»Neue Kriege« als Wegbereiter des Euro-Imperialismus

Intellektuelle Brandstifter:

»Neue Kriege« als Wegbereiter des Euro-Imperialismus

von Jürgen Wagner

Seit jeher wird versucht die gewaltsame Durchsetzung ökonomischer und strategischer Interessen als selbstloses, moralisch gebotenes Unterfangen darzustellen. Als besonders effektiv hat sich diesbezüglich in jüngster Zeit die Theorie der »Neuen Kriege« erwiesen, auf deren wohl prominenteste Vertreter, Herfried Münkler und Mary Kaldor, sich in der Folge primär bezogen werden soll. Interessant ist, dass beide, ausgehend von einer weitgehend deckungsgleichen Analyse, die militärische Stabilisierung und langfristige Besetzung so genannter fehlgeschlagener Staaten befürworten, jedoch mit sehr unterschiedlichen Begründungen. Während Münkler hierfür primär sicherheitspolitische Motive anführt, geben für Kaldor vorwiegend moralisch-humanitäre Argumente den Ausschlag. Demgegenüber soll dieser Artikel darlegen, dass nicht nur die methodologischen und empirischen Grundlagen der Theorie, sondern auch die aus ihnen abgeleiteten Politikempfehlungen, sowohl in ihrer moralischen als auch sicherheitspolitischen Dimension, äußerst fragwürdig sind und sich aus friedenspolitischer Sicht hochgradig kontraproduktiv auswirken.

Um die Kernaussagen der »Neuen Kriege« darzustellen, ist eine Systematisierung hilfreich, bei der zunächst die grundsätzlichen Befunde, anschließend deren angebliche Ursachen und daraufhin die hieraus abgeleiteten politischen Forderungen beschrieben werden.

Befunde

Staatenkrieg als Auslaufmodell

Alle Vertreter der »Neuen Kriege« stimmen darin überein, es habe ein tief greifender Formwandel gewaltsamer Konflikte stattgefunden, ein „neuer Typus organisierter Gewalt“ sei entstanden,1 der sich wahlweise in Begriffen wie „Kriege der dritten Art“ (Holsti), „Privatkriege“ (Hobsbawm), „post-nationalstaatliche Konflikte“ (Duffield), „postnationale Kriege“ (Beck) oder etwa „neo-hobbessche Kriege“ (Trotha) niederschlägt. Die 1998 von Mary Kaldor in die Debatte eingeführten »Neuen Kriege« beendeten diese babylonische Sprachverwirrung und setzten sich in der Folge als Bezeichnung für das zu beschreibende Phänomen durch. „Gemeinsam ist den meisten dieser Studien, dass sie innerstaatliche Kriege thematisieren, deren Grundmerkmale herausstellen und zunächst auf die Unterscheidung zu dem als ‘alt’ angesehenen Typ des zwischenstaatlichen Krieges zielen. Das Attribut ‘neu’ soll diese Kriege von den für eine frühere Epoche typischen Kriegsformen abgrenzen.“2 Auf die gravierenden methodologischen Probleme dieser Herangehensweise wird weiter unten noch näher eingegangen.

Dem klassischen zwischenstaatlichen Krieg, der etwa seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zur vorherrschenden Form des Konfliktaustrags geworden war, werden verschiedene Merkmale zugesprochen. Betont wird dabei insbesondere die zentrale Rolle der Staaten als „Monopolisten der Gewalt“. Krieg war also lange „ein Geschöpf des zentralisierten, ‘rationalisierten’, hierarchisch geordneten modernen Flächenstaats.“3 Als besonderes Charakteristikum der klassischen Staatenkriege wird deren »Zivilisierung« durch das Kriegsvölkerrecht und damit die Begrenzung und Eindämmung der Gewalt hervorgehoben.4

Diese Staatenkriege seien nunmehr ein Relikt der Vergangenheit, sie seien, in den inzwischen häufig zitierten Worten Herfried Münklers, zu einem „historischen Auslaufmodell geworden.“5 Demgegenüber steige aber gleichzeitig die Zahl innerstaatlicher Konflikte rapide an, die sich zudem grundlegend von klassischen Kriegen unterscheiden würden. Insbesondere auf zwei angeblich neue Faktoren wird diesbezüglich aufmerksam gemacht: Die Privatisierung, Kommerzialisierung und damit Entpolitisierung sowie die Brutalisierung des Krieges.

Privatisierung und Entpolitisierung

Heutzutage, so die These, seien die Staaten als Monopolisten des Krieges abgelöst und durch privatwirtschaftlich organisierte Kriegsunternehmer ersetzt worden. Dabei habe der »Krieg aus Habgier« lange maßgebliche politisch-ideologische Motivationen fast vollständig verdrängt. Es gehe nicht mehr darum, einen Sieg davon zu tragen bzw. Territorium zu erobern, sondern vielmehr sei es nunmehr das Ziel, die Bedingungen für die Realisierung von Profiten – den Krieg – als Erwerbsquelle und Lebensform längstmöglich aufrecht zu erhalten. Dies trage zu einer Verselbstständigung und einer langen Dauer der Kriege bei, indem z.B.. Entscheidungsschlachten vermieden würden.6

Die Barbarisierung der Gewalt

Ein weiterer zentraler Befund ist, dass die postulierte Einhegung zwischenstaatlicher Kriege verloren gegangen sei. In den »Neuen Kriegen« wäre die frühere Unterscheidung in Kombattanten und Nicht-Kombattanten aufgehoben, es komme zu steigenden Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung, insbesondere im Kontext ethnischer und sexueller Gewaltexzesse, die teilweise systematisch angewandt würden. Zusammen mit der praktischen Bedeutungslosigkeit des Kriegsvölkerrechts habe somit eine dramatische Barbarisierung der Gewalt stattgefunden.7

Die Ursachen der »Neuen Kriege«

Gewandelte Finanzierungsformen

Eine Hauptursache für das Aufkommen der »Neuen Kriege« wird in den gewandelten Finanzierungsformen gesehen: Dass sich „Krieg wieder lohnt“ sei eine zentrale Motivation für nicht-staatliche Gewaltakteure, denn „ohne Rentabilität der Gewalt keine Privatisierung des Krieges.“ Diese Rentabilität sei vor allem deshalb gegeben, weil der »Neue Krieg« in der Dritten Welt „mit leichten Waffen, billigen Kämpfern und Anschlussmöglichkeiten an die großen Geschäfte der globalisierten Wirtschaft geführt werden kann.“8

Ethnisch-kulturell-religiöse Konfliktursachen

Zwar wird neben den gewandelten Finanzierungsformen ein ganzes Bündel von Konfliktursachen präsentiert, fast nirgendwo taucht dabei allerdings eine wie auch immer geartete Verantwortung westlicher Interessenspolitik auf. „Die neuen Kriege werden von einer schwer durschaubaren Gemengelage aus persönlichem Machtstreben, ideologischen Überzeugungen, ethnisch kulturellen Gegensätzen, sowie Habgier und Korruption am Schwelen gehalten.“9

Abwesenheit »robuster Staatlichkeit«

Die wichtigste und überragende Ursache für den Ausbruch »Neuer Kriege« erblicken Kaldor wie Münkler in der Erosion staatlicher Autorität: „Die Aushöhlung der Autonomie des Staates, in Extremfällen eine völlige Auflösung, bildet den Kontext, aus dem die neuen Kriege erwachsen.“10 Diese Gewaltkonflikte entstünden „am Sog einer wirtschaftlichen Globalisierung, die vor allem dort ihre destruktiven Wirkungen entfaltet hat, wo sie nicht auf eine robuste Staatlichkeit traf.“11

Krieg als moralisch-sicherheitspolitischer Imperativ

Mit den zuvor beschriebenen Kriegsursachen ist der Argumentationsteppich ausgebreitet, der eine moralisch-sicherheitspolitische Notwendigkeit westlicher Pazifizierungskriege nahe legt: Die »Neuen Kriege«, so Herfried Münkler, sind „reine Staatszerfallskriege, die zerstörte Gesellschaften ohne tragfähige Zukunftsperspektiven erzeugen. Diese Gesellschaften sind … nicht nur auf den Import von Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe, sondern mindestens ebenso auf den von Staatlichkeit angewiesen.“12 Es bedarf also des Westens, besser noch der Europäischen Union, um die Dritte Welt aus ihren selbstverschuldeten Konflikten zu befreien. Wie erwähnt gibt es hierfür zwei unterschiedliche Begründungen.

Krieg als militärischer Humanismus

Aus Kaldors Sicht ist der Westen aus humanitären Gründen gezwungen, den Konflikten in der Dritten Welt ein Ende zu setzen: „Die Analyse der neuen Kriege legt jedoch nahe, dass nicht Friedenssicherung, sondern die Durchsetzung kosmopolitischer Normen erforderlich ist, also die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte.“13 Westliche Pazifizierungskriege sind also aus diesem Blickwinkel nicht mehr die Fortsetzung der (Interessens-) Politik mit anderen Mitteln, sondern der selbstlose Ausdruck für „eine neuartige, postnationale Politik des militärischen Humanismus, des Einsatzes transnationaler Militärmacht mit dem Ziel, der Beachtung der Menschenrechte über nationale Grenzen hinweg Geltung zu verschaffen.“14 Dieses moralische Argument wird von Münkler um eine sicherheitspolitische Komponente ergänzt.

Krieg als sicherheitspolitischer Imperativ

Da von den »Neuen Kriegen« eine „hohe Infektionsgefahr“ (Martin van Creveld) ausgehe, werden diese auch zu einem sicherheitspolitischen Problem. Dies gelte besonders „für den internationalen Terrorismus, dessen Ausbildungslager und Rückzugsgebiete vorzugsweise dort liegen, wo im Verlauf eines innergesellschaftlichen Krieges die staatlichen Strukturen zusammengebrochen sind. (Weshalb) es in einer globalisierten Welt keine Region mehr gibt, in denen die staatlichen Strukturen zusammenbrechen können, ohne dass dies schwer wiegende Folgen für die weltpolitische wie weltwirtschaftliche Ordnung hätte.“15 Hieraus leitet sich eine sicherheitspolitische Notwendigkeit zum militärischen Stabilitätsexport ab, der Westen müsse bereit sein, „sich auf bewaffnete Pazifizierungen ganzer Regionen einzulassen.“16 Selbstredend lägen dem keinerlei ausbeuterische Motive zugrunde, da „es sich – anders als die Theorien des Neokolonialismus und Imperialismus unterstellen – zumeist um defensive, nicht offensive Interessen handelt.“17

Wurde diese moralisch-sicherheitspolitische Kriegslegitimation, die nicht nur den politikwissenschaftlichen Mainstream, sondern auch die europäischen Strategiepapiere dominiert, erst einmal unhinterfragt übernommen, so ist der (Rück) Schritt zum Kolonialismus nicht mehr weit. Und auch diesen Weg gehen Vertreter der »Neuen Kriege« konsequent zu Ende.

Europas Imperium

„Was wäre schlecht an einem neuen Imperium?“, so die rhetorische Frage des Chefkolumnisten der Welt am Sonntag, der die moralisch-sicherheitspolitisch legitimierte Ausweitung der europäischen Einflusszone sogar zu einem »Modernisierungsprojekt« hochstilisiert: „Wenn aber Europa seine imperiale Bestimmung realisiert, so ist eben diese Ausdehnung einerseits schlicht und einfach notwendige Bedingung seiner Sicherheit, andererseits ein zivilisatorischer Auftrag, der Europas müde Eliten neu beleben könnte.“18

Integraler Bestandteil eines solchen imperialen Projekts ist es, Staaten solange unter westliche Schirmherrschaft zu stellen, bis sie wie gewünscht funktionieren: „Im Falle der ‘Failed States’ kann die Einrichtung von ‘liberalen Protektoraten’ erforderlich sein, um treuhänderisch das Gewaltmonopol herzustellen.“19 Mary Kaldor schlägt in dieselbe Kerbe: „Wo noch keine legitimen örtlichen Behörden existieren, können treuhänderisch Mandate oder Protektorate in Erwägung gezogen werden.“20 Letztlich bringt das Ganze wiederum Münkler präzise auf den Punkt: „Im Gefolge der ökonomischen Imperialismustheorien haben wir uns daran gewöhnt, Imperien mit Unterdrückung und Ausbeutung zu identifizieren. Genauso lassen sich Imperien aber auch als Friedensgaranten, Aufseher über politische und kulturelle Werte und Absicherer großräumiger Handelsbeziehungen und Wirtschaftsstrukturen begreifen.“21 Da Imperien grundsätzlich nichts vom staatlichen Souveränitätsrecht halten, sieht Münkler im Gewaltverbot der UN-Charta (Art. 2,4) und generell in den »Normen des Völkerrechts« konsequenterweise ein Auslaufmodell.22

Zur Kritik der »Neuen Kriege«

Inzwischen sind eine Reihe teils vernichtender Kritiken der »Neuen Kriege« erschienen. Ein erster Einwand besteht darin, dass insbesondere im Lichte ansteigender westlicher Militärinterventionen klassische Staatenkriege keineswegs bedeutungslos geworden sind und zudem das Bild vom »eingehegten« Konfliktaustrag eine stark idealisierte Sichtweise darstellt, die sich nicht mit der Realität deckt.23 Weder trifft das Bild vom »zivilisierten Staatskrieg« zu, noch stimmt die Analyseebene, wenn dieser mit »neuen« innerstaatlichen Kriegen verglichen wird. Um überhaupt zu sinnvollen Aussagen gelangen zu können, müssten alte und neue innerstaatliche Konflikte vergleichend untersucht werden.24

Darüber hinaus sind erhebliche Zweifel angebracht, inwieweit der zentrale empirische Befund, es habe ein signifikanter Anstieg innerstaatlicher Gewaltkonflikte stattgefunden, überhaupt zutreffend ist. Einzig das Datenmaterial des »Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung« scheint diese These zu bestätigen. Es beschreibt einen kontinuierlichen Anstieg der Gewaltkonflikte von 1945 (74) bis 2004 (230) bei einer erheblichen Zunahme von inner- und einem leichten Rückgang zwischenstaatlicher Kriege. Demgegenüber betonen aber zahlreiche andere Studien, dass innerstaatliche Kriege seit 1992 entweder eine stark rückläufige Tendenz aufweisen oder zumindest stagnieren. In diesem Kontext hat der 2005 veröffentlichte »Human Security Report« breite Aufmerksamkeit erlangt, der zu dem Ergebnis kommt, es habe einen dramatischen Rückgang innerstaatlicher Konflikte, deren Opfer und Vertriebene gegeben.25 Zumindest die Aussage, es habe eine »drastische « Zunahme innerstaatlicher Konflikte stattgefunden, erscheint also mehr als fraglich: Somit liegt in „Bezug auf die Behauptung des Phänomens neuer Kriege …schon in quantitativer Hinsicht eine Fehlperzeption vor.“26

Ebenso verhält es sich mit der These einer Brutalisierung der Gewalt: „Bürgerkriege … haben sich von jeher durch besondere Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit ausgezeichnet … Von einer ‘neuen’ Entwicklung kann also hier ebenfalls nicht gesprochen werden.“27 Weder was sexuelle noch was ethnische Gewalt anbelangt, scheint die jüngere Vergangenheit eine signifikante Ausnahme von der unbestritten grausamen, aber eben nicht neuen Regel innerstaatlicher Konflikte darzustellen.28

Eine moralische und sicherheitspolitische Bankrotterklärung

An dieser Stelle muss deutlich betont werden, dass mit den vorgebrachten Kritikpunkten in keiner Weise die grausame Realität heutiger Kriege verharmlost oder relativiert werden soll – im Gegenteil. Vielmehr geht es darum zu zeigen, wie sich die Vertreter der »Neuen Kriege« mithilfe empirisch schwach belegter Thesen zum Steigbügelhalter für die militärische Durchsetzung europäischer Interessen machen und diese zugleich legitimieren, was gleichzeitig friedens- wie sicherheitspolitisch katastrophale Folgen nach sich zieht.

Steigbügelhalter europäischer Interessenspolitik

Angesichts der vorliegenden Daten muss man sich fragen, wie zu dem Schluss gekommen werden kann, militärischer »Stabilitätsexport« sei überhaupt praktikabel. Denn um moralisch konsistent zu bleiben, müsste sich unterschiedslos mit den gravierend fehlgeschlagenen Staaten beschäftigt werden, was schlicht unmöglich ist, wie eine Studie des »Defence Science Board«, dem wichtigsten wissenschaftlichen Beratungsgremium des Pentagon, belegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass für eine nachhaltige Stabilisierung fehlgeschlagener Staaten 20 Soldaten pro 1000 Einwohner für 5-8 Jahre stationiert werden müssen. Auf dieser Grundlage würden für den Kongo z.B. mehr als 1.2 Mio. Soldaten benötigt, allein der Gesamtbedarf zur Stabilisierung der 20 kritischsten Staaten beliefe sich auf ziemlich genau 10 Millionen Soldaten in Besatzungstruppen.29

Man kann sicher sein, dass die hierfür erforderlichen personellen wie materiellen Ressourcen niemals bereitgestellt werden. Damit kann der geforderte »Stabilitätsexport« zwangsläufig nur selektiv geschehen, was im Übrigen von Mary Kaldor offen eingeräumt wird. Während sie jedoch hierfür durchaus noble Kriterien anführt, insbesondere die Schwere der Menschenrechtsverletzungen, ist es nicht zu gewagt anzunehmen, dass in der Praxis primär ökonomische und strategische Gründe den Ausschlag für einen Einsatz geben werden. Die »Neuen Kriege« machen sich damit bewusst oder unbewusst zum Steigbügelhalter für die Durchsetzung einer immer offensiver formulierten europäischen Interessenspolitik, die eindeutig ausbeuterischen Charakter hat.30

Angesichts der mangelnden Begeisterung für derlei Auslandseinsätze in der Bevölkerung, stellt Klaus Jürgen Gantzel in diesem Kontext deshalb völlig zu Recht die Frage, „ob die ‘Neuentdecker’ – bewusst oder unbewusst, zumindest unbedacht – nicht einer tieferen Strömung zu Diensten sind. Ihre generalisierenden Darstellungen einer unmenschlichen Kriegswelt wecken diffuse Bedrohungsgefühle, die geeignet sind, einer sich bis in Privatzonen hineinfressenden Sicherheitspolitik den Weg zu ebnen, die letztlich zerstört, was zu schützen sie vorgibt: eine starke demokratische Gesellschaft. Solche Bedrohungsgefühle können aber auch dazu genutzt werden, einem bloßen Draufhauen Vorschub zu leisten, etwa auf eine erfundene ‘Achse des Bösen’.“31

(Un)Sicherheitsexport und die Fehlallokation von Ressourcen

Wenn Münkler meint, es sei notwendig, „stärker den Blick auf die sich mit den Mitteln militärischer Gewalt durchsetzenden ökonomischen Interessen zu richten“, so ist einzuwenden, schreibt Horst Großmann, „dass er im wesentlichen die Ökonomie auf die ökonomischen Interessen regional agierender Subjekte, Kriegsfürsten, Warlords u.s.w. reduziert und sie von den ökonomischen Interessen der kapitalistischen Großmächte abkoppelt.“32

Damit wird auch bewusst ausgeblendet, dass die westlichen Staaten wenig tun, um diese Konflikte und deren Finanzierung zu unterbinden, ja sie häufig, z.B. über Rüstungsexporte, sogar anheizen. Vor allem aber greifen Habgier und Staatszerfall als gewaltauslösende Faktoren deutlich zu kurz, da sie lediglich Symptome sind, die nicht mit Ursachen verwechselt werden dürfen. Inzwischen haben eine ganze Reihe von Studien, u.a. von der Weltbank, belegt, dass Armut der mit weitem Abstand bedeutendste Faktor für das gewaltsame Aufbrechen innerstaatlicher Konflikte ist.33 Unter diesem Blickwinkel ist es die von sämtlichen westlichen Staaten propagierte neoliberale Weltwirtschaftsordnung, in deren Folge weite Teile der Dritten Welt dramatisch verarmten, die entscheidend zur gewaltsamen Eskalation von Konflikten beiträgt.

Kaldor räumt diese konfliktverschärfende Wirkung neoliberaler Zwangsmaßnahmen zwar ebenso ein, wie die Tatsache, dass Armut ein wichtiger Eskalationsfaktor ist. Allerdings kommt sie zu dem Schluss, dass erst in Folge einer militärischen Besatzung tragfähige Ökonomien aufgebaut werden könnten, da Sicherheit die Vorbedingung für Entwicklung sei. Zur Armutsbekämpfung auf das militärische Pferd zu setzen heißt aber in die falsche Richtung zu galoppieren. Hierzulande mag es noch Illusionen über den altruistischen Charakter westlicher Protektorate geben, bei vielen Betroffenen ist die Ernüchterung schon längst in Wut und zunehmend auch in Hass auf die ausbeuterische Politik des Westens umgeschlagen. „Destroy and Profit“, benennt »Focus on the Global South«die Ziele westlicher Besatzungspolitik, „Afghanistan Inc.“, ist der ebenso viel sagende wie vernichtende Titel einer ausführlichen Studie der Afghanin Fariba Nawa, über den neoliberal ausgerichteten »Wiederaufbau« ihres Landes.34

Wer Sicherheit und Staatlichkeit herbeibomben will, um Länder anschließend so lange unter westliche Schirmherrschaft zu stellen, bis sie neoliberalen Spielregeln gehorchen, perpetuiert den Teufelskreis aus Armut und Gewalt und kann nicht glaubhaft die Moral für sich reklamieren. Genau das ist aber die traurige – nebenbei völkerrechtswidrige – Praxis, die sich hinter dem beschönigenden Begriff des Stabilitätsexports verbirgt. Exportiert wird nicht Stabilität, sondern lediglich mehr Armut, mehr Leid und letztlich auch weitere Konflikte, die es wiederum militärisch zu »befrieden« gilt. Für Herfried Münkler jedenfalls ist es der „Prozess der wirtschaftlich ausgelösten Erosion bestehender Ordnungen, der ihre machtpolitische Stabilisierung von außen erforderlich machte. (Deshalb) erscheinen die zahlreichen humanitären militärischen Interventionen des vergangenen Jahrzehnts – von der Verhinderung bis zur Beendigung von Bürgerkriegen – als Nachfolge der nicht intendierten Effekte des neuerlichen Globalisierungsprozesses. Der humanitäre Imperialismus, von dem einige Autoren sprechen, wäre dann nichts anderes, als die politische Nachbearbeitung der Spuren, die der sozioökonomische Prozess der Globalisierung hinterlassen hat.“35

Mit dieser militärischen Flankierung des Neoliberalismus, die Münkler keineswegs ablehnt, sondern für erforderlich hält, wird aus friedenspolitischer Sicht einer gigantischen Fehlallokation von Ressourcen Vorschub geleistet. Einerseits wird gefordert, Milliarden in die Rüstung zu pumpen, um für einen militärischen »Stabilitätsexport« gerüstet zu sein, der lediglich selektiv die Durchsetzung europäischer Interessen legitimiert und dessen stabilisierende Wirkung – gelinde gesagt – umstritten ist. Auf der anderen Seite aber werden gleichzeitig die Abermillionen Opfer der in unserem Wirtschaftssystem begründeten strukturellen Gewalt weitgehend ignoriert, für sie ist kein Geld da. Eine radikale Umschichtung von Rüstungsgeldern hin zur Armutsbekämpfung in Kombination mit einem grundsätzlichen Kurswechsel weg vom Neoliberalismus würde den effektivsten Beitrag für eine friedlichere Welt und damit die einzig moralisch vertretbare Position darstellen.

Rekrutierungshilfe für Terrororganisationen

Auch der von Münkler geforderte »Stabilitätsexport« im Sinne einer Anti-Terror-Maßnahme erweist sich als hochgradig kontraproduktiv. Robert Pape, einer der bekanntesten US-Politikwissenschaftler, fand in einer breit angelegten Studie heraus, dass praktisch sämtliche Selbstmordattentäter „kein religiöses, sondern ein eindeutig strategisches Ziel verfolgten: Die Demokratien dazu zu zwingen, ihre Truppen aus dem Land, das die Terroristen als ihre Heimat betrachten, abzuziehen.“36 Mehr und mehr Menschen in der Dritten Welt wird bewusst, dass sie es mit Okkupanten, nicht mit Wohltätern zu tun haben, weshalb sie die Besatzer lieber heute als morgen aus ihrem Land jagen wollen. Dabei steigt auch der Anteil derjenigen, die bereit sind, sich gewaltsam gegen den zunehmend als ausbeuterisch wahrgenommenen Westen zur Wehr zu setzen.

Nirgendwo zeigt sich dies deutlicher, als am Beispiel Afghanistan. Angesichts der Forderung der Friedensbewegung, die Besetzung des Landes sofort zu beenden und die deutschen Truppen abzuziehen, ging der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, mit einer scharfen Anklage in die Offensive: „Völlig negiert wird, dass die Stabilisierung und Friedensförderung in Afghanistan von den Vereinten Nationen mandatiert und unterstützt wird und dass sich ein nicht unwichtiges VN-Mitglied wie die Bundesrepublik nicht einfach einseitig aus diesem Prozess verabschieden kann. Die Friedensverbände fordern das aber – und reden damit einer anderen Art von destruktivem Unilateralismus das Wort, ausdrücklich nichtmilitärisch, aber indirekt gewaltfördernd.“

Die Realität vor Ort stellt sich aber anders dar. Der US-Botschafter in Kabul, Ronald Neumann, prophezeit einen „blutigen Sommer“, der sich bereits durch vermehrte Anschläge ankündigt. Markus Kneip, Kommandoführer über ISAF-Nord, gibt an, die Lage sei „eindeutig nicht ruhig und nicht stabil.“ Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, räumt offen ein: „Wir haben uns getäuscht in der Resonanz unserer Bemühungen. (Offenbar) ist die Annahme, die Masse der Bevölkerung stünde hinter Präsident Hamid Karsai und den Isaf-Truppen, nicht ganz zutreffend. Es sind nicht nur wenige entschlossene Terroristen, die uns bedrohen. Viele Afghanen stehen als Unterstützer zur Verfügung.“37

Die Entwicklung in Afghanistan und im Irak beweist täglich: Mit militärischer Besatzung werden weder die Probleme dieser Länder noch das des Terrorismus gelöst. Im Gegenteil, die mit der Besatzung verbundene Gewalt und ökonomische Ausbeutung sowie die offensichtlich im System liegenden Menschenrechtsverletzungen lassen die Gewalt eskalieren und treiben den Terroristen neue Rekruten in die Arme. Die Position der »Neuen Krieger« ist somit destruktiv und gewaltfördernd, sie ist eine moralische Bankrotterklärung.

Anmerkungen

1) Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege, Frankfurt 2000, S. 7.

2) Matthies, Volker: Der vernachlässigte Blick auf den Frieden, in: Der Bürger im Staat, 4/2004, S. 185-190, S. 186.

3) Kaldor 2000, S. 27.

4) Vgl. Pradetto, August: Neue Kriege, in: S. Gareis und P. Klein (Hg.): Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, Opladen 2004, S. 192-202, S. 192f.

5) Münkler, Herfried: Die neuen Kriege, Bonn 2002, S. 7.

6) Vgl. Kaldor 2000, S. 15ff; Münkler 2002, 33ff.

7) Vgl. Münkler 2002, S. 28, 145; Kaldor 2000, S. 8.

8) Münkler 2002, S. 161.

9) Münkler 2002, S. 16.

10) Kaldor 2000, S. 12.

11) Münkler 2002, S. 19.

12) Münkler 2002, S. 135. Auch für Kaldor 2000, S. 21 liegt der „Schlüssel“ in der „Wiederherstellung einer – sei es lokalen, nationalen oder globalen – öffentlichen Kontrolle der organisierten Gewalt.“

13) Kaldor 2000, S. 197.

14) Beck, Ulrich: Über den postnationalen Krieg, in: Blätter 8/99, S. 984-990, S. 987.

15) Münkler 2002, S. 227.

16) Münkler 2002, S. 221.

17) Münkler 2002, S. 226.

18) Posener, Michael: Empire Europa, in: IP (Januar 2006), S. 60-67, S. 60.

19) Menzel, Ulrich: Wenn die Staaten verschwinden, taz, 30.8.03.

20) Kaldor 2000, S. 211.

21) Münkler, Herfried: Das imperiale Europa, Die Welt, 29.10.04.

22) Münkler 2002, S. 240.

23) Chojnacki, Sven: Wandel der Kriegsformen?, in: Leviathan, 3/2004, S. 402-424, S. 407; Vgl. Pradetto 2004, S. 196.

24) Kahl, Martin/Teusch, Ulrich: Sind die ‘neuen Kriege’ wirklich neu?, in: Leviathan, 3/2004, S. 382-401, S. 400.

25) Vgl. HIIK: Konfliktbarometer 2004, Dezember 2004; Andrew Mack (ed.), Human Security Report 2005, New York/Oxford 2005; und ausführlich Kahl/ Teusch 2004, S. 386ff.

26) Pradetto 2004, S. 197f.; Kahl/ Teusch 2004, S. 388.

27) Kahl/ Teusch 2004, S. 393f.

28) Vgl. Chonjacki 2004, S. 412; Pradetto 2004, S. 196.

29) Preble, Christopher/Logan, Justin: Failed States and Flawed Logic, CATO Policy Analysis 560/2006, S. 18.

30) Vgl. hierzu die Beiträge in Pflüger, Tobias/Wagner, Jürgen (Hg): Welt-Macht EUropa: Auf dem Weg in weltweite Kriege, Hamburg 2006.

31) Gantzel, Klaus Jürgen: Neue Kriege?, in: Friedensgutachten 2002, S. 80-89, S. 88f.; Vgl. auch Pradetto 2004, S. 195.

32) Großmann, Horst: Die »neuen Kriege«, in: DSS-Arbeitspapiere Heft 70, S. 73-84, S. 80.

33) Vgl. World Bank, Breaking the Conflict Trap, Oxford 2003.

34) Nawa, Fariba: Afghanistan Inc., Oakland 2006; Destroy and Profit, FGS, January 2006.

35) Münkler, Herfried: Imperien, Bonn 2005, S. 48f.

36) Pape, Robert: The Logic of Suicide Terrorism, The American Conservative, July 18, 2005.

37) Alle Zitate in Wagner, Jürgen: Afghanistan steht vor einem »blutigen Sommer«, in: AUSDRUCK (Juni 2006), S. 9.

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung und Mitglied des W&F Redaktionsteams

»Neue Kriege«: Neues Völkerrecht?

»Neue Kriege«: Neues Völkerrecht?

von Thomas Bruha

Recht, das gilt innerhalb der Staaten gleichermaßen wie für das Recht der Weltgemeinschaft, unterliegt dem Wandel. Neue wirtschaftliche und ökologische Gegebenheiten, neue Kommunikationstechnologien und andere wissenschaftlich-technische Entwicklungen, kollektive Lernprozesse nach dem Zusammenbruch von Unrechtsregimen und den Gräueln verheerender Kriege sind einige der Ursachen, die genannt werden können. So haben die schrecklichen Erfahrungen mit der Naziherrschaft und dem menschlichen Leid infolge zweier Weltkriege in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die entscheidenden Anstöße für die weltweite Ächtung des Krieges, für ein umfassendes Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen, für die Absicherung der Menschenrechte auf internationaler Ebene, für den Multilateralismus in Gestalt der mittlerweile universellen Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen gegeben und damit einen Paradigmenwechsel bewirkt, den man mit dem Konzept »Frieden durch Recht« umreißen kann. Recht und Unrecht in den internationalen Beziehungen wurden nun sehr viel deutlicher unterscheidbar als dies noch im 19. Jahrhundert und mit Abschwächungen auch noch zu Zeiten des Völkerbundes zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg möglich war. Zugleich wurde mit der Schaffung des »Bretton Woods Systems« der Grundstein für das gegenwärtige WTO-Regime offener und liberaler Weltwirtschaft gelegt, das inzwischen ebenfalls als quasi-universell bezeichnet werden kann.

Mit der sich rasant vollziehenden Globalisierung und der Beendigung des bisherigen Ost-West-Konflikts – symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 – bahnt sich ein weiterer Paradigmenwechsel an. Zunächst nur auf der Ebene der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung und mit Blick auf globale Umweltprobleme zur Kenntnis genommen, erfasst die Globalisierung nahezu alle Bereiche staatlicher und transnationaler Interaktion. Auch die Gewalt ist mittlerweile globalisiert. Dies haben die Terrorakte vom 11. September 2001 in New York und Washington in aller Schärfe deutlich gemacht. Neue, in globalen Netzwerken operierende Gewaltakteure der Terrororganisation Al Qaida haben den bislang schon vorliegenden Erscheinungsformen »privater Gewalt« eine neue Dimension hinzugefügt. Die Zeiten, in denen die Staaten faktische »Monopolisten des Krieges« waren, sind vorbei. Warlords, käufliche Privatarmeen und jetzt eben auch globale Terrornetzwerke führen zusammen mit der gewachsenen Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und dem Zerfall staatlicher Strukturen in vielen Teilen der Welt dazu, dass die Sicherheitsstrukturen sich fundamental verändert haben.

Als zweiter Faktor des sich abzeichnenden Paradigmenwechsels ist der amerikanische Hegemonialismus der verbleibenden Supermacht USA zu nennen. Er hat unter der gegenwärtigen Bush-Administration einen Höhepunkt erfahren, reicht in seinen Ursprüngen jedoch weiter zurück. Er setzt die nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebildete Weltrechtsordnung unter einen erheblichen Anpassungsdruck. Offen und mit den als traumatisch empfundenen oder als solche bezeichneten Ereignissen des 11. September begründet, wird ein Recht auf weit ins Vorfeld der akuten Bedrohung verlagerte Bekämpfung der von Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und verbrecherischen Regimen ausgehenden Gefahren reklamiert. Ihren bekanntesten Niederschlag haben diese Rechtsbehauptungen in der als »Bush-Doktrin« bekannten Legitimationsfigur »prä-emptiver« Kriegsführung gefunden. Diese Doktrin ist in verschiedenen »Nationalen Sicherheitsstrategien« vor- und ausformuliert, welche dem Kongress seitens der amerikanischen Regierung nach dem 11. September vorgelegt worden sind. Der gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats geführte Krieg gegen den Irak, beginnend am 20. März dieses Jahres, kann als Prototyp dieser neuen Art »vorbeugender Kriege« bezeichnet werden.

Beide, der nicht-staatliche transnationale Terrorismus und seine Bekämpfung sowie der »klassisch« zwischenstaatliche Krieg gegen den Irak, stellen neue Erscheinungsformen kriegerischer oder kriegsähnlicher Gewalthandlungen dar, welche die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete Weltrechtsordnung auf eine harte Belastungsprobe stellen. Geht es beim transnationalen Terrorismus und seiner Bekämpfung darum, das im Kern auf zwischenstaatliche Konflikte zugeschnittene Völkerrecht auf Gewaltakte im Verhältnis zwischen Staaten und (terroristischen) Privaten anzuwenden bzw. zu prüfen, inwieweit dieses überhaupt geeignet ist, die neuen »transnationalen bewaffneten Konflikte« angemessen zu erfassen, so steht im Fall des Krieges gegen den Irak der Geltungsanspruch des universellen Völkerrechts gegenüber den Machtansprüchen und Sicherheitsinteressen der sich hegemonial gerierenden Supermacht USA auf dem Spiel. In diesem Fall geht es zugleich um die für jede Rechtsordnung essentielle Frage, welches Maß der Verschränkung des Rechts mit der Macht einzugehen ist, damit Recht auch Effektivität entfalten und auf allseitige Akzeptanz stoßen kann. Im Völkerrecht, das keine dem staatlichen Recht oder auch nur dem Recht der EU vergleichbaren Mechanismen kollektiver Erzwingbarkeit verbindlicher Regeln kennt, ist diese Verbindung von Macht und Recht existentiell. Ein Ausstieg der USA aus dem Friedenssicherungsrecht der UN-Charta würde praktisch dessen Bedeutungslosigkeit sowie das Ende der Weltorganisation bedeuten.

Globaler transnationaler Terrorismus

Was die vom Völkerrecht mit Blick auf die »Neuen Kriege« zu erbringenden Anpassungsleistungen betrifft, so steht der globale transnationale Terrorismus, weitgehend verkannt, für eine zu Tage getretene positive Anpassungsfähigkeit der Völkerrechtsordnung. Nur einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der UN-Sicherheitsrat diese als eine Friedensgefährdung im Sinne des Artikel 39 der UN-Charta bezeichnet und damit in rechtsfortbildender Weise auch eine von privaten nicht-staatlichen Akteuren ausgehende kriegsähnlich Handlung unmittelbar dem Chartaregime kollektiver Sicherheit unterworfen. Indem in derselben Resolution sowie späteren Entschließungen des Rates ausdrücklich das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta genannt wird, hat der Sicherheitsrat ferner zu erkennen gegeben, dass die Terroranschläge auch als eine das Selbstverteidigungsrecht auslösende Angriffshandlung angesehen werden können. Ausdrücklich bestätigt hat er das Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation allerdings nicht. Ob dies nur für den Fall gelten sollte, dass hinter den Anschlägen ein »Hintergrundstaat« oder – wie im Fall der Al Qaida – ein staatsähnliches de facto Regime (Taliban) ausgemacht werden kann, ist unter Völkerrechtlern daher umstritten.

Weitgehend anerkannt wird hingegen, dass das Selbstverteidigungsrecht im Hinblick auf den »unsichtbaren« terroristischen Gegner, die gesteigerte und im Fall des 11. September als strategisch einzustufende Gefährdung durch praktisch durch nichts abzuschreckende Selbstmordattentäter, die weltweite Vernetzung mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in einem den Besonderheiten der neuen Gefahren angepassten Sinne zu deuten ist. So war der terroristische Angriff mit der Selbsttötung der Täter und der Ermordung tausender unschuldiger Opfer nicht am 11. September 2001 beendet. Die USA konnten sich daher zurecht auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta berufen, um in der Folge weitere Angriffe abzuwehren. Auch die Zurechnungskriterien für einen mitverantwortlichen »Hintergrundstaat« der terroristischen Gewalt wird man angesichts der kriegsähnlichen Gefahren des globalen Terrorismus für niedriger ansehen müssen als bei herkömmlichen Terrorakten. So wurde die Aktion »Enduring Freedom« in Afghanistan gegen die Mitglieder der Terrororganisation Al Qaida sowie die ihnen Schutz gebenden Milizen des Taliban-Regimes von der Weltgemeinschaft hingenommen, weil eine hinreichende Verstrickung (»safe haven«) angenommen wurde. Weniger Übereinstimmung besteht unter Völkerrechtlern allerdings hinsichtlich der Frage, wie weit das Selbstverteidigungsrecht zeitlich und in seinen Zielsetzungen gereicht hat. Richtiger Weise wird man die »nachhaltige Beseitigung« der Gefahr durch den gewaltsamen Sturz des Taliban-Regimes nicht mehr als vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt ansehen dürfen. Dieses steht nur als »Notrecht« zur Verfügung, solange der Sicherheitsrat nicht die für die Abwehr des Angriffs erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Die indirekte Billigung der Aktion »Enduring Freedom« durch die Mitglieder des Sicherheitsrates ist also, was das über die Abwehr des terroristische Angriffs hinausgehende Ziel des Regimewechsels betrifft, in eine Ermächtigung des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII der Charta zu deuten. Nur dieses, nicht das Selbstverteidigungsrecht, kann der Fortsetzung der Aktion »Enduring Freedom« (nomen est omen) völkerrechtliche Legitimität verleihen. Das ist unter Völkerrechtlern aber durchaus strittig.

Auf rechtlich wenig gesichertem Boden bewegt man sich auch bei der Frage, wie eine zulässige Militäraktion gegen den Terrorismus unter den Gesichtspunkten des humanitären Völkerrechts einzustufen ist. Dieses kennt nur internationale und nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Die Bekämpfung des transnationale Terrorismus passt weder so recht in die eine noch in die andere Kategorie. Für die völkerrechtliche Betrachtung unproblematisch scheint nur die Bekämpfung terroristischer Akteure auf eigenem Staatsgebiet sowie auf dem Staatsgebiet anderer Staaten mit Zustimmung der dortigen Regierung zu sein. In solchen Fällen liegt in der Regel eine Polizeiaktionen vor. Sie ist an den Maßstäben des jeweils geltenden nationalen Rechts sowie an den internationalen Grundrechtsgarantien auszurichten bzw. an diesen zu messen. In allen anderen Fällen ergeben sich aber schwierige Fragen der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Konventionen, welche noch der Klärung bedürfen. Sicher ist nur, dass den Terroristen nicht der Status eines Kombattanten im Sinne des Kriegsvölkerrechts zuerkannt werden darf. Die Kombattanteneigenschaft ist ein privilegierter Status, der das Recht zu Tötungshandlungen in bewaffneten Konflikten einschließt. Diesen Status Terroristen zu gewähren, hieße ihre verbrecherischen Aktivitäten zu legalisieren. Andererseits sind aber auch Terroristen Menschen, die nicht für »vogelfrei« erklärt werden können. Die Internierung und Behandlung der terroristischer Aktivitäten beschuldigter Gefangener im kubanischen Gefangenenlager Guantanamo durch die USA verstößt gegen eine Reihe menschen- und kriegsrechtlicher Prinzipien.

Irak-Krieg

Der Krieg gegen den Irak hat mit der Bekämpfung des Terrorismus zunächst einmal wenig zu tun. Verbindungen des mittlerweile gestürzten Regimes des Saddam Hussein zur Al Qaida oder seine Verstrickung in andere Terrorakte haben sich nicht nachweisen lassen. Die am zweiten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 gehaltene Rede Präsident Bushs an die Nation, in der zum Thema »America’s actions in the war on terror« ausführte: „The war on terror is a lengthy and a different kind of war, fought on many fronts in many places. Iraq is now the central front“, ist daher dem Bereich politischer Rhetorik zuzuordnen. Der eigentliche Hintergrund des Krieges ist vielmehr die Beseitigung eines als unakzeptabel angesehenen Sicherheitsrisikos sowie die Absicht, durch entschlossenes Handeln künftige staatliche oder nicht-staatliche Aggressoren sozusagen »generalpräventiv« abzuschrecken. Daneben mögen andere Motive (Befriedung der Region, Schaffung günstigerer Voraussetzung für die Lösung des Palästina-Problems, Sicherung der Versorgung mit Öl, u.a.) eine Rolle gespielt haben.

Der Krieg gegen den Irak war evident illegal. Weder lag eine Mandatierung oder auch nur Billigung durch den Sicherheitsrat vor noch eine Angriffssituation, welche das Selbstverteidigungsrecht auslöst. Schließlich kann der Krieg auch nicht als eine »humanitäre Aktion zur Befreiung der irakischen Bevölkerung« gerechtfertigt werden. Träfe diese erweiterte Deutung des ohnehin umstrittenen Rechtsinstituts der humanitären Intervention zu, wären »humanitären Befreiungskriegen« zur Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie weltweit Tür und Tor geöffnet. Vom völkerrechtlichen Gewaltverbot bliebe nicht viel übrig. Schließlich stellt der Irak-Krieg auch nicht den »Normalfall« einer einmaligen Durchbrechung des Völkerrechts dar, nach der man gewissermaßen wieder »zur Normalität zurückkehrt«. Der Einsatz militärischer Gewalt zur Beseitigung des der »Achse des Bösen« zugerechneten Regimes des Saddam Hussein steht vielmehr für den generellen hegemonialen Machtanspruch der USA, notfalls auch gegen den Willen der Staatengemeinschaft ihre nationalen Sicherheitsinteressen weit im Vorfeld von Gefährdungen zu sichern. Die Bush-Doktrin so genannter prä-emptiver Kriege löst das Selbstverteidigungsrecht letztlich von seiner defensiven Zielsetzung und interpretiert es in eine offensiv einsetzbare Präventionsstrategie um. Die Verwendung des Begriffs der »Prä-emption« hat den Zweck, eben dies zumindest sprachlich zu verschleiern. In der amerikanischen Völkerrechtslehre steht das Konzept der »Prä-emption« für die Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs („the necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means and no moment of deliberation“, sog. Caroline Formel aus dem Jahr 1841). Maßnahmen »präventiver Kriegsführung«, auf welche die Bush-Doktrin praktisch hinausläuft, sind hiervon jedoch zu unterscheiden. Sie können auch nach bisheriger amerikanischer Völkerrechtslehre nicht auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden. Das erklärt, warum der Begriff der »Prävention« an den entsprechenden Stellen der »Nationalen Sicherheitsstrategie« so peinlich vermieden wurde.

Völkerrecht und Völkerrechtsbruch

Angesichts der evidenten Rechtswidrigkeit des Irak-Krieges ist auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, welche Auswirkungen sich auf das Völkerrecht als konsentierter Rechtsordnung der Weltgemeinschaft ergeben. Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass der Völkerrechtsbruch, auch wenn er von der gegenwärtigen Hegemonialmacht begangen worden ist, unter Mitwirkung einer Reihe von »willing nations«, darunter auch der eine oder andere gegenwärtige oder künftige EU-Staat, das Völkerrecht nicht gewissermaßen »über Nacht« verändert. Völkerrecht, so treffend der Berliner Völkerrechtler Philip Kunig, „entsteht nicht in Momentaufnahmen. Es ist flüssiger als anderes Recht, aber auch zähflüssig“. Sicher kann Zustimmung zu von anderen geäußerten Rechtsbehauptungen auch aus Verhaltensweisen und aus Verschweigungen erwachsen. Seine Illegalität hat der Krieg gegen den Irak aber bisher nicht verloren. Neue Doktrinen sind durch ihn bisher nicht zu Recht erstarkt.

Insoweit spielt auch eine große Rolle, wie sich die Weltgemeinschaft in Gestalt der Vereinten Nationen gegenüber dem Krieg gegen den Irak verhalten hat. In einem von dem Medien ausführlichst begleiteten diplomatischen Prozess ist im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen intensiv über die von den USA sowie Großbritannien und Spanien geforderte »zweite« Irak-Resolution gestritten worden, mit der ein mehr oder weniger deutlich formuliertes Mandat zum Einsatz bewaffneter Gewalt gegenüber dem Irak erteilt worden wäre. Zurecht hat die Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates diesem Ansinnen widersprochen. Auch für die Vereinten Nationen gilt, dass Gewaltmaßnahmen kriegerischen Ausmaßes immer die »ultima ratio« aller verfügbaren Mittel sein darf. Indem der Sicherheitsrat der Versuchung widerstanden hat, dem bereits beschlossenen Krieg das Deckmäntelchen der Multilateralität und zweifelhafter Legalität zu geben, haben sie dem Völkerrecht und den Vereinten Nationen einen Dienst erwiesen.

Von dieser Haltung ist der Sicherheitsrat auch nicht mit der einstimmig angenommen Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 dieses Jahres abgewichen. Zwar verzichteten seine Mitglieder mit Ausnahme Syriens auf einen förmlichen Protest gegen den Krieg, weil andernfalls die USA und Großbritannien der Entschließung nicht zugestimmt hätten. Jedoch ist mit ihr keinerlei Anerkennung der Rechtmäßigkeit des Krieges erfolgt. In der auf Kapitel VII der UN-Charta gestützten Resolution werden die USA und Großbritannien lediglich als „Besatzungsmächte unter einheitlicher Führung“ („die Behörde“) zur Kenntnis genommen und ihre damit verbundenen Rechte und Pflichten unter anwendbarem Kriegsvölkerrecht anerkannt. Zur Frage der Legalität oder Illegalität des vorangegangenen Krieges verhält sich die Resolution neutral. Zugleich hat die Resolution den erforderlichen Kontakt zwischen den Besatzungsmächten und den Vereinten Nationen gewahrt. Deren Rolle bleibt zwar weit hinter der früherer »Post-conflict peace building«-Prozesse zurück (Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Ost-Timor). Sie hält jedoch die Tür zur schrittweisen Verstärkung der UN-Befugnisse offen, was mittlerweile auch durch Resolution 1511 des Sicherheitsrates vom 16. Oktober 2003 erfolgt ist. Zufriedenstellen können die immer noch marginalen Befugnisse der Vereinten Nationen im Irak aber bislang bei weitem noch nicht.

Beendigung der rechtlichen Debatte über den Irak-Krieg?

Bleibt die Frage, ob man aus politischen Gründen nicht die Akte über die Frage der Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges schließen und sich auf die gegenwärtige Situation im Irak und dessen Wiederaufbau sowie die Aufgabe einer eventuellen Fortentwicklung des Völkerrechts konzentrieren sollte. Zunächst zu den aktuellen Verhältnissen im Irak: Die anhaltenden Anschläge gegen die Besatzungstruppen und sonstige »ausländische Einheiten«, unter ihnen auch die neutralen Missionen der Weltgemeinschaft, offenbaren die ganze Problematik des völkerrechtswidrigen Krieges. Von einer raschen Akzeptierung der geschaffenen Fakten auf irakischem Boden, ja begeisterten Begrüßung der Invasionstruppen, kann keine Rede sein. Die nahezu täglichen Gewaltanschläge gegen die auswärtigen Besatzungstruppen nehmen Formen eines Partisanenkrieges an. Es ist eingetreten, was Kenner des Nahen Osten befürchtet haben: Der Krieg gegen den Irak hat sich in einen Krieg im Irak verwandelt. Die überwiegend als Selbstmordaktionen begangenen Maßnahmen des Widerstandes gegen die Besatzungsmächte als bloße »Akte des Terrors« abzutun, bedeutet, gegenüber dieser Realität die Augen verschließen zu wollen – und sei es auch nur die der Öffentlichkeit im eigenen Lande.

Aber auch mit Blick auf die Fortentwicklung des Völkerrechts würde man es sich zu einfach machen, den Mantel des Vergessens oder auch nur Schweigens über die Frage der Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges zu breiten. Über die Fortentwicklung des Völkerrechts kann sinnvoller Weise erst gesprochen werden, wenn man sich Klarheit über die Beurteilung der neuen Gegebenheiten und Vorgänge nach geltendem Recht verschafft hat. Dabei ist auch zu bedenken, dass Völkerrecht letztlich im Diskurs entsteht. Was zunächst lediglich als Recht behauptet oder wie im Fall des Iraks einfach praktiziert wurde, kann durch Zustimmung oder stillschweigende Hinnahme der Staatengemeinschaft unversehens zu Recht erstarken. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Feststellung Wert zu legen, dass sich die USA und Großbritannien im Sicherheitsrat zur Rechtfertigung des Krieges nicht auf das Selbstverteidigungsrecht (und damit die »Bush-Doktrin«), sondern auf eine angeblich vorliegende Ermächtigung durch frühere Resolutionen des Sicherheitsrates berufen haben. So falsch diese Rechtsbehauptungen sind, so begrüßenswert sind sie jedoch unter dem Gesichtspunkt der Geltung des Rechts. Wer dermaßen rechtlich argumentiert, erkennt implizit die Geltung des Rechts an. Auch kann auf die Rechtsbehauptungen der USA und Großbritanniens Bezug genommen werden, um einer Deutung der Haltung der Staatengemeinschaft zum Irak-Krieg als stillschweigende Billigung »prä-emptiver« Kriege im Sinne der »Bush-Doktrin« zu widersprechen.

Fazit

Entgegen einem verbreiten Eindruck in der Öffentlichkeit hat das Völkerrecht im Hinblick auf die »Neuen Kriege« eine erstaunliche Anpassungsbereitschaft, aber auch Resistenz gegenüber Tendenzen erwiesen, die auf eine Aufkündigung des Grundkonsenses der auf dem Gewaltverbot aufbauenden Völkerrechtsordnung hinauslaufen würden. Wo es ohne Beeinträchtigung der nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Prinzipien möglich war, ist das Völkerrecht flexibel den neuen Formen bewaffneter Gewalt und dem damit einhergehenden Wandel der Sicherheitsstrukturen angepasst worden (globaler transnationaler Terrorismus). Das schließt vorübergehende rechtliche Ungewissheiten und Regelungslücken nicht aus. Diese zu beheben bzw. zu füllen ist eine rechtliche und rechtspolitische Aufgabe, welche am neuen Paradigma multipolarer Gewaltstrukturen (Privatisierung der Gewalt, transnationale bewaffnete Konflikte) zu orientieren hat.

Ein Paradigmenwechsel ist auch mit den neuen hegemonialen Machtstrukturen verbunden. Hier stehen Völkerrecht und Vereinte Nationen vor der Aufgabe, sich politischen Unterwerfungsansprüchen zu widersetzen, wie im Fall des Irak-Krieges. Ein Recht zum Krieg gibt es nicht mehr. Nur noch Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates und eng begrenzte Ausnahmen zulässiger Gewalt. Dabei sind auch Kompromisse einzugehen, mögen sie vorübergehend auch irritierend sein, wie die Hinnahme der geschaffenen Fakten im Irak durch die Resolutionen 1483 und 1511 des Sicherheitsrates aus diesem Jahr. Auch auf dem Weg der Wiederfindung eines Einklangs zwischen Recht und Macht vermitteln Momentaufnahmen kein verlässliches Bild. Sie können sogar täuschen. Entscheidend ist, dass unvermeidliche Kompromisse mit dem richtigen Ziel eingegangen werden. Dieses muss die Sicherung des Rechts und des Multilateralismus in den internationalen Beziehungen sein. Dazu müssen die Institutionen der Weltgemeinschaft allerdings auch auf die berechtigten Sicherheitsinteressen der Staaten (und ihrer Bürger) im Hinblick auf neue Gefahren eingehen. Tun sie dies nicht, wird die Prävention an den Vereinten Nationen vorbei betrieben. Zugleich kehrt der Krieg als Mittel der Politik zurück, in der Sprache wie im Handeln.

Literaturhinweis:

Siehe zu den angesprochen Fragen die Schwerpunkthefte des Archiv des Völkerrechts »11. September 2001 – ein Jahr danach« mit Beiträgen von Thomas Bruha, Stefan Oeter, Markus Kotzur, Thilo Marauhn (Heft 4/2002) sowie »Irak-Krieg und Völkerrecht« mit Beiträgen von Michael Bothe, Wolff Heintschel von Heinegg, Thomas Bruha, Daniel Thürer, Philip Kunig (Heft 3/2003).

Prof. Dr. jur. Thomas Bruha, Direktor am Institut für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg und am Institut für Integrationsforschung des Europa-Kolleg Hamburg

»Rent-a-Soldier«

»Rent-a-Soldier«

Die Privatisierung des Militärs

von Herbert Wulf

Ihr Geschäft ist der Krieg – Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge – alles in einer Hand. Private Militärfirmen tauchen immer häufiger in den Kriegen und Konflikten als Akteure auf, nicht unbedingt an vorderster Front.1 Fast jede größere militärische Operation im letzten Jahrzehnt hat ein stets wachsendes Engagement privater Militärfirmen hervorgebracht. Manche Armee kommt ohne die privaten Militärfirmen nicht mehr aus. Zwar unterliegt der Sicherheitsbereich in vielen Ländern demokratischen Kontrollen, doch die Kommerzialisierung und die Internationalisierung der Sicherheit rüttelt an der Effektivität dieser Kontrollen.
Die Ursachen für diesen, seit einigen Jahren zu beobachtenden neuen Trend sind vielfältig. Mindestens fünf Gründe spielen eine zentrale Rolle:2

Erstens: Das Abspecken im Militärbereich nach dem Ende des Kalten Krieges

Auf der Angebotsseite gibt es vor allem freie Kapazitäten der Streitkräfte seit dem Ende des Kalten Krieges. Schaut man in die Firmenprospekte oder die Internetseiten privater Militärfirmen, wie Cubic, DynCorp, Vinnell Corporation oder Military Professional Resources Inc. (MPRI) in den USA oder Sandline International, Defence Systems Limited oder Gurkha Security Guards in Großbritannien, stellt man fest, dass sich das Personal im wesentlichen aus ehemaligen Soldaten der Streitkräfte rekrutiert. Die Abrüstung in den 1990er Jahren hat nicht nur zu einer Schwemme gebrauchter Waffen geführt, die aus Europa in zahlreiche Länder der Welt verkauft oder verschenkt wurden, sondern ebenso einen Überschuss qualifizierten militärischen Personals hervorgebracht, das jetzt in den Militärfirmen neue Betätigungsfelder sucht und findet.3 Weil in zahlreichen Länder die Militärhaushalte gekürzt wurden, reagierten die Streitkräfte mit Personalabbau und »Outsourcing« traditionell militärischer Funktionen. Die privaten Militärfirmen entwickelten sich azyklisch: Bei sinkendem Militärbudget, stiegen die Umsätze. Im Golfkrieg 1991 hatte das US-Heer noch 711.000 aktive Soldaten zur Verfügung. Heute sind es mit 487.000 ein Drittel weniger. Im ersten Golfkrieg war das Verhältnis zwischen dem Personal privater Militärfirmen und dem US-Heer ungefähr 1 zu 50 bis 100; im Golfkrieg 2003 kam auf jeweils 10 Soldaten ein Firmenangestellter.4 Aufträge in Höhe von 30 Milliarden Dollar (8% des Gesamtverteidigungshaushaltes) vergibt das Pentagon im Jahr 2003 an private Militärfirmen.5

Zweitens: Die veränderte Art der Kriegsführung

Die Streitkräfte setzen immer mehr auf modernes Gerät. Die Spitze des Eisbergs ist die so genannte Revolution in Military Affairs, in dem die Waffensysteme elektronisch miteinander verknüpft werden und die Befehlshaber, fernab vom eigentlichen Kriegsgeschehen, in Echtzeit über die Entwicklung der Kampfhandlungen informiert werden und ihre Befehle treffen. Die Streitkräfte selbst sind jedoch nicht mehr in der Lage, das moderne Gerät zu bedienen und zu warten.

Drittens: Zonen ungleicher Sicherheit in der globalisierten Gesellschaft und die Rolle subnationaler Akteure

Im Inneren vieler Gesellschaften kann der Staat mit Militär und Polizei nicht mehr die Sicherheit der Bürger garantieren. Vielmehr werden die Akteure des Sicherheitssektors oft selbst zu einer Bedrohung für das Leben vieler Menschen. Die Globalisierung hat die Zonen ungleicher Sicherheit sowohl verschärft als auch öffentlich bewusster gemacht. Immer mehr Menschen werden marginalisiert und zum Sozialfall in der globalisierten Gesellschaft. Im Ländern mit völligem Staatszerfall (in so genannten failed states), in denen nicht mehr klar zu erkennen ist, wer noch über die Souveränität verfügt, ist die Tendenz zu erhöhter Nachfrage nach privatisierten Sicherheitsdiensten und zusätzlichen UN-Friedensmissionen am deutlichsten zu erkennen.6 Diejenigen, die über die notwendigen Ressourcen verfügen, organisieren ihre Sicherheit selbst. Es kommt zur Kommerzialisierung der Sicherheit.7 Diese Privatisierung erhöht oftmals die Unsicherheit. Gleichzeitig versuchen verschiedene sub-nationale Gruppen wie Warlords, Rebellengruppen, organisiertes Verbrechen und Terrorgruppen aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen an dieser Entwicklung zu profitieren oder sie zu bekämpfen. Dieser Trend, vor allem in Entwicklungsländern, ist auf den Begriff »neue Kriege« gebracht worden.8

Viertens: Die zunehmenden »humanitären« Interventionen

Die anschwellende Zahl von Kriegsflüchtlingen, ethnische Säuberungen und Genozid und der daraus resultierende Wunsch zur Prävention bewaffneter Konflikte hat den UN-Sicherheitsrat im letzten Jahrzehnt zum verstärkten Eingreifen auch mit militärischen Mitteln veranlasst. Wenn auch diese Entwicklung nicht völlig neu ist, so haben doch die sich häufenden UN-Friedensmissionen, ebenso aber auch die Bekämpfung des Drogenhandels in Lateinamerika, der Ruf nach dem Militär bei großen Naturkatastrophen, humanitäre Hilfe für Kriegsflüchtlinge und neuerdings der Kampf gegen den internationalen Terror den Trend zu militärischen Eingreifen verstärkt. Die Nachfrage nach militärisch gestützten UN-Friedensmissionen war immer größer als das Angebot an Truppen und anderen Ressourcen. Dies beförderte die Nachfrage nach privaten Akteuren. Begründet und legitimiert werden internationale Militäreinsätze zunehmend mit der Notwendigkeit humanitäre Katastrophen zu verhindern. Der Einsatz privater Militär- oder Sicherheitsfirmen soll dabei die Streitkräfte unterstützen bzw. entlasten oder deren Aufgabe komplett übernehmen.

Fünftens: Die normativ positiv besetzte Politik der Privatisierung

P. W. Singer spricht von „the power of privatization and the privatization of power“.9 Der relativ neue und rasch wachsende Markt des privaten Sicherheitssektors, mit Firmen, die ihren Service weltweit anbieten, entwickelte sich als Teil einer umfassenderen Privatisierung, in der das Konzept des »schlanken Staates« zentral ist. Um kosteneffektivere Marktlösungen zu finden, werden traditionell militärische Funktionen privatisiert. Das neoliberale Konzept vom schlanken Staat hat sich fast kritiklos durchgesetzt, und die Privatisierung hat nicht an den Kasernentoren Halt gemacht und auch sensible Bereiche des Militärs werden privatisiert.

In den US-Streitkräften heißt es, die Einsätze bei humanitären Interventionen lenken von den Kernaufgaben der Streitkräfte ab. In anderen Armeen wird beredt darüber Klage geführt, dass für die neuen Aufgaben keineswegs zusätzlich Mittel bereit gestellt werden. Deshalb ist beispielsweise die Zeitschrift Parameters, das Sprachrohr des US-Heeres, durchaus von der Tätigkeit der privaten Militärfirmen angetan und spricht im Stile von Unternehmensberatern von der Möglichkeit der Konzentration der Streitkräfte auf »Kernkompetenzen«, nämlich »kämpfen«, wenn sie von privaten Militärfirmen entlastet werden.10

Markt und Militär: Das Aufgabenspektrum privater Militärfirmen

Privatisierung in den Streitkräften ist kein klar definierter, sondern ein eher schillernder Begriff. Sehr unterschiedliche Aktivitäten werden darunter subsummiert.11 Sie reichen von der Sicherung privaten Eigentums bis zum Schutz von Minen und Förderanlagen global operierender Firmen, von der Verwaltung und Vermarktung militärischer Liegenschaften bis zur Privatisierung des Fuhrparks von Armeen, von Transportdiensten für UN-Friedensmissionen bis zum Schutz von Hilfskonvois, von der Rekrutierung des Militärpersonals bis zur Ausbildung im Nahkampf, von Kriegsvorbereitungen wie Spionagetätigkeiten bis zur Meldung von Truppenbewegungen, von der Logistik für das Militär bis zum Einsatz in Kampfhandlungen, von technisch komplexen bis zu eher schmutzigen Aufgaben wie der Verteidigung der Privilegien korrupter Eliten. Bezogen auf die Produktpalette (und auch auf die Nähe zum eigentlichen Kriegsgeschehen) kann man zwischen drei unterschiedlichen Firmenprofilen bzw. Tätigkeitsarten unterscheiden:

  • 1. Beratung und Ausbildung,
  • 2. Zulieferer sowie logistische und technische Dienstleistungen und
  • 3. Kampfhandlungen, also Firmen, die auch den Finger am Abzug haben.

Der größte Zuwachs an Aufträgen ist bei den Firmentypen 1. und 2. zu verzeichnen, während viele Firmen vor der direkten Beteiligung in Kampfhandlungen zurückschrecken.

Mit der heutigen Privatisierung werden die Aufgabenbereiche des Militärs deutlich eingeschränkt, gleichzeitig aber durch die internationalen Einsätze geografisch und funktionell erweitert. Diese Privatisierung findet in manchen Ländern in großem Stile und geplant statt. Vor allem in den USA und Großbritannien wird die Privatisierung forciert vorangetrieben.12 In Großbritannien ist die Privatisierung vor allem ein Nebenprodukt knapper öffentlicher Haushalte und Resultat des Drucks des Marktes. In den USA passt die Privatisierung in das marktwirtschaftlich orientierte Konzept der Konservativen, vor allem aber auch in das Konzept, die Streitkräfte auf Kampfeinsätze vorzubereiten, ohne sie dabei zu vergrößern. Wenn beispielsweise amerikanische Panzer im Joint Readiness Training Center des Heeres in Fort Polk, Louisiana, durch die Straßen rattern und plötzlich Zivilisten im Gefechtsgetümmel auftauchen, dann ist dies keineswegs eine ungewollte Störung des Trainings. Vielmehr hatte man die Firma Cubic beauftragt, so realistisch wie möglich den Einmarsch der Truppen in Bagdad zu simulieren. Während MPRI die amerikanischen GIs in Camp Doha in Kuwait im Nahkampf ausbildete, flog Cubic bosnische Flüchtlinge aus den ganzen USA nach Fort Polk, um die Kriegserfahrungen möglichst realistisch nachzuspielen. Über 600 Cubicbeschäftigte waren nötig, um eine Übung für 6.500 Soldaten durchzuführen.13 Gelegentlich sind auch deutsche Firmen beteiligt. Die wegen illegaler Waffengeschäfte angeklagte Firma Optronic aus dem süddeutschen Königsbronn sucht auf ihrer Internetseite „Civilians on the Battlefield“. „Statisten für Rollenspiele bei Manövern der U.S. Armee“, heißt es etwas weniger martialisch in der deutschen Anzeige. Das alles ist völlig legal.14

Weniger spielerisch ging es im Bürgerkrieg in Sierra Leone zu. Während Sandline International wegen der Beteiligung an Kampfhandlungen in Großbritannien ins Gerede kam, sorgte Defence Systems Limited im gleichen Konflikt für die Logistik der UN-Blauhelme. Die ursprünglich südafrikanische Firma Executive Outcome, die sowohl in Angola als auch in Sierra Leone an Kampfhandlungen beteiligt war, musste aufgrund gesetzlicher Auflagen Südafrika verlassen. Jetzt findet man im Internet Niederlassungen von Executive Outcome in Großbritannien und den USA.

Die amerikanische Firma MPRI rühmt sich jede Art militärischer Mission ausführen zu können (außer Kampfeinsätzen). Im Gegensatz zu anderen Firmen verzichtet MPRI auf unmittelbare Kampfeinsätze. MPRI hat laut Eigenauskunft derzeit internationale Verträge „in allen Regionen der Welt.“ MPRI unterhält ein »Kampfsimulationszentrum« und ein »Kampfausbildungscamp«. Neben der Drogenbekämpfung in Kolumbien, wo die US-Regierung MPRI-Berater bei Polizei und Militär einsetzt, geriet MPRI in die internationale Kritik, weil die Firma die kroatische Armee zu einem Zeitpunkt ausbildete als in der Krajina ethnische Säuberungen durchgeführt wurden. Ob MPRI direkt beteiligt war, ist nicht nachzuweisen. Die Beteiligung an Kampfhandlungen passiert heute jedoch nicht nur mit der Waffe in der Hand. Ein Experte, der beispielsweise am Computer Daten über Truppenbewegungen eingibt, spielt eine entscheidende Rolle auf dem »automatisierten Schlachtfeld«.

In unterentwickelten oder kollabierten Ländern werden die privaten Dienste nachgefragt, um schwache Regierungen zu stabilisieren.15 Statt die staatlich legitimierten Streitkräfte zu beauftragen, schließen Regierungen Kontrakte mit privaten Spezialfirmen, weil das Militär die Aufgaben nicht erfüllen kann oder sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren soll. Viele dieser Tätigkeiten werden von Privatfirmen durchaus effizient ausgeführt; in manchen Entwicklungsländern haben sie sich als seriöse Alternative zu ineffizienten oder nicht vertrauenswürdigen Streitkräften etabliert.16 Für den Staat sind die Privaten auch deshalb attraktiv, weil nur für den Service gezahlt werden muss, den die Regierung anfordert und erhält. Ein stehendes Heer dagegen kostet immer knappe Ressourcen.

Firmen mit beschränkter Haftung

Die meisten Aktivitäten der privaten Militärfirmen bewegen sich im Rahmen bestehender Gesetze, insofern als sie in der Regel politisch gewollt und durch staatliche Stellen lizenziert sind. Manche Firmen aber operieren in einer Grauzone bzw. ihre Tätigkeiten sind nicht staatlich reguliert, wenn nicht gar illegal. Sehr unterschiedliche Akteure sind als private Sicherheitsdienstleister tätig und oftmals werden die Firmen als moderne Söldner bezeichnet.17 Die privaten Militärfirmen wehren sich dagegen. Im Gegensatz zu Söldnergruppen legen die modernen Militärfirmen Wert darauf, dass sie ordnungsgemäß registriert sind, ihre Steuern bezahlen und nicht mit dem internationalen Recht in Konflikt kommen. Als die Firma DynCorp in die Kritik geriet, als sieben ihrer Angestellten in Bosnien 12-jährige Mädchen prostituierten, hielt sich die Firma aus Imagegründen bedeckt und entließ die Mitarbeiter.18 Sandline International betont jetzt, nachdem die Firma in England wegen ihres Engagements in Sierra Leone öffentlich kritisiert wurde – in ihrer Firmenphilosophie ihre Leistungskompetenz unter strikter Beachtung der Menschenrechte. Die amerikanische Firma MPRI hebt auf ihrer Internetseite ausdrücklich hervor, dass sie „mit einer Lizenz der US-Regierung in einer Reihe von Ländern“ operiert.

Söldner ziehen in der Regel für einen Auftraggeber in den Krieg; sie sind, wie Singer es ausdrückt: »guns for hire«19. Private Militärfirmen haben zwar auch ihren Ursprung als private Akteure im Krieg, doch im Gegensatz zu Söldnern haben sie eine hierarchisch gegliederte Organisationsstruktur. Sie sind nicht als Einzelperson, sondern als Firma tätig. In dieser Beziehung sind sie eher mit Rüstungsfirmen vergleichbar. Sie rekrutieren ihr Personal offen, bieten einen breiteren Service an und arbeiten für mehrere Auftraggeber gleichzeitig. Sie konkurrieren um Aufträge auf dem Weltmarkt und versuchen nicht, ihre Existenz zu bestreiten, wie dies bei Söldnern oft der Fall ist.20Anders als Rüstungsfirmen operieren sie jedoch eher als virtuelle Firmen ähnlich wie Internetfirmen. Sie benötigen vergleichsweise wenig Kapital und investieren nicht in große Produktionsstätten. Die Markteintrittshürden sind nicht besonders hoch, da sie rasch erfahrenes Personal anheuern können. Ihr Kapital ist vor allem das Know-how. MPRI beschäftigt beispielsweise nur 800 Personen fest, kann aber weitere 11.000 jederzeit für Kurzeinsätze abrufen. Die Einkommen der Beschäftigten schwanken stark. Während der Kriegsphase auf dem Balkan heuerte MPRI lokal Interessenten für 5.000 Dollar bar bei der Anwerbung und 1.500 Dollar monatlich steuerfrei an.21 In den USA wird zwischen dem Zwei- bis zum Zehnfachen des militärischen Salärs von privaten Firmen gezahlt.22Der Boom der privaten Militärfirmen war dem vor allem an Aktienfirmen interessierten Magazin Fortune eine lange Analyse wert. DynCorp konnte im Jahr 2002 seinen Umsatz um 18% auf 2,3 Milliarden Dollar steigern, davon rund ein Viertel im Bereich der privaten Militärdienstleistungen. Cubics Gewinn wuchs im gleichen Jahr um 41%. L3 Communications gehörte 2002 zu den 100 am schnellsten wachsenden Firmen und verbuchte ein durchschnittliches Gewinnwachstum von 33 Prozent in den letzten drei Jahren. Kellogg, Brown & Root (KBR), ein Tochterunternehmen von Haliburton, dem der heutige Vizepräsident Dick Cheney früher als Vorstandsvorsitzender vorstand, versorgte rund 20.000 Soldaten des US-Militär auf dem Balkan mit Nahrungsmitteln, Wasser, frischer Wäsche, Post und schwerem Gerät. Alleine 42 Millionen Mahlzeiten lieferte KBR und wusch 3,6 Millionen Säcke Wäsche. Die Aufträge des Pentagon an KBR beliefen sich auf 3 Milliarden Dollar. Heute sind ungefähr 10 mal mehr Truppen der US-Streitkräfte im Nahen Osten im Einsatz. Und Haliburton ist wieder einer der Hauptauftragnehmer.23Jetzt interessiert sich auch das Großkapital für die mittelgroßen gewinnträchtigen privaten Militärfirmen.24 1997 fusionierten die Londoner Firma Defense Service Limited und die US-Firma Arms Holdings, die 1999 und 2000 zu den 100 am schnellsten wachsenden Firmen der Fortune-Liste gehörte. MPRI wurde 2000 von L3 Communications aufgekauft. Computer Science Corporation, selbst ein großer Auftragnehmer des Pentagon, zahlte im letzten Jahr 950 Million Dollar, um DynCorp aufzukaufen. Mit einer Weltmarktstrategie (»global branding« im Jargon der Business Schools) wollen die Firmen sich ein seriöses Image zulegen und ihren Service weltweit anbieten und nicht mehr primär nur für die US-Streitkräfte arbeiten.Ob der Privatsektor die Finanzprobleme in den Militärhaushalten lösen oder lindern kann, muss sich erst noch erweisen. Bislang sind die Erfahrungen noch zu gering. Die anekdotenhafte Evidenz ist ausreichend, um dieses Konzept für die Finanz- und Verteidigungsminister weiter attraktiv zu machen; sie reicht aber nicht aus, um den Praxistest bereits als gelungen anzusehen. Private Militärfirmen sind profitorientierte Anbieter militärischer Dienstleistungen, die nicht unbedingt immer den aus sicherheitspolitischen Gründen gewünschten Dienst günstig anbieten. So wird beispielsweise KBR vorgeworfen, während der Konflikte auf dem Balkan unzureichende Dienstleistungen erbracht zu haben und in vier von sieben Verträgen der US-Armee zu hohe Beträge in Rechnung gestellt zu haben. Zwei der übrigen Verträge übernahm dann die Armee selbst und der letzte wurde an eine andere Firma vergeben.25

Steht das staatliche Gewaltmonopol zur Disposition?

Wenn auch hinter der Privatisierung das Bemühen steckt, die Streitkräfte effizienter zu führen, so birgt dieser Ansatz auch Gefahren. Eine zentrale Funktion des Staates, nämlich das Gewaltmonopol, könnte unterhöhlt oder sogar ganz aufgegeben werden. Obwohl diese Norm heute im Grundsatz nicht umstritten ist, wird sie de facto unterhöhlt. Sicherheit geht um die Frage, wer hat und wer sollte die legitime Ausführung und Kontrolle der Gewalt haben.26 In der globalisierten Welt ist diese Kontrolle in Frage gestellt. Ein global wirksames staatliches Gewaltmonopol existiert nicht, und die Machtlosigkeit des UN-Sicherheitsrates hat dies im Falle des Irakkrieges aktuell erneut bestätigt. Um so nachhaltiger stellt sich die Frage nach »global governance« im Sicherheitsbereich.

Die Art, wie staatliche Gewalt angewendet und reguliert wird, wird durch den Einsatz privater Firmen nachhaltig beeinflusst. Während die Regierung gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sind private Firmen dies nur gegenüber ihren Aktionären oder Besitzern und dem Auftraggeber. Manche Regierung ist durchaus interessiert genau aus diesem Grunde die Dienste privater Firmen in Anspruch zu nehmen. Da beispielsweise in den USA die Kontrollen des Kongresses bei Rüstungsexporten, Militärhilfe und in der Drogenbekämpfung der Regierung weniger Handlungsspielraum erlauben, greift die Regierung gerne auf die privaten Militärfirmen zurück. Auch gegenüber der Öffentlichkeit muss sie sich bei möglichen Verwicklungen oder wenn es zu Toten oder Verletzten bei den Einsätzen kommt nicht verantworten, da es sich ja nicht um Angehörige der Streitkräfte handelt.

Derzeit ist nicht erkennbar, dass sich der Trend der Privatisierung umkehrt oder Gegenkräfte entstehen. Privatisierung im Militär ist kein kurzfristiger oder vorübergehender Modetrend. Es ist deshalb zweifellos erforderlich, Regeln für dieses Engagement der Privatfirmen im internationalen Recht zu verankern. Der Einsatz der privaten Militärfirmen verläuft nicht spannungsfrei, denn es stehen sich zwei Grundprinzipien gegenüber, die nicht immer kompatibel sind: Die Sicherheit des Auftraggebers und das Gewinnmotiv der Firmen. Das öffentliche Gut »Sicherheit« und das private Gut »Gewinn« können im Konflikt miteinander liegen. Das Risiko, das Firmenvermögen zu verlieren, ist bei gewaltsamen Auseinandersetzungen durchaus gegeben. Im Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea Ende der 1990er Jahre beispielsweise hatte Äthiopien eine kleine, aber umfassende russische Luftwaffe von der Firma Sukhoi, einem Flugzeugbauer, einschließlich moderner Su-27 Kampfjets mit Piloten und Bodenpersonal geleast. Selten wurde diese Luftwaffe eingesetzt; denn auch die eritreische Luftwaffe hatte ihrerseits russische und ukrainische Piloten angeheuert. Die Firmen auf beiden Seiten zögerten, ihr Leben und das Firmenkapital aufs Spiel zu setzen.27

Ein weiteres Kennzeichen der Privatisierung ist, dass private Kampftruppen (Firmentyp 3) meist von Regierungen angeheuert werden, die schwach sind und sich in einer Notlage befinden. Gleichzeitig sind dies die Regierungen, die am meisten Schwierigkeiten haben, die Ressourcen für die Privatfirmen aufzubringen. Oft werden dann »Hypotheken« aufgenommen, in dem den Privatfirmen Prospektionsrechte für Rohstoffe (Öl, Diamanten, Edelholz usw.) übertragen werden. Damit wird die Zukunft der Firmen an die Zukunft des Auftraggebers geknüpft und mancher Konflikt verlängert. Es kommt zur gegenseitigen Abhängigkeit von Auftraggeber und Auftragnehmer. In einer solchen Situation ist nicht klar, welche staatlichen Aufträge umgesetzt werden, wer darüber entscheidet, ob entschieden wird und wenn ja, welche Art Gewalt angewendet wird.

Die Privatisierung militärischer Funktionen führt zu einem fundamentalen langfristigen Wandel im Verhältnis von Militär und Nationalstaat. Militärische Ressourcen sind auf dem globalen freien Markt auf Kontraktbasis käuflich. Experten für fast jede militärische Tätigkeit stehen abrufbar bereit. Wirtschaftliche Macht kann damit noch schneller in militärische Macht umgesetzt werden. Während staatliche Armeen nach Max Webers Modell vom Nationalstaat für ein allgemeines politisches Ziel, die Sicherheit der Bürger, eingesetzt werden, übernehmen jetzt profitorientierte Einheiten einen Teil dieser Funktion.

Es sind erhebliche Zweifel angebracht, ob dieser Prozess tatsächlich bruchlos und störungsfrei ablaufen wird. Die Globalisierung hat die Bedingungen für das Webersche Konzept des Nationalstaates verändert. Denationalisierung findet auf zahlreichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ebenen statt und auch die Konzeption national organisierter und orientierter Armeen ist in Frage gestellt. Doch bislang haben sich die parlamentarischen Kontrollen nicht parallel zu den Tendenzen der Internationalisierung und Privatisierung des Militärs mit entwickelt. Fallen die Werkzeuge von Krieg und Gewalt und deren Kontrolle durch den Nationalstaat in die Hände nicht-staatlicher Akteure (von kriminellen Gruppen bis zu bewaffneten Aufständischen, von angeheuerten Gangs bis zu legal operierenden Firmen)? Ist es klug und politisch vertretbar, Kontrollfunktionen im nationalen Rahmen aufzugeben (oder nicht mehr wahrnehmen zu können) bevor neue Kontrollmechanismen international geschaffen sind? Werden irgendwann die Streitkräfte eines Landes gar gegen die eigenen Bürger in privaten Militärfirmen auf unterschiedlichen Seiten der Front kämpfen oder Militärfirmen gegeneinander eingesetzt werden (wie das in dem oben erwähnten Äthiopien-Eritrea-Krieg russischen Firmenangehörigen passierte)? Dürfen die Angestellten der privaten Militärfirmen bei ihren Einsätzen Waffen tragen und unterliegen sie den Genfer Protokollen als Kombattanten und Kriegsgefangene oder sind sie Zivilisten auf dem Schlachtfeld, wenn sie an der Seite von Kommandospezialkräften im Einsatz sind? Sind die Angestellten dieser Firmen Deserteure, wenn sie in kritischen Situationen ihren »Arbeitsplatz« verlassen? Dies sind keine nur konzeptionell wichtigen Fragen, sie betreffen die heutige Realität ganz konkret. Airscan, eine amerikanische Firma, die in der Drogenbekämpfung in Kolumbien tätig ist, koordinierte die Bombardierung eines Dorfes, in dem 18 Bewohner (einschließlich Kinder) getötet wurden. In Peru leiteten Angestellte der Firma Avivation Development bei einer Überwachungsaktion der CIA fälschlicherweise den Abschuss eines kleinen Zivilflugzeuges ein, in dem eine Familie amerikanischer Missionare ums Leben kam.28 Wer übernimmt hierfür die Verantwortung?

Das neoliberale Konzept, auf Marktmechanismen auch im Sicherheitsbereich zu setzen, stellt die institutionelle Balance zwischen ziviler Kontrolle und professioneller Autonomie für das Militär in Frage. War schon der Bereich Sicherheit bislang von wirksamen parlamentarischen Kontrollen weit entfernt, so werden die Parlamentarier in Zukunft noch weniger mitzureden haben, weil sich das Militär durch internationale Kooperationen und durch die Übertragung von Aufgaben an Privatfirmen tendenziell den Kontrollen entzieht. Die Unterschiede zwischen der Privatisierung der Bahn oder Post einerseits und Militär und Polizei andererseits sind qualitativer Natur, die im staatlichen Gewaltmonopol begründet ist – einer Errungenschaft, die in Europa vor mehr als 350 Jahren mit dem westfälischen Frieden als zivilisatorischer Fortschritt erreicht wurde.

Anmerkungen

1) David Shearer, Private Armies and Military Intervention, in: Adelphi Papers 316, London: International Institute for Strategic Studies, 1998. Robert Mandel, The Privatization of Security, in: Armed Forces & Society, Vol. 28, Nr. 1, Fall 2001, S. 129-151. Mark Duffield, Post-modern Conflict: Warlords, Post-adjustment States and Private Protection, in: Civil Wars, Vol. 1, Nr. 1, S. 65-102. Peter Lock, Sicherheit à la carte? Entstaatlichung, Gewaltmärkte und die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols, in: Tanja Brühl et. al (Hrsg.), Die Privatisierung der Weltpolitik, Bonn 2001, S. 200-229.

2) Eine etwas anders geartete Begründung in P. W. Singer, Corporate Warriors: the Rise and Ramifications of the Privatized Military Industry, in: International Security, Vol. 26, Nr. 3, Winter 2001/2002, S. 186-220.

3) Zur Demobilisierung der Streitkräfte weltweit siehe Bonn International Center for Conversion (BICC), Conversion Survey, Baden-Baden, verschiedene Jahrgänge.

4) Diese grobe Schätzung stammt von P. W. Singer (Brookings) und wird zitiert in Nelson D. Schwartz, The War Business. The Pentagon‘s Private Army, in: Fortune, 3. März 2003 (www.fortune.com/fortune/articles/0,15114,427948,00.html).

5) Nelson. D. Schwartz, ibid.

6) Peter Viggo Jakobsen, The Transformation of United Nations Peace Operations in the 1990s, in: Cooperation and Conflict, Vol. 37, Nr. 3, 2002, S. 268-282.

7) Erhard Eppler, Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?, Frankfurt/Main 2001.

8) Mary Kaldor, New and Old Wars: Organized Violence in a Global Era, Cambridge 1999. Herfried Münkler, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2002.

9) P. W. Singer, ibid., S. 197.

10) Eugene B. Smith, The New Condottieri and US Policy: The Privatization of Conflict and Its Implication, in: Parameters, Vol. XXXII, Nr. 4, Winter 2002/2003, S. 116. So auch FORTUNE, siehe Nelson D. Schwartz, ibid.

11) In tabellarischer Form habe ich die unterschiedlichen Tätigkeiten privater Militär- und Sicherheitsfirmen klassifiziert, siehe Herbert Wulf, Change of Uniform – But No Uniform Change in Function, Soldiers in Search of a New Role, in: BICC–Conversion Survey 2002, Baden-Baden 2002, S. 97.

12) Neil V. Davis, Outsourcing, Privatisation and other Forms of Private Sector Involment: Conditions and Requisites, unveröffentlichtes Konferenzpapier für die im Rahmen des Euro-atlantischen Partnerschaftsrats abgehaltene Konferenz »Defence Reform, Defence Industry and the State« des George Marshall Centre und der NATO in Wildbad Kreuth im August 2000.

13) Nelson D. Schwartz, ibid.

14) www.optronic-online.de

15) Musah, Abdel-Fatau and J. Kayode Fayemi, (Hrg.) Mercenaries, An African Security Dilemma. London und Sterling, Virginia, Pluto Press, 2000. Damian Lilly und Michael von Tangen Page, Security Sector Reform: The Challenges and Opportunities of the Privatisation of Security, International Alert, London, 2002.

16) Robert Mandel, ibid., S. 135.

17) Alex Vines, Mercenaries, Human Rights and Legality, in: Musah, Abdel-Fatau and J. Kayode Fayemi, ibid., S. 169-197. Auch der Beauftragte der Vereinten Nationen zum Einsatz von Söldner, Ernesto Bernales Ballesteros, hat in seinem Bericht für das Jahr 2002 die Aktivitäten der privaten Sicherheitsfirmen ausdrücklich angesprochen. United Nations, Economic and Social Council, The Right of Peoples to Self-Determination and its Application to Peoples Under Colonial or Alien Domination or Foreign Occupation (UN Commission on Human Rights), E/CN.4/2002/20, Genf 10. Januar 2002.

18) Nelson D. Schwartz, ibid.

19) P. W. Singer, ibid. S. 191.

20) Die Problematik der mangelnden gesetzlichen Regelung habe ich thematisiert in: Herbert Wulf, Privatisierung der Sicherheit. Ein innergesellschaftliches und zwischenstaatliches Problem, in: Vereinte Nationen, Vol. 50, Nr. 4, August 2002, S. 144-148.

21) Berichtet von Franz-Josef Hutsch in einem Beitrag im Hörfunk NDR 4, in: »Streitkräfte und Strategien« am 8. Februar 2003.

22) P. W. Singer, S. 199.

23) Jeremy Kahn, Will Haliburton Clean Up? In: Fortune, 30 März 2003 (www.fortune.com/fortune/fortune500/articles/0,14114,438798.00.html).

24) Nelson D. Schwartz, ibid.

25) US General Accounting Office, Contingency Operations: Opportunities to Improve the Logistics Civil Augmentation Program, GAO/NSIAD-97-63, Februar 1997, zit. in P. W. Singer, S. 205.

26) Robert Mandel, ibid., S. 135.

27) P. W. Singer, ibid., S. 205.

28) P. W. Singer, ibid., S. 218.

Prof. Dr. Herbert Wulf leitete bis Ende 2001 das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC). Er führt dort ein von der Volkswagen-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt zur Internationalisierung und Privatisierung der Streitkräfte durch.

Der deregulierte Krieg

Triebkräfte der Privatisierung:

Der deregulierte Krieg

von Herbert Wulf

Immer häufiger werden Kriege und gewaltsame Konflikte von nicht-staatlichen Akteuren ausgetragen. Warlords, organisiertes Verbrechen, Milizen, Rebellen, Jugendgangs und Kindersoldaten – auch wenn diese eher als Opfer einzustufen sind – sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Viele Regierungen sind mit ihren Polizei- und Militärstreitkräften nicht mehr in der Lage, Ruhe und Ordnung zu sichern und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Neben dieser Form der Privatisierung von Gewalt, die meist der Bereicherung der Akteure dient, gibt es eine zweite, von staatlicher Seite gezielt geplante Privatisierung von Polizei und Militär: Das »Outsourcen« polizeilicher und militärischer Funktionen an private Firmen.

Rebellen in Angola verschleppten den 14-jährigen Frederico aus seinem Elternhaus und zwangen ihn, zu töten und zu foltern. Neun Jahre lang kämpfte er in der Miliz in einem der blutigsten Kriege in Afrika. Matt Mann bewarb sich mit früheren Kameraden aus der Spezialeinheit Delta Forces der US-Armee, als 2003 ein Auftrag im Irak ausgeschrieben wurde. Es galt, den Leiter der damaligen Koalitions-Übergangsverwaltung, Paul Bremer, zu schützen. Die ehemaligen Soldaten gründeten aus dem Nichts die Firma Triple Canopy, die innerhalb von zwei Jahren ihr Auftragsvolumen für Militär- und Sicherheitsdienste im Irak auf 250 Millionen US-Dollar steigern konnte. Die erste der beiden Geschichten ist nachzulesen auf der Website von UNICEF, die zweite in der New York Times vom 14. August 2005. Beide beschreiben einen immer stärker werdenden Trend zur Privatisierung des Krieges und der Sicherheit. Die erste Form – die Rekrutierung von Kindersoldaten, das Morden der Milizen, der Kampf der Warlords um Zugriff auf Rohstoffe, der Waffen-, Drogen- und Menschenhandel des organisierten Verbrechens – lässt sich als Privatisierung der Gewalt von unten beschreiben. Die Beauftragung privater Militärfirmen, das Outsourcen, wie es zurzeit vor allem in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, praktiziert wird, ist eine geplante Privatisierung von oben.

Privatisierung der Gewalt von unten

An der Privatisierung der Gewalt von unten beteiligen sich zahlreiche nicht-staatliche Akteure, weil sie sich gegen Übergriffe wehren, eine Regierung stürzen oder sich schlicht bereichern wollen. Diese Gruppen, deren Prototyp die Warlords sind, sorgen für Unsicherheit und Staatszerfall. Der schwache oder in vielen Ländern kaum noch existierende Staat kann das staatliche Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen. Staatszerfall, ineffiziente und korrupte staatliche Institutionen – vor allem Militär, Polizei und Justiz – sorgen für Unsicherheit, ungehemmte Kriminalität und Instabilität. Die Aufrechterhaltung von Gesetz und öffentlicher Ordnung wird immer schwieriger oder ist in kritischen Fällen gar nicht mehr möglich.1 Die internationale Gemeinschaft reagiert in den letzten Jahren verstärkt auch mit militärischen Mitteln auf diese Entwicklung.

Eine bereits länger anhaltende Entwicklung ist zweitens die immer stärkere Belastung der Zivilbevölkerung in Kriegen. Während im »klassischen« Krieg der Vergangenheit Soldaten gegen Soldaten kämpften, ist heute vor allen Dingen die Zivilbevölkerung Ziel militärischer Angriffe oder hauptsächlich davon betroffen. Die Mehrzahl der Toten und Verletzten in den Kriegen sind Zivilisten. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nennt die Zahl von 9,2 Millionen grenzüberschreitenden und 5,6 Millionen innergesellschaftlichen Flüchtlingen im Jahr 2005.2 Ein großer Teil dieser Flüchtlinge verließ die Heimat aufgrund kriegerischer oder gewalttätiger Auseinandersetzungen.

Die neuen Entwicklungen hängen eng mit dem generellen Trend der Globalisierung fast sämtlicher Gesellschaftsbereiche zusammen. In vielen Ländern führte die Integration in den Weltmarkt zu bedeutsamen Verwerfungen, die oft in gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte münden, auf die mit zivilen und militärischen Mitteln reagiert wird.

Konflikte als Folge der Globalisierung

Die Marktliberalisierung mit freiem Handel und wirtschaftlicher Globalisierung ersetzte die staatlich geförderte Entwicklung als dominantes Entwicklungsmodell. Mit dieser in erheblichem Ausmaß global durchgesetzten Politik wuchsen nicht nur die ökonomischen Chancen, sondern auch die Möglichkeiten der systematischen Selbstfinanzierung von Kriegsparteien. Mehr noch: Die Durchführung von Kriegen und die Beteiligung an bewaffneten Konflikten wurde für manche der Kriegsteilnehmer zu einem attraktiven und profitablen Geschäft, trotz der gesamtgesellschaftlichen Zerstörung.3

Wenn in der Vergangenheit wirtschaftliche Faktoren als Ursache von innerstaatlichen Kriegen und Konflikten genannt wurden, galt dies vor allem der wirtschaftlichen Ungleichheit, Unterentwicklung und fehlenden Entwicklungsressourcen.4 In neueren Analysen liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Argument der Ressourcenknappheit, sondern auf Konflikt verschärfenden wirtschaftlichen Faktoren und ökonomischen Interessen an der Fortsetzung des Konflikts. Dieser Paradigmenwechsel ist im angelsächsischen Begriffspaar »greed or grievance« (Gier oder Groll – wegen sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung) auf den Punkt gebracht worden.5 Krieg wird wegen wirtschaftlicher Vorteile geführt. Es handelt sich um Kriegsökonomien, um Raub und Plünderung, um Ressourcenkriege, Gewaltmärkte, Schattenökonomien und Netzwerkkriege,6 um die Konsequenzen der Globalisierung und das Unvermögen von Staaten, ihr Gewaltmonopol auszuüben.

Die Erosion des Nationalstaates

Der Schlüssel zum modernen Nationalstaat »westfälischer« Prägung ist das Monopol legitimierter, organisierter Gewalt. Eine der zentralen Funktionen des modernen Staates ist die Garantie der Sicherheit für seine Bürger durch Rechtsstaatlichkeit. Das Weber’sche Konzept des Nationalstaates beinhaltet auch die Abschaffung privater Armeen, die innergesellschaftliche Befriedung und die Schaffung eines staatlichen Systems organisierter, legitimierter Gewalt im eigenen Territorium. Diese drei Prinzipien sind in unterschiedlichem Maße in den konfliktträchtigen Regionen der Welt in Frage gestellt.

Erstens haben die Störungen des sorgfältig ausbalancierten Systems nationalstaatlicher Organisationen zu »neuen Kriegen« unter Beteiligung neuer Akteure geführt. Da in vielen Ländern der Staat nicht länger in der Lage ist, sein Gewaltmonopol durchzusetzen, agieren in diesen Konflikten – zumeist gegen den ausdrücklichen Willen der Regierung – private Akteure. Regierungen, große Firmen und internationale Organisationen versuchen sich gegen diese Gefahren bewaffneter Gewalt zu schützen und heuern hierzu private Militärfirmen oder private Sicherheitsfirmen an. Diese privaten Sicherheitsdienstleister führen Aufgaben aus, für die im Konzept des staatlichen Gewaltmonopols Polizei und Streitkräfte vorgesehen sind.

Zweitens können staatliche Institutionen die innergesellschaftliche Befriedung und die Durchsetzung von Recht und Ordnung nicht mehr garantieren, da organisierte, mafiose Kriminalität, alltägliche Überfälle und ähnliche Übergriffe eine Situation extremer Unsicherheit schaffen. Diejenigen, die es sich leisten können, versuchen den eigenen Schutz zu organisieren, ohne sich auf schlecht ausgestattete, inkompetente oder korrupte staatliche Behörden zu verlassen. Andere wiederum müssen mit dieser Unsicherheit leben oder greifen möglicherweise selbst zu Gewalt, um das eigene Überleben zu sichern. Es entstehen Zonen ungleicher Sicherheit bzw. Zonen der Unsicherheit und Zonen relativer Sicherheit, in denen Personen und Vermögen von privaten Firmen geschützt werden.

Drittens ist die nationale territoriale Einheit durch die Globalisierung und durch regionale politische und wirtschaftliche Zusammenschlüsse in vielen Teilen der Welt aufgehoben; wirtschaftliche, politische und kulturelle Bereiche werden denationalisiert. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die Konzentration vieler Kriege auf die lokale oder nationale Ebene, deren Auswirkungen jedoch über den Nationalstaat hinausgehen. Konflikte werden außerhalb der Grenzen geschürt und von Kriegsparteien aus kriegsfernen Regionen unterstützt. Die Liberalisierung des Marktes, die Deregulierungskonzepte und neokonservative wirtschaftliche Programme haben zum freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen geführt, aber auch zur global organisierten Finanzierung von Kriegen. Nicht nur Nichtregierungsorganisationen, sondern auch Warlords handeln lokal und denken global.

Auf diese Konflikte reagierte die internationale Gemeinschaft mit Interventionen unterschiedlicher Art. Sie reichen von Katastrophenhilfe, über Entwicklungszusammenarbeit bis zu zunehmend robuster durchgeführten »Friedenseinsätzen« der Vereinten Nationen und zu militärischen Interventionen ohne UN-Mandat, wie zuletzt im Irak. Mehr als je zuvor werden Streitkräfte eingesetzt, um präventiv oder reaktiv tätig zu werden und Konflikte zu verhindern oder zu befrieden, Kampfparteien in innergesellschaftlichen Kriegen auseinander zu halten und zu entwaffnen, statt das eigene Heimatland zu verteidigen. Oftmals verbirgt sich hinter diesen als humanitär deklarierten Einsätzen eine verdeckte Agenda, wie der Sturz unliebsamer Regime, oder wirtschaftliche Interessen, wie die sichere Ölversorgung.

Interessanterweise hat die internationale Politik hinsichtlich der Einschätzung des Staates fast einen Purzelbaum geschlagen. Für Jahrzehnte konzentrierte sich die Entwicklungszusammenarbeit auf die Unterstützung der Regierungen in Entwicklungsländern; später hatte dann die Liberalisierungspolitik nur den »ineffizienten« und »korrupten« Staat im Blick und suchte das Heil in der Privatisierung. In den letzten Jahren – dies zeigen die internationalen Hilfsprogramme von Haiti bis Osttimor, von Afghanistan bis zum Kongo, von Bosnien bis Kambodscha – steht die Förderung leistungsfähiger staatlicher, möglichst demokratisch legitimierter Institutionen wieder im Mittelpunkt.

Privatisierung von oben: Der deregulierte Krieg

Für die US-Streitkräfte, seit Ende des Kalten Krieges von 2,3 Millionen Soldaten auf unter 1,5 Million geschrumpft, wird es immer schwieriger, für ihre Kriegs- und Postkonflikteinsätze – ob auf dem Balkan, in Afghanistan oder im Irak – Nachschub bereit zu halten. In zunehmendem Maße verlassen sie sich bei der Ausbildung der Soldaten, der Reparatur von Waffen, beim Sammeln von kriegsrelevanten Informationen, beim Verhör von Kriegsgefangenen oder bei der Versorgung der Soldaten in den Kampfgebieten mit Essen und sauberer Wäsche auf die Dienste privater Firmen. Wie Pilze sind hunderte private Militär- und Sicherheits-Unternehmen aus dem Boden geschossen – nicht nur in den USA. Es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung. Doch schreckten Todesfälle und Entführungen ausländischen Kontraktpersonals im Irak die Öffentlichkeit auf. Allein für das Jahr 2003 wurden im Irak 94 Tote und 1.164 verletzte amerikanische Angestellte der Firmen gezählt.7

Das Geschäft der Firmen ist der Krieg und die Nachkriegsphase; sie rekrutieren kampferprobte ehemalige Soldaten weltweit. Waffen und anderes Gerät werden von ihnen gekauft oder geliehen – zumeist mit ordentlicher Lizenz der Regierung. Immer mehr übernehmen private Militärfirmen die Aufgaben von Soldaten. Rund 25.000 Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsfirmen sollen zurzeit im Irak eingesetzt sein. Es ist das zweitgrößte bewaffnete Kontingent nach den US-Streitkräften und größer als die Zahl der Soldaten aller übrigen Kriegskoalitionstruppen zusammen. Auf jeden fünften oder sechsten Armeeangehörigen kommt ein Firmenmitarbeiter.

Der Irak ist kein Einzelfall. Ob in der Drogenbekämpfung in Kolumbien, im Bürgerkrieg im westafrikanischen Sierra Leone, im Kriegsgebiet an den Großen Seen in Zentralafrika oder auf dem Balkan – immer sind die »Spezialisten« dabei. Die Produktpalette der beteiligten Firmen reicht von Sicherheitsdiensten für Privatpersonen und Gebäude bis zur Militärhilfe für ausländische Streitkräfte, von der Logistik bis zur Verwaltung militärischer Liegenschaften, von Transportdiensten für UNO-Organisationen bis zu Kampfeinsätzen, von technisch komplexen bis zu eher schmutzigen Aufgaben wie der Verteidigung der Privilegien korrupter Eliten.

Für diesen Geschäftserfolg war nicht nur maßgebend, dass sich manche Streitkräfte aufgrund zusätzlicher internationaler Aufgaben überfordert fühlten. Mindestens acht Gründe – militärische, wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und ideologisch-konzeptionelle – spielen für den Prozess der Kommerzialisierung oder Privatisierung eine zentrale Rolle:

  • Die Möglichkeit der Rekrutierung qualifizierter Militärfachleute: Auf der Angebotsseite sind vor allem die nach dem Ende des Kalten Krieges freigesetzten Kapazitäten bei den Streitkräften zu nennen. Die Abrüstung in den 1990er Jahren hat nicht nur zu einer Schwemme gebrauchter Waffen geführt, die aus Europa in zahlreiche Länder der Welt verkauft oder verschenkt wurden, sondern ebenso einen Überschuss qualifizierten militärischen Personals hervorgebracht, das jetzt in den privaten Militärfirmen neue Betätigungsfelder sucht und findet.
  • Reduktionen im Militärbereich: Die Kehrseite der oben genannten Entwicklung ist, dass sich manche Streitkräfte durch die zunehmende Zahl militärischer Interventionen überfordert fühlen und auf den Personalabbau mit Outsourcen bis dato militärischer Funktionen reagieren. Wirtschaftliche und personelle Engpässe im Militärbereich und Abrüstung beschleunigten die Privatisierung. Die reduzierte Stückzahl dislozierter Waffensysteme in den Streitkräften eröffnete den zivilen Militärdiensteanbietern neue Geschäftsfelder. So kaufen beispielsweise viele Streitkräfte weniger Trainingsflugzeuge und lassen ihre Piloten von privaten Firmen ausbilden, die ihr eigenes Gerät zur Verfügung stellen.
  • Die veränderte Art der Kriegsführung: Die Streitkräfte setzen immer mehr auf modernes Gerät. Die Streitkräfte selbst sind jedoch nicht mehr in der Lage, das moderne Gerät zu bedienen und zu warten; sie kommen ohne den logistischen Service der Firmen nicht mehr aus. Diese Entwicklung ist zwar nicht völlig neu; sie hat sich jedoch deutlich verstärkt. Ein »Heer« von Ingenieuren und Technikern, IT-Fachleuten und Logistikern, Piloten und Ausbildern privater Firmen sorgt für die Funktionsfähigkeit der komplexen Waffensysteme.
  • Die Nachfrage schwacher oder in Bedrängnis geratener Regierungen: In verschiedenen Fällen, so in Papua Neu Guinea, Sierra Leone und Zaire, haben die Regierungen unter dem Druck des Ansturms von Rebellen und der Gefahr, gestürzt zu werden, auf private Milizen und Firmen zurückgegriffen, die bereit waren, den bewaffneten Kampf gegen Aufständische und Rebellen zu führen. Statt die staatlich legitimierten Streitkräfte mit dem Abwehrkampf oder der Sicherung des Regierungssitzes zu beauftragen, haben vor allem afrikanische Regierungen Kontrakte mit privaten Spezialfirmen abgeschlossen, weil das Militär die Aufgaben nicht erfüllen kann oder sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren soll.8
  • Die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte bei humanitären Interventionen: Die oben bereits erwähnte anschwellende Zahl von Kriegsflüchtlingen, ethnische Säuberungen und Genozide und der daraus resultierende Wunsch zur Prävention bewaffneter Konflikte hat den UN-Sicherheitsrat seit Anfang der 1990er Jahre zum verstärkten Eingreifen auch mit militärischen Mitteln veranlasst. Die Vereinten Nationen sehen dies als eine moralische Verpflichtung an. Die Nachfrage nach militärisch gestützten UN-Friedensmissionen war immer größer als das Angebot an Truppen und anderen Ressourcen. Diese Situation beförderte die Nachfrage nach privaten Akteuren. Der Einsatz privater Militär- oder Sicherheitsfirmen soll dabei die Streitkräfte unterstützen und entlasten oder deren Aufgabe vollends übernehmen. Inzwischen arbeiten sie auch im Auftrag von Hilfsorganisationen. Sie bauen im Auftrag von Regierungen Lager für Kriegsflüchtlinge auf oder sorgen für die Logistik von UN-Blauhelmen.
  • Die verstärkte Nachfrage nach dem Einsatz der Streitkräfte im »Krieg gegen den Terror«: Die sicherheitspolitische Situation hat sich mit den Anschlägen vom 11. September 2001 dramatisch verändert, was sich unter anderem in zusätzlichen Anforderungen an die Streitkräfte niedergeschlagen hat. Die USA stationieren rund 400.000 Truppenangehörige in rund 120 Ländern und permanenten Militärstützpunkten außerhalb der USA. In Afghanistan sind rund 25.000 und im Irak 150.000 Soldaten im Einsatz. Zunehmend fühlt sich die Armee durch die vielfältigen Einsätze im Kampf gegen den Terrorismus überfordert. Im Golfkrieg 1991 hatte das US-Heer noch 711.000 aktive Soldaten zur Verfügung. Während der Zeit des Irakkrieges im Jahr 2003 war es mit 487.000 ein Drittel weniger. Diese Lücke sollen die privaten Firmen füllen.9
  • Die öffentliche Meinung zum Einsatz der Streitkräfte: Wenn Regierungen militärische Macht durchsetzen wollen, sei es, um sich in einer Region eine Vormachtstellung zu sichern, oder begründet mit der Notwendigkeit zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe, greifen sie gelegentlich lieber auf Privatfirmen zurück als auf die eigenen Truppen. Die Erfahrungen der Vergangenheit, beispielsweise der USA in Vietnam, und die wachsende Kritik in der amerikanischen und britischen Öffentlichkeit an der steigenden Zahl gefallener und verwundeter Soldaten im Irak, spielt bei Entscheidungen für Auslandseinsätze noch immer eine wichtige Rolle.
  • Die normativ positiv besetzte Politik der Privatisierung: Das ökonomische, neoliberale Konzept, den Staat zu verschlanken und seine Aufgaben zu beschneiden und zu privatisieren, macht nicht vor den Kasernentoren Halt. In den USA passt die Privatisierung in das Konzept, die Streitkräfte auf Kampfeinsätze auszurichten, ohne sie dabei zu vergrößern. Verteidigungsminister Rumsfeld schrieb: „Jede Funktion, die vom privaten Sektor übernommen werden kann, ist keine Kernfunktion der Regierung.“

Um kosteneffektivere Marktlösungen zu finden, werden, wie in diversen zivilen Bereichen staatlicher Leistungen, letzthin auch militärische Funktionen privatisiert. Das neo-liberale Konzept vom schlanken Staat hat sich fast kritiklos durchgesetzt. Privatisierung wird landauf, landab als Allheilmittel propagiert. Nicht nur Telekommunikations- und Stromversorgungsunternehmen, Bahn und Post werden privatisiert, sondern auch sensible Bereiche des Militärs. Der Einsatz privater Militärfirmen wird als effektive und marktkonforme Methode angesehen, um den Bedarf an militärischen Dienstleistungen bestimmter Regierungen oder internationaler Organisationen zu decken. »Outsourcen« und »public-private-partnership« sind im Militärbereich heute keine Fremdwörter mehr.

Rent-a-Soldier

Doch die groß angekündigte Entlastung der Streitkräfte durch die Effizienz des privaten Sektors lässt auf sich warten und dies aus verschiedenen Gründen: Es gibt erstens keine wirkliche Konkurrenz; die Firmen erhalten oft vage formulierte Pauschalaufträge und nutzen jede Möglichkeit, ihre Kosten plus Gewinnaufschlag auf den Staat abzuwälzen. Zweitens fehlt der Regierung die Kompetenz zur Überwachung der Firmen, wie zahlreiche Berichte des amerikanischen Rechnungshofs belegen.10 Diese Kontrollfunktion ist deshalb wiederum an private Firmen übertragen worden. So beauftragte das amerikanische Verteidigungsministerium beispielsweise MPRI, eine der größten US-Militärfirmen, die Richtlinien zur Vergabe von Aufträgen zu erarbeiten. Damit wird der sensible Bereich der Sicherheit zum Selbstbedienungsladen privater Akteure.

»Rent-a-Soldier« ist also keine Utopie mehr. Viele der Tätigkeiten dieser Firmen sind durchaus legal. Manche aber operieren in einer Grauzone. Der rasch wachsende »Sicherheits-Markt« konnte sich als Teil einer umfassenderen Privatisierung entwickeln. Diese Privatisierung von Militäreinsätzen birgt eine große Gefahr. Eine wichtige Funktion des Staates – die alleinig autorisierte Institution zu sein, Gewalt anzuwenden um Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten – wird unterhöhlt, in manchen Ländern ganz aufhoben.

Müssen sich die privaten Militär- und Sicherheitsfirmen für ihre Handlungen überhaupt verantworten? Während eine Regierung gegenüber dem Parlament rechenschaftspflichtig ist, sind private Firmen dies nur gegenüber ihren Aktionären und Auftraggebern. Deshalb müssen die Bürger in den westlichen Demokratien dafür sorgen, dass durch die Privatisierung militärischer Aufgaben die parlamentarische Kontrolle nicht ausgehebelt wird. Schließlich besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der Privatisierung von Post oder Bahn und Militär oder Polizei – und der ist im staatlichen Gewaltmonopol begründet.

Da die Privatisierung der Sicherheit voraussichtlich kein vorübergehender Modetrend ist und mit Sicherheit auch nicht einfach rückgängig zu machen ist, sind Regeln für den Einsatz dieser Firmen dringend geboten.11 Diese sollten eine Registrierung der Firmen beinhalten, um Transparenz über das Gewirr der Anbieter mit sehr unterschiedlichem Ruf zu schaffen und die »schwarzen Schafe« der Branche zu brandmarken. Vor allem aber müssen bestimmte Bereiche für die Privaten zum Tabu erklärt werden, das betrifft insbesondere den Einsatz in Kampfhandlungen.

Prof. Dr. Herbert Wulf leitete das Internationale Konversionszentrum Bonn und ist derzeit Berater in Abrüstungsfragen Nordkoreas bei UNDP Pjöngjang. Der Beitrag beruht auf einer Buchveröffentlichung: Herbert Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, Nomos Verlag, Baden-Baden 2005.

Unternehmen für den Krieg

Unternehmen für den Krieg

Die Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

von Marc von Boemcken

Im März 2004 stellten die Behörden am Flughafen von Harare eine aus Südafrika kommende Boeing 727 sicher und verhafteten 70 Männer. Diese Männer wollten in Simbabwe Waffen einkaufen, um dann nach Äquatorialguinea weiter zu fliegen und in dem kleinen, ölreichen Land einen Staatsstreich durchzuführen. Dieser bemerkenswerte Vorfall ist nur einer von vielen Hinweisen auf einen komplexen und sehr ausdifferenzierten Gewaltmarkt, der sich spätestens seit Ende des Kalten Krieges auf dem afrikanischen Kontinent etabliert hat. Der Autor beleuchtet zuerst das Feld profitorientierter Gewalt- und Sicherheitsakteure in Afrika. Danach erörtert er die wichtigsten Ursachen für die wachsende Bedeutung des Söldnertums sowie seine sich verändernden Erscheinungsformen seit Ende des Kalten Krieges. Schließlich unterzieht er die Rolle kommerzieller Gewaltanbieter bei der Verschärfung und Förderung gewaltsamer Konfliktdynamiken einer kritischen Bewertung. Insgesamt wird so der Bedarf nach effektiveren internationalen und nationalen Maßnahmen zur Einhegung afrikanischer Gewaltmärkte aufgezeigt.

Bis in die 1970er Jahre hinein gab es praktisch keine Verregelung von Söldneraktivitäten in der internationalen Rechtssprechung. Ein 1977 angenommenes Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen klassifizierte Söldner erstmalig als „illegale Kombattanten“, die nicht den Status eines Kriegsgefangenen für sich in Anspruch nehmen dürfen. Ein Söldner ist nach diesem Protokoll wer sich 1) anwerben lässt, um in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen; 2) unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt; 3) dabei hauptsächlich von einem Begehren nach persönlichem, materiellem Gewinn angetrieben wird; sowie 4) weder ein Bürger noch 5) ein Mitglied der Streitkräfte einer Konfliktpartei ist.1 Diese Definition bildete die Grundlage für zwei internationale Abkommen zur Bekämpfung des Söldnertums: Die Convention for the Elimination of Mercenaries in Africa (CEMA) der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) von 1977 und die International Convention against the Recruitment, Use, Financing and Training of Mercenaries der Vereinten Nationen (VN) von 1989.

Es ist keineswegs ein Zufall, dass der erste internationale Versuch zur Eindämmung des Söldnertums gerade in Afrika seinen Anfang nahm. Ehemaligen Kolonialmächten und dem Apartheid-Regime in Südafrika war während des Kalten Krieges die Finanzierung von Söldnern als ein opportunes Instrument der Außenpolitik erschienen, um ihre machtpolitischen oder ideologischen Interessen auf dem Kontinent gewaltsam durchsetzen zu können. Bewaffnete Gruppierungen um berüchtigte Anführer wie z.B. Michael »Mad Mike« Hoare, Bob Denard oder den ehemaligen Wehrmachtsoffizier »Kongo-Müller« hatten während der 1960er und 1970er Jahre nicht selten dazu beigetragen, die staatliche Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker – etwa im Kongo, Angola oder auf den Komoren – zu unterwandern.2 Da die CEMA im Wesentlichen darauf abzielte, die klandestine Interventionspolitik ausländischer Mächte im südlichen Afrika einzudämmen, propagierte sie kein generelles Verbot des Söldnertums. Vielmehr kriminalisierte sie lediglich den Gebrauch von Söldnern gegen die territoriale Integrität afrikanischer Staaten sowie gegen »legitime« Befreiungsbewegungen. Es war und ist den Mitgliedsstaaten also weiterhin erlaubt, Söldner zur Bekämpfung von als »illegitim« angesehenen Aufständen innerhalb ihrer eigenen Grenzen einzusetzen.3 Trotzdem blieb das Interesse afrikanischer Staaten an der CEMA eher mäßig. Bis Oktober 2005 hatten nur 26 der 53 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU) das Abkommen ratifiziert.

Im Unterschied zu der CEMA strebt die Anti-Söldner Konvention der VN von 1989 ein Verbot jeglicher Söldneraktivitäten an. Zwar genießt sie die Unterstützung vieler VN Organisationen, auch hier ist das nationalstaatliche Interesse aber gering. Tatsächlich konnte die VN Konvention nicht bis September 2001 in Kraft treten, da ihr bis dahin die nötigen 22 Ratifikationen fehlten. Vier Jahre später waren ihr weltweit nur 27 Länder beigetreten, davon 9 aus Afrika.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die internationalen Mechanismen zur Kriminalisierung des Söldnertums – entgegen verbreiteter Meinung –noch immer schwach sind.4 Auch nationale Gesetze zur Einhegung von Söldneraktivitäten bleiben eher die Ausnahme als die Regel.5 So konnte ein florierender Handel mit militärischen Dienstleistungen entstehen, von dem vor allem der afrikanische Kontinent stark betroffen ist.

Privatisierung von Gewalt und Sicherheit in Afrika

Söldneraktivitäten haben auf dem afrikanischen Kontinent im Laufe der letzten Jahrzehnte stetig zugenommen. Abdel-Fatau Musah und Kayode Fayemi registrieren in ihrem Buch »Mercenaries – An African Security Dilemma« für den Zeitraum zwischen 1950 und 1989 insgesamt 15 Söldnereinsätze bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika, für den Zeitraum zwischen 1990 und 1998 haben sie immerhin 65 Einträge.6

Die wichtigste Ursache für die Ausbreitung kommerzieller Kriegsakteure liegt in der Unfähigkeit vieler afrikanischer Staaten, einen effektiven öffentlichen Sicherheitsapparat zu unterhalten, der die gewaltfreie Austragung innergesellschaftlicher Konflikte und ökonomischer Konkurrenz gewährleisten könnte. So findet z.B. die Ausbeutung natürlicher Ressourcen häufig in »staatsfreien« oder »gewaltoffenen« Räumen statt, in denen die wirtschaftlichen Interessen sowohl staatlicher als auch nicht-staatlicher Akteure u.a. von modernen Söldnern und privaten Sicherheitsunternehmen gewaltsam verteidigt und durchgesetzt werden.

Das Abklingen US-amerikanischer und sowjetischer Finanzhilfen nach Ende des Kalten Krieges beschleunigte die Erosion staatlicher Gewaltstrukturen, da von schrumpfenden öffentlichen Haushalten auch die Militär- und Sicherheitsbudgets betroffen waren. Zwischen 1985 und 1995 sanken die Militärausgaben in Afrika südlich der Sahara um fast 20 Prozent.7 Die Verschiebung von Militärleistungen in den Privatsektor erschien als die billigere Alternative zum – ohnehin in weiten Teilen Afrikas nie vorhandenen – öffentlichen Gewaltmonopol. Während stehende Heere nämlich langfristig unterhalten werden wollen, müssen Söldner nur für eine begrenzt andauernde Militäroperation bezahlt werden. Auch die innere Sicherheit wurde zum Teil gänzlich privatisiert, um öffentliche Kassen zu entlasten. In vielen afrikanischen Ländern müssen Firmen, Internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) für ihre Sicherheit selbst aufkommen.8

Das Wachstum privater Gewaltmärkte wurde zusätzlich durch die weltweite Demobilisierung von Soldaten nach Ende des Kalten Krieges begünstigt. Allein die südafrikanischen Streitkräfte reduzierten zwischen 1990 und 2003 ihren Personalbestand um mehr als 30.000 Soldaten.9 Vielen arbeitslosen Ex-Militärs kam die gestiegene Nachfrage nach kommerziellen Militär- und Sicherheitsleistungen sehr gelegen. Ganze Kompanien der ehemaligen South African Defence Force traten fast geschlossen in die Dienste von neu gegründeten Söldnerfirmen.10

Bei näherer Betrachtung lassen sich mindestens drei Gruppen kommerzieller Gewaltanbieter in Afrika voneinander unterschieden:11

Söldner

Nach wie vor gibt es kleine und konspirative Söldnerbanden, die ihre Waffenfertigkeiten an den meistbietenden Interessenten verkaufen. Ein Beispiel wäre die sogenannte Weiße Legion – eine lose Gruppe aus Franzosen und Serben, die 1996/7 vom Mobutu Regime in Zaire zur Bekämpfung von Rebellen angeheuert wurde. Auch der Präsident der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, beschäftigte Berichten zufolge zwischen 2002 und 2003 eine Vielzahl osteuropäischer und südafrikanischer Söldner, meist Piloten von Kampfhubschraubern, welche direkt dem Präsidentenbüro unterstanden.12

Söldnerfirmen

Neben diesen kleineren Banden bildeten sich in den 1990er Jahren auch registrierte Firmen, die militärische Dienstleistungen verkauften – sogenannte Military Provider Firms (MPFs) oder »Söldnerfirmen«. Von klassischen Söldnern unterschieden sie sich vor allem durch ihre Organisationsform als Unternehmen bzw. durch ihr tendenziell angeblich eher offenes als verdecktes Gebahren auf dem internationalen Markt.13 MPFs konnten in kurzer Zeit eine große Zahl bewaffneter Experten in ein afrikanisches Konfliktgebiet entsenden und durch eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen den weiteren Kriegsverlauf entscheidend beeinflussen. Die wohl bekanntesten Beispiele waren die südafrikanische Firma Executive Outcomes (EO) und ihr britisches Schwesterunternehmen Sandline International, welche die Regierungen von Angola und Sierra Leone im Kampf gegen Rebellengruppen unterstützen. Beide Firmen waren Teil eines komplexen Firmenkonsortiums, welches auch in die Rohstoffindustrie hineinreichte. Für ihre teuren Dienste konnten sie sich so mit Lizenzen für Schürfrechte an Diamantenminen entlohnen lassen.14

Sicherheitsfirmen

Söldner und Söldnerfirmen werden meist nur für einen kurzen Zeitraum und mit der spezifischen Absicht, an offensiven Kampfhandlungen teilzunehmen angeworben. Im Unterschied dazu sind die in afrikanischen Krisen- und Kriegsgebieten tätigen privaten Sicherheitsfirmen in der Regel für eine längere Zeitspanne im Land aktiv und ausschließlich mit dem Schutz von bedrohten Einrichtungen oder Personen betraut. Zu ihren Auftraggebern gehören nicht nur Regierungen, sondern auch Firmen der Privatwirtschaft oder NROs. Dabei können Sicherheitsfirmen entweder international tätig sein, wie z.B. die britische Firma ArmorGroup mit eigenen Büros in zehn afrikanischen Staaten, oder lokal begrenzt wie die Firmen LifeGuard und Southern Cross in Sierra Leone. Die jährliche Wachstumsrate der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika beträgt vermutlich zwischen 10 und 30 Prozent.15 Der Markt ist damit ungleich größer als der für Söldner oder Söldnerfirmen.

Kritische Bewertung

Söldnerfirmen und Sicherheitsunternehmen erfreuen sich heute einer erstaunlich großen Akzeptanz, da sie in der Wahrnehmung vieler die einzig mögliche Alternative zum ineffektiven öffentlichen Sicherheitssektor in Teilen Afrikas darstellen. Die Diskussion wird von der Frage dominiert, wie derartige Gewaltmärkte wohl reguliert und kontrolliert werden können. Möglichkeiten diese Märkte einzudämmen oder gar zu verbieten, werden hingegen meist kategorisch als unrealistisch oder kontraproduktiv abgelehnt.16 Tatsächlich waren die Einsätze von EO und Sandline in militärischer Hinsicht sehr effektiv und konnten dazu beitragen, zerfallende Bürgerkriegsstaaten kurzfristig zu stabilisieren. Es gibt auch keine Indizien dafür, dass Angestellte von Söldner- und Sicherheitsfirmen eher zu Menschenrechtsverletzungen neigen als etwa Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte.

Trotzdem sind kommerzielle Anbieter von Kriegs- und Sicherheitsleistungen alles andere als neutrale »Werkzeuge«. Im Gegenteil, ihr Einsatz hat profunde Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation von Gewalt und Sicherheit. In vielen Fällen schaffen sie mehr Probleme als sie zu lösen in der Lage sind.

Söldner und Angestellte von MPFs sind weder in eine feste Befehlshierarchie eingebunden, noch unterliegen sie militärischer Gerichtsbarkeit. Obwohl sie meist von Staaten angeheuert werden, agieren sie also – anders als nationale Streitkräfte – unabhängig von einer unmittelbaren rechtlichen Verantwortlichkeit. Dies erschwert es Regierungen, eine effektive Kontrolle über die Implementierung ihrer Kriegsentscheidungen auszuüben. Als ihnen die Situation in Sierra Leone zu gefährlich wurde, konnte z.B. die Firma Gurkha Security Guards 1994 einfach ihren Vertrag kündigen und das Land verlassen.17

Wie vergangene Beispiele zeigen, war die Abhängigkeit von MPFs der langfristigen Konsolidierung staatlicher Sicherheitsapparate keineswegs dienlich. Im Gegenteil: Da sich ärmere Staaten diese Firmen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum leisten konnten, flammte der Gewaltkonflikt nach deren Rückzug meist in alter Intensität wieder auf. Es ist wenig wahrscheinlich, dass MPFs an einer wirklichen und nachhaltigen Lösung von Gewaltkonflikten interessiert sind, da sie sich dadurch ihrer eigenen Existenzgrundlage berauben würden. Zerfallende Staaten, die dazu gezwungen waren, immer wieder auf die Hilfe von MPFs zurückzugreifen, fanden sich vielmehr bald in einem gefährlichen Kreislauf der Gewaltreproduktion wieder: Um die MPFs bezahlen zu können, wurden Rohstoffe durch Konzessionsvergabe der Volkswirtschaft entzogen. Dadurch nahm die Armut im Land jedoch zu, was wiederum neues Konfliktpotenzial schaffte bzw. bestehendes verschärfte, und somit die zukünftige Abhängigkeit der Regierung von MPFs weiter untermauerte.

Nicht nur Söldner und MPFs, auch private Sicherheitsfirmen haben eine tendenziell gewaltfördernde Funktion, da ihre Ausbreitung das Gefühl gesamtgesellschaftlicher Unsicherheit mittel- bis langfristig erhöht. Sie befreien Regierungen in aller Regel von der kostspieligen Erfordernis, eigene – also öffentliche – Sicherheitskräfte auf- oder auszubauen. Das Gut Sicherheit verwandelt sich so von einem allgemeinen Grundrecht zu einer Ware, die sich nur wenige leisten können.18 Gerade in instabilen Post-Konflikt-Gesellschaften birgt eine solche Entwicklung womöglich ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial.

Die Regelungen im Internationalen Recht sind derzeit nicht geeignet, die Privatisierung und Kommerzialisierung staatlicher Gewaltfunktionen wirksam einzudämmen. So waren sowohl die von Laurent Gbagho angeheuerten Piloten, als auch die Angestellten von EO und Sandline zwar Söldner nach den Kriterien der Genfer Konvention. Da sie alle für afrikanische Regierungen im Landesinneren arbeiteten, fiel ihr Gebrauch jedoch nicht unter die Bestimmungen der CEMA. Nach der seit 2001 gültigen Anti-Söldner Konvention der VN wäre ein derartiger Einsatz von Söldnern zwar dennoch verboten, allerdings sind bisher weder die Elfenbeinküste noch Angola und Sierra Leone diesem Abkommen beigetreten.

Obwohl sich die private Sicherheitsindustrie zunehmend internationalisiert und militarisiert, bleibt sie im Internationalen Recht praktisch unsichtbar. Die Angestellten dieser Firmen werden meist vor Ort und nicht mit der speziellen Absicht, aktiv an Kampfhandlungen teilzunehmen, angeworben. Sie sind somit weder Ausländer noch Kombattaten im herkömmlichen Sinn und deshalb auch keine Söldner im rechtlichen Sinn. Gleichwohl können Sicherheitsfirmen gerade in Kriegs- und Krisengebieten schnell in größere Gefechte verwickelt werden. Während des Einsatzes selber kann die Grenze zwischen defensivem und offensivem Verhalten – und damit der qualitative Unterschied zwischen Sicherheitsfirmen und Söldnerfirmen – also leicht verschwimmen.

Wirkliche Fortschritte bei der rechtlichen Eindämmung des Söldnertums und der privaten Sicherheitsindustrie in Afrika konnten bisher nur vereinzelt und auf nationaler Ebene gemacht werden. So erließ die Regierung Südafrikas 1998 ein Gesetz, das südafrikanischen Staatsbürgern nicht nur untersagte, als Söldner tätig zu werden, sondern auch sich von Sicherheitsfirmen in bewaffneten Konflikten anstellen zu lassen. Ein Jahr später sah sich EO gezwungen, alle Geschäfte einzustellen. Zur Zeit wird im südafrikanischen Parlament über eine Verschärfung dieses Foreign Military Assistance Act diskutiert nach der selbst Ausländer mit Verbindungen zu Söldner- und Sicherheitsfirmen in Kriegsgebieten bei einem Aufenthalt in Südafrika der Prozess gemacht werden könnte.

Schlußbetrachtung und Ausblick

Die hohen Kosten von MPFs haben die meisten afrikanischen Staaten in den letzten Jahren davon abgehalten, derartige Dienstleistungen einzukaufen. So sah sich im April 2004 auch Sandline aufgrund der schlechten Auftragslage zur Firmenauflösung gezwungen. Es scheint als verpflichten die Kriegsparteien Afrikas inzwischen lieber billigere Söldnerbanden. Ehemalige Mitarbeiter von MPFs wechselten entweder in den wachsenden Sicherheitsmarkt oder beteiligten sich an klandestinen Söldneroperationen. So war einer der führenden Köpfe des geplanten Staatsstreiches in Äquatorial-Guinea, Simon Mann, ein Mitbegründer von sowohl EO als auch Sandline.

Zweifellos besteht ein großer Bedarf an weiteren Forschungsvorhaben zur Untersuchung der Auswirkungen von Söldnern und Sicherheitsfirmen auf schwache Staaten. Vieles deutet darauf hin, dass die langfristigen gesellschaftlichen Folgen zur Förderung von Gewaltkonflikten beitragen. Der schleichenden Legitimierung dieser Gewaltmärkte müsste dann – nach dem Vorbild der südafrikanischen Gesetzgeber – entschieden entgegengewirkt werden. Oberste Priorität wäre es, bei gleichzeitiger Kriminalisierung des Söldnertums bzw. privater Gewaltakteure in Konfliktgebieten, afrikanische Staaten dazu zu befähigen, wirksame Strukturen zur Herstellung öffentlicher Sicherheit aufzubauen, die demokratisch legitimiert und internationalen Standards verpflichtet sind.

Anmerkungen

1) Vgl. Artikel 47 im Zusatzprotokoll 1 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikt.

2) Vgl. Guy Arnold (1999): Mercenaries: The Scourge of the Thirld World. Palgrave Macmillan.

3) Vgl. Peter W. Singer (2004): War, Profits, and the Vacuum of Law. Columbia Journal of TransnationalLaw.Vol. 42. Nr. 2. S. 529.

4) Ebd. S. 524.

5) Caroline Holmqvist (2005): Private Security Companies: The Case for Regulation.SIPRI Policy Paper No. 9. Januar. S. 50.

6) Abdel-Fatau Musah & J. Kayode Fayemi (2000): Mercenaries: An African Security Dilemma. Pluto Press. S. 265-274.

7) Vgl. The International Institute for Strategic Studies (IISS) (1996): The Military Balance 1996/7. Oxford University Press. S. 310-311.

8) Vgl. Anna Leander (2003): The Commodification of Violence, Private Military Companies and African States. COPRI Working Paper 11/2003. S. 4.

9) IISS (2004): The Military Balance 2004/5. Oxford University Press.

10) Kevin A. O’Brien (2000): Private Military Companies and African Security 1990-98. In Musah & Fayemi. 2000. S. 50.

11) Vgl. Alex Vines (2000): Mercenaries, Human Rights and Legality. In Musah & Fayemi. 2000. S. 169.

12) Vgl. Patrice Dutertre (2005): Die Neuen Söldner. Dokumentarfilm. Frankreich.

13) Vgl. Peter W. Singer (2003): Corporate Warriors. Cornell University Press.

14) Vgl. Khareen Pech (1999): Executive Outcomes – A corporate conquest & Ian Douglas: Fighting for diamonds – Private military companies in Sierra Leone. In Jakkie Cilliers & Peggy Mason (Eds.) (1999): Peace, Profit or Plunder? Institute for Security Studies (ISS).

15) Peter Lock (1999): Africa, Military Downsizing and the Growth in the Security Industry. In Cilliers & Mason (1999).

16) Vgl. Holmqvist (2005): S. 42.

17) Anna Leander (2003): S. 6.

18) Vgl. Peter Lock (2000): Söldner und Rebellen: Zur Rolle der Gewalt in afrikanischen Ökonomien. In Internationales Afrikaforum. Vol. 36. Nr. 1.

Marc von Boemcken ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bonn International Center for Conversion (BICC)

Veränderte Gewaltformen im Schatten der Globalisierung

Veränderte Gewaltformen im Schatten der Globalisierung

von Peter Lock

Der Krieg gegen den Irak lenkt davon ab, dass wir uns derzeit in einer Phase der Weltentwicklung befinden, in der jene Formen von Kriegen zum Auslaufmodell werden, für die durch das Völkerrecht im letzten Jahrhundert Regeln entwickelt wurden, um sie einzuhegen. Dies nicht etwa, weil ein weltweiter Trend zu weniger gewalttätiger Konfliktaustragung zu beobachten wäre. Meine Thesen lauten vielmehr, dass erstens die Vereinigten Staaten als unangefochtene militärische Hegemonialmacht ubiquitär und präventiv Gewaltmittel zur Durchsetzung ihrer Interessen im Rahmen des so genannten Krieges gegen den Terror einzusetzen beabsichtigen. Damit wird eine Politik installiert, die Krieg als abgrenzbare Kategorie aufhebt. Zweitens, auch die immanente Logik der viel zitierten »neuen Kriege«, die als ein Element der Schattenglobalisierung fungieren, spricht für eine Diffusion kriegerischer Gewalt in »regulative Gewalt« zur Steuerung (wirtschafts-)krimineller transnationaler Netzwerke, die als Spiegel des neoliberalen Globalismus sich zur wahrscheinlich dynamischsten Sphäre der globalen Ökonomie entwickelt haben. Im Ergebnis kommt es zu einer Deterritorialisierung der kriegerischen Gewaltlogik und damit zur Auflösung des klassischen Erscheinungsbildes Krieg. Gleichzeitig wird die Gewalt in den weltweit wachsenden Zonen sozialer Apartheid das dominante Mittel sozialer und wirtschaftlicher Regulation.
Im Weltbild unserer aufgeklärten Modernität erscheint Krieg als moralischer Störfall in einem global integrierten System, das mit internationaler Gemeinschaft oder Weltgesellschaft bezeichnet und als verantwortungsethische Einheit definiert wird. Daraus leitet sich ein moralischer Imperativ für die internationale Staatengemeinschaft ab, derartigen Störungen kollektiv zu begegnen. Da zwischenstaatliche Kriege inzwischen zur Ausnahme geworden sind und innergesellschaftliche bewaffnete Konflikte überwiegen, bedeutet dies nach dem Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen Aufhebung des »Dogmas« der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eine Ausweitung friedensschaffender und friedenserhaltender Einmischungen in innergesellschaftlich ausgetragene Konflikte. Es hat sich eine neue Abwägung der Rechtsgüter staatliche Souveränität und Menschenrechte durchgesetzt, die mit der Schaffung des internationalen Strafgerichts auch einen institutionellen Ausdruck gefunden hat.

Zur ersten Hypothese

In der politischen Realität wird dieser moralische Imperativ, mit Taten für Menschenrechte einzutreten, jedoch nicht eingelöst. Interventionen, auch wenn sie das Etikett humanitär tragen, bleiben an Interessen (militärisch) leistungsfähiger Staaten gebunden. Im Falle Ruandas fehlte es z.B. an Interessiertheit in Staaten, die einzig in der Lage gewesen wären, militärisch zu intervenieren, um den Genozid aufzuhalten.

Mit der amerikanischen Wende nach dem 11.September zum erklärten Krieg gegen den Terror sind Grenzziehungen zwischen Krieg und Frieden endgültig aufgehoben worden. Es ist einer enormen Beschleunigung der amerikanischen Doktrinentwicklung nach diesem Einschnitt geschuldet, dass nunmehr amerikanische Interessenwahrnehmung sich offen aller bestehender völkerrechtlichen Schranken entledigt. Diese Ausrichtung war bereits angelegt und fand in der grundsätzlichen Ablehnung der Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes bereits lange vor 2001 ihren Ausdruck. Eine Regierung, die die Verletzung völkerrechtlicher Regeln zur Wahrnehmung nationaler Interessen gegebenenfalls für geboten hält, muss die von ihr beauftragten Exekutoren solcher Verletzungen logischerweise vor Strafverfolgung schützen.

Die Logik des Krieges gegen Terror beinhaltet eine nahezu absolute Selbstermächtigung der Exekutive. Der in dieser Bedrohungsideologie vorgestellte, weitgehend unsichtbare Gegner kennt keine Handlungsschranken, er ist in Zeit und Raum omnipräsent, keine Gewalthandlung des Gegners kann ausgeschlossen werden. In dem Maße, in dem die Figur der terroristischen Bedrohung als politische Ressource des Machterhalts missbraucht wird, gewinnt sie rasch totalitäre Dimensionen. Die neu gegründete Superbehörde für Heimatverteidigung in den USA mit extensiven Befugnissen in Verbindung mit dramatisch expandierenden Aufklärungsdiensten bieten bereits einen Vorgeschmack auf Anmaßungen der Exekutive. Sie löst Erinnerungen an das Projekt »formierte Gesellschaft« aus, dem Versuch obrigkeitsstaatliche Kontrolle am Ende der Adenauerepoche in der Bundesrepublik zu etablieren, mit der die Restauration der fünfziger Jahre verstetigt werden sollte.

In dieser autosuggestiven Logik nimmt der Krieg gegen den Terror beliebige, machtpolitisch opportune Gestalten an, deren reale Existenz niemals falsifizierbar ist. Für defensive Strategien fehlt es an deutlichen logistischen Spuren des terroristischen Gegners. Aus der imaginierten totalitären Bedrohung ergibt sich systemisch der Zwang, auch die (Selbst-)Verteidigung keinerlei Handlungseinschränkungen zu unterwerfen. Folglich erscheinen aggressive präventive Strategien als einzig mögliche und wirksame Verteidigung. Sie dürfen weder durch rechtsstaatliche Regeln noch durch Völkerrecht in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt werden. Der Krieg gegen den Terror läuft so auf eine asymmetrische, gewalttätige globale Machtpolitik hinaus, die jegliche territoriale Souveränität Dritter ignoriert. Sie bezieht ihre Legitimation aus einer normativen Suprematievermutung des amerikanischen Staates und dessen Wertesystem. Dieser Krieg bleibt ohne Aufgabe seiner Prämissen ohne Ende und hebt sich bzw. die Figur des Krieges auf. Die angstbesetzte Logik des Feldherrn gegen den Terror legitimiert eine Eskalation niedrigstschwelliger präventiver Intervention, was tendenziell zu einer faktischen Demilitarisierung von Interventionsstrategien und der Verlagerung auf verdeckte Interventionen und den Einsatz privater Dienstleister, auch militärischer, zur präventiven Abwehr vermuteter Beeinträchtigungen amerikanischer Interessen führt.

Auch der Kalte Krieg basierte auf einer vergleichbaren ideologischen Figur. Der Gegner wurde als totalitärer Akteur gezeichnet. Aber im Gegensatz zum Krieg gegen den Terror besaß der Gegner das Merkmal Territorialität. Durch die Implosion bzw. Selbstauflösung der Sowjetunion konnte die Logik des Kalten Krieges beendet werden, ohne die Prämissen der eigenen Ideologie aufzugeben.

Es fällt schwer der gegenwärtigen amerikanischen Politik ökonomische Interessen einer hegemonialen Gruppe zuzuordnen. Die Widersprüche der aktuellen präventiven Interventionspolitik deuten daraufhin, dass diese Politik von Überlegungen des innenpolitischen Machterhaltes getrieben wird. Kriege scheinen vorrangig eine manipulative innenpolitische Ressource in den USA zu sein, jedenfalls entbehrt der Irakkrieg einer kohärenten Kapitallogik. Die amerikanische Inszenierung einer Kriegslogik paralysiert demokratische Diskurse auf nationaler und internationaler Ebene mit tiefgreifenden Folgen für die Entwicklung und Durchsetzung von Völkerrecht und die Rolle der Vereinten Nationen, sie schafft aber ein populistisches Klima für die Wiederwahl Bushs.

Im Hinblick auf den Irakkrieg gilt, dass die mediale Präsentation des Krieges seine eigentliche Qualität unterschlagen hat. Die demonstrierte asymmetrische Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte hat weltweit die Option einer militärischen Verteidigung gegen diese Übermacht entwertet. Die ungeheure Zerstörungskraft amerikanischer Gefechtsfeldwaffen in Verbindung mit nahezu totaler Aufklärung und Störung der gegnerischen Kommunikation schließen eine koordinierte militärische Gegenwehr am Boden nahezu aus. In den Druckwellen amerikanischer Bomben und Raketen sind Zehntausende irakischer Soldaten in ihren Verteidigungsstellungen umgekommen, bevor sie in das militärische Geschehen eingreifen konnten. Diese Dimension des Krieges war aus der medialen Präsentation ausgeblendet.

Berücksichtigt man weiterhin, dass weltweit das Steueraufkommen und damit die Möglichkeit, leistungsfähige modern gerüstete Streitkräfte zu unterhalten sinkt, so ergibt sich daraus, dass mittelfristig das amerikanische Kriegsführungspotenzial weltweit ohne militärisch relevante Gegnerschaft bleiben wird. Nur Massenvernichtungswaffen können u.U. die amerikanischen Truppen von einer Invasion abschrecken.

Noch einschneidender ist jedoch, dass in raschem Tempo in weiten Teilen der Welt die Elastizität, massiven Störungen der wirtschaftlichen Zirkulation zu widerstehen, rasch abnimmt. Es mag zynisch klingen, aber der Irak war einer der letzten Orte, an denen ein solcher Krieg inszeniert werden konnte. Das embargobedingte Lebensmittelprogramm der Vereinten Nationen hatte die irakische Gesellschaft geradezu ideal auf kriegsbedingte Störungen der zentralverwaltungswirtschaftlich organisierten Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln vorbereitet. Drei Monate Versorgung waren verfügbar und zum Teil bereits an die Endverbraucher verteilt, als die Kriegshandlungen begannen. Keine andere Gesellschaft in der »Dritten Welt« verfügt über eine vergleichbar hohe Elastizität des Überlebens bei massiven Störungen der Versorgung.

Urbanisierung und Zerstörung bäuerlicher Lebenswelten machen die Weltgesellschaft störungsanfälliger denn je. Die marginalisierten Massen in den Armutsgürteln der Megastädte der Welt dürften bei einer Unterbrechung ihrer fragilen Versorgungssysteme in kürzester Frist verhungern. Ländliche Fluchträume, in denen die Elastizität kleinbäuerlicher Wirtschaftsweise Überlebensmöglichkeiten bietet, gibt es kaum noch. Sie sind inzwischen weitgehend agrarindustriell strukturiert. Arme leben ein tägliches »just in time«, über Reserven verfügen sie nicht. Die Zentren moderner Megastädte brechen bei Störung selbst nur der Stromversorgung als Überlebensraum in wenigen Tagen zusammen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Welt kaum noch über Räume verfügt, in denen eine konventionelle militärische Konfrontation denkbar ist, ohne das Überleben der Zivilbevölkerung als mittelbare Folge von Kampfhandlungen in kurzer Zeit aufs Spiel zu setzen.

Der amerikanische militärisch-bürokratische Komplex hat dies längst erkannt. Er dient dem Kongress zwar noch eine billionenteure Modernisierung der konventionellen Streitkräfte zur dauerhaften Sicherung absoluter Überlegenheit an. Gleichzeitig jedoch bereitet er sich parallel seit vielen Jahren mit großem Forschungsaufwand auf MOOTW (military operations other than war) vor. Mit dem Ziel niedrigschwellig und präventiv amerikanische Interessen durchzusetzen, wird unter großer Geheimhaltung ein breites Spektrum von Störungsmitteln entwickelt, die überall einsetzbar sind, auch dort wo konventionelle Kriegsführung nicht mehr möglich ist. Zugleich steckt in diesen Störungsmitteln das Potenzial, offene kriegerische Gewalt seitens der USA überflüssig zu machen. Das Einsatzpotenzial dieses Arsenals wurde bei der Störung der serbischen Stromversorgung1 während des Kosovokrieges demonstriert.

Zur zweiten Hypothese

Die Merkmalsausprägungen gegenwärtiger Kriege werden zunehmend diffuser. Beginn und Ende markieren häufig keine wirklichen Zäsuren im Hinblick auf das Gewaltgeschehen. Das Gewaltniveau in einer Gesellschaft ist längst kein hinreichendes Merkmal für Krieg mehr. Das Kampfgeschehen trägt nicht selten erratische Züge. Humanitäre Hilfe als ein niedrigschwelliges Element der Einmischung wird vielfach in das Kriegsgeschehen integriert, und die Neutralität der Hilfsorganisationen wird faktisch bereits als Zugangsvoraussetzung aufgehoben.

Zudem gilt, dass sich die ökonomische Grammatik von Kriegen grundlegend gewandelt hat. Während der Zweite Weltkrieg, aber auch noch der Koreakrieg mit einer Ausweitung der Produktion und Mobilisierung brachliegender Ressourcen, Sklavenarbeit eingeschlossen, einhergingen, sind bewaffnete Konflikte der Gegenwart davon gekennzeichnet, dass wirtschaftliche Aktivitäten paralysiert und die Menschen arbeitslos werden, ihre Lebensgrundlagen verlieren und zu Flüchtlingen werden. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten verschwimmt, zugleich ist die Zivilbevölkerung bevorzugtes Ziel von Kampfhandlungen. Kriegsgefangene sind zur Ausnahme, Geiselnahme beinahe zur Regel geworden. Das Kriegsvölkerrecht bildet für die Akteure längst keine Handlungsschranken mehr.

Ein zentraler Befund neuerer Untersuchungen bewaffneter interner Konflikte lautet, dass kriegerische Gewalt zu erheblichen Teilen mit wirtschaftlichen Interessen erklärt werden kann, ja dass sogar langandauernde Kriege geradezu zu einer eigenständigen Produktionsweise mutieren, in der das kriegerische Geschehen von gewaltunternehmerischen Kalkülen bestimmt wird. Ein weiterer Befund ist, dass diese Kriegsökonomien nur funktionsfähig sind, wenn sie transnational vernetzt sind.

Verfolgen wir jedoch zunächst die Genese von Gewaltstrukturen. Weltweit befinden sich Staaten in einer tiefen Krise. Die Privatisierung von Sicherheit ist ein Spiegelbild des Zustandes von Staatlichkeit. Verbreitet werden öffentliche Güter, darunter auch Sicherheit, zur Ware, die individuelle Kaufkraft entscheidet über die Verfügbarkeit. Daher bedeutet Armut vor allem Unsicherheit. Die Erscheinungsformen der Auflösung von Staatlichkeit, wie sie durch wohlfahrtsstaatlich orientierte Postulate von Rechtsstaatlichkeit definiert ist, sind zwar verwirrend vielfältig, aber allen ist gemein, dass das staatliche Gewaltmonopol zugunsten eines breiten Spektrums privatisierter Organisation von Sicherheit sowohl innerhalb als auch außerhalb der geltenden Rechtsordnung aufgegeben wird. Im Sog neoliberaler Globalisierung verlieren Staaten in weiten Teilen der Welt zunehmend die Fähigkeit, Steuern zu erheben, und damit ihr ökonomisches Fundament. Im meist schleichenden Prozess der daraus folgenden Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols werden die Angehörigen des Staatsapparates sogar zu einer ständigen Bedrohung für große Teile der Zivilgesellschaft, da sie sich ihr Auskommen, und manchmal mehr, unter illegaler Ausnutzung ihres Status beschaffen. Gerät eine Gesellschaft in einen solchen Zustand, in dem die wirtschaftskriminell angeeignete Fassade von Staatlichkeit durch ihre Akteure einen Zustand allgemeiner Unsicherheit erzeugt, dann lösen sich auch zivilgesellschaftliche Regelsysteme auf und werden durch Selbstverteidigungsstrukturen ersetzt. Sie forcieren Identitätsideologien, auch auf der Mikroebene, die sich auf den Ausschluss anderer gründen. Entlang der so entstehenden innergesellschaftlichen Grenzen eskalieren Konflikte, die sich schließlich mit Waffengewalt entladen können.

Informalisierung und Kriminalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten bestimmen das Leben, wenn Identitätsideologien Platz greifen und an die Stelle einer einheitlichen staatlichen Rechtssphäre treten. Sie ersticken alle unternehmerischen Initiativen zur Selbsthilfe. Massive Migration ist regelmäßig das Resultat derartiger Entwicklungen. Die daraus resultierende Diaspora befördert transnationale Vernetzungen und bietet zugleich eine Infrastruktur für illegale Transaktionen unterschiedlichster Art. Die Lebenssphären illegaler MigrantInnen sind durch das staatliche Gewaltmonopol und rechtsstaatliche Instanzen des Gastlandes nicht geschützt, obwohl ihre Arbeitskraft ökonomisch ein fester Bestandteil der jeweiligen nationalen Ökonomien ist. MigrantInnen sind kriminellen Akteuren gegenüber schutzlos.

Die in Umrissen dargestellten Zustände in zerfallenden Staaten finden sich aber auch in sozialräumlich kleinen Einheiten innerhalb ansonsten leidlich funktionierender Staaten. Ob es sich um Ghettos sozial abgehängter Minderheiten in den Metropolen von Industrienationen, um die riesigen Armutsgürtel, von denen alle großen Millionenstädte in der »Dritten Welt« umgeben sind oder aufgegebene Industriestandorte in der ehemaligen Sowjetunion handelt, die Bewohner erfahren Staatlichkeit so, als lebten sie in einem zerfallenen Staat. Polizisten begegnen ihnen als gefährliche Feinde. Entsprechend bilden sich in derartigen »Exklaven der ökonomischen und sozialen Apartheid« den Kriegsökonomien ähnliche Strukturen heraus. Das Gewaltmonopol liegt meist bei nach dem Territorialprinzip organisierten Gangs. Schutzgelder treten an die Stelle von Steuern. Ein mit Gewaltandrohung erpresstes Schweigen gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsorganen entspricht der staatsbürgerlichen Loyalität.

Die Gesellschaft »draußen« ist für diese Menschen Ausland. Dort sind sie eine Ressource u.a. für Drogenhandel und andere risikobehaftete Tätigkeiten, die in der Schattenwirtschaft nachgefragt werden. Wer arm ist, der hat keine Wahl und geht kriminelle Risiken ein. Die beschäftigungslosen Jugendlichen und jungen Männer in den Zonen der sozialen Apartheid bilden eine unerschöpfliche Reservearmee der Kriminalität.

Die Zusammenhänge zwischen den symbiotisch verknüpften Prozessen von Globalisierung und Schattenglobalisierung einerseits und Erscheinungsformen gesellschaftlicher Gewalt andererseits machen es notwendig, Gewalt, die sich unter anderem in Mordraten und Straftaten unter Anwendung von Schusswaffen ausdrückt, auf den Mikroebenen sehr viel genauer, auch international vergleichend zu untersuchen. Es gilt, den Anteil »regulativer Gewalt« an der Gesamtheit der Tötungsdelikte und anderer krimineller Gewalttaten zu bestimmen. Als regulative Gewalt wird die Androhung und der Einsatz von physischer Gewalt zur Durchsetzung von ungleichen Tauschverhältnissen und Aneignung definiert.

Verfolgt man typische kriegsökonomische Transaktionen auf ihrem Weg in die reguläre Ökonomie, so erschließen sich kriminelle Netzwerke, die weltweit agieren und deren Funktionslogik auf Gewalthandlungen bzw. deren glaubwürdiger Androhung beruht. Es ist daher analytisch ertragreich, bei der Untersuchung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse im Zeitalter von neoliberaler Globalisierung und Schattenglobalisierung mit der Kategorie »regulative Gewalt« zu arbeiten, um so besser die Gewaltlogiken entschlüsseln zu können, die für das dynamische Fungieren der Schattenglobalisierung konstitutiv sind.

Die entscheidend neue Dimension dieser Erscheinungen, die in Kriegswirtschaften innergesellschaftlicher bewaffneter Konflikte und in stark fragmentierten Gesellschaften systemischen Charakter haben, liegt darin, dass die Funktionslogik dieser notwendig transnationalen Netzwerke die Unterschiede zwischen Krieg und Frieden verwischt. Die Raten der Gewaltkriminalität in stark polarisierten Gesellschaften, wie etwa Brasilien, Südafrika oder Nigeria erreichen oder übersteigen die Auswirkungen kriegerischer Gewalt in »Bürgerkriegen« der Gegenwart. Die Gewaltsteuerung transnationaler Netzwerke zum Beispiel des Drogen-, Waffen- oder Menschenhandels ist zwangsläufig entterritorialisiert, an beliebigen Punkten der Transaktionsketten kann es notwendig werden, mit »regulativer Gewalt« Störungen bei der Zirkulation von Waren, Geld und Menschen zu begegnen. Am Beispiel von Drogenkartellen ist dies am besten dokumentiert. Vom Anbau bis zum Endverbraucher, oft über zahlreiche Zwischenstationen quer über alle Kontinente, gilt es, bei Bedarf mit Gewalt, das Netzwerk zu schützen.

Zur Funktionslogik wirtschaftskrimineller Netzwerke gehört es auch, dass sie die Existenz der regulären Märkte nicht gefährden dürfen, denn nur wenn das Einschleusen in sie gelingt, können diese Netzwerke die Erträge ihres kriminellen Tuns realisieren. Dies macht die angesprochene Symbiose der beiden Globalisierungsprozesse aus, in die letztlich noch der brutalste Warlord irgendwie eingebunden ist. Was als nicht endende Kriege erscheint, ist möglicherweise ein systemisches Merkmal. Warlords oder besser Gewaltunternehmer unterliegen der Logik transnationaler krimineller Netzwerke. Territoriale politische Ziele müssen dieser Logik untergeordnet bleiben. Wir haben mit einer Diffusion der kriegerischen Gewalt in die transnationalen Operationsräume krimineller Netzwerke zu tun. Sie transformiert sich in »regulative Gewalt«. Kriege verlieren damit ihr Schlachtfeld, sie werden entterritorialisiert. Das viel zitierte Konstrukt »neue Kriege« ist dieser Hypothese zufolge nur eine transitorische Erscheinung auf dem Wege der weitgehenden Diffusion kriegerischer Gewalt, die nurmehr als regulative Gewalt fungiert, weitgehend gebunden an die Logik transnationaler wirtschaftskrimineller Netzwerke, die sich im Kontext des neoliberalen Globalismus ausbreiten. Mark Duffield hat diese kriegsökonomischen Trends ebenfalls beschrieben und spricht von Netzwerkkriegen. Jedoch ist dieser Begriff unglücklich gewählt, denn Krieg ohne Territorialität ist ein problematisches Konstrukt.2Der Modernisierungsschub, der mit dem neoliberalen Globalismus einhergeht, führt zu sozialer Segmentierung der Gesellschaften in Megastädten und zugleich ist überall ein Modernisierungsbruch zwischen den Generationen zu beobachten. Die gesellschaftliche Wirklichkeit in sehr vielen Ländern ist von massenhafter Ausgeschlossenheit der zahlreich nachwachsenden Generationen von der regulären Ökonomie geprägt. Diese verbreitete intergenerationelle Apartheid erweist sich als ein verdrängtes systemisches Merkmal des neoliberalen Globalismus. Sie ist zunehmend von sozialer Bitterkeit, individuellen alternativen Lebensentwürfen geprägt, die sich auf Gewaltanwendung zur Durchsetzung gründen. Diese jungen Menschen haben keine politische Repräsentation in den bestehenden staatlichen Strukturen und politischen Verbänden. Wirklich wahrgenommen werden sie nur als Kriminalitätsrisiko. Oft artikulieren sie ihre instrumentelle Gewalt idealisierende Befindlichkeit3 in den Texten von Hiphop und Rap, was aber nicht als politische Artikulation wahrgenommen wird.

Hätten die weltweit in die soziale Apartheid abgedrängten jungen Menschen in den herrschenden politischen Systemen eine politische Stimme zur Wahrnehmung ihrer Interessen, in rechtsstaatlich verfassten Verhältnissen zu leben und zu arbeiten, dann wäre es um die Durchsetzungsfähigkeit des neoliberalen Globalismus schlecht bestellt. An die Stelle eines abstrakten Wohlfahrtsversprechens durch Wachstum mittels völliger Deregulierung der Ökonomie würde als Priorität die Chance aller auf konstruktive Beteiligung an der gesellschaftlichen Reproduktion durch Arbeit in einer einheitlichen rechtsstaatlichen Sphäre treten. Von unten, d.h. aus den Schatten der neoliberalen Globalisierung und vor allem mit den Augen junger Menschen betrachtet, erfordert die Weltwirtschaft eine neue Regulierungsdoktrin, die auf produktive Teilhabe möglichst vieler an den Volkswirtschaften ausgerichtet ist.

Wenn diese Hypothesen die gegenwärtige Entwicklung angemessen beschreiben, dann muss sich dies auch in den politischen Gegenstrategien zur neoliberalen Globalisierung niederschlagen. Verweigerung der Globalisierung ist eine politische Falle, denn aufgrund der unausweichlichen medialen Globalisierung und Informatisierung wird es zur Globalisierung keine Alternative geben. Der scharfe politische Gegensatz zwischen der Linken und dem Neoliberalismus betrifft allein die Regulierung der Globalisierung. Als politisches Defizit linker Strategien sehe ich im Zusammenhang der von mir angesprochenen Problemfelder die geringe Beachtung des intergenerationellen Bruches der politischen Befindlichkeiten. In diesem Defizit liegt aber auch eine strategische Chance, nur fehlt es bislang selbst noch an der Wahrnehmung des Problems in linken Diskursen und Versuchen, diesen intergenerationellen Integrationsprozess aktiv zu betreiben.

Anmerkungen

1) Die erstaunliche Resistenz des Milosevicregimes beruhte u.a. auf der noch verbreiteten kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Serbien.

2) Mark Duffield, Global Governance and the New Wars, The Merging of Development and Security, London (ZED Books) 2001.

3) Siehe hierzu: Forschungsprojekt: Zwischen egomaner Gewaltverherrlichung und sozialer Ballade – Gewaltlbilder in Musikkulturen Jugendlicher, www.go-gangbustah.com.

Dr. Peter Lock ist freier Sozialwissenschaftler. Derzeit arbeitet er zum Thema (Schatten)Globalisierung und Gewalt. Weitere Themen sind Militär und Gesellschaft, Entwicklung der amerikanischen Doktrin, Entwicklung der Rüstungsindustrien weltweit. Weitere Informationen unter www.Peter-Lock.de

Militärisches Denken als Antwort auf globale Bedrohungen?

Militärisches Denken als Antwort auf globale Bedrohungen?

von Ulrich Albrecht

Ist militärisches Denken die Antwort auf die globalen Bedrohungen? Die Fragestellung klingt rhetorisch und die Annahme ist sicher nicht falsch, dass die Mehrheit der in Friedensforschung und Friedensbewegung Engagierten ein klares Nein als Antwort bereithält; allenfalls bereit, den militärischen Aufwand der Vergangenheit, die immense Bindung von Ressourcen zu rekapitulieren, ehe man sich die globalen Herausforderungen der Zukunft genauer vor Augen führt. Ulrich Albrecht beantwortet die Themenfrage mit ja. Er geht davon aus, dass militärisches Denken, die konzeptionellen Fähigkeiten von Strategen, von Konzepteuren neuer Waffensysteme gebraucht werden – nicht nur sie, sie aber auch, um den exorbitanten Herausforderungen der globalen Entwicklungen begegnen zu können. Gleichzeitig fordert er angesichts von NMD-Phantasien in den USA mehr Einmischung von Seiten der Wissenschaft.
Die menschliche Intelligenz ist die wichtigste Ressource um das Überleben dieser Spezies zu organisieren. Wenn die Nutzung menschlicher Kreativität in der großen Anstrengung des Kalten Krieges vorrangig militärischen Vorbereitungen galt, so liegt es nahe, diese Potenziale künftig für das Bestehen globaler Herausforderungen einzusetzen. Daher mein Ja zu der Frage, ob militärisches Denken als Antwort auf globale Bedrohungen gebraucht wird.

Nehmen wir die globalen Herausforderungen in den Blick: Nach der Implosion des so genannten realen Sozialismus ist die Geschichte – sehr im Gegensatz zu der Voraussage von Francis Fukuyama – nicht an ihr Ende gekommen. Sie hat vielmehr im Tempo der Veränderungen gewaltige Beschleunigungen erfahren. Europa und die Welt befinden sich in einem Umbruchprozess von welthistorischen Ausmaßen, der von Konflikten und mannigfachen Krisen begleitet wird. Die Tiefe dieses Wandels ist vergleichbar mit den großen Zäsuren der Weltgeschichte, dem Ende des Römischen Reiches, dem Beginn der Neuzeit, den großen europäischen Revolutionen.

Im Zuge dieser Veränderungen schält sich schrittweise eine neue Ordnung heraus. Wir streiten derzeit miteinander, was wir von dieser neuen Ordnung erkennen. Eines aber ist klar: mit überkommenen Mustern von Wahrnehmung, mit vorfindlichen Theorien ist das Neue nicht mehr zu verstehen. Und mit den vorfindlichen Institutionen ist die Antwort nicht zu organisieren.

Wir stehen vor tektonischen Verwerfungen, vor Beben in den sozialen Strukturen, die sich vor allem in der Zunahme von Gewalt manifestieren. Wir nehmen die internationale Umwelt, etwa in Somalia oder in Afghanistan, als schwer durchschaubar, als chaotisch wahr. Das sind Indizien für mangelnde analytische Einsicht. Krieg, bis 1989/90 weitgehend im Kondominium der Supermächte reguliert, ist nach Europa zurückgekehrt. Trotz aller Bewältigungsversuche – wir stehen fassungslos vor dem Inferno an Gewalt, das sich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft abgespielt hat und abspielt.

Ein zweites Indiz, dass wir wenig begreifen, selbst die Militärs sind verwirrt: Anstelle der mechanisierten und totalen Kriege der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, in der gewaltige Heere etwa in großen Panzerschlachten aufeinander trafen, sind irreguläre militärische Auseinandersetzungen getreten. Doch haben wir es nicht einfach mit einem Remake von Geschichte zu tun. Krieg zwischen Staaten der westlichen Sphäre erscheint uns heute als ausgeschlossen. Aber um diese herum ist Krieg. „Krebsartig breitet sich ein neuer Typ von Konflikt aus, auf den die alte Doktrin nicht passt: Gruppenkonflikte innerhalb zerfallender Staaten ohne erkennbare Zentralgewalt, häufig mit mehr als zwei Parteien, von denen keine eindeutig legitimiert ist und denen Gewalt zum Selbstzweck wird“, schreibt Hans Michael Kloth im SPIEGEL. Den Vereinten Nationen machen vor allem die unklaren Verantwortungsmuster zu schaffen. „In der Vergangenheit konnte man bei einem Waffenstillstand davon ausgehen, dass die Militärs von einer Regierung kontrolliert werden“, klagt Bernard Miyet, bis Herbst 2000 Unter-Generalsekretär der UN für friedenserhaltende Maßnahmen. „Jetzt sehen wir uns Gruppen gegenüber, bei denen es manchmal schwer ist nachzuvollziehen, welche politischen Ziele sie verfolgen.“

Der vormalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali, hat 1995 anlässlich des 50. Jahrestages seiner Organisation das Problem in seinem »Supplement zur Agenda für den Frieden« mit den folgenden Worten beschrieben: „Viele der Konflikte von heute ereignen sich innerhalb der Staaten und nicht zwischen Staaten. Das Ende des Kalten Krieges hat Hemmnisse verschwinden lassen (…) Im Ergebnis ist es zu einer Flut von Kriegen in neuerdings unabhängigen Staaten gekommen, die häufig einen religiösen oder ethnischen Charakter aufweisen, und in denen es oft zu ungewöhnlichen Gewalttaten und Grausamkeiten kommt. Das Ende des Kalten Krieges scheint zudem zum Ausbruch solcher Kriege in Afrika beigetragen zu haben.“

Leslie H. Gelb, Präsident des einflussreichen US-Council on Foreign Relations, widmet sich im Eröffnungsbeitrag der Weihnachtsnummer 1994 von »Foreign Affairs« in vergleichbarer Weise der Frage, was (Untertitel) „die fortwährende Herausforderung der neuen Welt“ nach dem Ende des Kalten Krieges sei. Nach beschwörenden Appellen, auf den Kern des Friedensproblems zu kommen („Die Frage des strategischen Fokus ist ausschlaggebend. Keine Strategie kann Erfolg haben, wenn sie nicht die gefährlichste Bedrohung angeht und diese zutreffend bestimmt“) gelangt er zu einem ähnlichen Ergebnis wie kurz nach ihm der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Nicht die nukleare Proliferation, nicht Russland, nicht das wiedervereinigte Deutschland (!) nicht neue chinesische Bestrebungen oder auch Handelskriege bildeten das Problem (wiewohl Leslie H. Gelb findet, wobei besonders der Fingerzeig auf Deutschland hierzulande Beachtung finden sollte: „All are serious“), sondern: „Das Kernproblem bleiben Kriege nationalen Zerfalls, ein beständiger Rückgriff auf unbürgerliche Bürgerkriege (uncivil civil wars), sich in ihre Bestandteile auflösende zerbrechliche aber halbwegs funktionierende Nationalstaaten, die an der Wohlfahrt der stabilen Nationen nagen.“

Diese »Kriege nationalen Zerfalls« bestimmt Boutros-Ghali in seinem »Position Paper« genauer: „Die neue Saat von innergesellschaftlichen Konflikten weist gewisse Eigenheiten auf, die die UN-Peacekeeper mit Herausforderungen konfrontieren, wie sie diese seit dem Kongo-Einsatz in den frühen sechziger Jahren nicht mehr erlebt haben. Diese Konflikte werden gewöhnlich nicht nur von regulären Streitkräften ausgefochten, sondern von Milizen und bewaffneten Zivilpersonen, die wenig Disziplin zeigen, und deren Kommandostränge unklar bleiben. Oft handelt es sich um Guerillakriege ohne deutliche Frontlinien. Zivilisten sind die Hauptopfer und häufig auch die Hauptziele. Humanitäre Katastrophen sind alltäglich, und die Verantwortlichen in den Kämpfen, wenn man sie überhaupt als Verantwortliche bezeichnen kann, vermögen nicht, damit zu Rande zu kommen.“

Der Generalsekretär der Organisation für Afrikanische Einheit, Salim Ahmed Salim, bestätigt für Afrika die Feststellung von Boutros-Ghali: „Ein gemeinsamer Grundzug aller Konflikte – von Liberia bis Somalia, von Angola zum Sudan und von Ruanda bis Mozambik und Südafrika – ist, dass es die verwundbarsten Gruppen sind, die am meisten betroffen sind, und die verletzbarsten unter diesen allen sind unschuldige Kinder.“

In der Äußerung des UN-Generalsekretärs bleibt hervorzuheben, dass die Kämpfe „mit ungewöhnlicher Gewalt und Grausamkeit“ ausgetragen werden. Viele der Bluttaten sind denn auch eher als Pogrome denn als militärische Handlungen zu werten, die den Maßgaben der Haager Landkriegsordnung folgen. Dass „Zivilisten Hauptopfer und häufig auch Hauptziele“ sind, so der Generalsekretär weiter, spricht allen Traditionen von der Einhegung des Krieges, allen Auffassungen vom neuzeitlichen soldatischen Handwerk Hohn.

Die Kriege des 21. Jahrhunderts widerspiegeln die tiefe Spaltung der Welt in eine von zwischenstaatlichem Krieg freie Wohlstandsinsel, geografisch beschränkt auf Westeuropa, die USA und Japan, und großen Regionen im vormals realsozialistischen Territorium, in Afrika und anderen Teilen der Welt, die den Anschluss an die wirtschaftliche, technologische und kulturelle Entwicklung der Moderne nicht schaffen. Diese Dichotomie zwischen Zentrum und Peripherie setzt sich im Militärischen fort. Das affluente Zentrum perfektioniert die Möglichkeiten der Hightech-Kriegführung, schafft sich so erweiterte Handlungsräume für die Durchsetzung eigener Interessen und auch zum gelegentlichen Intervenieren in der Peripherie aus so genannten humanitären Gründen. Der qualitative Rüstungswettlauf schreitet erstaunlicherweise ungebrochen fort.

Die »humanitäre Intervention«, nebenbei gesagt, ist keineswegs eine Erfindung unserer Tage. Vor hundert Jahren nutzten die europäischen Großmächte eben dieses Konzept, um im niedergehenden osmanischen Reich im Namen von christlichen Minderheiten Stützpunkte auf Zypern, im Libanon und anderswo zu ergattern.

Die Weltbank hat 1997 den niedergehenden Staat und dessen Verbindung mit Krieg zum zentralen Thema ihres Jahresberichtes gemacht. „In den letzten Jahren“, heißt es dort, „sind in einer wachsenden Zahl von Ländern faktisch alle Funktionen und Institutionen, oftmals im Zusammenhang mit einem Bürgerkrieg, zusammengebrochen.“ Die Institutionen mögen noch Bestand haben, sie leisten aber kaum etwas. Daneben gibt es implodierte Staaten. Der Bericht nennt Afghanistan, Kambodscha, Liberia und Ruanda. Schauplätze, wie es im Bericht heißt „für einige der schlimmsten humanitären Katastrophen.“ Es handelt sich aber nicht lediglich um ein Problem dieser Gesellschaften. „Diese zogen oft die Nachbarländer“, fährt der Weltbankbericht fort, „durch Gewalt, Banditentum und Flüchtlingsströme in Mitleidenschaft. Sie warfen Länder zurück, zerstörten wirtschaftliche Anlagen und die Infrastruktur, beanspruchten gewaltige Summen an internationaler Hilfe – und forderten natürlich zahllose Menschenleben.“

Von den Wohlstandsinseln des Nordens hier militärisch mit überlegenen Mitteln einfach dazwischen zu hauen, wird gar nichts lösen. Um den Weltbankbericht nochmals zu zitieren: „In Angola, Liberia und Somalia entstand zum Beispiel eine sich selbst tragende Wirtschaft der bewaffneten Gewalt, die auf Plünderung, auf Erpressung unter Gewaltandrohung, Drogenhandel, Geldwäsche, Raubbau an Tropenholz sowie Ausbeutung der Bodenschätze wie Edelsteine und Mineralien beruhte.“

In Liberia, im Kongo oder auch in Mosambik hat sich eine Bürgerkriegsökonomie herausgebildet, die in sich einigermaßen stabil ist, die nunmehr seit Jahren der Bevölkerung ein kärgliches Überleben gestattet. Diese Kriegsökonomien sind nunmehr offen, mit den Weltmärkten für Waffen, Drogen und Diamanten direkt verknüpft. Eine besondere Rolle spielen humanitäre Schutzzonen. „Das humanitäre Schutzgebiet stellt eine echte Revolution für die Kriegsökonomien dar“, schreibt Jean-Christophe Rufin, einer der Herausgeber des ersten Sammelwerkes zu diesem Thema. „Ein humanitäres Rückzugsgebiet eröffnet der Guerilla eine rückwärtige Basis in einem Nachbarland, die nicht durch eine Grenze, sondern vor allem durch die Präsenz von zivilen Flüchtlingsmassen geschützt ist, die überdies von der internationalen Gemeinschaft versorgt werden.“

Als Hauptinstrumente der neuen Kriegsökonomien gibt Rufin Raub und organisierte Kriminalität an. Auch betont Rufin die Bedeutung internationaler Vernetzung dieser Bürgerkriegswirtschaften: „Die Konflikte sind Teil einer Schattenwirtschaft, deren Beziehungen sie prägen und sie als Ausgangs- (Export von lokalen Produkten) und Endpunkt (Import von Waffen und Subsistenzmitteln) haben. Ganze Ketten von geheimen Stützpunkten sind nötig: Verbindungsstationen jenseits der Grenze (im Fall einer Blockade oder Überwachung kann das geschulte Schmugglerbanden erfordern), in benachbarten oder entfernteren Ländern und in den reichen Ländern, wo immer die eigentlichen Bestimmungsorte liegen.“

Die Forschung zu diesen Bürgerkriegsökonomien ist jung. Wir beginnen langsam zu verstehen, wie diese neuen Kriegswirtschaften im Gegensatz zur althergebrachten Kriegsökonomie funktionieren (diese hatten im Gegensatz zu den heutigen Verhältnis das Leitziel der Autarkie). Und wir begreifen, dass die alten Gegenmittel, etwa Embargos, gegen diese vernetzten Ökonomien noch weniger auszurichten vermögen als bisher.

Ein neuer Sicherheitsbegriff

Die Rede vom erweiterten Sicherheitsbegriff nach dem Ende des Kalten Krieges ist sattsam bekannt. Der Sicherheitshaushalt der Zeitgenossen bekam neben der militärischen weitere Dimensionen: Es geht in unserem Weltteil auch um ökologische, um soziale Sicherheit. Mein österreichischer Kollege Anton Pelinka hat das kürzlich auf den Begriff gebracht: „Es gibt keine nationale Sicherheit mehr, die nicht von einer transnationalen Sicherheit ausgeht. Und es gibt keine militärische Sicherheit, die nicht auch und wesentlich wirtschaftliche und ökologische, kulturelle und religiöse Herausforderungen mit berücksichtigt. Vor allem aber gibt es keine äußere Sicherheit, die nicht auch die innere berücksichtigt und umgekehrt.“

Die Bedrohungen der Umwelt, wachsende Ozonlöcher, Temperatursteigerungen infolge von CO2-Emissionen, die das Polareis abschmelzen und die Meeresspiegel steigen lassen, die systemische Bedrohung des Überlebens nicht unserer Spezies, sondern von Leben überhaupt, bedürfte eigentlich zur Bekämpfung eben jener Milliarden, die hierzulande weiterhin für militärische Rüstung ausgegeben werden. Und sie bedürfte auch der Wissenschaftsressourcen, die weiterhin der Priorität Rüstungstechnik gewidmet werden.

Die zweite große Katastrophe bleibt der ausbleibende Entwicklungsfortschritt in der so genannten Dritten Welt und das damit verbundene Leiden am Mangel für die Mehrheit derjenigen Menschen, die heute leben. 1960, 1970, 1980 wurden mit Fanfaren Entwicklungsdekaden proklamiert. Heute verkündet niemand mehr eine neue Entwicklungsdekade. Afrika wird zum sprichwörtlich vergessenen Kontinent, viele Staaten dort versinken in inneren Kriegen, der große Traum vom Aufstieg durch Entwicklung verfliegt, Staatlichkeit, die all dies organisieren sollte, zerfällt.

Für mich am überzeugendsten hat die ILO, die International Labour Organisation, diese Entwicklung auf den Begriff der »Human Security« gebracht. Es geht gewiss weiterhin um Sicherheit von Menschen vor äußerer Gefahr oder auch Gewalt im Inneren eines Landes. Daneben aber steht das Begehren, soziale Sicherheit zu haben, ökologisch gesichert zu leben. Menschliche Unsicherheit wird, noch vor Unsicherheit vor äußerer Gefahr, von der ILO beschrieben mit ungesicherter Ernährung, unsicherer Bleibe, ungewissem Gesundheitszustand, unsicherer Beschäftigung und Einkommen. Human Security, menschliche Sicherheit, bedeute ein auskömmliches Leben, Arbeit, ein Minimum an sozialer Sicherheit. Und wir müssen wiederum hinzufügen: Unter Bedingungen von Nachhaltigkeit, die nächste Generation soll auch leben (können).

Der grundsätzliche Schritt der ILO und konzertierende Aktionen anderer UN-Organe erfolgen nicht zufällig. Behutsam wollen diese Weltinstitutionen, nachdem die Friedensdividende nach Ende der militarisierten Ost-West-Konfrontation sich nicht wie erhofft eingestellt hat, unter ihren Mitgliedern eine Reflexion einleiten, was denn nun tatsächliche Prioritäten sind. In westlicher Sicht sieht dies sehr verdächtig danach aus, dass einmal mehr mit der Mehrheit der UN-Mitglieder Druck ausgeübt werden soll, die immer noch hohen Militärausgaben anderen Zwecken zuzuführen, von Hightech-Projekten wie dem NMD-Vorhaben abzugehen. Von der Agenda der Völkergemeinschaft her ist diese Prioritätenliste klar: Nicht die Produkte, der outcome militärischen Denkens, aber dessen enorme Fähigkeiten sind gefragt, um Human Security voranzubringen.

Das Handeln von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren

Naturwissenschaftler haben hier ein Mandat, das ist mindestens geklärt, seit Siegmund Freud im Jahre 1932 auf die Frage Albert Einsteins antwortete, was man tun könne, „um das Verhängnis des Kriegs von den Menschen abzuwehren.“ Einstein entwickelte seine Haltung in vier Stufen, die hier skizziert werden sollen. – Freuds Antwort auf die Einladung Einsteins zum Gedankenaustausch:

„Ich erschrak zunächst unter dem Eindruck meiner – fast hätte ich gesagt: unserer – Inkompetenz, denn das erschien mir als eine praktische Aufgabe, die den Staatmännern zufällt.“

Sich vom Schreck erholend, fährt Freud fort: „Ich besann mich auch, dass mir nicht zugemutet wird, praktische Vorschläge zu machen, sondern dass ich nur angeben soll, wie sich das Problem der Kriegsverhütung einer psychologischen Betrachtung darstellt.“

Darum geht es: Naturwissenschaftler, Vertreter anderer Disziplinen „sollen nur angeben“, ich paraphrasiere Freud in seiner Antwort an Einstein, „wie sich das Problem der Kriegsverhütung“ in der Sicht ihrer Disziplin darstellt.

Einstein selber meinte 18 Jahre später, mittlerweile gab es Atomwaffen, der Wissenschaftler müsse nicht lediglich interdisziplinär das Kriegsthema erörtern, sondern er müsse – so sein zweiter Schritt – auf Volkes Wille setzen: „Ich bin überzeugt“, schrieb er 1950, „die verantwortlichen Machthaber müssten ihre verhängnisvolle Haltung ändern, wenn Meinung und Wille der Mehrheit der Menschen wirksam zum Ausdruck gebracht werden könnten.“

Sechs Jahre später vollzieht Einstein den Schritt weg vom Konjunktiv und wendet sich gemeinsam mit Bertrand Russel 1956 in einem dritten Schritt mit dem bekannten Manifest an die allgemeine Öffentlichkeit; der Naturwissenschaftler und der naturwissenschaftlich gebildete Philosoph konstatieren, dass der Weg in eine friedvollere Welt die Abkehr von der Nuklearrüstung erfordere.

Schon 1932 hat sich Albert Einstein, Ulf Wolter zufolge, mit dem Gedanken getragen, eine weltweite Umfrage zum Kriegsthema zu lancieren. Mit Blick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die jedermann das Recht, die Pflicht und auch die gesetzlich geschützte Möglichkeit zuspricht, sich direkt an der Gestaltung und der Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes zu beteiligen, wäre – übertragen auf heute – jedermann zu befragen, wie er etwa zu dem US-amerikanischen Projekt einer nationalen Raketenabwehr (NMD) steht. Das wäre der vierte Schritt im Denken Einsteins gewesen – eine konsultative Urabstimmung zum Thema Rüstung und Krieg.

Ich persönlich meine, dass das Engagement des Naturwissenschaftlers und Ingenieurs heute über die ersten drei Schritte der Befassung Einsteins mit der Kriegsproblematik hinausgehen muss. Die interdisziplinäre Erörterung dessen, was vorgeht, ist selbstverständliche wissenschaftliche Pflicht, reicht aber politisch bei weitem nicht hin. Auch auf den allgemeinen Willen der Öffentlichkeit zu setzen, so die den zweiten Schritt Einsteins prägende Überzeugung, wird ungenügend bleiben. Das Pugwash-Manifest, den dritten Schritt Einsteins markierend, bleibt hoch verdienstlich und hat eine bedeutsame internationale Nichtregierungs-Organisation von Wissenschaftlern ins Leben gerufen. Die alljährlichen Appelle dieser mit dem Friedensnobel-Preis ausgezeichneten Bewegung finden allerdings nur ein geringes Echo. Die Interaktion von Wissenschaft und Politik, sollen dissente Anliegen der Wissenschaftler politikfähig werden, bedarf augenscheinlich radikaler Mittel der Einmischung, welche Albert Einstein seit 1932 bewegt haben, und welche hier als vierte Stufe seines Engagements gedeutet wurden. Einstein hat das Projekt einer universalen Befragung nie konkret betrieben. Angesichts von NMD-Phantasien in den USA ist es an der Zeit, seine Idee wirklich zu prüfen, wenn es um Antworten auf diese neue amerikanische Herausforderung geht.

Prof. Dr. Ulrich Albrecht lehrt an der FU Berlin. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung