Musealer Militarismus

Musealer Militarismus

Das Tamm-Museum in Hamburg

von Hans Walden

In Hamburg gibt es am Rand der neuen HafenCity ein neues Großmuseum: das Internationale Maritime Museum Hamburg (IMMH). Da es auf der riesigen Sammlung beruht, die der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags, Peter Tamm, zusammengetragen hat, ist es allgemein unter dem Namen »Tamm-Museum« bekannt. Es ist ein Privatmuseum, doch wäre seine Realisierung im alten Kaispeicher B ohne die großzügige finanzielle Förderung durch die Stadt Hamburg nicht möglich gewesen. Die Eröffnung des Museums am 25. Juni 2008 versammelte über 800 geladene Gäste. In einem symbolischen Akt hissten Peter Tamm, hinter ihm Bundespräsident Horst Köhler und Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust gemeinsam die Museumsflagge.

Wenn über Tamms Sammlung berichtet wird, werden häufig zunächst beeindruckende Zahlen zu ihrem quantitativen Umfang genannt: 1.000 große und 36.000 kleine Schiffsmodelle, 5.000 Gemälde, 1.000 Uniformen, 120.000 Bücher, 50.000 Schiffbaupläne und rund 1,5 Millionen Fotografien sollen zu ihr gehören. Den Ursprungsmythos bildet eine rührende Geschichte von 1934, die Tamm immer wieder gerne erzählt: Damals habe seine Mutter ihm das allererste kleine Modell von einem Küstenmotorschiff geschenkt, und seitdem habe ihn die Sammelleidenschaft nicht mehr losgelassen.

Bisher war die Sammlung in einer großen Villa an der Elbchaussee 277 untergebracht. Den Besuchern, die sie sich dort nach Voranmeldung ansehen konnten, konnte kaum entgehen, dass Militaria aller Art einen großen Teil, gewissermaßen das »Herz« der Gesamtsammlung ausmachen und dass eine besondere Vorliebe des Sammlers Stücken aus Kaisers und Führers Zeiten gilt. Aufgrund der von einem Millionenvermögen begünstigten Sammelleidenschaft Tamms reichten die Räumlichkeiten bald nicht mehr aus; die Suche nach einem neuen Standort begann. Schon 2001 bot Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) Tamm an, für die Sammlung einen Museumsstandort in der geplanten HafenCity zur Verfügung zu stellen.1 Der in demselben Jahr gebildete neue Senat, der sich auf eine Rechtskoalition der CDU mit der Schill-Partei und der FDP stützte, setzte die Bemühungen um Tamms Sammlung verstärkt fort. 2003 gab Bürgermeister Ole von Beust bekannt, dass der inzwischen gegründeten Peter Tamm Sen. Stiftung der älteste Hamburger Kaispeicher am Rand der HafenCity kostenlos für 99 Jahre überlassen und im Kulturetat für die Herrichtung des Museums 30 Millionen Euro bereitgestellt werden sollten. Parteiübergreifend war man sich einig, dass sich Hamburg die als »einzigartig« gepriesene Sammlung als neuen touristischen Anziehungspunkt sichern sollte – welches Geschichtsbild dort vermittelt werden würde, schien irrelevant. Die Hamburger Bürgerschaft stimmte der Planung im Februar 2004 ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der GAL-Fraktion zu, und im Juni 2004 wurden die Verträge zwischen Tamm und der Stadt Hamburg unterzeichnet. Wenige Tage später wurde bereits die erste Rate von 15 Mio. Euro an die Tamm-Stiftung überwiesen. Ein Museumskonzept, das diesen Namen verdient hätte, lag bis dahin nicht vor.

Initiativen aus dem außerparlamentarischen Raum sorgten 2005 dafür, dass die unreflektierte Begeisterung für dass Tamm-Museum zumindest gestört wurde. Der »Informationskreis Rüstungsgeschäfte in Hamburg« brachte die Dokumentation »Tamm-Tamm« heraus, die, wie der Untertitel besagt, als „Anregung zur öffentlichen Diskussion über das Tamm-Museum“ gedacht war. Der Autor legte darin die Ergebnisse seiner Recherchen über Peter Tamm, den Militaria-Bereich seiner Sammlung und über das Museumsprojekt vor. Daraus wurde deutlich, dass die Stadt, obwohl sie die Herrichtung des Museums finanzierte, jede Möglichkeit zur inhaltlichen Einflussnahme aus der Hand gegeben hatte. Klar formuliert wurde in der Schrift die Ablehnung eines Museums, das ein einseitiges Bild von (See-)Krieg und Rüstung transportieren würde, das Militaristen, Heldenverehrer und Waffennarren anziehen würde. Die zehn in der Schrift abgedruckten Fragen an die Kultursenatorin Karin von Welck ließ diese zwar unbeantwortet, doch in einigen nicht zum Springer-Konzern gehörenden Medien wurde der kritische Ansatz aus »Tamm-Tamm« aufgegriffen. Im August 2005 ließ eine größere Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern eine beispiellose Aktion anlaufen, die die Mitglieder des Landesparlaments, der Hamburger Bürgerschaft, an ihre politische Verantwortung erinnern sollte. Die Initiatoren von »Tamm-Tamm – Künstler informieren Politiker« (kurz KiP) gingen davon aus, dass die Abgeordneten in Unkenntnis der Sachlage dem Museumsprojekt zugestimmt hätten. Deshalb wurde jedem Bürgerschaftsmitglied nicht nur die Schrift »Tamm-Tamm« zugeleitet, sondern auch ein Künstler oder eine Künstlerin zugeordnet, um im persönlichen Kontakt einen Austausch von Informationen und Argumenten herbeizuführen. Die vielfältigen Ergebnisse dieser Kontaktaufnahmen bzw. Kontaktversuche, die von intensiver Auseinandersetzung bis hin zu totaler Gesprächsverweigerung reichten, können im Internet studiert werden.2

Von diesen Aktivitäten und Diskussionen erfuhr ein großer Teil der Hamburger Öffentlichkeit allerdings nichts. Denn die Springer-Zeitungen, die mit »Bild«, »Hamburger Abendblatt«, und »Welt« den städtischen Printmedienmarkt beherrschen, übernahmen mit einer ausschließlich positiven Berichterstattung über das Museumsprojekt die Funktion einer PR-Agentur und ließen keinen kritischen Gedanken über das Museumsprojekt ungefiltert an die Leserschaft gelangen. Die Tamm-Stiftung in Person der Geschäftsführerin Russalka Nikolov gab zu wesentlichen Fragen der inhaltlichen Ausstellungskonzeption selbst im Kulturausschuss der Bürgerschaft keine oder irreführende Antworten. Tamm selbst konnte die Kritiker pauschal diffamieren („echte Hetze“, „Klugscheißer“), ohne sich mit deren Argumenten auseinanderzusetzen. Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck stellte sich unbeirrt hinter die Tamm-Stiftung.

Dass das IMMH – übrigens 34 Monate nach dem ursprünglich angekündigten Datum – eröffnen konnte und dass die Kritiker es so schwer hatten, überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden, hängt zweifellos mit der Person des nunmehr 80jährigen Museumsgründers zusammen. Peter Tamm ist seit Jahrzehnten einer der einflussreichsten Gestalten im deutschen Presse- und Verlagswesen. Hatte seine Karriere 1948 als Schifffahrtsredakteur beim »Hamburger Abendblatt« begonnen, stand er von 1970 bis 1991 als Vorstandsvorsitzender an der Spitze des Axel Springer Verlags. Wegen seines autoritätsbewussten Führungsstils und seiner von ihm selbst eingeräumten »Marinemeise« nannte man ihn schon damals hausintern den »Admiral«.

Viele Äußerungen von Peter Tamm zeugen von einem sozialdarwinistischen und rechtslastigen Weltbild. „Kampf ist nun mal die Basis der Natur“, lautet sein Credo. „Die ganze Natur besteht ausschließlich aus Fressen und Gefressenwerden. Nur der, der sich wehren kann, überlebt auch.“ Ein „Totalfrieden“ wäre vielleicht schön, aber „wider die Natur.“ 3 Die Seefahrt sei eine „grandiose Auslese für Menschen überhaupt“. Gerne verbreitet er auch aus der Schifffahrt abgeleitete Analogien für einen autoritären Staat: Auf der Brücke brauche man keinen Ausschuss, sondern einen Kapitän, der entscheidet. Tamm bedauert noch heute, dass ihm die deutsche Niederlage 1945 die Karriere in der Kriegsmarine verdarb. Nach seiner Aussage hat er noch in den letzten Kriegstagen – obwohl er damals erst 16 Jahre alt war – als Seekadett auf dem Marineschulschiff »Gorch Fock« gedient.

Darüber hinaus ist von Interesse, dass Tamm selbst Verleger von Militär- und Schifffahrtspublikationen ist. Die von ihm erworbene Koehler-Mittler-Verlagsgruppe legt eine rege Publikationstätigkeit an den Tag. Besonders zu erwähnen ist aus dieser Gruppe der Verlag E.S. Mittler & Sohn GmbH. Schon in Preußen zum führenden Militärverlag aufgestiegen, brachte er nach der Reichsgründung eine Flut von Literatur zur Stärkung von Deutschlands Kriegsbereitschaft und -fähigkeit heraus. Ab 1932 vermischte sich bei Mittler Militärfach- zunehmend mit NS-Propagandaliteratur. Ein Schwerpunkt des Mittler-Verlagsprogramms liegt heute auf Darstellungen zum Einsatz von Wehrmachtsteilen im Zweiten Weltkrieg und zur Entwicklung bestimmter Waffen. Auch geschichtsrevisionistische Autoren der rechtsextremen Szene wie Franz Uhle-Wettler und Walter Post haben hier Bücher publizieren können. Zugleich arbeitet der Mittler-Verlag mit der Bundeswehr zusammen. Hier erscheinen für die militärinterne Kommunikation wichtige Zeitschriften wie »Europäische Sicherheit« und »Marineforum«. 2001 erhielt Tamm das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold.

Krieg – Militär – Rüstung: was das IMMH zeigt und was es verschweigt

Das Museum weist eine erschlagende Fülle an Exponaten auf, die sich, wenn man den Eingangs- und ebenerdigen Außenbereich mitrechnet, auf zehn Ebenen oder »Decks« verteilen. Noch 2005 war in der »Welt« zu lesen, 90 Prozent der Fläche würden der zivilen Schifffahrt, der Wissenschaft und der Tiefsee gewidmet sein, der Rest – mithin nur 10 Prozent – würde die Marine-Welt zeigen.4 Herausgekommen ist etwas anderes: Die beiden Mitteletagen 4 und 5 stehen komplett im Zeichen des Militärisch-Kriegerischen, und auf den meisten anderen Decks gibt es neben den zivilen auch zahlreiche militärische Exponate. Ganz ohne solche kommt das Museum eigentlich nur auf den Decks 6 und 7 aus, auf denen es um die zivile Handels- und Passagierschifffahrt sowie die Meeresforschung geht.

Als Logo des Museums ist die Vorderansicht eines Wikingerschiffs vor dem Hintergrund einer Weltkugel gewählt worden – warum, lässt sich fragen, wird damit auf jene germanisch-skandinavischen Seekrieger Bezug genommen, die im 9. und 10. Jahrhundert durch ihre Raubzüge große Teile Europas in Angst und Schrecken versetzten und im Jahr 845 auch Hamburg verheerten? Hätte darüber hinaus nicht das Wissen um den Wikinger-Kult im Nationalsozialismus und im Neonazismus von der Wahl eines solchen Logos abraten müssen?

Vor dem Eingang stehen zwei Kanonen. Sie sollen von dem Kriegsschiff »Foudroyant« stammen, das von 1799 bis 1801 Admiral Nelson als Flaggschiff diente. Dies ist eine Ehrbezeugung Peter Tamms für den Mann, den er als „größten Flottenführer aller Zeiten“ seit seiner Kindheit bewundert. Im Museum begegnet man Nelson noch wiederholt: Zu den Schaustücken gehören auf dem 2. und 9. Deck eine effektvoll angestrahlte Replik einer »Lebendmaske«, Briefe des Admirals, Gemälde und dreidimensionale Nachbildungen (Dioramen) seiner Seeschlachten. Im ebenerdigen Außenbereich des Museums dominieren zwei restaurierte »Wunderwaffen« aus der Untergangsphase des so genannten Dritten Reichs das Bild: Klein-U-Boote der Typen »Seehund« und »Molch«. Auf vielen Decks herrscht das Prinzip der miniaturisierten Nachbildung und mit ihm der Blick von oben. Im Kinderbereich auf dem ersten Deck wird den Kleinen durch eine Militärkapelle aus Spielzeugfiguren das Marschieren näher gebracht. Direkt neben dem „schwimmenden Klassenzimmer“ ist die Modellbauwerkstatt angeordnet, in der anscheinend überwiegend Kriegsschiffsmodelle hergestellt werden. Auch bei den meisten der aus Tierknochen, Bernstein, Elfenbein und anderen Materialien gebauten Segelschiffsmodelle, die in der „Schatzkammer“ auf dem 8. Deck ausgestellt sind, handelt es sich um Kriegsschiffe. Das 9. Deck ist das Reich der ganz kleinen Modelle. Zu tausenden stehen die Kriegs- und Handelsschiffe aufgereiht. Hier haben auch Modelle von U-Boot-Bunkern, die die deutsche Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg in Frankreich errichten ließ, ihren Platz gefunden.

Der Hamburger Öffentlichkeit hat Peter Tamm vorgemacht, er sei ein Nachfahre des Hamburger Konvoischiffkapitäns Martin Tamm, der im 18. Jahrhundert als Kommandant der »Wappen von Hamburg III« – dies war damals der Stadt größtes Kriegsschiff – Hamburgs Handelswege beschützt habe. Nur: Erstens hatte der 1745 gestorbene Martin Tamm keine Nachfahren, und zweitens war die »Wappen von Hamburg III« gerade kein Inbegriff hansestädtischer »Wehrhaftigkeit«, sie erwies sich vielmehr als teure Fehlinvestition. Dessen ungeachtet schwebt ein gewaltiges Modell dieses Schiffs pathetisch auf dem 2. Deck des neuen Museums, vor dem Hintergrund einer riesigen Vergrößerung einer sich mächtig auftürmenden Meereswelle, die Johannes Holst 1913 malte. Ein Fall von arrangierter Geschichts- und Naturdramatik.

Das 2. Deck steht zwar laut Museumsführer unter dem Motto „Mit dem Wind um die Welt: Schiffe unter Segeln“, doch im Kern geht es hier um den Aufstieg immer neuer Seemächte in der Weltgeschichte. Vermittelt werden soll hier eine navalistische Grundlektion: Wer die besten Seestreitkräfte und die beste Seekriegstechnik besitzt, beherrscht den Handel und besitzt die Macht. Dass Schifffahrt auch etwas mit Sklavenhandel, Kolonialismus und Ausbeutung zu tun hatte, wird in kleineren Ausstellungseinheiten dargestellt, doch bleiben die hierzu gegebenen Informationen ausgesprochen selektiv. Zur Veranschaulichung von Brandenburgs Flotten- und Überseepolitik im späten 17. Jahrhundert wird ein Gemälde von der Fregatte »Friedrich Wilhelm zu Pferde« in einer Seeschlacht gezeigt. Über den Marinemaler Adolf Bock, von dem das Historienbild stammt, wird nichts mitgeteilt. Bemerkenswert wäre es schon: Im Zweiten Weltkrieg belieferte er den »Völkischen Beobachter« mit Propagandabildern von deutschen Seekriegserfolgen, und auf Kosten Hitlers, der ihn später zum Professor berief, wurde ihm 1941 in Berlin eine geräumte »Judenwohnung« renoviert.5

Wenden wir uns den beiden Decks zu, die ausschließlich militärische Exponate zeigen. Dem 4. Deck haben die Ausstellungsmacher das Motto „Dienst an Bord – im Zeughaus der Geschichte“ gegeben. Um die realen Lebensbedingungen der einfachen Marinesoldaten an Bord geht es hier indessen nicht. Ein guter Teil dieses Bodens wird von Tamms großer Sammlung an Handwaffen eingenommen. Lange Vitrinen mit Tötungsinstrumenten und Ehrenwaffen verschiedenster Art – Wikingermesser, Degen, Säbel, Dolche, Pistolen, Revolver, Gewehre bis hin zur Kalaschnikow – reihen sich aneinander. Ohne erkennbaren maritimen Bezug wird auf einer großen Wandgraphik versucht, die Evolution des waffentragenden Menschen zu veranschaulichen: vom affenartigen Vormenschen, der zum Faustkeil greift, über verschiedene Kriegertypen der Vergangenheit hin zum volltechnisierten Kämpfer der Gegenwart. Die Auffassung von der Waffe als dem naturgegebenen Attribut des Mannes ist hier visualisiert.6

In Reih und Glied perfekt angeordnet, füllen militärische Kopfbedeckungen und Uniformen die nächsten Vitrinen. In einem großen Glasraum sind 57 gespensterhaft wirkende Uniformpuppen aufgestellt. Auf engstem Raum vereint sind hier u.a.: der zehnjährige Prinz Adalbert (Sohn von Wilhelm II.) in der Uniform eines Leutnants zur See, der 1941 zum NS-Flottenchef ernannte Admiral Otto Schniewind, Vizeadmiral Frank der Bundesmarine in einer Gefechtsuniform von ca. 1998 und Korvettenkapitän Hans Kolbe aus der »Marinebrigade III Freikorps Loewenfeld«, einer militärischen Formation, die 1920 den rechtsradikalen Kapp-Putsch unterstützte. Die Uniformfigur von Hitlers Großadmiral Erich Raeder, als Kriegsverbrecher 1946 zu lebenslanger Haft verurteilt, kommt zusammen mit seinem Großadmiralsstab in einer Einzelvitrine glanzvoll zur Geltung. Die Militärseelsorge der NS-Zeit ist mit dem Talar und Dienstanzug eines Marinepfarrers und dem »Katholischen Gesang- und Gebetbuch für die Kriegsmarine« vertreten. Nicht thematisiert sind die Marinerichter und ihre Todesurteile.

Der heroisierende Personenkult, der auf dem 4. und auch auf dem 5. Deck um deutsche Marineoffiziere getrieben wird, vermittelt sich vor allem über die ausgestellten Militärorden. Zu diesen Offizieren gehört etwa Großadmiral Henning von Holtzendorff, der sich 1916/17 für die folgenschwere Verschärfung des U-Boot-Kriegs einsetzte. Aus dem Begleittext zum bekanntesten deutschen U-Boot-Kommandanten des Ersten Weltkriegs, Otto Weddigen, ist zu erfahren, dass er für die Versenkung von drei britischen Panzerkreuzern als erster Seeoffizier den Orden Pour le Mérite erhielt, nicht aber, dass allein bei dieser Aktion etwa 1.500 Briten getötet wurden. Gezeigt wird dafür eine Samentüte für Stangenbohnen, Sorte »Kapitän Weddigen«. Das Betonen der großen Kriegstat und das Verschweigen ihrer Folgen für die Opfer der Gegenseite wiederholt sich in diesem Museumsbereich ständig, z.B. auch bei den Exponaten, die an den „erfolgreichsten“ deutschen Marineflieger des Ersten Weltkriegs, Friedrich Christiansen, und an die beiden „erfolgreichsten“ U-Boot-Kommandanten des Zweiten Weltkriegs, Otto Kretschmar und Wolfgang Lüth, erinnern.

Drei Leitfiguren des wilhelminischen Imperialismus, mit denen sich Tamm offenbar verbunden fühlt, treten den Besuchern – wie schon im Haus an der Elbchaussee – auf Deck 5 in Gestalt lebensgroßer Puppen gegenüber: Kaiser Wilhelm II., sein Bruder Prinz Heinrich und Großadmiral Tirpitz. In der Ecke, in der die Puppe von Tirpitz in Galauniform, die Tirpitz-Orden und andere Tirpitz-Reliquien versammelt sind, tönen aus einem Lautsprecher pausenlos Zitate des Großadmirals mit Begründungen für die deutsche Flottenrüstung ab 1898 – alles ohne historische Kommentierung. Werke von Marinemalern wie Willy Stöwer und Claus Bergen werden ohne Hinweis auf ihre Funktion im Rahmen der Flottenpropaganda gezeigt. Ob es um die Niederschlagung des Boxeraufstands in China, die »Schutztruppe« in den deutschen Kolonien oder die Skagerakschlacht von 1916 geht, in keinem Fall wird die Zusage der Tamm-Stiftung von 2005 eingelöst, mit Begleittexten wolle man „nicht nur die gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern auch deren Ursprünge und Ursachen in den Fokus“ rücken.

In der Vitrinenlandschaft des 5. Decks liegt ein Schwerpunkt auf Tamms großen Kriegsschiffsmodellen. Ein beträchtlicher Teil der kaiserlichen und der nationalsozialistischen Flotten sind hier versammelt. Mitunter weisen Kommentare auf den technischen »Fortschritt« bei der Erhöhung der Vernichtungseffektivität hin. In der Ausstellungseinheit »Bismarck« spiegelt sich wider, dass Tamm sowohl ein Bewunderer des Eisernen Kanzlers als auch ein Freund der traditionell stark im Kriegsschiffbau engagierten Hamburger Werft Blohm+Voss ist. Im Mittelpunkt steht ein großes Modell des Schlachtschiffs »Bismarck«, das bei der genannten Werft 1939 in Anwesenheit Hitlers vom Stapel lief. Neben dem Modell ist ein Abguss jener Bismarck-Büste platziert, die vor der Kommandantenkammer des Schiffs stand. Diesen Abguss hat die Bauwerft Blohm+Voss 1993 Tamm zum 65. Geburtstag geschenkt. Weiter gehört zu diesem Bismarck-Ensemble eine gewaltige Granate, ein Gemälde von dem getroffenen Schlachtschiff sowie die Uniform des mit dem Schiff untergegangenen Flottenchefs Günther Lütjens. Der Besucher soll staunen, von der Größe und Dramatik des Ganzen ergriffen werden, aber historische Zusammenhänge werden ihm nicht nahe gebracht. Es wird keine Vorstellung von dem Irrsinn vermittelt, dass der immense Kostenaufwand für den Bau des Schlachtschiffs schon bei dessen erstem Einsatz in den Tod von über 3.500 britischen und deutschen Soldaten mündete. Mitnehmen kann man den »Modellbaubogen Schlachtschiff Bismarck 1940«, den es unten im Museumsshop in einer „Sonderauflage mit Tarnbemalung“ zu kaufen gibt.

Im Vorfeld der Museumseröffnung war besonders darüber spekuliert worden, ob Tamm wie an der Elbchaussee auch den hakenkreuzverzierten Großadmiralsstab von Karl Dönitz, seit 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und am Ende Hitler-Nachfolger, in seinem Museum präsentieren würde. Ja, auch auf ihn wollte der Museumsgründer nicht verzichten. Nur liegt der Stab jetzt – vielleicht ein kleines Zugeständnis – nicht mehr in der Originalschatulle, sondern auf einer Tageszeitung von 1946 mit einem Artikel über die Nürnberger Urteile gegen die Hauptkriegsverbrecher.

Mit demonstrativer Selbstverständlichkeit werden die Reichskriegsfahne und mit NS-Emblemen versehene Orden und Verleihungsurkunden zur Schau gestellt. In der Vitrine für den Hilfskreuzerkommandanten Kurt Weyher sehen wir die Urkunde, mit der der „Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht“ dem Fregattenkapitän 1941 das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verlieh. In der Vitrine für den Hilfskreuzerkommandanten Rogge wird in einem Durchhaltegedicht des NS-Dichters Herybert Menzel von 1941 der Geist von Kameradschaft und Opfertum beschworen. An anderer Stelle zeigt Tamm eine Urkunde mit dem Text „Für Führer, Volk und Vaterland starb den Heldentod …“.

Zwischen all dem sind auch die heutigen deutschen Seestreitkräfte präsent, so mit Modellen der bei Blohm+Voss entstandenen Fregatte »Brandenburg« und des bei HDW in Kiel entwickelten U-Boots der Klasse 212 A. Für PR im Sinne der Deutschen Marine sorgt ein Nachrichtenlaufband, das in blauer Leuchtschrift aktuelle Mitteilungen verbreitet. Wem die Geschichte und die Gegenwart nicht reichen, kann Modelle einer »Fregatte der Zukunft« und eines „unbemannten Schnellboots der Zukunft“ studieren.

»Attraktiver Besuchermagnet« oder geschichtspolitischer Skandal?

Kultursenatorin Karin von Welck meint weiterhin, im Museum sei „eine Sammlung maritimer Kostbarkeiten“ und eine „ausführliche Darstellung des Lebensraumes Meer“ zu sehen, und es sei hier „ein attraktiver Besuchermagnet“ entstanden.7 Anlässlich der Museumseröffnung erreichten auch die Bemühungen der lokalen Springer-Presse, Begeisterung für das neue Museum zu wecken, ihren Höhepunkt. Davon unterschied sich die Resonanz in anderen Medien erheblich. Vergleichsweise gemäßigte Kritik äußerte Jens Jessen in der »Zeit« unter der Überschrift „Nippes zum Staunen“.8 Der Geist des Museums sei der „Geist der touristischen Attraktion, nicht der des Begreifens.“ Andere Beobachter fanden wesentlich schärfere Formulierungen. Im Deutschlandradio wurde etwa festgestellt, im Museum werde „mit einer zutiefst antiaufklärerischen Haltung suggeriert, dass es, einfach so, immer Kriege gab und immer geben wird.“ 9 Aus dem Presseecho seien hier noch einige prägnante Einschätzungen wiedergegeben:

Frank Keil in der Frankfurter Rundschau: „Um es äußerst freundlich zu sagen: Das Verhältnis des Hauses zur deutschen Kolonialzeit, zum Kaiserreich samt dem Ersten Weltkrieg und eben auch zur NS-Zeit ist ein nicht akzeptables und es würde sich empfehlen, diese beiden Abteilungen zu schließen und komplett zu überarbeiten.“ 10

Petra Schellen in der taz Hamburg: „Nicht einmal in den 50er-Jahren hätte man es hierzulande gewagt, ein so unkritisches Museum zu schaffen. … Tamm zielt explizit auch auf junge Besucher. Etliche werden von all der Heldenhaftigkeit und den monströsen Militaria beeindruckt sein. Die Marine als berufliche Perspektive, Krieg als gangbares, sogar »notwendiges« Mittel – all dies wird hier salonfähig gemacht.“ 11

Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung: „Es ist nicht nur die nahezu vollständige Ausblendung der menschlichen Leidensgeschichte, das Verharmlosen des Krieges als technische Entwicklungsleistung und das totale Versagen bei der historisch-kritischen Differenzierung, die diese gigantische Ausstellung so zweifelhaft macht. Die gesamte Sammlung repräsentiert mit großer Distanzlosigkeit das fetischhafte Verhältnis Tamms zu seinen Objekten. … Die staatliche Unterstützung und die Würde, die der Bundespräsident dieser Eröffnung mit seiner Anwesenheit verleiht, sind angesichts des dubiosen Inhalts des Museums ein fatales Zeichen. Wenn Herrschaftsgeschichte wieder Opfergeschichte aus dem Museum verdrängt, ist Mahnung gefragt, nicht Salbung.“ 12

Vieles ist damit gesagt. Die für den militärischen Bereich festgestellte Einseitigkeit ist auch in anderen Teilen des Museums anzutreffen. In der spielzeugartigen Vitrinenwelt des IMMH ist kein Platz für die Geschichte der Seeleute, der Hafen- und Werftarbeiter, es gibt kein Interesse, den Wandel von und die Kämpfe um Arbeitsbedingungen darzustellen. Die sozialgeschichtlichen Defizite des Museums werden in der im September 2008 vorgestellten Denkschrift „Schifffahrt ohne Leben“ des Juristen Rolf Geffken benannt.13

Das IMMH ist, insgesamt gesehen, eine Beleidigung für alle sozial- und militärgeschichtlichen Bemühungen der letzten Jahrzehnte, zu einem wissenschaftlich neu fundierten Bild der Schifffahrts- und Marinegeschichte zu kommen. Eine Möglichkeit, das Museum dennoch konstruktiv zu nutzen, könnte in der Erarbeitung »inoffizieller« Informationsangebote zu den Exponaten bestehen, mit denen diese in ihren tatsächlichen historischen oder auch gegenwärtigen Zusammenhang gestellt würden. Gerade in Zeiten, in denen das Einsatzspektrum der deutschen Marine ausgeweitet wird, sollte das Bewusstsein für die Gegenwartsrelevanz von marinegeschichtlicher Traditionspflege und Apologetik geschärft werden.

Anmerkungen

1) Näheres zur Museums-Vorgeschichte bei Friedrich Möwe: Tamm-Tamm. Eine Anregung zur öffentlichen Diskussion über das Tamm-Museum, hg. vom Informationskreis Rüstungsgeschäfte in Hamburg, 5. erweit. Auflage, Hamburg 2008, S.67ff. u. 88ff.

2) http://news.web-hh.de/tamm.php.

3) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/805719/ (gesendet am 23.06.2008, gehört am 10.09.2008) – Vgl. Möwe, S.34ff.

4) Die Welt (Hamburg-Teil) v. 17.11.2005.

5) Vgl. Otto Thomae: Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S.447f.

6) Vgl. hierzu wie zum IMMH insgesamt Felix Axster/Ulrike Bergermann: Maßstäbe. Von Größenordnungen und Modellierungen im Internationalen Maritimen Museum Hamburg, Vortrag 2008 (im Internet mit Abbildungen unter http://www.feldfuerkunst.net/index.php?id=feldpresse).

7) Grußwort im Museumsprospekt „Hamburg hat ein neues Seezeichen“, 2008.

8) Die Zeit v. 26.06.2008, S.55.

9) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/805719/ (gesendet am 23.06.2008, gehört am 10.09.2009)

10) Frankfurter Rundschau v. 01.07.2008, S.36f.

11) taz Hamburg v. 30.06.2008, S.13.

12) Süddeutsche Zeitung v. 25.06.2008, S.11.

13) Bezugskontakt: www.ICOLAIR.de.

Der Historiker Dr. Hans Walden arbeitet hauptsächlich zu Themen der Hamburger Geschichte, zur Entwicklung des Hamburger Schiffbaus sowie zum Phänomen des Militarismus.

Bundeswehr und Rechtsextremismus

Bundeswehr und Rechtsextremismus

Tagung des Zentrums Innere Führung

von Werner Brill und Tobias Pflüger

Vom 19.- 21.10.1998 führte das »Zentrum Innere Führung« der Bundeswehr zusammen mit den Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung in Saarbrücken eine Tagung zum Thema »Bundeswehr und Rechtsextremismus« durch. Zugelassen wurden diesmal auch freie Träger aus der politischen Bildungsarbeit. In den Referaten und Diskussionen ging es um den Zustand der politischen Bildung in der Bundeswehr und um Erklärungsmuster für rechte Vorfälle bei der Bundeswehr. Referenten waren neben Offizieren des »Zentrums Innere Führung« auch Prof. Dr. Wolfram Wette und Prof. Dr. Wolfgang Gessenharter. Es entstand der Eindruck, dass ein größerer Teil der anwesenden Vertreter der Bundeswehr das Thema Rechtsextremismus sehr ernst nimmt und es »anpacken« will. Offensichtlich – das wurde in den Pausengesprächen deutlich – stellen diese Bundeswehroffiziere aber damit wohl noch eine Minderheit innerhalb der Bundeswehr dar.

Problembereich Nr. 1 in den Diskussionen war – wie nicht anders zu erwarten – das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Offensichtlich hatte die Anwesenheit der beiden historisch und militärpolitisch kompetenten Professoren auf die Bundeswehroffiziere »dämpfende« Wirkung, sodass der Eindruck einer nur »halbechten« Diskussion entstehen konnte. Hinzu kam, dass das übliche Militärspielchen »Ober sticht Unter« allgegenwärtig war. Die untergebenen Offiziere äußerten sich kaum, dominant war der oberste Bundeswehroffizier.

Spannend wurde es trotzdem mehrfach: zum Beispiel, als das Verhältnis Bundeswehr-Wehrmacht diskutiert wurde. Wolfram Wette hatte zuvor eindrücklich und sehr schlüssig die Geschichte und das gezielte Erzeugen der »Legende der sauberen Wehrmacht« geschildert. Die Bundeswehroffiziere suchten demgegenüber verzweifelt nach positiven militärischen Traditionen innerhalb der Wehrmacht. Sie wollten (und konnten?) sich nicht damit abfinden, dass die Wehrmacht keine positiven Traditionen liefern kann. Deutlich wurde, dass – bei Militärs immanent logisch – vor allem der Bezug zur militärischen Geschichte gesucht wurde. Zivile oder gar militärkritische Traditionen spielten keine Rolle. Es wurde angesprochen, dass Heeresinspekteur Helmut Willmann einen Typus von Soldat fordere und fördere, der kampforientiert und sportlich sein solle, politische Bildung sei in diesem Soldatenbild zweitrangig. Der oberste Bundeswehroffizier gab ein flammendes Plädoyer für Herrn Willmann ab und die untergebenen Bundeswehroffiziere nickten zustimmend.

Spannend wurde es auch, als die bayrische Vertreterin der Landeszentrale für politische Bildung bei der abschließenden Diskussion über konkrete Zusammenarbeit der Landeszentralen für politische Bildung mit der Bundeswehr als Eingangsvoraussetzung zur Anwesenheit bei der Tagung ein Bekenntnis zur Bundeswehr verlangte. Da dieses Bekenntnis nicht durchgängig zu bekommen war, drehte sich die anschließende Diskussion vor allem darum, ob BundeswehrkritikerInnen oder BundeswehrgegnerInnen zu solchen Seminaren grundsätzlich zugelassen werden sollten. Ergebnis: In Zukunft will man/frau unter sich (»Zentrum Innere Führung« der Bundeswehr und Landeszentralen bzw. Bundeszentrale für politische Bildung) bleiben, eine »passive« Anwesenheit von KritikerInnen wurde nur noch diesmal geduldet.

Ein interessantes Detail am Rande, das leider erst nach der Tagung bekannt wurde: Vertreter der Niedersächsischen Landeszentrale, die dagegen waren, KrititkerInnen der Bundeswehr zukünftig einzuladen, haben offensichtlich keine Berührungsängste mit rechten Kreisen. So berichteten die Hannoversche Allgemeine Zeitung (11.11.1998) und die Antifaschistischen Nachrichten (Nr. 24/1998) über eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Landeszentrale mit rechten Kreisen, die gegen die Wehrmachtsausstellung Stimmung machten.

Einige Schlussfolgerungen

  • Grundlegende Defizite sehen wir in zwei Bereichen:
    1. Der Stand der historischen Forschung zum Thema Wehrmacht wird offensichtlich in der Bundeswehr bis heute nicht wahrgenommen.
    2. Die neue Bundesregierung und die Bundeswehr wollen die Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr offensichtlich vor allem innerhalb der Bundeswehr führen. An eine offene gesellschaftliche Diskussion und vor allem an eine Auseinandersetzung mit KritikerInnen bzw. GegnerInnen der Bundeswehr ist kaum gedacht.
  • Die Bundeswehr muss in der Lage sein, sich mit KritikerInnen und GegnerInnen der Bundeswehr ernsthaft auseinanderzusetzen. Das sollte im demokratischen Diskurs eine Selbstverständlichkeit sein. Das Einfordern von Bekenntnissen zur Bundeswehr als Voraussetzung für Diskussionen zeigt nur, wie unsouverän die BefürworterInnen der Bundeswehr z.T. geworden sind.
  • Das Seminar zeigte, dass eine Diskussion zwischen aufgeschlossenen Bundeswehroffizieren und Friedensforschung / Friedensbewegung notwendig und richtig ist. Dabei kommt es aber auf die Diskussion von Fakten an, auf sachorientierte Auseinandersetzungen. Diskussionen nach dem Motto „Wir wollen doch alle den Frieden“ und „Jeder geht seinen Weg und wir achten uns gegenseitig“ erbringen nichts.
  • Auch ein gemeinsames Agieren von Bundeswehr und KritikerInnen bzw. GegnerInnen der Bundeswehr beim Themenbereich Bundeswehr und Rechtsextremismus scheint uns möglich. In solchen Debatten muss die Bundeswehr aber auch den Mut aufbringen und bereit sein, Beiträge (auch innerhalb von Kasernen!) zuzulassen, die sich mit militärimmanenten und strukturellen Gründen des Rechtsextremismus in der Bundeswehr befassen.

Werner Brill und Tobias Pflüger

Nicht unter »Generalverdacht«, aber unter kritischem Blick

Nicht unter »Generalverdacht«, aber unter kritischem Blick

Was Sozialwissenschaftler im Detail am Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus interessieren könnte

von Albert Fuchs

Der vorliegende Entwurf eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms zum Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus entstand in Aufarbeitung des vergeblichen Versuchs, einen entsprechenden Beitrag für W&F zu akquirieren. Darin sollte aus gegebenem Anlaß die einschlägige Forschungslage dargestellt werden. Der Versuch scheiterte mangels relevanter, empirisch fundierter Erkenntnisse. Vor diesem Hintergrund werden zentrale Forschungsdesiderate skizziert: eine hinlängliche Begriffsklärung, die Erarbeitung eines geeigneten Untersuchungsinstrumentariums, die Bestimmung der Prävalenz und Entwicklung rechtsextremistischer Vorkommnisse, Vernetzungen, und Orientierungsmuster im Bereich der Bundeswehr, die Prüfung spezifischer Erklärungsansätze sowie die Bewertung und Entwicklung geeigneter Auseinandersetzungsstrategien. Zum Abschluss werden einige Bedingungen der Realisierung des skizzierten Programms zur Diskussion gestellt.

Die Nachricht vom Auftritt des bundesweit bekannten, einschlägig vorbestraften Neonazis Manfred Roeder als Vortragsredner im Rahmen der »Offiziersweiterbildung« an der Führungsakademie der Bundeswehr (z.B. Der Spiegel vom 08.12.97, S. 16) führte Ende 97/Anfang 98 zu einem mächtigen Rauschen des Themas Bundeswehr und Rechtsextremismus durch den deutschen Blätterwald. Nach einigem Hin und Her reagierte die politische Klasse mit der (erstmaligen) Konstituierung des Verteidigungsausschusses des Bundestags als Untersuchungsausschuss (vgl. Wissenschaft und Frieden, 1998). Im Juni 98 legte dieser Verteidigungs-Untersuchungsauschuss einen voluminösen Abschlussbericht vor; die AusschussvertreterInnnen von Bündnis 90/Die Grünen unterbreiteten zur gleichen Zeit einen Minderheitenbericht. Seither herrscht praktisch wieder »Schweigen im Wald«.

Ist mit den besagten Berichten dem Aufklärungsbedarf der Gesellschaft zu dem heiklen Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus Genüge getan? Hat sich das Problem aufgrund der Arbeit des Untersuchungsausschusses vielleicht sogar erledigt? Letzteres mit Sicherheit nicht, ersteres höchstwahrscheinlich auch nicht. Nach wie vor stellen die meisten Behauptungen und Erklärungen zu diesem Thema, die mit dem Anspruch gesicherter Erkenntnis angeboten werden, letztlich nur subjektive Einschätzungen und Vermutungen dar und dürften dementsprechend vor allem die jeweilige politische Interessenlage widerspiegeln. Einen Ausweg aus dieser Verquickung von Fakt, Fiktion und Interesse bietet nur solide empirische Forschung.

Was aber könnte und sollte Sozialwissenschaftler am Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus im Detail interessieren? In der öffentlichen Diskussion des vergangenen Jahres wurden vor allem zwei politisch brisante Fragenkomplexe ventiliert: die Frage der Entwicklung rechtsextremer Vorfälle und Orientierungen in der »Armee der Einheit« und die Frage der Bedeutung der Neuformierung der Bundeswehr für diese Entwicklung. Doch bevor man sich an die Klärung solcher Fragen machen kann, ist einige Vorarbeit zu leisten, und außer diesen beiden gibt es andere substantielle Fragen, die die intrinsische Neugier von Sozialwissenschaftlern stimulieren können. Das beginnt mit der Begriffsbestimmung.

Probleme der Begriffsbestimmung

Der Rechtsextremismusbegriff ist weder in der öffentlichen noch in der wissenschaftlichen Diskussion so weit normiert, dass man hinlängliche Übereinstimmung der Diskussionteilnehmer im Begriffsverständnis voraussetzen kann. Aus methodisch-forschungstechnischen, theoretischen und auch politisch-praktischen Gründen ist es daher unabdingbar, sich zunächst eingehend mit der Definitionsproblematik auseinanderzusetzen (vgl. Druwe & Mantino, 1996). Hier sei nur hingewiesen auf einige konzeptionelle Entscheidungspunkte, die man im analytischen Vorfeld zu passieren hat.

Auf einer ersten Ebene geht es um die Frage der Untersuchungseinheit. Hier steht ein institutionsbezogener, sich an den auf der gesellschaftlich-politischen Bühne zu beobachtenden organisatorischen Verfestigungen (Parteien, Verbände, Subkulturen . . .) orientierender Ansatz einem individuumbezogenen Ansatz gegenüber. Soweit man diesen Ansatz zugrundelegt, mag man sich mit manifestem Verhalten (Wahlverhalten, Mitgliedschaften, Protestverhalten . . .) begnügen oder aber Orientierungen (Einstellungen und Einstellungsmuster) einbeziehen. Auf der Einstellungs-Ebene steht zur Diskussion, wie die rechtsextreme Orientierung genauer zu konzipieren ist: als Verbindung einer Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit mit Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft, wie es vor allem Heitmeyer (z.B. 1992, S. 10) propagiert, oder als Kombination diverser Komponenten einer Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit mit bestimmten formalen oder strukturellen Merkmalen des Denkens (wie Rigidität, Intoleranz gegen Mehrdeutigkeit . . .), wie es Forscher vertreten, die der Totalitarismustheorie nahezustehen scheinen (z.B. Backes, 1998). Wie immer man sich auf dieser dritten Ebene entscheidet, auf einer vierten ist darüber zu befinden, was die Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit im einzelnen beinhalten soll. In der Literatur zu findende diesbezügliche »Angebote« sind in Abbildung 1 dargestellt.

Zum Rechtsextremismuskonzept
Abb. 1: Entscheidungsalternativen zum Rechtsextremismuskonzept

Für alle Optionen in dem skizzierten Entscheidungsraum gibt es mehr oder weniger überzeugende Argumente, die zu sichten und zu bewerten sind, um zu einem fundierten Rahmenkonzept zu gelangen. Die angesprochenen Alternativen schließen sich allerdings nicht gegenseitig aus, sondern sind eher komplementär; insofern sollte man diesen Entscheidungsraum vor allem als einen durch empirische Forschung zu füllenden Suchraum betrachten. Eine besonders diffizile konzeptuelle Vorfrage scheint mir zu sein, wie man den alten und neuen militärpolitischen Traditionalismus in der Bundeswehrführung einordnen soll: als rechtsextremistische Orientierungsvariante eigener Art oder als (potentiellen) Bestimmungsfaktor der ansonsten zu konstatierenden rechtsextremistischen Vorkommnisse und Tendenzen (vgl. Bald, 1998a, 1998b).

Mit ähnlichen analytischen Unsicherheiten ist die sogenannte Traditionspflege behaftet, die durch Erlasse und Dienstvorschriften vorgesehene normative, vor allem aber die faktisch vorzufindende und von den Vorgesetzten geduldete. Schließlich ist zu prüfen, ob für das gegebene Problemfeld nicht Spezifikationen der in Abbildung 1 aufgeführten Komponenten der Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit angezeigt sind, z.B eine Spezifikation der Komponente Geschichtsrevisionismus unter dem Gesichtspunkt „Wie hältst du's mit der Wehrmacht?“ (Vogel, 1990).

Untersuchungsinstrumentarium

Nach hinlänglicher Klärung der Definitionsfrage kann man sich an die Entwicklung eines geeigneten Untersuchungsinstrumentariums machen. Angesichts der angedeuteten konzeptuellen Probleme ist auch bei diesem Schritt mit einigem Arbeitsaufwand zu rechnen. Zudem sind die meisten der vorliegenden Instrumente in messtheoretischer Hinsicht eher anspruchslos; beispielsweise begnügt man sich vielfach mit einem oder zwei Items als Indikatoren von Konstrukten mit erheblichem Bedeutungsüberschuss. Man wird sich also bei diesem Schritt kaum auf die Prüfung und Zusammenstellung vorliegender Skalen beschränken können, sondern eigene Konstruktionsarbeit leisten müssen. Der durchgehend gesehene Syndrom-Charakter des rechtsextremen Denkens könnte in methodischer Hinsicht eine besondere Herausforderung darstellen.

Eine besondere methodische Herausforderung ergibt sich auch daraus, dass es sich bei vielen Bundeswehrangehörigen um eine der »politischen Korrektheit« ihrer Äußerungen und Stellungnahmen wohl bewußte Klientel handeln dürfte. Die üblichen Einstellungsskalen erscheinen folglich aufgrund ihrer Transparenz wenig geeignet für eine Anwendung im vorliegenden Problemfeld; zumindest sollte ihre Eignung nicht einfach unterstellt, sondern zunächst geprüft werden.

Ein weitere methodische Herausforderung ergibt sich daraus, dass nicht jedes rechtsextremistisch motivierte »besondere Vorkommnis« (MAD-Terminologie) jedem anderen im Hinblick auf seinen Rechtsextremismusgehalt gleichwertig ist und damit auch nicht gleich aufschlussreich für den Zustand der Truppe. Man benötigt demnach zur Erfassung des Rechtsextremismusgehalts der »besonderen Vorkommnisse« eine Skala von der Art von Thurstones (1927) Metrik für die Schwere von Verbrechen. Erst in Verbindung mit metrischer Information dieser Art können Häufigkeitsangaben validen Aufschluss geben über die Rechtsextremismusbelastung der Bundeswehr. Die simple Unterscheidung von Propagandadelikten und Fällen von Bedrohung und Gewaltanwendung ist bestenfalls ein erster Schritt in diese Richtung.

Ein solcher quantifizierender Ansatz könnte auch dazu beitragen, manches konzeptuelle Abgrenzungsproblem wie im Falle fragwürdiger Traditionspflege zumindest zu entschärfen. Zum andern könnte eine derartige Standardmetrik zur indirekten Erfassung rechtsextremistischer Einstellungen Verwendung finden und damit die Schwierigkeiten beheben helfen, die dem Versuch anhaften, mit leicht durchschaubaren Instrumenten der herkömmlichen Machart die Einstellungen von Bundeswehrangehörigen zu erfassen. Dabei würde man sich den spätestens mit der Arbeit von Hovland & Sherif (1952) nachgewiesenen Einfluss von Einstellungen auf Beurteilungsleistungen diagnostisch bzw. forschungsstrategisch zunutze machen.

Zur Sache

Nach der skizzierten, m.E. unabdingbaren Vorarbeit kann man die Bearbeitung der eigentlichen Fragen zur Sache aufnehmen. Ich sehe drei umschriebene, wenngleich interdependente Komplexe: 1. Prävalenz und Entwicklung der besonderen Vorkommnisse, rechtsextremistischer Orientierungsmuster und einschlägiger Assoziationen und Vernetzungen im Bereich der Bundeswehr; 2. spezifische Erklärungsansätze; 3. Wirkungen offiziöser Strategien gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr.

  1. 1. Der Komplex Prävalenz und Entwicklung rechtsextremistischer Vorfälle und Orientierungen im Bereich der Bundeswehr steht in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund, und die beiden Teilkomplexe werden als zwei Seiten einer Medaille gehandelt. Aus forschungsstrategischer Perspektive sind Prävalenzfragen jedoch Entwicklungsfragen vorgeordnet, d.h. um zu wissenschaftlich vertretbaren Aussagen über Entwicklungsverläufe zu gelangen, muss man zumindest über zwei (unter vergleichbaren Bedingungen gewonnene) Prävalenzbefunde im Querschnitt verfügen. Im übrigen lässt sich der Komplex Prävalenz und Entwicklung zwar analytisch von dem Komplex Erklärungen trennen, kann aber forschungstrategisch und forschungspraktisch kaum anders als in Wechselwirkung mit der Bearbeitung dieses Komplexes bearbeitet werden.
  2. 2. Die von der sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung diskutierten allgemeinen Erklärungsansätze (vgl. Eckert, Willems & Würtz, 1996; Stöss, 1994; Winkler, 1996) scheinen mir im Falle der Bundeswehr von nachgeordneter Bedeutung zu sein. Im Vordergrund stehen hier Ansätze, die in der politischen Diskussion ventiliert werden. Von seiten der für die deutsche Militär- und Sicherheitspolitik Verantwortlichen – einschließlich der Wehrbeauftragten des Bundestags – bemüht man meist eine etwas naiv anmutende »Spiegeltheorie«. Danach kommen in der Bundeswehr als Teil der deutschen Gesellschaft rechtsextremistische Orientierungen und Verhaltensweisen in Art und Ausmaß zur Geltung, wie sie auch in der Gesamtgesellschaft vorhanden sind. Der instrumentelle – genauer: defensive – Charakter dieser These liegt auf der Hand; schlichtweg ignoriert wird dabei, dass sich ein Großteil der Wehrpflichtigen gemäß Art. 4 Abs. 3 GG für den Zivildienst statt für den Dienst mit der Waffe entscheidet. Zudem legen die Befunde einschlägiger Einstellungsuntersuchungen, so spärlich diese auch sind, einen selektionstheoretischen Ansatz nahe (vgl. Bonnemann & Hofmann-Broll, 1997; Gessenharter, Fröchling & Krupp, 1978; Kohr, Lippert, Meyer & Sauter, 1993; Seifert, 1994).

Das besagt zunächst (nur), dass die Institution Bundeswehr vor allem für Leute attraktiv ist, die politisch eher rechts orientiert sind, national und machtpolitisch denken. Ob darüber hinaus seitens der militärischen Vorgesetzten auch eine aktive Selektion betrieben wird dergestalt, dass Leute der besagten Orientierung „die größten Chancen auf gute Beurteilungen, schnelle Beförderung und steile Karriere“ haben (Vogt, 1998, S. 53), mag ein Insider wohlbegründet vermuten und auch durch kasuistische Evidenz erhärten können; Mechanismen und Tragweite dieser aktiven Selektion aber bleiben genauer zu erforschen. Schließlich ist zu klären, ob die Attraktivität der Bundeswehr für rechts Orientierte und das Gewicht der unterstellten aktiven Selektion mit der Umstrukturierung der Bundeswehr in der ersten Hälfte der 90er Jahre zugenommen haben.

Diese zuletzt charakterisierte Variante der Selektionsthese geht unmerklich über in einen Erklärungsansatz, den man als »Induktionsthese« bezeichnen kann. Dieser These zufolge schafft die Bundeswehrführung selber die Bedingungen für rechtsextremistische Skandale und Orientierungen, sind diese im besonderen ein Ergebnis der Neuformierung und Neustrukturierung der Streitkräfte, ist das rechtsextreme Gedankengut geradezu ein Entwicklungsprodukt der »Kampfspiele« der Soldaten der Krisenreaktionskräfte, d.h. ihrer Vorbereitungsübungen im Inland.

Für Sozialwissenschaftler dürfte es wiederum eine interessante Herausforderung darstellen, die konkurrierenden Erklärungsansätze empirisch gegeneinander zu testen. Mit den skizzierten Ansätzen ist allerdings nur ein grober Rahmen abgesteckt. Dem Minderheitenbericht der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im 1. Untersuchungsausschuss des Verteidigungsausschusses sind interessante weitere Hypothesen zu entnehmen (u.a. zur Rolle des Führungsstils des Verteidigungsministers, zum aktuellen Status der Inneren Führung und zur herrschenden Praxis der Politischen Bildung, zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege . . .), die geeignet erscheinen, das Bild wesentlich zu differenzieren und zwischen den globalen Erklärungsansätzen zu vermitteln (Bündnis 90/Die Grünen, 1998; vgl. auch Wette, 1998).

Bei aller notwendigen Konzentration auf die spezifische Erklärungsproblematik sollte man schließlich den (möglichen) Zusammenhang diverser Formen von Rechtsextremismus in der Bundeswehr mit der einschlägigen politischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklung seit der Epochenwende, die Gessenharter & Fröchling (1998) eine „Neuvermessung des politisch-ideologischen Raumes“ erforderlich erscheinen lässt, nicht außer Acht lassen. Ob und in welchem Ausmaß dieser »distale Faktor« von Bedeutung ist, kann ebenso wenig a priori entschieden werden wie in den anderen Fällen.

3. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus kann sich nicht auf Fragen der Verbreitung und Entwicklung von rechtsextremistischen Vorkommnissen, Orientierungen und Zusammenschlüssen und auf die Klärung der Ursachen dafür beschränken; es geht auch um angemessene Strategien gegen eine Unterwanderung der Bundeswehr von rechts bzw. um die Angemessenheit der von den politisch Verantwortlichen entworfenen und realisierten Gegenstrategien. Aus der Perspektive des »concerned scientist« ist dieses Forschungsinteresse dem wissenschaftlichen Interesse i.e.S. sogar übergeordnet.

Eine indirekte Evaluierung von Strategien der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Tendenzen in der Bundeswehr ergibt sich aus der geforderten Ursachenforschung. Sollte sich beispielsweise die These der aktiven Selektion oder gar die Induktionsthese empirisch bewähren, wären damit die diversen pädagogischen, dienst-, disziplinar- und strafrechtlichen Maßnahmen, mit denen die Bundeswehrführung Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Truppe entgegenwirken will (vgl. Bagger, 1997), weitgehend diskreditiert. Denn ein solcher Befund würde bedeuten, dass man mit einem Feuerwerk von besonderen Maßnahmen verhindern bzw. beheben will, was man durch die sogenannte Normalisierung der deutschen Militärpolitik befördert. Eine derartige Inkongruenz von latentem und manifestem »Lehrplan« in Sachen Rechtsextremismus könnte aber im Sinne der Leitidee Staatsbürger in Uniform nur kontraproduktiv sein

Eine direktere Evaluierung erfordert der politische Umgang der Bundeswehrführung mit der Problematik – von der Weigerung, die Bundeswehr für sozialwissenschaftliche Untersuchungen »von außen« zu öffnen, über diverse Formen eventueller Problemverleugnung (»Einzelfallthese«, »Spiegeltheorie« . . .) bis zur Diffamierung und politischen Bekämpfung derjenigen, die das Problem immer wieder aufgreifen, die »besonderen Vorkommnisse« an die Öffentlichkeit bringen oder andere Formen der Auseinandersetzung fordern. Auch in dieser Evaluationshinsicht verdient die Frage nach dem Verhältnis von latentem und manifestem Lehrplan besondere Aufmerksamkeit.

Drittens stehen die Auswirkungen der expliziten und offiziösen Versuche, die Gefahr einer »Rechtsdrehung« der Bundeswehr zu bannen, zur Diskussion. Das oben angesprochene Papier des »Arbeitskreises Rechtsextremismus« der Bundeswehrführung (Bagger, 1997) enthält einen auf den ersten Blick beeindruckenden Katalog von Maßnahmen und Zielsetzungen. Aufzuzeigen wäre jedoch, wie das alles mit Prinzipien der Inneren Führung zusammenhängt und mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform in Einklang steht. Das wiederum hat zur Voraussetzung dass diese normativen Vorstellungen soweit geklärt werden, dass sie – wenn man ernsthaft empirische Evidenz zur Effektivität bestimmter Interventionen gewinnen will – »operationalisierbar« sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch in diesem Zusammenhang die Frage, ob die avisierten Maßnahmen sich nicht als kontraproduktiv herausstellen.

Schließlich sollte die skizzierte deskriptive Forschung auch dazu führen, Strategien der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Tendenzen in den Streitkräften zu entwickeln, die sich am Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und den Prinzipien der Inneren Führung orientieren und zu deren Weiterentwicklung unter der Perspektive einer transnationalen Verwendung der Bundeswehr beitragen.

Fazit

Es ist kaum zu verstehen, warum die politisch Verantwortlichen angesichts der Verquickung von Fakt, Fiktion und Interesse in Sachen Bundeswehr und Rechtsextremismus nicht längst den skizzierten Ausweg solider empirischer Forschung gesucht und statt dessen relevante Forschungsvorhaben selbst von Angehörigen von Forschungseinrichtungen der Bundeswehr anscheinend eher behindert als unterstützt haben. Dieser obstruktiven Handlungsweise liegt bestenfalls die Befürchtung zugrunde, ein wissenschaftlicher Diskurs zum Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus werde ein entsprechendes Problem erst produzieren. Schlimmstenfalls möchte man eigene politische Ziele befördern, indem man dieses Problemfeld wissenschaftlich unbeackert läßt. Vielleicht glaubt man aber auch nur, es sich irgendwie schuldig zu sein, die Probleme ohne Unterstützung »von außen« zu bewältigen. Sich aus diesen und anderen Mehrdeutigkeiten befreien und in Sachen Bundeswehr und Rechtsextremismus Glaubwürdigkeit gewinnen können die politisch Verantwortlichen m.E. nur, indem sie ihre Obstruktion aufgeben. Nach dem Regierungswechsel sollte das leichter fallen, da die nun Verantwortlichen mit einer Neuorientierung nicht eigenes früheres Verhalten in Frage zu stellen brauchen.

Andererseits ist es kaum realistisch, diesbezüglich besondere Erwartungen zu hegen und auf den großen Auftrag – mit einem alle Kasernentore öffnenden Empfehlungsschreiben der Bundeswehrführung und mit großzügig bemessenen Forschungsmitteln – zu spekulieren; dafür ist die Bundeswehrführung vermutlich selbst zu sehr in die Problematik verstrickt. Man muss also eine möglichst autonome Arbeitsmotivation entwickeln. Im vorausgehenden wurde demgemäß zu erläutern versucht, dass eine sozialwissenschaftliche Bearbeitung des Problemfeldes Bundeswehr und Rechtsextremismus in disziplinärer Perspektive sehr reizvoll sein könnte. Die eigentliche Aufgabe ist damit jedoch erst grob skizziert. Um weiterzukommen, sollte man ein entsprechendes Forschungsprogramm interdisziplinär und soweit möglich modular konzipieren und mit den verfügbaren Mitteln in Angriff nehmen.

Damit man die trotz bestenfalls bedingter und eingeschränkter Kooperationsbereitschaft der Bundeswehrführung gegebenen Mittel und Möglichkeiten überhaupt wahrzunehmen vermag, muss man sich wahrscheinlich auch mit Blockaden bei sich selbst auseinandersetzen. Um eine »fundierte Position« in Sachen Bundeswehr und Rechtsextremismus zu erarbeiten, muss man als zivilistischer Wissenschaftler oder zivilistische Wissenschaftlerin, denke ich, sowohl Blockaden aufgrund der Angst vor einer missdeutbaren Nähe zum Militärischen überwinden als auch Blockaden aufgrund des Bedürfnisses nach einer illusionären Distanz.

Literaturverzeichnis

Backes, U. (1998): Rechtsextremismus in Deutschland. Ideologien, Organisation und Strategien. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9-10/98, S. 27-35.

Bagger, H. (1997): Statement des Generalinspekteurs der Bundeswehr anläßlich der Pressekonferenz am 19.11.1997 zum Thema »Ergebnisse des Arbeitskreises Rechtsextremismus«. Bonn, Bundesministerium der Verteidigung.

Bald, D. (1998a): Ein Gespenst geht um in Deutschland. Der Traditionalismus in der Bundeswehr. Wissenschaft und Frieden, 16 (1), S. 48-51.

Bald, D. (1998b): Neotraditionalismus und Extremismus – eine Gefährdung für die Bundeswehr. In R. Mutz, B. Schoch & F. Solms (Hrsg.), Friedensgutachten 1998 (S. 277-288). Münster, Lit.

Bonnemann, A.U. & Hofmann-Broll, U. (1997): Studierende und Politik: Wo stehen die Studierenden der Bundeswehruniversitäten? Sicherheit und Frieden, 15, S. 145-162.

Bündnis 90/Die Grünen (1998): Tischvorlage Minderheitenbericht für die Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses des Verteidigungsausschusses am 17.6.1998. Bonn, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Druwe, U. & Mantino, S. (1996): »Rechtsextremismus«, Methodologische Bemerkungen zu einem politikwissenschaftlichen Begriff. In J.W. Falter, G. Jaschke & J.R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung (S. 66-80). Opladen, Westdeutscher Verlag.

Eckert, R., Willems, H. & Würtz, S. (1996): Erklärungsmuster fremdenfeindlicher Gewalt im empirischen Test. In J.W. Falter, G. Jaschke & J.R. Winkler (Hrsg.), Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung (S. 152-167). Opladen, Westdeutscher Verlag.

Gessenharter, W. & Fröchling, H. (Hrsg.) (1998): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland. Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes?. Opladen, Leske & Budrich.

Gessenharter, W., Fröchling, H. & Krupp, B. (1978): Rechtsextremismus als normativ-praktisches Forschungsproblem. Eine empirische Analyse der Einstellungen von studierenden Offizieren der Hochschule der Bundeswehr Hamburg sowie von militärischen und zivilen Vergleichsgruppen. Weinheim, Beltz.

Heitmeyer, W. (1992): Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Weinheim/München, Juventa.

Hovland, C.I. & Sherif, M. (1952): Judgmental phenomena and scales of attitude measurement: item displacement in Thurstone scales. Journal of Abnormal and Social Psychology, 47, S. 822-832.

Kohr, H.-U., Lippert, E., Meyer, G.-M. & Sauter, J. (1993): Jugend, Bundeswehr und deutsche Einheit. Berichte 62. München, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr.

Seifert, R. (1994): Disziplin, Wertewandel, Subjektivität. Ein Beitrag zum Verständnis soldatischer Identität in den 90er Jahren. Berichte 61. München, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr.

Stöss, R. (1994): Forschungs- und Erklärungsansätze – ein Überblick. In W. Kowalsky & W. Schroeder (Hrsg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz (S. 23-66). Opladen, Westdeutscher Verlag.

Thurstone, L.L. (1927): Method of paired comparisons for social values. Journal of Abnormal and Social Psychology, 21, S. 384-400.

Vogel, W. (1990): Wie hältst du's mit der Wehrmacht? Truppenpraxis, 34, S. 268-271.

Vogt, W. (1998): Augen auf statt »Rechts um«! – Interview mit Wolfgang Vogt. Wissenschaft und Frieden, 16 (1), S. 52-55.

Wette, W. (1998): Wehrmachtstraditionen und Bundeswehr. Deutsche Machtphantasien im Zeichen der Neuen Militärpolitik und des Rechtsradikalismus. In J. Klotz (Hrsg.), Vorbild Wehrmacht? (S. 126-154). Köln, Papy Rossa.

Winkler, J.R. (1996): Bausteine einer allgemeinen Theorie des Rechtsextremismus. Zur Stellung und Integration von Persönlichkeits- und Umweltfaktoren. In J.W. Falter, G. Jaschke & J.R. Winkler (Hrsg.): Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung (S. 25-48). Opladen, Westdeutscher Verlag.

Wissenschaft und Frieden (1998). Rechtsextreme und Bundeswehr. Verteidigungsausschuss tagt als Untersuchungsausschuss. Wissenschaft und Frieden, 16 (1), S. 56-58.

Eine ausführliche Version des vorliegenden Beitrags, die vor allem auch politisch-normative Überlegungen zur Begründung des skizzierten Programms einschließt, erscheint als Arbeitspapier des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (IFGK).

PD Dr. Albert Fuchs ist Mitglied des Redaktionsteams von W&F und lehrt Kognitions- und Sozialpsychologie an der RU Bochum und der PH Erfurt.

Augen auf statt »Rechts um«!

Augen auf statt »Rechts um«!

Rechtsextremistische Skandale in der Bundeswehr – wohin driften die Streitkräfte? Interview mit Wolfgang Vogt

von Dr. Wolfgang Vogt und Tobias Pflüger

Tobias Pflüger interviewte für W&F Dr. Wolfgang Vogt, Dipl.-Soziologe, ziviler Dozent und Leitender Wissenschaftlicher Direktor im Fachbereich Sozialwissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung und des Vorstandes von W&F zum Fall Roeder an der Führungsakademie und zu den rechtsextremistischen Umtrieben in der Bundeswehr.

W&F: Wie ist zur Zeit das Klima an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, nachdem der Ruf der Einrichtung durch den Roeder-Skandal so grundsätzlich ramponiert ist?

W. V.: Es herrscht – soweit ich dies ausmachen kann – in weiten Bereichen ein Klima der tiefen Betroffenheit, der Scham und teilweise auch der blanken Wut über die skandalöse Einladung und Unterstützung von Roeder durch den Stabs- und Organisationsbereich der Führungsakademie. Viele Dozenten – insbesondere meine zivilen wissenschaftlichen KollegInnen aus dem Fachbereich Sozialwissenschaften – sind vor allem deshalb so empört über diesen Vorgang, weil ihre jahrelange, oft mühevolle Arbeit für mehr Pluralität, Offenheit, Zivilcourage und Reflektivität an der Führungsakademie durch das unverantwortliche Handeln eines Obristen aus dem Organisationsstab des damaligen Kommandeurs konterkariert worden ist.

W&F: War es verwunderlich, daß jemand wie Manfred Roeder von der Führungsakademie der Bundeswehr eingeladen wurde?

W. V.: Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, daß eine solche Einladung an der Akademie möglich wäre, hätte ich das für absurd gehalten und als üble Unterstellung zurückgewiesen. Ich habe mich persönlich gefragt, wie das passieren konnte bzw. weshalb es erst durch die Presse aufgedeckt worden ist. Warum habe ich selbst erst durch die Presse von dem Skandal erfahren? Als ziviler wissenschaftlicher Dozent für Friedens- und Konfliktforschung bekommt man normalerweise nicht mit, was im Führungskreis und Organisationsstab der Führungsakademie im Detail vor sich geht. Die dort ablaufenden bürokratischen Routineprozesse und militärischen Verwaltungsrituale sind normalerweise auch nicht so erregend oder bedeutsam, daß sie mehr als ein nebensächliches Interesse seitens der wissenschaftlichen DozentInnen finden. Die Organisationsbereiche sind eine Welt für sich, die in relativer Distanz zu den Fachbereichen und Dozenten vorwiegend administrative Aufgaben und keine direkten Lehr- und Forschungsaufgaben wahrnehmen. In diesem Administrativbereich hat der Gastvortrag von Roeder auf Einladung des damals amtierenden Chefs des Stabes stattgefunden. Normalerweise gibt es ein Verfahren für die Einladung von Gastreferenten, das die Einschaltung verschiedener Ebenen und Bereiche vorsieht. Offenkundig erfolgte die Einladung an den vorbestraften Neonazi Roeder, jedoch ohne irgendeine Prüfung und damit außerhalb der üblichen Prozeduren.

W&F: Ist die Einladung Ihrer Einschätzung nach aus rechtsextremistischen Motiven erfolgt?

W. V.: Meine persönliche Einschätzung ist, daß die Einladung nicht aufgrund einer rechtsextremen Gesinnung stattgefunden hat, sondern wohl eher fachliches Unvermögen, intellektuelle Begrenztheit und politische Blindheit die Regie geführt haben. Es liegt aber nicht nur individuelles Versagen vor, sondern der Skandal ist letztlich auf strukturelle Ursachen zurückzuführen, die zum einen in militärspezifischen Strukturmerkmalen und zum anderen in Fehlentwicklungen innerhalb der Bundeswehr liegen.

W&F: War den Verantwortlichen an der Führungsakademie tatsächlich nicht bekannt, wen sie da eingeladen haben? Wer wußte von der Einladung?

W. V.: Wer von der Einladung gewußt hat und was über Roeder bekannt war, das müßte durch die laufenden Untersuchungen herausgefunden werden. Mir scheint jedoch eine unentschuldbare Fahrlässigkeit bei dem/den Verantwortlichen für diese unsägliche Veranstaltung vorgelegen zu haben. Für mich ist die entscheidende Frage, wie jemand in der Bundeswehr zum Oberst befördert und auf eine wichtige (G 3-) Organisationsstelle an der höchsten Ausbildungsstätte der Bundeswehr gesetzt werden kann, dem der landauf und landab bekannte neofaschistische Gewalttäter angeblich nicht bekannt gewesen sein soll. Spätestens bei dem abgesprochenen Vortragsthema (»Übersiedlung von Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg«) hätten bei einem halbwegs politisch-demokratisch gebildeten Stabsoffizier sämtliche Lichter aufgehen müssen. Welch ein Abgrund an politisch-demokratischer Nicht-Aufgeklärtheit bei einem Repräsentanten des höheren Offizierkorps! Hier sind für meine Begriffe politische Maßnahmen geboten, die weit über die erforderlichen rechtlichen Disziplinarverfahren hinaus reichen. Nicht ausreichend sind die eingeleiteten Einzelfallbearbeitungen im Stile medienwirksamer, aber unzureichender Symptombehandlung. Notwendig sind vielmehr kritische Aufklärungen und Aufarbeitungen im Sinne einer wirkungsvollen und nachhaltigen Ursachenbeseitigung.

W&F: Ist die Bundeswehr von ihren Strukturen her rechtslastig?

W. V.: Wie jede Armee zieht auch die Bundeswehr tendenziell eher jene Gruppe von Menschen verstärkt an, die den Merkmalen militärischer Organisationen – Befehl und Gehorsam, Sicherheit und Ordnung, Rangordnung und Dienstgrad, Uniform und Disziplin (also den sogenannten »Sekundärtugenden«) – mehr verbunden sind als solche, die eher nach Individualität und Kreativität, Pluralität und Reflexivität streben. Verkürzt gesagt, Streitkräfte rekrutieren durch ihr funktionsbedingtes »Anreizsystem« eher Konservative als Progressive, eher »Rechte« als »Linke«, eher Anpassungstypen als Entfaltungstypen, eher Mitmacher als Bedenkenträger. Alle bekannten empirischen Untersuchungen über die politischen und gesellschaftspolitischen Einstellungen und Haltungen von Soldaten – insbesondere von Unteroffizieren und Offizieren – belegen, daß es in allen Streitkräften eine im Vergleich zur Bevölkerung deutlich rechtsverschobene Verteilung im Einstellungsspektrum gibt. Links von der Mitte existiert eine auffällige Ausdünnung. Insgesamt ist eine geringere Einstellungspluralität und Meinungsvielfalt im Vergleich zum gesamtgesellschaftlichen Verteilungsspektrum auszumachen. Diese Einschränkung der Vielfalt führt zu einem Verlust an kritisch-reflexiver Kontrolle. Bei den Diskussionen in den Kasernen, Kantinen und Kasinos ist man »unter seinesgleichen« und schneller einer Meinung. Erheblich unterrepräsentiert in der Bundeswehr und anderen Armeen sind vor allem die kritischen Geister, die unbequemen Querdenker, die individuellen Unangepaßten, die autonomen Kreativen, die konsequenten Nachfrager und die visionären Frühmerker.

W&F: Wie wirken sich die spezifischen Strukturmerkmale der Streitkräfte auf die Soldaten und deren Prägungen, Einstellungen und Haltungen aus?

W. V.: Der strukturell bedingte Rechtsdrall, der schon durch die relativ einseitige Rekrutierung des Personals zustande kommt (Friedensbewegte verweigern den Wehrdienst, »Linke« meiden den Eintritt in die Armee, »Grüne« halten (noch) kritische Distanz zum Militär) wird noch nachhaltig durch die militärischen Sozialisationsprozesse und durch die vorherrschende Beförderungspraxis verstärkt. Auch moderne Armeen verfügen über ein differenziertes System militärischer Mechanismen, das durch Musterungs-, Einkleidungs-, Gehorsams-, Kontroll- und Sanktionsverfahren aus Zivilisten einsatz- und kampffähige Soldaten macht. Wer diesen militärischen Ritualen und Mechanismen am besten entspricht, hat die größten Chancen auf gute Beurteilungen, schnelle Beförderung und steile Karriere. So ist es nicht verwunderlich, daß die am schnellsten und am höchsten Beförderten in der Regel auch die am besten an die militärischen Regeln Angepaßten sind. Auf diese Weise nimmt die Pluralität der Ansichten und Haltungen in der Tendenz desto mehr ab, je höher die Stufe des erreichten Ranges ist. Die größten Chancen auf die höchsten Posten haben diejenigen, die sich durch besondere Systemanpassung plus Apparattreue ausgezeichnet haben.

W&F: Gibt es Zusammenhänge oder Verbindungen zwischen stark ausgeprägten konservativen bzw. technokratischen Einstellungen in der Bundeswehr und rechstextremistischen Gesinnungen und Gruppierungen in der Gesellschaft?

W. V.: Wenn starken konservativen Effekten und Tendenzen in der Armee (personal-)politisch nicht bewußt entgegengesteuert wird, ist dieses auf Dauer fatal für die Entwicklung und Orientierung eines Unteroffizier- und Offizierkorps. Dann entstehen am rechten Rand der Streitkräfte ultrakonservative Milieus, die von Rechtsextremen als Kontaktfelder und Resonanzböden genutzt werden können. Hier entstehen Grauzonen im Übergang zum Rechtsextremismus. Es gibt Informationskanäle und Beziehungsgeflechte zu »alten« Kameraden und »rechten« Bekannten, die ihrerseits im Dunstkreis rechtsextremer Kreise angesiedelt sind. Deshalb ist es so wichtig, sehr klare und harte Trennungslinien zwischen rechts-konservativen und rechts-extremistischen Haltungen und Gruppierungen zu ziehen. Es muß mit allen politischen und rechtsstaatlichen Mitteln verhindert werden, daß dem wiedererstarkenden Rechtsextremismus über diese Einfallstore und Gesinnungsbrücken eine zunehmende Einschleusung ihrer Ideologien und Propaganda in die Bundeswehr gelingt.

W&F: Was ist von der These zu halten, daß die Begriffe der »Inneren Führung« und des »Staatsbürgers in Uniform« seit der Veränderung des Auftrages der Bundeswehr zu reinen Schlagwörtern geworden sind?

W. V.: Durch die Militarisierung der Sicherheitspolitik – das Militär ist wieder ein »normales« Instrument zur Fortsetzung der Politik mit anderen (Gewalt-)Mitteln geworden – hat sich auch der Charakter der Bundeswehr grundlegend geändert. Die Bundeswehr hat nicht mehr – wie zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes – ausschließlich eine defensive Abhalte- und Abschreckungsfunktion, sondern ihr erweitertes Aufgabenspektrum sieht bekannterweise auch offensive Kampfeinsätze im Rahmen von »out-of-area-Missionen« vor. Mit der Aufstellung von sog. Krisenreaktionskräften (KRK) und Kommandospezialkräften (KSK) sind Offensiv- und Interventionspotentiale geschaffen worden – obwohl die Verfassung eigentlich nur die Aufstellung von Streitkräften ausschließlich zur Verteidigung vorsieht. Diese grundlegende Aufgabenveränderung der Bundeswehr hat zu einer Veränderung der Ausbildungsschwerpunkte und zu einer Wandlung des Selbstverständnisses vom Soldaten in den Streitkräften geführt.

W&F: Und wie hat sich die Aufgabenveränderung auf die Ausbildung und das Selbstverständnis in der Bundeswehr ausgewirkt?

W. V.: Im Zuge dieser Umstrukturierungen hat die ursprüngliche Konzeption der Inneren Führung einen drastischen Bedeutungsverlust erfahren. Sie hat in der Praxis längst nicht mehr die übergeordnete Funktion eines sinnstiftenden Reformkonzepts, als das es nach wie vor in vollmundigen Bekundungen der politischen Leitung und der militärischen Führung ausgegeben wird. Spätestens seit dem Amtsantritt des früheren Verteidigungsministers Manfred Wörner ist ein schleichender Verfall der Inneren Führung und der Idee vom Staatsbürger in Uniform zu beobachten, der sich seit Beginn der 90er Jahre beschleunigt hat. Inzwischen ist die Innere Führung zu einer Art technokratischer Managementmethode mutiert, die mehr dem Zweck der Kampfkraftsteigerung als der demokratisch-politischen Bildung und Förderung von »Staatsbügern in Uniform« dient.

W&F: Hat die Innere Führung, die ja ehemals als Reformwerk angelegt war, im Alltag der Bundeswehr überhaupt noch eine Bedeutung?

W. V.: Die Innere Führung und die Politische Bildung haben – wie etwa auch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages feststellt – in der Truppenpraxis ihre zentrale Leit- und Wertfunktion im Sinne einer umfassenden Entfaltung und Bildung der individuellen Persönlichkeit der Soldaten als demokratisch eingestellte »Staatsbürger in Uniform« weitgehend verloren. Ihre Prinzipien und Normen sind im Truppenalltag oft nicht mehr die zentralen Bezugspunkte für alles militärische Verhalten. Die Ausbildung von »Kämpfern«, die Vermittlung von sog. »soldatischen Tugenden« (Disziplin, Gehorsam, Kameradschaft etc.) und die Einübung militärischer Techniken und Verfahren (»Handwerkszeug«) ist im Zuge der Funktionsveränderung der Streitkräfte mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Das zeigt u.a. die Zunahme entsprechender Themen und Artikel in den einschlägigen militärischen Fachzeitschriften. Das ursprüngliche Reformkonzept ist tendenziell zu einem peripheren Ausbildungsfach geworden. Es wird eher als eine Managementtechnik begriffen und gelehrt denn als »Reformphilosophie« und »Organisationskultur« begriffen und gelebt. General Graf von Baudissin, der »Erfinder« der Inneren Führung und des Leitbilds vom Staatsbürger in Uniform würde »sich im Grabe umdrehen«, wenn er erleben würde, daß die Vorstellungen seiner damaligen Erz-Kontrahenten – der sog. »Traditionalisten« (Karst, Wagemann u.a.) – durch die Neuausrichtung der Streitkräfte mehr und mehr Gewicht bekommen und sich durchgesetzt haben.

W&F: Inwieweit ist eine sozialwissenschaftliche Untersuchung über Bundeswehr und Rechstextremismus notwendig und sinnvoll?

W. V.: Eine solche Untersuchung ist meiner Auffassung nach nicht nur erforderlich, sondern längst überfällig, denn niemand hat ein hinreichend klares und repräsentatives Bild über die Mentalitäten, Entwicklungen und Tendenzen in der Bundeswehr. Die im Militär üblichen Melde- und Informationsverfahren reichen nicht aus, um der Leitung und Führung der Streitkräfte ein hinreichend umfassendes und verläßliches Bild über das Denken und Handeln in den weit verzweigten Truppenteilen zu ermöglichen. Auf den langen Dienst- und Berichtswegen von unten nach oben werden – wie in allen großen Organisationen üblich – oft geschönte Informationen befördert. Bei angekündigten und intensiv vorbereiteten Truppenbesuchen wird in aller Regel eine perfekte Show abgezogen, die mehr von den tatsächlichen Zuständen und Problemen vor Ort verbirgt als aufzeigt. Und bei den kurzen – oft sehr formalisiert ablaufenden – Gesprächen und Zusammentreffen mit höheren Vorgesetzten oder Politikern ist auch nicht viel mehr zu erfahren als das, was nach den Regeln der »political correctness« gesagt und gehört werden soll. Ich halte es für unerläßlich, daß die Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundeswehr mit geeigneten Methoden von außen untersucht werden.

W&F: Wie müßte eine solche Untersuchung angelegt und durchgeführt werden?

W. V.:Eine solche Untersuchung sollte nicht nur mögliche rechtsextremistische Tendenzen zum Analysegegenstand haben, sondern breiter angelegt sein. Sie sollte eine kritische Bestandsaufnahme über die Entwicklung und den Stand der Inneren Führung in der Bundeswehr zum Thema haben. Deshalb hielte ich es für angemessener, eine Enquete-Kommission von unabhängigen Experten mit der Untersuchung der Zustände in der Bundeswehr zu beauftragen. Aufzudecken wären Risikokonstellationen, die durch das Zusammenwirken von strukturellen Bedingungen, institutionellen Regelungen und personellen Konstellationen systematisch dazu führen, daß dem Rechtsextremismus Raum und Klima zur Entfaltung bereitet wird. Die demokratische Gesellschaft hat einen legitimen Anspruch zu wissen, was in der Institution vor sich geht, die mit dem massivsten Gewaltmonopol ausgestattet ist.

W&F: Macht eine solche Untersuchung Sinn, wenn sie vom »Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr« durchgeführt wird, oder ist es sinnvoll, eine solche Untersuchung nach »außen« zu geben?

W. V.: Eine solche Studie macht nur Sinn, wenn sie von »außen« – z.B. durch die unabhängige Forschungsgruppe von Prof. Wilhelm Heitmeyer aus Bielefeld – durchgeführt wird. Dieses renommierte Forschungsteam hat in den letzten Jahren einschlägige Untersuchungen über Rechtsextremismus und Gewalt vorgelegt, die durch ihre professionelle Qualität ausgewiesen sind. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SOWI) scheint mir dagegen nicht geeignet, da es durch die in den letzten Jahren politisch verordneten »Reformen« nachhaltig an Unabhängigkeit vom dienstlichen Auftraggeber verloren hat. Das SOWI wurde nicht nur an die Akademie für Kommunikation (ehemals Psychologische Verteidigung) angegliedert und in seinen ursprünglichen Kompetenzen stark beschnitten, sondern auch anstelle der zivilen wissenschaftlichen Leitung mit einer militärischen Führung versehen. Ein in die militärische Hierarchie eingebundener, wissenschaftlich nicht einschlägig ausgewiesener Oberst wurde als SOWI-Leiter eingesetzt. Unter diesen strukturellen und personellen Bedingungen läßt sich leicht vorstellen, welche politisch genehmen Ergebnisse eine interne Untersuchung durch das SOWI aller Voraussicht nach erbringen würde. Die rechtsextremen Skandale in der Bundeswehr sind aber ein gesellschaftspolitisch zu ernstes Problem, als daß man ihre Untersuchung militärinternen und hierarchieverpflichteten Instanzen überlassen oder übertragen sollte. Es bedarf der kritischen, unabhängigen und professionellen Expertise von außen.

W&F: Wie sind die bisherigen Reaktionen und Maßnahmen der Bundeswehrführung zu beurteilen?

W. V.: Das vermag ich im Detail nicht zu beurteilen, weil mir dazu nicht alle inzwischen getroffenen Maßnahmen hinreichend bekannt sind. Aber eine Reihe der offensichtlichen Strategien scheinen mir wenig geeignet, die Skandale politisch und praktisch angemessen zu bewältigen und in ihren Ursachen wirkungsvoll zu behandeln. So wurden durch die sog. Einzelfallthese die Skandale seitens der Bundeswehrführung nicht nur verharmlost, sondern durch eine Personalisierung auch auf eine ungebührliche Weise entpolitisiert. Durch die Abschirmung der Bundeswehr gegen eine empirische Untersuchung wurde der Verdacht genährt, daß man etwas zu verbergen hätte. Und durch die teilweise heftig vorgetragene Presseschelte (»Dreckschleuder«, »Trittbrettfahrer« etc.) wurde – nach dem fragwürdigen Motto »Angriff ist die beste Selbstverteidigung« – der durchsichtige Versuch unternommen, die kritischen Blicke von den eigentlichen Problemen abzulenken. Schließlich scheinen mir auch demonstrative Truppenbesuche im Kampfanzug nicht sonderlich geeignet, um das angeknackste Vertrauen in die Bundeswehr (und ihre Leitung) wiederherzustellen.

W&F: Was wären angemessene Reaktionen auf den Roeder-Skandal?

W. V.: Der Skandal und die ihn bedingenden Umstände bestärken mich in meiner seit Jahren intern immer wieder zum Ausdruck gebrachten Einschätzung, daß die Führungsakademie einer einschneidenden Reform bedarf. Es geht dabei um eine Reduzierung überholter militärischer Organisations- und Disziplinierungsstrukturen zugunsten einer Stärkung akademischer Qualifizierungs- und Professionalisierungsstrukturen, damit die Akademie endlich auf ein »post-universitäres« Hochschulniveau gebracht wird. Die »höchste militärische Ausbildungsstätte« – wie sie gerne in Festreden führender Politiker und Militärs bezeichnet wird – müßte endlich durch eine generelle Anhebung der wissenschaftlichen Qualität in der Lehre, durch eine professionellere Besetzung der Dozenturen und durch eine angemessene Ausstattung mit Ressourcen für eine qualifizierte Forschung so grunderneuert werden, daß die schmückende Bezeichnung »Akademie« nicht nur in großen Buchstaben auf einer eindrucksvollen Bronzetafel am Eingang zu lesen ist, sondern der darin enthaltene Anspruch auch durchgängig in Lehre und Forschung praktiziert wird. Es bedarf einer Durchlüftung und Entstaubung vieler Traditionsecken, -wände und -räume in der Akademie und der Einrichtung von Innovationszentren für die Optimierung der Inneren Führung und der Politischen Bildung. Darüber hinaus geht es um die Mobilisierung von Ideen und Visionen zur Zivilisierung der Sicherheitspolitik.

W&F: Und wie müßte auf die Serie der rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr reagiert werden?

W. V.: Neben einer rückhaltlosen Aufklärung der rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr und der Hintergründe der Roeder-Affäre an der Führungsakademie durch die zuständigen Stellen im Verteidigungsministerium und durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß ist eine disziplinare Prüfung bzw. Bestrafung derjenigen Vorgesetzten und Soldaten vorzunehmen, die in irgendeiner schuldhaften oder fahrlässigen Weise in die rechtsradikalen Vorfälle verwickelt sind.

Die straf- oder disziplinarrechtliche Verfolgung der »Einzelfälle«, die durch ihre große Zahl und zeitliche Häufung in der Tat längst zu einer Serie rechtsextremistischer Vorfälle geworden sind, ist eine notwendige, aber bei weitem nicht hinreichende Maßnahme. Es bedarf eines ganzen Bündels von Reformen, die der Verteidigungsminister endlich entwickeln und durchsetzen müßte. Damit die Ursachen beseitigt werden, die letztlich zu den rechtsextremistischen Vorfällen in den Streitkräften geführt haben, müßten folgende Reformschritte erfolgen:

  • Die Reaktivierung des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform und der Ausbau des Konzeptes der Inneren Führung zu einer umfassenden demokratischen Organisationskultur im ursprünglichen Sinne der Vorstellungen des Reformgenerals Wolf Graf von Baudissins;
  • die Aktivierung, Pluralisierung und Demokratisierung der politischen, historischen und demokratischen Bildung u.a. durch eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen den Bundes- und Landeszentralen der politischen Bildung und den Truppenteilen und Organisationseinheiten der Bundeswehr;
  • die Einstellung von Werbekampagnen für die Bundeswehr, die mit Hinweisen auf Abenteuerlust, Technikfaszination und Sekundärtugenden eine fragwürdige Rekrutierungspolitik betreiben und damit besonders jene rechtsextremen Kreise ansprechen, über deren Wirken und Auftreten in der Bundeswehr man sich dann verwundert zeigt;
  • die grundlegende Überarbeitung der personalpolitischen Auswahl- und Beförderungskriterien, damit die Einstellungen und Befähigungen von Vorgesetzten zur Anerkennung und Umsetzung der Grundsätze der Inneren Führung wesentlich stärkere Berücksichtigung in der Beförderungspraxis finden und die vorbildliche Befolgung dieser Prinzipien mit einem karriererelevanten Anreiz versehen wird; und schließlich
  • die Einsetzung einer Enquete-Kommission von unabhängigen Experten aller politisch-demokratischen Schattierungen mit dem Ziel einer generellen Bestandsaufnahme über »Geist und Klima« in der Bundeswehr.

Noch ein Wort zum Abschluß: So wichtig die Aufklärung und Abstellung rechtsextremistischer Vorgänge in der Bundeswehr ist, sollte das aber nicht verhindern, wieder intensiver über die wesentlichen Fragen nachzudenken: wie das Militärische in der Politik abgebaut, wie die Streitkräfte weiter reduziert und wie die Abrüstung vorangebracht werden kann. Am Ende unseres Jahrhundert geht es vor allem um die politische Umsetzung der Vision einer Zivilisierung, d.h. um präventive Gewaltreduzierung, zivile Konfliktregulierung und nachhaltige Friedensgestaltung.

Rechtsextreme und Bundeswehr

Rechtsextreme und Bundeswehr

Verteidigungsausschuß tagt als Untersuchungsausschuß / Bundestagsanfragen SPD und Bündnis 90/Die Grünen

von SPD – Bündnis 90/Die Grünen

Auf Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen hat sich der Verteidigungsausschuß des Bundestages nach den Vorfällen in der Führungsakademie der Bundeswehr als Untersuchungsausschuß konstituiert. Grundlage der Arbeit ist ein Antrag der SPD. Obwohl die Anträge der SPD und der Grünen in weiten Bereichen übereinstimmen, konnten sich beide Parteien nicht auf einen gemeinsamen Antrag einigen. Dabei gibt es eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung in den Komplexen

  • »Innere Führung« und politische Bildung
  • Praxis der Traditionspflege
  • Verhältnis Armee – Gesellschaft

Der wesentlich umfangreichere Antrag der Grünen geht in einigen Bereichen über diese Gemeinsamkeit hinaus. Er fragt auch

  • nach Umfang und Hinlänglichkeiten der Frühwarn- und Verhinderungsmechanismen, nach wissenschaftlichen Analysen und MAD-Aktivitäten
  • nach den Kriterien bei der Auswahl des Nachwuchses und
  • nach dem Reformbedarf der Streitkräfte.

Wir dokumentieren im folgenden die beiden Anträge im Wortlaut

Antrag der SPD Fraktion

Konstituierung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß nach Artikel 45a,<0> <>Abs.<0> <>2 des Grundgesetzes

Der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß wolle beschließen:

Der Verteidigungsausschuß konstituiert sich zur parlamentarischen Untersuchung von rechtsextremistischen Vorkommnissen an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und an anderen Standorten der Bundeswehr als Untersuchungsausschuß nach Art.<0> <>45a, Abs.<0> <>2GG.

Gegenstand der Untersuchungen

soll dabei sein:

1. die gegenwärtige innere Lage der Bundeswehr anhand

1.1 der geistigen Orientierung der Vorgesetzten und ihrer Bindung an die freiheitlich demokratische Grundordnung und an das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, u. a. am Beispiel der Einladung eines Rechtsterroristen und seines Vortrages an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und seiner weiteren Kontakte zur Bundeswehr und in diesem Zusammenhang:

1.1.1. Materiallieferungen der Bundeswehr und Nutzung von Bundeswehrliegenschaften durch verfassungsfeindliche Organisationen, u. a. am Beispiel des »Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerkes«.

1.1.2. die damit in Verbindung stehenden Vorgänge zwischen anderen Bundesbehörden und Dienststellen des Bundesministers der Verteidigung und den Nachrichtendiensten.

1.2. des Menschenbildes, des Führungsverhaltens und des Stellenwertes der Aus- und Weiterbildung, u. a. an den Beispielen der ausländerfeindlichen Vorfälle in Detmold, der Video-Skandale in Hammelburg und Schneeberg sowie der rechtsextremistischen Vorfälle in Altenstadt/Schongau, Landsberg und Varel;

2. die Rahmenbedingungen für die Innere Führung und die politische Bildung,

2.1. ob angepaßtes Verhalten in der Führungshierarchie immer mehr die Zivil- bzw. Militärcourage ersetzt;

2.2. ob der erweiterte Auftrag der Bundeswehr und ob beispielsweise die Einsätze in Kambodscha, Somalia und Bosnien das Verständnis von Innerer Führung verändert haben;

2.3. ob Wehrbeschwerde und Wehrdisziplinarordnung noch strikt nach ihrem Wesensgehalt und vor allem nach dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform angewendet werden.

3. die Konsequenzen, die aus den Berichten des/der Wehrbeauftragten zu rechtsextremistischem Verhalten von Soldaten, zur Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Innere Führung und die politische Bildung und zu unzulässigen Formen der Traditionspflege gezogen wurden.

4. die Realität des Traditionsverhaltens,

4.1. die Formen der Traditionspflege, u.a. am Beispiel des Traditionsraumes beim Jagdbombergeschwader 33 in Büchel;

4.2. ob die Traditionspflege und das Traditionsverhalten noch mit dem Traditionserlaß von 1982 übereinstimmen.

5. ob und zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung über die rechtsextremistischen Vorfälle informiert war und was sie unternommen bzw. unterlassen hat, um diesem Sachverhalt zuvorzukommen bzw. abzuhelfen.

6. die Verantwortung des Bundesministeriums der Verteidigung für die vorgenannten Fälle und das Führungsverhalten des Ministers und die Auswirkungen seiner Personalentscheidungen auf das Vertrauen der Angehörigen der Bundeswehr.

Antrag der Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen

Konstituierung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß nach Art. 45a, Abs. 2 GG

Der Verteidigungsausschuß wolle beschließen:

Der Verteidigungsausschuß konstituiert sich zur parlamentarischen Untersuchung von gewalttätigen, rechtsextremen, nationalautoritären oder fremdenfeindlichen Vorkommnissen, die an Standorten und Einrichtungen der Bundeswehr sowie im Verantwortungsbereich des Bundesministers der Verteidigung oder unter Beteiligung von Bundeswehrangehörigen stattgefunden haben, als Untersuchungsausschuß nach Art 45a Abs. 2GG.

Gegenstand der Untersuchung

soll dabei sein:

I. Umfang und Charakter der Vorkommnisse, insbesondere

1. ob Zusammenhänge zwischen den Vorfällen mit rechtsextremem, gewalttätigem, fremdenfeindlichem oder nationalautoritärem Hintergrund zu erkennen sind und ggf. welche und ob daraus auf eine gezielte Durchdringung bzw. Ausnutzung der Bundeswehr oder auf die Herausbildung subkultureller Netzwerke oder Gruppen in der Bundeswehr durch Personen oder Organisationen rechtsextremen, fremdenfeindlichen oder nationalautoritären Hintergrundes zu schließen ist;

2. ob und in welchem Umfang Liegenschaften des Bundesministeriums der Verteidigung bei Vorfällen oder durch Personen und Organisationen mit rechtsextremem, gewalttätigem, fremdenfeindlichem oder nationalautoritärem Hintergrund genutzt wurden;

3. ob und in welchem Umfang Erkenntnisse der zuständigen Verfassungsschutzorgane, der Polizei, des Militärischen Abschirmdienstes, des BND, der Stabsabteilungen des BMVg und aus öffentlich zugänglichen Quellen zu Frage I.1 vorliegen, und seitens der staatlichen Organe bewertet werden;

4. ob, wie, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung seitens des BMVg eine Auswertung dieser Erkenntnisse erfolgt sowie welche Maßnahmen diesbezüglich eingeleitet wurden und werden.

II. Die Praxis der Traditionspflege in den Streitkräften, insbesondere

1. ob und welchem Umfang diese der Erlaßlage entspricht;

2. ob und welche Erkenntnisse der zuständigen Stabsabteilungen des BMVg (z.B. Fü S I, Fü H I, Fü L I, Fü M I) und aus öffentlich zugänglichen Quellen zu Frage II.1 vorliegen und wie diese dort bewertet werden;

3. ob, wie, in welchem Umfang und mit welcher Zielstellung seitens des BMVg eine Auswertung dieser Erkenntnisse erfolgt und welche konkreten Maßnahmen diesbezüglich eingeleitet wurden bzw. werden;

4. die Praxis und Formen der Traditionspflege in den drei Teilstreitkräften an ausgewählten Beispielen und im Hinblick auf soldatische Vorbilder;

5. Umfang und Charakter von sowie Gründe und Begründungen für Patenschaften und Aktivitäten zwischen Einheiten, Verbänden und Einrichtungen der Bundeswehr mit Traditionsverbänden oder Organisationen der ehemaligen Wehrmacht;

6. ob, in welchem Umfang und mit welchen Themen und Vorbildern bei der Aus- und Weiterbildung von Soldaten und Vorgesetzten Traditionsbezug auf die Wehrmacht genommen wird;

7. die Auswirkungen, welche die Praxis von Traditionspflege, Traditionsverhalten und Vorbildauswahl auf das Verständnis der Soldaten aller Dienstgrade von zulässigen und unzulässigen Formen von Traditionspflege und -verhalten haben.

III. Die Rahmenbedingungen und das Umfeld, welches die Bundeswehr für o.g. Vorkommnisse vorgibt, insbesondere

1. welche Konsequenzen und Ergebnisse der bundeswehrinternen Auseinandersetzung zwischen »Traditionalisten« und »Funktionalisten« auf der einen sowie »Reformern« auf der anderen Seite festzustellen sind und welche Auswirkungen diese auf Verhalten und Sozialisation insbesondere des Führungspersonals haben;

2. ob, in welchem Umfang und welche Mängel bei Konzeption und Umsetzung der Inneren Führung die o.g. Vorkommnisse begünstigt und unzulänglich verhindert haben;

3. ob, in welchem Umfang und welche Mängel bei der Ausbildung, Erziehung und politischen Bildung sowie der Vermittlung von Traditionsverständnis die o.g. Vorkommnisse begünstigt oder unzulänglich verhindert haben; dies schließt die Frage ein, ob und in welchem Umfang o.g. Vorkommnisse durch Vorgesetzte toleriert, gefördert oder gar herbeigeführt wurden;

4. ob und in welchem Umfang Bürokratisierung und Aufgabenüberfrachtung dazu beigetragen haben, daß die o.g. Vorkommnisse begünstigt oder unzulänglich verhindert wurden;

5. ob und in welchem Umfang die politische Leitung und/oder die militärische Führung der Bundeswehr die Erziehung zum »Staatsbürger in Uniform« und das Verständnis von »Innerer Führung« sowie das Soldatenbild im Kontext der Erweiterung der Aufgaben der Bundeswehr (Auslandseinsätze, Aufbau der KRK und des KSK) »Ausbildungserfordernissen« hintangestellt und dadurch dazu beigetragen haben, daß die o.g. Vorkommnisse begünstigt oder unzulänglich verhindert wurden;

6. ob und in welchem Umfang die Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Bundeswehr zu einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Konzeption der Inneren Führung sowie des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform beigetragen haben;

7. ob und in welchem Umfang sich der Stellenwert des Menschenbildes des Grundgesetzes in der Aus- und Weiterbildung der Führer verändert hat;

8. ob und welche Erklärungsansätze für die rechtsextremen, gewalttätigen, fremdenfeindlichen und nationalautoritären Vorkommnisse im Zuständigkeitsbereich des BMVg erarbeitet wurden und welche Schlußfolgerungen daraus gezogen wurden;

9. ob und in welchem Umfang die Handhabung der Wehrdisziplinarordnung und der Wehrbeschwerdeordnung auf Mängel in der Ausbildung schließen läßt;

10. ob und in welchem Umfang Zivilcourage zur Offenlegung o.g. Vorkommnisse in der Bundeswehr gefördert wird und inwieweit Reaktionen vorgesetzter Stellen auf die Offenlegung solcher Vorkommnisse geeignet sind zivil-couragiertes Verhalten zu unterbinden;

11. wie und mit welchen Weisungen mitbestimmungsgesetzliche Regelungen des novellierten Soldatenbeteiligungsgesetzes (SBG neu) in den Gesamtstreitkräften und in den einzelnen Teilstreitkräften umgesetzt, durchgesetzt oder konterkariert wurden?

IV. Umfang und Hinlänglichkeit der Frühwarn- und Verhinderungsmechanismen für o.g. Vorkommnisse im Verantwortungsbereich des BMVg, insbesondere

1. ob und welche Untersuchungen dem BMVg über die geistige und politische Orientierung der Soldaten, von Vorgesetzten und Führern sowie von ausscheidenden bzw. ausgeschiedenen Offizieren vorliegen und zu welchen Aussagen diese ggf. bezüglich der Orientierung auf die freiheitlich demokratische Grundordnung, die Prinzipien der Inneren Führung und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sowie bzgl. eines ggf. bestehenden Nachsteuerungsbedarfes kommen;

2. ob und in welchem Umfang das Bundesministerium der Verteidigung die Möglichkeiten

  • der Führungsstäbe Fü S I, Fü H I, Fü L I, Fü M I
  • des Zentrums für Innere Führung
  • des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Bundeswehr
  • der Akademie für Information und Kommunikation
  • des Fachbereiches Sozialwissenschaften der Führungsakademie
  • der sozialwissenschaftlichen Fachbereiche der Bundeswehr-Hochschulen

zur Früherkennung, Prävention und Verhinderung o.g. Vorkommnisse genutzt bzw. nicht genutzt hat;

3. ob und in welchem Umfang der MAD und/oder ggf. andere dienstliche Stellen bei der Früherkennung, der Erkenntnisgewinnung und der Prävention von rechtsextremen, fremdenfeindlichen, gewalttätigen oder nationalautoritären Tendenzen bei Bundeswehrsoldaten tätig geworden sind und das BMVg inwieweit gewonnene Informationen zur Prävention und Verhinderung o.g. Vorkommnisse genutzt bzw. nicht genutzt hat;

4. ob und welche Vorkehrungen das BMVg getroffen hat, um sich bei der Anwerbung und Rekrutierung neuer Soldaten vor Rechtsextremisten und für fremdenfeindliche, rechtsradikale, gewalttätige und nationalautoritäre Positionen bzw. Handlungen anfällige Personenkreisen zu schützen sowie Frühwarnung zu erhalten, wenn Soldaten ein extremes, sogenanntes atavistisches (Stichworte: Jünger, Rambo), soldatisches Selbstverständnis zeigen;

5. welche qualitativen Kriterien für die Auswahl des rekrutierenden Personals von wem bzw. welchen Stellen festgelegt wurden;

6. welche Schlüsse im Einzelnen das BMVg aus den Berichten der jeweiligen Wehrbeauftragten gezogen und welche Maßnahmen zur Abhilfe es mit welchen Ergebnissen und Überprüfungen geschaffen hat?

V. Der Reformbedarf im Verantwortungsbereich des Bundesministers der Verteidigung nach Art, Umfang und Qualität, insbesondere in den Bereichen

1. Weiterentwicklung und Umsetzung des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform;

2. Weiterentwicklung und Umsetzung des Konzeptes der »Inneren Führung«, incl. deren sozialwissenschaftliche Grundlegung und die Rolle der Wissenschaft dabei;

3. Bildungs- und Erziehungskonzept,

4. Traditionsbezug, sowie

5. Auswahlverfahren für Unteroffiziere, Offiziere und insbesondere Stabsoffiziere und Generalstabsoffiziere sowie deren jeweilige Ausbildung.

VI. Exemplarische Vorfälle von gewalttätigen, rechtsextremen, nationalautoritären bzw. fremdenfeindlichen Vorkommnissen oder fragwürdigen Formen der Traditionspflege wie z.B. in Altenstadt, Hammelburg, Schneeberg, Hamburg (Auftritt M. Roeder an der Führungsakademie), Hamburg-Neuengamme, Landsberg, Detmold, Magdeburg und andernorts.

VII. Die Verantwortung der politischen und militärischen Führung für derlei Vorkommnisse sowie für Faktoren, die solche Vorkommnisse in der Bundeswehr begünstigen oder nicht verhindern.

Sich an Auschwitz erinnern

Sich an Auschwitz erinnern

Gedanken eines Überlebenden

von Yaacov Ben-Chanan

Was Auschwitz – der Name steht im folgenden für alle Vernichtungsstätten im Hitlerreich – so einzigartig und so furchtbar machte, war der dort angestellte Versuch, den Menschen im Juden zu zerstören. Der Mensch sollte zur Laus gemacht werden. Und mit einem Gas gegen Läuse tötete man ihn dann auch. Nicht Hunger, nicht Zwangsarbeit, nicht Angst vor dem Tod war typisch für Auschwitz – es war dieser systematische Seelenmord.

Was konnten wir so tief Beschädigten mit der Freiheit anfangen, die 1945 endlich kam? Viele, die keinerlei Lebenskraft mehr hatten, sind in den ersten Wochen und Monaten nach der Befreiung einfach erloschen. Wir anderen, die diese erste Gefahrenzone durchstehen konnten, haben versucht, aus dem neu geschenkten Leben etwas zu machen. Den einen gelang es, andere blieben auf der Strecke, noch andere – nicht wenige! – haben sich, Jahrzehnte nach der Befreiung aus dem Lager, noch das Leben genommen.

Aber auch wenn man, allmählich und mit Hilfe vieler anderer Menschen, das Leben in den Griff bekam: aus dem Bannkreis von Auschwitz kam man damit nicht heraus. Denn unter all der äußeren Normalität, hinter aller bürgerlichen Ordnung und wirtschaftlichen Sicherheit, die man erreichen konnte, wenn man es nur richtig hatte anpacken können, blieben die eigentlichen Beschädigungen unberührt. Eines hatte mit dem anderen nichts zu tun. Die meisten von uns verblieben, der eine mehr, der andere weniger, in einem Doppelleben: ein Teil war hier, der andere immer noch in Auschwitz.

Das heißt aber: eine Gesundung im vollen Sinn war nicht möglich. Wer Auschwitz in sich weiterträgt, muß sich immerzu anstrengen, um die beiden Teile, die sein Selbst ausmachen, den Alltagsteil und den Auschwitzteil, soweit zusammenzuhalten, daß er sich selbst nicht zerreißt, nicht verrückt wird. Viel Kraft fließt dabei nutzlos ab; sie muß zur Balance des bestehenden Zustands verwendet werden, ohne daß man sie produktiv einsetzen kann.

Die gestörte Integrität des Menschen, der zu diesem Doppelleben gezwungen ist, weil die Erinnerung an Auschwitz ihn nicht losläßt, zeigt sich in vielen Störungen der Gesundheit von Körper und Seele, die ja ein Ganzes sind. Vor allem anderen steht die Angst; durch ein Objekt, durch menschliche Gesichter, durch Stimmen oder Geräusche ausgelöste und spontane Angst, die aus dem eigenen Inneren kommt. Die Angst geht in die Träume ein, Bilder von real Erlebtem und auch ganz verzerrte Angstbilder stören den Schlaf. Am Tage löst die Angst Konzentrationsstörungen aus, rasche Ermüdbarkeit und anhaltende innere Unruhe. Andauernde Angst und schlechter Schlaf bewirken wiederum körperliche Erkrankungen: Herzgefäßverkrampfungen, Muskelverspannungen, Rückenschäden, chronische Kopfschmerzen.

Das ist, für sehr viele Juden und Jüdinnen, bis heute die nach außen unsichtbare Innenseite des Lebens nach der Befreiung. Im Alter wird das keineswegs immer besser, es „wächst sich nicht aus“. Im Gegenteil: so lange ein Mensch jung und vital ist, hat er die Kraft, die er zum Verdrängen von quälenden Gefühlen oder Erinnerungen braucht. Mit den biologisch bedingten Rückbildungsprozessen im höheren Lebensalter aber läßt diese Energie normalerweise nach. Dann kann die Auschwitzseite des jüdischen Doppellebens die Übermacht gewinnen, und ein neues, Krankheitsbild entsteht, mit gesteigerter Angst und vertiefter Depression, mit erhöhter Selbstmordgefahr.

Ein Ausbruch aus dem Doppelleben könnte nur gelingen, wenn der aus Auschwitz gekommene und doch immer noch dort festgehaltene Mensch darüber sprechen könnte. Doch dazu würde ein außerordentlich großes Maß an Vertrauen zu einem Gesprächspartner gehören. Gerade die Fähigkeit, zu vertrauen, sich gar einem anderen anzuvertrauen, wurde jedoch in Auschwitz tief beschädigt, wenn nicht zerstört. So bleibt, auch in jeder Liebe oder Freundschaft, eine unsichtbare, aber spürbare Wand. Sie hält den Auschwitz-Menschen in einer unaufhebbaren Einsamkeit. Die Partner können nicht deuten, warum der geliebte Mensch sich so verhält; sie sehen nur die Symptome, nicht die Ursachen. Die eigenen Kinder können nicht deuten, was mit dem Vater oder der Mutter oder mit beiden los ist, sie spüren nur, daß da eine tiefe Störung ist, und diese ver-stört auch sie. Mit solchen Eltern kann man sich nicht streiten, nicht aggressiv gegen sie sein, d.h. aber: wichtige Reifungsprozesse nicht durchmachen. So beschädigt das Doppelleben des Nach-Auschwitz-Menschen alle Beteiligten – mehr oder weniger, ich wiederhole es immer wieder! – aber immer in einem Maße, das volle Freiheit fast unmöglich macht und oft nur ein eher seltenes und kurzes Glück erlaubt.

Wir Juden müssen alles daran setzen, Auschwitz hinter uns zu lassen, Auschwitz zu vergessen. Wir müssen die Herrschaft von Auschwitz über unsere Seelen zumindest so weit eingrenzen, daß es unser Leben und Denken so wenig wie möglich bestimmt. Wir müssen Auschwitz seelisch und intellektuell in den Griff bekommen, anstatt daß es uns im Griff behält und fortfährt, uns zu zerstören. Seelisch bekommen wir Auschwitz – wenn überhaupt – nur in den Griff, indem wir therapeutisch bearbeiten, was wir erlebt haben. Intellektuell bekommen wir es in den Griff, indem wir Auschwitz relativieren, d.h. einordnen in den geschichtlichen Zusammenhang, in den es gehört, und ihm damit seine mythologische Gewalt nehmen. Dazu gehört vor allem, daß wir, wenn wir aus einer assimilierten Tradition kommen, wie die meisten von uns, hinter die Barriere von Auschwitz zurückgehen und uns unser gesamtes jüdisches Erbe, 3000 Jahre einer großartigen Kultur, wieder anzueignen beginnen. Geistig aufrecht gehen kann nur, wer sich von einer langen und großen geistigen Tradition gehalten weiß.

Sich von Auschwitz her als Jude zu definieren, bedeutet, sich vom Tode her, vom ganz und gar Sinnlosen her zu definieren. Alles, was wir denken, träumen und als Juden tun, steht dann unter dem einzigen Motto: „Nie wieder Auschwitz!“ Der Wunsch ist natürlich berechtigt, aber er darf uns nicht beherrschen.

Verharren wir vor dieser ungeheuren Barriere der Erinnerung, verstellen wir uns nicht nur den Blick auf das Ganze unserer jüdischen Geschichte und Kultur, auf Freude und Glück des Jüdischsein. Auch die psychischen Konsequenzen sind dann verheerend. Das Verharren bei der Erinnerung an Auschwitz macht uns nicht nur krank, es macht uns auch friedensunfähig. Wir können dann auch politisch keinen Frieden finden, vor allem in Israel mit den Menschen, die dort mit uns auf dem gleichen Mutterboden wohnen und ein Recht auf ihn haben, wie wir auch. Wenn wir nicht in diesem Sinne Auschwitz zu vergessen lernen, bleibt uns nur die Alternative zwischen der totalen Assimilierung an die Umwelt und damit dem Untergang als Juden und einer ständigen Instrumentalisierung von Auschwitz, mit der wir auf andere bedrohlich werden und unsere Isolierung verewigen.

Dr. Yaacov Ben-Chanan ist Professor für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität/GHS Kassel.

„Schwule Säue!“

„Schwule Säue!“

Rechtsextremismus und Konservativismus im homophoben Gleichschritt

von Bernhard Nolz

Eine Analyse der Situation der männlichen Homosexuellen in Deutschland während der letzten 50 Jahre seit dem Ende des nationalsozialistischen Terrorsystems ergibt eine wenig befriedigende Bilanz: 1945 werden zwar auch die Rosa-Winkel-Häftlinge aus den Konzentrationslagern befreit, aber auf der Grundlage des durch die Nationalsozialisten verschärften § 175 werden Homosexuelle in der BRD noch 25 Jahre lang abgeurteilt.

Durch die im Jahre 1994 erfolgte Streichung des § 175 aus dem Strafgesetzbuch sind zwar sexuelle Handlungen zwischen Männern über 16 Jahre nicht mehr strafbar, aber im politischen Handeln und Reden, vor allem im Zusammenhang mit Aids, läßt sich heute erneut eine zunehmende Diskriminierungsbereitschaft registrieren.1

Ich nehme den fünfzigsten Jahrestag des Endes von Krieg und Nazi-Diktatur zum Anlaß, an das ungebrochene Fortbestehen des Jahrhunderte alten Feindbildes Homosexualität als Orientierungs- und Handlungsmuster für konservative und rechtsextremistische Politik zu erinnern.2 Ihre Homophobie wird besonders deutlich bei der Darstellung der Geschichte des Strafrechtsparagraphen 175.

„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“ 3

Dieser Paragraph – übernommen aus dem preußischen Gesetzbuch von 1851, geändert in den Jahren 1935 und 1969/73 – hat im Kern bis 1994 in der Bundesrepublik Deutschland fortbestanden. Das Hauptinteresse meiner Darstellung ist auf einen Zeitabschnitt von rund 35 Jahren konzentriert. Denn bis zur Strafrechtsreform durch die sozial-liberale Koalition im Jahre 1969 haben konservative und rechtsextremistische Parteien die Politik in Deutschland – und damit auch gegenüber der homosexuellen Minderheit – bestimmt. Die stärkste rechtliche Verschärfung hat der § 175 durch die nationalsozialistische Diktatur erfahren. Die rechtliche Absicherung der Diskriminierung Homosexueller geschieht analaog zur Entrechtlichung anderer Minderheiten. Die Ausrottung der Schwulen wird von den Nazis allerdings nicht so konsequent tödlich verfolgt wie die der Juden. Doch bis heute werden den geschundenen Homosexuellen Rehabilitation und Wiedergutmachung verweigert bzw. in beschämend geringem Umfang und unter z.T. menschenverachtenden Bedingungen gewährt. Damit teilen sie das Schicksal von Roma, Sinti, Deserteuren und anderen politisch verfolgten Gruppen, denen als Opfer der Nazi-Diktatur im Nachkriegsdeutschland Gerechtigkeit versagt geblieben ist.

Nationalsozialistisches Strafrecht

Im Jahre 1935 wird die Schwere Unzucht (§175a) ins Strafrecht eingeführt. Als Straftatbestand genügt bereits eine Handlung, „die das geschlechtliche Scham- und Sittlichkeitsgefühl der Allgemeinheit verletzt und bestimmt ist, eigene oder fremde Geschlechtslust zu erregen“.

Der Interpretationsspielraum, den die Formulierung eröffnet und der implizierte Aufforderungscharakter zur Denunziation sind gewollt. Sie sichern das Konzept einer umfassenden Kriminalisierung von Homosexuellen der Öffentlichkeit gegenüber ab. Sonderdezernate der Kriminalpolizei werden eingerichtet, ein Spitzel- und Provokateursystem wird aufgebaut; Geheimerlasse ordnen die Überweisung von Wiederholungstätern in Konzentrationslager an, und für homosexuelle Angehörige von SS und Polizei wird die Todesstrafe verfügt. (Goebbels: „… Pestbeulen, Korruptionsherde, Krankheitssymptome moralischer Verwilderung … werden ausgebrannt, und zwar bis aufs Fleisch.“) Der Verfolgungsstaat nimmt konkrete Formen an.

Himmler, SS-Reichsführer und Chef der deutschen Polizei, erklärt 1937: „Die homosexuellen Männer sind Staatsfeinde und als solche zu behandeln!“ Homosexuelle in Deutschland teilen endgültig das Schicksal der politischen Verfolgung mit oppositionellen Politikern, Gewerkschaftern, Intellektuellen u.a. Die Diskriminierung homosexueller Bürger durch den Staat nimmt damit eine neue, nie dagewesene Dimension an.

Für die Kriminalisierung und Diskriminierung von Homosexuellen gibt es in der nationalsozialistischen Diktatur – wie zu allen Zeiten – dieselben Begründungen: Fortbestand der Menschheit und Volksgesundheit, Natur- und Sittengesetze, Moral- und Volksempfinden. In einem Kommentar zum § 175 aus dem Jahre 1935 wird von strafwürdigen Handlungen gesprochen, „die objektiv nach gesunder Volksanschauung das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung verletzen und subjektiv in wollüstiger Absicht vorgenommen werden. … Die wollüstige Absicht gehört bereits zum Begriff der Unzucht“.

Schon vorher hatte Hitler in »Mein Kampf« dargelegt, daß der „völkische Staat“ für die Reinerhaltung der Rasse zu sorgen habe und die Ehe nicht Selbstzweck sei, sondern „der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse dienen“ müsse. Bei der Erfüllung dieser Zuchtaufgabe fielen die Homosexuellen aus; als minderwertiger Bestand des Volkes waren sie daher nutzlos und von einem Ausmerzungsterror bedroht. Hans-Georg Stümke macht auf die Verbindung von Innen- und Außenpolitik aufmerksam: „… die bevölkerungspolitische Aufrüstung (blieb) nicht allein innenpolitischer Selbstzweck. Ihre Erfüllung fand sie im außenpolitischen Programm der NS-Regierung“ vom neuen Lebensraum des deutschen Volkes im Osten, der nicht ohne Krieg einnehmbar sein werde. Programme zur Steigerung der Rüstungs- und Menschenproduktion werden befohlen. („Unsere Rettung ist das Kind!“, Hitler 1942.) Ein während des Krieges begonnenes Versuchsprogramm am lebenden Menschen zur »Umpolung« von Homosexuellen bringt nicht den gewünschten Erfolg. Auch nicht – das zeigen Geburtsstatistiken – das von Himmler geforderte harte Durchgreifen der Polizei, um „die Fälle der Homosexualität und der Abtreibungen4 zu verringern, daß der durch diese Delikte verursachte Geburtenausfall auf ein Minimum herabgedrückt würde“.

„Da Homosexuelle in der bürgerlichen Sexualideologie prinzipiell als »Kranke und Kriminelle« angesehen wurden, erlitten sie im Rahmen jenes Primats das gleiche Schicksal wie alle jene, die aus dem Muster der Rassenzüchtungsmoral herausfielen. Die Übersteigerung der traditionellen Fortpflanzungsmoral zur Zuchtmoral bestimmte das typisch Nationalsozialistische an der Homosexuellen-Verfolgung in der Zeit von 1933 bis 1945“ (Hans-Georg Stümke).5

Bundesrepublikanisches Strafrecht

Auf der Grundlage des in der Bundesrepublik Deutschland unverändert weiter bestehenden NS-§ 175 setzt sich die juristische Verfolgung der Homosexuellen auch im demokratischen Staat ungebrochen fort. Er übernimmt das faschistisch geprägte Feindbild des Homosexuellen. Mit der Gründung schuf sich der neue Staat seine erste politisch verfolgte Gruppe; weitere sollten folgen. Zunächst schien allerdings die Befreiung Deutschlands vom Faschismus auch auf eine Befreiung vom Nazi-Un-Recht hinauszulaufen, da von den Siegern verboten wurde, weiterhin Rechtsvorschriften anzuwenden, die während der Nazi-Diktatur in strafverschärfender Weise erlassen worden waren. Das galt für den § 175. Doch schon in einer detaillierten alliierten Anweisung aus dem Jahre 1946 ist das Anwendungsverbot für den § 175 nicht mehr enthalten. Die politische Kontinuität der Schwulendiskriminierung von den Nazis über die Alliierten bis zu den demokratischen Deutschen bleibt gewahrt. Richter, die z.T. schon nationalsozialistisches Unrecht gesprochen hatten, lehnen Klagen gegen das Fortbestehen des NS-§ 175 ab. Die Realität politischer Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus findet in den Entscheidungen der (west-)deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit ab 1949 ebensowenig Akzeptanz bzw. Berücksichtigung wie die Tatsache, daß die Strafrechtsänderung des § 175 im Jahre 1935 durchgeführt wurde, als die Diktatur in Deutschland bereits fest etabliert war und die Nazis das erste Blut an den Händen hatten. Das Weiterbestehen des § 175 wird mit nationalsozialistischer Argumentation begründet: Biologismus („… auch für das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter …“) und Volksempfinden („Sittengesetz und eine natürliche Lebensordnung im Volke“). Mit dem Hinweis auf die Religionsgemeinschaften, „insbesondere die beiden christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich beurteilen“, greifen die Richter das jahrhundertealte Dogma von der Fortpflanzungsmoral auf.

Bis zur Reform durch die sozial-liberale Koalition im Jahre 1969 prägen die konservativen Argumente der CDU/CSU die Diskussion über die Homosexualität. 1962 wird beispielsweise amtlicherseits behauptet, daß an „Verfehlungen gegen § 175 StGB überwiegend Personen beteiligt sind, die nicht aus angeborener Neigung handeln, sondern durch Verführung, Gewöhnung oder geschlechtliche Übersättigung dem Laster verfallen sind“. Oder man beschwört die Gefahr: „Vor allem stände auch für die Homosexuellen nichts im Wege, ihre nähere Umgebung durch Zusammenleben in eheähnlichen Verhältnissen zu belästigen.“ Das Strafrecht habe die Aufgabe, „einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.“

In Zeiten des Kalten Krieges fällt es konservativen Politikern nicht schwer, ihre Affinität zur Nazi-Ideologie hinter einer Feindbildpropaganda gegen Homosexualität und Kommunismus zu verbergen. Sie verwirklicht sich in einer Politik, die nicht nur – wie schon die Nazis – durch familienpolitische Maßnahmen „einen Willen zum Kinde“ fördern will, sondern „Millionen innerlich gesunder Familien mit rechtschaffen erzogenen Kindern sind als Sicherung gegen die kinderreichen Völker des Ostens mindestens so wichtig wie alle militärischen Sicherungen“ (Familienminister Wuermeling). Und auch die Staatsfeind-These Himmlers, antikommunistisch gewendet, wird in den sechziger Jahren in konservativen und rechtsextremistischen Publikationen verbreitet; „Die Homosexuellen sind eine ungeheure Gefahr für die junge deutsche Demokratie.“

Mit der Strafrechtsreform des Jahres 1969 bzw. der Novellierung von 1973 wurde die Straflosigkeit homosexueller Handlungen von Männern vom 18. Lebensjahr an eingeführt. In den damit verbundenen Debatten und bei allen folgenden Versuchen, die völlige Streichung des § 175 zu erreichen, wurden in vielerlei Variationen die Argumente wiederholt, die die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von Homosexuellen über 100 Jahre lang zu begründen versuchten.

Politische und strafrechtliche Verfolgung statt Minderheitenschutz

Konservative und rechtsextremistische Parteien der jungen Bundesrepublik Deutschland beziehen sich programmatisch und/oder ideologisch – und zwar nicht nur in der Frage der rechtspolitischen Behandlung von Homosexuellen – in unterschiedlicher Weise, z.T. erklärtermaßen oder sich abgrenzen wollend, auf ihre Vorläufer in der Weimarer Republik und im »Dritten Reich«. Das gemeinsame Feindbild Homosexualität und die Diskriminierung von Homosexuellen als Umsetzung in gesellschaftspolitisches Handeln sind kennzeichnende Merkmale der Politik von konservativen und rechtsextremistischen Parteien in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Sie stellen sich auf diese Weise – auch nach dem Untergang der nationalsozialistischen Diktatur – in die Tradition faschistischer und antidemokratischer Ideologie und Politikgestaltung. Armin Pfahl-Traughber stellt die Affinität von konservativen und rechtsextremistischen Parteien in der BRD auf publizistischer Ebene für die achtziger und neunziger Jahre fest, die einer „Erosion der Abgrenzung von Konservativismus und Rechtsextremismus“ gleichkommen. Er spricht von „Brücken zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus“ 6. Beispiele für derartige Brücken zwischen beiden politischen Lagern lassen sich viele finden. Häufig präsentieren sie sich in einem zeitgemäßen Gewande und verzichten auf die traditionelle rassistische Argumentation. Mit Hilfe des Schlagwortes von der „kulturellen Differenz“ etwa wird versucht, die Verbindlichkeit demokratischer Normen und die Gültigkeit individueller Menschenrechte aufzuweichen. Selten wird – wie in einem Flugblatt, das in Westfalen aufgetaucht ist – in aggressiver Weise von „Juden, Zigeunern, Homosexuellen und anderem Pack, das auszumerzen ist“ gesprochen. Bei den Verfassern solcher Pamphlete, aber auch bei denjenigen, die ihre rechtsextremistischen Botschaften so verpacken können, daß sie für viele akzeptabel erscheinen, stoßen Forderungen nach sexueller Freiheit oder die Verwirklichung einer Lebensweise als Praxis sexueller Freiheit auf Ablehnung. Sexuelle Selbstbestimmung des Individuums paßt – wie jegliches Beharren auf individueller Selbstbestimmung – nicht ins ideologische Konzept. Stattdessen werden alle Menschen »gleichgeschaltet«, was für Homosexuelle zur Folge hat, auch dem Zwang zur Heterosexualität unterworfen zu werden. Die Gewalthaltigkeit dieses politischen Handelns, die von staatlicher Seite in vielen Fällen geleugnet oder auch gar nicht erkannt wird, weil demokratisch bzw. gesellschaftlich legitimiert, steht im Gegensatz zu Projekten der Aufklärung und der Emanzipation. Die Nähe zum Faschismus, der die Menschenvernichtung der Minderheiten zum gesellschaftlichen Programm erhebt, ist evident. „So wie das nazistische Regime nicht zufällig das Regulierungsmittel der Zwangsarbeit praktizierte“, schreibt Rüdiger Lautmann, „wurde hier die Zwangsheterosexualität angewandt, um politische Ziele wie Produktivität der Arbeit und der Familie sowie Kontrollierbarkeit des Individuums zu erreichen. An den Homosexuellen wurde Programmtreue und Stärke der neuen Staatsform demonstriert.“ 7 Und das Programm konservativer und rechtsextremistischer Parteien in Deutschland nach dem Kriege, so ließe sich ergänzen, ist – bezogen auf Homosexuelle – geprägt von der Treue zum nationalsozialistischen (Un-)Recht und von der Proklamation der Stärke der neuen Staatsform, die sich als »wehrhafte Demokratie« etabliert und als unantastbar erscheinen möchte.

Minderheiten als Störpotential

Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, daß Homosexuelle in allen Staatsformen diskriminiert werden und daß die Minderheit der Homosexuellen immer wieder instrumentalisiert wird, die Mehrheit zu disziplinieren. Homosexuelle erleben, daß das preußische Regulativ der Verdammung der Homosexuellen – es übernimmt die Intoleranz der christlichen Kirchen zu dieser Frage – in der neuen Weimarer Demokratie fortlebt. Homosexuelle werden Opfer der Exzesse der Nazi-Diktatur – wie andere Minderheiten auch – und sind lange Jahre sprachlos gegenüber der Legitimierung der vergangenen Untaten und der Tatsache fortwährender Diskriminierungen in der Bundesrepublik Deutschland.

Im starken Staat sind Minderheiten lästig, höchstens geduldet, notfalls werden sie eliminiert, denn sie stellen potentielle oder aktuelle Unruhestifter und Störenfriede dar.8 An ihnen – den sexuellen Abweichlern – wird den anderen vorexerziert, mit welchen »politischen« Mitteln Widerständige zu rechnen haben. Auf diese Weise versucht die Macht sich innen- und außenpolitisch zu legitimieren und knüpft an alten, von den aufgeklärten Bürgerinnen und Bürgern als längst überwunden geglaubten, von Konservativen und Rechtsextremen immer wieder aktivierten Politikvorstellungen an. Dazu paßt, daß friedliche Mittel der Auseinandersetzung, z.B. Diskussion, Täter-Opfer-Ausgleichsverhandlungen oder Verzicht, als untauglich für eine Konfliktlösung angesehen werden. Was Rüdiger Lautmann für ein faschistisches Regime im Hinblick auf den Umgang mit Homosexualität konstatiert, trifft auch ins Herz der Krise der heutigen Industriegesellschaft: „Ein faschistisches Regime wird oft die Homophobie schüren und benutzen, um die Herrschaftskrise zu meistern, der es selbst sein Entstehen verdankt.“ Die Minderheiten, die es »zu meistern« gilt, sind austauschbar; als Homosexuelle haben sie immer dasselbe Schicksal. In allen Zeiten – in der Monarchie, der neuen Weimarer Demokratie, in der Diktatur und wieder in der Demokratie (BRD) bzw. im Sozialismus (DDR) – kommen in Deutschland dieselben Diskriminierungsmuster gegenüber der homosexuellen Minderheit – immer auch in Gestalt des § 175 – zur Anwendung.

Ulrich Beck setzt auf das politische Potential von Minderheiten, Mehrheiten zu erringen. In seinem Konzept einer »Subpolitik«, einer Politik von unten, nehmen die Betroffenen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand.9 Diese Arbeit hört nie auf, und sie wird umso erfolgreicher sein, je offener sie sich in der gesellschaftlichen Diskussion zu Wort meldet.

Anmerkungen

1) Aus methodischen Gründen bezieht sich mein Beitrag nur auf die männlichen Homosexuellen; für die inhaltliche Beschränkung sprechen auch qualitative Aspekte. Zurück

2) Die Anregung zu diesem Beitrag erhielt ich von Prof. Dr. Jürgen Reulecke und PD Dr. Ute Daniel, Universität-Gesamthochschule Siegen. Zurück

3) Die Zitate aus Strafrechtsparagraphen und Politikdebatten sind entnommen aus: Hans-Georg Stümke: Homosexuelle in Deutschland. Eine politische Geschichte. München 1989. Zurück

4) „Die strafrechtliche Ahndung der Abtreibung verlief (nicht nur in der neueren) deutschen Geschichte stets parallel zur Kriminalisierung der Homosexualität.“ (Stümke, S. 111) Zurück

5) Nach NS-Statistiken wurden ca. 50.000 Homosexuelle verurteilt, davon sind schätzungsweise 10.000 in Konzentrationslagern inhaftiert worden; vgl. Stümke, S. 127. Zurück

6) Vgl.: Armin Pfahl-Traughber: Brücken zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus; in: Wolfgang Kowalsky/Wolfgang Schroeder (Hrsg.): Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz. Opladen 1994. Zurück

7) Rüdiger Lautmann: Seminar: Gesellschaft und Homosexualität. Frankfurt am Main 1977. Zurück

8) Vgl.: Wolfgang Gessenharter/Helmut Fröchling (Hrsg.): Minderheiten – Störpotential oder Chance für eine friedliche Gesellschaft. Baden-Baden 1991. Zurück

9) Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen. Frankfurt am Main 1993. Zurück

Bernhard Nolz ist Gesamtschullehrer in Siegen, Moderator in der Lehrerfortbildung und Sprecher der »Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden« (PPF).

Die Mitläufer

Die Mitläufer

Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Demokratie von heute

von Nadine Hauer

Wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren die deutsche und österreichische Gesellschaft vor der zunehmenden Gewalttätigkeit rechtsextremer Jugendlicher. Wie ist es möglich, daß nun die Enkel der NS-Generation längst Vergangenes aufgreifen, wo sich doch ihre Eltern als 68-er so massiv mit dieser Generation auseinandergesetzt haben?

Ganz abgesehen davon, daß von einer tiefgreifenden »Vergangenheitsbewältigung« nicht die Rede sein kann, sind auch die 68er, deren Zahl im Vergleich zur Gesamtbevölkerung auch nur sehr klein war, einem gravierenden Irrtum aufgesessen: auch sie waren überzeugt, es genüge,<14> <18>gegen<14> <>Faschismus, Nationalsozialismus und jegliche Form von Diktatur zu sein und man wäre damit schon automatisch demokratisch (und wir haben ja keine andere Alternative zur Diktatur als die Demokratie). Auch kann von einer wirklichen Auseinandersetzung der 68-er mit der NS-Generation ebenfalls nicht die Rede sein – sie blieb in Anklagen und Vorwürfen stecken.

1989 habe ich ein wissenschaftliches Projekt abgeschlossen, das ich unter der Leitung des Wiener Tiefenpsychologen Hans Strotzka (er ist im Juni 1994 gestorben) durchgeführt habe. Grundlage dieser »Mitläufer«-Studie war eine Lücke in der sogenannten Vergangenheitsbewältigung. Während man sich nämlich sowohl in Deutschland als auch – mit Verzögerung – in Österreich mit den »Kindern« der Opfer der NS-Zeit mehr oder weniger auseinandergesetzt und damit nun auch mit den Nachkommen der Täter begonnen hatte, wurden die Auswirkungen auf die nachfolgende(n) Generation(en) der Mitläufer bisher nicht untersucht, obwohl diese Gruppe als weitaus größter Teil der Bevölkerung die Tragfähigkeit jedes Systems – auch der Demokratie – ausmacht. Es ist kaum vorstellbar, daß die NS-Zeit bei 80 bis 90 Prozent der Gesellschaft keine Spuren hinterlassen hat, auch wenn sie davon selbstverständlich weniger betroffen waren als die Opfer und weniger aktiv als die offensichtlichen Täter.

Tiefgreifende Erfahrungen, die eine Gesellschaft als ganzes betroffen haben, in die also jede(r) einzelne aktiv oder passiv einbezogen war, hinterlassen allgemeine Spuren. Ist diese Erfahrung schwer zu bewältigen, schwer zu verarbeiten, wird sie zu einem gesellschaftlichen Tabu. Auch Tabus lösen eine Reihe von Normen und Ritualen aus, die den Zweck haben, an diese Tabus nicht zu rühren. Das kann eine »Natur«-Katastrophe, die ein ganzes Land betroffen hat (z. B. Tschernobyl), ebenso sein wie eine politische. Zu solchen kollektiven Erfahrungen gehören in den meisten europäischen Ländern Faschismus oder Nationalsozialismus, gehört in den USA der Vietnamkrieg und in den ehemaligen Ostblockstaaten der Stalinismus.

Ich beschränke mich hier auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und auf das Resumée meiner Studie, für die ich 150 Tiefeninterviews in Österreich und Deutschland durchgeführt habe. Meine These, daß die tägliche Kommunikation in Familie und Gesellschaft ebenso verläuft wie die Kommunikation über ein individuelles oder gesellschaftliches Tabu, hier also über die NS-Zeit – nämlich gestört oder verzerrt – wurde bestätigt. Wodurch eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit im persönlichen Bereich ebenso unmöglich wurde wie in der gesamten Gesellschaft und in der hohen Politik.

Grundlage für die These und die Auswertung der Tiefeninterviews waren zwei von mir entwickelte Modelle: der »Tabu«-Kreis und fünf grundsätzliche Kommunikationstypen. Wenn es ein Tabu gibt, so löst die Angst davor, das Tabu könnte angesprochen werden, einen ähnlichen unbewußten Mechanismus aus wie der vorauseilende Gehorsam. Man versucht Themen, Begriffen und Wörtern auszuweichen, die mit dem Tabu zusammenhängen oder damit zu tun haben könnten; diesen Teil habe ich das »Tabu-Vorfeld« oder die »Schutzzone« genannt, weil dahinter ja die unbewußte Absicht steht, sich selbst davor zu schützen, mit dem Tabu konfrontiert zu werden. Je stärker ein Tabu – individuell oder gesellschaftlich – wirkt, desto dichter muß die »Schutzzone« sein; die Kommunikation über das Tabu-Thema unterbleibt, verläuft verzerrt oder unterschwellig. Allerdings bleiben auch andere Themen, die dem Tabu als subjektiv nahe empfunden werden, ausgespart oder werden ebenfalls verzerrt vermittelt.

Das betrifft in vielen Fällen – und darin liegt die besondere Tragik des Tabus – auch die Grundlagen zur persönlichen und gesellschaftlichen Orientierung (vor allem Jugendlicher), schließlich also das gesellschaftliche »Klima«, die politische Kultur eines Landes. (Im Unterschied zu einem Familien-Tabu, das durch Hilfe von außen aufgelöst, relativiert oder zumindest abgeschwächt werden kann, ist das bei einem gesellschaftlichen Tabu kaum möglich, weil alle in Frage kommenden »Helfer« an diesem Tabu teilhaben). In die »Schutzzone« fallen nämlich auch Werte und Vorstellungen, die zur persönlichen und gesellschaftlichen Orientierung wichtig wären. Nimmt man Kindern und Jugendlichen aber die Möglichkeit, sich an vermittelten Wertvorstellungen zu reiben, sie in Frage zu stellen, so nimmt man ihnen die Möglichkeit, für sich eine persönliche und gesellschaftliche Orientierung zu finden. Die Folge ist eine »Des-Orientierung« aufgrund mangelnder Wertvorstellungen (»Sinnlosigkeit«).

Schon von Werten zu sprechen, gilt heute als fragwürdig, weil von vornherein als übermäßig konservativ bis reaktionär. Begriffe wie Loyalität, Verantwortung, Leistung, Disziplin, Pflicht, Heimat, Kameradschaft, Autorität, Aggression oder Macht – um nur einige aufzuzählen – lösen vor allem bei allen jenen, die als fortschrittlich gelten wollen, aber auch bei vielen Jugendlichen, negative Assoziationen aus; die Bedeutung dieser Werte auch für eine demokratische Gesellschaft wird nicht vermittelt. Ganz abgesehen davon, daß diese Werte und Begriffe – wie immer man dazu steht – Bestandteile unseres Alltags sind und durch Abwehr oder Verdrängung nicht aus dem gesellschaftlichen Leben verschwinden. Allerdings sind sie durch den Nationalsozialismus so stark in Mißkredit geraten, daß sie auch heute noch nicht ohne Unbehagen ausgesprochen werden können. Dieses Unbehagen ist auch der Grund dafür, daß die 68-er Bewegung in ihrer Auseinandersetzung mit der NS-Generation in Ansätzen steckengeblieben ist. Dazu gehörte auch, daß diese Auseinandersetzung nur mit den Vätern, nicht aber mit den Müttern versucht wurde; als ob die Mütter während der NS-Zeit nicht vorhanden und nur die Soldaten an der Front das NS-Regime repräsentiert hätten – ein weiteres Tabu übrigens, das ebenfalls bis heute nicht aufgelöst wurde.

Durch diese fehlende »Werte«-Auseinandersetzung wurde/wird Kindern und Jugendlichen einerseits die Chance genommen, zu begreifen, was über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg hinaus den Nationalsozialismus bis in die kleinsten Einzelheiten des Tages ausgemacht hat, andererseits aber auch, engagiert – pro oder contra – Stellung zu beziehen, weil man sie »anrennen« läßt. Daß neuere Umfragen zu beweisen versuchen, die heutige Jugend wäre nicht mehr autoritätshörig, sondern aufmüpfig, zwar nicht politisch interessiert, aber vor allem in Umweltfragen engagiert, sei bereit, sich für andere einzusetzen, halte ich für ein durch Wunschfragen manipuliertes Ergebnis. Denn selbstverständlich haben die meisten Jugendlichen schon in der Familie, später in der Schule, an der Universität und allerspätestens am Arbeitsplatz die allgemein üblichen Kommunikationsregeln gelernt. Daher antworten sie, was gesellschaftlich »in« ist, verneinen, was »man« nicht sagt, denkt oder tut, sehen sich so, wie sie (oder die Gesellschaft) sie sehen möchte. Waum sollten Jugendliche schließlich anders werden als die Gesellschaft, in der sie von klein auf leben und sozialisiert werden, mit der sie heranwachsen, in die sie sich integrieren und in der sie erfolgreich sein wollen?

Neben dem »Tabu«-Kreis aus den 150 Tiefeninterviews habe ich daraus fünf Kommunikationstypen entwickelt, die ich in Kurzform wiedergeben möchte:

  • MA=Monologisch-Autoritär (vorherrschend bei Männern)
  • EA=Emotional-Autoritär (vorherrschend bei Frauen)
  • UDN=Unterschwellig-Diffus-„Nebel« (häufig bei Frauen)
  • FR=Formal-Rationalisierend (häufig bei Männdern)
  • DO=Dialogisch-Offen (selten)

Ich beschränke mich hier nun auf jene Kommunikationsform, die sich als häufigste (in Deutschland etwa 50 Prozent, in Österreich weit darüber) und als typisch für Mitläufer herausgestellt hat: UDN, also »Unterschwellig-Diffus«-Nebel. Schlagwortartig skizziert ist dafür bezeichnend: keine Orientierung möglich, weil unklar, mehrdeutig; alles stimmt und stimmt auch nicht; Andeutungen, Halb-Erklärungen, Halb-Zugeständnisse bei Gegenargumenten; die (zustimmende oder ablehnende) Interpretation bleibt den anderen überlassen und hängt wesentlich von der jeweiligen (guten oder schlechten) Beziehung ab; autoritär in passiver, unterschwelliger Form; hat »nichts getan«, »nichts gesehen«, »nichts gewußt« und »konnte auch nichts tun, nichts sehen und nichts wissen«; bezieht nicht Stellung, was meistens nicht bedeutet, daß er/sie keine Meinung hat, sondern daß diese Meinung kaschiert oder verschleiert wird – weil man befürchtet, die Meinung könnte möglicherweise unopportun sein und beim anderen eine unerwünschte Reaktion hervorrufen oder in irgendeiner Form schaden, was auch für Nachfragen gilt. UDN kann aber auch bedeuten, daß es dabei so etwas wie ein latentes »Unrechtsbewußtsein«, ein »schlechtes Gewissen« (Scham) gibt, weil die Diskrepanz zwischen Grundeinstellung und Verhalten nicht gelöst wurde. Typisch für UDN ist auch »man« statt »ich« oder »wir«, als Alternative gilt nur »weder-noch«. Gesellschaftlich typisch für UDN ist »Anrennen-Lassen«, wie es Franz Kafka in seinem »Prozeß« als negativen Höhepunkt beschrieben hat. Diese Form der Kommunikation hat verhindert, den Nationalsozialismus in seinem (Un-)Wesen im Alltag zu erfassen und zu zeigen, wie stark jede(r) einzelne, gewollt oder ungewollt, darin verstrickt war. Gleichzeitig wurde damit nicht reflektiertes NS-Gedankengut mehr oder weniger unbewußt weitergegeben, ohne direkt eine NS-Ideologie zu vermitteln.

Tragische Folge dieser UDN-Kommunikation – auch und vor allem für die junge Generation: wer sich nicht in die Mitläufer-Gesellschaft einfügt, wer nachfragt, etwas genau wissen oder verändern will, wem menschliche Grundwerte wichtiger sind als formale »Tabu-Schutzzonen«, muß in dieser Gesellschaft anecken oder zum Außenseiter werden.

Die Alternative dazu ist innere Emigration. Es sind immer die Mitläufer, die Unrecht zulassen und dulden – und es später als »erdulden« interpretieren. Nicht erst in einer Diktatur, auch im Alltag unserer Noch-lange-nicht-Demokratie, denn bisher sind wir in vielen Lebensbereichen auf dem Weg zur Demokratie stecken geblieben. Schon Voltaire sagte: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“

So verständlich es ist, daß die Bevölkerung gesellschaftliches Unbehagen den Politikern anlastet: Politiker sind nur in Ausnahmefällen untypisch für eine Gesellschaft, sie spiegeln die typischen gesellschaftlichen Strömungen und ihre politische Kultur wider.

Aus meiner Studie ist außerdem deutlich geworden, daß das Hauptpotential vor allem jugendlicher Rechtsextremer nicht aus »ewiggestrigen«, sondern aus Familien mit UDN-Kommunikation kommt; daß UDN-vermittelte Ansichten anfälliger für rechtsextremes Gedankengut machen als offen vertretene faschistische oder nationalsozialistische Positionen. In der Mischung von widersprüchlichen Einstellungen und der Unmöglichkeit, (Generationen)Konflikte, auch gesellschaftspolitische, auszutragen, verhindert die UDN-Kommunikation die Ablösung von den verschwommenen Ansichten der Eltern ebenso wie eine persönliche und gesellschaftliche Orientierung. Orientierungslosigkeit aber fördert den Rechtsextremismus – weit mehr, als es durch eindeutig artikulierte rechtsextreme Ansichten geschieht.

Das Mitläufer-Verhalten schlägt sich auch in der Erziehung nieder. Im allgemeinen stellen sich Eltern auf die Seite der sogenannten Autoritäten – auch dann, wenn diese offensichtlich nur autoritär sind –, und sei es nur, um ihren Kindern und Jugendlichen Unannehmlichkeiten, sich selbst aber Auseinandersetzungen zu ersparen. Dadurch wird allerdings vermittelt, daß man gegen »die da oben« sowieso keine Chance hat; ein Teufelskreis, weil das in unserer politischen Mitläufer-Kultur gerade deshalb meistens stimmt. Dazu gehört auch, daß es offensichtlich besser ist, sich auf Diskussionen gar nicht erst einzulassen. In Auseinandersetzungen unter Klassen- und Arbeitskollegen zum Beispiel herrscht die Tendenz vor, sich aus allem herauszuhalten. Wird jemand von anderen schlecht behandelt, so soll das Kind oder der Jugendliche dabei zwar nicht mittun – also nicht Täter werden –, sich aber auch nicht einmischen oder gar auf die Seite des(r) Angegriffenen zu stellen, weil »man nie weiß, was dabei herauskommt«. Für Mitläufer bedeutet Unterlassung, »sauber« und unangreifbar zu bleiben. Was sie vermitteln, ist eine Haltung, die autoritärem Gedankengut und undemokratischen Strukturen Vorschub leistet. Wie sollen da Heranwachsende Demokratie, die ohne Stellungnahme und ohne Einmischung nicht möglich ist, begreifen?

Abschließende Überlegungen zur Demokratie aus politisch-psychologischer Sicht. Während religiöse Institutionen, vordemokratische beziehungsweise autoritäre Gesellschaftsformen und Ideologien Strukturen entwickelt haben, die auch das Denken, Fühlen und Verhalten, also die geistig-seelische Befindlichkeit der Menschen durch vermittelte Normen (positiv oder negativ) prägen, scheint das in der Demokratie bisher nicht gelungen zu sein. Das mag daran liegen, daß die »inneren« Strukturen verhindern, entsprechende Demokratie-Strategien für den Alltag zu entwickeln. Äußere Strukturen sind wegen ihrer Eigendynamik zwar mühsam, aber, weil konkret, doch veränderbar. Innere, sehr oft unbewußte Strukturen sind hingegen viel schwerer zu beeinflussen und wegen ihres Beharrungsvermögens auch nur sehr langsam in Bewegung zu setzen. Daher hinken die inneren Strukturen immer hinter äußeren Veränderungen nach, bleiben sie oft lange Zeit weit hinter diesen äußeren Veränderungen zurück. Das gilt für Einzelpersonen ebenso wie für die Struktur einer Institution oder einer Gesellschaft. Die Stärke totalitärer Denk- und Gesellschaftssysteme liegt offensichtlich darin, daß sie ihre Anhänger mit totaler Versorgung und totaler Sicherheit »belohnen«, wofür Mehrheiten auch bereit sind, dafür den Preis der Unterwerfung und Entmündigung zu bezahlen. Darin liegt auch die Anziehungskraft rechtextremer Gruppen (und Sekten) für desorientierte Jugendliche.

Heute ist vom Ende der Ideologien die Rede – insbesondere für Mitteleuropa. Durch »Tabu-Schutzzonen« sind jedoch viele Inhalte vergangener Ideologien in Form von Alltags-Ritualen zu Alltags-Ideologien geworden: deutlich wird das in alltäglichen Umgangsformen, Verhaltensweisen und in der Alltags-Sprache (vielfach UDN-dominiert). Daß das nicht – oder kaum – wahrgenommen wird, liegt am geringen Stellenwert, der dem Alltags(er)leben in Politik und Gesellschaft, also in der politisch-gesellschaftlichen Kultur, zu Unrecht beigemessen wird. Eine Trennung zwischen öffentlichem gesellschaftlich-politischem Verhalten und privat-familiärem Denken und Sprechen mag für Diktaturen Gültigkeit haben (sie galt auch für das Biedermeier), auf dem Weg zur Demokratie muß sich diese Zweiteilung auflösen, soll eine Gesellschaft schließlich auch wirklich demokratisch werden.

Eine weitere Stärke autoritärer Denk- und Gesellschaftssysteme ist es, daß sie neben der Bedeutung äußerer Strukturen die Notwendigkeit von Symbolen und Ritualen erkannt haben, die wesentlich dazu beitragen, daß die »innere« Struktur zur Selbstverständlichkeit, also unbewußter Bestandteil des Alltags und der politischen Kultur einer Gesellschaft wird. Offensichtlich sind auch Symbole und Rituale durch die NS-Vergangenheit so belastet, daß es der Demokratie bis heute nicht gelungen ist, entsprechende demokratische Symbole und Rituale zu entwickeln; sie hat die Faszination solcher Rituale bisher autoritären Gruppierungen überlassen. Demokratische Gesetze, freie Wahlen, freie Meinungsäußerung und Bürgerinitiativen reichen anscheinend nicht mehr aus, um die Demokratie mit Engagement und Leben zu erfüllen. Wahrscheinlich jedoch werden die Gleichwertigkeit von Mehrheits- und Minderheitenpositionen oder eine »Basisdemokratie«, um nur einige demokratische Aspekte aufzugreifen, ohne eine Beeinflussung der »inneren« Strukturen, unter anderem auch durch (Sprach-)Symbole und Rituale, nicht zu verwirklichen sein. Die weit verbreitete gesellschaftliche UDN-Kommunikation ist jedenfalls ein Symbol für Demokratie-Unfähigkeit.

Im Gegensatz zu mehr oder weniger geschlossenen, hierarchisch strukturierten und stark oder total institutionalisierten gesellschaftlichen Systemen, kann Demokratie nur funktionieren, wenn ihr System weitgehend durchlässig ist; das gilt für ihre »äußeren« Strukturen ebenso wie für ihre »inneren«. Dazu gehört eine demokratische Kommunikationskultur: klar formulierte Wert-Vorstellungen, die laufend hinterfragt und auch verändert werden können – durch Information, offene Auseinandersetzung und Dialog. Das bedeutet jedoch, das kollektive Tabu zu durchbrechen, indem die eigene Verstrickung durchschaut und die UDN-Kommunikation abgebaut wird.

Die Chancen gegen zunehmende rechtsextreme Gewalt liegt nicht in erster Linie im Kampf gegen rechtsextreme Jugendliche (gegen die erwachsenen »Führer« und die intellektuellen Hintermänner können die bestehenden Gesetze ausreichend sein, wenn sie entsprechend angewendet werden), sondern im Einsatz für eine tatsächliche und nicht nur rein formale Demokratie. Das allerdings beginnt im Alltag und in der Art und Weise, wie Gespräche – auch mit Gegnern – geführt werden. Auch die Gesprächskultur ist ein Maßstab dafür, wie weit die NS-Diktatur tatsächlich »vergangen« ist und nicht mehr Bestandteil unserer politischen Kultur ist.

Meine empirische Forschung und die daraus resultierenden theoretischen Überlegungen haben nun auch zu praktischer politischer Bildung geführt. Ein Geschworenenprozeß gegen fünf junge Männer – drei von ihnen zum Zeitpunkt der Tat noch Jugendliche – war im Mai 1993 mit bedingten Freiheitsstrafen zu Ende gegangen. Eine Woche später saß ich mit acht anderen, etwa gleichaltrigen jungen Männern, die als Mitläufer angeklagt waren, im Kursraum einer Volkshochschule. Man hatte ihnen einen Vorschlag unterbreitet: wenn sie bereit wären, an Gruppengesprächen über NS-Ideologie und NS-Geschichte teilzunehmen, würde ihr Prozeß ausgesetzt.

Was sich die acht jungen Männer – fünf von ihnen Lehrlinge, drei bereits ausgelernt – erwarteten, war rasch klar. Sie rechneten mit »Aufklärung« über den Nationalsozialismus, der üblichen moralischen Entrüstung und »Umerziehung«, wie sie es nannten. Daß ich das alles nicht tat, irritierte sie. Ich hielt keine Vorträge, sondern suchte Gespräch, vor allem über Ausländer und Gewalt – ihre wichtigsten Themen.

Ich betonte zwar immer wieder meine strikte Ablehnung ihrer Einstellung, bezeichnete diese aber kein einziges Mal als falsch oder unmoralisch. Es ging mir vor allem darum, die ihnen bekannte Kommunikation über diese heiklen Themen zu durchbrechen und zu vermitteln, daß es möglich ist, eine Meinung klar zu vertreten, ohne die Ansichten anderer abzuwerten oder aggressiv zu werden.

Immer wieder versuchten sie mich zu provozieren. Das gehört zum Schema: vor allem Jugendlichen geht es bei NS-Sprüchen um Provokation und nicht um das Deklarieren einer NS-Ideologie; offensichtlich gelingt es ihnen sonst nicht, Aufmerksamkeit und Reaktionen zu bekommen. Daher blieb ich bei meiner Linie: auf jede Äußerung ruhig und sachlich zu reagieren, nachzufragen und sie dazu zu bringen, mir ihren Standpunkt verständlich zu machen. Damit wollte ich ihnen zeigen, daß ich ihre Ansichten zwar nicht teile, sie aber ernst nehme – ein für sie völlig ungewohntes, sichtlich irritierendes Verhalten, da sie nur UDN- oder »bestenfalls« MA- bzw. EA-Kommunikation gewöhnt sind.

Da mir nur fünf Abende zur Verfügung standen, konzentrierte ich mich auf das Thema »Gewalt«. Durch meine Kommunikationsweise wollte ich vermitteln, daß gewaltfreie Kommunikation möglich ist. Darüber hinaus wollte ich ihnen, ohne ihre Schwächen und Fehler zu bagatellisieren, ihre Stärken bewußt machen, ihre Fähigkeiten anerkennen, und indem ich mit ihnen wie mit Gleichberechtigten sprach, ihr Selbstbewußtsein stärken. Zuerst hielten sie das für einen Trick, um sie »weichzumachen«, bei einigen zeigten sich jedoch allmählich Ansätze erstaunten »Vertrauens« in meine Aufrichtigkeit.

Seit damals habe ich regelmäßig Workshops abgehalten: für Lehrer/innen, Bewährungshelfer/innen, Therapeutinnen und Therapeuten, auch für Gewerkschafter/innen; ich versuche, ihnen meine Methode weiterzugeben, ihnen vor allem aber verständlich zu machen, wie sehr die eigene Verstrickung in die NS-Zeit (sei es auch nur indirekt durch die UDN-Vermittlung der Eltern und Großeltern) zu Projektionen eigener Vorstellungen und Ängste führt und die nötige Distanz erschwert, die gerade im Umgang mit Jugendlichen bei den Themen Rechtsextremismus, Gewalt und Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit unbedingt notwendig ist. Und daß Gegenpositionen nur dann eine Chance haben, wenn sie in demokratischer Form (= vor allem emotionales Ernstnehmen der gegnerischen Position), also durch gewaltfreie, offene Kommunikation vermittelt werden.

Anregungen zur »Erinnerungsarbeit«*

Was war oder ist die Haltung meiner Eltern/Großeltern zum Dritten
Reich und insbesondere zu dem Unrecht, das den ganzen nationalsozialistischen Alltag
mitbestimmte?

Woher und wie zuverlässig weiß ich, was ich diesbezüglich weiß?

Habe ich nachgeforscht, was in dem Ort passiert ist, in dem meine Familie
damals lebte? Weiß ich, was meine Eltern/Großeltern von allem mitbekommen haben?

Ob sie sich dagegen gewehrt haben? Und wenn ja, wie das konkret aussah?

Weiß ich, ob meine Eltern/Großeltern eingeschritten sind, wenn Juden oder
andere »Volksschädlinge« in ihrer Gegenwart gedemütigt, bedroht oder angegriffen
wurden?

Habe ich überprüft, ob meine Eltern/Großeltern nicht zu den zahllosen
Tätern gehörten?

Habe ich bei dieser Überprüfung meine eigenen Kriterien von Täter- und
Mittäterschaft zugrundegelegt – unabhängig davon, was die Betroffenen mir sagten?

Weiß ich, wo mein Vater/Großvater an der Front war und welche NS-Verbrechen
dort passierten – unabhängig von den »normalen« Kriegshandlungen?

Weiß ich, was mein Vater/Großvater davon gesehen bzw. mitgetragen hat?

Haben meine Eltern/Großeltern Trauer, Scham oder Reue über die
NS-Vergangenheit gezeigt? Trauer, Scham oder Reue darüber, in dieser Zeit gelebt und sich
nicht anders verhalten zu haben?

Haben sie durchblicken lassen, daß sie sich so nicht wieder verhalten wollen?

Wie haben sie diese Absicht gegebenenfalls unter Beweis gestellt?

Bin ich schon einmal dem Gedanken nachgegangen, daß meine Wahrnehmung der
politischen Entwicklung, mein politisches Denken und Fühlen, von meinen Eltern geprägt
wurde? Daß deren Haltung zum Nationalsozialismus somit auch mich beeinflußt?

Wie fühle ich mich bei diesem Gedanken?

* Vgl. Rottgart, E. (1993), Das Gespenst lebt noch … Einbettung des
Rechtsextremismus in Deutschland. Wissenschaft und Frieden, 11, Nr. 1, S. 54

Albert Fuchs

Literatur

Bauriedl, Thea: Die Wiederkehr des Verdrängten. Psychoanalyse, Politik und der Einzelne. Piper 1988.

Bergedrofer Gesprächskreis: Hemmen Tabus die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft? 1965.

Ebbingshaus, Angelika (Hg): Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus. Delphi Politik 1987.

Eckstaedt, Anita: Nationalsozialismus in der »zweiten Generation«. Psychologie von Hörigkeitsverhältnissen. Suhrkamp 1989.

Focke, Harald/ Reimer, Uwe: Alltag unterm Hakenkreuz. Rowohlt 1979.

Gravenhorst, Lerke/Tatschmurat, Carmen (Hg): TöchterFragen – NS-Frauengeschichte. Kore Verlag 1990.

Hauer, Nadine: Die Mitläufer Oder die Unfähigkeit zu fragen. Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Demokratie von heute. Leske+Budrich 1994.

Heimannsberg/ Schmidl (Hg): Das kollektive Schweigen. NS-Vergangenheit und gebrochene Idenität in der Psychotherapie. Asanger Verlag 1988.

Heinemann, Karl- Heinz/Schubarth, Wilfried (Hg): Der antifaschistische Staat entläßt seine Kinder. Jugend und Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Köln 1992.

Müller-Hohagen, Jürgen: Verleugnet, verdrängt, verschwiegen. Die seelischen Auswirkungen der Nazizeit. Kösel 1988.

Sichrovsky, Peter: Schuldig geboren. Kinder aus Nazifamilien. Kiepenheuer & Witsch 1987.

Westernhagen, Dörte: Die Kinder der Täter. Das Dritte Reich und die Generation danach. Kösel 1987.

Nadine Hauer ist Politologin und Journalistin in Wien

Das Gespenst lebt noch …

Das Gespenst lebt noch …

Einbettung des Rechtsextremismus in Deutschland

von Elke Rottgardt

Der Rechtsextremismus in Deutschland hat in den letzten Jahren Ausmaße angenommen, die immer beängstigender werden. Viele Menschen stehen fassungslos davor und können es nicht verstehen, wie es passieren kann, daß massiv braunes Gedankengut und neonazistische Gewalt flächendeckend im ganzen Land wieder aufbrechen können.

„Der Nationalsozialismus lebt noch, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß als Gespenst dessen, was so monströs war, oder ob es gar nicht erst zu Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern.“

Theodor Adorno

1992 habe ich im Rahmen einer psychologischen Dissertation eine Untersuchung abgeschlossen, in der ich mich damit beschäftige, wie nach 1945 in den Familien mit dem Thema Nationalsozialismus umgegangen worden ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen eine psychodynamische Erklärung für den wiederaufkeimenden Rechtsradikalismus zu. Sie zwingen weiterhin zu dem Schluß, daß wir alle den Nationalsozialismus noch lange nicht überwunden haben und somit den Rechtsradikalen keine eindeutigen Grenzen setzen können.

Zunächst fordere ich den Leser und die Leserin auf, sich auf folgende Überlegungen einzulassen:

Niemand, der die NS-Zeit bewußt miterlebt hat, kann ohne Berührung zu den nationalsozialistischen Verbrechen geblieben sein: Juden wurden in aller Öffentlichkeit beschimpft, gedemütigt, verhetzt, bedroht, geschlagen. Sie wurden weitgehend aus dem Berufsleben, dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben verdrängt. In der sogenannten Reichskristallnacht wurden ihre Synagogen angezündet, Geschäfte verwüstet und geplündert. Die Vernichtung der Juden wurde öffentlich angekündigt. Mit Beginn der Deportationen 1941 rollten zunehmend mehr Züge durch das gesamte Reich, vollgestopft mit Menschen unter erbarmungswürdigen Umständen.

Der Terror richtete sich nicht nur gegen die Juden. Politische Gegner, Menschen, die sich unangepaßt verhielten (z.B. Schwule, Prostituierte, »Asoziale«, »Bibelforscher«) wurden erbarmungslos verfolgt. Körperlich und geistig Behinderte wurden zu »lebensunwertem Leben« erklärt und viele von ihnen ermordet. Ein dichtes Netz von Konzentrationslagern zog sich über das gesamte Reich. Fremdarbeiter, meist gegen ihren Willen nach Deutschland verschleppt, lebten unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern. An der gesamten Ostfront fand ein Völkermord unvorstellbaren Ausmaßes gegen Juden und andere statt, unter Mithilfe der Wehrmacht.

Niemand, der 1945 noch ein kleines Kind war, bzw. erst danach geboren wurde, kann von vornherein davon ausgehen, daß seine Eltern bzw. Großeltern an den eben beschriebenen Menschenverletzungen und Verbrechen nicht beteiligt waren. Bitte stellen Sie sich jetzt folgende Fragen:

Wissen Sie, ob Ihre (Groß)Eltern eingeschritten sind, wenn Juden in ihrer Gegenwart gedemütigt wurden? Haben Sie ernsthaft überprüft, ob Ihre (Groß)Eltern wirklich nicht zu den vielen Tätern gehören? (Täter gab es in allen Lebensbereichen, nicht nur in den Konzentrationslagern.) Haben Sie bei dieser Überprüfung Ihre eigenen Kriterien zugrunde gelegt, unabhängig von dem, was Ihre Eltern sagen? Haben Sie nachgeforscht, was in dem Ort passiert ist, in dem Ihre Familie damals lebte? Wissen Sie, was Ihre (Groß)Eltern von allem mitbekommen haben? Ob sie sich dagegen gestellt haben? Und wenn ja, wie sah das konkret aus? Haben Ihre (Groß)Eltern Trauer, Reue oder Scham über die NS-Vergangenheit gezeigt? (Ich meine nicht die allgemeine Äußerung: „Das ist ja schrecklich, was die Nazis gemacht haben“, sondern ich meine Scham darüber, in dieser Zeit gelebt und sich nicht anders verhalten zu haben.) Haben Ihre (Groß)Eltern durchblicken lassen, daß sie sich so nicht wieder verhalten wollen? Kennen Sie die Haltung Ihrer (Groß)Eltern zu dem Unrecht, das den ganzen nationalsozialistischen Alltag mitbestimmte? Wissen Sie, wo Ihr (Groß)Vater an der Front war und welche NS-Verbrechen dort passierten, unabhängig von den »normalen« Kriegshandlungen? Wissen Sie, was Ihr (Groß)Vater gesehen bzw. mitgetragen hat? Sind Sie schon einmal dem Gedanken nachgegangen, daß Ihr Denken, Fühlen und Ihre Wahrnehmung von Ihren Eltern geprägt wurde und daß deren Haltung zum Nationalsozialismus somit auch Sie beeinflußt? (Es sei denn, Sie kennen diese Anteile an sich und können sich deshalb davon distanzieren.) Ich vermute, die meisten Leserinnen und Leser müssen diese Fragen mit „nein“ beantworten.

Kein persönlicher Bezug zum Nationalsozialismus

In 23 mehrstündigen Tiefeninterviews mit Gesprächspartnern, die nach 1945 geboren wurden und deren Eltern beim Zusammenbruch des »Dritten Reichs« erwachsen waren, habe ich u.a. die Fragen untersucht: Was wurde in den Familien über den Nationalsozialismus gesagt und wie wurde darüber gesprochen? Welche Haltungen der Eltern und anderen Verwandten wurden sichtbar? Welches Bild haben sich die Kinder von ihren Eltern gemacht, bezogen auf die NS-Vergangenheit? Wie setzen die Kinder sich mit dem Nationalsozialismus auseinander?1

Zusammenfassend erbrachte die Befragung folgende Ergebnisse:

In keiner Familie hatte man sich eindeutig vom Nationalsozialismus distanziert. Im Gegenteil, in der Mehrheit der Familien herrscht immer noch eine pronationalsozialistische Haltung vor. Entsprechend gab es nirgendwo eine offene, aufarbeitende Auseinandersetzung. Dort, wo Familienmitglieder sich wegen des Nationalsozialismus stritten, ging es lediglich um Beziehungskonflikte. Man warf sich vor, Nazi zu sein, spielte das Wissen über den anderen aus, ohne daß es tatsächlich um die Vergangenheit ging. Über NS-Verbrechen wurde weitgehend nicht gesprochen. Wenn die Eltern von sich aus zu dieser Zeit etwas sagten, stellten sie sich als Opfer oder unschuldige und unpolitische Menschen dar.

Die Kinder haben sich kein unabhängiges und in sich stimmiges Bild von ihren Eltern gemacht. Dieses Ergebnis ist durchgängig. Z.T. lehnen sie es ab, sich ein Bild zu machen, weigern sich, Stellung zu beziehen zum Verhalten der Eltern, sind erbost über meine Fragen nach Mitverantwortung oder Mitschuld der Eltern. („Das ist Anmaßung“, „Das interessiert mich nicht“) Manche verstehen einfach nicht meine Fragen nach Bewertung und Einschätzung des Verhaltens der Eltern oder sie blocken sie ab. Oder die Aussagen über die Eltern sind widersprüchlich: die Eltern werden gleichzeitig als Nazis und Antinazis bezeichnet, für schuldig und unschuldig gehalten. Innere Konflikte ersparen sich einige Kinder, deren Eltern deutliche Affinitäten zum Nationalsozialismus haben, indem sie diese idealisieren. Durch zahlreiche Entschuldigungen werden die Eltern von ihren Kindern auffällig in Schutz genommen.

Das Bedürfnis, die Eltern zu schützen, ist bei allen Kindern vorhanden. In diesem Zusammenhang fallen Denkhemmungen auf, die alle Kinder bezüglich ihrer Eltern haben. Am häufigsten kommt es vor, daß Kinder die Beschreibungen ihrer Eltern als Anhänger des Nationalsozialismus später nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Ein anderer Schutzmechanismus sind die Entschuldigungen, die ebenfalls alle Kinder für ihre Eltern haben und durch die denen die Verantwortung für ihr Handeln abgenommen wird. Häufigste (ungeprüfte) Entschuldigungen waren: „Sie konnten nicht anders“ und „Sie waren hilflos“. In etlichen Fällen wurden, hauptsächlich den Müttern, Dummheit, Naivität und mangelndes Bewußtsein attestiert. „Ich bin auch nicht besser als meine Eltern“ war für jedes zweite Kind eine Entschuldigung, mit der Stellungnahmen zu den Eltern verweigert oder entkräftet wurden.

Einen Grund für das ausgeprägte Schutzverhalten der Kinder sehe ich in den Konflikten mit dem Elternbild, die bei fast allen Kindern mehr oder weniger stark spürbar werden. Die Eltern werden mit Schuld in Verbindung gebracht, was aber gleichzeitig wieder verdrängt wird. Der Gedanke an eine mögliche Schuld ist nicht zu ertragen bzw. schwer zu Ende zu denken.

Sehr beschränkte Auseinandersetzung

Das Wissen der Kinder über die NS-Lebensgeschichte der Eltern, auch über die private, ist auffällig gering und beschränkt sich weitgehend auf die unpolitischen Anteile. Wenn den Kindern Fakten über das politische Leben der Eltern bekannt sind, beschränkt sich das auf punktuelles Wissen über Parteizugehörigkeit, SS-Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zu Arbeitsdienst, BDM, HJ. Keines der Kinder weiß etwas über Haltung und Verhalten der Eltern bezüglich des Terrors, keines weiß definitiv, ob die Eltern in Verbindung zu NS-Verbrechen standen oder nicht. Wenn Vermutungen über die Eltern vorhanden sind, werden sie nicht konkretisiert und es wird ihnen nicht weiter nachgegangen. Niemand hat versucht, sich eindeutige Informationen über die Eltern zu beschaffen. Die »heiklen« Bereiche der NS-Geschichte der Eltern werden weitgehend ausgeklammert. Z.T. werden Wissenslücken mit eigenen, beschönigenden Vorstellungen gefüllt, die nicht zu dem passen, was sonst über die Eltern berichtet wird. Nur ein Sohn ist genauestens über die SS-Karriere seines Vaters informiert, über die in der Familie immer noch voller Stolz gesprochen wird. Die Frage nach Beteiligung an NS-Verbrechen läßt der Sohn allerdings ebenfalls nicht an sich heran.

Auch über die Kriegsgeschichte der Väter wissen die Kinder wenig, z.T. kennen die Kinder noch nicht einmal die Länder, in denen der Vater an der Front war. Niemand kann genauere Ortsangaben machen, wo der Vater gekämpft hat, Einheiten, Aufgaben der Väter und ihre Ränge in der Militärhierarchie sind weitgehend unbekannt.

Die Art und Weise, wie die Kinder sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen, zeigt eine deutliche Abhängigkeit von den Eltern. Zum Teil reproduzieren sie ungebrochen, was sie im Elternhaus gehört haben, zum größeren Teil finden sich Parallelen zu der Art, wie dort mit der Vergangenheit umgegangen worden ist.

In einigen Fällen habe ich den Eindruck, daß die Kinder durch ihr besonderes Engagement bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine Schuld der Eltern tilgen wollen. In allen diesen Familien gibt es Hinweise auf Bezüge der Eltern zu NS-Verbrechen. Die Kinder sehen allerdings keine Verbindung zwischen ihrem Engagement und der Vergangenheit der Eltern.

Eine Auseinandersetzung der Kinder mit der Frage, welche Auswirkungen der Nationalsozialismus auf die eigene Person hat, gibt es kaum. Sie sehen sich weitgehend unabhängig von diesem geschichtlichen Zusammenhang. Auch hier zeigt sich die Parallele zum Elternverhalten, die über eigene Bezüge zum Regime geschwiegen haben.

Diese Ergebnisse zeigen, daß innerhalb der Familien der Nationalsozialismus verdrängt wird. Eltern und Kinder verhalten sich, als ob die NS-Vergangenheit mit ihnen persönlich nichts zu tun hätte. Aus der psychoanalytischen Theorie und Praxis aber ist bekannt, daß alles Verdrängte wirksam bleibt und jederzeit wieder auftauchen kann. Bei den von mir befragten Kindern wird das deutlich in einer mangelnden Abgrenzung vom Nationalsozialismus. Sie verharmlosen ihn oder legitimieren ihn sogar, genau wie die Eltern. Ich höre rassistische und antisemitische Bemerkungen. Es wird auch Faszination spürbar. Speziell in die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen mischt sich bei einigen Kindern Faszination für Leid und Tod mit hinein.2

Mit den Ergebnissen meiner Untersuchung bin ich auf heftige Abwehr gestoßen. Häufigste Kritik war, die Ergebnisse seien nicht verallgemeinerbar. Aber auch andere machen die gleichen Feststellungen: Die österreichische Journalistin Nadine Hauer hat mit 150 Österreichern und Deutschen Gespräche geführt, in denen sie die Schuldtraumatisierung der NS-Nachfolgegeneration beleuchtet. Die Eindrücke, die sie gewinnt, decken sich mit meinen Untersuchungsergebnissen. Auch sie stellt fest, daß die Elterngeneration sich mit der eigenen Rolle im Nationalsozialismus nicht auseinandergesetzt hat und die Kinder ihnen gegenüber erschreckend unkritisch sind.3 Peter Sichrowski kam in 40 persönlichen Interviews und zahlreichen weiteren Telefonkontakten mit Kindern sowohl prominenter Nazis als auch von Mitläufern zu der Erkenntnis, daß niemand die Eltern in der Rolle von Tätern gesehen hat.

Mangelnde Abgrenzung vom Rechtsextremismus

Wenn aber der persönliche Bezug zum Nationalsozialismus geleugnet und verdrängt wird, kann es keine oder nur eine schwache Sensibilität für Wiederholungsmechanismen geben, sowohl individuell als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Für die aktuelle politische Situation bedeutet das folgendes:

Von der älteren Generation, die damals und auch später nie „nein“ gesagt hat zum Nationalsozialismus, kann man ein ernst gemeintes Aufbegehren gegen den Rechtsextremismus heute nicht erwarten. Aber auch für die jüngere Generation gilt, daß ein verbal geäußertes „nein“ zum Rechtsextremismus nicht ungebrochen ist. Wer es nicht für möglich hält, daß der Nationalsozialismus auf ihn persönlich Auswirkungen hat, kann sich nicht oder nicht spontan gegen nationalsozialistische Tendenzen wenden.

Nicht nur Politiker, Bürokratie und Polizei sind auf dem rechten Auge blind, unsere gesamte Gesellschaft ist es. Der Rechtsextremismus ist eingebettet in eine Atmosphäre von Schweigen bis Billigung. Rechtsextreme müssen nicht damit rechnen, auf ernsthaften Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen.4

Folgende Situation erscheint mir (noch) unmöglich in Deutschland: Eine Gruppe von Skins besteigt eine Straßenbahn und sofort entsteht eine allgemeine Stimmung des Widerstands bei den Fahrgästen mit dem Tenor: „Hier wird niemand angegriffen.“ Ich bin sicher, daß es ruhig bliebe. Angst bei den Fahrgästen, die dann das Startsignal für die Skins ist, kann nur deshalb um sich greifen, weil nicht mit allgemeiner Solidarität für das Opfer zu rechnen ist.

Viele Menschen verurteilen die Auswüchse der rechtsextremen Gewalt. Was aber tun dieselben Leute, wenn sie mit den Vorformen der Gewalt in Kontakt kommen? Wenn z.B. ihr Handwerker (der so sorgfältig arbeitet), der Kaufmann (der sonst immer so freundlich ist), der Nachbar (von dem man sich sowieso lieber fernhält) eine ausländerfeindliche, bzw. menschenverachtende Bemerkung macht? Mit den Eltern oder anderen Verwandten wird ja oft noch heftig diskutiert in solchen Situationen, obwohl das längst als fruchtlos erkannt wurde. Aber soll man sich mit jedem anlegen deshalb?

Um Kampf geht es m.E. auch nicht. Es geht darum, eine andere Atmosphäre zu schaffen. Eine Bemerkung wie: „In meiner Gegenwart keine solche Äußerung“ reicht aus, ein Gegengewicht zu setzen, ohne daß man sich gleich auf eine Diskussion einlassen muß. Kampf gegen den Rechtsextremismus beginnt auf der individuellen Ebene. Erst wenn die Stimmung in der Bevölkerung gegen rechte Unmenschlichkeit stark genug ist, werden Politiker und Bürokraten reagieren.5 Jeder muß sich mitverantwortlich fühlen für das, was passiert. Jeder ist mitverantwortlich für die Atmosphäre, die in unserem Land herrscht. Ein Nicht-Verhalten gibt es nicht, Schweigen bedeutet Zustimmung.

Man kann sich vornehmen, nicht passiv zu bleiben und sich innerlich auf die Situation vorbereiten, wie man reagieren will, wenn man z.B. sieht, wie Neonazis einen Ausländer angreifen. Aus meiner therapeutischen Arbeit und eigener Erfahrung weiß ich, daß diese innere Vorbereitung funktioniert. Wenn ich etwas wirklich nicht haben will, kann ich reagieren. Voraussetzung für diese Reaktionsfähigkeit ist allerdings eine ungebrochene Ablehnung rechtsextremen Denkens und Handelns. Diese Eindeutigkeit erfordert aber auch, daß man seine eigenen nationalsozialistischen Anteile kennt. Jeder muß sich darüber im klaren sein: wenn er in einer Familie aufgewachsen ist, die sich nicht eindeutig vom NS-Regime abgegrenzt hat, übernimmt er Anteile der elterlichen Affinität zum Nationalsozialismus. Erst, wenn man diese Seiten an sich kennt und sich darüber erschreckt, kann man sich von ihnen distanzieren.

Gewaltpotentiale sind immer noch wirksam

Der Grund, warum es schwer ist, nationalsozialistische Gewalt zu erkennen und darauf zu reagieren, läßt sich noch von einer weiteren Seite her beleuchten. In vielen deutschen Nachkriegsfamilien herrschte bis weit in die 60er Jahre hinein ein Erziehungsstil, der auf Härte, Disziplin, unbedingten Gehorsam und damit Rechtlosigkeit der Kinder basierte. Es ist der gleiche Erziehungstil, den auch die Elterngeneration und die Generationen davor über sich ergehen lassen mußten.

Dieser Umgang mit Kindern bringt Menschen hervor, die abgestumpft sind gegenüber Schmerz, Trauer, Mitleid und die bereit sind, die erlittenen Demütigungen, Disziplinierungen und Züchtigungen an anderen, Schwächeren, zu wiederholen. Ihren Höhepunkt hat die aus diesem Erziehungsstil resultierende Gewaltbereitschaft in der NS-Zeit gefunden, als Gewalt gegen Unerwünschte bis hin zu Mord legitim war und den nationalsozialistischen Alltag stark mitbestimmte. Die Menschen konnten unter dem Deckmantel der nationalsozialistischen Rassen- und Herrenmenschenideologie ihre destruktiven Seiten voll ausleben.

Diese Gewalterlebnisse der Elterngeneration haben die Atmosphäre in den Familien auch nach 1945 bestimmt. Die Menschen, die die NS-Zeit miterlebt und mitgetragen haben, konnten nicht auf einmal liebevoll und weich sein. Im Gegenteil, die NS-Zeit hat Gewaltpotentiale geweckt und ausgelöst, welche die aus der Zeit vor 1933 wahrscheinlich überstiegen und die auch nach Ende der NS-Zeit im Raum standen und stehen.

Sowohl in meiner Untersuchung als auch in meiner klinischen Arbeit als Psychotherapeutin werde ich mit diesen Gewaltpotentialen immer wieder konfrontiert. Elternverhalten erinnert oftmals an nationalsozialistische Gewalt. Für die betreffenden Kinder ist das nur auszuhalten, wenn sie eigene Gefühle und den wahren emotionalen Gehalt des Elternverhaltens leugnen. Nicht selten kommt es vor, daß Kinder6 vom Desinteresse und z.T. schlimmer psychischer und physischer Brutalität ihrer Eltern erzählen und gleichzeitig behaupten: „Die meinen es nicht so. In Wirklichkeit lieben meine Eltern mich.“

Folge dieser Leugnung von elterlichem Desinteresse am Schicksal der Kinder und von Gewalt in der eigenen Familie ist eine Duldung von Gewalt auf gesellschaftlicher Ebene. Die Ziele der Rechtsextremen, nämlich Deutschland von den, wie sie meinen, belastenden Ausländern zu befreien, werden von erschreckend großen Teilen der Bevölkerung mitgetragen. Schicksale und Gründe, weshalb die Menschen hier sind, finden dabei wenig Beachtung. Zwar gibt es viele Formen von Gewalt (z.B. linke), die eindeutig verurteilt und verfolgt werden, rechte Gewalt scheint aber nicht dazuzugehören. Wie sonst ist es zu erklären, daß Polizei, Bürokratie und Politiker immer noch schleppend reagieren auf rechte Ausschreitungen? Wer innerhalb der Familie rechte Gewalt nicht erkennen, bzw. sich davon nicht distanzieren kann, wird sich auch außerhalb der Familie nicht spontan dagegen wehren.

Ich befürchte, daß der Rechtsrextrmismus in Deutschland aufgrund unserer Geschichte eine andere Qualität hat als der in anderen Ländern. Auch wenn Ende der 60er Jahre durch die Idee der antiautoritären Erziehung bei jungen Eltern ein Umdenken stattfand, und sie begannen, sich vom Prinzip des unbedingten Gehorsams zu distanzieren, so fehlte ihnen doch das Modell für partnerschaftliches Verhalten ihren Kindern gegenüber. Denn was man nicht in eigener Erfahrung kennengelernt hat, kann man nicht praktizieren. Antiautoritäre Erziehung entglitt zu Mangel an Orientierungshilfe und zu seelischer Verwahrlosung der Kinder. Manche dieser Eltern sind heute erschreckt darüber, daß ihre Kinder sich zu den Großeltern hin orientieren und sich autoritäre, rechte Haltungen zu eigen machen. Und auch da muß man kritisch hinterfragen, ob die fortschrittlichen jungen Eltern der 70er Jahre sich wirklich mit der eigenen Familie und deren Verknüpfung zum Nationalsozialismus auseinandergesetzt, oder ob sie unbewußt nicht doch die autoritären, rechten Haltungen ihrer eigenen Eltern reproduziert haben.

Wiedervereinigung und Rechtsextremismus

Daß der Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR stärker wiederaufgebrochen ist als in den alten Bundesländern, läßt sich psychologisch auf zwei Ebenen erklären. Zum einen neigen Menschen dazu, sich in Zeiten von Verunsicherung nur noch auf sich selbst zu beziehen und sich nach außen hin abzuschotten. Jeder kennt wahrscheinlich Zustände, in denen er sich mies fühlt und deshalb mit niemandem etwas zu tun haben will. Der Andere wird dann als störend empfunden. Diesen Prozeß findet man sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Das Andere, das Fremde verunsichert noch stärker und wird deshalb bekämpft, oftmals sogar als Grund der Verunsicherung interpretiert. Ohne die Realität zu überprüfen, werden Ausländer zum Grund allen Übels erklärt. Die Verunsicherung der Bevölkerung in den neuen Bundesländern ist erheblich größer als die in den alten und damit die Tendenz, sich abzuschotten und sich ein Feindbild zu schaffen, entsprechend größer.

Den anderen Grund für den stärkeren Rechtsextremismus in Ostdeutschland sehe ich darin, daß der persönliche Bezug zum Nationalsozialismus dort noch stärker verdrängt wurde als im Westen. Mit dem Pachten der »antifaschistischen« Haltung und dem Verweisen darauf, alle Nazis befänden sich im Westen, hat die gesamte DDR-Bevölkerung sich davon befreit, sich individuell mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Eine Verunsicherung wegen der NS-Vergangenheit haben die Menschen im Osten sich noch mehr erspart als die im Westen. Verantwortung für ihr Verhalten haben sie nicht übernommen. Damit war die psychologische Voraussetzung für die Fortführung eines diktatorischen Systems gegeben. Antiautoritäre Erziehungsgedanken und ein Aufbegehren gegen die Elterngeneration wie in der Achtundsechzigerbewegung im Westen waren unmöglich. Mit der Leugnung von Verantwortung für die NS-Vergangenheit haben die Menschen sich einem gigantischen Selbstbetrug hingegeben und gleichzeitig den Nährboden für eine Wiederkehr des Verdrängten gebildet.

Einer der Gesprächspartner aus meiner Untersuchung hat mir diese Verdrängung sehr plastisch vor Augen geführt: Er ist Kind aus einer politischen Widerstandsfamilie. Seine Eltern sind seit den 30er Jahren Kommunisten und bezeichnen sich als Verfolgte des Naziregimes. Mein Gesprächspartner hatte bis zum 13. Lebensjahr in der DDR gelebt, bevor er mit seinen Eltern in den Westen zog. Im Laufe des Gesprächs mit ihm wurde mir immer klarer, daß es sich bei den Eltern, obwohl Kommunisten, gar nicht um Widerstandskämpfer handelte. Im Gegenteil, sie erschienen mir eher wie Mitläufer und der junge Mann, mit dem ich sprach, zeigte Identifizierungen mit dem Naziregime, wie ich sie bei Kindern aus Nazi- und Mitläuferfamilien erlebte. (Bei anderen Kindern aus Widerstandsfamilien gab es das eindeutig nicht.) Auffällig war, daß er nichts Konkretes über seine Eltern in der NS-Zeit wußte, trotzdem war er vollgestopft mit antifaschistischen Sprüchen, die er nicht nur in der Schule, sondern auch von seinen Eltern gehört hatte. Das Elternbild, das er sich gemacht hatte, basierte lediglich auf diesen Sprüchen, die er wie Formeln aufsagte.

M.E. ist es kein Zufall, daß der Rechtsextremismus gerade nach der deutschen Vereinigung so massiv wieder aufgetaucht ist. Der Nationalsozialismus, für die meisten Deutschen eine sehr intensive Zeit, war die letzte Gemeinsamkeit zwischen Ost- und Westdeutschen vor der Teilung. Durch die Vereinigung ist der »alte« Zustand wiederhergestellt und emotional wird an diese Zeit angeknüpft. Das gilt auch für die nach 1945 geborenen Menschen, was sich z. B. daran zeigt, daß bei der Maueröffnung auch die jungen Leute nicht emotionslos waren. Meine Untersuchung hat ebenfalls gezeigt, daß sich die Gefühle der Eltern zum Nationalsozialismus an die Kinder vermitteln. Da Verdrängtes so lange wiederkommt, bis man es zur Kenntnis nimmt und bearbeitet, sollten wir die Welle des Rechtsextremismus nutzen, unser ganz persönliches Verhältnis zum Nationalsozialismus, daran erinnernde Verhaltensweisen und Haltungen zu überprüfen. Wenn man in einer pronationalsozialistisch denkenden Familie aufgewachsen ist, ist es keine Schande, solche Anteile auch bei sich zu finden, denn den Einflüssen der Familie kann niemand entgehen. Es gibt aber die Chance, sich wirklich davon zu distanzieren, wenn man diese Einflüsse nicht leugnet und im täglichen Alltagsgeschehen darauf achtet, sich demokratisch zu verhalten.

Literatur

Bettelheim, Bruno (1969): Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft. Kindler, München.

Giordano, Ralph (1987): Die zweite Schuld oder die Last Deutscher zu sein. Rasch und Röhrin, Hamburg.

Gruen, Arno (1987): Der Wahnsinn der Normalität. dtv, München.

Hauer, Nadine (1990): Schuldtraumatisierung der NS-Nachfolgegeneration. Unveröffentlichtes Manuskript.

Miller, Alice (1983): Am Anfang war Erziehung. Suhrkamp, Frankfurt.

Müller-Hohagen, Jürgen (1988): Verleugnet, verdrängt, verschwiegen. Die seelischen Auswirkungen der Nazizeit. Kösel, München.

Richter, Horst-Eberhard (1986): Die Chance des Gewissens. Hoffmann und Campe, Hamburg.

Rottgardt, Elke (1993): Elternhörigkeit. Nationalsozialismus in der Generation danach. Kovac, Hamburg.

Sichrowski, Peter (1987): Schuldig geboren. Kinder aus Nazifamilien. Kiepenheuer & Witsch, Köln.

Wiesenthal, Simon (1988): Recht, nicht Rache. Ullstein, Frankfurt – Berlin.

Anmerkungen

1) Meine Gesprächspartner habe ich folgendermaßen gefunden: In meinem Bekanntenkreis habe ich von meinem Vorhaben erzählt und gebeten, deren Freunde und Bekannte zu fragen, ob sie an einem Gespäch mit mir interessiert sind. Ich habe nicht bewußt selektiert, sondern mich eingelassen auf die Personen, die von sich aus auf mich zukamen. Zurück

2) Alle meine Gesprächspartner gaben sich fortschrittlich und eher links eingestellt. Keiner machte auch nur im geringsten den Eindruck, als würde er sich in der Tradition des Nationalsozialismus sehen. Zurück

3) Hauer hat ihre Gesprächspartner über Zeitungsanzeigen gefunden. Zurück

4) Die zahlreichen Demonstrationen nach den Morden von Mölln waren spontan und geben damit Anlaß zu Hoffnung. Trotzdem bilden sie m.E. nur eine dünne Decke des Widerstands, verbal geäußert. Zurück

5) Das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten wurde zwar nicht ganz, aber weitgehend, gestoppt, weil es deswegen Unruhe in der Bevölkerung gab. Zurück

6) Gemeint ist hier der Standort als Kind. Tatsächlich sind die Menschen erwachsen, mit denen ich arbeite. Zurück

Dr. Elke Rottgardt ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin in Köln.

Neue APO von rechts?

Neue APO von rechts?

Rechtsextremismus und Rassismus im vereinigten Deutschland

von Christoph Butterwegge

Spätestens seit den beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein am 5. April 1992 und den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen, aber auch anderen (ost- wie westdeutschen) Städten, ist Rechtsextremismus in der Bundesrepublik keine Randerscheinung mehr. Was hat sich gegenüber den Ausschreitungen in Hoyerswerda (September 1991) geändert?

Die Gewalt gegenüber Ausländern und AusländerInnen wurde diesmal von organisierten Neofaschisten inszeniert, logistisch unterstützt und zentral gelenkt; obwohl sie auch gegen Vertreter des Staatsapparates gerichtet war, spielten Behörden, Polizei und Justiz eine höchst fragwürdige Rolle, die teilweise sogar bis zur Kumpanei reichte; schließlich führte die völkisch-nationalistische Aufladung vormals »unpolitischer« Jugendrandale zur Wiederbelebung des Antisemitismus; deutlich sichtbar bei der Schändung jüdischer Gedenkstätten in den ehemaligen KZs Sachsenhausen und Ravensbrück sowie Äußerungen eines Rostocker CDU-Kommunalpolitikers gegenüber Ignatz Bubis, dem Zentralratsvorsitzenden der Juden.1

Der Rechtsextremismus/Rassismus ist kein monolithitischer Block, sondern ein komplexes Phänomen. Der organisierte Rechtsextremismus teilt sich in Parteien und Gruppen, die zur »alten« bzw. zur »neuen« Rechten zählen, parlamentarisch ausgerichtet sind und/oder militante bzw. terroristische Aktionsformen bevorzugen. Die Wahl solcher Parteien beruht nicht nur auf der Unzufriedenheit mit dem parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem der Bundesrepublik, sondern auf rassistischen Denkweisen, Gesinnungen bzw. Orientierungsmustern im Massenbewußtsein, die durch ausländerfeindliche Propaganda (mit der Parole „Ausländer raus!“ oder „Deutschland den Deutschen!“) aktiviert werden. Rechtsextreme Gewalt bzw. Rechtsterrorismus richtet sich nicht nur gegen Ausländer/innen und Asylsuchende, sondern auch gegen andere Minderheiten, die man für »undeutsch« erklärt (Behinderte, Homosexuelle, Punks u.a.m.).

Der Rassismus wiederum bildet zusammen mit anderen Kernideologien die geistige Klammer zwischen den genannten Erscheinungsformen, zwischen Organisationen, »Protestwählern«, Stammtischbrüdern und Gewalttätern. Er zerfällt in intellektuellen Rassismus, d.h. Theorien, die meistens in einem (pseudo)wissenschaftlichen Gewand auftreten, wie zum Beispiel der »Ethnopluralismus«, strukturellen bzw. institutionellen Rassismus, der die staatliche Ausländer- und Asylpolitik prägt, sowie individuellen bzw. Alltagsrassismus, der durch Massenmedien und Sozialisationsmechanismen vermittelt wird.

Rechtsextremismus ist kein Atavismus, keine politische Restgröße aus dem Gruselkabinett der Ewiggestrigen, sondern ein Produkt des Zeitgeistes, d.h. Folge aktueller Entwicklungsprozesse (einer Atomisierung, Individualisierung und Entsolidarisierung) der Gesellschaft. Er hält einer modernen, mit Gewalt durchsetzten Leistungsgesellschaft, die sich immer mehr ausdifferenziert und ökonomisch wie soziokulturell polarisiert, den Spiegel vor und zeigt – wenn auch verzerrt, durch ideologische Reflexion und die deutschnationale Tradition vielfältig gebrochen – ihr Ebenbild. „Gewalt hat in atemberaubender Dichte Alltag durchsetzt. Zerstörung von Lebensräumen, von Alltags- und Lebensplanungen brechen sich durch Gewalt Bahn.2

Eine Gesellschaft, die immer mehr Gruppen (z.B. Ausländer/innen, Homosexuelle, Aidskranke, Behinderte, alleinerziehende Mütter, Arbeitslose, Jugendliche ohne Lehrstelle und Berufsausbildung, Obdachlose, Drogenabhängige) an den Rand drängt, marginalisiert und ausgrenzt, darf sich nicht wundern, wenn ein wachsender Teil ihrer Mitglieder – meistens nach rechts – radikalisiert wird. Zwar erscheint uns die moderne Industriegesellschaft im historischen Vergleich nicht gewalttätiger als ihre Vorgängerinnen. Was sie jedoch von diesen unterscheidet, ist ihr zivilisationstheoretisch begründeter Anspruch einer friedlichen Lösung sozialer Konflikte, verbunden mit einer Glaubwürdigkeitslücke, einer signifikanten Kluft zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. So wuchs die Brutalität jugendlicher bzw. Kinderbanden, einzelner Subkulturen (Skinheads, Hooligans) und neonazistischer Gruppen in demselben Maße, wie das Gewaltpotential in den unterschiedlichsten Lebensbereichen, wie Ellenbogenmentalität im Berufsleben und die Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr zunahmen.

Die Bedeutung der Wiedervereinigung für das »Wiedererwachen« des Nationalismus und Rassismus

Nach Verwirklichung der Währungsunion im Juli 1990 erfuhren DDR-Bürger/innen schmerzhaft, daß die Werbespots des Westfernsehens mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen und daß Marktwirtschaft sich keineswegs auf die Warenfülle der Supermärkte beschränkt, sondern mit sozialer Unsicherheit, mit (größtenteils begründeter Furcht vor) Arbeitslosigkeit und Armut einhergeht. Die Art und Weise, wie der Vereinigungsprozeß vollzogen wurde, bestätigte und verstärkte in der Ex-DDR verbreitete Minderwertigkeitskomplexe, die durch eine Überbetonung des eigenen Deutschtums und die nationalistische Abgrenzung von Osteuropäern kompensiert wurden.3 »Kolonisierung« und Deindustrialisierung Ostdeutschlands förderten eine Renationalisierung und politische Radikalisierung seiner Bewohner/innen, die wieder einmal nur Bürger/innen zweiter Klasse sind. Menschen, die sich wie „Fremde im eigenen Land“ fühlten4, richteten ihre durch Frustrationen entstandenen Aggressionen jedoch nicht gegen die neuen Machthaber, sondern gegen Schwächere, Asylsuchende und Ausländer.

Die Erklärung der Pogrome aus der sozialen Umbruchsituation darf aber nicht zur Entschuldigung für die Täter und zur Verharmlosung rassistisch motivierter Gewalttaten herhalten. Da rechtsextreme Ideologien und Organisationen immer nur Erfolg haben, wenn sie Unzufriedenheit der Unter- bzw. vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschichten aufgreifen und ausdrücken, mithin ohne rebellische Basisimpulse überhaupt nicht denkbar wären, spricht man ihnen leichtfertig einen plebejisch-revolutionären Charakter zu. So bezeichnet Wolfgang Brück den Rechtsextremismus als Phänomen, das Züge einer „sozialrevolutionären Bewegung“ trage.5 Thomas von Freyberg wiederum konstatiert, die Welle von Gewalttätigkeit in der Bundesrepublik habe „den Charakter einer anachronistischen Rebellion, getragen von Diskriminierten und von Diskriminierung Bedrohten. Sie ist rassistisch nach unten, sie ist rebellisch nach oben.6

Die Skinhead-Szene wird unter Vernachlässigung bzw. Verwischung wesentlicher Unterschiede mit linksoppositionellen Jugendkulturen der 60er Jahre gleichgesetzt, die Selbststilisierung der sog. Neuen Rechten, im Mythos vom „neuen 1968“ mündend7, unkritisch übernommen. Rechte Randale ist jedoch kein „Protest gegen die Verantwortung“, wie Burkhard Schröder meint8, sondern spiegelt – ganz anders als die APO – gesellschaftliche Gewaltverhältnisse und Verantwortungslosigkeit wider. Zwischen Gewalt und Gewalt gibt es gewaltige Unterschiede. Farbbeutel sind keine Brandflaschen, und heute Molotowcocktails gegen Flüchtlingswohnheime zu werfen ist mit dem Schleudern von Molotowcocktails gegen das Springer-Hochhaus nur bedingt vergleichbar. Während damals mit dem BILD-Verlag ein Symbol der (ökonomischen und Medien-)Macht das Ziel war, sind es jetzt wehrlose Menschen. Genauso demagogisch ist die Gleichsetzung autonomer Störaktionen bei der großen Berliner Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit am 8. November 1992 mit den neofastischen Brandanschlägen, gegen die sie sich richtete. Politiker der Regierungsparteien verurteilten den „Extremismus von links und rechts“ oder sprachen vom „Terror der Straße“ (Helmut Kohl), ohne auch nur den Versuch einer Differenzierung zu machen. Ähnliche Aktions- und Erscheinungsformen dürfen jedoch nicht über gegensätzliche Motive solcher Bewegungen hinwegtäuschen.

Die ungleichmäßige Entwicklung des Rechtsextremismus in Ost- und Westdeutschland, seine Parlamentarisierung in den alten und seine zunehmende Radikalisierung in den neuen Bundesländern9, beruht auf einer Ungleichzeitigkeit der ökonomischen, soziokulturellen und politischen Entwicklung beider Landesteile. Während die schwere Transformationskrise und die zunehmende Brisanz der sozialen Frage (Pauperisierung vieler »Vereinigungsverlierer«) die Militanz des Rechtsextremismus im Osten erklären, begründen die wirtschaftliche Vormachtstellung und die innere Abwehrhaltung gegenüber globalen Herausforderungen, wie etwa dem Weltflüchtlingsproblem mit einer verstärkten Zuwanderung (Stichwort: »Wohlstandschauvinismus«), seine größere Resonanz bei bürgerlichen, besitzenden Kreisen im Westen.

Solange Millionen Menschen den »Aufbau Ost« durch die Erhöhung von Massensteuern, einen »Solidaritätszuschlag« und Sozialabbau finanzieren, während westdeutsche Millionäre (z.B. Besitzer von Versandhäusern, Verlagen, Versicherungen, Baumärkten und Banken) davon profitieren, ohne einen Lastenausgleich fürchten und eine Vermögens- bzw. Investitionsabgabe zahlen zu müssen, wächst die Gefahr, daß Sündenböcke und Prügelknaben (im wahrsten Sinne des Wortes) gesucht werden.

Europa: »grenzenloser Rassismus« oder Basis für eine multikulturelle Gesellschaft?

Die Wiege des neuzeitlichen Rassismus und Antisemitismus stand in Europa, wo 1492, vor genau 500 Jahren, mit der Vertreibung von Juden und Muslimen aus dem wieder christlich gewordenen Spanien sowie der Eroberung fremder Kontinente das Fundament einer neuen, bis heute bestehenden Weltordnung gelegt wurde. Während sich die kapitalistische Warenproduktion und bürgerliche Nationalstaaten herausbildeten, wurde die Ausbeutung, Versklavung und Ausrottung ganzer Völker gerechtfertigt, indem man diese als »rassisch« minderwertig darstellte.

Mitte des 19. Jahrhunderts begründete Arthur Comte de Gobineau die moderne Rassenlehre. Die Französische Revolution interpretierte der Aristokrat als soziobiologische Degeneration, den Niedergang seiner Gesellschaftsschicht als Verdrängung der Arier.10 Daraus ergab sich das Dogma der »Reinheit des Blutes«, von Richard Wagner und Stewart Houston Chamberlain weiterentwickelt, genauer gesagt: um nationale Mythen (Germanenkult) bereichert und im Sinne des deutschen Bürgertums antisemitisch zugespitzt.11

Unter Berufung auf Gobineau, Wagner und Chamberlain übernahm die NS-Bewegung den Antisemitismus. In Auschwitz wurde der Rassismus, verstanden als Programm zur Ausrottung ganzer Völker, bestialische Realität. Nach dem Holocaust war er zunächst völlig diskreditiert; doch bald trat neben den fortexistierenden Kolonialrassismus ein differentialistischer oder Kulturrassismus12, der sich durch die Betonung »erlernter« statt »angeborener« Unterschiede einerseits und den Verzicht auf ethnische Rangskalen andererseits vom »Geruch der Gaskammern« befreit hatte. Der Rassismus kehrte damit nach einem grundlegenden Form- und Funktionswandel gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück: Im antiken Griechenland wurden nicht etwa Schwarze – wegen ihrer Hautfarbe – verachtet, sondern Angehörige derjenigen Völker zu »Barbaren« erklärt und versklavt, die nicht mit der griechischen Sprache bzw. Kultur vertraut waren.13

Im Laufe des (west)europäischen Integrationsprozesses dürfte der Rassismus zur Legitimationsideologie der »Wohlstandsfestung«, zum Euronationalismus bzw. -chauvinismus werden, der nicht mehr nur die verschärfte Ausbeutung, sondern auch die Abschottung gegenüber (Flüchtlingen aus) der sog. Dritten Welt rechtfertigt. Die Vollendung des EG-Binnenmarktes und die Vorbereitungen für eine Wirtschafts- und Währungsunion spielen sich auf dem Hintergrund tiefgreifender Veränderungen des politischen Klimas ab: Mit der Aufhebung von Handelsschranken, Zollbarrieren und Grenzpfählen innen vollzieht sich die Errichtung neuer Mauern – nach außen und in den Köpfen.

Kristallisationskern aller Bemühungen um das Zusammenleben von Deutschen/Europäern und Einwanderern aus anderen Teilen der Welt ist das Konzept einer »multikulturellen Gesellschaft«. Der Begriff stammt aus Kanada, wo die Regierung den kulturellen Pluralismus im Oktober 1971 zum Programm erklärte14, um denjenigen, die weder zur englischsprachigen Bevölkerungsmehrheit noch zur frankokanadischen Minderheit zählten, bestimmte Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Diese Terminologie wurde in Westeuropa gegen Ende der 70er Jahre aufgegriffen.

Die »multikulturelle Gesellschaft« ist bislang eher ein – höchst mißverständliches und mehrdeutiges – Schlagwort als ein in der Realität erprobtes Modell. Unterschiedliche politische Kräfte versuchen, diesen Begriff zu besetzen und mit Inhalt zu füllen.15 Der Terminus »multikulturelle Gesellschaft« wird in zweierlei Weise benutzt: als Zustandsbeschreibung und als Zielbestimmung. In der ersten Bedeutung scheint der Begriff nichtssagend, wenn nicht irreführend zu sein. Denn die bloße Koexistenz mehrerer Völker, Volksgruppen oder Religionsgemeinschaften auf ein- und demselben Territorium sagt wenig über ihre Beziehungen zueinander aus. Daher ist der Begriff nur für das gedeihliche Miteinander, nicht das Nebeneinander unterschiedlicher Ethnien zu verwenden. Sonst wäre ja selbst Auschwitz mit Lagerinsassen aus aller Herren Länder eine »multikulturelle Gesellschaft« gewesen!

Daß auch Vertreter der sog. Neuen Rechten diesen Begriff benutzen, spricht nicht gegen ihn, wie Lutz Hoffmann meint16, sondern für seine große Ausstrahlungskraft, der sich selbst die Gegner einer solchen Konzeption nicht entziehen können. Kritiker monieren, daß der Multikulturalismus dem Nationalstaatsdenken nur vordergründig eine Absage erteile, diesem jedoch verhaftet bleibe.17 Durch seine Beschränkung auf das Kulturelle vernachlässige er ökonomische und soziale Zusammenhänge. Dieser Argumentation ist zu entgegnen, daß sich Kultur von den ökonomischen und politischen Herrschafts- bzw. Machtverhältnissen nicht trennen läßt. Multikulturalismus und offene Republik bilden keinen Gegensatz, sondern ergänzen sich in einer »multikulturellen Demokratie«, die Daniel Cohn-Bendit und Thomas Schmid als Wagnis bezeichnen.18

Was man gegen den Rechtsextremismus und Rassismus tun kann

Patentrezepte zur Bekämpfung der rechtsextremen Gefahr gibt es nicht, aber eine Vielzahl von Ansätzen, die sich wechselseitig ergänzen und miteinander kombinieren lassen.19 Gegenstrategien müssen auf mehreren Ebenen ansetzen: zuerst bei den (potentiellen) Opfern rechtsextremer Gewalt, Flüchtlingen und Arbeitsmigranten. Gleichberechtigung und Rechtsgleichheit bilden die Grundlage einer multikulturellen Gesellschaft. Demgegenüber stellt das fehlende Wahlrecht für »Ausländer«, die hier geboren, aufgewachsen und verwurzelt sind, mehr als nur eine „gravierende Legitimationslücke des politischen Systems“ dar.20 Natürlich würde der Rassismus mit Schaffung eines (kommunalen) Ausländerwahlrechts nicht automatisch verschwinden, sondern für eine Übergangszeit möglicherweise sogar noch zunehmen. „Doch trägt die Gewährung des Stimm- und Wahlrechts unabhängig von Hautfarbe, Herkunftsland und -kultur dazu bei, die Auswirkungen des Rassismus, vor allem des institutionellen Rassismus, zu verringern.21

Anzuknüpfen wäre an die Traditionen der Französischen Revolution mit ihrem Katalog universeller Menschenrechte und republikanischer Prinzipien: „Die Einführung eines europäischen Niederlassungs- bzw. Bürgerrechts würde erst möglich machen, was im Programm der auf Gleichheitspostulaten basierenden bürgerlichen Demokratie angekündigt ist.22 Nötig ist die »Entnationalisierung« einer bisher an das »deutsche Blut« gekoppelten Staatsbürgerschaft, also die Erleichterung der Einbürgerung und die Zulassung doppelter Staatsbürgerschaften.23 Auch Einwanderungs-, Niederlassungs- und Antidiskriminierungsgesetze würden zu einer Politisierung der »Ausländerfrage« beitragen, die eigentlich ein Inländerproblem ist.

Nicht Probleme, die Ausländer bzw. Asylsuchende machen, sondern Probleme, die sie haben, wenn ihnen nicht geholfen wird, sollten im Zentrum der Arbeit mit ihnen stehen. Die mittlerweile fest etablierte interkulturelle Pädagogik will nicht nur Verständnis für Anpassungsschwierigkeiten ethnischer Minderheiten wecken, sondern Deutschen ein ganz neues Weltbild vermitteln, das die gemeinsame Verantwortung aller Völker für die Lösung der globalen Probleme betont.24

Des weiteren müssen die Gewalttäter konsequenter als bisher verfolgt und hart bestraft werden. Milde wäre nur dann angebracht, wenn den Übergriffen wirklich ein politischer Hintergrund fehlte. Natürlich ist nicht jeder Jugendliche, der Hakenkreuze an Klotüren schmiert oder Türkenwitze erzählt, ein Neonazi. Märtyrer zu produzieren ist kein Beitrag zur Bekämpfung, sondern ein Mittel zur Aufwertung und Stärkung des Rechtsextremismus. Umgekehrt wäre es falsch, Toleranz gegenüber dem organisierten Neofaschismus für ein Gütesiegel der Demokratie zu halten; damit beginnt vielmehr in aller Regel deren Niedergang. Sowenig der Drogenhandel durch die Gewerbefreiheit gedeckt ist, sowenig läßt sich der Neofaschismus mit dem Hinweis auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen. Organisationen, die den Nationalsozialismus nachahmen, verharmlosen bzw. verherrlichen oder ihre verfassungswidrigen Ziele durch Androhung/Anwendung von Gewalt durchzusetzen suchen, sind zu verbieten.

Akzeptierende Jugendarbeit mit Skinheads, die bisher noch in den Kinderschuhen steckt25, gleicht einem pädagogischen Balanceakt, weil sie Gefahr läuft, entweder durch Kritik das nötige Vertrauen ihrer Klientel zu verspielen oder deren Orientierungsmuster durch den Verzicht auf politische Auseinandersetzung zu verfestigen.

Wenn Rechtsextremismus und Jugendgewalt – wie oben dargestellt – keine Randerscheinungen sind, sondern ein Resultat der modernen Leistungsgesellschaft, muß man diese grundlegend verändern, um jene besiegen und beseitigen zu können. Mit Personalverstärkungen bei der Polizei und ein paar D-Mark mehr für Sozialarbeiter/innen ist es nicht getan. Dringend bedarf es demokratischer und sozialer Reformen, einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, einer Linderung der Angst vor Erwerbslosigkeit, Armut und sozialem Abstieg durch eine allgemeine Grundsicherung, einer Vermehrung der Mitbestimmungsmöglichkeiten in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft (Runde Tische, Volksbegehren und -entscheid) unter dem Motto: Mehr direkte Demokratie wagen! Soziale Gerechtigkeit und politische Chancengleichheit sind Gift für den Rechtsradikalismus, plebiszitäre Partizipationsformen nicht nur eine Möglichkeit, mehr Bürger/innen für Politik zu interessieren, sondern auch ein Mittel im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Schließlich darf man die (heimlichen) Sympathisanten nicht aus den Augen verlieren. Vielmehr müßte die Auflösung neofaschistischer Gruppierungen wie der FAP, NF oder DA mit einer Aufklärung über ihre dem Grundgesetz widersprechenden Wertvorstellungen verbunden werden. Die Protestwähler rechtsextremer Parteien dürfen nicht ausgegrenzt, sondern können zurückgewonnen werden, indem man ihnen eine Plattform für ihren berechtigten Gesellschaftsprotest bietet.

Die Reaktion der etablierten Politik auf den Rechtsruck zeigt ihre Ratlosigkeit. Nach den spektakulären Wahlerfolgen der Republikaner und der DVU wurde die „Gemeinsamkeit der Demokraten“ beschworen, ein „nationaler Pakt der Vernunft“ (Björn Engholm) vorgeschlagen und gefordert, CDU und SPD müßten näher zusammenrücken, um der Herausforderung begegnen zu können. Dieser Weg hat sich jedoch in der eigenen Vergangenheit (NPD-Aufstieg während der Regierung Kiesinger/Brandt 1966 ff.) und im Ausland (Jörg Haider heißt der größte Gewinner von Österreichs Großer Koalition) als Sackgasse erwiesen: Wenn sich die Gegensätze zwischen den Volksparteien verwischen und weltanschauliche Grundpositionen vermischen, wächst die Zahl der Nicht- bzw. Protestwähler/innen, die innerhalb des bestehenden Parteiensystems keine wirklichen Wahlmöglichkeiten sehen und deshalb für rechtsextreme Demagogie anfällig werden.

Dem zunehmenden Rassismus in Europa ist nicht mit moralischem Rigorismus beizukommen. Kein Mensch wird allein dadurch zum Befürworter einer multikulturellen Gesellschaft, indem man ihm in den leuchtendsten Farben die Vorteile der kulturellen Vielfalt schildert. Aktionen, die Deutschland eine kulinarische Verödung prophezeien, wenn die Restaurants mit ausländischer Küche wieder verschwänden26, gehen – unabhängig von den vermutlich vorwiegend traditionellen Eßgewohnheiten der Rassisten – am Kern der Sache vorbei. Auch der Bau billiger Mietwohnungen oder die Bereitstellung neuer Arbeitsplätze in Krisenregionen beseitigen – so dringlich sie sein mögen – keineswegs die Ursachen für Rechtsextremismus/Rassismus.

Längerfristig angelegte Strategien kommen nicht ohne positive Visionen und möglichst konkrete Utopien einer friedlichen Welt ohne Waffen und Naturzerstörung aus. Dabei geht es für Deutsche nicht nur um den Abbau verbreiteter Vorurteile durch befriedigende Gegenerfahrungen im Umgang mit »Fremden«, sondern mehr noch um die Wiedergewinnung der eigenen Handlungsautonomie. Gegenwärtig droht diese durch fortschreitende Rationalisierung, Automatisierung und Anonymisierung fast überall, im Betrieb oder Büro (Computer), im Wohnalltag (von der Stromrechnung bis zum Bankkonto) oder in der Freizeit (total durchorganisierte Pauschalreisen), verloren zu gehen.

Anmerkungen

1) Vgl. zum politisch-ideologischen Hintergrund: Christoph Butterwegge/Horst Isola (Hrsg.), Rechtsextremismus im vereinten Deutschland. Randerscheinung oder Gefahr für die Demokratie?, 3. Aufl. Bremen/Berlin 1991; Jürgen Elsässer, Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland, Berlin 1992; Christoph Butterwegge/Siegfried Jäger (Hrsg.), Rassismus in Europa, Köln 1992 Zurück

2) Johannes Esser, Zum Gewaltpotential moderner Gesellschaften. Soziokulturelle Gefährdungen des inneren Friedens, in: Peter Krahulec/Horst Kreth (Hrsg.), Deutscher Alltag als Risiko: Bilanzen – Lernorte – Mittäterschaften, Münster/Hamburg 1992, S. 25 Zurück

3) Vgl. Edith Broszinsky-Schwabe, Die DDR-Bürger im Umgang mit »Fremden«. Versuch einer Bilanz der Voraussetzungen für ein Leben in einer multikulturellen Welt, in: Sanem Kleff u.a., BRD – DDR. Alte und neue Rassismen im Zuge der deutsch-deutschen Einigung, Frankfurt am Main 1990, S. 42; Hajo Funke, „Jetzt sind wir dran“. Nationalismus im geeinten Deutschland, Berlin 1991, S. 143 ff. Zurück

4) Siehe dazu: Gerhard Schmidtchen, Die Ostdeutschen als Fremde in ihrem eigenen Land. Sozialpsychologische Anmerkungen zur Lage in Deutschland nach der Einigung, in: Frankfurter Rundschau v. 9.9.1991 Zurück

5) Siehe Wolfgang Brück, Rechtsextremismus und Jugendliche. Eine Problemskizze aus ostdeutscher Sicht, in: Klaus-Henning Rosen (Hrsg.), Die zweite Vertreibung. Fremde in Deutschland, Bonn 1992, S. 78 Zurück

6) Thomas von Freyberg, Anmerkungen zur aktuellen Welle von Fremdenhaß, in: Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Aspekte der Fremdenfeindlichkeit. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Frankfurt am Main/New York 1992, S. 76 Zurück

7) Siehe Jutta Winckler, Vor einem neuen 1968. Jetzt kommen die Rechtsintellektuellen, in: Junge Freiheit 11/1992, S. 1 Zurück

8) Siehe Burkhard Schröder, Rechte Kerle. Skinheads, Faschos, Hooligans, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 116 Zurück

9) Vgl. Gerhard Paul, Zwischen Rosenheim und Rostock. Zur neuen Qualität des Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 9/1992, S. 559 f. Zurück

10) Vgl. Imanuel Geiss, Geschichte des Rassismus, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1989, S. 168 f.; George L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt am Main 1990, S. 76 ff.; Léon Poliakov u.a., Rassismus. Über Fremdenfeindlichkeit und Rassenwahn, Hamburg/Zürich 1992, S. 98 ff. Zurück

11) Vgl. dazu: Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert, Rheda-Wiedenbrück 1988, S. 18 ff. Zurück

12) Vgl. Etienne Balibar, Gibt es einen »Neo-Rassismus«?, in: ders./Immanuel Wallerstein, Rasse – Klasse – Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin 1990, S. 28 f.; Christoph Butterwegge, Der Funktionswandel des Rassismus und die Erfolge des Rechtsextremismus, in: ders./Siegfried Jäger (Hrsg.), Rassismus in Europa, a.a.O., S. 195 ff. Zurück

13) Vgl. Imanuel Geiss, Geschichte des Rassismus, a.a.O., S. 54; Léon Poliakov u.a., Rassismus, a.a.O., S. 48 f. Zurück

14) Vgl. dazu: Danielle Juteau, Das kanadische Experiment: Multikulturalität als Ideologie und Politik, in: Michael Haerdter u.a. (Hrsg.), Facetten des Fremden. Europa zwischen Nationalismus und Integration, Berlin 1992, S. 90 ff. Zurück

15) Vgl. die Beiträge in: Stefan Ulbrich (Hrsg.), Multikultopia. Gedanken zur multikulturellen Gesellschaft, Vilsbiburg 1991 Zurück

16) So aber Lutz Hoffmann, Nicht die gleichen, sondern dieselben Rechte. Einwanderungspolitik und kollektive Identität in Deutschland, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 9/1992, S. 1098 (Fn. 33) Zurück

17) Vgl. ebd., S. 1096 Zurück

18) Vgl. Daniel Cohn-Bendit/Thomas Schmid, Heimat Babylon. Das Wagnis der multikulturellen Demokratie, Hamburg 1992, besonders S. 315 ff. Zurück

19) Beckmesserische Kritik ohne konstruktive Alternativen übt Wolfgang Kowalsky, Rechtsaußen … und die verfehlten Strategien der deutschen Linken, Frankfurt am Main/Berlin 1992 Zurück

20) Siehe Friedrich Heckmann, Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen, Stuttgart 1992, S. 239 f. Zurück

21) Christian J. Jäggi, Rassismus. Ein globales Problem, Zürich/Köln 1992, S. 169 Zurück

22) Frank-Olaf Radtke, Institutionalisierte Diskriminierung – zur Verstaatlichung der Fremdenfeindlichkeit, in: Rainer Bauböck u.a. (Hrsg.), …und raus bist du! – Ethnische Minderheiten in der Politik, Wien 1988, S. 125 Zurück

23) Zur konkreten Ausgestaltung solcher Regelungen vgl. Lutz Hoffmann, Die unvollendete Republik. Einwanderungsland oder deutscher Nationalstaat, 2. Aufl. Köln 1992 Zurück

24) Vgl. dazu: Georg Auernheimer, Einführung in die interkulturelle Erziehung, Darmstadt 1990; Manfred Hohmann/Hans H. Reich (Hrsg.), Ein Europa für Mehrheiten und Minderheiten. Diskussion um interkulturelle Erziehung, Münster/New York 1989; Ursula Schneider-Wohlfahrt u.a. (Hrsg.), Fremdheit überwinden. Theorie und Praxis des interkulturellen Lernens in der Erwachsenenbildung, Opladen 1990 Zurück

25) Vgl. dazu: Franz Josef Krafeld (Hrsg.), Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen, Bremen 1992 Zurück

26) Vgl. z.B. Fritz Brehm, Keine Spaghetti Carbonara? – Eine Aktion, in: Rolf Meinhardt (Hrsg.), Türken raus? oder Verteidigt den sozialen Frieden. Beiträge gegen die Ausländerfeindlichkeit, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 203 ff. Zurück

Dr. phil. Christoph Butterwegge ist Politikwissenschaftler, Privatdozent an der Universität Bremen.