Vizeweltmeister in der falschen Disziplin

Vizeweltmeister in der falschen Disziplin

Deutsche Rüstungsexporte in den 90er Jahren

von Peter Strutynski

Das Thema Rüstungsexportkontrolle gehört nicht gerade zu den politischen Dauerbrennern in der Bundesrepublik. Gegenstand heftiger öffentlicher politischer Diskussionen wird es immer nur dann, wenn irgendwelche Skandale bekannt oder ruchbar werden, wonach deutsche »Händler des Todes« entweder einschlägige Rüstungsexportverbote zu umgehen versuchen oder wenn an sich legale Exporte unliebsame bis skandalöse politische Folgen zeitigen. Zuletzt wurde die Öffentlichkeit im vergangenen Sommer von der Nachricht aufgerüttelt, die BRD nehme unter den waffenexportierenden Ländern einen stolzen zweiten Platz ein, sei also Vizeweltmeister beim Rüstungsexport geworden.

Schon 1993 belegte die BRD den zweiten Platz der Exporthitliste; damals wurde aber die Brisanz dieser Entwicklung noch mit dem Hinweis abgeschwächt, ein großer Teil des deutschen Positionsgewinns sei auf die Verhökerung alten NVA-Materials zurückzuführen, der Exportboom sei also doch mehr ein vorübergehendes Phänomen.1 In der Tat mußten – auch wegen der in Wien vereinbarten Reduzierungen bei konventionellen Waffen – Tausende und Abertausende von Waffen, Geräten und Uniformen sowie Tonnen von Munition aus Beständen der ehemaligen DDR übernommen und zum größten Teil ausgemustert, verschrottet oder eben verkauft werden. Die Nachfrage nach Kampfpanzern, Bombern, gepanzerten Radfahrzeugen, Artilleriesystemen und Maschinengewehren, alle Waffen überwiegend sowjetischer Herkunft, war groß; teils weil manche Staaten ihre eigenen Arsenale auffüllen oder erneuern wollten, teils weil manche Staaten sowjetische Waffen testen wollten.2 Unter den Empfängerstaaten befanden sich Ägypten, Estland, Lettland und Litauen, Indonesien, die Ukraine, Uruguay, aber auch Rußland. Selbst Kasachstan interessiert sich mittlerweile für außerdienstgestellte deutsche Marineschiffe als Grundstock für den Aufbau einer »angemessenen Marine« für das Kaspische Meer.3 Sieht man sich die aus den NVA-Verkäufen erzielten Erlöse an, so machen sie allerdings nur etwa ein Zehntel der Gesamtrüstungsexporte in den Jahren 1990 bis 1994 aus. Würde man sie herausrechnen, behielte die Bundesrepublik immer noch unangefochten ihren zweiten Platz unter den größten Waffenexporteuren.

Das Märchen von den »restriktiven Exportbeschränkungen«

Die Bundesregierung weist gern auf die besonders restriktiven Ausfuhrbedingungen für deutsche Waffen hin. Aus Bonn verlautet hierzu: „Die Bundesregierung empfindet aufgrund der geschichtlichen Erfahrung eine besondere Verantwortung dafür, den Export von Waffen restriktiv zu handhaben und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder von Gütern, die zur Produktion von Massenvernichtungswaffen verwendet werden können, zu verhindern.“4 Doch wie streng ist das deutsche Exportkontrollregime tatsächlich?

Grundlage für jeglichen Rüstungsexport aus der Bundesrepublik sind zwei Gesetze, die schon 1961 verabschiedet wurden und in der Folgezeit zahlreiche Änderungen durchgemacht haben: das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG). Das Kriegswaffenkontrollgesetz ist ein Ausführungsgesetz zum Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes. Das KWKG legt fest, daß alle zur Kriegführung bestimmten Waffen „nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden“ dürfen. Eine Genehmigung ist auf jeden Fall dann zu versagen, wenn „die Gefahr besteht, daß die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden“, oder wenn „Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde.“ (§ 6 Abs. 3 KWKG) Damit ist hinreichend klar, daß die Bundesrepublik nicht in Staaten liefern darf, gegen die völkerrechtswirksame Embargomaßnahmen verhängt sind oder die sich im Kriegszustand befinden. Es ist aber auch hinreichend bekannt, daß gegen dieses Verbot in zahlreichen Fällen verstoßen wurde.

Das KWKG erfaßt längst nicht alle Waffen (z.B. keine Faustfeuerwaffen), auch nicht deren Einzelteile oder Geräte zur Herstellung von Waffen; es erfaßt auch nicht Waren, die sich sowohl für militärische als auch zivile Zwecke gebrauchen lassen (sog. Dual-use-Güter). Christa Vennergerts von den Grünen hat das im Bundestag einmal auf die einprägsame Formel gebracht: „Alles was nicht schießt und knallt, ist keine Waffe und darf exportiert werden.5 Ganz so einfach ist es aber auch nicht – zumindest nicht, was die Gesetzeslage betrifft. Denn die Kontrolle militärisch relevanter Handelsgüter wird durchaus geregelt, und zwar durch das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und dessen Rechtsverordnung. Hier ist eine Reihe von Einschränkungen des ansonsten uneingeschränkten freien Handels formuliert, etwa wenn es die „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ verlangt, oder wenn eine „Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten ist“ (§ 7 AWG). Zur besseren Handhabung dieses Gesetzes werden in der Außenwirtschaftsverordnung enstprechende Listen von sensiblen Ausfuhrgütern und Listen von Ländern veröffentlicht, in die entweder gar nicht oder nur nach ausdrücklicher Genehmigung der Genehmigungsbehörde geliefert werden darf. Aus verschiedenen Gründen6 haben Außenwirtschaftsgesetz und -verordnung indes nicht verhindern können, daß aus der Bundesrepublik Waffen und sonstiges Militärgerät nahezu in die ganze Welt verbracht werden konnte.

Schärfere Gesetze – noch mehr Rüstungsexporte

Im Gefolge des zweiten Golfkriegs 1991 war die Kritik an der offenbar gescheiterten Rüstungsexportkontrollpolitik der Bundesregierung so laut geworden, daß Regierung und Parlament schließlich ihre gesetzlichen Handhaben verbesserten und die Kontrollmechanismen verstärkten. Von der zweiten Hälfte des Jahres 1990 bis Anfang 1992 wurden zahlreiche Änderungen am KWKG und am AWG sowie am Strafgesetzbuch und an weiteren Gesetzen vorgenommen. Die wichtigsten Änderungen bezogen sich auf folgende Sachverhalte:

  • Es wurde eine neue Behörde gegründet, das Bundesausfuhramt, das nun anstelle des Außenwirtschaftsamts für die Erteilung von Exportgenehmigungen zuständig ist.
  • Erweitert wurden die Kontrollbefugnisse gegenüber Gütern mit doppeltem Verwendungszweck.
  • Erheblich erweitert wurden die Befugnisse des Zollkriminalamts (z.B. Eingriffsmöglichkeiten in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis).
  • Drastisch verschärft wurden die Strafen für Gesetzesverstöße.
  • Jedes exportierende Unternehmen ist verpflichtet, einen »Ausfuhrverantwortlichen« zu benennen. Damit können die Verantwortlichen besser kontrolliert und zur Verantwortung gezogen werden.
  • Die Mitwirkung deutscher Techniker oder Wissenschaftler an Rüstungsprojekten im Ausland ist genehmigungspflichtig.
  • Schließlich wurde das Außenwirtschaftsrecht von einem »Erfolgsdelikt« in ein »Gefährdungsdelikt« umgewandelt. D.h. wenn es bisher für die Annahme einer Strafbarkeit notwendig war, daß durch die Handlung des Täters die Sicherheit der Bunderepublik oder das friedliche Zusammenleben der Völker erheblich beeinträchtigt wurden, so ist es nunmehr ausreichend, daß diese Rechtsgüter gefährdet bzw. erheblich gefährdet werden.

Der Proteststurm der Rüstungsindustrie gegen diese Verschärfungen ihres auf Exportförderung und nicht -verhinderung angelegten Außenwirtschaftsrechts war voreilig und übertrieben. Die Regierungskoalition ließ ihre exportorientierte Wirtschaft nicht im Stich. Zur Verschärfung der Gesetzesvorschriften trat nämlich die Reduzierung der als »sensitiv« eingestuften Länder. Solche Länder werden üblicherweise in sog. Länderlisten aufgelistet. Die Länderliste H beispielsweise, in der alle Länder aufgeführt sind, bei denen Exporte von Dual-use-Gütern kontrolliert werden sollen, enthielt im Dezember 1990 noch 53 Staaten. 1992 wurde die Liste neu gefaßt und auf 34 Staaten reduziert. Gestrichen wurden solche Länder wie Südkorea, Laos, Marokko, die Mongolei oder Namibia. Ein erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Wirkung des neuen Außenwirtschaftsrechts nach einem Jahr ihrer Geltung ist aufschlußreich: Die Bundesrepublik verlassen jährlich rund 18 Millionen Ausfuhrsendungen von „Waren, deren Verwendungszweck in der Regel nicht äußerlich erkennbar ist“. Die präventiven Überwachungsmöglichkeiten nach dem AWG und AWV in Verbindung mit der erwähnten Länderliste H führten dazu, daß im Zeitraum von März bis September 1992 1.328 Anträge im Gesamtwert von 1,4 Milliarden DM genehmigt wurden, dagegen nur 226 Exportgenehmigungen im Gesamtwert von 127 Millionen DM abgelehnt wurden.7

Liberalisierung im Gewande der »Harmonisierung«

Dennoch haben seither die Versuche der Rüstungsindustrie eher noch zugenommen, die Exportbeschränkungen wieder zu lockern. Dies passiert seit der Herstellung des EG-Binnenmarkts zum 1.1.1993 unter dem Mantel der »Harmonisierung« der europäischen Vorschriften. Die Wirtschaftsverbände forderten insbesondere, daß deutschen Unternehmen bei Kooperationsprojekten mit EG-ausländischen Firmen gleiche Chancen eingeräumt werden. Bisher sei es so, daß die Bundesregierung einen Genehmigungsvorbehalt gegenüber Zulieferungen deutscher Firmen an EG-Firmen beansprucht. D.h. sämtliche Kooperationsvereinbarungen müssen nach einem Verfahren abgewickelt werden, das es der Bundesregierung im Falle des Exports durch das Partnerland erlaubt, Einwendungen geltend zu machen.8

Die Bundesregierung kam der Rüstungslobby entgegen. Im Juni 1994 erleichterte sie die Rüstungskooperation privatwirtschaftlicher Unternehmen innerhalb der NATO. Bei internationalen Kooperationen, in denen der deutsche Partner nicht mehr als 20 Prozent des Geschäftsvolumens einbringt, so wurde verfügt, entscheide ausschließlich der jeweilige Firmensitz des Herstellers über die Verwendung des Endprodukts; die BRD behält lediglich noch ein Konsultationsrecht, sie kann also über den Verbleib des Produkts Auskunft verlangen und eine Stellungnahme abgeben; ein Entscheidungsrecht besitzt sie aber nicht mehr.9

Im Dezember 1994 wurde eine EG-Verordnung verabschiedet, die den Handel mit Dual-use-Gütern innerhalb der EU und mit Drittländern einheitlich regeln soll.10 Wünschenswert schien eine einheitliche Regelung, um auch diesen Sektor der Wirtschaft an die ansonsten geltenden Bestimmungen des freien Warenverkehrs anzupassen, innergemeinschaftliche Kontrollen also abzuschaffen. Dies geht natürlich nur, wenn gleichzeitig die Ausfuhr sensibler Güter aus der Gemeinschaft wirksam kontrolliert wird. Die EG-Verordnung, die seit 1. Juli 1995 in Kraft ist, bezieht sich auf den Export einer Vielzahl von »Gütern mit doppeltem Verwendungszweck«, also Gütern, die „sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken zugeführt werden können“ (Art. 2 a). Betroffen sind beinahe alle zivilen Industriezweige wie allgemeiner Werkzeugmaschinenbau, Feinmechanik/Optik, Elektrotechnik, Telekommunikation, Chemie, Fahrzeugbau, Luftfahrtindustrie usw. Die infrage kommenden Güter sind in gemeinsamen Güterlisten aufgeführt. Der Export dieser gelisteten Güter aus der EU ist somit in allen Mitgliedstaaten genehmigungspflichtig.

Eine Ausfuhrgenehmigung kann aber selbst für Güter erforderlich sein, die nicht auf der Liste stehen, nämlich dann, „wenn der Ausführer von seinen Behörden davon unterrichtet worden ist, daß diese Güter ganz oder teilweise bestimmt sind oder bestimmt sein können für die Entwicklung, die Herstellung, den Umschlag, die Handhabung, die Wartung, Lagerung, Ortung, Identifizierung oder Verbreitung chemischer, biologischer oder nuklearer Waffen, die Gegenstand entsprechender Nichtverbreitungregelungen sind, oder zur Entwicklung, Herstellung, Wartung oder Lagerung für Trägerraketen für derartige Waffen.“ (Art. 4 Abs. 1) Diese Auffangnorm (»Catch-all-Klausel«) für nicht gelistete Güter ist dem deutschen Außenwirtschaftsrecht nachempfunden, das eine solche Auffangnorm auch kennt, und zwar für alle waffenfähigen, also nicht nur ABC-waffenfähigen Güter (dies war in der Neufassung der AWV von 1992, § 5c, geregelt worden). Diese Klausel im deutschen Recht war die Konsequenz aus den Skandalen um die Giftgasanlagen in Rabta (Libyen) und Samarra (Irak), als sich gezeigt hatte, daß die Ausfuhrlisten nicht ausreichten, um alle sensitiven Ausfuhrhandlungen zu erfassen.

Auf EU-Ebene stellt die gemeinsame Dual-use-Verordnung zweifellos einen Fortschritt dar. Was in der nächsten Zeit folgen muß, ist einmal die Ausweitung der Auffangnorm auf nichtgelistete Güter für den konventionellen Rüstungssektor und zum anderen die Einbeziehung des Wissenstransfers und der Dienstleistungen in das Kontrollregime. Auf keinen Fall zwingt die EG-Verordnung die Bundesrepublik, ihre zum Teil weitergehenden nationalen Regelungen aufzugeben. Die EG-Verordnung erlaubt ausdrücklich nationale Zusatzverordnungen (Art. 5 Abs. 1).

Prinzipiell hält auch die Bundesregierung an ihren zum Teil restriktiveren Bestimmungen der AWV fest. Sie hielt es aber für „integrationspolitisch geboten und exportkontrollpolitisch vertretbar“ 11 die Länderliste H (die schon 1992 bei der Verschärfung des AWG von 53 auf 34 Staaten reduziert worden war) zu verändern. An ihrer Stelle wurde zum 1. März 1995 eine neue Länderliste K eingeführt. Sie enthält nur noch 13 Staaten (bzw. 17, wenn man die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien gesondert betrachtet). Herausgefallen sind beispielsweise Staaten wie Ägypten, Algerien, Israel, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kuwait, Pakistan, Rumänien, Saudi-Arabien und Taiwan, Staaten also, in denen zum Teil bewaffnete Konflikte stattfinden, die zum Teil in höchst sensiblen Regionen liegen oder die zum Teil nicht eben zu den demokratischen Musterknaben der Staatengemeinschaft gehören. Damit setzt sich die Bundesregierung in Widerspruch zu ihren eigenen Rüstungsexportgrundsätzen von 1982, in denen es hieß: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern darf nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen. Lieferungen an Länder, bei denen eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus.“ 12

Die neuen Trends im Waffenhandel

Die Aufweichung der strengeren Exportkontrollen geschieht also im wesentlichen auf zwei Wegen: Einmal als Aushöhlung nationalen Rechts im Zuge der Übertragung staatlicher Bestimmungen auf die europäische Ebene, d.h. einer »Anpassung nach unten«, zum anderen als Verkleinerung des Kreises von Staaten, die rüstungspolitisch als besonders sensibel einzustufen sind. Die Einstufung dieser Länder erfolgt aufgrund der alleinigen Definitionsmacht der Bundesregierung. Es ist nicht auszuschließen, daß der Kreis der Staaten, die unter die Exportgenehmigungspflicht fallen, künftig noch weiter reduziert wird. Alte außenpolitische Rücksichtnahmen zählen nicht mehr; was zählt, ist die Wahrnehmung vermeintlicher nationaler Sicherheitsinteressen im globalen Maßstab und die „Berücksichtigung der berechtigten Anliegen der Wirtschaft“, deren sich Außenminister Kinkel am 13. Januar 1994 im Deutschen Bundestag annahm.13 Anläßlich einer Veranstaltung des Arbeitskreises »Wehrtechnik in Schleswig Holstein« in Kiel wurde Kinkel noch deutlicher: Von Exportrestriktionen könne keine Rede mehr sein, „in der Relation ist das minimal, was nicht laufen kann.

Alarmierend sind zudem die Anzeichen dafür, daß es aus den Betrieben heraus wieder Initiativen gibt, die sich unter dem Druck gefährdeter Arbeitsplätze für eine Lockerung der Exportvorschriften in der EU sowie generell für verstärkte Aufträge von der Hardthöhe stark machen. Zu diesem Zweck haben sich z.B. im März 1995 in München Betriebsräte verschiedener Rüstungsfirmen zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen.14

Im internationalen Handel mit Waffen und Dual-use-Gütern sind m.E. folgende Trends zu beobachten:

  • Zunächst muß der an sich erfreuliche Rückgang des weltweiten Waffenhandels relativiert werden. Natürlich ist es eindrucksvoll, wenn der Export von Kriegswaffen – SIPRI erfaßt nur die konventionellen Großwaffen – seit 1990 weltweit um rund ein Drittel zurückgegangen ist, von 30,9 Mrd. US $ 1990 auf 21,7 Mrd. US $ 1994. Doch dieser Rückgang war fast ausschließlich dem Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staatsökonomien geschuldet. Die sog. demokratischen Zivilmächte des NATO-Bündnisses haben sowohl absolut als auch anteilsmäßig ihren Waffenexport in den letzten Jahren erheblich gesteigert (von 16,7 auf 18,7 Mrd. US $, ihr Anteil am Weltwaffenexport stieg von 54 Prozent 1990 auf sage und schreibe 86 Prozent 1994;)15. Zahlreiche Berichte aus den Ländern des früheren Ostblocks belegen durchweg deren verstärkte Anstrengungen, verlorenes Terrain bei der Produktion und beim Export von Waffen wiederzugewinnen.16 So sind z.B. die Waffenexporte Rußlands 1995 gegenüber dem Vorjahr um rund 50 Prozent gestiegen. 17
  • Der Rückgang des Weltwaffenhandels seit dem Ende der Blockkonfrontation hat am allerwenigsten damit zu tun, daß die Welt etwa friedlicher geworden sei. Sinkende Rüstungskäufe waren in der Regel ein erzwungener Reflex der Staaten auf ihre anwachsenden Haushalts-, Devisen-, und Finanzierungsprobleme. Länder mit rasant wachsenden Volkswirtschaften und entsprechend gut gefüllten Kassen ordern dagegen munter weiter. Bestes Beispiel hierfür sind die prosperierenden Länder Südostasiens wie Taiwan, Thailand, Südkorea oder Indonesien. Diese vier Länder haben von 1990 bis 1994 ihre Rüstungskäufe glatt verdoppelt. Ein Fünftel bis ein Viertel aller Exportwaffen gehen heute nach Ostasien (in den achtziger Jahren waren es rund 15 Prozent).
  • Das beängstigende Wettrüsten in Ostasien, das so gar nicht in das schöne Bild von einer abrüstenden Welt paßt,18 ist aber nicht nur an den steigenden Waffenkäufen abzulesen, sondern auch am Ausbau der eigenen Rüstungskapazitäten. Während der Welthandel mit Großwaffen seit 1987 etwa halbiert wurde, sind die weltweiten Ausgaben für militärische Zwecke nur um rund 20 Prozent gesunken.19 Die neuen Industrieländer Ostasiens sind heute in der Lage, fast alle Waffen, die sie brauchen, selbst zu fertigen.
  • Zusätzliche Konkurrenz könnte in absehbarer Zeit insbesondere auch von Japan ausgehen. Die politische Diskussion um das Selbstverständnis der japanischen »Selbstverteidigungskräfte« erinnert in vielem an die bundesdeutsche Diskussion. Beide Staaten hatten in der Zeit des Kalten Kriegs eine relativ zurückhaltende Rüstungsexportpolitik betrieben; beide haben nach dem Ende des Kalten Kriegs begonnen, diese außen- und militärpolitische Zurückhaltung in Frage zu stellen. Japan beteiligt sich – nach einer entsprechenden Verfassungsänderung – inzwischen auch an UNO-Blauhelm-Aktionen. Im Herbst 1995 hat die japanische Regierung nach monatelangem Drängen der Industrielobby ihre Militärdoktrin geändert und ihre restriktiven Exportrichtlinien von 1967 entsprechend liberalisiert.20
  • Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion über die Rüstungsexporte häufig übersehen wird, ist die zunehmende Bedeutung von Kleinwaffen (das sind z.B. Minen, Handfeuerwaffen oder Panzerfäuste). Diese Waffen werden von den Exportstatistiken gar nicht erfaßt. Neuere Untersuchungen belegen, daß Kleinwaffen aus dem Besitz ehemaliger Armeen des Warschauer Pakts über beliebige Wege auf nahezu allen Kriegs- und Bürgerkriegsschauplätzen der Welt eingesetzt werden. Gleiches gilt aber auch für Waffen aus den westlichen Industriestaaten, die in den letzten Jahren ihre Armeen personell verkleinert haben und überzählige Waffen entweder gewinnbringend verkaufen oder als quasi Militärhilfe befreundeten Armeen zur Verfügung stellen.21
  • Schließlich muß noch einmal betont werden, daß der statistisch erfaßte internationale Rüstungshandel nur einen Teil der Problemlage widerspiegelt. So werden insgesamt immer weniger Waffensysteme, dagegen aber immer mehr Technologien gehandelt – Technologien, die sowohl militärisch als auch zivil einsetzbar sind. „Zivile Technologien mit möglicher militärischer Verwendung erhalten fast alle Länder der Welt aus Deutschland.“22

Resümee

Der offizielle Rüstungshandel ist weltweit in den letzten Jahren rückläufig. Gleichzeitig gewinnt der legale und illegale Handel mit Kleinwaffen weltweit sogar weiter an Bedeutung und liefert den »Stoff«, der die vielen Bürgerkriege dieser Welt am Leben erhält. Der Export von Dual-use-Gütern und -Technologien ist der bedeutsamste Sektor, den es zu kontrollieren und einzudämmen gälte; und ausgerechnet der ist am schwierigsten zu kontrollieren, es sei denn, man entschlösse sich, konsequent nach dem Verbleib und der Verwendung der exportierten Güter zu fragen. Die Bundesregierung hat trotz zum Teil noch existierender strenger Kontrollmechanismen ihr Land zum »shooting star« des Jahres 1995 unter den Rüstungsexporteuren gemacht. Sie wird weiterhin alles unternehmen, um auch beim Export von Kleinwaffen und Dual-use-Gütern ganz vorn in der Welt dabei zu sein.

Anmerkungen

1) Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Referat Außen- und Sicherheitspolitik (1995): Rüstungsgüter – zivil und militärisch verwendbare Güter. Stand: Januar 1995, S. 7 (1. Ausgabe September 1993). Zurück

2) H. Wulf (1995): Rüstungsexporte – Vizeweltmeister Deutschland. Hekt. Man., S. 9, 30. August 1995. Zurück

3) Wehrtechnik 2/1996. Zurück

4) Presse- und Informationsamt (1995),a.a.O., S. 6. Zurück

5) BT-Protokoll vom 01.06.1990, S. 16930. Zurück

6) H. Wulf (1989): Waffenexport aus Deutschland. Geschäfte mit dem fernen Tod, Reinbek bei Hamburg. Zurück

7) D. Pietsch (1994): Beschäftigungsfaktor Waffenexport. Positionen und Daten zur Rüstungsausfuhr. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8, S.980. Zurück

8) Vgl. Politische Grundsätze 1982; vgl. hierzu auch Pietsch 1994, a.a.O. S. 973. Zurück

9) H.-J. Gießmann (1995): Frieden schaffen mit deutschen Waffen? Der diskrete Abschied von strengen Exportkontrollen. In: R, Mutz, B. Schoch, F. Solms (Hrsg.), Friedensgutachten 1995, Münster, S. 319. Zurück

10) Verordnung EG Nr. 3381/94, abgedruckt in J. Endres (1995): Anpassung nach unten? Die Angleichung der deutschen Exportrestriktionen für Dual-use-Güter an die neuen Richtlinien der Europäischen Union, Arbeitspapiere aus dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, Nr. 86, Hamburg. Zurück

11) Vermerk des Wirtschaftsministers, zit. n. Endres, a.a.O.,1995, S. 12. Zurück

12) Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Beschluß der Bundesregierung vom 28. April 1982, Ziffer 13. In: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 38/S. 309, Bonn, den 5. Mai 1992. Zurück

13) Presse- und Informationsamt 1995, a.a.O., S. 24. Zurück

14) Süddeutsche Zeitung, 07.03.1995. Zurück

15) SIPRI (1995): SIPRI-Yearbook 1995. Armaments, Disarmaments and International Security, Oxford University Press. Zurück

16) Vgl. H.-J. Gießmann, a.a.O und Opitz in Ch. Butterwegge, M. Grundmann (Hrsg.)(1994): Zivilmacht Europa. Friedenspolitik und Rüstungskonversion in Ost und West, Köln. Zurück

17) Süddeutsche Zeitung, 21.02.1996). Zurück

18) Vgl. P. Strutynski (1995): Gegen den Strom: Wettrüsten in Ostasien. In: ami-antimilitarismus information, Heft 10, S. 28-34. Zurück

19) BICC-Bonn International Center for Conversion (1996): Conversion Survey 1996. Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization, Oxford University Press. Zurück

20) Vgl. Handelsblatt, 01.12.1995). Zurück

21) Vgl. z.B. K. Gonchar, P. Lock (1994): Observations on the Supply of Small Arms. Arbeitspapiere aus dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, Nr. 84, Hamburg. Zurück

22) Wulf 1995, a.a.O., S. 10. Zurück

Dr. Peter Strutynski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität GH-Kassel.

Konfliktpotentiale in Südostasien

Konfliktpotentiale in Südostasien

von Peter Franke

Als größter Erfolg bei dem diesjährigen Treffen der ASEAN-Außenminister in Bangkok gelten die erstmalige Durchführung des »ASEAN Regional Forum« – kurz ARF – zur Behandlung von Sicherheitsfragen in der Region. Die Außenminister der ASEAN-Staaten hatten sich am 25.7.94 mit ihren sogenannten Dialog-Partnern an einen Tisch gesetzt und etwa drei Stunden über Konflikte in der Region unterhalten, insbesondere über die Halbinsel Korea und die Spratly-Inseln1.

Trotz langjähriger Existenz2 der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN – Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Brunei und Philippinen) ist gerade in den letzten Jahren zunehmend das »Bedürfnis« in dieser Region nach mehr Sicherheit gewachsen. Mit Auflösung der Blockkonfrontation ist das klare Feindbild des Kommunismus verschwunden. Man hatte sich bisher darauf verlassen, daß die »rote« Gefahr durch die US-Militärpräsenz in Schach gehalten wird, ganz so, wie es die USA auch in ihrer Pacific-Rim-Strategie seit Ende des 2. Weltkriegs gewollt und durchgesetzt hatten. Alle mehr oder minder vorhandenen Konflikte untereinander3 wurden angesichts einer vermeintlich größeren Bedrohung zurückgestellt. Die USA haben nun in den letzten Jahren ihre Militärpräsenz verringert bzw. Einheiten ganz abgezogen, und es ist ein vermeintliches Machtvakuum entstanden. Militärstrategen der einzelnen Länder glauben, daß dieses »Vakuum« mit mehr eigenem Militär gefüllt werden muß. Dazu ist natürlich eine Ausrüstung mit den neuen Waffensystemen nötig, die von der kränkelnden Rüstungsindustrie der USA, Europas und einer Reihe von ehemaligen Ostblockstaaten wohlfeil angeboten worden4. Bei den anhaltend hohen Wirtschaftswachstumsraten in Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien meinen die Regierungen, sich mehr Waffen leisten zu können und zu müssen.

Die wachsende Aufrüstung aller ASEAN-Länder mit sogenannten »Offensiv-Waffen«, also solchen, die weit über die reine <>Landesgrenzen-Verteidigungszwecke<> hinausgehen, ist in den letzten Jahren offensichtlich. Mit welchen besonderen Konfliktpotentialen haben wir es also heute in der Region Südostasien bzw. Asien-Pazifik zu tun? Wo liegen andererseits als Gegengewicht die Ansätze von multilateraler und bilateraler Kooperation?

Die Konfliktpotentiale sind sehr unterschiedlicher Natur und unterschiedlichen Ursprungs. Die geographischen Gegebenheiten sind ein wesentlicher Faktor. Ein Blick auf die Karte macht deutlich, daß alle Seewege und wichtigen Handelsrouten zwischen Europa und Ostasien – d.h. China, Taiwan, Korea und Japan – durch das Malaiische Archipel führen, mit den Ländern Indonesien, Malaysia, Singapur, Brunei und den Philippinen.

Die Kontrolle der Seewege nach Ostasien

Mit Beginn des Übersee- und Welthandels ist die Kontrolle der Seewege nach Ostasien immer ein entscheidender Faktor zur Ausübung einer Vorherrschaft in der Region gewesen. In der Kolonialzeit haben sich die europäischen Mächte Spanien, Niederlande, England und Frankreich in ihren expansiven Bestrebungen immer wieder um die Kontrolle der Seewege, insbesondere der Straße von Malakka, bemüht. England hat allein zu diesem Zweck 1815 auf der Insel vor der südlichsten Spitze der malaiischen Halbinsel Singapur als Handels- und Marinestützpunkt gegründet. Bis zur Eroberung Singapurs durch die Japaner im 2. Weltkrieg vom Land aus – denn von See her war es nicht einzunehmen – war es der Schlüssel zur britischen Vorherrschaft im malaiischen Archipel.

Nach dem 2. Weltkrieg übernahmen die USA die Aufgabe der Freihaltung der Seewege in Südostasien im Namen des reibungslosen, freien (kapitalistischen) Welthandels. Es war vor allem ihre z.T. gewalttätige, antikommunistische Politik, unterstützt von den Briten und Franzosen, die die Einführung und Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ermöglichte. Heute sind die südostasiatischen Länder, allen voran die ASEAN-Staaten, vollständig, wenn auch noch vergleichsweise kleine, aber eigenständige Akteure im Welthandel geworden. Der teilweise militärische Rückzug der USA aus der Region ermöglicht den Staaten mehr oder minder selber, unter Ausschluß der jeweils anderen Staaten, aktiv eine Kontrolle über die Seewege auszuüben. Eine Schliessung der Seewege für den internationalen Seeverkehr kann zu Konflikten nicht nur mit Ländern innerhalb der Region Südostasien, sondern auch mit weiter entfernten Ländern wie Japan, Korea oder dem Nahen Osten führen, die auf die Verschiffung ihrer Exportprodukte durch das Malaiische Archipel hindurch angewiesen sind.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei Indonesien zu. Sein Territorium bildet praktisch eine Barriere zwischen Festlandasien und Australien. Ferner ist es mit über 180 Mio. Menschen das größte Land in Südostasien. Die indonesische Regierung kann zum Beispiel allein mit der Schließung der Lombok- und Sunda-Straße für den internationalen Seeverkehr den Welthandel empfindlich treffen. Sie hatte das 1988 bereits einmal mit der Begründung versucht, daß diese beiden Seewege nicht internationales, sondern nationales Gewässer seien.

Probleme um die Straße von Malakka könnte es mit Malaysia und Indonesien geben. Sie können die Durchfahrt leicht kontrollieren. Der rege Schiffsverkehr ist eine Ursache für die wachsenden Umweltbelastungen der Küstengebiete und stellt bei möglichen Unfällen mit Supertankern oder anderen gefährliche Güter transportierenden Schiffen eine große Bedrohung der dort lebenden Bevölkerung dar. Restriktive Maßnahmen zur Eindämmung einer solchen Gefahr dürfen nach geltendem Seerecht die beiden Staaten nicht einseitig ergreifen. So war es vor einigen Jahren umstritten, ob die beiden Staaten einem französischen Frachtschiff, das Plutonium von Europa nach Japan transportierte, die Benutzung der Straße von Malakka zum Schutz ihrer Küsten verbieten dürfte. Die Durchsetzung möglicher Durchfahrtsverbote würden unweigerlich zu einem größeren internationalen Konflikt führen.

Umstritten ist für Indonesien ebenfalls die Zugehörigkeit der Nicobar-Inseln zu Indien. Sie liegen etwa 200 km nördlich der indonesischen Insel Sumatra direkt in der Zufahrt der Straße von Malakka und über 1000 km weit entfernt vom indischen Subkontinent. Immerhin ist Indien nach China die größte asiatische Marinemacht und bei Abzug der US-Marine würde sie faktisch den Indischen Ozean kontrollieren.

Das Südchinesische Meer ist seit Jahren der größte und wohl auch gefährlichste Konfliktherd in der Region Südostasien. Streitpunkt ist die Zugehörigkeit der im nördlichen Teil gelegenen Gruppe der Paracel-Inseln und der mehr im Süden gelegenen Spratly-Gruppe mit über 90 mehr oder minder kleinen Inseln und Riffen. Durch dieses Gebiet führen nicht nur die Seewege nach Ostasien, sondern es ist reich an Fischen und es werden dort auch größere Ölvorkommen vermutet.

China und Vietnam beanspruchen beide Inselgruppen vollständig für sich, einschließlich der dazugehörigen Wirtschaftszonen, was bedeuten würde, daß im Falle von China die Landesgrenze bis auf 5 Kilometer an die Küste von Sarawak rücken würde. China und Vietnam haben bereits einige der größeren Inseln besetzt und z.T. dort Militär stationiert. China hatte 1974 mit militärischen Mitteln Vietnamesen von einer der Paracel-Inseln vertrieben und 1988 von einem kleinem Riff der Spratly-Inseln. Die Anrainerstaaten Malaysia, Brunei und die Philippinen beanspruchen ebenfalls einige der vor ihrer Küste gelegenen Spratly-Inseln und ebenso Taiwan. In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, durch multilaterale Gespräche die Situation zu entschärfen. Trotz allgemeiner Beteuerungen von allen Seiten, man wolle keine kriegerischen Auseinandersetzungen, wird auf den jeweiligen Ansprüchen beharrt. Insbesondere die VR China zeigt in den Gesprächen keinerlei Bereitschaft, ihren alleinigen Anspruch auf beide Inselgruppen auch nur in Frage stellen zu lassen. Sie ist allerdings bereit, über eine gemeinsame wirtschaftliche Nutzung zu verhandeln.

Das Recht auf Beanspruchung einer 200 Meilen Wirtschaftszone entlang der Küste nach dem internationalen Seerecht hat in Südostasien zu einer Reihe von Konflikten geführt und wird auch in Zukunft zu Problemen zwischen den Ländern führen, wie z.B. beim Abbau von Erdgas- und Erdölvorkommen im Golf von Thailand durch Malaysia, Thailand, Kambodscha und Vietnam, oder auch bei den Fischereirechten in der Celebessee (zwischen Borneo, Sulawesi und Mindanao) für philippinische Fischerboote, die erst kürzlich von indonesischem Militär aufgebracht wurden.

Die Kontrolle des Mekong

Von ähnlich geostrategischer Bedeutung wie die Seewege sind einige Flüsse auf dem Festland-Südostasien. Weniger als Verkehrswege so doch als Energiespender durch Staudämme für Industrie und Wasserspender für die Landwirtschaft sind sie meist von existentieller Bedeutung für die Anrainerländer.

So ist der Mekong die wichtigste Wasserquelle für die Landwirtschaft Kambodschas und das südliche Vietnam. Von seiner Quelle im tibetischen Hochland fließt er durch die südchinesische Provinz Yunnan, dann ein Stück entlang der laotisch-burmesischen Grenze, durch Nord-Laos und bildet danach die Grenze zwischen Thailand und Laos, bevor er Kambodscha durchquert, um an der südlichen Spitze Vietnams in einem weitverzweigten Delta ins Südchinesische Meer zu fließen. Stauung und Abzweigung des Wassers des Mekong sowie seiner Zuflüsse können verheerende Wirkungen auf die unterhalb gelegenen Regionen haben. China plant in Yunan mehrere Staudämme zur Elektrizitätsgewinnung. In Thailand gibt es bereits umfangreiche Pläne zur Umleitung des Wassers einiger Mekong-Zuflüsse5. Zusammen mit Laos sollen noch weitere Staudämme entlang der gemeinsamen Grenze gebaut werden. Die Nutzung des Mekong kann in Zukunft noch zu erheblichen Konflikten unter den Ländern führen. Um solchen Konflikten vorzubeugen bzw. gemeinsames Vorgehen bei der Nutzung des Mekong zu erreichen wurde bereits in den 60er Jahren auf Initiative der UN ein Mekong Komitee gegründet, dem alle Anliegerstaaten bis auf China, das z. Zt. nur einen Beobachterstatus hat, angehören.

Grenzkonflikte und Territorialansprüche

Territorialansprüche der Regierungen in Südostasien entlang der Grenzen bergen zum Teil ein erhebliches Potential für kriegerische Auseinandersetzungen in sich. Sie sind nicht nur Resultat einer sehr willkürlichen Grenzziehung in der Kolonialzeit, sondern die Ansprüche werden häufig auch noch aus vorkolonialen Eroberungen bzw. Besetzungen abgeleitet, obgleich es damals noch keine Nationalstaaten mit entsprechend definiertem nationalem Territorium gab. Zum offenen Ausbruch kamen diese in der Nachkriegszeit lediglich in Vietnam im Norden mit der VR China sowie im Süden mit Kambodscha.

Die Bildung der Föderation Malaysias 1963 auf Betreiben der Briten und ihrer Verbündeten, mit der die Entlassung der britischen Kolonien Nordborneo (heute Sabah), Sarawak und Singapur in die Unabhängigkeit erfolgte, hatte zu heftigem Widerstand seitens Indonesiens geführt. Umstritten ist aktuell die Zugehörigkeit von den Inseln Ligitan und Sipadan vor der Küste von Sabah an der Grenze zu Indonesien. Ferner beanspruchen die Philippinen Sabah als Teil des einstmaligen Sulu Sultanats. Allerdings hat die philippinische Regierung erhebliche Schwierigkeiten, die muslimischen Moros auf Mindanao im Süden der Philippinen in ihren Staat zu integrieren6.

Die Grenzziehungen auf dem Festland Südostasiens verlaufen durch Siedlungsgebiete von Volksgruppen derselben ethnischen Herkunft und kulturellen Tradition. Das ist insbesondere in Thailand zu beobachten. In den vier südlichen Provinzen leben muslimische Malaien, im Grenzgebiet zu Kambodscha Khmer, im Nordosten Laoten, im Norden und entlang der westlichen Grenze Volksgruppen aus Burma. Lediglich unter den Malaien in Südthailand gab und gibt es größere Unzufriedenheit, die in den 70er Jahren auch im bewaffneten Kampf der Patani United Liberation Organisation für ein unabhängiges, islamisches Patani zum Ausdruck kam. Bisher wurden allerdings von Seiten der Regierung Thailands und Malaysias die Grenzziehungen nicht in Frage gestellt. An der langen Grenze zu Laos gibt es allerdings noch mehrere Streitfälle über den Grenzverlauf.

Zwischen Vietnam und Kambodscha hat sich Ende der 70er Jahre ein regelrechter Krieg um den »richtigen« Grenzverlauf entwickelt, der 1979 schließlich zum Einmarsch Vietnams nach Kambodscha geführt hatte.

Der unterschiedliche Umgang mit militanten Organisationen, die zum Teil militärisch in den Grenzgebieten operieren und Thailand bzw. das Nachbarland als Rückzugs- und Nachschubgebiet benutzen, führte häufiger zu erheblichen Spannungen zwischen der thailändischen Regierung und den der Nachbarländer. So hat z.B. zur Zeit die stillschweigende Duldung von Operationen der Roten Khmer, insbesondere die Kanalisierung des Nachschubs über thailändisches Territorium durch das thailändische Militär, zu starken Verstimmungen zwischen Thailand und Kambodscha geführt. In den 70er und 80er Jahren gab es häufiger Spannungen zwischen Thailand und Malaysia. Die Politik der thailändischen Behörden gegenüber der von Thailand aus operierenden Kommunistischen Partei Malaysias (MCP) einerseits sorgte ebenso für Verstimmungen, wie andererseits das Verhalten der malaysischen Behörden gegenüber der z.T. von Malaysia aus operierenden PULO (Pattani United Liberation Organization).

Stabilität und Legitimität der Staaten Südostasiens

Zu den Problemen der Staaten untereinander kommt die soziale und politische Instabilität in den einzelnen Länder hinzu. Deutlich wird am Beispiel Kambodschas, daß die Instabilität eines Landes zu erheblichen Spannungen in der Region führt. Flüchtlinge aus einem Land in die Nachbarländer schaffen unvorhersehbare Spannungen, die, verquickt mit anderen Konfliktpotentialen, explosive Wirkungen zeigen können. So hat der bewaffnete Kampf des Moro Volkes um Selbstbestimmung in Südphilippinen zu einem Flüchtlingsstrom nach Sabah (Malaysia) geführt und somit Malaysia in den Konflikt indirekt miteinbezogen. Ebenso mußten die ASEAN-Länder mit den Flüchtlingen, den sogenannten »boat-people«, aus Vietnam fertig werden.

Schon seit der Unabhängigkeit vom britischen Kolonialismus ist die territoriale Integrität Burmas durch den Kampf um Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit der nicht-burmesischen Volksgruppen in Frage gestellt. Die Legitimität des Staates wie auch seiner regierenden Militärjunta ist seit ihrer Ignorierung des Ergebnisses der freien Wahlen vor 5 Jahren weiter in Frage gestellt. Hierzu entwickelten die ASEAN-Staaten sehr langsam und zögerlich eine gemeinsame Haltung.

Noch schwerer fällt es den Regierungen der südostasiatischen Länder, auf Indonesiens Besetzung von West-Papua, Osttimor und den immer wieder erneut aufbrechenden Konflikt in Aceh/Sumatra zu reagieren. Auch wenn sie diese Konflikte als »innere Angelegenheiten« von Indonesien erklären, sind sie dennoch von den Auseinandersetzungen darum betroffen. Einerseits könnten die »internen Probleme« den größten Staat Südostasiens mit unabsehbaren Folgen destabilisieren; andererseits stehen sie unter dem Druck einer internationalen Öffentlichkeit, die die Legitimität des indonesischen Vorgehens in Frage stellt.

Kooperation

Bei der hier nur oberflächlich geschilderten komplizierten »Gemengelage« von verschiedenen Konfliktfeldern muß man fragen, ob und wie diese durch welche Art der multilateralen und bilateralen Kooperation abgebaut werden können.

Die z.T. erzwungene Einbettung in das weltweite Sicherheitssystem während der Blockkonfrontation löst sich auf, und die in der Zeit schon geschaffene regionale Zusammenarbeit muß sich bewähren. ASEAN, erfolgreich nach 3 mißlungenen vorangegangen Versuchen 1967 gegründet, ist das wichtigste regionale Bündnis ohne außerregionale Mitglieder, welches die vorhandenen Konfliktpotentiale mindern und neutralisieren sowie Stabilität und Sicherheit fördern sollte, zugunsten der Entwicklung der einzelnen Länder. Dabei gibt es bisher keinerlei Form der multilateralen militärischen Zusammenarbeit, was nicht bedeutet, daß es keine punktuelle militärische Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Staaten aufgrund von bilateralen Vereinbarungen gibt, insbesondere auf dem Gebiet der Aufstandsbekämpfung. Es bestehen auch keinerlei Absichten eines engeren Zusammenschlusses, wobei die nationalen Souveränitätsrechte an das Bündnis abgegeben würden.

Wirkungsvoll wurde ASEAN als politisches Konsultationinstrument für die Mitgliedsländer angesichts der Niederlage der USA in Kambodscha, Vietnam und Laos. Das schlug sich insbesondere in einer gemeinsamen Haltung gegenüber Vietnam in der Flüchtlingsfrage und der Besetzung Kambodschas nieder. Wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde zwar offiziell immer sehr groß geschrieben, hatte aber bisher praktisch kaum Bedeutung für die Volkswirtschaften dieser Länder7. Die eingangs erwähnte Bildung des ARF scheint die Tendenz der Ausrichtung ASEANs zu bestätigen. Aber mit dem rapiden wirtschaftlichen Wachstum einiger ASEAN-Länder gewinnt die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung.

Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft

Anders als noch vor 20 Jahren hat die nun vollständige Integration so ziemlich aller Länder in die kapitalistische Weltwirtschaft eine gemeinsame ökonomische Grundlage geschaffen, nämlich den Auf- und Ausbau einer kapitalistischen Wirtschaft mit gleicher Produktionsweise und Konsumstruktur. Ein integraler Bestandteil dieses Systems sind die wirtschaftlichen Außenbeziehungen, nicht zuletzt auch zu den Nachbarländern. Sie werden zu Kunden und Lieferanten, die den eigenen wirtschaftlichen Erfolg sichern helfen, sie werden aber auch zu Konkurrenten auf dem regionalen und Weltmarkt, die den wirtschaftlichen Erfolg bedrohen.

Die ungehemmte wirtschaftliche Expansion erfordert eine Öffnung der Grenzen für Waren, Kapital und Arbeitskräfte. Wenn auch das Volumen des Handels zwischen den ASEAN-Ländern vergleichsweise niedriger ist als der mit den USA, West-Europa und Japan, so wächst es in den letzten Jahren doch stetig. Ebenso investieren Banken und kapitalstarke Unternehmen gegenseitig in den Nachbarländern und bilden sogenannte »joint ventures«.

Aber mit dem Wachstum wächst auch die Konkurrenz, die möglicherweise neue Konflikte auf anderen Ebenen schafft. Eines dieser Konfliktfelder ist der vom Konsumenten gewollte und von den Produzenten gefürchtete Freihandel, damit die Region sich besser auf dem Weltmarkt behaupten kann. Seit 1993 gibt es die ASEAN Freihandelzone (AFTA), die schrittweise den freien Warenverkehr zwischen den ASEAN-Staaten ermöglichen soll. Damit nicht die jetzt bereits wirtschaftlich stärksten innerhalb AFTA am meisten davon profitieren werden, ist dieser Prozeß sehr langwierig und es gibt umfangreiche Listen, in denen die Produkte genannt sind, die die Länder aus dem Freihandel herausnehmen8. Erst im Jahr 2008 sollen für alle Produkte die Zölle innerhalb der ASEAN fallen.

Die Wachstumsregionen

Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit findet in den letzten Jahren immer verstärkter zwischen Privatunternehmen und bestimmten, unmittelbar benachbarten Regionen verschiedener Länder statt, die von den jeweiligen Regierungen durch Infrastrukturprojekte gefördert wird. Seit einigen Jahren gibt es eine Reihe von sogenannten »Wachstumsdreiecken« in Südostasien, in denen eine über die jeweiligen Landesgrenzen hinausgehende wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden soll.

Das bekannteste und bisher am weitesten entwickelte ist »SiJoRi« (Singapur, Johore, Riau) an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel mit Malaysia, Singapur und Indonesien9. Hier soll eine Industrie- und Dienstleistungsregion entstehen, mit Singapur in der Mitte, dessen Expansionsmöglichkeiten durch die Begrenzung von Land und Bevölkerung eingeschränkt werden. Indonesien kann Land, Arbeitskräfte und Rohstoffe liefern, ebenso Malaysia, während Singapur Kapital, Technologie und Marketing Know-how einbringt. An dieser Zusammenarbeit wird wohl auch die politische Intention des kleinen, aber wirtschaftlich so erfolgreichen Stadtstaates deutlich: Um der Gefahr zu entgehen, von den großen Nachbarländern »erdrückt« zu werden, bindet er sie in seine weiteren Entwicklungsplänen und Erfolge mit ein, so daß diese keinerlei Interesse daran haben können, daß Singapur bedroht wird.

Das Modell der Wachtumsdreiecke hat Schule gemacht. Seit einem Jahr wird ein nördliches Wachstumsdreieck bestehend aus der Nordspitze von Sumatra, Nord-Malaysia und Südthailand in Angriff genommen10. Im März dieses Jahres wurde in Davao City auf Mindanao in den Philippinen ein Protokoll zur Bildung einer Ost-ASEAN Wachstumsregion unterzeichnet, welche die philippinische Insel Mindanao, Borneo mit dem indonesischen West- und Ost-Kalimantan, dem malaysischen Sarawak und Sabah und den Öl-Staat Brunei sowie die indonesischen Inseln Sulawesi und Molukken einbezieht11. Thailand projektiert im Nordosten eine Wachstumsregion zusammen mit Laos, Vietnam und Kambodscha, wozu als Voraussetzung der Ausbau des Straßennetzes in Angriff genommen wird. Ähnliches entwickelt sich zwischen Thailand, Burma, China und Laos.

Auffälligerweise befinden sich alle gemeinsamen »Wachstumsregionen« in den Gebieten, in denen z.T. gleich mehrere Konfliktfelder vorhanden sind, so etwa im nördlichen Wachstumsdreieck (Ace, Thai-Muslime) und in der östlichen Wachstumsregion (Moro, Sabah-Frage). Wirtschaftswachstum einhergehend mit einem höheren Lebensstandard auf allen Seiten der Grenzen in Abhängigkeit voneinander soll und könnte bestimmte Konfliktpotentiale zwischen den Nationen mildern oder gar abbauen. Unklar bleibt jedoch, inwiefern die kapitalistische Wirtschaftsform nicht neue soziale Konflikte schafft, wenn der bessere Lebensstandard einige soziale Schichten nicht erreicht. In solch einem Fall würde allerdings die Frontlinie nicht zwischen den Staaten, sondern den sozialen Klassen quer zu den Grenzen liegen. Die Regierungen könnten dann wieder auf ihre langjährige Zusammenarbeit bei der Aufstandsbekämpfung zurückgreifen.

Gemeinsame »think-tanks« zur Analyse und Vorbeugung

Parallel zum wirtschaftlichen Wachstum der letzten Jahre entwickelt sich ein reger Gedanken- und Meinungsaustausch unter exponierten Persönlichkeiten und Experten der verschiedenen Länder auf unterschiedlichen Ebenen. Es werden Foren veranstaltet, auf denen sich hochrangige Politker über die Zukunftsperspektiven der Region auslassen. Asia Society, Singapurs Institute for Policy Studies und Dow Jones & Co., der Herausgeber der Far Eastern Economic Review, veranstalteten in Singapur vom 17.-19. Mai dieses Jahres eine Konferenz zum Thema „Wellen der Zukunft: ASEAN, Vietnam und China“. Dort äußerten sich Pemierminister oder ihre Stellvertreter mit Visionen, Analysen, Reflektionen und Warnungen12. Es gibt Kolloquien, Konferenzen und Seminare auf weniger hochrangiger Ebene, wie etwa in Manila vom 16.-17.1.94 das ASEAN-Colloquium über Menschenrechte, gemeinsam veranstaltet von den verschiedenen – von staatlicher Seite unterstützten – Instituten für Strategische und Internationale Studien aus den ASEAN-Ländern13.

Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und politischen Persönlichkeiten aus verschiedenen ASEAN-Ländern kann auch Ausdruck bestimmter Denkrichtungen sein, von denen aus Anstöße gegeben werden sollen. So wurde am 7.6.94 gleichzeitig in Bangkok und Kuala Lumpur eine Erklärung mit der Überschrift „Southeast Asia beyond the Year 2000, a Statement of Vision“ veröffentlicht, die Ende Mai 19 Wissenschaftler und Politiker aus Thailand, Malaysia, den Philippinen, China, Indonesien, Burma, Vietnam, Kambodscha, Laos und Singapur in Manila ausgearbeitet hatten14. Die Zusammenarbeit von »think tanks« und Wissenschaftlern im Raum Asien/Pazifik ist in den letzten Jahren ebenfalls entstanden; diese werden von einigen Beobachtern euphorisch als Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NRO) gesehen15. Sie stellen einen öffentlichen Meinungsbildungsprozeß zu internationalen Fragen dar, der durchaus von offiziellen Regierungsmeinungen und -politik abweichen kann.

Aber nicht nur auf der mehr oder minder »offiziösen« Ebene entwickelt sich ein öffentlicher Gedankenaustausch und eine Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg. Schon seit mehreren Jahren versuchen basisbezogene NROs eine Vernetzung über die nationalen Grenzen hinweg zu organisieren. Häufig sind diese Vernetzungsaktivitäten in internationale oder gesamtasiatische Aktivitäten eingebettet und zum Teil zufällig. Konferenzen sind meist ein isoliertes Ereignis, dem selten kontinuierlicher, institutionalisierter Kontakt und eine Zusammenarbeit folgen. Mangelnde Erfahrungen bei internationaler Zusammenarbeit, Unkenntnisse über die Nachbarländer und unterschiedliche Sprachen und politische Kulturen erschwerten das bisher.

Aber die persönlichen Erfahrungen einer wachsenden Zahl von NRO-Aktivisten in der Begegnung mit sozial und politisch aktiven Menschen aus anderen Ländern führten zu einer zunehmend verbindlicheren Zusammenarbeit verschiedenartiger NROs innerhalb der Region Südostasien sowie Asien/Pazifik. Die UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 war z.B. Anlaß für eine verbindlichere und kontinuierliche Vernetzung entsprechender Organisationen aus dem Raum Asien-Pazifik, die nicht nur vor dem Ereignis stattfand, sondern auch weitergeführt worden ist. Ausdruck davon war u.a. auch die Osttimor Konferenz in Manila Ende Mai, welche die indonesische Regierung so erzürnt hat. Ferner veranstalteten anläßlich der oben erwähnten ASEAN-Außenministerkonferenz in Bangkok thailändische Menschenrechtsorganisationen ein »Seminar« unter Beteiligung von Gästen aus dem ASEAN-Ländern mit dem Titel „Southeast Asian NGOs Forum on Human Rights and Development“, wo auch die Themen Osttimor und Burma behandelt wurden.

Notwendigkeit der Öffnung und Zusammenarbeit

Südostasien als wirtschaftliche Wachstumsregion völlig im Einklang mit der bestehenden (kapitalistischen) Weltwirtschaftsordnung wird die bestehenden Konfliktpotentiale unter Kontrolle bekommen müssen, will es nicht seine wirtschaftlichen Erfolge aufs Spiel setzen. Nicht nur die Regelung von Konflikten und Wahrung von Sicherheit und Stabilität machen eine engere Zusammenarbeit untereinander notwendig, sondern vor allem auch das Wirtschaftssystem verlangt eine Öffnung der Grenzen für einen möglichst ungehinderten Waren und Kapitalverkehr. Die Regierungen der Staaten werden stückweise Teile ihrer nationalen Souveränität zu Gunsten einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit abgeben und gleichzeitig versuchen, für sich dabei die möglichst günstigsten Bedingungen herauszuschlagen. Ob diese Zusammenarbeit der breiten Bevölkerung mehr Nutzen als Schaden bringt, ist noch nicht abzusehen.

Steigerung der Rüstungshaushalte 1989-1993
Malaysia + 67%
Indien + 60%
Singapur + 53%
VR China + 49%
Südkorea + 40%
Nordkorea + 39%
Japan + 30%
Vietnam + 25%
zum Vergleich: USA – 21%
Quelle: Asian Defence Journal 6/94, nach:
BUKO – Kampagne »Stoppt den Rüstungsexport«: Schattenseiten Südostasiens.
Rüstung und Militarisierung der ASEAN-Länder. August 1994. (Auszüge)

Der Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen aus »südostasien informationen«, Nr. 3, Jg. 10, September 1994.

Anmerkungen

1) Als Dialogpartner waren die USA, Australien, Kanada, Neuseeland, die Europäische Union (vertreten durch den deutschen Außenminister Kinkel), Südkorea und Japan anwesend. Als Gäste geladen waren die VR China, Rußland, Vietnam, Laos und Papua Neuguinea. Zurück

2) Offizielles Gründungsjahr ist 1967. Zurück

3) Vgl. u.a. Schwerpunktheft Südostasien Informationen Nr. 4/1985 »Regionale Konflikte in Südostasien«. Zurück

4) Vgl. auch R. Kahrs, Waffen für ein Vakuum. Deutsche Rüstungsexportinteressen in Fernost, in: südostasien informationen (SOAI), 4/93, S.4-7. Zurück

5) Vgl. Regina von Reuben, Thailands Elektrizitätswerk rüstet zum Wasserkrieg, in: SOAI , 2/94, S.35-38. Zurück

6) Vgl. u.a. R. Werning, Zwischen Autonomie und Sezession: die Moros in den Südphilippinen, SOAI 4/85, S.50ff. Zurück

7) Vgl. W. Pfennig, ASEAN: Durch regionale Zusammenarbeit zu mehr Sicherheit und besserer Entwicklung? in: R. Dürr/R. Hanisch (Hrsg.), Südostasien – Tradition und Gegenwart, Braunschweig 1986, S.114ff; K.-A. Pretzell, Der Weg der ASEAN, in: Südostasien Aktuell, März 1994, S.159ff. Zurück

8) Vgl. Peter M. Ungprakorn, Barriers must go – yours first, in: Bangkok Post Mid-Year Review 1994, 30.6.94, S. 20. Zurück

9) Vgl. SOAI, Nr. 1/94 S.48ff. Zurück

10) Vgl. SOAI, Nr. 1/94, S.42. Zurück

11) Vgl. Asiaweek (Honkong), 15.6.94, S.41ff. Zurück

12) Vgl. Far Eastern Economic Review (Hongkong), 2.6.94, S.20f. Zurück

13) Bonn ASEAN Committe Newsletter, No. 38, 1994, S.8f. Zurück

14) Vgl. Bangkok Post (weekly oversea edition), 17.6.94. Zurück

15) Vgl. Far Eastern Economic Review (Hongkong), 30.6.1994, S. 29. Zurück

Peter Franke ist Mitarbeiter der Südostasien Informationsstelle und verantwortlicher Redakteur von »südostasien informationen«.

Das Spiel mit der Angst um Arbeitsplätze

Das Spiel mit der Angst um Arbeitsplätze

Rüstungsoffensive statt Rüstungskonversion im Vereinigten Deutschland*

von Hendrik Bullens

Damit im folgenden keine Mißverständnisse entstehen, das Wichtigste und Nichtselbstverständliche zuerst: Die Blockkonfrontation und die jahrzehntelang drohende Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung gehören weitgehend der Vergangenheit an. Die NVA wurde aufgelöst, die reale Friedensstärke der Bundeswehr wird bald bei 340.000 Mann liegen, und nach dem KSE-Vertrag hat Deutschland bis Ende 1995 10.000 Hauptwaffensysteme zu vernichten.

Wer aber die Erwartung hatte, daß sich mit dem Ende des Kalten Krieges hierzulande die Rüstungsdynamik dauerhaft umkehren würde, sieht sich heute getäuscht: Verglichen mit dem Abrüstungs- und Demilitarisierungsprozeß in den ehemaligen Warschauer Paktstaaten sind die entsprechenden Leistungen der einzelnen NATO-Länder eher bescheiden geblieben; gleichwohl werden sie maßlos übertrieben – gerade was die Folgen für Deutschland betrifft.

Schenkt man den Tagesmeldungen Glauben, so muß der Eindruck entstehen, daß eine rigorose materielle und fiskalische Abrüstung die nationale Rüstungsindustrie um ihre Existenz, die Bundeswehr an den Rand ihrer Verteidigungsfähigkeit und die Bundesrepublik um ihre bündnispolitische Glaubwürdigkeit zu bringen droht. In Wirklichkeit jedoch ist eine über die Vorgaben der VKSE und der Moskauer Vereinbarungen zur deutschen Vereinigung hinausgehende strukturelle Abrüstung nicht in Sicht.

Vieles weist darauf hin, daß Deutschland im Windschatten der Ost-West-Entspannung und trotz wachsender Nord-Süd-Instabilität seitdem in einen neuartigen Rüstungswettlauf eingestiegen ist: in ein hochtechnologisch-wirtschaftliches Wettrüsten, das, anders als früher, nicht mehr vom Streben nach militärischer Überrundung des großen Gegners Ost, sondern jetzt von der Konkurrenz zwischen den NATO-Ländern um Marktanteile und Systemführerschaft vorangetrieben wird. Entsprechend geht es nach einer Phase der Umstrukturierung spätestens seit 1993 um eine breit angelegte Rüstungsoffensive, die sowohl eine Konsolidierung der nationalen rüstungsindustriellen Basis und neue Finanzierungsstrategien für neue Rüstung als auch die internationale Verflechtung und die Rüstungsausfuhren umfaßt1. (…)

Die deutsche Rüstungsindustrie vor dem Aus?

Um in der Öffentlichkeit die Akzeptanz für Ziele dieser Kampagne zu erhöhen und mögliche Bedenken bei den politischen Entscheidungsträgern zu zerstreuen, werden von Seiten der Industrie und Regierungskoalition, sowie von einer politikberatenden Wissenschaftslobby unter anderem die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Abrüstung zunehmend ausgespielt: Ein enormer Auftragsrückgang, Know-how-Verlust, Kapazitäts- und Arbeitsplatzabbau in der Rüstungsindustrie bedrohe nicht bloß sie, sondern den Wirtschaftsstandort Deutschland überhaupt.

Nach dem Bekanntwerden des Haushaltsentwurfs '94 mit einem BmVg-Budget von 48,6 Mrd. DM und einem investiven Anteil von 21,46% gab z.B. die Deutsche Aerospace (DASA) im September '93 bekannt, bis Ende 1996 16.000 von rund 80.000 Arbeitsplätzen abzubauen und mindestens fünf deutsche Werke zu schließen. Keine leere Drohung, aber daß es sich dabei weniger um den Rüstungssektor als vor allem um den krisengeschüttelten zivilen Airbusbereich handelte, ging in der panikartigen Diskussion meist unter. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vom 6./7. November '93 sah BDLI-Präsident Piller bei dieser Entwicklung in 1995 nur noch 10-20% der Rüstungsfertigungskapazitäten von 1990 vorhanden und unterstrich, worauf es in dieser schweren Stunde ankäme: Ohne Änderung der Rüstungsexportpolitik „… wird es die deutsche Wehrtechnik schon bald nicht mehr geben“. Zugleich erteilte er der Umstellung von militärischer auf zivile Produktion eine definitive Absage: „… Konversion ist für mich ein Schlagwort, das sich in der Realität nicht durchsetzen läßt“ (ebd.).

Laut Bonner „Institut für Strategische Studien“ 2, wurden die 280.000 Arbeitsplätze „(…) in (sic!) der deutschen wehrtechnischen Industrie“ schon vor 1994 um 100.000 abgebaut; bis Ende 1994 würde die Beschäftigtenzahl um weitere 40.000 bis 60.000 auf 140.000 oder weniger gesunken sein – also mindestens eine Halbierung innerhalb von vier Jahren. Deshalb seien 70 Prozent aller wehrindustriellen Standorte von Schließung bedroht, und „… viele der wehrtechnischen Fähigkeiten werden unwiederbringlich verloren sein; eine nationale Aufwuchsfähigkeit, Rekonstitution der wehrtechnischen Industrie (Fähigkeit zur raschen Erhöhung laufender Produktion einschließlich der Beschaffung von Neuentwicklungen; d.V.) wird dann nicht mehr gegeben sein“ (ebd.). Vom Staatssekretär beim Bundesverteidigungsministerium, Jörg Schönbohm, wurden die Abbauzahlen noch überboten: „Durch den Rückgang der Bundeswehraufträge seit 1991 hat ein Schrumpfungsprozeß eingesetzt, dem bis Ende 1993 ca. 140.000 (…) Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sind;“ zusammen mit den bereits genannten 40.000 bis 60.000 zusätzlich bedrohten Arbeitsplätzen kam er so auf ein Beschäftigungsminus von 200.000 bis Ende 19953. Dem Vorsitzenden der CDU/CSU Arbeitsgruppe Außenpolitik im Bundestag, Karl Lamers, blieb schließlich die Ehre, den Vogel abzuschießen: 280.000 Arbeitsplätze wären in den vergangenen vier Jahren verloren gegangen (so die entsprechende Pressemeldung4) – demnach gäbe es die deutsche Rüstungsindustrie bereits heute nicht mehr.

Eine derartige Dosis an Drohung und Desinformation verfehlte ihre Wirkung freilich nicht; die bevorstehende Änderung der Außenwirtschaftsbestimmungen zur Lockerung der Rüstungs- und Dual-use-Exportkontrollen5, die entsprechenden Bundestagsdebatten, die mittelfristige Finanzplanung sowie die Haushalts- und Strukturplanungen des BmVg belegen, daß die Rüstungsoffensive heute kurz vor ihrem Ziel steht.

Rüstungsausgaben und verteidigungsinvestive Ausgaben

Das vorliegende Datenmaterial bietet Anlaß, einige Desinformationen und Halbwahrheiten zu korrigieren, die sich mittlerweile – und kaum widersprochen – auch im parlamentarischen Raum festgesetzt haben: Die nachfolgende Tabelle 1 bietet einen Überblick über die zum Zeitpunkt der Vorlage des Regierungsentwurfs Haushalt '94 (Juli 1993) gültigen Sollwerte für das BmVg-Budget 1993 und die Planungen bis 1997. Dabei werden die verteidigungsinvestiven Ausgaben (neben den Betriebsausgaben die zweite Hauptgruppe im Einzelplan 14, dem Haushalt des BmVg) von den Rüstungsausgaben unterschieden: Zwar wird in den Medien fast immer Bezug genommen auf die investiven Ausgaben, maßgebend sind jedoch die Rüstungsausgaben. Letztere sind nicht nur anders zusammengesetzt, sondern auch höher; im Verteidigungshaushalt werden sie nicht als solche ausgewiesen, sondern müssen eigens berechnet werden. Zählt man korrekterweise die in den verteidigungsinvestiven Ausgaben enthaltenen Bau- und Infrastrukturinvestitionen nicht mit und rechnet dafür die Mittel für wehrtechnische Materialerhaltung (v.a. Instandsetzung, Ersatzteile, Kampfwerterhaltung und Kampfwertsteigerung) aus der Gruppe der Betriebsausgaben dazu, dann ergibt sich daraus die rüstungsindustriell relevante Größe, die eigentlichen Rüstungsausgaben: Forschung-Entwicklung-Erprobung (F&E), Beschaffungen sowie Materialerhaltung und Betrieb. Diese Einzelposten sind in der Tabelle 1 ebenfalls aufgeführt.

Rückgang der Rüstungsausgaben (Inlandsnachfrage) seit 1989

Unter den Titelgruppen F&E, Beschaffungen und Materialerhaltung/Betrieb fallen im wesentlichen die Aufwendungen für Kampf-, Luft- und Seefahrzeuge, Waffen und Munition, militärische Pkw und Lkw und sonstiges wehrtechnisches Gerät wie Pioniermaterial oder militärische Nachrichtentechnik; andere Betriebsausgaben wie z.B. für Bewirtschaftung und Betriebsstoffe (1993 knapp 8 Mrd. DM) sind hier nicht enthalten. Sieht man der Einfachheit halber von bestimmten Feinkorrekturen ab9, dann bestimmt die so berechnete Inlandsnachfrage nach »harten« Wehrgütern die Auftragslage und Beschäftigungswirkung in der wehrtechnischen Industrie – freilich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung oder Schwankungen in der Abrechnung und ohne Berücksichtigung der Rüstungsexporte.

Vergleicht man nun die Ist-Rüstungsausgaben von 1989 in Höhe von 19,26 Mrd. DM10 mit den voraussichtlichen Aufwendungen für 1993 bis 1997 nach Tabelle 1 dann ergeben sich daraus die folgenden Veränderungen (Tab. 2):

Wie ersichtlich

  • beträgt die tatsächliche Abnahme der Rüstungsausgaben bis Ende 1993 (verfügbares Soll) verglichen mit den Ausgaben des Jahres 1989 demnach höchstens 25,9%: also ein gutes Viertel innerhalb von vier Jahren – nicht weniger, aber auch nicht mehr;
  • liegt der voraussichtliche Rückgang in 1994 knapp unter und 1995 knapp über einem Drittel; dann ist die Talsohle durchschritten, und ab 1996 soll es – insbesondere mit den Beschaffungen – wieder aufwärts gehen;
  • wird sich das Niveau der Rüstungsausgaben 1997, acht Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, auf zwei Drittel des Standes von 1989 eingependelt haben – Tendenz steigend.

Das bedeutet zum einen, daß davon abweichende Hinweise – etwa auf den größeren Rückgang bei Neubeschaffungen bis zu 60% und angeblich noch mehr bei den Fertigungskapazitäten – zwar partiell zutreffen können, aber dennoch das Gesamtbild tendenziös verzerren. Zum anderen ist den vorliegenden Zahlen zu entnehmen, daß die Abwärtsbewegung ab 1993 von vorübergehender, relativ kurzer Dauer sein wird – und keineswegs, wie oft suggeriert, einen sich fortsetzenden Trend signalisiert.

Beispielsweise hat deshalb auch der Rückgang der investiven Ausgaben auf 10,05 Mrd. DM bis 1995 nicht jenen dramatischen Effekt, wie der vielzitierte, dann auf 21,15% gesunkene Wert (Anteil am EPl 14-Plafond) suggerieren soll. So zeigt ein Vergleich mit Tabelle 1 erstens, daß der Rüstungsanteil am BmVg-Budget 1995 knapp 26% beträgt, um 1997 wieder auf fast 27% anzusteigen; und zweitens, daß die Rüstungsausgaben im Zeitraum 1994 – 1997 durchschnittlich um rund 2,5 Mrd. DM über dem Niveau der investiven Ausgaben liegen. Personaleinsparungen (wie z.B. die Anfang 1994 beschlossene Verkleinerung der Bundeswehr auf 340.000 Mann11) sollen u.a. zugunsten der Rüstungsausgaben umgeschichtet werden, so daß diese 1996 bei rund 14 Mrd. DM liegen werden. Der gerade vorgelegte Finanzplan sieht für das Jahr 2000 eine Steigerung des investiven Anteils auf 30% vor – rund 15 Mrd. DM.

Ausmaß der verringerten wehrtechnischen Kapazitäten seit 1989

Ohne Zweifel sind existenzbedrohende Konsequenzen für einzelne hochgradig rüstungsabhängige und überdurchschnittlich betroffene Betriebe oder v.a. für Zulieferer durchaus denkbar oder bereits eingetroffen. Aber daß sie für den gesamten wehrtechnischen Sektor gelten sollen, ist nach der Datenlage nicht nachvollziehbar; auch treffen sie für die großen Systemführer nicht zu. Wohlgemerkt ist hier nur die Inlandsnachfrage berücksichtigt, während das zweite Auftragsstandbein, die Rüstungs- und Dual-use-Exporte, sogar noch außer Betracht blieb: fast 40 Mrd. DM in 1993, davon 13 Mrd. für reine Rüstung.

Umfang des Arbeitsplatzabbaus in der Wehrtechnik seit 1988/89

Geht man, wie üblich, gemäß der Input-Output-Analyse des Ifo-Instituts von 1991 für das Basisjahr 198812 (eine aktuellere Untersuchung liegt nicht vor) von einer Beschäftigungswirkung durch die Bundeswehrnachfrage nach »harten Wehrgütern« in Höhe von 163.000 Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie aus (nicht von 280.000, wie fälschlicherweise meist zu lesen ist, denn diese Zahl enthält die nicht tangierten Export- und Einkommensmultiplikator-Effekte!), so ergibt sich aus der seitdem erfolgten Abnahme der Rüstungsinlandsnachfrage zunächst ein rechnerischer Stellenabbau in einer Größenordnung von 48.000 (Ende 1993) bis 56.000 (1997). Wegen des Einflusses zusätzlicher Faktoren kann das Beschäftigungs-Minus zwar etwas höher ausfallen; jedoch scheinen Angaben zwischen 100.000 und 200.000 aus den genannten Gründen erheblich zu hoch angesetzt13. Das schließt freilich nicht aus, daß ein Arbeitsplatzabbau über 48.000 bis 56.000 hinaus dennoch stattgefunden haben könnte oder noch stattfinden wird. Aber dies wäre dann nicht die Folge der gesunkenen Bundeswehrnachfrage, sondern von anderen, ohnehin seit längerem erfolgenden Rationalisierungs-, Umstrukturierungs- und Verlagerungsmaßnahmen in Rüstungsunternehmen – oder auch von Auftragseinbrüchen in ihren zivilen Bereichen, falls das daraus entstandene Beschäftigungsminus unerlaubterweise zum Teil mitgerechnet wurde.

Solange seriöse und detailliert das Gegenteil belegende Untersuchungen nicht vorgelegt werden – Verweise auf »Hochrechnungen des BDI« sind dazu nicht ausreichend –, gibt es daher allen Grund, davon auszugehen, daß es sich bei den erwähnten Atrophiewerten eher um Zweckbehauptungen denn um nachprüfbare Fakten handelt. Daß sie fast widerspruchslos Eingang in die Parlamentsdebatten gefunden haben, ist mehr als bedenklich; und daß sie unlängst vom BmVg-Staatssekretär Schönbohm14 mit Dank an die „… verantwortlichen Industriellen“ für den „… nahezu geräuschlosen Arbeitsplatzabbau“ (sic!) willig wiederholt wurden, macht die Angelegenheit peinlich dazu. Als politische Orientierungsdaten sind solche dubiosen Meldungen jedenfalls irreführend und ungeeignet. Folglich besteht ein wichtiger Klärungs- und Forschungsbedarf, zumal es hier um politische Entscheidungen von großer Tragweite geht.

Gesunkene Rüstungsausgaben ohne Rüstungskonversion

Es waren kaum sicherheitspolitische Neukonzeptionen und noch weniger friedenspolitische Erwägungen als vielmehr die finanziellen Zwänge, die zu den Kürzungen des Verteidigungshaushalts führten. Zwar war die Verkleinerung der neuen Bundeswehr auf 370.000 Mann der in Moskau ausgehandelte Preis für die staatliche Vereinigung und Wiedererlangung der vollen Souveränität; aber unter den veränderten Bedingungen (Kosten der Einheit, Wirtschaftskrise, öffentlicher Schuldenberg) wäre die alte Friedensstärke ohnehin nicht mehr finanzierbar gewesen – ebensowenig wie neue Rüstung in früherem Umfang (Kostenexplosion bei F&E und Beschaffungen in den 80er Jahren). In Wirklichkeit geriet das BmVg in den Sog vom schlingernden Sparkurs des Bundeshaushalts, wobei die leicht zu kappenden Teile der investiven Ausgaben als erste über Bord gingen.

Komplementär dazu gab es auf der (regierungs-)politischen Ebene weder dezidiert friedensökonomische Orientierungen, geschweige denn ein flankierendes Konversionskonzept für die Rüstungsindustrie. Folglich ist die bescheidene fiskalische Friedensdividende unwiederbringlich in dem milliardenhohen Budgetdefizit des Bundes versickert. Kaum eine Mark oder sonstige Hilfe ist der Umstellung von deutschen Rüstungsbetrieben auf zivile Produktion zugute gekommen. Damit fehlten von Anfang an wichtige Impulse, die den Anpassungsprozeß – im Zusammenspiel mit Initiativen der Unternehmen selber – in eine andere Richtung als die eingeschlagene hätten lotsen können. Vielmehr bewirkte der (fehlende) politische Rahmen, daß die Rüstungsunternehmen sich gleichsam für ein spiegelbildliches Verhalten entschieden – aus ihrer Sicht verständlich.

Dementsprechend bauten einige Unternehmen ihre Rüstungskapazitäten ersatzlos ab oder »parkten« sie auf dem Entsorgungsgleis; aber das ist keine Konversion. Andere schafften es, durch Diversifikation und Firmenzukauf den zivilen Umsatzanteil zu steigern, während das Rüstungsgeschäft entweder abgestoßen wurde oder der Rüstungsumsatz in absoluten Zahlen teilweise gleichblieb oder sogar noch zunahm: Das ist Pseudo-Konversion. Sogar die wenigen Vorzeigeprojekte sind tot oder werden gerade zu Grabe getragen: Das Mini-Konversionsprojekt PUR (MBB) wurde bereits 1991 von der DASA für beendet erklärt, und das größere Konversionsunternehmen Mainz Industrie Technologie MIT (früher Mainzer Panzerwerke) mußte im vergangenen Juli Konkurs anmelden.

Zugleich machen der Verlauf von Bundes-, BmVg-Haushalt und Bundeswehrplanung verständlich, warum die Rüstungsindustrie die Abspeckung in den zurückliegenden Jahren zwar beklagte, aber anfänglich noch zweckoptimistisch hinnehmen konnte. Obwohl die bevorstehende Kürzung der Rüstungsorder um ein Drittel schon seit 1990 bekannt war, fiel es bezeichnenderweise damals keinem Management ein, darin ein »Ende« der deutschen Wehrtechnik zu sehen; sehr bald zeichnete sich der neue Rüstungsbedarf für die Krisenreaktionskräfte und die Modernisierung der Hauptverteidigungskräfte ab, und auch der europäisch-asiatische Rüstungsmarkt war neu zu bedienen. Aber nachdem spätestens seit 1992/93 klar wurde, daß noch mehrere magere Jahre bevorstehen – zumindest was die mittelfristige Bundeswehrnachfrage betrifft –, war dies das Fanal für einen offensiven Strategiewechsel. Beide Entwicklungen haben dazu geführt, daß die industrielle Rüstungskonversion in Deutschland, von spärlichen Ausnahmen und einzelnen Spin-off-Produkten abgesehen, bis heute auf der Strecke geblieben ist. Das ist ohne Illusion zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn es bitter sein mag.

Trotzdem wäre es falsch zu sagen, daß die Rüstungskonversion gescheitert sei: Richtig ist vielmehr, daß sie hierzulande im großen und ganzen nie wirklich versucht wurde – und darin liegt nach wie vor eine Chance. Wann kommt die neue Konversionsoffensive?

Tabelle 1: Geplante Rüstungs- und
investive Ausgaben 1993-1997
1993 1994 1995 1996 1997
Haushalt Verfügb. Soll6 Entwurf EPl 147 BmVg- Anmeldung zum 27sten Finanzplan8 + +
Einzelplan 14* 49,28 48,60 47,50 47,50 47,50
davon für + + + + +
Materialerhaltung 4,60 4,64 4,4** 4,3** 4,2**
F&E,Erprobung 2,34 2,56 2,46 2,50 2,45
Beschaffungen 6,97 5,75 5,42 5,79 6,12
Golftitel (EPl 60) 0,36 0,29
Rüstungsausgaben 14,27 13,24 12,28 12,59 12,77
Investive Ausgaben 11,5*** 10,43 10,05 10,52 11,10
– Anteil/Plafond, 23,4%***, 21,46%, 21,15%, 22,15%, 23,37%
(Erläuterung: Stand Ende 1993. Angaben in Mrd. DM; eigene Zusammenstellung. Ursprünglich waren im Haushalt '93 für Rüstungsausgaben 14,87 Mrd. DM vorgesehen; beim schließlich verfügbaren Soll des Nachtragshaushalts '93 – 50,15 Mrd. DM minus 300
Mio. DM für Föderales Konsolidierungsprogramm minus 563 Mio. DM globale Minderausgabe 150; ist die Kürzung einzelner Rüstungsposten bereits berücksichtigt. Nicht berücksichtigt ist die einmalige Kürzung des Haushalts '94 um 1,24 Mrd. DM beim Jahreswechsel 93/94, welche die Rüstungsausgaben jedoch kaum berührt, da sie aus anderen Titelgruppen zu erwirtschaften ist.
* Plafond ohne Personalverstärkungsmittel
** schriftl. Mitteilung des BmVg vom 10.1.1994
*** geschätzter Wert unter Berücksichtigung des Nachtragshaushalts '93; ursprünglich
waren im Haushalt '93 für investive Ausgaben 12,14 Mrd. DM vorgesehen)
Tabelle 2: Veränderungen Rüstungsausgaben 1993-1997
im Vergleich zu 1989 (19,26 Mrd. DM)
1993 1994 1995 1996 1997
Haushalt + Soll-Ansätze + +
Rüstungsausgaben gesamt in Mrd. DM 14,27 13,24 12,28 12,59 12,77
Rüstungsanteil am BMVg-Budget EPl 14 in Prozent 28,9% 27,3% 25,8% 26,6% 26,9%
Rückgang Rüstungsausgaben seit 1989 in Mrd. DM -4,99 -6,02 -6,98 -6,67 -6,49
Rückgang Rüstungsausgaben seit 1989 in Prozent -25,9% -31,2% -36,2% -34,6% -33,6%
(Erläuterung: Stand Ende '93. Quellen: Tab.1,
Fußn. 10; eigene Zusammenstellung)

Anmerkungen

*) Der Beitrag ist ein Kapitel aus der Studie „COPING WITH CUTS AND CONVERSION – PUBLIC POLICY AND STRATEGIES OF GERMAN ARMS MANUFACTURERS“, die bei der UNO-VR China Conference on International Cooperation to Promote Conversion from Military to Civilian Industry, im Juli 1993 in Hongkong vorgestellt wurde. Für W&F wurde es stark gekürzt und auf dem Stand Juli 1994 überarbeitet; die vollständige Fassung ist beim Autor erhältlich. Zurück

1) Bullens, H.: Rüstungsausgaben, Rüstungsplanung und Rüstungsindustrie im vereinigten Deutschland. München-Augsburg: SISYFOS-Institut, 1994. Dort finden sich auch Quellenangaben für alle Daten, die in der vorliegenden gekürzten Fassung nicht eigens belegt werden. Zurück

2) Mey, H.H.: Die Zukunft der deutschen wehrtechnischen Industrie. IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Bonn, Nr. 19/20 vom 27 Oktober 1993, S. 2-3. Zurück

3) Schönbohm, J.: Neue Herausforderungen an die deutschen Streitkräfte und Schlußfolgerungen für die Ausrüstungsplanung der Bundeswehr. Jahrestagung DWT am 12. April 1994, Bonn, S. 17 Zurück

4) Union will Rüstungsexporte erleichtern. Süddeutsche Zeitung vom 23.11.93 Zurück

5) Bullens, H.: Rüstungs- und Dual-use-Exporte aus Deutschland – Probleme und Umfang. Stellungnahme bei der Sachverständigenanhörung im Ausschuß für Wirtschaft des Deutschen Bundestags zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes am 18 Mai 1994, Bonn, Ausschußdrucksache 635/12; gekürzte Fassung in Wissenschaft & Frieden, Nr. 2/1994 Zurück

6) Wehrdienst 8. März 1993, Nr. 10/93 und 15. März 1993, Nr. 11/93 Zurück

7) Bundesministerium der Verteidigung BmVg: Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts 1994. Bonn, 23. August 1993, S. 15 Zurück

8) Wehrdienst 5.Juli 1993, Nr. 27/93, S.2, spezifiziert nur die investiven Ausgaben bis '97 und enthält keine Angaben für Materialerhaltung; diese wurden beim BmVg schriftlich eingeholt. Zurück

9) Ein geringer Teil der Aufwendungen für Beschaffungen entfällt auf Ankäufe aus dem Ausland (1988: ca 1 Mrd. DM) sowie auf militärische Bekleidung etc. (1988: ca. 0,5 Mrd. DM); insgesamt liegt er über die Jahre konstant unter 10<0> <>% (vgl. Ifo 1991, S. 55ff., S.76ff.). Zu addieren wären die Rüstungsausgaben für Bundesgrenzschutz und Polizei. Zurück

10) Da das BmVg sich nach schriftlicher Anfrage zu einer Mitteilung über die spezifizierten, tatsächlichen Rüstungsausgaben zwischen 1988 und 1993 außerstande sah, wurden hilfsweise die im Wehrdienst 11/1994 (S.2) genannten Gesamt-Ist-Ausgaben für 1989 in Höhe von 19,26 Mrd. DM eingesetzt. Diese Zahl ersetzt die in einer früheren Veröffentlichung verwendeten Soll-Ausgaben nach Wellmann, C. (in Jahrbuch Frieden 1990, München: Beck, S. 132) – und erklärt die geringe Abweichung. Zurück

11) Bundesministerium der Verteidigung: Konzeptuelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr; erlassen in Bonn am 12. Juli 1994. In: BmVg (Hg), Reader Sicherheitspolitik VIII, Bonn, S. 24 Zurück

12) Berger et.al., Ifo (Hrg.): Produktion von Wehrgütern in der BRD, 1991, S. 79ff. Nach Abzug der Umsatzsteuer und unter Einbeziehung anderer Korrekturen entspricht das hier verwendete Auftragsvolumen von 19,26 Mrd. DM (1989) in etwa dem in der Ifo-Studie errechneten Netto-Inputwert von 14,2 Mrd. DM für die Inlandsnachfrage (1988) (ebd. S.69). Nach Wellmann (s. Fußn. 10) betrugen die Brutto-Rüstungsausgaben im Jahre 1988 19,08 Mrd. DM. Von diesem Vergleichsjahr ausgehend, wären die Rückgänge in Tabelle 2 demnach sogar leicht geringer. Zurück

13) Unabhängig davon muß auch die Richtigkeit der in der Ifo-Studie (Berger et.al. 1991 a.a.O., S. 84) errechneten Grundzahl von 280.000 Arbeitsplätzen für das Basisjahr 1988 bezweifelt werden und wird an anderer Stelle der Gesamtstudie begründet. Zurück

14) Schönbohm, J., 1994, a.a.O. ebd. Zurück

Hendrik Bullens, Dr.phil., Drs.oec., Leiter der Forschungsstelle Konversion und Friedenswissenschaften, Universität Augsburg, und des SISYFOS-Instituts, München-Augsburg. Anschrift: Bavariaring 43, 80336 München, Tel+Fax (+49) 089 7470477

Editorial

Editorial

von Paul Schäfer

Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil knallten in einigen Chefetagen der Rüstungsindustrie die Sektkorken, wie die Nachrichtenagentur AFP am 13. Juli zu berichten wußte.

Die Bundeswehr braucht für ihren neuen Auftrag – Kampfeinsätze weltweit – neue Waffen und Ausrüstungen. Die Branche setzt auf eine neue Beschaffungswelle, um aus ihrer Krise herauszukommen.

Die geringer werdenden Profite der Rüstungsindustrie waren nicht in erster Linie das Resultat planmäßiger Abrüstungspolitik. Der Rückgang der Militärausgaben und der Aufträge für die Industrie waren vor allem den Finanznöten der öffentlichen Haushalte geschuldet. Der Abrüstungswille der politischen Eliten im Westen war auch nach dem Ende des Kalten Krieges nur mäßig ausgeprägt. Nach einer kurzen Phase der Irritation scheint also für die starke Rüstungslobby in Industrie, Wissenschaft, Medien und Politik jetzt wieder Land in Sicht.

Die Legitimationsverluste nach dem Ende der »Konfrontationsära« sind inzwischen aufgearbeitet. Die Bundeswehr soll sich als Teil von NATO und WEU am internationalen »Krisenmanagement« beteiligen. An dieser Aufgabe ist seither die ganze militärische Planung orientiert. Diese neue machtpolitische Rolle Deutschlands ist, wie es CDU-Fraktionschef Schäuble des öfteren betont hat, nicht zum »Nulltarif« zu haben. Welcher Preis für die Aufstellung militärisch überlegener Interventionsstreitkräfte zu entrichten ist, weiß gegenwärtig keiner so genau. Die Skala der gewünschten Beschaffungen reicht von Satellitenaufklärungssystemen, über Transportflugzeugen mit großen Reichweiten und neuen Jagdflugzeugen bis zur »effizienteren« Ausrüstung des einzelnen Soldaten.

Die Bäume der Rüstungsplaner werden aber angesichts knapper öffentlicher Mittel auch in näherer Zukunft nicht in den Himmel wachsen. Aber für die militärische Zunft ist schon eine Trendwende wichtig. Die in den letzten Jahren rückläufigen Rüstungsausgaben in der BRD sollen auf leicht höherem Niveau mittelfristig stabilisiert werden. Der Anteil der investiven Ausgaben (Forschung & Entwicklung, Beschaffungen) soll durch Rationalisierung und Einsparung bei den Personalausgaben wieder kräftig angehoben werden.

Auseinandersetzungen mit der technologischen Rüstungsdynamik und mit konkreter Rüstungsmodernisierung durchziehen wie ein roter Faden die früheren Hefte von Wissenschaft und Frieden. Doch nach 1989, nach den Abrüstungsverträgen der jüngsten Vergangenheit, mutet es wie ein hochgradiger Anachronismus an, wenn sich die vorliegende Ausgabe wieder mit den Trends bei der Rüstungsforschung und -entwicklung und mit solch skurrilen Themen wie dem »Schlachtfeld der Zukunft« beschäftigt. Doch die Realität legt dies nahe. Die Militärausgaben im Rahmen der weit überlegenen Militärmacht NATO bleiben auf hohem Niveau. Für die Aufwendungen für rüstungsbezogene Forschung und Entwicklung gilt dies in noch stärkerem Maße. In der BRD ist der Anteil der offiziell ausgewiesenen Rüstungsforschung an der öffentlichen Forschung zwischen 1988 und 1993 lediglich von 12,4 auf 10,5 Prozent zurückgegangen. Käme die geplante Umrüstung, müßte sogar mit wieder stark steigenden Aufwendungen gerechnet werden.

Wer sich mit dem Wachstum der modernen Waffenwelt beschäftigt, läuft Gefahr, als unverbesserlicher Rüstungsfetischist zu gelten. Doch den Leserinnen und Lesern sei versichert: Die Stories von CyberWar und Electronic Warfare faszinieren uns nicht. Wir setzen uns weiter kritisch mit der Rüstungsmodernisierung auseinander, weil wir von der Untauglichkeit militärischer Lösungen für die gewaltträchtigen Konflikte unserer Zeit überzeugt sind. Weil wir auf die schreiende Diskrepanz zwischen dieser Rüstungsdynamik und einer Konfliktursachenbekämpfung, die diesen Namen verdient, aufmerksam machen wollen. In einem Beitrag dieses Heftes heißt es zu Recht: „Wie wäre es denn, wenn man all die Gelder für die militärische »Informationisierung« dazu verwendet, um »besser zu verstehen«, was in den potentiellen Konfliktregionen vor sich geht? Es wäre »wahre Informationsüberlegenheit«, würde man sich einer tieferen politischen, ökonomischen oder ökologischen Ursachenanalyse widmen, anstatt Zielkoordinaten in Datenbanken einzugeben oder »tödliche Netze« zu schaffen.“

Es bleibt uns eine doppelte Aufgabe: Die Fehlorientierung und Vergeudung von Ressourcen anzuprangern – solange die Rüstungsdynamik nahezu ungebrochen ist – und für Konzepte ziviler Konfliktverhütung zu streiten. Forderungen nach der Einbeziehung qualitativer Rüstungsmodernisierung in künftige Abrüstungsverhandlungen und Ideen, wie die bisher militärisch gebundenen Ressourcen in Industrie, Forschung und Entwicklung zivil umgewidmet werden können, gehören dazu.

Wie eine Forschungs- und Technologiepolitik, die an den wirklichen Problemen von Gegenwart und Zukunft orientiert ist, auszusehen hätte, ist im vorliegenden Heft umrissen. In der Dortmunder Erklärung, die auf dem Kongreß »Wissenschaft in der Verantwortung – Politik in der Herausforderung« im Juni als Appell an die Politik verabschiedet worden ist, haben Persönlichkeiten aus Wissenschaftsverbänden, Akademien, Gewerkschaften, Kirchen und der Friedensforschung Vorschläge unterbreitet, die größere Verbreitung verdienen.

Ihr Paul Schäfer

Rüstungsplanung 1995

Rüstungsplanung 1995

Mit »Krisenreaktionskräften« gegen den neuen »Feind«

von Achim Schmillen

Die Bundeswehr befindet sich seit einigen Jahren in einer grundlegenden Umstrukturierungsphase, in der fast alle wesentlichen Parameter ihrer Existenzgrundlage geändert werden. Die Dislozierung wird gravierend umgekrempelt, die NATO-Strategie muß umgesetzt und die Reduzierung auf 370.000 Mann bis Ende 1994 abgeschlossen werden.1

In den Konzeptionellen Leitlinien ist dazu folgendes zu lesen: „Die Lageanalyse führt im Kern zu dem Ergebnis, daß die Bedingungen europäischer und vor allem deutscher Sicherheit in dreierlei Hinsicht grundlegend verändert sind:

  • <~>Deutschland ist nicht mehr Frontstaat, sondern umgeben von Verbündeten und befreundeten Partnern;
  • <~>Deutschland liegt nicht mehr in Reichweite eines zu raumgreifenden strategischen Operationen befähigten Gegners;
  • <~>gleichzeitg aber wächst die Gefahr regionaler Krisen und Konflikte innerhalb und außerhalb Europas, die auch die Sicherheit Deutschlands betreffen.“ 2

Am 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht im Namen des Volkes verkündet, daß dieBeteiligung deutscher Soldaten an militärischen Unternehmungen auf der Grundlage des Zusammenwirkens von Sicherheitssystemen in deren jeweiligen Rahmen“ 3 mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist. Durch die fatale Gleichsetzung von Systemen kollektiver Sicherheit (wie UNO und KSZE) mit Systemen kollektiver Verteidigung (wie NATO, WEU)4 hat das Bundesverfassungsgericht nun zudem den verfassungsrechtlichen Rahmen für uneingeschränkte weltweite Einsätze der Bundeswehr geschaffen. Jetzt ist alles erlaubt, was politische und militärische Führung der Bundeswehr sich seit Jahren gewünscht haben.

Dennoch ist die Bundeswehr nach Auffassung zahlreicher Experten zur Zeit nicht in der Lage, den Anforderungen eines solchen Einsatzes (out-of-area) gerecht zu werden. So weist selbst das Weißbuch 1994 auf einen enormen Nachholbedarf hin. Die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr werden nicht so schnell einsatzbereit sein, wie es für die militärischen Planer notwendig erscheint. Insbesondere bei der für sie benötigten neuen Ausrüstung (beispielsweise Tropentauglichkeit) werden erhebliche Abstriche gemacht werden müssen.

Einer Streitkraft, die sich bequem im Siegersessel sonnt, keine Bedrohungen und weltweit keine Risiken ausmacht, werden natürlich die Milliarden zusammengestrichen werden. Werden hingegen überall bedrohliche Risiken ausgemacht, dann führt diese Alarmierungsdynamik auch zur Sicherstellung der materiellen Grundlagen für die Streitkräfte. Der Bundeswehrführung ist es in den letzten Jahren gelungen, bei den politischen Entscheidungsträgern die Unverzichtbarkeit von Streitkräften für eine moderne Industriegesellschaft („Streitkräfte zur Landesverteidigung“, „Kräfte zur Krisenreaktion“) nachhaltig zu verankern. Dieser Stand soll nun finanziell langfristig abgesichert werden.

Vor dem Hintergrund einer grundsätzlich gewandelten Aufgabenstellung für die Streitkräfte sind die Organisations-, Struktur, Personal- und Rüstungsplanungen sowie die finanziellen Schwerpunktsetzungen zu sehen. Im folgenden soll nach der Darstellung der grundlegenden allgemeinen Entwicklungslinien der Schwerpunkt auf den Krisenreaktionskräften (KRK) liegen.

Die Argumentationslinie der Militärs zur Aufrechterhaltung des gewaltigen und überdimensionierten Militärapparates läuft nach folgender Schablone ab: Der Zerfall des kommunistischen Machtbereiches, die wiedergewonnene Unabhängigkeit der Staaten Mittel- und Osteuropas, das Ende der Warschauer Vertragsorganisation, der Rückzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland hätten auch in militärischen Bereichen gravierende Auswirkungen. Das Risiko militärisch ausgetragener Auseinandersetzungen habe sich weltweit verringert. Der Ruf der Staatenwelt an die Vereinten Nationen, einen Frieden notfalls mit militärischen Mitteln wiederherzustellen, ertönt allerdings immer häufiger. Bei der Bereitstellung von Soldaten und Material für UNO-Einsätze sei es nur allzu verständlich, daß auf die »reichen Staaten« größere Anforderungen zukämen. Kein Staat dürfe sich der Völkergemeinschaft verschließen. Dies gälte auch für Deutschland. Deshalb müßte die Bundeswehr, bis 1990 im Denken, in Strukturen und im Material auf die Verteidigung des Bundesgebietes ausgerichtet, künftig Aufgaben im internationalen Rahmen übernehmen. Hieraus resultiert die eindeutige Prioritätensetzung der Militärs auf den sog. Krisenreaktionskräften, die weltweit einsetzbar sind.

Mehr Berufssoldaten, weniger Wehrpflichtige

Ausgangspunkt der Überlegungen und Planungen für eine neue Bundeswehrstruktur war die Festlegung der Personalstärke der Bundeswehr. Sie wird gemäß den Vereinbarungen im Rahmen der 2+4-Verhandlungen ab 1995 in Friedenszeiten 370.000 Bundeswehrsoldaten betragen. Laut dem Weißbuch 19945 setzen sich die 370.000 Soldaten wie folgt zusammen:

39.700 Offiziere 133.400 Unteroffiziere 38.000 längerdienende Mannschaften 155.000 Grundwehrdienstleistende 4.000 Wehrübende.

Diese Zahlen sind aber bereits Makulatur. Denn bereits im Entwurf für den Bundeshaushalt 19956 wird für eine Größenordnung von 351.600 Soldaten geplant und die Konzeptionellen Leitlinien zur Weiterentwicklung der Bundeswehr7 sehen einen noch geringeren Friedensumfang bei 340.000 Soldaten. Der Verteidigungsumfang der Bundeswehr wird von 1,34 Mio. Soldaten auf 680.000 (Heer: 490.000; Luftwaffe: 77.400; Marine: 37.000) gesenkt.

Im Vergleich zu der Zeit vor der Wiedervereinigung 1990 ist die Personalstärke der Bundeswehr um etwa 25% verringert worden. Die Zahl der Offiziere sank um 9%, die der Unteroffiziere um ca. 17%. Um den gewaltigen Einschnitt auch mal in anderen Zahlen darzustellen; die Bundeswehr hat seit 1990 im Durchschnitt ca. 40.000 Soldaten (über 5.000 Stellen beim Zivilpersonal) pro Jahr abgebaut, eine im internationalen Vergleich sicherlich sehr beachtliche Reduzierung.

Es sieht aber so aus, daß selbst die Größe von 340.000 Soldaten in Anbetracht fiskalischer Zwänge und sinkender Zahlen bei den Grundwehrdienstleistenden durch Zunahme der Kriegsdienstverweigerung nicht zu halten ist. Auf der Hardthöhe wird mehr oder weniger offen über eine weitere Reduzierung der Bundeswehr auf deutlich unter 300.000 Mann spekuliert.

Trotz der gigantischen Wehrungerechtigkeit wird weiterhin ungebrochen an der Wehrpflicht festgehalten. Pläne für eine Berufsarmee gibt es zwar in einigen Schubladen auf der Hardthöhe. Die Widerstände sind jedoch massiv, denn es gibt jede Menge ungelöster Probleme.

Der Zusammenhang zwischen Personalbestand und verteidigungsinvestiven Ausgaben gestaltet sich dabei folgendermaßen: Da im Einzelplan über die Hälfte der Finanzmittel für die Personalkosten aufgebracht werden (1995: ein Anteil von 52,31% am Plafond), hätte bei einem Festhalten an der geplanten Stärke von 370.000 Mann die Steigerung der investiven Ausgaben einen Anstieg des Verteidigungshaushaltes zur Folge. Ohne diese Maßnahme muß der Umfang der Streitkräfte jedoch sinken.

Haushalt 1995

Abhängig sind Streitkräfteplanung und Ausrüstungsüberlegungen in erster Linie von der Entwicklung des Verteidigungshaushaltes, im engeren Sinn von der Entwicklung im sogenannten Einzelplan 14 (Geschäftsbereich Bundesministerium der Verteidigung). Mit einem Anteil von 18 bis 20% am Bundeshaushalt in den Jahren zwischen 1975 und 1990 war der Verteidigungsetat nach dem Sozialhaushalt der größte Posten. Der Anteil des Verteidigungsetats am Bundeshaushalt sank 1993 auf 10,9% (in absoluten Zahlen auf 49 Mrd. DM) und liegt zur Zeit bei 9,9%.8

1995
Bundeshaushalt 484,7 Mrd. DM
Einzelplan 14 47,9 Mrd. DM
Anteil am Bundeshaushalt 9,9%
Anteil am BSP 1,4%

Weil niemand sagen kann, wie sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland weiterentwickelt, sind auch alle Planungen der Bundeswehr mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Eine detaillierte Darstellung der Bundeswehrplanung gestaltet sich schwierig, da die Hardthöhe bisher noch keine genauen Planungsunterlagen vorgelegt hat. Die folgenden Aussagen stützen sich zum einen auf den vorgelegten Entwurf des Bundeshaushaltes für 1995 (BT-Drs. 12/ 8000) und auf die stets gut informierten Quellen des Informationsblattes WEHRDIENST.

Das BmVg verfügte für 1994 (laufendes Haushaltsjahr) über einen Haushalt von 48,48 Mrd. DM (nur EP 14). Diese Summe wurde um 1,25 Mrd. gekürzt. Für 1995 sind 47,9 Mrd. vorgesehen. Die Zahlen (in Mrd.) bis 1998 entsprechend der mittelfristigen Finanzplanung9 sehen wie folgt aus:

DM / Jahr 1994 1995 1996 1997
Ansatz in Mrd. DM 48,48 (47,23) 47,92 47,95 47.95

Die Militärausgaben der Bundesrepublik Deutschland liegen allerdings wesentlich höher als man mit einem Blick in den Einzelplan 14 glaubt. Selbst nach den Kriterien der NATO, einer Standardisierung, um die Verteidigungsleistungen der NATO-Mitgliedsländer vergleichbar zu machen, gibt Deutschland 1994 über 62 Mrd. Mark (62,29 Mrd) für die Verteidigung aus.10 Nach einer ersten Durchsicht des kürzlich vorgelegten Entwurfes für den Bundeshaushalt 199511 können mindestens folgende Ausgaben zu den Militärausgaben gerechnet werden:

EP 02 – Wehrbeauftragter 0,06 Mrd DM
EP 05 – Auswärtiges Amt 0,95 Mrd DM
EP 06 – Innen 2,55 Mrd DM
EP 14 – BmVg 47,90 Mrd. DM
EP 33 – Versorgung 5,44 Mrd DM
EP 35 – Verteidigungslasten 1,10 Mrd DM
EP 36 – Zivile Verteidigung 0,62 Mrd DM
EP 60 – Allg. Finanzverwaltung 0,92 Mrd DM

Im Haushalt für das Auswärtige Amt (Einzelplan 05) sind beispielsweise die Kosten für die Mitgliedschaft in der Westeuropäischen Union (WEU), der NATO und für den deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat eingestellt, aber auch die Mittel für die sogenannte Ausstattungshilfe sind hier versteckt. Im Einzelplan 33, in dem sämtliche Versorgungsmittel für Beamte, Richter und auch für die Soldaten der Bundeswehr eingestellt sind, finden sich z.B. die Ausgaben für die Ruhegehälter, aber auch Witwen- und Waisengelder. Diese Ausgaben wurden noch bis 1973 im Einzelplan 14 ausgewiesen.12

Im Einzelplan 60 mit dem Titel »Allgemeine Finanzverwaltung« sind Mittel für die Militärhilfe (an Israel 80 Mio. Mark), aber auch für die Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte (502 Mio. Mark) vorgesehen. Die NATO-Kriterien definieren auch die Ausgaben für den Bundesgrenzschutz als Verteidigungsausgaben.13 Diese Gelder sind im Einzelplan 6 (Bundesministerium des Innern) mit 2,55 Mrd. Mark veranschlagt.

Zu diesen aufgeführten Ausgaben kommen noch diverse Finanzmittel aus fast allen anderen Einzelplänen, so die Kosten für die Wehrstrafgerichtsbarkeit im Einzelplan 7 (Justiz), dem Bundeswehr-Wohnungsbau im Einzelplan 25 (Raumordnung, Bauwesen) und diverse Titel aus dem Einzelplan 30 (Forschung und Technologie). So addiert sich sehr schnell eine imposante Summe auf, die allerdings in der Öffentlichkeit kaum genannt wird. Mit der ausschließlichen Nennung der auf den Einzelplan 14 konzentrierten Mittel werden die wahren Militärausgaben der Bundesrepublik Deutschland geschickt verschleiert. Von nachvollziehbarer Transparenz kann angesichts der detektivischen Leistungen, die erbracht werden müssen, um sämtliche Militärausgaben zu erfassen, wohl keine Rede sein. Der Vorteil dieser Vorgehensweise für die Bundesregierung liegt auf der Hand. Auf nationaler Ebene wird nur vom Einzelplan 14 gesprochen, damit die Militärausgaben als möglichst gering dargestellt werden können. Auf internationaler Ebene (z.B. in der NATO) brüstet man sich mit den höheren Zahlen der NATO-Kriterien, um seine Verteidigungsanstrengungen zu dokumentieren

Einzelplan 14

Die absoluten Ausgaben im Einzelplan 14 (BmVg) sind rückläufig. Das gilt auch für die Ausgaben nach NATO-Kriterien. In der nachfolgenden Tabelle wird die Entwicklung dargestellt:

Verteidigungsausgaben
EP 14 NATO-Kriterien
Jahr in Mrd. DM in Mrd. DM
1955 0,1 7,4
1956 3,4 7,2
1957 5,3 9
1958 7,5 9,6
1959 8,5 11,1
1960 7,5 12,1
1961 11,5 13,2
1962 15,5 17,2
1963 18,1 19,9
1964 17,5 19,6
1965 17,8 19,9
1966 18,0 20,3
1967 19,8 21,3
1968 17,3 19,3
1969 19,1 21,6
1970 19,4 22,6
1971 21,4 22,5
1972 24,3 28,7
1973 26,8 31,9
1974 29,9 35,6
1975 31,2 37,6
1976 32,4 38,9
1977 33,5 40,2
1978 35,4 43,0
1979 37,1 45,4
1980 39,4 48,5
1981 42,6 52,2
1982 44,4 54,2
1983 46,8 56,5
1984 47,8 57,3
1985 48,9 58,7
1986 50,2 60,1
1987 51,1 61,4
1988 51,2 61,6
1989 52,5 63,2
1990 53,4 64,2
1991 53,6 65,6
1992 52,1 66,1
1993 52,0 63,8
1994 48,6 62,3
1995 47,9 59,2
Tabelle: Eigene Zusammenstellung

Mit einem anderen Zugriff kann allerdings verdeutlicht werden, daß die Verteidigungsanstrengungen nicht gesunken, sondern im Gegenteil sogar angestiegen sind. Legt man die Ausgaben auf die personelle Gesamtstärke der Bundeswehr um, so ergibt sich ein anderes Bild. Als Vergleichszahlen werden der erste Haushalt der Regierung Kohl 1983, der letzte Haushalt vor der deutschen Wiedervereinigung 1989, und der aktuelle Haushaltsentwurf für 1995 verwendet:

Jahr Gesamtstärke EP 14 in Mrd. DM Ausgabe pro Soldat in DM
1983 495.000 46,8 94.540
1989 495.000 52,5 106.060
1995 (Entwurf) 340.000 47,9 140.882

Mit anderen Worten: In einer Zeit einer gravierend veränderten sicherheitspolitischen Lage in Europa, in einer Zeit, in der wir – laut Generalinspekteur Naumann14 – nur noch von befreundeten Staaten umgeben sind, wird mehr Geld für die Bundeswehr ausgegeben als zur Zeit des NATO-Doppelbeschlusses, zur Hochzeit des Kalten Krieges.

Was den Regierungsentwurf 1995 für den Einzelplan 14 betrifft, so ist folgende Verteilung zwischen Betriebsausgaben und verteidigungsinvestiven Ausgaben vorgesehen:

Bereich in Mrd. DM in Prozent
Betriebsausgaben 38,16 78,54%
verteidigungsinvestive Ausgaben 10,43 21,46%

Der 29. Finanzplan sieht bis zum Jahre 2000 folgende Aufteilung zwischen Betriebsausgaben (Personalausgaben, Materialerhaltung und Betrieb, Sonstige Betriebsausgaben) und investiven Ausgaben (Forschung, Entwicklung, Erprobung; Mil. Beschaffung; Mil. Anlagen; Sonstige Investitionen) vor15:

Die Bundeswehr benötigt Einsparungen in der Größenordnung von 3 Mrd. Mark, um den Anteil der investiven Ausgaben wieder steigern zu können. Bis 1998 soll dieser Anteil bei 340.000 Soldaten und 137.000 Zivilbeschäftigten wieder auf 25 bis 30% angehoben werden.16 Die Zeiten, in denen auch die Politiker der Regierungskoalition den Einzelplan 14 als einen Steinbruch für dringend benötigte Finanzmittel zum Stopfen diverser Haushaltslöcher verstanden haben, sollen nun vorbei sein. Bundeskanzler Kohl soll laut Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 29.8.1994 eine Richtlinienentscheidung getroffen haben, wonach der Wehretat nun nicht weiter angegriffen werden darf.

Krisenreaktionskräfte

Nun wird das Festhalten an derart überdimensionierten Militärausgaben von offizieller Seite mit dem gewandelten Einsatzspektrum der Bundeswehr und der weltweiten Einsatzoption gerechtfertigt. Deshalb sollen im folgenden nun die Krisenreaktionskräfte haushaltstechnisch etwas näher unter die Lupe genommen werden.

Die Führung der Bundeswehr hatte bereits mit der Veröffentlichung der sogenannten Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) Priorität auf die Krisenreaktionskräfte (KRK) gesetzt. Im Kapitel »Vorgaben für die Bundeswehrplanung« heißt es: „Planerischer Schwerpunkt sind dabei die Krisenreaktionskräfte. Sie müssen mit allen nötigen Komponenten für einen flexiblen Einsatz versehen werden.“ 17

Das Weißbuch 1994 setzte noch eins drauf: „Vorrang hat heute die Fähigkeit der Bundeswehr, Aufgaben in der bündnisgemeinsamen Krisenbewältigung und für Friedensmissionen zu erfüllen. Die dafür notwendigen Fähigkeiten der Streitkräfte als Ganzes und ihre Beiträge im multinationalen Verbund bestimmen ihre Ausrüstung. Hinzu kommt jedoch, daß aufgrund vielfacher Verbreitung moderner Waffen gerade die Krisenreaktionskräfte mit Material ausgestattet werden, mit dem sie sich gegenüber solchermaßen ausgestatteten Konfliktparteien behaupten können.“ 18

Im Gegensatz zu diesen Tönen gestaltet sich der Aufbau der Krisenreaktionskräfte und deren materieller Ausstattung zur Zeit und für die absehbare Zukunft als Aufbrauchen der Kalte-Krieg-Rüstung. Neues Rüstungsmaterial, das speziell auf die Erfordernisse der KRK zugeschnitten ist, wird erst in nennenswertem Umfang zulaufen können, wenn die bestehenden Verpflichtungen erfüllt sind und somit Mittel für Neuvorhaben zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten, die Krisenreaktionskräfte müssen aufgrund des geringen finanziellen Spielraumes mit einer Ausstattung vorlieb nehmen, die unter ganz anderen Bedrohungsgesichtspunkten angeschafft bzw. entwickelt wurde. Erst bei ausreichenden Finanzen werden dann die Truppenteile der Hauptverteidigungskräfte damit ausgerüstet werden können. Während Luftwaffe und Marine schon sehr mobil sind (sie benötigen nur noch leistungsfähige Führungs- und Kommunikationsmittel), gibt es erhebliche Probleme beim Heer. Deren neues Material soll weltweit unter allen klimatischen und geographischen Bedingungen einsetzbar, lufttransportierbar und möglichst standardisiert sein.

Ausgabenbereich 1996 1997 1998 1999 2000 2001 ff
Personalausgaben 23.995 23.494 23.210 23.261 23.105 23.105
Materialerhaltung und Betrieb 4.245 4.159 4.087 4.035 4.000 4.000
Sonstige Betriebsausgaben 8.200 8.150 8.100 7.950 7.800 7.800
Summe Betriebsausgaben 36.440 35.803 35.397 35.246 34.300 34.300
Forschung, Entwicklung, Erprobung/FEE 3.000 3.100 3.200 3.300 3.300 3.300
Militärische Beschaffungen 5.990 6.277 7.073 7.724 8.670 8.670
Militärische Anlagen 2.200 2450 2.450 2.450 2.450 2.450
Sonstige Investitionen 0.270 0.270 0.280 0.280 0.280 0.280
Summe Investive Ausgaben 11.460 12.097 13,003 13.754 14.700 14.700
Investive Ausgaben in Prozent 23,92% 25,25% 26,87% 28,07% 30,00% 30,00%
Gesamt 47.900 47.900 48.400 49.000 49.000 49.000

Forschung, Entwicklung und Erprobung

Die Ausgaben für Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung gingen 1994 von 985 auf 822 Mio. Mark zurück. Bei diesen Ansatzrückführungen sind u.a. berücksichtigt „Verlagerung des Schwergewichts von der Ausrüstung der Hauptverteidigungskräfte auf die Ausstattung der mobilen, leichten Krisenreaktionskräfte (…) Freiraum für neue Vorhaben steht grundsätzlich nur im Zusammenhang mit dem Bedarf für Krisenreaktionskräfte in geringem Umfang zur Verfügung für

  • Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS)
  • <~>Gefechtsübungszentrum (GÜZ)
  • <~>deutsch-französische Gemeinschaftsentwicklung Unterstützungshubschrauber (UHU) – vormals PAH-2
  • <~>trilaterale Entwicklung des Panzerabwehrraketensystems 3 (PARS 3)
  • <~>Kampfwertsteigerung der PHANTOM F-4F
  • <~>viernationale Entwicklung des NATO-Hubschraubers 90 (NH90)
  • <~>U-Boot 21219
  • <~>Waffen-, Waffeneinsatz- und Führungssystem Fregatten und
  • <~>Panzerhaubitze 2000.20

Insgesamt also – bis vielleicht auf das U-Boot und die Panzerhaubitze – alles Vorhaben, die der zukünftigen Ausstattung der Krisenreaktionskräfte zugute kommen. Für die wehrtechnische Forschung und Technologie 1994 wurden 667 Mio. Mark eingeplant und wie folgt begründet:

„Im Hinblick auf den engen Finanzrahmen müssen die langfristig angelegten Forschungsarbeiten zurückgeführt werden. Finanziell abgesichert sind jedoch die Kernbereiche F & T und die Vorbereitung auf die neuen Aufgaben der Bundeswehr, u.a.:

  • <~>Aufklärung und Führung
  • <~>Verbesserung teilstreitkraftübergreifender Kommunikation über Satelliten
  • <~>bedarfsgerechte Lufttransportkapazität. Letzteres bezieht sich auf die Vorarbeiten für das zukünftige Transportflugzeug Future Large Aircraft (FLA).21

„Zukunftsbestimmende und damit gewichtigste F & T-Felder sind:

  • <~>Aufklärungs- und Führungsfähigkeit mittels der Sensorik (Radar, lnfrarot, Sonar) sowie der Signal- und Bildverarbeitung
  • <~>Steigerung der Mobilität mit dem Ziel, Schwerpunkte schnell bilden und verlegen zu können
  • <~>Schutz leichter Kräfte
  • <~>Schutz gegen neuartige Waffen und Wirkprinzipien (aktiv und passiv)
  • <~>Technische Möglichkeiten der Verifikation.
  • Die Forschungs- und Technologiearbeiten auf diesen Feldern wurden überwiegend bereits begonnen und sollen, unter stetiger Anpassung an die neuen Aufgaben der Bundeswehr, weiter fortgesetzt werden. 22

In den Erläuterungen und Vergleichen zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushaltes 1995 heißt es:

„Im Hinblick auf das veränderte Einsatzspektrum der Bundeswehr und die Umstrukturierung haben Forschung und Entwicklung zur Herstellung der einsatzgerechten Ausrüstung einen besonderen Stellenwert.“ 23

Der Anstieg um 28 Mio. Mark auf 695 Mio. Mark für die Forschung, Entwicklung und Erprobung wird ausschließlich mit dem Ausrüstungsbedarf der KRK begründet. Die Mittel sollen für „Aufklärung und Führung, Verbesserung TSK-übergreifender Kommunikation über Satelliten, bedarfsgerechter Luftransportkapazität“24 verwendet werden. Auch der Anstieg bei den sogenannten Zukunftstechnologien wird mit der „Verbesserung der Führungsfähigkeit und des Schutzes von Krisenreaktionskräften“ 25 begründet.

Militärische Beschaffungen

Die Ausgaben für die militärischen Beschaffungen sinken. Betroffen sind fast alle Titel. In den nächsten Jahren wird nicht mit größeren Beschaffungsvorhaben für die Krisenreaktionskräfte gerechnet. Während Marine und Luftwaffe nur relativ wenig Bedarf an speziellem Gerät für ihren Anteil an den Krisenreaktionskräften haben, gibt es beim Heer einen enormen Auf- und Nachrüstungsbedarf. Dort verlagert sich der Schwerpunkt von den gepanzerten zu den leichten Truppen mit einer entsprechenden Neuausrichtung bei der Materialbeschaffung.

Für die Planer auf der Hardthöhe ist klar, daß das Material für die Bundeswehr und deren Krisenreaktionskräfte außerhalb eigener Entwicklungsüberlegungen auf dem Rüstungsmarkt gekauft werden muß (z.B. UN-Mission in Somalia). Bei notwendigen Neuentwicklungen soll es generell nur noch internationale Kooperationen geben – nationale Alleingänge sind zumeist nicht mehr bezahlbar und müssen, so eine Weisung von Staatssekretär Schönbohm, detailliert begründet werden. In Zukunft soll – so der Wille der Hardthöhe – in Europa ohne deutsche Beteiligung kein größeres Waffensystem mehr neu entwickelt werden.

Waffensysteme

Das Heer bekommt also den Löwenanteil der finanziellen Zuwendungen. Zwar wird auf die Beschaffung des Jagdpanzers Panther verzichtet und auch die Einführung des Kampfpanzers Leopard 3 wurde zunächst einmal gestrichen. Aber all das hat Tradition. Ehe man sich versieht, kommen diese Projekte auch oder gerade wegen der industriepolitischen Bedeutung irgendwann wieder in die Planung rein. Hinweise gab es im letzten Haushalt zudem im Einzelplan 60 „Allgemeine Finanzverwaltung“, in dem Finanzmittel für die Entwicklung einer 140-Millimeter-Kampfpanzerkanone vorgesehen waren. Auch das einstige Prestigeobjekt deutsch-französischer Rüstungszusammenarbeit, der Panzerabwehrhubschrauber PAH-2, eigentlich mit der erdrückenden Übermacht östlicher Panzerarmeen begründet, soll trotz Wegfall dieser Bedrohung angeschafft werden. Die Marine erhält bis zum Jahr 2005 statt der ursprünglich vorgesehenen vier Fregatten vom Typ 124 zunächst nur zwei sowie vier von sieben U-Booten vom Typ 212. Die entsprechende Vertragsvereinbarung mit Norwegen für die U-Boote ist seit einigen Wochen unter Dach und Fach. Die Luftwaffe erhält zunächst nicht die bislang auf 18 Mrd. Mark kalkulierten 50 großen Transportmaschinen, die nach Meinung der Hardthöhe notwendig sind, damit die für Einsätze außerhalb Europas aufgestellten Einheiten ab 1996 ihre Aufgaben erfüllen können.

Summen im Milliardenbereich (1.000 Mio.) überschreiten schnell jede Grenze realer Vorstellungskraft. Mit welcher Selbstbedienungsmentalität Streikräfte, Rüstungsindustrie und Lobby Steuergelder abkassieren, wird durch die Schilderung von Zahlenkolonen nicht mehr hinreichend transparent. Hören sich 2 Milliarden Mark nach viel Geld an, wenn der Gesamthaushalt schon fast bei 500 Mrd. Mark angelangt ist? Einzelne Rüstungsprojekte verschlingen, obwohl oft nur ganz wenige Exemplare angeschafft werden, gigantische Summen. An diesen Großprojekten läßt sich der Verschwendungswahnsinn oft viel besser illustrieren.

In den letzten Jahren hat sich die öffentliche Kritik an den Rüstungsgelüsten der deutschen Militärs vor allem auf den Jäger 90 konzentriert. Ob mit Erfolg wird sich 1995 zeigen, wenn die Produktionsentscheidung fallen soll. Diesmal soll aber nicht auf das Paradebeispiel ungebremster Rüstungsdynamik, den Jäger 90 (oder unter welchem Namen dieses Flugzeug letztlich auch fliegen mag), eingegangen werden, sondern auf ein anderes Großprojekt, das ebenfalls eine Geburt des Kalten Krieges ist und nun in die neuen Zeiten gerettet werden soll. Es geht um den Panzerabwehrhubschrauber II (PAH II), der seit einiger Zeit mit dem neuen, verschleiernden Namen UHU (Unterstützungshubschruber) bezeichnet wird. Von der zukünftigen Ausrichtung der Bundeswehr und den Planungsvorgaben aus der NATO-Kriegszentrale in Brüssel ausgehend, steht außer Frage, daß der Kampfhubschrauber das Hauptwaffensystem der KRK werden wird und ihm entsprechende rüstungsplanerische und -technische Aufmerksamkeit zuteil wird. Er soll sich von einem Panzerabwehr- zu einem mehrrollenfähigen Unterstützungshubschrauber entwickeln. Die Hauptaufgaben des UHU sind: Unterstützung von Bodenkräften Begleitschutz für Hubschrauber bewaffnete Aufklärung Panzerbekämpfung.

Der UHU wird nun im Rahmen des deutsch-französischen Hubschrauberprogramms PAH-2/HAC-HAP auf der Basis des PAH-2 weiterentwickelt. Er bekommt eine erweiterte »Missionsausrüstung«, wie ungelenkte 68 mm-Raketen, Bordwaffe mit einem Kaliber von 12,7 mm, sowie Außenzusatztanks. Für den PAH-2 sind im Haushalt 1994/Finanzplan bis 1997 insgesamt 2,4 Mrd. Mark veranschlagt. Für die Entwicklung und Integration der weiteren Missionsausrüstung, die insbesondere den KRK zugute kommt, sind Mittel in Höhe von 89,2 Mio. Mark eingestellt. Im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 1995 sind bereits Mittel für die Serienvorbereitung in Höhe von 405 Mio. Mark vorgesehen.

In Afghanistan waren die sowjetischen Kampfhubschrauber die gefürchteteste und effektivste Waffe im blutigen Partisanenkrieg. Was Kampfhubschrauber in den neuen heißen Kriegen alles zu Werke bringen, davon hat nicht zuletzt auch der zweite Golfkrieg schreckliche Beweisfotos und bewegte Bilder gebracht. Weltweit wurde dem millionenfachen Publikum zur besten Sendezeit das grausige Zielschießen der amerikanischen Hubschrauberpiloten gezeigt. Waren die eigentlichen Ziele, die gepanzerten Fahrzeugen von der überlegenen High-Tech ausgeschaltet, nahmen die US-Piloten einzelne Menschen gezielt unter Feuer und freuten sich anschließend vor laufenden Kameras über das »muntere Hasenschießen«.

Anmerkungen

1)Die Bundeswehr steht an einem Scheideweg. Sie hat unverändert den Auftrag, Deutschland und seine Verbündeten zu schützen und im Ernstfall zu verteidigen, zugleich aber werden durch die veränderte Weltlage neue Aufgabenfelder an sie herangetragen.“ (Naumann, K.: Die Bundeswehr in einer Welt im Umbruch, Berlin 1994, S.8). Zurück

2) Bundesministerium der Verteidigung: Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr vom 12. Juli 1944, S. 2. Die Konzeptionellen Leitlinien sind laut BmVg das „notwendige Bindeglied zwischen Weißbuch und Bundeswehrplanung.“ Zurück

3) Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juli 1994, S. 2. Zurück

4) Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994, S. 88. Zurück

5) Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage und Zukunft der Bundeswehr vom 5. April 1994, Bundesministerium der Verteidigung, Bonn 1994, S. 97. Zurück

6) Deutscher Bundestag, BT-Drs. 12/8000 (14), Entwurf Bundeshaushalt 1995, Einzelplan 14. Zurück

7) Bundesministerium der Verteidigung: Konzeptionelle Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr, a.a.O. S.9. Zurück

8) Bundesministerium der Verteidigung (1994): Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushaltes 1995, Bonn 25.8.1994, S.5. Zurück

9) Bundesministerium der Finanzen: Finanzbericht 1995, Bonn 19.8.1994, S.60. Zurück

10) Bundesministerium der Verteidigung (1994): Erläuterungen und …, a.a.O., S.56. Zurück

11) Bundeshaushalt 1995, Drucksache 12/8000 (aufgeteilt nach Einzelplänen). Zurück

12) Vgl.: Kern, N./Köllner, L.: Zur langfristigen Entwicklung des Verteidigungshaushaltes der Bundesrepublik Deutschland, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, SOWI-Berichte Heft 36, München 1984. Zurück

13) Der Bundesgrenzschutz besitzt nach der Haager Landkriegsordnung Kombatantenstatus (Berechtigung zu Kampfhandlungen). Zurück

14) Naumann, K.: Die Bundeswehr in einer Welt im Umbruch, Berlin 1994, S. 28. Zurück

15) WEHRDIENST Nr. 35/94 vom 29.8.1994. Zurück

16) WEHRDIENST Nr. 35/94 vom 29.8.1994. Zurück

17) Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien vom 26.11.1992, S. 50ff. Zurück

18) Weißbuch, a.a.O. S.103. Zurück

19) Nach einem Kompromiß mit der norwegischen Regierung werden nun nur vier statt ursprünglich 12 U-Boote beschafft werden. Entsprechend steht die Regierungsvereinbarung nun vor einer Änderung. Zurück

20) Bundesministerium der Verteidigung (1993): Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushaltes 1994, Bonn 23.8.1993, S. 40. Zurück

21) Bundesministerium der Verteidigung (1993): Erläuterungen und …, a.a.O., S. 41. Zurück

22) Bundesministerium der Verteidigung (1993): Erläuterungen und …, a.a.O., S.42. Zurück

23) Bundesministerium der Verteidigung (1994): Erläuterungen und …, a.a.O., S.23. Zurück

24) Bundesministerium der Verteidigung (1994): Erläuterungen und …, a.a.O., S.23. Zurück

25) Bundesministerium der Verteidigung (1994): Erläuterungen und …, a.a.O., S.24. Zurück

Achim Schmillen ist wiss. Mitarbeiter bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag.

Abrüstung und Konversion

Abrüstung und Konversion

Was und wohin treibt die deutsche Rüstungsindustrie?*

von Hendrik Bullens

Fast ein Dreivierteljahrhundert lang, und nicht erst nach dem Zerfall der Anti-Hitler-Koalition, beherrschte der Ost-West-Konflikt – wie er seitdem etwas bagatellisierend genannt wurde – in zunehmendem Maße die internationale Politik. In Wirklichkeit stand dieses geopolitische Kürzel für einen als fundamental und zugleich als zutiefst bedrohlich empfundenen Gegensatz zweier Gesellschaftssysteme; schon die syntaktische Anordnung der Himmelsrichtungsbezeichnungen genügte, um mit der Chiffre einfach aber wirkungsvoll zu signalisieren, woher die Bedrohung kam, und wer der Bedrohte war – jedenfalls aus westlicher Sicht. Die Allianzen des Zweiten Weltkriegs wirbelten diese Grundkonstellation zwar durcheinander und setzten sie teilweise außer Kraft, aber nur vorübergehend.

Wie tiefgreifend die den Ost-West-Konflikt begründenden Gegensätze und die damit verbundene »threat perception« tatsächlich waren, zeigte sich daran, daß sie bereits beim Ende des Zweiten Weltkriegs schließlich schwerer wogen als die Erfahrungen unermeßlichen Leids und der Schäden, welche Nazi-Deutschland seinen Gegnern – und nicht nur der Sowjetunion – gerade zugefügt hatte. Die einstige Anti-Hitler-Koalition spaltete sich in zwei Blöcke, die Kerne der späteren westlichen und östlichen Verteidigungsbündnisse NATO (1949), WEU (1954) und WVO (1955). Anstelle einer vollständigen Entmilitarisierung, Abrüstung und Neutralisierung Deutschlands – wie ursprünglich von den Siegermächten vorgesehen und auch von vielen Deutschen erhofft – kam es im Zuge dieser politisch-militärischen Bipolarisierung zur Teilung Deutschlands, wobei die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die deutsche Demokratische Republik (DDR) fest in die jeweiligen Bündnissysteme und deren Militärdoktrin der »gegenseitigen Abschreckung« eingebunden wurden.

I. Ost-West-Konflikt und Verteidigungswirtschaft – wie Phönix aus der Asche

Damit war das neue Stadium im Ost-West-Konflikt, die Blockkonfrontation des Kalten Kriegs, auch für die beiden deutschen Teilstaaten Realität geworden; und gerade hier ging er einher mit einer geschichtlich beispiellosen Militarisierung und Aufrüstung. Dem Territorium der beiden »Frontstaaten« bescherte der Kalte Krieg auf Jahrzehnte hinaus die höchste Konzentration an Truppen und die größte Dichte an Waffen, auch atomaren, die es in Friedenszeiten auf der Welt je gegeben hatte. Die Besatzungsmächte hoben ihr Verbot für Deutschland zur Waffenproduktion – außer für die Herstellung von A-, B-, C-Waffen und einigen anderen Systemen – auf. Und mit der Aufstellung regulärer Streitkräfte (Bundeswehr und Nationale Volksarmee) Mitte der fünfziger Jahre wurden schließlich die alten Rüstungskapazitäten wieder errichtet und neue rasch aufgebaut.

Wie ein Phönix aus der Asche konnte die deutsche Rüstungsindustrie sich so aus den Trümmern zweier verlorener Kriege erheben. Ganze zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war der Weg wieder frei für Waffen »made in Germany«.

Durch den Aufbau und die Ausrüstung der Bundeswehr ab 1955/56 und angetrieben durch die Mechanismen des Wettrüstens befanden sich auch in der remilitarisierten BRD die Verteidigungsausgaben im ständigen Aufwind. Sie stiegen von 7,5 Mrd DM im Jahre 1960, über 17,8 Mrd. DM 1965 auf 52,5 Mrd. DM im Jahre 19891. Solche Zahlen berücksichtigen jedoch nur die Ausgaben nach dem Einzelplan 14 (EPl 14), dem Haushalt des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg); auf sie bezieht sich meist auch die Berichterstattung in den Medien. Rechnet man nach NATO-Kriterien korrekterweise die entsprechenden Posten aus sieben weiteren militärisch relevanten Einzelplänen dazu (wie z.B. die NATO-, WEU-Beiträge und Rüstungssonderhilfe im EPl 05 des Auswärtigen Amtes oder zusätzliche Personalkosten im EPl 60 des BMFi), lag der wirkliche Gesamtaufwand in dem Jahr bei 63,3 Mrd DM2; die Ausgaben für Zivilverteidigung u.ä. sind darin noch nicht enthalten.

In der BRD existiert(e) noch ein dritter Verteidigungshaushalt, der darüberhinaus die öffentlichen Unterstützungszahlungen für die »Frontstadt« West-Berlin einschließt. Nach diesem Berechnungsmodus, mit dem die Bundesregierung die Einhaltung ihrer gelegentlich angemahnten Bündnisverpflichtungen zu unterstreichen pflegte, lagen die Verteidigungsausgaben 1989 sogar bei rund 80 Mrd. DM. Mit der Vereinigung verlor diese Größe zwar an Bedeutung; im Hinblick auf die damit verbundene Haushaltsentlastung ist die in der Summe enthaltene, respektable Friedensdividende dagegen sehr interessant, zumal dieser Posten so gut wie nie erwähnt wird. In der damaligen DDR beliefen sich die mit EPl 14 vergleichbaren Verteidigungsausgaben Ende der 80er Jahre auf etwa ein Viertel des westdeutschen Volumens3.

Freilich war die inflationsbereinigte, also reale Ausgabenentwicklung nicht so stark. So errechnete der Militärökonom Maneval (a.a.O., ebda) für die BRD beispielsweise einen Anstieg der realen Verteidigungsausgaben im Zeitraum 1960-1989 von 41.2 Mrd. DM auf 50.3 Mrd. DM (nach NATO-Kriterien; in Preisen von 1980). Umgekehrt bedeutet dies jedoch, daß die reale Steigerung sich auch deshalb in Grenzen halten konnte, weil das Niveau der Verteidigungsausgaben von Anfang an sehr hoch war. Davon profitierte – ebenfalls von Beginn an – die westdeutsche Rüstungsindustrie: sie war Teil des »Wirtschaftswunders«.

Zwar ging der relative Anteil der sog. investiven Ausgaben am BMVg-Budget (Forschung, Entwicklung und Erprobung, Beschaffung von »harten Wehrgütern«, Bauten und Infrastruktur) von gut 3/5 in 1960 auf knapp 1/3 in 1989 zurück. Grund dafür waren die abgeschlossene Ausstattung der Bundeswehr mit Großgerät der ersten und später der zweiten Waffengeneration in hohen Stückzahlen (z.B. tausende von Kampfpanzern Leopard 1 und 2) sowie die gestiegenen Personalkosten bei den Betriebsausgaben. Aber diese Entwicklung wurde durch die gleichzeitig zugenommene Selbstversorgung mit Rüstungsmaterial mehr als gut gemacht: Während die Bundeswehr ihre Ausrüstung 1960 noch etwa zur Hälfte aus Importen bestritt, stammten die Beschaffungen am Ende der 80er Jahre zu mehr als 90<0> <>% aus dem eigenen Land und Kooperationsprojekten4.

Entsprechend, und weitgehend unabhängig von der politischen Richtung der jeweiligen Regierung, blühte das Geschäft mit der Rüstung. Die investiven Ausgaben im Verteidigungshaushalt, eine wichtige aber später noch zu modifizierende Kenngröße für die Rüstungsaufträge durch den Staat als alleinigen Nachfrager, blieben auch nach der Erstaustattung der Bundeswehr hoch. Zwischen 1975 und 1985 stiegen sie von 9.4 Mrd DM auf 16.6 Mrd DM, wobei sich deren Anteil am BMVg-Budget von über 30<0> <>% auf gut 34<0> <>% erhöhte5. Dazu kamen Waffenlieferungen für die Polizei und den Bundesgrenzschutz – und natürlich die Rüstungsexporte.

Bestes Einvernehmen mit Militär, Verteidigungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern (deren beruflicher Wechsel im Lauf der Karriere zum Auftragnehmer notorisch war und ist – man lese den »Wehrdienst«, ein Bonner Informationsbrief für die Rüstungsindustrie), eine hohe Subventionierung aus öffentlichen Geldern und das »cost-plus«-Vertragsprinzip ermöglichten dem industriellen Rüstungsmanagement einen fast wettbewerbsfreien Handlungsraum6: Kalkulationen zu (nach eigenen Aussagen) Höchstkosten, kostenlose Vorfinanzierung, problemlose Anpassungen bei Kostensteigerung, Abnahmegarantien trotz nach oben hin offener Preisentwicklungen und auf diese Weise überdurchschnittliche Gewinne.

Kein Wunder, daß nicht nur das Management sondern auch die übergroße Mehrheit der Rüstungsbeschäftigten zu solchen Bedingungen nicht Nein sagte. Denn diese boten insbesondere Ingenieuren, Technikern und Forschern nicht nur den Reiz technologisch höchst anspruchsvoller Aufgaben und bester Ausstattung in einem dazu geheimnisumwitterten und machtbesetzten Bereich (»toys for the boys«); auch die sonstigen Arbeitsbedingungen, Bezahlung und sozialen Leistungen waren im Vergleich zu anderen Branchen überdurchschnittlich. Und was vielleicht ausschlaggebend war: Rüstungsarbeitsplätze galten als krisenfest, um nicht zu sagen »bombensicher«.

In dieser Periode, von den 60er bis in die Anfänge der 80er Jahren schien Konversion eine Utopie der Friedensbewegung, einiger kritischer Wissenschaftler und erst allmählich auch von kleinen Teilen der Gewerkschaften.

Als theoretische Orientierung gab es u.a. die Schriften des amerikanischen Ökonomen Seymour Melman, der die verheerenden wirtschaftlich-finanziellen Folgen einer aufgeblähten Rüstungswirtschaft zu Friedenszeiten kritisierte; und in der BRD waren es Autoren wie Ulrich Albrecht, Herbert Wulf, Peter Lock oder Michael Brzoska die vor ähnlichen Gefahren warnten und zivile Alternativen aufzeigten7. Praktisches Leitbild war die Erfahrung einer massiven und raschen zivilen Umstellung der Kriegswirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn obwohl damals freilich andere Bedingungen herrschten, war damit der geschichtliche Beweis erbracht, daß Konversion jedenfalls technologisch möglich war. Trotzdem blieb die Diskussion dieses Themas im wesentlichen auf einen sehr kleinen Fachkreis beschränkt, und die meisten Menschen dürften zu der Zeit beim Wort »Konversion« bestenfalls an etwas Religiöses gedacht haben.

Darin brachten erst die 80er Jahre eine Veränderung. Zum einen hatte der NATO-Doppelbeschluß mit der darauffolgenden Dislozierung neuer nuklearer Mittelstreckenraketen gerade in Deutschland alles andere als beruhigend gewirkt. In breiten Kreisen der Bevölkerung hatte dies bekanntlich eher das Bewußtsein dafür geschärft, daß durch diese Erstschlagwaffen mit kürzesten Vorwarnzeiten die Schwelle zu einer atomaren Katastrophe – aus Versehen oder beabsichtigt – schlagartig herabgesetzt worden war und daß die beiden Deutschlands im Ernstfall zu den ersten Opfern gehören würden. Nichts hätte deutlicher machen können, daß mehr Waffen nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bedeuteten: eine von Massenprotesten begleitete Einsicht, die sich nicht auf die Atomraketen alleine beschränkte, sondern sich zu einem Ruf nach Abrüstung schlechthin ausweitete. Zwar ließen die Großdemonstrationen nach 1983 bald nach, aber die Forderung nach zivilen Alternativen blieb.

Zum anderen wurde in den 80er Jahren immer klarer, daß der immense Aufwand für Verteidigung nicht länger leistbar war und die entstandenen Überkapazitäten in der Rüstungsindustrie nicht aufrecht erhalten werden konnten. Zudem machten sich die Kostenexplosion bei neuen Waffensystemen (insbesondere für Forschung und Entwicklung) die immer fragwürdiger werdenden politischen und wirtschaftlichen Effekte (wie Proliferation und spin off) bemerkbar. Das alles warf seine Schatten voraus und markierte die Grenzen dieser »Überrüstung«.

Konfrontiert mit der Erfahrung, daß wegen der Zyklizität der Rüstungsprogramme auch Rüstungsarbeitsplätze sich alles andere als sicher erwiesen, und angespornt durch die Initiativen der Belegschaft beim englischen »defence contractor« Lucas Aerospace, bildeten Rüstungsbeschäftigte auch in der BRD Arbeitskreise »Alternative Produktion«. Zusammen mit den Schriften von gewerkschaftlichen und anderen Autoren wie Mehrens, Bäcker, Schomacker, Einemann, Lübbing, Huffschmidt oder Wellmann – um nur einige zu nennen – gewann die Konversionsalternative so an argumentativer Bedeutung und wurde dann zum festen Bestandteil der Programmatik der IG Metall8.

II. Ende des Kalten Kriegs – Chancen für Abrüstung und Konversion

In der Gorbatschow-Ära kamen schließlich die gemeinsame Sicherheit und internationale Entspannung auf die politische Tagesordnung und bewirkten bei den jahrelangen aber erfolgsarmen Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den beiden Großmächten den Durchbruch zu realen Abrüstungschritten. Der INF-Vertrag über die Beseitigung der landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen in Europa besiegelte den untrüglichen Beginn vom Ende der Blockkonfrontation und des Kalten Kriegs. Da auch die weltweiten Rüstungsausgaben – mittlerweile bei dem astronomischen Betrag von 1 Billion US-Dollar jährlich angelangt, so viel wie die gesamte Schuldenlast der Dritten Welt – erstmals leicht zu sinken begannen, schien Konversion endlich eine reale Möglichkeit geworden zu sein.

Während die Medien das Thema aufgriffen und beispielsweise die »Wirtschaftswoche« schon 1989 eine Artikelserie unter dem mahnenden Titel »Planlos in den Frieden?« veröffentlichte, hatten die bahnbrechenden Veränderungen hierzulande zunächst jedoch nur minimale Auswirkungen; aber immerhin schlugen sie sich in deutlich gebremsten Wachstum der Verteidigungsausgaben nieder. Zwischen 1985 und 1989 vergrößerte sich der Etat des BMVg von 48.9 Mrd DM auf 52.2 Mrd DM, wobei gerade die investiven Ausgaben von 16.6 Mrd DM auf 17.1 Mrd DM nur unwesentlich zunahmen und deren Anteil am EPl 14 von 34,1<0> <>% auf 32,5<0> <>% zurückging. Insgesamt fiel die Verteidigungsquote, der Anteil des EPl 14 am Brutto-Inlandsprodukt (BIP), von 3,2<0> <>% auf 2,8<0> <>%9

Für Deutschland wurden die Auswirkungen der genannten Entwicklungen jedoch erst wirklich virulent mit der, qua Geschwindigkeit und Form noch 1989 unerwarteten, Vereinigung beider deutschen Staaten sowie durch die beschlossene Reduzierung konventioneller Streitkräfte in Europa nach dem Pariser KSE-Vertrag – beide im Herbst 1990.

In diesen beiden Jahren näherte sich auch die wissenschaftliche und politische Diskussion um Konversion ihrem Höhepunkt, und unter dem Slogan »Schwerter zu Pflugscharen« machte sich eine geradezu euphorische Stimmung breit: „Die Konversion“, so schrieb beispielsweise Ulrich Albrecht 1990, „oder die Umstellung von Rüstungsbetrieben auf andere Produkte ist kein politischer Wunschtraum mehr … “10, und Herbert Wulf stellte fest:„Die heile Welt der vom Staat gehätschelten Rüstungsindustrie existiert nicht mehr. (…) Jetzt gilt es, die Chancen der Friedensdividende zu nutzen“.11 Publikationen nahmen sprunghaft zu; Gewerkschaften und Kommunen veranstalteten Tagungen und Kongresse; die Oppositionsparteien im Bundestag organisierten Hearings und »bombardierten« die Regierungen in Bonn und in den Ländern mit Anfragen, Forderungen und Vorschlägen.

Auch wenn das in bestimmten Kreisen heute oft anders, und nicht selten zynisch, dargestellt wird: Niemand der Befürworter von »Schwerter zu Pflugscharen« verwechselte die neue Lage mit dem plötzlichen Ausbruch eines »Ewigen Friedens«, und kaum jemand war so naiv, darin das Ende aller Verteidigung oder die schlagartige Produktionsumstellung von Panzern auf Kochtöpfe zu sehen. Vielmehr ging es um sehr pragmatische, die Entspannungspolitik begleitende Schritte in Richtung einer sozialverträglichen und zukunftsfähigen Friedensökonomie. Das gemeinsame Anliegen: Durch Konversion könnte nicht nur der wirtschaftliche Schaden wegen zurückgehender militärischer Nachfrage aufgefangen, sondern die freiwerdenden Ressourcen könnten zugleich für die dringend notwendige technologisch-ökologische Innovation des Wirtschaftssystems eingesetzt werden – im eigenen Land und über die Grenzen hinweg, die Dritte Welt mit einschließend.

Deshalb wurde insbesondere der industriellen Rüstungskonversion (und hierauf beschränkt sich diese Untersuchung) eine zentrale Bedeutung beigemessen. Dabei gab es, von den MIK-Theoretikern und anderen Skeptikern abgesehen, gewissermaßen auch eine gemeinsame Erwartung: Wenn die politische Führung sich nur zur Abrüstung und Kürzung der Verteidigungsausgaben entscheiden würde, dann schien es geradezu ein Gebot der Vernunft davon auszugehen, daß die entsprechende Konversion auf der Unternehmensebene – mit etwas staatlicher Hilfe – dem schrittweise folgen müßte. Damit war ebenfalls klar, daß Rüstungskonversion zunächst Kosten mit sich bringen und die »Friedensdividende« auf Zeit schmälern würde. Aber welche Volkswirtschaft sollte sich dieser Herausforderung überhaupt stellen, wenn nicht die reiche BRD? Und welche andere Nation hätte eine größere historische Verantwortung gehabt, hier mit gutem Beispiel voranzugehen?

Die Chancen der Rüstungskonversion zu nutzen, schien also nicht nur aus friedenspolitischen, wirtschaftlichen und ökologischen Überlegungen eine sinnvolle Möglichkeit. Darüber hinaus war sie von außenpolitischer Bedeutung, denn mit einer derartigen vertrauensbildenden Maßnahme könnten die auch im Ausland wieder erwachten politischen Ängste vor einem souveränen »Groß- Deutschland« glaubhaft zerstreut werden. In der Tat: gerade für das alte, neue Deutschland hätte man sich mit der Rüstungskonversion kaum einen besseren Start in die »gewachsene Verantwortung« vorstellen können.

Die konservativ-liberale Bundesregierung zeigte jedoch wenig Interesse. Anläßlich einer Großen Anfrage der SPD Mitte 1990 ließ sie verlautbaren12, daß die „… Anpassung an veränderte Nachfragebedingungen in erster Linie Aufgabe der Unternehmen selber (ist)“. Betont optimistisch ging sie davon aus, „… daß es den betroffenen Unternehmen auch künftig gelingen wird, Rückgänge im militärischen Bedarf durch Aktivitäten im zivilen Bereich zu kompensieren, wobei der anhaltende dynamische Wachstumsprozeß (sic!) die Anpassung wesentlich erleichtern sollte“; alles andere sei eine Frage von „… möglicherweise“ und „… zu gegebener Zeit“. Ein ähnlicher Tenor war auch allen späteren Reaktionen auf parlamentarische Anfragen beschieden.

Der deutsche Industrieverband BDI forderte in einer Stellungnahme nicht einmal finanzielle Unterstützung für die sonst schwer subventionierte Rüstungsbranche13, und die wehrtechnischen Unternehmen selber verhielten sich auffallend zurückhaltend; sie schienen abzuwarten. Denn gleichzeitig, als wäre in der Welt nichts geschehen, waren die Verteidigungsausgaben in West-Deutschland auch 1990 weiter angestiegen: der EPl 14 auf 53,4 Mrd. DM und die gesamten Verteidigungsausgaben sogar auf 68,4 Mrd. DM; in 1991 waren es 53.6 Mrd DM bzw. (hier gab es einen Rückgang) 65.6 Mrd DM14. Wer wollte da auf die Warnrufe einiger besorgter Betriebsräte, Politiker oder Friedensforscher hören?

III. Abrüstung ohne Rüstungskonversion – ein Paradox?

Läßt man die besondere Situation von 1991 hier zunächst außer Betracht (auf den Wegfall des militärischen Budgets der DDR wird in einem späteren Kapitel eingegangen), so sind im vereinigten Deutschland die Verteidigungsausgaben des BMVg erst 1992 auf 52.1 Mrd DM zurückgegangen15; und im Zuge der Verringerung von Truppenstärken findet heute in einem gewissen Umfang die Konversion von militärischen Standorten und Liegenschaften statt. Wie aber steht es mit der Rüstungskonversion?

Obwohl regelmäßig zu hören ist, daß der Konversionsprozeß in vollem Gang sei, beklagen sich die betroffenen Unternehmen heute öffentlich über die schlechte Auftragslage, bauen Personal ab oder betreiben andere Formen des »Gesundschrumpfens«. Oft wird diese Praxis mit dem Argument gerechtfertigt, daß eine „… schlagartige (sic!) Umstellung (…) von militärischer auf ziviler Produktion“ eben unmöglich sei – so beispielsweise DASA- Aufsichtsratsvorsitzender Edzard Reuter noch am 7. Mai 1992 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Manche reagieren tatsächlich so, als wären die Entwicklungen über Nacht und völlig unerwartet über sie hereingebrochen. Das gibt zu denken, zumal die entsprechenden Signale schon sehr viel früher erkennbar waren und somit auch genügend Zeit zur Vorbereitung für die Rüstungsindustrie gewesen wäre – wenn sie gewollt hätte.

Richtig ist, daß die Beschaffungsaufträge des BMVg – bereits in der zweiten Hälfte der 80er Jahre leicht im Abnehmen begriffen – 1991 mit einem Schlag um mehrere Milliarden zurückgingen und so die Auftragserwartungen drastisch drückten. Das war die Rüstungsindustrie nicht gewohnt – aber ebensowenig schien sie darin Anlaß für einen »Farewell to Arms« zu entdecken. Die Ursache liegt darin, daß sich auf der anderen Seite immer deutlicher politische Tendenzen abzeichneten, die mittelfristig und später wieder eine Zunahme der militärischen Nachfrage in Aussicht stellten. Die Bundesregierung hätte solchen Erwartungen mit einem klaren sicherheitspolitischen Konzept für die Bundeswehr und eindeutigen friedensökonomischen Richtlinien für die Rüstungsbranche entgegentreten können, aber statt dessen hat sie bis heute – Anfang 1994 – alles andere getan. Trotz der lauthals kritisierten »Planungsunsicherheit« und der Notwendigkeit einer zeitgemäßen Reorganisation eröffnete das freilich gänzlich andere Perspektiven für die wehrtechnische Industrie als Konversion.

Dementsprechend ist in Deutschland viel über Rüstungskonversion geschrieben und gesprochen worden – aber häufig auch ungenau und teilweise sogar irreführend, nicht zuletzt durch die sich immer öfter in die Diskussion einklinkenden Vertreter der Rüstungsunternehmen. An und für sich ist die Beteiligung der Industrie sehr zu begrüßen. Denn ohne sie kann es überhaupt keine nennenswerte Rüstungskonversion geben. Auf der anderen Seite jedoch hat der Gebrauch einer verschwommenen (Konversions-) Terminologie die Eigenschaft, daß mit ihrer Hilfe eine Bedeutung suggeriert werden kann, die sie in Wirklichkeit nicht hat – ein Sachverhalt, der gewöhnlich Etikettenschwindel genannt wird.

Deshalb ist es ratsam, sich vorweg die Kernbedeutung von Rüstungkonversion noch einmal zu vergegenwärtigen: nämlich die schrittweise Umwandlung und der (Wieder-)Einsatz von bisher rüstungsindustriell verwendeten Ressourcen (Menschen, Know-how, Forschung, Technologie, Ausrüstung, Gelder) für zivile Zwecke – und das nicht bei vereinzelten Produkten, sondern als eine ins Gewicht fallende (Teil-)Strategie des Gesamtunternehmens. Teilstrategie heißt in diesem Zusammenhang, daß die wehrtechnische Produktion nicht notwendig gegen null gehen muß, sondern u.U. teilweise erhalten bleiben kann. Jedoch impliziert Konversion immer den zivilen Ersatz und nicht die Ergänzung von Rüstungskapazitäten. Kurz gesagt, ist Rüstungskonversion mehr als die bloße Verkleinerung der militärischen Produktion oder die Erhöhung des zivilen Anteils am Umsatz eines Unternehmens.

Im Gegensatz dazu ist zu beobachten, daß (nicht nur hierzulande) nahezu alles, was irgendwie mit Abrüstungsfolgen, Anpassungen an Budgetkürzungen oder Umstrukturierungen im Rüstungssektor zu tun hat, von der Verteidigungswirtschaft »Konversion« genannt wird: von der Waffen- und Munitionsvernichtung über die Verkleinerung, dem Schließen oder Verkaufen von Rüstungskapazitäten bis hin zur Diversifikation und Fusionierung oder sogar der Konversionshilfe für andere Länder ohne zugleich das eigene Unternehmen zu konvertieren. Für eine Reihe solcher Aktivitäten bietet sich »Pseudo-Konversion« als angemessenere Bezeichnung an; ein Thema, das bei den späteren Fallstudien wieder aufgenommen wird.

Deshalb will ich mich hier nicht weiter mit dieser sprachlichen Inflation befassen, noch mit der überaus interessanten Frage, welchen Zwecken die u.U. damit verbundene Rhetorik dient – sondern vorab lediglich feststellen:

Zur Zeit passiert in der deutschen Rüstungsindustrie alles mögliche, aber Konversion findet – von spärlichen Ausnahmen abgesehen – nicht statt. Das ist enttäuschend und mag überraschend sein. Jedenfalls zeigt dies u.a., daß die damalige Kurzformel „Konversion ist die ökonomische Kehrseite der Abrüstung“, zu einfach war. Weder ganz richtig noch ganz falsch hatte die darin enthaltene »Halbautomatik-Prämisse« zum einen zu einer Überschätzung der Abrüstungs-Konversions-Komplementarität geführt, während zum anderen zusätzliche wichtige Faktoren, Dynamiken und Nebeneffekte keine oder zu wenig Beachtung fanden.

Und so ist es nur scheinbar paradox, daß wir heute zwar in einem gewissen Umfang Kürzungen des Verteidigungshaushalts und Abrüstung erleben, jedoch ohne Konversion der rüstungsindustriellen Basis. Im großen und ganzen verfolgen die einzelnen Unternehmen andere Anpassungsstrategien und, wie zu befürchten ist, nicht nur in Deutschland.

IV. Die vernachlässigte Rolle von längerfristigen Unternehmensstrategien

Einer der Faktoren, die das Verhalten der Verteidigungswirtschaft als ein »dynamisches System« regulieren, liegt nicht außerhalb, sondern in den Unternehmen selber. Gemeint ist die aktive (»subjektive«) Akteursrolle, welche Firmen und ihr Management auf der mikro-ökonomischen Ebene spielen und so das ganze Geschehen beinflussen.

Mitbedingt durch den Umstand, daß die Konversionsdiskussion lange Zeit vorwiegend auf der politikwissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Ebene geführt wurde, waren Fragen nach den längerfristigen Gesamtstrategien von (Rüstungs-) Unternehmen – und damit nach weiteren Gründen für Widerstand gegen Konversion, als beispielsweise in Studien zum militärisch-industriellen Komplex thematisiert – im Hintergrund geblieben. Wo mikroökonomische und betriebswirtschaftliche Aspekte angeschnitten wurden, geschah das mehr im Sinne kurzfristig-pragmatischer Anpassung und technisch-kommerzieller Hilfestellungen; Ausnahmen unter den Arbeitskreisen »Alternative Produktion«, die ihre Vorschläge zum Teil in eine Gesamtstrategie des Unternehmens einzubetten versuchten, bestätigen auch hier die Regel16. Wie wichtig dieses Defizit offenbar genommen werden muß, läßt sich etwa daran ablesen, daß die NATO es nötig fand im Rahmen ihres »Advanced Research Program« in Canada, Mai 1992, eine internationale Konferenz zu dem Thema zu finanzieren.

Tatsächlich spielen insbesondere die längerfristigen Planungen und Managementstrategien, in Wechselwirkung mit den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Umfeldes, eine fundamentale Rolle; sie gehen also weit über die aktuell beobachtbaren Anpassungen hinaus. Auch besteht strategische Planung nicht aus bloßen Ziel-Mittel-Projektionen, sondern sie beinhaltet vielmehr die gesamten Problemerfassungs- und Bewältigungsfähigkeiten (coping) eines Unternehmens. Im Idealfall werden dabei die eigenen Ressourcen und Ziele (endogene Faktoren) auf der einen und die Umweltparameter (exogene Faktoren wie z.B. die staatliche Wirtschafts- und Haushaltspolitik) auf der anderen Seite in einem ständigen iterativen Prozeß aufeinander abgestimmt, was so ggf. zu Korrekturen oder Innovationen der ursprünglichen Strategie führt – fast immer freilich nur aus der Perspektive der Führung und ohne maßgebliche Mitbestimmung durch die Belegschaft.

Zwar sind diese als Gratislieferanten von Ideen in der Regel willkommen, aber sobald es um strategische Mitbestimmung, z.B. um die Entscheidung über die Wahl von Produktlinien geht, ist es meist aus mit der Freundschaft. Daß diese gängige Praxis im Umgang mit dem »Humankapital« – wichstigste Ressource eines Unternehmens – die Motivation und das kreative Gesamtpotential erheblich beschneidet, sei an dieser Stelle ebenso nur am Rande vermerkt wie die Tatsache, daß sich vor allem in kleinen und mittleren Firmen die Fälle mehren, dieses Potential durch mehr Entscheidungsbeteiligung produktiver zu nutzen. Der Konversionserfolg des einst 100%en Rüstungszulieferers Frisby Airbourne in New York wäre dafür ein Beispiel17; aber vor den großen Rüstungsunternehmen, die nach dem Vorbild militärischer Organisationen noch immer vorwiegend hierarchisch-bürokratisch organisiert sind, scheinen solche Veränderungen einstweilen auch in Deutschland halt zu machen – nachprüfbar an dem Abgang des PUR-Projekts bei MBB/DASA in Augsburg.

Wie gut oder schlecht eine strategische Planung unter solchen Bedingungen gelingt, hängt demnach nicht zuletzt von den Fähigkeiten der Unternehmensführung und des Managements ab, mittel- und langfristige Veränderungen im Umfeld mit Hilfe von »Frühwarnsystemen«, Prognosenanalysen zu Marktentwicklungen, Technologiebedarf und »Produktnischen« oder politisch-ökonomisch-sozialen Zukunftsszenarien rechtzeitig zu erkennen, deren Risiken und Chancen richtig zu bewerten und für die Erschließung neuer Geschäftsfelder konstruktiv und schneller als die Konkurrenz zu verarbeiten.

Bezogen auf die derzeitigen Probleme in der Rüstungsindustrie ist der Punkt besonders wichtig, weil er impliziert, daß die einzelnen Unternehmen nicht vollständig durch äußere Bedingungen (wie etwa das Verteidigungsbudget) festgelegt sind. Trotz ähnlicher Lage haben sie sehr wohl die Möglichkeit, in unterschiedlicher Weise damit umzugehen. In Anbetracht der Wahlmöglichkeiten bei Führungsentscheidungen und der Verantwortung für die antizipierbaren Folgen wäre es daher korrekter von »agieren« anstatt von »reagieren« zu sprechen.

Auch wenn »aktive« und »reaktive« Verhaltensformen nicht immer genau zu unterscheiden sind, so ist doch klar, daß beim ersten das Wissen um die Entscheidungsspielräume und den strategischen Vorteil der rechtzeitigen Handlungsinitiative bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Vordergrund steht. Bei der zweiten dagegen überwiegt eher die Mentalität des defensiven Abwartens und der erzwungenen Anpassung, was in der Praxis oft in das bekannte menschen- und materialverschleißende »muddling through« mündet. Vereinfacht gesagt: Veränderungen, die für die einen nur widrige und nach Möglichkeit zu eliminierende Störfaktoren sind, weil sie die Pläne durcheinanderbringen, werden im anderen Fall als Herausforderung angenommen und als Chance zur Erneuerung genutzt. Welcher Typus von Unternehmensstrategie in einer Firma zum Tragen kommt, hat demnach auch mit der Qualität der Unternehmensphilosophie und der Unternehmenskultur zu tun, in die er eingebettet ist.

Zusammen genommen mag dies verdeutlichen, wie sehr gerade unter marktwirtschaftlichen Eigentums- und Partizipationsbedingungen die Lebens- und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens mit der Lernbereitschaft und der strategischen Kompetenz seiner Leitung verknüpft ist – ein Gesichtspunkt, der nicht nur mit Bezug auf die Wahl zwischen Konversion und anderen Optionen, sondern generell für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage der Rüstungsindustrie wichtig ist. Solange das Geschäft boomte und die Aufträge im wesentlichen bloß »abzuholen« waren, fielen strategische und Managementdefizite kaum auf oder ins Gewicht; aber heute zeigen sich diese betriebswirtschaftlichen Mängel in ihrer vollen Tragweite. Und in dem Maße, wie der konjunkturelle und marktwirtschaftliche Normalzustand die Privilegien der Rüstungsindustrie schleift, müssen die Verantwortlichen sich jetzt zumindest eine Reihe unbequemer Fragen gefallen lassen – nicht nur von einer empörten Öffentlickeit und kritischen Medien, sondern zum Teil auch von der Politik.

Einstweilen, und verstärkt seit etwa Mitte 1993, reagiert die Branche darauf mit einer fragwürdigen und wenig originellen reaktiv-aktiven Doppelstrategie. Was die aktuelle Auftragslage angeht, betreiben die Firmen nach innen vor allem defensives Krisenmanagement. Dazu gehören inzwischen Werksschließungen und Entlassungen ebenso wie der Versuch, die Verantwortung für die Abbaumaßnahmen gänzlich abzuwälzen und den »Schwarzen Peter« an die Politik weiterzureichen: Altbekannte Prozeduren, die nur dürftig verdecken, daß die beklagten Anpassungsprobleme und angeblichen Sachzwänge nicht zuletzt das Resultat von eigenen – über Jahre erfolgten – strategischen Versäumnissen und Fehleinschätzungen sind; davon handelt u.a. die DASA-Fallstudie mit Krauss Maffei als vergleichsweise positivem Gegenbeispiel.

Hingegen wird nach außen unter Aufbietung aller Kräfte (Lobbies und wissenschaftliche Institute eingeschlossen) eine äußerst offensive Strategie gefahren mit dem Ziel, die politischen Rahmenbedingungen für das künftige Geschäft, also die Geschäftsgrundlage mit dem Staat, zu verändern. Bekanntlich geht es dabei um die politische Durchsetzung von Bestandsgarantien für Bundeswehraufträge (vornehmer »Planungssicherheit« genannt) sowie um Exporterleichterungen für Rüstungs- und dual-use-Güter (was unter »internationale Kooperationsfähigkeit« firmiert).

Welche Erfahrungen und welche Kalküle sind es im einzeln, die die deutsche Rüstungsindustrie dazu antreiben, so massiv auf diese »Rückwärts-in-die-Zukunft«-Strategie zu setzen? Und welche Bedeutung hat das für die Konversions-Perspektive? Das sind Fragen, denen sich gerade die Konversionsforschung stärker als bisher stellen und die sie genauer beantworten muß.

Abgesehen von firmen-, branchen- oder budgetspezifischen Faktoren sind drei sich überlagernde, aber nicht gleichgerichtete Einflußgrößen für die längerfristigen Optionen der deutschen Rüstungsindustrie in ihrem Stammbereich wesentlich: Abrüstung, Umrüstung und Aufrüstung. Sie kommen zum Ausdruck in der Sicherheits-, Außen-, Wirtschafts- oder Forschungspolitik, in den aktuellen oder geplanten Haushalten und internationalen Entwicklungen. Dazu kommen weitere Einflußfaktoren wie die allgemeine wirtschaftliche Lage oder bestimmte Markt- und Technologieentwicklungen im zivilen und militärischen Bereich. Je nachdem welche(r) der drei Prozesse nach Auffassung der Unternehmen dominierend ist oder sind, beeinflußt das freilich die Richtung ihrer Anpassungsstrategie sehr unterschiedlich; das geschieht auch unter Bedingungen unvollkommener Information (»Planungsunsicherheit«) oder wenn die verschiedenen Tendenzen nicht in »reiner« sondern in gemischter Form vorkommen, was beides hier der Fall ist.

Einige Faktoren in diesem Bedingungsgefüge sind heute relativ klar erkennbar (wie z.B. Streitkräftereduzierungen oder der Sparzwang bei Beschaffungen), während andere sich erst abzeichnen und nur schwer beziffern lassen (wie die zukünftige Rüstungsplanung oder der Export). Des weiteren sind diese Kräfte hinsichtlich ihrer kurz-, mittel- oder langfristigen Effekte sehr unterschiedlich. Deshalb ist es schwierig, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ihre gesamte Netto-Auswirkung für die Zukunft abzuschätzen. Mit den einzelnen »Vektoren« dieses Kräfteparallelogramms (Abrüstung und Demilitarisierung, Haushaltsentwicklung, Rüstungsausgaben, Verteidigungs- und Rüstungsplanung, Export von Rüstungs- und dual-use-Gütern) befassen sich die nächsten Kapitel; dabei soll v.a. empirisch und mit zum Teil erstmals veröffentlichten Zahlen belegt werden, daß und warum Abrüstung-Konversion nicht »the only game in town« ist.

Anmerkung

*) Der nachstehende Beitrag ist das einleitende und leicht gekürzte Kapitel einer bisher noch nicht veröffentlichten Studie, die unter dem Titel »Coping with Cuts and Conversion – Public Policy and Strategies of German Arms Manufacturers« bei der UNO-VR CHINA Conference on International Cooperation to Promote Conversion from Military to Civilian Industry, 5.-11. Juli 1993, in Hongkong vorgestellt wurde. Weitere Kapitel der Studie sollen in dieser Zeitschrift veröffentlicht werden.

Anmerkungen

1) Maneval, H.: Verteidigungspolitik, Abrüstung und Konversion: Ein Überblick über die verteidigungsökonomischen Probleme. In: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. Jg. 41, 1992, Heft 2, S. 131. Zurück

2) Maneval a.a.O., ebenda, sowie SIPRI Yearbook 1993: World Armaments and Disarmaments. Oxford: Oxford University Press, 1993, S.368; darin v.a. das Kapitel »World Military Expenditure« von Saadet Deeger. Die SIPRI-Jahrbücher enthalten die fortlaufenden Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien; den Berechnungen liegen die jährlich veröffentlichten »NATO – Financial and Economic Data Relating to NATO Defence, NATO, Brussels« zugrunde. Wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, werden in der vorliegenden Studie die Nominalwerte aus EPl 14 verwendet, da sie wichtige Aufschlüsselungen enthalten, die den meist aggregierten SIPRI-Daten nicht entnehmbar sind. Zurück

3) Die Ausgaben für Verteidigung in der damaligen DDR beliefen sich 1989 auf 12,8 Mrd. Mark (DDR-Währung); darin enthalten waren 5,5 Mrd. Mark für investive Ausgaben, zum übergroßen Teil für Beschaffungen und Instandsetzungen. Vgl. Hänsel, W.: Möglichkeiten und Methoden der Rüstungskonversion. Die Konversionspraxis in der DDR. In: Köllner, L. & Huck, B. (Eds): Abrüstung und Konversion. Frankfurt-New York: Campus 1990 Zurück

4) Berger, M. et.al.: Produktion von Wehrgütern in der Bundesrepublik Deutschland, Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung München, 1991, S. 78. Zurück

5) Maneval a.a.O., S. 132. Zurück

6) Laut UN-Studie von Inga Thorsson: In Pursuit of Disarmament, Stockholm (1984) gab es bei den Aufträgen durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz (BWB) zu 88% keinen Wettbewerb. Nach dem »cost plus«-Vertragsprinzip gestattete der Auftraggeber dem systemführenden Auftragnehmer, die veranschlagten Kosten um einen »angemessenen« Erlös zu erhöhen. Je höher die Kosten, umso größer waren demnach die Gewinne – ein betriebswirtschaftliches Unikum, das illustriert, warum die Rüstungsbranche als planwirtschaftliche Insel inmitten der Marktwirtschaft apostrophiert wurde. Zurück

7) Für einzelne Titel siehe z.B. die Bibliographie in Köllner. L. & Huck, B. (Eds), Abrüstung und Konversion – politische Voraussetzungen und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 1990. Zurück

8) Industriegewerkschaft Metall, Vorstand (Hrg.), Arbeitsprogramm Rüstungskonversion. Frankfurt a.M., Januar 1991. Zurück

9) Maneval a.a.O. S.131 und 132. Zurück

10) Albrecht, Ulrich, Entwicklung und Stand der Konversionsforschung in der BRD im internationalen Vergleich. In Köllner, L. et.al. 1990, a.a.O., S. 35. Zurück

11) Wulf, H., Rüstungsproduktion, Rüstungsexport und Konversion. In: IGM Bezirksleitung Stuttgart (Hrg.), Abrüsten und Umstellen – Kanonen zu Pflugscharen. Mannheim, Mai 1991. Zurück

12) Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage von SPD- Abgeordneten: »Rüstungs- und Standortekonversion«. Bundestagsdrucksache 11/7441 vom 20.6.1990. Zurück

13) Bundesverband der Deutschen Industrie, Memorandum zur Situation der deutschen wehrtechnischen Industrie. Köln: BDI, März 1991. Zurück

14) Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Erläuterungen und Vergleiche zum Regierungsentwurf des Verteidigungshaushalts 1994, Bonn, 23. August, S. 3; und SIPRI-Jahrbuch 1993 a.a.O. S. 368. Zurück

15) BMVg 1994 a.a.O. ebenda. Zurück

16) Mit weiteren »subjektiven« sowie mit strategischen Aspekten von Rüstungskonversion befassen sich die Beiträge von Grundmann, M., Subjektbezogene Aspekte betrieblicher Konversion, und Petri, E., Konversionsplan statt Sozialplan – Strategisches Instrument zum Umbau von Rüstungsunternehmen; beide in dem gerade erschienenen Buch von Brückl, S., Burger, A., Erben, R., Petri, E. & Simon, M. (Hrg.): Betriebliche Konversion. Münster: Agenda Verlag 1994. Zurück

17) Ullman, J.E., The operational Requirements of Conversion. In: Scientific Advisory Group of the International Trade Union Committee for Peace and Disarmament (Hrg.), Glasgow, Spring 1993, S.50-74. Die Broschüre ist erhältlich beim Herausgeber, 1 Woodlands Terrace, Glasgow G3 6DD, Scotland. Zurück

Hendrik Bullens Dr. phil. Dr. oec. arbeitet an der Forschungsstelle Konversion und Friedenswissenschaften Univ. Augsburg; SISYFOS – Institut München – Augsburg, Tel+Fax (089) 7 47 04

Der gejagte Jäger 90

Der gejagte Jäger 90

Die Metamorphosen eines Verteidigungsministers

von Thomas Küchenmeister

Die Auseinandersetzungen um die Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges für die Bundeswehr sind vorerst beendet. Am Rande deutsch-britischer Verhandlungen Mitte November in London wurde bekannt, daß die Bundesrepublik beabsichtigt nun doch die Entwicklungsphase des Jäger 90/EFA (Europen Fighter Aircraft)-Programms zusammen mit den Kooperationspartnern England, Italien und Spanien vollständig zu Ende zu führen. Gemeinsam wurde vereinbart, diesen Beschluß zunächst nicht öffentlich mitzuteilen und sich lediglich auf die Formulierung von einer „gemeinsamen europäischen Lösung“ zu beschränken.1

Verteidigungsminister Volker Rühe, noch im April diesen Jahres mit der festen Absicht angetreten die Entwicklung des teuersten Rüstungsprojektes in der Geschichte der Bundesrepublik abzubrechen und dessen Beschaffung zu verhindern, wird den Jäger 90 doch nicht aufgeben.

Der Jäger 90/EFA soll jetzt in einer dem militärischen Anforderungsprofil veränderten, ausrüstungstechnisch und elektronisch reduzierten, aber jederzeit nachrüstbaren »Light-Version«, für die Luftwaffe beschafft werden.2 Den anderen beteiligten Nationen soll es jetzt überlasssen bleiben, unterschiedlich ausgerüstete und teure Versionen zu beschaffen.

Verteidigungsminister Rühe darf sich, so die Vereinbarung, aus Gründen der Gesichtswahrung, einen neuen Namen für das »neue« Flugzeug ausdenken. Als neue Bezeichnung ist jetzt das »New European Fighter Aircraft« (NEFA) im Gespräch.3 Den Preis dafür möchte Rühe auf 90 Mio. DM pro Stück festschreiben.

Die offizielle Beschaffungentscheidung in der Bundesrepublik, soll aber erst nach den Bundestagswahlen 1995 fallen, ganz offensichtlich um nicht zum Wahlkampfthema zu werden.4

Kritiker des Rüstungsprojektes fühlen sich jetzt in ihrer Einschätzung bestärkt, daß es sich bei Rühes »Widerstand« gegen das Rüstungsprojekt in erster Linie um eine kosmetische Operation gehandelt habe. Doch mußte nicht einfach ein tapfer gegen die einflußreiche Rüstungsindustrie kämpfender Verteidigungsminister dem Druck der Sachzwänge, bzw. der EFA-Lobby weichen? Rühe wird es jetzt, so viel ist sicher, schwer haben der Öffentlichkeit zu erklären, warum der Jäger 90/EFA nun doch kommt.

Rückblick

Wiederholt hatte sich Rühe gegen die Beschaffung des Jäger 90/EFA ausgesprochen. „Zu teuer“ und der „veränderten sicherheitspolitischen Lage nicht angepaßt“, waren seine zentralen Einwände. Doch der »point of no return« des Projektes, und das muß auch Rühe bewußt gewesen sein, wurde spätestens mit Vertragsunterzeichnung des Memorandum of Understanding (MoU) über die Entwicklung des Jäger 90/EFA durch den damaligen Verteidigungsminister Wörner überschritten. Diese Verträge, so ein damaliger Unterhändler, „sind wasserdicht, weil wir Angst hatten, einer der anderen Partner haut ab.“ 5 Nun verpflichten diese verbindlichen Entwicklungsverträge das BMVg, der Luft- und Raumfahrtindustrie bis 1999 rund 9 Milliarden DM (Preisstand 12/99) für die Entwicklung des Jäger 90/EFA zu bezahlen.6

So konnte oder wollte auch der bereits am 30. Juni 1992 getroffene »EFA-Ausstiegsbeschluß« der Bonner Koalitionsparteien diese Sachlage auch gar nicht verändern. Man erzielte damals, wie es hieß, „in der Sache Einvernehmen“. Der Jäger 90/EFA sollte nicht gebaut werden. Alternativ sollte ein leistungsschwächeres, billigeres Jagdflugzeug neu entwickelt werden, das mit dem Arbeitstitel »Volksjäger« belegt wurde. Hierfür sollten nicht nur die bisherigen EFA-Partnerländer sondern insbesondere Frankreich oder Schweden gewonnen werden. Der Beschluß der Koalition stellte zudem eindeutig fest, daß die Kosten für die Entwicklung eines neuen Jagdflugzeuges nicht an Leistungsdaten, sondern an den Möglichkeiten des Verteidigungshaushalts orientiert werden sollen.7

Einen Tag später zeigte sich jedoch, daß offensichtlich die Auseinandersetzungen in Reihen der CDU/CSU um die Zukunft des Jäger 90 noch nicht abgeschlossen waren. Nur die FDP zeigte in ihrem Entschließungsentwurf den Willen, den Jäger 90 nicht zu beschaffen.

Die Veränderungen die der Text des Entschließungsentwurfs der CDU/CSU-Fraktion im Laufe der Debatte erfuhren, deuteten darauf hin, daß Rühe in seiner eigenen Fraktion mit seinem Ausstiegs-Vorhaben offensichtlich keine Mehrheit hatte. In seiner ursprünglichen Version enthielt der Entwurf die Festlegung, daß der Jäger 90 nicht gebaut werde und zudem, für den Fall das keine Einigung mit den Kooperationpartnern über eine Entwicklung eines billigeren neuen Jagdflugzeuges erzielt werden könne, eine Kaufentscheidung im Ausland geprüft werden solle. Beide Festlegungen waren, sicherlich aus Rücksicht auf die Interessen der nationalen Luft- und Raumfahrtindustrie, im abschließenden Fraktionsbeschluß nicht mehr enthalten.8

So wurde nichts anderes als ein Öffnen einer Hintertür und damit das Festhalten an einer billigeren Version des Jäger 90 beschlossen. Das Rühes Vorhaben, wie noch aus dem Beschlußvorschlag hervorgeht, mit den noch nicht verbrauchten Entwicklungsgeldern für den Jäger 90 einen neuen leichteren und billigeren Jäger zu entwickeln, war vom Tisch. Ein Ausstieg aus der EFA-Entwicklungsphase wurde defacto nicht beschlossen.

Übereinstimmend werteten Daimler Benz-Chef Reuter und DASA-Vorstand Schrempp den Bonner sog. EFA-Ausstiegsbeschluß als erleichternd und beruhigend. Es wurde darauf verwiesen, daß der Beschluß beinhalte, die Kooperation der EFA-Partnerländer fortzusetzen und möglicherweise zu erweitern.9

Rühe versuchte demgegenüber in den Tagen nach der »Ausstiegsentscheidung« in Gesprächen mit den Kooperationspartnern für sein Vorhaben, die Entwicklung eines neuen billigeren Jagdflugzeugs, zu werben. Eine „Billigversion des Jäger 90“ hielt er für nicht realistisch.10

Der Druck auf Rühe aus Industrie- und Militärkreisen, sowie aus der eigenen CDU-CSU Fraktion verstärkte sich daraufhin. Bei den Wahlen für den CDU-Vorstand fiel Rühe auf dem letzten CDU-Parteitag durch. Die DASA kündigte Anfang Oktober dieses Jahres an 7.500 Stellen, hauptsächlich im Rüstungsbereich abzubauen. Begründet wurde dies offiziell mit dem stark rückgängigen Rüstungsgeschäft. Der Jäger 90 sei nicht der Grund dafür, so die DASA, er sei weiterhin „paradoxerweise eines der sichersten Planungselemente“ des Unternehmens.11

EFA-Preispoker – Billig-Jäger?

Mehrfach versuchte Verteidigungsminister Rühe nach der Bonner »Ausstiegsentscheidung« in Verhandlungen mit der Luft- und Raumfahrtindustrie den Preis für ein neues Jagdflugzeug zu drücken. Als Kostenobergrenze hatte er sich 90 Mio. DM pro Flugzeug vorgenommen.12

Am 22. Oktober wurde Rühe plötzlich vom DASA-Vorstandsvorsitzenden Schrempp ein sogenanntes Basismodell (Jäger-Light) für 89,7 Mio. DM pro Stück (Systemkosten) angeboten. Dieses Angebot erwies sich allerdings mal wieder als Mogelpackung, beinhaltete es doch keine Mehrwertsteuer. Was so einen Preis für das »Basismodell« von 102,26 Mio. DM incl. 14% Mehrwertsteuer bedeuten würde. In 1993 wird die Mehrwertsteuer in der BRD auf 15% erhöht, was dann schon einen Preis von 103,16 Mio. DM ausmachen würde. Einsparungen, so der DASA-Vorstand Schrempp, sollen erzielt werden durch Verzicht auf elektronische Komponenten (Reduzierung auf 4-fach Zielbekämpfung statt 10-fach Zielbekämpfung), bzw. durch den Abbbau von Entwicklungsarbeiten die doppelt und zum Teil vierfach gemacht wurden.13 Dies war also offensichtlich vorher kein Grund gewesen von Industrieseite her Kostenbewußtsein auszuüben.14

Es wird jedoch damit gerechnet, daß weggelassene Ausrüstungskomponenten auf jeden Fall nachgerüstet werden müssen, um NEFA überhaupt einsatzfähig zu machen. Eine tatsächliche Verbilligung ist auf diesem Wege kaum erreichbar, da es sich bei der »Basisversion« um eine rein kosmetische Maßnahme handelt.15

Hinsichtlich der bisherigen, meist vorläufigen, Leistungsänderungen /-minderungen beim EFA-Programm (z.B. DASS, FLIR, ASRAAM-FK16), stellte der Bundesrechnungshof (BRH) jedenfalls eindeutig fest, daß Nachrüstungen in der Nutzungsphase zu erheblichen Mehrkosten führen, da nachträgliche Integrationen immer kostenaufwendiger sind als eine Durchführung der Arbeiten während der Entwicklungs- und Produktionsphase.17 Dies bedeutet, daß zunächst kurzfristige »Einsparungen« langfristig im Falle der Nachrüstung zu einem noch größeren Ressourcenentzug führen werden. Ein Umstand der für NEFA (New European Fighter Aircraft) genauso zuträfe und eine neue Kostenfalle öffnen wird.

Einem Bericht des BMVg zufolge, wurde noch im Mai diesen Jahres beabsichtigt, ausgehend von einer Kostenobergrenze von 18,45 Mrd. DM, 138 Flugzeuge vom Typ EFA zum Systempreis von 133,9 Mio. pro Stück zu beschaffen.18 Eine Inflationssrate, die der BRH mit derzeit 6% angibt, wurde nicht berücksichtigt. Diese derzeitige Kostenobergrenze würde jetzt ausreichen bis zum Jahr 2010 gut 82 NEFA-Basismodelle anzuschaffen, nun ausgehend von einem geschätzten Gesamtsystempreis von 102 Mio. DM (10/92) für NEFA und unter der Annahme eines nicht steigenden Verteidigungsetats bzw. Beschaffungsvolumens. Werden allerdings bislang nicht berücksichtigte Kostenerhöhungen wirksam, bzw. werden die Kosten für die Bewaffnung eingerechnet, ist wiederum mit einer Stückzahlreduzierung zu rechen, die ihrerseits, wie auch der BRH zu bedenken gibt, die Kosten weiter erhöhen wird.

Der Bundesrechnungshof (BRH) ging hinsichtlich eines EFA-Preisangebotes der Industrie vom 15.4.92. (133,9 Mio. DM) davon aus, daß diesem ein mindestens 20%iger Preisaufschlag hinzuzurechnen sei. Er berechnete so Gesamtsystemkosten für eine EFA-Maschine in Höhe von deutlich über 160 Mio. DM und urteilte, daß so maximal – ohne Exporterwartung – eine Gesamtzahl von 512 Flugzeugen durch die Partnerländer zu beschaffen sei.

In der BRH-Würdigung des Industrieangebotes für EFA wurde u.a. kritisiert, daß folgende Kosten von der Industrie bzw. vom BMVg nicht berücksichtigt wurden.19

  • Stückzahlreduzierungkosten ca. 4,5%
  • eine Preissteigerungsrate (8% gegenüber 6%) zusätzlich also ca. 2,0%
  • Kosten für Ausschlüsse von Haftung, Garantien u.ä. ca. 5,0%
  • Kosten, die bei der Umwandlung von unverbindlichen Schätz- in Festpreise (Schätzpreisangebot für endgültigen Standard) ca. 5,0%
  • Systempreiszuschläge ca. 5,0%
  • Gesamtkostenerhöhung 21,5%

Nicht berücksichtigt im EFA-Systempreisangebot waren laut BRH zudem:

anteilige Kosten der Serienvorbereitung

Mehrkosten, die bei eine weiteren Stückzahlreduzierung entstehen würden

der »Lernkurveneffekt« bei weiterer Stückzahlreduzierung

erhöhte Zulieferkosten bei weiterer Stückzahlreduzierung

Kosten für die Bewaffnung. Ein AMRAAM-Flugkörper kostet rund 1,1 Mio. DM (Stand 12/91), ein ASRAAM-Flugkörper wird mit rund 0,5 Mio. DM angegeben.20

Geht man davon aus, daß all diese Kostenrisiken auch vom neuen Systempreisangebot (NEFA) der LRI vom Oktober 1992 (102 Mio. DM) nicht berücksichtigt werden, so ist bei vorsichtiger Schätzung mit einem Gesamtsystempreis von mindestens 123 Mio. DM ( Preisstand 10/92) bzw. 196 Mio. DM (Preisstand 10/2000) nur für das »Basismodell« ohne die auch für das EFA-Systempreisangebot nicht berücksichtigten Kostenrisiken (Bewaffnung, Serienvorbereitungskosten, Zulieferkosten etc.) zu rechnen.

Unterstellt, Rühe setzt sich mit der Festschreibung des »Systempreises« in Höhe von 102 Mio. DM (incl. Mehrwertsteuer) bei der Luft- und Raumfahrtindustrie durch, würde auch dies allein schon den vorgesehenen Beschaffungsrahmen für ein neues Jagdflugzeug bei weitem sprengen.

Beschaffungskostenabschätzung für das Basismodell New European Fighter Aircraft (NEFA) auf »Systemkostenbasis« laut Industrieangebot vom 10/1992.21

Bewertung

Die Luft- und Raumfahrtindustrie, sowie die Jäger-90-Befürworter in der Bundesregierung und der Bundeswehr haben sich offensichtlich mit ihrem Vorhaben durchgesetzt, den Jäger »auf Eis zu legen«, um zu einem späteren Zeitpunkt ein ähnliches Flugzeug, in Anlehnung an die ursprünglichen Pläne, Stück für Stück nachzurüsten. Der jetzt ausgehandelte »Kompromiß« senkt die Kosten des Milliarden-Rüstungsprojektes nicht, er verschiebt sie lediglich in die Zukunft. Rühe, der diesem »Kompromiß« sicherlich auch auf Druck der EFA-Lobby zustimmte, kann sein Vorhaben ein »billigeres« Jagdflugzeug für die Bundeswehr zu beschaffen, als gescheitert betrachten. Was Rühe jetzt bekommt, ist schlichtweg ein kaum einsatzfähiges Jagdflugzeug, was in Zukunft teuer nachgerüstet werden wird.

Eine Unterbrechung der Entwicklungsarbeiten, von Rühe noch Mitte des Jahres angekündigt, hat es jedenfalls bis dato nicht gegeben. Weder die als gemeinsamer Auftrageber der vier Kooperationsländer gegründete NEFMA (Nato EFA Development, Production and Logistic Managment Agency) noch das Auftragnehmer-Konsortium Eurofighter haben bislang eine dementsprechende Weisung erhalten.

Beschaffungs- jahr Beschaffte Flugzeuge Kosten je FLZ. Ausgaben in Mio. DM
pro Jahr / Stk. kumuliert / Stk. in Mio. DM pro Jahr kumuliert
2000 7,5 7,5 162,57 1.219,28 1.023,75
2001 7,5 15,0 172,32 1.292,43 2.511,71
2002 7,5 22,5 182,66 1.369,98 3.881,68
2003 7,5 30,0 193,62 1.452,18 5.333,86
2004 7,5 37,5 205,24 1.539,31 6.873,17
2005 7,5 45,0 217,56 1.631,66 8.504,83
2006 7,5 52,5 230,61 1.729,56 10.234,40
2007 7,5 60,0 244,45 1.833,34 12.067,74
2008 7,5 67,5 259,11 1.943,34 14.011,07
2009 7,5 75,0 274,66 2.059,94 16.071,01
2010 7,5 82,5 291,14 2.183,54 18.254,55
2011 7,5 90,0 308,61 2.314,55 20.569,10
2012 7,5 97,5 327,12 2.453,42 23.022,52
2013 7,5 105,0 346,75 2.600,63 25.623,14
2014 7,5 112,5 367,56 2.756,66 28.379,81
2015 7,5 120,0 389,61 2.922,06 31.301,87
2016 7,5 127,5 412,98 3.097,39 34.399,26
2017 7,5 135,0 437,76 3.283,23 37.682,49
2018 5 140,0 464,03 2.320,15 40.002,64
Anmerkungen: Die Werte wurden z.T. aufgerundet. • Beginn der Beschaffung: 200022
• Zu beschaffende Stückzahl: 14023 Zulauf: 7,5
Maschinen pro Jahr (laut BRH)24 • Inflationsrate: 6% pro Jahr (laut BRH)25
Planungsbeschaffungsansatz für ein neues Jagdflugzeug des BMVg: 18,45 Mrd. DM (Stand
12/91)26
Nach Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes ab 1993 auf 15% würde der »Systempreis» für
das Basismodel auf 103,16 Mio. DM (Preistand 1/93), bzw. 164,42 Mio. DM (Preisstand
1/2001), bei einer Preissteigerungsrate von 6%, ansteigen.

Anmerkungen

1) FAZ, 13.11.92. Zurück

2) Der Spiegel, 45/1992, FAZ, 31.10.92., FAZ, 14.11.92 Zurück

3) ebenda. Zurück

4) FAZ, 24.6.92. Vergl. auch: Financial Times, 16.9.92., Flight International 18-24 November 1992. Berichtet wird hier über bereits aufgenommene Gespräche hinsichtlich einer Verschiebung der endgültigen Entscheidung auf nach der Bundestagswahl 1994 in Deutschland. Der parlamentarische Staatssekrätär im Wirtschaftsministerium und Jäger-90-Befürworter Riedl (CSU), erklärte, daß Bundeskanzler Kohl intern schon vor der »Ausstiegsentscheidung« gegen den Bau des Jäger 90 entschieden hatte, erwäge aber nach gewonnener Wahl 1994, ein ähnliches Flugzeug für die Luftwaffe zu beschaffen. Zurück

5) Der Spiegel 45/92. Zurück

6) Bundesrechnungshof (1992): Dritter Bericht an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zum Rüstungsvorhaben Jagdflugzeug 90/European Fighter Aircraft, 15.6.92. Zurück

7) FAZ, 1.7.92. Zurück

8) Frankfurter Rundschau, 2.7.92., FAZ, 2.7.92. Zurück

9) Der Tagesspiegel, 1.7.1992 Zurück

10) FR, 7.7.92. Zurück

11) FAZ, 9.10.92. Zurück

12) Fr, 21.11.92. Zurück

13) Süddeutsche Zeitung, 14/15.11.1992 Zurück

14) Schon 1979 warnte der Bundesrechnungshof den damaligen Verteidigungsminister Apel, daß: „bei der Industrie die Neigung bestehe … die voraussichtlichen Beschaffungskosten an der untersten Grenze anzusetzen, um das Vorhaben wegen sonst etwa auftretender Zweifel an der Finanzierbarkeit nicht scheitern zu lassen.“ In: Der Spiegel, 37/1988. Zurück

15) FAZ, 2.11.92. Zurück

16) DASS=Defensive Electronic Sub System , FLIR=Forward Looking Infrared, ASRAAM-FK=Advanced Short Range Air To Air Missile. Zurück

17) Vergl.: Wehrdienst, Nr.1325, 13.7.92. Zurück

18) BMVg-Bericht: Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges, vom 27.5.92., in : Wehrdienst, 1320/92, 9.6.92. Zurück

19) Bundesrechnungshof (1992): Dritter Bericht an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zum Rüstungsvorhaben Jagdflugzeug 90/European Fighter Aircraft, 15.6.92. Zurück

20) Bundesrechnungshof (1992): Dritter Bericht an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zum Rüstungsvorhaben Jagdflugzeug 90/European Fighter Aircraft, 15.6.92. Zurück

21) Vergl.: FAZ, 2.11.1992, S. 6 Zurück

22)) Vergl.: Eurofighter (1992): A Syopsis on the 4 Nations Efa Study. Zurück

23)) BMVg-Bericht: Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges, vom 27.5.92., in : Wehrdienst, 1320/92, 9.6.92. Zurück

24)) Bundesrechnungshof (1992): Dritter Bericht an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zum Rüstungsvorhaben Jagdflugzeug 90/European Fighter Aircraft, 15.6.92. S. 34. Zurück

25)) Bundesrechnungshof (1992): Dritter Bericht an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zum Rüstungsvorhaben Jagdflugzeug 90/European Fighter Aircraft, 15.6.92. S. 34. Zurück

26)) BMVg-Bericht: Beschaffung eines neuen Jagdflugzeuges, vom 27.5.92., in : Wehrdienst, 1320/92, 9.6.92. Zurück

27)) FAZ 2.11.92. Zurück

28)) MBB/DASA: »8 gute Gründe für EFA«, 1991. Zurück

29)) Vergl. Wehrdienst, Nr. 1325, 13.7.92. Zurück

30)) Der Spiegel 46/1992 Zurück

Thomas Küchenmeister ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin.

Rüstungskooperation in Westeuropa

Rüstungskooperation in Westeuropa

von Harald Bauer

Hinter dem Begriff »(west)europäischer Rüstungsmarkt« verbergen sich Vorstellungen von der simplen Fortführung der Kooperationsformen der Vergangenheit bis hin zu einem deregulierten Markt für Rüstungsgüter. Angesichts dieser Spannbreite und dem Bestreben der Nationalstaaten, den Rüstungsbereich möglichst eng unter ihrer Kontrolle zu halten, ist es angebracht, die Optionen für diesen Rüstungsmarkt zu untersuchen. Die Frage ist, wie weit die nationale Kontrolle gelockert werden muß und welcher Rahmen für den Markt bzw. die Kooperation gewählt wird.

Aus dem bisherigen Fortgang ist ablesbar, daß die EG keine alleinige Zuständigkeit für den Rüstungsmarkt und die -industrie erhalten wird. Daneben steht die IEPG, das Verhältnis der beiden ist zu bestimmen. Die Foren bisheriger Rüstungskooperation, allen vorweg die NATO, können darüber nicht vernachlässigt werden. Es ist zu fragen, welche Funktion sie weiter haben, wie sie sich wandeln wird; im Rüstungsbereich ist eine exklusiv westeuropäische Politik genauso wenig durchführbar wie in anderen Sektoren der technologischen Kooperation. Deshalb wird auch das transatlantische Verhältnis neu bestimmt werden müssen. Der prädestinierte Rahmen dafür wäre die NATO.

Damit sich die westeuropäische Rüstungsindustrie gegenüber der US-amerikanischen, die ein dreimal größeres Marktvolumen im Rücken hat, behaupten kann, soll ein westeuropäischer Rüstungsmarkt entstehen. Wie der jedoch gestaltet sein, welchen Grad die Marktöffnung haben und von welchen Institutionen er kontrolliert werden soll, ist heftig umstritten. Es herrschen große Zweifel an der Fähigkeit der EG und der IEPG, mit ihrem Instrumentarium die Konzentrationsprozesse in der Rüstungsindustrie zu kontrollieren.

Bis Ende der 80er Jahre war westeuropäische Rüstungskooperation immer an Regierungsvereinbarungen oder Memoranda of Understanding (MoU) geknüpft, die den Rahmen für die einzelnen Projekte festlegten. Dem gingen lange Verhandlungen über die Konzeption unter Berücksichtigung der (meist teilweise widersprüchlichen) Anforderungen der nationalen Armeen, zu beschaffende Anzahl der Waffensysteme, Anteile an F & E, Fertigung und industrielle Führerschaft voraus.

Foren der Rüstungskooperation

Foren, in denen Rüstungskooperation, Standardisierung und Interoperabilität besprochen und arrangiert werden können, gibt es auf einer Vielzahl von Ebenen. Zu nennen sind bilaterale Ebenen, etwa der deutsch-französische Sicherheitsrat, die sogenannte Vierergruppe1, die WEU, mit Ständigem Rüstungsausschuß und Agentur III zur Entwicklung der Rüstungszusammenarbeit und die NATO, um die herum eine Vielzahl von Initiativen und Gremien existiert, wie die FINABEL2 und die Eurogroup.3 Eine besondere Rolle kommt dabei den nationalen Rüstungsdirektoren (National Armament Directors, NAD) zu. Sie treffen sich in der CNAD (Conference of NAD) der NATO. Am Tage vor dem zusammentreten der CNAD tagen sie unter dem Signum der Eurogroup als EuroNAD, um zu überlegen, welche spezifisch westeuropäischen Interessen es in der CNAD zu wahren gilt. Daneben sind sie auch in der IEPG (Independent European Programme Group) aktiv, die ursprünglich ebenfalls bei der NATO angesiedelt war; neben diesen multilateralen Ebenen, kommen dieselben Rüstungsdirektoren aber auch im bilateralen Rahmen zusammen.

Ebenso wie die Rüstungsdirektoren ist auch der Rahmen der Berater aus der Industrie konstant. Die NIAG (NATO Industrial Advisory Group) wird von westeuropäischer Seite mit denselben Repräsentanten der Rüstungsindustrie beschickt, die auch in der EDIG (European Defence Industry Group) der IEPG beratende Funktionen wahrnehmen. Im Rahmen der IEPG wird auf Initiative der französischen DGA seit 1989 jährlich ein vierwöchiges Treffen der NAD, der Vertreter der Rüstungsindustrie und weiterer Rüstungsexperten durchgeführt, um Problemkenntnis und persönliche Kontakte zu vertiefen.

Weil der bilaterale Rahmen in den Länderteilen stärker zur Geltung kommt und etwa über die FINABEL keine Berichte im Sinne einer bedeutenden Aktivität vorliegen, werden hier die WEU und die NATO als Foren der Rüstungskooperation behandelt. Im folgenden geht es dann, unter dem Aspekt des Rüstungsmarktes und der Technologiepolitik, um IEPG und EG. Zwar ist etwa durch die Taft-Initiative das Problem der Gestaltung des westeuropäischen Binnenmarktes für Rüstungsgüter auch in der NATO tangiert, doch ist der Schwerpunkt dort nach wie vor auf Kooperation und nicht auf Marktregelungen. Im Zentrum des Interesses steht Westeuropa, und die Westeuropäer suchten durch die Gründung der IEPG gezielt, sich dem übermächtigen Einfluß der USA in der NATO zu entziehen.

Die Westeuropäische Union (WEU)

Die WEU richtete 1955 den Ständigen Rüstungsausschuß ein, Expertengruppen und Unterausschüsse befaßten sich mit Fragen der Rüstungsplanung und -standardisierung. In den 60er Jahren wurde eine ad-hoc-Gruppe eingerichtet, die eine Reihe von Studien und Empfehlungen für Kooperationsvorhaben bei den westeuropäischen Landstreitkräften vorbereitete. Zu konkreten Projekten kam es nicht, und als Großbritannien sich 1973 der FINABEL anschloß, wurde der Ständige Rüstungsausschuß vollends bedeutungslos. Zwar versuchte die französische Regierung nach 1970, ihn zu stärken, fand damit aber wenig Anklang.4 Seit der Reaktivierung der IEPG 1984 hat der Ständige Rüstungsausschuß nicht mehr getagt.5 Im Rahmen der Umstrukturierung der WEU nach der Verabschiedung der »Sicherheitspolitischen Plattform« 1987 wurde er schließlich ganz abgeschafft. An die Stelle der Ausschüsse trat, auf Beschluß des Rates vom November 1989, das Forschungsinstitut der WEU, das 1990 seine Tätigkeit aufnahm.

Durch die Schaffung einer militärischen Weltraumkoordination bei der WEU 1991 erhielt sie wieder neue Relevanz als Forum der Rüstungskooperation. Diese Option wurde im Rahmen der Regierungskonferenz zur Europäischen Union noch ausgeweitet. Neben der Absicht, die WEU nach 1996 in die EG zu überführen, enthielt der deutsch-französische Vorschlag vom 16. Oktober 1991 einen Passus zur „verstärkten Kooperation bei der Rüstung, mit dem Ziel der Schaffung einer Europäischen Rüstungsagentur6, der sich als „zu prüfender Vorschlag“ auch in der Erklärung zur Westeuropäischen Union im Anhang des Vertrages zur Europäischen Union befindet7. Die Realisierungschancen sind angesichts der vagen Formulierung als nicht besonders groß einzuschätzen, wenngleich der Vorschlag von französischer Seite nachhaltig unterstützt wird. Der Leiter der DGA, Sillard, schlug im Dezember 1991 die Schaffung einer Agentur für Rüstungsbeschaffung bei der WEU vor.8

Die NATO

In der NATO waren Rüstungskooperation und Standardisierung von Beginn an ein konfliktträchtiger Gegenstand. Durch das amerikanische Übergewicht in der Waffenproduktion war Rüstungskooperation bis 1966 gleichbedeutend mit der Herstellung von Waffen amerikanischen Ursprungs und Entwurfs durch die Westeuropäer, mit der Ausnahme der Flugzeuge FIAT G91 und Breguet-Atlantic. Mit Beginn der 60er Jahre setzten transatlantische Differenzen ein, die auch die Strategie der NATO betrafen. Der Wunsch der Westeuropäer nach größerer technologischer Eigenständigkeit, dem Schließen der »technologischen Lücke«, schlug sich auch in der Rüstungskooperation nieder. 1966 wurde das Armament Committee der NATO aufgelöst und die CNAD eingerichtet, 1968 ergänzt um die NIAG. Gegen Mitte der 70er Jahre trat die US-Administration wieder verstärkt mit Forderungen nach »Standardisierung« der NATO-Ausrüstung an die Westeuropäer heran. Sie verstanden Standardisierung als Weg der USA, ihre Rüstungsprodukte in Westeuropa abzusetzen, ohne dort entsprechende Käufe zu tätigen, als »one-way-street«. Das Gegenkonzept hieß Interoperabilität, das hauptsächlich von französischer Seite vertreten wurde.

Bei der Gründung der IEPG auf Beschluß der Eurogroup von 1975 ging es um die Einbindung Frankreichs, das sich der 1968 als informelles NATO-Organ gegründeten Eurogroup, bestehend aus den Verteidigungsministern der europäischen NATO-Mitgliedstaaten, nicht angeschlossen hatte.9 Die IEPG war formal von der NATO unabhängig, was durch das »Independent« unterstrichen wurde, ihre höchste Instanz wurde lange Zeit von den jeweiligen Botschaftern bei der NATO gebildet. Zu den Aufgaben der IEPG gehörte es u.a., die Standardisierung und Interoperabilität zu verbessern und eine ausgewogenere Rüstungskooperation mit den USA zu erreichen. Relevanz erhielt sie erst nach 1984, als sie sich immer mehr von der NATO löste und schließlich ein eigenes Sekretariat in Lissabon gründete.

Die CNAD umfaßt sechs Hauptgruppen, für die drei Teilstreitkräfte, für Rüstungsforschung, zur Luftverteidigung und für das Fernmeldewesen. Daraus wurden, unter Einschluß der Industrievertreter in der NIAG, über 220 Arbeitsgruppen gebildet. Dieser enorme Aufwand brachte zwar eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten unter NATO-Aufsicht hervor10, befriedigte dennoch die beteiligten Regierungen und ihre Vertreter nicht. 1982 machte der US-Verteidigungsminister Weinberger einen Vorschlag für die bessere Nutzung der Technologiebasis zur Konventionalisierung der NATO-Strategie. Die Initiative traf auf wenig Enthusiasmus auf Seiten der Westeuropäer, 1984 wurde eine Liste mit ganzen 11 Projekten zur Anwendung neuer Technologien (emerging technologies) von der CNAD gebilligt. Nach dem demokratischen US-Senator Nunn ist die Initiative von 1985 benannt, mit der die Rüstungskooperation in der NATO vor allem bei der F & E gefördert werden sollte.11 Ende 1989 sah die Bilanz so aus, daß von Seiten der USA 82 Programme für die Nunn-Initiative bestätigt worden waren, davon 28 mit Vertragsabschluß und acht mit unterzeichnetem Memorandum of Understanding mit NATO-Verbündeten, weitere elf MoUs standen noch in der Verhandlungsphase. Die US-Behörden drückten ihre Unzufriedenheit mit den wenig greifbaren Resultaten der Projekte bis zu diesem Zeitpunkt aus.12 Der frühere Generalsekretär der NATO, Lord Carrington, initiierte 1987 das Conventional Armaments Planning System (CAPS) der NATO. Es ersetzte das 1976 von der CNAD geschaffene Periodic Armaments Planning System (PAPS), das erste konkrete Planungssystem der NATO. Weil PAPS keine koordinierte Planung der Rüstungsprojekte gebracht hatte, erschien CAPS notwendig. Über die Erfassung der langfristigen nationalen Planung der Mitgliedstaaten soll deren Rüstungsbeschaffung koordiniert werden. Seit Sommer 1989 sind fast alle größeren Rüstungsprojekte, die im Rahmen der NATO durchgeführt werden sollten, durch den Rückzug eines oder mehrerer Partnerländer in größere Probleme geraten oder ganz gestrichen worden.13

Nicht in erster Linie auf Rüstungskooperation, sondern auf einen transatlantischen Rüstungsmarkt, ein »defence GATT«, zielte die Initiative des US-Botschafters bei der NATO, William Taft. Im März 1991 legte eine bei der CNAD eingerichtete Arbeitsgruppe den ersten Zwischenbericht zur Taft-Initiative vor. Darin wird ein möglicher NATO-Verhaltenskodex vorgeschlagen, in Anlehnung an die Regelung öffentlicher Ausschreibungen der Tokio-Runde des GATT und der EG. Ein NATO-Abkommen über den Rüstungshandel wird für möglich gehalten, eine NATO-Rüstungsagentur als utopisch bezeichnet. Neben einem Komitee über Folgeaktionen wird ein weiterer Bericht an die CNAD für Oktober 1991 vorgeschlagen.14 Im Sommer 1992 sollte ein weiterer Bericht zu den Arbeiten in der Folge der Taft-Vorschläge fertiggestellt werden. Nach Aussage eines Pressesprechers der NATO sollte er auch Vorschläge für Zollregelungen etc. enthalten, entsprechend den durch den Binnenmarkt geschaffenen Erfordernissen. Angesichts der vagen Vorschläge ist nicht zu erwarten, daß die NATO in absehbarer Zeit eine substantielle Übereinkunft zur Liberalisierung des transatlantischen Rüstungshandels erzielen wird. Für die westeuropäische Rüstungsindustrie wäre die Furcht vor der übermächtigen US-Konkurrenz Grund genug, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den nordatlantischen Rüstungsmarkt zu verhindern.

Der westeuropäische Binnenmarkt für Rüstungsgüter

Offizielle Regierungsvertreter haben die Bezeichnung »Europäischer Markt für Verteidigungsgüter« (EMVG) kreiert. Seine institutionelle Verankerung ist umstritten, mit der IEPG und der EG-Kommission stehen zwei Akteure bereit, sich die Kompetenz dafür zu sichern. Den Ansprüchen der Kommission, den Art. 223 des EG-Vertrages zu streichen, der die nationalen Vorrechte für die Rüstungsproduktion festlegt, steht die IEPG entgegen. Diese will, laut »Action Plan« von 1988, die nationale Beschaffung liberalisieren und für den Wettbewerb öffnen. Die Ansiedlung des EMVG bei der IEPG ist die Option derjenigen, die zwar eine geringfügige Deregulation des Rüstungsmarktes für notwendig halten, die Kontrolle darüber aber unter keinen Umständen der Kommission übergeben wollen. Nationale Verfügungsgewalt, obschon stark eingeschränkt durch den Verlust an Autonomie des Rüstungsbereichs, soll wenigstens über dessen harten Kern erhalten bleiben. Dieser Standpunkt hat einen Etappensieg erzielt: der Art. 223 wurde beibehalten. Damit ist der Kompetenzstreit nicht beendet. Sollte die IEPG es nicht schaffen, die für erforderlich gehaltene minimale Liberalisierung des Rüstungsmarktes zu erreichen, wäre die Forderung der Kommission nach Kompetenzübertragung spätestens bei dem für 1996 anstehenden Bericht zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kaum noch ablehnbar. Es ist deshalb erforderlich, sich mit den Optionen hinsichtlich des EMVG und den Möglichkeiten zu deren Durchsetzung von IEPG und Kommission zu befassen.

Die Independent European Programme Group

Wie bereits erwähnt, wurde die IEPG 1976 gegründet. Vorausgegangen war im Sommer 1975 die Entscheidung von vier kleineren NATO-Staaten, statt einer französischen Mirage die amerikanische F-16-Maschine zu beschaffen. Der damalige niederländische Verteidigungsminister Vredeling lud seine Kollegen der Eurogroup zu einer Sondersitzung, bei der die Gründung der von der NATO formal unabhängigen IEPG beschlossen und auch Frankreich dazu eingeladen wurde. Die IEPG erhielt drei Panels: I Rüstungsplanung, II Projektgebiete und III Rüstungswirtschaft und Verfahren. Nach der Gründung konnte man sich in kaum noch einem Punkt einigen, vor allem Frankreich widersetzte sich dem US-Interesse der Standardisierung und der transatlantischen Ausrichtung der Rüstungsstrukturen.

Ab 1983 gab es Bemühungen, der IEPG neues Leben einzuhauchen, die vor allem von Großbritannien in Person des damaligen Verteidigungsministers Heseltine vorangetrieben wurden. Heseltine war zunächst Vorsitzender der Eurogroup, fand dieses Gremium wegen des Fehlens Frankreichs für ungeeignet. Mit Unterstützung durch den niederländischen Vorsitzenden der IEPG betrieb er deren Wiederbelebung. Die Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten bildeten ab 1984 das oberste Gremium der IEPG. Die Betonung der Unabhängigkeit von der NATO ging nun so weit, daß man den USA bedeutete, sie seien in der IEPG unerwünscht.

Die britische Regierung hatte ein Interesse an der Ausdehnung der von ihr eingeführten Neuerungen in der Rüstungsbeschaffung. In Großbritannien selbst wurde der Anteil der in Konkurrenz vergebenen Aufträge im Zuge der sogenannten Levene-Reformen wesentlich gesteigert. Diese umfassen drei Prinzipien: die Lieferanten sollen um Entwicklungs- und Produktionsaufträge konkurrieren; der Hersteller, und nicht der Kunde, trägt das Risiko eines Fehlschlags, erzielt auch andererseits bei effizienter Arbeit größere Profite; Projekte werden auf allen Stufen überwacht, Zahlungen erfolgen erst nach nachgewiesenen Fortschritten. Angeblich wurden damit starke Einsparungen für den Beschaffungshaushalt erzielt, das Ende des Nimrod-Projekts war ein eindeutiger Hinweis an die Industrie auf die Ernsthaftigkeit der Regierungsabsichten. Im Interesse des Wettbewerbs bemühte sich die britische Regierung gleichzeitig, Fusionen und Konzentration auf dem Rüstungsmarkt zu verhindern. Das paradoxe Ergebnis war jedoch eine Konzentration der Marktmacht bei der Rüstungsindustrie.15

Die 1985 eingerichtete EDIS-Gruppe unter Vredeling, der mittlerweile auch EG-Kommissar war, bestehend aus Vertretern der Rüstungsindustrie und regierungsunabhängigen Politikern, erstellte im Auftrag der IEPG eine Studie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie. Die Ergebnisse wurden 1986 in zwei Bänden mit dem Titel „Towards a stronger Europe“ vorgelegt.

Wenn die Westeuropäer Rüstungskooperation so weiterbetrieben wie bisher, so der Tenor der Studie, seien sie Ende der 90er Jahre nur noch untergeordnete Zulieferer und nicht mehr in der Lage, die technische Führung zu übernehmen. Für eine effiziente Nutzung der Ressourcen zur Rüstungsproduktion wurden vielerlei Hindernisse gesehen. Hauptursache sei der fehlende Wettbewerb in Westeuropa.16

Die konkreten Anforderungen für die Errichtung eines Binnenmarkts für Rüstung in der IEPG wurden im Vredeling-Bericht folgendermaßen formuliert:

  • die graduelle Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte mit dem langfristigen Ziel der Schaffung eines Rüstungsbinnenmarktes der IEPG-Staaten. Durch die regionale Ausschreibung von nationalen Auftragsvorhaben soll der Wettbewerb vergrößert und die Restrukturierung der westeuropäischen Rüstungsindustrie beschleunigt werden. So möglich, sollen westeuropäische Konsortien gegeneinander um Aufträge konkurrieren;
  • die Regierungen sollen, Kraft ihrer Stellung bei der Auftragsvergabe, Fusionen im westeuropäischen Rahmen fördern;
  • zur Stärkung der technologischen Basis der Rüstungsindustrien soll ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm eingerichtet werden, das aus einem Gemeinschaftsfonds zunächst 100 Mio., später 500 Mio. ECU erhalten soll;
  • das Prinzip der »juste retour« des längerfristigen industriellen Ausgleichs, wie es in der ESA praktiziert wird17, soll übernommen werden;
  • die Mitgliedsstaaten mit einer gering entwickelten Rüstungsindustrie (LDDI) sollen beim Aufbau des Rüstungssektors unterstützt werden, damit sie nicht bei der Öffnung der Märkte ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren;
  • zur besseren Durchführung der Vorschläge soll ein IEPG-Sekretariat eingerichtet werden, das die Zahl von 20 operationellen Beamten nicht übersteigen soll.18

Die Verteidigungsminister der IEPG lehnten 1987 zunächst ein gemeinsames Sekretariat ab, ebenso wie den Forschungsfonds, beauftragten aber die nationalen Rüstungsdirektoren mit der Ausarbeitung eines Aktionsplanes für die schrittweise Annäherung an einen offenen europäischen Markt für Rüstungsgüter. Diese Stockung in der Weiterentwicklung der IEPG hängt mit dem Rücktritt des »Europäers« Heseltine im Januar 1986 nach seiner Niederlage in der Westland-Frage und der Übernahme des Vorsitzes in der IEPG durch Spanien zusammen. Für die britische Orientierung hatten sich die Transatlantiker um Premierministerin Thatcher durchgesetzt. Ab 1987 erfolgte eine Reorientierung der britischen Interessen. Zum einen wurde klar, daß der US-Rüstungsmarkt von nun an schrumpfen würde. Zum anderen trat 1987 die Einheitliche Europäische Akte in Kraft, und die Folgen des zu schaffenden Binnenmarktes beschäftigten Wirtschaft und Politik. Da die britische Industrie in der Elektronik, einem Schlüsselbereich, nur im Rüstungssektor stark und konkurrenzfähig ist, mußte sie versuchen, diese Stärke abzusichern. Dafür werden einerseits Allianzen gesucht, so GEC und Siemens, andererseits ist ein größerer Markt wie der Rüstungsbinnenmarkt zur Absicherung des eigenen Wettbewerbsvorteils von Nutzen, so die Einschätzung von Gummett/Walker.19

Ein Ausdruck der Reorientierung war das 1987 mit Frankreich abgeschlossene Abkommen, die Möglichkeit zu schaffen, bereits entwickeltes Gerät im jeweils anderen Land anbieten zu können und sich um Entwicklungsaufträge bewerben zu können. Dazu werden Ausschreibungen in Bulletins in beiden Ländern veröffentlicht, für Produktionsaufträge von 1 – 50 Mio. und für Entwicklungsaufträge von 1 – 10 Mio. Pfund ist Gleichbehandlung von Wettbewerbern aus beiden Ländern zugesichert. Die britisch-französische Zusammenarbeit erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, weil grundsätzlich verschiedene Auffassungen von Markt und industriepolitischer Bedeutung des Rüstungssektors bestehen. In Frankreich bestehen seit je Befürchtungen über eine technologische Abhängigkeit von den USA, vor allem im Rüstungsbereich, der Großteil der Rüstungsindustrie ist in Staatsbesitz und spielt zudem eine große Rolle in der industrie- und technologiepolitischen Konzeption des Staates. Überlegungen dieser Art haben für das britische Verteidigungsministerium keine Bedeutung, man will einzig durch einen offenen Rüstungsmarkt die Beschaffungskosten so niedrig wie möglich halten. Während die Gründe für Großbritanniens Umorientierung schon genannt sind, liegen sie im Fall Frankreichs etwas anders. Die Rüstungsindustrie hat in der ersten Hälfte der 80er Jahre starke Einbußen bei Rüstungsexporten hinnehmen müssen. Ausserdem waren die britisch-bundesrepublikanische Zusammenarbeit (Tornado, Jäger 90, GEC-Siemens), sowie die Konzentration der bundesdeutschen Rüstungsindustrie bei Daimler-Benz Anlaß zur Sorge. Deshalb bemühte man sich verstärkt um französisch-britische Zusammenschlüsse und Kooperation, war auch bereit, auf britische Vorstellungen beim gemeinsamen Rüstungsmarkt einzugehen.20

Der auf Anregung der Vredeling-Studie vom Panel III der IEPG (Vorsitz Bundesrepublik) erstellte „Aktionsplan zur schrittweisen Errichtung eines europäischen Rüstungsmarktes“ betont die Bedeutung grenzüberschreitenden Wettbewerbs und ungehinderten Technologietransfers zur Kostenersparnis und Vermeidung von Doppelentwicklungen. Umfassende und systematische Kooperation bei Forschung und Entwicklung wird als zentraler Bestandteil für die Schaffung eines europäischen Rüstungsmarktes bezeichnet. Die »kooperativen Technologieprojekte« seien ein Anfang, nun müsse systematische Zusammenarbeit im Bereich prioritärer Technologie erfolgen. Dazu sei ein Gemeinschaftsfonds das Beste, da die Verteidigungsminister diesen abgelehnt hätten, müßten nunmehr die Projekte je einzeln finanziert werden. Für die LDDI-Länder21 wird die Einräumung besonderer Übergangsperioden vorgeschlagen. Im einzelnen werden die Erarbeitung eines Konzepts für den europäischen gemeinsamen Rüstungsmarkt und eine Fülle vorbereitender Schritte vorgeschlagen. Im Forschungs- und Entwicklungsbereich wird als Fernziel ein „European Technology Plan“ (ETP) mit eigenem Fonds genannt, zunächst sollen prioritäre Technologiebereiche festgelegt, nationale F&E-Pläne abgestimmt werden. Für den »juste retour« genannten industriellen Ausgleich, der nach dem Muster der ESA über mehrere Projekte und über längere Zeiträume organisiert werden soll, wurde eine besondere Prozedur, mit jährlichem Bericht, vorgeschlagen. Der Konflikt zwischen »juste retour« und dem angestrebten Wettbwerb wird benannt. Transnationale Konsortien könnten ein Mittel sein, »juste retour«, die Beteiligung der Länder mit gering entwickelter Rüstungsindustrie und den Technologietransfer zu sichern.22

Die Verteidigungsminister der 13 IEPG-Mitgliedsstaaten billigten bei ihrem Treffen in Luxemburg im November 1988 den Aktionsplan. Frankreich wurde der Vorsitz in einer neuen Arbeitsgruppe zur Entwicklung des European Technology Plans (ETP) angetragen. Gemeinsame Projekte sollen vorläufig auf einer Fall-zu-Fall-Regelung aus den nationalen Budgets finanziert werden. Die Rahmenbedingungen für solche Projekte sollen nach denen von EUREKA und ESPRIT ausgerichtet werden. Dem Vorhaben wurde der Namen European Cooperative Long-Term Initiative in Defence (EUCLID) gegeben, es wurde mit zunächst 120 Mio. Ecu dotiert und am 27.6.1989 bei einem Treffen in Estoril (Portugal) von der IEPG akzeptiert.23 Bereits in Luxemburg war die Einrichtung eines kleinen ständigen Sekretariats in Lissabon beschlossen worden, das dem IEPG-Vorsitz direkt verantwortlich ist.

Die Berichte über die bei der Umsetzung des Aktionsplanes erzielten Fortschritte sind nicht unbedingt mit Erfolgsmeldungen angefüllt. Panel I, operationelle Anforderungen und Ausrüstung (Vorsitz Norwegen), soll eine langfristige Rüstungsplanung und gemeinsame Projekte bewerkstelligen. Laut einem Bericht des Leiters von Panel I vom Oktober 1990 war seit 1984 kein einziges konkretes Projekt verabredet worden. Lediglich vier Projekte wurden mit besonderem Potential für Kooperation gesehen.24

Panel II, Forschung und Technologie (Vorsitz Frankreich), ist im wesentlichen mit der Umsetzung des EUCLID-Programmes beschäftigt. Die Kommuniqués der beiden Treffen der IEPG vom Juli 1991 und März 1992 berichten von gewissen Fortschritten. Die Rahmenabkommen für die neuen Projekte wurden 1991 abgeschlossen, im März die ersten Verträge für neue Projekte vorbereitet.

Die Öffnung der Rüstungsmärkte obliegt Panel III, Verfahren und ökonomische Aspekte (Vorsitz Deutschland). Als erste Schritte in diese Richtung sollten in den jeweiligen nationalen Beschaffungsbehörden zentrale Büros (focal points) eingerichtet werden, bei denen sich Firmen aus IEPG-Ländern als potentielle Lieferanten registrieren lassen können; die nationalen Prozeduren für Angebotsabgaben sollten vereinheitlicht werden; Daten zu nationalen Ausschreibungen sollten dem permanenten Sekretariat zugehen, das auch die Vergabe von transnationalen Verträgen registriert; Bulletins über nationale Ausschreibungen regelmäßig veröffentlicht werden.25 Diese Maßnahmen sollten bis Ende 1989 umgesetzt sein. Die Kommuniques der Treffen der IEPG im Juli 1991 und März 1992 enthalten zur weiteren Umsetzung der Maßnahmen des Aktionsplanes keine genauen Angaben. Dies kann einerseits im Zusammenhang mit der Unsicherheit über die weitere Kompetenzverteilung zwischen Europäischem Rat, Kommission und Mitgliedsstaaten der EG gesehen werden, deren Regelung nach wie vor aussteht. Andererseits ist die mangelnde Umsetzung des Aktionsplanes ein möglicher Grund für den fehlenden Bericht über den Stand der Dinge. Dieser Erklärungsstrang wird durch Berichte aus kleineren Ländern wie Belgien verstärkt, wonach in der Folge der Kürzungen der Rüstungshaushalte es in den beiden letzten Jahren sehr schwer geworden sei, Rüstungsgüter in den anderen IEPG-Staaten abzusetzen. Es sei in den drei großen Ländern die Tendenz zu beobachten, auf das Aus für die kleineren Wettbewerber zu warten. Oft sei dies schon nach einem nicht erhaltenen Auftrag der Fall.

In Kopenhagen redeten die Minister, angeblich erstmals, über das Verhältnis der IEPG zur EG. Mehrheitlich war man für die Fortführung der Maßnahmen, bis im Rahmen der gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik eventuell der IEPG-Markt in den Binnenmarkt übernommen werde. Ein mögliches Scheitern der IEPG und die Übernahme des Rüstungsmarktes durch die EG ist auch unabhängig von der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nicht auszuschließen.

Denn trotz des Ergebnisses der Regierungskonferenz ist der Erfolg der IEPG nicht gesichert. Während für die gemeinsame Rüstungsplanung und -forschung ein Scheitern voraussehbar war – denn die Probleme lösen sich nicht durch die Verlagerung in andere, westeuropäische Gremien – stehen dem Kernprojekt der IEPG, dem Rüstungsbinnenmarkt, strukturelle Defizite und Probleme im Weg. Die IEPG ist eine rein intergouvernementale Institution, ihre Abmachungen haben keinen völkerrechtlich verbindlichen Charakter und sind nicht einklagbar. Hinzu kommt die institutionelle Schwäche. Der rechtliche Rahmen und die Voraussetzungen für das Funktionieren werden außerhalb der IEPG geschaffen. Aus diesen Gründen werden die Erfolgsaussichten der IEPG in der Literatur allgemein skeptisch beurteilt.26 Besonders schwierig ist es, das Verlangen nach industriellem Ausgleich, »juste retour«, und Berücksichtigung der Interessen der DDI-Länder, das heißt derjenigen Länder, die eine schwache Rüstungsindustrie besitzen, mit dem angestrebten Wettbewerb in Einklang zu bringen. »Juste retour« steht wettbewerblichen Prinzipien diametral entgegen, was auch innerhalb der IEPG klar ist.

Ein allmähliches Abrücken vom Prinzip der »juste retour« deutet sich an. Am Ende werden die neuformierten und schlagkräftigen Rüstungskonsortien der großen Drei und des italienischen Pols den westeuropäischen Markt beherrschen. Die Chancen der DDI-Länder, ihren Rüstungssektor zu entwickeln, sind gering. Das gilt aber auch für Staaten, wie die Niederlande und Belgien, mit einer mittleren Rüstungsindustrie, die in der Regel von den großen Konsortien beherrscht werden wird oder bereits übernommen ist.

Die EG-Kommission

Neben der abgeleiteten Kompetenz in Dingen, die den Rüstungssektor betreffen, gibt es in der Kommission eine lange Linie von Bestrebungen, im Rahmen der Industriepolitik auch die direkte Zuständigkeit für den Rüstungsbereich zu erlangen. In seiner Amtszeit als Kommissar und Leiter der DG III hatte Spinelli versucht, seinen Vorschlag der Zusammenfassung des Luftfahrtsektors, zivil und militärisch, in einem einzigen westeuropäischen Unternehmen durchzusetzen. Im Tindemans-Bericht, der 1975 an den Rat übergeben wurde, war der Vorschlag für eine westeuropäische Rüstungsagentur unter dem Dach der EG enthalten. Der sogenannte Klepsch-Bericht des Politischen Komitees des EP über »European Armaments Procurement Cooperation« argumentierte auf der Linie des Tindemans-Berichts. Die Kommission wurde darin aufgefordert, „to submit to the Council in the near future a European actions programme for the development and production of conventional armaments within the framework of the common industrial policy“.27

In der sachlichen Begründung des Antrages tritt Klepsch (CDU) für die enge Kooperation von Kommission und IEPG bei der zu schaffenden Rüstungsagentur ein.28 Nach der ersten Direktwahl zum EP 1979 war es die christdemokratische Fraktion, die beharrlich versuchte, gegen den Widerstand der linken Fraktionen Sicherheitspolitik im EP zum Thema zu machen. Erst 1989 wurden zwei Berichte verabschiedet, die sich direkt mit Sicherheitspolitik befaßten.29

In der Kommission war es weiter die DG III, die wiederholt offene Vorstöße unternahm, in größerem Ausmaß nichtöffentliche Planungen betrieben hat und betreibt. Im Zusammenhang mit dem Klepsch-Bericht sprach Kommissar Davignon von einer Industriepolitik bezüglich militärischer Güter, die angestrebt sei. Der Nachfolger von Davignon, Narjes, hat in einer ähnlichen Art argumentiert (militärisches Nutzungspotential der EG-Technologieprogramme, dual-use und öffentliche Beschaffung) und es vermieden, öffentlich die Erweiterung der Kompetenzen der EG zu fordern, über die Technologiepolitik und den dual-use Bereich hinaus.30 Im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz zur Europäischen Union forderte die Kommission die Streichung des Art. 223 und eine gemeinsame Rüstungspolitik. In Art. Y 13 des Entwurfs der Kommission heißt es: „im Rahmen der gemeinsamen Sicherheitspolitik legt die Union ein politisches Konzept für Forschung und Produktion im Rüstungssektor fest.31

Während man in der DG III lange Zeit von der Abschaffung des Art. 223 ausging, befaßte man sich doch gleichzeitig mit dem Fall, unter den alten Restriktionen weiterarbeiten zu müssen. 1990 wurden eine Studie zur Umstrukturierung der dual-use- oder verteidigungsnahen Industrien und eine zum öffentlichen Auftragswesen und Rüstungsbeschaffung in der Gemeinschaft in Auftrag gegeben. Die Studie zur Umstrukturierung befaßte sich mit der Rüstungsindustrie insgesamt. In den Empfehlungen des zugänglichen Teils wird eine Ausdehnung der Aktivität der Kommission in den Bereichen Forschung, Strukturpolitik und Rüstungsexportkontrolle, in CoCom und anderen Regimes, empfohlen.32 Die Dinge klarer beim Namen genannt hat der Generaldirektor der DG III, Riccardo Perissich, in einem Vortrag bei einer Konferenz zur Zukunft der europäischen Sicherheit.33 Dort führte er aus, man nenne die Rüstungsindustrie lieber dual-use- oder verteidigungsrelevante Industrien, weil sie nicht einem einzigen Sektor zuzuordnen sei, die Zulieferer nur in geringem Umfang Rüstung produzierten und alle Hochtechnologiebereiche einbezogen seien. Weiter sieht er in der Kommission das ideale Gremium, um die bekannten Mängel der Rüstungsproduktion und -beschaffung zu beseitigen, die Konversion von Überkapazitäten umzusetzen und Wettbewerb einzuführen.

Die DG III hat eine Studie in Auftrag gegeben, die, analog dem Cecchini-Bericht zu den Kosten von »Non-Europe«, die vorgeblichen Kosten der Nichtöffnung der Rüstungsmärkte untersucht. Während die Veröffentlichung für den Spätsommer 1992 vorgesehen ist, zitierte ein EG-Offizieller auf einer Konferenz bereits daraus. Hans Feddersen sagte, die Studie habe ergeben, 30 Mrd. Dollar, oder 25% der Rüstungsausgaben der EG, könnten durch einen offenen Rüstungsmarkt gespart werden, wobei allerdings dafür kein Zeitraum angegeben wird.34

Schlußbemerkung

Komplexität, Entwicklungs- und Produktionskosten für neue Produkte sind durch die generische Technologie der Mikroelektronik derart gestiegen, daß nationale Märkte nicht mehr ausreichen, um rentabel zu arbeiten. Die Firmen müssen eine immer größere Kompetenz vereinigen, um komplexe technologische Systeme planen und integrieren zu können. Deshalb nehmen Unternehmensgrößen, auch transnational, und internationaler Konkurrenzdruck stetig zu. Das gilt für militärische wie zivile Bereiche, wobei die Ähnlichkeiten zwischen technologischen Großsystemen beider Bestimmungen immer größer geworden sind. Zusätzlich ist der militärische Sektor, durch die größere Flexibilität und Adaptionsfähigkeit ziviler Firmen, mit wesentlich kürzeren Entwickungszyklen, in Kernbereichen von zivilen Zulieferungen abhängig geworden. Das gilt vor allem für elektronische Komponenten. Elektronik hat an modernen Waffensystemen einen Wertanteil zwischen 30 und 60%.

Technologiepolitik in Westeuropa hat seit ihren Anfängen in den 60er Jahren immer eine starke militärische Komponente gehabt, auch wenn regelrechte Rüstungsprojekte selten die Träger waren. Atomenergie, Luft- und Raumfahrt sind wesentlich mit militärischen Anwendungen verbunden, der Aufbau und Erhalt entsprechender industrieller Kapazitäten und der komplementären Technologien war ein Ziel staatlicher Politik. Die sogenannten »strategischen Industrien«, die Fähigkeit, für die staatliche Autonomie und deren technologische Basis eigenständig die erforderlichen Güter, Waffensysteme und zivile Produkte, erforschen, planen und herstellen zu können, stand und steht im Zentrum staatlicher Technologiepolitik. Mit dem Einzug der neuen Technologien, in erster Linie der Mikroelektronik, von manchen als neuerliche industrielle Revolution charakterisiert, haben sich die Gewichte verschoben. Durch den Vorsprung ziviler Halbleiter- und Komponentenentwicklung auf militärische Projekte wird es für die Rüstungsproduktion immer wichtiger, Zugang zu zivilen Entwicklungen zu haben. Dieser wird in den USA systematisch organisiert. Damit wird der Zugriff des Militärischen auf zivile Segmente der Wirtschaft und Gesellschaft verstärkt, es ist ein weiterer Schritt der Militarisierung von Forschung, Wirtschaft und Politik zu konstatieren. Jegliche Technologiepolitik hat nunmehr einen militärischen Aspekt, auch wenn sie in ziviler Umgebung stattfindet, wie etwa die Forschungsprogramme der EG. Ein illustratives Beispiel ist die Unterstützung der US-Forschung zum hochauflösenden Fernsehen durch das DoD in Milliardenhöhe. Direkte militärische Anwendungen sind vorläufig nicht absehbar, aber das Verteidigungsministerium will sich den Zugriff auf die Technologie sichern.

In Westeuropa war die Reaktion in der Industrie auf die neuen Technologien und ihre Auswirkungen die Forderung nach größeren Märkten und Unterstützung gegen die übermächtige Konkurrenz aus den USA und Japan. Gleichzeitig wurde die Kooperation auf allen Ebenen verstärkt, durch gemeinsame Forschung und Entwicklung, Bildung von Konsortien, Übernahme von Konkurrenten etc. Doch waren die rechtlichen Möglichkeiten dafür durch nationale Gesetzgebungen eingeschränkt, ebenso wie die Märkte. Die Forderung von seiten einflußreicher industrieller Verbände nach einem großen westeuropäischen Binnenmarkt, mit entsprechendem gesetzlichen Regelwerk für die Unternehmen, und einer gemeinschaftlichen Technologiepolitik, trafen sich mit alten Plänen der EG-Kommission und erhielten partielle Zustimmung in den nationalen Regierungen. Die Einheitliche Europäische Akte, der Binnenmarkt und die Verhandlungen über die Europäische Union waren somit möglich geworden. In der Technologiepolitik ziviler Ausrichtung erhielt die EG eine begrenzte Kompetenz, mit der Schaffung von Eureka und der Verstärkung traditioneller Projekte wie Airbus, wurde der Großteil in einem weniger stark integrierten Rahmen behalten.

Rüstungsindustrie und -kooperation, ein gemeinschaftlicher Markt für Rüstungsgüter sollte (nach dem Willen der Mitgliedstaaten) der EG weiter entzogen bleiben. Der Art. 223 des EG-Vertrages, der die nationalen Vorrechte für die Rüstungsproduktion festlegt, blieb erhalten. Und das, obwohl Güter zivilen Ursprungs mehr und mehr auf militärische Märkte vorgedrungen sind, die öffentlichen Märkte geöffnet, Unternehmens- und Wettbewerbsrecht, steuerliche Regelungen etc. für den Binnenmarkt von der EG-Kommission gesetzt und überwacht werden. Davon ist die Rüstungsindustrie in vollem Umfang betroffen, wie sie auch von den dadurch eröffneten Möglichkeiten profitiert.

Der Wahl der Foren der Rüstungskooperation kommt Bedeutung in zweierlei Hinsicht zu. Es ist der Aspekt der Beschränkung auf den westeuropäischen Rahmen, der Einschluß oder Ausschluß der USA. Und zweitens die Intensität, das Ausmaß der Integration bei der Kooperation, der Grad der institutionellen Verankerung. Die militärischen Administrationen der Mitgliedstaaten bevorzugen als Rahmen für den Rüstungsmarkt die IEPG, die auch die Rüstungskooperation und -forschung leiten soll. In ihr sind die USA nicht vertreten, sie hat nur eine schwache Infrastruktur und ist institutionell nicht in der Lage, Maßnahmen gegen zögerlich handelnde Mitglieder durchzusetzen. Die Gremien der NATO und der WEU haben in diesen Bereichen wesentlich an Boden verloren, trotz Initiativen wie etwa der des US-Senators Taft für eine nordatlantische Freihandelszone für Rüstung. Eine solche erscheint den westeuropäischen Verantwortlichen wegen der Übermacht der US-Industrie als wenig erstrebenswert.

Ob die IEPG die gesteckten Ziele erreichen kann, ist unsicher. Im Rüstungsbereich ist die Beharrungskraft nationaler Präferenzen am stärksten, er wird als Kern der nationalen Souveränität gesehen. Entsprechend wird die Öffnung der Märkte bislang nur langsam und eingeschränkt vollzogen. Die Rüstungskooperation hat auf der zwischenstaatlichen Ebene ebenfalls keinen Schub erhalten. Dagegen ist die Unternehmenskonzentration im westeuropäischen Maßstab schon weit fortgeschritten. Wenn die Rüstungsmärkte nicht internationalisiert werden, erreicht die Industrie die nötigen Marktgrößen durch transnationale Verflechtung. Das wird durch den Binnenmarkt und die Konzentration der Rüstungsproduktion in Großunternehmen mit überwiegend ziviler Produktion wesentlich erleichtert. Angesichts der für 1996 angesetzten Überprüfungskonferenz der Verträge zur Europäischen Union ist es wahrscheinlich, daß dann die Kompetenz für die Rüstungsindustrie in vollem Umfang an die EG fällt, der Art. 223 gestrichen wird.

Sollte dieser Fall nicht eintreten, so ändert das nichts an dem Faktum der gestiegenen Integration der Rüstungsindustrien in Westeuropa. Am stärksten miteinander verwoben sind die Unternehmen selbst, wobei die Rahmensetzung des Binnenmarkts entscheidende Erleichterungen für die Prozesse der Konzentration, Kooperation etc. bietet.

Die Beibehaltung des Art. 223 schafft für die Märkte eine gespaltene Situation. Während militärische Massengüter, »weiches« Material und sogenannte duale Technologien den Richtlinien für öffentliche Aufträge unterliegen, wird das Procedere für »hartes« Militärmaterial in einem getrennten Bereich, der IEPG, geregelt. Dort erfolgt eine vorsichtige Öffnung der Märkte, ab gewissen Schwellenwerten und nach oben eingeschränkt, die mit der Öffnung im Binnenmarkt nicht zu vergleichen ist. Obendrein ist nicht sicher, daß dies so funktionieren wird wie vorgesehen, denn nationale Verhinderungs- und Verzögerungstaktiken können nicht mit juristischen Sanktionen belegt werden. Dazu gibt es, mit der NATO und der WEU, noch zwei konkurrierende Institutionen, die im selben Bereich tätig sind und die Kompetenzen für die Rüstungsindustrie und -märkte gerne an sich ziehen würden.

Doch unbeachtet des Ausgangs des institutionellen Wettbewerbs bleibt es dabei, daß es dieselben Personen sind, die sich in den unterschiedlichen Einrichtungen treffen, wenn es um Rüstungsangelegenheiten geht. Ob CNAD, WEU oder IEPG, die Vertreter der Verteidigungsadministrationen und der Industrie kennen sich aus den anderen Gremien oder aus bilateralen Zusammenhängen. Sollte die EG 1996 die Kompetenz erhalten, wird sich das auch nicht ändern. Was nicht heißt, es sei völlig gleichgültig, unter welchem Dach Rüstung behandelt wird. In der westeuropäisch-amerikanischen Konkurrenz ist es wichtig, ob die Westeuropäer ihren eigenen Markt gegen die starken US-Firmen abschotten oder es eine nordatlantische Freihandelszone für Militärgüter gibt. Genauso ist es ein Unterschied, ob die Kommission die Kontrolle über die Rüstungsmärkte erhält oder ob die Nationalstaaten ihre Administrationen damit beauftragen. Schließlich ist Rüstung, die Fähigkeit und das Recht, Krieg zu führen, in der historischen Entwicklung der Kern der staatlichen Souveränität gewesen.

Anmerkungen

1) Besteht aus den Leitern der Rüstungsabteilungen der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik, soll Rüstungszusammenarbeit erörtern. Wehrtechnik 2/1991, S. 40. Zurück

2) Gegründet 1953 auf französische Initiative, besteht aus den Heeresinspekteuren Frankreichs, Italiens, der Niederlande, der Bundesrepbulik, Belgiens, Luxemburgs und Großbritanniens, soll die Standardisierung vorantreiben, nach: Das Atlantische Bündnis. Tatsachen und Dokumente, Siebte Auflage, neu bearbeitet und erweitert, Brüssel (NATO Informationsdienst) 1990, S. 33. Zurück

3) Einen Überblick über Geschichte und Funktion der verschiedenen Foren geben Campbell, Kelly und Zweerts, Robert: The Search for Integrated European Programme Management, in: Drown, Jane Davis/Drown, Clifford/Campbell, Kelly (ed.): A single European Arms Industry? European Defence Industries in the 1990s, S. 70 – 96. Zurück

4) Fischer, Martina: Die Westeuropäische Union (Teil I): Vom bürokratischen Wasserkopf zur zweiten Säule der NATO?, in: Antimilitarismusinformation 2/1985, S. Y-9. Zurück

5) Gerner, Michael: Die WEU als Forum der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in Westeuropa, S. 203; in: Seidelmann, Reimund (Hrsg.): Auf dem Weg zu einer westeuropäischen Sicherheitspolitik, Baden-Baden 1991 Zurück

6) Le Monde, 17.10.1991. Zurück

7) Bulletin der Bundesregierung, Nr. 16, 12.2.1992, S.183. Zurück

8) Sillard, Yves: Vers l'Europe de la Défense, in: L'Armement, NS N° 30, décembre 1991, S. 4 – 6. Zurück

9) Die Eurogroup hat eine Untergruppe EURONAD, die sich mit Rüstungskooperation befaßt. Zurück

10) Die bekanntesten sind der Tornado, Jäger 90, Milan, MLRS, Nato-Hubschrauber 90. Zurück

11) Die Grundlage war bereits 1977 mit dem sogenannten Culver/Nunn-Amendment gelegt worden, das im Ziel identisch war mit der Wiederaufnahme der Initiative 1985. Zurück

12) Jane's Defence Weekly, 25 November 1989, S. 1147 f. Zurück

13) So die NATO-Fregatte 90, die Luft-Luft-Rakete kurzer Reichweite ASRAAM, die modulare Abstandswaffe MAW, der NATO-Hubschrauber 90. Offizielle in Washington sprachen von einem »Frontalangriff auf die transatlantische Rüstungskooperation«, die tageszeitung, 3.10.1989. Zurück

14) North Atlantic Council/Conference of National Armaments Directors: Initial Investigation of the Feasibility of Improving the Conditions of Defence Trade between NATO Allies, Document AC/259-D/1437, Brussels, 12th March 1991, S. 33 ff. Zurück

15) Walker/Gummett, a.a.O., S. 5f. a.a.O., Walker/Gummett, a.a.O., S. 421 f. Zurück

16) Vredeling (Hrg.): Towards a Stronger Europe, Brüssel 1986, S. 38. Zurück

17) Siehe dazu Morel de Westgraver, E./Imbert, P.: Le 'juste retour': contrainte ou instrument d'intégration européenne? in: ESA Bulletin 59, S. 62 – 69. Zurück

18) Towards a Stronger Europe, a.a.O., Volume 1, S. 6 – 14; Zurück

19) Walker/Gummett, a.a.O., S. 424 ff. Zurück

20) Walker/Gummett, a.a.O., S. 428 f. Zurück

21) In der IEPG sind damit Griechenland, Portugal und Spanien gemeint. Sie wurden zunächst mit dem Terminus »Less Developped Defence Industry« (LDDI), später Developping Defence Industry (DDI) belegt. Zurück

22) IEPG: Action Plan, a.a.O. Zurück

23) Estoril Communiqué, IEPG/Min/D-12, 28 June 1989; North Atlantic Assembly, Defence and Security Committee: Report of the Sub-Committee on Challenges to Transatlantic Cooperation: – Burden-Sharing in the Alliance; – European Integrative Efforts, Corapporteurs: Mr José Lello, Mr Bill Richardson, Brussels, October 1989, S. 12 f. Zurück

24) NATO's Sixteen Nations, October 1990, S. 43 – 48. Zurück

25) Independent European Programme Group: Luxemburg Communiqué of the meeting of the Defence Ministers of the thirteen IEPG member countries, IEPG/MIN/D-11, 9th November 1988, S. 2. Zurück

26) Siehe beispielsweise Harbor, 1989a, a.a.O., S. 21 f; Walker/Gummett, a.a.O., S. 441. Auch Vredeling sieht die Zukunft der unabhängigeren westeuropäischen Verteidigung und Rüstungskooperation innerhalb der »organisierten Union der Europäischen Gemeinschaft«, nach: NATO's Sixteen Nations, Dec. 1987 – Jan. 1988, S. . Zurück

27) European Parliament, Doc 83/87, Report drawn up on behalf of the Political Affairs Committee on European Armaments Procurement Cooperation, 8 May 1978, S. 6. Zum Zeitpunkt der Annahme des Berichts (20 zu 5 Stimmen, drei Enthaltungen) waren auch Spinelli und Bangemann Mitglieder des Politischen Ausschusses. Zurück

28) Ebenda. S. 48. Zurück

29) Der Bericht Penders über die Sicherheit in Westeuropa (Dok A2-410/88) und der Bericht Ford über Waffenexporte europäischer Länder (Dok A2-0398/88). Zurück

30) Narjes äußete sich im genannten Sinn beispielsweise am 17. November 1987 vor der Führungsakademie der Bundeswehr und beim Kolloquium der WEU zur Kooperation bei Forschung und Entwicklung von Rüstung, Assemblée de l'Europe Occidentale, Commission scientifique, technique et aérospatiale: La coopération européenne en matière de recherche et de développement dans le domaine des armements, Colloque, Londres, 7 et 8 mars 1988, S. 36 – 42. Zurück

31) Regierungskonferenz „Politische Union“, Text betreffend die gemeinsame auswärtige Politik, den die Kommission als Arbeitsdokument an die persönlichen Vertreter im Rahmen der Regierungskonferenz verteilt hat, PE 149.438, Bulletin 14.3.1991, S. 4, Erläuterungen auf der Seite 17 f. Zurück

32) Neben der Zusammenfassung der Studie, die begrenzt zugänglich gemacht wurde, gab es noch Länderstudien zu den Rüstungsindustrien in den einzelnen Mitgliedstaaten, die von Instituten vor Ort ausgeführt wurden. Die Gesamtstudie wurde vom Brüsseler Institut Eurostratégies geleitet. Zurück

33) Perissich, Riccardo: The Defence Industry in Europe: Competition, Cooperation and Rationalisation, International Herald Tribune Conference on „The Future of european Security – Political, Strategic and Industrial Aspects“, mimeo, Rome 3rd May 1991. Zurück

34) Jane's Defence Weekly 4 July 1992, S. 46. Zurück

Harald Bauer ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter bei Saver World (London).

Rüstung und Rüstungskontrolle im Nahen Osten

Rüstung und Rüstungskontrolle im Nahen Osten

Die Region ein Jahr nach dem Golfkrieg

von Burkhardt J. Huck

Die Region Naher Osten wird auch in Zukunft ein Brennpunkt in der Welt bleiben. Die Kombination aus hochgerüstetem Pulverfaß und immensem Erdölvorkommen, von dem auch in absehbarer Zukunft die westlichen Industriestaaten noch abhängig sein werden, macht diese Region so gefährlich. Solange die USA weiterhin in großem Ausmaße Waffen in diese Region exportieren – in dem Zeitraum von September 1990 bis November 1991 im Wert von 19 Milliarden DM – und solange die Industriestaaten keine qualitativen Abrüstungsschritte einleiten, wird sich an diesem Zustand nicht so schnell etwas ändern.

Im Bereich der Sicherheitspolitik wird die Region Naher Osten von den meisten Experten wie folgt abgegrenzt: Sie umfasst die Anrainerstaaten des persischen Golfes, also den Iran, die Staaten auf der arabischen Halbinsel einschließlich Jemen und Jordanien sowie die Anrainerstaaten des Mittelmeers, Syrien, Israel, Libanon und Ägypten. Diese Staaten weisen nicht nur große Unterschiede in den Zahlen für Fläche, Bevölkerung und Wirtschaftskraft, sondern auch in Hinblick auf militärisches Potential und Verteidigungsausgaben auf. Einer der Unterschiede, der in den nächsten Jahren für die Sicherheitspolitik zunehmende Bedeutung haben könnte, ist der zwischen insgesamt landwirtschaftlich nutzbarer und nur durch Bewässerung nutzbarer Fläche. Die Abhängigkeit der Versorgung mit Wasser aus den Flüssen Nil, Euphrat und Tigris sowie Jordan wird durch die Staudammprojekte in den Quellregionen zunehmend zur Ursache von zwischenstaatlichen Konflikten.

Das gilt auch für die hohe Abhängigkeit der Wirtschaft fast aller Staaten auf der arabischen Halbinsel von ausländischen Arbeitskräften, die mit Ausnahme von Oman über 50% liegt. 75% der in diesen Staaten beschäftigten Arbeitskräfte stammen aus Palästina, Jordanien, Jemen und Ägypten, 25% aus Indien und Pakistan. Die Politik Kuwaits gegenüber den Palästinensern oder Saudi-Arabiens gegenüber den Jemeniten hat zur Rückwanderung von einigen hunderttausend Arbeitnehmern nach Jordanien oder Jemen geführt. Dazu kommt, daß in den Ländern, in denen die Wirtschaft in teilweise extremen Maß staatlich gelenkt bzw. abhängig ist, Wirtschaftsreformen bereits initiiert wurden bzw. unumgänglich sind. Das wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in den betroffenen Volkswirtschaften noch zu gravierenden Verwerfungen führen.

Wenden wir uns der regionalen Sicherheitsstruktur zu, insbeondere den Daten des militärischen Kräftevergleichs.. Eine Addition der Zahlen in den einzelnen Rubriken ergeben für die Region Summen, wie sie sich in etwa für die Staaten des inzwischen aufgelösten Warschauer Paktes in der Zentralregion Europas ergeben. Die DDR, CSSR und Polen, und die auf ihrem Gebiet stationierten sowjetischen Streitkräfte, hatten nach den Reduzierungen von 1989 etwa genauso viele Panzer und Kampfflugzeuge in ihren Arsenalen, wie die 14 Staaten der Region mit der fast zehnmal so großen Fläche und der zweieinhalbfachen Bevölkerungszahl.

Im Vergleich zur gesamten mit Waffen und Soldaten vollgepackten Zentralregion Europas mit etwas mehr als 870.000 dichtbesiedelten und industrialisierten Quadratkilometern erscheint die Region auf den ersten Blick fast als normal. Das gilt auch für die entsprechenden Vergleichszahlen nach den politischen Umbrüchen in Europa. Abgesehen davon, daß der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa nicht so bald von den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ratifiziert und vor allem implementiert werden wird, läßt sich schon jetzt feststellen, daß auch dann Europa die am meisten überrüstete Region bleiben wird.

Solange Europa derart überrüstet ist, muß man sich nicht wundern, wenn diese Rüstung auch Regionen dominiert, die mit der militärischen Macht europäischer Staaten ungenehme Erfahrungen sammeln mussten; Insbesondere, wenn diese Staaten ihre Streitkräfte und Bewaffnungsstrukturen zunehmend für Einsätze außerhalb ihrer Region umstrukturieren.

Das Öl als bestimmender Faktor

Damit sind wir ins Sanktuum der Sicherheitspolitik gelangt. Dieses Sanktuum heißt Bedrohungsvorstellung. Eine Bedrohungsvorstellung, die die ganze Region eint, wie etwa in den letzten 40 Jahren Westeuropa gegenüber dem Ostblock, gibt es in der Region nicht. Das galt selbst nicht während der langen Kampfjahre gegen Israel.

Die Bedrohungsvorstellung wird vielmehr von den Konfliktpotentialen beherrscht, die von Staat zu Staat sehr unterschiedlich sind. Natürlich ist der Palästinakonflikt einer der zentralen Konflikte. Doch selbst wenn er zur Zufriedenheit der Betroffenen gelöst wäre, würde die Region weiterhin ein Pulverfaß bleiben. Das nicht nur wegen des Konfliktpotentials zwischen den Staaten von bevölkerungsreichen Habenichtsen und wohlhabenden Ölförderländern oder zwischen sunnitischen, schiitischen oder laizistischen Staaten, sondern vor allem wegen des kostbarsten Gutes, das die Region zu bieten hat, wegen des Öls.

Das Öl ist der dominante und langfristig stabilste Faktor, der die Strukturen der regionalen Sicherheit und das Ausmaß von Rüstung und Rüstungskontrolle bestimmt. Der Konflikt um Palästina scheint, einigen Optimismus vorausgesetzt, in absehbarer Zeit lösbar. Unlösbar scheinen dagegen künftige Konflikte um den Ölreichtum der Region. Der Anteil der nachgewiesenen Ölreserven der Region gegenüber den entsprechenden globalen Reserven liegt bei etwa 65%, der an den geschätzten zusätzlichen globalen Ölreserven bei etwa 50%1 (Siehe hierzu Tabelle 2).

Die Sicherheit der Ölzufuhr aus der Region wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch in dieser Dekade über das wirtschaftliche Wohlergehen der westlichen Industrieländer entscheiden. Um es nochmal in Erinnerung zu rufen: Das Öl aus der Region deckt den Bedarf der EG-Staaten zu 65%, den Japans zu 85% und den der USA zu 10%. Dabei ist vor allem mit einer Steigerung des Anteils für die USA zu rechnen, der quantitativ etwa ein Drittel der EG-Menge beträgt. Die USA stellt etwa 6% der Weltbevölkerung, ist aber mit 30% am Weltenergieverbrauch beteiligt. Allein der Transportsektor der USA verbraucht 107% der jährlichen Ölproduktion der USA2. Denn vor allem dieser Sektor ist für die extreme Nachfrage nach Öl verantwortlich. Ähnliche Zahlen, lassen sich bestimmt auch für Europa ermitteln und trotz aller Bemühungen um die Senkung des Kraftstoffverbrauchs, wird etwa für die USA wegen sinkender heimischer Produktion mit einer dramatischen Steigerung der Nachfrage gerechnet. In der Studie „Oil and Gas Reserve Disclosure“ aus dem Jahr 1991 wird festgestellt, daß die Ölproduktion der USA seit 1986 um 1,8 Mio. Barrel pro Tag oder insgesamt um 16% gefallen ist. Mit einem weiteren Rückgang von 1 Mio. Barrel pro Tag in den Jahren bis 1996 wird gerechnet.3

Der Import von 1 Mio. Barrel pro Tag kostet die USA jährlich etwa 7 Mrd. Dollar. In Anbetracht der Tatsache, daß auch die Produktion der Sowjetunion 1991 um ca. 500.000 Barrel pro Tag im Jahr 1991 gefallen ist, die Nachfrage in Japan um 5% und in Südostasien um 6-10% gestiegen ist, sind Annahmen, daß der Preis in den nächsten Jahren auf 35-40 Dollar pro Barrel ansteigen kann, nicht unrealistisch. Das würde im Falle der USA jährliche Ausgaben von 120 bis 150 Mrd. Dollar alleine für Ölimporte bedeuten.

Die Feststellung von James Schlesinger in einer Stellungnahme während eines Hearings des Repräsentantenhauses über langfristige Sicherheit der Energieversorgung sei hier zitiert, weil sie den politischen Stellenwert gesicherter Ölzufuhren für die westlichen Industrieländer kennzeichnet. Diese Stellungnahme stammt aus dem Jahr 19874:

„Zum Schluß möchte ich kurz auf die gegenwärtigen Aktionen der Verinigten Staaten im Persischen Golf kommen. Es ist mir nicht ganz klar, was die USA dort im Golf tun und weshalb sie dort in einem solchen Ausmaß präsent sind. Aber eins ist klar, daß es etwas zu tun hat mit unserem Interesse an einer gesicherten Ölversorgung. Die USA haben etwa 40 Schiffe und 25.000 Soldaten in den Persischen Golf geschickt, um den Pressionen des Ayatollah Khomeini Paroli zu bieten. Wären die USA vorbereitet so heftig zu reagieren, wenn der Ölmarkt knapp wäre, die USA zugleich zu 55 oder 60% von ausländischer Ölzufuhr abhängig wäre und militärische Aktionen im Persischen Golf aller Wahrscheinlichkeit zu einem starken, wenn auch kurzfristigen Anstieg der Ölpreise führen würde? Der Preis für Benzin an der Tankstelle ist einer der politisch sensivsten Bereiche im amerikanischen Leben. Wäre die Regierung vorbereitet auf einen starken Anstieg der Benzinpreise? Wäre sie das in einem Wahljahr?“

Präsident Bush hat aus diesen Fragen James Schlesingers gelernt. Der Krieg gegen den Irak um Kuwait hat nur zu einem vorübergehenden Anstieg der Ölpreise geführt. Die Präsenz und die Verflechtung der USA mit den Staaten der arabischen Halbinsel sowie mit Israel und Äypten scheinen mehr oder weniger stabil und gesichert. Der Irak ist geschwächt und hat einen großen Teil seines Angriffpotentials verloren. Der wichtigste Verbündete der USA, das Königreich Saudi-Arabien und die Emirate der arabischen Halbinsel scheinen innenpolitisch stabil. Die Gefahr sowjetischer Bedrohung ist verschwunden wie die sozialistischen Regime in Äthiopien und Jemen. Selbst die iranische Führung gibt sich moderater als je zuvor. Israel verhandelt zum ersten Mal über die Zukunft Palästinas.

Das Bestreben nach einer regionalen Sicherheitsstruktur

Was also ist der Grund für die massive Aufrüstung der am Krieg gegen den Irak beteiligten Staaten der Region vor allem durch die USA? Da gibt es die o.g. gewichtigen Motive der USA, die über eine vorübergehende Sicherstellung der Kapazitäten der heimischen Rüstungsindustrie hinausgehen. Aber möglicherweise ebenso gewichtig sind die Motive der Nachfrager, also der arabischen Kunden insbesondere der Monarchien auf der arabischen Halbinsel. Hinter ihren Bemühungen, ihr militärisches Potential auf den modernsten technischen Stand zu bringen, ist natürlich auch das Bestreben zu erkennen, eine eigenständige regionale Sicherheitsstruktur aufzubauen, die eine militärische Präsenz ausländischer Mächte überflüssig macht. Die Bemühungen der Staaten des Golf Cooperation Council (GGC), Ägyptens und Syriens, „eine neue arabische Ordnung aufzubauen, um gemeinsame arabische Aktionen zu unterstützen“ sind allerdings seit der Deklaration von Damaskus vom 6. März letzten Jahres noch nicht weit gediehen. Seit der Gründung des Rats der sechs arabischen Golfmonarchien ist es dem GCC noch nicht einmal gelungen sich zu einer gemeinsamen Industrie- und Verkehrspolitik durchzuringen. Der von Sultan Quabas von Oman angeregte Aufbau einer schnellen Einsatztruppe, die einen Umfang von 100.000 Mann haben und unter gemeinsamen Oberkommando stehen soll, ist im Sande stecken geblieben. Der Aufbau einer arabischen Abschreckungsstreitmacht, an dem nach der Deklaration von Damaskus auch syrische und ägyptische Truppen beteiligt sein sollten, ist ebenso gescheitert. Laut dem stellvertretenden Generalsekretär des GCC hat man sich inzwischen darauf geeinigt, „daß auch der Abschluß zweiseitiger Sicherheitsübereinkommen mit nichtregionalen Mächten möglich sei“, was also heißt, daß die Golfländer ihre Sicherheit am besten bei den westlichen Alliierten, bei den USA, Großbritannien und Frankreich aufgehoben wissen.5

Mit Blick auf die Geschichte könnte man also sagen, im Nahen Osten nichts Neues. Seit der Auflösung des osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg wird die Region von eben diesen Mächten dominiert. Das ging soweit, daß die erste arabische Legion 1923 unter dem britischen General Gubb Pascha aufgestellt wurde und etwa 1930 im britisch-irakischen Vertrag die Einrichtung von britischen Luftwaffenbasen auf dem Gebiet des Irak zum Schutz der Ölregion um Mosul vereinbart wurde. Die Ölfördergesellschaften sind zwar inzwischen verstaatlicht, aber die Staaten mit der größten Nachfrage dominieren noch immer die regionale Sicherheitsstruktur.

Wie gesagt werden daran auch die arabischen Bemühungen um eine eigenständige Sicherheitspolitik wenig ändern können, solange die westlichen Industriestaaten derartig abhängig von den Ölzufuhren aus dieser Region sind und die politische Zukunft der arabischen Monarchien von den Lieferungen an eben diese zugleich größten Kunden abhängt.

Solange isolationistische Strömungen in den USA nicht dazu führen, daß die militärische Präsenz in der Region unter dem Central Command, das für mögliche Einsätze von Ägypten bis Pakistan zuständig ist und sich auf Basen in den Golfstaaten, Ägypten und die im Indischen Ozean zur Drehscheibe ausgebaute Insel Diego Garcia stützen kann, reduziert oder gar aufgegeben wird, wird sich an der regionalen Sicherheitsstruktur wohl wenig ändern. Es sei denn, daß der islamische Fundamentalismus erstarkt und sowohl die von der Baath-Partei getragenen Regime oder gar die Monarchien erschüttert. Doch selbst dann wären die wirtschaftlichen Abhängigkeiten so stark, daß man die Kunden nicht vollständig verprellen kann.

Rüstungskontrolle

Das sind einige der Rahmenbedingungen, vor denen die gegenwärtige Rüstungskontrollpolitik gesehen werden muß. Doch trotz dieser für die westeuropäischen Mächte und die USA berechenbar scheinenden regionalen Sicherheitsstruktur sind doch Bedenken angebracht gegen eine Politik, die Stabilität durch Aufrüstung und Rüstungsmodernisierung und letztlich durch Abschreckung zu erreichen sucht. Das gilt unabhängig von dem möglichen Sonderfall des Irak unter Saddam Hussein. Es ist und bleibt ein Skandal, daß um angebliche Sicherheit zu erreichen Verteidigungsaufwendungen akzeptiert werden, die in prozentualem Verhältnis zum Bruttosozialprodukt stehen, wie die in der früheren und nun halbtotgerüsteten Sowjetunion. Die Staaten der Region wenden im Durchschnitt 12% des BSP für ihre Verteidigung auf. Für das Königreich Saudi-Arabien beläuft sich dieses Verhältnis auf über 22% mit weiter steigende Tendenz. Zum Vergleich sei diese Zahl für die Bundesrepublik genannt: sie beträgt 2,2%.

Die bisherigen Pläne der Hegemonialmächte, insbesondere der Plan des US-Präsidenten Bush zur Rüstungskontrolle in der Region sind bisher über wohlklingende Absichtserklärungen nicht hinausgekommen. Die von Bush am 29.5.91 vorgeschlagene Regime6, auf das sich die wichtigsten Lieferanten von konventionellen Waffen, die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Frankreich, Großbritannien, Rußland, China und die USA einigen sollen, ist genauso halbherzig wie die übrige Rüstungskontrollpolitik dieser Staaten. Das Regime zielt zwar auf mehr Verantwortung der Lieferländer, verstärkte Exportkontrollen, gegenseitige Information über geplante Lieferungen u.ä. mehr und soll sogar destabilisierende Waffenlieferungen verhindern. Das Regime sieht aber keinerlei Höchstgrenzen vor, noch wurden bisher im konventionellen Bereich Kriterien für Waffensysteme genannt, die destabilisierend sind. Der dramatische Anstieg der Rüstungsexporte der USA in die Region von 7 Mrd. Dollar im Finanzjahr 1989 auf 13,2 Mrd. Dollar von August 1990 bis Juni 1991 bis hin zu dem für 1992 geplanten Umfang der Lieferungen von sage und schreibe 25 Mrd. Dollar widersprechen allen Ankündigungen des Präsidenten.

Wenn man sich die in der Tabelle 3 aufgelisteten Lieferungen von Waffensystemen durch die USA genauer ansieht, so findet man nur Systeme vom Feinsten. Destabilisierend scheinen demnach nur ABC-Waffen zu sein und mögliche Trägersysteme. Immerhin zielt die Initiative auf ein Einfrieren der Beschaffung, Produktion und des Testens von Boden-Boden-Flugkörpern durch Staaten der Region mit dem letztlichen Ziel der Eliminierung solcher Waffen.

Wie gesagt von Boden-Boden-Flugkörpern, nicht aber von fliegenden Trägern gestartete Luft-Boden-Flugkörpern wie etwa Marschflugkörpern, Abstandswaffen u.ä. Am Ausgang der Auseinandersetzungen um die Lieferung von 72 F-15 E, also der Bomberversion des ursprünglich als Jagdflugzeug konzipierten F-15 an Saudi-Arabien, wird sich zeigen, wie ernst es den USA mit der Verhinderung destablisierender Waffenexporte ist. In Verbindung mit dem bereits proliferierten System für Kommando und Kontrolle der Luftabwehrsysteme einschließlich der Patriotsysteme würde eine solche Lieferung die offensiven Fähigkeiten Saudi-Arabiens deutlich steigern. Das gilt auch für moderne Luft-Luft-Flugkörper oder Mehrfach-Raketenwerfer-Systeme mit ihren verheerenden Flächenfeuer, die zudem nukleare wie chemische Ladungen verschießen können. Auch im Bereich der Kampfflugzeuge scheinen keine Beschränkungen vorgesehen, obwohl hinlänglich bekannt ist, daß die Zuladung von Kampfflugzeugen ständig wächst und solche Systeme in Verbindung mit moderner intelligenter Munition und entsprechenden elektronischen Aufklärungs-, Kommunikations- und Führungssystemen wesentlich effektiver sind als jede modernisierte Kurzstreckenrakete vom Typ SCUD.

Schließlich zielt die Initiative auf eine ABC-waffenfreie Zone in der Region. Dieses Ziel läßt sich jedoch nur erreichen, wenn die einzige Nuklearmacht in der Region, Israel, sich an dieser Zone beteiligt. Die Aussichten dafür sind bisher sehr gering.

Selbst wenn die Bemühungen um die Kontrolle des konventionellen Waffenhandels dazu führen sollten, daß ein internationales Register bei der UNO eingerichtet wird, ist noch überhaupt nicht abzusehen, was es außer Kontrolle, sprich verbesserter Information über Tatsachen garantieren soll. Es ist zur Zeit kaum vorstellbar, daß ein Lieferland einen lukrativen Rüstungsauftrag ausschlägt und selbst wenn sich die fünf Mitglieder des Sicherheitsrates und auch andere potentielle Lieferländer außerhalb der Region zu Restriktionen verpflichten sollten, ist damit nicht ausgeschlossen, daß die Staaten der Region keine Anstrengung scheuen, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen. Ägypten und Israel sind bisher die beiden Staaten der Region mit der am weitesten entwickelten Rüstungsindustrie. Israel kann sich in einigen Bereichen mit den Marktführern messen. Die Realisierung der industriepolitischen Pläne der Golfstaaten dürfte auch diese Länder langfristig in die Lage versetzen, sich auf ausgewählte Bereiche zu konzentrieren. Das Beispiel Südafrikas, das wegen und trotz des Embargos der Vereinten Nationen, beachtliche rüstungsindustrielle Kapazitäten aufgebaut hat, sei hier als mahnendes Beispiel genannt.

Solange die Industrieländer ihre Rüstung durch den massiven Einsatz von Hochtechnologie immer weiter verfeinern und sich nicht selbst auf ein Einfrieren der rüstungstechnologischen Entwicklung einigen, werden sie andere Staaten wohl kaum von Nutzen und Gewinn freiwilliger Enthaltsamkeit überzeugen können.

Tabelle 3: US-Waffenexporte in den Mittleren Osten
Staat Datum Kosten Waffensystem
Bahrain 27.9.90 $37 Mio. 27 M-60A3 Kampfpanzer 50 AN/PVS-5 Nachtsichtgeräte
Total $37 Mio.
Ägypten 19.9.90 N/A 212 M-151A2 LKW
15.10.90 $281 Mio. 136.000 Stück 120mm M-1A1 Panzermunition
15.10.90 $70 Mio. 40 M-88A1 Bergungspanzer mit Ausrüstung, 40 M2 Maschinengewehre (50
Kaliber); 80 AN/PVS-5 Nachtsichtgeräte
1.3.91 $1,6 Mrd. 46 F-16C u. D Flugzeuge; 8 Ersatztriebwerke, 100.000 St. 20mm Munition;
240 Mk-84 u. 1000 »gravity« Bomben; 20 GBU-10, 28 GBU-12 »glide« Bomben; 80 AGM-65D u.
G. Maverick Luft-Boden-Raketen; 160 CBU-87; 80 Mk-20 Clusterbomben zur Bekämpfung von
Panzern und Weichzielen
19.7.91 $146 Mio. »Phase III«-Zusatzkomponenten für 12 Hawk Luft-Abwehrraketen
16.9.91 §70 Mio. Logistische Unterstützung für Luftabwehr
Total $2,17 Mrd.
Israel 29.9.90 $117 Mio. 2 Patriot-Raketenbatterien; 10 Patriot Raketenabschußgestelle, 64
Patriot-Raketen
11.9.90 $67,3 Mio. 15 gebrauchte F-15A u.B Kampfflugzeuge
10.90 $13,6 Mio. 10 CH-53A Transporthubschrauber
22.3.91 $105 Mio. 1 Patriot-Raketenbatterie; 8 Patriot-Raketenabschußgestelle; 57
Patriot-Raketen
31.5.91 $65 Mio.* 10 gebrauchte F-15A u.B Kampfflugzeuge
$100 Mio.* Vorausgelagerte Ausrüstung für Israel, im Notfall von den USA zu
gebrauchen
Total $676,9 Mio.
Kuwait 17.9.91 $350 Mio. Aufstockung u. Erweiterung von Ali al Salem und Ahmed al Jabar
Flugzeugbasen
Total $350 Mio.
Marokko 19.7.91 $250 Mio.* 20 gebrauchte F-16A/B Falcon Jagd/Kampfflugzeuge, plus 24 Triebwerke,
AN/DSM-79 Prüfeinrichtungen für Chaparral Raketen mit Ersatzteilen, Militär-LKWs
Total $250 Mio.
Oman 19.7.91 $150 Mio. 119 V-300 gepanzerte Führungsfahrzeuge
Total $150 Mio.
Saudi Arabien 31.8.90 $2 Mrd. 24 F-15C u. D. Kampfflugzeuge mit AIM-91 Sidewinder und AIM-7F Sparrow
Luft-Luftraketen
31.8.90 $206 Mio. 150 M-60A3 Kampfpanzer
31.8.90 $13 Mio. 15.000 St. M-833 105mm Panzerabwehrmunition mit abgereichertem Uran für
M-60A3
31.8.90 $12 Mio. 50 Startgeräte für Stinger Boden-Luftraketen; 20 Stinger-Raketen
27.9.90 $33 Mio. 150 TOW2 Startgeräte für gelenkte panzer-brechende Raketen, 150 TOW2
Nachtsichtgeräte
27.9.90 $307 Mio. Programm für technische und logistische Dienstleistungen für Betrieb und
Erhalt der Royal Saudi Naval Forces
27.9.90 $300 Mio. 12 AH-64 Apache Kampfhubschrauber; 155 Hellfire Raketen, 24
Abschußvorrichtungen
27.9.90 $1,8 Mrd. 10.000 taktische Radfahrzeuge
27.9.90 $984 Mio. 6 PatriotRaketenbatterien; 48 Patriot-Raketen-abschußgestelle; 384
Patriot-Raketen
27.9.90 $121 Mio. 8 UH-60 Medevac Hubschrauber u. Ersatztriebwerke
27.9.90 $64 Mio. 9 Mehrfachraketenwerfersysteme (MLRS), 2880 MLRS Raketen
27.9.90 $3,14 Mrd. 150 M-1A2 Kampfpanzer; 200 M-2 Bradley Schützenpanzer, 1750 TOWIIA
Panzerabwehr-raketen, 207 M-113 gepanzerte Truppentransport-fahrzeuge, 50 M-508
Schwerlasttransporter; 9 M-557A2 gepanzerte Leitstände; 17 M-88A1 Bergungsfahrzeuge; 43
M-578 Bergungsfahrzeuge
27.9.90 $750 Mio.* 7 KC-130H Tankflugzeuge, 10 C-130H Transportflugzeuge
22.3.91 $158 Mio. Dienstleistungen des U.S. Army Corps of Engineers für Saudi Arabia`s Army
Ordnance Corps
22.3.91 $300 Mio. Ersatzteile u. Dienstleistungen für die Saudische Luftwaffe
22.3.91 $461 Mio. Ersatzteile für die Operation »Desert Storm«
10.7.91 $123 Mio. 2300 hochbewegliche Radfahrzeuge
14.7.91 $350 Mio. »Contractor Support« für E-3 AWACS Überwachungs-flugzeuge für
Gefechtsfeldführung, KE-3 Tankflugzeuge
24.7.91 $365 Mio. 2000 MK-84 Bomben; 2100 CBU-87 Clusterbomben zur Bekämpfung Panzern und
Weichzielen; 770 AIM-7M Sparrow Luft-Luft-Raketen mittlerer Reichweite, lasergestützte
Bomben
5.12.91 $3,3 Mrd. 12 Patriot-Raketenbatterien; 1 Ausbildungseinheit, 1»maintenance float
fire unit«; 758 Patriot-Raketen; 14AN-MPQ-53 Radareinrichtungen; 14 Kontrollstationen; 75
Abschußstationen
Total $14,8 Mrd.
Vereinigte 14.3.91 $54,9 Mio. 2 C-130H Transportflugzeuge
Arabische 11.6.91 $682 Mio. 20 AH-64 Apache Kampfhubschrauber mit 620 Hellfire Raketen, Hydra-70
Luft-Boden-Raketen, Triebwerke u. Logistik
Emirate
Total $737 Mio.
Gesamtkosten der Waffenexporte in den Mittleren Osten: 19 Mrd. Dollar; * geschätzte Kosten
Quelle: Arms Control Today, März 1992 (Übersetzung: C. Thomas)
Tabelle 2: Verteilung der Weltölreserven in Milliarden Barrel
Rang Land Produktion 1990 Bestätigte Reserven Zusätzl. Reserven Gesamte Reserven
1 Saudi-Arabien 2.33 260.0 42 302.0
2 ehem. UdSSR 4.20 57.0 124 181.0
3 Irak 76 100.0 45 145.0
4 Iran 1.14 63.0 52 115.0
5 VAE 75 56.2 49 105.2
6 Kuwait 50 97.0 4 101.0
7 USA 2.45 26.0 71 97.0
8 Venezuela 77 59.0 38 97.0
9 Mexiko 96 27.4 62 89.4
10 China 1.01 24.0 48 72.0
11 Kanada 55 5.8 33 38.8
12 Libyen 50 22.8 8 30.0
20 Ägypten 32 4.5 5 9.5
22 Oman 24 4.3 2 6.6
25 Jemen 7 4.0 2 6.0
26 Katar 14 2.6 2 4.6

Anmerkungen

1) Vgl. Jospeh P. Riva: Persian Gulf Oil: Its Critical Importance to World Oil Supplies. – Washington/D.C. : Congressional Research Service, 1991. – S. 5. Die dazugehörige Tabelle basiert auf Tab. 1, S.3 ebda. Zurück

2) Garry Regan: Testimony on Current Energy Issues. – In: Long Term Energy Security. Hearings before the Subcommittee on Economic Stabilization. / Committee on Banking, Finance and Urban Affairs / House of Representatives, 101th Congress – Washington/D.C. : GPO, 1989, S. 592 Zurück

3) Vgl. Charles A. Zraket: Impact of New Technologies on Industrial Economies and Military Systems. – In: Facing the Future: American Strategy in the 1990s. – Lanham : Aspen Strategy Group, 1991. S. 89ff. Zurück

4) James R. Schlesinger: Oil and National Security: An American Dilemma. – In: Long Term Energy Security, S. 223 Zurück

5) Vgl. Klaus-Dieter Frankenberger: Der Golf-Kooperationsrat ist von seinen Zielen weit entfernt. – In: FAZ, 22. 11. 1991 Zurück

6) George Bush: Middle East Arms Control Initiative. – In: U.S. Policy Informations and Texts, May 29, 1991. S. 41-43 Zurück

Burkhardt J. Huck ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen.

Rüstungsproduktion in den fünf neuen Ländern?

Rüstungsproduktion in den fünf neuen Ländern?

von Petra Opitz

Mit dem Zusammenbruch der DDR war auch ihre Rüstungsproduktion überflüssig geworden. Deren Auftraggeber NVA und andere paramilitärische Organisationen wurden aufgelöst, Aufträge im Rahmen der logistischen Betreuung für in den Dienst der Bundeswehr übernommenes NVA-Militärgerät sind von ihrem Umfang her für das wirtschaftliche Überleben der Betriebe unbedeutend. Bisherigen Abnehmern in Osteuropa mangelt es sowohl an Geld als auch an Bedarf für Militärtechnik und Instandsetzungsleistungen aus den neuen Bundesländern. Jeglicher Rüstungsexport unterliegt zudem nunmehr den bundesdeutschen Rüstungsexportbestimmungen.

Das Ende der DDR-Rüstungsindustrie schien besiegelt, Rüstungskonversion die einzige Alternative.

Die Bedingungen für Konversion haben sich jedoch in vielerlei Hinsicht verändert.

Ökonomisch hätten die Startbedingungen dafür schwieriger kaum sein können. Alle bisherige Konversionsdiskussion hatte die Problematik der Umstellungsprozesse unter Bedingungen relativ stabilen wirtschaftlichen Wachstums und einer im Prinzip funktionierenden Gesamtwirtschaft untersucht. Hier in den neuen Bundesländern ist die Konversion der Rüstungsindustrie nur ein Teilbereich der Konversion der Wirtschaft insgesamt.

Fast kaum ein Unternehmen kann mit seinem bisherigen Produktionsprofil fortbestehen. Auch für die zivilen Betriebe ist die Nachfrage radikal gesunken – auf dem Binnenmarkt infolge der Verdrängung durch produktivere Konkurrenten vor allem aus den Altbundesländern, auf dem Außenmarkt durch die Zahlungsunfähigkeit der ehemaligen RGW-Länder und den Wegfall der Exportsubventionierung im Handel mit westlichen Staaten.

Für die Konversion typische Charakteristika wie: Entwicklung und Fertigung neuer Produkte, Abnabelung vom staatlichen Subventionstropf und Entmonopolisierung, das heißt, marktgerechtes Produzieren unter Konkurrenzbedingungen, Aufbau eines entsprechenden Managements und Marketings, Umschulung, Entwertung von Teilen des Kapitalstocks, treffen für alle Unternehmen zu, gleich ob zivile oder militärische. Zusätzlich erschwert werden die Bedingungen durch spezifische Probleme aus der Transformation einer zentralistischen Verteilungswirtschaft in eine Marktwirtschaft.

Das ausschließliche Ziel der Treuhand: Privatisierung

Die Unternehmen verfügen nicht über Rücklagen, sind im Gegenteil aufgrund von Zwangskreditierungen hochverschuldet. Von der Treuhand verwaltet und unter Privatisierungsdruck, geht ihr Bewegungsspielraum gegen Null. Für die Ziele und Kriterien der Privatisierungsstrategie der Treuhand haben Ziele und Kriterien der Konversion, wie gezielte Bestimmung des Produktionsprofils unter der Maßgabe bewußter Abkehr von Erzeugnissen und Technologien mit Destruktivkraftcharakter, keine Relevanz bzw. stehen sogar im Widerspruch zu ihnen.

Politisch wird die Konversion auf dem Territorium der neuen Bundesländer nicht nur nicht gefördert, sondern im Gegenteil Wert darauf gelegt, auch die militärtechnische Versorgung der hier stationierten Bundeswehreinheiten aus ostdeutschen Potentialen abzusichern. »Marktgerechte« Verwertung ehemaliger NVA-Technik sowie angearbeiteter Rüstungsaufträge noch aus WVO-Staaten, auch über den Export in Drittländer, hat den Vorrang vor Recycling.

Wenn Rüstungskonversion in den neuen Bundesländern dennoch stattfindet, so nicht mehr mit dem Anspruch bewußter friedensorientierter Produktionsumstellung, sondern lediglich dem Zwang zur Existenzerhaltung folgend.

Rüstungsunternehmen um Umstellung bemüht

Die Mehrzahl der ehemaligen Rüstungsunternehmen bemüht sich um Umstellung auf zivile Produktion. In der Regel in Kooperation mit westlichen Unternehmen und unter Nutzung deren Vertriebssysteme versuchen sie, durch Spezialisierung in Marktlücken Fuß zu fassen. Andere finden teilweise in öffentlich finanzierten Bereichen (Umwelt, Instandsetzungsleistungen für den öffentlichen Verkehr, Infrastruktur) neue Auftragsfelder. Doch selbst in solchen sich umstellenden Betrieben finden gegenwärtig kaum mehr als 40% der vormals Beschäftigten eine Anstellung.

Desweiteren gibt es zur Zeit fünf Betriebe, die gänzlich oder zum Teil in der Verwertung von Militärtechnik und Munition tätig sind. Oft solcher Produkte, die vorher von ihnen selbst gefertigt wurde. Eine Reversibilität der Entwicklung ist hier potentiell jederzeit möglich. Für das ehemalige Panzerreparaturwerk Neubrandenburg ist es in der bereits arrangierten Zusammenarbeit mit der Firma Diehl, Nürnberg, kein Problem, anstelle T55 oder T72 zu zerlegen, auch Leoparden instand zu setzen. Gegenwärtig läuft die Umrüstung der ehemaligen Schützenpanzer BMP-1 der NVA auf Bundeswehrstandard.1

Angesichts drohender Arbeitslosigkeit und keinerlei Aussicht auf Alternativen (Rüstungsbetriebe waren meist die größten Arbeitgeber in strukturell unter- oder einseitig entwickelten Regionen, ringsherum herrscht Arbeitslosigkeit) wird es als Luxus betrachtet, nach dem Sinn und Inhalt der Arbeit zu fragen. Nahezu keine Offerte wird abzulehnen gewagt.

Remilitarisierung nicht auszuschließen

Die Wiederaufnahme von militärischer Produktion oder, schärfer formuliert, Remilitarisierung, ist daher nicht auszuschließen, in einigen Fällen bereits Realität.

Rüstungsunternehmen der alten Bundesländer nutzen das Ost-West-Lohngefälle und die billigen, aber guten Ausrüstungen in den ehemaligen DDR-Rüstungsbetrieben. Mit »widerspenstiger« Belegschaft oder vehementen ökologischen Auflagen der Kommunen müssen sie nicht rechnen. Das Bild vom schwerreichen Zuhälter, der das barfüßige Bettelkind vorschickt,2 scheint nicht aus der Luft gegriffen.

Der Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, dessen Partei als ehemalige Blockpartei noch am Runden Tisch und in der Volkskammer für Konversion und Konversionsgesetz votierte, fordert angesichts 15 000 um ihre Arbeit bangenden Werftarbeiter, den deutschen Export von U-Booten und Korvetten nach Taiwan zu genehmigen, weil ostdeutsche Werften Teilaufträge erhalten könnten.

Die Tochter der Deutschen Aerospace, MTU, hat inzwischen den im Land Brandenburg ansässigen ehemaligen DDR-Rüstungsbetrieb Luftfahrttechnik Ludwigsfelde übernommen. Dieser auf Triebwerksinstandsetzung von MIGs und sowjetischen Kampfhubschraubern spezialisierte Betrieb hat sich auf die Instandsetzung von Antrieben für Phantom und Hubschrauber T64 „umgestellt“.3 An eine Kooperation mit sowjetischen Herstellern zur Instandsetzung der etlichen Tausend sowjetischen Hubschrauber in aller Welt wird ebenfalls gedacht.4

Nicht alle rüstungsrelevante Produktion wurde bei Carl Zeiss in Jena eingestellt. Ein Bereich Wehrtechnik existiert auch im neuen Unternehmen Jenoptik fort.

Seitens der Bundesregierung wird, anstelle durch Entschuldung von Altlasten und Umstellungshilfen die Konversion dieser Betriebe zu fördern, offenbar lieber die Werbetrommel für den Absatz ostdeutscher Rüstungsgüter gerührt. In gemeinsamer Arbeit von der Außenstelle Berlin des Bundesbeschaffungsamtes, dem Wehrkommando Ost und dem Bundeswirtschaftsministerium werden bis in die USA die Potenzen dieser Unternehmen auch und insbesondere auf militärischem Gebiet offeriert.5 Sorgfältig kaschiert durch Angebote von auch zivil nutzbaren Erzeugnissen und Leistungen, wie beispielsweise mobile Labortechnik, Kofferaufbauten, Leucht- und Signalraketen, Fallschirme oder »weicher« militärischer Güter, wie Tarnnetze nach NATO-Standard, bietet unter anderem die Peenewerft Raketenschnellboote. Landungsschiffe, Minensuch- und Räumschiffe werden unter Angebot der Kampfwertsteigerung durch die Peenewerft zum Verkauf angeboten. Sieben noch nach alten Aufträgen angearbeitete Raketenschnellboote können kurzfristig, nach Kundenwünschen modifiziert, ausgeliefert werden.6

Diese Fakten belegen die sichtbaren Spitzen des Eisberges und auch davon sicherlich nur einen Teil. Was in der neuen deutsch-deutschen Wirtschaftskooperation und -fusion sich noch in Richtung rüstungsrelevanter Produktion bewegen wird, ist gegenwärtig schwierig genau nachzuweisen, gerade auch in Bereichen, deren Erzeugnisse sowohl militärisch als auch zivil einsetzbar sind.

Spekuliert man vielleicht auch auf Aufträge aus den neuen selbständigen ehemaligen Sowjetrepubliken?

Fortsetzung der Rüstungsproduktion keine Lösung

Wie dem auch sei, auf lange Sicht bietet der Rüstungsbereich keine Alternative für die Zukunft ostdeutscher Betriebe und ihrer Beschäftigten. Die ehemaligen WVO-Staaten rüsten eher ab als auf. Daß sie ihre kostbaren Devisen für Aufträge an ostdeutsche Rüstungsaufträge ausgeben ist nicht prinzipiell ausgeschlossen, jedoch wenig wahrscheinlich. Zugleich lassen sich gerade im Angesicht der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Veränderungen verstärkte Umstrukturierungsbestrebungen in der Rüstungsindustrie, unter anderem auch mittels Ausgliederung »abrüstungsreifer« und damit auftragsgefährdeter militärischer Produktion, beobachten. MTU verschiebt mit der Verlagerung der erwähnten militärischen Instandsetzungsleistungen von München nach Ludwigsfelde, lediglich das Risiko in den Osten. Im Münchener Werk wird Platz für die zivile Fertigung.7

Die Fortsetzung von Rüstungsproduktion auf dem Gebiet der neuen Bundesländer vertagt die Lösung der tatsächlichen Strukturprobleme. Möglichkeiten, heute die entscheidenden Weichen für eine längerfristig stabile Entwicklung in Richtung wissenschaftsintensiver und zukunftsträchtiger Sektoren zu stellen, um aus der Bettelkindrolle herauszuwachsen, werden verspielt.

Konversionshilfen für die ehemaligen Rüstungsbetriebe der DDR gibt es nicht. Die Erkenntnis, das vorhandenes Konversionspotential Entwicklungschancen für die Region birgt, wenn es in regionale Strukturentwicklungsprogramme eingebunden wird, setzt sich, ähnlich wie die von der Notwendigkeit einer aktiven Strukturpolitik des Bundes, nur sehr zögerlich in den Köpfen durch.

Der Verzicht auf eine stärkere innergesellschaftliche Politisierung der Konversion, auf die Thematisierung eines Reformansatzes zeitigt seine negativen Auswirkungen.

Anmerkungen

1) Vgl. Soldat und Technik, 8/1991, S.564. Zurück

2) Vgl. Berliner Zeitung vom 4.9.1991, S.2. Zurück

3) Vgl. Neues Deutschland vom 18.6.1991, S.6 Zurück

4) Vgl. Soldat und Technik, 8/1991, S. 569. Zurück

5) Vgl. Wehrtechnik, 5/1991, S. 9-47 und Military Technology, 7/1991, p.65-82. Zurück

6) Vgl. Wehrtechnik, 5/1991, S.38. Zurück

7) Vgl. Soldat und Technik, 8/1991,569 Zurück

Dr. Petra Opitz ist Ökonomin und u.a. für das Institut für regionale Konversion in Berlin tätig.