Deutsch-französische Achse schwächelt

Deutsch-französische Achse schwächelt

Quo vadis Europa?

von Hans-Georg Ehrhart

Dominiert Deutschland Europa? Hat die Griechenlandkrise das Bild vom »hässlichen Deutschen« wieder reaktiviert? Was soll aus Europa werden und aus seiner Hauptstütze, der deutsch-französischen Achse? Die Erweiterung der EU auf 28 Mitgliedsländer hat die Bedeutung der deutsch-französischen Achse zweifellos relativiert. Hinzu kommt das derzeitige ökonomische Ungleichgewicht zwischen beiden Ländern. Gleichwohl ist die bilaterale Zusammenarbeit immer noch von Bedeutung, denn ohne eine Verständigung zwischen Paris und Berlin geht, so die Überzeugung unseres Autors, in der EU nichts voran, weder in der Wirtschafts- und Finanz- noch in der Sicherheitspolitik.

Laut Präsident François Hollande bilden Deutschland und Frankreich das „Herz Europas“ und tragen außerordentliche Verantwortung für dessen wirtschaftliche, finanzpolitische, soziale und politische Integration (Hollande 2012, S.3). Für Deutschland wiederum ist die „engste Partnerschaft mit Frankreich in einem geeinten Europa“ eine der Grundkoordinaten seiner Außenpolitik (Steinmeier 2015, S.8). Diese positive Grundhaltung verhindert aber nicht, dass es unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft Europas und Interessengegensätze gibt, die es mühsam zu überwinden gilt. Den diversen Problemen liegen unterschiedliche politische Denkansätze und »Kulturen« zugrunde, die es beiden Seiten schwer machen, einen Kompromiss zu finden.

Unterschiedliche wirtschaftspolitische Ansätze

In der Wirtschafts- und Finanzpolitik verfolgt Deutschland einen liberalen Ansatz, der auf einer starken Exportindustrie, offenen Märkten und einer hohen Wettbewerbsfähigkeit basiert. Das damit verbundene europapolitische Problem formuliert Außenminister Steinmeier, wenn er mahnt, „ein fatales strategisches Dilemma zu verhindern, in dem Deutschland sich vor die Wahl gestellt sähe zwischen seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit in der Globalisierung einerseits und der Zukunft der europäischen Integration – vor allem dem Zusammenhalt der Wirtschafts- und Währungsunion – andererseits“ (Steinmeier 2015, S.11). In Frankreich hingegen spielen der vorsorgende Staat und die Binnennachfrage traditionell eine größere Rolle. Das trug dazu bei, dass das Land seit Jahren ein sehr hohes Haushalts- und Staatsdefizit aufweist.

Deutschland hatte 1997 extra den Stabilitätspakt durchgesetzt, um die Währungsunion wetterfest gegen gegen eine schuldenbasierte Staatsfinanzierung zu machen. Dem 750 Mrd. schweren Hilfspaket für Griechenland stimmte Berlin 2010 erst zu, nachdem der damalige französische Präsident Sarkozy gedroht hatte, den Euro zu verlassen (Traynor/Tremlett 2010). 2012 wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingeführt, er vergibt aber nur rückzahlbare Kredite und ist nicht für Finanztransfers zuständig. Während Berlin die Einführung von Eurobonds, also gemeinsamen Staatsanleihen, vehement ablehnt, sieht Paris darin die Krönung seiner Europapolitik. Schon seit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in den 1950er Jahren versucht Frankreich, die deutsche Wirtschaftskraft zu »europäisieren« und für seine Vorstellung von Europa nutzbar zu machen.

Der deutsche Finanzminister Schäuble ist zwar durchaus für eine Fiskalunion, aber nur, sofern diese die effektive Kontrolle ihrer Mitglieder ermöglicht und Regelverstöße verlässlich sanktioniert, etwa durch einen mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Europäischen Währungsfonds (Schäuble 2010). Frankreich denkt eher an einen gemeinsamen Haushalt und eine gemeinsame Haftung, will sich auf der anderen Seite aber in seine nationale Politik nicht viel reinreden lassen. Dementsprechend schlug Präsident Hollande nach dem qualvollen Griechenlandkompromiss, der Mitte August 2015 zum dritten Rettungspaket führte, die Bildung einer europäischen Wirtschaftsregierung für die Eurozone mit eigenem Haushalt und Parlament vor. Zur Not könne eine „Avantgarde“ aus interessierten Staaten vorangehen (Gamelin 2015a, S.6).

Nach einem gemeinsamen Arbeitspapier, über das die Wochenzeitung DIE ZEIT berichtete (2.6.2015), streben Paris und Berlin nun eine engere Währungsunion mit häufigeren Gipfeltreffen, mehr Kompetenzen für die Gruppe der Finanzminister und ihres Präsidenten, der so etwas wie der von Paris vorgeschlagene europäische Finanzminister werden könnte, sowie eine Beteiligung des Europaparlaments an. Sie wollen also vor allem die zwischenstaatliche Zusammenarbeit stärken, was dem bevorzugten französischen und mittlerweile auch von Kanzlerin Merkel goutierten Ansatz entspräche. In diese Richtung geht auch die (nicht zuletzt mit Blick auf das mit Austritt aus der EU drohende Großbritannien formulierte) Idee Schäubles, die EU zurückzubauen, indem der Europäischen Kommission die Aufsicht über Haushalte, Binnenmarkt und Wettbewerbsrecht entzogen und einer unabhängigen Behörde übertragen wird (Gamelin 2015b, S.4).

Unterschiedliche sicherheitspolitische Kulturen

Die Zeiten, in denen die Kommission als künftige europäische Regierung angesehen wurde, sind ohnehin vorbei. CDU und SPD nahmen bereits vor Jahren Abschied von der – übrigens von Paris nie geteilten – Vision der Vereinigten Staaten von Europa. Das hindert beide Parteien aber nicht daran, für eine Europäische Armee zu plädieren (Ehrhart 2014, S.92). Allerdings lassen sie offen, was sie darunter verstehen. Wenn der europäische Bundesstaat kein Ziel mehr ist, wie soll eine Europäische Armee politisch geführt werden? Paris denkt gar nicht daran, seine verteidigungspolitische Souveränität aufzugeben – mehr Koordinierung und Zusammenarbeit in Teilbereichen ja, mehr aber nicht. In offiziellen Äußerungen wird zwar gerne von der Notwendigkeit einer »europäischen Verteidigung« gesprochen, jedoch nicht im Sinne einer integrierten Armee.

Das französische (und britische) Hauptinteresse an der seit 1999 im Rahmen der EU im Aufbau befindlichen »Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (GSVP) liegt in verbesserten militärischen Kapazitäten. Hauptadressat dieses Anliegens ist Deutschland, das mehr für Rüstung und Verteidigung ausgeben und sich international militärisch mehr engagieren soll. Während Deutschland nur 1,4 Prozent seines Bruttoinlandprodukts für Verteidigung ausgibt, sind es bei Frankreich zwei Prozent (darin enthalten sind allerdings auch die Kosten für die französische Nuklearstreitmacht). Weil Deutschland nicht so richtig mitzog, schloss Frankreich mit Großbritannien 2010 weit reichende militärpolitische Verträge ab, ohne Berlin zu konsultieren oder die GSVP zu erwähnen.

Ein Grund für die manchmal unterschiedlichen Positionen liegt in den immer noch verschiedenen sicherheitspolitischen Kulturen. Bereits das von Paris initiierte Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte 1954 schließlich am französischen Widerstand. Damit war auch die geplante Europäische Politische Gemeinschaft gescheitert. Einerseits wollte Paris damals Sicherheit und Kontrolle durch Integration der Bundesrepublik, andererseits wollte es seine außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit bewahren – Frankreich sah sich als Weltmacht, befand sich im Indochinakrieg. Die 1952 gegründete EGKS, die die Kontrolle über die damals rüstungswirtschaftlich relevante Schwerindustrie ermöglichte, und die 1954 gegründete Westeuropäische Union (WEU), die umfangreiche rüstungskontrollpolitische Beschränkungen für die Bundesrepublik vorsah, reichten dem NATO-Gründungsmitglied Frankreich als Rückversicherung aber schließlich aus.

EGKS und WEU sind mittlerweile Geschichte. Zahlreiche bilaterale Initiativen haben inzwischen die Welt erblickt: Sie reichen vom Elysée-Vertrag – bis heute die wichtigste vertragliche Grundlage für die bilateralen Beziehungen -, der deutsch-französischen Brigade und dem Eurokorps bis zum Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat. Selbst auf dem Gebiet der nuklearen Abschreckung, die Frankreich als Garant für das Überleben der Nation und als Ausdruck eines besonderen Status betrachtet, bot Frankreich 1986 und 1996 Deutschland Konsultationen an. Deutschland zeigte aber kein Interesse, weil es eher auf die »nukleare Teilhabe« an US-Atomwaffen im Rahmen der NATO setzt. Zudem gilt bei aller Kooperationsbereitschaft die Aussage von Charles de Gaulle, dass sich die Verfügung über Atomwaffen nicht teilen lasse.

Doch steht dieses Thema für Frankreich längst nicht mehr auf der Agenda. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen haben sich geändert. Im Mittelpunkt stehen nun vor allem Terrorismus und gescheiterte Staaten. Als ehemalige Kolonialmacht und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats ist Frankreich viel interventionsfreudiger als Deutschland und hat in den letzten Jahren in Libyen, Mali, der Zentralafrikanischen Republik und im Nahen Osten interveniert. Während Deutschland traditionell eher nach Osten blickt, liegt für Frankreich die zentrale Problemzone in Afrika. Im Ukrainekonflikt versucht Berlin, Paris über das »Normandieformat« (Deutschland, Frankreich, Russland und Ukraine) einzubinden. Zugleich folgt es dem französischen Drängen, sich auch militärisch mehr in Afrika zu engagieren, indem es Teile der deutsch-französischen Brigade in Mali einsetzt. Die Zusammenarbeit bei der weltraumgestützten Aufklärung ist ein weiterer Kooperationsbereich, wie auch das Vorhaben, eine bewaffnungsfähige Drohne zu entwickeln.

Fehlende gemeinsame Vision

Nach dem Abschluss des Vertrages von Lissabon, durch den die Europäische Union institutionell reformiert wurde, bedürfte es »nur« eines Beschlusses der EU-Staats- und Regierungschefs, um eine gemeinsame Verteidigungspolitik einzuführen, die dann zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. Doch solange die beiden Hauptprotagonisten nicht an einem Strang ziehen, wird eine Außen- und Sicherheitspolitik Europas aus einem Guss Zukunftsmusik bleiben. Ähnlich sieht es in der Wirtschafts- und Währungspolitik aus. Es braucht eine gemeinsame Vision um voranzukommen. Diese fehlt aber offensichtlich. Was ist also zu tun?

Frankreich müsste in beiden Fällen seinen nationalen Souveränitätsanspruch reduzieren, Deutschland müsste für andere mehr ins Risiko gehen. Durch die eigene Bereitschaft, Souveränität und Risiko zu teilen, könnte die schwächelnde deutsch-französische Achse Vorbild sein und mit anderen interessierten Partnern das Friedensprojekt EU voranbringen, statt in Kleinmütigkeit zu verharren. In unserer globalisierten Welt wäre dies einem Europa mit schwachen Institutionen oder gar einer Renationalisierung Europas allemal vorzuziehen.

Literatur

DIE ZEIT: Merkel strebt radikale Euroreform an. 2. Juni 2015.

Hans-Georg Ehrhart (2014): Europäische Armee – eher Chimäre als Vision! In: Ines-Jacqeline Werkner, Janet Kursawe und Margret Johannsen (Hrsg.) (2014): Friedensgutachten 2014. Berlin: LIT, S.87-99.

Cerstin Gammelin (2015a): Friedenstaube nach Berlin. Süddeutsche Zeitung, 21.7.2015.

Cerstin Gammelin (2015b): EU, eine Nummer kleiner. Süddeutsche Zeitung, 31.7.2015.

François Hollande (2012): Rede anlässlich des 50. Jahrestages der Rede von General de Gaulle an die deutsche Jugend. In: Ministère des Affaires Ètrangères et Européennes: Bulletin d'actualités. 24.9.2015, S.1-4.

Wolfgang Schäuble im Interview mit Bild: Pleite-Ländern notfalls den Euro wegnehmen. 15.3.2015.

Frank-Walter Steinmeier (2015): »Krise, Ordnung, Europa« – Zur außenpolitischen Verortung und Verantwortung Deutschlands. In: Auswärtiges Amt Projektteam „Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken“: Review Krise – Ordnung – Europa.

Ian Traynor and Giles Tremlett: Nicolas Sarkozy Threatened to Pull Out of Euro Over Greece. The Guardian, 14 May 2010.

Dr. Hans-Georg Ehrhart ist Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und Leiter des Zentrums für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien am IFSH (ZEUS).

Agenda Rüstung

Agenda Rüstung

Stärkung der Waffenindustrie und staatliche Machtpolitik

von Jürgen Wagner

Anfang Oktober 2014 wurde das von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Auftrag gegebene Gutachten über die Bundeswehr-Beschaffungsprojekte veröffentlicht. Nahezu zeitgleich ging Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit einer rüstungspolitischen Grundsatzrede an die Öffentlichkeit. Aus von der Leyens Haus folgte im Juni 2015 das »Dialogpapier« zwischen dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) und der Rüstungslobby, und wenige Tage später wurde das »Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland« nachgeschoben, das die wesentlichen Kernelemente aus der Rede des Wirtschaftsministers übernimmt. Zusammen bilden diese Initiativen das Gerüst der sich abzeichnenden »Agenda Rüstung« der Bundesregierung, die im Folgenden näher beschrieben wird.

In Sachen Rüstungspolitik legt die Bundesregierung seit einiger Zeit eine hektische Betriebsamkeit an den Tag: Personal wurde ausgetauscht, Gutachten wurden erstellt und Strategiepapiere verabschiedet. Die Politik will mit der sich dabei herauskristallisierenden »Agenda Rüstung«1 vor allem zwei Interessen umsetzen: Einmal geht es darum, deutlich mehr militärische Schlagkraft pro investiertem Euro zu generieren als dies bislang der Fall war. Hierfür ist man im BMVg bestrebt, vorhandene Ineffizienzen im Beschaffungswesen soweit als möglich zu beseitigen und die Industrie bei der auftragsgemäßen Lieferung künftig stärker in die Pflicht zu nehmen. Gleichzeitig besteht ein Kerninteresse an der Stärkung der deutschen Rüstungskonzerne und ihrer industriellen Basis.

Letzterem kommt hohe Priorität zu, weil die Vorstellung, eine starke einheimische Rüstungsindustrie sei eine notwendige Bedingung für eine wirkungsvolle Militär- und Machtpolitik, tief in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger verwurzelt ist.2 So kommt eine umfassende Untersuchung zum »Wert« des deutschen Rüstungswesens zu dem Ergebnis: „[D]ie Rüstungspolitik [ist] ein integraler Bestandteil der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie eine Kernkompetenz der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. […] Der Zugriff auf eine leistungsfähige und flexible rüstungsindustrielle Basis ist für die Bundesregierung somit eine Grundvoraussetzung ihrer militärischen und damit außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsfähigkeit. Für den Handelsstaat Deutschland ist diese Komponente seiner staatlichen Handlungsfähigkeit eine grundlegende Voraussetzung für eine effektive und nachhaltige Interessensverfolgung in einer multipolaren Weltordnung. […] Nicht seine ökonomische Dimension – sprich der Beitrag zur Wirtschaftsleistung und die Schaffung von Arbeitsplätzen – sondern die […] militärische und außenpolitische Dimension macht den Rüstungssektor zu einem unverzichtbaren Wirtschaftsbereich der deutschen Volkswirtschaft.“ 3

Bei der Stärkung des Rüstungssektors wird arbeitsteilig vorgegangen: Das BMVg drängt dabei vor allem auf eine Erhöhung der Rüstungsausgaben und hier insbesondere des investiven Anteils. Das erklärte Ziel des Wirtschaftsministeriums besteht wiederum – ganz im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung – darin, eine »exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie« auf den Weg zu bringen. Dabei steht die Förderung von Fusions- und Übernahmeprozessen (»Konsolidierung«) im Zentrum der Überlegungen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Es soll der deutsche rüstungsindustrielle Sektor gestärkt werden, womit wiederum – idealtypisch -auch eine Ankurbelung der Exporte und infolgedessen eine Senkung der Stückkosten einhergehen soll.

Rüstungsgutachten, Dialogpapier und Militärhaushalt

Nach einer unglaublichen Pannenserie – praktisch kein Bundeswehr-Beschaffungsprojekt kam in den letzten Jahren ohne drastische Verzögerungen und teils regelrecht absurde Preiserhöhungen über die Ziellinie – zog Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Februar 2014 öffentlichkeitswirksam die Notbremse. Als Hauptverantwortliche für die Misere identifizierte sie den Staatssekretär für Ausrüstung, Stéphane Beemelmans, der von seinen Aufgaben entbunden – sprich: gefeuert – wurde, und seinen Abteilungsleiter, Detlef Selhausen, den man kurzerhand versetzte.

In diesem Zuge kündigte von der Leyen auch eine externe Überprüfung der Bundeswehr-Großprojekte an. Mit dieser Aufgabe wurden die Unternehmensberatung KPMG, die Ingenieurgesellschaft P3 und die Kanzlei Taylor Wessing betraut, die ihre Ergebnisse in Form des Gutachtens »Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte« am 6. Oktober 2014 an die Verteidigungsministerin übergaben. Darin wurden auf 1.200 Seiten, von denen allerdings nur ein 51-seitiges Exzerpt öffentlich einsehbar ist, neun Großprojekte mit einem Gesamtvolumen von 57 Mrd. Euro untersucht, wobei 140 Probleme und Risiken identifiziert wurden, die teils interner Natur, teils aber auch aufseiten der Industrie zu verorten seien. Daher kam das Gutachten zu dem Ergebnis, „dass eine Optimierung des Rüstungsmanagements in nationalen und internationalen Großprojekten dringend und ohne Verzug geboten ist“.4

Das vernichtende Urteil wurde von der neuen Staatssekretärin für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, der früheren Unternehmensberaterin Katrin Suder, folgendermaßen zusammengefasst: „Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant – und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel.“ 5 Auch von der Leyen selbst richtete eine erstaunlich deutliche Kritik an die Adresse der Rüstungsunternehmen: „Wir wollen nicht für Fehler bezahlen, die die Industrie gemacht hat.“ 6 Nach solch starken Worten sahen viele Kommentatoren von der Leyen auf „Konfrontationskurs zur Rüstungsindustrie“ (Süddeutsche Zeitung). Die Verteidigungsministerin wolle „mit aller Härte den Rüstungssektor neu ordnen“ (DIE WELT) und „bei der Rüstungsbeschaffung aufräumen“ (Wirtschaftswoche).

Zwar sind die bislang kursierenden Überlegungen noch vage, es scheint aber ernsthaft die Absicht zu bestehen, die Rüstungsindustrie künftig stärker für ein kosteneffizienteres Beschaffungswesen in die Pflicht zu nehmen. Gerade deshalb fällt auf, wie entspannt, ja geradezu positiv, die »Agenda Rüstung« von den Unternehmen aufgenommen wurde. Aus der Pressemitteilung der größten Lobbyverbände zum Gutachten wird allerdings bereits ersichtlich, weshalb dies der Fall ist: „Die Studie bestätigt die Notwendigkeit der industrieseitig bereits seit längerem angemahnten ausreichenden Mittelbereitstellung.“ 7

Die Botschaft war angekommen, und in der Presse setzte unmittelbar ein, was man als »Schrotthaufen-Debatte« bezeichnen könnte: „So Schrott ist die Bundeswehr“ (BILD), die Truppe sei nichts anderes als „stahlgewordener Pazifismus“ (DIE ZEIT) und das ganze Problem existiere vor allem, da die Bundeswehr seit Jahren „[c]hronisch unterfinanziert“ sei (Deutschlandfunk). Damit war ein gewisser Nährboden geschaffen, um die Akzeptanz für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben in der diesbezüglich eher kritisch eingestellten Bevölkerung zu vergrößern.

Seit Jahren schon wird von Politik, Militär und Rüstungsindustrie geklagt, die Rüstungsausgaben befänden sich im freien Fall, obwohl die Realität anders aussieht: Der Militärhaushalt stieg nämlich von (umgerechnet) 23,18 Mrd. Euro im Jahr 2000 sogar inflationsbereinigt um rund 25% auf etwa 33 Mrd. im Jahr 2015 und liegt damit drastisch über dem eigentlich verbindlich vereinbarten Sparziel vom Juni 2010. Damals war festgelegt worden, alle Ressorts müssten bis 2014 insgesamt 81,6 Mrd. Euro einsparen und die Bundeswehr solle dazu 8,3 Mrd. beitragen. Gemäß dem daran angelehnten Bundeswehrplan sollte der Rüstungshaushalt bis 2014 also auf 27,6 Mrd. Euro reduziert werden. Dieser Beschluss scheint inzwischen hinfällig zu sein, denn obwohl der offizielle Haushalt 2015 bereits etwa 5,5 Mrd. über dem vereinbarten Sparziel lag, legte Finanzminister Wolfgang Schäuble im Frühjahr 2015 mit dem »Eckwerte-Papier« noch einmal nach: Nun soll der BMVg-Etat 2016 auf 34,2 Mrd. Euro steigen, im Jahr darauf sollen es 34,74 Mrd. und 2018 dann 34,8 Mrd. sein, um 2019 schließlich 35 Mrd. zu umfassen.8

Die Entwicklung der Rüstungsausgaben war auch Thema im ab November 2014 tagenden »Dialogkreis«, der sich aus 70 Vertretern des Verteidigungsministeriums und der Rüstungsindustrie zusammensetzt und im Juni 2015 einen ersten Ergebnisbericht veröffentlichte. Nachdem es sich bei dem Rüstungsprojekte-Gutachten um eine „nach innen gerichtete Bestandsaufnahme“ gehandelt habe, sei nun das „konstruktive Gespräch mit der Industrie“ gesucht worden, um zu einem „gemeinsamen Verständnis“ über die »Agenda Rüstung« zu gelangen und „Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation zu suchen“.9 Ziel des Dialogs sei es, wie aus einer gemeinsamen Presseerklärung von BMVg und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) hervorgeht, „Maßnahmen zu erarbeiten wie […] die bisherige Tendenz »zu spät, zu teuer, weniger Leistung« abgelegt werden kann“.10 Um dies zu erreichen, werden zwei Maßnahmen angesprochen: „Erstens ein transparentes Vorgehen bei Rüstungsprojekten und zweitens ein professionelles Beleuchten auch unterschiedlicher Positionen sowohl in der fachlich-inhaltlichen als auch in der politischen Befassung.“ 11

Bleibt diese Absichtserklärung eher vage, war es möglich, hinsichtlich der Finanzen zu einem recht konkreten gemeinsamen Verständnis zu gelangen. Unmissverständlich wird festgehalten, es bestehe weiterhin die „Notwendigkeit einer graduellen Erhöhung des Einzelplans 14 und seines investiven Anteils“. Der mit dem Eckwerte-Papier beschlossene Aufwuchs sei zwar begrüßenswert, aber keineswegs ausreichend: „Dieser Anstieg ist jedoch zu schwach.“ 12 Neben der Erhöhung der Militärausgaben im Allgemeinen widmet sich das Dialogpapier auch der Frage der Rüstungsinvestitionen, die momentan bei 15% des Militärhaushalts liegen und ganz im Sinne der Industrie ebenfalls deutlich steigen sollen: „Als konkrete Maßnahmen werden die aufgaben- und ausrüstungsorientierte Erhöhung des Einzelplans 14, die Festschreibung einer Investitionsquote von 20 Prozent für Rüstungsinvestitionen und die Festschreibung einer F&T-Quote von 10 Prozent des Investivanteils im Einzelplan 14 empfohlen.“ 13

Bei genauerer Betrachtung enthält das Dialogpapier also eine Art »Package Deal«, der die Interessen beider Seiten, Politik wie Industrie, berücksichtigt und den die FAZ folgendermaßen beschreibt: „Die Politik versprach verlässlichere Investitionsquoten in Rüstungsgüter und weniger bürokratischen Aufwand bei Prüfungen und Zulassungen, die Industrie sicherte dafür größere Termintreue zu.“ 14

Strategie zur Stärkung der Rüstungsindustrie

Immer wieder wird Sigmar Gabriel vorgeworfen, durch seine extrem restriktive Haltung gegenüber dem Export von Rüstungsgütern betätige er sich als „Totengräber der wehrtechnischen Industrie Deutschlands“. 15 Ein Blick in Gabriels rüstungspolitische Grundsatzrede vom 8. Oktober 2014 allerdings genügt, um Zweifel an diesem Image aufkommen zu lassen. Zwar bekennt sich Gabriel in der Rede dazu, Waffenlieferungen in Krisenregionen gewissen Einschränkungen zu unterwerfen, allerdings nur für bestimmte, relativ eng umrissene Güter und nach sehr vage aufgestellten Kriterien. „Aber zugleich müssen wir – und das ebenfalls mit großer Klarheit – feststellen, dass es natürlich legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können. […] Deutschland und seine Partner haben ein eigenes Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen. […] Die Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten »Islamischen Staat« dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu unseren Werten und Rechtsregeln.“ 16 Darüber hinaus kündigte er in dieser Rede explizit eine „[e]xportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie“ an, um mittels einer Konsolidierung bzw. Bündelung des Rüstungssektors die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie zu „verbessern“.

Ausgangspunkt der diesbezüglichen Überlegungen ist die Annahme, dass der kleinteilige europäische Rüstungssektor, der sich auf viele Länder und Rüstungsbetriebe verteilt, erhebliche Ineffizienzen verursacht. In den Worten Gabriels: „Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. Europa leistet sich den »Luxus« zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, den intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugen und eine starke Konkurrenz z. B. im U-Boot-Bereich. […] Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Die Bundesregierung muss daher nach meiner Meinung verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen setzen. […] Es ist erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen Entwicklung deutlich profitieren.“ 17

Vor allem mittels europaweiter Beschaffungsprogramme sollen höhere Produktionszahlen und somit sinkende Stückpreise erreicht werden. Da Rüstungsaufträge außerdem nicht mehr wie heute primär national, sondern europaweit ausgeschrieben und vergeben werden sollen, wird es eine wachsende Konkurrenz um die selteneren, aber von der Marge umfassenderen Aufträge geben. Die Folge dessen soll (und wird wohl auch) die Konsolidierung der EU-Rüstungsindustrie sein, da hierdurch Fusions- und Übernahmeprozesse massiv vorangetrieben werden.

Dabei sind die Konsolidierung und die damit einhergehende Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auch im Interesse der Rüstungsindustrie selbst, zumindest in dem der stärksten Konzerne, die hoffen, aus den Übernahmeprozessen als »Eurochampions« hervorzugehen. Denn für ihren Fortbestand sind deutsche Rüstungskonzerne auf Rüstungsexporte angewiesen – der heimische Markt ist trotz steigender Militärausgaben zu klein. In den Worten von Claus Günther, Vorsitzender des Ausschusses »Sicherheit« des Bundesverbandes der deuschen Industrie: „Wir brauchen Exporte, denn allein durch die dünne nationale Auftragsdecke wird die deutsche Rüstungsindustrie nicht überlebensfähig sein.“ 18 Um aber auf dem Weltmarkt bestehen zu können, sind eine gewisse Konzerngröße, hohe Stückzahlen und damit attraktive Preise erforderlich. Nach der gängigen Auffassung profitieren also alle relevanten Akteure von einer Konsolidierung des Rüstungssektors: „Die Streitkräfte, weil gemeinsam billigere und bessere Produkte beschafft werden können und die einheitliche Ausrüstung gemeinsame Einsätze vereinfacht. Und die Industrie, weil höhere Stückzahlen und bessere Margen sie wettbewerbsfähiger machen.“ 19

Aus diesen Gründen flossen Gabriels Forderungen nach einer Konsolidierung des Rüstungssektors auch in das im Juli 2015 veröffentlichte »Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland« ein. Auch hier wird für eine „exportpolitische Flankierung der Verteidigungsindustrie“ plädiert und das Ziel formuliert, „den bisher stark fragmentierten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die wehrtechnische industrielle Basis Europas zu stärken“. Wie schon bei Gabriel wird auch in dem Strategiepapier der »Luxus« der (zu) vielen Beschaffungsprojekte beklagt und erklärt, wie Abhilfe zu schaffen ist: „Es ist unser erklärtes Ziel, zukünftig neue Beschaffungsprogramme zunehmend gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union durchzuführen. […] Mehr gemeinsame, möglichst standardisierte Entwicklung und Beschaffung wird mittel- bis langfristig zu mehr Zusammenarbeit und darüber hinaus auch zur Konsolidierung in der Verteidigungsindustrie in Europa führen. […] Die Bundesregierung setzt verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter Wahrnehmung der nationalen Interessen. Die Bündelung technologischer Stärken wird die wirtschaftliche Bedeutung europäischer Projekte im internationalen Wettbewerb entscheidend erhöhen.“ 20

Bei aller Begeisterung für etwaige europäische Konsolidierungsvorhaben betonte jedoch schon Gabriel unmissverständlich, „dass der Schritt in europäische Kooperationen und Zusammenschlüsse am besten auf der Basis einer konsolidierten deutschen Rüstungsindustrie aus erfolgt, um auf Augenhöhe mit europäischen Partnern verhandeln und notfalls auch zusammengehen zu können“.21 Mit anderen Worten: An einem europäischen Konsolidierungsprozess ist die Regierung überaus interessiert, aber nur aus einer Position der Stärke, die es ermöglicht, die eigenen Unternehmen als »Eurochampions« zu etablieren und so die deutsche rüstungsindustrielle Basis massiv zu stärken. Auch das »Strategiepapier der Bundesregierung« misst deshalb dem „Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien“ eine zentrale Bedeutung zu, weshalb „deren Verfügbarkeit aus nationalem Sicherheitsinteresse zu gewährleisten ist“.22 Wohl mit Blick auf die angekündigte Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann mit seinem französischen Konkurrenten Nexter Systems wurde daher die Liste der Schlüsseltechnologien in dem Strategiepapier um »geschützte/gepanzerte Fahrzeuge« (sowie »Unterwassereinheiten«) erweitert. Folgerichtig stoppte das Wirtschaftsministerium, das der Fusion noch zustimmen muss, den Fusionsprozess Anfang September 2015 zunächst und leitete unter Verweis auf besondere »Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik« eine »vertiefte Prüfung« ein, deren Ausgang zum Abschluss dieses Artikels noch unklar ist.

Paradigmenwechsel in der Rüstungspolitik?

Verteidigungsministerium und Rüstungslobby sind sich einig: Bei der »Agenda Rüstung« handele es sich um eine „klare Kurskorrektur“, um einen „Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit von Industrie und Bundeswehr“.23 Ob sich diese Einschätzung bewahrheitet, werden angesichts einer Reihe offener Fragen erst die Zeit und Praxis erweisen.

Es sind durchaus Zweifel angebracht, ob die Konsolidierung des Rüstungssektors tatsächlich erhebliche Effizienzsteigerungen mit sich bringen wird.24 Vor allem ist aber unklar, ob es tatsächlich gelingen wird, politische und industrielle Partikularinteressen zugunsten übergeordneter (macht-) politischer Erwägungen zurückzudrängen. Der äußerst vage Charakter der bisherigen Vorschläge zeigt, dass dies keineswegs sicher ist. Doch selbst – oder gerade – wenn dies der Fall sein sollte, stellt ein »effizienterer»« Rüstungssektor, der konsequent auf mehr militärische Schlagkraft und eine Stärkung der Rüstungsindustrie getrimmt wird, friedenspolitisch alles andere als einen Fortschritt dar – ganz im Gegenteil.

Anmerkungen

1) Bei der »Agenda Rüstung« handelt es sich eigentlich um ein sechs Punkte umfassendes Maßnahmenpaket, das vom BMVg zeitgleich mit der Veröffentlichung des Rüstungsprojekte-Gutachtens veröffentlicht wurde. Hier wird darunter aber die Summe der derzeit angedachten Handlungsoptionen verstanden.

2) Sabine Lösing und Jürgen Wagner: EU-Armee: Machtpolitische Imperative und Stolpersteine. Tübingen: Informationsstelle Militarisierung, IMI-Studie 2015/07, S.2f.

3) Henrik Heidenkamp (2015): Deutsche Rüstungspolitik – Ein Politikfeld im Handlungsdruck. Opladen: Barbara Budrich, S.73 und 18.

4) KPMG, P3 Group, Taylor Wessing: Exzerpt – Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte; Stand 30. September 2014. S.51.

5) Arno Neuber (2015): Rüstungsprojekte der Bundeswehr. In: Informationsstelle Militarisierung (IMI) (Hrsg.): Deutschland – Wi(e)der die Großmacht. Tübingen, S.10-16, hier S.10.

6) Von der Leyen kritisiert Rüstungsindustrie. n-tv, 7.10.2014.

7) Gemeinsame Erklärung von BDSV, BDLI und BDI. 7.10.2015.

8) Vgl. T. Wiegold: Verteidigungshaushalt soll bereits 2016 um 1,2 Milliarden Euro steigen. Augengeradeaus, 17.3.2015. Im Regierungsentwurf für den Einzelplan 14/2016 stieg der Betrag nochmals leicht auf 34,366 Mrd. Euro. Siehe dazu griephan Briefe – Wöchentliche Informationen zum Geschäftsfeld äußere und innere Sicherheit, Nr. 28/2015, S.2.

9) 1. Ergebnisbericht: Dialog zu Themen der Agenda Rüstung zwischen BMVg und BDSV. Berlin, 29. Juni 2015, S.1.

10) BMVg und BDSV: Rüstungsdialog auf gutem Weg. Pressemitteilung, Berlin, 29.06.2015.

11) Ebenda.

12) 1. Ergebnisbericht, op.cit., S.39.

13) Ebenda, S.4.

14) Johannes Leithäuser: Im Zeichen des Panzers. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.7.2015.

15) So etwa der CSU-Abgeordnete Florian Hahn. Vgl. Christoph Hickmann: An Gabriels Leine. Süddeutsche Zeitung, 24.7.2015.

16) Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Berlin, 8.10.2014.

17) Ebenda.

18) Klaus M. Frieling: Firmen und Politik beim Trialog: „Wir sind voneinander abhängig“. Cellesche Zeitung, 18.9.2014.

19) Wirtschaftswoche zitiert in: Florian Bertges (2009): Der fragmentierte europäische Verteidigungsmarkt – Sektorenanalyse und Handlungsoptionen. Frankfurt am Main: Peter Lang, S.95.

20) Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland. Berlin, 8.7.2015.

21) Rede von Bundesminister Gabriel, op.cit.

22) Strategiepapier der Bundesregierung, op.cit., S.5f.

23) BMVg und BDSV, op.cit.

24) Sabine Lösing und Jürgen Wagner, op.cit., S.5f.

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) und in der Redaktion von W&F.

Mehr Verantwortung? Ja, bitte!

Mehr Verantwortung? Ja, bitte!

von Paul Schäfer

Vorstand und Redaktion von W&F waren bei der Jahresplanung 2015 relativ schnell einig: „Wir müssen was zur deutschen Rolle in der heutigen Welt machen.“ Ausgangspunkt der Diskussion waren die programmatisch anmutenden Reden dreier deutscher PolitikerInnen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, in denen das veränderte Gewicht Deutschlands in Europa und der Welt beschworen und daraus ein »Mehr an Verantwortung« abgeleitet wurde.

Bei der Vorbereitung des vorliegenden Heftes sind wir aber rasch darauf gestoßen, dass eine solide Einschätzung der Rolle Deutschlands schwieriger ist als gedacht. Weil die Reden der Konferenz doch nur eine Momentaufnahme darstellen, weil eine Reihe von Ereignissen – Ukrainekrise, Islamisches Kalifat in Nahost, Flüchtlingsdrama – einschneidende Prozesse in Gang gesetzt hat, die nicht so einfach zu erfassen sind, und weil die Bundesregierung diesbezüglich durchaus widersprüchliche Signale aussendet. Wir haben uns daher vorgenommen, eher eine Annäherung an das Thema zu versuchen. Am Anfang des Schwerpunktthemas stehen daher pointierte und kontroverse Statements zu der Frage, ob »München« eher für eine Zäsur oder doch eher für ein Kontinuum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik steht. Die Folgebeiträge brechen diese Frage, direkt oder indirekt, herunter auf sicherheits- und militärpolitische Entwicklungen der jüngsten Zeit. Diese wiederum stehen in engem Zusammenhang mit dem wieder aufgebrochenen großen Konflikt zwischen den NATO- und den EU-Mitgliedsstaaten auf der einen Seite und Russland auf der anderen sowie mit den immer weiter eskalierten Gewaltszenarien vor allem in Nahost. Es ergeben sich einzelne Mosaik-Teile, ein fertiges Bild fügt sich daraus (noch) nicht zusammen. Aber vielleicht liegen die Widersprüche in der Sache selbst?

Kein Zweifel: Deutschland hat vor allem innerhalb der EU erheblich an Gewicht gewonnen. Dies ist offenkundig mit der gestärkten Position Deutschlands nach der Weltfinanzkrise 2007/8 verknüpft. Die Ultimaten setzende Politik der Bundesregierung in den »Verhandlungen« über die Schuldenkrise Griechenlands ist ein Beispiel dafür. „In Europa wird wieder deutsch gesprochen“, hieß es da. Die Regierung nutzt das stärkere ökonomische Gewicht, um bilateral wie in internationalen Gremien Einfluss zu nehmen. Aber welchem Kompass folgt sie dabei? Sie will weiter an der globalen Durchsetzung der neoliberal geprägten Weltwirtschaftsordnung arbeiten; sie möchte im deutschen Interesse die EU als Faktor in diesem globalen Wettbewerb stärken. Zugleich ist die Regierung mit den vehementen Folgen dieser »Weltordnung« konfrontiert – den „Schattenseiten der Globalisierung“, von denen inzwischen selbst die Kanzlerin spricht. Eine Konsequenz: Man müsse sich stärker in internationales Krisenmanagement einbringen. Aber wie? Und in welchem Verhältnis soll diese Krisendiplomatie mit dem auf der Münchner Konferenz unüberhörbar geforderten intensiveren militärischen »Engagement« stehen?

Im Osten hat man mit rücksichtsloser Markterweiterungspolitik einen geopolitischen Wettlauf mit Russland ausgelöst, dadurch in der Ukraine Gewaltprozesse befördert, und schickt sich dann an, Feuerwehr zu spielen. »Friedensdiplomatie« wird mit Säbelrasseln und Sanktionen garniert. Wohin soll das führen?

Noch irritierender die Eindrücke in der Flüchtlingsfrage. Deutschland hat sich mit der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge positiv profiliert, avanciert fast schon zum gelobten Land. Aber werden daraus endlich Konsequenzen gezogen? Neben der »Willkommenskultur« erleben wir gleichzeitig, dass die Bundeswehr zur Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer aktiv werden soll. Und was gedenken die Bundesregierung und die EU zu tun, um sich endlich den Fluchtursachen zuzuwenden? Bis dato hat man sich überwiegend im Windschatten der USA bewegt und ist damit mitverantwortlich für das, „was westliche Politik im Orient anrichtet“ (Michael Lüders). Wird es hier, unter dem Druck der Ereignisse, ein Umdenken geben?

Für eine „vorausschauende Politik“ möchte der Bundesaußenminister sein Haus besser wappnen. Doch dazu gehört entschieden mehr als eine neue Abteilung für Krisenprävention am Werderschen Markt. Es geht um Grundkonzepte: Vereinte Nationen oder Mächtekoalitionen? Gerechtigkeit global oder Behauptung der eigenen Privilegien? Vorrang für zivil oder Fortsetzung militärisch gestützter Interessenpolitik? Werden die immer wieder proklamierten Wertemaßstäbe endlich auch auf das eigene Handeln angewandt?

Sollte Deutschland in dieser laut Außenminister »aus den Fugen geratenden Welt« mehr internationale Verantwortung übernehmen? Ja! Wie wäre es, wenn Deutschland bei der Umsetzung der neuen UN-Nachhaltigkeitsziele voranginge? Wenn die Bundesrepublik grundsätzlich auf Rüstungsexporte verzichten würde? Wenn sich unser Land ein besonderes internationales Profil erarbeitete, das auf Friedensdiplomatie und ziviler Konfliktbearbeitung beruht?

Ihr Paul Schäfer

Kommt eine neue Rüstungswelle?

Kommt eine neue Rüstungswelle?

von Alexander S. Neu

Vor wenigen Monaten verabschiedete der Deutsche Bundestag den Haushaltsplan 2015 der Bundesregierung. Nach dem Budget für »Arbeit und Soziales« ist der Etat für »Verteidigung« mit 32,3 Mrd. Euro der zweitgrößte Posten.

Tatsächlich dürften die Militärausgaben aber noch deutlich über diesen 32 Mrd. Euro liegen. Vieles wird versteckt: militärische Forschung im Etat für Wissenschaft und Forschung, Ausgaben für verletzte oder traumatisierte Soldaten im Sozialetat usw. Legt man NATO-Kriterien zugrunde – die anderen sind da etwas ehrlicher als wir –, hat der deutsche Militäretat eine Höhe von 35,1 Mrd. Euro. Dass ergibt umgerechnet auf 82 Mio. Einwohner ca. 440 Euro pro Person. Eine vierköpfige Familie zahlt also im Durchschnitt 1.760 Euro im Jahr für die Bundeswehr.

Von diesen 35,1 Mrd. Euro sind ungefähr 6,2 Mrd. Euro für »verteidigungsinvestive« Ausgaben, also Rüstungsausgaben, verplant. Die laufenden Kosten für die gegenwärtigen Auslandseinsätze der Bundeswehr sind 2015 dagegen vergleichsweise gering. Für diesen Posten sind nach dem Abzug des größten Teils der BundeswehrsoldatInnen aus Afghanistan noch 500 Millionen Euro vorgesehen. Trotz der hohen jährlichen Investitionen geriet das militärische Großgerät der Bundeswehr im Herbst letzten Jahres wieder einmal in die Schlagzeilen. Solche Debatten begleiten die Bundeswehr seit Jahrzehnten: Es ging im Wesentlichen um jahrelange Verzögerungen bei der Auslieferung, um unvorstellbare Kostenexplosionen und um mangelnde Leistungsfähigkeiten. Diesmal stand die Nichteinsatzfähigkeit eines großen Teils des schweren militärischen Geräts im Mittelpunkt.

Ich hatte Anfang Januar 2014 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet mit dem Titel »Kostenentwicklung bei Großwaffensystemen« (Drucksache 18/336). Es ging speziell um neun Beschaffungsprojekte, u.a. Eurofighter und A400M. Die Beantwortung der Fragen hätte eigentlich kein Problem sein dürfen. Die Aufgabe stellte sich für die Bundesregierung jedoch als äußerst schwierig dar, da in der Vergangenheit offensichtlich die Rüstungsverträge, Kostensteigerungen etc. der verschiedenen Projekte nicht in ein einheitliches Analyse- und Bewertungssystem eingepflegt wurden. Für diese Annahme spricht auch, dass Verteidigungsministerin von der Leyen just in diesem Zeitraum ein »Rüstungsboard« eingerichtet hat. Dieses sollte den Entwicklungs- und Beschaffungszustand, Risiken und Probleme von 15 Beschaffungsprojekten in je eigenen »Statusberichten« darstellen.

Auf den Tag genau zeitgleich mit der Antwort auf meine Kleine Anfrage (Drucksache 18/650), ging die Ministerin am 20. Februar in die Offensive und verkündete: Erstens könne sie die »Statusberichte« nicht abnehmen, da sie unzureichend seien, und sie ziehe diesbezüglich personelle Konsequenzen im Verteidigungsministerium. Zweitens werde sie eine externe Unternehmensberatung beauftragen, bis Oktober 2014 einige laufende Rüstungsprojekte zu untersuchen.

Die Unternehmensberatung KPMG erhielt dann auch den Auftrag, das zu untersuchen, was im Wesentlichen Gegenstand meiner Kleinen Anfrage war: KPMG sollte einen seriösen und systematisierten Überblick über die Entwicklung und Beschaffung ausgesuchter Projekte erstellen, weil das Verteidigungsministerium selbst dazu offensichtlich nicht in Lage war. Der Rüstungslobbyist Adamowitsch kommentiert das in der Frankfurter Rundschau (9.10.2014): „Da ist in 60 Jahren im Ministerium ein System entstanden, das keiner mehr beherrscht.“

Die Unternehmensberatung lieferte ihr Ergebnis im September 2014. Ihrem Bericht zufolge waren u.a. einsatzfähig: ein Viertel der Hubschrauber der Marken Tiger, Marder und Sea King, deutlich weniger als die Hälfte der Tornados, Eurofighter und C160-Transall-Transportflugzeuge. Das gleiche Bild bei den Korvetten, den Marder-Panzern und den Truppentransporten Boxer.

Im gleichen Monat, als diese Zahlen veröffentlicht wurden, bekräftigten die NATO-Mitgliedstaaten auf ihrem Gipfel in Wales ihren Willen, die Militärausgaben auf zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Deutschlands Militärhaushalt liegt derzeit bei ca. 1,3 Prozent des BIP. Ein Anstieg auf zwei Prozent hieße für Deutschland – auf der Grundlage des BIP des Jahres 2013 in Höhe von 2,8 Billionen Euro – ein Anstieg um 21 Mrd. Euro auf 56 Mrd. Euro. Angesichts der Haushaltskrise in etlichen NATO-Mitgliedstaaten ist die Zahl von zwei Prozent für viele illusorisch. Die Bundesregierung aber scheint dem Beschluss mittelfristig nachkommen zu wollen. Er wäre kaum gegen das Votum der deutschen Regierung gefasst worden, und es gibt zahlreiche Hinweise, dass der Militärhaushalt ab 2016 stufenweise angehoben werden soll. Da dies nicht sonderlich populär ist, bietet die westlich-russische Krise der Bundesregierung eine ausgezeichnete Gelegenheit, der Öffentlichkeit die Notwendigkeit, ja sogar die Alternativlosigkeit, einer Aufrüstung und Modernisierung der Bundeswehr zu verkaufen.

Sehr gut passen da die Berichte über marodes militärisches Großgerät. An einen Zufall scheint selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung (30.09.2014) nicht zu glauben: „Diese Materialkrise hätte die Bundeswehr kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt treffen können. Das sicherheitspolitische Empfinden in Deutschland ist durch die Gewalt im Nahen Osten und in der Ukraine gereizt wie nie seit dem 11. September 2001, der Wille zur Zusammenarbeit in Rüstungsvorhaben und militärischen Einsätzen in der NATO stärker denn je seit dem Ende des Kalten Krieges […] Daher könnte aus der aktuellen Krise binnen eines Jahrzehnts eine Bundeswehr entstehen, die besser und verlässlicher ausgerüstet ist als heute.“

Die Berichte über nicht einsatzfähiges militärisches Großmaterial sind mit viel Vorsicht zu genießen. Wie schreibt der oben zitierte Rüstungslobbyist Adamowitsch: „Wir müssen aufpassen, dass der Zustand der Bundeswehr nicht zu schlecht geredet wird.“ In der Neuen Zürcher Zeitung wird am gleichen Tag das Ganze als „Pseudodebatte“ bezeichnet und darauf verwiesen, dass es keinerlei Hinweis darauf gebe, dass „die Einsatzfähigkeit [der Bundeswehr] […] ernsthaft gefährdet ist“.

Da bleibt die Frage: Wozu soll dann die Bundeswehr „besser und verlässlicher ausgerüstet“ werden?

„Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mitteleuropas und damit Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln besteht heute nicht mehr. Das wird angesichts des erweiterten europäischen Sicherheits- und Stabilitätsraumes und der erkennbaren Fortschritte in der Zusammenarbeit mit Russland auf absehbare Zukunft auch so bleiben.“ Zu diesem Schluss kam der »Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010«, der im September 2010 vorgelegt wurde. Andere sprachen schon mal davon, dass wir seit 1990 von Freunden umzingelt seien.

Von Fortschritten in der Zusammenarbeit mit Russland können wir heute natürlich nicht mehr sprechen. Aber wenn die Zusammenarbeit mit Russland in den letzten Jahren schweren Schaden genommen hat, so liegt das sicher nicht nur an einer Seite. Der Krim ging schließlich die westliche Unterstützung bei der Zerschlagung Jugoslawiens, eine NATO-Osterweiterung und eine sehr expansive Politik westlicher Länder – nicht nur in der Ukraine – voraus. Allerdings lassen sich diese Probleme mit Sicherheit nicht militärisch lösen.

Hinter den Beschaffungsprogrammen der Bundeswehr stand und steht denn auch keine Bedrohung von außen. Der tiefere Grund, warum sämtliche Bundesregierungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, ob CDU/CSU–FDP, SPD-Grüne oder CDU/CSU-SPD, an den Großrüstungsprojekten bis heute festhielten, liegt in den zunehmenden Ambitionen Deutschlands auf der weltpolitischen Bühne.

Das wird auch in dem oben genannten Bericht von Generalinspekteur Wieker deutlich:

„Die geostrategische Lage in der Mitte Europas, die weltweite Verflechtung als Handels- und Industrienation ebenso wie die internationalen Verpflichtungen, die insbesondere aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union erwachsen, setzen den Rahmen deutscher Sicherheitspolitik.

Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehören,

  • […] regionalen Krisen und Konflikten, die Deutschlands Sicherheit und Interessen beeinträchtigen können, vorzubeugen und zur internationalen Krisenbewältigung beizutragen,
  • globalen Herausforderungen, vor allem der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu begegnen,
  • den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und zu schützen, […].

Ziel deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist – auf der Grundlage unserer Werte und in Umsetzung unserer Interessen – die Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger.

Die Verwirklichung dieser Ziele und die Wahrung unserer Interessen erfordert eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der sicherheitspolitischen Instrumente.“

Der schönen Worte entkleidet heißt das: Wir brauchen zur Sicherung unseres welt- oder machtpolitischen Anspruchs, unseres Lebensstandards, unserer politischen und wirtschaftlichen Interessen eine effektive, schlagkräftige und schnell verlegbare Armee. Die Fähigkeiten für eine Interventionsarmee sollen weiter ausgebaut werden; als Symbol dafür steht der strategische Transportflieger A400M.

Gleichzeitig greifen Politiker – vor allem aus der CDU/CSU – wieder in die Mottenkiste der Militärpolitik aus Zeiten des Kalten Krieges. Angesichts des »russischen Bären« wollen sie auch die Panzerflotte wieder aufrüsten. Der Bestand an »Leopard 2«-Kampfpanzern beträgt noch rund 230 Stück; der soll nach dem Willen der CDU/CSU ergänzt werden um eine modernisierte Variante (gleichsam »Leopard 3«). Beschlossen hat das Verteidigungsministerium bereits den Kauf von 131 zusätzlichen Radpanzern des Typs »Boxer« im Wert von ca. 620 Mio. Euro.

Schwarze Null hin, schwarze Null her, wenn es um Rüstungsgeschäfte geht, scheinen die Steuergelder locker zu sitzen, gespart werden muss dann woanders.

Hätte die Bundesregierung die Auslandseinsätze der Bundeswehr evaluiert, hätte sie zu der Erkenntnis kommen müssen, dass in keinem einzigen Krieg der letzten Jahre die anfangs gesetzten Ziele erreicht wurden. Auf all die großen militärischen Interventionen folgte das Chaos in den betroffenen Ländern, so in Irak oder Libyen, und in Afghanistan wird es nicht anders sein.

Das unterstreicht eindringlich: Wir brauchen weder eine weltweit operierende Interventionsarmee noch eine neue »Panzerarmee« für den europäischen Kontinent. Statt Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik brauchen wir eine Politik der Konfliktprävention und zivilen Konfliktbearbeitung, eine Politik der Verständigung.

Dr. Alexander S. Neu, Mitglied des Bundestages, ist Obmann im Verteidigungsausschuss der Fraktion DIE LINKE.

Still gestanden!

Still gestanden!

von Jürgen Nieth

Mit »Ausrüstungsmängeln« der Bundeswehr befassten sich Ende September/Anfang Oktober fast alle Medien. Ausgangspunkt der Debatte: ein Bericht der Bundeswehrinspekteure zur materiellen Einsatzbereitschaft der Teilstreitkräfte, unterfüttert durch einen tausend Seiten umfassenden Untersuchungsbericht der Unternehmensberatung KPMG.

Die Mängelliste

Die Mängelliste ist lang, und hervorstechend sind die Mängel bei schwerem militärischem Gerät. So wird festgestellt, dass einsatzbereit sind:

  • von 31 Hubschraubern »Tiger« – zehn,
  • von 33 Hubschraubern »Marder« – acht,
  • von 21 Hubschraubern »Sea King« – drei (hier werden z.Z. zwölf gewartet/instand gesetzt),
  • von 89 »Tornados« – 38 (28 werden gewartet/instand gesetzt),
  • von 109 »Eurofightern« – 42 (32 werden gewartet/instand gesetzt),
  • von 56 »C160 Transall«-Transportflugzeugen – 21,
  • von fünf Korvetten »K130« – zwei,
  • von 406 »Marder«-Panzern – 280,
  • von 180 Truppentransportern »Boxer« – 70,
  • von 13 Raketenabwehrsystemen »Patriot« – sieben.

(alle Zahlen zitiert nach Freitag 2.10.14, S.7, und Spiegel 29.9.14, S.22)

Nach dem KPMG-Bericht ist die Forderung klar:

Mehr Geld für die Truppe

Die Welt am Sonntag (28.9.2014, S.6) zitiert den ehemaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe (SPD) mit den Worten: „Es ist fünf nach zwölf. Über zwei Jahrzehnte ist die Bundeswehr kaputtgespart worden, deshalb heute strukturell unterfinanziert.“

Auch Till Hoppe spricht im Handelsblatt (26.9.14, S.20) von einer „chronischen Unterfinanzierung der Truppe“ und verweist auf die „Friedensdividende nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation“. Der Spiegel bläst ins gleiche Horn. Für ihn ist eine „Debatte über Zuschnitt und Höhe des deutschen Wehretats überfällig“ (Leitartikel 6.10.14, S.12). Bereits im August (25.8.14, S.20) hatte ein Spiegel-Autorenteam darauf hingewiesen, es werde beim NATO-Gipfel in Wales darum gehen, dass „künftig zwei Prozent der nationalen Wirtschaftskraft für das Militär ausgegeben werden sollen. Bisher liegen die deutschen Verteidigungsausgaben laut einem NATO-internen Ranking bei 1,29 Prozent.“ Die Spiegel-Redakteure schrieben nicht, dass das eine Erhöhung des Wehretats von z.Z. 32,8 Mrd. Euro auf über 50 Mrd. Euro jährlich bedeuten würde. Das dürfte schwer zu vermitteln sein.

Ein günstiger Zeitpunkt

Wie schreibt doch Thorsten Jungholt in der Welt (10.10.14, S.3): Meist wird „nach der Stimmung im Volk entschieden. Die immerhin ist stets eindeutig: Weil die Deutschen von Regierung und Parlament nur selten mit sicherheitspolitischen Debatten belästigt werden, wären sie am liebsten eine große Schweiz.“

Auch Michael Schulze von Glaßer (Freitag 3.10.14, S.6) geht davon aus, dass es schwer ist, in Deutschland für Auslandseinsätze zu werben. „Eine Diskussion über Ausrüstungsmängel ist da politisch sehr viel bequemer. Man muss nur aufpassen, dass die tatsächlichen Zahlen zum Verteidigungsetat nicht öffentlich diskutiert werden. Offiziell sollte die Bundeswehrreform nämlich die Kosten senken, in Wirklichkeit gab es jedoch seit 2006 immer mehr Geld fürs Militär.“

Kein Wunder also, dass Johannes Leithäuser in der FAZ (30.9.14, S.1) feststellt: „Diese Materialkrise hätte die Bundeswehr kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt treffen können: Das sicherheitspolitische Empfinden in Deutschland ist durch die Gewalt im Nahen Osten und in der Ukraine gereizt wie nie seit dem 11. September 2001, der Willen zur Zusammenarbeit in Rüstungsvorhaben und militärischen Einsätzen in der NATO stärker denn je seit dem Ende des Kalten Krieges“

Keiner übernimmt Verantwortung

Zwei Argumente werden immer wieder genannt zur Begründung der Ausrüstungsmängel. Erstens: Die Bundeswehr „wurde in vielfältigere und länger als gedacht dauernde Auslandseinsätze geschickt, ohne dass ihre Durchhaltefähigkeit im nötigen Maße gestärkt worden wäre“ (Berthold Kohler in FAZ 7.10.14, S.1). Zweitens: die Kostenexplosion und die verzögerte Auslieferung durch die Rüstungsindustrie. Beispiele: Hubschrauber »Tiger« mehr als sieben Jahre; Hubschrauber »NH 90« fast zehn Jahre; für das Ende des Jahres erwartete und vor 13 Jahren in Auftrag gegebene Transportflugzeug »A400M« fehlen bis heute Wartungsvertrag und geschulte Mechaniker.

Für den Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch, „ist in 60 Jahren im Ministerium ein System entstanden, das keiner mehr beherrscht“. Er sieht die Gründe für die Kostenexplosion und die unpünktliche Auslieferung aber nicht bei der Industrie, sondern darin, „dass die Bundeswehr zu oft neue Vorstellungen hat“ (FR 9.10.14, S.4). Für Till Hoppe haben dagegen „fast immer beide Schuld. Die Unternehmen, weil sie sich mangels Konkurrenz im Rüstungsgeschäft Dinge herausnehmen, die ihnen auf dem zivilen Markt das Genick brechen würden.“ (Handelsblatt 26.9.14, S.20)

Die etwas andere Sicht

Als eine „Pseudodebatte“ bezeichnet Eric Gujer (Neue Zürcher Zeitung 9.10.14, S.17) den Streit um die Mängel bei der Bundeswehr. Die Armee habe „trotz den Problemen stets ihre Auslandseinsätze bewältigt. Und es gibt keinen Hinweis, dass ausgerechnet jetzt die Einsatzfähigkeit […] ernsthaft gefährdet ist. Unklar ist hingegen, für welche Zwecke die Bundeswehr ihr teures Grossgerät einsetzen soll.“ Er verweist auf die Truppenreduzierungen in Afghanistan und im Kosovo und schlussfolgert: „Die Bundeswehr definiert sich als Einsatzarmee, doch ihr gehen jetzt die Einsätze aus.“

Noch kritischer sieht das Jürgen Busche (Freitag 2.10.14, S.7): „Der Einsatz in Afghanistan war ein Lehrstück für die NATO. Die Lektion, die alle Bündnispartner lernen mussten, lautet: Nie wieder! Wozu dann also die Bundeswehr? Um Piraten am Horn von Afrika zu jagen, um Entwicklungshelfer beim Brunnenbohren vor Leuten zu schützen, derer die örtlichen Autoritäten nicht Herr werden? Um in verarmten, bedrohten oder zerstörten Gebieten Lazarette aufzubauen und Hilfsmittel einzufliegen? Das alles sind wichtige Aufgaben. Aber dafür braucht man kein milliardenteures Militär.“

Jürgen Nieth

Neoliberale Rüstungsexportpolitik?

Neoliberale Rüstungsexportpolitik?

Markt und Staat im globalen Rüstungsmarkt

von Michael Brzoska

Waffen werden, global gesehen, vorwiegend im Norden hergestellt. Der internationale Handel mit Rüstungsgütern erfolgt vornehmlich in Nord-Süd-Richtung, mit Staaten wie Indien als den größten Abnehmern.1 Der überwiegende Teil des globalen Exports wird von Staaten kontrolliert, erfolgt aber weitgehend nach den Regeln offener Märkte, wie sie auch für die meisten zivilen Güter gelten. Allerdings werden zentrale Bereiche des Rüstungsexports von den Regierungen exportierender Staaten nicht nur kontrolliert, sondern unmittelbar gesteuert. Und es gibt einen kleinen, aber nicht unwichtigen Handel mit Rüstungsgütern, in dem private Akteure sich staatlichen Kontrollen entziehen und illegal mit Waffen handeln.

Markt- und Machtinteressen, private und staatliche Akteure mischen sich im internationalen Waffenhandel. Er wird weder nur von wirtschaftlichen noch nur von politischen Faktoren beschleunigt, sondern von unterschiedlichen Mischungen der treibenden Elemente.

Im Folgenden sollen zwei Aspekte besondere Beachtung finden, an denen sowohl die grundlegenden Strukturen des globalen Rüstungsmarktes als auch die Unterschiede in konkreten Situation deutlich werden: die Lieferung von Waffen an Kriegsbeteiligte und die Aufrüstung potentieller Herausforderer der Hauptlieferanten von Waffen durch Rüstungsimporte. Dazu scheint es sinnvoll, zunächst einige Rahmenbedingungen des globalen Rüstungsmarktes zu beschreiben.

Staaten und Firmen als Treiber des Waffenexports

Aus statistischen Erfassungen des globalen Rüstungshandels lässt sich leicht der Eindruck gewinnen, dass es nur Staaten sind, die den Rüstungsexport beherrschen. Denn in diesen Statistiken, die zum Beispiel vom schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI kommen, sind ausschließlich Zahlen für Staaten erfasst.2

Hauptgrund dafür, dass in den genannten Statistiken Staaten, und nur Staaten, auftauchen, ist die Kontrolle, die Regierungen über den internationalen Rüstungshandel ausüben oder zumindest, völkerrechtlich verpflichtend, ausüben sollen. Das übliche Verfahren dafür sind staatliche Genehmigungsverfahren auf Antrag von Rüstungsfirmen. Allerdings steht es im Benehmen der einzelnen Staaten, wie sie diese Verpflichtung konkret umsetzen.

Ein weiterer Grund, warum Staaten und nicht die Herstellerfirmen von Rüstungswaren in diesen Statistiken als Exporteure geführt werden, ist das geringe Interesse, das die meisten Rüstungsfirmen haben, ihr gesamtes Portfolio an Rüstungsexporten öffentlich zu präsentieren.

Konfrontiert mit Kritik am Handel mit problematischen Empfängern, verweisen die Firmen häufig darauf, dass ihre Geschäfte staatlich genehmigt seien. Praktisch aber sind die Abläufe komplexer. Rüstungsfirmen setzen ein ganzes Instrumentarium an Lobbyinstrumenten ein. Die wichtigsten Argumente, die dabei ins Feld geführt werden, sind strukturelle: Da geht es regelmäßig um Arbeitsplätze, Hochtechnologie und wirtschaftsschwache Branchen und Regionen. Aber auch enge Beziehungen zu Politikern werden genutzt, um Genehmigungsverfahren zu beeinflussen. All dies ist keine Besonderheit der Rüstungsbranche, sondern das übliche Handwerkszeug von Interessenvertretern. Was aber anders ist als zumindest in den meisten Politikfeldern, ist die Abwesenheit einer starken Gegenlobby. Nur wenige und eher schwache rüstungsexportkritische Nichtregierungsorganisation versuchen ihrerseits, Genehmigungsverfahren zu beeinflussen.

Für die meisten großen Rüstungsfirmen ist der Export von Rüstungsgütern zwar ein wichtiges, aber nicht das wichtigste Geschäft. Mit einer Reihe von Ausnahmen von Nischenherstellern, wie ThyssenKrupp Marine Systems in Deutschland, oder Herstellern aus kleineren Ländern, sind die nationalen Beschaffungsmärkte quantitativ und qualitativ wichtiger. Besonders ausgeprägt gilt dies für US-amerikanische Hersteller. Obwohl die USA in den gängigen Statistiken als Rüstungsexporteur Nummer 1 stehen, ist der Exportanteil der großen US-amerikanischen Hersteller eher gering. Der nationale Beschaffungsmarkt ist mit einem Volumen von immer noch weit über 100 Milliarden US$ deutlich größer als das Exportvolumen. Auch in EU-Europa liegt das Beschaffungsvolumen der Nationalstaaten höher als der Export, wenn auch nicht so deutlich wie in den USA. Etwa 40% des Produktionsvolumens gehen hier in den Export.3

Der nationale Rüstungsmarkt ist für die meisten Rüstungsfirmen auch deshalb wichtig, weil er eine sichere Bank darstellt. Trotz vielfältiger Bemühungen, etwa der EU-Kommission in Brüssel, den internen Rüstungsmarkt zu liberalisieren, dominiert auch in der EU die Praxis der nationalen Bevorzugung, ein weiteres Zeichen der Bedeutung des Rüstungslobbyismus, der vor allem auf nationaler Ebene durchschlägt. In anderen Weltregionen findet die Vorzugsbehandlung der nationalen Rüstungsindustrie noch offener statt. In den USA etwa reguliert ein »Buy America Act« die Bevorzugung der nationalen Streitkräfte. Nur wenn US-amerikanische Firmen nicht liefern können oder wollen, darf im Ausland gekauft werden.

Die politische Steuerung der privatwirtschaftlichen Rüstungsproduktion zeigt sich auch in der Struktur der Rüstungsindustrie in vielen Ländern. Auffällig an der Liste der größten Rüstungsfirmen (SIPRI Top-100) ist etwa, dass es nicht einen oder wenige Weltmarktführer gibt, sondern dass relativ viele Firmen mit nicht weit auseinanderliegenden Rüstungsumsätzen unter den weltweiten TOP-10 zu finden sind.4 Das Verteidigungsministerium in den USA versucht sehr bewusst zu verhindern, dass Rüstungsfirmen Monopolisten werden. Auch in anderen Ländern, wie Russland, steuert die Regierung durch die Praxis der Vergabe von Aufträgen die Struktur der nationalen Rüstungsindustrie. Hersteller aus Staaten mit kleinen nationalen Beschaffungshaushalten wiederum haben es schwer, nur über den Export so groß zu werden, wie es die Firmen aus den Ländern mit großen Beschaffungshaushalten werden können.

Waffen an Kriegsbeteiligte

Es ist umstritten, ob Waffenlieferungen generell die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Kriege begonnen werden. Relativ offensichtlich ist hingegen, dass sie zur Verlängerung von Kriegen beitragen. Die meisten Kriege enden mit der »Erschöpfung« der Beteiligten, die sie verhandlungsbereit macht. Mangelnder Nachschub an Waffen und Munition ist ein Faktor, der zu einer solchen Erschöpfung führen kann.

Diese Erkenntnis führt dazu, dass in vielen Fällen nach Waffenembargos gerufen wird, um bewaffnete Konflikte möglichst frühzeitig »auszutrocknen«. Die Vereinten Nationen verbieten gegenwärtig den Rüstungsexport an elf Staaten, die EU hat darüber hinaus weitere Waffenembargos verhängt. In den meisten Fällen handelt es sich um aktuelle oder potenzielle Kriegsgebiete, die nicht mit Waffen beliefert werden sollen.

Trotzdem lässt sich immer wieder feststellen, dass Kriegsparteien über hinreichend Waffen und Munition für militärische Kampagnen verfügen. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass Veränderungen der Art der Kriegführung, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges feststellen lassen und für die der Begriff »neue Kriege« geprägt wurde,5 möglicherweise mit Zyklen im internationalen Rüstungshandel zu tun haben.

Ein Kennzeichen der »neuen Kriege« ist, dass sie mit relativ einfachen Waffen geführt werden, insbesondere mit automatischen Gewehren und leichter Artillerie. Die Verwendung solcher Waffen erfordert wenig Ausbildung; auch Kinder können leicht mit ihnen umgehen.

Wo kommen nun die Kleinwaffen für solche Kriege her? Zu einem Gutteil handelt es sich um Waffen, die zu Zeiten des Kalten Krieges geliefert wurden. Viele Typen von Kleinwaffen, wie Gewehre, sind leicht über lange Zeit gebrauchsfähig zu halten. Sie wurden während des Kalten Krieges in großen Stückzahlen weltweit an die jeweils verbündeten Staaten geliefert. Häufig blieben sie allerdings nicht in den Lagern dieser Staaten, sondern wurden weiterverkauft, gestohlen oder von Rebellen erbeutet.

Eine weitere Quelle für Waffen an Kriegsbeteiligte eröffnete sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Hersteller in den Hauptländern des Ost-West-Konflikts hatten riesige Überkapazitäten; auch die Armeen hatten Überschussbestände. Der Schwarzmarkt blühte, weil insbesondere in Osteuropa und den neu entstandenen Staaten auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion die staatliche Kontrolle schwach und die wirtschaftliche Not groß war.

Ab Mitte der 1990er Jahre stieg international das Bewusstsein für die Probleme, die die Verbreitung von Kleinwaffen mit sich brachte. Kontrollbemühungen setzten ein, unter anderem wurden international die Kontrollen von Waffenembargos verbessert und ein spezielles Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen begonnen. Tatsächlich wurde damit eine Einschränkung des illegalen Handels erreicht. Auch die Exporte von Kleinwaffen aus den wichtigsten Herstellerländern in Kriegsgebiete nahmen ab.

Für die Rüstungsindustrie war dies ein geringer Preis, um ihre Glaubwürdigkeit angesichts der Brutalität vieler »neuer Kriege«, wie etwa in Sierra Leone oder dem Kongo, zu bewahren. Denn mit Kleinwaffen lässt sich deutlich weniger Geld verdienen als mit großen Waffensystemen. Zudem wurde der Handel zunehmend von osteuropäischen Herstellern und Schwarzmarkthändlern dominiert– wenn denen die Geschäfte verboten wurden, konnte das den etablierten Firmen egal sein.

Wenn heute Kleinwaffen in Kriegsgebiete gelangen, kommen sie selten aus der Produktion in den großen Herstellerländern. Meist handelt es sich um »gebrauchte« Waffen aus den Lagerbeständen von Nachbarstaaten, die entweder eine der Kriegsparteien unterstützen oder aus denen die Waffen gestohlen werden. Eine weitere Quelle sind Länder, in denen es zu Friedensschlüssen kommt: Waffen werden von einer Kriegsregion in die nächste verkauft.

Anders sieht es bei Munition aus. Sie muss in der Regel aus neuer Produktion nachgeliefert werden. Obwohl immer wieder internationale Initiativen zur Kontrolle des Handels mit Munition gestartet wurden, bleibt Munition die Schwachstelle, wenn es darum geht, die Belieferung von Kriegsbeteiligten zu unterbinden. Munition lässt sich leicht verstecken, für wichtige Munitionstypen gibt es sowohl zivile als auch militärische Verwendung. Auch wurden insbesondere in Afrika neue Produktionsanlagen aufgebaut. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass Munition auch aus den großen Herstellerländern weiter in Kriegsgebiete gelangt.

Waffenlieferungen an »neue Mächte«

Auf der Empfängerseite von Waffen im globalen Süden lassen sich grundsätzlich drei Kategorien von Abnehmern unterscheiden.

Die erste umfasst Staaten, an die die Lieferung von Waffen völkerrechtlich untersagt ist. Für viele exportierende Staaten sind auch Lieferungen an nicht-staatliche bewaffnete Gruppen ein Tabu. Diese potentiellen Abnehmer sind vor allem auf nahe politische Verbündete oder den kleiner gewordenen Schwarzmarkt angewiesen, auf dem sich private Waffenhändler und Geheimdienste betätigen.

Die zweite Gruppe umfasst Staaten des globalen Südens, die sich, entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten, frei unter den verschiedenen Anbietern entscheiden. Für sie ist der globale Rüstungsmarkt ein Käufermarkt. Die potentiellen Abnehmer werden von Verkäufern umschwärmt und umgarnt, mit zulässigen und nicht zulässigen Mitteln. Korruption ist weit verbreitet, und nicht selten sind Beschaffungsentscheidungen vor allem auf persönliche Interessen beteiligter Offizieller zurückzuführen.6.

Schließlich gibt es Staaten, deren Einkaufsmöglichkeiten aus machtpolitischen Gründen eingeschränkt sind. Zumeist sind dies Staaten, die westliche Regierungen nur ungern oder gar nicht militärisch stärken wollen. Kuba und Venezuela etwa gehören zu dieser Gruppe. Sie sind weitgehend darauf angewiesen, Waffen von Herstellern aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu importieren.

Besonders ausgeprägt ist die westliche Zurückhaltung bei China. Die chinesischen Militärausgaben steigen rasant, die Streitkräfte werden mit hohem Kostenaufwand modernisiert. Daran verdienen russische Hersteller gut; westliche Hersteller sind nur am Rande mit Dual-use-Technologie vertreten. Für die US-Regierung ist China der militärische Herausforderer, und auch die EU hat ein Waffenembargo gegen China verhängt.

Dieses Waffenembargo ist vielen europäischen Rüstungsherstellern allerdings ein Dorn im Auge, denn der chinesische Rüstungsmarkt böte gute Geschäftsmöglichkeiten. Wiederholt wurden politische Initiativen gestartet, das EU-Waffenembargo gegen China aufzuheben. Dies ist mit Rücksicht auf die USA und wegen des politischen Widerstandes in einigen europäischen Staaten nicht erfolgt, aber das Waffenembargo wurde an einigen Stellen aufgeweicht. So fahren etwa zahlreiche chinesische Kriegsschiffe mit Motoren aus deutscher Produktion, die aber als Dual-use- und nicht als Rüstungsgüter gelten.

Was bei China noch nicht gelang, ist bei Indien, einem weiteren Staat mit Ambitionen auf eine stärkere, auch militärische Rolle in der Welt bereits erfolgt. Indien hatte bis in die 1990er Jahren Waffen vor allem aus der Sowjetunion bezogen. Seitdem wurde die Palette an Rüstungslieferanten erweitert. Seit einigen Jahren können auch US-amerikanische Rüstungsfirmen ihre Produkte in Indien anbieten. Indien ist trotz seiner machtpolitischen Ambitionen aus der dritten Kategorie von Abnehmerländern in die zweite Kategorie gerutscht.

Über die Gründe für diese Erweiterung der indischen Möglichkeiten lässt sich nur spekulieren. Ein wichtiger Grund dürfte die US-amerikanische Absicht sein, Indien zum Gegengewicht gegen China aufzubauen. Aber auch der Lobbyismus der US-amerikanischen Rüstungsindustrie, die einen neuen Markt erschließen möchte, dürfte eine Rolle gespielt haben.

Wer, auch in Moskau oder Washington, über den Tag hinaus denkt, muss sich die Frage stellen, ob es klug ist, potenziellen militärischen Rivalen bei der Aufrüstung zu helfen. Aber kurzfristige wirtschaftliche und politische Interessen sind offensichtlich zumindest bei den russischen Lieferungen an China und den US-amerikanischen an Indien entscheidend. Eine große Rolle spielt dabei auch das nicht zuletzt von Rüstungslobbyisten gerne vorgetragene Argument: Wenn wir nicht liefern, tun es andere, dann doch lieber wir.

Zukunftstrend

Es gibt wenig Anlass, davon auszugehen, dass die Komplexität des internationalen Waffenhandels mit seinen unterschiedlichen Akteuren und Interessen abnehmen wird. Waffenhandel wird auch weiterhin nicht nur Geschäft oder nur Politik sein. Rüstungshersteller, zumindest die Großen und die, die länger im Geschäft bleiben wollen, werden auch in Zukunft auf ihre Heimatregierungen Rücksicht nehmen müssen. Und Regierungen werden weiterhin von Rüstungsfirmen bedrängt werden, den Rüstungshandel möglichst wenig zu beschränken, weitgehend ohne Rücksicht darauf, dass damit Aufrüstungsprozesse im globalen Süden befördert werden.

Daran wird auch der im März 2013 abgeschlossene Waffenhandelsvertrag nichts ändern. Allerdings könnte durch den Vertrag die Begrenzung in besonders eklatanten Fällen gestärkt werden, wie dort, wo Kriege durch die Lieferung von Waffen und Munition verlängert werden.

Anmerkungen

1) Stockholm International Peace Research Institute (2013): SIPRI Yearbook 2013. Armaments, Disarmament and International Security. Oxford. Oxford University Press, S.248, 260.

2) Ibid.

3) Sam Petrol-Freeman und Pieter D. Wiseman: SIPRI TOP 100 Arms-producing and Military Services Companies, 2010. SIPRI Fact Sheet, January 2014.

4) Ibid.

5) Mary Kaldor (2000): Neue und alte Kriege: Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung. Frankfurt: Suhrkamp.

6) Transparency International hat neben einigen Untersuchungen zur Korruption im internationalen Waffenhandel auch eine Bewertung der Korruptionsanfälligkeit zahlreicher Rüstungsfirmen und Abnehmerstaaten veröffentlicht; defenceindex.org.

Michael Brzoska ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) und Professor an der Universität Hamburg.

Nukleare Geschwister

Nukleare Geschwister

Urananreicherungsanlagen im Iran und in der Bundesrepublik

von Udo Buchholz

Seit 1985 ist im westfälischen Gronau (NRW) die deutsche Urananreicherungsanlage (UAA) in Betrieb. Sie produziert Nuklearbrennstoff für Atomkraftwerke in aller Welt. Mit der Zentrifugentechnik, die in ihr zum Einsatz kommt, könnte auch hoch angereichertes Uran für Atombomben hergestellt werden. RWE und E.ON wollen ihre Anteile an dem Betreiberkonzern Urenco verkaufen. Unklar ist, an wen.

Früher war die Region um Gronau ein Zentrum der Textilindustrie. Inzwischen hat sich die Atomindustrie breit gemacht. Im Kreis Borken, an der Grenze zu den Niederlanden, befinden sich in Ahaus ein Atommüll-Lager und in Gronau die UAA. Auch in der Nachbarschaft, in den Niederlanden und in Niedersachsen, stehen Atomanlagen, u. a. in Lingen ein Atomkraftwerk und die einzige deutsche Brennelementefabrik sowie in Almelo (NL) eine weitere UAA.

Die UAA Gronau hat eine Kapazität von 4.500 t Urantrennarbeit pro Jahr (in dieser Einheit wird die Kapazität einer UAA gemessen). Damit kann pro Jahr Uran für den Betrieb von 30-35 Atomkraftwerken angereichert werden. Die bisher letzte Ausbaugenehmigung wurde 2005 erteilt – trotz rot-grüner Regierungen in NRW und auf Bundesebene.

Natururan kann in den meisten Reaktoren nicht direkt eingesetzt werden. Der Anteil des spaltbaren Uran-235 ist zu gering. Daher muss das Uran vor dem Einsatz in Atomkraftwerken in Urananreicherungsanlagen bearbeitet werden.

Uran wird in Gronau in Form der Uran-Fluor-Verbindung Uranhexafluorid (UF6) verarbeitet. UF6 ist radioaktiv und reagiert bei Freisetzung zu Flusssäure. Das Material ist beim Transport und bei der Lagerung ein fester Stoff, zur Anreicherung wird es erhitzt und in den gasförmigen Zustand gebracht. So wird es dann in die Zentrifugen eingespeist, geschleudert und separiert. In der Zentrifugenanlage wird der Anteil des U-235 von etwa 0,7% im Ausgangsmaterial auf etwa 3-5% angereichert. Anschließend wird das angereicherte Uran zur Weiterverarbeitung in Brennelementefabriken abtransportiert.

Reststoff bei der Anreicherung ist das so genannte abgereicherte U-238 (depleted uranium, DU). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das abgereicherte Uran, das in Gronau in großen Mengen anfällt, zu einem späteren Zeitpunkt für die Herstellung von Uranmunition genutzt werden könnte. In der Vergangenheit sind rund 30.000 t abgereichertes Uranhexafluorid von Gronau nach Russland transportiert worden. Angeblich soll das Material dort neu angereichert werden. Wer aber könnte einen möglichen militärischen Einsatz vereiteln?

Urananreicherung – eine Technik für Reaktoren und Bomben

Besonders problematisch ist, dass das Zentrifugenverfahren, mit dem in Gronau gearbeitet wird, grundsätzlich auch geeignet ist, Uran hoch anzureichern, z. B. auf 80 oder 90% U-235. Dieser Anreicherungsgrad wäre militärisch bestens nutzbar. Hierzu hieß es im Aufruf zum Gronauer Ostermarsch von 2010:

„In der breiten Diskussion ist das iranische Atomprogramm, dem unterstellt wird, dass mittels der Urananreicherung nach dem Zentrifugenverfahren hoch angereichertes, atomwaffenfähiges Uran gewonnen werden soll. Die Zentrifugentechnik kam über die Schiene Niederlande-Pakistan in den Iran. In den 1970er Jahren gelangte der Pakistaner Abdul Quadeer Khan in den Besitz brisanter Unterlagen über den Aufbau der niederländischen Urananreicherungsanlage in Almelo. Mit den Unterlagen konnte er in Pakistan das dortige Atomprogramm aufbauen, und letztlich gelangten hochbrisante Informationen und Materialien auch in den Iran. Bei der iranischen Zentrifugentechnik zur Urananreicherung handelt es sich somit grundlegend um dieselbe Technik, die in Almelo und in Gronau zum Einsatz kommt. Diese Urananreicherungsanlagen sind Schwesteranlagen, die beide zum internationalen Urenco-Konzern gehören.“

Urenco betreibt je eine UAA in Gronau, in Almelo (NL) und in Capenhurst (GB), zudem ist der Konzern in den USA aktiv. Beteiligt sind an Urenco der britische und der niederländische Staat und in der Bundesrepublik die Unternehmen RWE und E.ON. Großbritannien, die Niederlande, RWE und E.ON wollen nun ihre Anteile an Urenco verkaufen. Eine breite öffentliche Diskussion darüber gibt es nicht. Lediglich im niederländischen Parlament hat Ende 2013 eine Debatte über Vor- und Nachteile der Verkaufspläne stattgefunden. Dabei spielten aber eher wirtschaftliche Aspekte eine Rolle, die drohende Weiterverbreitung von Atomwaffentechnik hingegen war kein nennenswertes Thema. Und für die Bundesregierung scheinen die Verkaufspläne überhaupt nicht relevant.

Udo Buchholz, Soziologe M. A., wohnt in der Nähe der UAA Gronau und ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU).

Die militärpolitische Brisanz der Urananreicherung und die Urenco-Verkaufspläne werden Themen des Ostermarsches sein, der am Karfreitag (18.04.) an der Gronauer Urananreicherungsanlage stattfinden wird. Die Kernforderung wird sein: Urananreicherung stoppen – weltweit und sofort! Weitere Informationen unter ostermarsch-gronau.de und bbu-online.de oder Tel. 02562-23125.

»Militarisierbare Zivilfahrzeuge«

»Militarisierbare Zivilfahrzeuge«

Renault und das Waffenembargo der EU gegen Sudan

von Ken Matthysen, Peter Danssaert, Brian Johnson-Thomas und Benoit Muracciole

Rüstung wird, wie viele Artikel in dieser Ausgabe von W&F und im beiliegenden Dossier beschrieben, häufig für den Export produziert. Dabei denken wir in der Regel an Panzer, Kampfflugzeuge, U-Boote oder Kleinwaffen. Um Kriege zu führen, braucht es aber nicht nur dezidierte Waffensysteme, sondern zum Beispiel auch Fahrzeuge, sei es für den Transport von Kämpfern und Gütern oder direkt als Angriffswaffen. Der folgende Text, hier etwas gekürzt und ohne Fußnoten abgedruckt, zeigt am Fall Renault exemplarisch auf, wie Lkw trotz Embargo in die kriegsgeschüttelte Region Darfur gelangen, wie die Herstellerfirma die Lieferungen rechtfertigt und weshalb Sanktionen das nicht verhindern.

Der andauernde Konflikt in der Region Darfur im Westen des Sudan wurde über die Jahre auf internationaler Ebene aufmerksam beobachtet. Wiederholt wurden Versuche unternommen, den Frieden wieder herzustellen. Bislang gelang es allerdings nie, alle beteiligten Parteien einzubinden, daher wurden die Kämpfe immer wieder aufgenommen. Anfang 2009 fanden in Doha/Katar Friedensverhandlungen statt, und im Juli 2011 unterzeichneten die Regierung des Sudan und die Bewegung für Freiheit und Gerechtigkeit (Liberation and Justice Movement, LJM) das Friedensabkommen von Doha – die übrigen Kämpfergruppen schlossen sich dem Abkommen allerdings nicht an. Die Kämpfe und die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen halten seither unvermindert an, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft richtet sich inzwischen aber eher auf Nordafrika und die arabischen Staaten.

Waffenembargos gegen Sudan

Aufgrund des Konflikts verhängten die Europäische Union wie die Vereinten Nationen ein Waffenembargo über Darfur. Das EU-Embargo von 1994 verbietet den Mitgliedstaaten die Lieferung von Waffen, Munition und Rüstungsgütern an natürliche oder juristische Personen im Sudan. Die EU weitete das Embargo 2004 aus, so dass es jetzt auch jegliche technische Hilfe, Finanzhilfe, Maklerdienste, Transporthilfe und andere Unterstützungsleistungen für militärische Aktivitäten und Geräte umfasst.

2004 verhängte der UN-Sicherheitsrat mit Resolution 1556 (2004) ebenfalls ein Embargo für die Lieferung von Rüstungsgütern „an alle nichtstaatlichen Gruppen und Einzelpersonen, einschließlich der Dschandschawid-Milizen, die in den Staaten Nord-Darfur, Süd-Darfur und West-Darfur operieren“. Ein Jahr später erweiterte der Sicherheitsrat das Embargo und beschloss, die Einschränkungen „auf alle Parteien der Waffenruhevereinbarung von N‘Djamena und alle anderen kriegführenden Parteien in den Staaten Nord-, Süd- und West-Darfur“ auszuweiten. So darf die sudanesische Regierung Waffenlieferungen über Khartum oder Port Sudan einführen, nicht aber nach Darfur. Will sie Rüstungsgüter nach Darfur verlegen, muss sie zuvor die Genehmigung des UN-Sanktionsausschusses einholen.

Trotz aller Embargos werden sämtliche Konfliktparteien weiterhin mit Waffen und ähnlichen Gütern beliefert. Die Sachverständigengruppe für die Überwachung der Sanktionen in Sudan des UN-Sicherheitsrates berichtete wiederholt von Waffenkäufen der Rebellengruppen von Darfur und von Versuchen der sudanesischen Regierung, regierungsnahe Milizen und Einheiten der sudanesischen Streitkräfte in Darfur mit Rüstungsgütern zu beliefern, die nicht vom Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrates genehmigt waren.

Die EU-Mitgliedsländer scheinen sich im Wesentlichen an das Embargo zu halten, es gibt aber einige Graubereiche. 2010 machte die Zivilgesellschaft mit dem Bericht »Rhetoric or restraint? Trade in military equipment under the EU transfer control system«1 darauf aufmerksam, dass Unternehmen aus der EU an der heimlichen Lieferung von Panzern und sonstigen Rüstungsgütern in den Südsudan mitwirken. Inzwischen sind neue Fragen aufgetaucht im Zusammenhang mit Fahrzeugen, die aus europäischer Fertigung stammen und in der Region Darfur eingesetzt werden. Genauer: Lastwagen, die der Hersteller selbst als „militarisierbare Zivilfahrzeuge“ (véhicules civils militarisables) bezeichnet.

Sämtliche bewaffnete Konfliktparteien nutzen Fahrzeuge, um Kämpfer durch die ausgedehnten Wüsten in Darfur zu transportieren, vor allem Geländefahrzeuge und Pickups der japanischen Firma Toyota. Es sind aber auch Militärfahrzeuge anderer Hersteller im Einsatz, ebenso Zivilfahrzeuge, die z.B. mit Flugabwehrgeschützen oder Maschinengewehren ausgerüstet und für Unterstützungsaufgaben oder Angriffe eingesetzt werden. Bei manchen dieser Fahrzeuge handelt es sich um europäische Modelle, die von der Firma GIAD Automotive Industry Company vor Ort montiert werden.

CKD-Lastwagen von Renault

2008 zeigte der britische Fernsehsender Channel 4 im Dokumentarfilm »Sudan: Meet the Janjaweed«, dass von GIAD in Lizenz montierte Renault Midlum-Lkw von den regierungsnahen Dschandschaweed-Milizen eingesetzt werden. Auch später wurde immer wieder berichtet, dass ähnliche Lkw entlang der Grenze zum Südsudan Waffen und Munition transportieren.

Der Grundstein für den Industriekomplex GIAD (GIAD Industrial City) wurde im März 1997 gelegt. Es handelt sich um ein Partnerschaftsunternehmen von Sudan Master Technology Engineering Co. Ltd (76%) und der Military Industry Corporation of Sudan (24%). GIAD Industrial City liegt 50 Kilometer südlich von Khartum und wurde am 26. Oktober 2000 eröffnet. Zur Holding GIAD Automotive Industry Company gehören sieben Tochterunternehmen, darunter GIAD Motors Co., GIAD Trucks Co. und GIAD Autoservices Co. GIAD Trucks vermarktet und baut Fahrzeuge mit einer Lizenz der französischen Renault Trucks, einem Tochterunternehmen von Volvo. Von GIAD wird unter anderem der Midlum 210.13 mit einer 4×4-Achskonfiguration gefertigt. Am 25. Juni 2008 teilte GIAD auf eine Anfrage des Internationale Peace Information Service (IPIS vzw) mit, „der Lkw GIAD MIDLUM 210.13 4×4 ist französischer Herkunft, wir fertigen ihn und wir haben dazu die Genehmigung der Muttergesellschaft“, und fügte hinzu: „[E]s handelt sich in mehrerlei Hinsicht um ein leistungsfähiges Fahrzeug. Wir exportieren es inzwischen in etliche Länder.“

Als Renault Trucks von der »Sachverständigengruppe zur Überwachung der Sanktionen in Sudan« der Vereinten Nationen 2009 zu ihren Geschäften mit GIAD befragt wurde, antwortete Renault, dass seine „Verträge mit den Regeln zur Verhinderung von Embargoverletzungen kompatibel sind und dass es keine formellen Verträge mit GIAD unterhält“. Im Juni 2008 hatte Renault sich auf die Anfrage von IPIS etwas anders geäußert: „Wir verkaufen unsere zivilen Lkw für den Baustelleneinsatz, 6 x4 und 4×4, an GIAD TRUCK CO.; diese verkaufen sie seit 1998 lokal an ihre eigenen Kunden weiter, darunter vor allem private und öffentliche Bauunternehmen, private und öffentliche Transportunternehmen, private und öffentliche Industrieunternehmen, Regierungsabteilungen und Ministerien“, auch wenn Renault selbst „mit dem Verteidigungsministerium keinen Kontakt bezüglich Lkw oder Ersatzteilen hatte“ Auf den ersten Blick scheint Renault zu bestreiten, dass GIAD die Renault-Lkw montiert, sie schrieben aber zum Schluss: „Wir werden unsere Lkw weiterhin dort [Sudan] bei GIAD montieren.“

Die Fahrgestellnummern der von GIAD montierten Lkw starten mit »CKD«, bei Lkw, die in Frankreich gefertigt werden, lautet der Code »Vf6«. »CKD« steht für »completely knocked down«, eine spezielle Variante des Technologietransfers. Dabei werden die fertigen Fahrzeuge demontiert, verpackt, verschickt und vor Ort – in diesem Fall im Sudan – wieder zusammenmontiert.

Es drängt sich auf, die Behauptung, bei den Lkw handle es sich lediglich um zivile Fahrzeuge für den Bausektor, genauer zu hinterfragen, wurden die Baureihen Midlum, Kerax usw. von Renault Trucks Défense doch als „véhicules civils militarisables“, also als „militarisierbare Zivilfahrzeuge“, beworben. In einem Pressetext für die Wehrtechnikmesse »Eurosatory 2004« führte Renault aus: „[D]iese Baureihe [Midlum] wurde im Jahr 2000 gestartet und zielt primär auf den zivilen und militärischen Markt.“

Renault gab zu, dass die Lkw im Sudan für militärische Zwecke zum Einsatz kommen. In dem Briefwechsel mit IPIS bestätigte Renault, dass „im Sudan Lkw für den Frieden genutzt werden, manche für den Krieg und viele andere (Gott sei Dank) zum Nutzen der Bevölkerung“. Renault Trucks stellte dann die Frage, „was also sollen wir in diesem Land tun?“, um sie selbst wie folgt zu beantworten: „den Teile- und Training-Backup für GIAD stoppen und die Logistik (und Missionen) der UNO und des Roten Kreuzes gefährden [oder] mit unseren Allzweck-Lkw-Modellen weitermachen, wie in 75 anderen Ländern, in die sie exportiert werden, ohne die genaue Endbenutzeridentität und –moral kontrollieren zu können“. In einem Schreiben vom September 2011 ergänzte Renault: „Wir kontrollieren die Endnutzung unserer Lkw nicht, wir teilen unseren Kunden aber mit, dass wir verpflichtet sind, die Vorschriften der internationalen Gemeinschaft zu erfüllen, und dass es sich bei den von uns gelieferten Fahrzeugen unabhängig von ihrer Konfiguration (built-up oder knocked down) um rein zivile Lkw handelt. Daher bitten wir unsere Kunden, keine der von uns gelieferten Zivilfahrzeuge oder zugehörige Teile für eine militärische Nutzung zu verändern, anzupassen oder umzugestalten.“

Renault macht weiter geltend, dass im Sudan das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen vom Service der GIAD-Tochter Gebrauch machen, um Renault-Lkw zu warten: „Renault Trucks und sein Dienstleistungsnetz, einschließlich der zur GIAD-Gruppe gehörenden AEW Co., leisten in Juba und Darfur sowohl für das Rote Kreuz als auch für die UNO wertvolle Kundendienste.“

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) teilte IPIS im Juli 2011 mit: „Die ICRC-Delegation im Sudan vergibt die Wartung und Pflege seiner Lkw nicht an Dritte. Die Fahrzeuge werden von unseren eigenen Mechanikerteams gewartet. […] Das von Ihnen erwähnte Unternehmen ist unser lokaler Agent für Reparaturen während der Garantiezeit. Das bedeutet, dass dieses Unternehmen die Lkw kostenlos repariert, wenn diese eine Panne haben, für die Gewährleistungspflicht besteht. Außerdem kaufen wir gelegentlich Ersatzteile von ihnen, wenn wir dringend benötigte Teile nicht auf Lager haben. Zwischen dem 1. Januar 2011 und heute haben wir Ersatzteile für rund 500 US$ von ihnen bezogen.“

Die Argumentation von Renault ist also sehr fadenscheinig. Allerdings deutet nichts darauf hin, dass Renault widerrechtlich handelt. Vielmehr agiert das Unternehmen in einem Regelwerk, das von Staaten festgelegt und verwaltet wird. Daher stellt sich die grundsätzliche Frage, ob dieses Regelwerk ausreicht.

Rüstung, Dual-use oder zivil?

IPIS fragte Renault, das französische Außenministerium und den französischen Zoll, ob Renault eine Exportlizenz beantragt und erhalten habe. Das Außenministerium antwortete, diese Lastwagen seien weder als Rüstungs- noch als Dual-use-Güter gelistet, daher sei Renault nicht verpflichtet, eine Lizenz zu beantragen. Es fügte aber hinzu, dass es für eine Diskussion des Themas offen sei und zusätzliche Informationen berücksichtigen könnte, um die Lastwagen möglicherweise auf eine Ausfuhrliste zu setzen. Renault antwortet: „Da es sich bei diesen Komponenten nicht um Rüstungsgüter handelt und Sudan keinem allgemeinen Handelsembargo unterliegt, brauchen wir keine Exportlizenz zu beantragen.“

Gemäß den aktuellen EU-Vorschriften bedürfen Lieferungen an nicht einem Embargo unterliegende Ziele auch dann keiner Lizenz, wenn die Endkonfiguration und –nutzung der Güter militärischer Natur ist, solang die gelieferten Güter nicht als Rüstungs- oder Dual-use-Güter gelistet sind. »Verordnung Nr. 428/2009 des [Europa-] Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck» (Dual-use-Verordnung) besagt in Artikel 4.2, dass die Ausfuhr von nicht gelisteten Gütern dann genehmigungspflichtig ist, wenn gegen das Bestimmungsland ein Waffenembargo der EU, der OSZE oder des UN-Sicherheitsrates verhängt wurde und wenn der Lieferant von den entsprechenden Behörden der EU-Mitgliedsländer „davon unterrichtet worden ist, dass diese Güter ganz oder teilweise für eine militärische Endverwendung bestimmt sind oder bestimmt sein können“. Allerdings ist der Begriff „militärische Endverwendung“ irreführend, da die Verordnung weiter ausführt, dass darunter „der Einbau in militärische Güter, die in der Militärliste der Mitgliedstaaten aufgeführt sind“, zu verstehen ist . Überdies müssen die Güter militärischer Natur sein, also aufgrund ihrer technischen Spezifikation als Rüstungsgüter gelistet werden.

Allerdings stellt Artikel 8 der Dual-use-Verordnung es den einzelnen Mitgliedstaaten frei, „die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, die nicht [als Rüstungsgüter] aufgeführt sind, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder aus Menschenrechtserwägungen [zu] untersagen oder hierfür eine Genehmigungspflicht vor[zu]schreiben“. Selbst wenn die französischen Behörden also der Meinung waren, dass die Ausfuhr der Renault-Fahrzeuge nicht Artikel 4.2 unterliegt, hätten sie angesichts der Einstufung der Fahrzeuge als „militarisierbare Zivilfahrzeuge“ durch Renault selbst die Ausfuhr gemäß Artikel 8 kontrollieren können.

Vermutlich wusste die französische Regierung von Renaults Exporten und vom Risiko, dass CKD-Lieferungen im Sudan militärisch genutzt werden. Die Behörden hätten folglich prüfen müssen, ob die Fahrzeuge so umgerüstet werden können, dass sie als Rüstungsgüter einzustufen sind. Da die sudanesischen Behörden schon häufiger Zivilfahrzeuge für die militärische Nutzung umgerüstet hatten, z.B. durch Montage von Maschinengewehren oder Flugabwehrgeschützen, wäre mehr Sorgfalt geboten gewesen.

Unter diesen Umständen scheint es angemessen, dass die Behörden bei ihren Erwägungen folgende Faktoren in Betracht ziehen:

die Wahrscheinlichkeit, dass CKD-Kits nach der Lieferung zu Militärfahrzeugen aufgerüstet werden,

welche Schritte zur Aufklärung der Endklassifizierung der Fahrzeuge und ihrer Nutzung erforderlich sind,

wie Renault an seine rechtlichen Verpflichtungen erinnert werden kann und welche Informationen von dem Unternehmen bezüglich einer möglichen Endnutzung der Fahrzeuge einzuholen sind.

Wurden in diesem Fall alle Exportvorschriften eingehalten? Wenn nicht, dann muss dies in Zukunft sichergestellt werden. Wenn ja, dann sollten diese verschärft oder ergänzt werden.

Übrigens geht es hier nicht nur um Exporte in den Sudan. Die Lastwagen von Renault werden von Saipa Diesel Co. und Arya Diesel Motor Co. auch im Iran montiert. »Jane’s Military Vehicles and Logistics 2008-2009« beschreibt die Kerax-Baureihe, die von Arya montiert wird, als zivilen Lkw für harte Einsatzbedingungen, der „in unterschiedlichem Maß gemäß den Ansprüchen des Betreibers militarisiert“ werden kann. Jane’s vermerkte außerdem, dass „die Kerax-Baureihe […] alle zuvor von Renault gefertigten Militärfahrzeuge ersetzt hat“. Iran unterliegt sowohl EU- als auch UN-Embargos. GIAD im Sudan ist also kein Einzelfall, sondern vermutlich Symptom eines umfassenderen systemischen Problems.

Anmerkung

1) An Vranckx (2010): Rhetoric or restraint? Trade in military equipment under the EU transfer control system. Gent: Academia Press.

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung folgender Broschüre entnommen: An Vranckx, Frank Slijper und Roy Isbister (eds.): Lessons from MENA: Appraising EU Transfers of Military and Security Equipment to the Middle East and North Africa«, Gent: Academia Press, November 2011, 57 Seiten. Eine etwas ausführlichere Fassung wurde im September 2011 veröffentlicht: Ken Matthysen, Peter Danssaert, Brian Johnson-Thomas und Benoit Muracciole: »Véhicules civils militarisables« and the EU arms embargo on Sudan; herausgegeben von IPIS, Transarms und Action Sécurité Ethique Républicaines.
Aus dem Englischen übersetzt und gekürzt von Regina Hagen.

Der Boom der Rüstungsindustrie

Der Boom der Rüstungsindustrie

von Elisabeth Sköns

Im vergangenen Jahrzehnt expandierte die Rüstungsindustrie kräftig, ganz im Gegensatz zu den 1990er Jahren, als sie nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Kapazitäten reduzieren musste, weil die Militärausgaben sanken. Es gibt mehrere Gründe für die Expansion, am wichtigsten waren aber die Kriege in Afghanistan und im Irak, die besonders in den USA großen Einfluss auf die Nachfrage nach Waffen und militärischen Dienstleistungen hatten. Dieser Boom schuf für Investmentfirmen, die in dieses Marktsegment investieren, ein großes Werktschöpfungspotential. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen in der globalen Waffenindustrie und dem militärischen Dienstleistungsgewerbe (hier unter dem Begriff »Rüstungsindustrie« zusammengefasst) während der 2000er Jahre. Die Analyse berücksichtigt die 100 größten Rüstungsfirmen weltweit der SIPRI-Datenbank »Arms Industry« (ohne China, für das keine verlässlichen Daten vorliegen). Diese Top-100 wickeln im Binnen- wie im Außenhandel den größten Teil der globalen Waffenverkäufe und Militärdienstleistungen ab.

Die Umsätze der Top-100 der globalen Rüstungsindustrie verdoppelten sich von 196 Mrd. US$ im Jahr 2002 auf 411 Mrd. US$ im Jahr 2010 (in geltenden Preisen), wobei der Wachstumsschub mit bis zu 20% in den Jahren 2003 und 2004 am größten war.1

Mit zwei Ausnahmen verzeichneten alle Top-100-Rüstungsfirmen in den 2000er Jahren ein Umsatzwachstum. Für einige war der Boom geradezu atemberaubend. Von 88 der Firmen, für die Daten für das Jahr 2002 wie für 2010 vorliegen, steigerten 76 ihren Umsatz um mehr als das Doppelte, 32 davon sogar um das Dreifache und elf um das Vierfache. In jüngster Zeit verringerten sich die Wachstumsraten auf 4% im Jahr 2009 und 3% 2010.

Kriegsbedingte Rüstungsnachfrage

Die wichtigsten Gründe für das Wachstum der Rüstungsverkäufe waren die Kriege in Afghanistan ab 2001 und Irak ab 2003 im Gefolge von »9/11«. Diese Kriege erwiesen sich als sehr kostspielig und zogen massive Erhöhungen der Militärausgaben nach sich, vor allem in den USA, aber auch in anderen kriegsteilnehmenden Staaten. Zwischen 2001 und 2011 stiegen die Militärausgaben preisbereinigt in den USA um 79%, in Kanada um 53% und in Großbritannien um 26%, während NATO-Partner wie Frankreich und Spanien die Militärausgaben nur um 4% bzw. 1% steigerten und Deutschland preisbereinigt sogar um 6% kürzte.2

Im Jahr 2011 stiegen die US-Militärausgaben auf über 700 Mrd. US$, höher als jemals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Über die Hälfte davon ging für die Beschaffung von Wehrtechnik und militärischen Dienstleistungen an private Firmen – damit eröffnete sich ein enormes Potential für die Marktexpansion der Rüstungsindustrie. Das Auftragsvolumen des US-Verteidigungsministeriums an die größten Auftragnehmer, vor allem an die Top-10, verdoppelte sich zwischen den Finanzjahren 2001 und 2008. Ein Drittel der Aufträge ging sogar an nur fünf Firmen: Lockheed Martin, Boeing, Northrop Grumman, Raytheon and General Dynamics.3 Insgesamt hatten diejenigen Firmen die höchsten Zuwachsraten, die auf Militärfahrzeuge und militärische Dienstleistungen spezialisiert sind.

Die Top-10-Firmen

Sämtliche Rüstungsfirmen der Top-10 des Jahres 2010 (über den gesamten Zeitraum eine relativ stabile Gruppe) steigerten zwischen 2002 und 2010 ihren Rüstungsumsatz um mehr als fünf Mrd. US$. Um die Größenordung zu illustrieren, gibt Tab. 1 auch das Bruttosozialprodukt einiger ausgewählter Länder an. Sieben der Top-10-Firmen stammen aus den USA und eine (BAE Systems aus GB) hat eine große Tochterfirma in den USA, um den dortigen Markt zu bedienen. Die meisten Firmen sind breit diversifiziert und machen Geschäfte in den militärrelevanten Segmenten Elektronik, Luftfahrt, Lenkwaffen (Raketen) und Dienstleistungen (letztere können sowohl produktspezifisch als auch generellerer Art sein). Manche Firmen der Top-10 Gruppe produzieren auch Artilleriegeschütze, Fahrzeuge, Kleinwaffen und Munition.

In den Jahren nach »9/11« kletterten aber nicht nur die Umsätze der Rüstungsindustrie beträchtlich, sondern auch die Gewinne. Eine Befragung der Top-25-US-Rüstungsfirmen ergab im Jahr 2007, dass die Gewinnrate (Nettogewinnanteil des Gesamtumsatzes) nur bei drei Firmen nicht stieg. Die durchschnittliche Gewinnrate der US-Top-10 stieg von 2,4% im Jahr 2001 auf 6,6% im Jahr 2007. Insgesamt vervierfachte sich der Gewinn der Top-10-Firmen von 4,7 Mrd. US$ auf 20,84 Mrd. US$.4

Tabelle 1: Die Top-10 der Rüstungsindustrie: Rüstungsumsätze 2002-2010
Angaben in Millionen US$ zu geltenden Preisen und Wechselkursen.

Rang 2010 Firma Land Umsatz mit Rüstung Zum Vergleich
2002 2010 Anstieg Land BIP 2010
1 Lockheed Martin USA 18.870 35.730 16.860 Bosnien & Herzegowina 16.837
2 BAE Systems GB 14.070 32.880 18.810 Estland 18.958
3 Boeing USA 23.560 31.360 7.800 Simbabwe 7.204
4 Northrop Grumman USA 17.800 28.150 10.350 Papua Neuguinea 9.796
5 General Dynamics USA 9.820 23.940 14.120 Jamaika 13.428
6 Raytheon USA 12.020 22.980 10.960 Kambodscha 11.272
7 EADS Europa 5.630 16.360 10.730 Kongo 10.775
8 Finmeccanica Italien 3.720 14.410 10.690 Mauritius 9.729
9 L-3 Communications USA 3.020 13.070 10.050 Mosambik 9.533
10 United Technologies USA 5.640 11.410 5.770 Moldau 5.809
Quellen: zu den Rüstungsumsätzen: SIPRI: The SIPRI Arms Industry Database.
zum BIP: United Nations Department of Economic and Social Affairs, Economic and Social Development: Statistics; unstats.un.org

Militärfahrzeughersteller

Die steilsten Wachstumskurven verzeichneten zwischen 2002 und 2010 drei US-Unternehmen, die sich auf Produktion, Aufrüstung, Wartung und Support von Militärfahrzeugen spezialisierten: Oshkosh Truck (um 1.090%), Navistar (um 912%) und AM General (um 629%). Die US-Firma Force Protection, die neu in die SIPRI Top-100-Liste aufstieg, machte 2010 einen Umsatz von 660 Mio. US$ mit Rüstungsgütern. Ohne Zweifel machten diese Firmen mit dem Krieg ein gutes Geschäft. Oshkosh Truck lieferte Militärfahrzeuge und Dienstleistungen (Logistik, Wartung, Support) für Serviceeinrichtungen im Irak und in Kuwait. Navistar war ein Hauptprofiteur des Pentagon-Programms zur Fertigung von minenresistenten Fahrzeugen.5 Armor Holdings, die auf die Panzerung von Militärfahrzeugen spezialisiert ist, hat mehr als eine Milliarde US$ mit Fahrzeugpanzerungen verdient.6 AM General lieferte die geländegängigen Humvees (High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicles), die besonders im Irak in großer Zahl eingesetzt wurden.

Militärische Dienstleistungsunternehmen

Militärische Dienstleistungen sind ein weiterer Sektor, der stark expandierte. SIPRI definiert militärische Dienstleistungen in dem Sinne, dass sie speziell für militärische Zwecke entwickelt oder angepasst wurden.7 Die beiden üblichsten Dienstleistungen bieten technische Services (einschließlich IT-Dienste, Systemunterstützung und die Wartung, Reparatur und Überholung von Geräten) und operative Unterstützung (wie das Management von Militärbasen, Logistik, Training und Nachrichtenwesen). Die beiden anderen Arten sind Forschung und Analyse sowie – besonders umstritten– Kampfeinsätze.8

Einige dieser (vor allem technischen) Dienstleistungen erbringen private Firmen schon seit Jahrzehnten, der Bedarf ist aber seit dem Ende des Kalten Krieges vor allem durch das Outsourcing militärischer Tätigkeiten und durch den Einsatz von Technologien, die ein hohes technisches Knowhow erfordern, stark gestiegen. Auf der Nachfrageseite wirkte sich auch die Zunahme militärischer Operationen im Ausland aus, beispielsweise im Irak und in Afghanistan, wo zum Schutz von Diplomaten, Firmenniederlassungen und ziviler Konvois zunehmend privates bewaffnetes Sicherheitspersonal zum Einsatz kam. Diese Dienstleistungen werden in Afghanistan und im Irak ausschließlich durch private Firmen erbracht und machen vermutlich 10-15% sämtlicher Verträge aus, die das US-Verteidigungsministeriums für diese zwei Kriege vergab.9

2002 führte SIPRI zum ersten Mal eine Erhebung über das Outsourcing von Militärdienstleistungen durch und identifizierte 15 Firmen, die im Jahr 2000 solche Dienstleistungen anboten. 2012 gehören schon 20 Firmen, die auf Militärdienstleistungen spezialisiert sind, zu den SIPRI Top-100 (siehe Tab. 2) und machten zusammen 55 Mrd. US$ militär-relevante Umsätze, ein Wachstum von 147% seit 2002.10

Tabelle 2: Militärische Dienstleister unter den SIPRI Top-100 im Jahr 2010
Umsätze (preisbereinigt) in Millionen US$ der Firmen in der SIPRI-Liste der Top-100, die sich auf militärische Dienstleistungen spezialisieren; etliche weitere Top-100-Firmen bieten ebenfalls Dienstleistungen an.

Rang 2010 Firma Land Rüstungsumsatz
2002 2010
9 L-3 Communications USA 3.660 13.070
12 Science Applications USA 3.640 8.230
14 Computer Sciences Corp. USA 2.400 5.940
23 KBR USA 3.310
29 Babcock International GB 540 2.770
22 Hewlett-Packard USA 2.570
33 ManTech International USA 520 2.490
38 DynCorp International USA 1.650 2.390
39 CACI International USA 520 2.320
43 Serco GB 670 2.130
50 QinetiQ GB 1.150 1.730
58 Agility Kuwait 1.310
59 Fluor USA 1.300
67 Jacobs Engineering Group USA 600 1.020
78 Shaw Group USA 810
81 Cubic Group USA 380 810
86 Alion Science and Technology USA 770
88 Mitre USA 510 740
93 VSE Corporation USA 680
98 AAR Corp USA 650
Quelle: Jackson, S.T.J.: Arms production and military services. In: SIPRI Yearbook 2012, S.231.
Grundlage: SIPRI Arms Industry Database

Rüstungsfirmen als Investitionsobjekte

Mit Beginn der 1990er Jahre wurden Rüstungsfirmen in den USA und Westeuropa für Private-Equity-Gesellschaften (Kapitalbeteiligungsgesellschaften) interessant. Die Kapitalrenditen sind äußerst attraktiv. Die Wertsschöpfung wird mittels interner und externer Umstrukturierung der Firmen (Zerschlagung und Weiterverkauf) erzielt, dabei kommen den Private-Equity-Gesellschaften ihre Finanzkraft und ihre Kundenkontakte zugute.

Die Steigerung des Shareholder Value wird positiv befördert, wenn das Unternehmen enge Beziehungen zum Kunden hat. Daher weisen in den USA die Lebensläufe vieler Gründer, Manager und Aufsichtsratsmitglieder von Private-Equity-Gesellschaften berufliche Stationen in der US-Regierung, besonders im Verteidigungsministerium und im Weißen Haus auf, und sie verfügen über gute Kontakte in die Spitzen des Verteidigungs- und Sicherheitssektors der US-Regierung. Besonders aktiv in diesem Sinne ist die 1987 gegründete Carlyle Group. Frank C. Carlucci stieß 1989 als stellvertretender Vostandsvorsitzender zu Carlyle, 1993-2002 übernahm er den Vorstandsvorsitz. Zuvor war er 1986-1987 Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Ronald Reagan, dann zwei Jahre lang US-Verteidigungsminister.

In den 1990er Jahren wurde die Wertschöpfung federführend durch »Downsizing« der traditionellen Rüstungsindustrie erzielt, d.h. es wurden Überkapazitäten verkauft und Personal entlassen und so enorme Kapitalrenditen erzeugt. In den 2000er Jahren scheint sich der Finanzsektor im Militärbereich auf die inzwischen zahlreichen Militärdienstleister zu fokusieren, bei denen es ein großes Konsolidierungspotential gibt.11

Nach diesem Schema wickelte die Carlyle Group in den 2000er Jahren u.a. die folgenden Deals ab: 2000 kaufte Carlyle ein Drittel der Aktien von QuinetiQ, die durch Privatisierung aus der Forschungs- und Entwicklungsagentur der britischen Regierung hervorging, für 73 Mio. US$ und verkaufte den Anteil 2006 für mehr als 500 Mio US$ weiter. 2003 erwarb Carlyle die Triebwerksparte der italienischen Fiat Avio für 1,7 Mrd. US$ und verkaufte sie 2006 für 3,4 Mrd. US$ an die europäische Investmentfirma Cinven. Mit vergleichbaren Geschäften machten andere Private-Equity- bzw. Investmentfirmen wie Kohlberg Kravis Roberts (KKR), J.F. Lehman and One Equity Partners profitable Geschäfte im Verteidigungssektor.12

In jüngster Zeit wurden etliche große Militärdienstleister aufgekauft. So erwarb z.B. Carlyle 2008 die auf den Verteidigungssektor spezialisierte Consultingabteilung von Booz Allen Hamilton für 2,5 Mrd. US$.13 2009 kauften KKR und General Atlantic die entsprechende Abteilung TASC von Northrop Grumman für 1,6 Mrd. US$. Das Gewinnpotential, das im An- und Verkauf von Rüstungsfirmen steckt, lässt sich am Beispiel DynCorp gut illustrieren. DynCorp schloss riesige Verträge für Arbeiten im Irak und in Afghanistan ab; drei DynCopr-Unternehmenseinheiten wurden 2010 für eine Milliarde US$ von einer Private-Equity-Gesellschaft, Veritas Capital, an eine andere Private-Equity-Gesellschaft, Cerberus Capital Management, verkauft.14 Dabei verdiente nicht nur Vertitas Capital viele Millionen Dollar, sondern der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Veritas kassierte für seinen eigenen Unternehmensanteil ebenfalls über 270 Mio. US$.15

Große Militärfirmen in anderen Regionen

Im Kontext von Politik und Rüstungsindustrie ist oft von der enormen Herausforderung durch Waffenentwicklungen in aufstrebenden BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) die Rede.16 Es wird aber nur selten spezifiziert, worin die Herausforderung eigentlich besteht und wie groß sie ist. Dies ist auch in diesem Beitrag nicht im Detail möglich, ein Blick auf die Entwicklung der SIPRI Top-100 ist aber recht aufschlussreich.

Die Liste wird weiterhin von Firmen aus den USA und Westeuropa dominiert, wobei die nordamerikanischen Firmen (44 aus den USA und eine aus Kanada) 61% des Umsatzes der Top-100 machen. 30 Firmen aus Westeuropa setzen weitere 29% um. Die 25 Firmen in der übrigen Welt (außer China) teilen sich die restlichen 10% des Rüstungsumsatzes der Top-10017: neun Firmen in Russland, elf in den OECD-Ländern Japan, Israel, Südkorea und Türkei und sechs in den nicht-OECD-Ländern Indien, Kuwait,18 Singapur und Brasilien. Seit 2002 hat sich an diesem Bild nicht viel geändert. Damals stammten 80% der Firmen aus den USA und Westeuropa; sie verbuchten 93% des Rüstungsumsatzes für sich.19 Die 20 anderen Firmen hatten ihren Sitz 2002 (in dieser Reihenfolge) in Russland, Japan, Israel, Indien, Südkorea, Singapur, Australien und Südafrika.

Ein Sonderfall sind die russischen Rüstungsfirmen, die in den 2000er Jahren wieder expandierten, nachdem sie infolge des Zerfalls der Sowjetunion 1991 und der damit einhergehenden plötzlichen Demilitarisierung und der tiefen Wirtschaftsrezession zunächst kräftige Umsatzeinbußen hinnehmen mussten.20 Allerdings war das Wachstum hier bislang eher moderat. 2002 machten sechs russische Top-100-Firmen einen Rüstungsumsatz in Höhe von 2,8 Mrd. US$ (das entsprach 1,5% des Top-100-Umsatzes),21 2010 machten acht russische Firmen 14,6 Mrd. US$ Rüstungsumsatz (das entsprach 3,6% am Gesamtumsatz der Top-100).22 Zu dieser Entwicklung trugen vor allem höhere Militärausgaben in Russland sowie ein Konzentrationsprozess in Forschung, Entwicklung und Produktion mit weniger, aber größeren Firmen bei. Im Februar 2011 verabschiedete die russische Regierung ein Aufrüstungsprogramm in Höhe von 19 Billionen Rubel (650 Mrd. US$), weitere drei Billionen Rubel sollen 2013-2020 in die Rüstungsindustrie fließen. Allerdings ist die Umsetzung des Programms aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zur Zeit fraglich.23 Die russische Rüstungsindustrie ist weiterhin stark vom Export abhängig, auf dem internationalen Markt jedoch kaum konkurrenzfähig.

Andere Firmen außerhalb des euro-atlantischen Raums verzeichneten zwischen 2002 und 2010 hohe Zuwachsraten (um mehr als das Dreifache), beispielsweise Embraer (Brasilien), Hindustan Aeronautics (Indien) und LIG Nex1 (Südkorea).

Allerdings ist Technologie der wichtigste Faktor für die industrielle Konkurrenzfähigkeit, sie wird aber durch die quantitativen Messgrößen (Anzahl und Umsätze der Top-100-Firmen) in der SIPRI-Datenbank nicht erfasst. Bei den BRICS-Ländern sind China und Russland technologisch führend, während Brasilien und Indien viel von Importen abhängen.24

Die Kapazitäten der chinesischen Rüstungsindustrie abzuschätzen ist aufgrund mangelnder Transparenz schwierig, und westliche Quellen bleiben bezüglich der Primärquellen ihrer Daten oft sehr vage. Es scheint jedoch eine gewisse Übereinstimmung hinsichtlich einiger Aspekte zu geben: Erstens verzeichnen etliche chinesische Firmen sehr hohe Umsätze mit Rüstungsgütern. Wären die entsprechenden Zahlen bekannt, würden sie mit großer Wahrscheinlichkeit in der SIPRI Top-100-Liste auftauchen. Und zweitens ist zu beobachten, dass China aufgrund von Fortschritten in zivilen Technologien in verschiedenen Bereichen erhebliche Innovationsfortschritte macht und damit die Abhängigkeit von russischer und anderer ausländischer Technologie sinkt. Die Entwicklung der chinesischen Rüstungsindustrie schlägt sich in sinkenden chinesischen Importen konventioneller Waffen (58% weniger zwischen 2002-2006 und 2007-2011) und steigenden Rüstungsexporten (um 95% im gleichen Zeitraum) nieder.25

Künftige Entwicklungen

Verschiedene Faktoren legen nahe, dass die Rüstungsfirmen und Militärdienstleister der SIPRI Top-100 in nächster Zeit einer erneuten Schrumpfungsphase entgegen sehen, zumindest in Nordamerika und Westeuropa. Die Kriege in Afghanistan und Irak gehen ihrem Ende entgegen, und das Haushaltsdefizit der USA erzwang einen politischen Konsens über drastische Kürzungen im US-Militärhaushalt in den nächsten zehn Jahren. Die Finanzkrise in etlichen westeuropäischen Ländern führt ebenfalls zu Kürzungen bei den Militärausgaben. Das große russische Aufrüstungsprogramm ist mit finanziellen Engpässen konfrontiert, und die wirtschaftliche Rezession im Gefolge der globalen Finanzkrise in anderen Teilen der Welt setzt dem internationalen Waffenmarkt Grenzen. Deshalb ist von einer radikalen Kürzung der globalen Militärausgaben und dem Schrumpfen der Rüstungsindustrie auszugehen, ähnlich wie nach dem Ende des Kalten Krieges.

Doch es gibt auch mögliche Gegentrends. Die Nachfrage nach Waffen und militärischen Dienstleistungen für internationale Friedensmissionen könnte steigen, möglicherweise auch infolge internationaler militärischer Interventionen wie in Libyen und verschiedener Unterstützungsmaßnahmen für den Sicherheitssektor im globalen Süden. Außerdem hat in den USA die Ankündigung drastischer Kürzungen im Militärhaushalt die Rüstungsindustrie alarmiert, die eine intensive Lobbykampagne gestartet hat gegen automatische Kürzungen (sequestration) in den nächsten zehn Jahren, die Folge der fehlenden politischen Einigung über die Verringerung des Haushaltdefizits sind.26 In ihren Lobbykampagnen argumentiert die Rüstungsindustrie primär mit den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, wenn Entlassungen erfolgen. Aber selbst diese Auswirkungen würden nur mit zeitlicher Verzögerung eintreten, da die großen US-Firmen erhebliche Auftragspolster haben: Lockheed Martin 81 Mrd. US$, Boeing 46 Mrd. US$ und Northrop Grumman und General Dynamics jeweils 40 Mrd. US$.27

Anmerkungen

1) Die Veränderungen sind in geltenden Preisen und Wechselkursen angegeben und betreffen Rüstungsfirmen, die jeweils in der Liste der Top-100 aufgeführt wurden, d.h., es gab in jedem Jahr geringfügige Änderungen in der Zusammensetzung der Top-100. Jackson, S.T.: Arms production and military services. In: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, S.220; Sköns, E., Bauer, S. und Surry, E.: Arms production. In: SIPRI Yearbook 2004. Oxford: Oxford University Press, S.390.

2) Perlo-Freeman, S. et al.: Military expenditure data 2002-11. In: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, S.197 und 200.

3) Hartung, W.D.: The Military-Industrial Complex Revisited: Shifting Patterns of Defense Contracting in the Post-9/11 Period. New York, 14. Juni 2011; ebookbrowse.com.

4) Sköns, E.: The US defence industry after the Cold War. In: Tan, A. (ed.) (2010): The Global Arms Trade. London: Routledge, S.244-245.

5) Sköns, E. and Surry, E.: Arms production. In: SIPRI Yearbook 2007. Oxford: Oxford University Press, S.359.

6) Bilmes, L.: Who profited from the Iraq war? EPS Quarterly, vol. 24, Nr. 1 (March 2012), S.7.

7) Perlo-Freeman, S. and Sköns, E.: The private military services industry. SIPRI Insights on Peace and Security, Nr. 1, 2008, S.2. Weitere Definitionen für solche Firmen finden sich in Singer, P.W. (2003): Corporate Warriors – The Rise of the Privatized Military Industry. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, Cornell Studies in Security Affairs; und Wulf, H. (2005): Internationalizing and Privatizing War and Peace. Houndsmill: Palgrave Macmillan.

8) Perlo-Freeman, S. and Sköns, E., 2008, op.cit., S.6-7.

9) Bilmes, L., op.cit., S.6.

10) Jackson, S.T., op.cit., S.231.

11) Siehe z.B.: Defense and private equity: perfect partners. Jane’s Defense Weekly, 5. Mai 2010, S.25.

12) Sköns, E.:, Acquisitions by the US financial sector in the European arms industry. In: Sköns, E. (2009): The Arms Industry and Globalisation, PhD Thesis, Bristol, S.194-201.

13) Carlyle to Acquire Booz Allen Unit for $2.54 Billion. Bloomberg, 16. Mai 2008.

14) Cerberus to Acquire DynCorp for About $1 Billion. The Wall Street Journal, 12 April 2010.

15) DynCorp Owner Cashes Out Of Wartime Investment. Forbes, 12 April 2010.

16) Siehe z.B.: European Economic and Social Committee: Opinion of the Consultative Commission on Industrial Change (CCMI) on the need for a European defence industry: Industrial, innovative and social aspects. CCMI/100, Brussels, 15 Juni 2012, S.4.

17) Jackson, S.T.J., op.cit., S.248.

18) Es handelt sich um eine kuwaitische Logistik- und Transportfirma mit großen Aufträgen der US-Armee im Kontext des Irakkrieges.

19) Sköns, E., Bauer, S. and Surry, E., op.cit., S.390.

20) Pikayev, A.: Defence spending and procurement in post-Communist Russia. In: Tan, A. (ed.), op.cit., S.151.

21) Sköns, E., Bauer, S. and Surry, E., op.cit., S.390.

22) Jackson, S.T., op.cit., S.248.

23) Zwei unterschiedliche Einschätzungen hierzu: Government rearmament program could be delayed. Moscow News, 2. Juli 2012; und Russia’s rearmament remains on schedule – Econ Minister. RIA Novosti, 2. Juli 2012.

24) Zu Untersuchungen für Brasilien und Indien siehe Bromley, M., and Guevara, I.: Arms modernization in Latin America, und Pant, H.V.: India’s arms acquisition – devoid of a strategic orientation. Beide in: Tan, A. (ed.), op.cit.

25) Holtom, P. et al., International Arms Transfers. In: SIPRI Yearbook 2012, op.cit., S.269 und 271. Siehe dazu auch den Beitrag von Siemon Wezeman im beiliegenden W&F-Dossier 72.

26) Informationen zu den Vereinbarungen zur Sequestration siehe Sköns, E. and Freeman, S.: The United States’ military spending and the 2011 budget crisis. In: SIPRI Yearbook 2012, S.162-166.

27) Rasor, D., Defense companies use Congress to save their profits, no matter what (part one). Truth-out, 2. Aug. 2012.

Dr. Elisabeth Sköns leitet das SIPRI-Programm zu Militärausgaben und Waffenproduktion; sie arbeitet und publiziert seit mehr als 20 Jahren zu diesen Themen. Seit 2009 beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit einem Projekt zu externen sicherheitsbezogenen Aktivitäten in der Subsahara.
Aus dem Englischen übersetzt von Herbert Wulf.

Aufstrebende Staaten

Aufstrebende Staaten

Rüstungsindustrie in Brasilien, Indien und Südafrika

von Jan Grebe und Nils Schaede

Brasilien, Indien und Südafrika haben eines gemein: Sie sind aufstrebende Staaten mit einem starken wirtschaftlichen Wachstum und dem Anspruch, eine selbstbewusste und souveräne Rolle in der regionalen und internationalen Politik zu spielen. Untermauert wird dies mit dem Aufbau militärischen Potentials. Die Abhängigkeit von ausländischen Rüstungsimporten versuchen die Staaten mit der Erneuerung oder der Etablierung einer eigenen Rüstungsindustrie zu verringern. Rüstungspolitik bekommt somit eine zusehends größere Aufmerksamkeit. Die drei Länder werden in Zukunft auf dem Weltmarkt auch als Rüstungsexporteure an Gewicht zunehmen. Dies wirft die Frage auf, welche Bedeutung die Rüstungsindustrien in den einzelnen Ländern haben, wie diese sich in Zukunft aufstellen und welche friedenspolitischen Implikationen das mit sich bringt.

Die regionale und globale Bedeutung von Brasilien, Indien und Südafrika hat durch den wirtschaftlichen Aufschwung dieser Länder zugenommen. Dies drückt sich u.a. in einer verstärkten Süd-Süd-Kooperation aus. Zum Austausch über Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik dient das IBSA (India, Brazil, South Africa) Dialogue Forum. Die Rüstungspolitik der drei Länder ist von unterschiedlichen sicherheitspolitischen Kontexten geprägt: Indien etwa steht im Konflikt mit Pakistan und China; Brasilien ist bemüht, seine Interessen auf dem Kontinent und in den Hoheitsgewässern wahrzunehmen; Südafrika ist stärker als zuvor in Friedensmissionen auf dem afrikanischen Kontinent eingebunden. Alle drei aber versuchen die Abhängigkeit von Rüstungsimporten zu verringern und eigene Produktionskapazitäten aufzubauen.

Brasilien

In der 2005 verabschiedeten »Nationalen Verteidigungsstrategie« benannte Brasilien die Verteidigung des Amazonas und der Territorialgewässer als zentrales Sicherheitsinteresse. Dazu wurde der Anspruch formuliert, den militärischen Bedarf der Streitkräfte weitestgehend aus heimischer Produktion zu sichern. In diesem Kontext ist die Steigerung der brasilianischen Militärausgaben zwischen 2001 und 2011 um 21% auf 31 Mrd. US$ zu sehen.1

Bereits in den 1940er und 1950er Jahren war die nationale Rüstungsindustrie aus Sicht der Politik ein wichtiger Stützpfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung. Während der Militärdiktatur von 1964 bis zur Einführung der Demokratie im Jahr 1985 hatten die Generäle zentrales Interesse an einer nationalen Rüstungsindustrie, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit von Rüstungsimporten zu verringern. Entgegen der Vermutung, mit dem Ende der Militärdiktatur würde die Rüstungsindustrie einbrechen, konnten die einschlägigen Unternehmen Ende der 1980er Jahre aufgrund der Nachfrage aus Konfliktstaaten wie dem Iran und dem Irak vielmehr steigende Exportzahlen verbuchen. Hingegen kam es in den 1990er Jahren wegen weltweit sinkender Militärausgaben nach dem Ende des Kalten Krieges und aufgrund des inzwischen veralteten technologischen Know-how vieler Unternehmen zu einem deutlichen Einbruch in der Rüstungsindustrie.

Die brasilianische Regierung betrachtet den Technologietransfer als entscheidenden Faktor für die Neuausrichtung einer Rüstungsindustrie, die neue Technologie entwickelt und ihre Abhängigkeit von Importen verringert. Der erneute Aufbau der rüstungsindustriellen Basis dient zwei Zielen:

1. Regionale Ambitionen: Brasilien will eine führende militärische Stellung auf dem Kontinent erlangen und den Schutz des Südatlantiks mit seinem Ressourcenreichtum sicherstellen.

2. Globale Ansprüche: Brasilien strebt ein größeres Mitspracherecht in internationalen Organisationen an und ist bemüht, sein internationales Profil bezüglich der Gestaltung regionaler und globaler Sicherheitsfragen zu schärfen.

Dies schlägt sich in der Beschaffung von vier U-Booten der Scorpène-Klasse sowie dem Bau eines atombetriebenen U-Boots mit Unterstützung Frankreichs nieder. Zur Stärkung der eigenen Rüstungsindustrie ist die Rüstungskooperation mit Frankreich, die einen umfassenden Technologietransfer einschließt, von großer Bedeutung.2

Mit der Neuausrichtung der Rüstungsindustrie ist ebenfalls der Versuch verbunden, die drei großen Unternehmen Taurus (Mischkonzern inkl. Kleinwaffen), CBC (Munition und Kleinwaffen) und IMBEL („strategisches Unternehmen für Verteidigung und Sicherheit“ im Besitz des Verteidigungsministeriums) zu unterstützen. Seit langem konzentriert sich die Industrie auf die Fertigung kleiner und leichter Waffen. Die Produktion ist vorrangig dazu gedacht, die heimische Nachfrage der Sicherheitskräfte zu bedienen. Dennoch werden Klein- und Leichtwaffen sowie Munition auch in andere Staaten exportiert, wobei insbesondere der amerikanische Markt beliefert wird. Auch der zivil-militärische Luftfahrtkonzern Embraer – eines der zentralen Unternehmen, die den Rückbau der Rüstungsindustrie überlebt hatten – exportiert heute Flugzeuge in zahlreiche Länder auf dem amerikanischen Kontinent, in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum.

Allerdings kann die brasilianische Rüstungsindustrie nur eine kleine spezialisierte Nische auf dem Rüstungsmarkt bedienen. Insgesamt ist sie eng in das sicherheitspolitische Konzept der Regierung eingebunden und dient vor allem dem Aufbau der nationalen und regionalen Verteidigungskapazitäten.3

Südafrika

Südafrika ist mit einem Sicherheitsumfeld konfrontiert, das von zahlreichen innerstaatlichen Konflikten und Kriegen sowie zunehmender Piraterie geprägt ist. Zwar sind Diplomatie und Konfliktprävention zentrale Instrumente seiner Sicherheitspolitik, gleichzeitig geht Südafrika jedoch davon aus, auf militärische Kapazitäten zur Durchsetzung der Interessen etwa im maritimen Bereich zurückgreifen zu müssen. Im Rahmen der Afrikanischen Union und ihrer African Standby Force entwickelt Südafrika auch militärische Kapazitäten für Interventionen und Friedensmissionen mit dem Ziel, die regionale Sicherheit und Stabilität zu garantieren.

Eine moderne Rüstungsindustrie gilt daher als wichtiger sicherheitspolitischer Stützpfeiler für die südafrikanische Politik. In diesem Zusammenhang ist auch der Anstieg der Militärausgaben zwischen 2001 und 2011 um 30% auf 4,6 Mrd. US$ zu sehen.

In der Geschichte der südafrikanischen Rüstungsindustrie gab es zwei einschneidende Ereignisse: Zunächst verhängten die Vereinten Nationen 1977 ein Waffenembargo gegen das damalige Apartheidregime, das das Land zwang, sich weitestgehend autark mit Rüstungsgütern zu versorgen. Während dieser Zeit entwickelte Südafrika eine der besten und modernsten Rüstungsindustrien innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer.

Nach dem Ende des Apartheidregimes im Jahr 1994 kam es zu Strukturänderungen der staatlich kontrollierten Rüstungsindustrie. Im 1996 verabschiedeten »Weißbuch« kündigte die Regierung die Neuausrichtung der Rüstungsindustrie an, sahen sich die Unternehmen doch der sinkenden Nachfrage durch die eigenen Streitkräfte ausgesetzt. Zur Sicherung der Produktionskapazitäten will Südafrika als Rüstungsexporteur den afrikanischen Markt mit neuen Produkten oder Überschussbeständen der südafrikanischen Streitkräfte bedienen – bislang jedoch mit begrenztem Erfolg.4 Dennoch ist die Rüstungsindustrie ein bedeutender Arbeitgeber, von dem wichtige wirtschaftliche Impulse ausgehen.

Mit Blick auf die Süd-Süd-Zusammenarbeit im Rüstungs- und Verteidigungsbereich sind Indien und Brasilien wichtige Kooperationspartner für Südafrika. So arbeiten Brasilien und Südafrika beispielsweise im Rahmen des A-Darter-Projekts bei der Herstellung und Erprobung von Luft-Luft-Raketen zusammen.

Indien

Die Sicherheitswahrnehmung Indiens ist von einem Umfeld geprägt, in dem Pakistan als direkte nukleare Bedrohung wahrgenommen wird, China zur Supermacht aufgestiegen ist, Russland mit seinem Status als Supermacht kämpft und Indien selbst möglicherweise mit einer Nuklearmacht Nordkorea konfrontiert sein wird. Als Triebfeder für die rüstungsindustriellen Entwicklungen gelten äußere Bedrohungen (Pakistan und China) sowie das indische Bestreben, zur Regionalmacht aufzusteigen. Insgesamt hat die Modernisierung der Rüstungsindustrie zum Ziel, die konventionelle und nukleare Abschreckung zu verbessern und die Vormachtstellung im Indischen Ozean zu untermauern.

Aus Sicht Indiens ist daher eine selbstständige und technisch moderne Rüstungsindustrie unverzichtbar. Indiens steigende Militärausgaben – zwischen 2001 und 2011 stiegen sie um 65% auf 44 Mrd. US$ – sind auch auf die erklärte Intention der indischen Regierung zurückzuführen, eine größtmögliche Unabhängigkeit der Verteidigungsindustrie sicherzustellen. Dazu wurden in den vergangenen Jahren in allen relevanten Bereichen Kapazitäten aufgebaut, insbesondere bei Forschung und Entwicklung. Dafür war eine wichtige Voraussetzung, dass die Regierung seit 2001 eine stärkere Zusammenarbeit der staatlich kontrollierten Rüstungsindustrie mit privaten Firmen und den Streitkräften forciert – bis dahin war der indische Rüstungsmarkt für private Investitionen geschlossen. Dennoch wird die indische Rüstungsindustrie weiterhin von neun staatlichen wehrtechnischen Unternehmen dominiert, zu den Bharat Electronics Limited und Hindustan Aeronautics Limited gehören. Eine investitionsfreundliche Politik trägt jedoch zum Bedeutungsgewinn des privaten Sektors bei.

Ungeachtet der Anstrengungen der letzten Dekade ist das Land weiterhin auf Rüstungseinfuhren angewiesen und derzeit einer der weltweit größten Rüstungsimporteure. Die heimische Rüstungsindustrie kann den Streitkräftebedarf bei weitem noch nicht bedienen. Lediglich 15% der produzierten Rüstungsgüter werden als hochmodern betrachtet. Daher ist Indien daran interessiert, durch Importe an möglichst viel ausländisches technologisches Know-how für die heimische Industrie zu gelangen – langfristig sollen 75% der Rüstungsgüter selbst produziert werden.

Der Exportdruck in vielen westlichen Staaten ermöglicht es Indien zunehmend, die Vertragskonditionen für Rüstungslieferungen zu diktieren und den Transfer von Technologie mit in die Verträge einzubinden. Durch eine Diversifizierung der Lieferanten konnten weitere Fortschritte erreicht werden. Moskau ist zwar nach wie vor der wichtigste Verkäufer für Indien und liefert die meisten Großwaffensysteme, die USA sind jedoch seit der im Jahr 2005 geschlossenen Kooperation ein wichtiger Partner geworden. Zu europäischen und israelischen Rüstungsfirmen bestehen inzwischen ebenfalls gute Kontakte.5 Aus Sicht Indiens bietet die Kooperation mit ausländischen Rüstungsherstellern großes Potential für die Industrie. Es bestehen jedoch noch erhebliche Schwierigkeiten, die ausländischen Technologien in die heimische Produktion zu integrieren und das Wissen über diese für die Industrie langfristig nutzbar zu machen.6

Friedenspolitische Herausforderungen

Während die drei betrachteten Länder in der Vergangenheit eher ökonomische Gründe für den Aufbau der nationalen Rüstungsindustrie anführten, werden Investitionen heute vorrangig mit sicherheitspolitischen Herausforderungen begründet.

Gemeinsame Rüstungsprojekte, beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Südafrika oder das IBSA Dialogue Forum, zeigen, dass die Länder ihre Rüstungsindustrie modernisieren und technologisch voranbringen wollen, um so auch ihre regionale Position zu untermauern. Die Kooperation befindet sich zwar erst am Anfang und häufig bestehen nationale Vorbehalte, die Erfolge des 120 Mio. US$-Projekts A-Darter verdeutlichen jedoch, dass die Zusammenarbeit in Zukunft intensiviert werden könnte.

Bislang wird der weltweite Rüstungsmarkt noch von US-amerikanischen, europäischen und russischen Unternehmen dominiert. Die Kooperation im Rahmen des IBSA Dialogue Forum könnte jedoch dazu führen, dass Rüstungskonzerne aus den betrachteten Staaten in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren Einfluss auf die Entwicklungen der globalen Rüstungsindustrie gewinnen können. Ungeachtet dessen stehen den ambitionierten Plänen strukturelle Hindernisse im Wege, beispielsweise fehlende Direktinvestitionen im Rüstungsbereich und Probleme bei der Einbindung von im Ausland erworbener Technologie in die eigene Produktion.

Friedenspolitisch gibt die Entwicklung Anlass zur Sorge. Durch das größere Angebot an Waffen ist mit einer weiteren Proliferation zu rechnen. Mangelnde Exportkontrollen führen möglicherweise dazu, dass Waffen auch autoritär regierte Staaten erreichen oder in Länder gelangen, in denen Menschenrechte missachtet werden. Insbesondere die Aufrüstung in Brasilien und Indien könnten einem regionalen Rüstungswettlauf Vorschub leisten, auch wenn beide Länder dies offiziell vermeiden wollen. Eine auf Vertrauen und Transparenz basierende Sicherheitspolitik kann Aufrüstungsbestrebungen in Nachbarländern verhindern. Wünschenswert wäre eine stärkere Fokussierung innerhalb der verschiedenen Regionalorganisationen auf die Einhegung des rüstungsindustriellen Aufbaus durch vertrauensbildende Maßnahmen und neue Initiativen zur Rüstungskontrolle. Es steht jedoch zu vermuten, dass wirksame Instrumente nur schwer aufgebaut werden können. Dabei müssten insbesondere Indiens Streben nach nuklearer und konventioneller Abschreckung neue Initiativen auf regionaler und globaler Ebene entgegengesetzt werden, um eine Verschärfung vorhandener Konflikte zu verhindern.

Anmerkungen

1) Angaben zu Militärausgaben sind in konstanten US-Dollar (2010) angegeben. Quelle: sipri.org/databases/milex.

2) Bromley, Mark; Guevara, Iñigo: Arms modernization in Latin America. In: Tan, Andrew T.H. (ed.) (2010): The Global Arms Trade – A Handbook. London: Routledge, S.173-174.

3) Flemes, Daniel; Vaz, Alcides Costa (2011): Security Policies of India, Brazil and South Africa – Regional Security Contexts as Constraints for a Common Agenda. GIGA Working Papers No 160, S.14.

4) Wezeman, Pieter D. (2011): South African Arms Supplies to Sub-Saharan Africa. SIPRI Background Paper, Stockholm.

5) Pant, Harsh V. (2010): India’s arms acquisition: devoid of a strategic orientation. In: Tan, Andrew T.H., op.cit., S.69-70.

6) Jackson, Susan; Grinbaum, Mikael (2012): The Indian arms-production and military services industry. In: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, S.240.

Jan Grebe ist Projektleiter am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC). Nils Schaede absolvierte ein Masterstudium am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (Uni Hamburg).