Die Gabala Offerte

Die Gabala Offerte

von Jürgen Nieth

Der sprachlose Präsident

»George W. Bush ist ein Mann der klaren Sätze. Am
vergangenen Donnerstag (07.06.) allerdings wirkte der US-Präsident im sonnigen
Heiligendamm seltsam unentschieden. Er lächelte zwar meist, doch zu einer
klaren Aussage schien Bush nicht fähig zu sein, als er neben Wladimir Putin
stand und über das gemeinsame Gespräch berichten sollte. Der russische
Präsident habe ›ein paar interessante Vorschläge gemacht‹, wand sich Bush. Man
werde darüber jetzt ›einen strategischen Dialog‹ führen… Deutlicher wurde er
nicht«
(Spiegel 11.06.07, S.24). Was war passiert?

Für russisch-amerikanische Raketenabwehr

Putin hatte in Heiligendamm angeboten, an Stelle der von der
US-Regierung geplanten Raketenabwehr in Polen und Tschechien gemeinsam die
russische Radarstation in Gabala/Aserbaidschan zu nutzen. Über diese Anlage
schreibt die FAZ (09.06.07). Sie ist »1985 als Teil des sowjetischen
Frühwarnsystems gegen Raketenangriffe in Dienst gestellt worden. Sie hat eine
Reichweite von 6.000 km und soll in der Lage sein, Raketenstarts in den Ländern
der südlichen Hemisphäre zu registrieren und die Flugbahn der Raketen zu
verfolgen. Von Gabala aus wird so der Luftraum und der Weltraum über Iran,
Pakistan und der Türkei, Indien, Irak und eines Teils von China überwacht.«
Russland
hat diese Station bis 2012 gepachtet und der aserbaidschanische Präsident
signalisierte sofort seine Zustimmung zu einer gemeinsamen
russisch-amerikanischen Nutzung.

Die US-Raketenpläne für Osteuropa

Die US-Pläne sehen vor, in Tschechien eine Radarbasis zu
bauen, die Aufklärungsdaten an eine polnische Station liefert, von der dann
Abfangraketen aufsteigen können. Jeanne Rubner schrieb dazu in der Süddeutschen
Zeitung (SZ 25.01.07): »Die ›Missile Defense‹, die mindestens zehn Miliarden
Dollar kosten soll, ist das kärgliche Überbleibsel des ambitionierten ›Krieg
der Sterne‹-Programms des früheren Präsidenten Ronald Reagan.«
Rubner
kritisiert weiter, dass »die gesamte Technik noch nicht ausgereift ist«, und
»die USA den Schutzschild an der NATO und auch an der EU vorbei«
planen.

Die FAZ wundert sich allerdings darüber, dass Bush von
Putins-Offerte überrascht wurde: »Russische Sicherheitsfachleute hatten
schon 2004 über einen solchen Vorschlag an die Vereinigten Staaten nachgedacht…
(und) ein russischer Diplomat (habe schon drei Wochen vorher) im Gespräch mit
einer aserbaidschanischen Zeitung angedeutet, dass die Möglichkeit einer
gemeinsamen Nutzung von Gabala schon während des Besuchs des amerikanischen
Verteidigungsministers, Robert Gates, in Moskau angesprochen worden sei.«

Politikerecho in Deutschland

Ein Teil der deutschen Politiker gab sich zuerst einmal
positiv wertend gegenüber der Putin-Initiave, so z.B. Edmund Stoiber in einem
Spiegelinterview: »Wir Deutsche haben ein elementares Interesse an einer
echten Partnerschaft mit Russland. Ein gemeinsamer Abwehrschirm von
NATO-Staaten und Russland gegen Raketen aus Iran oder Nordkorea wäre sicher
besser als eine rein amerikanische Lösung in Osteuropa. Das wäre wohl nicht
konsensfähig mit den Russen und könnte Europa neuerlich spalten«
(11.06.07,
S.42). SPD-Chef Beck äußerte die Hoffnung, »dass Putins Vorschlag dazu
beitrage, ein neues Wettrüsten und ein ›Auseinanderdividieren Europas‹ zu
verhindern«
(SZ 11.06.07). Verhaltener waren die Kommentare des Außen- und
des Verteidigungsministers. Steinmeier bezeichnet den Vorschlag als ein »Signal
des Dialogs und der Entspannung«.
Während der Prüfung sollten sich alle
Beteiligten einer »voreiligen Bewertung enthalten« (SZ 09.06.07) Franz
Josef Jung äußerte gegenüber der Bild am Sonntag (10.06.07) Genugtuung darüber,
»dass auch Russland offensichtlich von der Notwendigkeit eines Schutzes
gegen Raketen überzeugt ist«.
Er sagte zu, »im Rahmen der NATO und im
NATO-Russland-Rat über eine mögliche Ausgestaltung eines Schutzschildes zu
diskutieren«.

Vorschlagsgegner

Das Iranische Parlament kritisierte den Vorschlag Putins
scharf: »Der Iran darf nicht zum Spielball der Konflikte zwischen den
Weltmächten werden«,
sagte ein Sprecher des Auswärtigen Ausschusses laut
Frankfurter Rundschau (FR 11.06.07). Der Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop
Scheffer, äußerte Zweifel daran, »ob die Anlage in Aserbaidschan die
technischen Voraussetzungen erfülle, zumal sie ›ein bisschen sehr nahe‹ an den
Schurkenstaaten sei, über die man rede«
(FAZ 09.06.07).

Und was kommt vom treuesten Verbündeten Bushs, von Tony
Blair? Er antwortet in einem Spiegelinterview auf die Frage, was er von Putins
Vorschlag halte: »Ich kann das nicht beurteilen, ich bin kein Fachmann auf
diesem Gebiet«
(Spiegel 11.06.07, S.111).

Bushs Verlegenheit – nur für zwei Tage?

Am 09. Juni traf der US-Präsident den polnischen
Präsidenten, Lech Kaczynski. Dazu die FR (11.06.07): »Bush hat bei seinem
Besuch in Polen … keine Bereitschaft geäußert, auf die Stationierung von
Anti-Raketen-Raketen in dem ehemaligen Ostblockland zu verzichten.«
Er
bekräftigte lediglich die alten Aussagen, nach denen man keine aggressiven
Absichten verfolge. Bush wörtlich: »Das System, das wir vorgeschlagen haben,
ist nicht gegen Russland gerichtet.«
Staatspräsident Lech Kaczynski
bekundete derweil »erneut seine Unterstützung für die US-Pläne« (Welt
11.06.07). »Zu einem möglichen Standort äußerten sich Bush und Kaczynski
erwartungsgemäß nicht, aber in Warschauer Regierungskreisen heißt es, als
Standort für die Abfangraketen sei der stillgelegte Flughafen Redzikowo am
Stadtrand von Stolp ausgewählt worden.«

Putins Strategie

Während in einigen Pressekommentaren Putins Vorschlag als
Ablenkungsmanöver bezeichnet wird, schreibt Kai Ehlers in der Wochenzeitung
Freitag (15.06.07): »Aber nein, dieser Vorschlag ist keine Finte … Der
Präsident hält an seinem Kurs fest, Russland stabilisieren und die
Selbstachtung des Landes als Subjekt des Weltgeschehens … wiederherstellen …
Insofern ist der Vorschlag … darauf geeicht, die Bedrohung von außen zu
minimieren, einen sich bereits abzeichnenden Dissens mit der EU wegen der
US-Raketenpläne aufzufangen und die Amerikaner zum Offenbarungseid zu zwingen
:
Welchen wirklichen Zweck verfolgen sie mit Abwehrraketen, die in Polen
disloziert werden sollen

Rüstung auf Rekordhöhe

Rüstung auf Rekordhöhe

von Jürgen Nieth

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat am 12.
Juni 2006 sein neues Jahrbuch vorgestellt. Danach wurden im Jahr 2005 rund 950
Milliarden Euro (1.118 Mrd. Dollar) für Rüstung und Verteidigung ausgegeben.
Das ist ein Drittel mehr als noch vor 10 Jahren. Hauptverantwortlich für die
Steigerung sind die USA, die alleine für 48 Prozent der weltweiten
Rüstungsausgaben stehen.
Eine Reihe deutscher Tageszeitungen zitiert aus dem SIPRI-Bericht und
kommentiert z.T. unterschiedliche Details. So schreibt die Berliner Zeitung
(13.06.06) unter der Überschrift:

Höhere Rüstungsbudgets als im Kalten Krieg

„Ein beängstigender Rekord wird vermeldet: Die
Ausgaben für Rüstung und Verteidigung lagen im Jahr 2005 erstmals über den
Militärausgaben von 1987/88, dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Kurz vor Ende
der Ost-West-Konfrontation waren es Expertenschätzungen zufolge umgerechnet
etwa 900 Milliarden Euro.
Im Vergleich zum Vorjahr stiegen 2005 die weltweiten Ausgaben um 33 Milliarden
Dollar oder 3,7 Prozent. Das entspricht 2,5 Prozent des globalen
Bruttosozialprodukts oder pro Kopf 173 US-Dollar (137 Euro).“
Nach der Süddeutschen Zeitung (13.06.06) gab Deutschland „im Jahr 2005 etwa
317 Euro pro Einwohner für Militärgüter aus.“
„Die größten Bürden des Rüstens trägt jedoch die Bevölkerung in einigen
Regionen Afrikas und des nahen Ostens,“
schreibt die Frankfurter Rundschau
(13.06.06). „In Eritrea, Äthiopien, Burundi, Jordanien, Jemen, Syrien,
Libanon und Sri Lanka werden zwischen zehn und zwanzig Prozent der
Produktionserträge für Waffen und Truppen ausgegeben.“

USA kurbeln Waffenmarkt an…

…schreiben die Stuttgarter Nachrichten (12.06.06). Fritz
Kayser hebt hervor, dass „die USA im abgelaufenen Jahr für 80 Prozent aller
zusätzlichen militärischen Aufwendungen“
verantwortlich sind. „Als
Hintergrund für die massiven Ausgabensteigerungen der Vereinigten Staaten
(werden bei SIPRI) …vor allem die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan“

genannt.
Diesen Einsätzen widmet die Frankfurter Rundschau (13.06.06) einen eigenen
Kommentar.

Irak-Einsatz auf Pump

„288 Mrd. Dollar hat der Irakkrieg die USA laut dem
Privaten Zentrum für Nationale Prioritäten (NPC) bislang gekostet. Jeden Monat
kommen acht Milliarden dazu, fast doppelt so viel wie zu Kriegsbeginn im Jahr
2003“,
schreibt US-Korrespondent D. Ostermann. Und weiter: „Mit dem in
Irak verkämpften Geld (hätten die USA) 38 Millionen US-Kinder ein Jahr zur
Vorschule schicken können – oder die Welthungerhilfe elf Jahre finanzieren, 28
Jahre alle Aids-Programme, 95 Jahre weltweite Kinderimpfungen.“

Bislang, so Ostermann, haben die US-Bürger aber „keinen Cent für Irak
bezahlt. Die Kosten für die Militäreinsätze dort wie in Afghanistan , allein in
diesem Jahr über 100 Milliarden Dollar, werden ausschließlich über Schulden
finanziert.“
Der FR-Korrespondent zitiert den Nobelpreisträgers Joseph Stieglitz, der „ein
böses Erwachen“
voraus sieht. Der Ökonom schätzt, dass der Irakkrieg die
USA „langfristig 2,6 Billionen Dollar kosten“ wird, darin enthalten die „Folgekosten
wie Behandlung und Rente von Kriegsinvaliden oder die Auswirkungen des Krieges
auf den Ölpreis und damit die US-Konjunktur.“

Waffen nicht per se schlecht

Die Financial Times Deutschland (13.06.06) zitiert die
SIPRI-Direktorin Alyson Bailes, nach der „Aufrüstung von Friedensforschern
nicht mehr per se als Bedrohung gesehen werde. Nahezu alle internationalen
Organisationen wollten ihr Militär für »gutartige« Aufgaben ausbauen. Mehr und
mehr gelte der Grundsatz
: ‘Waffen sind nicht per se schlecht, aber ihre
Nutzung durch schlechte Leute für schlechte Zwecke’.“

Anti-Terror-Strategie gescheitert

„Passend zum SIPRI-Bericht erschien am selben Tag in
London eine Studie der unabhängigen Oxford Research Group, die Bushs so
genannten Krieg gegen den Terrorismus scharf kritisiert,“
schreibt die
Berliner Zeitung (13.06.06). Und weiter: „Washington und London seien mehr
darauf aus, ihre Stellung in der Welt durch militärische Gewalt zu sichern, als
sich Gedanken um die eigentlichen Ursachen der weltweiten Unsicherheiten und
Bedrohungen zu machen… Der so genannte Krieg gegen den Terrorismus verschlinge
nicht nur hunderte Milliarden von Dollar, er habe auch mehr ‘Unterstützer des
Terrorismus geschaffen als ausgeschaltet’ und den Blick auf weitaus größere
Bedrohungen der Weltsicherheit verstellt.“

Zunehmende Rüstungsexporte

Nach dem SIPRI-Bericht hat sich „neben Russland und den
USA… die EU als globaler Akteur auf dem Waffenmarkt etabliert,“
schreibt
die FR (13.06.06).

„SIPRI, das einen Fünfjahresrahmen als Referenz
heranzieht, reiht die EU-Staaten für 2001- 2005 auf Platz drei… Im Vorjahr
lagen die Rüstungsexporte der EU-Länder mit 7.821 Millionen Dollar jedoch höher
als die der USA (7.101 Mio.) und Russlands (5.771 Mio.), mit Frankreich und
Deutschland als Hauptlieferanten.“

Exportierte Gewalt

Die zehn größten Rüstungsexporteure der Welt für die Jahre
2001 bis 2005:

Die Stuttgarter Nachrichten (12.06.06) weisen darauf hin,
das 2004 „die Hundert größten Rüstunskonzerne der Welt… Güter für 212
Milliarden Euro (verkauften, sie) steigerten ihren Absatz damit gegenüber 2003
um 15 Prozent.“

Keine Notiz…

…von dem SIPRI-Bericht nahmen solch überregionale
Tageszeitungen wie die Welt und die Frankfurter Allgemeine. Enthaltsamkeit auch
bei früher rüstungspolitisch informativen Magazinen wie Stern und Spiegel.
»Keine Information« ist auch eine Aussage.

Südkorea rüstet auf

Südkorea rüstet auf

Neue Tendenzen in der Rüstungspolitik

von Joo-hi Lee

Absurd scheint mir die ungebrochene weltweite Rüstung an allen Ecken des »globalen Dorfes«. In Europa ist der Erzfeind der NATO schon längst verschwunden, trotzdem erweitert sich die NATO gen Osten. Der Eurofighter findet keinen unmittelbaren Gegner, trotzdem wird er bald gebaut und an die vier europäischen Luftstreitkräfte geliefert werden. Die US-Amerikaner wollen neue Abwehrraketen entwickeln, obwohl feindliche Raketen die Vereinigten Staaten praktisch nicht mehr bedrohen. In Süd- und Ostasien herrscht kein akuter Kriegszustand, doch alle Länder beteiligen sich am Rüstungs-Wettlauf. Auf der koreanischen Halbinsel verhungern Teile der nordkoreanischen Bevölkerung, doch das südkoreanische Militär denkt in erster Linie daran weiter aufzurüsten.

Rüstungsbeschaffungen der Marine

Nach neuesten Meldungen will die südkoreanische Marine Seeminen und mehr als zehn Super Lynx Hubschrauber kaufen und die Radarsysteme der P-3C Orion U-Boot-Jagdflugzeuge modernisieren. Während der Beschaffungspreis des Hubschraubers nicht bekannt gegeben wurde, wurden als Ankaufssumme für die Seeminen 56 Mio. US Dollar und für die Modernisierung der Radarsysteme 34 Mio. Dollar genannt.1

Die Aufrüstung der Marine beschleunigte sich seit Ende der 80er Jahre im Zeichen der »Anti-U-Boot Kriegsstrategie«. Eine gewaltige Aufrüstung wurde in Gang gesetzt: Bisher produzierte Daewoo Shipbuilding sechs U-Boote vom Typ 209 mit deutscher Lizenz. Der Fachzeitschrift Defense News vom 23.08.96 zufolge werden noch weitere drei U-Boote von Daewoo in Lizenz gebaut. Der Bau von U-Booten wird damit begründet, daß die nordkoreanische Marine 87 U-Boote habe und damit in quantitativer Hinsicht der südkoreanischen überlegen sei. Dabei wird das Alter und die geringere Verdrängungsmasse dieser U-Boote übersehen. Der amerikanische Marine-Kommandeur Joseph Lodmell schätzte, daß Nordkorea über die wohl derzeit älteste und leistungsschwächste U-Boot-Flotte der Welt gebiete.2

Das Unternehmen Daewoo Shipbuilding setzte im Oktober 1996 den ersten großen Zerstörer, Kwanggeto-ham (3.200t), ins Wasser. Der Aufbau dieser neuen Zerstörer läuft unter dem Decknamen »KDX-Programm«. Insgesamt 16 bis 18 Schiffe sollen bis zum Jahr 2004 gebaut werden. In diesem Zusammenhang muß allerdings betont werden, daß die wichtigen Waffensysteme wie Raketen und Kanonen sowie die elektronische Systeme wie Radar- und Navigationsgeräte weiterhin aus dem Ausland (vor allem: Vereinigte Staaten, Holland und Italien) importiert werden sollen.

Um nordkoreanische U-Boote aufzufinden, entschied sich das Verteidigungsministerium am 9.11.1990 zum Kauf des U-Boot-Jagdflugzeugs P-3C. Insgesamt sollten acht Flugzeuge von der Rüstungsfirma Lockheed eingeführt werden.3 Wegen der Infiltration einer nordkoreanischen Spezialtruppe am 18.9.1996 schlug Südkoreas Präsident Kim Young-sam dann vor, eine weitere P-3C zu beschaffen. Diese Beschaffung kam unerwartet, da die Entscheidungsträger eher dem französischen Modell Atlantique 2 den Vorzug geben wollten. Die Beschaffung wurde durch Daewoo Heavy Industries vermittelt, die dafür eine Provision erhielten-. Bei einem Auftragsvolumen von ca. 736 Mio. Dollar wurde eine Provisionszahlung in Höhe von 29,75 Mio. Dollar vereinbart, von der Lockheed ca. 4 Mio. sofort bezahlte. Die restlichen 25,75 Mio. Dollar sollten später gezahlt werden, doch Lockheed zögerte mit der Auszahlung. Im März 1995 kam dann überraschende Hilfe aus dem Verteidigungsministerium. Es klagte gegen Lockheed vor dem in Paris befindlichen Internationalen Schiedsgericht für Handelsfragen.4 Am 1.4. 1997 gab es dann eine Wende, als vor einem Gericht in Seoul Anklage gegen Daewoo erhoben wurde, nach der die vereinbarte Provision im Höhe von 25,75 Mio. Dollar überbewertet sei und dementsprechend in die staatlichen Kassen zurückgezahlt werden solle.5 Anzumerken ist, daß Daewoo Heavy Industries auch als Zulieferer für den Außenflügel des P-3C eine Rolle spielt, d.h. durch Vermittlung dieses Rüstungsgeschäfts gewann Daewoo eine direkte Gegenleistung.

1990 hatte die Marine bereits zwölf Lynx U-Boot Jagdhubschrauber gekauft. Damals beliefen sich die Beschaffungskosten auf 200 Mio. Dollar. Wenn noch weitere 13 Super Lynx angeschafft werden sollten, entstehen neue Beschaffungskosten von weit über 200 Mio. Dollar, wenn man nur den alten Preis zugrunde legt.

Beschaffungen für die Luftwaffe

Bei der Luftwaffe stehen drei Beschaffungsprogramme im Mittelpunkt:

  • F-16 Kampfflugzeuge
  • Zwei Aufklärungsflugzeuge
  • Abwehrraketen gegen ballistische Scud-Raketen.

Lizenzproduktion von F-16 Kampfflugzeugen

Am 28.3.1991 entschied sich die südkoreanische Regierung dafür, die seit Anfang der 80er Jahre ins Visier genommene Produktion koreanischer Kampfflugzeuge (KFP) zu starten. Es handelt sich um 120 F-16 Kampfflugzeuge, die vom Rüstungsunternehmen General Dynamics teils gekauft (12), teils zusammengebaut (36) und teils in Lizenz (72) hergestellt werden sollten. Am 7.11.1995 präsentierte Samsung Aerospace seine erste F-16 in der Öffentlichkeit. Nach Angaben des Korean Newsreview vom 21.06.97 hat Samsung inzwischen 36 Stück zusammengebaut.

Lizenzgeber ist hier Lockheed Martin, und an der Produktion waren alle wichtigen Luft- und Raumfahrtunternehmen Koreas beteiligt, so beispielsweise Samsung Aerospace, Daewoo Heavy Industries, KAL, Hyundai-Precision u.a. Samsung als Generalunternehmen baut Teile in seiner Fabrik in Sachon zusammen und produziert auch F-100-PW-299-Triebwerke in Lizenz; Daewoo Heavy Industries stellt Flugzeugrümpfe her; Hyundai Technology Development produziert Teile der Raketenabschußvorrichtung und Treibstoffbehälter, KAL Teile der Flügel.

Zur Realisierung dieses gewaltigen Projekts hat das Verteidigungsministerium 5,44 Milliarden Dollar bis zum Jahr 1999 eingeplant. Im Oktober 1996 kündigte die Luftwaffe an eine nächste Staffel moderner Kampfflugzeuge ab 2002 zu kaufen; die Rede ist von 120 Stück.6 Als Kandidaten meldeten sich bereits Jagdflugzeuge wie F-15E, SU-37, EF-2000 und Rafale. Im Oktober 1996 fand eine regelrechte Rüstungsmesse der Luftwaffe in Seoul statt, bei der sich zahlreiche Firmen um die lukrativen Aufträge bewarben. Erstmals seit Ende des Korea-Krieges war bei dieser Gelegenheit auch ein russisches Kampfflugzeug, die SU-37, am Himmel über Seoul zu sehen. Die konservative Zeitung Chosun Ilbo bezeichnete eben jenes als „traumhaftes Kampfflugzeug“.7

p>Zunächst plant die Luftwaffe die Bestellung von 60 Kampfflugzeugen für den Zeitraum 2002 bis 2008 und weitere 60 für den Zeitraum danach. Dafür soll eine Summe zwischen 7,24 und 9,66 Mrd. Dollar bereitgestellt werden. Nominal gerechnet steigen die Ausgaben für das zweite KFP im Vergleich zum ersten um 133 bis 177<0> <>% an. Erfahrungsgemäß, werden sich aber die Projektkosten mit der Zeit noch wesentlich stärker erhöhen.8

Als Begründung für die Beschaffung moderner Kampfflugzeuge führte das Verteidigungsministerium auch hier die quantitative Überlegenheit Nordkoreas an. So soll Nordkorea über 730 Kampfflugzeuge verfügen, während Südkorea »nur« über 445 Maschinen verfüge.9 Nach dieser Zahlenlogik gibt es erst nach 2015 eine quantitative Parität.

Vergleicht man die Luftwaffe nach qualitativen Kriterien entsteht allerdings ein ganz anderes Bild. Die folgende Tabelle zeigt, welche Seite mehr Schlagkraft aufgebaut hat. In diesem Vergleich sind nur jene Maschinen berücksichtigt, die, besonders angesichts der rasanten Entwicklung bei den Luft/Luft-Raketen, im modernen Luftkrieg einigermaßen »kampf- und überlebensfähig« sind.

Davon will das Verteidigungsministerium allerdings nichts wissen. So behauptet Park Yong-ok, Staatsekretär im Verteidigungsministerium, sogar: „Um den lokalen Anteil der entwickelten Waffensysteme zu erhöhen, ist es notwendig, daß der Staat seine langfristigen Investitionen sowohl im High-Tech-Bereich als auch im Bereich der Rüstungsindustrie forciert.11 Eine andere Zielsetzung besagt, daß Südkorea bis zum Jahr 2005 auf den zehnten Rang der Luft- und Raumfahrtnationen der Welt aufsteigen soll. Zu dieser Zielsetzung gehört, daß bis zum Jahr 2005 weitere 4,73 Mrd. Dollar investiert werden sollen, um mittlere Verkehrsflugzeuge zu produzieren.12

Beschaffung von Aufklärungsflugzeugen

In der Diskussion um die Beschaffung von Frühwarn Kommando- und Kontrollflugzeugen(FKKF) ist es den südkoreanischen Strategen offensichtlich gelungen, eine günstige Stimmung für ihre Ziele zu schaffen. In der Argumentation für die Anschaffung dominieren zwei Argumentationsstränge:

  • FKKF ist unbedingt notwendig, um die Sicherheitsaufgaben angemessen wahrnehmen zu können.
  • Der Bündnispartner behält wichtige Informationen über nordkoreanische Flugbewegungen und Einsätze der Luftwaffe für sich.

Vor allem mit diesem letzten Argument wird versucht eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Wunsch entsteht, daß Südkorea sich lieber selbst um seine Luftaufklärung kümmern sollte (am besten mit dem System, welches sich bei den Amerikanern bewährt hat oder einem vergleichbaren).

Daß diese Argumentation Früchte trägt, wird deutlich in der sonst eher sehr kritischen Zeitschrift MAL, die jetzt die Position vertritt, daß die Aufklärer im Hinblick auf eine informelle Selbstbestimmung des Landes gekauft werden sollten.13

Ende 1996 wurde die Katze dann auch endlich aus dem Sack gelassen: „Wir werden in Kürze 2 FKKF beschaffen.“ hieß es in der Presse.14 Im Rennen sind drei Rüstungsunternehmen: Eine erste Variante ist eine Boeing 767 mit APY-2 Radarsystem von Northrop-Grumman; eine zweite ist der Phalcon F-3 Radar der israelischen Elta Electronics Industries. Die Firma Elta entscheidet noch nicht, zu welchem Trägerflugzeug ihr System intergriert werden soll. Als Auswahl schlug sie vor, entweder ein neues kommerzielles Flugzeug oder eine gebrauchte Boeing 767. Das letzte ist das Erieye-System des schwedischen Unternehmens Ericsson. Es ist für Saab A340B oder Saab 2000 Flugzeuge bestimmt.

Je nach Konfiguration des Flugzeuges, der elektronischen Systeme und Bodenkontrollstationen wird der Systempreis unterschiedlich sein. Aus zwei Beispielen – einer japanischen und einer brasilianischen Entscheidung – kann man ableiten, daß er ungefähr zwischen 1.4 und 1.6 Mrd. Dollar je System liegt. Beschafft die Luftwaffe zwei Systeme, kostet das also rund 3 Mrd. Dollar.

Patriot-Luftabwehrsystems

Mit dem Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers W. Cohen in Seoul am 10.-12.4.1997 wurde die Diskussion um den Kauf der Abwehrrakete vom Typ Patriot wieder neu entfacht. Es ging darum, ob Südkorea entweder amerikanische Patriot-Raketen oder russische S-300V kaufen soll.15 Vor drei Jahren hatte es ähnliche Diskussionen gegeben, aber damals ging es darum, ob überhaupt Abwehrraketen beschafft werden sollten.16 Durch die Eskalation um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm kam die Diskussion erneut auf. Dabei ging es konkret um die Abwehr nordkoreanischer ballistischer Raketen vom Typ Nodong-1/2 (500-1300 km).17

Noch 1994 antwortete der Verteidigungsminister Lee Byung-tae vor dem Parlament, daß zum jetztigen Zeitpunkt keine Anschaffungspläne für Patriot-Raketen existierten (22.2.94); sein Sprecher sagte auch, es seien weder Vereinbarungen getroffen, noch Konsultation über den Zeitplan der Stationierung und die Anzahl der Systeme unternommen worden (27.1.94); Präsident Kim Young-sam erklärte, seine Regierung plane keine Anschaffung von Patriot-Raketen (26.2.94) und Oppositionsführer Lee Gi-taek gab eine Stellungnahme dahingehend ab, daß die Patriot auf keinen Fall in Südkorea stationiert werden sollte (ebd). Die nordkoreanische Regierung äußerte damals, sie würde es als schwere militärische Provokation betrachten, wenn Patriots in Süden stationiert würden (29.1.94).

Demgegenüber behauptet der Friedensforscher Kim Chang-soo bereits 1994, daß es in der mittelfristigen Strategieplanung Kaufpläne für PAC-2 gäbe für 199718; der Oppositionspolitiker Lim Bok-jin stellte aufgrund des Materials aus dem Verteidigungsministerium fest, daß im Projekt für die »Nächste Generation von Fernlenkwaffen« (ab 1997) der Kaufplan für Patriot enthalten sei (22.2.94); Die Zeitschrift Defense News berichtete, daß die Clinton-Regierung versuchte Südkorea zu überzeugen, Abwehrraketen aus den Vereinigten Staaten zu kaufen, und gleichzeitig für die gemeinsame Produktion Verhandlung führe (3.2.94); ein Sprecher von Raytheon betonte, daß sein Unternehmen bisher acht Monate Verhandlungen geführt habe, und er sei zuversichtlich, daß Südkorea Patriot kaufen würde (4.2.94).

So lief Pro und Contra zum Kauf von Patriot-Raketen. Hervorgehoben werden muß, daß damals von Beschaffungskosten um 600 Mio. Dollar die Rede war. Darin enthalten waren vier Systeme, 384 Raketen und 96 Abschußrampen, einschließlich der verschiedenen Fahrzeuge.19 Drei Jahre später erhöhte sich diese Summe auf ca. 1 Mrd. Dollar.20 Wie man neuerdings hört geht es der amerikanischen Regierung und dem Patriot-Hersteller um die Sicherung von 20 000 Arbeitsplätzen.21

Härtester Konkurrent der Amerikaner sind in diesem Fall die Russen, denn die russische Rakete kostet »nur« 70-80Mio. Dollar je System gegenüber 150 Mio. für die Patriot.22 Hinzu kommt, daß die Regierung in Südkorea unter Umständen die Kaufsumme mit den Schulden der früheren Sowjetunion gegenüber dem südlichen Korea (mehr als 1 Mrd. Dollar) verrechnen kann.

Bisher ist Südkorea ein Markt, auf dem US-Waffensysteme mehr als 80 Prozent der gesamten Waffenimporte ausmachen. Das könnte sich bald ändern durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen koreanischen und russischen Rüstungsproduzenten. So schloß Daewoo Shipbuilding mit dem russischen Unternehmen Rubin einen Vertrag ab über eine gemeinsame U-Boot-Entwicklung (1800 t). Dabei sagte Letzterer zu, sein technisches Know-how an Daewoo zu übergeben.23 Damit könnte sich Daewoo, nach der Zusammenarbeit mit HDW in Kiel, eine zweite Quelle für die U-Boot-Technologie erschließen. In einem anderem Fall plant Samsung Aerospace zusammen mit dem russischem Unternehmen Roswertol den Bau von Hubschraubern. Bei Samsung verbliebe das alleinige Recht der Vermarktung im asiatischen Raum.24 Zum vierten wird die Zusammenarbeit der beiden Industrien intensiviert werden: Laser, Flugzeug, High-Tech Material, Elektronik, Gentechnik, Kunstfasermaterial für Flugzeug u.a.25 Darüber hinaus will Rußland MiG-29, Minen, Torpedos, Panzermunition und SA-6/8/16-Raketen verkaufen.

Ein derartiger Technologietransfer und Waffenhandel wird ohne Zweifel zum Nachteil der nordkoreanischen Streitkräfte führen, da seine High-Tech Waffensysteme aus sowjetischer bzw. russischer Herkunft stammen. Südkorea verschafft sich mit dem Zugang zu den russischen Waffensystemen eine detaillierte Kenntnis der Waffen der Gegenseite. Eine Tatsache, die immer stärker die Entscheidungsträger und Strategen in Nordkorea beunruhigt und die Lage zusätzlich destabiliseren kann.

Tabelle:
Vergleich zwischen Süd- und Nordkorea10
Südkorea + Nordkorea +
F-4 96 MiG-21 130
F-5 250 MiG-23 60
SU- 25 20
F-16 66 – 78 MiG-29 30
Gesamtzahl 412 – 424 240

Anmerkungen

1) S Korea buys extra Super Lynxes in ASW drive, in: Jane's Defence Weekly (JDW), 25.6.97, S. 4; Lt. Asian Defence Journal (ADJ) werden sogar 13 Stück beschafft. 2/97, S. 36. Zurück

2) J. Lodmell, It Only Takes One, in: U.S. Naval Institute Proceedings, 12/96, S. 33. Zurück

3) Hong Un-tak, Die größten Korruptionsaffären der 6. Republik Koreas, in: Shindonga, 12/95, S. 128ff. Zurück

4) Joongang Daily News (JDN), 20.9.96. Zurück

5) Jane's Defence Weekly (JDW), 2.4.97. Zurück

6) Shon Tae-kyu, The Next-Next Generation of Combat Aircraft Focused To 4 Types, in: Hankuk, 9.10.96. Zurück

7) Chosun Ilbo, 24.10.96. Zurück

8) Focus, 17/97, S. 178. Im Fall des Kampfflugzeuges F-22 erhöhte sich der Stückpreis um 255 Prozent für den Zeitraum 1982-1997. Zurück

9) Time, 13.6.94, S. 33; Nach einer anderen Quelle hätte Nordkorea 766 Stück, Südkorea 382. Siehe ADJ, 2/97, S. 20. Zurück

10) Bruce Cumings, Where The Cold War Never Ends, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 1-2/97, S. 44; Abrüstungen in Süd- u. Nordkorea und Wege zum Frieden I, in: Korea ist Eins, 4/93, S. 26; AW&ST, 13.1.97, S. 213;
Oh Won-chul, 10 Jahre Zeitverlust und Entscheidung für bald ausscheidende F-16, in: Shindonga, 12/95, S. 136ff. Zurück

11) Park Yong-ok, Korea's Defense for the 21st Century, in: Korea World Affairs, Spring 1996, S. 33. Zurück

12) AW&ST, 9.10.96, S. 32; FAZ, 11.4.97. Zurück

13) Oh Youn-ho, Alternative für Unabhängigkeit der Militärinformationen gegenüber USA, in: MAL, 4/94, S. 40ff. Zurück

14) Hankuk, 12.11.96; Sankei Shimbun, 27.11.96; Asahi Shimbun, 11.12.96; Hankyoreh, 29.12.96; KNR, 4.1.97. Zurück

15) U.S. Warns Seoul On Russian Missiles, in: International Herald Tribune (IHT), 7.4.97, S. 4; $ 1 Billion Patriots or Missiles SA-12s, in: KNR, 12.4.97, S. 12; Barbara Starr, USA urges S Korea to buy Patriot over S-300V, in: JDW, 16.4.97, S. 3. Zurück

16) Hankuk, 4.2.94; 22.2.94; 22.4.94; Hankyoreh, 27.1.94; 26.2.94; 29.1.97. Zurück

17) Joseph Bermudez, N Korea set for more ballistic missile tests, in: JDW, 23.10.96, S .5. Zurück

18) Vgl. Kim Chang-soo, Die in Patriot versteckte globale Planung der Vereinigten Staaten, in: MAL, 4/94, S. 103. Zurück

19) Kim Chang-soo, a.a.O.; Hankuk, 18.1.94; 4.2.94. Zurück

20) KNR, 12.4.97, S. 12; Jane's Intelligence Review(JIR), 4/97, S.177. Zurück

21) D. Waller, How Washington Works Arms Deals, in: Time, 14.4.97, S. 48ff. Zurück

22) Höhere Beamte besuchten Seoul, in: Hankyoreh, 4.4.97; Dem Bericht von JIR zufolge kostet die S-300 Rakete je 400 000 Dollar, siehe 4/97, S. 177. Zurück

23) JDW, 30.10.96, S. 17. Zurück

24) JDN, 25.10.96. Zurück

25) JIR, 4/97, S. 176. Zurück

Joo-Hi Lee ist Diplom-Politologe und Doktorand am Fachbereich Politikwissenschaft der FU Berlin. Seit April 1996 hat er politisches Asyl beantragt, da er als Friedensforscher wegen seiner Kritik am südkoreanischen Militär im Land verfolgt wird.

»Europäische Sicherheitsidentität« – ein unbezahlbarer Traum?

»Europäische Sicherheitsidentität« – ein unbezahlbarer Traum?

Die deutsch-französische Militärkooperation

von Stefan Gose

Es dauerte etwa 15 Jahre, bis sich Frankreich dem dreimaligen Kriegsgegner Deutschland wieder auf sicherheitspolitischem Gebiet näherte. Noch 1954 scheiterte eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft/EVG mit deutscher Beteiligung an der französischen Nationalversammlung. Die Bundesrepublik wurde 1955 zwar Mitglied der Militärbündnisse NATO und Westeuropäischer Union/WEU, denen auch Frankreich angehört. Doch während die WEU im Schatten der NATO bald bedeutungslos wurde, distanzierte sich Frankreich zunehmend von der NATO. Die US-Dominanz im Kalten Kriegs-Bündnis widersprach dem gaullistischen Selbstverständnis von Frankreich als einer europäischen Hegemonialmacht in einer multipolaren Welt. Die französischen »Fouchet-Pläne« einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ohne die USA scheiterten 1962 an den »Atlantikern« in der EWG. Auch der Abschnitt »II.B Verteidigung« des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages vom 22.1.1963 blieb ohne substantielle Folgen.

Mit dem Austritt aus der militärischen NATO-Integration 1966 und dem ersten französischen Atomtest am 2.6.1966 in der algerischen Sahara unterstrich Charles de Gaulle den Anspruch, Frankreich als eigenständige Weltmacht mit einer weitgehend unabhängigen Rüstungsindustrie auszubauen. Die westdeutsche Sicherheitspolitik orientierte sich zur Wiedererlangung der Souveränität durch Westintegration dagegen weitgehend an der US-dominierten NATO. Deutsch-französische Rüstungskooperationen (Transall, Alpha Jet) dienten der französischen Seite zu Kostensenkung und Einflußerweiterung, während die deutsche Rüstungsindustrie peu à peu Systemkompetenz und Unabhängigkeit gewann.

Von der Isolation zur Kooperation

Doch auch immense französische Rüstungsexporte konnten die Kosten für eine autarke Verteidigungsindustrie langfristig kaum senken. Die hohen Verteidigungslasten der Mittelmacht Frankreich konnten weder verhindern, daß die USA ihre militärpolitische Dominanz ausbauten noch daß die Bundesrepublik zur bestimmenden Wirtschaftsmacht Europas avancierte. Statt eine Hegemonialstellung in Europa zu erlangen, isolierte sich Frankreich von einer erstarkenden NATO und damit von der europäischen Sicherheitspolitik. Dies wurde insbesondere während der innen- und außenpolitisch brisanten Phase des NATO-Doppelbeschlusses (1979-83) deutlich, zumal die nuklearen Offensivstrategien der Ära Reagan (Deep Strike, FOFA, ALB) auch Frankreich getroffen hätten.

Im Januar 1984 initiierte daher die französische Regierung eine Wiederbelebung der WEU. In Kanzler Kohl fand Präsident Mitterand einen Verbündeten, der zwar weiterhin die transatlantische Sicherheitsachse beschwor, zugleich aber die Zeit für eine Neugewichtung der Bundesrepublik in Europa gekommen sah. Der Bundesrepublik galt Mitterand als willkommener Partner, weil erstens vom US-getreuen Großbritannien keine Unterstützung für eine französische Hegemonialstellung in Europa zu erwarten war. Zweitens, weil die ökonomische Dominanz der BRD in Westeuropa Frankreich zur Kooperation mit einem Land zwang, das vom Zweiten Weltkrieg diskreditiert, sich keine souveräne Außen- und Sicherheitspolitik leisten konnte. Die »Deutsch-französische Freundschaft« wurde so für die Bundesrepublik zum »Gütesiegel« für internationale Reputation, wofür sich die französische Regierung entsprechendes ökonomisches Entgegenkommen versprach. Die Rolle der Atommacht Frankreich in einem Militärbündnis ohne die USA sah Mitterand als zwangsläufig herausragend. Aber wegen verschiedenseitiger Rücksichtnahmen auf den NATO-Partner USA und mangels NATO-unabhängiger Ressourcen kam die WEU zunächst kaum über das Stadium einer Koordinationsstelle für gemeinsame Rüstungsvorhaben hinaus. Doch die zunehmenden bi- und multilateralen Rüstungskooperationen (Eurocopter, Euromissile, Eurodrohne, Euroflag, Eurotorp) entlasteten weder den französischen Verteidigungshaushalt, noch erhöhten sie die sicherheitspolitische Bedeutung Frankreichs oder Europas.

Zum Verdruß der USA vereinbarten Kohl und Mitterand 1987/88 daher den Aufbau einer deutsch-französischen Brigade, die 1991 in Mulhouse und Baden-Baden als einsatzbereit gemeldet wurde. Diese zum Symbol für Völkerverständigung verharmlosten 5.000 Soldaten waren der Grundstock zum Eurocorps, das Kohl und Mitterand am 22. Mai 1992 in La Rochelle beschlossen. Am 1.10.93 übernahm der heutige Heeresinspekteur Helmut Willmann in Straßburg den Befehl über die 5 Eurocorpsverbände, die bis 1998 zu 60.000 Soldaten aufwachsen sollen.

Das Eurocorps sollte zunächst als leichte, später auch als schwere Eingreiftruppe für NATO, WEU und andere Organisationen zur Verfügung stehen.

Sinnstiftung: Auslandseinsatz

Nach dem Mauerfall sahen Kohl und Mitterand im Abzug amerikanischer und sowjetischer Truppen aus Europa die Chance, die WEU zum militärischen Standbein einer »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik/GASP« der EU auszubauen und verankerten dies in Art.J4 Abs.2 des Maastricht-Vertrages vom 7.2.1992. Am 19. Juni 1992 machte sich die WEU in ihrer Petersberger Erklärung die gleichen weltweiten Kriseninterventionen zur Aufgabe, wie sie sich die NATO im Oktober 1991 vorgenommen hatte. Der Haken: Weder die Euroverbände noch die WEU verfügen über die nötigen Aufklärungs- und Kommandostrukturen sowie Transportmittel, um eigenständige Auslands-einsätze durchführen zu können. Nachdem sich abzeichnete, daß eine europäische Realisierung entsprechender Transport- (FLA) und Kommandosysteme (Helios II) mittelfristig nicht finanzierbar ist, akzeptierte Mitterand 1994, das Eurocorps künftig unter »operational command« der NATO einzusetzen.

Streitkräftereform

Mit dem »Stoltenberg-Papier« vom Januar 1992 wurde der Umbau der Bundeswehr in Hauptverteidigungskräfte zur Landesverteidigung und Krisenreaktionskräfte für den Auslandseinsatz (Personalstärke 53.000) eingeleitet. Mitterand mußte spätestens im 2. Golfkrieg 1991 erkennen, daß die militärischen Kapazitäten Frankreichs allenfalls zu Kurzinterventionen in Drittweltstaaten ausreichten: Während die britische Berufsarmee von 150.000 Soldaten 35.000 an den Persischen Golf verlegen konnte, waren vom 280.000 Mann starken französischen Wehrpflichtigenheer dazu nur 9.000 Soldaten geeignet. Die französischen Waffen erwiesen sich gegenüber denen der Alliierten als veraltet und unterlegen. Häufig konnten französische Waffen nicht eingesetzt werden, weil die Exportnation Frankreich dem Irak die gleichen Waffen verkauft hatte, so daß die eigene Abwehr Freund und Feind nicht hätte unterscheiden können.

Dreigleisig versuchte Mitterand, die Lücke zwischen geopolitischem Anspruch und militär-technischen Möglichkeiten zu verringern: Erstens suchte Frankreich wieder die Nähe zur NATO, zweitens forcierte Mitterand die nukleare Modernisierung der »Force de Dissuasion« und drittens intensivierte er Rüstungskooperationen. Sein im Mai 1995 gewählter Nachfolger Jaques Chirac ging noch weiter: Im Juni 1995 ließ er seinen Verteidigungsminister Charles Millon eine Strategiekommission einsetzen, deren Vorschläge für eine umfassende Armeereform am 22./23. Februar 1996 veröffentlicht wurden und nun mit dem Militärprogrammgesetz 1997-2002 umgesetzt werden. Die drei Schwerpunkte sind: 1. Abschaffung der Wehrpflicht bis 2001, 2. Verkleinerung der Armee von 500.000 auf 350.000 Soldaten und 3. Straffung der Rüstungsindustrie.

Deutsch-Französisches »Sicherheitskonzept«

Auf der Hardthöhe und bei der deutschen Rüstungsindustrie sorgte die unangekündigte französische Armeereform für Unruhe. Frankreich könne seine Wehrpflicht nur abschaffen, weil die Bundesrepublik das Schutzschild dafür biete, analysierte Ex-Generalinspekteur Naumann.

Doch nicht für alle kam die Reform überraschend: Bereits am 7.12.95 hatten Kohl und Chirac in Baden-Baden eine Generalinventur der Militärkooperationen beschlossen. Damit beauftragt wurden die Rüstungsdirektoren des 1988 mit der deutsch-französischen Brigade gegründeten Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates. Gezielt ließen die hohen Beamten im Verlauf ihrer einjährigen Arbeit einige Streitpunkte durchsickern, die sich aus der Ressourcenverknappung beiderseits des Rheins ergaben: Die französische Seite stellte den Nutzen für den Verbleib französischer Truppen in Deutschland und im Eurocorps in Frage. Deutscher Skepsis über die Finanzierbarkeit des gemeinsamen Spionagesatellitenprogramms Helios II begegnete Frankreich mit der Ausstiegsdrohung aus den Hubschrauberprojekten NH-90 und Tiger. Die Bilanz, das »Gemeinsame Deutsch-Französische Sicherheits- und Verteidigungskonzept« wurde am 9.12.96 in Nürnberg präsentiert. Das Papier ist ein ambitionsloses Patt, nach dem alle bisherigen Kooperationen weiterverfolgt werden sollen, obwohl die Unbezahlbarkeit der Rüstungskooperationen absehbar ist.

Frankreichs NATO-Annäherung

Dennoch gab es Aufregung, als Verteidigungsminister Volker Rühe in einem Tagesthemen-Interview das »Konzept« als »NATOisierung Frankreichs« interpretierte. Außenminister Herve de Charette beeilte sich am 29.1.97 vor der Nationalversammlung zu erklären, das »historische« Positionspapier bedeute nichts Neues für die französische Sicherheitspolitik. Hintergrund ist seit 1995 die parteienübergreifende Skepsis gegenüber der französischen Annäherung an die NATO, was vielfach als eine Abkehr vom Gaullismus interpretiert wurde:

  • Mitterand war 1995 mit seiner Zustimmung zur Einbindung der ehemaligen WVO-Staaten in den Nordatlantischen Kooperationsrat/NACC, in den KSE-Vertrag und beim Partnership for Peace/PfP-Programm von der Linie bilateraler Verträge abgewichen, bei der Überwachung des Adria-Embargos akzeptierte der französische Präsident das NATO(US-)-Kommando ebenso wie beim IFOR-Einsatz in Bosnien.
  • Chirac setzte diese US-freundliche Linie fort, indem er das NATO-operational command für das Eurocorps akzeptierte, seinen Verteidigungsminister wieder regelmäßig in den NATO-Rat schickte und französische Vertreter wieder am NATO-Militärausschuß und nachgeordneten Gremien teilnehmen ließ.
  • Auf der NATO-Ratstagung am 3.6.96 in Berlin stimmte Chirac sowohl der neuen Nuklearstrategie der NATO MC 400/1 zu als auch dem CJTF-Mischtruppenkonzept, wonach – wie bei SFOR in Bosnien – französische Truppen unter fremden Befehl eingesetzt werden können. Ein schwacher Widerstand ist demgegenüber die Forderung nach einem europäischen Vize-SACEUR oder der Anspruch auf das NATO-Südkommando in Neapel.

Deutschlands Nukleare Teilhabe?

Ein zweiter Konflikt über das deutsch-französiche Kooperationspapier entfachte sich an dem Satz „Unsere beiden Länder sind bereit, einen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der Europäischen Verteidigungspolitik aufzunehmen“. Nichts anderes hatte Präsident Mitterand bereits 1992 aus finanziellen und europapolitischen Erwägungen ohne Resonanz aus Deutschland vorgeschlagen. Denn eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit nationalen Atomwaffen in Frankreich und Großbritannien ist kaum vorstellbar. Kanzler Kohl kommentierte mögliche deutsche Mitentscheidungswünsche über die französische Bombe am 10.2.97 in der FAZ als „völlig falsch“. Auf eine Kleine Anfrage im Bundestag nach der Unvereinbarkeit einer gemeinsamen nuklearen Verfügungsgewalt mit dem Atomwaffensperrvertrag antwortete die Bundesregierung am 14.3.97 jedoch zum wiederholten Male ausweichend: „Die Feststellung der Bundesregierung, wonach die Entwicklung einer Europäischen Verteidigung im Rahmen der EU derzeit nicht aktuell, sondern eine hypothetische Frage ist, ist weiterhin gültig. Die Frage eventueller Schlußfolgerungen aus den Artikeln I und II NVV [Verbot der Weitergabe von Atomwaffen, d.A.] stellt sich daher nicht.“

Trotz dieses bemerkenswerten nuklearen Hintertürchens der Bundesregierung und erheblichen Finanzierungsproblemen auf der französischen Seite ist eine gemeinsame militärische Nuklearpolitik nicht nur aus rechtlichen Gründen unwahrscheinlich. Ein deutsches Interesse an der Mitverfügung über Atomwaffen konnte zwar noch nie gänzlich ausgeschlossen werden, es wäre jedoch auf absehbare Zeit unbezahlbar. Deshalb hat der angebotene Atomdialog eher Symbolcharakter: Frankreich wirbt durch vermeintliche Offenheit bei der atomkritischen deutschen Öffentlichkeit für eine Legitimation einer anachronistischen Waffengattung.

Seine tatsächliche Atompolitik betreibt Frankreich unabhängig von einem Atomdialog: 1996 wurden die letzten landgestützten Atomraketen S-3 und Hadès verschrottet. Mit jährlich ca. 10 Mrd. DM stehen bis 2002 etwa ein Sechstel des 185 Mrd. FF-Verteidigungshaushaltes für die »Force de Dissuasion« zur Verfügung. Im Jahre 2002 sollen die Atomstreitkräfte noch über 4 nukleargetriebene U-Boote mit M45 und M4/TN71 Atomraketen verfügen. Daneben sollen 3 Schwadronen Mirage 2000N und 2 Super-Entendard-Luftflotten mit nuklearen ASMP-Abstandsraketen ausgerüstet werden. Die beschlossene Aufgabe der südpazifischen Atomtestgelände Muroroa und Fangataufa sowie der Urananreicherungsanlagen von Marcoule und Pierrelatte kann Frankreich durch vorhandenes Spaltmaterial kompensieren. Durch ein Abkommen über know how-Transfer bei Nuklearsimulationen mit den USA von 1995 und den bei Bordeaux im Aufbau befindlichen Laser Megajoule könnte Frankreich künftige Atomwaffen bei entsprechender Finanzlage »am Computer« entwickeln. In militärischen Nuklearfragen bleiben eher die USA oder Großbritannien, mit denen Frankreich seit 1992 nukleare Koordinationsgespräche führt, erste Adresse. Doch selbst der Bau einer französisch-britischen nuklearen Abstandsrakete scheiterte.

Reform der Rüstungsindustrien

Die eigentliche Zielrichtung des deutsch-französischen Sicherheitspapiers erschließt sich beim Blick auf die aktuellen Arbeitsgruppen des Deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates, der den Text verfaßt hat:

  • Strategie und Abrüstung,
  • Militärische Zusammenarbeit,
  • Rüstungskooperation,
  • Raumgestützte Aufklärung,
  • Rüstungspolitik,
  • Finanzielle Perspektiven und
  • Status französicher Truppen in Deutschland und Eurocorps.

Es geht weniger um eine politisch geplante europäische Sicherheitsarchitektur, als um Schadensbegrenzung an Truppen und Material durch Reduzierungen und Rüstungskooperation in Zeiten leerer Kassen.

Die Mehrzahl der französischen Rüstungsunternehmen existieren als Staatsbetriebe von »nationalem Interesse« nur noch durch milliardenschwere Subventionen. Auch die privaten Wehrtechnikbetriebe werden von der Rüstungsbehörde Délégation Générale pour l'Armement/DGA maßgeblich gesteuert. Wie Behörden arbeiteten diese Unternehmen in der Vergangenheit kaum nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, verzichteten auf Rationalisierungen und Innovationen, weil der Absatz gesichert schien.

Für etwa 10 Milliarden DM soll die französische Rüstungsindustrie nun von derzeit ca. 300.000 Beschäftigten um knapp ein Drittel reduziert werden. Die etwa 6.000 wehrtechnischen Betriebe, deren Zentren in der Bretagne, der Normandie, um Bordeaux und um Marseille liegen, sollen durch Fusionen und Stillegungen gestrafft werden. Bis 2001 sollen ca. 30 Mrd. DM bei den Verteidigungsausgaben eingespart werden. Neben der Straffung des Heereswaffenlieferanten Groupement Industrièl des Armements Terrèstres/GIAT steht die Privatisierung des milliardenschwer verschuldeten Elektronik- und Raketenkonzerns Thomson CSF, der bankrotten Werft Dirèction des Constructions Navales/DCN (24.000 Beschäftigte) sowie die Zwangsfusion des defizitären staatlichen Flugzeugbauers Aérospatiale mit der gewinnbringenden privaten Dassault im Vordergrund. Die Sanierungsaussichten sind mäßig, da auch im internationalen Umfeld Überkapazitäten bei sinkendem Absatz bestehen und vornehmlich know how gefragt ist. Die Daimler Benz Aerospace/DASA führt gerade Gespräche mit Matra, Thomson CSF und Aérospatiale, um möglicherweise ganze Produktionszweige (Raketen, Satelliten, Flugzeuge) zu bündeln.

Rüstungskooperationen wanken

Die wichtigsten deutsch-französischen Rüstungsprogramme, die die Armeen beiderseits des Rheins zur Auslandstauglichkeit befähigen sollten, stehen zur Disposition:

Aus Kostengründen stieg Frankreich bereits 1995 aus dem europäischen Großraumtransportflugzeug Future Large Aircraft/FLA aus. Bei einem französischen Entwicklungsanteil von 1,8 Mrd. $ sollten die Maschinen für Frankreich insgesamt ca. 12. Mrd. DM kosten. Auch für den teureren deutschen Anteil ist die Finanzierung unklar. Mittlerweile ist eine militärische Variante des künftigen Airbus A-3XX im Gespräch. Der Konflikt über eine französische Reduzierung oder gar den Ausstieg aus den beiden Hubschrauberprogrammen PAH-2/Tiger/Uhu und NH-90 ist noch nicht vom Tisch. Statt der zunächst geplanten 212 Panzerabwehrhubschrauber/PAH-2 für die Bundeswehr (ca. 16 Mrd. DM) und 215 Tiger für die Armée de Terre reduzierte die Hardthöhe 1996 ihren Einkaufszettel auf 138 PAH-2. Charles Millon stellte daraufhin das französische Interesse an beiden Hubschraubern in Frage, zumal die Bundeswehr auch nicht mehr wie geplant 243 NH-90 zum Stückpreis von ca. 50 Mio. DM bezahlen kann.

Wichtiger als die Hubschrauber ist dem französischen Verteidigungsministerium die 1995 beschlossene deutsche Beteiligung am Spionagesatellitenprogramm Helios II als Aufklärungs- und Kommunikationskern für künftige europäische Auslandseinsätze. Verteidigungsminister Rühe stellte 1996 die deutsche Beteiligung am 12. Mrd. DM Programm Helios II für den Fall in Frage, daß sich Frankreich aus den Eurocopter-Programmen verabschieden sollte. Abschließende Entscheidungen sind noch nicht getroffen, so daß beide Länder weiterhin Millionen in Programme investieren, deren grundsätzliche Unbezahlbarbeit bereits heute feststeht.

An »Vorbildern« gescheiterter deutsch-französischer Rüstungskooperationen mangelt es nicht: Neben einer gemeinsamen Fregatte scheiterte insbesondere die Kooperation beim Eurofighter 2000 an nationalen Eigeninteressen. Im Ergebnis fehlt der deutschen Seite bei der Fregatte F-125 nun ein finanzstarker Partner, während sich Frankreich den Kauf des selbst entwickelten Kampfflugzeuges Rafale kaum leisten kann.

Zwar wurde nach endloser Planung am 12. November 1996 eine gemeinsame Rüstungsagentur von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien in Bonn gegründet. Doch ihre Hauptaufgabe dürfte künftig in der besseren Koordination von Lücken bestehen.

Europäisierung der NATO?

Das Projekt einer »europäischen Verteidigungsidentität« ist vorerst gescheitert. Neben zahlreichen Interessenkonflikten auch anderer WEU-Mitglieder fehlen den Hauptakteuren in Paris und Bonn die Ressourcen zum Ausbau einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik. Die Folge ist eine zwangsläufige Rückbesinnung auf die US-dominierte NATO.

Die Reorientierung auf die NATO darf aber nicht als Unterwerfung unter traditionelle transatlantische Sicherheitsstrukturen mißverstanden werden. Denn die gewandelte NATO versteht sich zunehmend als »Leasing-Agentur« für verschiedenste Konflikte weltweit. In Albanien demonstriert gerade Italien, wie NATO-Infrastruktur zur eigenen Interessenpolitik ohne personelle Beteiligung der USA genutzt werden kann. Auch die französische und die Bundesregierung werden in der NATO für ein europäisches Profil ihrer künftigen Militäreinsätze streiten. Daß beide Regierungen daneben weiterhin im geringen Rahmen ihrer Einigungsmöglichkeiten gemeinsame Rüstungsprogramme und WEU-Kooperationen betreiben werden, dient mehr der nationalen Industrie- und Prestigepolitik, als einer ernst zu nehmenden »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik«.

Stefan Gose, Dipl.Pol., ist Redakteur der Monatszeitschrift antimilitarismus information/ami.

Eurofighter – Starterlaubnis verweigern!

Eurofighter – Starterlaubnis verweigern!

von Michael Brzoska

Im Frühjahr 1997 soll nun endgültig über die Beschaffung von 180 Eurofighter-Kampfflugzeugen für die Luftwaffe entschieden werden. So hat es Verteidigungsminister Rühe angekündigt. Nach vielen Verzögerungen und grünem Licht für eine Beschaffung in den drei anderen beteiligten Ländern Großbritannien, Italien und Spanien ist der Beschluß überfällig. Jedes weitere Hinausschieben einer Entscheidung kostet weitere Millionen.

Der Verteidigungsminister geht davon aus, eine Mehrheit für die Beschaffung im Bundestag zu haben, wenn auch möglicherweise nur unter Einrechnung von SPD-Fraktionsmitgliedern, die gegen die Parteilinie stimmen. Aber so richtig beliebt ist das Flugzeug bei den meisten Bonner Entscheidungsträgern nicht. Natürlich mit einigen wichtigen Ausnahmen: Schließlich dürfte bei einem Beschaffungsumsatz von mindestens 25 Milliarden DM eine gute Milliarde Gewinn für die Industrie abfallen, vor allem für den Hauptauftragnehmer Daimler Benz Aerospace AG (DASA). Auch die Masse der Arbeitsplätze, egal ob es nun 18.000 sind, wie von der Industrielobby behauptet, oder eher 12.000, wie von unabhängigen Experten errechnet, entsteht bei der DASA und zwar, um genau zu sein, in bayerischen Werken der DASA. Die DASA hat ihren Flugzeugbau weitgehend regional getrennt: Ziviles im Norden, militärisches im CSU-Land Bayern. Nicht umsonst soll das Finanzministerium, unter CSU-Chef Waigel, eine Milliarde für den Eurofighter aus eigenen Töpfen beisteuern.

Aber selbst die starke bayerische Militärflugzeuglobby kann eine solche Beschaffung nicht allein durchdrücken. Wenn der Eurofighter kommen sollte, so liegt das vor allem daran, daß in diesem Projekt vielfältige Interessen gebündelt sind und es eine starke Eigendynamik entfaltet. Wenn ein Riesenprojekt wie der Eurofighter – Gesamtbeschaffungsvolumen für die vier beteiligten Länder etwa 125 Milliarden DM – einmal begonnen worden ist, können es nur starke finanzielle oder politische Argumente stoppen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat beim Eurofighter nicht gereicht. Ob die akute Wirtschaftskrise und Haushaltsebbe reichen wird, ist fraglich.

Theoretisch könnte jetzt, wo die Entwicklung des Flugzeuges dem Ende zugeht und es um den Beginn der Produktion geht, noch einmal grundsätzlich über das Flugzeug diskutiert werden. Die Kosten der Beschaffung und des Betriebs der Flugzeuge durch die Bundesluftwaffe – nach Schätzung des Bundesrechnungshofs mehr als 100 Milliarden DM in den nächsten vier Jahrzehnten – könnten dem erwarteten Nutzen – Abschreckung möglicher Gegner im Osten und Süden der NATO, Einsatz bei Out-of-area-Einsätzen – gegenübergestellt werden. Bürger und Parlament könnten entscheiden, ob die absehbare Sicherheitslage wirklich erfordert, daß jeder deutsche Einkommenssteuerzahler im Durchschnitt fast 3.000 DM zum Kauf und Betrieb eines Jagdflugzeuges beisteuert, während gleichzeitig die Sozialbudgets zusammengestrichen werden.

Bei nüchterner Betrachtung stellt sich schnell heraus, daß die Argumente für den Eurofighter schwach sind. Beispiel Sicherheitspolitik: angesichts der jetzigen Sicherheitslage in Europa kann ein Jagdflugzeug keine Priorität haben – die NATO ist schon hoch überlegen und wird diese Überlegenheit auch ohne deutsche Eurofighter noch steigern. Darüber hinaus: In den neuen Kostenschätzungen für die NATO-Erweiterung wird davon ausgegangen, daß es in absehbarer Zeit keine Bedrohung aus dem Osten gibt. Beispiel Wirtschafts- und Technologiepolitik: Langfristig hat der eigenständige militärische Flugzeugbau in Deutschland keine Zukunft angesichts der Größenordnungen, die die Konkurrenz in den USA, aber auch in Großbritannien und Frankreich erreicht hat. Es ist offensichtlich, daß der zivile Flugzeugbau weitaus bessere Chancen hat. Mehr Arbeitsplätze könnten beschafft und zukunftsträchtigere Technologien entwickelt werden, wenn das Geld nicht für den Eurofighter, sondern etwa für ein neues Großraumflugzeug oder unweltschonende Flugzeugantriebe ausgegeben würde. Das gilt natürlich auch für andere Innovationsfelder, etwa die Solartechnologie.

Die vernünftige Lösung ist der Verzicht auf den Eurofighter. Die Haushaltslage verbietet die Festlegung von weit über 20 Milliarden DM für ein Jagdflugzeug. Das Geld kann anders sinnvoller eingesetzt werden, um Beschäftigung zu sichern. Die jetzt begonnenen Verhandlungen über eine Revision des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa erlauben es überdies, mit diesem Verzicht Abrüstungsschritte in anderen Staaten zu verbinden.

Soweit die Theorie. In der politischen Praxis hat die Vernunft es schwer gegen Lobbyisten, die die klare Sicht auf die Fakten vernebeln, und Argumente, die bei genauerem Hinsehen keine sind. Und sie hat es schwer, weil am Verfahren schon länger Beteiligte an ihren früheren Entscheidungen festhalten wollen. Denn sonst drohen denjenigen, die die frühere Fehlinvestition zu verantworten haben, unangenehme Fragen.

Um so wichtiger ist es, die Diskussion um den Eurofighter auf der Grundlage von Argumenten zu führen und nicht unter dem Zwang früherer Entscheidungen. Und sich nicht mit einer abermaligen Verschiebung abspeisen zu lassen, sondern auf dem Verzicht der Beschaffung zum jetzigen Zeitpunkt zu bestehen.

Michael Brzoska ist stellvertretender Leiter des Bonner Konversionsinstituts (BICC)

Neue Bundeswehr mit neuen Waffen

Neue Bundeswehr mit neuen Waffen

Außenpolitisch und militärisch gefährlich, teuer und unsozial

von Tobias Pflüger

In der öffentlichen Debatte über die Haushaltskürzungen wird mehr und mehr der Eindruck erweckt, daß auch die Bundeswehr mächtig Federn lassen muß. In Wirklichkeit aber sind in den für Militär und Rüstungsindustrie entscheidenden Bereichen der Neubewaffnung Steigerungsraten vorgesehen. Tobias Pflüger untersucht, wie nach neuer Strategie und neuer Struktur mit der Neubewaffnung der Prozeß der Herausbildung einer neuen Bundeswehr weiter forciert wird.

Es spricht sich herum, die derzeitige Bundeswehr ist nicht mehr die alte Bundeswehr, langsam setzt sich der Begriff der »neuen Bundeswehr« in der politischen, wissenschaftlichen und militärischen Diskussion durch. Die Veränderung der Bundeswehr fand und findet in einem Dreischritt statt: Zuerst eine neue Strategie, dann eine neue Struktur und schließlich eine neue Bewaffnung. Diese drei Elemente einer neuen Bundeswehr überlager(t)en sich zwar teilweise zeitlich, trotzdem ist eine klare Abfolge auszumachen.

Alle drei Elemente der neuen Bundeswehr bedingen einander: Aufgrund der neuen Strategie war die neue Struktur fast zwangsläufig. Die veränderte Strategie und die neue Struktur der Bundeswehr hin zu einer international einsetzbaren Eingreiftruppe ließ dann wiederum neue Beschaffungsmaßnahmen und eine Ausstattung der Bundeswehr mit neuen Kriegswaffen fast zwingend folgen. Die Strategieentwicklung für die Bundeswehr erfolgte nahezu reibungslos. Die Strukturveränderungen brachten insbesondere bezüglich Kasernenschließungen und der neuen Heeresstruktur so manche Akzeptanzprobleme (bei der Bundeswehr selbst, aber auch bei der Bevölkerung) mit sich. Der dritte Schritt aber, die Neubewaffnung, die schon länger angelaufen ist, aber derzeit in ihre entscheidende Phase tritt, ist für die Bundeswehrführung wohl der schwierigste.

Die Planungen der Bundeswehrführung1 verliefen nicht geradlinig. Im Gegenteil, die Strategiepapiere widersprechen sich zum Teil deutlich. Immer wieder wurden die Planungspapiere der Bundeswehrführung oder die militärische Ausrichtung einzelner Rüstungsprojekte korrigiert, entweder, weil sich neue politische Rahmenbedingungen ergaben oder weil neue finanzielle Vorgaben gemacht wurden. Doch trotz alledem ergibt sich eine klare Linie in der Veränderung der alten Bundeswehr, die offiziell »nur« zur Landesverteidigung da war, hin zur neuen weltweit einsetzbaren Bundeswehr.

Die derzeitig laufende Neubewaffnung bzw. die umfangreichen Neubeschaffungsmaßnahmen sind nur im Kontext der Veränderung der gesamten Bundeswehr verständlich. Insbesondere die Strategieveränderungen und der neue strukturelle Neuaufbau der Bundeswehr sind zusätzlich noch eng verzahnt mit der Veränderung der NATO.

Neue Strategie der neuen Bundeswehr

Nach dem Ende des Kalten Krieges bekamen die Bundeswehr und die anderen NATO-Armeen eine neue Strategie für ihre zukünftigen Einsätze verschrieben (Zur Strategieentwicklung vgl. Tabelle 1). Schon auf dem NATO-Gipfel am 05. und 06. Juni 1990 in London wurden die ersten Leitbilder für die neuen NATO-Armeen der Zukunft formuliert. Bei der NATO-Tagung Anfang November 1991 in Rom gab sich die NATO dann ein neues »Strategisches Konzept des Bündnisses«2.

Die Umsetzung der NATO-Beschlüsse in Deutschland folgte sehr schnell. Im Februar 1992 wurde das sogenannte Stoltenberg-Papier vorgelegt3. Wichtiger für die neue Strategie sind aber die am 26. November 1992 vom neuen Verteidigungsminister Volker Rühe erlassenen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« (VPR). Sie sind das Planungspapier der Bundeswehrführung, das die neue strategische Ausrichtung der Bundeswehr am offensten und deutlichsten formuliert: In den VPR werden »vitale Sicherheitsinteressen« Deutschlands formuliert. Diese sind z.B.: „8. Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung. (…) 10. Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag und vor allem unsere Glaubwürdigkeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.“ 4

Der politische Stellenwert der VPR wird gerne von Bundeswehr-Vertretern in öffentlichen Diskussionen heruntergespielt. Doch das Bundesverteidigungsministerium schreibt selbst dazu kurz und knapp, aber deutlich im Strukturanpassungsbeschluß des Verteidigungsministeriums vom Juni 1995: „Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 26. November 1992 wurde der erweiterte Auftrag der Bundeswehr festgelegt.“ 5

Hauptaufgabe der neuen Bundeswehr soll – entgegen allen öffentlichen Beteuerungen – nicht mehr die Landesverteidigung sein, sondern weltweite »KrisenInterventionen«, sprich Kampfeinsätze zur Durchsetzung strategischer Interessen.

Auf den Punkt bringt dies der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Lothar Rühl in der Zeitung DIE WELT: „'Landesverteidigung' kann nicht länger das Kriterium der Streitkräfte sein, gleichgültig, ob Wehrpflicht besteht oder nicht, 'kollektive Verteidigung' des Bündnisgebietes in Europa kann nicht mehr 'die Kernfunktion' der NATO bleiben, Landstreitkräfte können nicht mehr den Schwerpunkt bilden. Die Hauptaufgabe der alliierten Streitkräfte ist die militärische Unterstützung der Krisenbeherrschung und Konfliktverhütung geworden: das Eingreifen in bedrohliche Situationen als Prävention. Dazu sind europäische Luft-, See- und Eingreifkräfte mit einer luftbeweglichen Landkomponente ohne den kostspieligen Ballast großer Mobilmachungsorganisationen notwendig.“ 6

Die neue Struktur der Bundeswehr

Die Krisenreaktionskräfte

Am 12. Juli 1994, am gleichen Tag, an dem das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr erging, legte Volker Rühe die »Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vor. „Die Konzeptionelle Leitlinie (…) definiert konkrete Eckwerte für den Friedens- und Verteidigungsumfang der Streitkräfte und ihre Struktur sowie für die Größenordnung der Krisenreaktionskräfte. (…) Dementsprechend braucht Deutschland – Streitkräfte zur Landesverteidigung, die im Frieden in Präsenz und Einsatzbereitschaft zurückgenommen werden können und damit mobilmachungsabhängiger werden, – und Kräfte zur Krisenreaktion, die im Frieden voll präsent, einsatzbereit, schnell verlegefähig und durch hohe Professionalität in der Lage sind, im ganzen Spektrum von Krisenbewältigungsoperationen eingesetzt zu werden.7

Alle NATO-Streitkräfte wurden ausgehend von dem Beschluß MC 317 des NATO-Gipfels im November 1991 in Rom im wesentlichen in drei Kategorien unterteilt:

  • (Rapid) Reaction Forces (RF)=Sofort- und Schnellreaktionskräfte,
  • Krisenreaktionskräfte (KRK)
  • Main Defense Forces (MDF)=Hauptverteidigungskräfte (HVK)
  • Augmentation Forces (AF)=Verstärkungskräfte (Diese Verstärkungskräfte sind für die Bundeswehr nicht vorgesehen.)

Die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr haben einen Umfang von 53.600 Soldaten. Sie setzen sich aus 37.000 Soldaten des Heeres, 12.300 Soldaten der Luftwaffe und 4.300 Soldaten der Marine zusammen. Der kleinere Teil von ihnen soll innerhalb von drei bis sieben Tagen einsatzbereit sein, alle anderen Truppen der Krisenreaktionskräfte sollen nach 15 bis 30 Tagen ins zukünftige Kriegsgebiet verbracht werden können. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, daß die direkten Kampfeinheiten innerhalb der Krisenreaktionskräfte entsprechend ihrer Ausbildung „ohne Personalaustausch eingesetzt werden können“. Zentral ist, daß die Truppen der Krisenreaktionskräfte zu 80 Prozent aus Berufssoldaten und zu 20 Prozent aus »freiwillig« längerdienenden Wehrpflichtigen bestehen. So gibt es innerhalb der Bundeswehr eine kleine schlagkräftige Berufsarmee, die politisch und militärisch wichtiger ist als die gesamte restliche Bundeswehr. Die Diskussion um die Wehrpflicht erscheint bei Berücksichtigung dieser Tatsachen in einem neuen Licht.

Nationalisierung, Europäisierung, Internationalisierung oder Ostorientierung?

Mit der Verabschiedung des Strukturanpassungsbeschlusses8 vom 07.06.1995 wurde auch die Indienststellung einer neuen Elitekampfeinheit der Bundeswehr beschlossen, dem Kommando Spezialkräfte. Die konservative Zeitung DIE WELT spricht von einer „Para-Kommandobrigade für den Guerillakampf“.9 Das Kommando Spezialkräfte (KSK) wurde am 01.04.1996 in Calw (Nordschwarzwald) in Dienst gestellt. Militärisch sind Kampf- und Kriegseinsätze in Feindesland Hauptaufgabe des KSK. Das KSK soll schlußendlich 1.000 (Berufs-)Soldaten vom Range des Feldwebel ab umfassen, die ein strenges Auswahlverfahren und eine Spezialausbildung mit Einzelkampf und Spezialschießen hinter sich gebracht haben. Das KSK soll als erste Bundeswehreinheit in den »Genuß« neuer Waffensysteme kommen. Verfassungsrechtlich bewegt sich das Kommando Spezialkräfte auf dünnstem Eis: So kann beispielsweise vor einem KSK-Einsatz der Bundestag nur schwerlich befragt werden und die Einsätze sind auch rein national geplant, also auch ohne ein »kollektives Sicherheitssystem« (UNO, NATO, WEU etc.) wie es im Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12.07.1994 definiert wurde. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist ein eindeutiges Indiz für eine Nationalisierung von Bundeswehrstrukturen und der dahinter stehenden Politik.

Die Armeen aller NATO-Staaten kooperieren verstärkt. Es wurden eine Reihe gemeinsamer Korps gebildet, denen Einheiten bzw. Soldaten verschiedener NATO-Armeen angehören. Besonders die NATO-Armeen, die in Mitteleuropa stationiert sind, haben eine Reihe gemeinsamer Korps gebildet. Deutlichstes Zeichen dieser Kooperation ist das Eurokorps, das größte internationale Korps. Ende 1993 wurde das Eurokorps in Dienst gestellt, Ende 1995 hat es seine volle Einsatzbereitschaft erklärt. Das Eurokorps besteht aus Truppen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, Spaniens und Luxemburgs. Neben dem Eurokorps gibt es noch das deutsch-niederländische Korps, ein deutsch-amerikanisches und ein amerikanisch-deutsches Korps, ein deutsch-dänisches Korps und seit dem 09.11.1996 ist das Eurofor, eine schnelle Eingreiftruppe mit Truppen aus Frankreich, Spanien, Portugal und Italien in Florenz in Dienst gesetzt worden. Zusätzlich soll es noch das Euromarfor, die maritime Schwester des Eurofor geben. Das Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (ARRC) in Mönchengladbach ist eine zentrale NATO-Eingreiftruppe. Am ARRC sind 13 NATO-Staaten beteiligt (Belgien, Kanada, Dänemark, Griechenland, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Türkei und die USA). Vom britischen Militär werden 60<0> <>% des Stabpersonals und die gesamte Infrastruktur gestellt. Ebenfalls in Mönchengladbach ist die Multinational Division – Central (MND – C). Sie ist mit 20.000 Soldaten ein kleiner aber dafür hochmobiler Eingreifverband, dem Truppen aus Deutschland, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden angehören, eine Voraustruppe innerhalb der Rapid Reaction Corps der NATO, zugleich eine rein europäische Armee-Einheit. Hier sind eine Internationalisierung mit einer NATO-Dominanz (ARRC, MND-C und deutsch-amerikanischen Korps) und eine Europäisierung mit einer WEU-(bzw. europäische NATO)-Dominanz zu erkennen. Auffallend ist bei den europäischen Truppenkooperationen mit Ausnahme des Eurofor / Euromarfor die deutsche Dominanz bei den multinationalen Korps.

Neben diesen intensiven NATO- bzw. WEU-internen gemeinsamen Korps kooperiert die Bundeswehr inzwischen intensiv mit osteuropäischen Armeen. Gemeinsame Korps wurden bisher aus politischen Gründen nicht gebildet, doch ansonsten ist die Zusammenarbeit sehr intensiv. Es werden gemeinsame Manöver abgehalten, die Bundeswehr übernimmt Truppenpatenschaften für osteuropäische Einheiten und es gibt einen Austausch von Offizieren. Zentraler Kooperationspunkt mit den osteuropäischen Armeen ist die Erprobung der (Nicht-)Kompatibilität der Gerätschaften der verschiedenen Armeen. Die enge Kooperation nicht nur, aber vor allem Deutschlands mit osteuropäischen Armeen, lassen eine schleichende NATO-Osterweiterung deutlich werden.

In der Kooperation mit osteuropäischen Armeen wird eine schleichende NATO-Osterweiterung deutlich

Keine der vier Tendenzen ist allein dominant sichtbar in den neuen Bundeswehrstrukturen. Die Bundesregierung läßt sich alle Optionen offen. Jede der beschriebenen Tendenzen kann verstärkt werden, was vor allem bei der Nationalisierung und der intensiven Ostkooperation Sorgen bereitet.

Neubewaffnung bzw. Neubeschaffungsmaßnahmen

Schwerpunkt „Krisenreaktionsfähigkeit“

Insbesondere um die Krisenreaktionskräfte im Sinne der neuen Strategie einsetzen zu können (Stichwort: Interventionen), sind militärisch andere Waffen bzw. Rüstungsgüter vonnöten als die Bundeswehr bisher hatte oder bisher für die Bundeswehr geplant wurden. Militärische Interventionen sind zumeist nur mit entsprechenden auch offensiv einsetzbaren Waffen umsetzbar. Deshalb wurden nach dem

Ende des kalten Krieges die laufenden Rüstungsplanungen größtenteils umgeplant. Dazu kamen eine Reihe weiterer Rüstungsprojekte. Am größten derzeit zur

Diskussion stehenden Rüstungsprojekt, dem Eurofighter 2000, läßt sich dieser politische wie militärische Paradigmenwechsel gut nachweisen. Das Vorgängermodell Jäger 90 war militärisch als Abfangjäger – gegen angreifende Kampfflugzeuge wie die MIG – konzipiert worden. Im Rahmen einer neuen Strategie für eine Bundeswehr, die schwerpunktmäßig „out of Area“ eingesetzt werden soll, machen Abfangjäger militärisch keinen Sinn mehr. So wurden nun zusätzlich zu den 140 (Abfang)Jägern 40 Eurofighter 2000 in einer Jagdbomberversion geordert. Jagdbomber sind für die neue Strategie von zentraler Bedeutung. So sind der Kampfflieger Tornado und der Kampfhubschrauber Tiger (früher PAH 2) die zentralen Kampfinstrumente der Bundeswehr-Luftwaffe der nahen Kriegszukunft.

Im Bundeswehrplan 1997, dem aktuellen Planungspapier für die laufenden und bevorstehenden Beschaffungen, ist die militärisch-politische Prioritätensetzung klar erkennbar: „Der Schwerpunkt der Materialplanung liegt auf dem Abbau der Defizite, der für die wesentlichen Fähigkeiten zur Krisenreaktion unabdingbar ist. Priorität haben also – Aufklärung, Kommunikation und Führung, – Transportfähigkeit, auch über große Entfernungen, – logistische und sanitätsdienstliche Unterstützung und – die persönliche Ausrüstung der Soldaten. (…) Einsatzentscheidende Peripherie wird mit der gleichen Priorität eingeplant wie das zugehörige Hauptwaffensystem. Heer, Luftwaffe und Marine erhalten genügend Mittel, um ihre Lebens-, Ausbildungs- und Einsatzfähigkeit zu erhalten.“ 10

Neue Rüstungsprojekte trotz Sparmaßnahmen

Rühe muß über eine Milliarde einsparen“,11 hießen Zeitungsüberschriften Ende Mai 1996.

Im Juli 1996 flammte erneut eine heftige Diskussion auf, als Finanzminister Theo Waigel eine weitere Milliarde DM im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) kürzte.12 Rühe wehrte sich öffentlich gegen diese weiteren Einsparungen und wurde dafür von Bundeskanzler Kohl öffentlich gemaßregelt.

Im November gab es erneut Streichungen in den Haushaltstiteln der verschiedenen Einzelpläne. Der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt wurde jedoch »nur« um weitere 200 Millionen DM gekürzt. Trotzdem blieb vor allem wegen der Diskussion im Sommer in der Öffentlichkeit der Eindruck zurück, der Verteidigungsetat würde total zusammengestrichen. Dem ist aber gar nicht so, zumindest nicht in dem für die Militärs und die Rüstungsindustrie relevanten Bereich, dem Bereich der Anschaffung neuer Waffensysteme! Im für Militärs und Rüstungsindustrie relevanten Bereich wird nicht gespart

Im Verteidigungshaushalt soll der sogenannte investive Bereich steigen, die Investitionen für Baumaßnahmen und für Beschaffungsprojekte.

Das Ergebnis der zwischen den Kabinettsmitgliedern öffentlich ausgetragenen Diskussion um die Größenordnung des Einzelplans 14 innerhalb des Bundeshaushaltes 1997 war ein Verteidigungshaushalt in der Höhe von 46,5 (inzwischen 46,3) Milliarden DM. Legt man die NATO-Kriterien13 für den Verteidigungshaushalt zugrunde, so kommen noch ca. 10 bis 14 Milliarden DM dazu. Danach wären es also ca. 60 Milliarden DM.

Die effektiven Einsparungen, die im Verteidigungshaushalt vorgenommen wurden, betrafen bei der ersten Kürzung (Mai 1996) praktisch nicht den investiven Bereich. Erst bei der zweiten Kürzung (Juli 1996) war der investive Bereich betroffen. Der Schwerpunkt der Kürzungen lag aber auch diesmal nicht bei der Rüstungsbeschaffung: Gekürzt wurden beispielsweise sämtliche Bauvorhaben der Bundeswehr im Westen.14

Das Planungspapier, in dem ein Teil der Beschaffungsprojekte konkret aufgeführt sind, ist der Bundeswehrplan 199715, den Rühe dem Verteidigungsausschuß am 28.02.1996 vorgelegt hat. Er wurde von Rühe als „Endstück der Planung der neuen Bundeswehr“ 16bezeichnet. Der Bundeswehrplan ist zwar wegen der Kürzungen im Einzelplan 14 in den Zahlen nicht mehr genau auf dem Stand, die wesentlichen Vorgaben des Bundeswehrplans 1997 sind aber trotz der Haushaltskürzungen nach wie vor gültig: Das Hauptziel, das mit dem Bundeswehrplan 1997 erreicht werden sollte, ist die kontinuierliche jährliche Erhöhung des investiven Teils des Verteidigungshaushaltes bis zum Jahr 2001. Dahinter steht das Planungsziel einer Erhöhung des Anteils für (Rüstungs-)Beschaffungen im Verteidigungshaushalt. Diese für Bundeswehr und Rüstungsindustrie wichtigste Planungsvorgabe hat Volker Rühe in der heftigen koalitionsinternen Haushaltsdebatte im Sommer 1996 tatsächlich »verteidigt«. So sollen ab 1997 jedes Jahr aus den anderen Bereichen des Verteidigungshaushaltes Gelder umgeschichtet werden, um im investiven Bereich eingesetzt werden zu können. Nach Aussagen Rühes werde ein Großteil der umzuschichtenden Gelder im Bereich „Materialerhaltung und dem sonstigen Betrieb“ gewonnen. Der Betrag der umzuschichtenden Gelder soll sich von Jahr zu Jahr steigern. Für 1997 waren 450 Millionen DM eingeplant, im Jahr 2001 schon über eine Milliarde DM.

Das jährliche Budget allein für militärische Beschaffungen steigert sich demnach von sechs Milliarden DM 1996 auf neun Milliarden DM im Jahre 2001. Damit ist nur der Bereich der reinen Beschaffung (quasi des Kaufes) gemeint. Der Bereich der Forschung, Entwicklung und Erprobung ist da nicht mit eingerechnet. Dieser Bereich wird ja auch nicht schwerpunktmäßig durch Gelder aus dem Verteidigungshaushalt getragen, sondern durch andere Haushaltstitel, wie den des Forschungsministeriums.

Im Bundeswehrplan 1997 wurde auch konkret geplant, welchen Anteil der Teil des investiven Bereiches des Einzelplanes 14 (Verteidigungshaushalt) haben solle, der für die Beschaffungen vorgesehen ist. Gegenüber dem Haushalt 1996 sollte sich der prozentuale Anteil des gesamten investiven Teils nach dem Bundeswehrplan 1997 von 25<0> <>% (1996) auf 30<0> <>% bis zum Jahr 2001 erhöhen.

215 neue Beschaffungsvorhaben nachweisbar

Es ist möglich, derzeit 215 (!) neue Beschaffungsprojekte unterschiedlicher Qualität nachzuweisen.17 Bei den 215 Projekten sind sowohl sogenannte »wesentliche Großvorhaben« als auch kleinere Projekte oder Programme zur sogenannten »Kampfwertsteigerung« enthalten. Die nachweisbaren Beschaffungsprojekte befinden sich in ganz unterschiedlichen Projektphasen. Die »wesentlichen Großvorhaben«, ein Begriff aus dem Bundeswehrplan 1997 des Verteidigungsministeriums, sind der Tabelle 2 zu entnehmen.

Diese »wesentlichen Großvorhaben« machen finanziell gesehen rund zwei Drittel des gesamten Beschaffungsvolumens aus. Rechnet man den vom Verteidigungsministerium angegebenen Finanzbedarf für die wesentlichen Großvorhaben und diese Angabe von 2/3 der Gesamtkosten hoch, dann ist nach den offiziellen Plänen von Gesamtkosten für die Beschaffungsvorhaben von 200 Milliarden DM auszugehen!

200 Milliarden für Beschaffungsvorhaben – KRK stehen im Mittelpunkt

Der eindeutige quantitative Schwerpunkt der Neubewaffnung bzw. der Beschaffungsprojekte ist im Bereich der Kommunikationstechnik und elektronischer Systeme zu finden. So lassen sich allein 50 Projekte in den Bereichen Simulatoren, Überwachungssysteme, Radar, Kommunikationssysteme und Rechner nachweisen. Zentral sind hier die Gesamtsysteme der Satellitenkommunikation der Bundeswehr (abgekürzt heißt das dann SATCOMBW) und das Fernmeldesystem Heer.

Eindeutiger qualitativer Schwerpunkt der Neubewaffnung bzw. der Beschaffungsprojekte sind vor allem bemannte, aber auch unbemannte Flugsysteme (Drohnen). Zentral sind hier der Kampfhubschrauber Tiger, der NATO-Hubschrauber NH 90, das Future Large Aircraft (FLA, auch Future Transport Aircraft / FTA genannt). Sie stellen auch entweder die zentralen Kampfinstrumente der Krisenreaktionskräfte dar, oder mit ihnen sollen Truppen und Waffen in die zukünftigen Kriegsgebiete gebracht werden.

Politische Einordnung

Fast alle neuen Rüstungsprojekte entstehen in Kooperation mit anderen (europäischen) Staaten bzw. Rüstungsfirmen. Bei den Großprojekten ist lediglich die Panzerhaubitze 2000 ein rein nationales Projekt. Das hat vor allem den Hintergrund, daß ansonsten die Rüstungsprojekte nicht finanzierbar sind. Beschaffungen für die Bundeswehr und Rüstungsexport kristallisieren sich immer mehr als zwei Seiten einer Medaille heraus. Damit die Produktion für die Rüstungsfirmen ein einträgliches Geschäft wird und ebenfalls aus Finanzierungsgründen wird in Zukunft der Anteil der Waffensysteme, die nicht in die Vertragsstaaten eines Projektes gehen, zunehmen. Das heißt der Rüstungsexport wird in Zukunft weiter stark steigen. Volker Rühe ist im Zuge des Haushaltsstreites zugesagt worden, daß er »alte Waffensysteme« verstärkt verkaufen darf, zusätzlich haben andere NATO-Staaten, aber auch finanzkräftige andere Staaten z.B. aus dem arabischen oder südostasiatischen Raum durchaus Interesse an den neuen Waffen. So werden verstärkt deutsche Waffen auch in Kriegs- und Krisengebieten »auftauchen«. Zur »Befriedung« von Konflikten wird dann der Ruf nach Truppen (mit deutscher Beteiligung) erschallen. Eine Spirale der weiteren Militarisierung18 tut sich auf. Wieder bedingen sich neue Strategie, neue Struktur und neue Bewaffnung der Bundeswehr gegenseitig.

Tabelle 1
Die Entwicklung der neuen Strategie für die Bundeswehr
Datum Vollständiger Name Öffentlich bekannt unter
05. / 06.06.1990 Beschluß der NATO-Gipfelkonferenz am 05. / 06. Juni 1990 NATO-Gipfel 1990 in London
07. / 08.11.1991 Beschluß der NATO-Gipfelkonferenz am 07. / 08. November 1991 NATO-Gipfel 1991 in Rom
Februar 1992 Militärpolitische und Militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle
Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr
Stoltenberg-Papier
26.11.1992 Verteidigungspolitische Richtlinien weitgehend unbekannt
05.04.1994 Weißbuch Weißbuch
12. 07.1994 Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr Konzeptionelle Leitlinie
15.03.1995 Ressortkonzept zur Anpassung der Streitkräftestrukturen, der
Territorialen Wehrverwaltung und der Stationierung
Konzept zur Schließung von Standorten
07.06.1995 Anpassung der Streitkräftestrukturen, der Territorialen Wehrverwaltung
und der Stationierung
Beschluß zur Schließung von Standorten
16.01.1996 Ausplanung der Binnenstrukturen der Streitkräfte weitgehend unbekannt
28.02.1996 Bundeswehrplan 1997 Bundeswehrplan 1997
1996 Tabelle: Tobias Pflüger
(Datengrundlage:
Bundeswehrplan 1997 / Anlage zum Ressortkonzept Materialplanung)
Tabelle 2
Investitionen für die wesentlichen Großvorhaben der Bundeswehr
Bundeswehr-Rüstungsprojekte (Kosten in Millionen DM) FEE Beschaffung
1. Vorhaben der Streitkräfte insgesamt
Satellitenkommunikation Bundeswehr (SATCOMBW) 732,0 2.732,0
Operative Abbildende Aufklärung (AGS) 42,3 600,0
Operative Signalerfassende Aufklärung (BR 1150 SIGINT,NDV u. Nachfolge) 0 347,6
NATO Frühwarnsystem (AWACS) 0 671,7
Neuer Transporthubschrauber (NH 90/MH 90) 708,6 11.306,9
Feldlager/Lazarett 6,0 3.280,5
Neues Transportfahrzeug mit modernem Umschlagsystem (MULTI) 11,9 1.483,0
2. Vorhaben des Heeres
Fernmeldesystem Heer (FmSysH) 253,1 5.297,5
Führungsinformationssystem (FüInfosysH) 1.284,0 3.106,0
Panzerhaubitze (PzH 2000) 580,7 5.645,9
Suchzündermunition Artillerie (SMART 155mm) 346,0 745,3
Kleinfluggerät Zielortung (KZO) 287,6 791,5
Gepanzertes Transport Fahrzeug (GTK) 143,0 6.046,0
Unterstützungshubschrauber (UHU/TIGER) 2.476,6 11.050,9
Panzerabwehrraketensysteme lange Reichweite (PARS 3 LR) 956,1 907,2
Neue gepanzerte Plattform (NGP) 33,8 240,0
3. Vorhaben der Luftwaffe
Eurofighter (EF 2000) 8.296,0 19.320,1
Luft/Luft Lenkflugkörper mittlere Reichweite (FMRAAM/AMRAAM) 375,0 2.204,4
Luft/Luft Lenkflugkörper kurze Reichweite (FSRAAM) 270,0 970,0
KWA Flugabwehrraketensystem (PATRIOT) 241,4 1.566,0
Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS/MEADS) 1.216,1 5.000,0
Modulare Abstandswaffe (MAW) 309,7 3.895,0
Zukünftiges Transportflugzeug (FLA) 304,0 4.320,0
Langstreckenflugzeug (A 310) 0 462,0
4. Vorhaben der Marine
Fregatten (F 124/F 125) 479,0 6.400,0
Korvette 4,9 5.250,0
Unterseeboot (U 212) 248,0 2.671,1
Seefernaufklärungsflugzeug (MPA 2000) 3,2 1.750,0
Einsatzgruppenversorger (EGV) 2,5 580,0
SEA LYNX 4. LOS 0 250,0
Summe Summe
19.611,5 108.890,6
Gesamtsumme in Millionen DM
128.502,1
1996 Tabelle: Tobias Pflüger / Claudia
Haydt

Anmerkungen

1) Damit sind hier sowohl das Verteidigungsministerium als auch die militärische Führung der Bundeswehr und dort vor allem der Generalinspekteur der Bundeswehr gemeint. Zurück

2) NATO: Schlußdokument des NATO-Gipfels von Rom 07. / 08.11. 1991. Zurück

3) Verteidigungsministerium: Militärpolitische und Militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr, Bonn, Februar 1992. Zurück

4) Verteidigungsministerium: Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR), Bonn, 26.11.1992. Zurück

5) Verteidigungsministerium: Anpassung der Streitkräftestrukturen, der Territorialen Wehrverwaltung und der Stationierung, Bonn, 07.06.1995. Zurück

6) Lothar Rühl: Noch fehlen Europa die Armeen des 21. Jahrhunderts, in: Die Welt vom 04.06.1996. Zurück

7) Verteidigungsministerium: Konzeptionelle Leitlinie, Bonn, 12.07.1994. Zurück

8) Verteidigungsministerium: Anpassung der Streitkräftestrukturen, der Territorialen Wehrverwaltung und der Stationierung, Bonn, 07.06.1995. Zurück

9) Vgl. Die Welt vom 28.01.1995. Zurück

10) Bundesverteidigungsministerium: Bundeswehrplan 1997, Bonn, 28.02.1996. Zurück

11) Vgl. u.a. Stuttgarter Nachrichten 22.05.1996. Zurück

12) Vg. u.a. Die Welt vom 03.07.1996. Zurück

13) Unter NATO-Kriterien versteht man die gesamten Ausgaben für Militärisches, auch diejenigen, die in anderen Haushaltsteilen, wie dem Forschungshaushalt, versteckt sind. Zurück

14) Vgl. Frankfurter Rundschau vom 11.07.1996. Zurück

15) Bundesverteidigungsministerium: Bundeswehrplan 1997, a.a.O. Zurück

16) Rühe, Volker: Vorstellung des Bundeswehrplanes 1997 im Verteidigungsausschuß am 28.02.1996. Zurück

17) Nähere Angaben zu den einzelnen Rüstungsprojekten finden sich in der Studie des Autors: Die neue Bundeswehr, die im Januar 1997 als Buch im ISP-Verlag, Karlsruhe erscheint. Zurück

18) Auch „tödlicher Sechsschritt“, vgl. hierzu: Tobias Zurück

Pflüger: Mit Daimlerwaffen in den Krieg, Friedensblätter Nummer 28, Oktober 1995.

Tobias Pflüger ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung / IMI e.V., Tübingen

Rüstung beschleunigt Krisendynamik

Rüstung beschleunigt Krisendynamik

von Götz Neuneck

Mit dem Epochenwechsel 1989/90 war weltweit die Hoffnung verbunden, das Ende des Wettrüstens setze die nicht mehr für das Wettrüsten benötigten Ressourcen zur Lösung neuer Bedrohungen frei. Globale Erwärmung, Bevölkerungsexplosion, Migrationsdruck, fortschreitende Umweltbelastungen und Energiekrisen, alles Faktoren, die zu einem Ansteigen von Konflikten führen können, wurden als neue »globale Herausforderungen« erkannt. Auch die Sicherheitspolitik beteiligte sich an dieser Diskussion. Von einer globalen Weltordnungspolitik, in der Wirtschaft, Umwelt und Entwicklung zu einer Zivilisierung möglicher Konflikte und Krisen beitragen, ist das internationale System hingegen noch weit entfernt. Dies zeigt jedenfalls ein Blick auf die Art der Sicherheitsvorsorge, der Rüstungsmodernisierung und der Strategieplanung, die führende Industriestaaten im Jahre Sechs nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes betreiben. Der herkömmlichen Sicherheitspolitik fehlt immer noch die friedenspolitische Komponente, die die Grundbedingungen des Lebens und Überlebens der Menschheit gewährleistet.

Zunächst belegen die weltweiten Zahlen das Ende der jahrzehntelangen globalen Hochrüstung. So sind nach SIPRI-Angaben die globalen Militärausgaben 1995 um 5,1 Prozent zurückgegangen, hauptsächlich aufgrund der verminderten Militärausgaben Rußlands und der NATO-Staaten.1 Die USA und Rußland bringen allerdings immer noch fast die Hälfte der globalen Militärausgaben für ihre eigene Rüstung auf. Das US-Militärbudget soll in den nächsten fünf Jahren von 264 Mrd. auf 287 Mrd. $ steigen. Für das Finanzjahr 1997 wurde vom Kongreß ein Haushalt beschlossen, der 10 Mrd. höher liegt, als dies die Administration vorgeschlagen hatte.2 Das »Center for Defense Information« folgert: Nach dem Kollaps der Sowjetunion befinden sich die USA im „Wettrüsten mit sich selbst.“ 3 Dies zeigt auch ein Blick auf die rund 43,5 Mrd. $, die die USA jährlich für militärische Forschung und Entwicklung (F&E) ausgeben. (Zum Vergleich dazu: Das OSZE Budget betrug 1994 26 Mio. $.)4 Dieser Anteil entspricht ca. 62 Prozent aller militärischen F&E-Ausgaben weltweit.5

Die globalen Rüstungsexporte sind seit 1987 ca. um die Hälfte zurückgegangen. Sie lagen 1995 bei ca. 22 Mrd. $, wobei die USA 43 Prozent aller Rüstungsgüter ausführen. Seit 1990 wurden von der US-Regierung Ausrüstung und Waffen im Wert von 7 Mrd. $ hauptsächlich an Entwicklungsländer abgetreten.6 Der Anteil Rußlands am Rüstungsexport ist 1995 von vier auf 17 Prozent gestiegen.7 Moskau hat nach einer US-Studie zum ersten Mal wieder mehr Waffen in die Dritte Welt verkauft (= 62 Prozent) als die USA.8 Diese Indikatoren zeigen, daß die militärischen Machtpotentiale weiterhin modernisiert, exportiert und lukrativ vermarktet werden. Im Vergleich dazu leben nach einer Studie der Weltbank 20 Prozent der Menschheit von weniger als einem Dollar pro Tag und dieser Anteil an der Weltbevölkerung steigt, während die Entwicklungshilfe westlicher Staaten zurückgeht. Derweil verrotten unbrauchbare und überschüssige Munition und Waffen in Höhe von 31 Mrd. $ in amerikanischen Arsenalen.9 Allein für die Verschrottung und Entsorgung überschüssiger nuklearer, chemischer und konventioneller Waffen werden zwischen 90 bis 189 Mrd. $ veranschlagt.10

Angesichts der veränderten Weltlage konstatieren die Weißbücher der führenden Industriestaaten gerne die „völlig andere Qualität“ (Weißbuch 1994) zukünftiger Risiken, ohne daraus freilich Konsequenzen für die Umwidmung ihrer Militäretats zu ziehen. Nach Meinung der Eliten ist das sicherheitspolitische Umfeld weniger stabil, weniger voraussagbar und unübersichtlicher geworden: „Die Welt ist immer noch ein gefährlicher Ort.“ 11 Eben gerade diese Tatsache bedinge die Aufrechterhaltung und Modernisierung vorhandener Rüstungen. Neben den »klassischen Bedrohungsvariablen«, Proliferation von Massenvernichtungswaffen (MVW) und regionale Instabilitäten, werden in den USA Faktoren wie „Gefahren für die Demokratisierung und die US-Wirtschaft“ sowie „die Terrorismus-Bekämpfung“ zu den herausragenden Zielen der zukünftigen Sicherheitsplanung erhoben. Immerhin schreibt Präsident Clinton im Vorwort der seit 1986 jährlich erscheinenden »Nationalen Sicherheitsstrategie« von 1995: „Umweltzerstörungen in großem Maßstab, verschärft durch rapides Bevölkerungswachstum, drohen in vielen Ländern und Regionen politische Stabilität zu unterlaufen.“ Der Jahresbericht 1996 des Pentagon widmet der ökologischen Sicherheit zwar acht Seiten, versteht darunter aber eher das Säubern des Waffenkomplexes und die Einführung eigener Sicherheitsstandards (inkl. »Explosive Safety«). Der Übergang von der militärdominierten Bedrohung des Kalten Krieges hin zu Konflikten mit ökonomischen, ökologischen und sozialen Ursachen wird jedoch allenfalls andiskutiert.12

Hochgerüstete Industriestaaten stehen vor dem Problem, angesichts diffuser Risiken ihre militärischen Arsenale aus einer sicherheitspolitischen Analyse her konsistent abzuleiten. Ein weiteres Mal stellt sich die Frage: »How much is enough«? Von der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Wirklichkeit wurden immerhin die französischen Streitkräfte bereits eingeholt: So werden die Streitkräfte in den nächsten Jahren auf die Hälfte reduziert und bis 2002 zu einer reinen Berufsarmee umgebaut.

Anstatt jedoch Arbeit in die Frage zu investieren, was aus den neuen nicht-miltärisch beantwortbaren Herausforderungen folgt, empfiehlt das Pentagon die US-Streitkräfte so auszulegen, daß sie in der Lage sind, zwei größere Regionalkriege gleichzeitig führen und gewinnen zu können. Dabei geht Präsident Clinton keinesfalls scheu mit der eigenen Militärmacht um: „Unser Militär ist heute die bestbewaffnete, besttrainierte, bestvorbereitete Streitmacht der Welt, und ich habe die Pflicht, dafür zu sorgen, daß es so bleibt.“ 13 Die Operation »Deep Strike«, bei der im September 1996 Tomahawk-Marschflugkörper zur Vergeltung gegen den Irak eingesetzt wurden, zeigt den amerikanischen Glauben an die technokratische Lösung von politischen Konflikten.

Wesentliches Merkmal der nationalen Sicherheitsvorsorge bleibt die Kategorie des »nationalen Interesses«. So erklärte der US-Präsident 1994 vor der UNO: „Wenn unsere nationalen Sicherheitsinteressen bedroht sind, werden wir handeln – gemeinsam mit anderen, wenn wir können, aber allein, wenn wir müssen. Wir werden auf Diplomatie setzen, wenn wir können, aber auf Gewalt, wenn wir müssen.“ Eine selbsternannte »Commission on America's National Interests«, bestehend aus Harvard-Wissenschaftlern, Verteidigungsexperten und Politikern hat unlängst versucht, die nationalen Interessen der USA zu bestimmen.14 Wie nicht anders zu erwarten, wird die Abschreckung vor Angriffen mit ABC-Waffen, das Aufkommen neuer Hegemoniemächte in Europa und Asien, der Kollaps des Weltwirtschaftssystems und das Überleben von US-Alliierten als höchstes vitales Interesse eingestuft. Mittels US-Führerschaft und militärischer Fähigkeiten soll dafür gesorgt werden, daß „das Wohlergehen der Amerikaner als freie und sichere Nation gewahrt bleibt und verbessert wird.“ Weniger wichtig wird das Ausbalancieren des Handelsdefizits oder die verbesserte Demokratisierung „um ihrer selbst Willen“ angesehen. Ganze Kontinente wie Lateinamerika oder Afrika werden im Bericht gar nicht mehr erwähnt. Immerhin wird konstatiert, daß eine umweltverträgliche Energiepolitik die Ölabhängigkeit der USA von der Krisenregion Nahost verringern kann. Hier geht es aber nicht um den Schutz der Umwelt, sondern um die Ressourcenabhägigkeit der Industriemacht USA.

Wie oft zitiert, steht in den deutschen verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 zu lesen, daß zu den vitalen Sicherheitsinteressen der „Kontinentalen Mittelmacht und exportabhängigen Industrienation“ Deutschland neben dem Schutz des Territoriums, der „europäischen Integration, dem Krisenmanagement auch die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“ gehören.15 Das britische Weißbuch konstatiert: „Unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurzelt in der Abschätzung unserer nationalen Interessen.“ 16 Die führenden Industrienationen wählen sich den Kooperationsrahmen, der die nationalen Ziele und Interessen am besten erreicht: »das militärische Bündnis«. Die Aufstellung von Truppenverbänden, die sowohl NATO- als auch europäischem Oberbefehl unterstellt werden können, tragen dem zusätzlich Rechnung. R. Mutz spricht im Rahmen des Friedensgutachtens 1995 auch von einer „Refunktionalisierung militärischer Macht als außenpolitischem Gestaltungsmittel.“ 17 Doch: „Aus der Fixierung auf das partikulare Interesse erwächst weder der Schlüssel zur Beilegung eines aktuellen Krieges noch die ordnungsstiftende Idee für ein langfristiges Sicherheitssystem.“ 18 Die Debatte um die »NATO-Erweiterung« fokussiert sich lediglich auf eine geographische Vergrößerung des Bündnisses, nicht auf die Schaffung tragfähiger Sicherheitsstrukturen in Europa vom Atlantik bis zum Ural.

Das Denken in antiquierten Kategorien schlägt sich darin nieder, daß weiterhin Abschreckung, Konfliktbewältigung und reaktive Kriegsverhinderung die Grundlage für Militärplanungen und Rüstungsbeschaffungen in den westlichen Industrieländern bilden. Begriffe und Kriterien wie internationale Sicherheitsvorsorge, Defensivität und Gefahrenabwehr sind aus den Strategieplanungen weitgehend getilgt. Im Zentrum der Planungen steht die Renationalisierung der Verteidigungspolitik und die Schaffung bzw. der Erhalt militärischer Überlegenheit und von Interventionsmöglichkeiten.

Rüstungsdynamik und das sicherheitspolitische Umfeld

Der Dynamik von Wissenschaft und Technologie wird im politischen und ökonomischen Wettbewerb der Nationen eine immer stärkere Rolle zugeschrieben. In seinem Artikel: „Sprengt die Militärtechnik das transatlantische Bündnis?“ hebt der aus Frankreich stammende Autor Yves Boyer hervor: „Der Erwerb von Vorteilen auf wissenschaftlichem oder technologischem Gebiet verleiht heutzutage eine beherrschende Position im Konzert der Nationen.“ 19 Zukunftsforscher postulieren eine neue Art der technologischen Kriegführung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen: „Die revolutionären Technologien von morgen eröffnen neue Möglichkeiten zur Zerstörung des Planeten, wenn man nicht rechtzeitig vorbeugt und die Entwicklung in andere Bahnen lenkt.“ 20 Wie die Vorbeugung nicht-militärisch im einzelnen aussehen könnte, wird nicht ausgeführt. Ausführungen über eine nachhaltige Wirtschafts-, Umwelt- oder Entwicklungspolitik sucht man in den Strategieentwürfen der sicherheitspolitischen Eliten vergeblich.

Die oben genannten allgemein gehaltenen Bedrohungskategorien bilden auch die Legitimierung für hochmoderne Waffensysteme. Zur Zeit werden vom Pentagon organisatorische, technologische und operative Maßnahmen untersucht, die im Zusammenhang mit der postulierten »Revolution in Military Affairs« (RMA) diskutiert werden. Dazu zählen insbesondere die Informationstechnologien, aber auch die Optionen von Simulationen im Training, beim System-Design, beim Testen von Waffensystemen und bei der Entwicklung von Doktrinen und Taktiken. Ein Leitprinzip der militärischen F&E-Politik des Pentagons bleibt dabei an zentraler Stelle erhalten: Erhalt der technologischen Überlegenheit gegenüber Gegnern der USA sowie eine Minimierung der eigenen »Verluste« im Kriegsfall. Ein paar Beispiele soll diese Entwicklungen beschreiben.

Counterproliferation und Atomwaffeneinsatz

Die »Defense Counterproliferation Initiative« (DCPI) des Pentagon soll durch die Schaffung geeigneter Gegenmaßnahmen dazu beitragen, die horizontale Proliferation von MVW zu verhindern. Im Zentrum der Überlegungen stehen eine zunehmende Zahl von Staaten, die sich in der nächsten Dekade MVW zulegen könnten. Versagen Rüstungskontrolle und Diplomatie, sollen aktive und passive Schutzmaßnahmen gegen die Bedrohung amerikanischer oder verbündeter Streitkräfte durch MVW eingesetzt werden.

Im »Nuclear Posture Review« (NPR), der ersten größeren Überprüfung der US-Nuklearstrategie seit 15 Jahren, wird der Nuklearwaffeneinsatz gegen Staaten, die sich A-, B- oder C-Waffen zugelegt haben, eingeplant. Ganz dem Denken des klassischen Ost-West-Konfliktes verhaftet, formuliert der NPR: „Das Umfeld nach Ende des Ost-West-Konfliktes erfordert nukleare Abschreckung.“ Vierzehn Trident U-Boote, 450-550 Minuteman III ICBM und eine Bomberflotte, bestehend aus 66 B-52H, 20 B-2 und B-1 Bombern, demonstrieren den Willen zum Erhalt und Ausbau des Nuklearpotentials. Immer wieder wird deklariert, daß Nuklearwaffen nicht gegen NVV-Mitgliedern eingesetzt werden sollen, aber Verteidigungsminister Perry hat wiederholt erklärt, daß Länder, die US-Truppen mit B- und C-Waffen bedrohen mit „dem vollen Spektrum der konventionellen und nuklearen Streitkräfte rechnen müssen.“ Abgesehen vom Nukleareinsatz werden auch andere militärische Mittel eingeplant. »Offense missions« umfaßen Offensivmaßnahmen wie z.B. die Entwicklung von Submunition zur Durchdringung der Erdoberfläche zur Zerstörung unterirdischer Bunker, das Aufspüren mobiler Abschußplattformen oder präventive Schläge gegen zukünftige Proliferatoren. »Defense« bezieht sich auf defensive Schutzmaßnahmen, wie z.B. Warnsysteme, Technologien zum Abfangen von ballistischen Raketen oder Impfstoffe gegen B- und C-Waffen.

Im weiteren Sinn zur DCPI gehören die amerikanischen Bestrebungen zum Aufbau von Raketenabwehrsystemen. Die Anfang der neunziger Jahre einsetzende Phase der Umorientierung der Raketenabwehrprogramme21 ist weitgehend abgeschlossen. Anstelle der Ost-West-Konfrontation wurde nunmehr die Proliferation als Begründung der entsprechenden Programme etabliert. Statt exotischer Weltraumwaffen geht es um die Entwicklung wirksamer Verteidigungssysteme gegen ballistische Raketen. Im Gegensatz zu manchen SDI-Programmen sind viele der Entwicklungen bereits viel weiter getrieben worden. Die Planungen zur Ausgestaltung der TMD-Systeme ist jedoch in wesentlichen Punkten nicht mit dem ABM-Vertrag – einem Eckstein der nuklearen Rüstungskontrolle – vereinbar. Die Ausstattung herkömmlicher Luftverteidigungssysteme mit einer Raketenabwehrfähigkeit wird auch von europäischer Seite angestrebt.22

„Information Warfare“

Nachdem in den fünfziger und sechziger Jahren der Schwerpunkt der Militärtechnologie auf den Kernwaffen lag, führte der wachsende Einfluß moderner Technologien in den siebziger und achtziger Jahren zu einem Schub neuartiger Waffensysteme für das konventionelle Gefechtsfeld. Die militärtechnische Revolutionierung der Waffenplattformen ist weitgehend abgeschlossen. Jetzt wirkt sich die »Informationsrevolution« auf die militärischen Strukturen und Strategien aus und steht am Anfang ihrer militärischen Nutzung.23

Die Industrienationen entwickeln heute Systeme oder Komponenten, die zum Komplex »Command, Control, Communications, Computers and Intelligence« (C4I) zu rechnen sind. Diese Systeme verbinden ein breites Spektrum von Fähigkeiten und Waffensystemen: Aufklärung, Zielerfassung und -erkennung, Zielbekämpfung, Zielzerstörung, Tarnung, Täuschung und elektronische Gegenmaßnahmen. Computer sind auf dem »Schlachtfeld der Zukunft« überall anwesend, um die horrenden Mengen von Nachrichten in Form von Daten, Bildern etc. von verschiedensten Sensoren (Satelliten, Flugzeuge, unbemannte Flugkörper) auszuwerten und weiterzuleiten. Die Einbeziehung des Weltraums in diese Anstrengungen wird vorangetrieben.

Der »Information Warfare« nimmt im Jahresbericht des Pentagon inzwischen einen hohen Stellenwert ein.24 Die in der Entwicklung oder Erprobung befindlichen Technologien dienen als Grundlage für weitere Überlegungen zur Kriegführung der Zukunft.25 Ein wichtiger Kernpunkt ist die Annahme, daß nur noch derjenige Kriege gewinnt, der die beste Information über das Schlachtfeld besitzt. Nach Meinung der Strategen muß es das Ziel der Informationskriegführung sein, die »Informations-Dominanz« auf dem Gefechtsfeld zu erlangen. Hierzu wird jedoch nicht nur der intensive Einsatz von EDV, Computer und elektronischer Kommunikationsnetzwerke gerechnet, sondern auch die Möglichkeit, diese Fähigkeiten eines potentiellen Gegners zu stören oder ihm falsche Informationen zuzuspielen Die Anti-Informationskriegführung ist somit ebenfalls Bestandteil der »Informationskriegführung«.

Ziel der US-Vorstellungen zur »Digitalisierung« sind nicht nur Waffensysteme, auch der einzelne Soldat soll digital eingebunden werden. »Der Krieger für das 21. Jahrhundert« verfügt nach Vorstellung der Militärplaner über einen integrierten Kampfanzug, einen Computer im Sturmgepäck und diverse akustische oder optische Sensoren an Waffe und Helm. In den Zeiten knapperer Rüstungsressourcen künden fast alle »Weißbücher« von der verstärkten Nutzung der Simulationstechnik. Simulationstechnologien werden aber nicht nur für Ausbildung und Training von Soldaten und Einheiten angewandt, sondern u.a. auch für die Entwicklung von Waffensystemen und Streitkräftestrukturen sowie – in Form von Kriegsspielen – für die Simulation von politischen Prozessen und zur direkten Entscheidungsvorbereitung.26 Militär und Industrie planen den Einstieg in das »Informationszeitalter« in größerem Maßstab, diesmal allerdings zum Zwecke effektiver Kriegführung.27 Bereits jetzt wird die Stationierung der IFOR-Truppen in Bosnien auch dazu benutzt, um neue Waffen zu testen.

Die Einführung einer »Elektronisierung des Gefechtsfeldes« könnte den Gebrauch militärischer Macht nachhaltig verändern. So könnte die Hoffnung auf geringe Kollateralschäden die Einsatzschwelle militärischer Gewalt senken. Kriege könnten mehr denn je aus der Ferne geführt werden: Abstandswaffen machen einen Einsatz vor Ort unnötig. Kriege beginnen längst nicht mehr, wenn der »erste Schuß« fällt, sondern lange vorher z.B. durch die Vermessung des Gefechtsfeldes durch Satelliten. Kriegsaktionen mit High-Tech-Einsatz finden nicht mehr in einem beschränkten Gebiet statt, sondern sind zum Zwecke besserer Logistik und Aufklärung weit ausgedehnt.

Neue Waffenprinzipien und nicht-tödliche Waffen

Ein ganzes Arsenal von verschiedensten Munitionsarten, die teilweise auf neuen Prinzipien fußen, befindet sich in der Entwicklung. Die Erprobung von Abstandswaffen geht in fast allen größeren Industrieländern weiter. Forschungen an elektromagnetischen Kanonen (EMK), die durch elektromagnetische Beschleunigung höhere Projektilgeschwindigkeiten erreichen als herkömmliche Munition, finden insbesondere in den Industrienationen seit langem statt. Im Zusammenhang mit der »nichttödlichen Kriegsführung« wird auch die Verwendung von Hochenergiemikrowellen und Infrasound-Waffen erforscht.28 Öffentliche Aufmerksamkeit kommt den »Non-lethal weapons« (NLW) zu.29 Technologien, die militärische Aktionen eines Gegners behindern oder unmöglich machen sollen, ohne daß damit zwangsläufig ein direkter Waffeneinsatz mit Todesfolge für die Betroffenen verbunden ist.

Jedoch: Die Integration moderner Technologie in die Kriegführung garantiert dem Nutzer keinesfalls einen automatischen Vorteil. Komplexe Technologie birgt auch ein höheres Versagensrisiko. Stets ist auch ein Unterlaufen der jeweiligen Maßnahmen durch den Gegner oder ein Versagen mit katastrophalen Konsequenzen möglich. Technologische Überlegenheit ist per se noch kein Garant für einen militärischen oder gar politischen Erfolg. Bei den Kriegen in Vietnam bzw. Afghanistan war sie in der militärischen Wirkung eher unerheblich. Technische Überlegenheit kann aber auch die eigene Seite in einem falschen Glauben von Sicherheit wiegen. Zudem besteht die Gefahr, daß politische Konflikte durch technische Lösungen nur verdeckt werden. Die Gefahr, daß für die falschen Szenarien geplant wird, ist angesichts der vielfältigen Herausforderungen der Zukunft recht groß. Eine erklärte Nutzung neuester Technologien bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Waffenexporten heizt eher den technologischen Wettbewerb und die Verbreitung von neuen Waffensystemen an. Gleichzeitig wird die Proliferation von Militärtechnologien, an dem die Technologienationen selbst beteiligt sind, zum Anlaß genommen, wiederum neue Waffen zu entwickeln, die gegen die alten Generationen von Waffensystemen eingesetzt werden.

Neue Gefahren für den Rüstungskontrollprozeß

Angesichts der politischen und technologischen Entwicklungen drohen zudem Gefahren für den klassischen Rüstungskontrollprozess. Eine Anpassung des ABM-Vertrages an die Bedingungen der Nach-Kalte-Kriegs-Ära ist den USA und Rußland bisher nicht gelungen. In den USA werden besonders von den Republikanern Pläne forciert, eine umfassende nationale Verteidigung aufzubauen. Gleichzeitig werden für die Gefechtsfeldabwehr (Theater Missile Defense) zwei Systeme entwickelt und möglicherweise noch vor Ende des Jahrhunderts stationiert, die nicht mit dem ABM-Vertrag vereinbar sind.30 Insgesamt haben die USA seit 1962 ca. 99 Mrd. $ mit zweifelhaftem Erfolg für die Entwicklung von Raketenabwehrsystemen ausgegeben. Die Ausgaben für das Counterproliferationsprogramm (inkl. Raketenabwehr) betragen ca. 4 Mrd. $ p.a. Eine Weiterentwicklung strategischer Raketenabwehr bedroht nicht nur das Inkrafttreten des START II Vertrages, sondern auch weitere nukleare Rüstungskontrolle, insbesondere mit China, Frankreich und Großbritannien. Zudem lassen sich die BMD-Systeme durch relativ einfache Gegenmaßnahmen teilweise umgehen.31

Der KSE-Vertrag wurde 1990 als epochaler Erfolg für die europäische Sicherheit gefeiert. In erster Linie war er dazu konzipiert, die östliche Fähigkeit zur großräumigen Kriegsführung zu beseitigen.32 Ihm zugrundeliegt das Denkmuster der Parität zweier Blöcke. Der Warschauer Pakt ist jedoch heute aufgelöst. Im Falle einer NATO-Osterweiterung müßte eine vollständig neue Funktion für einen Nachfolgevertrag und damit ein neuer Rahmen gefunden werden. Die ursprünglich geplante, weitere Reduktion der horrenden Waffenbestände ist damit möglicherweise ad infinitum verschoben. Fraglich ist, ob es gelingt, den KSE-Vertrag an die sich stark wandelnde europäische Sicherheitsstruktur anzupassen, zumal sich neue Konfliktherde herauskristallisieren: das ehemalige Jugoslawien oder der Nordkaukasus. Anstrengungen zu einer Begrenzung von Waffenexporten, wie nach dem Golfkrieg 1991, stehen ohnehin nicht mehr auf der internationalen Tagesordnung. Eine »vorbeugende Rüstungskontrolle«, die die ungebrochene Rüstungsdynamik dämpft und destabilisierende Entwicklungen verhindert, wird höchstens von kleineren Staaten wie Polen auf internationaler Ebene unterstützt.33 Nichtverbreitungsregime wie die B-Waffen – oder C-Waffen-Konvention verfügen über unvollständige bzw. unerprobte Verifikationsregelungen. Staaten aus virulenten Krisenregionen beteiligen sich bisher nicht an den Regimen. Rüstungsexportkontrollen kontrollieren den Handel mit Produktions- und Dual-Use-Technologien nicht effizient genug, da viele Exporteure wirtschaftliche Einbußen fürchten.

Die Einsicht, daß angesichts grenzüberschreitender, globaler Herausforderungen nur globale Lösungsansätze längerfristig weiterhelfen, ist fast schon eine Binsenweisheit. Die westliche Sicherheitspolitik bezieht sich lediglich auf die Verbesserung der kurzfristigen Sicherheitsvorsorge, die wiederum auch eine machtpolitische Komponente zur Durchsetzung eigener Interessen enthält. Präventive Friedenspolitik benötigt keine konkrete »Bedrohungsanalyse«, sondern eine »Herausforderungsanalyse« sowie die Aufstellung und Erprobung präventiver Konzepte.34

Was ist zu tun?

Ohne Zweifel sind Sicherheitspolitik und die zukünftigen Gefährdungen mindestens in dreifacher Hinsicht miteinander verbunden:35 Zum einen hatten und haben Kriege katastrophale, grenzüberschreitende Folgen und erschweren jeglichen Friedenskonsilidierungsprozeß. Zum zweiten erzeugt der militärische Produktionskomplex der führenden westlichen Staaten enorme Umweltprobleme und wirtschaftliche Belastungen. Zum dritten sind die Verschlechterung von Lebensbedingunegen von Menschen ein wesentlicher Faktor, der die Kriegsgefahr ansteigen läßt. Dem letzteren ist in erster Linie durch eine präventive Vorsorgepolitik im Sinne einer gerechten Wirtschafts- und nachhaltigen Umweltpolitik zu begegnen.

Die Rüstungskontrollbemühungen zur Absicherung des einmal begonnenen Abrüstungsprozesses müssen fortgesetzt werden. Ein vollständiger Teststoppvertrag ist dabei ebenso notwendig wie die überprüfbare Einstellung der militärrelevanten Spaltstoffproduktion. Eine weltweite Reduktion konventioneller Waffenbestände um 20-30 Prozent, beginnend im OSZE-Bereich könnte das »Momentum« konventioneller Abrüstung erhalten und die nichtmilitärischen Etatbereiche entlasten. Kleinwaffen und Rüstungsexportbeschränkungen könnten miteinbezogen werden. Im Rahmen der OSZE könnte eine Agentur für Rüstungskontrolle und Umweltmonitoring gegründet werden. Angesichts von Altlasten wie überschüssige Waffen, der Schließung von Militäreinrichtungen, der Umstrukturierung der Rüstungsindustrie und der notwendigen Reorientierung von F&E sind verstärkte Konversionsanstrengungen notwendig.36

Das US-Militär selbst verfügt über ein ganzes Spektrum von Technologien, das für die Bewältigung der neuen Herausforderungen eingesetzt werden könnte. Insbesondere ein Teil der luft- und satellitengestützten Satellitensysteme könnte zur Umweltüberwachung freigegeben werden. Ein Teil des Arsenals an Schiffen und Flugzeugen könnte zum Sammeln von Luft- und Wasserproben verwandt werden. Außerdem könnten die Kommunikationsfähigkeiten für eine bessere Entscheidungsfindung und Frühwarnung im Rahmen der UNO sorgen. Die Nutzung des ozeanischen Mikrophonsystems SOSUS der USA, das im Kalten Krieg zur U-Boot-Aufklärung errichtet wurde, zum Zweck des Walmonitoring und der Seebebenüberwachung ist ein Beispiel.37

Nach Ende des Ost-West-Konfliktes ist der erhoffte Friede eine Utopie geblieben. Seit 1960 hat die Zahl der Kriege auf der Welt ständig zugenommen.38 Die übermäßige Rüstung, Kriege und Konflikte, sind ein entscheidendes Hemmnis für soziale Entwicklungen und die Stärkung von Zivilisierungsprozessen. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts müssen das Leitprinzip des internationalen Handels werden.39 Wie seit Jahren immer wider gefordert, müssen die Instrumente vorausschauender Konflikterkennung, präventiver Diplomatie40 und geeigneter Konfliktlösungsverfahren aufgebaut, erprobt und verbessert werden. Zu unterscheiden ist hier zwischen kurzfristiger und langfristiger Konfliktprävention. Vorschläge des UN-Generalsekretärs dazu wurden bisher jedoch nicht in die Tat umgesetzt.41 Der UNO stehen weder die geeigneten finanziellen und technischen Mittel und Instrumente noch die entsprechende politische Unterstützung der Mitgliedsstaaten zur Verfügung. Eine Agenda für den Frieden steht z.Z. nur auf dem Papier.

Vorschläge wie die Schaffung einer »gerechten Wirtschaftsordnung«, einer »globalen Zivilgesellschaft« oder die Forderung nach »nachhaltiger Entwicklung« sind längerfristige Lösungsansätze, die ausgearbeitet, diskutiert und umgesetzt werden müssen, ansonsten könnten Gewalt und Kriegsbereitschaft weiter zunehmen. Ohne geeignete Krisenvorbeugung und Konfliktlösungsstrategien auf internationaler Ebene dürften alle längerfristigen Konzepte unvollständig bleiben. Inner- und zwischenstaatliche ökologische und ökonomische Probleme können global nur durch eine zu errichtende, einklagbare Rechtsordnung gelöst werden. Dies setzt wie C.-F. von Weizsäcker geschrieben hat „einen hinreichend stabilen Weltfrieden voraus: Kein Friede mit der Natur ohne Frieden unter den Menschen.“

Anmerkungen

1) Aktuelle Analysen finden sich in Bonn International Center for Conversion: Conversion Survey 1996, Oxford 1996. Zurück

2) Zusätzlich erreichten die Republikaner, daß 1 Mrd. $ für die »US Sealift«-Fähigkeiten ausgegeben werden, International Herald Tribune, 1.7.1996. Zurück

3) Zum Vergleich dazu: Irak, Iran, Syrien, Libyen und Nordkorea verfügen insgesamt über ein Rüstungsbudget von ca. 15 Mrd. $.Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 1996. Zurück

4) Jahresbericht 1994 des Generalsekretärs der KSZE, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (Hrsg.) OSZE-Jahrbuch, Baden-Baden 1995, S. 558f. Zurück

5) Conversion Survey 1986, S. 80. Zurück

6) Ein Argument ist, daß der Export billiger ist als die Zerstörung oder Lagerung. Siehe detaillierter: Lora Lumpe, Costly Giveaways, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 5/1996, S. 30-38. Zurück

7) SIPRI-Angaben, Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 1996. Zurück

8) International Herald Tribune, 21. August 1996. Zurück

9) Nach International Herald Tribune, 6. Juli 1996. Zurück

10) Michael Renner: Cost of Disarmament, Bonn 1996 (BICC Brief 6, März 1996). Zurück

11) Annual Report to the President and the Congress, Washington 1994, S. 2. Zurück

12) Siehe: Kent Butts: National Security, the Environment and the DoD, in:Environmental Change and Security Project, The Woodrow Wilson Center, Issue 2, Frühjahr 1996, S.22. Zurück

13) The White House: A National Security Strategy of Engagement and Enlargement, Washington 1994. Zurück

14) Interest, Washington DC. 1996. Zurück

15) BMVG: Verteidigungspolitische Richtlinien vom 26. November 1992. Bonn 1992. Zurück

16) Statement on the Defence Estimates 1996, London 1996, S. 3. Zurück

17) Reinhard Mutz: Die Rehabilitierung des Krieges – Paradigmwechsel in der Sicherheitspolitik, in: R.Mutz, B. Schoch, F. Solms (Hrsg.): Friedensgutachten 1995, Münster/Hamburg 1995, S. 89-102. Zurück

18) ebenda, S. 102. Zurück

19) Yves Boyer: Sprengt die Militärtechnik das transatlantische Bündnis?, in: Europa Archiv, Folge 23/1994, S. 659. Zurück

20) Alvin und Heidi Toffler 1994: Überleben im 21. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S.180. Zurück

21) Vgl. Jürgen Scheffran/Götz Neuneck/Jürgen Altmann/Wolfgang Liebert/Bernd W. Kubbig, Von SDI zu GPALS, Dossier in: Wissenschaft und Frieden, Juni 1992. Zurück

22) Zu MEADS siehe auch P. Schäfer: MEADS oder: Schutz für unsere Expeditions-Truppen, in: Wissenschaft und Frieden 2/96, S. 17-19. Zurück

23) Siehe dazu: G. Neuneck: Vollklimatisierte »Robo-Soldiers«. High-Tech-Einsatz in der Kriegsführung, in: Wissenschaft & Frieden 3/94, S. 16-21. Zurück

24) William J. Perry: Annual Report to the President and the Congress, Washington D.C. 1995, S. 263. Zurück

25) John Arquilla, David Ronfeldt: Cyberwar is coming, in: Comparative Strategy, Vol. 12, 1993 S. 141-145. Zurück

26) G. Neuneck: Die mathematische Modellierung von konventioneller Stabilität und Abrüstung, Baden-Baden 1995. Zurück

27) Viele Beispiele zur Informationskriegführung finden sich in dem interessanten Band: Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann (Hrsg.): Ein sauberer Tod. Informatik und Krieg, Marburg 1991 (Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden Nr. 15). Zurück

28) Mikrowellen werden in erster Linie zur Zerstörung von elektronischen Bauteilen entwickelt. Es wird vermutet, daß diese Mikrowellen auch einen Einfluß auf Personen haben, da elektromagnetische Energie vom Gewebe des Menschen absorbiert werden kann. Zurück

29) Siehe dazu diverse Technologie-Beispiele in: R. Span, J. Altmann, G. Hornig, T. Krallmann, M. R. Vega Laso, J. Wüster: Nichttödliche Waffen, in: Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr.17, März 1994. Zurück

30) Navy Theater Wide System, Theater High Altitude Area Defense-System. Zurück

31) Siehe dazu: George Lewis: The ABM-Treaty and the Future of Arms Control and Non-Proliferation, in: Breakthroughs, Vol.2 (1), S. 11-18. Zurück

32) Siehe dazu: Zellner: Die Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa, Baden-Baden 1994. Zurück

33) Siehe dazu: G. Neuneck, J. Wallner: Präventive Rüstungskontroll-Chance oder Utopie?, in: Friedensgutachten 1996, S. 322-332. Zurück

34) Diese Idee stammt aus: C. Daase; B. Moltmann: Frieden und das Problem der erweiterten Sicherheit, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden S+F, 3/1989, S.176-180. Zurück

35) Siehe dazu: A. und P. Ehrlich: The Environmental Dimensions of National Security, in: J. Rotblat, V.I. Goldanskii (Eds.): Global Problems and Common Security, Berlin 1988. Zurück

36) Siehe dazu detaillierte Arbeiten in: BICC Conversion Survey 1996. Zurück

37) International Herald Tribune, 3. 7.1996. Zurück

38) Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 1996, Frankfurt a.M. 1995, S.361ff. Zurück

39) Wie ein regionales, kollektives Sicherheitssystem aussehen kann, zeigt die Studie: Die Europäische Sicherheitsgemeinschft, Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 1995. Zurück

40) Siehe: H.-G. Ehrhart: Die EU und die Sicherheit Europas (II). Präventions- und nuklearpolitische Apsekte, Hamburg 1996 (Hamburger Beiträge zur Friedensforschung- und Sicherheitspolitik, Heft 101). Zurück

41) Siehe dazu: Agenda für den Frieden, Bericht des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat, Bonn 1992. Zurück

Dr. Götz Neuneck ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Vizeweltmeister in der falschen Disziplin

Vizeweltmeister in der falschen Disziplin

Deutsche Rüstungsexporte in den 90er Jahren

von Peter Strutynski

Das Thema Rüstungsexportkontrolle gehört nicht gerade zu den politischen Dauerbrennern in der Bundesrepublik. Gegenstand heftiger öffentlicher politischer Diskussionen wird es immer nur dann, wenn irgendwelche Skandale bekannt oder ruchbar werden, wonach deutsche »Händler des Todes« entweder einschlägige Rüstungsexportverbote zu umgehen versuchen oder wenn an sich legale Exporte unliebsame bis skandalöse politische Folgen zeitigen. Zuletzt wurde die Öffentlichkeit im vergangenen Sommer von der Nachricht aufgerüttelt, die BRD nehme unter den waffenexportierenden Ländern einen stolzen zweiten Platz ein, sei also Vizeweltmeister beim Rüstungsexport geworden.

Schon 1993 belegte die BRD den zweiten Platz der Exporthitliste; damals wurde aber die Brisanz dieser Entwicklung noch mit dem Hinweis abgeschwächt, ein großer Teil des deutschen Positionsgewinns sei auf die Verhökerung alten NVA-Materials zurückzuführen, der Exportboom sei also doch mehr ein vorübergehendes Phänomen.1 In der Tat mußten – auch wegen der in Wien vereinbarten Reduzierungen bei konventionellen Waffen – Tausende und Abertausende von Waffen, Geräten und Uniformen sowie Tonnen von Munition aus Beständen der ehemaligen DDR übernommen und zum größten Teil ausgemustert, verschrottet oder eben verkauft werden. Die Nachfrage nach Kampfpanzern, Bombern, gepanzerten Radfahrzeugen, Artilleriesystemen und Maschinengewehren, alle Waffen überwiegend sowjetischer Herkunft, war groß; teils weil manche Staaten ihre eigenen Arsenale auffüllen oder erneuern wollten, teils weil manche Staaten sowjetische Waffen testen wollten.2 Unter den Empfängerstaaten befanden sich Ägypten, Estland, Lettland und Litauen, Indonesien, die Ukraine, Uruguay, aber auch Rußland. Selbst Kasachstan interessiert sich mittlerweile für außerdienstgestellte deutsche Marineschiffe als Grundstock für den Aufbau einer »angemessenen Marine« für das Kaspische Meer.3 Sieht man sich die aus den NVA-Verkäufen erzielten Erlöse an, so machen sie allerdings nur etwa ein Zehntel der Gesamtrüstungsexporte in den Jahren 1990 bis 1994 aus. Würde man sie herausrechnen, behielte die Bundesrepublik immer noch unangefochten ihren zweiten Platz unter den größten Waffenexporteuren.

Das Märchen von den »restriktiven Exportbeschränkungen«

Die Bundesregierung weist gern auf die besonders restriktiven Ausfuhrbedingungen für deutsche Waffen hin. Aus Bonn verlautet hierzu: „Die Bundesregierung empfindet aufgrund der geschichtlichen Erfahrung eine besondere Verantwortung dafür, den Export von Waffen restriktiv zu handhaben und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder von Gütern, die zur Produktion von Massenvernichtungswaffen verwendet werden können, zu verhindern.“4 Doch wie streng ist das deutsche Exportkontrollregime tatsächlich?

Grundlage für jeglichen Rüstungsexport aus der Bundesrepublik sind zwei Gesetze, die schon 1961 verabschiedet wurden und in der Folgezeit zahlreiche Änderungen durchgemacht haben: das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Das Kriegswaffenkontrollgesetz ist ein Ausführungsgesetz zum Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes. Das KWKG legt fest, daß alle zur Kriegführung bestimmten Waffen „nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden“ dürfen. Eine Genehmigung ist auf jeden Fall dann zu versagen, wenn „die Gefahr besteht, daß die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden“, oder wenn „Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde.“ (§ 6 Abs. 3 KWKG) Damit ist hinreichend klar, daß die Bundesrepublik nicht in Staaten liefern darf, gegen die völkerrechtswirksame Embargomaßnahmen verhängt sind oder die sich im Kriegszustand befinden. Es ist aber auch hinreichend bekannt, daß gegen dieses Verbot in zahlreichen Fällen verstoßen wurde.

Das KWKG erfaßt längst nicht alle Waffen (z.B. keine Faustfeuerwaffen), auch nicht deren Einzelteile oder Geräte zur Herstellung von Waffen; es erfaßt auch nicht Waren, die sich sowohl für militärische als auch zivile Zwecke gebrauchen lassen (sog. Dual-use-Güter). Christa Vennergerts von den Grünen hat das im Bundestag einmal auf die einprägsame Formel gebracht: „Alles was nicht schießt und knallt, ist keine Waffe und darf exportiert werden.5 Ganz so einfach ist es aber auch nicht – zumindest nicht, was die Gesetzeslage betrifft. Denn die Kontrolle militärisch relevanter Handelsgüter wird durchaus geregelt, und zwar durch das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und dessen Rechtsverordnung. Hier ist eine Reihe von Einschränkungen des ansonsten uneingeschränkten freien Handels formuliert, etwa wenn es die „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ verlangt, oder wenn eine „Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten ist“ (§ 7 AWG). Zur besseren Handhabung dieses Gesetzes werden in der Außenwirtschaftsverordnung enstprechende Listen von sensiblen Ausfuhrgütern und Listen von Ländern veröffentlicht, in die entweder gar nicht oder nur nach ausdrücklicher Genehmigung der Genehmigungsbehörde geliefert werden darf. Aus verschiedenen Gründen6 haben Außenwirtschaftsgesetz und -verordnung indes nicht verhindern können, daß aus der Bundesrepublik Waffen und sonstiges Militärgerät nahezu in die ganze Welt verbracht werden konnte.

Schärfere Gesetze – noch mehr Rüstungsexporte

Im Gefolge des zweiten Golfkriegs 1991 war die Kritik an der offenbar gescheiterten Rüstungsexportkontrollpolitik der Bundesregierung so laut geworden, daß Regierung und Parlament schließlich ihre gesetzlichen Handhaben verbesserten und die Kontrollmechanismen verstärkten. Von der zweiten Hälfte des Jahres 1990 bis Anfang 1992 wurden zahlreiche Änderungen am KWKG und am AWG sowie am Strafgesetzbuch und an weiteren Gesetzen vorgenommen. Die wichtigsten Änderungen bezogen sich auf folgende Sachverhalte:

  • Es wurde eine neue Behörde gegründet, das Bundesausfuhramt, das nun anstelle des Außenwirtschaftsamts für die Erteilung von Exportgenehmigungen zuständig ist.
  • Erweitert wurden die Kontrollbefugnisse gegenüber Gütern mit doppeltem Verwendungszweck.
  • Erheblich erweitert wurden die Befugnisse des Zollkriminalamts (z.B. Eingriffsmöglichkeiten in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis).
  • Drastisch verschärft wurden die Strafen für Gesetzesverstöße.
  • Jedes exportierende Unternehmen ist verpflichtet, einen »Ausfuhrverantwortlichen« zu benennen. Damit können die Verantwortlichen besser kontrolliert und zur Verantwortung gezogen werden.
  • Die Mitwirkung deutscher Techniker oder Wissenschaftler an Rüstungsprojekten im Ausland ist genehmigungspflichtig.
  • Schließlich wurde das Außenwirtschaftsrecht von einem »Erfolgsdelikt« in ein »Gefährdungsdelikt« umgewandelt. D.h. wenn es bisher für die Annahme einer Strafbarkeit notwendig war, daß durch die Handlung des Täters die Sicherheit der Bunderepublik oder das friedliche Zusammenleben der Völker erheblich beeinträchtigt wurden, so ist es nunmehr ausreichend, daß diese Rechtsgüter gefährdet bzw. erheblich gefährdet werden.

Der Proteststurm der Rüstungsindustrie gegen diese Verschärfungen ihres auf Exportförderung und nicht -verhinderung angelegten Außenwirtschaftsrechts war voreilig und übertrieben. Die Regierungskoalition ließ ihre exportorientierte Wirtschaft nicht im Stich. Zur Verschärfung der Gesetzesvorschriften trat nämlich die Reduzierung der als »sensitiv« eingestuften Länder. Solche Länder werden üblicherweise in sog. Länderlisten aufgelistet. Die Länderliste H beispielsweise, in der alle Länder aufgeführt sind, bei denen Exporte von Dual-use-Gütern kontrolliert werden sollen, enthielt im Dezember 1990 noch 53 Staaten. 1992 wurde die Liste neu gefaßt und auf 34 Staaten reduziert. Gestrichen wurden solche Länder wie Südkorea, Laos, Marokko, die Mongolei oder Namibia. Ein erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Wirkung des neuen Außenwirtschaftsrechts nach einem Jahr ihrer Geltung ist aufschlußreich: Die Bundesrepublik verlassen jährlich rund 18 Millionen Ausfuhrsendungen von „Waren, deren Verwendungszweck in der Regel nicht äußerlich erkennbar ist“. Die präventiven Überwachungsmöglichkeiten nach dem AWG und AWV in Verbindung mit der erwähnten Länderliste H führten dazu, daß im Zeitraum von März bis September 1992 1.328 Anträge im Gesamtwert von 1,4 Milliarden DM genehmigt wurden, dagegen nur 226 Exportgenehmigungen im Gesamtwert von 127 Millionen DM abgelehnt wurden.7

Liberalisierung im Gewande der »Harmonisierung«

Dennoch haben seither die Versuche der Rüstungsindustrie eher noch zugenommen, die Exportbeschränkungen wieder zu lockern. Dies passiert seit der Herstellung des EG-Binnenmarkts zum 1.1.1993 unter dem Mantel der »Harmonisierung« der europäischen Vorschriften. Die Wirtschaftsverbände forderten insbesondere, daß deutschen Unternehmen bei Kooperationsprojekten mit EG-ausländischen Firmen gleiche Chancen eingeräumt werden. Bisher sei es so, daß die Bundesregierung einen Genehmigungsvorbehalt gegenüber Zulieferungen deutscher Firmen an EG-Firmen beansprucht. D.h. sämtliche Kooperationsvereinbarungen müssen nach einem Verfahren abgewickelt werden, das es der Bundesregierung im Falle des Exports durch das Partnerland erlaubt, Einwendungen geltend zu machen.8

Die Bundesregierung kam der Rüstungslobby entgegen. Im Juni 1994 erleichterte sie die Rüstungskooperation privatwirtschaftlicher Unternehmen innerhalb der NATO. Bei internationalen Kooperationen, in denen der deutsche Partner nicht mehr als 20 Prozent des Geschäftsvolumens einbringt, so wurde verfügt, entscheide ausschließlich der jeweilige Firmensitz des Herstellers über die Verwendung des Endprodukts; die BRD behält lediglich noch ein Konsultationsrecht, sie kann also über den Verbleib des Produkts Auskunft verlangen und eine Stellungnahme abgeben; ein Entscheidungsrecht besitzt sie aber nicht mehr.9

Im Dezember 1994 wurde eine EG-Verordnung verabschiedet, die den Handel mit Dual-use-Gütern innerhalb der EU und mit Drittländern einheitlich regeln soll.10 Wünschenswert schien eine einheitliche Regelung, um auch diesen Sektor der Wirtschaft an die ansonsten geltenden Bestimmungen des freien Warenverkehrs anzupassen, innergemeinschaftliche Kontrollen also abzuschaffen. Dies geht natürlich nur, wenn gleichzeitig die Ausfuhr sensibler Güter aus der Gemeinschaft wirksam kontrolliert wird. Die EG-Verordnung, die seit 1. Juli 1995 in Kraft ist, bezieht sich auf den Export einer Vielzahl von »Gütern mit doppeltem Verwendungszweck«, also Gütern, die „sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken zugeführt werden können“ (Art. 2 a). Betroffen sind beinahe alle zivilen Industriezweige wie allgemeiner Werkzeugmaschinenbau, Feinmechanik/Optik, Elektrotechnik, Telekommunikation, Chemie, Fahrzeugbau, Luftfahrtindustrie usw. Die infrage kommenden Güter sind in gemeinsamen Güterlisten aufgeführt. Der Export dieser gelisteten Güter aus der EU ist somit in allen Mitgliedstaaten genehmigungspflichtig.

Eine Ausfuhrgenehmigung kann aber selbst für Güter erforderlich sein, die nicht auf der Liste stehen, nämlich dann, „wenn der Ausführer von seinen Behörden davon unterrichtet worden ist, daß diese Güter ganz oder teilweise bestimmt sind oder bestimmt sein können für die Entwicklung, die Herstellung, den Umschlag, die Handhabung, die Wartung, Lagerung, Ortung, Identifizierung oder Verbreitung chemischer, biologischer oder nuklearer Waffen, die Gegenstand entsprechender Nichtverbreitungregelungen sind, oder zur Entwicklung, Herstellung, Wartung oder Lagerung für Trägerraketen für derartige Waffen.“ (Art. 4 Abs. 1) Diese Auffangnorm (»Catch-all-Klausel«) für nicht gelistete Güter ist dem deutschen Außenwirtschaftsrecht nachempfunden, das eine solche Auffangnorm auch kennt, und zwar für alle waffenfähigen, also nicht nur ABC-waffenfähigen Güter (dies war in der Neufassung der AWV von 1992, § 5c, geregelt worden). Diese Klausel im deutschen Recht war die Konsequenz aus den Skandalen um die Giftgasanlagen in Rabta (Libyen) und Samarra (Irak), als sich gezeigt hatte, daß die Ausfuhrlisten nicht ausreichten, um alle sensitiven Ausfuhrhandlungen zu erfassen.

Auf EU-Ebene stellt die gemeinsame Dual-use-Verordnung zweifellos einen Fortschritt dar. Was in der nächsten Zeit folgen muß, ist einmal die Ausweitung der Auffangnorm auf nichtgelistete Güter für den konventionellen Rüstungssektor und zum anderen die Einbeziehung des Wissenstransfers und der Dienstleistungen in das Kontrollregime. Auf keinen Fall zwingt die EG-Verordnung die Bundesrepublik, ihre zum Teil weitergehenden nationalen Regelungen aufzugeben. Die EG-Verordnung erlaubt ausdrücklich nationale Zusatzverordnungen (Art. 5 Abs. 1).

Prinzipiell hält auch die Bundesregierung an ihren zum Teil restriktiveren Bestimmungen der AWV fest. Sie hielt es aber für „integrationspolitisch geboten und exportkontrollpolitisch vertretbar“ 11 die Länderliste H (die schon 1992 bei der Verschärfung des AWG von 53 auf 34 Staaten reduziert worden war) zu verändern. An ihrer Stelle wurde zum 1. März 1995 eine neue Länderliste K eingeführt. Sie enthält nur noch 13 Staaten (bzw. 17, wenn man die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien gesondert betrachtet). Herausgefallen sind beispielsweise Staaten wie Ägypten, Algerien, Israel, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kuwait, Pakistan, Rumänien, Saudi-Arabien und Taiwan, Staaten also, in denen zum Teil bewaffnete Konflikte stattfinden, die zum Teil in höchst sensiblen Regionen liegen oder die zum Teil nicht eben zu den demokratischen Musterknaben der Staatengemeinschaft gehören. Damit setzt sich die Bundesregierung in Widerspruch zu ihren eigenen Rüstungsexportgrundsätzen von 1982, in denen es hieß: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern darf nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen. Lieferungen an Länder, bei denen eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus.“ 12

Die neuen Trends im Waffenhandel

Die Aufweichung der strengeren Exportkontrollen geschieht also im wesentlichen auf zwei Wegen: Einmal als Aushöhlung nationalen Rechts im Zuge der Übertragung staatlicher Bestimmungen auf die europäische Ebene, d.h. einer »Anpassung nach unten«, zum anderen als Verkleinerung des Kreises von Staaten, die rüstungspolitisch als besonders sensibel einzustufen sind. Die Einstufung dieser Länder erfolgt aufgrund der alleinigen Definitionsmacht der Bundesregierung. Es ist nicht auszuschließen, daß der Kreis der Staaten, die unter die Exportgenehmigungspflicht fallen, künftig noch weiter reduziert wird. Alte außenpolitische Rücksichtnahmen zählen nicht mehr; was zählt, ist die Wahrnehmung vermeintlicher nationaler Sicherheitsinteressen im globalen Maßstab und die „Berücksichtigung der berechtigten Anliegen der Wirtschaft“, deren sich Außenminister Kinkel am 13. Januar 1994 im Deutschen Bundestag annahm.13 Anläßlich einer Veranstaltung des Arbeitskreises »Wehrtechnik in Schleswig Holstein« in Kiel wurde Kinkel noch deutlicher: Von Exportrestriktionen könne keine Rede mehr sein, „in der Relation ist das minimal, was nicht laufen kann.

Alarmierend sind zudem die Anzeichen dafür, daß es aus den Betrieben heraus wieder Initiativen gibt, die sich unter dem Druck gefährdeter Arbeitsplätze für eine Lockerung der Exportvorschriften in der EU sowie generell für verstärkte Aufträge von der Hardthöhe stark machen. Zu diesem Zweck haben sich z.B. im März 1995 in München Betriebsräte verschiedener Rüstungsfirmen zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen.14

Im internationalen Handel mit Waffen und Dual-use-Gütern sind m.E. folgende Trends zu beobachten:

  • Zunächst muß der an sich erfreuliche Rückgang des weltweiten Waffenhandels relativiert werden. Natürlich ist es eindrucksvoll, wenn der Export von Kriegswaffen – SIPRI erfaßt nur die konventionellen Großwaffen – seit 1990 weltweit um rund ein Drittel zurückgegangen ist, von 30,9 Mrd. US $ 1990 auf 21,7 Mrd. US $ 1994. Doch dieser Rückgang war fast ausschließlich dem Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staatsökonomien geschuldet. Die sog. demokratischen Zivilmächte des NATO-Bündnisses haben sowohl absolut als auch anteilsmäßig ihren Waffenexport in den letzten Jahren erheblich gesteigert (von 16,7 auf 18,7 Mrd. US $, ihr Anteil am Weltwaffenexport stieg von 54 Prozent 1990 auf sage und schreibe 86 Prozent 1994;)15. Zahlreiche Berichte aus den Ländern des früheren Ostblocks belegen durchweg deren verstärkte Anstrengungen, verlorenes Terrain bei der Produktion und beim Export von Waffen wiederzugewinnen.16 So sind z.B. die Waffenexporte Rußlands 1995 gegenüber dem Vorjahr um rund 50 Prozent gestiegen. 17
  • Der Rückgang des Weltwaffenhandels seit dem Ende der Blockkonfrontation hat am allerwenigsten damit zu tun, daß die Welt etwa friedlicher geworden sei. Sinkende Rüstungskäufe waren in der Regel ein erzwungener Reflex der Staaten auf ihre anwachsenden Haushalts-, Devisen-, und Finanzierungsprobleme. Länder mit rasant wachsenden Volkswirtschaften und entsprechend gut gefüllten Kassen ordern dagegen munter weiter. Bestes Beispiel hierfür sind die prosperierenden Länder Südostasiens wie Taiwan, Thailand, Südkorea oder Indonesien. Diese vier Länder haben von 1990 bis 1994 ihre Rüstungskäufe glatt verdoppelt. Ein Fünftel bis ein Viertel aller Exportwaffen gehen heute nach Ostasien (in den achtziger Jahren waren es rund 15 Prozent).
  • Das beängstigende Wettrüsten in Ostasien, das so gar nicht in das schöne Bild von einer abrüstenden Welt paßt,18 ist aber nicht nur an den steigenden Waffenkäufen abzulesen, sondern auch am Ausbau der eigenen Rüstungskapazitäten. Während der Welthandel mit Großwaffen seit 1987 etwa halbiert wurde, sind die weltweiten Ausgaben für militärische Zwecke nur um rund 20 Prozent gesunken.19 Die neuen Industrieländer Ostasiens sind heute in der Lage, fast alle Waffen, die sie brauchen, selbst zu fertigen.
  • Zusätzliche Konkurrenz könnte in absehbarer Zeit insbesondere auch von Japan ausgehen. Die politische Diskussion um das Selbstverständnis der japanischen »Selbstverteidigungskräfte« erinnert in vielem an die bundesdeutsche Diskussion. Beide Staaten hatten in der Zeit des Kalten Kriegs eine relativ zurückhaltende Rüstungsexportpolitik betrieben; beide haben nach dem Ende des Kalten Kriegs begonnen, diese außen- und militärpolitische Zurückhaltung in Frage zu stellen. Japan beteiligt sich – nach einer entsprechenden Verfassungsänderung – inzwischen auch an UNO-Blauhelm-Aktionen. Im Herbst 1995 hat die japanische Regierung nach monatelangem Drängen der Industrielobby ihre Militärdoktrin geändert und ihre restriktiven Exportrichtlinien von 1967 entsprechend liberalisiert.20
  • Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion über die Rüstungsexporte häufig übersehen wird, ist die zunehmende Bedeutung von Kleinwaffen (das sind z.B. Minen, Handfeuerwaffen oder Panzerfäuste). Diese Waffen werden von den Exportstatistiken gar nicht erfaßt. Neuere Untersuchungen belegen, daß Kleinwaffen aus dem Besitz ehemaliger Armeen des Warschauer Pakts über beliebige Wege auf nahezu allen Kriegs- und Bürgerkriegsschauplätzen der Welt eingesetzt werden. Gleiches gilt aber auch für Waffen aus den westlichen Industriestaaten, die in den letzten Jahren ihre Armeen personell verkleinert haben und überzählige Waffen entweder gewinnbringend verkaufen oder als quasi Militärhilfe befreundeten Armeen zur Verfügung stellen.21
  • Schließlich muß noch einmal betont werden, daß der statistisch erfaßte internationale Rüstungshandel nur einen Teil der Problemlage widerspiegelt. So werden insgesamt immer weniger Waffensysteme, dagegen aber immer mehr Technologien gehandelt – Technologien, die sowohl militärisch als auch zivil einsetzbar sind. „Zivile Technologien mit möglicher militärischer Verwendung erhalten fast alle Länder der Welt aus Deutschland.“22

Resümee

Der offizielle Rüstungshandel ist weltweit in den letzten Jahren rückläufig. Gleichzeitig gewinnt der legale und illegale Handel mit Kleinwaffen weltweit sogar weiter an Bedeutung und liefert den »Stoff«, der die vielen Bürgerkriege dieser Welt am Leben erhält. Der Export von Dual-use-Gütern und -Technologien ist der bedeutsamste Sektor, den es zu kontrollieren und einzudämmen gälte; und ausgerechnet der ist am schwierigsten zu kontrollieren, es sei denn, man entschlösse sich, konsequent nach dem Verbleib und der Verwendung der exportierten Güter zu fragen. Die Bundesregierung hat trotz zum Teil noch existierender strenger Kontrollmechanismen ihr Land zum »shooting star« des Jahres 1995 unter den Rüstungsexporteuren gemacht. Sie wird weiterhin alles unternehmen, um auch beim Export von Kleinwaffen und Dual-use-Gütern ganz vorn in der Welt dabei zu sein.

Anmerkungen

1) Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Referat Außen- und Sicherheitspolitik (1995): Rüstungsgüter – zivil und militärisch verwendbare Güter. Stand: Januar 1995, S. 7 (1. Ausgabe September 1993). Zurück

2) H. Wulf (1995): Rüstungsexporte – Vizeweltmeister Deutschland. Hekt. Man., S. 9, 30. August 1995. Zurück

3) Wehrtechnik 2/1996. Zurück

4) Presse- und Informationsamt (1995),a.a.O., S. 6. Zurück

5) BT-Protokoll vom 01.06.1990, S. 16930. Zurück

6) H. Wulf (1989): Waffenexport aus Deutschland. Geschäfte mit dem fernen Tod, Reinbek bei Hamburg. Zurück

7) D. Pietsch (1994): Beschäftigungsfaktor Waffenexport. Positionen und Daten zur Rüstungsausfuhr. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8, S.980. Zurück

8) Vgl. Politische Grundsätze 1982; vgl. hierzu auch Pietsch 1994, a.a.O. S. 973. Zurück

9) H.-J. Gießmann (1995): Frieden schaffen mit deutschen Waffen? Der diskrete Abschied von strengen Exportkontrollen. In: R, Mutz, B. Schoch, F. Solms (Hrsg.), Friedensgutachten 1995, Münster, S. 319. Zurück

10) Verordnung EG Nr. 3381/94, abgedruckt in J. Endres (1995): Anpassung nach unten? Die Angleichung der deutschen Exportrestriktionen für Dual-use-Güter an die neuen Richtlinien der Europäischen Union, Arbeitspapiere aus dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, Nr. 86, Hamburg. Zurück

11) Vermerk des Wirtschaftsministers, zit. n. Endres, a.a.O.,1995, S. 12. Zurück

12) Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Beschluß der Bundesregierung vom 28. April 1982, Ziffer 13. In: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 38/S. 309, Bonn, den 5. Mai 1992. Zurück

13) Presse- und Informationsamt 1995, a.a.O., S. 24. Zurück

14) Süddeutsche Zeitung, 07.03.1995. Zurück

15) SIPRI (1995): SIPRI-Yearbook 1995. Armaments, Disarmaments and International Security, Oxford University Press. Zurück

16) Vgl. H.-J. Gießmann, a.a.O und Opitz in Ch. Butterwegge, M. Grundmann (Hrsg.)(1994): Zivilmacht Europa. Friedenspolitik und Rüstungskonversion in Ost und West, Köln. Zurück

17) Süddeutsche Zeitung, 21.02.1996). Zurück

18) Vgl. P. Strutynski (1995): Gegen den Strom: Wettrüsten in Ostasien. In: ami-antimilitarismus information, Heft 10, S. 28-34. Zurück

19) BICC-Bonn International Center for Conversion (1996): Conversion Survey 1996. Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization, Oxford University Press. Zurück

20) Vgl. Handelsblatt, 01.12.1995). Zurück

21) Vgl. z.B. K. Gonchar, P. Lock (1994): Observations on the Supply of Small Arms. Arbeitspapiere aus dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, Nr. 84, Hamburg. Zurück

22) Wulf 1995, a.a.O., S. 10. Zurück

Dr. Peter Strutynski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität GH-Kassel.

Konfliktpotentiale in Südostasien

Konfliktpotentiale in Südostasien

von Peter Franke

Als größter Erfolg bei dem diesjährigen Treffen der ASEAN-Außenminister in Bangkok gelten die erstmalige Durchführung des »ASEAN Regional Forum« – kurz ARF – zur Behandlung von Sicherheitsfragen in der Region. Die Außenminister der ASEAN-Staaten hatten sich am 25.7.94 mit ihren sogenannten Dialog-Partnern an einen Tisch gesetzt und etwa drei Stunden über Konflikte in der Region unterhalten, insbesondere über die Halbinsel Korea und die Spratly-Inseln1.

Trotz langjähriger Existenz2 der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN – Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Brunei und Philippinen) ist gerade in den letzten Jahren zunehmend das »Bedürfnis« in dieser Region nach mehr Sicherheit gewachsen. Mit Auflösung der Blockkonfrontation ist das klare Feindbild des Kommunismus verschwunden. Man hatte sich bisher darauf verlassen, daß die »rote« Gefahr durch die US-Militärpräsenz in Schach gehalten wird, ganz so, wie es die USA auch in ihrer Pacific-Rim-Strategie seit Ende des 2. Weltkriegs gewollt und durchgesetzt hatten. Alle mehr oder minder vorhandenen Konflikte untereinander3 wurden angesichts einer vermeintlich größeren Bedrohung zurückgestellt. Die USA haben nun in den letzten Jahren ihre Militärpräsenz verringert bzw. Einheiten ganz abgezogen, und es ist ein vermeintliches Machtvakuum entstanden. Militärstrategen der einzelnen Länder glauben, daß dieses »Vakuum« mit mehr eigenem Militär gefüllt werden muß. Dazu ist natürlich eine Ausrüstung mit den neuen Waffensystemen nötig, die von der kränkelnden Rüstungsindustrie der USA, Europas und einer Reihe von ehemaligen Ostblockstaaten wohlfeil angeboten worden4. Bei den anhaltend hohen Wirtschaftswachstumsraten in Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien meinen die Regierungen, sich mehr Waffen leisten zu können und zu müssen.

Die wachsende Aufrüstung aller ASEAN-Länder mit sogenannten »Offensiv-Waffen«, also solchen, die weit über die reine <>Landesgrenzen-Verteidigungszwecke<> hinausgehen, ist in den letzten Jahren offensichtlich. Mit welchen besonderen Konfliktpotentialen haben wir es also heute in der Region Südostasien bzw. Asien-Pazifik zu tun? Wo liegen andererseits als Gegengewicht die Ansätze von multilateraler und bilateraler Kooperation?

Die Konfliktpotentiale sind sehr unterschiedlicher Natur und unterschiedlichen Ursprungs. Die geographischen Gegebenheiten sind ein wesentlicher Faktor. Ein Blick auf die Karte macht deutlich, daß alle Seewege und wichtigen Handelsrouten zwischen Europa und Ostasien – d.h. China, Taiwan, Korea und Japan – durch das Malaiische Archipel führen, mit den Ländern Indonesien, Malaysia, Singapur, Brunei und den Philippinen.

Die Kontrolle der Seewege nach Ostasien

Mit Beginn des Übersee- und Welthandels ist die Kontrolle der Seewege nach Ostasien immer ein entscheidender Faktor zur Ausübung einer Vorherrschaft in der Region gewesen. In der Kolonialzeit haben sich die europäischen Mächte Spanien, Niederlande, England und Frankreich in ihren expansiven Bestrebungen immer wieder um die Kontrolle der Seewege, insbesondere der Straße von Malakka, bemüht. England hat allein zu diesem Zweck 1815 auf der Insel vor der südlichsten Spitze der malaiischen Halbinsel Singapur als Handels- und Marinestützpunkt gegründet. Bis zur Eroberung Singapurs durch die Japaner im 2. Weltkrieg vom Land aus – denn von See her war es nicht einzunehmen – war es der Schlüssel zur britischen Vorherrschaft im malaiischen Archipel.

Nach dem 2. Weltkrieg übernahmen die USA die Aufgabe der Freihaltung der Seewege in Südostasien im Namen des reibungslosen, freien (kapitalistischen) Welthandels. Es war vor allem ihre z.T. gewalttätige, antikommunistische Politik, unterstützt von den Briten und Franzosen, die die Einführung und Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ermöglichte. Heute sind die südostasiatischen Länder, allen voran die ASEAN-Staaten, vollständig, wenn auch noch vergleichsweise kleine, aber eigenständige Akteure im Welthandel geworden. Der teilweise militärische Rückzug der USA aus der Region ermöglicht den Staaten mehr oder minder selber, unter Ausschluß der jeweils anderen Staaten, aktiv eine Kontrolle über die Seewege auszuüben. Eine Schliessung der Seewege für den internationalen Seeverkehr kann zu Konflikten nicht nur mit Ländern innerhalb der Region Südostasien, sondern auch mit weiter entfernten Ländern wie Japan, Korea oder dem Nahen Osten führen, die auf die Verschiffung ihrer Exportprodukte durch das Malaiische Archipel hindurch angewiesen sind.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei Indonesien zu. Sein Territorium bildet praktisch eine Barriere zwischen Festlandasien und Australien. Ferner ist es mit über 180 Mio. Menschen das größte Land in Südostasien. Die indonesische Regierung kann zum Beispiel allein mit der Schließung der Lombok- und Sunda-Straße für den internationalen Seeverkehr den Welthandel empfindlich treffen. Sie hatte das 1988 bereits einmal mit der Begründung versucht, daß diese beiden Seewege nicht internationales, sondern nationales Gewässer seien.

Probleme um die Straße von Malakka könnte es mit Malaysia und Indonesien geben. Sie können die Durchfahrt leicht kontrollieren. Der rege Schiffsverkehr ist eine Ursache für die wachsenden Umweltbelastungen der Küstengebiete und stellt bei möglichen Unfällen mit Supertankern oder anderen gefährliche Güter transportierenden Schiffen eine große Bedrohung der dort lebenden Bevölkerung dar. Restriktive Maßnahmen zur Eindämmung einer solchen Gefahr dürfen nach geltendem Seerecht die beiden Staaten nicht einseitig ergreifen. So war es vor einigen Jahren umstritten, ob die beiden Staaten einem französischen Frachtschiff, das Plutonium von Europa nach Japan transportierte, die Benutzung der Straße von Malakka zum Schutz ihrer Küsten verbieten dürfte. Die Durchsetzung möglicher Durchfahrtsverbote würden unweigerlich zu einem größeren internationalen Konflikt führen.

Umstritten ist für Indonesien ebenfalls die Zugehörigkeit der Nicobar-Inseln zu Indien. Sie liegen etwa 200 km nördlich der indonesischen Insel Sumatra direkt in der Zufahrt der Straße von Malakka und über 1000 km weit entfernt vom indischen Subkontinent. Immerhin ist Indien nach China die größte asiatische Marinemacht und bei Abzug der US-Marine würde sie faktisch den Indischen Ozean kontrollieren.

Das Südchinesische Meer ist seit Jahren der größte und wohl auch gefährlichste Konfliktherd in der Region Südostasien. Streitpunkt ist die Zugehörigkeit der im nördlichen Teil gelegenen Gruppe der Paracel-Inseln und der mehr im Süden gelegenen Spratly-Gruppe mit über 90 mehr oder minder kleinen Inseln und Riffen. Durch dieses Gebiet führen nicht nur die Seewege nach Ostasien, sondern es ist reich an Fischen und es werden dort auch größere Ölvorkommen vermutet.

China und Vietnam beanspruchen beide Inselgruppen vollständig für sich, einschließlich der dazugehörigen Wirtschaftszonen, was bedeuten würde, daß im Falle von China die Landesgrenze bis auf 5 Kilometer an die Küste von Sarawak rücken würde. China und Vietnam haben bereits einige der größeren Inseln besetzt und z.T. dort Militär stationiert. China hatte 1974 mit militärischen Mitteln Vietnamesen von einer der Paracel-Inseln vertrieben und 1988 von einem kleinem Riff der Spratly-Inseln. Die Anrainerstaaten Malaysia, Brunei und die Philippinen beanspruchen ebenfalls einige der vor ihrer Küste gelegenen Spratly-Inseln und ebenso Taiwan. In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, durch multilaterale Gespräche die Situation zu entschärfen. Trotz allgemeiner Beteuerungen von allen Seiten, man wolle keine kriegerischen Auseinandersetzungen, wird auf den jeweiligen Ansprüchen beharrt. Insbesondere die VR China zeigt in den Gesprächen keinerlei Bereitschaft, ihren alleinigen Anspruch auf beide Inselgruppen auch nur in Frage stellen zu lassen. Sie ist allerdings bereit, über eine gemeinsame wirtschaftliche Nutzung zu verhandeln.

Das Recht auf Beanspruchung einer 200 Meilen Wirtschaftszone entlang der Küste nach dem internationalen Seerecht hat in Südostasien zu einer Reihe von Konflikten geführt und wird auch in Zukunft zu Problemen zwischen den Ländern führen, wie z.B. beim Abbau von Erdgas- und Erdölvorkommen im Golf von Thailand durch Malaysia, Thailand, Kambodscha und Vietnam, oder auch bei den Fischereirechten in der Celebessee (zwischen Borneo, Sulawesi und Mindanao) für philippinische Fischerboote, die erst kürzlich von indonesischem Militär aufgebracht wurden.

Die Kontrolle des Mekong

Von ähnlich geostrategischer Bedeutung wie die Seewege sind einige Flüsse auf dem Festland-Südostasien. Weniger als Verkehrswege so doch als Energiespender durch Staudämme für Industrie und Wasserspender für die Landwirtschaft sind sie meist von existentieller Bedeutung für die Anrainerländer.

So ist der Mekong die wichtigste Wasserquelle für die Landwirtschaft Kambodschas und das südliche Vietnam. Von seiner Quelle im tibetischen Hochland fließt er durch die südchinesische Provinz Yunnan, dann ein Stück entlang der laotisch-burmesischen Grenze, durch Nord-Laos und bildet danach die Grenze zwischen Thailand und Laos, bevor er Kambodscha durchquert, um an der südlichen Spitze Vietnams in einem weitverzweigten Delta ins Südchinesische Meer zu fließen. Stauung und Abzweigung des Wassers des Mekong sowie seiner Zuflüsse können verheerende Wirkungen auf die unterhalb gelegenen Regionen haben. China plant in Yunan mehrere Staudämme zur Elektrizitätsgewinnung. In Thailand gibt es bereits umfangreiche Pläne zur Umleitung des Wassers einiger Mekong-Zuflüsse5. Zusammen mit Laos sollen noch weitere Staudämme entlang der gemeinsamen Grenze gebaut werden. Die Nutzung des Mekong kann in Zukunft noch zu erheblichen Konflikten unter den Ländern führen. Um solchen Konflikten vorzubeugen bzw. gemeinsames Vorgehen bei der Nutzung des Mekong zu erreichen wurde bereits in den 60er Jahren auf Initiative der UN ein Mekong Komitee gegründet, dem alle Anliegerstaaten bis auf China, das z. Zt. nur einen Beobachterstatus hat, angehören.

Grenzkonflikte und Territorialansprüche

Territorialansprüche der Regierungen in Südostasien entlang der Grenzen bergen zum Teil ein erhebliches Potential für kriegerische Auseinandersetzungen in sich. Sie sind nicht nur Resultat einer sehr willkürlichen Grenzziehung in der Kolonialzeit, sondern die Ansprüche werden häufig auch noch aus vorkolonialen Eroberungen bzw. Besetzungen abgeleitet, obgleich es damals noch keine Nationalstaaten mit entsprechend definiertem nationalem Territorium gab. Zum offenen Ausbruch kamen diese in der Nachkriegszeit lediglich in Vietnam im Norden mit der VR China sowie im Süden mit Kambodscha.

Die Bildung der Föderation Malaysias 1963 auf Betreiben der Briten und ihrer Verbündeten, mit der die Entlassung der britischen Kolonien Nordborneo (heute Sabah), Sarawak und Singapur in die Unabhängigkeit erfolgte, hatte zu heftigem Widerstand seitens Indonesiens geführt. Umstritten ist aktuell die Zugehörigkeit von den Inseln Ligitan und Sipadan vor der Küste von Sabah an der Grenze zu Indonesien. Ferner beanspruchen die Philippinen Sabah als Teil des einstmaligen Sulu Sultanats. Allerdings hat die philippinische Regierung erhebliche Schwierigkeiten, die muslimischen Moros auf Mindanao im Süden der Philippinen in ihren Staat zu integrieren6.

Die Grenzziehungen auf dem Festland Südostasiens verlaufen durch Siedlungsgebiete von Volksgruppen derselben ethnischen Herkunft und kulturellen Tradition. Das ist insbesondere in Thailand zu beobachten. In den vier südlichen Provinzen leben muslimische Malaien, im Grenzgebiet zu Kambodscha Khmer, im Nordosten Laoten, im Norden und entlang der westlichen Grenze Volksgruppen aus Burma. Lediglich unter den Malaien in Südthailand gab und gibt es größere Unzufriedenheit, die in den 70er Jahren auch im bewaffneten Kampf der Patani United Liberation Organisation für ein unabhängiges, islamisches Patani zum Ausdruck kam. Bisher wurden allerdings von Seiten der Regierung Thailands und Malaysias die Grenzziehungen nicht in Frage gestellt. An der langen Grenze zu Laos gibt es allerdings noch mehrere Streitfälle über den Grenzverlauf.

Zwischen Vietnam und Kambodscha hat sich Ende der 70er Jahre ein regelrechter Krieg um den »richtigen« Grenzverlauf entwickelt, der 1979 schließlich zum Einmarsch Vietnams nach Kambodscha geführt hatte.

Der unterschiedliche Umgang mit militanten Organisationen, die zum Teil militärisch in den Grenzgebieten operieren und Thailand bzw. das Nachbarland als Rückzugs- und Nachschubgebiet benutzen, führte häufiger zu erheblichen Spannungen zwischen der thailändischen Regierung und den der Nachbarländer. So hat z.B. zur Zeit die stillschweigende Duldung von Operationen der Roten Khmer, insbesondere die Kanalisierung des Nachschubs über thailändisches Territorium durch das thailändische Militär, zu starken Verstimmungen zwischen Thailand und Kambodscha geführt. In den 70er und 80er Jahren gab es häufiger Spannungen zwischen Thailand und Malaysia. Die Politik der thailändischen Behörden gegenüber der von Thailand aus operierenden Kommunistischen Partei Malaysias (MCP) einerseits sorgte ebenso für Verstimmungen, wie andererseits das Verhalten der malaysischen Behörden gegenüber der z.T. von Malaysia aus operierenden PULO (Pattani United Liberation Organization).

Stabilität und Legitimität der Staaten Südostasiens

Zu den Problemen der Staaten untereinander kommt die soziale und politische Instabilität in den einzelnen Länder hinzu. Deutlich wird am Beispiel Kambodschas, daß die Instabilität eines Landes zu erheblichen Spannungen in der Region führt. Flüchtlinge aus einem Land in die Nachbarländer schaffen unvorhersehbare Spannungen, die, verquickt mit anderen Konfliktpotentialen, explosive Wirkungen zeigen können. So hat der bewaffnete Kampf des Moro Volkes um Selbstbestimmung in Südphilippinen zu einem Flüchtlingsstrom nach Sabah (Malaysia) geführt und somit Malaysia in den Konflikt indirekt miteinbezogen. Ebenso mußten die ASEAN-Länder mit den Flüchtlingen, den sogenannten »boat-people«, aus Vietnam fertig werden.

Schon seit der Unabhängigkeit vom britischen Kolonialismus ist die territoriale Integrität Burmas durch den Kampf um Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit der nicht-burmesischen Volksgruppen in Frage gestellt. Die Legitimität des Staates wie auch seiner regierenden Militärjunta ist seit ihrer Ignorierung des Ergebnisses der freien Wahlen vor 5 Jahren weiter in Frage gestellt. Hierzu entwickelten die ASEAN-Staaten sehr langsam und zögerlich eine gemeinsame Haltung.

Noch schwerer fällt es den Regierungen der südostasiatischen Länder, auf Indonesiens Besetzung von West-Papua, Osttimor und den immer wieder erneut aufbrechenden Konflikt in Aceh/Sumatra zu reagieren. Auch wenn sie diese Konflikte als »innere Angelegenheiten« von Indonesien erklären, sind sie dennoch von den Auseinandersetzungen darum betroffen. Einerseits könnten die »internen Probleme« den größten Staat Südostasiens mit unabsehbaren Folgen destabilisieren; andererseits stehen sie unter dem Druck einer internationalen Öffentlichkeit, die die Legitimität des indonesischen Vorgehens in Frage stellt.

Kooperation

Bei der hier nur oberflächlich geschilderten komplizierten »Gemengelage« von verschiedenen Konfliktfeldern muß man fragen, ob und wie diese durch welche Art der multilateralen und bilateralen Kooperation abgebaut werden können.

Die z.T. erzwungene Einbettung in das weltweite Sicherheitssystem während der Blockkonfrontation löst sich auf, und die in der Zeit schon geschaffene regionale Zusammenarbeit muß sich bewähren. ASEAN, erfolgreich nach 3 mißlungenen vorangegangen Versuchen 1967 gegründet, ist das wichtigste regionale Bündnis ohne außerregionale Mitglieder, welches die vorhandenen Konfliktpotentiale mindern und neutralisieren sowie Stabilität und Sicherheit fördern sollte, zugunsten der Entwicklung der einzelnen Länder. Dabei gibt es bisher keinerlei Form der multilateralen militärischen Zusammenarbeit, was nicht bedeutet, daß es keine punktuelle militärische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Staaten aufgrund von bilateralen Vereinbarungen gibt, insbesondere auf dem Gebiet der Aufstandsbekämpfung. Es bestehen auch keinerlei Absichten eines engeren Zusammenschlusses, wobei die nationalen Souveränitätsrechte an das Bündnis abgegeben würden.

Wirkungsvoll wurde ASEAN als politisches Konsultationinstrument für die Mitgliedsländer angesichts der Niederlage der USA in Kambodscha, Vietnam und Laos. Das schlug sich insbesondere in einer gemeinsamen Haltung gegenüber Vietnam in der Flüchtlingsfrage und der Besetzung Kambodschas nieder. Wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde zwar offiziell immer sehr groß geschrieben, hatte aber bisher praktisch kaum Bedeutung für die Volkswirtschaften dieser Länder7. Die eingangs erwähnte Bildung des ARF scheint die Tendenz der Ausrichtung ASEANs zu bestätigen. Aber mit dem rapiden wirtschaftlichen Wachstum einiger ASEAN-Länder gewinnt die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung.

Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft

Anders als noch vor 20 Jahren hat die nun vollständige Integration so ziemlich aller Länder in die kapitalistische Weltwirtschaft eine gemeinsame ökonomische Grundlage geschaffen, nämlich den Auf- und Ausbau einer kapitalistischen Wirtschaft mit gleicher Produktionsweise und Konsumstruktur. Ein integraler Bestandteil dieses Systems sind die wirtschaftlichen Außenbeziehungen, nicht zuletzt auch zu den Nachbarländern. Sie werden zu Kunden und Lieferanten, die den eigenen wirtschaftlichen Erfolg sichern helfen, sie werden aber auch zu Konkurrenten auf dem regionalen und Weltmarkt, die den wirtschaftlichen Erfolg bedrohen.

Die ungehemmte wirtschaftliche Expansion erfordert eine Öffnung der Grenzen für Waren, Kapital und Arbeitskräfte. Wenn auch das Volumen des Handels zwischen den ASEAN-Ländern vergleichsweise niedriger ist als der mit den USA, West-Europa und Japan, so wächst es in den letzten Jahren doch stetig. Ebenso investieren Banken und kapitalstarke Unternehmen gegenseitig in den Nachbarländern und bilden sogenannte »joint ventures«.

Aber mit dem Wachstum wächst auch die Konkurrenz, die möglicherweise neue Konflikte auf anderen Ebenen schafft. Eines dieser Konfliktfelder ist der vom Konsumenten gewollte und von den Produzenten gefürchtete Freihandel, damit die Region sich besser auf dem Weltmarkt behaupten kann. Seit 1993 gibt es die ASEAN Freihandelzone (AFTA), die schrittweise den freien Warenverkehr zwischen den ASEAN-Staaten ermöglichen soll. Damit nicht die jetzt bereits wirtschaftlich stärksten innerhalb AFTA am meisten davon profitieren werden, ist dieser Prozeß sehr langwierig und es gibt umfangreiche Listen, in denen die Produkte genannt sind, die die Länder aus dem Freihandel herausnehmen8. Erst im Jahr 2008 sollen für alle Produkte die Zölle innerhalb der ASEAN fallen.

Die Wachstumsregionen

Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit findet in den letzten Jahren immer verstärkter zwischen Privatunternehmen und bestimmten, unmittelbar benachbarten Regionen verschiedener Länder statt, die von den jeweiligen Regierungen durch Infrastrukturprojekte gefördert wird. Seit einigen Jahren gibt es eine Reihe von sogenannten »Wachstumsdreiecken« in Südostasien, in denen eine über die jeweiligen Landesgrenzen hinausgehende wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden soll.

Das bekannteste und bisher am weitesten entwickelte ist »SiJoRi« (Singapur, Johore, Riau) an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel mit Malaysia, Singapur und Indonesien9. Hier soll eine Industrie- und Dienstleistungsregion entstehen, mit Singapur in der Mitte, dessen Expansionsmöglichkeiten durch die Begrenzung von Land und Bevölkerung eingeschränkt werden. Indonesien kann Land, Arbeitskräfte und Rohstoffe liefern, ebenso Malaysia, während Singapur Kapital, Technologie und Marketing Know-how einbringt. An dieser Zusammenarbeit wird wohl auch die politische Intention des kleinen, aber wirtschaftlich so erfolgreichen Stadtstaates deutlich: Um der Gefahr zu entgehen, von den großen Nachbarländern »erdrückt« zu werden, bindet er sie in seine weiteren Entwicklungsplänen und Erfolge mit ein, so daß diese keinerlei Interesse daran haben können, daß Singapur bedroht wird.

Das Modell der Wachtumsdreiecke hat Schule gemacht. Seit einem Jahr wird ein nördliches Wachstumsdreieck bestehend aus der Nordspitze von Sumatra, Nord-Malaysia und Südthailand in Angriff genommen10. Im März dieses Jahres wurde in Davao City auf Mindanao in den Philippinen ein Protokoll zur Bildung einer Ost-ASEAN Wachstumsregion unterzeichnet, welche die philippinische Insel Mindanao, Borneo mit dem indonesischen West- und Ost-Kalimantan, dem malaysischen Sarawak und Sabah und den Öl-Staat Brunei sowie die indonesischen Inseln Sulawesi und Molukken einbezieht11. Thailand projektiert im Nordosten eine Wachstumsregion zusammen mit Laos, Vietnam und Kambodscha, wozu als Voraussetzung der Ausbau des Straßennetzes in Angriff genommen wird. Ähnliches entwickelt sich zwischen Thailand, Burma, China und Laos.

Auffälligerweise befinden sich alle gemeinsamen »Wachstumsregionen« in den Gebieten, in denen z.T. gleich mehrere Konfliktfelder vorhanden sind, so etwa im nördlichen Wachstumsdreieck (Ace, Thai-Muslime) und in der östlichen Wachstumsregion (Moro, Sabah-Frage). Wirtschaftswachstum einhergehend mit einem höheren Lebensstandard auf allen Seiten der Grenzen in Abhängigkeit voneinander soll und könnte bestimmte Konfliktpotentiale zwischen den Nationen mildern oder gar abbauen. Unklar bleibt jedoch, inwiefern die kapitalistische Wirtschaftsform nicht neue soziale Konflikte schafft, wenn der bessere Lebensstandard einige soziale Schichten nicht erreicht. In solch einem Fall würde allerdings die Frontlinie nicht zwischen den Staaten, sondern den sozialen Klassen quer zu den Grenzen liegen. Die Regierungen könnten dann wieder auf ihre langjährige Zusammenarbeit bei der Aufstandsbekämpfung zurückgreifen.

Gemeinsame »think-tanks« zur Analyse und Vorbeugung

Parallel zum wirtschaftlichen Wachstum der letzten Jahre entwickelt sich ein reger Gedanken- und Meinungsaustausch unter exponierten Persönlichkeiten und Experten der verschiedenen Länder auf unterschiedlichen Ebenen. Es werden Foren veranstaltet, auf denen sich hochrangige Politker über die Zukunftsperspektiven der Region auslassen. Asia Society, Singapurs Institute for Policy Studies und Dow Jones & Co., der Herausgeber der Far Eastern Economic Review, veranstalteten in Singapur vom 17.-19. Mai dieses Jahres eine Konferenz zum Thema „Wellen der Zukunft: ASEAN, Vietnam und China“. Dort äußerten sich Pemierminister oder ihre Stellvertreter mit Visionen, Analysen, Reflektionen und Warnungen12. Es gibt Kolloquien, Konferenzen und Seminare auf weniger hochrangiger Ebene, wie etwa in Manila vom 16.-17.1.94 das ASEAN-Colloquium über Menschenrechte, gemeinsam veranstaltet von den verschiedenen – von staatlicher Seite unterstützten – Instituten für Strategische und Internationale Studien aus den ASEAN-Ländern13.

Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und politischen Persönlichkeiten aus verschiedenen ASEAN-Ländern kann auch Ausdruck bestimmter Denkrichtungen sein, von denen aus Anstöße gegeben werden sollen. So wurde am 7.6.94 gleichzeitig in Bangkok und Kuala Lumpur eine Erklärung mit der Überschrift „Southeast Asia beyond the Year 2000, a Statement of Vision“ veröffentlicht, die Ende Mai 19 Wissenschaftler und Politiker aus Thailand, Malaysia, den Philippinen, China, Indonesien, Burma, Vietnam, Kambodscha, Laos und Singapur in Manila ausgearbeitet hatten14. Die Zusammenarbeit von »think tanks« und Wissenschaftlern im Raum Asien/Pazifik ist in den letzten Jahren ebenfalls entstanden; diese werden von einigen Beobachtern euphorisch als Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) gesehen15. Sie stellen einen öffentlichen Meinungsbildungsprozeß zu internationalen Fragen dar, der durchaus von offiziellen Regierungsmeinungen und -politik abweichen kann.

Aber nicht nur auf der mehr oder minder »offiziösen« Ebene entwickelt sich ein öffentlicher Gedankenaustausch und eine Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg. Schon seit mehreren Jahren versuchen basisbezogene NROs eine Vernetzung über die nationalen Grenzen hinweg zu organisieren. Häufig sind diese Vernetzungsaktivitäten in internationale oder gesamtasiatische Aktivitäten eingebettet und zum Teil zufällig. Konferenzen sind meist ein isoliertes Ereignis, dem selten kontinuierlicher, institutionalisierter Kontakt und eine Zusammenarbeit folgen. Mangelnde Erfahrungen bei internationaler Zusammenarbeit, Unkenntnisse über die Nachbarländer und unterschiedliche Sprachen und politische Kulturen erschwerten das bisher.

Aber die persönlichen Erfahrungen einer wachsenden Zahl von NRO-Aktivisten in der Begegnung mit sozial und politisch aktiven Menschen aus anderen Ländern führten zu einer zunehmend verbindlicheren Zusammenarbeit verschiedenartiger NROs innerhalb der Region Südostasien sowie Asien/Pazifik. Die UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 war z.B. Anlaß für eine verbindlichere und kontinuierliche Vernetzung entsprechender Organisationen aus dem Raum Asien-Pazifik, die nicht nur vor dem Ereignis stattfand, sondern auch weitergeführt worden ist. Ausdruck davon war u.a. auch die Osttimor Konferenz in Manila Ende Mai, welche die indonesische Regierung so erzürnt hat. Ferner veranstalteten anläßlich der oben erwähnten ASEAN-Außenministerkonferenz in Bangkok thailändische Menschenrechtsorganisationen ein »Seminar« unter Beteiligung von Gästen aus dem ASEAN-Ländern mit dem Titel „Southeast Asian NGOs Forum on Human Rights and Development“, wo auch die Themen Osttimor und Burma behandelt wurden.

Notwendigkeit der Öffnung und Zusammenarbeit

Südostasien als wirtschaftliche Wachstumsregion völlig im Einklang mit der bestehenden (kapitalistischen) Weltwirtschaftsordnung wird die bestehenden Konfliktpotentiale unter Kontrolle bekommen müssen, will es nicht seine wirtschaftlichen Erfolge aufs Spiel setzen. Nicht nur die Regelung von Konflikten und Wahrung von Sicherheit und Stabilität machen eine engere Zusammenarbeit untereinander notwendig, sondern vor allem auch das Wirtschaftssystem verlangt eine Öffnung der Grenzen für einen möglichst ungehinderten Waren und Kapitalverkehr. Die Regierungen der Staaten werden stückweise Teile ihrer nationalen Souveränität zu Gunsten einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit abgeben und gleichzeitig versuchen, für sich dabei die möglichst günstigsten Bedingungen herauszuschlagen. Ob diese Zusammenarbeit der breiten Bevölkerung mehr Nutzen als Schaden bringt, ist noch nicht abzusehen.

Steigerung der Rüstungshaushalte 1989-1993
Malaysia + 67%
Indien + 60%
Singapur + 53%
VR China + 49%
Südkorea + 40%
Nordkorea + 39%
Japan + 30%
Vietnam + 25%
zum Vergleich: USA – 21%
Quelle: Asian Defence Journal 6/94, nach:
BUKO – Kampagne »Stoppt den Rüstungsexport«: Schattenseiten Südostasiens.
Rüstung und Militarisierung der ASEAN-Länder. August 1994. (Auszüge)

Der Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen aus »südostasien informationen«, Nr. 3, Jg. 10, September 1994.

Anmerkungen

1) Als Dialogpartner waren die USA, Australien, Kanada, Neuseeland, die Europäische Union (vertreten durch den deutschen Außenminister Kinkel), Südkorea und Japan anwesend. Als Gäste geladen waren die VR China, Rußland, Vietnam, Laos und Papua Neuguinea. Zurück

2) Offizielles Gründungsjahr ist 1967. Zurück

3) Vgl. u.a. Schwerpunktheft Südostasien Informationen Nr. 4/1985 »Regionale Konflikte in Südostasien«. Zurück

4) Vgl. auch R. Kahrs, Waffen für ein Vakuum. Deutsche Rüstungsexportinteressen in Fernost, in: südostasien informationen (SOAI), 4/93, S.4-7. Zurück

5) Vgl. Regina von Reuben, Thailands Elektrizitätswerk rüstet zum Wasserkrieg, in: SOAI , 2/94, S.35-38. Zurück

6) Vgl. u.a. R. Werning, Zwischen Autonomie und Sezession: die Moros in den Südphilippinen, SOAI 4/85, S.50ff. Zurück

7) Vgl. W. Pfennig, ASEAN: Durch regionale Zusammenarbeit zu mehr Sicherheit und besserer Entwicklung? in: R. Dürr/R. Hanisch (Hrsg.), Südostasien – Tradition und Gegenwart, Braunschweig 1986, S.114ff; K.-A. Pretzell, Der Weg der ASEAN, in: Südostasien Aktuell, März 1994, S.159ff. Zurück

8) Vgl. Peter M. Ungprakorn, Barriers must go – yours first, in: Bangkok Post Mid-Year Review 1994, 30.6.94, S. 20. Zurück

9) Vgl. SOAI, Nr. 1/94 S.48ff. Zurück

10) Vgl. SOAI, Nr. 1/94, S.42. Zurück

11) Vgl. Asiaweek (Honkong), 15.6.94, S.41ff. Zurück

12) Vgl. Far Eastern Economic Review (Hongkong), 2.6.94, S.20f. Zurück

13) Bonn ASEAN Committe Newsletter, No. 38, 1994, S.8f. Zurück

14) Vgl. Bangkok Post (weekly oversea edition), 17.6.94. Zurück

15) Vgl. Far Eastern Economic Review (Hongkong), 30.6.1994, S. 29. Zurück

Peter Franke ist Mitarbeiter der Südostasien Informationsstelle und verantwortlicher Redakteur von »südostasien informationen«.

Das Spiel mit der Angst um Arbeitsplätze

Das Spiel mit der Angst um Arbeitsplätze

Rüstungsoffensive statt Rüstungskonversion im Vereinigten Deutschland*

von Hendrik Bullens

Damit im folgenden keine Mißverständnisse entstehen, das Wichtigste und Nichtselbstverständliche zuerst: Die Blockkonfrontation und die jahrzehntelang drohende Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung gehören weitgehend der Vergangenheit an. Die NVA wurde aufgelöst, die reale Friedensstärke der Bundeswehr wird bald bei 340.000 Mann liegen, und nach dem KSE-Vertrag hat Deutschland bis Ende 1995 10.000 Hauptwaffensysteme zu vernichten.

Wer aber die Erwartung hatte, daß sich mit dem Ende des Kalten Krieges hierzulande die Rüstungsdynamik dauerhaft umkehren würde, sieht sich heute getäuscht: Verglichen mit dem Abrüstungs- und Demilitarisierungsprozeß in den ehemaligen Warschauer Paktstaaten sind die entsprechenden Leistungen der einzelnen NATO-Länder eher bescheiden geblieben; gleichwohl werden sie maßlos übertrieben – gerade was die Folgen für Deutschland betrifft.

Schenkt man den Tagesmeldungen Glauben, so muß der Eindruck entstehen, daß eine rigorose materielle und fiskalische Abrüstung die nationale Rüstungsindustrie um ihre Existenz, die Bundeswehr an den Rand ihrer Verteidigungsfähigkeit und die Bundesrepublik um ihre bündnispolitische Glaubwürdigkeit zu bringen droht. In Wirklichkeit jedoch ist eine über die Vorgaben der VKSE und der Moskauer Vereinbarungen zur deutschen Vereinigung hinausgehende strukturelle Abrüstung nicht in Sicht.

Vieles weist darauf hin, daß Deutschland im Windschatten der Ost-West-Entspannung und trotz wachsender Nord-Süd-Instabilität seitdem in einen neuartigen Rüstungswettlauf eingestiegen ist: in ein hochtechnologisch-wirtschaftliches Wettrüsten, das, anders als früher, nicht mehr vom Streben nach militärischer Überrundung des großen Gegners Ost, sondern jetzt von der Konkurrenz zwischen den NATO-Ländern um Marktanteile und Systemführerschaft vorangetrieben wird. Entsprechend geht es nach einer Phase der Umstrukturierung spätestens seit 1993 um eine breit angelegte Rüstungsoffensive, die sowohl eine Konsolidierung der nationalen rüstungsindustriellen Basis und neue Finanzierungsstrategien für neue Rüstung als auch die internationale Verflechtung und die Rüstungsausfuhren umfaßt1. (…)

Die deutsche Rüstungsindustrie vor dem Aus?

Um in der Öffentlichkeit die Akzeptanz für Ziele dieser Kampagne zu erhöhen und mögliche Bedenken bei den politischen Entscheidungsträgern zu zerstreuen, werden von Seiten der Industrie und Regierungskoalition, sowie von einer politikberatenden Wissenschaftslobby unter anderem die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Abrüstung zunehmend ausgespielt: Ein enormer Auftragsrückgang, Know-how-Verlust, Kapazitäts- und Arbeitsplatzabbau in der Rüstungsindustrie bedrohe nicht bloß sie, sondern den Wirtschaftsstandort Deutschland überhaupt.

Nach dem Bekanntwerden des Haushaltsentwurfs '94 mit einem BmVg-Budget von 48,6 Mrd. DM und einem investiven Anteil von 21,46% gab z.B. die Deutsche Aerospace (DASA) im September '93 bekannt, bis Ende 1996 16.000 von rund 80.000 Arbeitsplätzen abzubauen und mindestens fünf deutsche Werke zu schließen. Keine leere Drohung, aber daß es sich dabei weniger um den Rüstungssektor als vor allem um den krisengeschüttelten zivilen Airbusbereich handelte, ging in der panikartigen Diskussion meist unter. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vom 6./7. November '93 sah BDLI-Präsident Piller bei dieser Entwicklung in 1995 nur noch 10-20% der Rüstungsfertigungskapazitäten von 1990 vorhanden und unterstrich, worauf es in dieser schweren Stunde ankäme: Ohne Änderung der Rüstungsexportpolitik „… wird es die deutsche Wehrtechnik schon bald nicht mehr geben“. Zugleich erteilte er der Umstellung von militärischer auf zivile Produktion eine definitive Absage: „… Konversion ist für mich ein Schlagwort, das sich in der Realität nicht durchsetzen läßt“ (ebd.).

Laut Bonner „Institut für Strategische Studien“ 2, wurden die 280.000 Arbeitsplätze „(…) in (sic!) der deutschen wehrtechnischen Industrie“ schon vor 1994 um 100.000 abgebaut; bis Ende 1994 würde die Beschäftigtenzahl um weitere 40.000 bis 60.000 auf 140.000 oder weniger gesunken sein – also mindestens eine Halbierung innerhalb von vier Jahren. Deshalb seien 70 Prozent aller wehrindustriellen Standorte von Schließung bedroht, und „… viele der wehrtechnischen Fähigkeiten werden unwiederbringlich verloren sein; eine nationale Aufwuchsfähigkeit, Rekonstitution der wehrtechnischen Industrie (Fähigkeit zur raschen Erhöhung laufender Produktion einschließlich der Beschaffung von Neuentwicklungen; d.V.) wird dann nicht mehr gegeben sein“ (ebd.). Vom Staatssekretär beim Bundesverteidigungsministerium, Jörg Schönbohm, wurden die Abbauzahlen noch überboten: „Durch den Rückgang der Bundeswehraufträge seit 1991 hat ein Schrumpfungsprozeß eingesetzt, dem bis Ende 1993 ca. 140.000 (…) Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sind;“ zusammen mit den bereits genannten 40.000 bis 60.000 zusätzlich bedrohten Arbeitsplätzen kam er so auf ein Beschäftigungsminus von 200.000 bis Ende 19953. Dem Vorsitzenden der CDU/CSU Arbeitsgruppe Außenpolitik im Bundestag, Karl Lamers, blieb schließlich die Ehre, den Vogel abzuschießen: 280.000 Arbeitsplätze wären in den vergangenen vier Jahren verloren gegangen (so die entsprechende Pressemeldung4) – demnach gäbe es die deutsche Rüstungsindustrie bereits heute nicht mehr.

Eine derartige Dosis an Drohung und Desinformation verfehlte ihre Wirkung freilich nicht; die bevorstehende Änderung der Außenwirtschaftsbestimmungen zur Lockerung der Rüstungs- und Dual-use-Exportkontrollen5, die entsprechenden Bundestagsdebatten, die mittelfristige Finanzplanung sowie die Haushalts- und Strukturplanungen des BmVg belegen, daß die Rüstungsoffensive heute kurz vor ihrem Ziel steht.

Rüstungsausgaben und verteidigungsinvestive Ausgaben

Das vorliegende Datenmaterial bietet Anlaß, einige Desinformationen und Halbwahrheiten zu korrigieren, die sich mittlerweile – und kaum widersprochen – auch im parlamentarischen Raum festgesetzt haben: Die nachfolgende Tabelle 1 bietet einen Überblick über die zum Zeitpunkt der Vorlage des Regierungsentwurfs Haushalt '94 (Juli 1993) gültigen Sollwerte für das BmVg-Budget 1993 und die Planungen bis 1997. Dabei werden die verteidigungsinvestiven Ausgaben (neben den Betriebsausgaben die zweite Hauptgruppe im Einzelplan 14, dem Haushalt des BmVg) von den Rüstungsausgaben unterschieden: Zwar wird in den Medien fast immer Bezug genommen auf die investiven Ausgaben, maßgebend sind jedoch die Rüstungsausgaben. Letztere sind nicht nur anders zusammengesetzt, sondern auch höher; im Verteidigungshaushalt werden sie nicht als solche ausgewiesen, sondern müssen eigens berechnet werden. Zählt man korrekterweise die in den verteidigungsinvestiven Ausgaben enthaltenen Bau- und Infrastrukturinvestitionen nicht mit und rechnet dafür die Mittel für wehrtechnische Materialerhaltung (v.a. Instandsetzung, Ersatzteile, Kampfwerterhaltung und Kampfwertsteigerung) aus der Gruppe der Betriebsausgaben dazu, dann ergibt sich daraus die rüstungsindustriell relevante Größe, die eigentlichen Rüstungsausgaben: Forschung-Entwicklung-Erprobung (F&E), Beschaffungen sowie Materialerhaltung und Betrieb. Diese Einzelposten sind in der Tabelle 1 ebenfalls aufgeführt.

Rückgang der Rüstungsausgaben (Inlandsnachfrage) seit 1989

Unter den Titelgruppen F&E, Beschaffungen und Materialerhaltung/Betrieb fallen im wesentlichen die Aufwendungen für Kampf-, Luft- und Seefahrzeuge, Waffen und Munition, militärische Pkw und Lkw und sonstiges wehrtechnisches Gerät wie Pioniermaterial oder militärische Nachrichtentechnik; andere Betriebsausgaben wie z.B. für Bewirtschaftung und Betriebsstoffe (1993 knapp 8 Mrd. DM) sind hier nicht enthalten. Sieht man der Einfachheit halber von bestimmten Feinkorrekturen ab9, dann bestimmt die so berechnete Inlandsnachfrage nach »harten« Wehrgütern die Auftragslage und Beschäftigungswirkung in der wehrtechnischen Industrie – freilich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung oder Schwankungen in der Abrechnung und ohne Berücksichtigung der Rüstungsexporte.

Vergleicht man nun die Ist-Rüstungsausgaben von 1989 in Höhe von 19,26 Mrd. DM10 mit den voraussichtlichen Aufwendungen für 1993 bis 1997 nach Tabelle 1 dann ergeben sich daraus die folgenden Veränderungen (Tab. 2):

Wie ersichtlich

  • beträgt die tatsächliche Abnahme der Rüstungsausgaben bis Ende 1993 (verfügbares Soll) verglichen mit den Ausgaben des Jahres 1989 demnach höchstens 25,9%: also ein gutes Viertel innerhalb von vier Jahren – nicht weniger, aber auch nicht mehr;
  • liegt der voraussichtliche Rückgang in 1994 knapp unter und 1995 knapp über einem Drittel; dann ist die Talsohle durchschritten, und ab 1996 soll es – insbesondere mit den Beschaffungen – wieder aufwärts gehen;
  • wird sich das Niveau der Rüstungsausgaben 1997, acht Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, auf zwei Drittel des Standes von 1989 eingependelt haben – Tendenz steigend.

Das bedeutet zum einen, daß davon abweichende Hinweise – etwa auf den größeren Rückgang bei Neubeschaffungen bis zu 60% und angeblich noch mehr bei den Fertigungskapazitäten – zwar partiell zutreffen können, aber dennoch das Gesamtbild tendenziös verzerren. Zum anderen ist den vorliegenden Zahlen zu entnehmen, daß die Abwärtsbewegung ab 1993 von vorübergehender, relativ kurzer Dauer sein wird – und keineswegs, wie oft suggeriert, einen sich fortsetzenden Trend signalisiert.

Beispielsweise hat deshalb auch der Rückgang der investiven Ausgaben auf 10,05 Mrd. DM bis 1995 nicht jenen dramatischen Effekt, wie der vielzitierte, dann auf 21,15% gesunkene Wert (Anteil am EPl 14-Plafond) suggerieren soll. So zeigt ein Vergleich mit Tabelle 1 erstens, daß der Rüstungsanteil am BmVg-Budget 1995 knapp 26% beträgt, um 1997 wieder auf fast 27% anzusteigen; und zweitens, daß die Rüstungsausgaben im Zeitraum 1994 – 1997 durchschnittlich um rund 2,5 Mrd. DM über dem Niveau der investiven Ausgaben liegen. Personaleinsparungen (wie z.B. die Anfang 1994 beschlossene Verkleinerung der Bundeswehr auf 340.000 Mann11) sollen u.a. zugunsten der Rüstungsausgaben umgeschichtet werden, so daß diese 1996 bei rund 14 Mrd. DM liegen werden. Der gerade vorgelegte Finanzplan sieht für das Jahr 2000 eine Steigerung des investiven Anteils auf 30% vor – rund 15 Mrd. DM.

Ausmaß der verringerten wehrtechnischen Kapazitäten seit 1989

Ohne Zweifel sind existenzbedrohende Konsequenzen für einzelne hochgradig rüstungsabhängige und überdurchschnittlich betroffene Betriebe oder v.a. für Zulieferer durchaus denkbar oder bereits eingetroffen. Aber daß sie für den gesamten wehrtechnischen Sektor gelten sollen, ist nach der Datenlage nicht nachvollziehbar; auch treffen sie für die großen Systemführer nicht zu. Wohlgemerkt ist hier nur die Inlandsnachfrage berücksichtigt, während das zweite Auftragsstandbein, die Rüstungs- und Dual-use-Exporte, sogar noch außer Betracht blieb: fast 40 Mrd. DM in 1993, davon 13 Mrd. für reine Rüstung.

Umfang des Arbeitsplatzabbaus in der Wehrtechnik seit 1988/89

Geht man, wie üblich, gemäß der Input-Output-Analyse des Ifo-Instituts von 1991 für das Basisjahr 198812 (eine aktuellere Untersuchung liegt nicht vor) von einer Beschäftigungswirkung durch die Bundeswehrnachfrage nach »harten Wehrgütern« in Höhe von 163.000 Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie aus (nicht von 280.000, wie fälschlicherweise meist zu lesen ist, denn diese Zahl enthält die nicht tangierten Export- und Einkommensmultiplikator-Effekte!), so ergibt sich aus der seitdem erfolgten Abnahme der Rüstungsinlandsnachfrage zunächst ein rechnerischer Stellenabbau in einer Größenordnung von 48.000 (Ende 1993) bis 56.000 (1997). Wegen des Einflusses zusätzlicher Faktoren kann das Beschäftigungs-Minus zwar etwas höher ausfallen; jedoch scheinen Angaben zwischen 100.000 und 200.000 aus den genannten Gründen erheblich zu hoch angesetzt13. Das schließt freilich nicht aus, daß ein Arbeitsplatzabbau über 48.000 bis 56.000 hinaus dennoch stattgefunden haben könnte oder noch stattfinden wird. Aber dies wäre dann nicht die Folge der gesunkenen Bundeswehrnachfrage, sondern von anderen, ohnehin seit längerem erfolgenden Rationalisierungs-, Umstrukturierungs- und Verlagerungsmaßnahmen in Rüstungsunternehmen – oder auch von Auftragseinbrüchen in ihren zivilen Bereichen, falls das daraus entstandene Beschäftigungsminus unerlaubterweise zum Teil mitgerechnet wurde.

Solange seriöse und detailliert das Gegenteil belegende Untersuchungen nicht vorgelegt werden – Verweise auf »Hochrechnungen des BDI« sind dazu nicht ausreichend –, gibt es daher allen Grund, davon auszugehen, daß es sich bei den erwähnten Atrophiewerten eher um Zweckbehauptungen denn um nachprüfbare Fakten handelt. Daß sie fast widerspruchslos Eingang in die Parlamentsdebatten gefunden haben, ist mehr als bedenklich; und daß sie unlängst vom BmVg-Staatssekretär Schönbohm14 mit Dank an die „… verantwortlichen Industriellen“ für den „… nahezu geräuschlosen Arbeitsplatzabbau“ (sic!) willig wiederholt wurden, macht die Angelegenheit peinlich dazu. Als politische Orientierungsdaten sind solche dubiosen Meldungen jedenfalls irreführend und ungeeignet. Folglich besteht ein wichtiger Klärungs- und Forschungsbedarf, zumal es hier um politische Entscheidungen von großer Tragweite geht.

Gesunkene Rüstungsausgaben ohne Rüstungskonversion

Es waren kaum sicherheitspolitische Neukonzeptionen und noch weniger friedenspolitische Erwägungen als vielmehr die finanziellen Zwänge, die zu den Kürzungen des Verteidigungshaushalts führten. Zwar war die Verkleinerung der neuen Bundeswehr auf 370.000 Mann der in Moskau ausgehandelte Preis für die staatliche Vereinigung und Wiedererlangung der vollen Souveränität; aber unter den veränderten Bedingungen (Kosten der Einheit, Wirtschaftskrise, öffentlicher Schuldenberg) wäre die alte Friedensstärke ohnehin nicht mehr finanzierbar gewesen – ebensowenig wie neue Rüstung in früherem Umfang (Kostenexplosion bei F&E und Beschaffungen in den 80er Jahren). In Wirklichkeit geriet das BmVg in den Sog vom schlingernden Sparkurs des Bundeshaushalts, wobei die leicht zu kappenden Teile der investiven Ausgaben als erste über Bord gingen.

Komplementär dazu gab es auf der (regierungs-)politischen Ebene weder dezidiert friedensökonomische Orientierungen, geschweige denn ein flankierendes Konversionskonzept für die Rüstungsindustrie. Folglich ist die bescheidene fiskalische Friedensdividende unwiederbringlich in dem milliardenhohen Budgetdefizit des Bundes versickert. Kaum eine Mark oder sonstige Hilfe ist der Umstellung von deutschen Rüstungsbetrieben auf zivile Produktion zugute gekommen. Damit fehlten von Anfang an wichtige Impulse, die den Anpassungsprozeß – im Zusammenspiel mit Initiativen der Unternehmen selber – in eine andere Richtung als die eingeschlagene hätten lotsen können. Vielmehr bewirkte der (fehlende) politische Rahmen, daß die Rüstungsunternehmen sich gleichsam für ein spiegelbildliches Verhalten entschieden – aus ihrer Sicht verständlich.

Dementsprechend bauten einige Unternehmen ihre Rüstungskapazitäten ersatzlos ab oder »parkten« sie auf dem Entsorgungsgleis; aber das ist keine Konversion. Andere schafften es, durch Diversifikation und Firmenzukauf den zivilen Umsatzanteil zu steigern, während das Rüstungsgeschäft entweder abgestoßen wurde oder der Rüstungsumsatz in absoluten Zahlen teilweise gleichblieb oder sogar noch zunahm: Das ist Pseudo-Konversion. Sogar die wenigen Vorzeigeprojekte sind tot oder werden gerade zu Grabe getragen: Das Mini-Konversionsprojekt PUR (MBB) wurde bereits 1991 von der DASA für beendet erklärt, und das größere Konversionsunternehmen Mainz Industrie Technologie MIT (früher Mainzer Panzerwerke) mußte im vergangenen Juli Konkurs anmelden.

Zugleich machen der Verlauf von Bundes-, BmVg-Haushalt und Bundeswehrplanung verständlich, warum die Rüstungsindustrie die Abspeckung in den zurückliegenden Jahren zwar beklagte, aber anfänglich noch zweckoptimistisch hinnehmen konnte. Obwohl die bevorstehende Kürzung der Rüstungsorder um ein Drittel schon seit 1990 bekannt war, fiel es bezeichnenderweise damals keinem Management ein, darin ein »Ende« der deutschen Wehrtechnik zu sehen; sehr bald zeichnete sich der neue Rüstungsbedarf für die Krisenreaktionskräfte und die Modernisierung der Hauptverteidigungskräfte ab, und auch der europäisch-asiatische Rüstungsmarkt war neu zu bedienen. Aber nachdem spätestens seit 1992/93 klar wurde, daß noch mehrere magere Jahre bevorstehen – zumindest was die mittelfristige Bundeswehrnachfrage betrifft –, war dies das Fanal für einen offensiven Strategiewechsel. Beide Entwicklungen haben dazu geführt, daß die industrielle Rüstungskonversion in Deutschland, von spärlichen Ausnahmen und einzelnen Spin-off-Produkten abgesehen, bis heute auf der Strecke geblieben ist. Das ist ohne Illusion zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn es bitter sein mag.

Trotzdem wäre es falsch zu sagen, daß die Rüstungskonversion gescheitert sei: Richtig ist vielmehr, daß sie hierzulande im großen und ganzen nie wirklich versucht wurde – und darin liegt nach wie vor eine Chance. Wann kommt die neue Konversionsoffensive?

Tabelle 1: Geplante Rüstungs- und
investive Ausgaben 1993-1997
1993 1994 1995 1996 1997
Haushalt Verfügb. Soll6 Entwurf EPl 147 BmVg- Anmeldung zum 27sten Finanzplan8 + +
Einzelplan 14* 49,28 48,60 47,50 47,50 47,50
davon für + + + + +
Materialerhaltung 4,60 4,64 4,4** 4,3** 4,2**
F&E,Erprobung 2,34 2,56 2,46 2,50 2,45
Beschaffungen 6,97 5,75 5,42 5,79 6,12
Golftitel (EPl 60) 0,36 0,29
Rüstungsausgaben 14,27 13,24 12,28 12,59 12,77
Investive Ausgaben 11,5*** 10,43 10,05 10,52 11,10
– Anteil/Plafond, 23,4%***, 21,46%, 21,15%, 22,15%, 23,37%
(Erläuterung: Stand Ende 1993. Angaben in Mrd. DM; eigene Zusammenstellung. Ursprünglich waren im Haushalt '93 für Rüstungsausgaben 14,87 Mrd. DM vorgesehen; beim schließlich verfügbaren Soll des Nachtragshaushalts '93 – 50,15 Mrd. DM minus 300
Mio. DM für Föderales Konsolidierungsprogramm minus 563 Mio. DM globale Minderausgabe 150; ist die Kürzung einzelner Rüstungsposten bereits berücksichtigt. Nicht berücksichtigt ist die einmalige Kürzung des Haushalts '94 um 1,24 Mrd. DM beim Jahreswechsel 93/94, welche die Rüstungsausgaben jedoch kaum berührt, da sie aus anderen Titelgruppen zu erwirtschaften ist.
* Plafond ohne Personalverstärkungsmittel
** schriftl. Mitteilung des BmVg vom 10.1.1994
*** geschätzter Wert unter Berücksichtigung des Nachtragshaushalts '93; ursprünglich
waren im Haushalt '93 für investive Ausgaben 12,14 Mrd. DM vorgesehen)
Tabelle 2: Veränderungen Rüstungsausgaben 1993-1997
im Vergleich zu 1989 (19,26 Mrd. DM)
1993 1994 1995 1996 1997
Haushalt + Soll-Ansätze + +
Rüstungsausgaben gesamt in Mrd. DM 14,27 13,24 12,28 12,59 12,77
Rüstungsanteil am BMVg-Budget EPl 14 in Prozent 28,9% 27,3% 25,8% 26,6% 26,9%
Rückgang Rüstungsausgaben seit 1989 in Mrd. DM -4,99 -6,02 -6,98 -6,67 -6,49
Rückgang Rüstungsausgaben seit 1989 in Prozent -25,9% -31,2% -36,2% -34,6% -33,6%
(Erläuterung: Stand Ende '93. Quellen: Tab.1,
Fußn. 10; eigene Zusammenstellung)

Anmerkungen

*) Der Beitrag ist ein Kapitel aus der Studie „COPING WITH CUTS AND CONVERSION – PUBLIC POLICY AND STRATEGIES OF GERMAN ARMS MANUFACTURERS“, die bei der UNO-VR China Conference on International Cooperation to Promote Conversion from Military to Civilian Industry, im Juli 1993 in Hongkong vorgestellt wurde. Für W&F wurde es stark gekürzt und auf dem Stand Juli 1994 überarbeitet; die vollständige Fassung ist beim Autor erhältlich. Zurück

1) Bullens, H.: Rüstungsausgaben, Rüstungsplanung und Rüstungsindustrie im vereinigten Deutschland. München-Augsburg: SISYFOS-Institut, 1994. Dort finden sich auch Quellenangaben für alle Daten, die in der vorliegenden gekürzten Fassung nicht eigens belegt werden. Zurück

2) Mey, H.H.: Die Zukunft der deutschen wehrtechnischen Industrie. IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Bonn, Nr. 19/20 vom 27 Oktober 1993, S. 2-3. Zurück

3) Schönbohm, J.: Neue Herausforderungen an die deutschen Streitkräfte und Schlußfolgerungen für die Ausrüstungsplanung der Bundeswehr. Jahrestagung DWT am 12. April 1994, Bonn, S. 17 Zurück

4) Union will Rüstungsexporte erleichtern. Süddeutsche Zeitung vom 23.11.93 Zurück

5) Bullens, H.: Rüstungs- und Dual-use-Exporte aus Deutschland – Probleme und Umfang. Stellungnahme bei der Sachverständigenanhörung im Ausschuß für Wirtschaft des Deutschen Bundestags zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes am 18 Mai 1994, Bonn, Ausschußdrucksache 635/12; gekürzte Fassung in Wissenschaft & Frieden, Nr. 2/1994 Zurück

6) Wehrdienst 8. März 1993, Nr. 10/93 und 15. März 1993, Nr. 11/93 Zurück

7) Bundesministerium der Verteidigung BmVg: Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts 1994. Bonn, 23. August 1993, S. 15 Zurück

8) Wehrdienst 5.Juli 1993, Nr. 27/93, S.2, spezifiziert nur die investiven Ausgaben bis '97 und enthält keine Angaben für Materialerhaltung; diese wurden beim BmVg schriftlich eingeholt. Zurück

9) Ein geringer Teil der Aufwendungen für Beschaffungen entfällt auf Ankäufe aus dem Ausland (1988: ca 1 Mrd. DM) sowie auf militärische Bekleidung etc. (1988: ca. 0,5 Mrd. DM); insgesamt liegt er über die Jahre konstant unter 10<0> <>% (vgl. Ifo 1991, S. 55ff., S.76ff.). Zu addieren wären die Rüstungsausgaben für Bundesgrenzschutz und Polizei. Zurück

10) Da das BmVg sich nach schriftlicher Anfrage zu einer Mitteilung über die spezifizierten, tatsächlichen Rüstungsausgaben zwischen 1988 und 1993 außerstande sah, wurden hilfsweise die im Wehrdienst 11/1994 (S.2) genannten Gesamt-Ist-Ausgaben für 1989 in Höhe von 19,26 Mrd. DM eingesetzt. Diese Zahl ersetzt die in einer früheren Veröffentlichung verwendeten Soll-Ausgaben nach Wellmann, C. (in Jahrbuch Frieden 1990, München: Beck, S. 132) – und erklärt die geringe Abweichung. Zurück

11) Bundesministerium der Verteidigung: Konzeptuelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr; erlassen in Bonn am 12. Juli 1994. In: BmVg (Hg), Reader Sicherheitspolitik VIII, Bonn, S. 24 Zurück

12) Berger et.al., Ifo (Hrg.): Produktion von Wehrgütern in der BRD, 1991, S. 79ff. Nach Abzug der Umsatzsteuer und unter Einbeziehung anderer Korrekturen entspricht das hier verwendete Auftragsvolumen von 19,26 Mrd. DM (1989) in etwa dem in der Ifo-Studie errechneten Netto-Inputwert von 14,2 Mrd. DM für die Inlandsnachfrage (1988) (ebd. S.69). Nach Wellmann (s. Fußn. 10) betrugen die Brutto-Rüstungsausgaben im Jahre 1988 19,08 Mrd. DM. Von diesem Vergleichsjahr ausgehend, wären die Rückgänge in Tabelle 2 demnach sogar leicht geringer. Zurück

13) Unabhängig davon muß auch die Richtigkeit der in der Ifo-Studie (Berger et.al. 1991 a.a.O., S. 84) errechneten Grundzahl von 280.000 Arbeitsplätzen für das Basisjahr 1988 bezweifelt werden und wird an anderer Stelle der Gesamtstudie begründet. Zurück

14) Schönbohm, J., 1994, a.a.O. ebd. Zurück

Hendrik Bullens, Dr.phil., Drs.oec., Leiter der Forschungsstelle Konversion und Friedenswissenschaften, Universität Augsburg, und des SISYFOS-Instituts, München-Augsburg. Anschrift: Bavariaring 43, 80336 München, Tel+Fax (+49) 089 7470477