Im März 2022 warnte der Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, die 500 Tonnen schwere Internationale Raumstation (ISS) drohe abzustürzen. Er begründete dies mit den gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten westlichen Sanktionen. Diese träfen auch die russische Raumfahrtindustrie, würden die Versorgung und Steuerung der ISS beeinträchtigen und das Risiko für mehr Weltraumschrott erhöhen. Während Rogosin eine Abkopplung und mögliche militärische Nutzung des russischen Moduls ins Spiel brachte, kündigte sein Nachfolger Juri Borissow im Juli 2022 gleich ganz den Ausstieg aus der ISS nach 2024 und den Bau einer eigenen Raumstation an (SPIEGEL 2022). Dies würde das Ende der ISS als gemeinsames Projekt Russlands mit westlichen Staaten besiegeln und eine jahrzehntelange zivile Zusammenarbeit im Weltraum beenden. Das erste Raumfahrt-Kooperationsprojekt zwischen den USA und der UdSSR, die Apollo-Sojus-Mission 1975, symbolisierte damals Entspannung und friedliche Zusammenarbeit im Weltraum. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.
Dual-Use oder Dominanz des Militärischen?
Seit den Anfängen der Raumfahrt sind zivile und militärische Technologien und Infrastrukturen der Raumfahrt eng verflochten (Scheffran 1993). Die deutsche Raketenentwicklung in den 1930er Jahren erfolgte mit militärischer Unterstützung. Sie wurde während des Zweiten Weltkriegs zu einer Triebkraft für die Entwicklung der V2-Rakete in Nazi-Deutschland, die bei der Produktion im Konzentrationslager und beim Einsatz gegen europäische Städte tausende Menschen das Leben kostete. In den 1950er Jahren des Kalten Krieges dominierte – trotz öffentlich erklärter friedlicher Absichten – eine militärische Dimension des Rennens um den Weltraum. Das Janusgesicht der Raumfahrt wurde zum Synonym für technologischen Fortschritt und militärische Überlegenheit, was sich in Innovationen wie der präzisionsgelenkten Interkontinentalrakete, Aufklärungssatelliten und Mikroelektronik niederschlug. Neben der grundsätzlichen Faszination des Weltraums und den damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen erklärt doch am ehesten die ambivalente Beziehung zwischen Weltraum und Militär die enormen Summen für Weltraumprojekte und den Stellenwert, der diesem Raum in den internationalen Beziehungen zugemessen wird.
Zwischen 1957 und dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989 brachten die Supermächte mehr als 3.000 Objekte ins All, von denen etwa drei Viertel militärischen Zwecken dienten. Die militärische Nutzung des Weltraums wurde von Satelliten für Aufklärung, Frühwarnung, Wetterbeobachtung, Kommunikation und Navigation dominiert, die die Kriegsführung auf der Erde unterstützen sollten und auch zur Stabilität beitragen konnten, indem sie Transparenz schafften (Schrogl et al. 2015; Neuneck und Rothkirch 2006; Weeden 2019).
Konfrontation und Entspannung im Kalten Krieg
Bis in die 1960er Jahre stand der Weltraum weiter im Zeichen von Machtkämpfen um die militärisch-technologische Vorherrschaft im All. Hatte zunächst die Sowjetunion mit dem Start des Sputnik-Satelliten 1957 und dem ersten Menschen im All (1961) die Nase vorn, mobilisierten die USA enorme Ressourcen für die zivile Raumfahrt, angespornt durch die Rede von US-Präsident John F. Kennedy am 12. September 1962 (kurz vor der Kuba-Krise), in der er die Nation auf die Mondlandung einschwor. Mit sechs Apollo-Mondfähren zwischen 1969 und 1972 erlangten die USA zwar einen Vorsprung, doch erlahmte danach zunächst das Interesse an teuren Raumfahrtprojekten, zumal ihr Nutzen für die Menschheit fraglich war. Erst in jüngster Zeit kehrte das Interesse an Reisen zu Mond oder Mars wieder auf die Agenda zurück.
Nach der Entspannung der 1970er Jahre und der damit verbundenen Abkommen (Weltraumvertrag 1967, SALT-Abkommen und ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr 1972) begann in den 1980er Jahren eine weitere Phase von Systemkonkurrenz und Konfrontation, die erneut den Weltraum erfasste und das Risiko eines Atomkriegs barg. In der sogenannten »Star-Wars«-Rede vom 23. März 1983 kündigte US-Präsident Ronald Reagan an, Atomwaffen durch einen Raketenschild im Weltraum unwirksam und obsolet machen zu wollen (Engels et al. 1984). Während viele Wissenschafler*innen die Machbarkeit bezweifelten, wurde die »Strategic Defense Initiative« (SDI) dennoch an den Start gebracht, und erreichte erwartungsgemäß dieses Ziel nicht. Milliardenschwere Ausgaben verstärkten die Weltraumrüstung, von kinetischen Antisatellitenwaffen (ASAT) bis zu Laserwaffen zur Raketenabwehr (siehe den Beitrag von Neuneck in diesem Dossier, S. 6). Nachdem der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow 1985 an die Macht gekommen war, verhandelten beide Supermächte über eine Beendigung des Wettrüstens auf der Erde und im Weltraum, und vereinbarten mit den INF- und START-Verträgen nukleare Abrüstungsschritte. Beide Seiten hielten sich lange an ein von Moskau vorgeschlagenes Moratorium für ASAT-Tests, bis die USA 2008 wieder testeten. Die erneute Entspannung und der Zusammenbruch der Sowjetunion schufen die Voraussetzungen für die Beendigung des Ost-West-Konflikts.
Nach dem Kalten Krieg
In den 1990er Jahren verlagerte sich die Aufrüstung und Nutzung des Weltraums auf Dual-use Projekte, um zivil-militärische Synergien zu nutzen (Liebert et al. 1994). Dies bedeutete aber keineswegs eine geringere militärische Nutzung des Weltraums: Bereits der Golfkrieg 1990/1991, von manchen als erster Weltraumkrieg bezeichnet, stellte dies unter Beweis, da Satelliten intensiv genutzt wurden und die Patriot-Abwehrrakete zum Einsatz kam. Gleichwohl versagten viele dieser High-Tech-Waffen (einschließlich Patriot). Entsprechendes gilt für die folgenden Militärinterventionen (Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Ukraine), mit immensen Schäden.
Mit dem schon 1985 von Reagan gegründeten »Space Command« verstärkten die USA dann nach den Anschlägen vom 11. September 2001 unter Präsident George W. Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erneut ihre klar militärisch geprägten Dominanzbestrebungen, vorgeblich um ein imaginäres »Pearl Harbor im Weltraum« durch Angriffe von »Schurkenstaaten« und »Terroristen« abzuwehren (INESAP 2002). 2002 kündigte Präsident Bush dann den ABM-Vertrag, um ungestört Raketenabwehr und Weltraumrüstung entwickeln zu können. Ähnliche Schritte der militärischen Expansion im Weltraum erfolgten unter Präsident Donald Trump, der 2019 eine eigene »Space Force« in der US-Armee etablierte und die Weltraumbudgets der entsprechenden Behörden erhöhte.
Doch die Vorherrschaft der USA im Weltraum ist nicht mehr unangefochten. Weitere Akteure haben mittlerweile Zugang zu Trägerraketen und Satelliten, was einerseits die militärische Nutzung vorantreibt und andererseits das Akteursgefüge zunehmend verkompliziert. Trotz einer Krise der russischen Raumfahrt und wachsender Konkurrenz im Weltraumtransport, verfügt Russland nach wie vor über beträchtliche technische und militärische Fähigkeiten im Weltraum, die auch modernisiert werden. Die Ambitionen dokumentierte der russische ASAT-Test vom 15.11.2021, der zahlreiche orbitale Trümmerteile hinterließ (Bugos 2021).
In Europa ist neben den industriellen, technologischen und wissenschaftlichen Kompetenzen sowie dem öffentlichen Interesse an der bemannten Raumfahrt auch eine zunehmende Aufmerksamkeit für militärische Fähigkeiten der Aufklärung, Navigation und Kommunikation zu beobachten, unter Ausnutzung von Dual-use fähigen Projekten (siehe den Beitrag von Hagen in diesem Dossier, S. 14). Dazu gehört die Einrichtung von militärischen Weltraumkommandos in einigen Staaten, wie in Frankreich und Deutschland. Ähnliche Entwicklungen sind in Japan zu beobachten (Yoshitomi 2019).
New Space Race: Globaler Süden und Kommerzialisierung
Die Dual-Use-Strategie im Weltraum spielt auch im Globalen Süden eine Rolle. Weltraumkooperation und Technologietransfer schufen Voraussetzungen für die Entwicklung und Produktion von ballistischen Raketen und Satelliten. Dies wurde deutlich, als der Irak im Golfkrieg Raketen einsetzte, die auch über Dual-Use-Technologieexporte entwickelt, getestet und produziert wurden (Scheffran 1991). Hier zeigten sich Abgrenzungsprobleme bei der Umsetzung von Abkommen wie dem Trägertechnologie-Kontrollregime (»Missile Technology Control Regime«, MTCR) von 1987, das die Verbreitung von Raketentechnologie durch Lieferländer einschränken sollte.
Die Volksrepublik China hat wie die Supermächte auch ballistische Raketen als Grundlage für Weltraumraketen verwendet. Seit 1970 verfügt China über eine wachsende Zahl von Satelliten und verfolgt Programme zur Abwehr von Raketen und Satelliten. Dies zeigte 2007 der erste chinesische ASAT-Test, der ebenfalls Tausende von Fragmenten in der Umlaufbahn hinterließ. Israel verfügt ebenso über leistungsstarke Trägerraketen und seit 1988 auch über Satelliten für Aufklärungs- und andere Zwecke. Auch Indien gehört zu den führenden Raumfahrtnationen, mit Trägerraketen, Satelliten und einem ASAT-Versuch 2019. Ebenso zum »Weltraum-Club« dazu gehören wollen die Atommacht Nordkorea und Iran, der im April 2020 erstmals einen Militärsatelliten in eine Umlaufbahn brachte.
Immer mehr Akteure drängen in den Weltraum, Rivalitäten nehmen zu, besonders zwischen den USA und der VR China (vgl. den Beitrag von Engels, S. 10). Weltweit investierten 2014 insgesamt 58 Länder jeweils mehr als 10 Mio. US$ in die Raumfahrt, 20 Staaten mehr als noch 2005 (Jetzke und Weide 2017). Gründe für das neue Weltraumrennen (»New Space Race«) sind die fallenden Kosten für Starts, die Wiederverwendbarkeit von Trägerraketen, die Serienproduktion von Kleinsatelliten und Effizienzsteigerungen im privaten Sektor.
Ende 2021 befanden sich nahezu 5.000 Satelliten in der Erdumlaufbahn, davon etwa 3.000 aus den USA, 500 aus China und rund 170 aus Russland (Statista 2021). Das Raumfahrtbudget der US-Regierung lag 2018 bei knapp 20 Mrd. US$, gefolgt von den Budgets Chinas, Europas und Russlands. Während die Raumfahrt früher fast ausschließlich von Staaten finanziert und von wenigen etablierten Unternehmen durchgeführt wurde, wird sie mit zunehmender Kommerzialisierung von privaten Akteuren geprägt, bis hin zum Weltraumtourismus (vgl. den zweiten Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21). Zwischen 2005 und 2017 wuchs der Weltmarkt für raumfahrtbezogene Geschäfte mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 6,7 % pro Jahr. Die Raumfahrtindustrie erwirtschaftete 2005 einen Umsatz von rund 175 Mrd. US$, der sich bis 2040 verzehnfachen könnte (Kind et al. 2020).
Ukrainekrieg: Brennglas der Geopolitik im Weltraum-Zeitalter
Mit zunehmenden Investitionen wachsen auch die Sicherheitsambitionen im Weltraum, einem Schauplatz geopolitischer Rivalität, der zunehmend „komplexer, fragiler und letztendlich konfliktiver“ wird und gekennzeichnet ist durch Internationalisierung, Kommerzialisierung, Verdichtung und ungenügende Reglementierung (Rotter 2022, S. 18).
Der Ukrainekrieg und die anvisierte sicherheitspolitische Zeitenwende beeinflussen auch die Weltraumsicherheit und die zivile Zusammenarbeit. Seit russische Sojus-Starts vom Raumfahrtzentrum Guayana eingestellt wurden, was auch europäische kommerzielle Satelliten betrifft, braucht die ESA dringend eine alternative Trägerrakete. Direkt vom Krieg betroffen ist die Produktion von Triebwerken der europäischen Vega-Trägerrakete in der Ukraine. Die europäische Weltraumbehörde ESA stellte zudem die Zusammenarbeit mit den kommenden russischen Missionen ein, darunter das deutsch-russische Weltraumteleskop eROSITA und die Mars-Sonde ExoMars.
Im Ukrainekrieg wird der Weltraum von allen Beteiligten militärisch instrumentalisiert, für Aufklärung, Lageeinschätzung, Kommunikation und Navigation. Der Cyberangriff auf einen kommerziellen Satelliten des US-Unternehmens ViaSat zu Kriegsbeginn hatte Auswirkungen auf das Militär in der Ukraine und beeinträchtigte die Terminals ziviler Kunden in ganz Europa, darunter Tausende von Windkraftanlagen in Deutschland (ESPI 2022). Damit rückte die Verwundbarkeit und der Schutz der Weltrauminfrastruktur ins Rampenlicht.
Als Reaktion auf diese oben genannten Herausforderungen zielt der neue »Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung« (EU 2022) darauf, das »geopolitische Erwachen« in eine dauerhaftere Strategie umzusetzen. Angestrebt wird, neue Mittel, Fähigkeiten und Technologien zu entwickeln, auch für den Schutz und die Resilienz der europäischen Weltraumressourcen in Krisenzeiten. Hierzu gehört die für 2023 angekündigte »Europäische Weltraumstrategie für Sicherheit und Verteidigung«. Vorgeschlagen werden Maßnahmen für Risikoeinschätzung und Krisenmanagement, Überwachung und Vernetzung im Weltraum, der Schutz kritischer Weltraum-Infrastrukturen, -Technologien und -Versorgungsketten, Dual-use-Innovationen und ein autonomer Zugang zum Weltraum (siehe weiter bei Hagen, S. 14). Damit verbunden sind verschiedene Rüstungsprogramme, darunter auch ein Raketenabwehrsystem für Europa.
Weltraumrecht und Rüstungskontrolle
Die Rivalitäten zwischen den Großmächten und die Verschlechterung der internationalen Beziehungen wirken sich auf die künftige Zusammenarbeit im Weltraum ebenso aus wie auf multilaterale Verhandlungen und Abkommen des Völkerrechts. Entgegen der faktischen militärischen Nutzung hat die internationale Gemeinschaft den starken Wunsch zum Ausdruck gebracht, den Weltraum für Zusammenarbeit und friedliche Zwecke zu erhalten. Als Verhandlungsforen dienen der UN-Sonderausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS) und die Genfer Abrüstungskonferenz (CD) zur militärischen Weltraumnutzung.
Die Entwicklung des Weltraumrechts hat mit den raschen und komplexen Herausforderungen im Weltraum nicht Schritt gehalten (vgl. die entsprechenden Beiträge von Sönnichsen, S. 17 und Bertamini, S. 25). Hier sind neue Regelungen erforderlich, die über den Weltraumvertrag von 1967 hinausgehen und Risiken vermeiden, Investitionen erleichtern, Rechtssicherheit schaffen und nicht zuletzt Sicherheit und Frieden im Weltraum ermöglichen. Resolutionen der VN-Generalversammlung zur »Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum« (PAROS) konnten bislang auch noch nicht in konkrete Schritte umgesetzt werden. Durch passiven und aktiven Schutz und Verkehrsregeln im Weltraum könnten Risiken reduziert und die Überlebensfähigkeit von Weltraumobjekten verbessert werden. Bis zu einem gewissen Grad könnten auch andere vertrauensbildende Maßnahmen (VBM) zur Vermeidung von Unfällen und Missverständnissen mit zur Stabilisierung beitragen.
Da es bislang noch keine wirksamen Weltraumwaffen gibt, kann eine destabilisierende Bewaffnung und ein Wettrüsten im Weltraum durch präventive Rüstungskontrolle und Abrüstung noch verhindert werden (Hagen und Scheffran 2005). Seit den 1970er Jahren gab es Initiativen gegen die Bewaffnung des Weltraums, darunter Vorschläge Frankreichs, der Sowjetunion und der »Union of Concerned Scientists«. Deutsche Wissenschaftler legten 1984 auf einer Konferenz in Göttingen einen »Vertragsentwurf über die Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums« vor, der seinerzeit Gegenstand einer Bundestagsdebatte war (Fischer et al. 1984; Scheffran 2021). Ergänzend könnten ein Testverbot für ASAT-Waffen und/oder ballistische Raketen vereinbart werden.
In den letzten zehn Jahren wurden erneut verschiedene diplomatische Initiativen ergriffen, um einem Wettrüsten im Weltraum zu begegnen: ein Verhaltenskodex der EU für den Weltraum, Vorschläge Kanadas zur Nichtbewaffnung des Weltraums, ein gemeinsamer Vertragsentwurf Russlands und Chinas gegen Weltraumwaffen (siehe auch der erste Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 17). Die USA blockierten bislang entsprechende Verhandlungen grundsätzlich. Erst 2022 unter Präsident Joe Biden signalisierten sie die Bereitschaft zur Kontrolle von ASAT-Waffen.
Die Wirksamkeit eines Weltraumabkommens hängt von politischen Anforderungen und technischen Fähigkeiten der Verifikation ab, um die vereinbarten Regeln zu überprüfen und Vertragsverstöße rechtzeitig zu entdecken. Verschiedene Mittel können zu diesem Zweck genutzt werden (Scheffran 1986): Fernerkundung in verschiedenen Spektralbereichen; Bahnverfolgung; Sensoren vor Ort/an Bord; kooperative und institutionelle Verfahren (Informationsaustausch; Inspektion; VBM; eine internationale Agentur; Konsultationen). Einige dieser Mittel sind leicht verfügbar, andere wiederum erfordern Forschung und internationale Zusammenarbeit.
Gemeinsame Sicherheit im Weltraum
Die Chancen der Weltraumrüstungskontrolle hängen von den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ab. In einem feindseligen Umfeld ist Rüstungskontrolle notwendiger, wenn auch schwieriger, während in einem kooperativen Umfeld die Anforderungen an Rüstungskontrolle oft geringer sind. Die derzeitige geopolitische Landschaft mit multiplen Krisen, Feindseligkeiten und Instabilitäten steht im Widerspruch zu einer gelingenden internationalen Zusammenarbeit im Weltraum und einer dafür notwendigen breiten Unterstützung von VN-Resolutionen für eine friedliche Weltraumnutzung. Um ein neues Sicherheitsumfeld zu schaffen, müssen Spannungen und Anreize für eine Bewaffnung des Weltraums abgebaut werden, unterstützt durch Maßnahmen zur Risikominderung, Überwachung und Vertrauensbildung. Beim Übergang zu einem globalen Weltraum-Sicherheitsregime spielt die regionale Sicherheitsdynamik und -zusammenarbeit eine Rolle, als Antrieb und als Hindernis. Ohne ein stärkeres diplomatisches Engagement, kooperative Initiativen und ein neues Denken, wie es der kürzlich verstorben Michail Gorbatschow einst forderte, können daher Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitsdilemmata im Weltraum schnell übermächtig werden.
Nach Wolter (2006, S. 5) umfasst das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit im Weltraum „das Verbot aktiver militärischer Nutzungen mit zerstörerischem Charakter im gemeinsamen Raum; ein umfassendes Paket vertrauensbildender Maßnahmen mit multilateralen Satellitenüberwachungs- und -verifikationssystemen sowie ein Schutzregime für friedliche Weltraumobjekte auf der Grundlage von Immunitätsregeln für Satelliten, wie z.B. ‘Verkehrsregeln’ und ein ‘Verhaltenskodex’.“ Gemeinsame Sicherheit sucht also die gegenseitigen Interessen im Weltraum zu wahren und gemeinsame Partnerschaften für regionale Sicherheit, Rüstungskontrolle und Abrüstung anzustreben (ITUC et al. 2022). Hierzu gehört eine sichere und nachhaltige Nutzung des Weltraums, die die Integrität von Weltraumaktivitäten gegen Bedrohungen und Naturrisiken sicherstellt.
Umwelt, Zivilgesellschaft und nachhaltiger Frieden
Der Weltraum ist ein Gemeinschaftsgut, das zur Umwelt der Erde gehört und im Sinne erweiterter Sicherheit vor Aktivitäten zu schützen ist, die sie ausbeuten und zerstören (vgl. der Beitrag von Bertamini in diesem Dossier, S. 25). Krieg im All belastet diese Umwelt und seine Ressourcen. Raumfahrtaktivität schafft negative Nebenwirkungen für die Umwelt, u.a. Weltraummüll, Lichtverschmutzung, Unfallrisiken bei Start und Wiederkehr, Emission von CO2 und anderen Schadstoffen durch Raketenstarts und die dafür notwendige Infrastruktur. In Deutschland wurden ökologische Probleme der Raumfahrt schon seit 1988 untersucht (Wengeler 1993).
Richtig eingesetzt, kann die Raumfahrttechnologie zur Entwicklung der Menschheit und zur Bewahrung der Biosphäre beitragen. Für eine friedliche und nachhaltige Weltraumnutzung hatte ich acht Kriterien vorgeschlagen, die auch die sozialen und politischen Kräfteverhältnisse berücksichtigen (Scheffran 2001, siehe Kasten oben links). Neben der Erforschung und Nutzung des Weltraums richtet sich der Blick auf die Kommunikation und die Beobachtung der Erde über Satelliten in wichtigen Bereichen wie Landwirtschaft und Fischerei, Umweltüberwachung und Wettervorhersage, Geologie und Rohstofferkundung, Kartografie und Stadtplanung. So lassen sich wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt gewinnen, für die nachhaltige Lösung globaler Probleme wie Klimawandel, Artensterben, Meeresforschung, Seenotrettung, Katastrophenmanagement und die Überprüfung internationaler Verträge. Satelliten liefern auch Erkenntnisse und Abwehrmöglicheiten gegen Gefahren aus dem All, etwa durch Zusammenstöße mit Asteroiden, wie zuletzt die Dart-Mission am 26.9.2022 zeigte.
Acht Kriterien für eine friedliche und nachhaltige Weltraumnutzung (nach Scheffran 2001):
1. Schwere Katastrophen vermeiden.
2. Militärische Nutzung des Weltraums begrenzen.
3. Risiken für menschliche Gesundheit und Umwelt minimieren.
4. Probleme und menschliche Bedürfnisse nachhaltig lösen.
5. Qualität, Effizienz und Zuverlässigkeit der Technologien sichern.
6. Technische Alternativen mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis entwickeln.
7. Sozialverträglichkeit gewährleisten und Zusammenarbeit stärken.
8. Projekte in öffentlichen Debatten unter Beteiligung der Betroffenen rechtfertigen.
In den Machtkämpfen des Raumfahrtzeitalters spielte die Zivilgesellschaft nur eine untergeordnete Rolle. Wie der Göttinger Vertragsentwurf und andere Initiativen zeigen, können Wissenschaft und Gesellschaft sich jedoch effektiv an Fragen der Weltraumsicherheit und Rüstungskontrolle beteiligen und die Sackgasse bei den Verhandlungen im Rahmen einer Weltraumdiplomatie überwinden helfen (Scheffran 2021). Um das öffentliche Bewusstsein und die Demokratisierung des Weltraums zu schärfen, ist ein öffentlicher Diskurs über die zugrundeliegenden Probleme und möglichen Lösungen erforderlich, der auf Offenheit, Transparenz, Fairness und gegenseitigem Respekt beruht. Initiativen (wie das »SichTRaum«-Netzwerk oder das »Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement«) können den Informationsaustausch und demokratischen Prozess zwischen Zivilgesellschaft, Medien und staatlichen Einrichtungen fördern und Unsicherheiten verringern helfen. Hierzu gehört die Entwicklung handlungsleitender Kriterien für die zukünftige Raumfahrtentwicklung, im Sinne nachhaltiger Entwicklung und einer friedlichen Nutzung des Weltraums.
Literatur
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Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg und Mitglied der W&F-Redaktion.