Kriegsführung mit Drohnen

Kriegsführung mit Drohnen

von Loring Wirbel

Im März 2010 berichtete Ronald Arkin vom Georgia Institute of Technology der Zeitschrift The Economist, seine Forschungsgruppe arbeite an der Software »Ethical Architecture« zur Steuerung unbemannter Flugkörper (Unpiloted Aerial Vehicles/UAVs, das sind so genannte Drohnen). Mit dem Programm sollen Drohnen in die Lage versetzt werden, während des Flugs unter ethischen Kriterien über einen bewaffneten Angriff zu entscheiden. Das scheint zunächst makaber, zeigt aber ein Bewusstsein für die ethischen Probleme, die durch Drohnenangriffe auf Menschen aufgeworfen werden, das die Regierung unter Barack Obama seit ihrem Amtsantritt im Januar 2009 vermissen ließ.

Am 14. Mai 2010 enthüllte die New York Times, dass die US-Regierung den radikalen Prediger Anwar al-Awlaki, der in den USA zur Welt kam, gezielt zum »Tod durch Drohne« freigegeben hat. Der US-Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) wurde zwar in den 1970er und 1980er Jahren durchweg für Mordversuche an Staatsführern wie Fidel Castro (Kuba) und Patrice Lumumba (Kongo) kritisiert, dennoch nimmt die CIA im Rahmen der Drohnenkriegsführung nach wie vor Personen ins Visier. Es ist absurd: Der US-Nachrichtendienst National Security Agency (NSA) darf die elektronische Kommunikation eines Verdächtigen erst nach einem aufwendigen Genehmigungsprozess abhören. Wenn die CIA einen Verdächtigen aber mit einer Drohne umbringen will, braucht sie dafür lediglich ein Genehmigungsverfahren des Nationalen Sicherheitsrates der USA.

Wie kam es, dass die Vereinigten Staaten wieder auf die freizügigen CIA-Praktiken aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zurück griffen? Ein Grund ist wohl das Bestreben, in Irak und Afghanistan billig zu militärischen Erfolgen zu kommen. Ein weiterer Grund ist, dass im Pentagon und in den Geheimdiensten die Meinung vorherrscht, Drohnenangriffe verursachten weniger »Kollateralschäden« (getötete Zivilisten) als ausgedehnte Luftangriffe. Gekoppelt mit der relativ neuen Möglichkeit, robotische Flugkörper mit Hilfe von Mikroelektronik und weltraumgestützten Navigationssystemen zu steuern, führt dies fast zwangsläufig zur Aufwertung von Drohnen zum Kernelement der Kriegsführung.

Die Zuständigkeit für Drohnen bei bewaffneten Einsätzen ist nur schwer auszumachen, da das Verteidigungsministerium und die CIA inzwischen zur Genehmigung von bewaffneten Drohnenangriffen ein kompliziertes Verfahren auf drei Ebenen eingeführt haben. Einigermaßen transparent ist die Zuständigkeit der US-Luftwaffe für Dutzende von Drohnenflügen, die täglich über Konfliktzonen stattfinden. Dabei handelt es sich meist um unbewaffnete Aufklärungsflüge. Wenn der Einsatz Teil einer größeren, integrierten Offensive ist, kann die Luftwaffe auch bewaffnete Drohnenangriffe mit Hellfire-Raketen oder JDAM-Fliegerbomben anordnen. Allerdings wurde dem Pentagon schon bei den Angriffen auf Afghanistan im Oktober 2001 klar, dass es die traditionellen militärischen Einsatzregeln auf Grund der vielstufigen Befehlskette schwer machen, mit Drohnen auf Individuen zu zielen.

Ab 2002 leitete die CIA von ihren Basen in Djibouti und Katar aus viele bewaffnete Drohnenmissionen. Für die Geheimdienste war es einfacher, Flüge zum Ausschalten von islamistischen Kampfgruppen freizugeben, waren die Regeln für einen Raketeneinsatz doch weniger stringent, wenn die zuständige Behörde ihre Beteiligung an dem Einsatz gegenüber der Öffentlichkeit nicht zugab.

Seit aber Präsident Obama ins Weiße Haus einzog, ist sogar noch eine weitere Ebene der Drohnenzuständigkeit aufgetaucht, die es der nationalen Führung erlaubt, bestimmte Drohnenflüge einfach abzustreiten – diese Verschleierung der Befehlsgewalt bezeichnet die CIA gerne als »plausible Dementierbarkeit«. Nach Angaben des Journalisten Jeremy Scahill und etlicher anderer Quellen führt das Joint Special Operations Command (JSOC, streitkräfteübergreifendes Kommando für Sondereinsätze) unbestätigte bewaffnete Drohnenangriffe in Afghanistan, Pakistan und Irak durch. Diese Einsätze werden direkt von Blackwater durchgeführt (die Firma nennt sich inzwischen Xe), und zwar über die Tochtergesellschaften Blackwater Select Inc. und Total Intelligence Solutions Inc. Die Drohnen werden in Pakistan und Afghanistan von Basen gestartet, deren Existenz quer durch die militärischen Hierarchien abgeleugnet wird.

Seit CIA-Direktor Leon Panetta US-Präsident Obama im Februar 2009 neue Drohneneinsätze vorschlug, steigen die Zahlen von Drohnenangriffen und der dadurch verursachten Todesfälle von Zivilisten buchstäblich jeden Monat. Einige Analysten, denen das Potential von Drohnen erst in jüngerer Zeit bewusst wurde, nennen Obama inzwischen »Drohnenpräsident«. In Folge dessen stieg in den USA die Kritik an den Drohneneinsätzen, und sie geht sowohl von progressiven Gegnern des Kriegs als auch von konservativen Gegnern des Präsidenten aus. Aber gebührt Obama das zweifelhafte Verdienst, Erfinder der Drohnenkriegsführung zu sein? Ein kurzer Blick in die Geschichte unbemannter Flugkörper macht rasch klar, dass Drohnen bereits in der Amtszeit von Bill Clinton und George W. Bush jr. eine Rolle spielten. 2009/10 besteht der Unterschied darin, dass Obama Drohnen zu seiner »Waffe der Wahl« für Irak, Afghanistan und Pakistan gemacht hat.

Roboterplattformen und automatisierter Krieg

Drohnen werden von allen Staaten mit nennenswerten Streitkräften eingesetzt. Die allererste Variante eines unbemannten Flugkörpers war der Marschflugkörper V-1 der deutschen Wehrmacht, Drohnen wurden aber bis zum Vietnam-Krieg vor allem für die Schulung von Kampfpiloten genutzt. Bisweilen ergänzten sie auch die U2- und SR71-Spionageflüge über China und Vietnam. Als eine kostengünstige Alternative zu bemannten Flugzeugen gelten sie aber erst seit den 1990ern, als die Mikroelektronik so weit fortgeschritten war, dass leistungsfähige Radar-, Bildverarbeitungs- und Abhörelektronik auf Träger montiert werden konnten, die kleiner als ein kompakter Personenwagen waren.

Etwa zur selben Zeit war die Entwicklung »intelligenter Bomben« so weit fortgeschritten, dass es in den Bereich des Möglichen rückte, Hellfire-Raketen und JDAM-Fliegerbomben von unbemannten Plattformen abzufeuern, da sie nach dem Abschuss bis zu einem gewissen Maß zur intelligenten Zielfindung fähig waren. Als diese Technologien in den späten 1990er Jahren einsatzreif wurden, begann das Pentagon, die unterschiedliche Bestimmung der unbemannten Flugkörper bereits anhand der Namensgebung zu unterscheiden: die Serienbezeichnung RQ wurde für unbewaffnete Aufklärungsdrohnen gewählt, MQ für bewaffnete Angriffsdrohnen.

Routinemäßige Drohneneinsätze gab es zum ersten Mal bei den Bombenangriffen im Kosovo-Krieg, als US-Drohnen nach Taszar (Ungarn), Gjader (Albanien) und Tuzla (Bosnien) verlegt wurden, um Serbien mit einem Netz von Drohnen zu umgeben, die ständig auf Patrouille waren. Allerdings wurden diese unbemannten Flugkörper fast ausschließlich zur Aufklärung genutzt, da bewaffnete Drohnen erst im Jahr 2000 zur Verfügung standen.

Inzwischen reicht die Bandbreite verfügbarer Drohnen von handgestarteten Miniaturgeräten in der Größe einer Libelle bis zum Global Hawk, der etwa so groß wie ein Business Jet ist und pro Stück bis zu 60 Millionen US$ kostet. Drohnen finden sich in den Arsenalen von mehr als 40 Ländern, allerdings werden etwa 60% der Einsätze von den Vereinigten Staaten durchgeführt. Mit Drohnen werden weltweit inzwischen über fünf Milliarden US$ pro Jahr umgesetzt. Wurden 2003 über Irak, Afghanistan und Pakistan noch etwa 35.000 Flugstunden von US-Drohnen registriert, so wird für 2010 schon mit fast einer Milliarde Flugstunden gerechnet.

Als in den 1990er Jahren die ersten kleinen Drohnen aufkamen – darunter die Typen Hunter und Pioneer von TRW und QL-289 von Bombardier/Dornier –, waren noch keine autonomen Einsätze möglich, sondern die Steuerung erforderte eine erhebliche Mitwirkung von Piloten am Boden. Die zwei wichtigsten Plattformen aus den frühen Jahren der Afghanistan- und Irak-Kriege waren der in großen Höhen fliegende Global Hawk RQ-4, der von Northrop Grumman gebaut und ausschließlich zur Aufklärung eingesetzt wurde, sowie der tief fliegende Predator von General Atomics, der sich sowohl für RQ-Aufklärungseinsätze als auch für bewaffnete MQ-Einsätze eignet. Diese Systeme werden vom Boden aus von Piloten befehligt, deren Expertise mehr mit der eines erfahrenen Videospielers zu tun hat als mit der eines herkömmlichen Flugzeugpiloten. Die Schulungszentren, z.B. auf den Luftwaffenstützpunkten Creech (Nevada) und Holloman (New Mexico), ähneln Spielhallen – und tatsächlich streifen die Rekrutierungsbeauftragten der US-Luftwaffe und sogar der US-Armee seit dem Jahr 2000 auch durch Spielhallen, um zur Steuerung dieser Drohnen Teenager mit besonders flinker Auge-Hand-Koordination anzuheuern.

Als der Krieg gegen Ende des Jahrzehnts auf Pakistan übergriff, gab es von der bewaffneten Predator-Version bereits drei Generationen: den MQ-1 Predator A, den MQ-9 Predator B (auch Reaper genannt, = Sensenmann) sowie den Prototypen von Predator C (Avenger, = Rächer). Für einen bewaffneten Drohneneinsatz werden auf dem Boden bis zu 30 Kräfte gebraucht, und selbst für eine Aufklärungsdrohne noch bis zu 20. Die Zielsoftware für solche Systeme wurde ursprünglich mit dem Joystick von einem Laptop aus bedient, inzwischen gibt es auch schon Touchscreen-Ausführungen für kleine Endgeräte, z.B. für das iPhone. Das Training muss allerdings weiterhin von militärischen Spezialkräften durchgeführt werden, die mit GPS-gestützten Navigationswerkzeugen umgehen können, weshalb bei Einsätzen, die ausschließlich mit Drohnen arbeiten, auf einen »space cadre« (Weltraum-Kader) nicht verzichtet werden kann, also auf Experten, die mit militärischer Weltraumtechnologie vertraut sind.

Die gezielte Mitwirkung der Firma General Atomic an CIA-Einsätzen begann mit der Aufklärungsdrohne Gnat (Moskito), die von den ersten CIA-Teams genutzt wurde, als sie als Reaktion auf die Attentate vom 9. September begannen, in Afghanistan einzusickern. Am 7. Oktober 2001, also dem ersten Tag der Luftangriffe der »Allianz der Willigen« auf Afghanistan, konnte der Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar dem CIA beim ersten Versuch, ihn zu töten, entkommen, weil die Erteilung der Abschussgenehmigung durch die Befehlshierarchie des Pentagon verzögert wurde. Daraufhin verlangte die CIA für ihre Einsätze weniger strikte Regeln. Am 15. November 2001 wurde bei einem gezielten Tötungseinsatz eines Predator Mohammed Atef getötet; im November 2002 meldete die CIA nach einem bewaffneten Großangriff mit Drohnen auf al Kaida Erfolg.

Als vor der Invasion in den Irak im Zuge des regionalen Truppenaufbaus neue CIA-Basen in Djibouti und Katar eingerichtet wurden, bekam die CIA ihre eigenen Predator-Drohnen, die getrennt von denen des Pentagon abgerechnet und inventarisiert wurden. Diese Aufrüstung wirft die Frage der Rechenschaftspflicht bei solchen Angriffen auf. Am 3. November 2002 beispielsweise wurde von der CIA-Basis in Djibouti ein Predator gestartet, der im Jemen eine Hellfire-Rakete auf ein Auto abfeuerte und alle sechs der al Kaida zugerechneten Insassen tötete. Die Regierung Bush behauptete, die CIA habe vor dem Abschuss der Hellfire keine Identitätsüberprüfung angefordert. Da sowohl die Bedeutung des Jemen als auch die der CIA-Basis in Djibouti in den Jahren 2009-10 erheblich zugenommen hat, ist die Frage angebracht, wo wohl die Verantwortung für künftige Angriffe liegen mag, die auf jemenitischem Hoheitsgebiet stattfinden.

Drohnen als Jäger und Killer

Während sich der erste Predator für den zielbestimmten Angriff eignete, handelt es sich beim neueren Predator B Reaper um den ersten so genannten »hunter-killer« (Jäger-Killer). Er kann zunächst im Aufklärungsmodus über einem Bereich kreisen und dann in den Angriffsmodus umschalten. Der neun Meter lange Reaper fliegt 400 km/h, überträgt bis zu zehn Echtzeit-Videobilder pro Sekunde und ist mit bis zu 14 Raketen und zwei 1.000 kg-Fliegerbomben bewaffnet. Die Bewaffnung geht dabei nicht zu Lasten der Aufklärungsmöglichkeit. Der Reaper begann vor zwei Jahren die erste Predator-Generation zu ersetzen, und schon 2009 bildete das Air Education and Training Command der US-Luftwaffe mehr Piloten für die bodengestützte Steuerung unbemannter Flugkörper aus, als für Einsätze mit herkömmlichen Flugzeugen.

Auch beim Einsatz von Kampfrobotern wie dem Predator spielen unbewaffnete Drohnen oder bodengestützte Elektronik bei der Zielfindung häufig eine wichtige Rolle. Den Global Hawk beispielsweise halten viele für ein reines Spionagesystem, da er in Höhen von 18.000 m oder mehr fliegt. Der Global Hawk kann aber durchaus Ziele erkunden, die später von einem Predator angegriffen werden. Aus diesem Grund wird der Global Hawk auch in anderen Regionen stationiert, z.B. zur Überwachung Nordkoreas.

Ein neues Folgesystem, RQ-170 Sentinel (Wächter), das den Spitznamen Beast of Kandahar (Bestie von Kandahar) trägt, wurde von Lockheed Martin Advanced Development Programs entwickelt und nutzt wie der B2-Bomber die Tarnkappentechnologie; d.h. der Sentinel kann überhaupt nur vom neuesten High-Tech-Radar erfasst werden. Da die afghanischen Taliban keine und selbst die pakistanischen Militärs nur über einfache Radarsysteme verfügen, ist davon auszugehen, dass mit Sentinel vor allem der Einsatz von Drohnen im pakistanischen Luftraum vor dem pakistanischen Militär geheim gehalten werden soll. Hartnäckig halten sich außerdem Gerüchte, es sei auch eine bewaffnete MQ-Version des Sentinel entwickelt und sogar stationiert worden.

Deshalb kommt dem Joint Special Operations Command (JSOC) eine besondere Bedeutung zu. Der investigative Journalist Jeremy Scahill schrieb im Dezember 2009 in der Zeitschrift The Nation, dass das JSOC in der pakistanischen Stadt Karachi eine Außenstelle aufgebaut hat, deren Existenz von offiziellen Stellen nicht bestätigt wird und die ausschließlich mit Angestellten der Sicherheitsfirmen Blackwater Select und Total Intelligence Solutions Inc. betrieben wird. Die dort stationierten Teams beteiligen sich an so genannten »extraordinary renditions« (eine vom US-Gesetz nicht gedeckte Überstellung von Personen an andere Länder, die z.B. Verhöre unter Anwendung von Folter durchführen; die Übersetzerin) sowie an Drohnen-Bombardements im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Die Recherchen von Scahill deckten sich mit den Aussagen mehrerer Artikel in der New York Times. Diese berichtete im August 2009, dass Blackwater in der Vergangenheit eine »Eingreiftruppe« steuerte, die vom Büro des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney eingerichtet worden war. Später war die Truppe auch für Einsätze mit bewaffneten Drohnen zuständig – zusätzlich zu den Drohnen, die die CIA ohnehin im Arsenal hatte.

Die CIA startet aber auch selbst unbemannte Flugkörper in Pakistan und Afghanistan, und zwar von Shamsi und Dschalalabad aus. Allerdings gerieten sie damit in Pakistan zunehmend in die Kritik, insbesondere, seitdem US-Präsident Obama und CIA-Direktor Panetta im vergangenen Januar einer Ausweitung des Programms zustimmten. Seither haben JSOC und Blackwater einige Führungsposten übernommen und starten Drohnen unter eigener Regie, nutzen dazu aber spezielle JSOC-Standorte in oder dicht an Waziristan und anderen pakistanischen Grenzprovinzen.

Diese Struktur zum Management von Drohnen ist vor dem Hintergrund der Pläne zu einem konventionellen »Prompt Global Strike« zu sehen. (Dies bezeichnet die Möglichkeit, jeden Punkt der Erde innerhalb von 30 Minuten mit konventionellen Waffen angreifen zu können; die Übersetzerin.) Diese Pläne der Obama-Regierung drangen im Mai 2010 im Kontext der Vertragsverhandlungen über nukleare Abrüstung mit Russland an die Öffentlichkeit. Global Strike selbst ist nichts Neues. Die Idee, ein Arsenal konventioneller Waffen für prompte Präzisionsschläge vorzuhalten, wurde im August 2003 beim Strategischen Kommando des US-Militärs in Omaha/Nebraska zum ersten Mal diskutiert, als die militärische Führung überlegte, die Zuständigkeit für Drohnen mit der für konventionell bewaffnete Minuteman III-Raketen zusammen zu legen. Seither wurde beim Strategischen Kommando ein Global Strike-Kommando angesiedelt, das die Obama-Regierung auch in einer Welt für entscheidend hält, in der die Rolle von Kernwaffen immer mehr zurück gefahren wird.

Die wachsende Bedeutung des Weltraums für militärische Operationen und die Zuständigkeit des Strategischen Kommandos für Drohneneinsätze ergab sich aus der Neuausrichtung der »strategischen Triade« durch den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Die alte Triade bezog sich nur auf Kernwaffen und unterschied zwischen drei Kategorien strategischer (Kern-) Waffen bzw. Trägersysteme: land-, see- und luftgestützt (letzteres sind die Kernwaffenbomber). Die neue Triade umfasst nun die folgenden drei Bereiche:

Offensivwaffen einschließlich Drohnen, Flugzeuge, Schiffe und Raketen, wobei die Unterscheidung in nuklear und konventionell entfällt,

Defensivwaffen einschließlich Raketenabwehr und

Infrastruktur einschließlich der globalen und weltraumgestützten Aufklärungs- und Kommunikationsnetzwerke.

Das Strategische Kommando hat in allen drei Bereichen eine Schlüsselposition.

Im Frühjahr 2009 lieferte Lockheed Martin an das Strategische Kommando der USA ein Internet-Portal aus: Integrated Strategic Planning and Analysis Network Kollaborative Information Environment (ISPAN-CIE, Strategisches Planungs- und Analysenetzwerk – gemeinsame Informationsumgebung). Dieses Tool weist dem Global-Strike-Kommando sowie dem Weltraumkommando der US-Luftwaffe eine zentrale Rolle bei der Missions- und Zielplanung sämtlicher bewaffneter und unbewaffneter Drohnen zu, auch der Drohnen von JSOC, sowie eine gewisse indirekte Aufsicht bzw. sogar Kontrolle der unbemannten Flugkörper der CIA. Der Zugriff auf diese Werkzeuge gibt dem Strategischen Kommando der USA die Illusion, es seien nach wie vor Menschen in die Befehlskette eingebunden. General Kevin Chilton, der Oberkommandierende des Strategischen Kommandos, sagte, dieser »Befehlskreis« sei inzwischen auf Mikrosekunden verkürzt. Viele Kritiker, auch solche aus dem Militär, befürchten hingegen, dass die Verteilung der Einsatzregeln für bewaffnete Drohnen auf drei Ebenen in Kombination mit der Fähigkeit von Hunter-Killer-Drohnen, eigenständig den Zeitpunkt eines Angriffs auf ein bestimmtes Ziel festzulegen, letztlich dazu führt, dass bewaffnete Drohnenangriffe ohne jegliche menschliche Intervention stattfinden können.

Dies war jüngst der Auslöser für das Interesse der Medien für Roland Arkins Entwicklung einer »Drohnenbewusstsein«-Software. Das Pentagon hat ein Netz von Drohnen, bemannten Flugzeugen sowie Aufklärungs-, Navigations- und Kommunikationssatelliten in seine »einheitliche Luft- und Weltraum-Umgebung« eingebaut. Gemäß den Anforderungen für Prompt Global Strike muss dieses System in Krisenzeiten tatsächlich prompt, d.h. nahezu ohne Verzug, funktionieren. Das vernetzte System ist auf die Nutzung des Weltraums angewiesen und setzt quasi eine unilaterale Inanspruchnahme des Weltraums, wie sie 2006 in der Nationalen Weltraumpolitik der Regierung Bush zum ersten Mal formuliert wurde, voraus. Obwohl Peter Marquez vom Nationalen Sicherheitsrat 2009 von Präsident Obama mit der Ausarbeitung einer neuen multilateralen Weltraumpolitik beauftragt wurde, ist darüber noch nicht viel nach außen gedrungen. Wenn in der Strategie Kernwaffen zunehmend von Prompt Global Strike verdrängt werden und der Einsatz von Drohnen in Pakistan und Afghanistan immer üblicher wird, ist die unilaterale Weltraumnutzung damit impliziert.

Die Frage des Einsatzes von bewaffneten Drohnen wird sich sicherlich im Laufe des Jahres 2010 weiter zuspitzen, wenn Präsident Obama die Truppen in Afghanistan um 35.000 Soldaten aufstockt und eine bewaffnete Version der Drohne Sentinel in Pakistan stationiert wird und wenn vielleicht die weitgehend autonom agierende Kampfplattform auch noch um Tarnkappenmerkmale aufgerüstet wird. Die Kriegsführung mit Robotern ist bereits in vollem Gange.

Loring Wirbel lebt in Colorado Springs, dem Standort der Peterson Air Force, der u.a. das Nordkommando (NORAD) und die Weltraumkommandos der US-Luftwaffe und US-Armee beherbergt. Er schreibt seit mehr als 20 Jahren über Kommunikations-, Radar- und elektronische Aufklärungs- bzw. Spionagetechnologie und hat dabei häufig Militärdienstleister im Blick.
Übersetzt von Regina Hagen.

Jenseits von Irak und Afghanistan

Jenseits von Irak und Afghanistan

Die Marinestrategie des Exportweltmeisters Deutschland reicht weit in die Zukunft hinein

von Hermannus Pfeiffer

Die internationale Fachmesse zur maritimen Sicherheit und Verteidigung MS&D war ein voller Erfolg. Bereits im ersten Anlauf hat sich diese ungewöhnliche und in Deutschland einmalige Militärmesse erfolgreich durchgesetzt. „Die MS&D war der erwartete Magnet für die internationale Fachwelt“, freut sich Veranstalter Bernd Aufderheide. Aufderheide führt die Hamburg Messe und Congress GmbH, die dieses neue »Produkt« zusammen mit einer Fachzeitschrift, Bundesverteidigungs- und Wirtschaftministerium aus der Taufe hob.

Deutschland ist längst wieder eine Seemacht. Eine Tatsache, die selbst an der Waterkant von Bremen, Hamburg oder Rostock kaum wahrgenommen wird. Dabei ist die deutsche Containerflotte die größte auf den Weltmeeren: Jeder dritte Frachter der Globalisierung gehört hiesigem Kapital. Der Hamburger Hafen hat längst London, Tokio und New York weit hinter sich gelassen, und in Duisburg pulsiert der weltweit gigantischste Binnenschiffhafen. Der Schiffbau, eine Hightech-Branche auf Augenhöhe mit der Luft- und Raumfahrtindustrie, liegt in Europa auf Platz eins. Schiffbau ist übrigens weit mehr als (kriselnde) Werften im Norden: Wichtige Zulieferer wie MAN, MMG oder Siemens produzieren in Süd- oder Ostdeutschland.

Den neuen Kurs für einen beispiellosen Wachstumsprozess hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000 mit seinen »Leitlinien zur Förderung der maritimen Wirtschaft« vorgegeben. Damit stellten sich Staat und Regierung an die Spitze des ehrgeizigen Projekts »Maritimer Komplex«, in das Unternehmen und Verbände, Maschinenbau- und Logistikindustrie, Zulieferfirmen, Banken, Dienstleister vom Reeder bis zum Makler, aber auch Hochschulen, Gewerkschaften und die Deutsche Marine eingebunden sind. Alle zwei Jahre feiert der Maritime Komplex sei Hochamt auf einer Nationalen Maritimen Konferenz, zuletzt im Frühjahr in Rostock mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Handel und Krieg hängen seit je eng zusammen. Und so könnte aus der merkantilen Seemacht bald eine militärische Seemacht auftauchen. Doch das bundesdeutsche Flottenprogramm und der damit einhergehende Rüstungsboom erregen bislang erstaunlich geringe Aufmerksamkeit. Dabei sind die neuen Hochtechnologie-Korvetten und Marathon-Fregatten die schlagkräftigsten und mit fünf Milliarden Euro teuersten Waffensysteme in der deutschen Geschichte. Die Kriegsmarine wird damit erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm um 1900 wieder ins Zentrum der Militärstrategie und der Außenpolitik gerückt. Damals endete der maritime Wahn im Weltkrieg.

Einblicke in aktuelle Strategiediskussionen erlaubte Anfang Oktober die erste internationale Konferenz und Fachmesse »Maritime Security & Defence« (MS&D) in Hamburg, die vom Bundesverteidigungs- und Wirtschaftministerium unterstützt wird. Ein Brennpunkt der Messe und einer parallel tagenden Expertenkonferenz war selbstverständlich die Piraterie. 2008 beliefen sich die Schäden für die Weltwirtschaft auf schätzungsweise elf Milliarden Euro und jede fünfte deutsche Reederei wurde bereits von Piraten-Angriffen getroffen. Mit dieser Warnung zeigt das Bundeswirtschaftsministerium jedoch gleichzeitig neue Chancen auf: „Angesichts der aktuellen Sicherheitslage hat unsere Industrie große Chancen zur Entwicklung von Abwehrsystemen in diesem Bereich“, eröffnete die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Dagmar Wöhrl, die Fachmesse.

Auf ihrem Rundgang sah die CSU-Politikerin, dass Industrie und Wissenschaft einiges zu bieten haben. So sollen sich Reeder mit Glitschgel und Schallkanonen gegen Attacken von Seeräubern bewaffnen. Bei einem Angriff kann die Schiffscrew dann durch ein Schlauchsystem grüne und rote Flüssigkeiten versprühen, auf denen die Piraten ausrutschen. Oder die Mannschaft kann mit Knallkanonen bei den Angreifern ein unangenehmes Schwindelgefühl erzeugen.

Kreuzfahrtschiffe und einige Dutzend Frachter sollen mittlerweile mit solchen neuen Systemen ausgerüstet worden sein. Dazu trug auch Druck aus der Versicherungsbranche bei, die weit höhere Prämien von den Schiffseignern für gefährdete Routen verlangt. Für Konteradmiral Heinrich Lange reichen Glitschgel und Knallkanonen allerdings nicht aus: „Man sollte immer noch ein As in der Hinterhand haben.“ Dieses As könnte die Deutsche Marine sein. Den deutschen Militärs wurde auf der erstmals stattfindenden MS&D einiges Neue geboten. Die Industrie zeigte, was sie zu bieten hat.

Ein Trend: Unbemannte Fluggeräte und maritime Drohnen, die vollautomatisch fliegen, aufklären und schießen. Der sensorbestückte Hubschrauber »CamCopter« von Diehl kann im Unterschied zu den bisherigen Drohnen über dem Landziel in der Luft stehen bleiben, wird von einer Kontrollstation an Bord gesteuert und kann auf einer Korvette problemlos landen, versichert der Hersteller. Das Fluggerät wurde bereits bei der Deutschen Marine erfolgreich getestet. Die Technische Universität Clausthal-Zellerfeld stellte eine kleinere Hubschrauberdrohne serienreif vor. Sie könne gegebenenfalls auch bewaffnet werden, um beispielsweise Piratenangriffe abzuwehren. Die Fluggeräte suchen sich dabei ihr Ziel selbsttätig über Thermokameras.

Der zweite Trend: Bis vor kurzem konnten deutsche Kriegschiffe nur See- und Luftziele beschießen. Jetzt rücken Landziele für die Marine immer näher und damit ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für eine weltweit operierende Krisenreaktionskraft. Lenkflugkörper von der Firma MBDA starten von U-Booten und Fregatten aus und weisen immer häufiger in Richtung Küste. MBDA, das zum Imperium des deutsch-französischen Flugzeugbauers EADS/Airbus gehört, sieht bei seinen Kunden denn auch einen „Trend zu Landzielen“. Und die neuesten See-Land-Raketen werden mit eigener Optik ausgerüstet. „Dann kann man dokumentieren, dass man keine Schule getroffen hat“, lobt ein Aussteller.

Der dritte Trend nimmt die Globalisierung beim militärischem Wort. Energie und Rohstoffe werden zukünftig immer häufiger im Meer gewonnen. Thyssen-Krupp Marine Systems hatte daher auf die Hamburg-Messe seine Modellstudien für 81 Meter lange Offshore-Korvetten mitgebracht. Deren Aufgabe könnte in naher Zukunft der militärische oder bundespolizeiliche Schutz von Ölplattformen im Atlantik oder von Windparks vor Rügen sein. Zu Thyssen-Krupp gehören die norddeutschen Werften Blohm+Voss, HDW und die Nordseewerke in Emden, in der zukünftig Offshore-Windkraftanlagen gebaut werden. Die Deutsche Marine sieht hier ein weiteres neues Betätigungsfeld heranwachsen.

Die multinationale Marine-Messe MS&D war zugleich eine internationale Verkaufsshow. Zu den Besuchern gehörten 22 Marinedelegationen von allen Kontinenten. „Die Partnerschaft zwischen Bundeswehr und Verteidigungsindustrie ist die Basis für ein erfolgreiches Exportgeschäft“, sagte Rüdiger Wolf, Staatsekretär von Bundesverteidigungsminister Jung. Und da die deutsche Werftindustrie gerade ökonomisch schwächelt, versichert die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Dagmar Wöhrl, ihre Unterstützung. Alle Ressorts wurden aufgefordert, der „Zukunftsbranche“ zu helfen.

Die Marine wird mit Reparaturaufträgen und kleineren Bauaufträgen die Hochtechnologieindustrie stützen. Vielleicht wird ein seit längerem angedachter neuer Korvettentyp gegenüber den ursprünglichen Planungen vorgezogen. Marine-Vizechef Lange will jedoch keine Schnellschüsse: Kriegsschiffe »leben« drei Jahrzehnte und länger. Und außerdem war die vergangene Legislaturperiode wohl die erfolgreichste in der Geschichte der Marinebeschaffung: zwei U-Boote, der dritte Einsatzgruppenversorger und vier neuartige Fregatten wurden für die kommenden Jahre bewilligt. Fünf neuartige Korvetten wurden außerdem zu Wasser gelassen.

Der alten, wie absehbar der neuen Bundesregierung geht es allerdings um mehr als um eine industriepolitische Hightech-Strategie, wie sie auch im Automobilbau oder der Luftfahrtindustrie angewandt wird. Es geht vor allem um Deutschlands künftige geopolitische Rolle in der Welt. Als „Exportweltmeister und rohstoffarmes Land, das von Importen abhängt“ sei das „Arteriensystem der Weltwirtschaft“ und damit die Marine von grundsätzlicher Bedeutung, versicherte Admiral Lange. So steckten in jedem Auto Teile, die in Dutzenden von Schiffstransporten nach Deutschland geliefert wurden, und am Ende wird das gebaute Auto wieder per Schiff aus Deutschland heraus transportiert. Vier der fünf Millionen hierzulande produzierten Automobile werden exportiert.

»Basis See«

Andere Betätigungsfelder hat die Marine längst für sich reklamiert. Inzwischen schafft die Marine Fakten für die künftige deutsche Außenpolitik. Anders als mancher Außen- und Sicherheitspolitiker in Berlin kämpft die Chefetage der Marine allerdings mit offenem Visier: Mit der Weiterentwicklung der Marine würden zwei Leitlinien verfolgt, heißt es aus dem Flottenkommando bei Flensburg.

Die internationale Krisenbewältigung werde zukünftig noch stärker auf gemeinsame Aktionen von Heer, Luftwaffe und Marine setzen. Und dabei soll die frei von Landesgrenzen und anderen Hemmnissen operierende Marine eine Schlüsselrolle spielen: Die See soll als Basis für zukünftige gemeinsame Operationen der Bundeswehr erschlossen werden. Der neue konzeptionelle Ansatz heißt darum »Basis See«. Gemeinsam mit den »Landratten« vom Heer arbeitet die Marineführung an ihrem Projekt »Führen von See«. Beispielsweise die Feuerunterstützung vom Meer aus gewinnt militärstrategisch dadurch zunehmende Bedeutung. Darum wird die Marine ihre Fähigkeiten ausbauen, so Admiral Nolting, „Kräfte an Land von See aus zu unterstützen“.1

Ihren zweiten Schwerpunkt sieht die Marine künftig im Schutz der Handelswege. Das klingt zunächst keineswegs originell. Aber fortan verteidigt die Marine nicht mehr allein den Ostseeraum und die Deutsche Bucht, sondern will die globalen Handelswege absichern. Da Deutschland hochgradig auf den Außenhandel und den Import von Rohstoffen angewiesen ist, befindet sich die Nation in einer „maritimen Abhängigkeit“, hebt Marineinspekteur Nolting hervor. Weltweit! Der oberste Marinesoldat kann sich auch in diesem Fall auf das »Weißbuch« der Bundesregiering stützen. Deutschland habe infolge der Globalisierung „besonderes Interesse an ungehindertem Warenaustausch“, und die sichere Energieversorgung sei von „strategischer Bedeutung“. Darum müsse die Marine „in großer Entfernung vor fremden Küsten“ operieren können, um Krisen und Konflikte „bereits am Ort ihres Entstehens einzudämmen und zu bewältigen“. Dazu soll sich die Marine im Zuge der Transformation der Bundeswehr zu einer »Expeditionary Navy« entwickeln – zu einer Expeditions-Marine.2

Zumindest assoziativ ist es da nicht mehr weit bis zur Kanonenboot-Politik vor dem Ersten Weltkrieg. Mit der Neuausrichtung wird eine deutsche Marine erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm vor einem Jahrhundert wieder ins Zentrum der Militärstrategie rücken. Und die Politik könnte noch tiefer ins Kielwasser von Marine und Industrie geraten, denn die neuen militärischen Möglichkeiten werden neue Begehrlichkeiten bei Politikern und NATO-Partnern wecken. Das Kreuzen vor fremden Küsten könnte zur Standardaufgabe der Bundeswehr werden. Eine weitreichende Globalisierung der deutschen Außenpolitik wäre Bedingung und Folge dieses Kurswechsels zugleich.

Was zunächst defensiv klingen mag, bedeutet, den Radius der Marine auszudehnen nach dem Motto des Hapag-Lloyd-Gründers Alfred Ballin: „Unser Feld ist die Welt“. Dabei sind die Weltmeere nicht so offen, wie sie mancher »Landratte« erscheinen mögen. Nicht allein am Horn von Afrika, sondern auch vor Gibraltar, Malakka oder im chinesischen Meer durchlaufen die blaue Meeresstraßen »Flaschenhälse«, die militärisch gesichert werden sollen.

Neue Kriegsschiffe

Auf der Konferenzmesse MS&D zeigten sich die Spitzenmilitärs zufrieden über technologische Entwicklungen für kommende Kriegsszenarien jenseits von Irak und Afghanistan: Unbemannte Hubschrauber, die selbständig entscheiden und auf jeder Korvette landen können, sehende Flugkörper, die vom U-Boot aus Landziele anpeilen und bahnbrechende Kriegsschiffe. Im kommenden Jahr werden die fünf neuen Korvetten K 130 einsatzbereit sein. Ursprünglich hatten sie bereits in diesem Herbst starten sollen, aber aufgrund technischer Probleme wurden sie zurück in die Werften von Thyssen-Krupp und Lürssen gerufen. Angeblich sollen sie nicht einmal die projektierte Geschwindigkeit erreicht haben, was den Werften kein gutes Zeugnis ausstellen würde. Wenn die Korvetten auf Vordermann gebracht sind, können sie global operieren und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg Landziele beschießen. Damit entsteht ein qualitativ neues Drohpotential, schließlich liegen acht von zehn der größten Städte auf der Erde am Meer.

Voll zur Entfaltung werden die neuartigen militärischen Möglichkeiten durch weitere U-Boote und vor allem durch vier noch größere Fregatten F 125 kommen, mit deren Bau im Mai 2011 auf den Thyssen-Krupp-Werften begonnen wird. Diese Marathon-Fregatten werden sich extrem lange im Einsatzgebiet aufhalten können, vierundzwanzig Monate statt sechs. Sie benötigen nur 110 Besatzungsmitglieder anstatt der sonst für Schiffe dieser Größe üblichen 220 bis 240 und dies erlaubt ein Zwei-Besatzungen-Konzept. Statt des Schiffes wird regelmäßig die Besatzung gegen eine zweite ausgetauscht. Und während die alten Fregatten oft noch für die U-Boot-Bekämpfung gebaut wurden, sind die neuen speziell zur Bekämpfung asymmetrischer Ziele und Bedrohungen ausgerüstet und für sogenannte Stabilisierungseinsätze vorbestimmt.

Die Marine wird mit den neuen Fregatten und Waffensystemen die technischen Mittel dafür bekommen. Mit ihrem neuen, nur in Teilen bekannten Konzept »Zielvorstellungen Marine 2025+« hat sie zudem das langfristige taktisch-strategische Rüstzeug dafür. Darin hat die Deutsche Marine ihre zukünftigen Aufgaben analysiert und daraus neue Zielvorstellungen abgeleitet, als Grundlage für marine-interne Planungen. Ein zukünftiges ehrgeiziges Ziel ist Modularität. Schiffe sollen nur noch als Plattform dienen, die je nach Einsatzanforderung mit diversen standardisierten Modulen komplettiert werden. Mit Blick auf die laufenden Beschaffungen und Planungen sowie auf den Verteidigungshaushalt wird die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele nur in kleinen Schritten, durch Festlegung von Prioritäten und Hinnahme von Kompromissen erfolgen können. Das weiß auch das Flottenkommando.

Politische Alternativen

Alle wesentlichen Wünsche der Marine wurden in der vergangenen Legislaturperiode erfüllt. Weißbuch, Korvetten, Fregatten und Waffensysteme für den Landbeschuss werden die Marine bald zu einem potentiellen Global-Player machen. Doch es ginge auch anders. Immer noch ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee.

In den aktuellen Koalitionsverhandlungen geht es zunächst nur darum, ob die Marine Polizeibefugnisse für die Seesicherheit erhält. Dazu wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Alternativ könnte jedoch eine aufzubauende Bundespolizei-See diese Militarisierung nach Innen stoppen.

Weit wichtiger, die globale Ausdehnung der Seemacht sollte das Parlament beenden. Kernaufgabe der Marine muss wieder der militärische Schutz der heimischen Küste werden. Die Sicherheit Deutschlands sollte weder am Hindukusch noch am Horn von Afrika oder im chinesischen Meer verteidigt werden.

Eine Fachillustrierte titelte auf der Messe: „Deutsche Marine: The Way Ahead“ – Deutsche Marine auf dem Weg vorwärts. Mit „zufriedenen Gesichtern“ – so die Veranstalter – verließen 1.300 Teilnehmer aus allen Kontinenten und mehr als 60 Aussteller nach drei Tagen Hamburg. Die MS&D werde künftig das Forum für internationale Marinen, Politik und Industrie sein, hofft die Messegesellschaft.

Anmerkungen

1) Nolting, Wolfgang E., Maritime Sicherheit im Fokus der konzeptionellen Überlegungen, in Marine-Forum 3-2008 (Internetausgabe).

2) Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006, Berlin 2006, S.131ff.

Dr. Hermannus Pfeiffer ist Soziologe und Wirtschaftwissenschaftler und spürt in seinem gleichnamigen Buch der »Seemacht Deutschland« über ein Jahrtausend nach – von der Hanse bis zum heutigen Maritimen Komplex (Ch. Links Verlag).

Einführung

Einführung

Die Wiederkehr der Rüstungsdynamik und die Renuklearisierung der Welt

von Wolfgang Liebert

Der Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS) besteht seit mehr als zehn Jahren und versteht sich als Fachgesellschaft der naturwissenschaftlich orientierten Friedensforschung, die sich aufgrund eines neuen Schubs des wissenschaftlichen und politischen Engagements bereits seit zwei Jahrzehnten im Aufbau befindet. In der Regel verfolgen wir einen problemorientierten Ansatz. Naturwissenschaftliche und technische Bedingungsfaktoren von politisch brisanten Problemlagen stehen dabei im Fokus. Naturwissenschaftliche Detailarbeit, die sich immer wieder daraus ableitet, bleibt so rückgekoppelt an den außerwissenschaftlichen Ausgangspunkt und das Ziel, zu Problemlösungen in unserer wissenschaftlich-technisch durchwirkten Lebenswelt beizutragen. Damit ist auch eine eindeutige Anwendungsorientierung unserer Arbeit benannt: Politik und die interessierte Öffentlichkeit sollen von unabhängiger Seite (die meisten unserer aktiven Mitglieder arbeiten in Hochschulen oder auch in Instituten der Friedensforschung) nicht nur informiert sowie mit Analysen über Problemzusammenhänge versorgt werden, sondern es sollen auch Handlungsmöglichkeiten empfohlen werden.

Mit den folgenden zehn Beiträgen werden die Expertise und einige wesentliche Themenstellungen von FONAS in allgemein verständlich geschriebenen Aufsätzen vorgestellt. Einerseits hat dies exemplarischen Charakter. Andererseits haben die Artikel auch eine systematische Perspektive. Die Gemeinsamkeit besteht also nicht nur in ihrem Ursprung aus dem FONAS-Kreis, sondern findet seinen Ausdruck auch in einer gemeinsamen hochaktuellen Themenstellung.

Wir beobachten die Wiederkehr der Rüstungsdynamik. Die bestehenden Atomwaffenarsenale werden nicht nur – entgegen allen Abrüstungsversprechungen – instand gehalten, sie werden beständig modernisiert (so werden z.B. die Trägersysteme immer zielgenauer) und ihre militär-strategische Einsatzfähigkeit wird jenseits des Abschreckungspostulats technisch und politisch vorbereitet. Gleichzeitig mehren sich die brisanten Fälle nuklearer Proliferation und die Anzahl »virtueller Atomwaffenstaaten«. Die entscheidenden Wurzeln – neben regionalen Sicherheits- und Prestigeaspekten – werden immer noch nicht zureichend fokussiert: die mangelnde nukleare Abrüstung und die zivil-militärische Ambivalenz nuklearer Technologien und Materialien. Vielmehr wird heute ebenfalls von einer bevorstehenden Renaissance im zivilen Nuklearbereich geredet, ohne die Konsequenzen für die Waffenfrage angemessen zu thematisieren.

So könnte von einer bedrohlichen Renuklearisierung der Welt gesprochen werden. Eine alte Antwort aus den Zeiten der Rüstungsdynamik des Kalten Krieges ist der Aufbau von Raketenabwehrsystemen, der aktuell von den USA mit ersten Stationierungen vorangetrieben wird. Dies hat die Rüstungskontrolle bereits weiter in die Krise getrieben – und erste russische Reaktionen provoziert. Was sind die alten, bereits aufgekündigten, auslaufenden oder geschwächten Abkommen noch wert: ABM-Vertrag zur Raketenabwehr, START-Verträge zur nuklearen Abrüstung, KSE-Vertrag zur konventionellen Abrüstung in Europa, nuklearer Nichtverbreitungsvertrag, Biowaffen-Übereinkommen? Die Diagnose einer Renuklearisierung muss ergänzt werden durch eine Analyse der Dynamik im Bereich der Biotechnologie mit Folgen für mögliche – nunmehr vielleicht realistische – Biowaffenprogramme.

Neben dem Abklopfen übergreifender abrüstungs-, rüstungskontroll- und forschungspolitischer Leitlinien drängen sich zumindest die folgenden konkreten Fragen auf: Wie können nukleare Spaltmaterialien besser geschützt oder aus dem Verkehr gezogen werden? Wie wäre mit proliferationsförderlichen nuklearen Technologien umzugehen? Welche Chancen bestehen für verbesserte nukleare Verifikation und Safeguards? Ist Raketenabwehr die notwendige und funktionstüchtige Antwort auf Proliferationsgefahren? Kann der Bann von Biowaffen »wasserdichter« gemacht werden?

Wir haben als einen übergreifenden Ansatz unserer Arbeit »präventive Rüstungskontrolle« definiert und einige Pilotprojekte durchführen können. Damit ist die Vision verbunden, dass der Automatismus der Einführung von Technologien, deren Möglichkeiten erkannt und erforscht werden, in gewissem Sinne gebrochen werden muss; ebenso die fortgesetzte, unkorrigierte Nutzung von vorhandenen Technologien, deren Gefahrenpotenziale deutlich werden – Chancen für verbesserte Formen der Verifikation treten ggf. hinzu. Ein politischer Regelungsbedarf, der Beschaffungs- und Nutzungsentscheidungen vorgelagert sein muss – oder fortdauernde Nutzung betrifft – soll benennbar werden. Der Glaube an die Unausweichlichkeit der wissenschaftlich-technologischen Dynamik (oder gar Eigendynamik), ihre Alternativlosigkeit ist demgegenüber noch zu weit verbreitet.

Die Wiederkehr der Rüstungsdynamik zeigt sich auch in dem ungebrochenen Drang nach neuen waffentechnischen Möglichkeiten, die mit großem Aufwand wissenschaftlich erforscht werden. Aktuell gehören dazu: Laserwaffen, Weltraumwaffen und militärische Visionen in der Nanotechnologie. Letzteres Beispiel aus dem FONAS-Arbeitszusammenhang wird daher ebenfalls vorgestellt.

Dr. Wolfgang Liebert ist wissenschaftlicher Koordinator der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt und ist Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS).

Die Gabala Offerte

Die Gabala Offerte

von Jürgen Nieth

Der sprachlose Präsident

»George W. Bush ist ein Mann der klaren Sätze. Am
vergangenen Donnerstag (07.06.) allerdings wirkte der US-Präsident im sonnigen
Heiligendamm seltsam unentschieden. Er lächelte zwar meist, doch zu einer
klaren Aussage schien Bush nicht fähig zu sein, als er neben Wladimir Putin
stand und über das gemeinsame Gespräch berichten sollte. Der russische
Präsident habe ›ein paar interessante Vorschläge gemacht‹, wand sich Bush. Man
werde darüber jetzt ›einen strategischen Dialog‹ führen… Deutlicher wurde er
nicht«
(Spiegel 11.06.07, S.24). Was war passiert?

Für russisch-amerikanische Raketenabwehr

Putin hatte in Heiligendamm angeboten, an Stelle der von der
US-Regierung geplanten Raketenabwehr in Polen und Tschechien gemeinsam die
russische Radarstation in Gabala/Aserbaidschan zu nutzen. Über diese Anlage
schreibt die FAZ (09.06.07). Sie ist »1985 als Teil des sowjetischen
Frühwarnsystems gegen Raketenangriffe in Dienst gestellt worden. Sie hat eine
Reichweite von 6.000 km und soll in der Lage sein, Raketenstarts in den Ländern
der südlichen Hemisphäre zu registrieren und die Flugbahn der Raketen zu
verfolgen. Von Gabala aus wird so der Luftraum und der Weltraum über Iran,
Pakistan und der Türkei, Indien, Irak und eines Teils von China überwacht.«
Russland
hat diese Station bis 2012 gepachtet und der aserbaidschanische Präsident
signalisierte sofort seine Zustimmung zu einer gemeinsamen
russisch-amerikanischen Nutzung.

Die US-Raketenpläne für Osteuropa

Die US-Pläne sehen vor, in Tschechien eine Radarbasis zu
bauen, die Aufklärungsdaten an eine polnische Station liefert, von der dann
Abfangraketen aufsteigen können. Jeanne Rubner schrieb dazu in der Süddeutschen
Zeitung (SZ 25.01.07): »Die ›Missile Defense‹, die mindestens zehn Miliarden
Dollar kosten soll, ist das kärgliche Überbleibsel des ambitionierten ›Krieg
der Sterne‹-Programms des früheren Präsidenten Ronald Reagan.«
Rubner
kritisiert weiter, dass »die gesamte Technik noch nicht ausgereift ist«, und
»die USA den Schutzschild an der NATO und auch an der EU vorbei«
planen.

Die FAZ wundert sich allerdings darüber, dass Bush von
Putins-Offerte überrascht wurde: »Russische Sicherheitsfachleute hatten
schon 2004 über einen solchen Vorschlag an die Vereinigten Staaten nachgedacht…
(und) ein russischer Diplomat (habe schon drei Wochen vorher) im Gespräch mit
einer aserbaidschanischen Zeitung angedeutet, dass die Möglichkeit einer
gemeinsamen Nutzung von Gabala schon während des Besuchs des amerikanischen
Verteidigungsministers, Robert Gates, in Moskau angesprochen worden sei.«

Politikerecho in Deutschland

Ein Teil der deutschen Politiker gab sich zuerst einmal
positiv wertend gegenüber der Putin-Initiave, so z.B. Edmund Stoiber in einem
Spiegelinterview: »Wir Deutsche haben ein elementares Interesse an einer
echten Partnerschaft mit Russland. Ein gemeinsamer Abwehrschirm von
NATO-Staaten und Russland gegen Raketen aus Iran oder Nordkorea wäre sicher
besser als eine rein amerikanische Lösung in Osteuropa. Das wäre wohl nicht
konsensfähig mit den Russen und könnte Europa neuerlich spalten«
(11.06.07,
S.42). SPD-Chef Beck äußerte die Hoffnung, »dass Putins Vorschlag dazu
beitrage, ein neues Wettrüsten und ein ›Auseinanderdividieren Europas‹ zu
verhindern«
(SZ 11.06.07). Verhaltener waren die Kommentare des Außen- und
des Verteidigungsministers. Steinmeier bezeichnet den Vorschlag als ein »Signal
des Dialogs und der Entspannung«.
Während der Prüfung sollten sich alle
Beteiligten einer »voreiligen Bewertung enthalten« (SZ 09.06.07) Franz
Josef Jung äußerte gegenüber der Bild am Sonntag (10.06.07) Genugtuung darüber,
»dass auch Russland offensichtlich von der Notwendigkeit eines Schutzes
gegen Raketen überzeugt ist«.
Er sagte zu, »im Rahmen der NATO und im
NATO-Russland-Rat über eine mögliche Ausgestaltung eines Schutzschildes zu
diskutieren«.

Vorschlagsgegner

Das Iranische Parlament kritisierte den Vorschlag Putins
scharf: »Der Iran darf nicht zum Spielball der Konflikte zwischen den
Weltmächten werden«,
sagte ein Sprecher des Auswärtigen Ausschusses laut
Frankfurter Rundschau (FR 11.06.07). Der Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop
Scheffer, äußerte Zweifel daran, »ob die Anlage in Aserbaidschan die
technischen Voraussetzungen erfülle, zumal sie ›ein bisschen sehr nahe‹ an den
Schurkenstaaten sei, über die man rede«
(FAZ 09.06.07).

Und was kommt vom treuesten Verbündeten Bushs, von Tony
Blair? Er antwortet in einem Spiegelinterview auf die Frage, was er von Putins
Vorschlag halte: »Ich kann das nicht beurteilen, ich bin kein Fachmann auf
diesem Gebiet«
(Spiegel 11.06.07, S.111).

Bushs Verlegenheit – nur für zwei Tage?

Am 09. Juni traf der US-Präsident den polnischen
Präsidenten, Lech Kaczynski. Dazu die FR (11.06.07): »Bush hat bei seinem
Besuch in Polen … keine Bereitschaft geäußert, auf die Stationierung von
Anti-Raketen-Raketen in dem ehemaligen Ostblockland zu verzichten.«
Er
bekräftigte lediglich die alten Aussagen, nach denen man keine aggressiven
Absichten verfolge. Bush wörtlich: »Das System, das wir vorgeschlagen haben,
ist nicht gegen Russland gerichtet.«
Staatspräsident Lech Kaczynski
bekundete derweil »erneut seine Unterstützung für die US-Pläne« (Welt
11.06.07). »Zu einem möglichen Standort äußerten sich Bush und Kaczynski
erwartungsgemäß nicht, aber in Warschauer Regierungskreisen heißt es, als
Standort für die Abfangraketen sei der stillgelegte Flughafen Redzikowo am
Stadtrand von Stolp ausgewählt worden.«

Putins Strategie

Während in einigen Pressekommentaren Putins Vorschlag als
Ablenkungsmanöver bezeichnet wird, schreibt Kai Ehlers in der Wochenzeitung
Freitag (15.06.07): »Aber nein, dieser Vorschlag ist keine Finte … Der
Präsident hält an seinem Kurs fest, Russland stabilisieren und die
Selbstachtung des Landes als Subjekt des Weltgeschehens … wiederherstellen …
Insofern ist der Vorschlag … darauf geeicht, die Bedrohung von außen zu
minimieren, einen sich bereits abzeichnenden Dissens mit der EU wegen der
US-Raketenpläne aufzufangen und die Amerikaner zum Offenbarungseid zu zwingen
:
Welchen wirklichen Zweck verfolgen sie mit Abwehrraketen, die in Polen
disloziert werden sollen

Rüstung auf Rekordhöhe

Rüstung auf Rekordhöhe

von Jürgen Nieth

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat am 12.
Juni 2006 sein neues Jahrbuch vorgestellt. Danach wurden im Jahr 2005 rund 950
Milliarden Euro (1.118 Mrd. Dollar) für Rüstung und Verteidigung ausgegeben.
Das ist ein Drittel mehr als noch vor 10 Jahren. Hauptverantwortlich für die
Steigerung sind die USA, die alleine für 48 Prozent der weltweiten
Rüstungsausgaben stehen.
Eine Reihe deutscher Tageszeitungen zitiert aus dem SIPRI-Bericht und
kommentiert z.T. unterschiedliche Details. So schreibt die Berliner Zeitung
(13.06.06) unter der Überschrift:

Höhere Rüstungsbudgets als im Kalten Krieg

„Ein beängstigender Rekord wird vermeldet: Die
Ausgaben für Rüstung und Verteidigung lagen im Jahr 2005 erstmals über den
Militärausgaben von 1987/88, dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Kurz vor Ende
der Ost-West-Konfrontation waren es Expertenschätzungen zufolge umgerechnet
etwa 900 Milliarden Euro.
Im Vergleich zum Vorjahr stiegen 2005 die weltweiten Ausgaben um 33 Milliarden
Dollar oder 3,7 Prozent. Das entspricht 2,5 Prozent des globalen
Bruttosozialprodukts oder pro Kopf 173 US-Dollar (137 Euro).“
Nach der Süddeutschen Zeitung (13.06.06) gab Deutschland „im Jahr 2005 etwa
317 Euro pro Einwohner für Militärgüter aus.“
„Die größten Bürden des Rüstens trägt jedoch die Bevölkerung in einigen
Regionen Afrikas und des nahen Ostens,“
schreibt die Frankfurter Rundschau
(13.06.06). „In Eritrea, Äthiopien, Burundi, Jordanien, Jemen, Syrien,
Libanon und Sri Lanka werden zwischen zehn und zwanzig Prozent der
Produktionserträge für Waffen und Truppen ausgegeben.“

USA kurbeln Waffenmarkt an…

…schreiben die Stuttgarter Nachrichten (12.06.06). Fritz
Kayser hebt hervor, dass „die USA im abgelaufenen Jahr für 80 Prozent aller
zusätzlichen militärischen Aufwendungen“
verantwortlich sind. „Als
Hintergrund für die massiven Ausgabensteigerungen der Vereinigten Staaten
(werden bei SIPRI) …vor allem die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan“

genannt.
Diesen Einsätzen widmet die Frankfurter Rundschau (13.06.06) einen eigenen
Kommentar.

Irak-Einsatz auf Pump

„288 Mrd. Dollar hat der Irakkrieg die USA laut dem
Privaten Zentrum für Nationale Prioritäten (NPC) bislang gekostet. Jeden Monat
kommen acht Milliarden dazu, fast doppelt so viel wie zu Kriegsbeginn im Jahr
2003“,
schreibt US-Korrespondent D. Ostermann. Und weiter: „Mit dem in
Irak verkämpften Geld (hätten die USA) 38 Millionen US-Kinder ein Jahr zur
Vorschule schicken können – oder die Welthungerhilfe elf Jahre finanzieren, 28
Jahre alle Aids-Programme, 95 Jahre weltweite Kinderimpfungen.“

Bislang, so Ostermann, haben die US-Bürger aber „keinen Cent für Irak
bezahlt. Die Kosten für die Militäreinsätze dort wie in Afghanistan , allein in
diesem Jahr über 100 Milliarden Dollar, werden ausschließlich über Schulden
finanziert.“
Der FR-Korrespondent zitiert den Nobelpreisträgers Joseph Stieglitz, der „ein
böses Erwachen“
voraus sieht. Der Ökonom schätzt, dass der Irakkrieg die
USA „langfristig 2,6 Billionen Dollar kosten“ wird, darin enthalten die „Folgekosten
wie Behandlung und Rente von Kriegsinvaliden oder die Auswirkungen des Krieges
auf den Ölpreis und damit die US-Konjunktur.“

Waffen nicht per se schlecht

Die Financial Times Deutschland (13.06.06) zitiert die
SIPRI-Direktorin Alyson Bailes, nach der „Aufrüstung von Friedensforschern
nicht mehr per se als Bedrohung gesehen werde. Nahezu alle internationalen
Organisationen wollten ihr Militär für »gutartige« Aufgaben ausbauen. Mehr und
mehr gelte der Grundsatz
: ‘Waffen sind nicht per se schlecht, aber ihre
Nutzung durch schlechte Leute für schlechte Zwecke’.“

Anti-Terror-Strategie gescheitert

„Passend zum SIPRI-Bericht erschien am selben Tag in
London eine Studie der unabhängigen Oxford Research Group, die Bushs so
genannten Krieg gegen den Terrorismus scharf kritisiert,“
schreibt die
Berliner Zeitung (13.06.06). Und weiter: „Washington und London seien mehr
darauf aus, ihre Stellung in der Welt durch militärische Gewalt zu sichern, als
sich Gedanken um die eigentlichen Ursachen der weltweiten Unsicherheiten und
Bedrohungen zu machen… Der so genannte Krieg gegen den Terrorismus verschlinge
nicht nur hunderte Milliarden von Dollar, er habe auch mehr ‘Unterstützer des
Terrorismus geschaffen als ausgeschaltet’ und den Blick auf weitaus größere
Bedrohungen der Weltsicherheit verstellt.“

Zunehmende Rüstungsexporte

Nach dem SIPRI-Bericht hat sich „neben Russland und den
USA… die EU als globaler Akteur auf dem Waffenmarkt etabliert,“
schreibt
die FR (13.06.06).

„SIPRI, das einen Fünfjahresrahmen als Referenz
heranzieht, reiht die EU-Staaten für 2001- 2005 auf Platz drei… Im Vorjahr
lagen die Rüstungsexporte der EU-Länder mit 7.821 Millionen Dollar jedoch höher
als die der USA (7.101 Mio.) und Russlands (5.771 Mio.), mit Frankreich und
Deutschland als Hauptlieferanten.“

Exportierte Gewalt

Die zehn größten Rüstungsexporteure der Welt für die Jahre
2001 bis 2005:

Die Stuttgarter Nachrichten (12.06.06) weisen darauf hin,
das 2004 „die Hundert größten Rüstunskonzerne der Welt… Güter für 212
Milliarden Euro (verkauften, sie) steigerten ihren Absatz damit gegenüber 2003
um 15 Prozent.“

Keine Notiz…

…von dem SIPRI-Bericht nahmen solch überregionale
Tageszeitungen wie die Welt und die Frankfurter Allgemeine. Enthaltsamkeit auch
bei früher rüstungspolitisch informativen Magazinen wie Stern und Spiegel.
»Keine Information« ist auch eine Aussage.

Südkorea rüstet auf

Südkorea rüstet auf

Neue Tendenzen in der Rüstungspolitik

von Joo-hi Lee

Absurd scheint mir die ungebrochene weltweite Rüstung an allen Ecken des »globalen Dorfes«. In Europa ist der Erzfeind der NATO schon längst verschwunden, trotzdem erweitert sich die NATO gen Osten. Der Eurofighter findet keinen unmittelbaren Gegner, trotzdem wird er bald gebaut und an die vier europäischen Luftstreitkräfte geliefert werden. Die US-Amerikaner wollen neue Abwehrraketen entwickeln, obwohl feindliche Raketen die Vereinigten Staaten praktisch nicht mehr bedrohen. In Süd- und Ostasien herrscht kein akuter Kriegszustand, doch alle Länder beteiligen sich am Rüstungs-Wettlauf. Auf der koreanischen Halbinsel verhungern Teile der nordkoreanischen Bevölkerung, doch das südkoreanische Militär denkt in erster Linie daran weiter aufzurüsten.

Rüstungsbeschaffungen der Marine

Nach neuesten Meldungen will die südkoreanische Marine Seeminen und mehr als zehn Super Lynx Hubschrauber kaufen und die Radarsysteme der P-3C Orion U-Boot-Jagdflugzeuge modernisieren. Während der Beschaffungspreis des Hubschraubers nicht bekannt gegeben wurde, wurden als Ankaufssumme für die Seeminen 56 Mio. US Dollar und für die Modernisierung der Radarsysteme 34 Mio. Dollar genannt.1

Die Aufrüstung der Marine beschleunigte sich seit Ende der 80er Jahre im Zeichen der »Anti-U-Boot Kriegsstrategie«. Eine gewaltige Aufrüstung wurde in Gang gesetzt: Bisher produzierte Daewoo Shipbuilding sechs U-Boote vom Typ 209 mit deutscher Lizenz. Der Fachzeitschrift Defense News vom 23.08.96 zufolge werden noch weitere drei U-Boote von Daewoo in Lizenz gebaut. Der Bau von U-Booten wird damit begründet, daß die nordkoreanische Marine 87 U-Boote habe und damit in quantitativer Hinsicht der südkoreanischen überlegen sei. Dabei wird das Alter und die geringere Verdrängungsmasse dieser U-Boote übersehen. Der amerikanische Marine-Kommandeur Joseph Lodmell schätzte, daß Nordkorea über die wohl derzeit älteste und leistungsschwächste U-Boot-Flotte der Welt gebiete.2

Das Unternehmen Daewoo Shipbuilding setzte im Oktober 1996 den ersten großen Zerstörer, Kwanggeto-ham (3.200t), ins Wasser. Der Aufbau dieser neuen Zerstörer läuft unter dem Decknamen »KDX-Programm«. Insgesamt 16 bis 18 Schiffe sollen bis zum Jahr 2004 gebaut werden. In diesem Zusammenhang muß allerdings betont werden, daß die wichtigen Waffensysteme wie Raketen und Kanonen sowie die elektronische Systeme wie Radar- und Navigationsgeräte weiterhin aus dem Ausland (vor allem: Vereinigte Staaten, Holland und Italien) importiert werden sollen.

Um nordkoreanische U-Boote aufzufinden, entschied sich das Verteidigungsministerium am 9.11.1990 zum Kauf des U-Boot-Jagdflugzeugs P-3C. Insgesamt sollten acht Flugzeuge von der Rüstungsfirma Lockheed eingeführt werden.3 Wegen der Infiltration einer nordkoreanischen Spezialtruppe am 18.9.1996 schlug Südkoreas Präsident Kim Young-sam dann vor, eine weitere P-3C zu beschaffen. Diese Beschaffung kam unerwartet, da die Entscheidungsträger eher dem französischen Modell Atlantique 2 den Vorzug geben wollten. Die Beschaffung wurde durch Daewoo Heavy Industries vermittelt, die dafür eine Provision erhielten-. Bei einem Auftragsvolumen von ca. 736 Mio. Dollar wurde eine Provisionszahlung in Höhe von 29,75 Mio. Dollar vereinbart, von der Lockheed ca. 4 Mio. sofort bezahlte. Die restlichen 25,75 Mio. Dollar sollten später gezahlt werden, doch Lockheed zögerte mit der Auszahlung. Im März 1995 kam dann überraschende Hilfe aus dem Verteidigungsministerium. Es klagte gegen Lockheed vor dem in Paris befindlichen Internationalen Schiedsgericht für Handelsfragen.4 Am 1.4. 1997 gab es dann eine Wende, als vor einem Gericht in Seoul Anklage gegen Daewoo erhoben wurde, nach der die vereinbarte Provision im Höhe von 25,75 Mio. Dollar überbewertet sei und dementsprechend in die staatlichen Kassen zurückgezahlt werden solle.5 Anzumerken ist, daß Daewoo Heavy Industries auch als Zulieferer für den Außenflügel des P-3C eine Rolle spielt, d.h. durch Vermittlung dieses Rüstungsgeschäfts gewann Daewoo eine direkte Gegenleistung.

1990 hatte die Marine bereits zwölf Lynx U-Boot Jagdhubschrauber gekauft. Damals beliefen sich die Beschaffungskosten auf 200 Mio. Dollar. Wenn noch weitere 13 Super Lynx angeschafft werden sollten, entstehen neue Beschaffungskosten von weit über 200 Mio. Dollar, wenn man nur den alten Preis zugrunde legt.

Beschaffungen für die Luftwaffe

Bei der Luftwaffe stehen drei Beschaffungsprogramme im Mittelpunkt:

  • F-16 Kampfflugzeuge
  • Zwei Aufklärungsflugzeuge
  • Abwehrraketen gegen ballistische Scud-Raketen.

Lizenzproduktion von F-16 Kampfflugzeugen

Am 28.3.1991 entschied sich die südkoreanische Regierung dafür, die seit Anfang der 80er Jahre ins Visier genommene Produktion koreanischer Kampfflugzeuge (KFP) zu starten. Es handelt sich um 120 F-16 Kampfflugzeuge, die vom Rüstungsunternehmen General Dynamics teils gekauft (12), teils zusammengebaut (36) und teils in Lizenz (72) hergestellt werden sollten. Am 7.11.1995 präsentierte Samsung Aerospace seine erste F-16 in der Öffentlichkeit. Nach Angaben des Korean Newsreview vom 21.06.97 hat Samsung inzwischen 36 Stück zusammengebaut.

Lizenzgeber ist hier Lockheed Martin, und an der Produktion waren alle wichtigen Luft- und Raumfahrtunternehmen Koreas beteiligt, so beispielsweise Samsung Aerospace, Daewoo Heavy Industries, KAL, Hyundai-Precision u.a. Samsung als Generalunternehmen baut Teile in seiner Fabrik in Sachon zusammen und produziert auch F-100-PW-299-Triebwerke in Lizenz; Daewoo Heavy Industries stellt Flugzeugrümpfe her; Hyundai Technology Development produziert Teile der Raketenabschußvorrichtung und Treibstoffbehälter, KAL Teile der Flügel.

Zur Realisierung dieses gewaltigen Projekts hat das Verteidigungsministerium 5,44 Milliarden Dollar bis zum Jahr 1999 eingeplant. Im Oktober 1996 kündigte die Luftwaffe an eine nächste Staffel moderner Kampfflugzeuge ab 2002 zu kaufen; die Rede ist von 120 Stück.6 Als Kandidaten meldeten sich bereits Jagdflugzeuge wie F-15E, SU-37, EF-2000 und Rafale. Im Oktober 1996 fand eine regelrechte Rüstungsmesse der Luftwaffe in Seoul statt, bei der sich zahlreiche Firmen um die lukrativen Aufträge bewarben. Erstmals seit Ende des Korea-Krieges war bei dieser Gelegenheit auch ein russisches Kampfflugzeug, die SU-37, am Himmel über Seoul zu sehen. Die konservative Zeitung Chosun Ilbo bezeichnete eben jenes als „traumhaftes Kampfflugzeug“.7

p>Zunächst plant die Luftwaffe die Bestellung von 60 Kampfflugzeugen für den Zeitraum 2002 bis 2008 und weitere 60 für den Zeitraum danach. Dafür soll eine Summe zwischen 7,24 und 9,66 Mrd. Dollar bereitgestellt werden. Nominal gerechnet steigen die Ausgaben für das zweite KFP im Vergleich zum ersten um 133 bis 177<0> <>% an. Erfahrungsgemäß, werden sich aber die Projektkosten mit der Zeit noch wesentlich stärker erhöhen.8

Als Begründung für die Beschaffung moderner Kampfflugzeuge führte das Verteidigungsministerium auch hier die quantitative Überlegenheit Nordkoreas an. So soll Nordkorea über 730 Kampfflugzeuge verfügen, während Südkorea »nur« über 445 Maschinen verfüge.9 Nach dieser Zahlenlogik gibt es erst nach 2015 eine quantitative Parität.

Vergleicht man die Luftwaffe nach qualitativen Kriterien entsteht allerdings ein ganz anderes Bild. Die folgende Tabelle zeigt, welche Seite mehr Schlagkraft aufgebaut hat. In diesem Vergleich sind nur jene Maschinen berücksichtigt, die, besonders angesichts der rasanten Entwicklung bei den Luft/Luft-Raketen, im modernen Luftkrieg einigermaßen »kampf- und überlebensfähig« sind.

Davon will das Verteidigungsministerium allerdings nichts wissen. So behauptet Park Yong-ok, Staatsekretär im Verteidigungsministerium, sogar: „Um den lokalen Anteil der entwickelten Waffensysteme zu erhöhen, ist es notwendig, daß der Staat seine langfristigen Investitionen sowohl im High-Tech-Bereich als auch im Bereich der Rüstungsindustrie forciert.11 Eine andere Zielsetzung besagt, daß Südkorea bis zum Jahr 2005 auf den zehnten Rang der Luft- und Raumfahrtnationen der Welt aufsteigen soll. Zu dieser Zielsetzung gehört, daß bis zum Jahr 2005 weitere 4,73 Mrd. Dollar investiert werden sollen, um mittlere Verkehrsflugzeuge zu produzieren.12

Beschaffung von Aufklärungsflugzeugen

In der Diskussion um die Beschaffung von Frühwarn Kommando- und Kontrollflugzeugen(FKKF) ist es den südkoreanischen Strategen offensichtlich gelungen, eine günstige Stimmung für ihre Ziele zu schaffen. In der Argumentation für die Anschaffung dominieren zwei Argumentationsstränge:

  • FKKF ist unbedingt notwendig, um die Sicherheitsaufgaben angemessen wahrnehmen zu können.
  • Der Bündnispartner behält wichtige Informationen über nordkoreanische Flugbewegungen und Einsätze der Luftwaffe für sich.

Vor allem mit diesem letzten Argument wird versucht eine Atmosphäre zu schaffen, in der der Wunsch entsteht, daß Südkorea sich lieber selbst um seine Luftaufklärung kümmern sollte (am besten mit dem System, welches sich bei den Amerikanern bewährt hat oder einem vergleichbaren).

Daß diese Argumentation Früchte trägt, wird deutlich in der sonst eher sehr kritischen Zeitschrift MAL, die jetzt die Position vertritt, daß die Aufklärer im Hinblick auf eine informelle Selbstbestimmung des Landes gekauft werden sollten.13

Ende 1996 wurde die Katze dann auch endlich aus dem Sack gelassen: „Wir werden in Kürze 2 FKKF beschaffen.“ hieß es in der Presse.14 Im Rennen sind drei Rüstungsunternehmen: Eine erste Variante ist eine Boeing 767 mit APY-2 Radarsystem von Northrop-Grumman; eine zweite ist der Phalcon F-3 Radar der israelischen Elta Electronics Industries. Die Firma Elta entscheidet noch nicht, zu welchem Trägerflugzeug ihr System intergriert werden soll. Als Auswahl schlug sie vor, entweder ein neues kommerzielles Flugzeug oder eine gebrauchte Boeing 767. Das letzte ist das Erieye-System des schwedischen Unternehmens Ericsson. Es ist für Saab A340B oder Saab 2000 Flugzeuge bestimmt.

Je nach Konfiguration des Flugzeuges, der elektronischen Systeme und Bodenkontrollstationen wird der Systempreis unterschiedlich sein. Aus zwei Beispielen – einer japanischen und einer brasilianischen Entscheidung – kann man ableiten, daß er ungefähr zwischen 1.4 und 1.6 Mrd. Dollar je System liegt. Beschafft die Luftwaffe zwei Systeme, kostet das also rund 3 Mrd. Dollar.

Patriot-Luftabwehrsystems

Mit dem Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers W. Cohen in Seoul am 10.-12.4.1997 wurde die Diskussion um den Kauf der Abwehrrakete vom Typ Patriot wieder neu entfacht. Es ging darum, ob Südkorea entweder amerikanische Patriot-Raketen oder russische S-300V kaufen soll.15 Vor drei Jahren hatte es ähnliche Diskussionen gegeben, aber damals ging es darum, ob überhaupt Abwehrraketen beschafft werden sollten.16 Durch die Eskalation um das nordkoreanische Atomwaffenprogramm kam die Diskussion erneut auf. Dabei ging es konkret um die Abwehr nordkoreanischer ballistischer Raketen vom Typ Nodong-1/2 (500-1300 km).17

Noch 1994 antwortete der Verteidigungsminister Lee Byung-tae vor dem Parlament, daß zum jetztigen Zeitpunkt keine Anschaffungspläne für Patriot-Raketen existierten (22.2.94); sein Sprecher sagte auch, es seien weder Vereinbarungen getroffen, noch Konsultation über den Zeitplan der Stationierung und die Anzahl der Systeme unternommen worden (27.1.94); Präsident Kim Young-sam erklärte, seine Regierung plane keine Anschaffung von Patriot-Raketen (26.2.94) und Oppositionsführer Lee Gi-taek gab eine Stellungnahme dahingehend ab, daß die Patriot auf keinen Fall in Südkorea stationiert werden sollte (ebd). Die nordkoreanische Regierung äußerte damals, sie würde es als schwere militärische Provokation betrachten, wenn Patriots in Süden stationiert würden (29.1.94).

Demgegenüber behauptet der Friedensforscher Kim Chang-soo bereits 1994, daß es in der mittelfristigen Strategieplanung Kaufpläne für PAC-2 gäbe für 199718; der Oppositionspolitiker Lim Bok-jin stellte aufgrund des Materials aus dem Verteidigungsministerium fest, daß im Projekt für die »Nächste Generation von Fernlenkwaffen« (ab 1997) der Kaufplan für Patriot enthalten sei (22.2.94); Die Zeitschrift Defense News berichtete, daß die Clinton-Regierung versuchte Südkorea zu überzeugen, Abwehrraketen aus den Vereinigten Staaten zu kaufen, und gleichzeitig für die gemeinsame Produktion Verhandlung führe (3.2.94); ein Sprecher von Raytheon betonte, daß sein Unternehmen bisher acht Monate Verhandlungen geführt habe, und er sei zuversichtlich, daß Südkorea Patriot kaufen würde (4.2.94).

So lief Pro und Contra zum Kauf von Patriot-Raketen. Hervorgehoben werden muß, daß damals von Beschaffungskosten um 600 Mio. Dollar die Rede war. Darin enthalten waren vier Systeme, 384 Raketen und 96 Abschußrampen, einschließlich der verschiedenen Fahrzeuge.19 Drei Jahre später erhöhte sich diese Summe auf ca. 1 Mrd. Dollar.20 Wie man neuerdings hört geht es der amerikanischen Regierung und dem Patriot-Hersteller um die Sicherung von 20 000 Arbeitsplätzen.21

Härtester Konkurrent der Amerikaner sind in diesem Fall die Russen, denn die russische Rakete kostet »nur« 70-80Mio. Dollar je System gegenüber 150 Mio. für die Patriot.22 Hinzu kommt, daß die Regierung in Südkorea unter Umständen die Kaufsumme mit den Schulden der früheren Sowjetunion gegenüber dem südlichen Korea (mehr als 1 Mrd. Dollar) verrechnen kann.

Bisher ist Südkorea ein Markt, auf dem US-Waffensysteme mehr als 80 Prozent der gesamten Waffenimporte ausmachen. Das könnte sich bald ändern durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen koreanischen und russischen Rüstungsproduzenten. So schloß Daewoo Shipbuilding mit dem russischen Unternehmen Rubin einen Vertrag ab über eine gemeinsame U-Boot-Entwicklung (1800 t). Dabei sagte Letzterer zu, sein technisches Know-how an Daewoo zu übergeben.23 Damit könnte sich Daewoo, nach der Zusammenarbeit mit HDW in Kiel, eine zweite Quelle für die U-Boot-Technologie erschließen. In einem anderem Fall plant Samsung Aerospace zusammen mit dem russischem Unternehmen Roswertol den Bau von Hubschraubern. Bei Samsung verbliebe das alleinige Recht der Vermarktung im asiatischen Raum.24 Zum vierten wird die Zusammenarbeit der beiden Industrien intensiviert werden: Laser, Flugzeug, High-Tech Material, Elektronik, Gentechnik, Kunstfasermaterial für Flugzeug u.a.25 Darüber hinaus will Rußland MiG-29, Minen, Torpedos, Panzermunition und SA-6/8/16-Raketen verkaufen.

Ein derartiger Technologietransfer und Waffenhandel wird ohne Zweifel zum Nachteil der nordkoreanischen Streitkräfte führen, da seine High-Tech Waffensysteme aus sowjetischer bzw. russischer Herkunft stammen. Südkorea verschafft sich mit dem Zugang zu den russischen Waffensystemen eine detaillierte Kenntnis der Waffen der Gegenseite. Eine Tatsache, die immer stärker die Entscheidungsträger und Strategen in Nordkorea beunruhigt und die Lage zusätzlich destabiliseren kann.

Tabelle:
Vergleich zwischen Süd- und Nordkorea10
Südkorea + Nordkorea +
F-4 96 MiG-21 130
F-5 250 MiG-23 60
SU- 25 20
F-16 66 – 78 MiG-29 30
Gesamtzahl 412 – 424 240

Anmerkungen

1) S Korea buys extra Super Lynxes in ASW drive, in: Jane's Defence Weekly (JDW), 25.6.97, S. 4; Lt. Asian Defence Journal (ADJ) werden sogar 13 Stück beschafft. 2/97, S. 36. Zurück

2) J. Lodmell, It Only Takes One, in: U.S. Naval Institute Proceedings, 12/96, S. 33. Zurück

3) Hong Un-tak, Die größten Korruptionsaffären der 6. Republik Koreas, in: Shindonga, 12/95, S. 128ff. Zurück

4) Joongang Daily News (JDN), 20.9.96. Zurück

5) Jane's Defence Weekly (JDW), 2.4.97. Zurück

6) Shon Tae-kyu, The Next-Next Generation of Combat Aircraft Focused To 4 Types, in: Hankuk, 9.10.96. Zurück

7) Chosun Ilbo, 24.10.96. Zurück

8) Focus, 17/97, S. 178. Im Fall des Kampfflugzeuges F-22 erhöhte sich der Stückpreis um 255 Prozent für den Zeitraum 1982-1997. Zurück

9) Time, 13.6.94, S. 33; Nach einer anderen Quelle hätte Nordkorea 766 Stück, Südkorea 382. Siehe ADJ, 2/97, S. 20. Zurück

10) Bruce Cumings, Where The Cold War Never Ends, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 1-2/97, S. 44; Abrüstungen in Süd- u. Nordkorea und Wege zum Frieden I, in: Korea ist Eins, 4/93, S. 26; AW&ST, 13.1.97, S. 213;
Oh Won-chul, 10 Jahre Zeitverlust und Entscheidung für bald ausscheidende F-16, in: Shindonga, 12/95, S. 136ff. Zurück

11) Park Yong-ok, Korea's Defense for the 21st Century, in: Korea World Affairs, Spring 1996, S. 33. Zurück

12) AW&ST, 9.10.96, S. 32; FAZ, 11.4.97. Zurück

13) Oh Youn-ho, Alternative für Unabhängigkeit der Militärinformationen gegenüber USA, in: MAL, 4/94, S. 40ff. Zurück

14) Hankuk, 12.11.96; Sankei Shimbun, 27.11.96; Asahi Shimbun, 11.12.96; Hankyoreh, 29.12.96; KNR, 4.1.97. Zurück

15) U.S. Warns Seoul On Russian Missiles, in: International Herald Tribune (IHT), 7.4.97, S. 4; $ 1 Billion Patriots or Missiles SA-12s, in: KNR, 12.4.97, S. 12; Barbara Starr, USA urges S Korea to buy Patriot over S-300V, in: JDW, 16.4.97, S. 3. Zurück

16) Hankuk, 4.2.94; 22.2.94; 22.4.94; Hankyoreh, 27.1.94; 26.2.94; 29.1.97. Zurück

17) Joseph Bermudez, N Korea set for more ballistic missile tests, in: JDW, 23.10.96, S .5. Zurück

18) Vgl. Kim Chang-soo, Die in Patriot versteckte globale Planung der Vereinigten Staaten, in: MAL, 4/94, S. 103. Zurück

19) Kim Chang-soo, a.a.O.; Hankuk, 18.1.94; 4.2.94. Zurück

20) KNR, 12.4.97, S. 12; Jane's Intelligence Review(JIR), 4/97, S.177. Zurück

21) D. Waller, How Washington Works Arms Deals, in: Time, 14.4.97, S. 48ff. Zurück

22) Höhere Beamte besuchten Seoul, in: Hankyoreh, 4.4.97; Dem Bericht von JIR zufolge kostet die S-300 Rakete je 400 000 Dollar, siehe 4/97, S. 177. Zurück

23) JDW, 30.10.96, S. 17. Zurück

24) JDN, 25.10.96. Zurück

25) JIR, 4/97, S. 176. Zurück

Joo-Hi Lee ist Diplom-Politologe und Doktorand am Fachbereich Politikwissenschaft der FU Berlin. Seit April 1996 hat er politisches Asyl beantragt, da er als Friedensforscher wegen seiner Kritik am südkoreanischen Militär im Land verfolgt wird.

»Europäische Sicherheitsidentität« – ein unbezahlbarer Traum?

»Europäische Sicherheitsidentität« – ein unbezahlbarer Traum?

Die deutsch-französische Militärkooperation

von Stefan Gose

Es dauerte etwa 15 Jahre, bis sich Frankreich dem dreimaligen Kriegsgegner Deutschland wieder auf sicherheitspolitischem Gebiet näherte. Noch 1954 scheiterte eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft/EVG mit deutscher Beteiligung an der französischen Nationalversammlung. Die Bundesrepublik wurde 1955 zwar Mitglied der Militärbündnisse NATO und Westeuropäischer Union/WEU, denen auch Frankreich angehört. Doch während die WEU im Schatten der NATO bald bedeutungslos wurde, distanzierte sich Frankreich zunehmend von der NATO. Die US-Dominanz im Kalten Kriegs-Bündnis widersprach dem gaullistischen Selbstverständnis von Frankreich als einer europäischen Hegemonialmacht in einer multipolaren Welt. Die französischen »Fouchet-Pläne« einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ohne die USA scheiterten 1962 an den »Atlantikern« in der EWG. Auch der Abschnitt »II.B Verteidigung« des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages vom 22.1.1963 blieb ohne substantielle Folgen.

Mit dem Austritt aus der militärischen NATO-Integration 1966 und dem ersten französischen Atomtest am 2.6.1966 in der algerischen Sahara unterstrich Charles de Gaulle den Anspruch, Frankreich als eigenständige Weltmacht mit einer weitgehend unabhängigen Rüstungsindustrie auszubauen. Die westdeutsche Sicherheitspolitik orientierte sich zur Wiedererlangung der Souveränität durch Westintegration dagegen weitgehend an der US-dominierten NATO. Deutsch-französische Rüstungskooperationen (Transall, Alpha Jet) dienten der französischen Seite zu Kostensenkung und Einflußerweiterung, während die deutsche Rüstungsindustrie peu à peu Systemkompetenz und Unabhängigkeit gewann.

Von der Isolation zur Kooperation

Doch auch immense französische Rüstungsexporte konnten die Kosten für eine autarke Verteidigungsindustrie langfristig kaum senken. Die hohen Verteidigungslasten der Mittelmacht Frankreich konnten weder verhindern, daß die USA ihre militärpolitische Dominanz ausbauten noch daß die Bundesrepublik zur bestimmenden Wirtschaftsmacht Europas avancierte. Statt eine Hegemonialstellung in Europa zu erlangen, isolierte sich Frankreich von einer erstarkenden NATO und damit von der europäischen Sicherheitspolitik. Dies wurde insbesondere während der innen- und außenpolitisch brisanten Phase des NATO-Doppelbeschlusses (1979-83) deutlich, zumal die nuklearen Offensivstrategien der Ära Reagan (Deep Strike, FOFA, ALB) auch Frankreich getroffen hätten.

Im Januar 1984 initiierte daher die französische Regierung eine Wiederbelebung der WEU. In Kanzler Kohl fand Präsident Mitterand einen Verbündeten, der zwar weiterhin die transatlantische Sicherheitsachse beschwor, zugleich aber die Zeit für eine Neugewichtung der Bundesrepublik in Europa gekommen sah. Der Bundesrepublik galt Mitterand als willkommener Partner, weil erstens vom US-getreuen Großbritannien keine Unterstützung für eine französische Hegemonialstellung in Europa zu erwarten war. Zweitens, weil die ökonomische Dominanz der BRD in Westeuropa Frankreich zur Kooperation mit einem Land zwang, das vom Zweiten Weltkrieg diskreditiert, sich keine souveräne Außen- und Sicherheitspolitik leisten konnte. Die »Deutsch-französische Freundschaft« wurde so für die Bundesrepublik zum »Gütesiegel« für internationale Reputation, wofür sich die französische Regierung entsprechendes ökonomisches Entgegenkommen versprach. Die Rolle der Atommacht Frankreich in einem Militärbündnis ohne die USA sah Mitterand als zwangsläufig herausragend. Aber wegen verschiedenseitiger Rücksichtnahmen auf den NATO-Partner USA und mangels NATO-unabhängiger Ressourcen kam die WEU zunächst kaum über das Stadium einer Koordinationsstelle für gemeinsame Rüstungsvorhaben hinaus. Doch die zunehmenden bi- und multilateralen Rüstungskooperationen (Eurocopter, Euromissile, Eurodrohne, Euroflag, Eurotorp) entlasteten weder den französischen Verteidigungshaushalt, noch erhöhten sie die sicherheitspolitische Bedeutung Frankreichs oder Europas.

Zum Verdruß der USA vereinbarten Kohl und Mitterand 1987/88 daher den Aufbau einer deutsch-französischen Brigade, die 1991 in Mulhouse und Baden-Baden als einsatzbereit gemeldet wurde. Diese zum Symbol für Völkerverständigung verharmlosten 5.000 Soldaten waren der Grundstock zum Eurocorps, das Kohl und Mitterand am 22. Mai 1992 in La Rochelle beschlossen. Am 1.10.93 übernahm der heutige Heeresinspekteur Helmut Willmann in Straßburg den Befehl über die 5 Eurocorpsverbände, die bis 1998 zu 60.000 Soldaten aufwachsen sollen.

Das Eurocorps sollte zunächst als leichte, später auch als schwere Eingreiftruppe für NATO, WEU und andere Organisationen zur Verfügung stehen.

Sinnstiftung: Auslandseinsatz

Nach dem Mauerfall sahen Kohl und Mitterand im Abzug amerikanischer und sowjetischer Truppen aus Europa die Chance, die WEU zum militärischen Standbein einer »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik/GASP« der EU auszubauen und verankerten dies in Art.J4 Abs.2 des Maastricht-Vertrages vom 7.2.1992. Am 19. Juni 1992 machte sich die WEU in ihrer Petersberger Erklärung die gleichen weltweiten Kriseninterventionen zur Aufgabe, wie sie sich die NATO im Oktober 1991 vorgenommen hatte. Der Haken: Weder die Euroverbände noch die WEU verfügen über die nötigen Aufklärungs- und Kommandostrukturen sowie Transportmittel, um eigenständige Auslands-einsätze durchführen zu können. Nachdem sich abzeichnete, daß eine europäische Realisierung entsprechender Transport- (FLA) und Kommandosysteme (Helios II) mittelfristig nicht finanzierbar ist, akzeptierte Mitterand 1994, das Eurocorps künftig unter »operational command« der NATO einzusetzen.

Streitkräftereform

Mit dem »Stoltenberg-Papier« vom Januar 1992 wurde der Umbau der Bundeswehr in Hauptverteidigungskräfte zur Landesverteidigung und Krisenreaktionskräfte für den Auslandseinsatz (Personalstärke 53.000) eingeleitet. Mitterand mußte spätestens im 2. Golfkrieg 1991 erkennen, daß die militärischen Kapazitäten Frankreichs allenfalls zu Kurzinterventionen in Drittweltstaaten ausreichten: Während die britische Berufsarmee von 150.000 Soldaten 35.000 an den Persischen Golf verlegen konnte, waren vom 280.000 Mann starken französischen Wehrpflichtigenheer dazu nur 9.000 Soldaten geeignet. Die französischen Waffen erwiesen sich gegenüber denen der Alliierten als veraltet und unterlegen. Häufig konnten französische Waffen nicht eingesetzt werden, weil die Exportnation Frankreich dem Irak die gleichen Waffen verkauft hatte, so daß die eigene Abwehr Freund und Feind nicht hätte unterscheiden können.

Dreigleisig versuchte Mitterand, die Lücke zwischen geopolitischem Anspruch und militär-technischen Möglichkeiten zu verringern: Erstens suchte Frankreich wieder die Nähe zur NATO, zweitens forcierte Mitterand die nukleare Modernisierung der »Force de Dissuasion« und drittens intensivierte er Rüstungskooperationen. Sein im Mai 1995 gewählter Nachfolger Jaques Chirac ging noch weiter: Im Juni 1995 ließ er seinen Verteidigungsminister Charles Millon eine Strategiekommission einsetzen, deren Vorschläge für eine umfassende Armeereform am 22./23. Februar 1996 veröffentlicht wurden und nun mit dem Militärprogrammgesetz 1997-2002 umgesetzt werden. Die drei Schwerpunkte sind: 1. Abschaffung der Wehrpflicht bis 2001, 2. Verkleinerung der Armee von 500.000 auf 350.000 Soldaten und 3. Straffung der Rüstungsindustrie.

Deutsch-Französisches »Sicherheitskonzept«

Auf der Hardthöhe und bei der deutschen Rüstungsindustrie sorgte die unangekündigte französische Armeereform für Unruhe. Frankreich könne seine Wehrpflicht nur abschaffen, weil die Bundesrepublik das Schutzschild dafür biete, analysierte Ex-Generalinspekteur Naumann.

Doch nicht für alle kam die Reform überraschend: Bereits am 7.12.95 hatten Kohl und Chirac in Baden-Baden eine Generalinventur der Militärkooperationen beschlossen. Damit beauftragt wurden die Rüstungsdirektoren des 1988 mit der deutsch-französischen Brigade gegründeten Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates. Gezielt ließen die hohen Beamten im Verlauf ihrer einjährigen Arbeit einige Streitpunkte durchsickern, die sich aus der Ressourcenverknappung beiderseits des Rheins ergaben: Die französische Seite stellte den Nutzen für den Verbleib französischer Truppen in Deutschland und im Eurocorps in Frage. Deutscher Skepsis über die Finanzierbarkeit des gemeinsamen Spionagesatellitenprogramms Helios II begegnete Frankreich mit der Ausstiegsdrohung aus den Hubschrauberprojekten NH-90 und Tiger. Die Bilanz, das »Gemeinsame Deutsch-Französische Sicherheits- und Verteidigungskonzept« wurde am 9.12.96 in Nürnberg präsentiert. Das Papier ist ein ambitionsloses Patt, nach dem alle bisherigen Kooperationen weiterverfolgt werden sollen, obwohl die Unbezahlbarkeit der Rüstungskooperationen absehbar ist.

Frankreichs NATO-Annäherung

Dennoch gab es Aufregung, als Verteidigungsminister Volker Rühe in einem Tagesthemen-Interview das »Konzept« als »NATOisierung Frankreichs« interpretierte. Außenminister Herve de Charette beeilte sich am 29.1.97 vor der Nationalversammlung zu erklären, das »historische« Positionspapier bedeute nichts Neues für die französische Sicherheitspolitik. Hintergrund ist seit 1995 die parteienübergreifende Skepsis gegenüber der französischen Annäherung an die NATO, was vielfach als eine Abkehr vom Gaullismus interpretiert wurde:

  • Mitterand war 1995 mit seiner Zustimmung zur Einbindung der ehemaligen WVO-Staaten in den Nordatlantischen Kooperationsrat/NACC, in den KSE-Vertrag und beim Partnership for Peace/PfP-Programm von der Linie bilateraler Verträge abgewichen, bei der Überwachung des Adria-Embargos akzeptierte der französische Präsident das NATO(US-)-Kommando ebenso wie beim IFOR-Einsatz in Bosnien.
  • Chirac setzte diese US-freundliche Linie fort, indem er das NATO-operational command für das Eurocorps akzeptierte, seinen Verteidigungsminister wieder regelmäßig in den NATO-Rat schickte und französische Vertreter wieder am NATO-Militärausschuß und nachgeordneten Gremien teilnehmen ließ.
  • Auf der NATO-Ratstagung am 3.6.96 in Berlin stimmte Chirac sowohl der neuen Nuklearstrategie der NATO MC 400/1 zu als auch dem CJTF-Mischtruppenkonzept, wonach – wie bei SFOR in Bosnien – französische Truppen unter fremden Befehl eingesetzt werden können. Ein schwacher Widerstand ist demgegenüber die Forderung nach einem europäischen Vize-SACEUR oder der Anspruch auf das NATO-Südkommando in Neapel.

Deutschlands Nukleare Teilhabe?

Ein zweiter Konflikt über das deutsch-französiche Kooperationspapier entfachte sich an dem Satz „Unsere beiden Länder sind bereit, einen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der Europäischen Verteidigungspolitik aufzunehmen“. Nichts anderes hatte Präsident Mitterand bereits 1992 aus finanziellen und europapolitischen Erwägungen ohne Resonanz aus Deutschland vorgeschlagen. Denn eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit nationalen Atomwaffen in Frankreich und Großbritannien ist kaum vorstellbar. Kanzler Kohl kommentierte mögliche deutsche Mitentscheidungswünsche über die französische Bombe am 10.2.97 in der FAZ als „völlig falsch“. Auf eine Kleine Anfrage im Bundestag nach der Unvereinbarkeit einer gemeinsamen nuklearen Verfügungsgewalt mit dem Atomwaffensperrvertrag antwortete die Bundesregierung am 14.3.97 jedoch zum wiederholten Male ausweichend: „Die Feststellung der Bundesregierung, wonach die Entwicklung einer Europäischen Verteidigung im Rahmen der EU derzeit nicht aktuell, sondern eine hypothetische Frage ist, ist weiterhin gültig. Die Frage eventueller Schlußfolgerungen aus den Artikeln I und II NVV [Verbot der Weitergabe von Atomwaffen, d.A.] stellt sich daher nicht.“

Trotz dieses bemerkenswerten nuklearen Hintertürchens der Bundesregierung und erheblichen Finanzierungsproblemen auf der französischen Seite ist eine gemeinsame militärische Nuklearpolitik nicht nur aus rechtlichen Gründen unwahrscheinlich. Ein deutsches Interesse an der Mitverfügung über Atomwaffen konnte zwar noch nie gänzlich ausgeschlossen werden, es wäre jedoch auf absehbare Zeit unbezahlbar. Deshalb hat der angebotene Atomdialog eher Symbolcharakter: Frankreich wirbt durch vermeintliche Offenheit bei der atomkritischen deutschen Öffentlichkeit für eine Legitimation einer anachronistischen Waffengattung.

Seine tatsächliche Atompolitik betreibt Frankreich unabhängig von einem Atomdialog: 1996 wurden die letzten landgestützten Atomraketen S-3 und Hadès verschrottet. Mit jährlich ca. 10 Mrd. DM stehen bis 2002 etwa ein Sechstel des 185 Mrd. FF-Verteidigungshaushaltes für die »Force de Dissuasion« zur Verfügung. Im Jahre 2002 sollen die Atomstreitkräfte noch über 4 nukleargetriebene U-Boote mit M45 und M4/TN71 Atomraketen verfügen. Daneben sollen 3 Schwadronen Mirage 2000N und 2 Super-Entendard-Luftflotten mit nuklearen ASMP-Abstandsraketen ausgerüstet werden. Die beschlossene Aufgabe der südpazifischen Atomtestgelände Muroroa und Fangataufa sowie der Urananreicherungsanlagen von Marcoule und Pierrelatte kann Frankreich durch vorhandenes Spaltmaterial kompensieren. Durch ein Abkommen über know how-Transfer bei Nuklearsimulationen mit den USA von 1995 und den bei Bordeaux im Aufbau befindlichen Laser Megajoule könnte Frankreich künftige Atomwaffen bei entsprechender Finanzlage »am Computer« entwickeln. In militärischen Nuklearfragen bleiben eher die USA oder Großbritannien, mit denen Frankreich seit 1992 nukleare Koordinationsgespräche führt, erste Adresse. Doch selbst der Bau einer französisch-britischen nuklearen Abstandsrakete scheiterte.

Reform der Rüstungsindustrien

Die eigentliche Zielrichtung des deutsch-französischen Sicherheitspapiers erschließt sich beim Blick auf die aktuellen Arbeitsgruppen des Deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates, der den Text verfaßt hat:

  • Strategie und Abrüstung,
  • Militärische Zusammenarbeit,
  • Rüstungskooperation,
  • Raumgestützte Aufklärung,
  • Rüstungspolitik,
  • Finanzielle Perspektiven und
  • Status französicher Truppen in Deutschland und Eurocorps.

Es geht weniger um eine politisch geplante europäische Sicherheitsarchitektur, als um Schadensbegrenzung an Truppen und Material durch Reduzierungen und Rüstungskooperation in Zeiten leerer Kassen.

Die Mehrzahl der französischen Rüstungsunternehmen existieren als Staatsbetriebe von »nationalem Interesse« nur noch durch milliardenschwere Subventionen. Auch die privaten Wehrtechnikbetriebe werden von der Rüstungsbehörde Délégation Générale pour l'Armement/DGA maßgeblich gesteuert. Wie Behörden arbeiteten diese Unternehmen in der Vergangenheit kaum nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, verzichteten auf Rationalisierungen und Innovationen, weil der Absatz gesichert schien.

Für etwa 10 Milliarden DM soll die französische Rüstungsindustrie nun von derzeit ca. 300.000 Beschäftigten um knapp ein Drittel reduziert werden. Die etwa 6.000 wehrtechnischen Betriebe, deren Zentren in der Bretagne, der Normandie, um Bordeaux und um Marseille liegen, sollen durch Fusionen und Stillegungen gestrafft werden. Bis 2001 sollen ca. 30 Mrd. DM bei den Verteidigungsausgaben eingespart werden. Neben der Straffung des Heereswaffenlieferanten Groupement Industrièl des Armements Terrèstres/GIAT steht die Privatisierung des milliardenschwer verschuldeten Elektronik- und Raketenkonzerns Thomson CSF, der bankrotten Werft Dirèction des Constructions Navales/DCN (24.000 Beschäftigte) sowie die Zwangsfusion des defizitären staatlichen Flugzeugbauers Aérospatiale mit der gewinnbringenden privaten Dassault im Vordergrund. Die Sanierungsaussichten sind mäßig, da auch im internationalen Umfeld Überkapazitäten bei sinkendem Absatz bestehen und vornehmlich know how gefragt ist. Die Daimler Benz Aerospace/DASA führt gerade Gespräche mit Matra, Thomson CSF und Aérospatiale, um möglicherweise ganze Produktionszweige (Raketen, Satelliten, Flugzeuge) zu bündeln.

Rüstungskooperationen wanken

Die wichtigsten deutsch-französischen Rüstungsprogramme, die die Armeen beiderseits des Rheins zur Auslandstauglichkeit befähigen sollten, stehen zur Disposition:

Aus Kostengründen stieg Frankreich bereits 1995 aus dem europäischen Großraumtransportflugzeug Future Large Aircraft/FLA aus. Bei einem französischen Entwicklungsanteil von 1,8 Mrd. $ sollten die Maschinen für Frankreich insgesamt ca. 12. Mrd. DM kosten. Auch für den teureren deutschen Anteil ist die Finanzierung unklar. Mittlerweile ist eine militärische Variante des künftigen Airbus A-3XX im Gespräch. Der Konflikt über eine französische Reduzierung oder gar den Ausstieg aus den beiden Hubschrauberprogrammen PAH-2/Tiger/Uhu und NH-90 ist noch nicht vom Tisch. Statt der zunächst geplanten 212 Panzerabwehrhubschrauber/PAH-2 für die Bundeswehr (ca. 16 Mrd. DM) und 215 Tiger für die Armée de Terre reduzierte die Hardthöhe 1996 ihren Einkaufszettel auf 138 PAH-2. Charles Millon stellte daraufhin das französische Interesse an beiden Hubschraubern in Frage, zumal die Bundeswehr auch nicht mehr wie geplant 243 NH-90 zum Stückpreis von ca. 50 Mio. DM bezahlen kann.

Wichtiger als die Hubschrauber ist dem französischen Verteidigungsministerium die 1995 beschlossene deutsche Beteiligung am Spionagesatellitenprogramm Helios II als Aufklärungs- und Kommunikationskern für künftige europäische Auslandseinsätze. Verteidigungsminister Rühe stellte 1996 die deutsche Beteiligung am 12. Mrd. DM Programm Helios II für den Fall in Frage, daß sich Frankreich aus den Eurocopter-Programmen verabschieden sollte. Abschließende Entscheidungen sind noch nicht getroffen, so daß beide Länder weiterhin Millionen in Programme investieren, deren grundsätzliche Unbezahlbarbeit bereits heute feststeht.

An »Vorbildern« gescheiterter deutsch-französischer Rüstungskooperationen mangelt es nicht: Neben einer gemeinsamen Fregatte scheiterte insbesondere die Kooperation beim Eurofighter 2000 an nationalen Eigeninteressen. Im Ergebnis fehlt der deutschen Seite bei der Fregatte F-125 nun ein finanzstarker Partner, während sich Frankreich den Kauf des selbst entwickelten Kampfflugzeuges Rafale kaum leisten kann.

Zwar wurde nach endloser Planung am 12. November 1996 eine gemeinsame Rüstungsagentur von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien in Bonn gegründet. Doch ihre Hauptaufgabe dürfte künftig in der besseren Koordination von Lücken bestehen.

Europäisierung der NATO?

Das Projekt einer »europäischen Verteidigungsidentität« ist vorerst gescheitert. Neben zahlreichen Interessenkonflikten auch anderer WEU-Mitglieder fehlen den Hauptakteuren in Paris und Bonn die Ressourcen zum Ausbau einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik. Die Folge ist eine zwangsläufige Rückbesinnung auf die US-dominierte NATO.

Die Reorientierung auf die NATO darf aber nicht als Unterwerfung unter traditionelle transatlantische Sicherheitsstrukturen mißverstanden werden. Denn die gewandelte NATO versteht sich zunehmend als »Leasing-Agentur« für verschiedenste Konflikte weltweit. In Albanien demonstriert gerade Italien, wie NATO-Infrastruktur zur eigenen Interessenpolitik ohne personelle Beteiligung der USA genutzt werden kann. Auch die französische und die Bundesregierung werden in der NATO für ein europäisches Profil ihrer künftigen Militäreinsätze streiten. Daß beide Regierungen daneben weiterhin im geringen Rahmen ihrer Einigungsmöglichkeiten gemeinsame Rüstungsprogramme und WEU-Kooperationen betreiben werden, dient mehr der nationalen Industrie- und Prestigepolitik, als einer ernst zu nehmenden »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik«.

Stefan Gose, Dipl.Pol., ist Redakteur der Monatszeitschrift antimilitarismus information/ami.

Eurofighter – Starterlaubnis verweigern!

Eurofighter – Starterlaubnis verweigern!

von Michael Brzoska

Im Frühjahr 1997 soll nun endgültig über die Beschaffung von 180 Eurofighter-Kampfflugzeugen für die Luftwaffe entschieden werden. So hat es Verteidigungsminister Rühe angekündigt. Nach vielen Verzögerungen und grünem Licht für eine Beschaffung in den drei anderen beteiligten Ländern Großbritannien, Italien und Spanien ist der Beschluß überfällig. Jedes weitere Hinausschieben einer Entscheidung kostet weitere Millionen.

Der Verteidigungsminister geht davon aus, eine Mehrheit für die Beschaffung im Bundestag zu haben, wenn auch möglicherweise nur unter Einrechnung von SPD-Fraktionsmitgliedern, die gegen die Parteilinie stimmen. Aber so richtig beliebt ist das Flugzeug bei den meisten Bonner Entscheidungsträgern nicht. Natürlich mit einigen wichtigen Ausnahmen: Schließlich dürfte bei einem Beschaffungsumsatz von mindestens 25 Milliarden DM eine gute Milliarde Gewinn für die Industrie abfallen, vor allem für den Hauptauftragnehmer Daimler Benz Aerospace AG (DASA). Auch die Masse der Arbeitsplätze, egal ob es nun 18.000 sind, wie von der Industrielobby behauptet, oder eher 12.000, wie von unabhängigen Experten errechnet, entsteht bei der DASA und zwar, um genau zu sein, in bayerischen Werken der DASA. Die DASA hat ihren Flugzeugbau weitgehend regional getrennt: Ziviles im Norden, militärisches im CSU-Land Bayern. Nicht umsonst soll das Finanzministerium, unter CSU-Chef Waigel, eine Milliarde für den Eurofighter aus eigenen Töpfen beisteuern.

Aber selbst die starke bayerische Militärflugzeuglobby kann eine solche Beschaffung nicht allein durchdrücken. Wenn der Eurofighter kommen sollte, so liegt das vor allem daran, daß in diesem Projekt vielfältige Interessen gebündelt sind und es eine starke Eigendynamik entfaltet. Wenn ein Riesenprojekt wie der Eurofighter – Gesamtbeschaffungsvolumen für die vier beteiligten Länder etwa 125 Milliarden DM – einmal begonnen worden ist, können es nur starke finanzielle oder politische Argumente stoppen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat beim Eurofighter nicht gereicht. Ob die akute Wirtschaftskrise und Haushaltsebbe reichen wird, ist fraglich.

Theoretisch könnte jetzt, wo die Entwicklung des Flugzeuges dem Ende zugeht und es um den Beginn der Produktion geht, noch einmal grundsätzlich über das Flugzeug diskutiert werden. Die Kosten der Beschaffung und des Betriebs der Flugzeuge durch die Bundesluftwaffe – nach Schätzung des Bundesrechnungshofs mehr als 100 Milliarden DM in den nächsten vier Jahrzehnten – könnten dem erwarteten Nutzen – Abschreckung möglicher Gegner im Osten und Süden der NATO, Einsatz bei Out-of-area-Einsätzen – gegenübergestellt werden. Bürger und Parlament könnten entscheiden, ob die absehbare Sicherheitslage wirklich erfordert, daß jeder deutsche Einkommenssteuerzahler im Durchschnitt fast 3.000 DM zum Kauf und Betrieb eines Jagdflugzeuges beisteuert, während gleichzeitig die Sozialbudgets zusammengestrichen werden.

Bei nüchterner Betrachtung stellt sich schnell heraus, daß die Argumente für den Eurofighter schwach sind. Beispiel Sicherheitspolitik: angesichts der jetzigen Sicherheitslage in Europa kann ein Jagdflugzeug keine Priorität haben – die NATO ist schon hoch überlegen und wird diese Überlegenheit auch ohne deutsche Eurofighter noch steigern. Darüber hinaus: In den neuen Kostenschätzungen für die NATO-Erweiterung wird davon ausgegangen, daß es in absehbarer Zeit keine Bedrohung aus dem Osten gibt. Beispiel Wirtschafts- und Technologiepolitik: Langfristig hat der eigenständige militärische Flugzeugbau in Deutschland keine Zukunft angesichts der Größenordnungen, die die Konkurrenz in den USA, aber auch in Großbritannien und Frankreich erreicht hat. Es ist offensichtlich, daß der zivile Flugzeugbau weitaus bessere Chancen hat. Mehr Arbeitsplätze könnten beschafft und zukunftsträchtigere Technologien entwickelt werden, wenn das Geld nicht für den Eurofighter, sondern etwa für ein neues Großraumflugzeug oder unweltschonende Flugzeugantriebe ausgegeben würde. Das gilt natürlich auch für andere Innovationsfelder, etwa die Solartechnologie.

Die vernünftige Lösung ist der Verzicht auf den Eurofighter. Die Haushaltslage verbietet die Festlegung von weit über 20 Milliarden DM für ein Jagdflugzeug. Das Geld kann anders sinnvoller eingesetzt werden, um Beschäftigung zu sichern. Die jetzt begonnenen Verhandlungen über eine Revision des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa erlauben es überdies, mit diesem Verzicht Abrüstungsschritte in anderen Staaten zu verbinden.

Soweit die Theorie. In der politischen Praxis hat die Vernunft es schwer gegen Lobbyisten, die die klare Sicht auf die Fakten vernebeln, und Argumente, die bei genauerem Hinsehen keine sind. Und sie hat es schwer, weil am Verfahren schon länger Beteiligte an ihren früheren Entscheidungen festhalten wollen. Denn sonst drohen denjenigen, die die frühere Fehlinvestition zu verantworten haben, unangenehme Fragen.

Um so wichtiger ist es, die Diskussion um den Eurofighter auf der Grundlage von Argumenten zu führen und nicht unter dem Zwang früherer Entscheidungen. Und sich nicht mit einer abermaligen Verschiebung abspeisen zu lassen, sondern auf dem Verzicht der Beschaffung zum jetzigen Zeitpunkt zu bestehen.

Michael Brzoska ist stellvertretender Leiter des Bonner Konversionsinstituts (BICC)

Neue Bundeswehr mit neuen Waffen

Neue Bundeswehr mit neuen Waffen

Außenpolitisch und militärisch gefährlich, teuer und unsozial

von Tobias Pflüger

In der öffentlichen Debatte über die Haushaltskürzungen wird mehr und mehr der Eindruck erweckt, daß auch die Bundeswehr mächtig Federn lassen muß. In Wirklichkeit aber sind in den für Militär und Rüstungsindustrie entscheidenden Bereichen der Neubewaffnung Steigerungsraten vorgesehen. Tobias Pflüger untersucht, wie nach neuer Strategie und neuer Struktur mit der Neubewaffnung der Prozeß der Herausbildung einer neuen Bundeswehr weiter forciert wird.

Es spricht sich herum, die derzeitige Bundeswehr ist nicht mehr die alte Bundeswehr, langsam setzt sich der Begriff der »neuen Bundeswehr« in der politischen, wissenschaftlichen und militärischen Diskussion durch. Die Veränderung der Bundeswehr fand und findet in einem Dreischritt statt: Zuerst eine neue Strategie, dann eine neue Struktur und schließlich eine neue Bewaffnung. Diese drei Elemente einer neuen Bundeswehr überlager(t)en sich zwar teilweise zeitlich, trotzdem ist eine klare Abfolge auszumachen.

Alle drei Elemente der neuen Bundeswehr bedingen einander: Aufgrund der neuen Strategie war die neue Struktur fast zwangsläufig. Die veränderte Strategie und die neue Struktur der Bundeswehr hin zu einer international einsetzbaren Eingreiftruppe ließ dann wiederum neue Beschaffungsmaßnahmen und eine Ausstattung der Bundeswehr mit neuen Kriegswaffen fast zwingend folgen. Die Strategieentwicklung für die Bundeswehr erfolgte nahezu reibungslos. Die Strukturveränderungen brachten insbesondere bezüglich Kasernenschließungen und der neuen Heeresstruktur so manche Akzeptanzprobleme (bei der Bundeswehr selbst, aber auch bei der Bevölkerung) mit sich. Der dritte Schritt aber, die Neubewaffnung, die schon länger angelaufen ist, aber derzeit in ihre entscheidende Phase tritt, ist für die Bundeswehrführung wohl der schwierigste.

Die Planungen der Bundeswehrführung1 verliefen nicht geradlinig. Im Gegenteil, die Strategiepapiere widersprechen sich zum Teil deutlich. Immer wieder wurden die Planungspapiere der Bundeswehrführung oder die militärische Ausrichtung einzelner Rüstungsprojekte korrigiert, entweder, weil sich neue politische Rahmenbedingungen ergaben oder weil neue finanzielle Vorgaben gemacht wurden. Doch trotz alledem ergibt sich eine klare Linie in der Veränderung der alten Bundeswehr, die offiziell »nur« zur Landesverteidigung da war, hin zur neuen weltweit einsetzbaren Bundeswehr.

Die derzeitig laufende Neubewaffnung bzw. die umfangreichen Neubeschaffungsmaßnahmen sind nur im Kontext der Veränderung der gesamten Bundeswehr verständlich. Insbesondere die Strategieveränderungen und der neue strukturelle Neuaufbau der Bundeswehr sind zusätzlich noch eng verzahnt mit der Veränderung der NATO.

Neue Strategie der neuen Bundeswehr

Nach dem Ende des Kalten Krieges bekamen die Bundeswehr und die anderen NATO-Armeen eine neue Strategie für ihre zukünftigen Einsätze verschrieben (Zur Strategieentwicklung vgl. Tabelle 1). Schon auf dem NATO-Gipfel am 05. und 06. Juni 1990 in London wurden die ersten Leitbilder für die neuen NATO-Armeen der Zukunft formuliert. Bei der NATO-Tagung Anfang November 1991 in Rom gab sich die NATO dann ein neues »Strategisches Konzept des Bündnisses«2.

Die Umsetzung der NATO-Beschlüsse in Deutschland folgte sehr schnell. Im Februar 1992 wurde das sogenannte Stoltenberg-Papier vorgelegt3. Wichtiger für die neue Strategie sind aber die am 26. November 1992 vom neuen Verteidigungsminister Volker Rühe erlassenen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« (VPR). Sie sind das Planungspapier der Bundeswehrführung, das die neue strategische Ausrichtung der Bundeswehr am offensten und deutlichsten formuliert: In den VPR werden »vitale Sicherheitsinteressen« Deutschlands formuliert. Diese sind z.B.: „8. Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung. (…) 10. Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag und vor allem unsere Glaubwürdigkeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.“ 4

Der politische Stellenwert der VPR wird gerne von Bundeswehr-Vertretern in öffentlichen Diskussionen heruntergespielt. Doch das Bundesverteidigungsministerium schreibt selbst dazu kurz und knapp, aber deutlich im Strukturanpassungsbeschluß des Verteidigungsministeriums vom Juni 1995: „Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 26. November 1992 wurde der erweiterte Auftrag der Bundeswehr festgelegt.“ 5

Hauptaufgabe der neuen Bundeswehr soll – entgegen allen öffentlichen Beteuerungen – nicht mehr die Landesverteidigung sein, sondern weltweite »KrisenInterventionen«, sprich Kampfeinsätze zur Durchsetzung strategischer Interessen.

Auf den Punkt bringt dies der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Lothar Rühl in der Zeitung DIE WELT: „'Landesverteidigung' kann nicht länger das Kriterium der Streitkräfte sein, gleichgültig, ob Wehrpflicht besteht oder nicht, 'kollektive Verteidigung' des Bündnisgebietes in Europa kann nicht mehr 'die Kernfunktion' der NATO bleiben, Landstreitkräfte können nicht mehr den Schwerpunkt bilden. Die Hauptaufgabe der alliierten Streitkräfte ist die militärische Unterstützung der Krisenbeherrschung und Konfliktverhütung geworden: das Eingreifen in bedrohliche Situationen als Prävention. Dazu sind europäische Luft-, See- und Eingreifkräfte mit einer luftbeweglichen Landkomponente ohne den kostspieligen Ballast großer Mobilmachungsorganisationen notwendig.“ 6

Die neue Struktur der Bundeswehr

Die Krisenreaktionskräfte

Am 12. Juli 1994, am gleichen Tag, an dem das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr erging, legte Volker Rühe die »Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vor. „Die Konzeptionelle Leitlinie (…) definiert konkrete Eckwerte für den Friedens- und Verteidigungsumfang der Streitkräfte und ihre Struktur sowie für die Größenordnung der Krisenreaktionskräfte. (…) Dementsprechend braucht Deutschland – Streitkräfte zur Landesverteidigung, die im Frieden in Präsenz und Einsatzbereitschaft zurückgenommen werden können und damit mobilmachungsabhängiger werden, – und Kräfte zur Krisenreaktion, die im Frieden voll präsent, einsatzbereit, schnell verlegefähig und durch hohe Professionalität in der Lage sind, im ganzen Spektrum von Krisenbewältigungsoperationen eingesetzt zu werden.7

Alle NATO-Streitkräfte wurden ausgehend von dem Beschluß MC 317 des NATO-Gipfels im November 1991 in Rom im wesentlichen in drei Kategorien unterteilt:

  • (Rapid) Reaction Forces (RF)=Sofort- und Schnellreaktionskräfte,
  • Krisenreaktionskräfte (KRK)
  • Main Defense Forces (MDF)=Hauptverteidigungskräfte (HVK)
  • Augmentation Forces (AF)=Verstärkungskräfte (Diese Verstärkungskräfte sind für die Bundeswehr nicht vorgesehen.)

Die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr haben einen Umfang von 53.600 Soldaten. Sie setzen sich aus 37.000 Soldaten des Heeres, 12.300 Soldaten der Luftwaffe und 4.300 Soldaten der Marine zusammen. Der kleinere Teil von ihnen soll innerhalb von drei bis sieben Tagen einsatzbereit sein, alle anderen Truppen der Krisenreaktionskräfte sollen nach 15 bis 30 Tagen ins zukünftige Kriegsgebiet verbracht werden können. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, daß die direkten Kampfeinheiten innerhalb der Krisenreaktionskräfte entsprechend ihrer Ausbildung „ohne Personalaustausch eingesetzt werden können“. Zentral ist, daß die Truppen der Krisenreaktionskräfte zu 80 Prozent aus Berufssoldaten und zu 20 Prozent aus »freiwillig« längerdienenden Wehrpflichtigen bestehen. So gibt es innerhalb der Bundeswehr eine kleine schlagkräftige Berufsarmee, die politisch und militärisch wichtiger ist als die gesamte restliche Bundeswehr. Die Diskussion um die Wehrpflicht erscheint bei Berücksichtigung dieser Tatsachen in einem neuen Licht.

Nationalisierung, Europäisierung, Internationalisierung oder Ostorientierung?

Mit der Verabschiedung des Strukturanpassungsbeschlusses8 vom 07.06.1995 wurde auch die Indienststellung einer neuen Elitekampfeinheit der Bundeswehr beschlossen, dem Kommando Spezialkräfte. Die konservative Zeitung DIE WELT spricht von einer „Para-Kommandobrigade für den Guerillakampf“.9 Das Kommando Spezialkräfte (KSK) wurde am 01.04.1996 in Calw (Nordschwarzwald) in Dienst gestellt. Militärisch sind Kampf- und Kriegseinsätze in Feindesland Hauptaufgabe des KSK. Das KSK soll schlußendlich 1.000 (Berufs-)Soldaten vom Range des Feldwebel ab umfassen, die ein strenges Auswahlverfahren und eine Spezialausbildung mit Einzelkampf und Spezialschießen hinter sich gebracht haben. Das KSK soll als erste Bundeswehreinheit in den »Genuß« neuer Waffensysteme kommen. Verfassungsrechtlich bewegt sich das Kommando Spezialkräfte auf dünnstem Eis: So kann beispielsweise vor einem KSK-Einsatz der Bundestag nur schwerlich befragt werden und die Einsätze sind auch rein national geplant, also auch ohne ein »kollektives Sicherheitssystem« (UNO, NATO, WEU etc.) wie es im Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12.07.1994 definiert wurde. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist ein eindeutiges Indiz für eine Nationalisierung von Bundeswehrstrukturen und der dahinter stehenden Politik.

Die Armeen aller NATO-Staaten kooperieren verstärkt. Es wurden eine Reihe gemeinsamer Korps gebildet, denen Einheiten bzw. Soldaten verschiedener NATO-Armeen angehören. Besonders die NATO-Armeen, die in Mitteleuropa stationiert sind, haben eine Reihe gemeinsamer Korps gebildet. Deutlichstes Zeichen dieser Kooperation ist das Eurokorps, das größte internationale Korps. Ende 1993 wurde das Eurokorps in Dienst gestellt, Ende 1995 hat es seine volle Einsatzbereitschaft erklärt. Das Eurokorps besteht aus Truppen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, Spaniens und Luxemburgs. Neben dem Eurokorps gibt es noch das deutsch-niederländische Korps, ein deutsch-amerikanisches und ein amerikanisch-deutsches Korps, ein deutsch-dänisches Korps und seit dem 09.11.1996 ist das Eurofor, eine schnelle Eingreiftruppe mit Truppen aus Frankreich, Spanien, Portugal und Italien in Florenz in Dienst gesetzt worden. Zusätzlich soll es noch das Euromarfor, die maritime Schwester des Eurofor geben. Das Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (ARRC) in Mönchengladbach ist eine zentrale NATO-Eingreiftruppe. Am ARRC sind 13 NATO-Staaten beteiligt (Belgien, Kanada, Dänemark, Griechenland, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Türkei und die USA). Vom britischen Militär werden 60<0> <>% des Stabpersonals und die gesamte Infrastruktur gestellt. Ebenfalls in Mönchengladbach ist die Multinational Division – Central (MND – C). Sie ist mit 20.000 Soldaten ein kleiner aber dafür hochmobiler Eingreifverband, dem Truppen aus Deutschland, Großbritannien, Belgien und den Niederlanden angehören, eine Voraustruppe innerhalb der Rapid Reaction Corps der NATO, zugleich eine rein europäische Armee-Einheit. Hier sind eine Internationalisierung mit einer NATO-Dominanz (ARRC, MND-C und deutsch-amerikanischen Korps) und eine Europäisierung mit einer WEU-(bzw. europäische NATO)-Dominanz zu erkennen. Auffallend ist bei den europäischen Truppenkooperationen mit Ausnahme des Eurofor / Euromarfor die deutsche Dominanz bei den multinationalen Korps.

Neben diesen intensiven NATO- bzw. WEU-internen gemeinsamen Korps kooperiert die Bundeswehr inzwischen intensiv mit osteuropäischen Armeen. Gemeinsame Korps wurden bisher aus politischen Gründen nicht gebildet, doch ansonsten ist die Zusammenarbeit sehr intensiv. Es werden gemeinsame Manöver abgehalten, die Bundeswehr übernimmt Truppenpatenschaften für osteuropäische Einheiten und es gibt einen Austausch von Offizieren. Zentraler Kooperationspunkt mit den osteuropäischen Armeen ist die Erprobung der (Nicht-)Kompatibilität der Gerätschaften der verschiedenen Armeen. Die enge Kooperation nicht nur, aber vor allem Deutschlands mit osteuropäischen Armeen, lassen eine schleichende NATO-Osterweiterung deutlich werden.

In der Kooperation mit osteuropäischen Armeen wird eine schleichende NATO-Osterweiterung deutlich

Keine der vier Tendenzen ist allein dominant sichtbar in den neuen Bundeswehrstrukturen. Die Bundesregierung läßt sich alle Optionen offen. Jede der beschriebenen Tendenzen kann verstärkt werden, was vor allem bei der Nationalisierung und der intensiven Ostkooperation Sorgen bereitet.

Neubewaffnung bzw. Neubeschaffungsmaßnahmen

Schwerpunkt „Krisenreaktionsfähigkeit“

Insbesondere um die Krisenreaktionskräfte im Sinne der neuen Strategie einsetzen zu können (Stichwort: Interventionen), sind militärisch andere Waffen bzw. Rüstungsgüter vonnöten als die Bundeswehr bisher hatte oder bisher für die Bundeswehr geplant wurden. Militärische Interventionen sind zumeist nur mit entsprechenden auch offensiv einsetzbaren Waffen umsetzbar. Deshalb wurden nach dem

Ende des kalten Krieges die laufenden Rüstungsplanungen größtenteils umgeplant. Dazu kamen eine Reihe weiterer Rüstungsprojekte. Am größten derzeit zur

Diskussion stehenden Rüstungsprojekt, dem Eurofighter 2000, läßt sich dieser politische wie militärische Paradigmenwechsel gut nachweisen. Das Vorgängermodell Jäger 90 war militärisch als Abfangjäger – gegen angreifende Kampfflugzeuge wie die MIG – konzipiert worden. Im Rahmen einer neuen Strategie für eine Bundeswehr, die schwerpunktmäßig „out of Area“ eingesetzt werden soll, machen Abfangjäger militärisch keinen Sinn mehr. So wurden nun zusätzlich zu den 140 (Abfang)Jägern 40 Eurofighter 2000 in einer Jagdbomberversion geordert. Jagdbomber sind für die neue Strategie von zentraler Bedeutung. So sind der Kampfflieger Tornado und der Kampfhubschrauber Tiger (früher PAH 2) die zentralen Kampfinstrumente der Bundeswehr-Luftwaffe der nahen Kriegszukunft.

Im Bundeswehrplan 1997, dem aktuellen Planungspapier für die laufenden und bevorstehenden Beschaffungen, ist die militärisch-politische Prioritätensetzung klar erkennbar: „Der Schwerpunkt der Materialplanung liegt auf dem Abbau der Defizite, der für die wesentlichen Fähigkeiten zur Krisenreaktion unabdingbar ist. Priorität haben also – Aufklärung, Kommunikation und Führung, – Transportfähigkeit, auch über große Entfernungen, – logistische und sanitätsdienstliche Unterstützung und – die persönliche Ausrüstung der Soldaten. (…) Einsatzentscheidende Peripherie wird mit der gleichen Priorität eingeplant wie das zugehörige Hauptwaffensystem. Heer, Luftwaffe und Marine erhalten genügend Mittel, um ihre Lebens-, Ausbildungs- und Einsatzfähigkeit zu erhalten.“ 10

Neue Rüstungsprojekte trotz Sparmaßnahmen

Rühe muß über eine Milliarde einsparen“,11 hießen Zeitungsüberschriften Ende Mai 1996.

Im Juli 1996 flammte erneut eine heftige Diskussion auf, als Finanzminister Theo Waigel eine weitere Milliarde DM im Einzelplan 14 (Verteidigungshaushalt) kürzte.12 Rühe wehrte sich öffentlich gegen diese weiteren Einsparungen und wurde dafür von Bundeskanzler Kohl öffentlich gemaßregelt.

Im November gab es erneut Streichungen in den Haushaltstiteln der verschiedenen Einzelpläne. Der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt wurde jedoch »nur« um weitere 200 Millionen DM gekürzt. Trotzdem blieb vor allem wegen der Diskussion im Sommer in der Öffentlichkeit der Eindruck zurück, der Verteidigungsetat würde total zusammengestrichen. Dem ist aber gar nicht so, zumindest nicht in dem für die Militärs und die Rüstungsindustrie relevanten Bereich, dem Bereich der Anschaffung neuer Waffensysteme! Im für Militärs und Rüstungsindustrie relevanten Bereich wird nicht gespart

Im Verteidigungshaushalt soll der sogenannte investive Bereich steigen, die Investitionen für Baumaßnahmen und für Beschaffungsprojekte.

Das Ergebnis der zwischen den Kabinettsmitgliedern öffentlich ausgetragenen Diskussion um die Größenordnung des Einzelplans 14 innerhalb des Bundeshaushaltes 1997 war ein Verteidigungshaushalt in der Höhe von 46,5 (inzwischen 46,3) Milliarden DM. Legt man die NATO-Kriterien13 für den Verteidigungshaushalt zugrunde, so kommen noch ca. 10 bis 14 Milliarden DM dazu. Danach wären es also ca. 60 Milliarden DM.

Die effektiven Einsparungen, die im Verteidigungshaushalt vorgenommen wurden, betrafen bei der ersten Kürzung (Mai 1996) praktisch nicht den investiven Bereich. Erst bei der zweiten Kürzung (Juli 1996) war der investive Bereich betroffen. Der Schwerpunkt der Kürzungen lag aber auch diesmal nicht bei der Rüstungsbeschaffung: Gekürzt wurden beispielsweise sämtliche Bauvorhaben der Bundeswehr im Westen.14

Das Planungspapier, in dem ein Teil der Beschaffungsprojekte konkret aufgeführt sind, ist der Bundeswehrplan 199715, den Rühe dem Verteidigungsausschuß am 28.02.1996 vorgelegt hat. Er wurde von Rühe als „Endstück der Planung der neuen Bundeswehr“ 16bezeichnet. Der Bundeswehrplan ist zwar wegen der Kürzungen im Einzelplan 14 in den Zahlen nicht mehr genau auf dem Stand, die wesentlichen Vorgaben des Bundeswehrplans 1997 sind aber trotz der Haushaltskürzungen nach wie vor gültig: Das Hauptziel, das mit dem Bundeswehrplan 1997 erreicht werden sollte, ist die kontinuierliche jährliche Erhöhung des investiven Teils des Verteidigungshaushaltes bis zum Jahr 2001. Dahinter steht das Planungsziel einer Erhöhung des Anteils für (Rüstungs-)Beschaffungen im Verteidigungshaushalt. Diese für Bundeswehr und Rüstungsindustrie wichtigste Planungsvorgabe hat Volker Rühe in der heftigen koalitionsinternen Haushaltsdebatte im Sommer 1996 tatsächlich »verteidigt«. So sollen ab 1997 jedes Jahr aus den anderen Bereichen des Verteidigungshaushaltes Gelder umgeschichtet werden, um im investiven Bereich eingesetzt werden zu können. Nach Aussagen Rühes werde ein Großteil der umzuschichtenden Gelder im Bereich „Materialerhaltung und dem sonstigen Betrieb“ gewonnen. Der Betrag der umzuschichtenden Gelder soll sich von Jahr zu Jahr steigern. Für 1997 waren 450 Millionen DM eingeplant, im Jahr 2001 schon über eine Milliarde DM.

Das jährliche Budget allein für militärische Beschaffungen steigert sich demnach von sechs Milliarden DM 1996 auf neun Milliarden DM im Jahre 2001. Damit ist nur der Bereich der reinen Beschaffung (quasi des Kaufes) gemeint. Der Bereich der Forschung, Entwicklung und Erprobung ist da nicht mit eingerechnet. Dieser Bereich wird ja auch nicht schwerpunktmäßig durch Gelder aus dem Verteidigungshaushalt getragen, sondern durch andere Haushaltstitel, wie den des Forschungsministeriums.

Im Bundeswehrplan 1997 wurde auch konkret geplant, welchen Anteil der Teil des investiven Bereiches des Einzelplanes 14 (Verteidigungshaushalt) haben solle, der für die Beschaffungen vorgesehen ist. Gegenüber dem Haushalt 1996 sollte sich der prozentuale Anteil des gesamten investiven Teils nach dem Bundeswehrplan 1997 von 25<0> <>% (1996) auf 30<0> <>% bis zum Jahr 2001 erhöhen.

215 neue Beschaffungsvorhaben nachweisbar

Es ist möglich, derzeit 215 (!) neue Beschaffungsprojekte unterschiedlicher Qualität nachzuweisen.17 Bei den 215 Projekten sind sowohl sogenannte »wesentliche Großvorhaben« als auch kleinere Projekte oder Programme zur sogenannten »Kampfwertsteigerung« enthalten. Die nachweisbaren Beschaffungsprojekte befinden sich in ganz unterschiedlichen Projektphasen. Die »wesentlichen Großvorhaben«, ein Begriff aus dem Bundeswehrplan 1997 des Verteidigungsministeriums, sind der Tabelle 2 zu entnehmen.

Diese »wesentlichen Großvorhaben« machen finanziell gesehen rund zwei Drittel des gesamten Beschaffungsvolumens aus. Rechnet man den vom Verteidigungsministerium angegebenen Finanzbedarf für die wesentlichen Großvorhaben und diese Angabe von 2/3 der Gesamtkosten hoch, dann ist nach den offiziellen Plänen von Gesamtkosten für die Beschaffungsvorhaben von 200 Milliarden DM auszugehen!

200 Milliarden für Beschaffungsvorhaben – KRK stehen im Mittelpunkt

Der eindeutige quantitative Schwerpunkt der Neubewaffnung bzw. der Beschaffungsprojekte ist im Bereich der Kommunikationstechnik und elektronischer Systeme zu finden. So lassen sich allein 50 Projekte in den Bereichen Simulatoren, Überwachungssysteme, Radar, Kommunikationssysteme und Rechner nachweisen. Zentral sind hier die Gesamtsysteme der Satellitenkommunikation der Bundeswehr (abgekürzt heißt das dann SATCOMBW) und das Fernmeldesystem Heer.

Eindeutiger qualitativer Schwerpunkt der Neubewaffnung bzw. der Beschaffungsprojekte sind vor allem bemannte, aber auch unbemannte Flugsysteme (Drohnen). Zentral sind hier der Kampfhubschrauber Tiger, der NATO-Hubschrauber NH 90, das Future Large Aircraft (FLA, auch Future Transport Aircraft / FTA genannt). Sie stellen auch entweder die zentralen Kampfinstrumente der Krisenreaktionskräfte dar, oder mit ihnen sollen Truppen und Waffen in die zukünftigen Kriegsgebiete gebracht werden.

Politische Einordnung

Fast alle neuen Rüstungsprojekte entstehen in Kooperation mit anderen (europäischen) Staaten bzw. Rüstungsfirmen. Bei den Großprojekten ist lediglich die Panzerhaubitze 2000 ein rein nationales Projekt. Das hat vor allem den Hintergrund, daß ansonsten die Rüstungsprojekte nicht finanzierbar sind. Beschaffungen für die Bundeswehr und Rüstungsexport kristallisieren sich immer mehr als zwei Seiten einer Medaille heraus. Damit die Produktion für die Rüstungsfirmen ein einträgliches Geschäft wird und ebenfalls aus Finanzierungsgründen wird in Zukunft der Anteil der Waffensysteme, die nicht in die Vertragsstaaten eines Projektes gehen, zunehmen. Das heißt der Rüstungsexport wird in Zukunft weiter stark steigen. Volker Rühe ist im Zuge des Haushaltsstreites zugesagt worden, daß er »alte Waffensysteme« verstärkt verkaufen darf, zusätzlich haben andere NATO-Staaten, aber auch finanzkräftige andere Staaten z.B. aus dem arabischen oder südostasiatischen Raum durchaus Interesse an den neuen Waffen. So werden verstärkt deutsche Waffen auch in Kriegs- und Krisengebieten »auftauchen«. Zur »Befriedung« von Konflikten wird dann der Ruf nach Truppen (mit deutscher Beteiligung) erschallen. Eine Spirale der weiteren Militarisierung18 tut sich auf. Wieder bedingen sich neue Strategie, neue Struktur und neue Bewaffnung der Bundeswehr gegenseitig.

Tabelle 1
Die Entwicklung der neuen Strategie für die Bundeswehr
Datum Vollständiger Name Öffentlich bekannt unter
05. / 06.06.1990 Beschluß der NATO-Gipfelkonferenz am 05. / 06. Juni 1990 NATO-Gipfel 1990 in London
07. / 08.11.1991 Beschluß der NATO-Gipfelkonferenz am 07. / 08. November 1991 NATO-Gipfel 1991 in Rom
Februar 1992 Militärpolitische und Militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle
Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr
Stoltenberg-Papier
26.11.1992 Verteidigungspolitische Richtlinien weitgehend unbekannt
05.04.1994 Weißbuch Weißbuch
12. 07.1994 Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr Konzeptionelle Leitlinie
15.03.1995 Ressortkonzept zur Anpassung der Streitkräftestrukturen, der
Territorialen Wehrverwaltung und der Stationierung
Konzept zur Schließung von Standorten
07.06.1995 Anpassung der Streitkräftestrukturen, der Territorialen Wehrverwaltung
und der Stationierung
Beschluß zur Schließung von Standorten
16.01.1996 Ausplanung der Binnenstrukturen der Streitkräfte weitgehend unbekannt
28.02.1996 Bundeswehrplan 1997 Bundeswehrplan 1997
1996 Tabelle: Tobias Pflüger
(Datengrundlage:
Bundeswehrplan 1997 / Anlage zum Ressortkonzept Materialplanung)
Tabelle 2
Investitionen für die wesentlichen Großvorhaben der Bundeswehr
Bundeswehr-Rüstungsprojekte (Kosten in Millionen DM) FEE Beschaffung
1. Vorhaben der Streitkräfte insgesamt
Satellitenkommunikation Bundeswehr (SATCOMBW) 732,0 2.732,0
Operative Abbildende Aufklärung (AGS) 42,3 600,0
Operative Signalerfassende Aufklärung (BR 1150 SIGINT,NDV u. Nachfolge) 0 347,6
NATO Frühwarnsystem (AWACS) 0 671,7
Neuer Transporthubschrauber (NH 90/MH 90) 708,6 11.306,9
Feldlager/Lazarett 6,0 3.280,5
Neues Transportfahrzeug mit modernem Umschlagsystem (MULTI) 11,9 1.483,0
2. Vorhaben des Heeres
Fernmeldesystem Heer (FmSysH) 253,1 5.297,5
Führungsinformationssystem (FüInfosysH) 1.284,0 3.106,0
Panzerhaubitze (PzH 2000) 580,7 5.645,9
Suchzündermunition Artillerie (SMART 155mm) 346,0 745,3
Kleinfluggerät Zielortung (KZO) 287,6 791,5
Gepanzertes Transport Fahrzeug (GTK) 143,0 6.046,0
Unterstützungshubschrauber (UHU/TIGER) 2.476,6 11.050,9
Panzerabwehrraketensysteme lange Reichweite (PARS 3 LR) 956,1 907,2
Neue gepanzerte Plattform (NGP) 33,8 240,0
3. Vorhaben der Luftwaffe
Eurofighter (EF 2000) 8.296,0 19.320,1
Luft/Luft Lenkflugkörper mittlere Reichweite (FMRAAM/AMRAAM) 375,0 2.204,4
Luft/Luft Lenkflugkörper kurze Reichweite (FSRAAM) 270,0 970,0
KWA Flugabwehrraketensystem (PATRIOT) 241,4 1.566,0
Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS/MEADS) 1.216,1 5.000,0
Modulare Abstandswaffe (MAW) 309,7 3.895,0
Zukünftiges Transportflugzeug (FLA) 304,0 4.320,0
Langstreckenflugzeug (A 310) 0 462,0
4. Vorhaben der Marine
Fregatten (F 124/F 125) 479,0 6.400,0
Korvette 4,9 5.250,0
Unterseeboot (U 212) 248,0 2.671,1
Seefernaufklärungsflugzeug (MPA 2000) 3,2 1.750,0
Einsatzgruppenversorger (EGV) 2,5 580,0
SEA LYNX 4. LOS 0 250,0
Summe Summe
19.611,5 108.890,6
Gesamtsumme in Millionen DM
128.502,1
1996 Tabelle: Tobias Pflüger / Claudia
Haydt

Anmerkungen

1) Damit sind hier sowohl das Verteidigungsministerium als auch die militärische Führung der Bundeswehr und dort vor allem der Generalinspekteur der Bundeswehr gemeint. Zurück

2) NATO: Schlußdokument des NATO-Gipfels von Rom 07. / 08.11. 1991. Zurück

3) Verteidigungsministerium: Militärpolitische und Militärstrategische Grundlagen und konzeptionelle Grundrichtung der Neugestaltung der Bundeswehr, Bonn, Februar 1992. Zurück

4) Verteidigungsministerium: Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR), Bonn, 26.11.1992. Zurück

5) Verteidigungsministerium: Anpassung der Streitkräftestrukturen, der Territorialen Wehrverwaltung und der Stationierung, Bonn, 07.06.1995. Zurück

6) Lothar Rühl: Noch fehlen Europa die Armeen des 21. Jahrhunderts, in: Die Welt vom 04.06.1996. Zurück

7) Verteidigungsministerium: Konzeptionelle Leitlinie, Bonn, 12.07.1994. Zurück

8) Verteidigungsministerium: Anpassung der Streitkräftestrukturen, der Territorialen Wehrverwaltung und der Stationierung, Bonn, 07.06.1995. Zurück

9) Vgl. Die Welt vom 28.01.1995. Zurück

10) Bundesverteidigungsministerium: Bundeswehrplan 1997, Bonn, 28.02.1996. Zurück

11) Vgl. u.a. Stuttgarter Nachrichten 22.05.1996. Zurück

12) Vg. u.a. Die Welt vom 03.07.1996. Zurück

13) Unter NATO-Kriterien versteht man die gesamten Ausgaben für Militärisches, auch diejenigen, die in anderen Haushaltsteilen, wie dem Forschungshaushalt, versteckt sind. Zurück

14) Vgl. Frankfurter Rundschau vom 11.07.1996. Zurück

15) Bundesverteidigungsministerium: Bundeswehrplan 1997, a.a.O. Zurück

16) Rühe, Volker: Vorstellung des Bundeswehrplanes 1997 im Verteidigungsausschuß am 28.02.1996. Zurück

17) Nähere Angaben zu den einzelnen Rüstungsprojekten finden sich in der Studie des Autors: Die neue Bundeswehr, die im Januar 1997 als Buch im ISP-Verlag, Karlsruhe erscheint. Zurück

18) Auch „tödlicher Sechsschritt“, vgl. hierzu: Tobias Zurück

Pflüger: Mit Daimlerwaffen in den Krieg, Friedensblätter Nummer 28, Oktober 1995.

Tobias Pflüger ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung / IMI e.V., Tübingen

Rüstung beschleunigt Krisendynamik

Rüstung beschleunigt Krisendynamik

von Götz Neuneck

Mit dem Epochenwechsel 1989/90 war weltweit die Hoffnung verbunden, das Ende des Wettrüstens setze die nicht mehr für das Wettrüsten benötigten Ressourcen zur Lösung neuer Bedrohungen frei. Globale Erwärmung, Bevölkerungsexplosion, Migrationsdruck, fortschreitende Umweltbelastungen und Energiekrisen, alles Faktoren, die zu einem Ansteigen von Konflikten führen können, wurden als neue »globale Herausforderungen« erkannt. Auch die Sicherheitspolitik beteiligte sich an dieser Diskussion. Von einer globalen Weltordnungspolitik, in der Wirtschaft, Umwelt und Entwicklung zu einer Zivilisierung möglicher Konflikte und Krisen beitragen, ist das internationale System hingegen noch weit entfernt. Dies zeigt jedenfalls ein Blick auf die Art der Sicherheitsvorsorge, der Rüstungsmodernisierung und der Strategieplanung, die führende Industriestaaten im Jahre Sechs nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes betreiben. Der herkömmlichen Sicherheitspolitik fehlt immer noch die friedenspolitische Komponente, die die Grundbedingungen des Lebens und Überlebens der Menschheit gewährleistet.

Zunächst belegen die weltweiten Zahlen das Ende der jahrzehntelangen globalen Hochrüstung. So sind nach SIPRI-Angaben die globalen Militärausgaben 1995 um 5,1 Prozent zurückgegangen, hauptsächlich aufgrund der verminderten Militärausgaben Rußlands und der NATO-Staaten.1 Die USA und Rußland bringen allerdings immer noch fast die Hälfte der globalen Militärausgaben für ihre eigene Rüstung auf. Das US-Militärbudget soll in den nächsten fünf Jahren von 264 Mrd. auf 287 Mrd. $ steigen. Für das Finanzjahr 1997 wurde vom Kongreß ein Haushalt beschlossen, der 10 Mrd. höher liegt, als dies die Administration vorgeschlagen hatte.2 Das »Center for Defense Information« folgert: Nach dem Kollaps der Sowjetunion befinden sich die USA im „Wettrüsten mit sich selbst.“ 3 Dies zeigt auch ein Blick auf die rund 43,5 Mrd. $, die die USA jährlich für militärische Forschung und Entwicklung (F&E) ausgeben. (Zum Vergleich dazu: Das OSZE Budget betrug 1994 26 Mio. $.)4 Dieser Anteil entspricht ca. 62 Prozent aller militärischen F&E-Ausgaben weltweit.5

Die globalen Rüstungsexporte sind seit 1987 ca. um die Hälfte zurückgegangen. Sie lagen 1995 bei ca. 22 Mrd. $, wobei die USA 43 Prozent aller Rüstungsgüter ausführen. Seit 1990 wurden von der US-Regierung Ausrüstung und Waffen im Wert von 7 Mrd. $ hauptsächlich an Entwicklungsländer abgetreten.6 Der Anteil Rußlands am Rüstungsexport ist 1995 von vier auf 17 Prozent gestiegen.7 Moskau hat nach einer US-Studie zum ersten Mal wieder mehr Waffen in die Dritte Welt verkauft (= 62 Prozent) als die USA.8 Diese Indikatoren zeigen, daß die militärischen Machtpotentiale weiterhin modernisiert, exportiert und lukrativ vermarktet werden. Im Vergleich dazu leben nach einer Studie der Weltbank 20 Prozent der Menschheit von weniger als einem Dollar pro Tag und dieser Anteil an der Weltbevölkerung steigt, während die Entwicklungshilfe westlicher Staaten zurückgeht. Derweil verrotten unbrauchbare und überschüssige Munition und Waffen in Höhe von 31 Mrd. $ in amerikanischen Arsenalen.9 Allein für die Verschrottung und Entsorgung überschüssiger nuklearer, chemischer und konventioneller Waffen werden zwischen 90 bis 189 Mrd. $ veranschlagt.10

Angesichts der veränderten Weltlage konstatieren die Weißbücher der führenden Industriestaaten gerne die „völlig andere Qualität“ (Weißbuch 1994) zukünftiger Risiken, ohne daraus freilich Konsequenzen für die Umwidmung ihrer Militäretats zu ziehen. Nach Meinung der Eliten ist das sicherheitspolitische Umfeld weniger stabil, weniger voraussagbar und unübersichtlicher geworden: „Die Welt ist immer noch ein gefährlicher Ort.“ 11 Eben gerade diese Tatsache bedinge die Aufrechterhaltung und Modernisierung vorhandener Rüstungen. Neben den »klassischen Bedrohungsvariablen«, Proliferation von Massenvernichtungswaffen (MVW) und regionale Instabilitäten, werden in den USA Faktoren wie „Gefahren für die Demokratisierung und die US-Wirtschaft“ sowie „die Terrorismus-Bekämpfung“ zu den herausragenden Zielen der zukünftigen Sicherheitsplanung erhoben. Immerhin schreibt Präsident Clinton im Vorwort der seit 1986 jährlich erscheinenden »Nationalen Sicherheitsstrategie« von 1995: „Umweltzerstörungen in großem Maßstab, verschärft durch rapides Bevölkerungswachstum, drohen in vielen Ländern und Regionen politische Stabilität zu unterlaufen.“ Der Jahresbericht 1996 des Pentagon widmet der ökologischen Sicherheit zwar acht Seiten, versteht darunter aber eher das Säubern des Waffenkomplexes und die Einführung eigener Sicherheitsstandards (inkl. »Explosive Safety«). Der Übergang von der militärdominierten Bedrohung des Kalten Krieges hin zu Konflikten mit ökonomischen, ökologischen und sozialen Ursachen wird jedoch allenfalls andiskutiert.12

Hochgerüstete Industriestaaten stehen vor dem Problem, angesichts diffuser Risiken ihre militärischen Arsenale aus einer sicherheitspolitischen Analyse her konsistent abzuleiten. Ein weiteres Mal stellt sich die Frage: »How much is enough«? Von der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Wirklichkeit wurden immerhin die französischen Streitkräfte bereits eingeholt: So werden die Streitkräfte in den nächsten Jahren auf die Hälfte reduziert und bis 2002 zu einer reinen Berufsarmee umgebaut.

Anstatt jedoch Arbeit in die Frage zu investieren, was aus den neuen nicht-miltärisch beantwortbaren Herausforderungen folgt, empfiehlt das Pentagon die US-Streitkräfte so auszulegen, daß sie in der Lage sind, zwei größere Regionalkriege gleichzeitig führen und gewinnen zu können. Dabei geht Präsident Clinton keinesfalls scheu mit der eigenen Militärmacht um: „Unser Militär ist heute die bestbewaffnete, besttrainierte, bestvorbereitete Streitmacht der Welt, und ich habe die Pflicht, dafür zu sorgen, daß es so bleibt.“ 13 Die Operation »Deep Strike«, bei der im September 1996 Tomahawk-Marschflugkörper zur Vergeltung gegen den Irak eingesetzt wurden, zeigt den amerikanischen Glauben an die technokratische Lösung von politischen Konflikten.

Wesentliches Merkmal der nationalen Sicherheitsvorsorge bleibt die Kategorie des »nationalen Interesses«. So erklärte der US-Präsident 1994 vor der UNO: „Wenn unsere nationalen Sicherheitsinteressen bedroht sind, werden wir handeln – gemeinsam mit anderen, wenn wir können, aber allein, wenn wir müssen. Wir werden auf Diplomatie setzen, wenn wir können, aber auf Gewalt, wenn wir müssen.“ Eine selbsternannte »Commission on America's National Interests«, bestehend aus Harvard-Wissenschaftlern, Verteidigungsexperten und Politikern hat unlängst versucht, die nationalen Interessen der USA zu bestimmen.14 Wie nicht anders zu erwarten, wird die Abschreckung vor Angriffen mit ABC-Waffen, das Aufkommen neuer Hegemoniemächte in Europa und Asien, der Kollaps des Weltwirtschaftssystems und das Überleben von US-Alliierten als höchstes vitales Interesse eingestuft. Mittels US-Führerschaft und militärischer Fähigkeiten soll dafür gesorgt werden, daß „das Wohlergehen der Amerikaner als freie und sichere Nation gewahrt bleibt und verbessert wird.“ Weniger wichtig wird das Ausbalancieren des Handelsdefizits oder die verbesserte Demokratisierung „um ihrer selbst Willen“ angesehen. Ganze Kontinente wie Lateinamerika oder Afrika werden im Bericht gar nicht mehr erwähnt. Immerhin wird konstatiert, daß eine umweltverträgliche Energiepolitik die Ölabhängigkeit der USA von der Krisenregion Nahost verringern kann. Hier geht es aber nicht um den Schutz der Umwelt, sondern um die Ressourcenabhägigkeit der Industriemacht USA.

Wie oft zitiert, steht in den deutschen verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 zu lesen, daß zu den vitalen Sicherheitsinteressen der „Kontinentalen Mittelmacht und exportabhängigen Industrienation“ Deutschland neben dem Schutz des Territoriums, der „europäischen Integration, dem Krisenmanagement auch die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“ gehören.15 Das britische Weißbuch konstatiert: „Unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurzelt in der Abschätzung unserer nationalen Interessen.“ 16 Die führenden Industrienationen wählen sich den Kooperationsrahmen, der die nationalen Ziele und Interessen am besten erreicht: »das militärische Bündnis«. Die Aufstellung von Truppenverbänden, die sowohl NATO- als auch europäischem Oberbefehl unterstellt werden können, tragen dem zusätzlich Rechnung. R. Mutz spricht im Rahmen des Friedensgutachtens 1995 auch von einer „Refunktionalisierung militärischer Macht als außenpolitischem Gestaltungsmittel.“ 17 Doch: „Aus der Fixierung auf das partikulare Interesse erwächst weder der Schlüssel zur Beilegung eines aktuellen Krieges noch die ordnungsstiftende Idee für ein langfristiges Sicherheitssystem.“ 18 Die Debatte um die »NATO-Erweiterung« fokussiert sich lediglich auf eine geographische Vergrößerung des Bündnisses, nicht auf die Schaffung tragfähiger Sicherheitsstrukturen in Europa vom Atlantik bis zum Ural.

Das Denken in antiquierten Kategorien schlägt sich darin nieder, daß weiterhin Abschreckung, Konfliktbewältigung und reaktive Kriegsverhinderung die Grundlage für Militärplanungen und Rüstungsbeschaffungen in den westlichen Industrieländern bilden. Begriffe und Kriterien wie internationale Sicherheitsvorsorge, Defensivität und Gefahrenabwehr sind aus den Strategieplanungen weitgehend getilgt. Im Zentrum der Planungen steht die Renationalisierung der Verteidigungspolitik und die Schaffung bzw. der Erhalt militärischer Überlegenheit und von Interventionsmöglichkeiten.

Rüstungsdynamik und das sicherheitspolitische Umfeld

Der Dynamik von Wissenschaft und Technologie wird im politischen und ökonomischen Wettbewerb der Nationen eine immer stärkere Rolle zugeschrieben. In seinem Artikel: „Sprengt die Militärtechnik das transatlantische Bündnis?“ hebt der aus Frankreich stammende Autor Yves Boyer hervor: „Der Erwerb von Vorteilen auf wissenschaftlichem oder technologischem Gebiet verleiht heutzutage eine beherrschende Position im Konzert der Nationen.“ 19 Zukunftsforscher postulieren eine neue Art der technologischen Kriegführung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen: „Die revolutionären Technologien von morgen eröffnen neue Möglichkeiten zur Zerstörung des Planeten, wenn man nicht rechtzeitig vorbeugt und die Entwicklung in andere Bahnen lenkt.“ 20 Wie die Vorbeugung nicht-militärisch im einzelnen aussehen könnte, wird nicht ausgeführt. Ausführungen über eine nachhaltige Wirtschafts-, Umwelt- oder Entwicklungspolitik sucht man in den Strategieentwürfen der sicherheitspolitischen Eliten vergeblich.

Die oben genannten allgemein gehaltenen Bedrohungskategorien bilden auch die Legitimierung für hochmoderne Waffensysteme. Zur Zeit werden vom Pentagon organisatorische, technologische und operative Maßnahmen untersucht, die im Zusammenhang mit der postulierten »Revolution in Military Affairs« (RMA) diskutiert werden. Dazu zählen insbesondere die Informationstechnologien, aber auch die Optionen von Simulationen im Training, beim System-Design, beim Testen von Waffensystemen und bei der Entwicklung von Doktrinen und Taktiken. Ein Leitprinzip der militärischen F&E-Politik des Pentagons bleibt dabei an zentraler Stelle erhalten: Erhalt der technologischen Überlegenheit gegenüber Gegnern der USA sowie eine Minimierung der eigenen »Verluste« im Kriegsfall. Ein paar Beispiele soll diese Entwicklungen beschreiben.

Counterproliferation und Atomwaffeneinsatz

Die »Defense Counterproliferation Initiative« (DCPI) des Pentagon soll durch die Schaffung geeigneter Gegenmaßnahmen dazu beitragen, die horizontale Proliferation von MVW zu verhindern. Im Zentrum der Überlegungen stehen eine zunehmende Zahl von Staaten, die sich in der nächsten Dekade MVW zulegen könnten. Versagen Rüstungskontrolle und Diplomatie, sollen aktive und passive Schutzmaßnahmen gegen die Bedrohung amerikanischer oder verbündeter Streitkräfte durch MVW eingesetzt werden.

Im »Nuclear Posture Review« (NPR), der ersten größeren Überprüfung der US-Nuklearstrategie seit 15 Jahren, wird der Nuklearwaffeneinsatz gegen Staaten, die sich A-, B- oder C-Waffen zugelegt haben, eingeplant. Ganz dem Denken des klassischen Ost-West-Konfliktes verhaftet, formuliert der NPR: „Das Umfeld nach Ende des Ost-West-Konfliktes erfordert nukleare Abschreckung.“ Vierzehn Trident U-Boote, 450-550 Minuteman III ICBM und eine Bomberflotte, bestehend aus 66 B-52H, 20 B-2 und B-1 Bombern, demonstrieren den Willen zum Erhalt und Ausbau des Nuklearpotentials. Immer wieder wird deklariert, daß Nuklearwaffen nicht gegen NVV-Mitgliedern eingesetzt werden sollen, aber Verteidigungsminister Perry hat wiederholt erklärt, daß Länder, die US-Truppen mit B- und C-Waffen bedrohen mit „dem vollen Spektrum der konventionellen und nuklearen Streitkräfte rechnen müssen.“ Abgesehen vom Nukleareinsatz werden auch andere militärische Mittel eingeplant. »Offense missions« umfaßen Offensivmaßnahmen wie z.B. die Entwicklung von Submunition zur Durchdringung der Erdoberfläche zur Zerstörung unterirdischer Bunker, das Aufspüren mobiler Abschußplattformen oder präventive Schläge gegen zukünftige Proliferatoren. »Defense« bezieht sich auf defensive Schutzmaßnahmen, wie z.B. Warnsysteme, Technologien zum Abfangen von ballistischen Raketen oder Impfstoffe gegen B- und C-Waffen.

Im weiteren Sinn zur DCPI gehören die amerikanischen Bestrebungen zum Aufbau von Raketenabwehrsystemen. Die Anfang der neunziger Jahre einsetzende Phase der Umorientierung der Raketenabwehrprogramme21 ist weitgehend abgeschlossen. Anstelle der Ost-West-Konfrontation wurde nunmehr die Proliferation als Begründung der entsprechenden Programme etabliert. Statt exotischer Weltraumwaffen geht es um die Entwicklung wirksamer Verteidigungssysteme gegen ballistische Raketen. Im Gegensatz zu manchen SDI-Programmen sind viele der Entwicklungen bereits viel weiter getrieben worden. Die Planungen zur Ausgestaltung der TMD-Systeme ist jedoch in wesentlichen Punkten nicht mit dem ABM-Vertrag – einem Eckstein der nuklearen Rüstungskontrolle – vereinbar. Die Ausstattung herkömmlicher Luftverteidigungssysteme mit einer Raketenabwehrfähigkeit wird auch von europäischer Seite angestrebt.22

„Information Warfare“

Nachdem in den fünfziger und sechziger Jahren der Schwerpunkt der Militärtechnologie auf den Kernwaffen lag, führte der wachsende Einfluß moderner Technologien in den siebziger und achtziger Jahren zu einem Schub neuartiger Waffensysteme für das konventionelle Gefechtsfeld. Die militärtechnische Revolutionierung der Waffenplattformen ist weitgehend abgeschlossen. Jetzt wirkt sich die »Informationsrevolution« auf die militärischen Strukturen und Strategien aus und steht am Anfang ihrer militärischen Nutzung.23

Die Industrienationen entwickeln heute Systeme oder Komponenten, die zum Komplex »Command, Control, Communications, Computers and Intelligence« (C4I) zu rechnen sind. Diese Systeme verbinden ein breites Spektrum von Fähigkeiten und Waffensystemen: Aufklärung, Zielerfassung und -erkennung, Zielbekämpfung, Zielzerstörung, Tarnung, Täuschung und elektronische Gegenmaßnahmen. Computer sind auf dem »Schlachtfeld der Zukunft« überall anwesend, um die horrenden Mengen von Nachrichten in Form von Daten, Bildern etc. von verschiedensten Sensoren (Satelliten, Flugzeuge, unbemannte Flugkörper) auszuwerten und weiterzuleiten. Die Einbeziehung des Weltraums in diese Anstrengungen wird vorangetrieben.

Der »Information Warfare« nimmt im Jahresbericht des Pentagon inzwischen einen hohen Stellenwert ein.24 Die in der Entwicklung oder Erprobung befindlichen Technologien dienen als Grundlage für weitere Überlegungen zur Kriegführung der Zukunft.25 Ein wichtiger Kernpunkt ist die Annahme, daß nur noch derjenige Kriege gewinnt, der die beste Information über das Schlachtfeld besitzt. Nach Meinung der Strategen muß es das Ziel der Informationskriegführung sein, die »Informations-Dominanz« auf dem Gefechtsfeld zu erlangen. Hierzu wird jedoch nicht nur der intensive Einsatz von EDV, Computer und elektronischer Kommunikationsnetzwerke gerechnet, sondern auch die Möglichkeit, diese Fähigkeiten eines potentiellen Gegners zu stören oder ihm falsche Informationen zuzuspielen Die Anti-Informationskriegführung ist somit ebenfalls Bestandteil der »Informationskriegführung«.

Ziel der US-Vorstellungen zur »Digitalisierung« sind nicht nur Waffensysteme, auch der einzelne Soldat soll digital eingebunden werden. »Der Krieger für das 21. Jahrhundert« verfügt nach Vorstellung der Militärplaner über einen integrierten Kampfanzug, einen Computer im Sturmgepäck und diverse akustische oder optische Sensoren an Waffe und Helm. In den Zeiten knapperer Rüstungsressourcen künden fast alle »Weißbücher« von der verstärkten Nutzung der Simulationstechnik. Simulationstechnologien werden aber nicht nur für Ausbildung und Training von Soldaten und Einheiten angewandt, sondern u.a. auch für die Entwicklung von Waffensystemen und Streitkräftestrukturen sowie – in Form von Kriegsspielen – für die Simulation von politischen Prozessen und zur direkten Entscheidungsvorbereitung.26 Militär und Industrie planen den Einstieg in das »Informationszeitalter« in größerem Maßstab, diesmal allerdings zum Zwecke effektiver Kriegführung.27 Bereits jetzt wird die Stationierung der IFOR-Truppen in Bosnien auch dazu benutzt, um neue Waffen zu testen.

Die Einführung einer »Elektronisierung des Gefechtsfeldes« könnte den Gebrauch militärischer Macht nachhaltig verändern. So könnte die Hoffnung auf geringe Kollateralschäden die Einsatzschwelle militärischer Gewalt senken. Kriege könnten mehr denn je aus der Ferne geführt werden: Abstandswaffen machen einen Einsatz vor Ort unnötig. Kriege beginnen längst nicht mehr, wenn der »erste Schuß« fällt, sondern lange vorher z.B. durch die Vermessung des Gefechtsfeldes durch Satelliten. Kriegsaktionen mit High-Tech-Einsatz finden nicht mehr in einem beschränkten Gebiet statt, sondern sind zum Zwecke besserer Logistik und Aufklärung weit ausgedehnt.

Neue Waffenprinzipien und nicht-tödliche Waffen

Ein ganzes Arsenal von verschiedensten Munitionsarten, die teilweise auf neuen Prinzipien fußen, befindet sich in der Entwicklung. Die Erprobung von Abstandswaffen geht in fast allen größeren Industrieländern weiter. Forschungen an elektromagnetischen Kanonen (EMK), die durch elektromagnetische Beschleunigung höhere Projektilgeschwindigkeiten erreichen als herkömmliche Munition, finden insbesondere in den Industrienationen seit langem statt. Im Zusammenhang mit der »nichttödlichen Kriegsführung« wird auch die Verwendung von Hochenergiemikrowellen und Infrasound-Waffen erforscht.28 Öffentliche Aufmerksamkeit kommt den »Non-lethal weapons« (NLW) zu.29 Technologien, die militärische Aktionen eines Gegners behindern oder unmöglich machen sollen, ohne daß damit zwangsläufig ein direkter Waffeneinsatz mit Todesfolge für die Betroffenen verbunden ist.

Jedoch: Die Integration moderner Technologie in die Kriegführung garantiert dem Nutzer keinesfalls einen automatischen Vorteil. Komplexe Technologie birgt auch ein höheres Versagensrisiko. Stets ist auch ein Unterlaufen der jeweiligen Maßnahmen durch den Gegner oder ein Versagen mit katastrophalen Konsequenzen möglich. Technologische Überlegenheit ist per se noch kein Garant für einen militärischen oder gar politischen Erfolg. Bei den Kriegen in Vietnam bzw. Afghanistan war sie in der militärischen Wirkung eher unerheblich. Technische Überlegenheit kann aber auch die eigene Seite in einem falschen Glauben von Sicherheit wiegen. Zudem besteht die Gefahr, daß politische Konflikte durch technische Lösungen nur verdeckt werden. Die Gefahr, daß für die falschen Szenarien geplant wird, ist angesichts der vielfältigen Herausforderungen der Zukunft recht groß. Eine erklärte Nutzung neuester Technologien bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Waffenexporten heizt eher den technologischen Wettbewerb und die Verbreitung von neuen Waffensystemen an. Gleichzeitig wird die Proliferation von Militärtechnologien, an dem die Technologienationen selbst beteiligt sind, zum Anlaß genommen, wiederum neue Waffen zu entwickeln, die gegen die alten Generationen von Waffensystemen eingesetzt werden.

Neue Gefahren für den Rüstungskontrollprozeß

Angesichts der politischen und technologischen Entwicklungen drohen zudem Gefahren für den klassischen Rüstungskontrollprozess. Eine Anpassung des ABM-Vertrages an die Bedingungen der Nach-Kalte-Kriegs-Ära ist den USA und Rußland bisher nicht gelungen. In den USA werden besonders von den Republikanern Pläne forciert, eine umfassende nationale Verteidigung aufzubauen. Gleichzeitig werden für die Gefechtsfeldabwehr (Theater Missile Defense) zwei Systeme entwickelt und möglicherweise noch vor Ende des Jahrhunderts stationiert, die nicht mit dem ABM-Vertrag vereinbar sind.30 Insgesamt haben die USA seit 1962 ca. 99 Mrd. $ mit zweifelhaftem Erfolg für die Entwicklung von Raketenabwehrsystemen ausgegeben. Die Ausgaben für das Counterproliferationsprogramm (inkl. Raketenabwehr) betragen ca. 4 Mrd. $ p.a. Eine Weiterentwicklung strategischer Raketenabwehr bedroht nicht nur das Inkrafttreten des START II Vertrages, sondern auch weitere nukleare Rüstungskontrolle, insbesondere mit China, Frankreich und Großbritannien. Zudem lassen sich die BMD-Systeme durch relativ einfache Gegenmaßnahmen teilweise umgehen.31

Der KSE-Vertrag wurde 1990 als epochaler Erfolg für die europäische Sicherheit gefeiert. In erster Linie war er dazu konzipiert, die östliche Fähigkeit zur großräumigen Kriegsführung zu beseitigen.32 Ihm zugrundeliegt das Denkmuster der Parität zweier Blöcke. Der Warschauer Pakt ist jedoch heute aufgelöst. Im Falle einer NATO-Osterweiterung müßte eine vollständig neue Funktion für einen Nachfolgevertrag und damit ein neuer Rahmen gefunden werden. Die ursprünglich geplante, weitere Reduktion der horrenden Waffenbestände ist damit möglicherweise ad infinitum verschoben. Fraglich ist, ob es gelingt, den KSE-Vertrag an die sich stark wandelnde europäische Sicherheitsstruktur anzupassen, zumal sich neue Konfliktherde herauskristallisieren: das ehemalige Jugoslawien oder der Nordkaukasus. Anstrengungen zu einer Begrenzung von Waffenexporten, wie nach dem Golfkrieg 1991, stehen ohnehin nicht mehr auf der internationalen Tagesordnung. Eine »vorbeugende Rüstungskontrolle«, die die ungebrochene Rüstungsdynamik dämpft und destabilisierende Entwicklungen verhindert, wird höchstens von kleineren Staaten wie Polen auf internationaler Ebene unterstützt.33 Nichtverbreitungsregime wie die B-Waffen – oder C-Waffen-Konvention verfügen über unvollständige bzw. unerprobte Verifikationsregelungen. Staaten aus virulenten Krisenregionen beteiligen sich bisher nicht an den Regimen. Rüstungsexportkontrollen kontrollieren den Handel mit Produktions- und Dual-Use-Technologien nicht effizient genug, da viele Exporteure wirtschaftliche Einbußen fürchten.

Die Einsicht, daß angesichts grenzüberschreitender, globaler Herausforderungen nur globale Lösungsansätze längerfristig weiterhelfen, ist fast schon eine Binsenweisheit. Die westliche Sicherheitspolitik bezieht sich lediglich auf die Verbesserung der kurzfristigen Sicherheitsvorsorge, die wiederum auch eine machtpolitische Komponente zur Durchsetzung eigener Interessen enthält. Präventive Friedenspolitik benötigt keine konkrete »Bedrohungsanalyse«, sondern eine »Herausforderungsanalyse« sowie die Aufstellung und Erprobung präventiver Konzepte.34

Was ist zu tun?

Ohne Zweifel sind Sicherheitspolitik und die zukünftigen Gefährdungen mindestens in dreifacher Hinsicht miteinander verbunden:35 Zum einen hatten und haben Kriege katastrophale, grenzüberschreitende Folgen und erschweren jeglichen Friedenskonsilidierungsprozeß. Zum zweiten erzeugt der militärische Produktionskomplex der führenden westlichen Staaten enorme Umweltprobleme und wirtschaftliche Belastungen. Zum dritten sind die Verschlechterung von Lebensbedingunegen von Menschen ein wesentlicher Faktor, der die Kriegsgefahr ansteigen läßt. Dem letzteren ist in erster Linie durch eine präventive Vorsorgepolitik im Sinne einer gerechten Wirtschafts- und nachhaltigen Umweltpolitik zu begegnen.

Die Rüstungskontrollbemühungen zur Absicherung des einmal begonnenen Abrüstungsprozesses müssen fortgesetzt werden. Ein vollständiger Teststoppvertrag ist dabei ebenso notwendig wie die überprüfbare Einstellung der militärrelevanten Spaltstoffproduktion. Eine weltweite Reduktion konventioneller Waffenbestände um 20-30 Prozent, beginnend im OSZE-Bereich könnte das »Momentum« konventioneller Abrüstung erhalten und die nichtmilitärischen Etatbereiche entlasten. Kleinwaffen und Rüstungsexportbeschränkungen könnten miteinbezogen werden. Im Rahmen der OSZE könnte eine Agentur für Rüstungskontrolle und Umweltmonitoring gegründet werden. Angesichts von Altlasten wie überschüssige Waffen, der Schließung von Militäreinrichtungen, der Umstrukturierung der Rüstungsindustrie und der notwendigen Reorientierung von F&E sind verstärkte Konversionsanstrengungen notwendig.36

Das US-Militär selbst verfügt über ein ganzes Spektrum von Technologien, das für die Bewältigung der neuen Herausforderungen eingesetzt werden könnte. Insbesondere ein Teil der luft- und satellitengestützten Satellitensysteme könnte zur Umweltüberwachung freigegeben werden. Ein Teil des Arsenals an Schiffen und Flugzeugen könnte zum Sammeln von Luft- und Wasserproben verwandt werden. Außerdem könnten die Kommunikationsfähigkeiten für eine bessere Entscheidungsfindung und Frühwarnung im Rahmen der UNO sorgen. Die Nutzung des ozeanischen Mikrophonsystems SOSUS der USA, das im Kalten Krieg zur U-Boot-Aufklärung errichtet wurde, zum Zweck des Walmonitoring und der Seebebenüberwachung ist ein Beispiel.37

Nach Ende des Ost-West-Konfliktes ist der erhoffte Friede eine Utopie geblieben. Seit 1960 hat die Zahl der Kriege auf der Welt ständig zugenommen.38 Die übermäßige Rüstung, Kriege und Konflikte, sind ein entscheidendes Hemmnis für soziale Entwicklungen und die Stärkung von Zivilisierungsprozessen. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts müssen das Leitprinzip des internationalen Handels werden.39 Wie seit Jahren immer wider gefordert, müssen die Instrumente vorausschauender Konflikterkennung, präventiver Diplomatie40 und geeigneter Konfliktlösungsverfahren aufgebaut, erprobt und verbessert werden. Zu unterscheiden ist hier zwischen kurzfristiger und langfristiger Konfliktprävention. Vorschläge des UN-Generalsekretärs dazu wurden bisher jedoch nicht in die Tat umgesetzt.41 Der UNO stehen weder die geeigneten finanziellen und technischen Mittel und Instrumente noch die entsprechende politische Unterstützung der Mitgliedsstaaten zur Verfügung. Eine Agenda für den Frieden steht z.Z. nur auf dem Papier.

Vorschläge wie die Schaffung einer »gerechten Wirtschaftsordnung«, einer »globalen Zivilgesellschaft« oder die Forderung nach »nachhaltiger Entwicklung« sind längerfristige Lösungsansätze, die ausgearbeitet, diskutiert und umgesetzt werden müssen, ansonsten könnten Gewalt und Kriegsbereitschaft weiter zunehmen. Ohne geeignete Krisenvorbeugung und Konfliktlösungsstrategien auf internationaler Ebene dürften alle längerfristigen Konzepte unvollständig bleiben. Inner- und zwischenstaatliche ökologische und ökonomische Probleme können global nur durch eine zu errichtende, einklagbare Rechtsordnung gelöst werden. Dies setzt wie C.-F. von Weizsäcker geschrieben hat „einen hinreichend stabilen Weltfrieden voraus: Kein Friede mit der Natur ohne Frieden unter den Menschen.“

Anmerkungen

1) Aktuelle Analysen finden sich in Bonn International Center for Conversion: Conversion Survey 1996, Oxford 1996. Zurück

2) Zusätzlich erreichten die Republikaner, daß 1 Mrd. $ für die »US Sealift«-Fähigkeiten ausgegeben werden, International Herald Tribune, 1.7.1996. Zurück

3) Zum Vergleich dazu: Irak, Iran, Syrien, Libyen und Nordkorea verfügen insgesamt über ein Rüstungsbudget von ca. 15 Mrd. $.Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 1996. Zurück

4) Jahresbericht 1994 des Generalsekretärs der KSZE, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (Hrsg.) OSZE-Jahrbuch, Baden-Baden 1995, S. 558f. Zurück

5) Conversion Survey 1986, S. 80. Zurück

6) Ein Argument ist, daß der Export billiger ist als die Zerstörung oder Lagerung. Siehe detaillierter: Lora Lumpe, Costly Giveaways, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 5/1996, S. 30-38. Zurück

7) SIPRI-Angaben, Süddeutsche Zeitung, 13. Juni 1996. Zurück

8) International Herald Tribune, 21. August 1996. Zurück

9) Nach International Herald Tribune, 6. Juli 1996. Zurück

10) Michael Renner: Cost of Disarmament, Bonn 1996 (BICC Brief 6, März 1996). Zurück

11) Annual Report to the President and the Congress, Washington 1994, S. 2. Zurück

12) Siehe: Kent Butts: National Security, the Environment and the DoD, in:Environmental Change and Security Project, The Woodrow Wilson Center, Issue 2, Frühjahr 1996, S.22. Zurück

13) The White House: A National Security Strategy of Engagement and Enlargement, Washington 1994. Zurück

14) Interest, Washington DC. 1996. Zurück

15) BMVG: Verteidigungspolitische Richtlinien vom 26. November 1992. Bonn 1992. Zurück

16) Statement on the Defence Estimates 1996, London 1996, S. 3. Zurück

17) Reinhard Mutz: Die Rehabilitierung des Krieges – Paradigmwechsel in der Sicherheitspolitik, in: R.Mutz, B. Schoch, F. Solms (Hrsg.): Friedensgutachten 1995, Münster/Hamburg 1995, S. 89-102. Zurück

18) ebenda, S. 102. Zurück

19) Yves Boyer: Sprengt die Militärtechnik das transatlantische Bündnis?, in: Europa Archiv, Folge 23/1994, S. 659. Zurück

20) Alvin und Heidi Toffler 1994: Überleben im 21. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S.180. Zurück

21) Vgl. Jürgen Scheffran/Götz Neuneck/Jürgen Altmann/Wolfgang Liebert/Bernd W. Kubbig, Von SDI zu GPALS, Dossier in: Wissenschaft und Frieden, Juni 1992. Zurück

22) Zu MEADS siehe auch P. Schäfer: MEADS oder: Schutz für unsere Expeditions-Truppen, in: Wissenschaft und Frieden 2/96, S. 17-19. Zurück

23) Siehe dazu: G. Neuneck: Vollklimatisierte »Robo-Soldiers«. High-Tech-Einsatz in der Kriegsführung, in: Wissenschaft & Frieden 3/94, S. 16-21. Zurück

24) William J. Perry: Annual Report to the President and the Congress, Washington D.C. 1995, S. 263. Zurück

25) John Arquilla, David Ronfeldt: Cyberwar is coming, in: Comparative Strategy, Vol. 12, 1993 S. 141-145. Zurück

26) G. Neuneck: Die mathematische Modellierung von konventioneller Stabilität und Abrüstung, Baden-Baden 1995. Zurück

27) Viele Beispiele zur Informationskriegführung finden sich in dem interessanten Band: Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann (Hrsg.): Ein sauberer Tod. Informatik und Krieg, Marburg 1991 (Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden Nr. 15). Zurück

28) Mikrowellen werden in erster Linie zur Zerstörung von elektronischen Bauteilen entwickelt. Es wird vermutet, daß diese Mikrowellen auch einen Einfluß auf Personen haben, da elektromagnetische Energie vom Gewebe des Menschen absorbiert werden kann. Zurück

29) Siehe dazu diverse Technologie-Beispiele in: R. Span, J. Altmann, G. Hornig, T. Krallmann, M. R. Vega Laso, J. Wüster: Nichttödliche Waffen, in: Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr.17, März 1994. Zurück

30) Navy Theater Wide System, Theater High Altitude Area Defense-System. Zurück

31) Siehe dazu: George Lewis: The ABM-Treaty and the Future of Arms Control and Non-Proliferation, in: Breakthroughs, Vol.2 (1), S. 11-18. Zurück

32) Siehe dazu: Zellner: Die Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa, Baden-Baden 1994. Zurück

33) Siehe dazu: G. Neuneck, J. Wallner: Präventive Rüstungskontroll-Chance oder Utopie?, in: Friedensgutachten 1996, S. 322-332. Zurück

34) Diese Idee stammt aus: C. Daase; B. Moltmann: Frieden und das Problem der erweiterten Sicherheit, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden S+F, 3/1989, S.176-180. Zurück

35) Siehe dazu: A. und P. Ehrlich: The Environmental Dimensions of National Security, in: J. Rotblat, V.I. Goldanskii (Eds.): Global Problems and Common Security, Berlin 1988. Zurück

36) Siehe dazu detaillierte Arbeiten in: BICC Conversion Survey 1996. Zurück

37) International Herald Tribune, 3. 7.1996. Zurück

38) Stiftung Entwicklung und Frieden: Globale Trends 1996, Frankfurt a.M. 1995, S.361ff. Zurück

39) Wie ein regionales, kollektives Sicherheitssystem aussehen kann, zeigt die Studie: Die Europäische Sicherheitsgemeinschft, Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 1995. Zurück

40) Siehe: H.-G. Ehrhart: Die EU und die Sicherheit Europas (II). Präventions- und nuklearpolitische Apsekte, Hamburg 1996 (Hamburger Beiträge zur Friedensforschung- und Sicherheitspolitik, Heft 101). Zurück

41) Siehe dazu: Agenda für den Frieden, Bericht des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat, Bonn 1992. Zurück

Dr. Götz Neuneck ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.