Fakten der NS-Illusion

Fakten der NS-Illusion

Produkte und Projekte der deutschen Rüstungswirtschaft am Ende des zweiten Weltkrieges

von Manfred Grieger

Die Bestimmung der Spezifika eines komplexen Phänomens gehört zu den Königsdisziplinen der Wissenschaft. Ulrich Albrecht hat einige Thesen zur NS-Spezifik der Technologieentwicklung in der Endphase des Dritten Reiches formuliert, die geeignet sein können, den populär- bzw. reaktionärwissenschaftlichen Mainstream der Technikgeschichtsschreibung der NS-Rüstung aufzustauen oder gar umzuleiten, der immer noch das technizistische Faszinosum der deutschen Rüstung bestaunt und preist.1

Albrechts rüstungskritische Gedanken zur Initiierung eines „Historikerstreits der Technikgeschichtler“ (22) sind in der Tat bestechend, pointiert und verlockend. Er kennzeichnet am Beispiel der Flugzeugentwicklung die im internationalen Vergleich einzigartige liegende Anordnung des Piloten als das „nationalsozialistische Konzept, durch Überbeanspruchung menschlicher Piloten taktische Vorteile zu erzielen“ (23). In diese spezifisch „nationalsozialistische Technikgestaltung“ (ebd.) ordnet Albrecht auch die Einbeziehung von Halbwüchsigen in den Luftkrieg (deren Vorläufer wohl in dem massenhaften Einsatz der Luftwaffen- und Marinehelfer zu sehen sind) ein, was in der Entwicklung von ausdrücklichen „Selbstopferwaffen“ (25f.) oder faktisch chancenlosen „Kampfgleitern“ (27f.) gipfelte, die erst durch den nazistisch „Beseelten“ im Cockpit ihren Aufopferungsgang erfüllen konnten.

So horizonteweisend die abschließenden Formeln des von Jeffrey Herf eingeführten „reaktionären Modernismus“ oder der reaktionären Zielen dienenden „technischen Progressivität“ auch sind, momentan bietet der eingeschlagene Weg noch keine umfassende Analyse der Grundbeziehungen von NS-System und Wirtschaft bei der Fortentwicklung der Kriegstechnologie. Klassisch dichotome Fragestellungen nach einem vermeintlichen Befehlsnotstand der deutschen Industrie bei der dienenden Ausführung von „absurden Projekten“ (22) bzw. nach dem „eigenständigen Beitrag zum Fanatismus der letzten Tage des Dritten Reiches“ (ebd.) engen die Wahrnehmung vorschnell ein, zumal viele Belege eindeutig in die zweite Richtung deuten. Auch die Charakterisierungen des NS-Spezifik der Technologieentwicklung (Überbeanspruchung des Menschen, Senkung des Lebensalters der Soldaten, Selbstopferwaffen, Hypertrophie der Verzweiflungstechnologie) vermag nicht restlos zu überzeugen. Aufgrund der ökonomisch vermittelten Bewegungsgesetze der Technik bietet wahrscheinlich erst die Einbindung der technologischen Projektierung und Entwicklung in eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Auflösungsphase der NS-Herrschaft eine realistische Chance, die dynamisierenden Faktoren der Technik- und Rüstungsentwicklung in den letzten Kriegsmonaten durch die Analyse der faktischen Beziehungen zwischen Militärwesen (Wehrmachtsteile, SS) und Industrie zu benennen und in ihrem Verhältnis zu definieren.2

Zunächst muß die Frage gestellt werden, ob für die eingeleitete Offensivphase des technikgeschichtlichen Historikerstreites mit dem ausgiebig herangezogenen Populärautoren Heinz J. Nowarra ein angemessener Kontrahent benannt ist. Über die wissenschaftliche Exaktheit oder die postfaschistische Grundorientierung seiner deutschtümelnden Technikbegeisterung große Worte zu verlieren, ist zwar ehrenhaft, aber m.E. gleichfalls wenig nutzbringend. Denn der inzwischen 78jährige Nowarra bedient als freischaffender Publizist das Klientel der ob der selbstbeschworenen deutschen technologischen Überlegenheit schlußendlich überraschend Besiegten, die mit der Lektüre solch peinlicher Erzeugnisse des Verlagswesens ihre Träume einer deutschen Me 262-Hegemonie am deutschen Himmel perpetuieren, die im phantastischerweise massenhaft produzierten »Königstiger« endlich der »russischen Dampfwalze« trotzen können und mit der A 4-Raketenutopie doch noch den »Tommy kleinkriegen«. Der notorisch bekannte Vielschreiber Nowarra wird sich von der Wissenschaftlichkeit des Albrecht-Ansatzes nicht sonderlich beeindruckt zeigen. Seine den Zielen der Aufklärung eher abgeneigten Leser werden wohl kaum vorliegenden Informationsdienst zu ihrer Lektürequelle der von ihnen gesuchten »Erfolge« der deutschen Luftwaffe, Panzerwaffe etc. machen. Deshalb erscheint die fundierte Kritik der vielbändigen offiziösen Entwicklungsgeschichte der deutschen Luftfahrttechnik, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museum, dem Bundesverband der deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Ausrüstungsindustrie und der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt ersteht und die Herausforderung der erfahrenen Industriereiniger vom Schlage eines Treue und seiner jüngeren Nachfahren aus dem Umfeld der sogenannt unternehmensnahen »Gesellschaft für Unternehmensgeschichte« als gewichtigere und aufwendigere Aufgabe.3

Zu diesem Behufe sind auf Seiten der Rüstungskritiker noch ausdrücklichere empirische Exaktheit, angemessene rüstungswirtschaftliche Differenzierung und stärkere Einbindung in die NS-Entwicklungsgeschichte zu leisten. Denn bei Albrecht haben sich einige, von böswilligen Lesern gern zur Disqualifizierung der Gesamtaussage herangezogene Fehlinformationen eingeschlichen: Die Panzerwände des 188-Tonnen-Panzers »Maus« sollten an der Stirnseite allenfalls 24 cm (und nicht 35 cm) Dicke aufweisen.4 Die He 162 sollte zwar im monatlichen Umfang von 1000 Exemplaren auch in dem berüchtigten Untertage-KZ-Betrieb der »Mittelwerke GmbH« gefertigt werden; dieses befand sich allerdings nicht im Besitz der Organisation Todt sondern im Rahmen der Reichsbeteiligungsgesellschaft »Rüstungskontor« in der Hand des Deutschen Reiches.5 Die Georg-Fieseler-Werke waren zwar im Jahre 1943 Entwicklungsfirma der Flugbombe Fi 103; hergestellt wurden diese unter der Bezeichnung V-1 geläufigeren Flugbomben vornehmlich vom Volkswagenwerk und im bereits angesprochenen KZ Dora-Mittelbau;6 etc.

Um diese randständigen Besserwissereien geht es nur nebenbei. Bedeutsamer erscheint, daß sich die technikgeschichtlichen Aussagen Albrechts recht unbeeindruckt von der wirtschaftshistorischen Diskussion um die Differenzierung der ökonomischen wie der militärischen Interessenlage ausgangs des Zweiten Weltkrieges zeigen, ganz zu schweigen von den anzumerkenden Schattierungen innerhalb der NSDAP oder des Militärwesens. Die Analyse der Technologieentwicklung muß zunächst beachten, daß diese in die verstärkte Differenzierung der Regulierungsinstanzen der NS-Kriegswirtschaft in Form von Sonderstäben und Generalbevollmächtigten eingebettet war. Denn Karl-Otto Saur, dieser „Untergebene Speers“ (23), hatte als Staatssekretär im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion am 1. August 1944 auch beim Generalluftzeugmeister, der bis zum 1. März 1944 die Luftrüstung eigenständig bearbeitet hatte, das Kommando übernommen. Ihm beigeordnet, strebte SS-Gruppenführer Dr.Ing. Kammler, der seit dem 1. März 1944 für die mit Arbeitssklaven der SS bewerkstelligte Untertageverlagerung großer Teile der Flugzeugindustrie verantwortlich zeichnete und zwischenzeitlich auch zum Generalbevollmächtigten für den Strahlflugzeugbau (Me 262, Ar 234, He 162 u.a.m.) ernannt worden war, nach einer Ausdehnung des Einflusses der SS in Militär und Rüstung.7

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, erscheint die rasante Entwicklung der Verzweiflungstechnologie zunächst als Ausdruck eines letzten ungläubigen Aufbäumens der Ideologen der NS-Bewegung. Gleichzeitig darf keineswegs das längerfristige zweckrationale SS-Streben nach Hochtechnologien (Kooperation SS-BMW bei der Triebwerksentwicklung, SS-Volkswagenwerk bei der Motorisierung u.a.m.) übersehen werden. Diesem SS-Engagement zeigten sich alle diejenigen Unternehmungen zugeneigt, die bereits über enge SS-Anbindungen verfügten, was am Beispiel der Heinkel-Werke deutlich hervortritt. Dieses Flugzeugunternehmen benutzte spätestens seit dem Sommer 1943 in seinem Hauptwerk Oranienburg, aber auch in Wien-Schwechat und im polnischen Budzyn SS-Arbeitssklaven im Rahmen der Flugzeugproduktion. Die im Jahre 1944 intensivierte Zusammenarbeit mit der SS erwies sich in einer Situation, in der sich der schwere Bomber He 177 als Fehlschlag herausstellte und Entwicklungs- wie Fabrikationskapazitäten ungenutzt blieben, als Möglichkeit zur Unternehmenskonsolidierung.8 Aus diesem Grunde muß die Teilnahme an hybriden Projektausschreibungen auch als technokratischer Akt der Kapazitätsauslastung und Arbeitskräftebindung aufgefaßt werden. Die angestellten Techniker und Konstrukteure flohen angesichts der dem Bombenkrieg geschuldeten Verlagerungen und möglicher Einberufung zu den bewaffneten Militäreinheiten in einen unreflektierten Professionalismus, der ihre Partizipation an der mörderischen Agonie des Systems im atomisierten Bewußtsein zur bloßen Diensterfüllung schrumpfen ließ.9 Auf der anderen Seite sprangen kleine Außenseiterunternehmungen, wie die Bachem-Werke GmbH, auf den von der SS mit Finanz-, Rohstoff- und Arbeitskräfteressourcen ausgestatteten Zug auf. Sei es, um ihrem ideologischen Fanatismus Ausdruck zu geben oder aber auch, um in den letzten Kriegsmonaten den für den Nachkrieg erforderlichen technologischen und materiellen Schub zu tanken, den die Zusammenarbeit mit der SS bot. Wie die meisten anderen Autoren übersieht Albrecht, daß Bachem, – wie es in Unterlagen des SS-Führungsamtes heißt, – „im Auftrage des RF-SS und Befehlshabers d. Ersatzheeres an einer Sonderaufgabe arbeitet und sämtliche Dienststellen und Behörden ihm Unterstützung angedeihen lassen müssen“.10

Hier zeigt sich der Übergang zu den SS-Bemühungen zur Schaffung einer SS-Luftwaffe, die sich endlich im labilen Kräfteverhältnis zwischen den Waffenteilen des deutschen Militärwesens durchzusetzen trachtete.11 Albrecht vermerkt zwar die anfänglichen Widerstände Hitlers, leitet daraus jedoch keine Binnendifferenzierung der Nazi-Bewegung ab. Aus der Kooperation der SS mit bestimmten Teilen der deutschen Flugzeugindustrie erwächst wohl auch der spezifisch selbstzerstörerische Moment in der Technologieentwicklung. Was kämpfend nicht zu siegen vermag, sei – so das späte Diktum Hitlers und anderer NS-Protagonisten der letzten Wochen des Regimes – dem Untergang verfallen.12 Interessanterweise spiegelt die liegende Anordnung des Piloten eben diese zu Kriegsende hervorgekramten Fanatismusideologeme. Im Zentrum der NS-Technik liegt mit einem Male der fanatisierte Nationalsozialist: mithin eine typische Rückbindung der Selbstmotivierung der nazistischen Untergangshelden an die ideologische Bewegungsphase der NSDAP – in der alles noch eine Frage der »Haltung« schien –, wie sie Speer, Milch, Ley und Saur in ihren mannigfachen Reden der zweiten Jahreshälfte 1944 vorführten.13

Zudem sind auch gewisse Beurteilungen der NS-Technologieentwicklung nicht uneingeschränkt zu unterstützen. So sieht Albrecht in der Gemischtbauweise bzw. der Holzbauweise von Düsenjägern eine Widerspiegelung der „Technologieentwicklung des Dritten Reiches in seinem Abgang“ (25). Die Verwendung von Holz stellt m.E. keineswegs ein untrügliches Zeichen für NS-Technologie dar und muß nicht unbedingt als Kennzeichen der „höchsten Not“ (24) gewertet werden.14 Vorbild all dieser Versuche bildete die in Gemischtbauweise erstellte und von den westalliierten Luftwaffen erfolgreich als Langstreckenaufklärer, Höhenjäger und Jagdbomber verwendete DeHaviland »Mosquito«, deren Bauweise keineswegs Rohstoffmangel o.ä. entsprang.15 Zwar scheiterte die Focke-Wulf-Adaption des Baumusters Ta 154, nicht zuletzt auch an der Unfähigkeit der IG-Farben-Werke, belastungssichere Kaltleimverfahren zu entwickeln. Inwieweit mit der Gemischtbauweise ein originäres NS-Phänomen angesprochen ist, muß dem noch ausstehenden internationalen Vergleich vorbehalten bleiben.

Gleichfalls bildet die innerhalb von drei Monaten erfolgte He 162-Entwicklung nur den Endpunkt eines Prozesses, in dem die Baumusterentwicklung im Rahmen der Serienproduktion erfolgte.16 Dieses Verfahren kürzte die Entwicklungszeit um mehrere Monate ab, wenngleich durch die Inkaufnahme eventueller Modelländerungen Ressorcenvernichtungen (Lehren, Rohstoffe, Maschinenstunden etc.) einkalkuliert werden mußten. Diese fielen angesichts der materiellen Potenzen im Deutschen Reich gänzlich anders zu Buche; das Scheitern der XP-75 konnte durch die Forcierung der P 38 Ligthning bzw. des Langstreckenbegleitjäger »Mustang« auf Kosten des Army Air Force-Haushaltes kompensiert werden. Bedenkt man den Einbau eines Schleudersitzes zur Rettung des Piloten und die Nutzung gewisser Konstruktionsmerkmale, wie obenliegende Strahlturbine oder auch herabgezogene Tragflächenkappen, beim heutigen Panzerbekämpfungsflugzeug A-10 Thunderbolt II fällt es schwer, diesen Flugzeugtyp uneingeschränkt der Technologietypologie des NS-Fanatismus zuzuordnen.

Die vorstehenden Ausführungen drücken existierende Vorbehalte gegenüber der Zuweisung einer technologischen NS-Spezifik aus, die allein die obskuren, selbstzerstörerischen und aussichtslosen Modelle und Projekte dieser Kategorie subsumieren. Vielmehr erscheinen auch diejenigen Modelle und Baumuster, die bis zum letzten Kriegstag von den Industrieunternehmen unter billigender Inkaufnahme des Todes von Häftlings- und anderen Zwangsarbeitern gefertigt wurden bzw. deren Technologiestränge durch Know-How-Transfer bzw. Unternehmensneugründung in den Nachkrieg hineingerettet werden konnten, als Folgekosten der nationalsozialistischen Herrschaft. Deren Spezifik gründet sich vor allem in der eklektischen Kombination von nationalsozialistischem Fanatismus und industrieller Rationalität, die zu jener effektiven Kriegsmaschinerie transformierte, die kein Ende mehr fand.17 Die dynamische Einbindung von ökonomischer Rationalität in die Entwicklungslinien einer rassistischen Kriegsgesellschaft ermöglichte ausgangs des zweiten Weltkrieges die Koexistenz einer den Umständen geschuldeten, nach den Märkten der Zukunft schielenden Nachkriegsorientierung mit einem faktischen Durchhalteverhalten, das bis zum schlechten Ende die gewinnträchtigen Gewaltmittel für den vermeintlichen NS-Endsieg bereitstellte. Die Reißbrettstudien und Erprobungsträger des NS-Fanatismus hatten realistischerweise keine Verwirklichungsmöglichkeit mehr. Die in Bunkerfabriken, Höhlen und Bergwerksstollen gefertigten FW 190 oder Me 262 verdeutlichen allerdings gleichfalls den umfassenden Wahrnehmungsverlust der ökonomischen, militärischen und technokratischen Eliten, die der gebotenen rüstungswirtschaftlichen Komplexität nicht mehr entsprachen: Auch den erprobten Baumustern fehlte das Benzin, um in den Himmel aufzusteigen und die Piloten, allein um sie von den Endmontagebetrieben zu den Luftwaffeneinheiten zu überführen. Die Illusion schuf die kruden Fakten des Untergangsszenarios.18 Denn es wäre überaus unangemessen, diejenigen Unternehmen und Techniker, deren Erzeugnisse in Form der »Cruise Missile«, der Interkontinentalrakete oder des »Leopard« in die NATO-Heroenliste Eingang fanden, also keinen Aspekt des NS-Fanatismus in sich zu bergen scheinen, von der historischen Verantwortung freizumachen.

Anmerkungen

1) Ulrich Albrecht: Artefakte des Fanatismus. Technik und nationalsozialistische Ideologie in der Endphase des Dritten Reiches. In: Informationsdienst Wissenschaft & Frieden 7 (1989), Heft 4, S. 21-28. Zurück

2) Exemplarisch Michael Geyer: Deutsche Rüstungspolitik 1860 – 1980. Frankfurt/M. 1983, S. 154ff; Joachim Radkau: Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1989, S. 239ff. Unternehmensgeschichtliche Studien sind zu diesem Themenkomplex bisher eine Seltenheit, vgl. etwa das DaimlerBenzBuch. Ein Rüstungskonzern im »tausendjährigen Reich«. Nördlingen 1987; KlausJörg Siegfried: Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Volkswagenwerk 1939 – 1945. Frankfurt/M.; New York 1986; ders.: Das Leben der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk. Frankfurt/M.; New York 1988. Zurück

3) Vgl. die Auseinandersetzungen um die Unternehmensgeschichte der DaimlerBenz AG.: Hans Pohl, Stephanie Habeth, Beate Brüninghaus: Die Daimler Benz AG in den Jahren 1933 – 1945. Eine Dokumentation. Stuttgart 1986; Das DaimlerBenzBuch, a.a.O.; die kontroverse Aufnahme beider Bücher belegen Hans Mommsen: Bündnis zwischen Dreizack und Hakenkreuz. In: Der SPIEGEL vom 11.5.1987, S. 118-129; Volker Hentschel: Daimler-Benz im Dritten Reich. Zu Inhalt und Methode zweier Bücher zum gleichen Thema. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 75 (1988), Heft 1, S. 74-100. Zurück

4) Walther J. Spielberger: Spezial-Panzer-Fahrzeuge des deutschen Heeres. Stuttgart 1987. Zurück

5) Bundesarchiv Koblenz (BA), Bestand R 121/ 309; Manfred Bornemann: Geheimprojekt Mittelbau. Die Geschichte der V-Waffen-Werke. München 1971. Zurück

6) Dieter Hölsken: Die V-Waffen. Stuttgart 1983; der Verfasser bereitet eine umfangreiche Studie zur betrieblichen Rüstungsproduktion des Volkswagenwerkes vor. Zurück

7) Vgl. zum Machtzuwachs der SS im Rahmen der Untertageverlagerung der deutschen Flugzeug- und Raketenindustrie etwa Rainer Fröbe: „Wie bei den alten Ägyptern.“ Die Verlegung des Daimler-Benz-Flugmotorenwerks Genshagen nach Obrigheim am Neckar 1944/45. In: Das Daimler-Benz-Buch, a.a.O., S.392-470 oder auch Florian Freund: Arbeitslager Zement. Das Konzentrationslager Ebensee und die Raketenrüstung. Wien 1989. Zurück

8) Zum KZ-Häftlingseinsatz bei Heinkel siehe etwa BA, NS 19/68 oder auch Hans Marsalek: Das Konzentrationslager Mauthausen. Wien 1980, passim. Die gewichtigen Strukturveränderungen innerhalb der deutschen Flugzeugindustrie sind bislang ohne besondere Beachtung geblieben. Zurück

9) Zum Verhalten der technokratischen Funktionseliten siehe Mommsen, Bündnis, a.a.O. Den gesellschaftlichen Zerfall beschreibt anschaulich Herfried Münkler: Machtzerfall. Die letzten Tage des Dritten Reiches dargestellt am Beispiel der hessischen Kreisstadt Friedberg. Berlin 1985; allgemeiner auch Bernd A. Rusinek: „Maskenlose Zeit“. Der Zerfall der Gesellschaft im Krieg. In: ÜberLeben im Krieg. Kriegserfahrung in einer Industrieregion 1939 – 1945. Hrsg. von Ulrich Borsdorf und Mathilde Jamin. Reinbek bei Hamburg 1989, S.180-194. Zurück

10) BA, NS 33/36, Fol. 10RS. Zurück

11) Zur militärischen Expansion der SS Bernd Wagner: Hitlers Politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933 – 1945. Paderborn 1988, S. 307ff.; BA, NS 19/3192 und 3620. Zurück

12) Zur faschistischen Untergangsmetaphorik siehe etwa Herfried Münkler: Siegfrieden. Politik mit einem deutschen Mythos. Berlin 1988. Zurück

13) Manfred Messerschmidt: Krieg in der Trümmerlandschaft. Pflichterfüllung wofür? In: ÜberLeben im Krieg, a.a.O., S. 169-178. Siehe auch die Protokolle des Jäger- bzw. Rüstungsstabes im Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA), RL 3/ 1-46; BA R 3/3034. Zurück

14) Vor der Tendenz, aus komplexen Hochtechnologien den Beurteilungsmaßstab des technologischen Fortschritts abzuleiten, warnt etwa Radkau, Technik, a.a.O., S. 46ff. Zurück

15) Irving Brinton Holley: Buying Aircraft: Materiell Procurement for the Army Air Forces. Washington, D.C. 1964; C. Martin Sharp; Michael J.F. Bowyer: Mosquito. London 1967. Zurück

16) Vgl. zur He 162 auch die vielfach problematische Darstellung bei Alfred Hiller: Heinkel He 162 »Volksjäger«. Entwicklung – Produktion – Einsatz. Wien 1984, S. 28ff. Die Parallelentwicklung, die beispielsweise im Falle der Fi 103 zur Verschrottung von 2000 Exemplaren im Volkswagenwerk führte, findet in dem Desaster des von General Motors entwickelten Langstreckenbegleitjägers XP-75 ihr amerikanisches Gegenstück; Irving Brinton Holley jr.: A Detroit Dream of Mass-produced Fighter Aircraft: The XP-75 Fiasco. In: Technology and Culture 28 (1987), S. 578-593. Zurück

17) Hans Mommsen: Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung. In: Walter H. Pehle (Hrsg.): Der historische Ort des Nationalsozialismus. Frankfurt/M. 1990, S. 31-46. Zurück

18) Manfred Messerschmidt: Die Wehrmacht in der Endphase. Realität und Perzeption. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32-33/89 vom 4.8.1989, S. 33-46; Gerd R. Ueberschär und Rolf-Dieter Müller: Deutschland am Abgrund. Zusammenbruch und Untergang des Dritten Reiches 1945. Konstanz 1986. Zurück

Manfred Grieger, arbeitet in einem Projekt der VW-Stiftung an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum.

Spürpanzer Fuchs

Spürpanzer Fuchs

Der bundesdeutsche Beitrag zum US-amerikanischen C-Waffen-Programm

von Manuel Kiper

Der Bonner Professor Paul hat jüngst den Nobelpreis für Physik erhalten. Seine Erfindung, die Paulsche Ionenfalle, wurde zu einer militärischen Aufrüstung besonderer Art genutzt: das Prinzip hat Eingang in die Entwicklung des bundesdeutschen Spürpanzers »Fuchs« gefunden. Der FUCHS ist inzwischen zum weltbesten C-Waffen-Spürgerät und zum bundesdeutschen Rüstungsexportschlager avanciert.

Das BMVg hat die Umsetzung des Paulschen Meßprinzips im Rahmen der ABC-Abwehr mit einem Betrag von 5 Millionen DM zu einem mobilen, universalen, hochempfindlichen Spürsystem, dem MM-1 von Bruker-Franzen in Bremen, finanziert. Montiert wird das MM-1 auf den Transportpanzer FUCHS von Thyssen-Henschel. Der Spürpanzer FUCHS gehört damit zu der Familie der von Thyssen-Henschel bereits mit mehr als 1.000 Fahrzeugen gelieferten Transportpanzer FUCHS. Im Feldheer werden die ABC-Abwehrbataillone auf Korpsebene mit je 18, die ABC-Abwehrkompanien der Divisionen mit je 6 Spürpanzern ausgestattet.1 Der Spürpanzer FUCHS wurde im Februar 1988 der Truppe übergeben. Insgesamt soll das Heer bis Ende 1990 140 Exemplare erhalten. Mehr als siebzig Füchse sind schon ausgeliefert. Bis zum Jahr 1990 wird damit im Bereich der Bundeswehr „eine analytische Meßkapazität“ installiert, „die weltweit ihresgleichen sucht“, wie es B. Odernheimer anläßlich eines Vortrags auf der Jahrestagung 1987 der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern ausdrückte.2

Das bei Bruker-Franzen in Bremen entwickelte Spürgerät MM-1 beruht auf einer miniaturisierten Massenspektrometrie kombiniert mit Gaschromatographie. Dieses Wunderwerk der Analytik wurde für das Militär konzipiert, kann aber in gleicher Weise zur Analyse ziviler Schadstoffe eingesetzt werden.

Die Nachweisgrenzen des MM-1 liegen für thermisch stabile, unpolare Stoffe wie Lindan oder TCDD unter 1ng absolut. Chlorbenzol wird in der Luft in Konzentrationen um 10ug/m³ innerhalb von 30 Sekunden, in Trinkwasser (indirektes Verfahren mit Anreicherung an Silicongummi) in Konzentrationen um 1ug/kg innerhalb von 3 Min. angezeigt. Auf Oberflächen werden seßhafte Schadstoffe, je nach Beschaffenheit der Oberfläche, in Belegungsdichten von einigen ug/m² bis mg/m² erfaßt.

Das MM-1 ist durch weitgehende Automation der Meßdatenauswertung mit Mikroprozessor sehr einfach zu bedienen. Spürergebnisse werden übersichtlich auf einem Bildschirm dargestellt. Im Routinebetrieb können bis zu 22 Schadstoffe quasi kontinuierlich nebeneinander detektiert werden. Die zu detektierenden Stoffe können durch Zugrundelegung von Literaturspektren und Eichung der gespeicherten Daten auf beliebige Fragestellungen aktualisiert werden.

Mit diesem Gerät können heute bereits die einzelnen Kampfstoffe in Konzentrationen unter einem Milliardstel Gramm und innerhalb von 30 Sekunden nachgewiesen werden. Spürergebnisse über Tabun, Soman, Sarin, VX, Phosgen, Adamsit und Dutzende weiterer Kampfstoffe können über Funk „nahezu in Echtzeit in ein Lagezentrum übermittelt werden“. Mit dem MM-1 kann dabei Luftspüren, Bodenspüren oder auch Wasseranalyse betrieben werden. Unbekannte Substanzen können vom Datensystem gesteuert während der Messung automatisch identifiziert werden; bislang sind ca. 1.000 Substanzen in Datensätzen erfaßt. Die Eichung des Spürsystems auf chemische Kampfstoffe fand in der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr für ABC-Schutz statt.

Das MM-1 ist zwar eine mililtärische Entwicklung. Mit dem MM-1 können aber auch Altlasten aufgespürt und untersucht werden, Abgasfahnen von Bränden nachgespürt und die Schadstoffe identifiziert, Schadstoffe im Wasser schnell und zuverlässig vor Ort bestimmt und quantifiziert werden, ausdünstende Schadstoffe wie z.B. Holzschutzmittel in der Innenraumluft entdeckt, Giftmülltransporte kontrolliert werden und vieles mehr, z.B. natürliche C-Kampfstoffe in der Luft aufgespürt und ins Einsatzlagezentrum gemeldet werden oder wie beim Bundeskriminalamt: das MM-1 gegen den Heroinschmuggel eingesetzt werden.3

Aufrüstung der US-Army mit dem Spürpanzer

Die Entwicklung des Spürpanzers FUCHS ist von Anfang an „auf großes Interesse im Ausland gestoßen“.4 Bereits 1986 wurden US-Soldaten in der ABC- und Selbstschutzschule Sonthofen am Spürpanzer ausgebildet. Anschließend unterzogen sie den FUCHS einem Vergleichstest mit anderen Entwicklungen. Die USA haben daraufhin entschieden, eine ähnliche eigene Entwicklung abzubrechen und den Spürpanzer FUCHS für die US-Streitkräfte zu beschaffen. Sechs Spürpanzer wurden für Erprobungszwecke bereits im Jahr 1988 geliefert. Sechs weitere sollten im Jahr 1989 folgen. In den Jahren 1990/91 sollen weitere 44 Stück beschafft werden. Für die volle Ausrüstung soll mit Auslieferung ab 1992 eine weiterentwickelte Version bereitgestellt werden. Der Bedarf hierfür wird auf mehrere Hundert Stück veranschlagt.5 Bislang hatten die USA in ihrem Chemical Warfare – Biological Defense Program die Entwicklung der B- und C-Waffenanalytik selber betrieben. Angeblich wurden vom Spürpanzer FUCHS 576 Stück geordert.6

Vermerkt sei hier, daß der FUCHS nicht nur an die USA geliefert wird, sondern Exemplare auch an Abu Dhabi, Thailand und Kampuchea. Auch der Iran beabsichtigte, zwei Füchse zu ordern.

MM-1 im Katastrophenschutz

Das MM-1 kann aber nicht nur chemische Kampfstoffe riechen. Seine Entwicklung wurde zwar von der Bonner Hardthöhe mit Millionenbeträgen angeschoben, schließlich ging es um die Entdeckung von eingesetzten C-Waffen. Die Analytik taugt aber genauso gut für friedliche Zwecke. Einige zivile Exemplare sind bereits im Einsatz, so z.B. bei der BASF in Ludwigshafen. Wenn auch noch kein einziges kommunales Umweltamt in der Bundesrepublik über ein MM-1 verfügt, und die Umweltämter auf absehbare Zeit offensichtlich hinter der Aufrüstung der Bundeswehr zurückstecken müssen; die Schutzkommission beim Bundesamt für den Zivilschutz drängt bereits auf eine mobile Eingreifgruppe ausgestattet mit MM-1. Dies geht hervor aus ihren Empfehlungen, die sie im Mai 1989 zu Fragen der Bewältigung von Chemieunfällen verabschiedet hat. Zum Schutz der Zivilbevölkerung im Katastrophen- oder Verteidigungsfalle („der größten Katastrophe“) sollen Spürgeräte in Hubschraubern bei zentralen Katastrophenstäben bereitstehen, um Giftgasfahnen jedweden Ursprungs aufzuspüren.

Die Schutzkommission empfiehlt für die Verbesserung des Bevölkerungsschutzes im Frieden und im Verteidigungsfall folgende Vorgehensweise zur Bewältigung von Chemieunfällen:

  1. Die Realisierung eines mobilen Einsatzkonzeptes zur schnellen Gewinnung wichtiger Analysedaten vor Ort und den quellbezogenen, schwerpunktmäßigen Einsatz unspezifischer Detektoren zum Zwecke der Frühwarnung.
  2. Die Etablierung einer zentralen Expertengruppe zum Zwecke der Beratung der Katastrophenabwehr im Ereignisfall.
  3. Die Definition der Inhalte und die Realisierung von Faktendatenbanken im Einvernehmen mit der Expertengruppe.“

Die Schutzkommission vertritt die Meinung, daß das „GCMS-Meßprinzip im mobilen Einsatz die Methode der Wahl für den hier ins Auge gefaßten Verwendungszweck darstellt.“ Ein flächendeckendes Frühwarnmeßnetz ähnlich dem Strahlenschutz würde allerdings zu der „gewaltigen Zahl von mindestens 43.000 Meßstellen führen.“ Die Schutzkommission sieht angesichts der ungeheuren Kosten eines solchen Meßnetzes und dem Mangel an Toxikologen in der Bundesrepublik die Alternative in der Enwicklung eines mobilen Einsatzkonzeptes gestützt auf Hubschrauber. Die Schutzkommission kommt zu dem Schluß: „Im Hinblick auf die Notwendigkeit qualifizierten Personals einerseits und die Höhe der notwendigen Investitionskosten andererseits wird eine gemeinsame Nutzung der mobilen Einsatzeinheit durch die in den Bereichen Katastrophenschutz und Umweltschutz tätigen Institutionen vorgeschlagen.“ 7

Um die Bedeutung dieser Vorschläge für den Umweltschutz zu ermessen, sei noch ein Blick auf die Schutzkommission geworfen. Im Jahre 1951 wurde die Schutzkommission gegründet, „weil“, wie Staatssekretär Spranger es anläßlich ihrer 35. Jahrestagung im Jahre 1986 ausführte, „die schon bald nach Ende des 2. Weltkrieges wieder auflebende Bedrohungssituation, die u.a. durch die neuen atomaren Angriffswaffen gekennzeichnet war, schon die erste Bundesregierung zwangen, Zivilschutzmaßnahmen für die Bevölkerung zu planen. Dazu wurde die von unabhängigen Wissenschaftlern unter Führung von Prof. Werner Heisenberg in der Schutzkommission dem Bundesminister des Innern freiwillig angebotene Unterstützung dankbar angenommen.“

Die Schutzmediziner kümmern sich um Katastrophen, wobei in ihrer Vorstellung Krieg die größte Katastrophe ist, auf die es sich vorzubereiten gilt. Dies sieht nicht nur Rebentisch, der langjährige Sanitätsinspekteur der Bundeswehr in seinem Standardwerk zur Katastrophenmedizin so.8 Vielmehr wird bereits seit 1980, angefangen vom Gesundheitssicherstellungsgesetz der sozialdemokratischen Gesundheitsministerin Antje Huber, bis zum Ende 1989 verabschiedeten neuen Katastrophenschutzergänzungsgesetz die Vereinnahmung des Gesundheitswesens für militärische Zielsetzungen betrieben. Die Ziele dieser Kommission machte Spranger denn auch anläßlich des 35jährigen Wirkens der Kommission deutlich, als er erklärte, daß „die Waffen, gegen deren Wirkung diese Kommission seit langem Schutzmaßnahmen erforscht“ – trotz aller Abrüstungsbemühungen – nach Auffassung der Bundesregierung „sobald nicht unwirksam gemacht oder abgeschafft sein werden.“

Die biologische Aufrüstung des Spürpanzers

Aber nicht nur Chemie ist beim Militär gefragt. Neue Entwicklungen setzen auf eine biologische Aufrüstung des Spürpanzers FUCHS : Biosensoren werden entwickelt. Und wieder hat die Bundeswehr die Nase vorn. Bei Bruker-Franzen im amerikanischen Auftrag wie bei Professor Schügerl am Institut für Technische Chemie der Universität Hannover oder bei Professor Schmitz in Hamburg am renommierten Bernhard-Nocht-Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten oder an der Universität Ulm werden Alarmgeräte gegen Biogifte und B-Waffen entwickelt.

Professor Schügerl, der mit seinem Institut für Technische Chemie der Universität Hannover in den Forschungsschwerpunkt „Grundlagen der Bioprozeßtechnik“ der Universitäten Braunschweig, Göttingen, Hannover, der GBF und des Max-Planck-Instituts für Biophysikalische Chemie eingebunden ist, wickelt für das Bundesverteidigungsministerium das Projekt „Entwicklung und Herstellung eines Antigendetektionssystems auf der Basis eines immunoptischen Biosenors“ ab. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, feldverwendungsfähige Detektoren zur Erkennung von Mykotoxinen zu etablieren. Mykotoxine sind biologische Gifte, die von Pilzen ausgeschieden werden. Zu diesen rechnen sowohl die Aflatoxine, als auch T-2 Toxin und Hunderte weiterer.

Mykotoxine sollen in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Kampuchea, Afghanistan und zuletzt von seiten des Iraks im Golfkrieg eingesetzt worden sein. Glaubt man US-Quellen, dann gibt es bereits 10 Staaten auf dieser Erde, die B-Waffen herstellen. Daß dazu der Irak gehört und daß der Irak gerade Mykotoxine im Krieg gegen Iran eingesetzt hat, ist für manche Militärzeitschriften längst erwiesen. So berichtete Rudolf Brüchen in der Europäischen Wehrkunde schon 1986: „Im Frühjahr 1984 wurden erstmals verwundete iranische Soldaten nach Europa geflogen. Es sollte geklärt werden, was ihre schweren Verletzungen verursacht hatte. Iran behauptete, bei irakischen Angriffen seien chemische Kampfstoffe eingesetzt worden. Irak hielt dem entgegen, die Verletzungen seien Folgen einer Explosion in einer petrochemischen Fabrik (…). Am Ende stand fest: Die Verletzungen sind durch eine Mischung von drei Kampfstoffen hervorgerufen: Yperit, Mykotoxine und ein Gas, das später als Tabun identifiziert wurde.“ 9

Die Rabtaaffäre des Frühjahrs 1989 hat hier zu einem bösen Erwachen in der Bundesrepublik geführt. Wie die Bundesregierung in ihrem Bericht vom 15.2.1989 feststellte, „war die Anlage in Rabta zur Herstellung von C-Waffen nicht nur geeignet, sondern von vornherein bestimmt gewesen.“ 10 Daran könnte die Bundesrepublik nicht ganz unbeteiligt sein. Immerhin waren aus der Bundesrepublik Mykotoxine an den Irak geliefert worden. Josef Kühn mit der Firma Plato-Kühn aus dem niedersächsischen Neustadt am Rübenberge vermittelte den Irakern 1986 einen gewünschten Giftlieferanten, nämlich die Firma Sigma Chemie in Oberhaching bei München. 1987 gingen zum Preis von 29.630 DM 100 mg des Mykotoxins HT-2 und 500 mg des Mykotoxins T-2, 2000 mg Diacetoxyscirpenol und 100 mg Verrucarol als Gefahrgut deklariert von Hannover per Luftfracht nach Bagdad. Ein Verfahren gegen Kühn wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit wurde gegen Zahlung von 25.000 DM vom Generalbundesanwalt wegen geringer Schuld mit Verfügung vom 16.8.1988 eingestellt.11 Die Verwicklungen waren immerhin so, daß der SPIEGEL schrieb: „Mit deutscher Hilfe erforscht und entwickelt der Irak biologische Waffen.“12

Nach Angaben der Bundesregierung war in diesem Verfahren die Lieferung von Mykotoxinen „ohne rechtliche Bedeutung“. Wie die Bundesregierung fortfuhr, „unterliegt die Ausfuhr von Mykotoxinen im übrigen, jedenfalls in kleineren Mengen, nach einem vom Generalbundesanwalt eingeholten Gutachten des Bundesamtes für Wirtschaft in Eschborn auch weder dem Kriegswaffenkontrollgesetz noch dem Außenwirtschaftsgesetz.“

Die Bundesrepublik ist aber nicht nur Spitze was die Reinigung potentieller B-Agenzien anbelangt. Andere Forscher entwickeln B-Waffen-Spürgeräte. Professor Schügerl wurde bereits erwähnt. Ein weiterer ist Professor Schmitz in Hamburg, am renommierten Bernhard-Nocht-Institut für Schiffs- und Tropenkrankenheiten.

Wie er dazu kam, B-Waffen-Staubsauger für die Bundeswehr zum Schnellnachweis der B-waffen-geeigneten, hartnäckige Fieber und innere Blutungen verursachenden Erreger wie Arena-, Junin- und Dengueviren zu entwickeln, erklärt Schmitz selber so: „Ich habe über meine Ergebnisse im Rahmen von Vorträgen gesprochen, und dann sind Mikrobiologen auf mich zugekommen, die bei der Bundeswehr arbeiten, und haben gesagt: Ihr macht das gut und tüchtig – wir möchten gerne testen, inwieweit in die Umwelt irgendwelche Viren oder Bakterien abgegeben sein können… Was die Bundeswehr macht, kann ja auch mal positive Effekte haben. Ist doch besser, die bezahlen uns diese zwei Stellen, als wenn sie da irgend so 'ne Rakete in die Ostsee schießen. Da drückt einer auf 'nen Knopf, und schon gehen dreihunderttausend Mark kaputt. Und die würden wir hier gerne haben. Da ist das Geld doch mal sinnvoll kanalisiert.“ 13

Schmitz wickelt für das BMVg das Projekt „Schnellnachweis von Virusantigenen durch den Einsatz von Fluoreszenz- und Lumineszenzverfahren“ ab. Dieses auf fünf Jahre ausgelegte Projekt hat die „Suche nach und Anwendung neu entwickelter Nachweisverfahren“ für militärisch relevante krankmachende Viren zum Ziel. Die Rüstungsabteilung des BMVg hat im Lastenheft vom 21.7.1987 zum Zuwendungsbescheid für dieses Projekt deutlich gemacht, daß „besonderer Wert auf die Konzipierung von laborfern einsetzbaren schnellen Testsystemen gelegt wird“. Im Lastenheft heißt es weiter: „In enger Zusammenarbeit mit der Industrie und Wehrwissenschaftlichen Dienststelle der Bundeswehr für ABC-Schutz sollen für das ausgewählte Detektionsverfahren Reagenziensets konzipiert werden, die eine Durchführung der Diagnostik ohne Laborunterstützung ermöglichen.“

Daß Schmitz dabei etwas mit Panzern zu tun habe, hört der Tropenmediziner nicht gerne. Dabei geht es bei dem feldverwendungsfähigen Gerät, an dessen Konzeption Schmitz wie Schügerl beteiligt sind, letztlich auch um den neuen bundesdeutschen Rüstungsexportschlager, nämlich den Spürpanzer FUCHS sowie tragbare Miniaturdetektoren für die Truppe.

Zur Zeit arbeitet auch Bruker-Franzen mit Hochdruck an einem System CBMS, einem Massenspektrometer, mit dem auch biologische Agenzien identifiziert werden können. Das Gerät wird entwickelt im Unterauftrag für die US-Firma Teledyne. Nach Auskunft von Franzen würde während der Entwicklung lediglich mit harmlosen Heu- oder Tabakbakterien gearbeitet. Die Abstimmung auf die Bio-Kampfstoffe geschehe in dafür geeigneten Labors vermutlich in den USA.14

In den USA ist inzwischen die Entwicklung optischer Biosensoren erfolgreich geglückt. Kürzlich wurde ein Quarzfaserbiosensor für T-2 Mykotoxin in Zusammenarbeit mit dem Aberdeen Proving Ground, einem der drei maßgeblichen US-amerikanischen B- und C-Waffenforschungszentren entwickelt. Das Prinzip dieses Verfahrens beruht darauf, daß an das optische Material ein Antikörper gebunden wird, an den das biologische Material, das sogenannte Antigen, spezifisch angekoppelt und damit die optoelektronischen Verhältnisse ändert, was sich in einem Signal bemerkbar macht. Die unveränderte Stabilität des Biosensors über Monate hinweg konnte unter Beweis gestellt werden.15

Resultierend aus den Schutzforschungsprogrammen der NATO werden somit hochsensible vor Ort einsetzbare Detektionssysteme zum Aufspüren von chemischen und biologischen Agenzien auf den Markt kommen. Ähnlich wie das MM-1 bisher schon nicht nur C-Kampfstoffe, sondern in gleicher Weise auch alle anderen Chemikalien in der Umwelt ausfindig machen konnte, werden die in Entwicklung begriffenen Biosensoren es zukünftig auch erlauben, vor Ort Lebensmitteluntersuchungen auf beliebige Pilzgifte oder bakteriellen Befall wie z. B. Salmonellen vorzunehmen. Rüstungskonversion fällt bei dieser Art »Schutzwaffe« leicht. Ob für solche Zwecke allerdings dann auch Gelder zur Verfügung stehen werden, oder ob die Abwehrkraft unserer Gesellschaft beim Schutz gegen potentielle CB-Kampfstoffe stehenbleiben wird, ist zwar nicht entschieden. Bislang allerdings haben die Militärs die Spürnase vorn.

MM-1 und die C-Waffen-Hochrüstung

Abwehr gegen C- und B-Waffen setzt immer Kenntnis und Handhabung der krankmachenden und todbringenden Erreger und Gifte voraus. Schnellnachweissysteme, Antidots und Impfstoffe sowie schnelle Immunisierungsverfahren erlauben erst den wirkungsvollen Einsatz potentieller C- und B-Waffen. Selbst Schnellnachweissysteme erhöhen noch die Kampfkraft der Truppe – wie sie selber sagt – da nur so das kampfkraftschwächende und verschleißende Agieren unter Bedingungen von ABC-Schutz im Zweifelsfalle umgangen werden kann. Wie Steinhoff in der Wehrtechnik schreibt, ist zwar der Einsatz chemischer Kampfstoffe völkerrechtlich geächtet, nicht aber „implizierte Drohgebärden und Anschein erweckendes Verhalten in dieser Richtung. Solches Verhalten löst vernünftigerweise prophylaktische Schutzmaßnahmen aus und damit auf Dauer Kampfkraftminderung, ohne daß der Gegner völkerrechtlich schuldig wird.“ 16

Die Bedeutung des Spürpanzers FUCHS im Rahmen der Aufrüstung der NATO wird aber erst eigentlich deutlich, wenn man auf das US-amerikanische C-Waffen-Programm einen Blick wirft. Genauere Angaben dazu finden sich im Rahmen des US-Haushaltes. Hier ist der C- und B-Waffen-Schutz integraler Bestandteil des C-Waffen-programms. Sein Name: Chemical Warfare – Biological Defense Research Program. Dieses Programm enthält ein Tödliches C-Programm, ein Kampfunfähigmachendes C-Programm und u.a. ein B-Waffen-Schutzforschungsprogramm. „Die Zielsetzungen“, des tödlichen C-Programms sind es, wie es für das Haushaltsjahr 1986 heißt, „C-Kampfstoff/Munitionssysteme zu entwickeln, die eine zuverlässige und glaubwürdige Abschreckung und eine sichere und moderne Vergeltungskapazität verfügbar machen; und fortgeschrittene Technologie in C-Kampfstoff-Waffentechnik aufrecht zu erhalten, um jede technologische Lücke oder Überraschung zu vermeiden“.17 Die Ziele des kampfunfähig machenden C-Programms sind es, „neue schnell wirkende körperlich kampfunfähig machende Substanzen zu entdecken, die durch Einatmen oder Aufnahme durch die Haut wirksam werden, stark wirkende Schmerzmittel undf flüchtige Betäubungsmittel herzustellen und auszuwerten“.18

Die Haushaltsmittel für diese Art Forschung des sogenannten Chemical Modernization Program sollten von 1437.5 Mio. $ des Jahres 1987 bis 1989 auf 1488.0 Mio $ gesteigert werden. Die Mittel für Medical Chemical Warfare/Biological Defense RDT&E sollten von 150.1 Mio $ auf 167.7 zwischen 1987 und 1989 gesteigert werden.19 1987 begannen die USA nach 18 Jahren Pause mit der Produktion einer neuen Generation von nunmehr binären C-Waffen und neuartigen Geschossen und Bomben. Der bundesdeutsche Spürpanzer FUCHS ist integraler Teil dieses Modernisierungsprogramms der US-amerikanischen C-Waffen-Vergeltungs- und Abschreckungskapazität.

Gespannt darf man deshalb auf die Antwort der Bundesregierung auf eine umfangreiche Anfrage der GRÜNEN im Deutschen Bundestag zum Spürpanzer FUCHS sein.20 Im Rahmen nationaler Verteidigungs- und Abschreckungskonzepte ist auch der Spürpanzer FUCHS ein Instrument der Bedrohung, da insbesondere gegenüber unterlegenen Ländern z.B. der Dritten Welt die Weltöffentlichkeit durch fingierte Beweise für terroristisches oder aggressives Verhalten manipuliert werden kann. Im Rahmen des Einsatzes einer internationalen Kontrollbehörde zur Einhaltung der zukünftigen C-Waffen-Konvention wie bei der Weiterentwicklung der 1972er B-Waffen-Konvention in puncto Verifikationsmaßnahmen könnte einem sensiblen und mobilen Detektionssystem wie dem MM-1 und dem Spürpanzer FUCHS allerdings eine friedenssichernde Funktion zukommen. Die Internationalisierung des C-und B-Waffen-Schutzes gilt es allerdings erst noch durchzusetzen. Im Rahmen nationaler Programme bleibt der FUCHS eine Bedrohung.

Anmerkungen

1) Soldat und Technik, 4/1988, S. 221 Zurück

2) B. Odernheimer, Analytik mit ortsfesten und mobilen Meßeinrichtungen, Vortrag auf der Jahrestagung 1987 der Schutzkommission beim BMI, S. 21-37. Zurück

3) Bruker-Franzen, Das mobile Massenspektrometer MM-1 im Umwelt- und Katastrophenschutz. Zurück

4) Soldat und Technik, 5/1988, S. 290. Zurück

5) ibido Zurück

6) SZ Zurück

7) Schutzkommission beim BMI, Empfehlungen der Schutzkommission zu Fragen der Bewältigung von Chemieunfällen, verabschiedet am 4.5.1989. Zurück

8) E. Rebentisch, Wehrmedizin, München 1980. Zurück

9) R. Brücken, Krieg mit chemischen Waffen, Europäische Wehrkunde 12/1986, S. 724-726. Zurück

10) Deutscher Bundestag, 15.2.89, D5 11/3995. Zurück

11) DS 11/4172, a.a.O. Zurück

12) Spiegel, 5/1989, S. 16. Zurück

13) taz Ausgabe Hamburg, 3.5.1988. Zurück

14) Manuel Kiper und Jürgen Streich. Biologische Waffen: Die geplanten Seuchen. rororo aktuell. Reinbek 1990. Zurück

15) M.L. Williamson et al., Analytical letters, 22(4), 803-16 (1989). Zurück

16) ABC-Abwehrtruppe – willkommen auf dem Gefechtsfeld, Wehrtechnik 10/85, S. 58-71. Zurück

17) Department of Defense, Annual Report on Chemical Warfare – Biological Defense Research Program Obligations 1 October 1985 through 30 September 1986, RCS: DD-USDRE (A) 1065, S. 13. Zurück

18) ibido, S. 15. Zurück

19) ibido, Information Paper on Chemical Modernization Program. Zurück

20) Lieferungen des Spürpanzers FUCHS für das US-amerikanische C-Waffenprogramm, biologische Aufrüstung des Spürpanzers und seine Nutzung im Umwelt- und Katastrophenschutz. Zurück

Dr. Manuel Kiper ist Biologe und arbeitet z.Zt. als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der GRÜNEN.

Rüstungshaushalt 1990 – Wehrkraftverstärkung durch Informationstechnik

Rüstungshaushalt 1990 – Wehrkraftverstärkung durch Informationstechnik

von Karl-Heinz Hug

Nach dem Bundeshaushaltsentwurf 1990 sollen die Ausgaben des »Einzelplans 14« (Epl.14), des Etats des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), um 3,3 % auf 54,47 Mrd. DM wachsen.1 Den mit 378 Mio. DM drittgrößten Teil der zusätzlichen Mittel des Epl. 14 für 1990 erhält der Ausgabenbereich Forschung, Entwicklung und Erprobung, also das Kapitel 1420, dessen jahrelang stark angewachsene Ausgaben nun 3,32 Mrd. DM erreichen. Den erneut überproportionalen Steigerungsschub von 13 % begründet des BMVg damit, daß „jetzt die Entwicklung der modernen technischen Ausrüstung für die Bundeswehr der späten 90er Jahre intensiviert werden muß“. Dies trage „der zunehmenden Komplexität technischer Entwicklungen und weit vorausschauender Planungsalternativen Rechnung“.2

Die im Kapitel 1420 enthaltenen Ausgaben für das Forschungs- und Technologie-Konzept (F&T-Konzept) werden 1990 stärker als 1989 reduziert (siehe Tabelle 1). Dieser Kürzung liegt nicht etwa eine Umorientierung der BMVg-Planung zugrunde. Vielmehr will das BMVg mit den vorhandenen Mitteln vorrangig laufende Waffensystementwicklungen wie den Panzerabwehrhubschrauber PAH 2, die Modulare Abstandswaffe MAW, den Gefechtskopf mit Enphasenlenkung TGW für das Mittlere Artillerie-Raketensystem MARS/MLRS, und vor allem den Jäger 90 weiterführen. Die „wichtigsten Technologie-Aktivitäten auf den Gebieten Waffeneinsatz und Waffenwirkung, Aufklärung und Führung“ werden aber fortgesetzt.3

Das »Zukunftskonzept Informationstechnik«

Die Informationstechnik spielt eine wachsende Rolle bei der qualitativen Aufrüstung durch hochtechnologisierte Waffensysteme. Mit welchen Vorstellungen die Bundesregierung die weitere Entwicklung und Nutzung der Informationstechnik auch für den Bereich »Wehrtechnik und Landesverteidigung« plant, darüber gibt das im August 1989 von ihr herausgegebene »Zukunftskonzept Informationstechnik« Auskunft. Die Bundesregierung hält es noch immer für „politisch wünschenswert“, die „Aufgaben der Bundeswehr mit einer Bewaffnung und Ausrüstung, die bei sinkenden Bevölkerungszahlen und knappen Haushaltsmitteln durch effektive Nutzung moderner Technologien die Verteidigungsfähigkeit verbessert“, zu erfüllen.4 Der Informationstechnik komme dabei eine Schlüsserfunktion zu. „Zukünftig wird die wehrtechnische Bedeutung der Informationstechnik noch wachsen, ihr Anteil an den Entwicklungs-, Produktions- und Nutzungskosten steigen.“ Zu wichtigen Teilgebieten militärischer Aufgaben, für deren technische Lösung der Einsatz und die Weiterentwicklung der Informationstechnik unabdingbar seien, gehören Aufklärung, Kommunikation, Führung und „Waffensysteme, die eine verstärkte Automatisierung der komplexen Teilsysteme beinhalten und eine Erhöhung der »Intelligenz« erfordern“.

Die Bundeswehr versuche zwar, „den Anteil der spezifisch militärischen Informationstechnik möglichst gering zu halten und sich weitgehend auf Entwicklungen für den zivilen Bereich abzustützen“. Jedoch gebe es insbesondere im Waffensystembereich „militärische Aufgabenstellungen, die gesonderte Entwicklungen unvermeidbar“ machten. In Zukunft sei verstärkt darauf hinzuwirken, „sogenannte Dual-Use-Technologien intensiver zu nutzen, d.h. zu versuchen, militärische Forderungen bei zivilen Entwicklungen frühzeitig mitberücksichtigen zu lassen beziehungsweise auf derartige Dual-Use-Technologien in Form von Add-On-Programmen aufzusetzen, um den militärischen Bedarf zu decken“. Im BMVg werden deshalb Schwerpunktthemen für den Bereich der Informationstechnik in „Abstimmung mit den Fördermaßnahmen des Bundesministers für Forschung und Technologie und den Aufgaben der übrigen Ressorts, hier insbesondere dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen im Teilbereich Kommunikationstechnik“, festgelegt.

Die Ausgaben für militärische Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik

„Die Realisierung wehrtechnischer Systeme mit informationstechnischen Komponenten bedarf immer dann spezifischer Arbeiten zur Forschung und Technologie des Bundesministers der Verteidigung, wenn diese Komponenten nicht bereits auf dem zivilen Markt verfügbar sind“.5 Entsprechende Aufgaben der Informationstechnik werden als Schwerpunkt des F&T-Konzepts formuliert und durchgeführt. Von den Ausgaben des F&T-Konzepts entfallen 37% auf die Informationstechnik, das sind 1990 etwa 300 Millionen DM. Die damit entwickelte Informationstechnik soll zur Steigerung der »Intelligenz« und der Schnelligkeit im Einsatz bei Aufklärung, Führung und Waffeneinsatz führen:6

  • Automatisierte Aufklärung soll die Erfassung, Übertragung und Verarbeitung von Lage- und Objektdaten in nahezu Echtzeiten ermöglichen.
  • Bei der Bekämpfung von Zielen wird eine autonome Detektion, Klassifikation und Verfolgung angestrebt (bispektrale Zielsuchköpfe).
  • Gefechtsfeldkommunikation: Zukünftige militärische Systeme sollen besser untereinander kommunizieren können.

Aufbauend auf bestehenden zivilen Ergebnissen sind dafür militärspezifische Ausprägungen von Verfahren/Techniken der Mikroelektronik, Sensorsignalverarbeitung, Bildverarbeitung, Computer Aided Engineering, Software Engineering, Rechnerstrukturen, Kommunikationstechnik, Künstliche Intelligenz notwendig – d.h. es fehlt kaum ein Gebiet der Informatik.7

Der Anteil der Gebiete Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik am Kapitel 1420 insgesamt – d.h. unter Einbeziehung der verschiedenen Waffensystementwicklungen – ist im Haushaltsplan nicht weiter aufgeschlüsselt, er wird daher in der Tabelle 2 aus den Ansätzen der Haushaltstitel grob abgeschätzt.8 Für Forschung, Entwicklung und Erprobung in den Gebieten Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik will das BMVg unter Kapitel 1420 also schätzungsweise 1007 Millionen DM ausgeben. Die Zuwachsrate gegenüber 1989 liegt mit ca. 12 % in der Größenordnung der Zuwachsrate von Kap. 1420. Innerhalb der letzten fünf Jahre ergibt sich eine Zuwachsrate von 62% (bezogen auf den Schätzwert von 1984 von 620 Mio DM), während der Gesamtetat des BMVg in diesem Zeitraum um 14 % zugenommen hat.

Die meisten der zusätzlichen Mittel werden wieder in die Entwicklung des Jäger 90 gepumpt. Auch beim MRCA-Tornado gibt es wieder einen Zuwachs. Er wird überwiegend – also etwa 70 Mio. DM – für die Entwicklung eines Tiefflug-Simulators ausgegeben. Das BMVg stellt dies als „besondern Akzent“ für den „Schutz der Umwelt“ heraus; unter dem Begriff „Lärmbeschränkung“ blättert es insgesamt 357 Mio. DM für die Entwicklung, Beschaffung und Erhaltung von Simulatoren und DV-Unterstützung hin.9 Schieß-, Fahr- und Tiefflug-Simulatoren sind freilich Komponenten, die „nicht bereits auf dem zivilen Markt verfügbar sind“.

Mit weiteren Aufwendungen für die Entwicklung der streitkräftespezifischen Datenverarbeitung sowie Betrieb und Infrastruktur von F&E-Einrichtungen (Kap. 1417, 1405, 1412) in Höhe von schätzungsweise 122 Mio. DM ergeben sich für den Bereich des BMVg geschätzte Mindestausgaben für militärische Forschung, Entwicklung und Erprobung in den Gebieten Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik in Höhe von 1129 Millionen DM. Bezogen auf die entsprechende Schätzung für 1989 von 1024 Mio. DM entspricht dies einer Zuwachsrate von ca. 10,2 %.

Die Ausgaben des BMFT

Der Etat des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT, »Einzelplan 30«), der 1990 um 2,7 % auf 7,86 Mrd. DM wachsen soll, ist wie 1989 durch die Schwerpunktsetzung bei der Weltraumforschung gekennzeichnet. Die Ausgaben dafür sollen um 11,6 % auf 1,71 Mrd. DM wachsen, dies entspricht 85 % der zusätzlichen Mittel des Epl. 30. Das Kapitel »Informationstechnik; Fertigungstechnik; Fachinformation« (3004) erfährt 1990 wieder eine geringe Steigerung, mit der die Einbußen der letzten beiden Jahre noch nicht ganz aufgeholt werden. Diese Ausgaben umfassen Fördermaßnahmen für Grundlagenforschung mit Dual-Use-Charakter als auch für bestimmte anwendungsorientierte F&E. Ein Vergleich dieser BMFT-Ausgaben mit den in Tabelle 2 abgeschätzten Ausgaben des BMVg liefert folgende Ergebnisse (siehe Tabelle 3).

  • Die Ausgaben des BMVg für F&E im Gebiet Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik liegen in derselben Größenordnung wie die des BMFT. Mehr als jede zweite DM der 1,8 Mrd. DM, die die Bundesregierung 1990 für Informationstechnik-F&E ausgibt, wird für unmittelbar militärische Zwecke verwendet.
  • Die Bundesausgaben für F&E im Gebiet Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik wachsen wieder überproportional. Damit wird der 1988 unterbrochene und 1989 abgeschwächte Trend der 80er Jahre fortgesetzt.
  • Von den 112 Mio. DM, die der Bund in diesem Bereich 1990 mehr ausgeben will, fließen 93 % zum BMVg. Da der BMVg-Anteil 13 mal so stark wächst wie der BMFT-Anteil, wird der langjährige Trend zur Verstärkung des Anteils der für unmittelbar militärische Zwecke eingesetzten Mittel 1990 beibehalten.

Die auf Grundlagenforschung bezogenen Ausgaben des Kapitels 3004 betragen 591 Mio. DM. Mit der Steigerungsrate gegenüber 1989 von 3,0 % wird der Trend der letzten beiden Jahre zu einem wachsenden Anteil der Grundlagenforschung auf Kosten der auf zivile Anwendungen orientierten F&E fortgeführt. Ein mittelbarer Nutznießer dieser Verschiebung von Ausgaben des BMFT ist das BMVg.

Tabelle 1: Forschungs- und Technologie-Konzept (Anteil von Kap.1420)
Haushaltsjahr Ausgaben (Mio.DM) Steigerung zum Vorjahr Anteil am Epl.14 Anteil am Kap.1420
1988 Soll 846,8 + 1,4 % 1,6 % 30,9 %
1989 Soll 837,8 – 1,1 % 1,6 % 28,0 %
1990 Entwurf 799,0 -4,6 % 1,5% 24,1%
Quellen: Erläuterungen …, a.a.O.; Wehrtechnik 9/88 und 5/89; eigene Berechnungen
Tabelle 2: Militärische F&E in Elektronik,
Informations- und Kommunikationstechnik
(Teil von Kap. 1420)
Zweckbestimmung (Titel) Schätzwert Betrag (Mio. DM)
1988 1989 1990
Ist Soll Entwurf
Wehrtechnische Forschung (551 01) 25 % 16,5 17,0 17,0
Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung (551 11) 30 % 520,2 523,5 570,0
Entwicklung des Kampfflugzeuges MRCA (551 16) 30 % 53,4 45,0 67,8
Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung von Führungssystemen (551
17) 100 %
130,0 132,0 125,0
Entwicklung des Jagdflugzeugs 90 (551 18) 30 % 105,0 168,0 210,0
Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften e.V.
(FGAN) Bonn (Tgr. 03, 68531, 89331) 41 %
16,7 17,2 17,1
Summe (Mio. DM) 841,8 902,7 1006,9
Steigerung zum Vorjahr (%) – 2,0 + 7,2 + 11,5
Tabelle 3: Ausgaben des Bundes für F&E in Elektronik, Informations und Kommunikationstechnik
1989 Anteil Soll (Mio. DM) 1990 Entwurf Anteil 1990 Entwurf (Mio. DM) Steigerung zum
Vorjahr
Ausgaben des BMVg 53,9 % (903) 56,4 % (1007) + 11,5 %
Ausgaben des BMFT 46,1 % (771) 43,6 % (779) + 0,9 %
Gesamtausgaben des Bundes 100 % (1674) 100 % (1786) + 6,7%
Quelle: Gesetzentwurf … a.a.O.; eigene Berechnungen

Anmerkungen

1) Zahlenangaben aus: Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990, Deutscher Bundestag, Drucksache 11/5000 und Anlagen dazu, Bonn, 11.8.1989; Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts 1990, BMVg, Bonn, 31.8.1989. Inzwischen hat der Haushaltsausschuß des Bundestags den Ansatz des Epl. 14 um 238,5 Mio. DM gekürzt, und möglicherweise wird der Bundestag bis zum Erscheinen dieses Artikels weitere Kürzungen vorgenommen haben. Gravierende Einschnitte sind jedoch nicht zu erwarten, so daß die im folgenden erscheinenden Zahlen zwar ggf. nach unten korrigiert werden müssen, aber wahrscheinlich ihre Größenordnung behalten werden. Zurück

2) Erläuterungen …, a.a.O. S. 4, 30. Zurück

3) Erläuterungen …, a.a.O. S. 32. Zurück

4) Zitate in diesem Abschnitt aus: Zukunftskonzept Informationstechnik, Der Bundesminister für Forschung und Technologie, Der Bundesminister für Wirtschaft, Bonn, August 1989. Zurück

5) Zukunftskonzept …, a.a.O. S. 122. Zurück

6) Ludwig-Holger Pfahls: Rüstung und Rüstungspolitik in den 90er Jahren. Wehrtechnik Nr. 6, 1989, S. 10-18. Zurück

7) Zukunftskonzept …, a.a.O. S. 123. Zurück

8) Das Schätzverfahren wurde bereits in vorjährigen Untersuchungen verwendet, bzgl. der zugrundegelegten Annahmen siehe Informationsdienst Wissenschaft & Frieden Nr. 4, 1987; Betrifft: Rüstung 88/89. ZMF, Frankfurt M.,1988. Zurück

9) Erläuterungen …, a.a.O. S. 4, 42, 45f. Zurück

Karlheinz Hug ist Software-Entwickler in Nürnberg, Mitglied im FIFF.

STEALTH II

STEALTH II

von Ulrich Albrecht

Das »Dossier Stealth« im Informationsdienst hat ein bemerkenswertes Echo gehabt. Ein freundlicher Kommentar kam selbst aus der Vorstandsetage des neuen Rüstungsmulti Daimler-Benz („sehr informative Arbeit“). Ein substantieller Hinweis erfolgte auf Illustrationen zur Radarerfassung aus unterschiedlichen Winkeln der Stellung von Empfangsantennen sowie unterschiedlicher Stellung eines von Radar erfaßten Objektes. Abb. 1 gibt als gut nachvollziehbares Beispiel die Radarechos eines mittleren Kriegsschiffes wieder. Umrundet eine Radarantenne ein Schiff um 360°, so variiert das Echo: Bug (0°) und Heck (180°) geben verständlicherweise schwächere Echos als wenn das Schiff voll von der Breitseite erfaßt wird (bei 90° und 270°). Dort treten nicht überraschend die stärksten Echos überhaupt auf. Wegen des Vorhandenseins einer Anzahl planer Reflektorflächen bei Bug und Heck liegen hier keineswegs die Minima der Radarreflektionen. Diese werden vielmehr bei leichter Schrägsicht auf das Kriegsschiff erzielt.–Die Echos sind ferner (so Abb. 1) vom Azimut des Radarsignals abhängig. Die drei Linienkreise zeigen Radarechostärken bei drei unterschiedlichen Azimuten und ergeben, daß die Charakteristika der Reflektionen mit Bezug auf die Stellung des Schiffes voll erhalten bleiben. Der »Radarquerschnitt« eines Objektes ist mithin ein Mittelwert, wird er als einfache Zahl angegeben, und man muß genau fragen, ob er für minimale Reflektionsbedingungen, für Frontalsicht oder eine andere Stellung des erfaßten Objektes angegeben wird.

Solche Mittelwerte sind in der Abb. 2 wiedergegeben. Der Wert für den Menschen (1m2) erscheint überraschend hoch. Die Leistung der STEALTH-Ingenieure wird erkennbar, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß der Radarquerschnitt für Jäger nunmehr auf 0,01 m² geschätzt wird. Das entspricht einer Platte von 1 cm² oder, an vorhandenen Werten gemessen, dem von einem Singvogel erzeugten Radarecho.1

Stealth-Projekte in der UdSSR

Am substantiellsten bleiben die Hinweise, daß es auch in der UdSSR Stealth-Projekte gibt. Diese Hinweise konzentrieren sich auf das MiG-Team, die im Jägerbau legendäre Ingenieurgruppe, welche einst von Artem Mikojan (von diesem Bruder des sowjetischen Politikers stammt das »Mi« in der Teambezeichnung) und Gurewitsch (einem Mathematiker, »G«) begründet wurde. Der jetzige Leiter dieses Teams, Rostislaw Apollosowitsch Beljakow, äußerte auf dem Pariser Aerosalon in Bezug auf den Radarquerschnitt senkende Kunststoffe beiläufig: „Ich bin ein Fan der Verbundwerkstoffe. Sie sind widerstandsfähig, korrosionsfest und belastbar. Man kann Spezialbeschichtungen verwenden, die für STEALTH gut sind.“ 2 Im gleichen Zusammenhang ist von Forschungsprojekten die Rede, die auch STEALTH-Technologien einschließen.

Westliche Nachrichtendienste geben erstaunliche Details an. Das erste sowjetische Stealth-Flugzeug sei von dem MiG-Team konstruiert worden. Amtlich trage es die Bezeichnung MiG-37 (da gemäß russischem Brauch Kampfflugzeuge mit »männlichen«, ungeraden Zahlen durchnummeriert werden, hieße dies, daß nach der letzten bekannten MiG-Konstruktion, der MiG-31, zwei weitere neue Kampfflugzeuge entwickelt werden). Die NATO bezeichnet die sowjetische Stealth-Maschine als Jäger und hat ihr den Code-Namen »Ferret« (Frettchen) gegeben. Haben die Nachrichtendienste Recht, dann gibt es gar schon Untertypen (in einer japanischen Darstellung wird eine »B«-Variante von einer »E«-Variante unterschieden). Daraus wäre zu folgern, daß das sowjetische Flugzeug ähnlich wie sein amerikanisches Gegenstück, die Lockheed F-117, seit geraumer Zeit fliegt–und die sowjetische Technik auf diesem Gebiet nicht soweit hinterherhinkt, wie allgemein vermutet wird. Abbildungen der MiG-37 zeigen den für Stealth-Konstruktionen erforderlichen, im Vergleich mit herkömmlichen Flugzeugen ungewohnten Aufbau: Die Konstruktion vermeidet scharfe, besonders rechtwinklige Kanten und ist überall sorgfältig gerundet. Das kombinierte Höhen- und Seitenleitwerk (so wird eine Ruderfläche als Radarreflektor gespart) ist schräg am Rumpf angesetzt. Die Triebwerkeinläufe sind oberhalb der Tragflächen angeordnet, um ihre Erfassung durch Bodenradar von vorn und unten zu erschweren. Besonders aufwendig ist das Rumpfheck konstruiert. Die heißen Abgase der beiden Düsentriebwerke werden durch größere an der Rumpfoberseite angebrachte Schlitze sowie kleinere Zuführungen an der Unterseite mit Kaltluft vermischt. Eine weit nach hinten gezogene Schürze deckt die Triebwerkenden gegen eine Erfassung von unten ab, so daß die Infrarotkennung des Flugzeugs weitgehend abgeschwächt wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist solch ein Flugzeug ferner außen mit radarabsorbierenden Kunststoffen beschichtet.

Auch fertigungstechnisch hatten die sowjetischen Ingenieure bei der Stealth-Technologie dazuzulernen (der amerikanische Northrop-Bomber B-2 gilt besonders wegen der Innovationen bei seiner Herstellung als technisch revolutionär). Seit Ende der siebziger Jahre experimentiert man in der UdSSR mit Verbundwerkstoffen im Militärflugzeugbau. Zunächst tasteten sich die Ingenieure an die neuartigen Materialien mit Erfahrungen aus dem Metallflugzeugbau heran: radarabsorbierende Platten wurden in herkömmlicher Weise mit Nieten und Schrauben aus Metall befestigt. Das ergab Probleme bei der Verträglichkeit der sehr verschiedenartigen Materialien. Mittlerweile sollen anspruchsvolle Herstellungsverfahren (wahrscheinlich Klebetechniken) Verwendung finden.

Wie sein amerikanisches Gegenstück kann auch die sowjetische Maschine nicht aerodynamisch stabil fliegen. Die klassische Leitvorstellung im Flugzeugbau, gutes Flugverhalten sei durch Stabilität gekennzeichnet, und nach einer kleinen Störung (etwa durch eine Windbö) kehre ein solches Flugzeug von allein in den Geradeausflug zurück, muß aufgegeben werden. Für mehr Stabilität wären zusätzliche Steuerflächen nötig, und die sollen ja gerade wegen ihres überdurchschnittlich großen Radarechos vermieden werden. Der Generalkonstrukteur des MiG-Teams, Beljakow, bestätigte die Instabilität zumindest indirekt: „Die MiG-31 ist das letzte aerodynamisch stabile Flugzeug, welches wir herstellen werden.“ 3

Die Folge: das Stealth-Flugzeug benötigt eine umfängliche und anspruchsvolle Elektronik, da der Pilot allein die Maschine nicht in der Luft halten kann. Bei der MiG-31 werden als Hilfen für den Flugzeugführer ein „cleverer Autopilot“ (Beljakow) sowie mechanisch verstärkte Steuerungen eingesetzt. Für neuere sowjetische Stealth-Flugzeuge, ob sie nun MiG-37 heißen oder nicht, sind technologisch anspruchsvollere Mittel zur Aussteuerung von Instabilitäten um die verschiedenen Achsen erforderlich. Es wird interessant sein, diese aus westlichen Quellen stammenden Abbildungen später einmal mit der wirklichen MiG-37 zu vergleichen, wenn »Glasnost« zur Freigabe von Fotos dieser hochgeheimen Konstruktion führt.

Radarquerschnitte im Mikrowellenbereich

Objekt m2
Insekt 102
Vogel 0,01
Luft – Luft 0,5
Mensch 1
Einmotoriges Sportflugzeug 1
leichtes Jagdflugzeug 2
Fahrrad 2
schweres Jagtflugzeug 6
Großes Motorboot 10
Mittlerer Bomber 20
Schwerer Bomber / Verkehrsflugzeug 40
Jumbojet 100
PKW 100
LKW 200

Anmerkungen

1) Daten nach Bill Sweetman, Stealth Aircraft, Osceola, Wis. (Motorbooks International) 198, S. 35. – Sweetman ist US-Korrespondent des als bestinformiert geltenden englischen Dienstes »Jane`s Defence Weekly«; diesen Hinweis verdanke ich Jürgen Altmann, Bochum. Zurück

2) „Mikoyan Design Group Upgrading MiG-29 With Fly-by-Wire Controls, New Cockpit“, in: Aviation Week & Space Technology, June 5, 1989, S. 81 Zurück

3) Zit. nach ebd. Zurück

Dr. Ulrich Albrecht ist Professor für Politische Wissenschaften an der FU-Berlin

Rüstungsetat ’89 …

Rüstungsetat ’89 …

Rekordzuwachs als Antwort auf Abrüstungsbemühungen

von Arno Gottschalk

Nach massiver Kritik aus einschlägigen Kreisen hatte die Bundesregierung schon im Dezember 1987 verkündet, daß der Militäretat 1989 in größerem Umfang als in den Vorjahren aufgestockt werden solle. Konkrete Festlegungen wurden damals zwar vermieden, die internen Vorstellungen blieben gleichwohl kein Geheimnis: Die Steigerungsrate des Verteidigungshaushaltes sollte von zuletzt 0,5 % auf 2,5 % angehoben werden – entsprechend dem geplanten Zuwachs der Bundesausgaben insgesamt.

Wer gehofft hatte, daß diese Absicht angesichts der sich inzwischen abzeichnenden Abrüstungsverhandlungen aufgegeben würde, hat sich getäuscht. Wie der im Sommer verabschiedete Haushaltsentwurf der Bundesregierung zeigt, wird jetzt sogar eine noch schärfere »Trendwende« ins Auge gefaßt: Zwar bleibt die geplante Steigerungsrate des Militäretats nunmehr doch hinter dem Zuwachs des Gesamthaushalts zurück, da in letzter Minute Milliardenzuschüsse für strukturell schwache Länder und für die Bundesanstalt für Arbeit eingeplant werden mußten. Schon vorher war allerdings beschlossen worden, den Verteidigungshaushalt (EPL.14) nicht um 2,5, sondern um 3,8 %, und das heißt um 1,95 Mrd. DM aufzustocken. Dieser Betrag liegt um zwei Drittel über dem addierten Aufwuchs der Jahre 1987 und 1988 und beläuft sich auf mehr als das 7-fache (!) der zusätzlichen Mittel, die in diesem Jahr für den Verteidigungshaushalt bereitgestellt worden sind. Legt man darüberhinaus die Inflationserwartungen der Bundesregierung zugrunde, dann soll 1988 mit + 2,3 % nicht nur erstmals seit 1985 eine reale Steigerung der Militärausgaben erreicht werden; es wäre vielmehr der absolut und relativ höchste Realzuwachs, der von der Kohl-Regierung verwirklicht werden würde. Geplant ist also ein Rekordetat.

Zur Struktur des Etatentwurfs

Eine nähere Betrachtung des Etatentwurfs zeigt, daß der Schwerpunkt erneut bei den Betriebsausgaben liegt, die gut 80 % der zusätzlichen Mittel absorbieren. Den absolut größten Zuwachs mit rd. 844 Mio. DM weisen dabei die Personalausgaben auf, wo insbesondere die Einkommensverbesserungen und Solderhöhungen zu Buche schlagen. Rund ein Drittel der Mehraufwendungen resultiert allerdings aus den Anstrengungen, den Anteil der Zeit- und Berufssoldaten zu erhöhen: 100 Mio. DM (!) werden für die Einführung einer Weiterverpflichtungsprämie bereitgestellt. Über 20 Mio. DM kosten 783 neue Soldatenplanstellen, die überwiegend der Übernahme von Zeit- zu Berufsoffizieren dienen und gleichzeitig über 3.000 Beförderungen zwecks Verbesserung des »Betriebsklimas« ermöglichen. Aufgrund der zwischenzeitlich vermehrten Anwerbung von Zeitsoldaten steigen schließlich die Nachversicherungskosten sprunghaft auf 145 Mio. DM (+ 25 %). Erhebliche – und überdurchschnittlich hohe – Zuwächse verbuchen zudem die Materialerhaltung (+ 272 Mio. DM) sowie die sonstigen Betriebskosten (+ 368 Mio. DM), bei denen offenbar `Vorsorge` für eine neuerliche Ausgabensperre bei den sächlichen Verwaltungsausgaben getroffen worden ist.

Der Anstieg der Verteidigungsinvestitionen verläuft demgegenüber deutlich unterproportional (+ 1,7 %). Hier wirkt sich vor allem der erneute Rückgang (- 239 Mio. DM) bei den militärischen Beschaffungen aus, der allerdings geringer ausfällt als aufgrund des sinkenden Mittelabflusses für den MRCA-Tornado (- 570 Mio. DM) möglich gewesen wäre, »Kompensierend« wirken hier insbesondere die kräftigen Mittelaufstockungen für Munition (+ 175 Mio. DM), für Kampfwertsteigerungen bei Flugzeugen und Hubschraubern (+ 130 Mio. DM). Positiv zu vermerken ist allerdings, daß eine Reihe anderer Vorhaben gestrichen, gestreckt oder verschoben worden sind und auch die MRCA-Tornado-Lobby mit einer neuen, sogenannten IDS-Version zunächst einmal abgeblitzt ist.

Die demgegenüber erhebliche Steigerung (+ 10 %) bei den Mitteln für militärische Anlagen wird gänzlich von Ausgaben für die WHNS (Wartime-Host Nation Support) -Infrastruktur (+ 20 Mio. DM) und für die NATO-Infrastruktur (+ 205 Mio. DM) absorbiert. Dabei bildet der sprunghafte Anstieg der NATO-Infrastrukturkosten (+ 31 %) offenbar nur den Auftakt, da nach Abschluß des Planungsvorlaufs für das »elektronische Schlachtfeld« erst jetzt in größerem Umfang die Entwicklung und Beschaffung der teuren Führungssysteme beginnt. Hinzu kommt, daß gegenwärtig die Verhandlungen über das Folgeprogramm (ab 1991) beginnen, bei dem die USA ihre Vorstellungen von »Burden Sharing« in massiver Form einbringen werden. Hier drohen perspektivisch erhebliche Mehrbelastungen.

Den relativ höchsten Zuwachs (+ 11 %) verbuchen schließlich die militärischen F&E-Ausgaben, deren Etat um 305 Mio. DM angehoben wird. Gut zwei Drittel dieser Mittel verschlingt das höchstpriorisierte Jäger-90-Programm, dessen Anteil an den militärischen F&E-Mitteln im kommenden Jahr mit 570 Mio. DM bereits knapp 20 % betragen soll – mit weiter steigender Tendenz. Ein höherer Aufwuchs für die übrigen F&E-Posten (+ 85 Mio. DM) sei – so das BMVg – aus »Plafondgründen« nicht möglich. Auch hier sehen die Militärs also noch Zuwachsbedarf, d.h.: ein Ende der überproportionalen Steigerung der militärischen F&E-Mittel ist noch längst nicht in Sicht.

Insgesamt wird somit deutlich, daß der finanzielle Kraftakt darauf gerichtet ist, zum einen – koste es, was es wolle – die personalpolitischen Wünsche der Militärs zu erfüllen und zum anderen ungebremst die nächste Waffengeneration vorzubereiten. Drittens fällt auf, daß die übrigen Posten: Materialerhaltung, sonstige Betriebsausgaben und selbst die militärischen Beschaffungen ausgesprochen großzügig dotiert werden. Das alles mag auch damit zu tun haben, daß dem Kohl-Protegé Rupert Scholz ein »gelungener Start« (so die Rüstungspostille »Wehrtechnik«) beschert werden soll. Dies ändert aber nichts daran, daß mit diesem Rekordetat ein politisches Signal gesetzt wird, das nicht nur nicht zu den laufenden Abrüstungsbemühungen paßt, sondern auf eine Brüskierung dieser Anstrengungen hinausläuft.

Rüstung und Soziales

Ein Affront ist dieser Rekordzuwachs zudem in sozialpolitischer Hinsicht. Zwar weist der Etat für Arbeit und Soziales für das kommende Jahr – vor allem aufgrund der in letzter Minute eingeplanten Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit (3,3 Mrd. DM) – den weitaus höchsten Zuwachs auf (+ 5,1 Mrd. DM). Aber erstens wird damit keineswegs das ganze Defizit der BfA abgedeckt; stattdessen wird dort zugleich ein Leistungsabbau in Höhe von 1,8 Mrd. DM vorgenommen, der insbesondere arbeitslose Jugendliche trifft. Und zweitens ist geplant, diese Zuschüsse nur noch als Darlehen zu vergeben, die so bald wie möglich zurückzuzahlen sind, und das heißt: hier werden schon weitere Einschnitte in das soziale Netz vorprogrammiert, um sich das Geld zurückzuholen.

Desweiteren ist darauf zu verweisen, daß die zusätzlichen Mittel für die Aufgabenbereiche Jugend, Familie, Frauen, Gesundheit, Umwelt, Naturschutz, Bildung und Wissenschaft zusammengenommen lediglich knapp ein Viertel der Etaterhöhung für Verteidigung ausmachen. Die Etatsteigerung von Ministerin Süssmuth (+ 326 Mio. DM) reicht noch nicht einmal an die Summe der Einkommensverbesserungen für Berufs- und Zeitsoldaten heran. Minister Möllemann (+ 111 Mio. DM), dessen Proteste zwischenzeitlich schon wieder verstummt sind, muß sich mit einem Drittel an zusätzlichen Mitteln bescheiden wie sie allein die militärische Forschung und Entwicklung verbucht. Und Minister Töpfer erhält trotz der katastrophalen Entwicklung in der Nord- und Ostsee nur ein zusätzliches »Taschengeld« von 40 Mio. DM, das allein vom Mittelaufwuchs für die Beschaffung und Erhaltung von Kriegsschiffen um knapp das Vierfache übertroffen wird.

Die Akzeptanz sinkt

Anzumerken bleibt, daß allerdings auch die Stimmung in den militärisch-industriellen Kreisen nicht ungetrübt ist. Denn zum einen waren ihre Wünsche einmal mehr weitaus größer, so daß aus ihrer Sicht auch der Rekordzuwachs nur einen »Kompromiß« darstellt, der hinter den »begründeten Anforderungen« zurückbleibe. Zum anderen wird mit Sorge beobachtet, daß »die Akzeptanz höherer Verteidigungsausgaben in der Bevölkerung … eher nachzulassen (scheint)« – wie das BMVg in seinen Etaterläuterungen schreibt. Aus der Perspektive der Friedensbewegung gesehen, verweist dies auf neue Chancen – zumal seitens der WVO-Staaten der Vorschlag für ein Moratorium bei den Militärausgaben schon auf dem Tisch liegt. Die Forderung nach Einfrieren und Verringerung des Militäretats sollte deshalb nicht länger nur »nebenbei« erhoben werden …

Arno Gottschalk, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Bremen

Einzelplan 14: Entwurf 1989 im Vergleich
zum Haushaltjahr 1988(1) – in Mio. DM –
Ausgabenbereich 1988 1989 1989/1988
relativ absolut
I. Betriebsausgaben
– Personalausgaben 22.581,8 23.426,0 + 3,7 % + 844,1
– Materialerhaltung und Betrieb 4.852,6 5.124,6 + 5,6 % + 272,0
– Sonst. Betriebsausgaben (Verpflegung, Betriebsstoff u.a.) 7.153,6 7.521,8 + 5,1 % + 368,2
Summe Betriebsausgaben 34.588,0 36.072,4 + 4,3 % +1,484,4
II.Investive Ausgaben
– Forschung, Entwicklung, Erprobung,
Zuschüsse(darin F&T-Konzept)
2.754,6(846,8) 3.059,8(862,8) + 11,1 %(+ 1,9
%)
+ 305,2(+ 16,0)
– Militär. Beschaffungen 11.681,3 11.441,8 – 2,0 % – 239,4
– Militärische Anlagen (Bauten, Infrastruktur) 2.215,0 2.440,0 + 10,2 % + 225,0
– Sonstige Investitionen (Grunderwerb u.ä.) 286,3 285,9 – 0,1 % – 0,4
Summe Investive Ausgaben 16.937,2 17.227,6 + 1,7 % + 290,4
Plafond 51.525,2 53.300,0 + 3,4 % + 1.775
nachrichtlich: Plafond unter Anrechnung der globalen
Minderausgaben 1988
51.350,0 53.300,0 + 3,8 % + 1.950
(1) Verfügbares Soll ohne Anrechnung der
globalen Mindestausgaben in Höhe von 175 Mio. DM; mit Berücksichtigung der 3 %-Sperre
bei sächlichen Verwaltungsausgaben (rd. 169 Mio.DM), einsparungen im Personalsektor (rd. 66 Mio. DM) und den Mehrkosten aufgrund Einkommensverbesserungen (rd. 356 Mio. DM)

Quelle: BMVg.: Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts 1989, Bonn 1988, S. 6 und 12, eigene Berechnungen

Arno Gottschalk, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Bremen

US-Rüstungsetat

US-Rüstungsetat

von Redaktion

Im letzten Heft war eine Grafik auf der Rückseite abgebildet. 28% der Militärausgaben für die Bundesrepublik? Die dieser Zahl zugrundeliegende Rechnung ist einfach: Den Kosten für die hier stationierten Streitkräften werden die Aufwendungen für die Verbände hinzugefügt, die im Krisen- oder Notstandsfall sofort in die Bundesrepublik verlegt werden sollen. Überhaupt: 10 der 18 Divisionen der US-Army sind für Westeuropa bestimmt. 5 davon sind hier stationiert; fünf gewissermaßen in Reserve auf dem US-amerikanischen Territorium gehalten. Man veranschlagt, daß diese NATO-Verpflichtungen etwa 45% des gegenwärtigen Militärbudgets absorbieren. Nach Angaben des Defense Department belaufen sich die Kosten der USA aus den NATO-Verpflichtungen auf mehr als 100 Milliarden Dollar, andere Schätzungen sprechen von gegenwärtig 177 Milliarden.

Die Graphik verdeutlicht auch – entgegen einem landläufigen Vorurteil -, daß die nuklearen Streitkräfte einen geringeren Anteil am Gesamtkuchen ausmachen = 19 Prozent. Die Unterscheidung in „First“ und „Second“ Nuclear Forces geht auf Definitionen einiger US-Gruppen zurück (wie des Center for Defense Information), die unter den Erstschlagswaffen v.a. die Atomwaffen subsumieren, die in der Lage sind, extrem genau und mit hoher Eindringfähigkeit gehärtete, militärische Ziele auszuschalten. Dazu werden etwa gezählt die MX-Rakete, die Trident-II. Aber auch die Ausgaben für die „Strategische Verteidigungsinitiative“, die in Verbindung mit diesen Offensivwaffen die gegnerische Zweitschlagsfähigkeit eliminieren könnte.

Wie an dieser Stelle des öfteren belegt: Die Aufrüstung der Reagan-Administration kann sich sehen lassen – inflationsbereinigt 75% Steigerung zwischen 1981 und 1987 Dies ist umso bemerkenswerter als bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kräftig zugelegt wurde. Die vielbeschworene „Dekade des Niedergangs“ hängt zusammen mit dem Abzug der USA aus Vietnam (500.000 Soldaten). In diesem Zeitraum sinkt die Personalstärke der Streitkräfte von 3.500.000 (1969) auf 2,1 Millionen (-40%). Nach 1975 vollzieht sich bereits eine umfassende Modernisierung der konventionellen Streitkräfte. Zwischen 1975/1977 wuchsen die Ausgaben real um 33%; auf diesem hohen Level blieben die Ausgaben bis Anfang der 80er Jahre.

Auch das Aufrüstungsprogramm unter der Regierung Reagan floß zu fast drei Vierteln in die umfassende Modernisierung der Streitkräfte. Die sog. strategischen Potentiale (strategic forces) verschlangen 25 % bis 30 % der Zuwächse. Für die strategische Modernisierung wurden etwa 100 Milliarden Dollar ausgegeben. Während in den 70er Jahren das Schwergewicht auf der Vermehrung der Sprengköpfe lag – ihre Zahl stieg bes. durch die Entwicklung der MIRV-Technologie von 5000 auf über 9000, richtete sich in diesem Zeitraum das Augenmerk auf die Entwicklung und Dislozierung neuer Trägermittel. Dies waren wesentlich drei: der B-1 B-Bomber, Trident-U-Boote und -Raketen und die landgestützte MX-Rakete. Angeschafft wurden inzwischen 100 neue Bomber und 64 einsatzfähige MX (15 Mrd. $). Andere prioritäre Projekte waren das Stealth-Programm, von dem angenommen wird, daß es bisher 20 Mrd. Dollar gekostet hat (1987 allein 5 Mrd.); die Verbesserung der C3I-Systeme und bes. Reagans Lieblingsidee „SDI“. Für SDI wurden zwischen 1984 und 1987 knapp 10 Mrd. Dollar ausgegeben.

Die konventionelle Modernisierung in diesem Zeitraum war beachtlich. Die Armee beschaffte sich Ersatz für ihre Schlüsselwaffen: der M-1 Abrams-Panzer lief zu, das Panzerfahrzeug BRADLEY, zwei neue Hubschrauber und diverse Luftverteidigungssysteme.

Die Navy kaufte vor allem Schiffe und Flugzeuge. Während der letzten sechs Jahre (1981-1987) waren es im Schnitt 11 Kriegsschiffe, der Durchschnitt unter früheren Regierungen lag bei 12. Allerdings: die Beschaffungspolitik war durch die neue „maritime Strategie“ bestimmt, überall, jederzeit hinfahren zu können – eingeschlossen Missionen gegen sowjetisches Festland oder in Gewässern in Reichweite sowjetischer Flugzeuge. D.h. die Anforderungen an die Schiffe stiegen beträchtlich. Jeder Marineverband stellte daher eine 15 bis 18 Mrd. Dollar-Investition dar. Die Beschaffung von Marine-Flugzeugen blühte zwischen 1982 und 1987 Im Durchschnitt liefen 172 Flugzeuge per anno zu; 80% mehr als unter den Regierungen zuvor. Für den Zuwachs stehen v.a. die F/A-18 Hornisse und das AV-8 Flugzeug.

Die Luftwaffe mußte mit niedrigeren Produktionsraten ihrer Flugzeuge (v.a. F-15, F-16) auskommen. Allerdings stiegen die Stückkosten für die Flugzeuge in dieser Zeit beträchtlich. D.h. es wurde im wesentlichen die industrielle Basis alimentiert.

Der Verteidigungsetat 1988/89

Entsprechend einer Auflage des Kongresses hat das Department of Defense erstmalig einen Doppelhaushalt vorgelegt. Der Etat sollte um jeweils 3% steigen. Für 1988 sollte sich das Gesamtbudget auf 303,3 Mrd. Dollar belaufen, die aktuellen Bewilligungen auf 297,5. Für 1989 wurden 312,4 Milliarden gefordert (1987 = 294,4). Ein genauerer Blick ergab interessante Details. Die Hauptzuwächse sollten in zwei Bereiche gehen: Für den Titel Research, Development, Test & Evaluation waren etwa 17% für den Titel „military construction“ gar 24 Prozent mehr vorgesehen; „Beschaffung“ dagegen sollte um 4% fallen.

Mehr als 2/3 des gesamten Wachstums sollten auf das Konto der militärischen Forschung und Entwicklung (6,3 Mrd.) gehen. Darin waren eingeschlossen zwei Milliarden mehr für die SDI-Forschung, 1,6 Mrd. für drei strategische Programme – die kleine Interkontinentalrakete (Midgetman), die mobile MX und ihr Transportnetz, das Anti-Satelliten-Programm – und 2,4 Mrd. für ein weites Feld „taktischer“ Programme. Darunter werden gehandelt die Arbeiten an dem geheimen (Stealth-)Flugzeug, an Marschflugkörpern, an dem C-17 Transportflugzeug und an einem neuen Flugzeug der Luftwaffe.

Die Ausgaben für Beschaffung, die gegenüber 1987 um 3,9 Mrd. $ sinken sollten, konnten aufgrund des Auslaufens einiger größerer Programme zurückgestuft werden. Allein die Hälfte davon ging zurück auf die Beendigung der Auslieferung des C-5B Transportflugzeuges.

Die Beschaffungen bei der Luftwaffe fallen um 7 Prozentpunkte, bei der Marine um 2. Dort werden die Aufwendungen für die weiter zulaufenden Trident-II und die Tomahawk-Marschflugkörper durch Kürzungen in der Flugzeugbeschaffung und einen starken Rückgang der Ausgaben für das Equipment übertroffen. Nur die Army erreicht einen Anstieg um 2 Prozent; dennoch wird sich auch hier die Belieferung mit neuem Material etwas verlangsamen: M-1 Panzer von 815 auf 600 Stück; der AH-64-Hubschrauber von 101 auf 67 etc.

Inzwischen liegt der endgültige Haushalt – der ja zwischen Repräsentantenhaus und Präsident ausgehandelt werden muß – vor. Die Bewilligungen (outlays) betragen 291,4 Mrd. Dollar. Für den Haushalt 1989 beantragt die Regierung statt der ursprünglich geforderten 332,4 nunmehr 299,5 Mrd. (-32,9). Zahlreiche Einschnitte wurden vorgenommen. Die Personalstärke der Streitkräfte soll um 34.100 Personen von 2.172.400 auf 2.138.300 reduziert werden. Im Etattitel „Beschaffungen“ wurden gestrichen: 220 Kampfflugzeuge, 600 Hubschrauber,16 Fregatten und 1 U-Boot. Dennoch geht der Größere Anteil der Kürzungen auf bereitschaftsbezogene Posten (Personal, Wartung etc.). Für SDI sind beim Pentagon 3,5 Mrd. Dollar veranschlagt, insgesamt knapp 3,9 Mrd. Dies entspricht der Zielprojektion des Kongresses vom Nov. 198Z Für 1989 sind statt der ursprünglich geplanten 6,3 Mrd.4,6 beantragt.

Der Anteil der Rüstungsausgaben am Gesamtbudget beträgt 26,1 Prozent.

Rüstungsetat ’88 – Sand im Getriebe?

Rüstungsetat ’88 – Sand im Getriebe?

von Arno Gottschalk

Nachdenkliche Vorbemerkungen

Wer sich schon daran gewöhnt hatte, Jahr für Jahr aufs Neue überproportionale Steigerungen des Militäretats nachzuweisen, wird mittlerweile wieder zum Grübeln gezwungen: Im vergangenen Jahr wurde der Einzelplan 14 im Verlauf der Haushaltsberatungen um rund 500 Mio. DM gekürzt. Später – im Rahmen der Haushaltssperre – ist dieses Soll nochmals um 212 Mio. DM beschnitten worden. Für 1987 errechnet sich für den Verteidigungsetat i.e.S. damit ein Anstieg von nominal 1,5 Prozent inflationsbereinigt ist dies ein Rückgang. Der in diesem Sommer abgeschlossene Finanzplan sieht für 1988 Verteidigungsausgaben i.w.S. (einschließlich Verteidigungslasten und Zivile Verteidigung) von 54,35 Mrd. DM vor – nach dem Finanzplan von 1984-1988 sollten es eigentlich 57,8 Mrd. DM sein. Schließlich von 1988 bis 1990 veranschlagt der neue Finanzplan Verteidigungsausgaben i.w.S., die in der Summe um 3,65 Mrd. DM unter dem Betrag liegen, der bislang vorgesehen war. Ist auch in der Finanzpolitik Sand ins Getriebe der Aufrüstung geraten?

Bevor eine Antwort versucht wird, soll zunächst der Entwurf für den Militäretat '88 eingehender vorgestellt werden.

Der Haushaltsentwurf 1988

Laut Einzelplan 14 werden die Verteidigungsausgaben i.e.S. im kommenden Jahr 51,6 Mrd. DM betragen. Gegenüber dem „verfügbaren Soll“ – mit diesem amtsdeutschen Begriff werden die um die Haushaltssperre verminderten Soll-Ausgaben bezeichnet – bedeutet dies eine Steigerung um 1,9 Prozent. Berücksichtigt man zudem – wie es die Bundesregierung trotz Kritik des BMVg bevorzugt – die Personalverstärkungsmittel, die die Lohn- und Gehaltssteigerungen abdecken sollen, so errechnet sich ein etwas größerer Zuwachs von 2,1 Prozent. Gemessen am Bundeshaushalt insgesamt, der um 2,4 Prozent auf 275 Mrd. DM wächst, ergibt sich damit gleichwohl erneut eine unterproportionale Anhebung im Kernbereich der militärischen Ausgaben.

Zu beachten ist allerdings, daß die Ausgaben für den Schuldendienst wiederum überproportional expandieren. Klammert man diesen Faktor aus, so zeigt sich, daß militärische und zivile Ausgaben mit jeweils 2,1 Prozent die gleiche Steigerungsrate verzeichnen. In absoluten Zahlen betrachtet ist der Zuschlag für die Bundeswehr sogar relativ groß dimensioniert: Danach soll der Etat des Verteidigungsministers immerhin um knapp 1 Mrd. DM wachsen – eine Steigerung, die nur noch – wenngleich sicherlich überraschend – vom Ressort für Arbeit und Soziales übertroffen wird. Die Ausgaben für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für Forschung und Technologie werden demgegenüber zusammen nur um knapp eine halbe Milliarde DM angehoben. (29 Mio. DM), für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (96 Mio. DM mit Schwerpunkt sozialer Wohnungsbau) und für Bildung und Wissenschaft (426 Mio. DM!) sollen sogar mehr oder weniger stark gekürzt werden.

Eine detaillierte Betrachtung des Einzelplans 14 ergibt folgendes Bild:

  • Die Betriebsausgaben, zu denen zwei Drittel der Gelder zählen, sollen 1988 gegenüber dem Vorjahressoll (ohne Haushaltssperre) um 3,2 Prozent oder 1,07 Mrd. DM zunehmen. Dies sind knapp 290 Mio. DM oder gut ein Drittel mehr, als für 1987 ursprünglich als Zuwachs beschlossen worden war. Nutznießer ist – absolut betrachtet – vor allem der Personalbereich, in dem die Zahl der Längerdienenden nochmals um 1000 erhöht sowie 872 Stellen neu bewilligt und 200 angehoben werden: In diesem Bereich steigen die veranschlagten Mittel allein um 700 Mio. DM oder 3,3 Prozent. Den relativ höchsten Zugewinn weist allerdings wiederum die Sparte „Materialerhaltung und Betrieb“ auf, die einen Zuwachs von immerhin 6,2 Prozent oder 285 Mio. DM verbucht, von denen – Stichwort: TORNADO – mehr als die Hälfte von den Flugzeugen und Flugkörpern absorbiert werden.
  • Die verteidigungsinvestiven Ausgaben, mit denen die eigentliche materielle Aufrüstung finanziert wird, sollen demgegenüber um gut 320 Mio. DM oder 1,9 Prozent sinken – ein sicherlich überraschendes Detail! Einschränkend ist allerdings festzustellen: Von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, sind mit dieser Kürzung keinerlei Abstriche an den gültigen Aufrüstungsplänen verbunden.
    Im Einzelnen:
  • Für die militärische Forschung, Entwicklung und Erprobung sind 33 Mio. DM oder 1,2 Prozent weniger veranschlagt. Betroffen ist im wesentlichen aber nur der Titel „Entwicklung und Erprobung“, der um 90 Mio. DM gekürzt wird; da sich gegenwärtig nur wenige Projekte kurz vor bzw. in der Frühphase der Einführung befinden, ist dies keineswegs ungewöhnlich. Zugunsten der Großprogramme „Jäger 90“ und „PAH-2“ wurden zudem eine Reihe kleinerer Projekte gestreckt, verschoben oder aufgegeben. Das Forschungs – und Technologiekonzept, das 1984 mit Blick auf die nächste Waffengeneration kreiert wurde, verbucht demgegenüber wiederum einen leichten Zuwachs (+1,4 Prozent).

    • Die Ausgaben für militärische Anlagen werden nach Erledigung wichtiger Vorhaben Erwartungsgemäß um 113 Mio. DM oder knapp 5 Prozent abnehmen.
  • Um rund 190 Mio. DM gekürzt werden zudem die militärischen Beschaffungen. Diese Summe ist allerdings erheblich geringer als der Betrag, der infolge sinkender Aufwendungen für das TORNADO-Programm (Durchschnitt 520 Mio. DM) und bei den Kraftfahrzeugen (Durchschnitt 100 Mio. DM) eigentlich eingespart werden könnte. Insbesondere 3 Bereiche weisen dann auch kräftige Mittelzuflüsse auf:

    • Der Titel Fernmeldematerial wird wiederum um 100 Mio. DM oder 9,5 Prozent auf 1,15 Mrd. DM aufgestockt – und liegt damit annähernd dreimal so hoch wie 1982.
    • Die Ausgaben für Kriegsschiffe (insbesondere Fregatten, Minenkampf- und Flottendienstboote) steigen um 173 Mio. DM oder rund 17 Prozent auf 1,2 Mrd. DM.
    • Der Ansatz für Kampffahrzeuge erhöht sich (vor allem durch die Beschaffung des Mittleren Artillerie-Raketen-Systems MARS und die Kampfwertsteigerung von Leopard-1-Panzern) um 230 Mio. DM oder gut 21 Prozent auf 1,35 Mrd. DM.

Berücksichtigt man außerdem, daß die Ausgaben für die Munitionsbeschaffung – die gegenwärtig den größten Einzelposten bilden – auf dem diesjährigen Rekordniveau von 2,35 Mrd. DM gehalten werden Solen, so zeigt sich die Bundeswehr auch für 1988 gut bedient. „Alle laufenden Vorhaben“ – schreibt dementsprechend auch die Haushaltsabteilung des BMVg in ihren Etaterläuterungen – „werden planmäßig fortgeführt“. Und nicht nur das. Wie die Verpflichtungsermächtigungen des Einzelplans 14 signalisieren, soll auch kräftig neu bestellt werden: Bis zu einer Höhe von knapp 21 Mrd. DM dürfen neue Verträge abgeschlossen werden. Gegenüber den Verpflichtungsermächtigungen, die im Finanzplan des Vorjahres veranschlagt worden sind, entspricht dies einer Anhebung des Plafonds um immerhin 2,1 Mrd. DM oder annähernd 12 Prozent!

Keine Probleme?

Der Entwurf des Militäretats '88 bewegt sich also durchaus auf dem bisher vorgezeichneten Aufrüstungskurs – wenn man mitbedenkt, daß sich die Bundeswehr gegenwärtig in einer Zwischenphase befindet, in der die nächste „Waffengeneration“ in der Hauptsache noch vorbereitet wird.

Andererseits darf aber nicht übersehen werden, daß auch die Militärs und ihre Parteigänger Grund zur Unzufriedenheit haben: Daß im Kontext der Steuerreform und ihrer Finanzierungsprobleme auch die Ausgabenpläne für die Rüstung revidiert werden würden – dies war nicht unbedingt zu erwarten und ist – selbst wenn die Abstriche gering sind – keine Bagatelle. Denn diese Maßnahme läuft zumindest jenen Bestrebungen entgegen, die grundsätzlich eine Entkopplung der Militärausgaben von der übrigen Haushaltsentwicklung fordern – gemäß der These, daß sich der Verteidigungsaufwand an der militärischen Bedrohung orientieren müsse und nicht als abhängige Variable der Finanzpolitik behandelt werden dürfe.

Daß dem Militäretat dieser Sonderstatus (zumindest) in letzter Zeit offensichtlich nicht eingeräumt worden ist, kann man mit wahltaktischen Rücksichten erklären. (Die Absicht, im Herbst – also nach den Wahlen von Schleswig-Holstein und Bremen – die Plandaten für die Verteidigungsausgaben nochmals zu überprüfen, weist in diese Richtung.) Nur: Aus der Sicht der Militärs sind derartige Rücksichtnahmen politisch ohnehin verfehlt. Zweitens reicht diese Erklärung zudem nicht aus, um den Aufrüstungsprotagonisten ihre eigentliche Befürchtung zu nehmen: daß auch künftig im „Ernstfall“ – also im „Spannungsfall“ um die Mittelvergabe – allgemeinere finanzpolitische (und finanzkapitalistische) Interessen Vorrang vor den militärischen (Sonder-) Wünschen erhalten werden.

Zu diesen grundsätzlichen Befürchtungen kommt, daß die Kürzungen der ursprünglichen Ausgabenpläne bereits ein Stück weit die finanzpolitische Strategie der Bundeswehrführung durchkreuzen: Diese ist darauf gerichtet – unabhängig vom tatsächlichen aktuellen Mittelbedarf – eine Verlangsamung oder Unterbrechung des Ausgabenanstiegs zu vermeiden, um finanzielle Polster für die künftige Beschaffungswelle aufzubauen – gemäß der Erfahrung, daß es politisch leichter ist, Jahr für Jahr eine geringe Steigerung durchzusetzen, als späterhin sprunghafte Zuwächse zu erlangen. Aus dieser Sicht verschlechtern alle Einsparungen, wie sie oben beschrieben wurden, die Ausgangspositionen für die Haushaltsschlachten, die für die Durchsetzung der nächsten „Waffengeneration“ geschlagen werden müssen.

Daß die Verwirklichung der neuen Aufrüstungspläne aber ungleich schwieriger werden wird als bisher, wissen auch die Rüstungsinteressenten. Schließlich hat sich schon auf der Planungsebene (auf einen Zeitraum von 15 Jahren gerechnet) eine Schere von rund 20 Mrd. DM zwischen Bundeswehrplanung und Finanzplanung geöffnet – wobei beide noch mit völlig unrealistischen Preisdaten arbeiten.

Bezüglich der eingangs aufgeworfenen Frage ist also festzustellen, daß das Aufrüstungsgeschäft aus der Sicht derer, die es betreiben, keineswegs völlig planmäßig und Erwartungsgemäß verläuft. Die Planer im Verteidigungsministerium haben daraus offenbar schon Konsequenzen gezogen: Im kommenden Jahr werden die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit um 60 Prozent erhöht.

Verwendete Literatur:

  • Wehrtechnik 8/1987
  • Wehrdienst 1094/96-87
  • Finanzbericht 1985, 1987, 1988

Arno Gottschalk, Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Bremen.

Advanced Instrument for the Redistribution of Federal Budgets with Use for Military Services?

Advanced Instrument for the Redistribution of Federal Budgets with Use for Military Services?

von Johannes Weyer

Die Entscheidung der Bundesregierung vom 3.6.87, die AlRBUS-Industrie mit Steuermilliarden in erklecklichem Umfang zu subventionieren, kommt nicht überraschend. Allenfalls erstaunt die Offenheit, in der diese Politik ohne die sonst üblichen Versuche der Umetikettierung („Zukunftsvorsorge", „Arbeitsplatzsicherung“, „Beitrag zum Umweltschutz“ etc.) durchgezogen wird. Alles neoliberale (Wahlkampf-) Gerede von wegen Deregulierung, Rückzug des Staates, mehr Markt wird durch die realpolitische Praxis der Bundesregierung Lügen gestraft. Der staatsinterventionistische Flügel dieser Regierung tritt, gestärkt durch das Ergebnis der jüngsten Landtagswahlen, mit deutlich gewachsenem Selbstbewußtsein auf. Deregulierung findet ausschließlich in den politischen Feldern (Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Umweltpolitik u.a.) und ökonomischen Krisenberichten statt, die nur schwer mit den Umsatzinteressen der großen High-Tech-Konzerne einerseits, den globalpolitisch ausgerichteten „Wir sind wieder wer“-Ambitionen der Bundesregierung andererseits in Einklang zu bringen sind.

Überraschend war jedoch die zeitliche Kongruenz des AIRBUS-Coups mit einer – ebenfalls nicht unerwarteten – Nachricht, daß nämlich dieser Wundervogel nun auch in mehreren militärischen Versionen gebaut werden soll; ja sogar der durch die (zivilen!) Bundessubventionen jetzt erst aus der Taufe gehobene Langstreckenadler A 340 ist unter den Projekten, die ein neu gegründetes Marketing-Team der AlRBUS-Industrie vor einigen Tagen in Toulouse als mögliche militärische AIRBUS-Varianten vorstellte.

Zwar gab es schon 1986 Gerüchte um einen AIRBUS-U-Boot-Aufklärer (als Ersatz für die bald auszumusternde Brequet). Dem ehemaligen Abgeordneten K. H. Hansen waren entsprechende Konstruktionspläne zugespielt worden; doch auf die in einer MONITOR-Sendung ausgebreiteten Details reagierte die Regierung zunächst mit Dementis. Einzig F. J. Strauß hatte die Courage, in der Öffentlichkeit die Frage zu stellen, ob man nicht eines Tages eine militärische AlRBUS-Version ins Auge fassen sollte.

Auch in der „Wehrtechnik“ wurde schon einmal darüber spekuliert, wie nützlich der AIRBUS für „Verteidigungs“-Zwecke sein könnte. Im Rahmen eines europäischen ATM-Systems (eine Mini-Version von SDI zur Abwehr von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa) wurde der AIRBUS als AWACS-Träger diskutiert, wenn auch die technische Unterlegenheit einer solchen Luftaufklärung gegenüber satellitengestützten Systemen deutlich betont wurde. (AWACS nennt man die Flugzeuge mit den Riesen-Horchantennen auf dem Buckel, die u.a. beim US-Angriff auf Libyen eine wesentliche Rolle spielten.)

Es war also absehbar, daß eine relativ unspezifische Basistechnologie, wie sie ein Flugzeug nun einmal darstellt, Verwendung in unterschiedlichen Anwendungsfeldern finden würde, ja daß der militärische spin-off dieser Luftfahrttechnologie solange kaum zu verhindern ist, wie sich die Anforderungsprofile ziviler und militärischer Abnehmer nicht (oder nur geringfügig) unterscheiden. Und so zeigen die Pläne von AIRBUS-Industries auch, daß es hier nicht um hochspezifische militärische Zielvorgaben (wie etwa Tiefstflugfähigkeiten, Radarabsorbtion, Eindringfähigkeit etc.), sondern um die simple Verfügbarmachung von Flug- und Beförderungskapazitäten geht. So sollen der A300/310 als Frachtflugzeuge und Truppentransporter, der A300B4 als Tank- und Transportflugzeug, der A300-600 als Transporter zur Errichtung von Luftbrücken und als Tankflugzeug, der A340 in einer Tank-/Fracht-Version und der A320 als Patrouillen-Flugzeug und Elektronische Aufklärungsplattform konzipiert werden. Wenn eine derartige Überschneidung von Anwendungsfeldern existiert, ist keine Technologie vor einer militärischen Vereinnahmung geschützt. Zu fragen bleibt jedoch, welche Konsequenzen wachsende militärische Spezifikationen für die Zukunft des AIRBUS haben werden.

So geringfügig der Schritt vom zivilen zum militärischen AIRBUS in technologischer Hinsicht auch sein mag, so gravierend sind allerdings die militärpolitischen Konsequenzen dieser Entscheidung. Wozu, bitteschön, braucht die Bundesrepublik (die ja schließlich Hauptfinancier des A340 Langstreckenflugzeuges ist) luftgestützte Auftankkapazitäten? Sicherlich kaum für Langstreckenflugzeuge von Sportfliegern. Wohin aber sollen – in der Luft aufgetankte -bundesdeutsche Kampfflugzeuge fliegen? In welche Richtung soll der Aktionsradius der Luftwaffe erweitert werden? Die Frage „Wozu?“ wird also schnell zur Frage „Wohin?“. Und was soll Sinn und Zweck der elektronischen Aufklärungsplattform sein, wenn nicht Integration in ein – wie auch immer geartetes – europäisches ATM-System, dessen strategische Konsequenzen unüberschaubar wären. (Man denke nur an die Folgen für den ABM-Vertrag.) Zudem ist der friedenserhaltende Charakter dieser Sorte Luftstreitkräfte, über die die Bundesrepublik in der Mitte der 90er Jahre verfügen könnte, keineswegs unstrittig: Luftaufklärung und Wiederauftanken sind unabdingbare Bestandteile offensiver Eingreifkonzepte (Beispiel US-Libyenaktion), während sie in defensiven Konzepten nicht gleichermaßen zwingend erforderlich sind. Weder die militärpolitischen Implikationen der bundesdeutschen AIRBUS-Politik noch deren finanziellen und forschungs- und technologiepolitischen Aspekte sind Gegenstand einer intensiven Debatte in der Öffentlichkeit. Ja, angesichts der langandauernden Debatten über Subventionen im Kohle- und Stahl- oder im Agrarbereich verwundert es schon, wie rasch man im Fall AIRBUS zur Tagesordnung übergeht (und wie schmal und wie weit im hinteren Teil versteckt die Artikelchen in Zeitungen verschiedenster politischer Couleur waren).

Immerhin hat die Bundesregierung sich durch ihre AIRBUS-Entscheidung auf eine dritte milliardenschwere (und inflationsintensive) Großtechnologie festgelegt, die – neben der Kernenergie/Wiederaufarbeitung und der bemannten Raumfahrt – ihre Handlungsspielräume in Zukunft erheblich einengen wird. Aus zivilen Töpfen (sei es denen der Forschungs-, sei es denen des Wirtschaftsministers) müssen in den kommenden Jahren zweistellige Milliardenbeträge – Gelder, die anderer Stelle fehlen werden – für High-Tech-Projekte zur Verfügung gestellt werden, welche dann eines Tages klammheimlich in die Verfügungsgewalt der Militärs übergehen. Im Fall des Shuttle und der US-Raumstation hat das US-Militär bereits demonstriert, wie dieser Mechanismus funktioniert, der dem Militär das lästige Engagement in der (kosten- und öffentlichkeitsintensiven) Forschungs- und Entwicklungsphase erspart, die nachträgliche Übernahme des Lokführerpostens im fahrenden Zug jedoch gestattet. Es scheint so, als seien die Weichen für den AIRBUS ähnlich gestellt; und der Raumstation könnte eines Tages möglicherweise das gleiche Schicksal widerfahren. Eine kritische, öffentliche und politische Diskussion ist also erforderlich, damit der Entscheidungsspielraum der Politik nicht durch (selbst geschaffene) technologische Sachzwänge eingeengt wird. Die Alternative kann dabei keineswegs heißen: Enthaltsamkeit des Staates oder Rückzug aus der Praxis öffentlicher Interventionen und Subventionen. Das hieße, der neoliberalen Ideologie aufzusitzen. Nein, Subventionen müssen an die Offenlegung von Motiven und Kostenkalkulationen und an Bedingungen wie z.B. die Rückzahlung bei Markterfolg und eine klare und kontrollierbare Zweckbindung (beispielsweise an die zivile Luftfahrt) geknüpft werden. Sie müssen ferner einem öffentlichen Diskussionsprozeß unterliegen, der Kriterien für staatliche Interventionen entwickelt. Die einseitige Bevorzugung von ohnehin kapitalkräftigen Großkonzernen sowie die Fixierung auf dauersubventionierte Großtechnologien muß zugunsten einer am Kriterium der Marktfähigkeit, der gesellschaftlichen Nützlichkeit, der Sozial- und Umweltverträglichkeit, der Sicherung von Arbeitsplätzen und des Abbaus der Arbeitslosigkeit etc. orientierten Technologiepolitik aufgegeben werden. Die Bundesrepublik läuft ansonsten Gefahr, geblendet vom Glanz der neuen Technologien, in die Sackgasse zu rennen, in der die USA schon seit Jahren festsitzen und aus der nur Dauersubventionismus und Protektionismus, säbelrasselnde Großmachtpolitik und schließlich die Schaffung künstlicher Technologiemärkte im militärischen Bereich (zeitweise) heraushelfen.

Dr. Johannes Weyer ist Soziologe an der Universität Bielefeld.

Computer und Krieg: „Herr Parnas, möchten Sie die Welt retten?“

Computer und Krieg: „Herr Parnas, möchten Sie die Welt retten?“

von David L. Parnas

Informatikprofessor D. Pamas, einer der aus der SDI-Forschung ausgestiegen ist, nahm an dem Internationalen Naturwissenschaftler-Kongreß in Hamburg teil. Bei dieser Gelegenheit hielt er einen Vortrag in der Betriebsversammlung der Philips GmbH Forschungslaboratorium. Wir dokumentieren Auszüge:

Vor anderthalb Jahren habe ich einen Telefonanruf bekommen und der Mann fängt so an: Dave, would you like to save the world from nuclear confrontation? Die Frage hat mich sehr überrascht. Ich habe ihn gefragt, wie das geht. Er erzählte mir weiter, das würde mit 1.000 Dollar pro Tag honoriert. Da sagte ich mir, das ist schön, die Welt retten und gleichzeitig Hypotheken abzahlen. Trotzdem bin ich zwei Monate später aus dem SDI-Ausschuß zurückgetreten und ich will erklären, warum ich (…) dieses Projekt als eine Art Betrug betrachte.

Dieses Projekt ist immer noch so vage beschrieben, daß man mit der Rede vom Präsident Reagan im März 1983 anfangen muß. Er hat von uns als Wissenschaftler verlangt, die Welt von der nuklearen Bedrohung zu befreien, dadurch daß man die Raketen im Raum vernichtet. Dieses Wort finde ich sehr schön. Wenn das möglich wäre, würde ich an nichts lieber arbeiten und bräuchte dafür auch keine 1.000 Dollar pro Tag. Ich habe auch Kinder. Aber was das Pentagon daraus gemacht hat, ist meiner Meinung nach etwas anderes. Die haben solch riesige Pläne. Hunderte von Satelliten sollen mit Waffen, Sensoren und Computern ausgestattet werden. Computer sind eine Art Klebstoff, der dieses System zusammenhält. Die Computer werden die Daten der Sensoren verarbeiten und sie werden auch die Waffen ins Ziel richten und abschießen. Wir sollten vielleicht ein bißchen mehr im Detail über die Aufgaben der Computer reden. Zwei Beispiele: Eines ist die sog. Diskriminierung der mittleren Flugstrecke. Es wird erwartet, daß ein Gegner viele, viele Attrappen in den Weltraum schickt. Zwischen diesen Attrappen gäbe es ein paar echte Sprengköpfe. Die Attrappen sind unheimlich billig. Es ist immer möglich, daß man mehr Attrappen hat, als man vernichten kann. Deswegen muß man einem intelligenten System klarmachen, was eine Attrappe und was ein echter Sprengkopf ist. Diese Entscheidung muß der Computer treffen können.

Eine andere Aufgabe ist das sog. „kill-assessment“. Wenn man ein Ziel gewählt und geschossen hat, muß man feststellen, ob der Sprengkopf vernichtet ist oder nicht. Im Fernsehen sieht man oft, wie das im Spiel aussieht. Wenn das Ding abgeschossen wird, hat man eine große Explosion und man erwartet, daß dies sehr leicht zu sehen ist. Aber das ist nicht der Fall. Mit den vorgesehenen Energie-Waffen ist es nur möglich, die kleine Uhr innerhalb der Bombe zu vernichten. Der Sprengkopf selbst fliegt weiter – fast ohne Änderung. Es ist sehr schwierig festzustellen, ob das Ding vernichtet ist. Ist es das nicht, muß man noch mal schießen. Wenn ja, sind andere Ziele wichtig. Immer muß die Software solche Entscheidungen treffen. Und alles geht sehr schnell und es ist nicht zu erwarten, daß irgendein amerikanischer Soldat das mit einer M-1 macht.

Ich bin der Meinung, daß es nicht ausreicht, nur diese Programme zu schreiben. Man muß es so machen, daß man in diese Programme Vertrauen hat. Es geht darum, daß bei einer Kriegsplanung sich beide Seiten so verhalten, als ob der schlechtestmögliche Fall einträte. Dies wäre das Überhaupt-Nicht-Funktionieren des Systems. Solange also das System nicht vertrauenswürdig ist, kann nicht erwartet werden, daß Raketen vernichtet werden. Es würde auch nicht abgerüstet, wie Reagan behauptet. Die Amerikaner müßten alle Entscheidungen so treffen, als ob das System nicht funktioniere. Auf der anderen Seite kann kein Gegner darauf bauen, daß das System völlig wirkungslos ist. Deshalb würden die Russen etwa erwarten, daß sie vielleicht 50 % von ihren Sprengköpfen verlieren und dafür im Ausgleich mehr Raketen brauchen. Deswegen würde ich sagen, wenn Vertrauen in dieses System nicht vorhanden ist, beschleunigt es das Wettrüsten.

SDI wird nur dann behilflich, man der Software vertrauen kann. Ich verlange nicht, daß das Ding perfekt ist. Außer meiner Frau gibt es nichts Perfektes. Was ich verlange ist, daß das Ding vertrauenswürdig ist. D.h. daß wir im voraus wissen, daß es eine gewisse Wirksamkeit hat; sagen wir 50 %. Das wäre vielleicht nützlich, wenn man sicher weiß, daß das wirklich 50 % sind und nicht 10 oder 0 – was ich erwarte. Warum kann eine solche Software nie vertrauenswürdig sein? Ich gehe zurück zu meiner Ausbildung als Elektroingenieur. Dort haben wir gelernt von einem Fachmann zu erwarten, daß er Validation für seine Entwürfe macht. Die Hacker können etwas entwickeln, ausprobieren und sagen, ja, es geht gut. Schluß. Von einem Ingenieur wird erwartet, daß er seinen Entwurf als richtig beweist. In unserer Ausbildung haben wir von drei Methoden gehört:

  1. von einem Entwurf macht man ein mathematisches Modell und analysiert es sorgfältig;
  2. wenn dies nicht ausreicht, kann man eine Fallanalyse machen;
  3. wenn das nicht gelungen ist, kann man einen oder mehrere realistische Tests machen.

In der Praxis wird immer eine Kombination solcher Methoden verwendet.

Warum erkläre ich das? In jedem großen System ist Software am Anfang immer unzuverlässig. Wir wissen von militärischen und kommerziellen Anwendungen, daß die Hardware am Anfang ziemlich gut läuft, die Software aber nicht. Warum? Einige sagen, weil Programmierer nicht gut ausgebildet sind. Oder weil sie irgendwie geistig faul sind. Ich meine das nicht. Es gibt in der Software Probleme, die bei anderen Technologien nicht bestehen. Andere Technologien werden im Grunde von kontinuierlichen Funktionen beschrieben. Aber bei Software hat man diskrete Funktionen. Und die mathematischen Werkzeuge, die ich als Student gelernt habe, die sind theoretisch bei allen Funktionen anwendbar; aber theoretisch heißt „not really“. Wenn jemand sagt, ich kann das theoretisch machen, dann heißt das, er kann das nicht machen. Es ist uns bei realistischen Programmen in der Praxis nicht gelungen, mathematische Beweise für die Programme zu erbringen, weil die mathematischen Ausdrücke einfach zu kompliziert sind. Die Funktionen sind nicht kontinuierlich und deswegen nicht kompakt zu beschreiben.

Wenn man eine Fallanalyse versucht, entdeckt man, daß die Zahl der Fälle zu groß ist. Wir sprechen sehr oft von „exhausted case analysis“, bei Software ist das „exhausting“. Es dauert einfach zu lange.

Dann kommt die Frage des Testens. Kann man Software testen? Ja. Trotzdem entdeckt man immer mehr Fehler in der tatsächlichen Anwendung. Ein großer Informatiker, der Holländer Edgar Dijkstra, hat sehr oft gesagt, der Test kann nur die Anwesenheit von Fehlern zeigen, nie die Abwesenheit. Bei der ersten Anwendung kann man keiner Software vertrauen.

Ich kann jetzt einen Schritt weitergehen. Bei der SDIO-Ausschußsitzung wollte ich die folgende Frage stellen: Wie unterscheidet sich SDI von anderen Softwareprojekten? Meine Kollegen aus dem Ausschuß haben an dieser Frage kein Interesse gezeigt. Hier sind einige Eigenschaften, die meiner Meinung nach SDI von anderen Projekten unterscheiden:

  1. Man weiß nicht, was die Software machen soll. Um ein Programm korrekt zu schreiben, muß man mathematisch die Aufgabe beschreiben können. Das kann man bei solchen Anwendungen, wie dem Flug eines Raumschiffes zum Mars oder zum Mond. Alle Teile sind in den USA oder in Westeuropa hergestellt oder in Japan. Wir haben alle notwendigen Daten. Bei SDI ist das nicht der Fall. Denken Sie an das Problem der Midcourse-Diskriminierung. Man muß zwischen Attrappen und Sprengköpfen unterscheiden Doch welche Eigenschaften unterscheiden die Attrappen deutlich von den Sprengköpfen? Das wissen wir nicht. Beide sind nicht in den USA hergestellt. Wir können kein Vertrauen haben, daß das System korrekt ist, wenn wir nicht die Aufgabe beschreiben können.
  2. Ist diesem Computersystem inhärent ein verteiltes System; man hat keinen einzigen großen Computer, sondern auf jedem Satelliten einen oder mehrere. Diese Satelliten erzeugen eine große Menge Daten, die vor Ort verarbeitet werden müssen. Wir wissen aus der Computerwissenschaft, daß verteilte Systeme viel schwieriger zu erstellen sind als zentralisierte Systeme. Wenn verteilte Systeme zusammen eine Entscheidung treffen müssen und die Verbindungen zwischen den Computern, oder die Computer selbst, unzuverlässig sind, ist ein Algorithmus dafür unmöglich. Das kann man theoretisch beweisen und in diesem Fall stimmt es auch.

Dazu kommt, daß dies ein Echtzeitproblem ist. Beim Echtzeitproblem hat man die sog. Dead-lines: wenn etwas zu spät berechnet wird, ist es nutzlos. Genau dies gilt, wenn man mit einer Waffe zielt. Es hilft mir nichts, wenn ich sage, ich hätte 10 Mikrosekunden früher schießen sollen. Wir wissen auch von der Theorie her – wenn man eine verteilte Datenbank hat -, daß man das nicht in Echtzeit konsistent halten kann.

Ich kann eine Geschichte aus der US-Marine erzählen. Vor einigen Jahren haben sie eine Alarmbereitschaft im Mittelmeer gehabt, weil ein Admiral auf seinem Bildschirm gesehen hat, daß es bei jedem Schiff ein Schattenschiff gab; ein zweites Schiff, das in bißchen dahinter fuhr. Er hat ein wenig Angst gekriegt und Alarm gegeben. Aber die Flugzeuge haben sehr schnell festgestellt, daß keine Schattenschiffe vorhanden waren. Es war ein Computerfehler. Wie ist das passiert? Durch einen kleinen Fehler in der Synchronisation. Sie haben von jedem Schiff zwei Berichte bekommen mit unterschiedlicher Zeit. Man hat daher den Eindruck gehabt, daß zwei Schiffe bestehen.

Denken Sie jetzt noch einmal an die midcourse-Diskriminierung und ein solcher Fehler kommt vor. Wir haben im Raum vielleicht hunderttausende Objekte. Dann hat man 10.000 Sprengköpfe, 90.000 Attrappen und dazu noch hunderttausend oder zweihunderttausend Schatten.(…)

Kritisch bei diesem Softwaresystem ist, daß die Möglichkeit eines realistischen Austestens nicht vorhanden ist. Man kann die Angriffskonditionen nicht im voraus herstellen. Bei SDI würde das bedeuten, daß man 100.000 Objekte im Raum hat, daß Nuklearexplosionen stattfinden und Satelliten teilweise vernichtet sind. So etwas kann man nicht machen.

Auch bei anderen militärischen Anwendungen sind solche Tests notwendig. In Vietnam habe ich z.B. einen Lastwagen gesehen, in dem es zwei Computer gab, die zur Waffensteuerung verwendet wurden. An der Wand gab es eine ganze Menge kleiner Notizen. Es waren sog. „debugging notes“, Adressen und Befehle also. Ich habe den Offizier gefragt: Haben die Soldaten gelernt, wie man diesen Computer programmiert? Nein, hat er gesagt, wir haben dafür zwei Zivilisten im Schlachtfeld.. Warum? Weil der Hersteller erklärt hat, daß es unmöglich sei, solche Programme zu entwickeln, wenn man nicht die Anwendung in einem echten Angriff beobachten kann. Ich kann Ihnen sagen, das ist ein Job, den ich auch für 1.000 Dollar am Tag nicht akzeptieren würde.

Bei SDI spricht man von einem Angriff, der einmal passiert und der vielleicht eine Stunde dauert oder anderthalb. Das Programm dafür ist ziemlich groß; vielleicht 20 Millionen Zeilen. Ein solches Programm kann man nicht in einer halben Stunde von Fehlern bereinigen. Alle Schätzungen besagen, daß es das allergrößte Echtzeitsystem sein wird. Wir haben bisher in Echtzeitsystemen nur sehr kleine Dinge geschafft, z.B. bei dem Space Shuttle sind das etwa 50.000 Zeilen, die während des Fluges im Raum laufen und vielleicht ein paar hundert, die während des Fluges auf dem Boden laufen. In der Vorbereitung werden vielleicht 3 Millionen Zeilen verwendet. Aber nicht während des Fluges. Ich kann diese Beobachtung auch anders formulieren. Einer der bekanntesten Softwareingenieure auf der Welt heißt Fred Brooks; er hat die größten Softwaresysteme für IBM in den 60er Jahren hergestellt. Er hat ein schönes Buch geschrieben: The mythical man mouth. Er erklärt dort, welche Fehler er bei diesen Entwicklungen gemacht hat. Ein Kapitel heißt: Plan to throw one away. Das bedeutet, daß man immer einen Prototyp braucht. Bei jedem großen System, das man erstmalig erstellt, muß man erwarten, daß man es wieder von Anfang an neu schreibt. Warum? Weil man nur durch die Anwendung lernt, was man und wie man es machen soll. Wenn Sie dieses „law of prototyping“ akzeptieren, dann gibt es ein Korrelat dazu: Wenn die erste Anwendung Erfolg haben muß, ist die Aufgabe unmöglich. Nach meinem Rücktritt haben viele meiner Kritiker gesagt, der verhält sich nicht als Wissenschaftler. Er hat keine Daten, die ihn bei seinen Argumenten unterstützen. Ich habe harte Zahlen. Das ist die Zahl der Programme, die in der ersten Anwendung von einem Anwender, der nicht der Entwickler ist, richtig funktioniert haben = Null.

Ich habe Leute gebeten, mir eine Ausnahme zu nennen. Jemand hat z.B. gesagt, bei dem Flug zum Mond habe die computergesteuerte Landung funktioniert. Sonst wären die Leute tot. Es stimmt nicht. Bei der Landung haben sie zwei Computer gehabt, beide haben versagt. Das Ding ist durch einen Piloten ohne Computer gelandet. Bisher sind mir keine Ausnahmen bekannt. Wenn eine auftritt, würde ich sagen, es ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt (…)

Ich kann jetzt vielleicht meine Stellungnahme zusammenfassen. Der Vorsitzende des SDIO-Ausschusses hat mehrmals gesagt, es gibt kein Gesetz, mit dem man beweisen kann, daß eine korrekte Anwendung beim ersten Mal unmöglich sei. Das stimmt. Es kann alles richtig klappen.

Warum? Weil es auch möglich ist, daß 10.000 Affen das Gesamtwerk Shakespeares wieder herstellen. Wenn man sagt, 10.000 Affen sind fünf Jahre am Tippen, vielleicht ist es dann möglich. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr hoch. Es ist auch möglich, daß diese 10.000 Programmierer ein korrektes Programm für SDI schreiben. Aber was ich erklären kann, ist, daß die Aufgabe der Affen leichter ist. Weil man eine Methode zur Verifikation hat. Man kann die Arbeit dieser Affen anschauen und feststellen, ob das von Shakespeare geschrieben ist oder nicht. Man kann das sogar benutzen, um den Wahrscheinlichkeitsgrad zu erhöhen. D.h., man kann jedes Wort anschauen, und wenn das bei Shakespeare vorkommt, kann man das stehen lassen, und sonst kann man es wegwerfen. Damit wird dieser Wahrscheinlichkeitsgrad erhöht, aber er bleibt immer noch sehr niedrig. Aber bei SDI, bei dieser Software ist das nicht möglich. Wir haben keine Verifikationstechnologie.

Edward Teller hat gesagt, daß die Computerfrage nicht wichtig ist, weil die Computer immer schneller und zuverlässiger werden. Das stimmt. Aber die Programmierer werden nicht schneller und zuverlässiger.

Nachdem mein Rücktritt in der Presse erschienen ist, habe ich Gegenargumente erwartet. Einige sind gekommen. Die möchte ich heute besprechen, damit Sie verstehen, warum ich immer noch SDI-Gegner bin.

Die ersten zwei sind sehr einfach. Sie haben gesagt, das ist ein Forschungsprojekt. Man kann nicht „nein“ sagen. Man weiß nie, was man dort entdeckt. Ich kann mit einer Analogie erklären, warum ich das nicht akzeptiere. Stellen Sie sich vor, daß Reagan einen anderen Traum hat. Er träumt von Raketen, die schneller als Licht fliegen. Dann würde er statt SDI eine FLIO- Fast Light Initiative Organization – bestellen. Die amerikanischen militärischen Hersteller stellen sich dort an, um Verträge zu bekommen. Einige haben jetzt vor, Forschung über eine Endphase von Raketen zu machen, d.h., wenn man das mit 15 Phasen nicht machen kann, kann man 16 probieren. Wenn es mit 16 nicht klappt, 17 usw. Das ist meiner Meinung nach eine perfekte Forschungsaufgabe fr die Verteidigungsabteilung. Man kann dem General immer zeigen, daß man Fortschritte gemacht hat, aber da gibt es immer noch Arbeit. Der Vertrag wird immer erneuert. Das ist nur ein Witz, das wird nicht passieren, weil jeder weiß, daß Einstein bewiesen hat, daß ein Flug schneller als Licht nicht möglich ist. Aber es kann sein, daß Einstein einen Fehler gemacht hat, er ist auch ein Mensch. Er hat schon Fehler gemacht. Aber was man sagen würde: Bevor man mit teurer Forschung anfängt, sollte man den Fehler finden. Man muß sagen: Hier ist der Fehler bei Einstein, hier werde ich einen Ausweg finden. Sonst würde man sagen: Nein, kein Geld. Das erwarte ich auch hier. Man hat gesagt, bisher haben wir kein solches System korrekt schreiben können, warum erwarten sie, daß das jetzt bei diesem System anders ist? Bis ich eine Antwort auf diese Frage bekomme, keine Projekte.

Andere Aussagen, die vorgekommen sind, sind z.B., daß wir das alles durch Testen machen können. Ich bin der Meinung, daß der, der das sagt, keine Erfahrung mit Computern hat.

Dann kommen gewisse Zaubereien, z.B. die sogenannte automatische Programmierung. Wenn wir das als Menschen nicht machen können, dann kann der Computer das vielleicht machen. Aber wir wissen schon, daß eine automatische Programmierung immer noch Programmierung ist. Warum? Weil der Computer nicht weiß, was wir machen wollen. Wir müssen das beschreiben. Diese Beschreibung ist selber ein Programm. Da kommen Fehler vor.

Dann kommt die sogenannte Künstliche Intelligenz. Das ist ein Gebiet, von dem ich kein Anhänger bin, weil die Behauptungen in diesem Gebiet sehr weit von den Ergebnissen entfernt sind. Es wird sehr oft behauptet, daß die sogenannten Expertensysteme schon in Anwendung sind. Das stimmt nicht. Fred Brooks hat vor dem amerikanischen Defense Science Board eine Untersuchung gemacht und dabei festgestellt, daß es in den USA nur drei solche Programme gibt, die wirklich verwandt werden. Eines ist nur einmal angewandt worden und dann nicht mehr, die anderen sind immer noch in Gebrauch, aber sie funktionieren nicht sehr gut. Bei dem einen kommen 25 Prozent Fehler vor. Das ist kein zuverlässiges System.

Andere Gegenargumente, die mir gefallen haben, sind diese: Daß ich ein Pessimist bin. Pessimisten haben vorher Fehler gemacht, z.B. der bekannte Chemiker, Lord Rutherford, hat gesagt, daß Atombomben nicht möglich seien. Der war kein Pessimist, der war Optimist. Aber auch Optimisten haben Fehler gemacht. Das ist auch kein Argument.

Es gibt Leute, die sagen, wir können vielleicht die sogenannte Programm-Verifikation verwenden. Verifikation ist ein interessantes Gebiet, denn Programme sind tatsächlich mathematische Objekte. Die Spezifikationen sind mathematische Objekte. Wir können deswegen in der Theorie diese Programme korrekt beweisen. Aber wie gesagt: In der Theorie heißt, daß man das nicht machen kann. Warum? In diesem Fall hat man keine Spezifikation, und diese Methoden sind auch auf sehr kleine Programme beschränkt. Das sind auch Programme in nicht anwendbaren Programmiersprachen wie LISP; sie sind auf diese Sprachen beschränkt. Wir können es einfach nicht machen.

Der Ausschuß, aus dem ich zurückgetreten bin, hat andere Gegenargumente vorgeschlagen. Er hat gesagt, der Herr Parnas und andere Kritiker gehen davon aus, daß man ein großes zentralisiertes Programm hat, daß man nur einen großen Computer hat. Das ist sicherlich zu schwierig. Wir können das einfach lösen: Wir machen ein sogenanntes dezentralisiertes Programm, ein verteiltes System davon. Doch das ist keine Lösung, Verteilung ist ein Problem, nicht eine Lösung. Die Programmierung bei verteilten Systemen ist schwieriger als bei zentralisierten Systemen. Sie haben auch gesagt, dadurch würden die Programme kleiner. Aber das stimmt nicht. Weil die Aufgabe jedes sogenannten kleinen Programmes dieselbe bleibt. Die Midcourse-Diskriminierung ist nötig, Kill-Assessment bleibt noch nötig.

Jetzt kommt eine schwierige Frage: Was steckt dahinter, warum gibt es so viel Hinterlist? Das ist meiner Meinung nach sehr leicht zu erkennen. Ich war z.B. in den Los Mamas National Laboratories. Beim Abendessen hat einer mir gesagt: Ich bin der Befürworter für SDI hier in Los Alamos. Ich habe ihn gefragt: Warum befürworten Sie das? Er hat mir zwei Gründe genannt.

Zuerst hat er gesagt: I like challenges. Ich mag Herausforderungen. Dann hat er auch gesagt: Bei mir gibt es einige Leute, die jetzt vorübergehend unbeschäftigt sind, weil ein anderes Projekt schiefgelaufen ist. Bei SDI kann ich Geld bekommen, um diese Leute wieder zu beschäftigen. So geht es. Leute haben mir gesagt, SDI ist für die Verteidigung ungeeignet, aber für meine Firma ist das ganz gut.

Auch bei Universitäten ist das so. Hier ist die Aussage von Richard Sayed, der Präsident der Carnegie Mellon Universität ist, einer der führenden Universitäten auf dem Computergebiet in den Staaten. Er hat einfach kraß gesagt: Wenn man nicht sagt, daß diese Forschung der nationalen Sicherheit dient, kriegt man vom Kongreß kein Geld. Deswegen müssen wir das machen. Ich bin der Meinung, gute Forschung braucht sich nicht als etwas anderes darzustellen. Wenn das gute Forschung ist, kann man Geld bekommen. Wenn das keine gute Forschung ist, braucht man falsche Behauptungen. Und das ist meine Beobachtung.

Was können wir als Wissenschaftler in diesem Gebiet machen? Wenn jeder behauptet, daß er die Rüstungsspirale nicht gerne hat – auch die SDI-Befürworter behaupten, daß man durch SDI zu einem Ende der Rüstungsspirale kommen kann -, was sollen wir machen? Erstens bin ich der Meinung, daß wir einfach bei solchen Projekten nicht mitmachen sollten. Aber dazu müssen wir noch was tun als Wissenschaftler. Wir müssen die Öffentlichkeit, die Leute, die nicht Wissenschaftler sind, besser informieren. In Amerika habe ich beobachtet, daß die Mehrheit, die Leute, die nicht mit Computern arbeiten, den Eindruck bekommen, daß alles gut läuft. Warum? Wenn wir Erfolg haben mit einem Computersystem, dann reden wir viel davon. Wenn ein Projekt schiefgelaufen ist, dann wird (…) nicht darüber geredet. Dadurch entsteht bei vielen Leuten der Eindruck, daß man viel mehr machen kann, als tatsächlich der Fall ist. D.h., wenn Sie ein Informatiker sind und mit Computern arbeiten, sollten Sie auch gelegentlich mit ihren Nachbarn reden und denen erklären, wie unzuverlässig solche Programme sind. Das ist nicht angenehm. Es macht mir viel mehr Spaß, darüber zu reden, was ich geschafft habe. Aber man muß auch darüber reden, was man nicht geschafft hat. Welche Fehler vorkommen. Und dann kommt noch eine Frage. Es sind viele hier, die keine Informatiker sind. Ich bin der Meinung, daß solche Leute gelegentlich geistig faul sind. Ich habe sehr oft beobachtet, wenn Leute von SDI hören, schalten sie einfach ab. Sie sagen, das ist zu kompliziert, ich bin kein Wissenschaftler. Aber das stimmt nicht. So kompliziert ist das nicht. Programme sind nicht bei der ersten Anwendung zuverlässig. Das ist immer der Fall. Dieses Programm ist schwieriger als alle anderen. Man kann nicht erwarten, daß das beim ersten Mal funktioniert, und beim zweiten Mal ist es schon zu spät. Mehr braucht man nicht zu verstehen. Und das kann man auch Nichtfachleuten erklären.

Neue Politische Studie: Wie das Big Business das Freeze unterstützte

Neue Politische Studie: Wie das Big Business das Freeze unterstützte

von Redaktion

Rhetoriken voller Moral, Ethik und Humanität blühen, wenn es um Abrüstung oder Rüstungskontrolle geht. Hier sind überall gute Menschen am Werk, die sich freilich unglücklicherweise hartnäckig mißverstehen. Von Interessen oder politischen Kalküls ist wenig die Rede – doch sie sind handfest. Wenig bekannt ist etwa, daß 1981/82 wachsende Teile der amerikanischen Industrie bis hin zu großen Rüstungskonzernen auf dem Feld der Rüstungskontrolle aktiv wurden und das Freeze-Projekt unterstützten. Diese Entwicklung ist natürlich auch ein Reflex der verstärkten Friedensaktivitäten an der „Basis“. Die Unterstützung der Friedensbewegung durch Teile der Industrie und durch Großunternehmer mag auch von großem Nutzen sein. Für eine unabhängige Bewegung ist es aber immer wichtig, sich über die Motive und Interessen der Parteilungen, die zu ihr stoßen, Klarheit zu verschaffen. Im folgenden veröffentlichen wir einen Auszug aus einer Untersuchung der amerikanischen Politikwissenschaftler Thomas Ferguson und Joel Rogers („Right Turn: The Decline of the Democrats and the Future of American Politics“, 1986), übersetzt nach einem Vorabdruck in „The Nation“ v. 19.-26.7.1986.

Die Reorganisation der Partei der Demokraten und die amerikanische Geschäftswelt

Sobald sich der Staub der Reagan-Wahl gelegt hatte, begannen sich die Unternehmer in der demokratischen Partei neu zu gruppieren. Der ehrwürdigste unter den alten New Deal Wirtschaftsführern der Demokraten – der Bankier Averell Harriman – hatte schon begonnen, eine neue Lobby zu bilden (wobei seine Frau Pamela die Hauptrolle spielte). Die „Demokraten für die 80er“ erschienen im Dezember 1980 auf der politischen Bühne. Im Vorstand waren Stuart Eizenstat, einst ein führender Berater Jimmy Carters und mittlerweile ein Direktor des Rüstungskonzerns Hercules; Harry McPherson, früherer Berater Lyndon Johnsons und Direktor des Atlantic Institute; sowie Robert Strauss, der frühere Berater Carters in Handelsfragen, der von allen führenden Demokraten vielleicht die besten Beziehungen zur Wall Street und den multinationalen, auf den Weltmarkt orientierten US-Untemehmen hatte. Eine andere prominente Gruppe multinational orientierter Demokraten bevölkerten das neue „Center for Democratic Policy“ (später „Center for National Policy“): neben McPherson der frühere Außenminister Cyrus Vance, Lazard Freres Partner Felix Rohatyn, der frühere Schatzmeister Michael Blumenthal (mittlerweile Top Manager bei Burroughs), der einstige Staatssekretär im Außenminsterium Warren Christopher und der berühmte Washingtoner Rechtsanwalt Lloyd Cutler, Mitglied der Trilateralen Kommission. Max Palevsky, der für George McGovern Geld gesammelt und zeitweise im Vorstand von Xerox gearbeitet hatte hetzt Intel), brachte eine neue Zeitschrift „Democracy“ auf den Markt.

Da nach der Niederlage die Unzufriedenheit unter den Parteimitgliedern rasch wuchs, eröffneten die Business Groups in der demokratischen Partei und die Gewerkschaftsführer die Verhandlungen über den Zuschnitt einer „Alternative“ der Demokraten zum Reaganismus. Ihr wichtigster Schritt war ihr erster: das Demokratische Nationalkommittee wählte mit Charles Manatt einen neuen Vorsitzenden. Manatt war ein prominenter Jurist und Bankier aus Kalifornien, dessen Büro viele Unternehmen repräsentierte, die ein offensichtliches Interesse an der Entwicklung der Demokraten hatten (zum Beispiel Nissan Motors und Northrop, ein Rüstungsgigant). Manatt begann rasch mit einer durchgreifenden Reorganisation der Partei. Sein Programm war von perfekter Geradlinigkeit. Wie die meisten anderen Unternehmer in der demokratischen Partei wollte er eher eine Verstärkung der Parteibande mit der Wirtschaft als mit den Schwarzen, Bürgerinitiativen oder Armen. Dazu suchten er und seine Mitarbeiter sich Millionäre und andere reiche Wirtschaftsführer als Kandidaten aus. Auch versuchten sie, die verzweifelte finanzielle Lage der Partei zu verbessern, der wichtigste Schritt bei der Reform der Parteifinanzen war die Organisation des „Democratic Business Council“ (DBC). Der „Wirtschaftsrat“ der Demokraten war ursprünglich ein Projekt von Byron Radaker gewesen, dem Direktor von Congoleum, einer riesigen Firma in New Hampshire, die schon seit den Tagen des Admiral Alfred Thayer Mahan ein Großauftragnehmer der Marine gewesen war. Der DBC verlangte von jedem Mitglied jährliche Zahlungen von 10.000 $ aus der privaten Tasche oder von 15.000 $ aus der Firma. (…) Das Unternehmen war zu einer Zeit, zu der die Großindustrie als Ganze zunehmend zu den Republikanern überschwenkte, für die schwer verschuldete Partei ein beträchtliches Risiko. Aber es war hochgradig erfolgreich. Wie schon immer seit dem New Deal schlossen sich dem Kreis keine arbeitsintensiven Unternehmen an; und obwohl einige untere Ränge der Arco, Occidental, Chevrons sowie einiger unabhängiger Unternehmen teilnahmen, konnte die Ölindustrie nicht gewannen werden. Doch zahlreiche Manager kapitalintensiver Rüstungsunternehmen – einschließlich United Technologies, Allied-Signal Tiger International, General Dynamics, Boeing und Grumman Aerospace – kauften sich als Mitglieder ein, ebenso wie führende Finanziers – zum Beispiel der Aufsichtsratsvorsitzende der Bank of America Leland Prussia – und viele Investmentbanker, ein riesiger Block von Grundeigentümern, einige Manager aus High-Tech-Firmen, einige weniger bedeutende Abgesandte aus multinationalen Firmen und viele Wirtschaftsjuristen. Manager aus einigen Erdgasfirmen – ein Sektor, der traditionell an Fragen staatlicher Wirtschaftsregulierung und Entspannung interessiert ist, schlossen sich ebenfalls an.

Die Kritik am Reaganismus

Ein Blick auf die früheren demokratischen Administrationen unter Kennedy, Johnson und Carter zeigt, daß die meisten demokratischen Spitzenvertreter aus den multinationalen Konzernen aus Untemehmen kamen, die stark auf Europa orientiert waren. Obwohl in den 70ern das Interesse der ganzen Geschäftswelt sich von Europa auf den Pazifik, den Mittleren Osten und andere Teile der Dritten Welt zu verlagern begann, behielt eine überdurchschnittliche Zahl von demokratischen Managern diese europaorientierte Haltung bei. Sie beherrschten immer noch die Parteielite. Mehr noch: sie machten Anfang 1982 – gemeinsam mit einer Handvoll multinational ausgerichteter Konzerne, die auf das Geschäft mit der Sowjetunion hofften – genau den Teil der Geschäftswelt aus, der am stärksten die Reagan-Administration kritisierte. Die riesige Aufrüstung der Reagan-Administration (die eine Reihe von Waffensystemen einschloß, die Kritiker als Erstschlagswaffen bezeichneten, welche die militärische Lage in Europa destabilisieren wurden), die Reagan-Rhetorik vom „Reich des Bösen“, die anfänglich ruinösen Auswirkungen der hohen US-Zinssätze auf das Wachstum der europäischen Wirtschaft, die Auseinandersetzung mit den NATO-Alliierten um die Pipeline, die Anstrengungen der USA, den Handel Europas mit dem östlichen Block zu begrenzen, endlich das Patt in der Rüstungskontrolle – dies alles führte zu einer Krise in den amerikanisch-europäischen Beziehungen. Dazu entwickelten einige multinationale Konzerne zunehmende Skepsis über die aggressive Zentralamerikapolitik der Regierung – Zweifel, die durch die scharfe europäische Opposition, die Kritik befreundeter Wirtschaftseliten in Lateinamerika und die Gewißheit verstärkt wurden, daß eine US-Invasion in Lateinamerika das Eigentum amerikanischer Firmen beeinträchtigen und weltweite Proteste hervorrufen würde.

So hatte die alte demokratische Wirtschaftselite eine Gelegenheit, sich und anderen Gutes zu tun. Viele fanden Geschmack daran. Die „Friedensoffensive“ der demokratischen Partei Gelder für den Frieden Harriman, Thomas J. Watson Jr. (dessen Familie lange Zeit IBM kontrolliert hatte) und andere prominente Demokraten, in deren Weltbild und Unternehmensstrategie Europa einen besonderen Platz einnahm, begannen die Reagan Administration wegen der Vernachlässigung der Rüstungskontrolle und der Beziehungen zu den Alliierten heftig zu attackieren. Einige führende, multinational orientierte Demokraten schlossen sich dem Vorstand der Arms-Control Association an. Unter ihnen waren Robert McNamara (früherer Verteidigungsminister und Präsident der Weltbank, jetzt Direktor von Shell und zahlreichen anderen Multis sowie Vertrauensmann der Ford Stiftung) und Admiral Bobby Inman (unter Carter stellv. CIA-Direktor und dann Kopf der MCC, des Computerkonsortiums, dessen zentrale Figur der Demokrat William Morris war – ein langjähriger Chef der Control Data, enger Freund Walter Mondales und Befürworter des Handels mit der UdSSR). Die ACA, von der recht lange nichts zu hören war, entwickelt sich rasch zu einer lautstarken Kritikerin der Rüstungskontrollpolitik der Regierung. Die Rockefeller Stiftung, deren Präsident Richard Lyman ein Demokrat war und in deren Aufsichtsrat neben einigen wenigen liberalen Republikanern zahlreiche multinational ausgerichtete Demokraten saßen (vor allem McNamara, der Aufsichtsratsvorsitzende des Brookings-Instituts Robert Roosa und Carters Verteidigungsminister Harold Brown) richtete ein großes Forschungsprogramm zur Rüstungskontrolle ein. Der Rockefeller Family Fund, der von den Rockefeller-Enkeln organisiert wurde, gründete ein anderes Spezialprogramm zur Rüstungskontrolle. Dasselbe taten die Ford Stiftung, die Carnegie Endowment for International Peace und MacArthur-Stiftung in Chicago, in deren Aufsichtsrat eine Reihe langjähriger Demokraten saß, wie zum Beispiel Jerome Wiesner, der Wissenschaftsberater Kennedys und Präsident des Massachusetts Institute of Technology. Wiesner war bis vor kurzem Direktor multinationaler Firmen wie Schlumberger ltd., dem gigantischen französischen Unternehmen aus der Ölbranche. Auch einige wichtige Umweltschutzgruppen kündigten an, daß sie sich zukünftig mit Fragen der Rüstungskontrolle befassen wollten.

Dieses neue Interesse spiegelte sich in einem spektakulären Wachstum der Finanzmittel großer Stiftungen für Arbeiten zur Rüstungskontrolle und nuklearen Fragen wider. Eine neuere Studie über die Forschungsfinanzierung der Stiftungen zum Problem der „internationalen Sicherheit und der Verhütung eines Nuklearkrieges“ fand heraus, daß bei 69 untersuchten Stiftungen sich solche Aufträge zwischen 1982 und 1984 von 16.5 Mio $ auf 52 Mio $ mehr als verdreifachten. Etwas weniger,als 70 % dieses Betrages wurden von fünf großen, multinational orientierten Stiftungen bereitgestellt – MacArthur, Camegie Ford, Rokkefeller und W. Alton Jones.

Wegen der Steuerbefreiung müssen Stiftungen und Umweltgruppen offiziell unparteilich sein. Aber die multinationalen Demokraten gründeten auch eine Reihe von explizit politischen Organisationen. Paul Warnke, der Leiter der Abrüstungsbehörde unter Carter und ein Partner des Washingtoner Rechtsanwaltbüros Clark Clifford, schloß sich Mitgliedern des „Council for a Livable World“ – zu denen Wiesner gehörte – bei der Gründung eines „Peace PAC“ (Political Action Committee) an, das sich mit Fragen der Atomkriegsführung befassen sollte. Andere Organisationen mit Verbindungen zu den multinational orientierten Demokraten wie die Union of Concerned Scientists (an deren Spitze lange Jahre Henry Kendall stand, ein Physiker des MIT, dessen Vater dem „Business Advisory Council“ Roosevelts in den Hochzeiten den New Deal vorstand und geholfen hatte, das Committee for Economic Development zu gründen) intensivierten ihre entsprechenden Aktivitäten.

Der Einstieg in die „Freeze“-Bewegung

Das Ergebnis war – vielleicht – unvermeidlich. Das Engagement der Elite für Rüstungskontrolle und Budgetfragen kristallisierte sich in den rasch wachsenden Basiskampagnen für ein nukleares Freeze. Die multinationalen Demokraten und Grundbesitzer schlossen sich in dem Bemühen zusammen, das Militärbudget Reagans durch die Kürzung – oder besser: die Umstrukturierung – der nuklearen Programme zu reduzieren. Die Freeze-Bewegung, die einst als dezentralisierte Kampagne einiger weniger engagierter Aktivisten begonnen hatte, änderte abrupt ihren Charakter. Urplötzlich begannen Großgrundbesitzer aus dem Osten wie Donal Trump, denen man kaum Iriteresse an Militärfragen nachsagen konnte, eine unklar profilierte Freeze-Bewegung zu unterstützen. Stiftungen, Investmentbanker wie Donald Petrie von Lazard Freres und viele Mitglieder der „Forbes 400“ begannen, Gruppen wie das Council for a Livable World zu finanzieren, das – gemeinsam mit der Union of Concerned Scientists. – eine Brücke schlug zwischen der Freeze-Bewegung und der eher konservativ-elitären Bewegung für Rüstungskontrolle. Dieselben Zeitungen und Fernsehstationen, die Reagans Budgetvorschläge kritisierten, favorisierten nunmehr die Freeze-Bewegung – und diese hatte einen schnellen Aufschwung. Während sich Berufe, die durch die Haushaltskürzungen nicht direkt betroffen waren wie Juristen und Betriebswirte – im großen und ganzen abseits hielten, beeilten sich Betroffene die Friedensaktivisten zu unterstützen, die bis dahin kaum einen Pfennig hatten.

Mitte 1982 war die antinukleare Bewegung eine mächtige politische Kraft geworden. Aber sie hatte sich auch weit entfernt den ursprünglichen Absichten ihrer Gründer. Wenige der Wirtschaftsgruppen und Stiftungen, die sie jetzt unterstützten, wollten die Beziehungen zwischen multinationaler Geschäftswelt, der Anwendung von Gewalt in der amerikanischen Außenpolitik und der sozialen Struktur aufdecken. Ebenso verflüchtigte sich der kritische Gehalt der frühen Freeze-Vorschläge weitgehend; sich mit der Freeze-Idee zu verbünden, bedeutete wenig mehr, als die Größenordnung der militärischen Aufrüstung Reagans zu mißbilligen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung wurde während der großen Friedenskundgebungen im Juni 1982 erreicht. Nur wenige Tage, bevor Millionen in New York und Washington demonstrierten, brach die Libanon-Krise aus. Die Gefahr einer Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion wuchs. Nach einer internen Abstimmung beschlossen die Veranstalter der Demonstrationen, die Entwicklung im Libanon öffentlich nicht anzusprechen.

Maßvolle Aufrüstung statt Abrüstung

Gleichzeitig gingen Manatt und andere multinationale Demokraten daran, den Charakter der antinuklearen Debatte in einer Weise zu beeinflussen, durch welche die Bindungen der Demokraten zur Geschäftswelt noch verstärkt werden sollten. Militärstrategen der demokratischen Partei wie Robert Komer – ein Superfalke im Vietnamkrieg unter Kennedy und Johnson und Unterstaatssekretär für Verteidigung unter Carter – hatten schon lange die Tugenden einer „Verteidigungskoalition“ beschworen: in einer Phase des nuklearen Gleichgewichts zwischen den Supermächten sei die konventionelle Komponente durch engere Allianzbindungen und „burden sharing“ zu verstärken. Diese Gruppe wurde auch beflügelt durch das Flugzeugträgerprogramm der Reagan-Regierung: obwohl Flugzeugträger „prächtig für Konflikte in der Dritten Welt sind“ (Komer), hätten die USA bereits genügend viele Träger. Mehr Ressourcen sollten in die Land- und Luftstreitkräfte gehen. Andere Demokraten wie Samuel Huntington gingen noch einen Schritt weiter: dank der elektronischen Revolution seien die Technologien für konventionelle Kriegsführung in rascher Bewegung. Eine ganz neue Waffengeneration … versprachen eine ganz neue Form teurer Landkriegsführung. Huntington erklärte, daß die neuen Technologien die USA instande setzen würden, die sowjetischen Streitkräfte in Osteuropa mit vernichtender Kraft zu treffen. Mit welchem Argument auch immer – die Betonung konventioneller Land- und Luftstreitkräfte vor allem in Europa ermöglichte es, den nuklearen Waffen und der, Navy einen geringeren Stellenwert einzuräumen. Damit war für Manatt und die seinen der Weg für ein Konzept frei. Die Demokraten konnten nunmehr die Freeze-Bewegung unterstützen und für die Streichung oder Verringerung einiger großer Programme der Nuklearrüstung eintreten – wie der MX-Rakete, dem B 1-Bomber (produziert von Rockwell International, das im Unterschied zu anderen Rüstungsunternehmen keine Vertreter im Wirtschaftsrat der Demokraten hatte) und vielleicht der D5-5 Rakete für das Trident U-Boot. Die hier und bei der Marinerüstung eingesparten Gelder würden sowohl den multinational, europäisch und auf Übereinstimmung mit der UdSSR orientierten Unternehmen wie den Grundbesitzern zu Nutzen sein. Und da zugleich ein ganzes Feld neuer konventioneller Waffen zu erschließen war, würden sogar viele Rüstungsunternehmen zufrieden sein.

Als die Unterstützung für das Freeze-Konzept nachließ, gaben viele Demokraten sogar die Freeze-Rhetorik auf. Statt dessen umarmten sie die Konzepte einer „maßvollen“ atomaren Aufrüstung: vor allem eine – vorwiegend demokratische – Gruppe mit engen Kontakten zur Rüstungsindustrie schlug vor, die USA und die UdSSR sollten für jeden Sprengkopf, den sie ihrem nuklearen Arsenal hinzufügten, eine gewisse Menge alter Sprengköpfe zerstören. Da es hier auch um die Zerstörung von Nuklearwaffen ging, konnten solche Vorschläge als Freeze-inspiriert verkauft werden. Tatsächlich waren sie Formeln für eine weitere Modernisierung der strategischen Waffen. Zusammen mit den Forderungen für eine stärkere konventionelle Aufrüstung kam das Konzept der nuklearen Modernisierung vielen Bedürfnissen in der demokratischen Partei entgegen.