu bringen; 28 sind Tochterfirmen von Konzerngruppen in Privathand oder Staatshand, meist Großkonzerne; Neun sind börsennotiert und in der Regel charakterisiert durch große Mitarbeiter*innenzahlen und Jahresumsätze; und 41 sind Tochterunternehmen oder Joint Ventures von börsennotierten Konzernen, die meisten davon mit Sitz im Ausland. Zu acht Unternehmen konnten keine Informationen zur Unternehmensstruktur gefunden werden.
Abb. 8
Die Unternehmensstruktur beeinflusst, auf welche Weise sich eine Rüstungsfirma finanziert. Für alle Firmen gilt, dass sie ihre Operationen und Investitionen teilweise selbst über einbehaltene Gewinne finanzieren. Daneben lassen sich für jede Unternehmensstruktur verschiedene Finanzierungswege erkennen.
Erstens: Unternehmen in privatem Besitz finanzieren sich hauptsächlich über Kredite deutscher Banken. Dabei handelt es sich in der Regel um konventionelle Banken und nicht um Nachhaltigkeitsbanken. Der Fair Finance Guide Deutschland zeigt, welche deutschen Banken die Rüstungsindustrie finanzieren und welche nicht.
Zweitens: Unternehmen, die Teil einer Konzerngruppe sind, finanzieren sich in der Regel über ihren Mutterkonzern. Einige deutsche BDSV-Mitgliedsfirmen gehören zu großen und internationalen Konzernen, meist Rüstungskonzernen, und finanzieren sich über diese. Ein paar dieser ausländischen Mutterkonzerne sind in Staats- oder Privathand, aber die meisten sind börsennotiert: Airbus, Atos, BAE Systems, Bruker, CAE, Capgemini, Caterpillar, CGI, Chart Industries, Cohort, Dassault Aviation, Elbit Systems, Engie, Frequentis, General Atomics, General Dynamics, Huber+Suhner, IBM, Kennametal, Leonardo, Melrose Industries, Moog, Northrop Grumman, Oerlikon, Palantir, QinetiQ, Rolls-Royce, RTX, Saab, Safran, Solvay und Thales.
Abb. 9
Drittens: Unternehmen, die an der Börse gelistet sind, finanzieren sich häufig über Konsortialkredite (große Kredite, die von mehreren nationalen und internationalen Banken gemeinsam vergeben werden) oder direkt über die Ausgabe neuer Aktien und Anleihen am Kapitalmarkt. Wenn eine deutsche Rüstungsfirma eine Anleihe ausgibt, dann nimmt sie dabei frisches Fremdkapital am Finanzmarkt auf. Wenn sie neue Aktien ausgibt, dann nimmt sie dabei frisches Eigenkapital am Finanzmarkt auf. Dabei übernehmen ein paar ausgewählte Investmentbanken die neuen Aktien und verkaufen sie dann an Anleger*innen, insbesondere Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften, Kreditinstitute, Vermögensverwalter und Investmentfonds. Wenn diese Anleger*innen neu ausgegebene Aktien oder Anleihen eines deutschen Rüstungsunternehmens kaufen (Primärmarkt), dann finanzieren sie dieses Unternehmen. Wenn dahingegen alte Aktien eines Rüstungsunternehmens zwischen Investor*innen gehandelt werden (Sekundärmarkt), erhält dieses Unternehmen dabei kein Geld. Trotzdem unterstützen auch Käufer*innen von Rüstungsaktien am Sekundärmarkt indirekt die jeweiligen Rüstungsfirmen, da sie zu einer höheren Nachfrage beitragen, die den Aktienpreis stützt und die Firma von einem höheren Aktienpreis finanziell profitiert. Das ist z.B. der Fall, wenn die Firma neue Aktien ausgibt und dabei dann einen höheren Preis erzielen kann.
Viertens: Ein paar deutsche Rüstungsfirmen wurden von Finanzinvestoren, meist Private Equity Fonds, aufgekauft und werden von diesen teilweise finanziert. Zu diesen Finanzinvestoren zählen aktuell Capital Management Partners, Mimir Group, Perusa Partners, Rantum Capital, Star Capital Partnership LLP, Triton Capital Partners und bald auch KKR.
Investoren und Kreditgeber der deutschen Rüstungsindustrie
Im Folgenden wird analysiert, wer die börsennotierten BDSV-Mitgliedsfirmen finanziert. Die größten Aktionäre der deutschen Rüstungsindustrie können unterschieden werden zwischen strategischen Anteilseignern (Staaten, Partnerkonzerne, Stiftungen, Gründerfamilien) und Investoren, die mit ihren Aktieninvestments in erster Linie Gewinne erzielen wollen. Die größten strategischen Anteilseigner der börsennotierten BDSV-Mitgliedsfirmen sind Stand August 2023 der deutsche Staat (mit Aktienbeteiligungen in Höhe von 12,95 Mrd. US$); der französische Staat (12,44 Mrd. US$); der Autokonzern Mercedes Benz (8,71 Mrd. US$); der spanische Staat (4,68 Mrd. US$); die Luxemburger Finanzholding CDE (2,38 Mrd. US$); der chinesische Autokonzern BAIC (1,62 Mrd. US$); der Staatsfonds Kuwaits (1,24 Mrd. US$); der Sicherheitstechnologie-Konzern Giesecke+Devrient (1,04 Mrd. US$); die Krupp-Stiftung (0,98 Mrd. US$); der italienische Rüstungskonzern Leonardo (0,62 Mrd. US$); die Software AG Stiftung (0,6 Mrd. US$); und die Fuchs-Familienstiftung (0,56 Mrd. US$).
Abb. 10
Die größten Investoren der börsennotierten BDSV-Mitgliedsfirmen sind Stand August 2023 die US-amerikanische Investmentgesellschaft Capital Group (12,67 Mrd. US$); der weltweit größte Vermögensverwalter Blackrock (9,52 Mrd. US$); der weltweit zweitgrößte Vermögensverwalter Vanguard (4,04 Mrd. US$); der britische Hedge-fond TCI (2,55 Mrd. US$); der weltweit drittgrößte Vermögensverwalter Fidelity (2,16 Mrd. US$); Europas größter Fondsanbieter Amundi (2,07 Mrd. US$); die US-Investmentgesellschaft Wellington (1,79 Mrd. US$); die größte britische Bank HSBC (1,41 Mrd. US$); das Fondshaus der Deutschen Bank, die DWS (1,23 Mrd. US$); die US-Investmentgesellschaft Invesco (1,22 Mrd. US$); die US-Investmentgesellschaft Harris Associates (1,21 Mrd. US$); und das Fondshaus der deutschen Sparkassen, die Deka (1,07 Mrd. US$). Es zeigt sich, dass die wichtigsten Investoren der börsennotierten deutschen Rüstungsfirmen die großen US-amerikanischen Finanzinstitute sind, die die globalen Kapitalmärkte dominieren. Dahinter kommen Finanzinstitute aus Großbritannien, Deutschland und Frankreich.
Wenn wir die Konsortialkredite betrachten, die die börsennotierten BDSV-Mitglieder seit dem Jahr 2020 erhalten haben, sehen wir, dass die größten Kreditgeber allesamt Großbanken sind: Die größte französische Bank BNP Paribas (4 Mrd. US$); die zweitgrößte italienische Bank Unicredit (3,97 Mrd. US$); die nach Börsenwert weltweit größte Bank JP Morgan (3,71 Mrd. US$); die zweitgrößte französische Bank Crédit Agricole (3,60 Mrd. US$); die größte britische Bank HSBC (3,51 Mrd. US$); die französische Bank Société Générale (3,39 Mrd. US$); die Investmentbank der französischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Natixis (3,33 Mrd. US$); die größte spanische Bank Santander (3,33 Mrd. US$); die größte deutsche Privatbank Deutsche Bank (1,70 Mrd. US$); die zweitgrößte spanische Bank BBVA (1,42 Mrd. US$); die zweitgrößte britische Bank Barclays (1,32 Mrd. US$); die US-Bank Citi; die größte kanadische Bank RBC; die japanischen Banken Mizuho und Sumitomo (alle 1,26 Mrd. US$); und die zweitgrößte deutsche Privatbank Commerzbank (0,59 Mrd. US$).
Hinzu kommen weitere Banken, die sich mit Summen unterhalb der Milliardenmarke an diesen Konsortialkrediten beteiligt haben. Das sind unter anderem die deutsche staatliche Förderbank KfW; die Kreissparkasse Biberach; die Kreissparkasse Ostalb; die Stadtsparkasse Düsseldorf; die Landesbank Baden-Württemberg; die Landesbank Hessen-Thüringen; die Bayerische Landesbank; das Zentralinstitut der deutschen Volks- und Genossenschaftsbanken, die DZ Bank; die größte chinesische Bank Industrial & Commercial Bank of China; die US-Investmentbank Goldman Sachs; die nach Börsenwert weltweit zweitgrößte Bank Bank of America; die größte holländische Bank ING; die größte schwedische Bank SEB; die britische Bank Standard Chartered; die größte Singapurer Bank DBS; die französische Genossenschaftsbank Crédit Mutuel; die australische Bank ANZ; die größte Schweizer Bank UBS; und die kürzlich untergegangene Credit Suisse.
Wer finanziert kontroverse Waffen?
Im Finanzsektor werden Rüstungsunternehmen häufig danach unterschieden, ob sie kontroverse Waffen entwickeln, produzieren und verkaufen oder dies nicht tun. Bei kontroversen Waffen handelt es sich um Kampfmittel, deren Einsatz umstritten ist und die meist in internationalen Verträgen von einer Vielzahl an Staaten geächtet werden. Dazu werden meist Streumunition, Nuklearwaffen, Anti-Personen-Minen, biologische Waffen, chemische Waffen, Waffen mit weißem Phosphor und abgereichertes Uran gezählt. Insgesamt sechs BDSV-Mitgliedsfirmen sind Teil von ausländischen, börsennotierten Rüstungsunternehmen, die an der Herstellung kontroverser Waffen beteiligt sind. Folglich finanzieren sich die deutschen Rüstungsfirmen, die Teil eines Herstellers kontroverser Waffen sind, über diese ausländischen Mutterkonzerne: Airbus, General Dynamics, Northrop Grumman, Safran, Thales, Elbit Systems. Weitere sieben ausländische Rüstungskonzerne, die nicht Mitglieder des BDSV sind, produzieren kontroverse Waffen und haben Niederlassungen oder Produktionsstätten in Deutschland. Diese deutschen Produktionsstätten finanzieren sich ebenfalls über die ausländischen Konzerne, zu denen sie gehören: Boeing, Fluor, Honeywell International, Jacobs Engineering, Leonardo, Dassault Aviation, Rolls-Royce.
Abb. 11
Wer liefert Waffen an kriegführende Staaten?
In der Datenbank exitarms.org, einem Projekt von Facing Finance e.V., unterscheiden wir zwischen Unternehmen, die Waffen an kriegführende Staaten liefern und Unternehmen, die das nicht tun. Aus diesen Daten geht hervor, dass zwischen 2016 und 2021 insgesamt 48 Unternehmen mit Sitz in Deutschland an Rüstungsexporten in Kriegsgebiete beteiligt waren. Zudem haben im selben Zeitraum 65 Unternehmen – teilweise mit Hauptsitz im Ausland – aus Deutschland heraus Waffen in Kriegsgebiete geliefert. Wenn wir von diesen Rüstungsexporteuren diejenigen betrachten, die börsennotiert sind, sehen wir, dass einige der größten Anteilseigner auch bereits unter den größten Aktionären der BDSV-Mitgliedsfirmen waren: Die Investoren Amundi, Blackrock, Capital Group, DWS, Fidelity, Harris Associates, Invesco, TCI, Vanguard und Wellington sowie die strategischen Anteilseigner BAIC, Kuwaits Staatsfonds und der französische Staat.
Abb. 12
Daneben gibt es ein paar neue Großaktionäre: Die größten strategischen Anteilseigner der börsennotierten Firmen, die Waffen in Kriegsgebiete exportiert haben, sind das Land Niedersachsen; die Holding der Milliardärsfamilie Porsche-Piëch; der Staatsfonds Katars; der Autokonzern Volkswagen; der italienische Staat; die französische Milliardärsfamilie Dassault; die Holding des israelischen Milliardärs Federmann; und der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus. Die größten Investoren sind der norwegische Staatsfonds sowie – allesamt mit Sitz in den USA – der Vermögensverwalter Artisan Partners; die nach Börsenwert weltweit zweitgrößte Bank Bank of America; der Vermögensverwalter Columbia Threadneedle; der Fondsanbieter DFA; der Vermögensverwalter Geode; die nach Börsenwert weltweit größte Bank JP Morgan; der Vermögensverwalter Longview Asset Management; die Finanzberatungsfirma Managed Account Advisors; der Vermögensverwalter MFS; die Investmentbank Morgan Stanley; der Pensionsfonds Newport; die Investmentgesellschaft Sanders Capital; der Versicherungskonzern State Farm; die Großbank State Street; und der Vermögensverwalter T. Rowe Price.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich deutsche Rüstungsfirmen hauptsächlich über folgende Wege finanzieren: selbst einbehaltene Gewinne; Kredite lokaler, nationaler und internationaler Banken; die Investitionen ihrer Mutterkonzerne, häufig ausländische, börsennotierte Rüstungskonzerne, sowie die Finanzierung über den Verkauf neuer Aktien und Anleihen an den Kapitalmärkten, meist an Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften, Kreditinstitute, Vermögensverwalter und Investmentfonds.
Julius-Anton Bussenius studiert Politikwissenschaft an der FU Berlin und ist Praktikant bei der Nichtregierungsorganisation Facing Finance e.V.
Luca Schiewe hat einen finanzwissenschaftlichen Background, ist bei Facing Finance e.V. für Engagement- und Divestmentstrategien zu Rüstungsexporteuren zuständig und koordiniert die ExitArms-Datenbank.
Rüstung findet nebenan statt: Standorte und Cluster der Rüstungsproduktion
von Andreas Seifert
Der Blick auf die aktuelle Karte mit Rüstungsstandorten in Deutschland offenbart einige Schwerpunkte und auch Leerstellen, vor allem aber eine breite Verteilung über ganz Deutschland. Es sind heute viele kleine, oftmals sogar unscheinbare Standorte: die ganz großen Zentren, wie es sie noch in den 1970er Jahren gab, sind weniger und kleiner geworden. Um die Dynamik dahinter zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte.
Die Höhepunkte der Rüstungsindustrie in Deutschland lagen im Ersten und Zweiten Weltkrieg und in der Hochphase des Kalten Krieges in den 1970er Jahren. Bereits Ende der 1970er Jahre, vor allem aber in den 1980er Jahren begann ihr relatives und absolutes Gewicht zu sinken. Von rund 400.000 Beschäftigten in diesem Bereich in den 1980ern, fiel die Zahl nach 1991 immer weiter ab und betrug je nach Zählmethode und Ansatz Anfang der 2000er Jahre nur noch rund 60.000 bis 90.000 Beschäftigte. Bundesländer wie beispielsweise Bremen versuchten, diesen Strukturwandel mit einer staatlich geförderten »Konversion« zu flankieren, die negativen Effekte abzufedern, anderswo wurde auf Fusionen gesetzt und wieder andere Unternehmen stellten Teile ihrer Produktion auf zivile Güter um.
Neben dieser allgemeinen Reduktion der schieren Anzahl von Beschäftigten beeinflusste auch die technologische Entwicklung und die geografische Lage den Zuschnitt der Industrie. Sind einzelne Standorte, wie Schönebeck südlich von Magdeburg seit 1832, schon immer und auch heute noch Standorte von Rüstung, so verschwanden doch andere von der Karte und es traten neue hinzu.
Grob formuliert trug die Abkehr von der Schwerindustrie (Stahlbau, Panzer) zur Leichtindustrie (z.B. im Flugzeugbau, Drohnen), aber auch die verstärkte Nutzung von Elektronik bzw. digitalen Technologien wesentlich zur Veränderung geografischer Schwerpunkte in der Rüstung bei. Trotz allem lassen sich geografische Kontinuitäten ortsbezogen beobachten und werden sich mit der rüstungsbezogenen »Zeitenwende« weiter vertiefen.
Nach 1989 wurde im Osten Deutschlands kaum etwas von der dort vorhandenen Rüstungsindustrie fortgeführt – z.B. Suhl mit der Firma Haenel. Jedoch sehen heute Unternehmen wie z.B. Rheinmetall durchaus eine Chance, in den östlichen Bundesländern erneut Rüstung anzusiedeln. Sie folgen hier einem Standortauswahlprinzip, das die Rüstungsindustrie schon immer verfolgte: besonders gefährliche Produktionen, z.B. Sprengstoffe, werden in eher dünner besiedelten, strukturarmen Regionen angesiedelt. Beispiele wie Burbach, Aschau am Inn, Schrobenhausen oder auch Oberndorf am Neckar sind Beispiele hierfür auch im deutschen Westen – selbst kleinere Firmen können so regional gesehen eine große Bedeutung für Arbeitsplätze, Sozialräume und Standortattraktivität erlangen.
Große Cluster in Deutschland, die ihre Kontinuität bis heute bewahrt haben, sind beispielsweise:
Abb. 13
(1) Die Bodenseeregion, die ausgehend von der mit den Zeppelinen verbundenen Rüstungsindustrie Anfang des 20. Jahrhunderts über den Flugzeug- und Motorenbau bis heute einen produktionstechnisch hoch relevanten Cluster bildet. Mit Diehl in Überlingen (früher einmal Bodensee Geräte Technik), über MTU Friedrichshafen (heute Rolls Royce) bis hin zu Hensoldt (vor kurzem noch Airbus) sind große Namen aus der Rüstungsindustrie direkt am See vertreten. Diese Firmen produzieren neben Motoren – heute mehr Schiffs- als Flugzeugmotoren – auch Getriebe für Panzerfahrzeuge, Sensoren und Lenkwaffen. Aber auch für die digitale Steuerung von Panzern und ganzen Schiffssystemen gibt es Anbieter.
(2) Ein anderer Cluster mit einer hohen Kontinuität ist der Bremen-Hamburg-Kiel Cluster. Dieser war einmal Hauptstandort der Marinerüstung in Deutschland. Heute spielt die Marinerüstung immer noch eine Rolle, aber sie ist deutlich kleiner und wird flankiert von Sensorik, Luft- und Raumfahrt. Mit Kiel, wo nicht nur die Produktion von U-Booten ihre Heimat gefunden hat, bilden Hamburg und Bremen eine Gruppe, die das gesamte Drumherum um die komplexer gewordenen maritimen Systeme entwickelt und produziert. Bremen ist heute einer der Schwerpunktstandorte nicht nur der Raumfahrt an sich, sondern auch ihrer militärischen Nutzung – große Firmen wie OHB entwickeln und bauen Satelliten fürs Militär. Schätzungen zufolge sind heute mit rund 8.000 Arbeitsplätzen in diesem Cluster wieder ähnlich viele Menschen in der Rüstung beschäftigt, wie zuletzt in den 1980er Jahren.
(3) Der zweite süddeutsche Cluster liegt um München. Panzer werden heute vor allem in Kassel und München gebaut. Mit dem Großraum München ist der größte Rüstungscluster benannt, den Deutschland aufzuweisen hat. Dabei ist es nicht einmal der Panzerbauer KMW, der hier hervorsticht, auch Rheinmetall und Rhode & Schwarz sind vertreten und alles was im Bereich militärischer Luftfahrt Rang und Namen hat: MTU Aeroengines, Europrop, Airbus und Hensoldt. Ebenfalls in München ist auch ein Teil der Forschung und Entwicklung für die Bereiche Luftfahrt und Militär anzutreffen – nirgendwo in Deutschland gibt es eine höhere Massierung.
(4) Rund um die Behördenstandorte Berlin (Regierung), Bonn (BMVg) und Koblenz (Beschaffungsamt) häufen sich die Verbindungs- und Lobbybüros der Rüstungsindustrie. Rund um Bonn herum hat sich zudem der wichtiger gewordene Bereich der Digitalindustrie angesiedelt. Diese formt einen eigenen Cluster, der sich in den letzten Jahren nahezu unbemerkt und abseits der auf schweres Gerät fixierten medialen
Rüstungsdebatten entwickelt hat. Kern der Entwicklung ist hier der AFCEA-Verband, der Militär, Behörden und Politiker*innen mit der Industrie zusammenbringt: kein scheinbar ziviler Technologiekonzern, der nicht vertreten ist. In Bonn sind die Übergänge zwischen dem Cyberkommando der Bundeswehr, dem BSI und anderen zivilen Akteuren fließend – eine jährliche Rüstungsmesse für den digitalen Kampf ist das Sahnehäubchen.
Abb. 14
Andreas Seifert ist Politikwissenschaftler und ist als Vorstand bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in den Themenfeldern Sicherheitspolitik in Ostasien und Rüstungsindustrie aktiv.