Von der Zivilmacht zur Supermacht Europa

Von der Zivilmacht zur Supermacht Europa

Die außenpolitische Agenda der Bertelsmann-Stiftung

von Jörn Hagenloch

Sage niemand, die Provinz sei harmlos. Ausgerechnet in Gütersloh ist einer der aggressivsten und einflussreichsten Fürsprecher einer Militarisierung der deutschen und europäischen Außenpolitik zuhause: die Bertelsmann-Stiftung. Seit vielen Jahren arbeitet sie mit Erfolg daran, in Deutschland neoliberale Reformen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen mehrheitsfähig zu machen (Bildung, Gesundheit und andere soziale Sicherungssysteme, öffentliche Hand,…). Sie ist einzigartig, was ihre finanziellen und personellen Ressourcen betrifft sowie die daraus resultierenden Einflussmöglichkeiten. Die Stiftung macht keinen Hehl aus ihrer »Mission« und beschreibt sich unverblümt als operatives Instrument, das direkt in Politik und Gesellschaft eingreift1.

Lagen die Arbeitsschwerpunkte in der Vergangenheit eher bei innenpolitischen Reformen, so stellt die Stiftung zunehmend außenpolitische Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Für die Beförderung ihrer außenpolitischen Agenda nutzt sie ein engmaschiges Netzwerk von persönlichen Beziehungen, das bis in die Spitzen der nationalen, europäischen und transatlantischen Politik reicht. Diese exponierte Stellung ermöglicht ihr großen Einfluss bei der strategischen Ausrichtung der deutschen und europäischen Außenpolitik (Sicherheits-, Rohstoff-, Verteidigungspolitik). Für die strategische Vorbereitung und Umsetzung stehen 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Hinzu kommen von der Stiftung finanzierten Forschungsinstitute wie das »Centrum für angewandte Politikwissenschaft« (CAP) in München.

Die außenpolitische Agenda der Stiftung hat einen eindeutigen Fokus auf der »Mitgestaltung« der zukünftigen Rolle der EU in der Welt. Die Botschaft lautet: Europa soll innerhalb der globalen Wirtschafts- und Machtblöcke seine Interessen wahrnehmen und sich zum Weltmachtstatus bekennen. Dafür haben die Stiftung und das CAP eine schier unübersehbare Vielzahl von Gutachten, Einschätzungen und Empfehlungen veröffentlicht sowie hochkarätig besetzte Konferenzen organisiert. Das alles gleicht einem Trommelfeuer für ihr strategisches Ziel: die Europäische Union, die sich bis vor wenigen Jahren noch als Zivilmacht verstanden hat, zum globalen Militärakteur zu entwickeln, der jeden Punkt der Welt kontrollieren kann, damit sogenannte sicherheitspolitische Interessen gewahrt werden, der Zufluss von Rohstoffen jederzeit sicher bleibt und reibungslose globale Kapitalströme sowie Liefer- und Absatzketten gewährleistet sind.

Geschichte und Verflechtungen der Bertelsmann-Stiftung

Die Geschichte der Bertelsmann-Stiftung ist jung, sie reicht ins Jahr 1977. Damals wurde sie vom Bertelsmann-Patriarchen Reinhard Mohn gegründet – vor allem wohl aus Gründen der Steuerersparnis. Am Anfang waren die Betätigungsfelder im sozialen und kulturellen Bereich angesiedelt. Erst langsam kamen neoliberale bildungspolitische Initiativen hinzu (z.B. die Privatuniversität Witten-Herdecke). Im Jahr 1991 begann die Stiftung ihren aggressiven Kurs der gesellschaftlichen Einflussnahme, der sich seither kontinuierlich gesteigert hat. Damals gab Konzernpatriarch Reinhard Mohn den Vorstandsposten des Konzerns ab und wechselte auf den Vorstandsposten der Stiftung. Ein Jahr später berief er Werner Weidenfeld in den Vorstand der Stiftung. Weidenfeld, damals Politologe an der Universität Mainz, war zuvor langjähriger Berater Helmut Kohls und brachte seine weitreichenden persönlichen Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern in der EU und den USA in die Stiftung ein.

Dass die Bertelsmann-Stiftung auch mit anderen außenpolitischen Think Tanks verbunden ist, zeigt der Blick auf die Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Hier, wo sich Vertreter des deutschen Militärs und der Geheimdienste mit Wissenschaftlern und Journalisten zum Austausch treffen, ist auch die Bertelsmann-Stiftung nicht weit. Von 1995 bis 2005 hat Werner Weidenfeld die hauseigene Zeitschrift »IP – Internationale Politik« herausgegeben und war lange Zeit Mitglied des Exekutivausschusses und des Präsidiums der DGAP. Die DGAP hat sich zum obersten Ziel gesetzt, »die außenpolitische Stellung Deutschlands zu fördern«. Sie wird vornehmlich aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Industrie finanziert und weist bemerkenswerte personelle Überschneidungen mit der Bertelsmann-Stiftung auf. So sitzen im Präsidium der DGAP beispielsweise Elmar Brok, der einflussreiche EU-Parlamentarier und Angestellte der Bertelsmann AG, Günther Nonnenmacher, einer der Herausgeber der FAZ und vom CAP für seine langjährige Verbundenheit in den exquisiten Club der »CAP-Fellows« aufgenommen, sowie Rita Süßmuth, die bis vor kurzem auch im Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung saß.

1993 übertrug Mohn der Stiftung 68,8% des Grundkapitals der Bertelsmann AG. Seither wird die Arbeit der Stiftung maßgeblich aus den erwirtschafteten Dividenden der AG finanziert. In der Folge wurde das »Centrum für Hochschulentwicklung« (CHE) gegründet und 1995 das CAP. Das CAP ist als Institut direkt der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität angegliedert, wo Weidenfeld zugleich den Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Einigung übertragen wurde. 1999 kam es innerhalb des CAP zur Gründung der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik. Deren Leiter Josef Janning ist gleichzeitig stellverstretender Leiter des CAP. Der Aufbau der organisatorischen Strukturen war damit abgeschlossen.

Empfehlungen zur Militarisierung der EU-Außenpolitik

Die strategische außenpolitische Einflussnahme begann unter anderem mit der Gründung von »Expertenteams«, die im Auftrag der Stiftung »Expertisen« zu außen- und sicherheitspolitischen Themen entwickeln. So wurde 1999 die »Venusberg Group« gegründet. Sie besteht aus neun außen- und sicherheitspolitischen »Experten« aus verschiedenen europäischen Staaten. Im Jahr 2000 veröffentlichten sie ein sicherheitspolitisches Konzept für die EU. Darin fordern sie, dass sich »die EU bis 2030 gegen alle Arten von Bedrohung autonom verteidigen können«2 soll. Es wird auch deutlich gesagt, dass die militärische Leitstrategie der Verteidigung des eigenen Territoriums gegen Angriffe nicht mehr genügt. Der neue Leitgedanke ist die Lösung von »sicherheitspolitischen Herausforderungen«. Unverhohlen empfiehlt das Konzept »über den regionalen Rahmen hinaus weltweit zu Sicherheit und Stabilität beizutragen. […] Ziel der EU sollte es sein, sowohl im zivilen wie im militärischen Bereich zu einem effektiven sicherheitspolitischen Akteur zu werden«. Das schließt auch ausdrücklich EU-weite militärische Strukturen und gemeinsame Rüstungsprojekte ein.

Diese nachdrückliche Empfehlung einer Militarisierung der EU-Außenpolitik bestärkt Tendenzen der EU-Kommission und der Regierungen der Mitgliedsländer.3 Die Bertelsmann-Stiftung sieht ihre Rolle innerhalb des Elitendiskurses darin, den Ausbau der EU zur militärischen Weltmacht zu beschleunigen und unumkehrbar zu machen. Die ökonomische Macht soll mit politischer und vor allem militärischer Macht abgesichert werden. Schon vor dem 11. September 2001 fordert die Bertelsmann-Stiftung die EU auf, künftig eine dominante weltpolitische Rolle zu spielen. Und kurz nach dem 11. September 2001 wurde dann von der Stiftung eine »Task Force Zukunft der Sicherheit« ins Leben gerufen. Das selbst gesteckte Ziel: »Schwachstellenanalyse der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen Sicherheitsstrukturen vornehmen und einen Katalog von Empfehlungen für die Abwehr aktueller und denkbarer Bedrohungen erarbeiten«. Der Ton zeugt vom selbstbewussten Umgang mit den höchsten politischen Stellen auf nationaler und europäischer Ebene. Man kennt sich eben gut, so dass es nichts Ungewöhnliches ist, als im November 2001 in Brüssel Bertelsmann-Stiftung und CAP dem EU-Kommissar Günter Verheugen gemeinsam ein Strategiepapier zur Zukunft des europäischen Prozesses übergeben. Darin wird eine gemeinsame EU-weite Außen- und Sicherheitspolitik propagiert. Die »asymmetrische Bedrohung für die Innen- und Außenpolitik« ist weiterhin ein zentrales Thema der Stiftung. Im vergangenen Jahr wurde eigens dafür der »1. Global Policy Council« abgehalten, flankiert von der Bertelsmann-Studie »Weltmächte im 21. Jahrhundert«. Ihr Inhalt: »Diese Bestandsaufnahme zeigt, wie wirtschaftliche Verflechtung, globale Abhängigkeiten, Kontrolle über wichtige regionale Versorgungslinien, demographischer Stress, Pandemien, Zugang zu Ressourcen wie Energie und Wasser sowie Probleme wie staatliches Versagen oder die Entfaltung nuklearer Macht geostrategisches Handeln in Zukunft bestimmen werden.« Hauptredner Wolfgang Schäuble wird sich verstanden gefühlt haben.

Überhaupt wird der Kontakt in die höchsten nationalen und EU-Kreise intensiv gepflegt. Die Stiftung empfiehlt sich beispielsweise mit ihrem »Bertelsmann International Forum« regelmäßig als Kontaktbörse der großen Politik. Für ihre alle zwei Jahre stattfindende Konferenz steht ihr das Auswärtige Amt als Tagungsort zur Verfügung. Die Veranstaltung ist hochkarätig besetzt. Beim letzten Treffen 2006 konnten die Spitzen von Bertelsmann AG und Bertelsmann-Stiftung 160 Gäste begrüßen, darunter die Bundeskanzlerin und ihren Verteidigungsminister, Henry Kissinger, den Präsidenten der EU-Kommission, zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus der EU, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, außereuropäische Diplomaten, Vertreter der Weltbank sowie hochrangige internationale Manager, Wissenschaftler und Medienvertreter. Und einmal mehr ging es zentral um die globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen und die europäische »strategische Antwort« darauf.

An dieser Antwort arbeitet die Stiftung selbst intensiv seit 2004. Damals wurde das Projekt »Europas weltpolitische Verantwortung« aus der Taufe gehoben. Nach eigener Aussage dient es dazu, »den Entwicklungsprozess der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union konzeptionell mit Analysen, Handlungskonzepten und Strategieempfehlungen [zu begleiten]. Schwerpunkte liegen dabei auf der Ausgestaltung der transatlantischen Partnerschaft, der Weiterentwicklung der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Instrumente der Europäischen Union sowie ihrer Befähigung zur konstruktiven Konfliktregelung bei innerstaatlichen und regionalen Konflikten

Entsprechend dieser Leitlinien hat die »Venusberg Gruppe« 2004 ihre Vorstellungen einer europäischen Verteidigungsstrategie vorgestellt. Sie betont, dass die EU als »security actor« global Verantwortung übernehmen muss, dass die bisherige Sicherheitsstrategie nicht weit genug geht, da konkrete Handlungsanleitungen fehlen. So lässt der Text auch keinen Zweifel daran, dass die Zeiten der rein defensiven Verteidigung längst vorbei sind. Es geht um Angriffspolitik und das empfohlene strategische Konzept zielt auf »offensive and defensive security and defence efforts«4. So werden die Kernelemente aller Bertelsmann-Papiere zur Außenpolitik noch einmal aufgezählt: die Schaffung des Postens eines EU-Außenministers, einer EU-Armee, neuer Waffen für den globalen Einsatz und gemeinsame geheimdienstlicher Strukturen. Und durch die Hintertüre wird Deutschland als Teil der Europäischen Union sogar Atommacht. Denn was die französischen und englischen Atomwaffen anbetrifft, so heißt es lapidar: »In time it may be that the role of these forces might have to be formalised within an EU framework as they are within the NATO framework5

Europa als machtpolitischer Akteur

Es sind ganz neue Töne, die den EU-Bürgern plötzlich in den Ohren klingen. Die Zivilmacht Europa ändert ihren Charakter. Die Wirtschaftsmacht, die es bisher so gut verstanden hat, ihre globale Interessenpolitik hinter der Fassade des globalen Anwalts der Menschenrechte, als Helfer in der Not zu verstecken, schlägt neue Töne an. Doch weltweite militärische Einsätze sind für EU-Bürger immer noch gewöhnungsbedürftig. Die Bertelsmann-Stiftung hat das erkannt. Schließlich hat sie hierzulande mittlerweile viel Erfahrung bei der Beeinflussung des gesellschaftlichen Klimas gesammelt. Beispielsweise durch die mediale Verbreitung der eigenen Überzeugungen. Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung werden von Printmedien, Hörfunk und Fernsehen als »Experten« für außen- und sicherheitspolitische Fragen eingeladen und können ihre Sicht der Dinge vermitteln. Immer wieder gibt es auch hochkarätig besetzte Tagungen und Diskussionsrunden, die sich der Frage widmen, wie politische Kommunikation heute gemacht werden muss, um die »Reformbereitschaft« der Menschen zu steigern.6 So soll auch die Bereitschaft der EU-Bürger zum Weltmachtstatus gefördert werden. Ein Strategiepapier der »Venusberg Group« aus dem Jahr 2005 mit dem Titel »Why the World needs a Strong Europe…and Europe needs to be Strong. Ten Massages to the European Council« empfiehlt dem Europäischen Rat: »Engage the European People: Europeans want leadership. To generate political capital for Europe’s new defence European leaders must finally open a strategic dialogue with EU civil society about the role of Europe in the world. Only by gaining broad popular support Europe will be capable of achieving its strategic objectives and master the challenges ahead7

Mit anderen Worten: es geht um den Gewinn der diskursiven Hegemonie in der Gesellschaft, um die gesellschaftliche Akzeptanz für weltweite Kriegseinsätze. Und die zentrale Botschaft lautet: Es gibt zahllose Gefahren für den europäischen Wohlstand und das sichere Leben der EU-Bürger. Überall lauern Bedrohungen, die nicht mehr nur mit zivilen Mitteln abgewendet werden können, beispielsweise durch »Terrorismus, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Staatsscheitern und die Abhängigkeit von Energie-Importen«8. Im Juni 2007 forderte die Stiftung gar eine europäische »Energieaußenpolitik«. Unter dem Titel »Europa im Wettlauf um Öl und Gas« werden Vorschläge gemacht, durch welche Maßnahmen die EU ihren gewaltigen Energiebedarf in Zukunft sichern könnte. Dort heißt es: »Aufgrund der Instabilität diverser Rohstoffstaaten ist Europa gefordert, durch den Einsatz seiner vielfältigen außenpolitischen Instrumente (Diplomatie, Wirtschaft, Handel, Entwicklung, etc.) die Voraussetzungen für ein verlässliches Agieren der Partner zu unterstützen9 Was hier so zivilisiert klingt, kann auch einen anderen Ton annehmen; so ist in einer Analyse des CAP zur Asienpolitik der EU etwa der Satz zu lesen: »Außerdem bedarf es eines Bekenntnisses der EU dazu, dass auch Europäer in ihrer Außenpolitik sehr wohl Interessenpolitik betreiben10

Wohin die Reise tatsächlich gehen soll, vermittelt eine Broschüre des CAP aus dem Jahr 2003. Dort werden fünf Szenarien zur Zukunft der EU beschrieben. Hier der Favorit der Autoren: »Im Szenario Supermacht Europa wird das große Europa seinem objektiven Weltmachtpotential gerecht. Die Europäische Union nutzt ihre materiellen und institutionellen Ressourcen in vollem Umfang. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Bevölkerungszahl, militärisches Potential und das europäische Wertesystem bieten ihr eine beachtliche Handlungsbasis. […] Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik.«11

Anmerkungen

1) Der damalige Vorsitzende der Stiftung Heribert Meffert hat es in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so formuliert: »Die Politik braucht Unterstützung. Wir dürfen uns deshalb nicht nur als Think Tank, als Denkfabrik, betätigen, sondern müssen auch kampagnenfähig werden und konkrete Lösungsansätze bieten. Damit steigt natürlich der Einfluss« (SZ, 29.04.05).

2) Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung vom 06.06.2000.

3) So hat der Europäische Rat auf seiner Sitzung im Dezember 1999 beschlossen, eine europäische Eingreiftruppe aufzubauen, die innerhalb von 60 Tagen mit einer Stärke von bis zu 60.000 Soldaten weltweit einsetzbar ist und deren Einsatz für ein Jahr gewährleistet werden kann.

4) Bertelsmann Foundation: »A European Defence Strategy«. Gütersloh, 2004. S.5.

5) Ebenda: S.58

6) Hier ist auch die PR-Kampagne »Du bist Deutschland« zu erwähnen, die in den Vorstandsetagen von Bertelsmann erfunden und u.a. mit starker Hilfe der hauseigenen Medien (RTL, Stern etc.) umgesetzt wurde.

7) »Why the World needs a Strong Europe…and Europe needs to be Strong. Ten Messages to the European Council«. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh, November 2005, S.18.

8) Klaus Brummer: »Warum schicken wir Truppen in alle Welt?«. Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 03.08.2006. Brummer ist Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung.

9) www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F14-E88E9715/bst/hs.xsl/nachrichten_53103.htm.

10) www.cap-lmu.de/aktuell/positionen/2006/asem.php.

11) Algieri, Emmanouilidis, Maruhn: »Europa Zukunft. Fünf EU-Szenarien« München, 2003. S.12f.

Jörn Hagenloch ist freier Journalist und arbeitet im Medienkombinat Berlin

Operation Balkan:

Operation Balkan:

Werbung für Krieg und Tod

von Jörg Becker und Mira Beham

Seit dem Kosovokrieg von 1999, der die Frage nach der Rolle der Medien im Krieg und nach Krisenkommunikation überhaupt in einer relativ breiten Öffentlichkeit thematisierte, ist eine explosionsartig angewachsene und kontinuierlich wachsende Menge an Literatur zum Thema Medien und Krieg zu verzeichnen. Damit scheint eine lange geltende kommunikationswissenschaftliche Gesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt worden zu sein, wonach jeder Krieg eine Medienkrise hervorruft, in der sich die Medienschaffenden veranlasst sehen, zu fragen, wie sie über den Krieg kommuniziert haben, um anschließend alsbald wieder zur Tagesordnung überzugehen und wenig bis gar keine Lehren aus dem zurückliegenden für den nächsten Krieg zu ziehen.

Dass es jetzt aber eine offenbar gestiegene und eine mehr oder weniger andauernde Sensibilität für den Umgang der Medien mit Kriegen gibt, hat vermutlich vor allem zwei Gründe. Erstens haben uns der 11. September 2001 und seine Folgen praktisch in den Zustand eines permanenten Krieges versetzt, was wiederum eine permanente Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen der Kommunikation über Krieg hervorruft und erforderlich macht. Zweitens ist eine rasante Veränderung der Quantität und Qualität von Kriegs- und Krisenkommunikation eingetreten.

Innerhalb der Friedensforschung ist ebenfalls eine erhöhte Sensibilität hinsichtlich dieses Themas zu verzeichnen. Auffällig jedoch ist dabei generell, dass – nicht nur in der Friedensforschung – zwei wichtige Aspekte der komplexen Problematik eher ein Schattendasein fristen. Da wären zum einen die Balkankriege der neunziger Jahre, die über den Kosovokrieg hinaus kaum Interesse wecken, obschon der NATO-Krieg gegen Jugoslawien in vielerlei Hinsicht – auch medial – auf ihnen aufgebaut hat.1 Und da wäre zum anderen die Frage nach der Beeinflussung von Kriegs- und Krisenkommunikation, also auch der von Medien, durch Public Relations-Maßnahmen.2

Propaganda und Public Relations

Wer im 21. Jahrhundert etwas über Propaganda schreiben will, tut gut daran, bei Harold D. Lasswell zu beginnen. Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts veröffentlichte Lasswell sein Buch »Propaganda Technique in the World War«3, einen Klassiker über die Propagandagräuel aller Kriegsparteien im Ersten Weltkrieg. Nach Lasswell dient Kriegspropaganda vier Zielen: den Hass gegen den Feind zu mobilisieren, die Freundschaft unter den eigenen Verbündeten zu stärken, freundliche Kooperationsmodelle gegenüber neutralen Mächten herzustellen und den Feind zu demoralisieren. Diese Zielsetzungen von Kriegspropaganda haben sich bis heute nicht geändert.

In seinem Aufsatz über »Die Theorie der politischen Propaganda«4 bestimmte Lasswell sein Verständnis von Kommunikation folgendermaßen: »Propagandastrategien kann man am besten in der Terminologie von Stimulus und Response erklären. Einem Propagandisten geht es um die Vervielfachung der Stimuli, die am ehesten die gewünschte Wirkung erzielen und um Auslöschung der Stimuli, die wahrscheinlich zu unerwünschten Wirkungen führen.« Später schrieb er an anderer Stelle, dass Propaganda die Manipulation von Symbolen sei, um Einstellungen bezüglich kontroverser Themen zu beeinflussen. Lasswells theoretische Modellbildung ging davon aus: Sind die Stimuli erstens nur geschickt genug ausgewählt und werden sie zweitens nur ausreichend häufig genug wiederholt, ist von geglückter Kommunikation zu sprechen, kann eine einheitliche Reaktion seitens der »amorphen Masse« vorausgesetzt werden.

Hinter Lasswells Überlegungen verbirgt sich das Reiz-Reaktions-Modell der etablierten Sozialwissenschaft. Und als Persuasionsforschung, also als eine Kommunikationsforschung, die überreden und überzeugen will, stehen diese Überlegungen nach wie vor Pate für alle etablierten Konzepte der gegenwärtigen Werbewirkungsforschung, der Wirkungs- in der Kommunikationsforschung und auf dem Arbeitsgebiet von PR. Diskreditiert durch den positiv besetzten Propaganda-Begriff in der NS-Zeit grenzen sich Vertreter und Befürworter von PR seit langem vom Propaganda-Begriff ab.

Definitorisch indes sind auch gegenwärtig die Abgrenzungen zwischen den Begriffen Propaganda und PR keinesfalls zufrieden stellend zu leisten. Weder ist trennscharf zu unterscheiden zwischen »überreden« für Propaganda und »überzeugen« für PR, noch sind inter-subjektiv überprüfbare und messbare Kriterien für »gute« kommunikative Absicht und »gute« Ethik für PR und »schlechte« kommunikative Absicht und »schlechte« Ethik für Propaganda denkbar.

Wie sehr der neue Begriff PR lediglich Neusprech für den alten Begriff Propaganda ist, zeigt der folgende Abgrenzungsversuch von Günter Bentele, Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentlichkeitsarbeit und PR an der Universität Leipzig: Eine »umstandslose Gleichsetzung von Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda« sei „unter logisch-systematischen Gesichtspunkten und gemessen an der Zielsetzung einer differenzierten PR-Theorie zu simpel. Das Problem dieser Position ist, dass notwendigerweise von gravierenden Unterschieden zwischen nationalsozialistischer Propaganda oder politischer DDR-Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit westlichen Typs abstrahiert werden muss5.

Doch Benteles Position bleibt aus zwei Gründen problematisch. Erstens huldigt er einem sozialwissenschaftlich fragwürdigen, weil allzu simplen Totalitarismusmodell, dessen Dichotomie Feindbildcharakter aufweist: Propaganda haben nur die anderen, man selbst betreibt Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit. Zweitens aber bekommt Benteles inhaltlich leerer Strukturfunktionalismus erhebliche empirische Probleme, denn ganz offensichtlich kann nicht sein, was nicht sein darf.

Das Engagement von PR-Agenturen in den ex-jugoslawischen Kriegen

Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass Regierungen PR-Unternehmen damit beauftragen, ihr Image in anderen Ländern aufzubessern. Wenig bekannt ist hingegen, dass es seit langem von sehr unterschiedlichen Regierungen in Auftrag gegebene und bezahlte PR-Kampagnen gibt, um Feindbilder aufzubauen, Kriege vorzubereiten oder Diktaturen zu beschönigen.

Im wechselseitigen Abhängigkeitssystem »Regierungen/PR-Agenturen in Kriegszeiten« haben wir insgesamt 157 Halbjahresverträge zwischen ex-jugoslawischen Kunden und 31 verschiedenen PR-Agenturen sowie neun Einzelpersonen aus dem Zeitraum der Kriege in Ex-Jugoslawien von 1991 bis 2002 erfasst.

Im August 1991 erhielt die PR-Firma »Ruder Finn« von der kroatischen Regierung den Auftrag, für sie zu arbeiten, im Mai 1992 von der bosnischen Regierung und im Herbst desselben Jahres von der Führung der Kosovo-Albaner. Damit ist »Ruder Finn« die einzige PR-Agentur, die im Krieg für alle drei nicht-serbischen Kriegsparteien gleichzeitig tätig war. Kennzeichnend für die Arbeit von »Ruder Finn« im Auftrag der drei Kriegsparteien – und eher unüblich für das nüchtern dienstleistungsorientierte Selbstverständnis der Branche – ist das hohe Maß an Identifikation mit den Anliegen und Zielen der Kunden, das sowohl David Finn als auch James Harff, beide »Ruder Finn«, mehrfach dokumentiert haben. In einem uns exklusiv vorliegenden Interview, das für die holländische TV-Dokumentation »De Zaak Miloševiæ« gedreht und nur in Auszügen ausgestrahlt wurde, erklärt Harff: »Es ist in unserem Blut, wir haben den Balkan im Blut wegen der persönlichen und professionellen Erfahrungen. […] Wir haben uns sehr große Sorgen um das Kosovo gemacht, und natürlich war die NATO-Aktion von 1999 ganz sicher angemessen, wenn auch verspätet. […] Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht.«6

Die Kommunikationskonzepte in den Balkan-Kriegen

Die von den Kriegsparteien engagierten PR-Agenturen arbeiteten im wesentlichen mit folgenden Elementen, die sie formal und inhaltlich miteinander kombinierten: politische Propaganda, Lobbying, Krisenkommunikation, Medienkommunikation, Informationsmanagement, Issues-Management, Public Affairs (also politische Kommunikation), Consulting und Intelligence. PR-Agenturen, die für nicht-serbische Klienten arbeiteten, gaben folgende Ziele ihrer Arbeit an:

  • die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die USA
  • die Wahrnehmung Sloweniens und Kroatiens als fortschrittliche Staaten westeuropäischen Zuschnitts
  • die Darstellung der Serben als Unterdrücker und Aggressoren
  • die Gleichsetzung der Serben mit den Nazis
  • die Formulierung des politischen Programms der Kosovo-Albaner
  • die Darstellung der Kroaten, der bosnischen Muslime und der Kosovo-Albaner als ausschließlich unschuldige Opfer
  • die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele
  • das Eingreifen der USA in die Ereignisse auf dem Balkan
  • die Darstellung der Eroberung der serbisch gehaltenen Krajina durch die kroatische Armee als legitim und legal
  • die Aufrechterhaltung der UN-Sanktionen gegen Serbien
  • eine günstige Entscheidung beim Schiedsspruch um die bosnische Stadt Brèko
  • die Völkermordanklage gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag
  • günstige Verhandlungsergebnisse für die albanische Seite in Rambouillet
  • die Anklage Slobodan Miloševiæs vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
  • eine Förderung von US-Investitionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten
  • die Sezession Montenegros von Belgrad.

PR-Agenturen, die für serbische Klienten arbeiteten, gaben folgende Ziele ihrer Arbeit an:

  • die allgemeine Verbesserung des schlechten Images
  • die Verbesserung des Images der bosnischen Serbenrepublik
  • die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele
  • Förderung von US-Investitionen in Serbien
  • die Verbesserung der Beziehungen zu den USA nach der Abwahl Miloševiæs
  • die Aufhebung der UN-Sanktionen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Balkan-Klienten mit ihren PR-Aktivitäten zwei Ziele verfolgten: Erstens ging es ihnen um eine Selbst-Einführung in die US-amerikanische Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Man wollte sich also selbst positiv präsentieren, d.h. diplomatisch tätig sein. Zweitens ging es ihnen um die Erreichung sehr handfester, eigener Kriegsziele. Oft wurden hierbei beide Aspekte stark miteinander verwoben.

Bad und good guys – die Simplifizierung bewaffneter Konflikte

In den Balkan-Kriegen haben wir die Konstellation, dass Kriegsregierungen ihre Propaganda durch den Filter von PR-Agenturen und deren zahlreiche Kommunikationskanäle in glaubwürdige Botschaften verwandeln konnten. Daraus resultiert eine starke Homogenisierung der öffentlichen Meinung in den USA und in den westlichen Gesellschaften überhaupt: die US-Regierung, amnesty international, Human Rights Watch, Freedom House, das United States Institute of Peace, die Soros-Foundation, liberale Intellektuelle und weite Kreise der Konservativen, die Vereinten Nationen, Journalisten, aber auch die Regierung in Zagreb, die Regierung in Sarajevo, die Führung der Kosovo-Albaner, die UÇK – sie alle haben, mit geringfügigen Nuancen, eine praktisch identische Lesart der Balkan-Kriege. In einer etwas überspitzten Kurzfassung sieht diese so aus: Die Serben sind in nationalistischen Wahn verfallen und wollten ein Großserbien errichten, Slobodan Miloševiæ, ein unverbesserlicher Kommunist, hat sich zu ihrem Führer aufgeschwungen und hat mit der Jugoslawischen Volksarmee die nicht-serbischen Republiken und Völker angegriffen und dabei Massenvergewaltigungen, ethnische Säuberungen und Völkermord begehen lassen; die anderen ex-jugoslawischen Nationen – Slowenen, Kroaten, Bosnier, Albaner, Mazedonier – waren friedliebende, demokratische Völker (die Montenegriner hatten ein geteiltes Image: solange sie mit Belgrad solidarisch waren, galten sie als ebenso aggressiv; als sie mit Belgrad brachen, verwandelten sie sich in ein friedliebendes Volk). Das ist genau das Bild der Balkan-Kriege, das die PR-Agenturen 1:1 verbreitet haben. Und es ist deckungsgleich mit der Propaganda der ex-jugoslawischen, nicht-serbischen Kriegsparteien.

PR und private Militärfirmen

Die kroatische Regierung hatte praktisch durchgehend von 1991 bis 2002 verschiedene große PR-Firmen engagiert, die sich in den USA für ihre politischen, ökonomischen und kulturellen Belange einsetzten und ein positives Image des Staates verbreiteten. Nach der erfolgreichen Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens durch die USA gab es jedoch noch ein besonders kritisches politisch-militärisches Problem, das es zu lösen galt – die Serbenfrage in der Krajina. Und an diesem Punkt gibt es eine erste nachweisbare Kombination von gleichzeitigen Aktivitäten einer PR-Agentur und Aktivitäten einer privaten Militärfirma.

Im März 1993 engagierte das Büro des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman die PR-Agentur »Jefferson Waterman International (Waterman Associates)« und im September 1994 unterzeichnete die kroatische Regierung einen Vertrag mit der privaten US-amerikanischen Militärfirma MPRI (Military Professional Resources Inc.). MPRI ist eine von einigen Dutzend ähnlicher privater Militärfirmen (PMFs), die militärisches Training und verwandte Hilfsdienste für ausländische Regierungen durchführen. Wie ein ehemals hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter erklärt, sind diese privaten Trainingsprogramme dazu gedacht, die »außenpolitischen Ziele der USA zu fördern« und dürfen deshalb nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung des US-amerikanischen Außenministeriums realisiert werden. Mit Hilfe dieser florierenden privaten Kriegsindustrie kann die US-Regierung in jedem Land der Welt jede Form von Militärhilfe leisten, ohne die Zustimmung des Kongresses einholen oder der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen zu müssen.7

Anfang August 1995, elf Monate nach der Unterzeichnung des Vertrags mit MPRI, startete die kroatische Armee die »Operation Sturm« und überrannte in nur vier Tagen die UNPA-Zonen (UNPA = United Nations Protected Area) in der serbisch gehaltenen Krajina. Das war genau jene Aktion, auf die die US-amerikanische Öffentlichkeit von der PR-Firma »Jefferson Waterman International« positiv eingestimmt werden sollte. Während MPRI leugnet, mit der »Operation Sturm« irgendetwas zu tun zu haben, sagen Experten, dass der Angriff ganz eindeutig die »Handschrift« der USA trage. Nicht nur der Name »Operation Storm« wurde bewusst in Anlehnung an die »Operation Desert Storm«, also den Golf-Krieg von 1991, gewählt, vielmehr seien einzelne Aktionen so vorbildlich »wie aus einem Handbuch« der US-Armee durchgeführt worden.

MPRI war jedoch nicht nur in Kroatien tätig, und Kroatien war nicht die einzige Kriegspartei auf dem Balkan, die die Dienste einer PMF in Anspruch nahm: So bildete MPRI die UÇK im Kosovo und Mazedonien aus, war aber gleichzeitig offiziell für die Armee der Republik Mazedonien tätig. Als es im Frühjahr 2001 zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den mazedonischen Streitkräften und der UÇK kam und die Armee die UÇK in Araèinovo östlich von Skopje in die Enge gedrängt hatte, intervenierte die NATO und stellte 15 klimatisierte Busse zur Verfügung, die die albanischen Kämpfer samt Waffen evakuierten. Unter ihnen befanden sich 17 Instrukteure von MPRI.8 Zusammenfassend kann man sagen, dass es hier um eine Struktur geht, in der sich die Aktivitäten von privatwirtschaftlich agierenden PR-Agenturen und die einer privatwirtschaftlich agierenden Militärfirma im Dienste politisch-militärischer Ziele von Kriegsparteien komplementär verhalten. Privatisiert ist also nicht nur die Kriegspropaganda, privatisiert ist vor allem die Kriegsführung selbst.

Anmerkungen

1) Eine der wenigen friedenswissenschaftlichen Ausarbeitungen zur Kriegs- und Krisenkommunikation über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien im Zeitraum 1991-1995 stammt von Alexander S. Neu (2004): Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der Times und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein Vergleich, Baden-Baden: Nomos.

2) Dieser Beitrag gibt wichtige Aspekte des jüngst erschienen Buches mit dem gleichnamigen Titel wider (Baden-Baden: Nomos 2006). Das Buch stellt den Versuch dar, diese beiden eher vernachlässigten Aspekte – die Balkankriege als auch die Kriegs- und Krisenkommunikation – der Kommunikations- und kommunikationsorientierten Friedensforschung nicht nur zu thematisieren, sondern auch zusammenzuführen. Es ist im Rahmen des zweijährigen Forschungsprojekts »Die Informationskriege um den Balkan seit 1991« entstanden, das wir dank nachhaltiger Unterstützung des inzwischen tragischerweise verstorbenen Gründungsdirektors der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF), Dieter S. Lutz, durchführen konnten.

3) Lasswell, Harold D. (1927): Propaganda Technique in the World War, London: Paul Kegan.

4) Lasswell, Harold D. (1927): The Theory of Political Propaganda, in: The American Political Science Review. Jg. XXI.

5) zit. nach Kunczik, Michael (2002): Public Relations. Konzepte und Theorien. 4. Aufl., Köln: Böhlau, S.36.

6) Harff, James in: »De Zaak Miloševiæ« (Der Fall Miloševiæ). Regie: Jos de Putter, Niederlande 2003 [z. Tl. unveröffentlichtes Filmmaterial].

7) Silverstein, Ken (1997): Privatizing War. How affairs of state are outsourced to corporations beyond public control, in: The Nation, 28. Juli 1997.

8) Oschlies, Wolf (2001): Mazedonien als Opfer internationaler Ignoranz?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8.

Prof. Dr. Jörg Becker ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg und Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen. Mira Beham (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarneiterin am KomTech-Institut für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen

Bildermaschine für den Krieg

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Eine friedenswissenschaftliche Herausforderung

von Peter Bürger

Noch etwa drei Jahre währt die von den Vereinten Nationen ausgerufene »Dekade für eine Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens«. Im kultur- und medienpolitischen Diskurs spielt sie so gut wie keine Rolle. Die Militarisierung der Massenkultur schreitet dagegen unverdrossen voran. Bildschirmunterhaltung im Tarnanzug und Militärsimulationen am privaten Computer gehören längst zum Alltag. In diesem Bereich besteht ein enormes Forschungsdefizit. Der Autor skizziert grundlegende Dimensionen einer friedenswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der kriegsförderlichen Unterhaltungskultur.

Die Marktsortimente der kriegsförderlichen Unterhaltungsindustrie können – zumindest von Einzelnen – nicht mehr überblickt werden. Sie sind Teil eines übergreifenden Phänomens, das als »massenkultureller Krieg« (Holert & Terkessidis 2002) oder als »banaler Militarismus« (Thomas & Virchow 2006) beschrieben worden ist. Der Sache nach hat es »Militainment« in der Welt des Krieges schon immer gegeben. Im digitalen Kommunikationszeitalter haben sich die Bedingungen für Produktion und Verbreitung von kurzweiliger Kriegsunterhaltung jedoch auf eine Weise revolutioniert, die alles Bisherige weit in den Schatten stellt. Noch wirkungsvoller als die Informationsmedien können Produktionen der Unterhaltungsindustrie auf der Basis von Kollektivsymbolen ein kriegsfreundliches Bild der Welt konstruieren. »Medien«, so meint Siegfried Weischenberg, »dürfen keine Kriege führen. Sie dürfen höchstens darüber berichten« (zit. nach Albrecht & Becker 2002, S.131). Für fiktionale Filmgenres oder zwittrige Medienformate (»Infotainment«) scheint es einen vergleichbaren Standard nicht zu geben.

Kriegsförderliche Massenkultur als Gegenstand der Friedensforschung

Während nun der besondere Blick auf die Informationsmedien in Friedensbewegung und Friedensforschung als etabliert gelten kann, wächst das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung des Unterhaltungskomplexes vergleichsweise nur langsam. Über Ursachen des wenig ausgeprägten Sinns für das fiktionale Kriegsbild lässt sich spekulieren. Die Friedenswissenschaften sind zum Großteil bewusstseinsorientiert und kantianisch geprägt. Im rationalen Diskurs können sie zeigen, dass die Programme »Militär« und »Krieg« zu Beginn des dritten Jahrtausends restlos bankrott und mit einer Überlebensperspektive für die menschliche Zivilisation unvereinbar sind. Doch warum findet die Vernunft so wenig Gehör? Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, darf die Tiefenschichten von Gesellschaft und Kultur nicht ausblenden. Es gilt, gegen alle Neigung auch die kommerziellen Unterhaltungssortimente zur Kenntnis zu nehmen. Eine andere Ursache könnte in Kompetenzfragen liegen. Darf sich die politische Kritik überhaupt in Bereiche der Ästhetik und Kunstkritik einmischen? Entsprechende Skrupel zeigen zunächst, dass ästhetische und politische Fragestellungen im Rahmen einer gesellschaftskritischen Medienforschung heute wieder zusammenkommen müssen. Die Friedensforschung böte dafür ideale Vorraussetzungen, da unter ihrem Dach ohnehin interdisziplinär geforscht wird. Andererseits werden andere Wissenschaftszweige ihr die systematische Erforschung der kriegsförderlichen Massenkultur kaum abnehmen. Im Rahmen etwa der Filmwissenschaften gibt es nicht sehr viele Beiträge, die interessegeleitet vom Friedensstandpunkt ausgehen. Ansätze zur zeitnahen Erforschung des Unterhaltungskomplexes im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen kommen eher aus der Politikwissenschaft.

Nach meinen Erfahrungen bei Vorträgen seit 2002 weckt eine anschauliche Vermittlung von Medieninhalten am ehesten Sensibilität für die Bedeutung des Gegenstandes. In diesem Beitrag soll es jedoch konzentriert um die Frage gehen, welche grundlegenden Dimensionen eine friedenswissenschaftliche Methodik zur Kritik der kriegsförderlichen Unterhaltungskultur denn zu beachten hätte. Aus meiner Sicht sind dies die Macht der Bildermacher, die Macht der Bilder und die Macht der Bildertechnologien. Erträge für die Praxis sind nur zu erwarten, wenn keine dieser drei Grunddimensionen vernachlässigt wird.

Macht der Bilderfabriken und -macher

Innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaften scheinen sich Fragestellungen der Medienproduktkritik einerseits und solche der Medienökonomie bzw. der Strukturkritik andererseits auf getrennte Disziplinen verteilt zu haben (Jürgens 2006). Für die Anbieterseite ist es natürlich höchst komfortabel, wenn das real existierende Medienangebot nicht im Zusammenhang mit Medienmacht untersucht wird. Kulturelle und wirtschaftliche Macht kommen hier zusammen. Die politische Medienkritik kann deshalb Wirtschaftsdaten, die sich auf Herstellung, Werbung, Vermarktung oder Distribution von großen Unterhaltungsproduktionen beziehen, nicht unbeachtet lassen. Produktionsbudgets von 100 oder 150 Millionen US-Dollar sind für »Blockbuster« des Kriegskinos normal.

Medienmonopolisten üben über Denkfabriken und Stiftungen Einfluss auf Politik und Bildungsbetrieb aus. Sie sind zunehmend in einem Konzerngeflecht angesiedelt, in dem auch Rüstungsproduzenten und andere Kriegsprofiteure den Ton angeben (Leidinger 2003). Es gibt Beispiele dafür, dass Medienanbieter Rüstungsprodukte ihres Mutterkonzerns oder umstrittene Rüstungsprojekte in ihrem Angebot besonders berücksichtigen.

Neben der Rüstungsindustrie kommt auch das Militär als Akteur ins Spiel. Die traditionsreiche Kooperation von Hollywood und Pentagon vollzieht sich in festen Strukturen. Die vorliegenden Forschungen widerlegen eindeutig die Annahme, es handele sich dabei lediglich um harmlose Gefälligkeiten (Bürger 2006; 2007). Vielmehr erlangt das Militär – über Mechanismen der Selbstzensur hinausgehend – eine regelrechte editorische Kontrolle über Produktionen der privaten Filmwirtschaft. Der Köder besteht aus aufwendigen Unterstützungsleistungen, die außerhalb einer Kooperation jedes Filmbudget sprengen würden. In Europa findet die »zivil-militärische Zusammenarbeit« bei Spielfilmproduktionen Nachahmer, wie z.B. bei »Les Chevaliers du Ciel« (Frankreich 2005). Die Bundeswehr beschränkt sich, soweit sich dies anhand der wenigen Veröffentlichungen über das nahe Geschehen beurteilen lässt, vorerst noch auf die Mitwirkung bei TV-Produktionen. Zu den eigenen Medienangeboten des Pentagon gehören Kabelsenderprogramme, Kinotrailer und Computerspiele für Jugendliche. Im Bereich der Computerspielproduktion ist die Kooperation von Militär und Professionellen der privatwirtschaftlichen Kreativtechnologie schon seit längerem institutionalisiert.

Über die Intentionen der beteiligten Akteure muss man nicht immer spekulieren. Die Filmförderrichtlinien des Pentagon setzen z.B. als zwingend voraus, dass Kooperationsprojekte das Militär »ganz realistisch« in ein gutes Licht rücken und der Rekrutierung dienlich sind. Zum deutschen TV-Zweiteiler »Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei« (2005) konstatieren die Filmemacher in den DVD-Extras ein gestörtes transatlantisches Freundschaftsverhältnis. Ihr Werk soll aktuell auch als Brücke zwischen den USA und der Bundesrepublik gesehen werden.

Ich halte es für angemessen, die Unterhaltungsindustrie wie einen schwergewichtigen Rüstungssektor einzustufen. Die organisierte Einflussnahme von staatlichen, militärischen und ökonomischen Kriegsinteressenten auf den Unterhaltungskomplex muss unbedingt weiter erforscht werden. Allerdings darf dies nicht auf der Basis eines zu engen und einfach gestrickten Propagandamodells geschehen. Die durch Gramscis Konzept der Kulturellen Hegemonie inspirierten Erkenntnisfortschritte würden dann nämlich wieder unter den Tisch fallen. Neben den Propagandaphänomenen im engeren Sinne muss jene viel umfassendere Kollaboration der gesamten Kulturmaschine bzw. des »freien Marktes« im Blickfeld bleiben, die nicht auf sichtbaren Druck, Zensur, Manipulation, gezielte Propagandastrategien etc. zurückgeführt werden kann (Boggs & Pollard 2006).

Macht der Bilder

Ähnliche Unterscheidungen sind auch auf der Ebene der Produktkritik von größter Wichtigkeit. Ein beträchtlicher Teil der Unterhaltungsproduktionen transportiert Botschaften, die in ziemlich direkter Beziehung zu bestimmten Kriegsplanungen, Schauplätzen, Rekrutierungszielen, Militärdoktrinen, Strategien oder Technologieentwicklungen stehen. In der entsprechenden Inhaltsanalyse kommt der politischen Drehbuchkritik eine zentrale Bedeutung zu. Fundierte Kenntnisse des jeweiligen äußeren Bezugsrahmens sind unverzichtbar.

Bezogen auf das »Ganze« greift dieser Ansatz allerdings – genauso wie ein isolierter und punktueller Blick auf die »Medien im Kriegsfall« – zu kurz. In den Tiefenschichten der besagten Produktionen und in einem wesentlich breiter gefächerten massenkulturellen Kanon geht es nämlich viel grundlegender um die Konstruktion von Welt- und Menschenbildern, die der Kriegsideologie zuarbeiten. Nicht nur ein einzelner Schauplatz der Geschichte, sondern die menschliche Geschichte als solche wird kriegerisch re-inszeniert und gedeutet. Im Mittelpunkt steht z.B. nicht ein konkretes Rüstungsprojekt, sondern eine dem modernen Krieg förderliche Ästhetik. Vermittelt werden eher Deutungsmuster und Stimmungslagen statt einzelne Inhalte. Die Beliebigkeit der Unterhaltungssortimente scheint auf den ersten Blick sehr groß zu sein. Doch unbequeme Felder des Geschichtsgedächtnisses, gewaltfreie Denkweisen und Perspektiven oder Modelle einer nicht auf aggressives Wirtschaften abzielenden Weltgestaltung bleiben durchgehend ausgeblendet. Entscheidend ist also auch, was im vorherrschenden Horizont nicht zur Sprache oder ins Bild kommt. Vermutlich ist der übergreifende und tiefere »massenkulturelle Krieg«, der eher auf Unbewusstes abzielt, bedeutsamer als die kategoriale – bewusstseinsnahe – Propaganda. Zur politischen Drehbuchkritik muss deshalb so etwas wie eine politische Tiefenpsychologie hinzutreten.

Für das pentagongeförderte Kino, das sich keineswegs nur im zuerst skizzierten Bereich der bewusstseinsnahen Propaganda bewegt, lässt sich durchaus ein systematischer Lehrplan aufzeigen (Bürger 2006; 2007). Zahllos sind darüber hinaus die Filmproduktionen, in denen auch ohne Militärassistenz die zentralen Themen der neuen Weltkriegsordnung behandelt werden. Der speziell im deutschen Film- und Kulturgeschehen massiv betriebene Geschichtsrevisionismus lässt sich kaum noch übersehen.

In der politischen Filmkritik kommt zwangsläufig das gesamte militarisierte Kino mit all seinen Maskierungen ins Blickfeld. Die beiden großen Trilogien zum Auftakt des dritten Jahrtausends – »Lord of the Rings« und »Matrix« – verankern z.B. die Schlacht zwischen Gut und Böse in der Massenkultur. Das Science-Fiction-Kino verleiht der »Revolution in Military Affairs« – auch ästhetisch – ein positives Image. Für die friedenswissenschaftliche Herangehensweise ist also eine Fixierung auf das Kriegsfilmgenre nicht hilfreich. Deshalb schlage ich den bewusst weit gefassten Begriff des »kriegssubventionierenden Films« vor, für den es letztlich gar keine Genre-Einschränkung gibt. Grundlegende propagandistische Funktionen können für den gesamten Bereich der Massenkultur formuliert werden (Bürger 2006, S.512-527; 2007, S.51f.). Die Notwendigkeit einer interdisziplinären Forschung ergibt sich bereits aus den Erfordernissen der Inhaltsanalyse, die sich z.B. gleichermaßen mit rechtsrelevanten oder militärtechnologischen Sachverhalten und kriegstheologischen Topoi auseinandersetzen muss.

Macht von Bildertechnologie und Rezeptionsbedingungen

Die Technik gilt gemeinhin als neutral. Doch unsere Weltwahrnehmung verändert sich durch eine Digitalisierung der gesamten Kommunikation, welche z.B. das Bild des sauberen »virtuellen Krieges« sehr begünstigt (Bürger 2007, S.11-31). Die Friedensforschung muss zur Kenntnis nehmen, »dass es eine Interdependenz von Form und Inhalt, von Medium/Technologie und Botschaft gibt« (Albrecht & Becker 2002, S.18). Das ist schon deshalb unabdingbar, weil viele moderne Medientechnologien militärischen Ursprungs sind. Beim Militär und im Mediengeschäft kommen z.T. die gleichen Technologien zum Einsatz, was erhebliche Auswirkungen auf Inhalte, Bildausschnitte, Bildästhetik etc. hat. Auf dem Sektor der Unterhaltungsindustrie führen digitale Techniken dazu, dass Gestaltung, Herstellung, Verbreitung und Konsum der kommerziellen Bildangebote immer schneller und leichter vonstatten gehen. Bereits das kleine Display des Handys kann die Massenleinwand des Kinos ersetzen. Im Internet etablieren sich über Videoclip-Seiten (»You Tube«) ganz neue Angebots- und Konsummuster von »Militainment«. Der Gipfelpunkt ist vorerst im Bereich der Computerspiele erreicht. Was die Unterhaltungsbranche zur Bildschirmunterhaltung im häuslichen Bereich anbietet, kommt beim militärischen Produktionspartner für Kriegszwecke zum Einsatz.

Der Blick auf die Bilderkonsumenten in Medienpädagogik, Mediengewaltforschung oder Jugendschutzdiskurs ist zumeist individuumzentriert. Die Rezeption ist jedoch keineswegs eine Sache, die sich nur in einzelnen Köpfen abspielt, und auch keine reine Familienangelegenheit. Zunächst wird sie durch massive kommerzielle Produktbewerbung und ein breit gestreutes »neoliberales« Rezensionswesen auf banalstem Niveau in Gang gesetzt. Der Medienkonsum geht im Medienzeitalter mit kollektiven Rezeptionsbedingungen und einer regelrechten Mediensozialisation einher. Es ist zunächst durchaus wahrscheinlich, dass auch im Bereich der Unterhaltung einzelne Medienereignisse oder ein gezieltes Timing für einzelne Produktsortimente Wirkungen entfalten. Ein einzelner Filmklassiker wie »Apocalypse Now« hat die gesamte populäre Kriegskultur nachhaltig beeinflusst und spielt im Kontext »psychologischer Kriegsführung« noch heute eine Rolle. Der Focus auf einzelne Propagandaereignisse führt jedoch leicht in die Irre. So waren zum Beispiel fast alle Filme, die man 2002 in den Kulturredaktionen als Hollywoods Reaktion auf die Terroranschläge deutete, schon vor dem »Elften Neunten« produziert worden. Speziell der Kulturkampf im Kino hat sich über mindestens drei Jahrzehnte hinweg entwickelt. Hegemoniale Kulturprozesse und Rezeptionskreisläufe basieren auf einem längerfristigen Kulturkanon, nicht auf dem isolierten Einzelprodukt.

Zivilgesellschaft und bellizistisches Kulturdiktat

Für eine wachsame Friedensforschung stellt sich die Frage: »Gibt es ohne Abrüstung der Massenkultur für die Zivilisation überhaupt eine Aussicht auf Frieden?« Die Zivilgesellschaft muss sich gegen das Kulturdiktat der Bellizisten zur Wehr setzen. Damit kann sie nicht warten, bis sich die grundlegenden Bedingungen für die Kulturproduktion ändern. Sie braucht – abseits von kurzsichtigen Verbotsphantasien – praktikable Zwischenschritte (Bürger 2006, S.506-562; 2007) wie z.B. einen demokratischen Verbraucherschutz bei angebotenen Unterhaltungsproduktionen mit staatlicher, militärischer oder rüstungsindustrieller Assistenz. Die Friedensbewegung sollte ein medien- und kulturpolitisches Programm vorlegen, das den Unterhaltungskomplex an zentraler Stelle berücksichtigt. Die Friedensforschung könnte für Interessierte aus allen Wissenschaftsdisziplinen einen Leitfaden zur Analyse kriegsförderlicher Kulturprodukte (Filme, Spiele etc.) entwickeln.

Letztlich werden von einer Kritik des massenkulturellen Krieges natürlich nur bescheidene Beiträge zu erwarten sein. Da die Kritik sich auf das Gewalttätige und Kriegsförderliche richtet, kann sie bestenfalls Perspektiven für eine kriegskritische Kultur eröffnen. Die »Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens« ist damit aber noch gar nicht thematisiert.

Literatur

Albrecht, U. & Becker, J. (2002): Medien zwischen Krieg und Frieden. Baden-Baden: Nomos.

Boggs, C. & Pollard, T. (2006): The Hollywood War Machine. Boulder-London: Routledge.

Bürger, P. (2006): Kino der Angst. Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood (2. Auflage). Stuttgart: Schmetterling.

Bürger, P. (2007): Bildermaschine für den Krieg. Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft. Hannover: Heise.

Holert, T. & Terkessidis, M. (2002): Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Jürgens, E. (2006): Von der Medienkritik zur Wissenschaftskritik. In H. Niesyto, M. Rath & H. Sowa (Hrsg.): Medienkritik heute (S.109-114). München: kopaed.

Leidinger, C. (2003): Medien – Herrschaft – Globalisierung. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Thomas, T. & Virchow, F. (Hrsg.) (2006): Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen. Bielefeld: transcript.

Peter Bürger ist Theologe und Publizist. 2006 wurde er für seine Studie »Kino der Angst« mit dem Bertha-von-Suttner-Preis in der Kategorie »Film und Medien« ausgezeichnet. Unlängst ist sein neues Buch »Bildermaschine für den Krieg« erschienen. Weitere Information: www.friedensbilder.de/kriegsfilme

Warblogs:

Warblogs:

Mehrwert für die Nutzer oder individuelle Propaganda?

von Julia Sommerhäuser

Als das US-Magazin »Time« den einfachen Internetnutzer zum Menschen des Jahre 2006 kürte, würdigte die Zeitschrift damit die Bedeutung von sozialen Netzwerken im Internet. Geehrt wurden Betreiber von Webseiten, auf denen Nutzer eigene Inhalte generieren und sich miteinander vernetzen können. Bekannteste Vertreter solcher Seiten sind Weblogs: Diese einfach strukturierten Internet-Tagebücher kann grundsätzlich jeder erstellen, weil kaum technische Vorkenntnisse erforderlich sind. Beiträge werden online geschrieben und direkt veröffentlicht.

Viele Weblogs erfüllen keinen besonderen Anspruch; sie erzeugen nach Ansicht mancher Experten lediglich Datenmüll. Dennoch können sie in bestimmten Situationen neue Sichtweisen darstellen. In militärischen Konflikten beispielsweise eröffnen die als »Warblogs« bezeichneten Kriegstagebücher Einblicke in den vom Militär geprägten Alltag. Vor allem im Irakkrieg 2003 haben sich Warblogs zu einem öffentlich beachteten Format entwickelt. Für Krempl waren sie sogar die »Gewinner des Medienkriegs« (Krempl 2004, S.190). Bei den Lesern hinterließ ihr authentischer Stil einen anhaltenden Eindruck. Eine Alternative zur regierungstreuen Kriegsberichterstattung vieler US-Massenmedien schien gefunden. Doch welchen Mehrwert bieten die Online-Kriegstagebücher den Nutzern überhaupt?

Besonderheiten des Kriegsjournalismus

Militärische Auseinandersetzungen entwickeln sich immer mehr zu Informationskriegen. Neben Boden, See und Luft wird eine vierte Front eröffnet: die Informationsfront. An ihr wird nicht um den Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern um »die Manipulation seiner medialen Repräsentation« (Bendrath 1999) gekämpft: »Den traditionellen Kriegsjournalismus gibt es [demzufolge] nicht mehr« (Foggensteiner 1993, S.31).

Durch das »Embedding-System«, das erstmals im Irakkrieg 2003 praktiziert wurde, veränderten sich die Arbeitsweisen der Kriegsreporter. Als eingebettete Kriegsteilnehmer erhielten Journalisten die Gelegenheit, die Soldaten zu begleiten. Dieses »Menscheln in den Schützengräben« eröffnete der Berichterstattung neue Perspektiven. Die Nähe zum Geschehen und die Chance auf exklusive Augenzeugenberichte bedeuteten einen Prestigegewinn für die Medien.

Andererseits verloren viele Reporter die für eine ausgewogene Kriegsberichterstattung nötige Distanz, weil sie vom persönlichen Verhältnis zu den Soldaten abhängig waren. Sie zeigten vielfach »erkennbare Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als neutrale Beobachter« (Fleischhauer 2003, S.199). Von ihnen konnten kaum kritische Töne erwartet werden, denn wer fürs eigene Überleben auf die ihn umgebenden Soldaten angewiesen ist, »wird ihnen wohl kaum einen Beitrag später Mikrofon oder Bleistift in den Rücken rammen« (Bendrath 1999: 17).

Unter diesen Bedingungen erscheint es für professionelle Kriegsreporter schwierig, die politische Öffentlichkeit unabhängig zu informieren. Viele Nutzer sehen deswegen das Internet als Hoffnungsträger an. Dort finden neben professionellen auch partizipative Vermittler den Weg in die Öffentlichkeit.

Professionelle und partizipative Vermittler im Netz

Der Kriegsjournalismus im Internet ist durch ein Nebeneinander von traditionellen und innovativen Strukturen gekennzeichnet. Zum einen vermitteln professionelle Journalisten Nachrichten zum Kriegsverlauf. Die Online-Seiten traditioneller Medien entsprechen weitgehend den herkömmlichen Vorstellungen vom Journalismus. Sie sind für ein Massenpublikum gestaltet und basieren überwiegend auf einseitiger Kommunikation. Die Nutzer haben kaum Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Produziert werden diese Angebote von Online-Journalisten, deren Arbeit in Redaktionsabläufe integriert ist. Online-Nachrichtenseiten verzeichnen in Kriegszeiten einen hohen Zulauf: Während des Irakkrieges etwa lasen 56% der amerikanischen Internetuser Medien-Webseiten (vgl. Rainie/Fox/Fallows 2004). Grund für diese hohen Zahlen könnte die Unübersichtlichkeit der übrigen Webangebote sein. Die Nutzer sind damit überfordert und wenden sich lieber den vertrauten Onlinequellen bekannter Medienmarken zu. Diese bieten auch internationale Nachrichten, was die inhaltliche Bandbreite entscheidend erweitert.

Zum anderen prägen Laien die öffentliche Internet-Kommunikation im Krieg. Hier haben sich vor allem die Warblogger einen Namen gemacht. Warblogs sind Ausdruck eines Phänomens, das als »partizipatorischer Journalismus« bezeichnet wird (vgl. Bowmann/Willis 2003). Neuberger grenzt diese Art Journalismus von der professionellen Vermittlung ab (vgl. Neuberger 2006). So ist der Grad der Professionalisierung bei partizipativen Angeboten niedriger. Das Gros der Seiten wird von Laienkommunikatoren geführt. Neuberger hält darüber hinaus die Art der inhaltlichen Qualitätssicherung für different: Die Einhaltung journalistischer Standards wird bei Presse und Rundfunk auch online durch Redaktionen geregelt – eine Prüfung der Beiträge findet vor ihrer Veröffentlichung statt. Im partizipatorischen Journalismus gilt hingegen gilt: Informationen und Meinungen werden erst veröffentlicht, Korrekturen können anschließend hinzugefügt werden.

Diese Strukturen stellen die Routinen der Kriegsberichterstattung zweifellos in Frage. Ein journalistischer Vermittler ist nicht mehr zwingend vonnöten, da die Nutzer seine Aufgaben übernehmen können. Es entsteht gewissermaßen eine Kriegsberichterstattung »von unten«. Diese Aufwertung der Nutzeraktivitäten veranlasst Wissenschaftler dazu, Warblogs als Format einer »bewusste[n] Gegenöffentlichkeit« (Bendrath 1999: 86) anzusehen. Nach Scholl und Bobbenkamp (1993, S.233ff.) müssen dafür folgende Kriterien erfüllt sein:

  • die Angebote sollten unabhängig sein,
  • unterdrückte Nachrichten veröffentlichen,
  • Kommunikation mit den Rezipienten herstellen,
  • über die Betroffenen berichten,
  • versteckte Missstände aufdecken,
  • den Rezipienten Handlungsmöglichkeiten anbieten,
  • eine verständliche Sprache gebrauchen und
  • neue Arbeitsformen entwickeln.

Gerade in Krisenzeiten sind solche Angebote gefragt, weil sich die Betroffenen äußern. Ihr Ziel ist es, Themen außerhalb der medialen Agenda anzusprechen. Häufig stellen sie aber auch einfach ihre Sicht der Dinge dar, die ebenso propagandistisch gefärbt sein kann wie die Berichterstattung der traditionellen Medien.

Warblogs im Irakkrieg 2003

Warblogs gab es vereinzelt bereits im Kosovokrieg 1999, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht als eigenes Genre identifiziert wurden. Der Mönch Sava Janjíc etwa verbreitete seine Berichte aus einem Kloster an der albanischen Grenze. Vor allem nach dem 11. September 2001 entwickelten sich Warblogs zu einem öffentlichen Medienphänomen. Grund dafür war eine Politisierung der Weblogs nach den Anschlägen. Viele Weblogger diskutierten online über ihre Ängste und Sorgen. Die Gruppe der Onlinetagebücher, die sich mit Krieg und Terror auseinander setzten, wurde von da an als »war-related weblogs«, kurz Warblogs, bezeichnet. Die Terroranschläge in Amerika waren damit eine wichtige Zäsur in der Entwicklung des Angebotstyps.

Ein weiterer Einschnitt war der Irakkrieg 2003, der das Format einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Beliebtestes Beispiel war das Onlinetagebuch »Dear Raed« (www.dear-raed.blogspot.com/), in dem ein irakischer Architekt unter dem Pseudonym Salam Pax seine Kriegseindrücke beschrieb. Die Webseite erlangte internationalen Ruhm – Salam Pax arbeitete zeitweise als Kolumnist beim britischen »Guardian« und veröffentliche sein Kriegstagebuch bei einem Verlag.

Der freie Journalist Christopher Allbritton sammelte in seinem Warblog Back to Iraq (www.back-to-iraq.com) Anfang 2003 Spendengelder für eine Reise in den Irak. Fast 14.000 US-Dollar kamen zusammen. Mit einem geliehenen Laptop trat Allbritton die Reise an; die Leser bewerteten während dieser Zeit seine Arbeit. Dieses Beispiel eines von Lesern finanzierten Individualjournalisten, der keiner Redaktion Rechenschaft schuldet, bezeichnete Allbritton (2003) als »genesis of a new form of journalism«.

Autor des Warblogs Live from the sandbox (http://lt-smash.us/) war L.T. Smash, angeblich ein amerikanischer Reserveoffizier. Er stellte das US-Militär als Befreier des unterdrückten irakischen Volkes dar und trat für den Krieg ein. Seine Authentizität wurde jedoch häufig angezweifelt. Die wenigen Beispiele zeigen, dass Warblogs verschiedene inhaltliche Schwerpunkte haben. Einige Autoren fokussieren auf persönliche Erlebnisse, andere diskutieren militärische oder politische Entscheidungen. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung gibt es gemeinsame Merkmale: Warblogs thematisieren den Krieg im weitesten Sinne und betonen subjektive Stellungnahmen; sie werden regelmäßig aktualisiert und sind umgekehrt chronologisch geordnet. In den meisten Fällen können Nutzer Kommentare hinterlassen.

Stärken und Schwächen

Was die Kriegstagebücher beliebt macht, ist ihre persönliche Sichtweise. Auch die Augenzeugenberichte sind gefragt, weil sie Glaubwürdigkeit vermitteln und den Nutzern eine erweiterte Datenlage anbieten. Der Reiz dabei ist, dass die Leser das Gefühl haben, ins Geschehen involviert zu sein. Sie erhalten die Informationen nicht mehr medien-, sondern »1:1«-vermittelt. In Kriegssituationen hat dieses Konzept umso mehr Erfolg, da die Medienvermittlung propagandistisch beeinflusst erscheint.

Andererseits können die Nutzer niemals sicher sein, ob nicht auch Warblog-Berichte manipuliert sind. Über die Verfasser ist wenig bekannt, so dass ihre Authentizität kaum einzuschätzen ist. Die veröffentlichten Informationen sind selten geprüft und damit ein latenter Unsicherheitsfaktor. Zur Verunsicherung trägt auch die schiere Masse an Warblogs bei. Eine Orientierung fällt schwer und der Nutzer verliert schnell den Überblick. Deswegen werden Warblogs bislang eher verhalten rezipiert und haben wenig öffentliche Relevanz: Während des Irakkrieges nutzten nur vier Prozent der Amerikaner Warblogs (vgl. Bowmann/Willis 2003). Das mag daran liegen, dass auch Warblogger nicht vor »Korpsgeist und regierungs-amtliche[m] Konsens« (Prümm 1999, S.9) gefeit sind.

Angebot der Gegenöffentlichkeit?

Warblogs können also kein Allheilmittel für die unzureichende Herstellung von Öffentlichkeit in den Massenmedien sein. Sie können jedoch die Bildung von Gegenöffentlichkeit fördern (vgl. Blood 2000, S.16). Die von Scholl und Bobbenkamp genannten Kriterien werden augenscheinlich erfüllt: Die Unabhängigkeit von jeglichen Institutionen ist bei einem Großteil der Warblogs gewährleistet, da es überwiegend private Angebote sind. Die Veröffentlichung unterdrückter oder übersehener Nachrichten ergibt sich aus dem persönlichen Sichtfeld der Warblogger als Augenzeugen. Sie haben einen direkten Zugang zum Geschehen und sind – bestenfalls – nicht der Propaganda ausgesetzt. Im Gegensatz zu den traditionellen Medien stellen Warblogs eine Öffentlichkeit her, in der die Kommunikation mit den Rezipienten dauerhaft gewährleistet ist. In den meisten Fällen geschieht dies über Kommentare. Auch berücksichtigen Warblogs die Erlebnisse der Betroffenen und schreiben darüber. So finden sich in vielen Tagebüchern Augenzeugenberichte. Teilweise gelingt es den Warbloggern, Missstände zu enthüllen: Salam Pax beispielsweise prangerte die Bombardierung ziviler Ziele an.

Handlungsmöglichkeiten für die Rezipienten bieten Warblogs nur indirekt. Manchmal werden Möglichkeiten vorgestellt, wie die Nutzer aktiv werden können. Darüber hinaus können sich die Nutzer in ihren Kommentaren gegenseitig Hinweise geben. Dass die Tagebuch-Schreiber eine für den Laien verständliche Sprache gebrauchen, ist in den meisten Fällen Tatsache, da Warblogger selbst überwiegend Amateure ohne entsprechende Ausbildung sind. Ihnen liegt vor allem daran, ihre Eindrücke durch Stilmittel wie Ironie oder Zynismus zu vermitteln. Warblogs entwickeln außerdem neue Arbeitsformen. Sie sind – obwohl jedes einzelne zunächst ein selbstverwaltetes Angebot darstellt – in die Gemeinschaft der Blogosphäre integriert. Sie verweisen aufeinander, lesen die Angebote anderer Anbieter und überprüfen sich gegenseitig. Diese Netzwerkbildung geschieht bei professionellen Medien-Webseiten nicht.

Warblogs erfüllen also – zumindest theoretisch – die Bedingungen eines Angebotes der Gegenöffentlichkeit. Dennoch stellt sich die Frage, welchen Mehrwert sie in der Praxis bieten.

Fallstudien: Warblogs im Kosovo und Libanon – ein Mehrwert für die Nutzer?

Die Besonderheiten der Online-Formate treten vor allem im direkten Vergleich zu Tage. Deswegen werden die Berichte zweier Kriegstagebücher den Nachrichten von CNN gegenübergestellt. Aufgrund der geringen Fallzahl wurde ein qualitatives Analyseverfahren gewählt. Um die zeitliche Entwicklung zu berücksichtigen, werden Kosovo- und Libanonkrieg untersucht. Beide Konflikte sind bedeutsam, weil der Kosovokrieg als erste Auseinandersetzung gilt, in der Warblogs eine Rolle spielten. Der Libanonkonflikt ist dem gegenüber das aktuellste Beispiel, an dem man das Wirken der Warblogs festmachen kann.

Der Kosovokonflikt 1999

Am 27. März 1999 wurde über Belgrad ein Tarnkappenbomber abgeschossen. Der Pilot konnte von US-Spezialeinheiten gerettet werden. Am 27. und 28. März 1999 berichtete ein 21-jähriger Programmierer aus Belgrad in seinem Kriegstagebuch »Members Tripod« (http://members.tripod.com/CodeMage/top.htm) über das Geschehen. Auch CNN griff die Ereignisse auf.

Bei der Berichterstattung über den Abschuss zeigt sich, dass CNN das Ereignis detaillierter darstellt. Einem Warblog-Beitrag stehen mehrere CNN-Berichte gegenüber. Die Journalisten berichten zeitnah über den Ort des Abschusses, den Verlauf der Rettungsaktion und das Befinden des Piloten. Außerdem liefern sie in zwei Reportagen über die US-Rettungseinheiten und die verschiedenen Flugzeugtypen zusätzliche Informationen. Auch die Reaktionen von Politikern und Militär-Experten werden dargestellt. So erfährt der Leser von Spekulationen, dass der vermeintliche Abschuss unter Umständen nur ein Absturz war, der auf einen technischen Defekt zurückzuführen ist. Diese Informationsfülle bei CNN bedeutet jedoch nicht, dass der Warblog-Bericht nicht aussagekräftig ist.

Im Gegenteil: der Warblogger vermittelt viele Emotionen und bezieht deutlich Stellung. Zunächst schreibt er über das Stimmungsklima vor Ort; er stellt den Tag als frühlingshaft und sonnig dar. Der Duft der Pflaumenblüte macht ihn glücklich, auch wenn die Menschen in seiner Umgebung ihm eher depressiv erscheinen. Dieser positiven Stimmung am Tag stellt er die Probleme während der Nacht gegenüber. Der Sirenenlärm hält ihn vom Schlafen ab und zermürbt seine Geduld1. Als er vom Abschuss der US-Maschine hört, mutmaßt er, dass die Bombardierungen aufgrund des verletzten Stolzes der NATO-Verbündeten von nun an verschärft werden. Bei CNN ist hingegen zu lesen, dass die zusätzlichen Attacken Teil einer bereits festgelegten Strategie der NATO seien.

Der Warblogger nimmt in diesem Zusammenhang klar Stellung gegen die NATO, die er für Angriffe auf nicht-militärische Ziele verantwortlich macht. Konsequent bezeichnet er die Einwohner des Kriegsgebiet als »we« und grenzt sie so von den NATO-Verantwortlichen ab2. Bei CNN überwiegt hingegen ein neutraler Stil, dem es vor allem um die Beantwortung der journalistischen W-Fragen und weniger um Meinungsdarstellung geht. CNN verlinkt in den Beiträgen ausschließlich auf eigene Nachrichtenseiten und bietet keine Verweise auf andere Onlinemedien an. Der Warblogger hingegen verlinkt auch externe Seiten, um dem Leser weitere Sichtweisen anzubieten.

Der Libanonkonflikt 2006

Beim Luftangriff auf die Ortschaft Kana sollen am 30. Juli 2006 circa 54 Menschen getötet worden sein, darunter auch Kinder. Das Bombardement war am 30. und 31. Juli 2006 Thema im Warblog »Anecdotes from a Banana Republic«3, in dem eine Bewohnerin aus Beirut regelmäßig über ihre Eindrücke berichtete. Auch CNN meldete das Ereignis auf seinen Onlineseiten. Das Warblog liefert über Kana einen eindringlichen Augenzeugenbericht. Die Autorin schildert ihre Eindrücke auf dem Weg zum Ort des Geschehens. Aufgrund der vielen zerstörten Straßen benötigt sie für eine Strecke von 70 Kilometern rund sechs Stunden und kommt erst nach den internationalen Pressevertretern in Kana an. Dort hört sie sich die Schicksale einzelner Überlebender an, etwa eines jungen Mannes, der seine kleinen Kusinen in den Trümmern verloren hat.

Die Bilder, die sich ihr beim Anblick des zerstörten Hauses bieten, schildert sie emotional: »Amidst the concrete remains of the house were (…) baby photos, teddybears«4. Besonders betroffen zeigt sie sich von umherfliegenden Zetteln mit Hausaufgaben, die die getöteten Kinder gemacht haben. Sie findet »one essay which was neatly transcribed into a school notebook tackled the issue if women and men are capable of performing the same jobs«5. Die Berichte von CNN beschränken sich hingegen meist auf die Wiedergabe von Fakten: Opferzahlen, Ursachen, Verlauf. Vor allem die politischen Reaktionen im In- und Ausland nehmen einen hohen Stellenwert ein. Daran angeschlossen sind Berichte über die nach Kana verstärkten Friedensbemühungen sowie ein Überblick über die mögliche Gestaltung eines Friedensvertrags.

Stimmungen werden auch bei CNN vermittelt, wenn auch auf weniger eindringliche Art. Durch Zitate von Betroffenen oder Politikern erfährt der Leser mehr über das Meinungsklima. So vertritt beispielsweise ein Botschafter den Standpunkt, dass die Bomben auf Kana US-Fabrikat seien – eine Technik, die in diesem Falle nicht »laser-guided«, sondern »hatred-guided«6 funktioniert habe.

Insgesamt sind die Warblog-Berichte emotionaler gestaltet. Vor allem negative Gefühle werden beschrieben. Einige Nutzer bezeichnen Israels Vorgehen in Kana als »cold blooded murder«7 und vergleichen es mit der Nazi-Diktatur in Deutschland. Diese Parallele zum NS-Regime wird in den Warblog-Kommentaren häufig gezogen. Auch ausländische Warblogger melden sich zu Wort. Ein Israeli entschuldigt sich für den Angriff; andere Nutzer bewerten die Auseinandersetzung neutral8. Die Beiträge der Leser zeichnen ein facettenreiches Bild.

Hinsichtlich der Verlinkungen setzt CNN erneut auf interne Links. In den Warblog-Postings werden keine Verlinkungen angeboten; die Nutzer verweisen aber in einigen ihrer Kommentare auf externe Nachrichten- und Bilderquellen zum Vorfall in Kana.

Fazit

Wie die Analyse zeigt, ist die Berichterstattung in Warblogs durch einen eigenen Stil geprägt. Die wichtigsten Ergebnisse werden nun vereinfacht dargestellt:

  • Oszillations- versus Inselmedium: Warblogs bieten Links zu externen Webseiten an, um dem Leser zusätzliche Informationen bereitzustellen. Durch das Setzen von Hyperlinks machen sie ihre Beiträge zu »Textformen, die tatsächlich keinen Rand mehr« (Eigner 2003, S.121) haben. Eigner bezeichnet diese Angebote als Oszillationsmedien, weil sie zwischen dem in sich geschlossenen Beitrag und den nach außen offenen Hyperlinks oszillieren. Dem entgegen stellt er Internetseiten, die über keine Links nach außen verfügen und in sich eine kompakte Einheit darstellen. Da diese »Sites zu Inseln geworden« sind, bezeichnet Eigner sie als Inselmedien. CNN stellt hier ein klassisches Beispiel für ein Inselmedium dar.
  • Stimmungen versus Sachlichkeit: Bei CNN überwiegt die nüchterne Berichterstattung; Stimmungen werden selten vermittelt; allenfalls in Zitaten werden Meinungen und Emotionen erkennbar. Ansonsten beschränkt sich die Berichterstattung von CNN auf die vom professionellen Journalismus erwartete Sachlichkeit. Anders bei Warblogs: Die Autoren verwenden zahlreiche wertende Adjektive, um ihre Eindrücke zu übermitteln. Sie sind weniger auf die Wiedergabe von Informationen bedacht als auf die Darstellung eines Standpunktes. Ob der Leser damit übereinstimmt, spielt keine Rolle, da er sich ggf. mit einer abweichenden Meinung selbst zu Wort melden kann.
  • Eindrücke versus Detailinformationen: Beide Angebotsformen unterscheiden sich weniger in ihrem Informationsgehalt als in der Art der angebotenen Auskünfte. Während Onlinemedien zahlreiche Fakten und Details nennen, liegt das Augenmerk der Warblogger auf der Schilderung von Eindrücken. Sie liefern weniger Sachinformationen, beschreiben dafür aber scheinbare Nichtigkeiten wie das Wetter oder die Stimmung vor Ort ausführlich. Auch das kann für den Leser sehr informativ sein.
  • Erwähnung versus Einbettung: Besonders auffällig ist bei CNN die Einbettung der Informationen in einen größeren Kontext. Im konkreten Fall wurde die Vorgeschichte des Angriffs auf Kana bis zum eigentlichen Kriegsbeginn noch einmal reflektiert. Dieser Kontext wird in Warblogs selten gegeben. Hier wird das konkrete Ereignis erwähnt, Reflexionen finden jedoch kaum statt. Das aktuelle Geschehen wird vielmehr als Anlass genommen, um eine eigene Einschätzung der Lage zu geben.

Ob diese Besonderheiten der Warblogs einen Mehrwert für den Nutzer darstellen, hängt von seinen Bedürfnissen ab. Es kommt darauf an, ob er sich sachlich informieren oder Eindrücke sammeln möchte. Warblogs legen den Schwerpunkt auf persönliche Sichtweisen und stellen in diesem Sinne durchaus zusätzliche Informationen zur Verfügung. Solange sich der Nutzer dieser Subjektivität bewusst ist, kann er dort auf relevante, öffentlich kaum berücksichtigte Standpunkte stoßen. Den größten Mehrwert werden Nutzer wohl erzielen, wenn sie traditionelle (Online-)Medien und Warblogs lesen.

Literatur

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Anmerkungen

1) vgl. http://members.tripod.com/CodeMage/day4.htm

2) vgl. http://members.tripod.com/CodeMage/day5.htm

3) http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/

4) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/2006/07/to-qana-and-back.html

5) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/2006/07/to-qana-and-back.html

6) vgl. http://www.cnn.com/2006/WORLD/ meast/07/30/mideast.un/index.html

7) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic.blogspot.com/2006/07/qana-mathematics-of-war.html# c115435868160209850

8) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic.blogspot.com/2006/07/qana-mathematics-of-war.html# c115432422084604997

Julia Sommerhäuser ist Doktorandin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Dem Krieg einen Sinn geben

Dem Krieg einen Sinn geben

Zur Deutung der Balkan-Kriege in den Feldzeitungen der Bundeswehr

von Fabian Virchow

Während in der soziologischen, politik- und medienwissenschaftlichen Forschung in den vergangenen Jahren die Interaktion von medialer Berichterstattung und politischem Handeln bzw. militärischen Entscheidungsprozessen in Krisen- und Kriegssituationen intensiver betrachtet worden ist, haben die medialen Angebote der Militärs selbst bisher wenig Beachtung gefunden. Dabei sind sie an der diskursiven Herstellung einer spezifischen »Kultur des Krieges« ebenso beteiligt wie an der Bereitstellung von Sinnstiftungsangeboten für die Soldaten und Soldatinnen. Mit letzterem befasst sich der folgende Beitrag anhand ausgewählter Publikationen der Bundeswehr.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Ost-West-Konflikts, mit der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und der marktwirtschaftlichen Transformation der osteuropäischen Gesellschaften sowie dem Auftreten bzw. der Zuspitzung neuer Konfliktlagen haben sich die Rahmenbedingungen, Vektoren und Bezugsgrößen für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig verändert. In ihr, von der zuweilen angenommen wurde, sie sei noch bis weit in die 1990er Jahre durch eine culture of antimilitarism geprägt gewesen (Berger 1998: ix/x), haben sich im Ausgang des 20. Jahrhunderts das Primat der Außenpolitik und eine Aufwertung des Militärischen als Mittel deutscher Außenpolitik durchgesetzt (vgl. Schwab-Trapp 2002, Rathbun 2006).

Politische Kultur und militärische Öffentlichkeitsarbeit

Im Unterschied zur originären Analyse politischer Kultur mit ihrer Fokussierung auf die Untersuchung subjektiver Einstellungen ist im vorliegenden Kontext politische Kultur im Anschluss über Vorstellungsmuster konzeptualisiert, die durch historische Erfahrungen einerseits und die aktuelle Deutungspraxis politischer Akteure andererseits geprägt werden. Besteht die politische Kultur einer Gesellschaft »aus einem System von Bedeutungen für politische Ereignis- und Handlungszusammenhänge, das in öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen politischen und kulturellen Eliten hergestellt wird und Legitimation für diese Ereignisse und Handlungszusammenhänge enthält« (Schwab-Trapp 2002: 19), so konkurrieren in ihr die Deutungsangebote verschiedener diskursiver Gemeinschaften um die Interpretationshoheit politischer und sozialer Ereignisse und Handlungszusammenhänge. Mit den diskursiven Formationen als »institutionalisierte und legitimierungsfähige Formen des Sprechens über spezifische Themenfelder und Gegenstandsbereiche« (Schwab-Trapp 2002: 48) ist die Herausbildung diskursiver Gemeinschaften verbunden, die ihre »Identität als diskursive Gemeinschaften durch diskursive Prozesse der Abgrenzung und Integration« (ebd.: 52) konstruiert. Auch die Bundeswehr als Institution mit ihren Repräsentanten und Medienangeboten bemüht sich um die Konstruktion einer diskursiven Gemeinschaft, die als gesellschaftlicher Akteur Deutungsmacht beansprucht.

Eine solche Konzeptualisierung politischer Kultur, der es um Fragen der Anleitung und Legitimation politischen und sozialen Handelns geht, als Politische Soziologie ist anschlussfähig an konstruktivistische Perspektiven der Internationalen Politik bzw. der Internationalen Beziehungen, da die Bundeswehr bzw. im erweiterten Sinne die strategic community an den vielgestaltigen Diskursen über Funktion und Aufgabe deutscher Streitkräfte teilnimmt und diese mit ihren Deutungsangeboten maßgeblich bestimmt.

Die konstruktivistische Fokussierung auf die Relevanz nicht-materieller Faktoren wie Bedeutungszuschreibungen, Werte, Ideen, kulturelle Praxen und subjektive Weltdeutungen handelnder Akteure bei der Analyse und Erklärung internationaler Politik und Beziehungen soll hier nicht in dichotomischer Abgrenzung zu rationalistischen Ansätzen verstanden werden, sondern als zusätzliche Perspektive bei der Analyse akteursspezifischer sozialer Konstruktionen außenpolitischen Handelns und zugrundeliegender Interessen, die häufig medial vermittelt sind.

Das Militär ist als kollektiver Akteur unmittelbar an Kriegshandlungen und MOOTW (Military Operations Other Than War) beteiligt; zugleich stellt es mittels der von ihm vorgehaltenen oder kontrollierten Medien auch Deutungsangebote eben dieser Anwendungen des militärischen Gewaltapparates bereit. Im Unterschied zu den USA, wo es zahlreiche Untersuchungen zur Repräsentation des Militärs in den Medien sowie zur Struktur, Arbeits- und Wirkungsweise militärischer Öffentlichkeitsarbeit gibt (vgl. exemplarisch Suid 2002; Robb 2004; Elter 2005), sind entsprechende Studien zur Darstellung der Bundeswehr in Printmedien, Hörfunk und Fernsehen ebenso rar (vgl. jedoch Schaffer/Zelinka 1993; Meder 1998; Bleicher/Hickethier 2005) wie wissenschaftliche Untersuchungen über die Kooperations- und Austauschprozesse zwischen Bundeswehr und journalistischem Feld oder empirisch-qualitative Analysen zu den Medien und der Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Streitkräfte oder – allgemeiner – über die Militärpublizistik in Deutschland (Brandt/Friedeburg 1966; Zelinka/Anker 1991; Klauser 1996; Schießer 2002).

Im folgenden sollen Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt vorgestellt werden, das sich mit den Feldzeitungen der Bundeswehr befasst (vgl. Virchow 2007). Diese sind aus militärsoziologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive als Untersuchungsgegenstand in vielfältiger Weise interessant, so etwa hinsichtlich des diskursiven Umgangs mit Tod und Verwundung, der Konstruktion von Geschlechterrollen, der Thematisierung von Sexualität. An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, welche Deutungsangebote in diesen Medien hinsichtlich der Kriegsursachen, der Konfliktparteien und der Konfliktverläufe, anlässlich derer Bundeswehreinheiten disloziert wurden, gemacht werden. In den Feldzeitungen findet sich – aus Sicht der ins Einsatzgebiet entsandten Soldaten und Soldatinnen – die Wahrnehmung des Konflikts und die Formulierung von Deutungsangeboten durch zugelassene Beobachter, deren medial vermittelte Augenzeugenschaft als besonders interpretationsstark und aussagekräftig angenommen werden könnte.

Die Feldzeitungen der Bundeswehr

Das aktuelle Medienangebot der Bundeswehr fußt auf der unter dem Titel »Truppeninformation 2000« firmierenden Neustrukturierung der Medien der Bundeswehr (Damm 2002). Der gegenwärtige »Medienmix« der Bundeswehr beinhaltet

  • die Wochenzeitung »Aktuell. Zeitung für die Bundeswehr« in Verantwortung der Redaktion des Presse- und Informationsstabes der Bundeswehr mit einer Auflage von 60.000 Exemplaren;
  • seit April 2001 die auch im freien Verkauf erhältliche Monatsschrift »Y. Magazin der Bundeswehr«, in die die Truppenzeitschriften der verschiedenen Waffengattungen aufgegangen sind;
  • als Quartalspublikation die »Information für die Truppe«, kürzlich umbenannt in »IF – Innere Führung«, die mit vertiefender Hintergrundberichterstattung und historischen Themen als Instrument der politischen Bildung eingesetzt wird (vgl. Michael 2006; Reeb 2006);
  • ein für Bundeswehrangehörige zugängliches »Intr@net aktuell«, in dem seit Ende 2000 tagesaktuelle Informationen und Stellungnahmen angeboten werden, sowie
  • ein in der Anfangsphase von der Produktionsfirma »Atkon« betreutes »Bundeswehr-TV«, das bisher besonders für die im Ausland eingesetzten Soldaten und Soldatinnen und in den truppeneigenen Zentren für Familienbetreuung empfangen werden kann.

Jenseits dieser Konzeption finden sich weitere Medienangebote der Bundeswehr, die eng an die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Transformation zur »Armee im Einsatz« gebunden sind und zum Teil in den Verantwortungsbereich der sogenannten OpInfo –Einheiten (Operative Information) gehören, die in der Tradition der psychologischen Kampfführung stehen. Zum Aufgabenbereich dieser Truppengattung gehört das auf Nachwuchsgewinnung ausgerichtete Personalmarketing, in dessen Rahmen etwa Redakteure von Schülerzeitungen zur OpInfo-Truppe eingeladen werden (Wegner 2006), die Produktion von Radioprogrammen und Zeitschriften für die Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen im Ausland und die Informationssammlung über aktuelle und zukünftige Einsatzländer einschließlich soziodemographischer Merkmale ihrer Bevölkerungen (Marberg 2006).

Neben Zielgruppenradios, mit denen die Bevölkerung in den Einsatzgebieten der Bundeswehr informiert wird, gehört auch das Betreuungsradio der Bundeswehr, »Radio Andernach«, zu OpInfo-Einheit. Seit 1996 ist »Radio Andernach« im ehemaligen Jugoslawien mit einem Studio vertreten, seit 2002 auch im afghanischen Kabul.

Schließlich produziert die Bundeswehr in ihren Einsatzgebieten auch Feldzeitungen. Neben der erstmals im November 2002 erschienenen ISAF-Feldzeitung »Checkpoint« wird für das in Mazedonien stationierte Bundeswehr-Kontingent seit 1999 wöchentlich die Zeitung »Maz & More« mit einer Auflage von über 6.000 Exemplaren (2002) produziert. Bereits Ende 1997 wurde unter dem Titel »Der Keiler« (Auflage 1.600) eine Feldzeitung der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina und anfangs auch Kroatien hergestellt. In der ersten Ausgabe von Maz & More hieß es zur Funktion der Publikation, diese diene der Verbindung der Truppe im Einsatz mit den Familienangehörigen und solle das Zusammengehörigkeitsgefühl des Kontingents fördern (Maz & More Nr. 1: 2).

Auch wenn die Feldzeitungen in Aufmachung und Umfang immer wieder Veränderungen unterworfen waren, so lassen sich auf den zwölf bis sechzehn Seiten folgende Elemente als häufig wiederkehrend identifizieren: Beiträge zu aktuellen politischen Entwicklungen (z.B. Wahlen) oder militärischen Ereignissen (z.B. Militärübungen, Test neuer Waffensysteme, Kommandoübergaben und Kontingentwechsel), Interviews mit Kommandeuren, Berichte über die Tätigkeit einzelner Einheiten sowie über Patrouillenfahrten, Porträts von Soldaten und Soldatinnen, Darstellungen ausländischer Truppen, Kommentare von Militärgeistlichen oder Truppenpsychologen, Ablauf von Feiertagen und Events der Truppenbetreuung, karitative Aktionen zugunsten der Zivilbevölkerung, ein bis zwei Seiten mit Witzen, Rätseln, Horoskopen und Kreuzworträtseln sowie – meist auf der Rückseite – Grüße von Familienangehörigen. Ein Teil der Auflage wird nach Deutschland geschickt und steht so den Familienangehörigen oder Lebenspartnern zur Verfügung.

Die Balkan-Kriege in den Feldzeitungen der Bundeswehr

In den wöchentlich erscheinenden Feldzeitungen der Bundeswehr nehmen Beiträge, die sich explizit mit Ursachen, Verlauf und Konfliktparteien im (früheren) Jugoslawien befassen, nur einen geringen Anteil der Gesamtfläche ein. Während sich die in den Feldzeitungen befragten kommandierenden Offiziere vor allem zu militärischen Fachfragen äußern und bezüglich politischer Beurteilungen und Entscheidungen auf »die Politik« verweisen (vgl. zu detaillierten Nachweisen: Virchow 2007), teilen die Militärs mit den von den Redaktionen der Feldzeitungen befragten Politikern die Bewertung, dass die Konfliktregelungsprozesse Fortschritte machen, aber noch eine nicht absehbare Zeit in Anspruch nehmen werden. Von Regierungsvertretern werden hingegen Bedingungen und Perspektiven formuliert, so etwa bzgl. der Auslieferung der Generäle Mladic und Karadzic als conditio für die Aufnahme in die EU. Von militärischen wie politischen Vertretern werden die Bundeswehr-Einsätze unisono als »Erfolgsstory« bezeichnet und den Soldaten und Soldatinnen explizit Anerkennung gezollt und politische Unterstützung ausgesprochen.

Besonderen Erklärungswert hinsichtlich der Konfliktlagen im ehemaligen Jugoslawien beanspruchen die mehrteiligen Artikelserien, die in den Feldzeitungen abgedruckt wurden. Diese Artikelserien zur Entstehung und zum Verlauf der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien bieten keine durchgängig einheitliche Deutung an. Zum Teil fokussieren sie auf einen Zeitraum, der vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht, zum Teil greifen sie weit zurück bis in die Zeit der Teilung des Römischen Reiches. In den Beiträgen werden unterschiedliche Komplexitätsgrade bezüglich der Darstellung und Relation historischer Ereignisse und Entwicklungen ebenso deutlich wie verschiedene Betrachtungsperspektiven, die im einen Fall eher an die Darstellung von Geschichte als »Tat großer Männer« und Kriegsgeschichtsschreibung erinnert, in anderen Beiträgen jedoch auch die ökonomischen Krisenmomente der gesellschaftlichen Entwicklung und die Dimension der Überföderalisierung als konfliktfördernde Faktoren anführen und damit einen wichtigen Aspekt zum Verständnis der historischen Entwicklung zumindest benennen (vgl. Okuka 1998; Pavkoviæ 2000).

Den Beiträgen ist gemeinsam, dass sie in der grundsätzlichen Perspektive und in expliziten Bezügen als Konfliktursache die »ungelöste nationale Frage« (Maz & More Nr. 59: 11) und die »konsequente Verweigerung nationaler Selbstbestimmungsrechte« (Maz & More Nr. 60: 11) markieren, und die These das ein »Kunstgebilde« (Maz & More Nr. 183: 14) wie Jugoslawien nicht funktioniere. Obwohl immer wieder auch die durch Migrationsprozesse verursachten Enthomogenisierungsprozesse Erwähnung finden, folgt die implizite Textur der Vorstellung von der Existenz von »Völkern«, die als weitgehend homogene Entitäten begriffen werden und durch die Jahrhunderte immer wieder miteinander in Konflikten und Kämpfen verwickelt waren (z.B. Maz & More Nr. 164: 14). »Ethnische Zugehörigkeit« wird dabei im Regelfall essentialisiert (vgl. z.B. die Charakterisierung Titos in Maz & More Nr. 182: 14). Tatsächlich jedoch waren – insbesondere in Bosnien-Herzegowina, wo durch wiederholte Wanderungsbewegungen sowohl »Serben« als auch »Muslime« fast flächendeckend verteilt und die »Kroaten« in den meisten Teilen der Republik anzutreffen waren (vgl. MacDonald 2002: 223) – die scheinbar klaren Kategorien wenig eindeutig und trennscharf. Werden die vielfältigen und variablen Muster kultureller Differenzierung und Zuordnung betrachtet, so lässt sich erahnen, dass es unmöglich ist, mit ihnen Eindeutigkeit bezüglich der objektiven Zugehörigkeit zu einer bestimmten Vergemeinschaftungsform (»Volk«) herzustellen (vgl. Lockwood 1975). Für viele Menschen in Bosnien war über lange Zeit ein »village patriotism« bedeutsamer als der Bezug zu einer qua Religion, Sprache oder Kultur konstruierten »Ethnie« (vgl. Calic 1998; Pratt 2003: 142 ff.).

Während der militärischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien wurden die soziale Plausibilisierung der Ordnungsvorstellung Nation und die Nationalisierung der Gesellschaften vorangetrieben; dabei stellte neben der Sprache auch die Implementierung nationaler Symbole, Feste, Bilder und Mythen, die mit bestimmten Werten und Verhaltensnormen verbunden wurden und als Teil einer »invention of tradition« (Hobsbawn & Ranger 1983) zu verstehen sind, einen zentralen Bereich dar. Solche Prozesse nationalistischer Umformung in Gestalt der Aktualisierung ‚nationaler Erinnerungskulturen‘ werden in den Feldzeitungen insbesondere am Amselfeld-Mythos dargestellt.

Zu den Leerstellen in den Artikelserien zählen hinsichtlich des Prozesses der Separation von Slowenien und Kroatien die Anerkennungspolitik der Bundesrepublik Deutschland und der EU als konfliktbeeinflussende Faktoren sowie die weit reichende Ausblendung von Tendenzen und gesellschaftlichen Konstellationen, die den nationalistischen Verfeindungstendenzen nicht entsprochen haben. Entgegen dem dadurch entstehenden Eindruck eines geradlinigen, fast zwangsläufigen Prozesses der Konflikteskalation hatten die Nationalisten zahlreiche Widerstände zu überwinden. So gelang es trotz umfangreicher nationalistischer Kampagnen bis Anfang der 1990er Jahre auch in Serbien nicht, ethno-nationalistische bzw. religiös-nationalistische Vorstellungen hegemonial werden zu lassen (vgl. Obradoviæ 1998); eine umfassende Kriegsbegeisterung in den Republiken Jugoslawiens war, wie die Schwierigkeiten bei der Mobilmachung (vgl. Civic 1994) belegen, zunächst auch nicht erreicht worden.

Während in frühen Ausgaben von »Maz & More« und »Der Keiler« stärker Eindrücke der unmittelbar vorangegangenen Kriegshandlungen und Zerstörungen aufscheinen und von einer weiterhin äußerst angespannten Lage berichtet wird, wird in der Berichterstattung in den letzten Jahren mehr auf die kleinen Fortschritte im Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen bzw. auf eine Rückkehr zu Prozeduren des Alltags abgehoben, die freilich oft nur unter dem Schutz der KFOR-Truppe möglich seien. Hinsichtlich der Rolle deutscher Soldaten wird einerseits die Deutung als »Hüter der Ordnung« und andererseits die des »Aufbauhelfers« angeboten. Durchgängig findet sich eine Darstellung der Bundeswehrtruppe in den Einsatzgebieten als »große Gemeinschaft« bzw. »Familie«; die in zahlreichen militärsoziologischen Untersuchungen als bedeutsam erkannten Kategorien class, gender und ethnicity werden nur sehr selten explizit thematisiert.

Insgesamt dienen die Feldzeitungen der Bundeswehr der Sinngebung und Legimitierung des konkreten soldatischen Tuns, der Inszenierung eines Gemeinschaftsgefühls innerhalb der Truppe, der Herstellung eines »emotionales Bandes« zur Heimat sowie der Vermittlung von Kenntnissen über die Gesellschaften, in denen sich die Soldaten und Soldatinnen im Auslandseinsatz bewegen, und die Konfliktsituationen und -historien, in die sie intervenieren. Hinsichtlich des letztgenannten Aspekts, zu dem ausgewählte Ergebnisse im Fokus dieses Beitrages standen, hat sich gezeigt, dass häufig eine Abfolge historischer Daten im Mittelpunkt steht, die Bedingungskonstellationen der Konflikte und ihrer Eskalation sowie die Mechanismen und Motoren der Verfeindungsprozesse nicht ihrer Komplexität entsprechend dargestellt werden, sondern auf eine eindimensionale Interpretation als ethnisch-nationalistischer Konflikt (vgl. Massey/Hodson/Sekuliæ 1999; Flere 2003) verkürzt werden. Auch wenn hinsichtlich der Rezeption der Beiträge in den Feldzeitungen der Bundeswehr und den dort angebotenen Deutungsmustern hier keine Aussagen getroffen werden können, so ist daran zu erinnern, dass sich Produzierende und Rezipierende in einem politisch-kulturellen System bewegen, dass hinsichtlich des Bemühens, den Ereignissen »im Balkan« diskursiv Ordnung und Sinn zu verleihen, vom »Balkanismus« (Todorova 1999; Rasza/Lindstrom 2004, Miskovic 2006) geprägt ist. Der Balkanismus mit seiner Vorstellung »des Balkans« als Brücke zwischen Ost und West, als »halborientalisch« und »halbzivilisiert«, von »Religion« und »Ethnizität« seit Jahrhunderten unausweichlich in Konflikte getrieben, ist eine diskursive Verhärtung (James Clifford), der freilich nicht nur in den Feldzeitungen der Bundeswehr zu begegnen ist.

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Dr. Fabian Virchow ist Lehrbeauftragter an den Universitäten in Lüneburg und Marburg, wo er zuletzt eine Professur für Friedens- und Konfliktforschung vertrat

Krieg und Medien

Krieg und Medien

von Fabian Virchow

Täglich erreichen uns Nachrichten und Bilder von der Zuspitzung des Bürgerkrieges im Irak, von Selbstmordattentaten und militärischen Operationen der US-Armee. Dass auch in dieser Situation das Gros der irakischen Bevölkerung einen Kampf um das alltägliche Überleben führt, und dass es neben den eingangs erwähnten, die Berichterstattung dominierenden Meldungen auch andere gesellschaftlich bedeutsame Entwicklungen gibt, verschwindet dabei häufig. Auch wenn die an diesem Selektionsprozess beteiligten Agenturen, Fotografen und Journalisten in bester Absicht darum bemüht sind, den Konflikt abzubilden, so tragen sie doch zu einer spezifischen Lesart der Situation im Irak, ihrer Ursachen und möglichen zukünftigen Entwicklungswege bei.

Zwar ist in der Vergangenheit anhand so mancher symbolischen Handlung, wie etwa dem Sturz einer Saddam-Statue in Bagdad, durch eine kritische Recherche deren inszenierter Charakter und die Rolle der Medien in diesem Schauspiel deutlich geworden, hinsichtlich der uns alltäglich angebotenen Deutung von Konflikten in der Mediengesellschaft ist jedoch die von Fernsehzuschauerinnen und Zeitungslesenden aufzubringende Dekonstruktionsleistung erheblich größer. Die These, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist, scheint plausibel, erfordert von den Medienkonsumenten jedoch eine besonders hohe Reflektionsleistung, denn es bleibt schließlich die Frage zu beantworten, welcher Nachricht tatsächlich zu trauen ist.

Ohne Zweifel haben die Medien selbst in den vergangenen Jahren ihre eigene Rolle in Krisen- und Kriegssituationen auch kritisch thematisiert. Dies gilt etwa für die Berichterstattung im Vorfeld des Angriffs auf den Irak im Jahre 2003. Dennoch halten noch immer beträchtliche Teile der Bevölkerung in den USA die von der Bush-Administration vorgebrachten Kriegsgründe für plausibel. Und leider schließt eine kritische Bewertung der eigenen Berichterstattung für die Zukunft nicht aus, dass ein Großteil der Medien erneut dem »Rally ’round the flag«-Effekt erliegen wird.

Diese Gefahr besteht selbstverständlich nicht nur in den USA, sondern – wie die Kriege »auf dem Balkan« gezeigt haben, auch in den europäischen Gesellschaften. Dies mag angesichts der Diskussionen um das »embedding« von Journalisten in Einheiten der US-Armee etwas in den Hintergrund getreten sein; Versuche des Militärs, die Berichterstattung der Medien zu kontrollieren, hat es zu allen Zeiten und an allen Orten gegeben. Die dabei von den »Öffentlichkeitsarbeitern« und PR-Spezialisten der Streitkräfte verfolgten Strategien variieren nach politischer Kultur, historischen Erfahrungen sowie den individuellen Einstellungen der (damit befassten) Soldaten. Auch eine offene Informationspolitik, wie sie von manchen in der Bundeswehr gefordert und praktiziert wird, hat ihre – nicht notwendig in der militärischen Geheimhaltung liegenden – Grenzen. Und im Grundsatz folgt sie häufig der Maxime, dass es zielführender ist, die Journalisten mit Informationen zu versorgen statt darauf zu warten, dass diese von selbst und zu Fragen recherchieren, bei denen die Bundeswehr lieber keine Öffentlichkeit möchte.

Auch wenn die Anzahl wissenschaftlicher Studien zur Berichterstattung von Medien in Konflikten und Kriegen in den vergangenen Jahren zugenommen hat, so finden sich darunter viele, die lediglich die Berichterstattung einzelner Zeitungen oder das »framing« in wichtigen TV-Sendungen analysieren, hinsichtlich der gesellschaftstheoretischen Einbettung ihrer Befunde jedoch blass bleiben. Bereits ein grober Überblick über die Forschungslandschaft zeigt, dass insbesondere Medien in West-Europa und Nordamerika zum Gegenstand der Forschung werden; bezüglich der asiatischen und osteuropäischen Gesellschaften bleiben die einschlägigen Disziplinen defizitär. Und für zahlreiche Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent lassen sich so gut wie keine Forschungsergebnisse finden, obwohl auch dort Medien – wenn auch nicht in erster Linie Printmedien – eine herausgehobene Stellung in den Verfeindungsprozessen zukommt.

Für die Friedensforschung besteht nicht nur hinsichtlich der Rolle von Medien in bisher wenig beachteten Konflikten weiterhin erheblicher Handlungsbedarf, sondern auch bezüglich personaler oder struktureller Verschränkungen medialer bzw. kultureller Angebote mit Protagonisten des Militärs bzw. – im weiteren Sinne und angesichts eines »erweiterten Sicherheitsbegriffs«– der Sicherheitsbehörden bzw. ihrer privaten »Counterparts«.

Auch wenn die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund historischer Umstände und einer geringeren ökonomischen Potenz der Filmindustrie noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in den USA, wo die US-Streitkräfte eine eigene Stabsstelle zur Prüfung von Drehbüchern unterhalten, so lässt der fortgesetzte Einsatz von Bundeswehrverbänden doch vermuten, dass »die Bundeswehr« über bereits existierende massenkulturelle Angebote wie »Die Rettungsflieger«, »Sonja wird eingezogen« oder »Das Kommando« hinaus zum Gegenstand von Spielfilmproduktionen oder Doku-Soaps wird. Welche Erzählungen dabei präsentiert und welche Assoziationen, Bilder und Werte dabei angerufen werden, können weder der Friedensforschung noch der Friedensbewegung gleichgültig sein.

Fabian Virchow

Medien und Krieg

Medien und Krieg

Das Elend der Kriegsberichterstattung

von Alexander S. Neu

Dieser Beitrag fasst in notwendiger Kürze die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher und journalistischer Analysen hinsichtlich der Rollen und Funktionen von Medien in Kriegen zusammen. Einführend wird das Verhältnis zwischen Medien und Politik skizziert, um die Dimension der Verantwortung der Medien gegenüber der Gesellschaft zu verdeutlichen.

Historisches Verhältnis zwischen Medien und Politik

Das spezifische Verhältnis zwischen Medien und Politik wird in der Fachliteratur insbesondere vor dem Hintergrund der Rolle und des Selbstverständnisses der Medien im Spannungsbogen zwischen »Verlautbarungsjournalismus« im Dienste der Politik einerseits und als – im nicht-staatsrechtliche Sinne – »Vierte Gewalt« andererseits kritisch hinterfragt. Ein Blick in die Genese zeigt, dass der politische Journalismus zunächst einen »integralen Bestandteil politischer Interessenvermittlung« darstellte. Erst im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts emanzipierte sich der politische Journalismus schrittweise und entzog sich somit mehr oder minder der äußeren politischen Einflussnahme. Damit verlor die Politik jedoch nicht nur ein ihr ausschließlich zur Verfügung stehendes effektives Instrumentarium zur Steuerung der öffentlichen Meinung. Vielmehr sahen sich die Machträger zunehmend mit einer von den unabhängigen Medien veröffentlichten Meinung konfrontiert und damit kontrolliert. Dieser Emanzipationsprozess von der Politik sowie die damit einhergehende Entwicklung der öffentlichen Kontrolle des politischen Geschehens durch die Medien führte zu einem neuen Selbstverständnis: der vielzitierten »Vierten Gewalt«. Jedoch haben die Medien trotz dieser emanzipatorischen Entwicklung bis heute das Stigma als »Verlautbarungsorgan« der politisch Mächtigen nicht gänzlich verloren. Viel zu verlockend ist die den Medien innewohnende Macht als dass die Politik nicht versucht wäre, sich die Medien zu Nutze zu machen.1

Medien als eigenständiger Machtfaktor

Medien verfügen über das quasi Informations- und Vermittlungsmonopol, da (politische) Primärerfahrungen ausschließlich im unmittelbaren Umfeld des Menschen stattfinden. Demgegenüber sind Kenntnisse jenseits der unmittelbaren individuellen Wahrnehmung nur mit Hilfe von Erzählungen Dritter, in der Regel durch Medien, möglich. Demnach sind Medien, wie der Publizist und Kolumnist Walter Lippmann es treffend ausdrückte, das »Fenster zur Welt«.2

Diese »Fenster-zur-Welt«-Funktion der Medien erhält bei militärischen Auseinandersetzungen eine ganze besondere Dimension: In militärischen Konflikten, in denen westliche Staaten militärisch involviert sind, westliche Gesellschaften jedoch in der Regel über keine Primärerfahrungen, d.h. unmittelbare Erfahrungen, mit der realen Kriegssituation verfügen, sind letztere von der Kriegsberichterstattung substantiell abhängig. Nahezu nur auf diese Weise können Gesellschaften Kenntnisse über den Krieg erlangen. Allerdings stellt sich die Frage nach den Inhalten dessen, was die Gesellschaften von den Medien über den Krieg erfahren – und nicht weniger relevant, was sie über denselben nicht erfahren. Denn Medien fristen eben nicht nur ein Dasein als quasi technisches Mittel zur objektiven Distribution ebenso objektiver Informationen. Hinter Medien stecken Menschen, Journalisten. Dies bedeutet eine zweifache Subjektivierung von objektiver Wirklichkeit, so es sie unter erkenntnistheoretischem Aspekt gibt: Zunächst werden durch die individuelle Wertesozialisierung Ereignisse unbewusst durch einen subjektiven Filter wahrgenommen. Diese subjektiv wahrgenommene Realität kann im Anschluss zudem bewusst einer politischen Agenda unterworfen werden: Das heißt, dass Ereignisse gar nicht erst publiziert oder dass die zu publizierenden Informationen verfälscht werden. Am Schluss steht ein subjektives Wirklichkeitsprodukt: Die Nachricht. Ob nun subjektive Wirklichkeitsprodukte Ergebnisse eines seinen Wertvorstellungen verhafteten Journalisten oder Verlautbarungsprodukte der Regierungspolitik sind, wird im Folgenden anhand einiger bewaffneter Konflikte skizziert.

Krim-Krieg

Die Kriegsberichterstattung nahm ihren Anfang im Krim-Krieg 1853-1856. Der Krim-Krieg ging als der »erste Pressekrieg« in die Geschichte ein.3 Wie sehr eine unabhängige Kriegsberichterstattung dem britischen Militär missfiel, musste bereits der Journalist William Howard Russel (The Times), der in der einschlägigen Literatur als erster Kriegsberichterstatter in der Geschichte genannt wird, erfahren. Dieser folgte den englischen Truppen auf die Krim und berichtete von dort unter anderem über den schlechten Zustand der englischen Armee. Daraufhin entstand ein Zielkonflikt zwischen Russel, über das dort Gesehene weiterhin so objektiv wie möglich zu berichten, und der englischen Armee/Regierung, alle negativen Aspekte dieses Krieges von der Berichterstattung auszunehmen und die englische Öffentlichkeit nur mit den, der Armeeführung genehmen Informationen zu versorgen. Das britische Militär setzte, nachdem es über die Aufgaben und Grenzen der Kriegsberichterstattung zu langen öffentlichen Diskussionen in der britischen Gesellschaft gekommen war, schließlich seinen Willen durch und führte die Zensur gegen Ende des Krim-Krieges ein.4

Erster Weltkrieg

Im ersten Weltkrieg wurde die Kriegsberichterstattung in Kriegspropaganda verwandelt. Insbesondere Frankreich und Großbritannien gründeten Propagandaorganisationen, deren Aufgabe darin bestand, die Emotionen der eigenen Bevölkerung zu mobilisieren, um die Ge- und Entschlossenheit zu festigen, diesen Krieg zu tragen. Die verbesserten Kommunikationstechniken, wie das Telefon, sowie das Medium Photographie erwiesen sich diesbezüglich als sehr hilfreich. Insbesondere die Effizienz der vermeintlichen »Authentizität« und daraus abgeleiteten »Objektivität« der Photographie, millionenfach in den Medien publiziert, war in Hinblick auf die Emotionalisierung der Massen gewaltig.Die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens förderten den Hass als emotionales Element gegen Deutschland, in dem sie ihre Medien mit angeblichen Gräueltaten deutscher Soldaten fütterten. Die Skala der Darstellungen reichte von Folter über Massenvergewaltigungen bis hin zum Kannibalismus. Ziel war die Entmenschlichung und Dämonisierung der Deutschen. Man reduzierte die Welt nur noch in zwei Kategorien: Menschen und Deutsche. Die Zeitungen ihrerseits übernahmen diese Gräuelmärchen oftmals ungeprüft und ohne die erforderliche kritische Distanz, obwohl die den Deutschen zu Last gelegten Gräuel im nachhinein zumeist nicht verifiziert werden konnten.5

Die deutsche Propaganda hingegen erwies sich als vergleichsweise unterentwickelt. Deren weitaus schwächere Propagandatätigkeiten richteten sich vor allem gegen russische und serbische Soldaten, denen wiederum von den Deutschen das menschliche Sein abgesprochen wurde.

Der Verlust der Pressefreiheit und die Einführung der Zensur traf die deutschen Zeitungen ebenso wie die britischen und französischen. Strikte Reglements grenzten die Themen ein, über die berichtet werden konnte und das, was keinesfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden durfte, da es die innere Geschlossenheit hätte untergraben können. Insgesamt jedoch demonstrierte die Presse in allen drei Ländern großes Verständnis für die Zensurbestimmungen und stellte sich bereitwillig, bisweilen mit vorauseilendem Gehorsam, in den Dienst des Vaterlandes.6

Zweiter Weltkrieg

Im zweiten Weltkrieg hatte sich der Einsatz von Medien und Propaganda erheblich massiert und zugleich verfeinert. Diesmal war es jedoch das »Deutsche Reich«, welches in der Kriegsberichterstattung und -propaganda seine Überlegenheit demonstrierte. Das NS-Regime konnte dabei auf Medien zurückgreifen, die im Ersten Weltkrieg noch unausgereift waren. Die Wirkung von Film und Rundfunk suggerierte noch mehr Authentizität als es die Photographie bereits getan hatte. Die Medien wurden vom NS-Regime kontrolliert und instrumentalisiert. Allerdings stieß das NS-Regime in den meisten Fällen bei den etablierten Meinungsmachern auf wenig oder gar keinen Widerstand. Sie hatten sich bereitwillig in den Dienst der neuen Machthabern gestellt.7

Demgegenüber vertraute Großbritannien anfänglich auf die seinerzeit im Ersten Weltkrieg bewährten Techniken der Informationskontrolle. Die sehr restriktiv gehaltene Informationspolitik über den tatsächlichen Verlauf des Krieges zog den Unmut der Journalisten in In- und Ausland auf sich. Angesichts dieses Drucks sah man sich im Laufe des Krieges gehalten, die Medien mit mehr Informationen zu versorgen, was jedoch nicht bedeutete, dass diese unzensiert gewesen wären.8 Die USA hingegen erkannten ähnlich wie die Nationalsozialisten den Wert der Medien als Waffe. Unter der von General Eisenhower formulierten Maxime »public opinion wins war«wurden die Tätigkeiten der Journalisten sowie insgesamt die Informationstätigkeiten als fester Bestandteil in die Kriegsvorbereitung und Kriegsführung integriert. Eisenhower betrachtete die Kriegsberichterstatter in erster Linie als de facto Stabs-Offiziere mit militärischer Funktion: »As staff officers your first duty is a military duty.9

Auch in der UdSSR wurden kurz nach Kriegsbeginn die Zensurmaßnahmen angezogen, so dass der ohnehin kaum existierende Informationspluralismus völlig beseitigt wurde. So wurden sämtliche Radiogeräte eingezogen, um die Verwendung alternativer Informationsquellen völlig auszuschließen. Anstelle dessen wurde die Bevölkerung mit Hilfe von verkabelten Lautsprechern in ihren Wohnungen mit – von der Führung festgelegten – Informationen versorgt. Eine nicht unwesentliche Rolle in der sowjetischen Kriegspropaganda spielten Plakate und Bildserien, die mit leicht verständlichen Aussagen und Slogans jene Menschen erreichen sollten, die mit den Beiträgen der »Prawda« überfordert waren. Auch wurden bereits bestehende heldenhafte Filme thematisch kurzerhand den neuen Gegebenheiten, d.h. der Kriegssituation gegen Deutschland, angepasst, um den Durchhaltewillen in der Bevölkerung zu stärken.10

Zweiter Golfkrieg

Der Zweite Golfkrieg, ausgetragen zwischen dem Irak und der anti-irakischen Koalition unter Führung der USA 1991, stellte eine medientechnologische Zäsur dar: Nie zuvor konnten Menschen zu Hause quasi am Frühstückstisch oder im Wohnzimmer live am Krieg partizipieren. Die technologische Entwicklung des Mediums Fernsehen ermöglichte es, den Krieg zeitlich unmittelbar zu visualisieren. Die »realtime«-Berichterstattung schien die »Authentizität« der Geschehnisse und somit die »Objektivität« der Kriegsberichterstattung nahezu perfekt zu gewährleisten. Welche Informationen wurden jedoch medienvermittelt? Inwieweit bedienten sich Politiker und Militärs der Medien, um der Weltöffentlichkeit unter Zuhilfenahme von Zensur und Propaganda die Legitimität des Krieges darzulegen? Inwieweit waren die Medien selbst um Aufklärung bemüht? Wurden den Zuschauern detaillierte Hintergrundinformationen über den politischen Gehalt des Krieges, also den Kriegszweck, angeboten oder waren die Bilder nicht vielmehr geeignet, den Gewaltvoyeurismus zu befriedigen?

Wie sich das Verhältnis zwischen Medien und Krieg gestaltete, legt eine aufschlussreiche Aussage bzw. Danksagung des Oberbefehlshabers der alliierten Truppen, General Norman Schwarzkopf, gegen Ende der militärischen Konfrontation dar, in der er sich für die gute Zusammenarbeit bei den Medien bedankte.11 Die Medien wurden auch in diesem Krieg massiv instrumentalisiert und ihre Berichterstattung zensiert. Die Reglements, denen sich die Korrespondenten ausgesetzt sahen, waren erheblich: Den Journalisten wurde seitens der Alliierten der Zugang zu relevanten Kampfgebieten verwehrt, wodurch es kaum journalistische Augenzeugen gab.12

Nur wenigen Journalisten, wie beispielsweise Peter Arnett, der aus Bagdad live für CNN berichtete, war es »vergönnt«, den Krieg unmittelbar zu beobachten. Generell jedoch fasste man die Journalisten in einem sogenannten »Pool-System« zusammen, um sie ausschließlich mit durch die Militärs gefilterten Informationen und Bildern in Form täglich stattfindender Presse-Briefings über den Stand der Dinge zentral zu informieren, bzw. ihnen ihre Wirklichkeitskonstruktion zu vermitteln.13Dabei demonstrierte man regelmäßig unter Zuhilfenahme von Computern und Videoaufzeichnungen die Treffsicherheit der Distanzwaffen, um somit einen »sauberen chirurgischen Eingriff« zu suggerieren. Obgleich die Informationsflut groß war, wird die Substanz der vermittelten Informationen insgesamt als gering bewertet: Noch nie hätten Journalisten im Fernsehen mit so vielen Worten und Bildern so wenig Informationen zu einem Thema geliefert wie in der Berichterstattung am Golf.14

Das Defizit der thematischen Substanz ist jedoch nicht allein den militärischen Zensurtechniken zuzurechnen. Auch die Medien selbst tragen eine ganz wesentliche Mitverantwortung, bei der auf den ökonomischen Aspekt zu verweisen ist: Medien sind auch Unternehmen. Der ökonomische Zwang dürfte wohl einer der wesentlichen Gründe dafür gewesen sein, über den Krieg notfalls irgend etwas zu berichten, statt einzugestehen, an der freien Pressearbeit gehindert zu werden. Zwar wurde die Problematik der Zensur thematisiert. Anstatt die Öffentlichkeit über diesen Zustand effektiver durch Berichterstattungsboykotte zu sensibilisieren und so dem Gebaren der Militärs entgegenzutreten, haben viele Medien ersatzweise ein eigenes Kriegsbild konstruiert oder die Wirklichkeitsmodelle der Alliierten weitgehend übernommen.

Der NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien

Mit der Medienberichterstattung vor, während und nach dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 hat der westliche Medienethos seinen Tiefpunkt erreicht. Obgleich auch hier die kriegführende NATO ähnliche Zensur- und Manipulationsmaßnahmen wie auch schon die Koalition der Alliierten im Zweiten Golfkrieg ergriffen hatte, erwiesen sich diese als nahezu unnötig. Mit vorauseilendem Gehorsam, einem gehörigen Schuss an Patriotismus, ja sogar Begeisterung für das vermeintlich moralische Gutmenschentum der NATO führten die Medien ihren eigenen Krieg gegen Jugoslawien.

Der Medienwissenschaftler Karl Prümm moniert die »geheime Mobilmachung» der westlichen Medien während des Krieges: „Es gehört wohl zu den nachhaltigsten Schock-Erlebnissen dieses Krieges, wie rasant die vielgepriesene Pluralität der elektronischen Medien sich verflüchtigte, wie Korpsgeist und regierungsamtlicher Konsens plötzlich alleinbeherrschend wurden«.15 In diesem Kontext kritisierte der Sprachwissenschaftler Clemens Knobloch den Verlautbarungsjournalismus von Presse und Rundfunk: Die Verlautbarungen der NATO seien undistanziert von den Medien wiedergegeben worden und die Schrecken des Krieges seien verharmlost worden. Durch die Übernahme der NATO-Terminologie, wie z.B. »Kollateralschaden« oder »Luftschlag«, hätten sich die Medien mit der NATO-Kriegspartei gleichgeschaltet. Auch kritisierte Knobloch die »unreflektierten Hetzparolen« seitens der Medien, welche zum Aufbau des Feindbildes Milosevic beigetragen hätten.16 Hermann Meyn kritisiert die einseitige internationale Berichterstattung zugunsten der NATO und die offene Sympathie der Medien mit der UCK.17 Der britische Sonderkorrespondenten der »Independent« für Jugoslawien, Robert Fisk, verweist auf die patriotische Haltung der westlicher Journalisten/Medien, die es tunlichst vermieden hätten, bei den täglichen NATO-Pressebriefings kritische Fragen zu stellen, um die moralische Legitimität des Krieges nicht zu gefährden.18

Fazit

Auf der Basis der analysierten Fachliteratur wird offensichtlich, dass Medien in den überwiegenden Fällen sich nicht ausschließlich durch Eigeninitiative in den Dienst ihres – in einen militärischen Konflikt involvierten – Staates stell(t)en oder ausschließlich durch entsprechenden staatlichen Druck instrumentalisiert wurden/werden. Vielmehr zeigt sich ein gemischtes Bild, bei dem auf der einen Seite kriegführende Staaten mehr oder minder Zensur- und Instrumentalisierungsmaßnahmen ergriffen und auf der anderen Seite die Medien mehr oder minder freiwillig bis hin zur patriotischen Pflicht der »gerechten Sache« wegen eine mediale Kriegsfront aufbau(t)en. Offensichtlich werden Kriege als Ausnahmesituation seitens der Medien wahrgenommen, in der die Vaterlandsliebe schwerer zu wiegen hat als das vielzitierte journalistische Selbstverständnis einer kritisch distanzierten Berichterstattung.

Hierbei wurden/werden die offiziellen Kriegszwecke und -ziele der nationalen politischen/militärischen Entscheidungsträger bisweilen in einem erheblichen Maße bis hin zur »Brandstiftung« kritiklos reproduziert. Kritische Distanz zur Kriegspolitik lag und liegt zumeist außerhalb des journalistischen und medialen »Mainstreams«. Damit versagen die Medien nicht nur in dem Augenblick, in dem sie am notwendigsten gebraucht würden, nämlich dem Krieg, durch umfassende und kritische Berichterstattung die Zustimmung der Öffentlichkeit zu entziehen, sondern eröffnen selbst bisweilen eine eigene Front, die Medienfront.

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt, basierend auf Ergebnissen der Medien- und Kommunikationsforschung, der Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann, demzufolge »Nachrichtenmedien bis auf wenige historische Ausnahmen – gerade in Krisen- und Kriegszeiten – das Bewusstsein und die Einstellungen der Eliten nicht in Frage stellen, sondern reproduzieren«.19Die vermutlich auffälligste Art dieser Reproduktion ist die unkritische Wiedergabe der Kriegs-Terminologie der Elite. So beispielsweise die Übernahme euphemistischer Begriffe wie »Kollateralschaden«.

Anmerkungen

1) Altmeppen, Klaus-Dieter/Löffelholz, Martin, Zwischen Verlautbarungsorgan und »vierter Gewalt«, in: Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn 1998, S.97.

2) Lippmann, Walter, Public Opinion, New York 1922.

3) Dominikowski, Thomas, »Massen«medien und »Massen«krieg, in: Löffelholz, Martin (Hrsg.), Krieg als Medienereignis , Opladen 1993, S.37.

4) Knightley, Phillip, The first casualty, London 2003, S.1-17.

5) Knightley, Phillip, a.a.O., S.83ff./Beham, Mira, Kriegstrommeln – Medien, Krieg und Politik, München 1996, S.25ff., 55.

6) Dominikowski, Thomas, a.a.O., S.39ff.

7) Wette, Wolfram, Die schwierige Überredung zum Krieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 32-33/89, S.8f.

8) Royle, Trevor, War Report: the war correspondents view of battle from the Crimea to the Falklands“, Worcester 1987, S.169.

9) zitiert nach: Royle, Trevor, a.a.O., S.148.

10) Leonhard, Wolfgang, Die Revolution entlässt ihre Kinder“, Köln 1955/1981/1990, S.142-145/Ostrogorski, Wladimir, Die ätherischen Verführer, in: Kalaschnikow – Das Politikmagazin, Ausgabe 12, Heft 1/99.

11) Bresser, Klaus, Schieres Bauerntheater, Interview, in: Löffelholz, Martin, Krieg als Medienereignis,. a.a.O., S.162.

12) Richter, Simone, Journalisten zwischen den Fronten – Kriegsberichterstattung am Beispiel Jugoslawien, Opladen/Wiesbaden 1999, S.50.

13) Löffelholz, Martin, Der unwirkliche Krieg, in: IKÖ-Rundbrief, Nr. 4, 4/1991, S.46ff.

14) Mast, Claudia, Kriegsspiele auf dem Bildschirm. Anmerkungen zur Berichterstattung über den Golfkrieg, in: Bertelsmann Briefe, Oktober 1991, S.25.

15) zitiert nach Prümm, Karl, in: Journalist, 2/2000, S.13.

16) Knobloch, Clemens, Sprachgebrauch im Krieg, in: Journalist, 2/2000, S.13.

17) Meyn, Hermann, Informationen mit Fragezeichen, Journalist, 2/2000, S.14-15.

18) Fisk, Robert, Medien zum Kosovo, in: Le Monde diplomatique, 13.8.1999, S.1-3.

19) Ruhrmann, Georg, Ist Aktualität noch aktuell, in: Löffelholz, Martin, Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation, Opladen, 1993, S.89.

Dr. Alexander Neu ist Wissenschaftlicher Referent für Sicherheitspolitik der Bundestagfraktion Die Linke

Kriegsjournalismus und »Objektivität«

Kriegsjournalismus und »Objektivität«

von Annabel McGoldrick

Dieser Beitrag untersucht einige der Verbindungen zwischen den gängigen Konventionen journalistischer Objektivität und deren Neigung zu Mustern der Berichterstattung über Konflikte, die die Bezeichnung Kriegsjournalismus, d.h. parteiisch zugunsten des Krieges zu sein, verdienen. Diese Definition von Journalismus, der sich mit Konflikten befasst, wurde erstmals von Johan Galtung (in Lynch 1998) aufgestellt, und beinhaltet Gewaltorientierung, Propaganda-Orientierung, Eliten-Orientierung und Orientierung am Sieg. In solchem Journalismus scheint Gewalt »Sinn zu machen« und erscheint oftmals als einzige Lösung. Aber warum sollte das der Fall sein, wenn Journalisten so intensiv danach streben »neutral« und objektiv zu sein? Nun, darin liegt das Problem. Was Journalisten für »objektive« Berichterstattung halten, besteht tatsächlich aus einem Satz von Konventionen, durch die Neuigkeiten über einen Konflikt a priori zugunsten eines Kriegsjournalismus festgelegt werden

Journalistische Objektivität

Objektivität entstand zu Zeiten der Urbanisierung, Industrialisierung und zu Beginn des Massenkonsums. Zunehmende Bildung und effizientere Transportverbindungen ermöglichten den Zeitungen eine steigende Auflage. Dies führte zu einer wachsenden Abhängigkeit von verkauftem Anzeigenplatz. Nun mussten sie es vermeiden, mögliche Kunden zu verprellen, unabhängig von deren politischen Ansichten: »Die beliebten gewerbsmäßigen Tageszeitungen entwickelten die erste Version journalistischer Objektivität; eine unabhängige, verallgemeinernde Sichtweise, die die Welt und die Gesellschaft vom Standpunkt des Idealbürgers aus betrachtete: ein umsichtiges, rationales, aufrichtiges Individuum, das sich den Bürgerrechten, politischer Demokratie, der Marktwirtschaft und dem Fortschritt durch Wissenschaft und Bildung verpflichtet sah« (Hackett & Zhao 1998, S.18).

Einige aktuelle Definitionen: »Es ist der Wert der Fairness, der besonders wichtig ist. Es ist die Ethik, sich mit eigenen Vorlieben zurückzuhalten, die bedeutsam ist (…) Es ist die Idee, dass Journalismus nicht die Stimme nur einer einzigen Partei oder Sekte sein kann« (Rosen 1994). »Eine Anstrengung, die Fakten zu berichten, ohne ihnen eine eigene Interpretation beizugeben – oder zumindest, diese nicht zu deutlich werden zu lassen« (Kinsley 2001). Journalismus, der diesen Kriterien entspricht, bot sich zur Vermarktung in einer Konsumgesellschaft an (Bagdikian 2000), weil er es vermied, die gebildeten Konsumenten abzustoßen.

Aber wie geht man mit den subjektiven Aspekten dieser Tätigkeit um? Die Wahlmöglichkeiten, vor denen Reporter und Herausgeber stehen, sind zahlreich. Warum diese Story und nicht eine andere? Einmal entschieden, warum gerade diese Person interviewen oder diese Organisation als Informationsquelle nutzen und nicht eine andere? Diese Angelegenheit wurde entschärft, als die Methoden des Objektiven Journalismus in branchenspezifische Konventionen verdichtet wurden, indem man sich das Indexieren angewöhnte, also solche grundlegenden Entscheidungen einem externen Referenzrahmen übertrug, der offensichtlich nicht von den einzelnen Journalisten bestimmt war.

Das Indexieren offizieller Quellen

In der Praxis bedeutete dies oft, die Themen aufzugreifen, die von offiziellen Quellen – Regierungen, Polizei, Justiz, Finanzbehörden – gesetzt wurden. Die abendlichen Fernsehnachrichten oder die Titelseite der »New York Times« mit einem Bericht über eine Rede von Präsident Bush zum Thema Irak zu füllen, muss nicht bedeuten, dass die Sendung oder die Zeitung mit ihm übereinstimmt. Unabhängig davon, was er tatsächlich sagt, kann seine Stellungnahme als berichtenswert angesehen werden, weil er der Präsident und der mächtigste Mann des Landes ist. Dies ist noch immer eine subjektive Interpretation darüber, was die bedeutendste Information an einem bestimmten Tag ist, aber diese ist scheinbar auf »neutraler« Grundlage getroffen und tief eingebettet in die Strukturen und Praktiken von Neuigkeiten: »Journalistische Kriterien, was berichtenswert ist und als Tatsachen angesehen wird, und die Routinen der Nachrichtensammlung, die in den bürokratischen Institutionen mit ausgewiesenen Sprechern und vorbestimmten Abläufen verankert sind, bedingen sich gegenseitig. Zusammengenommen tendieren sie dazu, Routine zu gewährleisten und Bürokraten und offiziellen Vertretern, die die »harten Fakten«, glaubwürdige Äußerungen und Hintergrundinformationen liefern, privilegierten Einfluss auf die objektive Berichterstattung zu bieten« (Hackett & Zhao 1998, S.78).

Aus diesen Gründen ist eine Neigung zugunsten offizieller Quellen wohl noch immer die meist verbreitete Konvention im globalen Nachrichtengeschäft. Dies zeigt sich, wenn man in irgendeiner Hauptstadt dieser Welt eine Ausgabe der führenden Tageszeitung kauft: mit hoher Wahrscheinlichkeit finden sich die Taten und Äußerungen der politischen Elite des Landes auf der Titelseite oder den vorderen Seiten abgebildet.

Objektivität und Kriegsjournalismus

Lynch und McGoldrick argumentieren, dass es drei Arten gibt, mittels derer Berichterstattung, die als objektiv gilt, die Gewalt unterstützen. »Es sind besonders drei Konventionen objektiven Berichtens, die für den Kriegsjournalismus prädisponiert sind. Eine Art ›natürlicher Tendenz‹ führt uns dazu – oder lässt uns – gewaltsame Antworten auf Konflikte über- und nicht gewaltsame, prozessuale Antworten unter(zu)bewerten:

  • ein Hang zur Bevorzugung offizieller Quellen
  • ein Hang zur Hervorhebung von Ereignissen statt Prozessen
  • ein Hang zum ›Dualismus‹ bei der Berichterstattung über Konflikte« (Lynch & McGoldrick 2005, S.209). (…)

Militärische Aktivitäten scheinen – fast osmotisch – immer einen Platz in der Berichterstattung zu finden. Aufrufe zu einer gemeinsamen Stärkung des internationalen Rechts oder zur Bildung von zivilgesellschaftlicher Solidarität, selbst wenn sie im Endergebnis die Beschlüsse der UNO akzeptieren, scheinen sich immer von neuem im Grundsätzlichen legitimieren zu müssen. (…)

Von einem Medienbericht wird erwartet, dass er die folgenden grundlegenden Fragen beantwortet: Wer? Was? Wann? Wo? Warum? Wie? Die meisten Stories befassen sich, wenn überhaupt, nur oberflächlich mit dem »Warum«. Manche Journalisten sage, das würde den Beitrag zu umfangreich machen. Aber Leser können nur anfangen, sich kritisch mit einem Konflikt zu befassen, wenn sie die zugrundeliegenden Faktoren kennen. Ohne aber wenigstens etwas an solchen Erklärungen zu liefern, kann es leicht so erscheinen als sei Gewalt die einzige Antwort, die »Sinn macht«. Kriege bleiben opak in dem Sinne, dass uns nicht ermöglicht wird, hinter der Gewalt die eigentlichen Probleme zu sehen. (…)

Eine sichere Möglichkeit, sich gegen Vorwürfe abzusichern, ist es »beide Seiten zu hören«. So erscheint der Journalist nicht als »das Sprachrohr einer bestimmten Partei oder Sekte«. Die klassische BBC-Berichterstattung folgt der Formel »Einerseits … andererseits … der weitere Verlauf wird es zeigen« (Kampfner 2003). Aber damit ist ein Paradigma des Dualismus gekennzeichnet, aus dem Mehrparteien-Initiativen, komplexe Ursachenkonstellationen und win-win-Situationen herausfallen. Dualismus ist ein zentraler Teil von Objektivität, aber aus den genannten Gründen auch ein wichtiger Faktor dafür wie ein Konflikt eskaliert, denn (…) in ihm sehen die Parteien nur zwei Möglichkeiten – Sieg oder Niederlage. Ihre Worte und Taten müssen unzweideutig ›siegreich‹ sein, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen als ›Verlierer‹, ›abtrünnig‹ oder ›nachgiebig‹ dargestellt zu werden.

Die Ergebnisse der Friedens- und Konfliktforschung zeigen überzeugend, dass das dualistische Modell nur selten, wenn überhaupt, das Gesamtbild wiedergibt; es gibt immer drei (oder mehr) Parteien, deren Involviertheit nicht gleich zu erkennen ist; und auch innerhalb der Konfliktparteien gibt es Spaltungslinien und Differenzierungen, die den Raum für kreativere Konzeptualisierungen der zur Debatte stehenden Angelegenheiten eröffnen (Francis 2002).

Kempf hat auf ein Dilemma verwiesen, mit dem sich alle Journalisten konfrontiert sehen, die über Konflikte berichten – »entweder parteiisch zu werden und eine Partei gegen die andere aufzuhetzen, oder die Rolle des moderierenden Dritte zu spielen, um die Kommunikation zwischen den beiden Konfliktparteien zu verbessern und zu einer konstruktiven Konflikttransformation beizutragen« (Kempf 2003, S.83). Die fehlende Anwendung einer bedachten Methode der konstruktiven Konfliktberichterstattung sei, so argumentiert er, wegen der »fehlenden Differenzierung zwischen traditioneller Konfliktberichterstattung und Propaganda« gleichbedeutend mit dessen Eskalation (ebd.).

Friedensjournalismus

Lynch und McGoldrick (2005) geben folgende Definitionen: »Friedensjournalismus findet statt, wenn Herausgeber und Reporter eine Auswahl treffen über die Geschichten, die sie bringen, und die Art, wie sie sie bringen, so dass die Möglichkeit für eine Gesellschaft eröffnet wird nicht-gewaltförmige Antworten auf einen Konflikt zu erörtern und zu bewerten. Friedensjournalismus

  • nutzt die Erkenntnis aus Konfliktanalyse und Transformation, um die Konzepte von Gleichgewicht, Fairness und Genauigkeit in der Berichterstattung zu aktualisieren
  • stellt eine neue Karte bereit, auf der die Beziehungen der Journalisten, ihren Quellen, den von ihnen bearbeiteten Stories und den Auswirkungen ihrer journalistischen Arbeit nachvollzogen werden können – eine Frage der Ethik journalistischen Eingreifens
  • schärft das Bewusstsein für Gewaltverzicht und Kreativität in den täglichen journalistischen Routinen des Schreibens und Editierens« (Lynch und McGoldrick 2005, S.5).

Diese Definition erlaubt etwas mehr Handlungsspielraum als die Formel von Kempf. Einige Journalisten sagt die Vorstellung zu, dass sie sich schon von Beginn an dafür entscheiden sollten, mit ihrer journalistischen Arbeit sozial erstrebenswerte Ziele zu unterstützen. In post-kolonialen Gesellschaften basieren die Traditionen und Voraussetzungen, die Journalisten absorbieren, in starkem Maße auf Werten sozialer Solidarität. Und jene, die das Glück haben, eine berufliche Laufbahn eingeschlagen zu haben, spüren eine Verpflichtung, ihre Ausbildung und Position dazu zu nutzen, die Perspektive ihrer Gesellschaft und die Aussichten für ihre Mitbürger zu verbessern. Dies gilt ganz sicherlich für den Umgang mit Konflikten. So ergab eine umfassende Befragung von erfahrenen Journalisten aus elf Ländern des sub-saharischen Afrika im Jahr 1999: »Ob bei staatlich-kontrollierten Rundfunkanstalten beschäftigt oder als Herausgeber von Wochen- oder Tageszeitungen, die über den Straßenverkauf überleben, die meisten dieser Journalisten glaubten eine zentrale Rolle in der Prävention und Lösung von Konflikten zu haben. Für viele war es keine Frage, dass sie diese Rolle ausfüllen müssen, sondern nur, wie sie dies tun können« (Onadipe und Lord 1999, S.2).

Journalisten in westlichen Ländern bedienen sich verschiedener Quellen, insbesondere der liberalen Theorie der Pressefreiheit, derzufolge Medien ein Kontrollorgan der bürgerlichen Demokratie sind, die auf Probleme aufmerksam machen und Informationen publizieren, ohne auf Vor- oder Nachteile zu achten. Eine in Großbritannien erstellte Studie, bei der leitende Herausgeber, Produzenten und Journalisten interviewt wurden, die Konfliktberichterstattung machen, gab folgende typische Stellungnahme eines erfahrenen Kriegsreporters, Kim Willsher von der »Mail on Sunday« wieder: »Ich möchte nicht pompös oder arrogant klingen, aber man hofft, indem man Leuten die Augen darüber öffnet, was passiert, das irgendetwas in Gang gesetzt wird, um es zu stoppen. (…)« (Tumber und Webster 2006, S.67).

Dies ist nur eine Nuance von dem verschieden, was oben als Grundformel des Friedensjournalismus und konstruktiver Konfliktberichterstattung zitiert wurde, aber in diesem Kontext macht die Nuance einen Unterschied. Willsher hatte sich besonders intensiv mit den Sezessionskriegen im früheren Jugoslawien beschäftigt, wie Tumber und Webster darlegen. Und dabei bedeutete »etwas zu tun« in den Augen vieler in Großbritannien beschäftigter Journalisten, die Parteinahme zuungunsten der Serben, bis hin zur militärischen Intervention. (…)

Teil des Verständnisses von Lynch und McGoldrick über Friedensjournalismus ist ein Konzept der Beseitigung von Ungleichgewicht. Wenn Kriegsjournalismus die vorherrschende Art der Berichterstattung ist, dann ist der Beitrag der Medien zur demokratischen Debatte schief und fällt zugunsten gewaltförmiger Ergebnisse aus – und reproduziert damit Kriegspropaganda, wie Kempf richtig herausgestellt hat. Stattdessen sollten sie, folgt man der liberalen Theorie, der Öffentlichkeit so viele verschiedene Ansichten, Perspektiven und Sichtweisen auf die Ereignisse anbieten wie möglich. (…)

Die BBC-Produktionsregeln (2004) legen beispielsweise fest, dass eine »große Bandbreite signifikanter Ansichten und Perspektiven« zu berücksichtigen seien, denn »es gibt gewöhnlich mehr als zwei Seiten bei jeder Angelegenheit«. (…) Das Fernsehen in den USA ist weniger stark reguliert, aber der erste Zusatzartikel der US-Verfassung schützt die Freiheit der Meinungsäußerung. Einem berühmten Gerichtsurteil zufolge bedeute dies »ein unbeschränkter Marktplatz der Ideen (…) Entscheidend ist das Recht der Öffentlichkeit, geeigneten Zugang zu sozialen, politischen und anderen Ideen zu bekommen« (Supreme Court 1969).

Dies alles sind nützliche Argumente für einen Friedensjournalismus. Wenn es gewöhnlich mehr als zwei Seiten gibt, dann sollten BBC-Berichte regelmäßig Konflikte so darstellen, dass dies sichtbar wird; in den meisten Fällen ist das aber nicht der Fall. Der gemeinsame Nenner dieser Klauseln – nämlich die Verantwortung, der Öffentlichkeit Zugang zu einer »großen Bandbreite« von Sichtweisen zu ermöglichen – wird meist durch die Konventionen des Berichtens in den Hintergrund gedrängt, die das agenda-setting mit offiziellen Quellen honorieren. (…)

Sechzig Prozent der Journalisten, die sich an einer weltweiten Umfrage beteiligten (Lynch und McGoldrick 2004), glaubten, dass die Medien in ihren eigenen Ländern dieses grundlegende öffentliche Gut nicht bereitstellten. Die meisten machten dafür »journalistische Konventionen« und an zweiter Stelle die »Marktbedingungen« verantwortlich. (…)

Der CNN-Effekt

In Willshers Kommentar zu seiner Rolle als Journalist ist eine Annahme über den Einfluss von Medien eingeschrieben, die auch als »der CNN-Effekt« bekannt ist; die Bezeichnung entstand, nachdem UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali gesagt hatte: »Wir sprechen davon, dass wir 16 Mitglieder im UN-Sicherheitsrat haben: die 15 Mitglieder plus CNN« (Boutros-Ghali 1995). Die These ist, dass die heutigen, weltweit operierenden Medien so einflussreich geworden sind, dass sie nach eigenem Gutdünken Themen auf die politische Tagesordnung setzen können – Themen, die sonst wenig oder gar kein Interesse bei den Mächtigen gefunden hätten. Aber Wissenschaftler, die diese behauptete Kausalität untersucht haben, haben herausgefunden, dass die Realität von der These abweicht. Zwei bekannte Fälle sollen als Beleg dienen:

  • ›Operation Restore Hope‹ – die US-Intervention in Somalia 1992-3
  • ›Operation Provide Comfort‹ – der Schutz der irakischen Kurden, die aus Furcht vor Rache seitens eines geschlagenen Saddam Hussein im Winter 1991 auf der Flucht waren.

In Somalia gab es bereits Überlegungen für eine militärische Aktion bevor die Bilder von hungernden Kindern auf den Bildschirmen erschienen. Die letzte Entscheidung »basierte stärker auf diplomatischen und bürokratischen Prozessen als auf der Medienberichterstattung« (Livingston und Eachus 1995). ›Operation Provide Comfort‹ ist als »Sternstunde der Fernsehnachrichten« (Shaw 1996) bezeichnet worden – ein Argument, demzufolge die nächtlichen Berichte über kurdische Flüchtlinge, die sich vor bewaffneten irakischen Hubschraubern in die Berge der südlichen Türkei in Sicherheit bringen, Regierungen zu entschlossenem Handeln veranlasst hätten, das es sonst nicht gegeben hätte.

Auch dies hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Einen anderen Aspekt betont Andrew Natsios, damaliger Direktor des US Office of Foreign Disaster Assistance, das Teil der US-Regierungsbehörde Agency for International Development ist: »Wichtige geopolitische Überlegungen haben damals die Politik bestimmt … Die wichtigste war Sorge um die Türkei, einer der engsten muslimischen Alliierten Washingtons …Die Türkei – mit ihrem eigenen kurdischen ›Problem‹ hatte kein Interesse an Hunderttausenden armen Kurden … Auch wenn es dort keine Kameras gegeben hätte, hätte die Bush-Administration die gleiche Entscheidung getroffen« (Robinson 2002).

Dies unterstreicht die Beobachtung von Kempf, mit welcher Leichtigkeit die offizielle Propaganda die Berichterstattung bestimmt – besonders angesichts der Neigung, die in den Konventionen des ›objektiven‹ Berichtens enthalten ist. Ohne Friedensjournalismus bleiben die Annahmen der liberalen Theorie der Pressefreiheit und die öffentlichen Versorgungsverpflichtungen der Rundfunkanbieter weitgehend unerfüllt.

Literatur

Bagdikian, B. (2000): The Media Monopoly. 6<^>th<^*> ed., Boston: Beacon Press.

Boutros-Ghali, B. (1995): The UN has been a success, excerpts from a conversation with TIME International editor Jose M. Ferrer III et al. [http://www.time.com/time/international/1995/951023/cover4.html]

British Broadcasting Company (1994): Producer Guidelines. London: BBC. In: Lynch, J. und McGoldrick, A. (2005): Peace Journalism. Stroud: Hawthorn Press.

Francis, D. (2002): People, Peace and Power. London: Pluto Press.

Hackkett, R. und Zhao, Y. (1998): Sustaining Democracy – Journalism and the Politics of Objectivity. Toronto: Garamond Press.

Kampfner, J. (2003): Risk averse and running scared. London. In: The Guardian 26 September.

Kempf, W. (2003): In: Austrian Study Center for Peace and Conflict Resolution (ed.): Constructive Conflict Coverage: A Social Psychological Approach. Berlin: regener.

Kinsley, M. (2001): Osama Done Told me: So how come media objectivity is suddenly a bad thing? [http://www.slate.com/id/2058456/]

Livingston, S. und Eachus, T. (1995): Humanitarian crises and U.S. foreign policy: Somalia and the CNN effect reconsidered. In: Political Communication Vol. 12, S.413-429.

Lynch, J. (1998): The Peace Journalism Option. Taplow (UK): Conflict and Peace Forums.

Lynch, J. und McGoldrick, A. (2007): Reporting Conflict: An Introduction to Peace Journalism. Im Druck

Lynch, J. und McGoldrick, A. (2005): Peace Journalism. Stroud: Hawthorn Press.

Onadipe, A. und Lord, D. (1999): African Media and Conflict. London: Conciliation Resources.

Robinson, P. (2002): The CNN Effect: the myth of news, foreign policy and intervention. London: Routledge.

Shaw, M. (1996): The Kurds five years on: TV news’ finest hour. London. New Statesman. 5. April 1996.

Supreme Court (1969): Adelstein revives Red Lion [http://www.techlawjournal.com/topstories/2003/20030106.asp]

Tumber, H. und Webster, F. (2006): Journalists under fire – information war and journalistic practices. London: Sage.

Annabel McGoldrick ist als Journalistin und Produzentin für Fernseh- und Radionachrichten tätig, u.a. über Konfliktgebiete in Indonesien, den Philippinen, dem Mittleren Osten und Thailand. Zudem arbeitet sie als Psychotherapeutin, spezialisiert auf Traumata und Konflikterzählungen. Der – hier gekürzte und übersetzte – Beitrag wurde »Wissenschaft & Frieden« freundlicherweise vom Fachjournal »conflict & communication online« zur Verfügung gestellt.

Nichts als die Wahrheit?

Nichts als die Wahrheit?

Über die Kreativität der Unwahrheit im Kontext von Krieg und Gewalt

von María Cárdenas Alfonso, Andrea Nachtigall, Johannes Nau und Wolfram Wette

Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden
und dem Arbeitskreis Historische Friedensforschung

Nichts als die Wahrheit?

Über die Kreativität der Unwahrheit im Kontext von Krieg und Gewalt

von María Cárdenas Alfonso

Seit jeher werden Kriege als effektives Mittel angesehen, um staatliche Interessen zu verteidigen bzw. auszubauen, und gelten als letzte Stufe der zwischenstaatlichen Eskalation von Konflikten. Doch da mit einem Krieg auch hohe innenpolitische Kosten verbunden sind (auf der gesellschaftlichen Ebene ebenso wie auf der individuellen), hängt die Initiierung einer militärischen Auseinandersetzung in hohem Maße von der Unterstützung durch die Bevölkerung ab. Die Wahrnehmung der Bevölkerung, »angegriffen zu werden« und »sich verteidigen zu müssen« ist insofern ein essentielles Requisit, um einen Krieg legitimieren und durchsetzen zu können.

Mediale Kriegsvorbereitung

Die mediale Vorbereitung von Kriegen und die dazu gehörende Irreführung der Öffentlichkeit war für W&F schon immer ein Thema. Hier einige ausgewählte Artikel, die im Volltext unter wissenschaft-und-frieden.de oder auf der CD-ROM mit den Artikeln der vergangenen 30 Jahre W&F einzusehen sind.

Jürgen Nieth: 10 Jahre Kosovo-Krieg. Kommentierte Presseschau. W&F 2-2009.

Jörg Becker und Mira Beham: Operation Balkan. Werbung für Krieg und Tod. W&F 3-2007.

Peter Bürger: Bildermaschine für den Krieg. W&F 3-2007.

Annabel McGoldrick: Kriegsjournalismus und Objektivität. W&F 3-2007.

Alexander Neu: Das Elend der Kriegsberichterstattung. W&F 3-2007.

Peter Strutynski: Je größer die Lüge, je geringer der Protest. W&F 3-2003.

Jürgen Scheffran: Game over? Macht, Wahrheit und Demokratie im Irakkonflikt. W&F 2-2003.

Jürgen Nieth: Kriegsgründe und die Realität. W&F 2-2003.

Gert Sommer: Terrorismus, Afghanistan und westliche Feindbilder. W&F 1-2002.

Susanne Kassel: Wie Medien Geschlechterstereotype zur Kriegslegitimation nutzen. W&F 2-2002.

Gert Sommer: Vermittelnd eingreifen – Zur Rolle der Medien in großen Konflikten. W&F 4-2000.

Jürgen Link: Die Autopoiesis des Krieges. W&F 3-1999.

Jürgen Scheffran: Zweierlei Massaker? Wie ein US-Diplomat im Kosovo-Dorf Racak den dritten Weltkrieg auslöste. W&F 2-1999.

Jürgen Nieth: Humanitär oder Macht? Mit welchem Ziel bombt die NATO? W&F 2-1999.

Joe Angerer: Die Geschichte deutscher Kriegspropaganda. W&F 3-1993

Wilhelm Kempf u.a: Die bundesdeutsche Kriegsberichterstattung im Golfkrieg. W&F 3-1993.

Gert Sommer & Wilhelm Kempf: Zur Relevanz von Feindbildern – am Beispiel des Golfkrieges/Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung. Dossier Nr. 9, Beilage zu W&F 3-1991.

Daher verwundert es nicht, dass im Krieg nicht nur jedes Mittel recht ist, sondern auch Lügen und Manipulationen ein zentrales, strategisches Instrument sind, um die Wahrnehmung Anderer zu beeinflussen. So wird der Krieg nicht zuletzt durch die Deutungshoheit über Realität (und Geschichte) gewonnen und somit zum Spielball akuter (inter-) nationaler Interessen.

Das vorliegende Dossier befasst sich mit der Frage, wie heute und in der Vergangenheit die nationale und internationale Politik von Kriegslügen beeinflusst und manipuliert wird und wurde, unter welchen Rahmenbedingungen und mit Hilfe welcher Strategien Kriegslügen ihre Wirkung entfalten und welche Einflussmöglichkeiten es gibt.

Mit Blick auf unsere individuelle Entscheidungspraxis wird uns bewusst, wie abhängig unser Urteilsvermögen und unsere Emotionen von unserer Wahrnehmung sind, die wiederum von (Fehl-) Informationen geprägt wird. Informationen bestimmen maßgeblich unsere Entscheidungsfreiheit und damit auch die Qualität unserer Entscheidungen. Auf der politischen Ebene können erfolgreiche Lügen schwerwiegende Folgen haben, was auch die Info-Boxen in diesem Dossier verdeutlichen.

Für die Heranführung an die Klassiker der strategischen Unwahrheit zur Manipulation relevanter Akteure im Krieg beginnt das Dossier mit einem Artikel von Wolfram Wette, der aus einer historischen Perspektive Methoden, Strategien und Akteure von Kriegslügen betrachtet.

Aus einer aktuellen Perspektive zeigen Andrea Nachtigall am Beispiel des »Embedded Feminism« und Johannes Nau am Beispiel Gaddafis auf, wie relativ die Bedeutung scheinbar universeller Werte und Normen in der internationalen Politik ist und wie sie für nationale Interessen zweckentfremdet werden kann – nicht nur mit Blick auf die Frage, welche Beachtung den Menschenrechten in bewaffneten Konflikten geschenkt wird, sondern auch, in welchem Zusammenhang und von welchen Akteuren ihre Implementierung verlangt wird. So zeigt sich, dass oft erst mit Rekurs auf die Menschenrechte, also im Sinne einer »Responsibility to Protect«, eine militärische Auseinandersetzung überhaupt legitimiert werden kann. In anderen Kontexten wiederum werden und wurden Menschenrechtsverletzungen ad acta gelegt und stattdessen die vermeintlich relevante Beziehung zu einem politisch stabilen Partner in einer sonst instabilen Region in den Vordergrund gestellt. Die Debatte um Militäreinsätze zum Schutz der Menschenrechte ist mit Vorsicht zu genießen, da mit der propagierten »Zivilisierungsabsicht« oft weniger der Wunsch der Emanzipation, als vielmehr neokoloniale Interessen einhergehen.

Der letzte Artikel von María Cárdenas untersucht die Voraussetzungen, unter denen sich Kriegslügen und -propaganda bewegen und multiplizieren: Unter welchen Umständen funktionieren Kriegslügen in einer medial vermittelten Gesellschaft? Welche strukturellen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen müssen vorhanden sein, damit die Bevölkerung sich ein eigenes Bild schaffen und eventuelle Kriegslügen entlarven kann – und dies möglichst »medienwirksam«? Welche Rolle spielen hierbei die Massenmedien als Akteur einerseits und Vermittler zwischen Regierung und Regierten andererseits? Welche Möglichkeiten bieten sich den Journalisten, um in kriegerischen Auseinandersetzungen ihrer Kontrollfunktion gerecht werden zu können? Der letzte Beitrag soll insofern auch den Blick für die Relevanz einer kritischen Öffentlichkeit schärfen.

 

Historische Kriegslügen

von Wolfram Wette

Aischylos (525-456 v. Chr.), der griechische Dichter und Schöpfer der griechischen Tragödie, erkannte den Zusammenhang bereits in voller Klarheit: „Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.“ 1 Diese Erkenntnis ist seitdem in verschiedenen Varianten vieltausendfach wiederholt worden. Das kann kein Zufall sein. Es muss damit zusammen hängen, dass die historische Wirklichkeit den Sachverhalt immer wieder bestätigt hat.

Durch die leidvollen Erfahrungen in den Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts, jetzt auch schon des 21., sind wir allerdings mehr als einmal belehrt worden, dass die Weisheit des Aischylos einer Erweiterung bedarf: Die Wahrheit stirbt nicht erst »im Krieg«, sondern schon in der Entstehungsphase einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Während eines Krieges waren die Führungseliten eines kriegführenden Landes jeweils bestrebt, die Glaubwürdigkeit ihrer Rechtfertigungsbehauptungen durch ihre Kriegspropaganda permanent zu untermauern. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges – um diesen Fall zu nehmen2 – kam dann nicht etwa die Wahrheit auf den Tisch, sondern die Verschleierung der Wahrheit, respektive der Kampf um die Wahrheit, setzte sich weiter fort. Der in Deutschland nach 1918 erbittert geführte Meinungskampf über die Kriegsschuldfrage bietet dafür reiches Anschauungsmaterial.3

Kriegsmetaphysik

Wenn der Begriff »Kriegslüge« fällt, denkt man gewöhnlich an einen Auslöser, einen konkreten Anlass, wie zum Beispiel die Ermordung des österreichischen Thronfolgers im Juli 1914, der hernach zur Kriegsursache stilisiert wurde. Bei dieser Betrachtungsweise wird häufig vergessen, dass es im Hintergrund eine Weltsicht gab, die gleichsam als Humus diente, auf dem die aktuelle Kriegslüge erst gedeihen konnte. Gemeint ist ein bestimmtes Denken über »den« Krieg im Allgemeinen. Dieses Denken, das besonders im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts weit verbreitet war, bezeichne ich als Kriegsmetaphysik. Gemeint sind die Vorstellungen, »der« Krieg sei »der Vater aller Dinge«, oder er sei ein Naturereignis, das ausbreche wie ein Vulkan und das von Menschen nicht gebändigt werden könne; oder der Krieg sei von Gott gewollt, womöglich ein »Gottesgericht«; oder aber – als linke Variante –, er sei ein gleichsam »naturnotwendiges« Produkt des Kapitalismus beziehungsweise des Imperialismus.4

In klassischer Weise formulierte zur Zeit des deutschen Kaiserreiches der preußische Generalstabschef Helmut von Moltke d. Ä. die zeitgenössische konservativ-militaristische Kriegsmetaphysik: „Der Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes Weltordnung. […] Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen.“ 5 Sätze wie dieser führten bei den Menschen zu der fatalistischen Grundhaltung, dass Kriege offenbar immer wiederkehren und daher nicht verhindert werden könnten.

Spätestens seit der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht im 19. Jahrhundert verfolgten Aggressoren das Ziel, die eigene Verantwortung für die Entfesselung kriegerischer Gewalt vor der eigenen Bevölkerung zu verschleiern. Sie wussten, dass das eigene Lager nur durch eine Verteidigungslüge für den Krieg mobilisiert werden konnte. Der Krieg musste als eine gerechte Sache erscheinen, und als gerecht wurde nur die Verteidigung des eigenen Landes gegen einen Aggressor angesehen. Es galt also, das eigene Land als das angegriffene hinzustellen, den Feind ins Unrecht zu setzen und ihm die Kriegsschuld aufzubürden. Wenn in der Regel alle kriegführenden Mächte die Menschen ihres Landes mit einer Verteidigungspropaganda mobilisierten, so bedeutete dies allerdings nicht, dass es sich dabei durchgängig um Kriegslügen handelte. So befanden sich etwa die von Hitler-Deutschland überfallenen Länder Europas zweifellos in einer Verteidigungssituation.

Friedrich II, König von Preußen, von seinen Bewunderern auch als »der Große« bezeichnet, gab im Jahre 1740 seiner Armee den Befehl zum Angriff auf Schlesien, das er, ganz der Machtpolitiker, dem preußischen Staat einverleiben wollte, bevor der Rivale Österreich zum Zuge kam. Das war der Beginn des so genannten Ersten Schlesischen Krieges (1740-1742). Während die Angriffshandlungen bereits im Gange waren, schrieb Friedrich seinem Minister Heinrich Graf von Podewils: „Ich habe den Rubikon überschritten, mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel.“ Nun sei es Sache des Ministers, sich im Nachhinein eine »justa causa« auszudenken, also einen »gerechten Grund«, ein Rechtfertigungsmotiv.6 Im Hinblick auf die internationale Öffentlichkeit konstruierte er einen erbschaftsrechtlichen Anspruch, der mit der herrschenden Lehre vom gerechten Krieg nicht zu kollidieren schien. So wurde versucht, die aggressive und rechtswidrige Politik des preußischen Königs zu kaschieren.7

Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck manipulierte im Jahre 1870 die »Emser Depesche« in der Weise, dass der französische Kaiser Napoleon III dadurch in die Rolle des Aggressors gedrängt wurde und Deutschland den Krieg erklärte.8 In den Augen der deutschen Öffentlichkeit ergab sich dadurch die Lage, dass Bismarck die angegriffenen Deutschen verteidigte. Verborgen blieb, dass er selbst es gewesen war, der auf den deutsch-französischen Krieg hingearbeitet hatte, weil er ihn zur Schaffung des preußisch-deutschen Nationalstaats brauchte.

Theobald von Bethmann Hollweg, Reichskanzler unter Kaiser Wilhelm II, verbreitete in der Julikrise von 1914 durch geschickte Regie den Eindruck, Deutschland bleibe nichts anderes übrig, als auf die russische Generalmobilmachung zu reagieren und sich zu verteidigen. Mit dieser Manipulation drängte er die zögernde Sozialdemokratie, die noch kurz zuvor Friedenskonferenzen und Friedensdemonstrationen organisiert hatte, dazu, eine Verteidigungssituation anzunehmen. Nicht nur die Konservativen, sondern auch die oppositionelle SPD-Reichstagsfraktion bewilligten daraufhin die Kriegskredite. Im Interesse der Landesverteidigung schloss die SPD einen so genannten Burgfrieden mit dem Kaiser und seiner Regierung.9 Der Chef des Marinekabinetts, Admiral Georg von Müller, freute sich über den gelungenen Coup: „Stimmung glänzend. Die Regierung hat eine glückliche Hand gehabt, uns als die Angegriffenen hinzustellen.“ 10

Am 1. September 1939 eröffnete das im Danziger Hafen liegende deutsche Linienschiff »Schleswig-Holstein« mit seinen schweren Geschützen das Feuer auf die polnische Westerplatte – ohne jede Kriegserklärung. Gleichzeitig ließ Hitler einen Angriff polnischer Soldaten auf den oberschlesischen Sender Gleiwitz vortäuschen. Deutsche Staatsbürger in polnischen Uniformen griffen die Radiostation an, um den NS-Propagandisten Stoff für ihre Ablenkungspropaganda zu liefern. Hitler verkündete noch am selben Tag in einer Reichstagsrede seine Verteidigungslüge, deren Kernsätze lauteten: „Polen hat nun heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.“ 11 Hitler hatte diesen Krieg von langer Hand geplant, seine Ziele aber vor der deutschen Öffentlichkeit verborgen, indem er zwischen 1933 und 1938 – zur allgemeinen Irreführung – eine geschickte Friedenspropaganda betrieb.12 Der deutsche Angriff auf Polen ist das vielleicht bekannteste Beispiel für die Ablenkungsmanöver, mit denen sich der eigentliche Angreifer zum Angegriffenen machen möchte.

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht in einer Stärke von drei Millionen Mann die Sowjetunion, die sich aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 in Sicherheit wiegte. Hitler und sein Propagandaminister Joseph Goebbels präsentierten an diesem Tage wiederum eine Verteidigungslüge. Die Sowjetunion, so behaupteten sie, habe eine aggressive Politik betrieben. Sie habe ihre Armeen an ihrer Westgrenze aufmarschieren lassen, habe damit die Abmachungen des Freundschaftsvertrages mit Deutschland gebrochen und „in erbärmlicher Weise verraten“. „Heute“, behauptete Hitler, „stehen rund 150 russische Divisionen an unserer Grenze. […] Damit aber ist nunmehr die Stunde gekommen, in der es notwendig wird, diesem Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter und der ebenso jüdischen Machthaber der bolschewistischen Moskauer Zentrale entgegenzutreten.“ Nun sei das Schicksal Europas, des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes in die Hand der deutschen Soldaten gelegt. Damit war die Präventivkriegslegende geboren.13 Glaubte man der NS-Propaganda, so hatte Deutschland wieder einmal nur »zurückgeschossen«.

Auch der amerikanische Vietnamkrieg von 1964 bis 1975 begann mit einer Lüge. Die amerikanische Regierung unter dem demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson suchte und fand einen Vorwand, um in den Krieg gegen Nordvietnam einzutreten. Es handelte sich um den so genannten Tonkin-Zwischenfall vom 2. und 4. August 1964. Angeblich hatten nordvietnamesische Kriegsschiffe im Golf von Tonkin (vor Nordvietnam) zwei US-Zerstörer beschossen. Nun ordnete Präsident Johnson »Vergeltungsbombardements« gegen Ziele in Nordvietnam an. Hernach ließ er sich vom amerikanischen Kongress eine Generalvollmacht zur Ausweitung des Krieges geben. Dieser sollte bis 1975 dauern und mit einem Sieg der nordvietnamesischen Kriegspartei enden.14 Die amerikanischen Soldaten mussten gedemütigt und fluchtartig das Land verlassen.

Der iranisch-irakische Krieg von 1980 bis 1988 wird als Erster Golfkrieg bezeichnet. In diesem Krieg unterstützten die Regierungen der westlichen Länder den irakischen Diktator Saddam Hussein insgeheim. Als die irakische Armee im Jahre 1990 in Kuwait einmarschierte, antworteten die USA und einige Verbündete mit dem Zweiten Golfkrieg. Um diesen Krieg vor der Öffentlichkeit zu legitimieren und um im eigenen Lager Kriegsbereitschaft zu mobilisieren, erfand die US-amerikanische Administration unter Präsident George Bush sen. nun eine neue Sprachstrategie: die Dämonisierung des Gegners.15 Der irakische Diktator und vormalige Verbündete Saddam Hussein wurde jetzt als „Hitler des Orients“ bezeichnet. Präsident Bush sen. selbst war der Stichwortgeber. In einer Rede vom 8. November 1990 sagte er, die irakischen Truppen hätten sich in Kuwait „ungeheuerliche Akte der Barbarei“ zuschulden kommen lassen, „die nicht einmal Adolf Hitler begangen hat“.16 Damit verschaffte Bush dem Saddam-Hitler-Vergleich eine weltweite Resonanz. In Deutschland führte dieser Vergleich, der auf eine Gleichsetzung hinauslief, zu großen Irritationen.17

54 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kämpften erstmals wieder deutsche Soldaten im Ausland, nämlich gegen das serbische Rest-Jugoslawien. Dies geschah im Rahmen der Nato, aber ohne UNO-Mandat. Es handelte sich um einen Angriffskrieg, der weder vom Völkerrecht noch vom Grundgesetz (Artikel 26) gedeckt war. Rest-Jugoslawien hatte Deutschland weder angegriffen noch ging von ihm eine Bedrohung aus. Der damalige Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) legitimierte den deutschen Militäreinsatz, der in historischer Perspektive einen schwerwiegenden Tabubruch darstellte, mit historischen Erfahrungen aus der NS-Zeit. Nur brachte er diese jetzt ganz anders als bislang üblich ins Spiel.18 Er habe nicht nur gelernt „Nie wieder Krieg!“, argumentierte er im Deutschen Bundestag, sondern auch „Nie wieder Auschwitz!“ Das war eine historisch unhaltbare, aber politisch wirkungsmächtige historische Analogie.19 Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) präsentierte der internationalen Öffentlichkeit seinerzeit einen »Hufeisenplan«, der angeblich beinhaltete, dass die serbische Regierung die Albaner systematisch aus dem Kosovo vertreiben wolle. Tatsächlich war dieser Plan frei erfunden.20 Es handelte sich also um eine der üblichen Kriegslügen.21

Diese Wende in der Kriegsbegründung wurde später als »Menschenrechts-Bellizismus« bezeichnet, als Krieg für die Menschenrechte. Aus dieser Argumentation wurde dann die politische Strategie der »Schutzverantwortung« (Responsibility to Protect) entwickelt, die 2005 die Zustimmung fast aller Mitgliedsländer der Vereinten Nationen fand.22 Wegen der erwiesenen Missbrauchsgefahr, beispielsweise im internationalen Militäreinsatz gegen Libyen 2011, hat sich diese Strategie jedoch bereits als problematisch erwiesen.

Der Dritte Golfkrieg von 2003 wurde seitens der Regierung Bush jun. zunächst als militärische Antwort auf den terroristischen Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 gerechtfertigt (»War on Terror«) – obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hatte. Später wurde, wie schon 1990/91, die grausame Diktatur des irakischen Präsidenten Saddam Hussein zur Begründung herangezogen. Präsident Bush führte im Gefolge des Irak-Kriegs auch die Begriffe »Schurkenstaat« und »Achse des Bösen« ein. Damit machte er einmal mehr seine dichotomische Weltsicht deutlich: Hier die Guten und Willigen, dort die Bösen, die notfalls bekriegt werden müssen. Um die Gefährlichkeit von Saddam Hussein weltweit zu verdeutlichen, rückte die US-Propaganda erneut Saddam-Hitler-Vergleiche in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Schließlich operierte die US-Propaganda mit der Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen und sei daher eine Bedrohung für die ganze Welt. Auch diese Behauptung sollte sich später als Lüge zum Zwecke der (präventiven) Kriegführung entpuppen.

Militärzensur: das systematische Totschweigen der Kriegswirklichkeit

Kriege sind eine extrem lebensfeindliche Angelegenheit. In ihnen fügen sich Menschen, die sich nicht kennen, den denkbar schwersten Schaden zu. Sie nehmen sich – und vielen nicht kämpfenden Zivilisten – gewaltsam Leben und Gesundheit. Wer als Staatsmann oder Militär eine kriegerische Auseinandersetzung plant oder in Kauf zu nehmen bereit ist, hält die Darstellung der Kriegswirklichkeit für einen subversiven Akt. Das musste Erich Maria Remarque mit seinem Buch »Im Westen nichts Neues« ebenso erfahren wie der Hamburger Lehrer Wilhelm Lamszus mit seinem 1912 erschienenen Zukunftsroman »Das Menschenschlachthaus«.23 Lamszus wurde von der reaktionären Presse als „schlechter Deutscher“ und als „vaterlandsloser Geselle“ verunglimpft. Der Kronprinz verlangte seine Entlassung aus dem Schuldienst. Auf Remarque prasselten wütende Reaktionen der nationalistischen Presse nieder. Der Kriegsschriftsteller Franz Schauwecker qualifizierte seinen Roman als „Kriegserlebnis eines Untermenschen“, und dessen Gesinnungsgenosse Georg Friedrich Jünger meinte herablassend, der Roman ergehe sich „in schwächlichen Klagen gegen den Krieg“.

Da sich die grausame Wirklichkeit des Krieges öffentlich nicht sehen lassen kann, muss sie versteckt werden. Militärs schotten ihr Tätigkeitsfeld seit jeher mit einem fast undurchdringlichen Gestrüpp von Geheimhaltungsvorschriften ab. Sie behaupten, die Geheimhaltung sei eine »Kriegsnotwendigkeit«; der Feind müsse im Unklaren gelassen werden über die eigenen Absichten und Möglichkeiten. Für die Mobilisierung und Aufrechterhaltung von Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung des eigenen Landes ist die Verschleierung der Kriegsrealität von zumindest ebenso großer Bedeutung.

In den Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts übernahm die Militärzensur die Aufgabe, die Weitergabe kriegsrelevanter Informationen sowie die Berichterstattung über die Kriegsrealität möglichst vollständig zu unterbinden. So durften beispielsweise Bilder von getöteten deutschen Soldaten sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg nicht veröffentlicht werden. Im Hinblick auf die Verschleierung der Kriegsrealität nimmt der amerikanische Vietnamkrieg (1964-1975) eine Sonderstellung ein. Er war der einzige Krieg, über den die westlichen Kriegsberichterstatter offen und unzensiert schreiben durften. Das hatte einen juristischen Hintergrund: Weil die US-Regierung keine förmliche Kriegserklärung ausgesprochen hatte, trat auch das Gesetz über die Militärzensur nicht in Kraft.24 Daher konnte in diesem Krieg auch über die Verluste der amerikanischen Streitkräfte berichtet werden, unterstützt durch beeindruckende Filmszenen und Fotos. Diese Berichterstattung zerstörte die Moral der amerikanischen Heimatfront. Ein Großteil der Bevölkerung der USA entzog der Regierung schließlich ihre Unterstützung. So wurde dieser Krieg – bildlich gesprochen – in erster Linie in den amerikanischen Fernsehzimmern verloren. Seit den Erfahrungen des Vietnamkriegs gaben die Militärs das Informationsmonopol nie mehr aus der Hand. Sie bestimmten nun wieder allein, was die Medien berichten und was die Bevölkerung erfahren durfte, wohl wissend, dass Berichte über das Töten und die Todesangst von den Menschen ferngehalten werden müssen, wenn die Moral nicht zusammenbrechen soll.

Anmerkungen

1) zitate.de/autor/Aischylos.

2) Vgl. Hellmut von Gerlach: Die große Zeit der Lüge. Der Erste Weltkrieg und die deutsche Mentalität (1871-1921). Bremen, 1994.

3) Siehe wikipedia.org/wiki/Kriegsschuldfrage.

4) Vgl. Wolfram Wette: Kriegstheorien deutscher Sozialisten. Marx, Engels, Lassalle, Bernstein, Kautsky, Luxemburg. Stuttgart, 1971.

5) Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Grafen Helmut v. Moltke, Bd. III. Berlin, 1892/93, S.154. Zum historischen Kontext vgl. Wolfram Wette: Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur. Frankfurt/M., 2008, S.102f.

6) Vgl. Reiner Steinweg (Hrsg.): Der gerechte Krieg. Christentum, Islam, Marxismus. Frankfurt/M., 1980.

7) Theodor Schieder: Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche. Berlin, 1983, S.144 f.

8) Siehe im Einzelnen Eberhard Kolb: Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870. Göttingen, 1970.

9) Vgl. Susanne Miller: Burgfrieden und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg. Düsseldorf, 1974; sowie Lothar Wieland: Die Verteidigungslüge. Pazifisten in der deutschen Sozialdemokratie 1914-1918. Bremen, 1998.

10) Notiz Admiral v. Müllers vom 1.8.1914, zit. nach Dieter Groh: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Frankfurt/M., Berlin, Wien, 1973, S.672.

11) Hitlers Rundfunkrede vom 1.9.1939. In: Max Domarus: Hitler. Reden 1932 bis 1945, Bd. II, Erster Halbband: 1939-1940. Wiesbaden, 1973, S.1315.

12) Vgl. Wolfram Wette: Die propagandistische Mobilmachung für den Krieg. In: Wilhelm Deist, Manfred Messerschmidt, Hans-Erich Volkmann, Wolfram Wette: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik. Frankfurt/M., 1989, S.117-161.

13) Vgl. Gerd R. Ueberschär, Lev A. Bezymenskij (Hrsg.): Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese. Darmstadt, 1998. Bianka Pietrow-Ennker (Hrsg.): Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Frankfurt/M., 2011.

14) Bernd Greiner: Aus gegebenem Anlass. Ein Krieg, der mit einer Lüge begann und im Desaster enden musste. In: Mittelweg 36, 5/2007, S.4-16. ders.: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam. Hamburg, 2007.

15) Wolfram Wette: Ein Hitler des Orients? NS-Vergleiche in der Kriegspropaganda von Demokratien. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, 4/2003, S.231-242.

16) Zit. nach John R. MacArthur: Schlacht der Lügen. Wie die USA den Golfkrieg verkauften. München, 1993, S.83.

17) Vgl. Wolfram Wette: Hitler des Orients?, op.cit., S.234-236.

18) Vgl. Michael Schwab-Trapp: Kriegsdiskurse. Die politische Kultur des Krieges im Wandel 1991-1999. Opladen, 2002. Und ders.: Der Nationalsozialismus im öffentlichen Diskurs über militärische Gewalt. Überlegungen zum Bedeutungswandel der deutschen Vergangenheit. In: Wolfgang Bergem (Hrsg.), Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs. Opladen, 2003, S.171-185.

19) Vgl. dazu Egbert Jahn: Nie wieder Krieg! Nie wieder Völkermord! Der Kosovo-Konflikt als europäisches Problem. Mannheim, 1999.

20) Vgl. Heinz Loquai: Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg. Die Zeit von Ende November 1997 bis März 1999. Baden-Baden, 2000.

21) Siehe die WDR-Dokumentation von Jo Angerer und Mathias Werth: Es begann mit einer Lüge. 2001.

22) Siehe wikipedia.org/wiki/Schutzverantwortung.

23) Wilhelm Lamszus: Das Menschenschlachthaus. Bilder vom kommenden Krieg. Hamburg, Berlin, 1912.

24) Winfried Scharlau: Wie realistisch schildern Medien den Krieg, die Täter und die Opfer? In: Thomas Kühne und Horst Gleichmann (Hrsg.): Massenhaftes Töten. Krieg und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen, 2004, S.383-393, hier S.390.

Wolfram Wette, Prof. (em.) Dr. phil., Historiker, 1971-95 Militärgeschichtliches Forschungsamt, dann Universität Freiburg; Mitbegründer des Arbeitskreises Historische Friedensforschung (AKHF); Mitherausgeber der Reihen »Geschichte und Frieden« und »Frieden und Krieg«; Ehrenprofessor der russischen Universität Lipezk.

»Embedded Feminism«

Frauen(rechte) als Legitimation für militärische Intervention

von Andrea Nachtigall

Kriegerisches Handeln mit dem vermeintlichen Wohle und Schutz von Frauen (und Kindern) zu legitimieren, ist nicht neu. Wie feministische und genderbezogene Forschungen zeigen, dominieren in Kriegskontexten seit Jahrhunderten zumeist dichotome, stereotype Geschlechterrollen und -bilder: Männer sind die aktiven Handlungsträger, sie töten, kämpfen, beschützen oder verhandeln, wohingegen Frauen zumeist die Rolle des passiven (potentiellen) Opfers und der Leidtragenden des Krieges zufällt. Diese dominanten Identitäten werden häufig für die Begründung politischen Handelns zur Vorbereitung oder während eines Krieges gezielt mobilisiert und verstärkt, um staatliche und militärische Gewalt zu legitimieren. So evoziert der stete Verweis auf das weibliche Opfer nicht nur das Bild des männlichen Täters, sondern verlangt implizit oder explizit nach einem – traditionell ebenfalls männlich gedachten – Retter und Beschützer. Der Verweis auf bedrohte »FrauenundKinder«, wie Enloe (1990) diese wiederkehrende Diskursfigur pointiert bezeichnet hat, kann in diesem Sinne dazu dienen, die Kampfkraft der eigenen Soldaten anzuspornen und die »heldenhafte« Männlichkeit des Eigenen gegen die »barbarische« und »frauenfeindliche« Männlichkeit des Feindes abzugrenzen.

Neu an der im »Krieg gegen den Terror« verwendeten Argumentation ist also nicht der Verweis auf das weibliche Opfer, sondern die Verknüpfung mit dem Thema Frauenrechte bzw. die Explizitheit, mit der nunmehr feministische Diskursfragmente, wie die Forderung nach Gleichstellung und Emanzipation der (afghanischen) Frau, in die Begründungsmuster staatlicher und militärischer Politik eingebunden werden. Krista Hunt spricht (in Anlehnung an die in Militär und Kampfgeschehen »eingebetteten« Journalisten) passend von einem »embedded feminism« (2006), mit dem der Afghanistankrieg moralisch begründet wurde und mit dem eine breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung – auch unter Feministinnen und Frauenrechtlerinnen – erreicht werden konnte (vgl. auch Nachtigall/Dietrich 2003).

Das Auftauchen der afghanischen Frau in Politik und Medien, verbunden mit dem Ruf nach Frauenrechten, setzt jedoch nicht unbedingt ein nachhaltiges Interesse an ihrer tatsächlichen Situation und deren Veränderung voraus (vgl. Klaus/Kassel 2008, S.275). Zumeist blieb es bei oberflächlichen und plakativen Absichtsbekundungen, weswegen man besser von pseudo-feministischen Argumentationsmustern sprechen müsste.

Während die politische und mediale Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Frauen(rechten) im Zuge des Afghanistankrieges bereits einige kritische Aufmerksamkeit erfahren hat (z.B. Kassel 2004; Maier/Stegmann 2003; Nachtigall 2012), ist jedoch nur geringes Augenmerk auf den weiteren Verlauf und Veränderungen der diskursiven Legitimationsfigur gelegt worden. Diese Lücke soll hier mit zahlreichen Beispielen aus der deutschen Printmedien-Berichterstattung zum Afghanistan- und Irakkrieg geschlossen werden. Zu diesem Zweck wurde eine stichprobenartige Analyse verschiedener deutscher »Leitmedien« – Der Spiegel (Spiegel), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die tageszeitung (taz), Bildzeitung (Bild) – vorgenommen, die nicht nur die Berichterstattung über die »offizielle Kriegszeit«, sondern auch die Post-Konflikt-Berichterstattung umfasst. Wie sich anhand des Materials zeigen lässt, kann der Verweis auf bedrohte »FrauenundKinder« bzw. das Thema Frauenrechte eine legitimierende, aber auch eine delegitimierende Funktion erfüllen.

Die Funktionalisierung und Instrumentalisierung (pseudo-) feministischer Argumente im Rahmen der Begründung und (De-) Legitimierung kriegerisch-militärischen Handelns geschieht dabei in beabsichtigter wie unbeabsichtigter Weise. So wird in den untersuchten Medien vielfach ein expliziter Zusammenhang zwischen Leid und Unterdrückung der Frau und der Notwendigkeit eines Krieges zu Gunsten der Frauen bzw. zur Implementierung oder Wiederherstellung von Frauenrechten hergestellt. Häufiger noch wird dieser Begründungszusammenhang indirekt nahe gelegt, zum Beispiel durch die spezifische Art und Weise, wie über Frauen (und Männer) in Afghanistan und Irak während des Kriegsgeschehens berichtet wird. Die diskursanalytische Perspektive interessiert sich hier jedoch weniger für mögliche Intentionen einzelner Journalist_innen, sondern für die überindividuellen Deutungsmuster, die in der Berichterstattung (re-) produziert werden und die einen Krieg als illegitim oder legitim erscheinen lassen können.

Afghanistankrieg

Die Burka als Kriegsargument und die entschleierte Afghanin als Symbol der Befreiung

Nach dem 11. September, insbesondere im Vorfeld und Verlauf des Afghanistankrieges, war plötzlich quer durch die deutschsprachige und internationale Medienlandschaft von den durch die Taliban unterdrückten afghanischen Frauen zu lesen – direkt oder indirekt verbunden mit dem Appell, die Afghaninnen von ihrem Leid zu erlösen. Der afghanischen Ganzkörperverschleierung, der Burka, kommt in diesem Kontext eine zentrale, symbolisch aufgeladene Bedeutung zu: Sie stellt das vordergründige Merkmal der Darstellung dar; kaum ein Text, eine Bildunterschrift oder ein Foto kommen ohne Verweis auf die Burka bzw. die generelle Bezugnahme auf das Thema Verschleierung aus. Die Burka gilt als untrügliches Zeichen schlimmster patriarchaler Unterdrückung durch die Taliban und eines fundamentalistischen Islams schlechthin. „Die Burka ist nicht eine rückständige Kleiderordnung, sondern macht aus Frauen blindes, hilfloses, konturloses Vieh.“ (taz 12.10.2001) Bis auf wenige Ausnahmen wird die Afghanin als zutiefst gedemütigte und traumatisierte Frau dargestellt, die passiv und leidend ihr Schicksal unter der Burka erduldet. In den Medien werden ihr jegliche Freiheiten, Entscheidungs- oder Handlungsoptionen abgesprochen; kaum mehr vorstellbar ist (aus westlich-okzidentalistischer Perspektive), dass diese Frauen überhaupt ein lebenswertes Leben führen. So ist beispielsweise von der „entmündigenden Burka“ (Spiegel 48/2001) oder auch – in Anspielung auf das Gewicht einer Burka – von „sieben Kilo Schmach“ (FAZ 19.9.2001) die Rede, die ihre Trägerinnen zwinge, „wie lebendig begraben durchs Leben zu gehen“ (ebd.). Wiederholt wird auf die körperlichen und seelischen Qualen afghanischer Frauen verwiesen, die von den Taliban „geknechtet“ und „unterjocht“ (FAZ 29.10.2001; Spiegel 41/2001) und zu „Sklavinnen“ gemacht worden seien (FAZ 19.9.2001).

Die Darstellung der afghanischen Frau wird dabei konstant mit dem Thema Islam bzw. dem islamistischen und frauenfeindlichen Regime der Taliban verknüpft, so dass die Afghanin als spezifisch islamische Frau und damit als »Andere« des Westens sichtbar gemacht wird. Effekt dieser Darstellungsmuster ist die Konstituierung einer grundlegenden, hierarchischen Differenz zwischen islamischer und westlicher Frau, wobei auf das altbekannte Stereotyp der »unterdrückten Muslimin« als Opfer des »orientalischen Patriarchats« bzw. eines »frauenfeindlichen Islam« rekurriert wird (vgl. Pinn/Wehner 1995). Die Zu- und Festschreibung der Opferrolle verunmöglicht zudem, afghanische Frauen in ihren tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen und damit als eigenständige Akteurinnen und politische Subjekte anzuerkennen. Dass es auch in Afghanistan widerständiges Denken und Handeln gegeben hat, zeigt zum Beispiel das Engagement der Gruppe RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan).

Die Viktimisierung der afghanischen Frau und die Dämonisierung des Feindes über eine brutale und fehlgeleitete Hypermaskulinität sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die »barbarische Frauenfeindlichkeit« der Taliban bildet in allen Medien das zentrale Thema, an dem die Verabscheuungswürdigkeit und Gefährlichkeit des Gegners festgemacht werden. (Sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und eine extreme Frauenfeindlichkeit werden dabei ausschließlich als Merkmal des »orientalisierten Anderen« dargestellt und fungieren als definitiver Beweis seiner kulturellen Rückständigkeit. Wiederholt werden die Taliban als frauenfeindliche Vergewaltiger und Unterdrücker herausgestellt. „Taliban-Krieger vergewaltigen Afghanistans schöne Töchter“, lautet beispielsweise eine Schlagzeile der Bildzeitung (27.9.2001), oder: „Taliban-Terror! Wie Mädchen in Afghanistan leiden müssen“ (Bild 20.10.2001). Gleichzeitig wird durch die Art der Darstellung das Bild einer auf Freiheit und Gleichheit beruhenden westlichen (Geschlechter-) Ordnung als »zivilisatorisches Gegenmodell« zu der als besonders abartig und frauenverachtend gekennzeichneten (islamischen) Männerherrschaft der Taliban (implizit) gestärkt.

Diese Deutungsmuster haben Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Beurteilung (außen-) politischen Handelns, insbesondere im Hinblick auf die Legitimität des militärischen Vorgehens. Die wiederholt herausgestellte »barbarische Frauenfeindlichkeit« des Feindes lässt ein militärisches Einschreiten – parallel zu den offiziellen Begründungsmustern des Krieges – aus humanitären und ethischen Gründen gerechtfertigt und geradezu unausweichlich erscheinen. Der Rekurs auf kolonialistische Wahrnehmungsmuster, demzufolge sich der »weiße Mann« als zivilisatorisch überlegen imaginiert, der die »Wilden« von der »Barbarei« befreien müsse, ist dabei unverkennbar. So schreibt Franz Josef Wagner in seiner täglichen Kolumne der Bildzeitung, die diesmal mit der Überschriebt „Liebe Mama“ an seine Mutter – stellvertretend für alle Mütter – adressiert ist: „Mama, wir bombardieren Afghanistan, weil wir auch die afghanische Frau befreien müssen.“ (30.10.2001)

Während vor und im Verlauf des Krieges das Thema Verschleierung der afghanischen Frau bzw. Zwangsverschleierung durch die Burka im Vordergrund der Berichterstattung standen, rückt mit dem »Etappensieg« in Kabul Anfang November 2001 das Motiv der Entschleierung in den Mittelpunkt. In der Darstellung der Medien scheint es geradezu zu einer euphorischen Massenentschleierung zu kommen, bei der sich die afghanischen Frauen enthusiastisch der verhassten Burka entledigen und damit zugleich ihr wahres Gesicht hinter dem Schleier als modebewusste und geschminkte Frau offenbaren. Der in Wort und Bild vollzogene Prozess der Entschleierung wird dabei kontinuierlich mit einer Rhetorik von Befreiung und Freiheit verknüpft: „Auf den Basaren fanden die Frauen, die zögerlich ihre Burkas abzuwerfen begannen, wieder Lippenstift und modische Kleidung. Kein Zweifel: Hier war ein Großteil des Landes befreit worden.“ (Spiegel 47/2001)

Der symbolische Charakter der Darstellung spiegelt sich insbesondere in der Bilderpolitik wider: Nach dem Sturz des Talibanregimes zirkulieren in den Medien zahlreiche Fotos von glücklich entschleierten afghanischen Frauen, die die Burka abgelegt oder angehoben haben, und verleihen dem Krieg im Nachhinein einen moralischen Mehrwert. Die Fotos sind allesamt auffallend ähnlich aufgebaut: Zu sehen ist stets eine Frau mit einer über den Kopf hochgeschlagenen Burka oder einem Kopftuch inmitten einer gesichtslosen Menge von Frauen, die nach wie vor die Burka tragen. Häufig stehen die Fotos ohne expliziten Bezug zum Text, d.h. sie begleiten die Kriegsberichterstattung, ohne dass in den Artikeln überhaupt auf die spezifische Situation der Frauen eingegangen würde. Die Bedeutung der Fotos erschließt sich primär über den Kontext, insbesondere aus den Bildunterschriften, so z.B.: „Befreite afghanische Frauen: Über Jahre gequält“ (Spiegel 48/2001), „Afghanische Frauen nach dem Fall von Kabul: Lippenstift wiederentdeckt“ (Spiegel 47/2001) und: „Nach fünfjährigem Versteckt unter dem Ganzkörperschleier endlich wieder im Straßenbild von Kabul: Lächelnde Frauen“ (taz 15.11.2001). Die Fotos der »entschleierten Afghanin« kreieren die Erwartungshaltung eines Vorher und Nachher (Dietze 2006, S.228). Die Botschaft verheißt: Eine Frau ist bereits entschleiert, die anderen werden bald folgen. Mehr noch als die textlichen Ausführungen vermitteln die Fotos Authentizität, sie scheinen unmittelbar und unmissverständlich zu belegen, dass der Krieg (doch) etwas Gutes bewirkt hat: die Entschleierung (= Befreiung) der afghanischen Frau, die wiederum stellvertretend für die Befreiung der afghanischen Nation steht.

Unter der Burka kommt stets eine jugendlich wirkende, strahlende und glücklich lächelnde Frau zum Vorschein; wodurch das Stereotyp der schönen und exotischen Orientalin unter dem Schleier assoziiert wird. Zum anderen wird die Darstellung der afghanischen Frau fortlaufend mit einem modernen »westlichen« Weiblichkeitsideal kontrastiert, das zugleich als Maßstab und stille Norm fungiert. „Das neue Leben der Mädchen im befreiten Kabul. Sie träumen von Lippenstift und bunten Kleidern“, lautet etwa eine Schlagzeile der Bildzeitung (15.11.2001).

Auch wenn die Fotos nunmehr unverhüllte Personen und individuelle Gesichter zeigen, wird die Anonymität der Darstellung nicht durchbrochen; keine der entschleierten Frauen kommt selbst zu Wort oder wird mit vollem Namen benannt.

Auch in der Berichterstattung über die politische Situation in Afghanistan nach dem Sturz des Talibanregimes offenbart sich der symbolische Gehalt der fotografischen Repräsentationen. So nimmt die Bildzeitung auf die weiblichen Delegierten der Petersberg-Konferenz Bezug: Sie zeigt Sima Wali und greift in der Überschrift erneut das Stereotyp der »geheimnisvollen orientalischen Schönheit« auf: „Wer ist die schöne Afghanistan-Unterhändlerin?“ (1.12.2001). Auf politische Ansichten, Ziele oder Forderungen der weiblichen Delegierten wird hier, wie in den meisten anderen untersuchten Medien, nicht näher eingegangen. Konkrete politische An- und Absichten werden lediglich von den männlichen Protagonisten geäußert – bzw. in der medialen Wiedergabe berücksichtigt. So werden die männlichen Konferenzteilnehmer in der Regel namentlich, mit Lebenslauf und politischem Hintergrund vorgestellt, einzeln interviewt und nach ihren politischen Absichten befragt (z.B. Spiegel 48/2001), die Frauen nur im Bild gezeigt

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die afghanische Frau wurde in den Medien weniger als Individuum wahrgenommen, sondern fungiert als Symbol für den Erfolg des Krieges und den »demokratischen« Neubeginn in Afghanistan. Auch die Thematisierung von Gewalt gegen Frauen bzw. die medial herausgestellte Empörung über die Missachtung von Frauenrechten durch die Taliban sowie die zum Beweis einer neuen Ordnung gezeigten »befreiten« und »entschleierten« Frauen bedeuten nicht zwangsläufig ein wirkliches Interesse an den Belangen der afghanischen Frauen, ihren Lebensrealitäten und der nachhaltigen Umsetzung der Forderung nach Frauenrechten.

Ein erstes Indiz dafür ist das selektive Auftauchen des Themas. Die afghanische Frau und der Verweis auf die Missachtung bzw. die Forderung nach Wiederherstellung von Frauenrechten kommen in der Berichterstattung vor allem in spezifisch thematischen Konstellationen vor und sind zudem auf einen zeitlichen Rahmen von wenigen Monaten begrenzt. Sie stehen vor allem dann auf der Agenda, wenn es um die vermeintliche Brutalität und Frauenfeindlichkeit des Gegners bzw. des Islams im Allgemeinen, das Ende der Talibanherrschaft sowie die Motive und Gründe des eigenen, außenpolitischen Handelns geht.

Des Weiteren fällt die weitgehende Ignoranz gegenüber afghanischen Frauen als aktiv und politisch Handelnde und damit als Akteurinnen und Subjekte des Diskurses ins Auge. Es überwiegt eine homogenisierende Perspektive, die die afghanische Frau primär auf die Rolle des hilflos ausgelieferten Opfers – der Taliban, des Islams oder des Krieges – reduziert. Dass eine Afghanin als Individuum, mit Namen, Beruf und eigenen Ansichten vorgestellt wird, bleibt im Kontext der gesamten Berichterstattung eine Randerscheinung. Afghanische Frauen erhalten in den Medien nur selten eine eigene Stimme; sie werden nur selten zu ihren politischen Ansichten direkt befragt, noch werden ihre spezifischen Interessen, Erfahrungen und Einschätzung in der Berichterstattung berücksichtigt. Politische Meinungen von Frauen werden zudem sehr selektiv wiedergegeben. So wurden z.B. Berichte der Organisation RAWA über die Grausamkeit der Taliban wiederholt zitiert – nicht jedoch ihre grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg. Mehrfach wurde herausgestellt, dass sich afghanische Frauen für mehr Frauenrechte einsetzen wollten, aber was sie darunter genau verstehen, wie sie sich die Umsetzung vorstellen, was ihre zentralen Ziele sind etc. ist für die Medien nicht von Bedeutung. Die reale Verbannung der afghanischen Frau aus der Öffentlichkeit wiederholt sich somit in dem medialen Sprechen über die afghanische Frau, in der ihr abermals Handlungsmacht aberkannt und eine eigene Stimme verweigert werden.

Dass das mediale Interesse an der Situation der afghanischen Frau genauso schnell wieder abebbte, wie es begonnen hatte, kann als weiterer Beleg für die Oberflächlichkeit und Symbolhaftigkeit der Darstellung interpretiert werden. Kaum jemand scheint sich heute noch für die Umsetzung der zuvor proklamierten Frauenrechte oder die tatsächliche Lage der afghanischen Frau zu interessieren. Die Forderung, Frauen in die politische Neugestaltung Afghanistans verstärkt einbeziehen zu wollen, blieb kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Die vormals in den Medien für ihren tapferen Widerstand gegen die Taliban gelobte Frauenorganisation RAWA wurde zu den offiziellen Nachkriegs-Verhandlungen auf dem Petersberg noch nicht einmal eingeladen, was für die Medien keinerlei Notiz oder Empörung mehr Wert war. Auch die Tatsache, dass lediglich zwei der Minister_innenposten an Frauen vergeben wurden, scheint der zuvor noch lautstark verkündeten Forderung, Frauen sollten in der neuen gesellschaftspolitischen Ordnung eine zentrale Rolle spielen, Genüge getan zu haben.

Irakkrieg

Der Feind als ein Regime frauenquälender Schurken

Der Bezug auf bedrohte oder leidende Frauen und Kinder stellt auch in dem zweiten im Namen des »Krieg gegen den Terror« geführten Krieges im Irak (offizielle Dauer 20.3.-14.4.2003) eine vordergründige Diskursfigur dar, allerdings mit anderen Vorzeichen. Die Berichterstattung über die ersten Wochen des Irakkrieges wird von einer ausgeprägten Bilderpolitik begleitet, in der Frauen, Mädchen und Kinder als Kriegsopfer, Notleidende und Flüchtlinge im Vordergrund stehen. „Am schlimmsten leiden Iraks Kinder“, titelt die Bildzeitung (31.3.2003) und präsentiert vier großformatige Fotos, die weinende und verletzte Kinder zeigen. Dieselben oder ähnliche Agenturfotos sind auch in der taz (z.B. 31.3.2003), FAZ (z.B. 31.3.2003) und im Spiegel (z.B. 15/2003) zu finden. Die Fotos zeigen überwiegend Mütter mit ihren kleinen Kindern auf der Flucht oder einzelne verletzte Kinder, wobei daran appelliert wird, dass Kinder als besonders schutzbedürftig gelten. Der Bildausschnitt ist zumeist so gewählt, dass individuelle Gesichter, geprägt von einem Ausdruck der Verzweiflung und des Schreckens, im Vordergrund stehen. Die Art und Weise der visuellen Darstellung ist von Bedeutung: „Mitleid und Mitgefühl stellen sich bei Fotos ein, auf denen identifizierbare Einzelpersonen dargestellt werden“, halten Kirchner et al. (2002, S.36) anlässlich der Berichterstattung über den Kosovokrieg fest. Diese Tradition setzt sich auch in der Irakkriegsberichterstattung fort. So werden flüchtende Männer eher als Teil einer großen Masse gezeigt, während die Ikonisierung des Leidens Frauen und Kindern bzw. Mädchen vorbehalten bleibt. Der Bezug auf »FrauenundKinder« als Opfer von Kriegsgewalt, Flucht und Vertreibung erfüllt in diesem Kontext eine den Krieg delegitimierende Funktion.

Im Unterschied zum Afghanistankrieg fällt besonders auf, dass die Symbolik des Schleiers bzw. das Narrativ von Verschleierung und Entschleierung stark in den Hintergrund tritt. Kaum noch wird in den Texten und Bildunterschriften auf die Verschleierung der irakischen Frau Bezug genommen, selbst dann nicht, wenn auf den Fotos verschleierte Frauen zu sehen sind. Das kann damit zusammenhängen, dass die Verknüpfung des Irakkrieges mit dem Feindbild Islam weniger vordergründig ist als im Afghanistankrieg.

Der Verweis auf Frauenunterdrückung und (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen fungiert innerhalb der Irakkriegsberichterstattung in erster Linie als Beleg für eine krankhafte Grausamkeit einzelner Männer, weniger als Zeichen für die vermeintliche Rückständigkeit und Barbarei einer ganzen Gesellschaft (Taliban) oder religiösen Kultur (Islam), wie es im Afghanistankrieg der Fall war. Gewalt gegen Frauen und Frauenfeindlichkeit werden vielmehr als ein individualistisches Kennzeichen einzelner Machthaber dargestellt, allen voran als Merkmal von Saddam Hussein und seinen beiden Söhnen. Nur selten wird jedoch die Diskussion über Motivation und Beweggründe des Krieges explizit mit dem Verweis auf die Wiederherstellung oder Einführung von Frauenrechten verknüpft. Die Legitimationsfigur des »embedded feminism« entfaltet ihre Wirkmächtigkeit eher indirekt. So wird die Abscheulichkeit des Feindes, ähnlich wie bei der Dämonisierung der Taliban, vor allem mit der Entrechtung von Frauen und brutaler (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen und Mädchen begründet. Häufig sind stark dramatisierende Berichte über Vergewaltigungen, Folter und Hinrichtungen von Frauen, um den »alltäglichen Horror« zu illustrieren: „Dies ist ein Regime, das alle Fußknochen eines zweijährigen Mädchens einzeln zerbricht, um seine Mutter zu zwingen, den Aufenthaltsort ihres Mannes preiszugeben. […] Dies ist ein Regime, das eine Frau, eine Tochter oder andere weibliche Verwandte wiederholt vor den Augen eines Mannes vergewaltigt.“ (Spiegel 5/2003) Saddam Husseins Sohn Udai wird als gefürchteter „Frauenschreck“ und „brutaler Playboy“ bezeichnet, dem die Frauen willkürlich ausgeliefert seien (alles Spiegel 25/2003). Saddam und seine Söhne ließen Frauen täglich zu ihrem eigenen Vergnügen entführen, foltern und töten, wird wiederholt betont (ebd.). Und die Bildzeitung berichtet: „Frauen, die sich im privaten Kreis gegen Saddam ausgesprochen hatten, wurden in Folterkellern wochenlang nackt gehalten, geschlagen, vergewaltigt.“ (14.2.2003)

Trotz der zumeist ablehnenden Haltung der deutschen Medien zum Irakkrieg erscheint der Krieg durch die permanente Fokussierung auf die Situation der irakischen Frauen doch zumindest moralisch gerechtfertigt, und für die Frauen einen positiven Nebeneffekt mit sich zu bringen. Wenn Saddam Hussein und seinen Söhnen das Handwerk gelegt wird, kehrt auch für die irakischen Frauen wieder Frieden ein, ließe sich der Subtext der Berichterstattung zusammenfassen.

Kurz vor dem von US-Präsident Bush sen. im April 2001 verkündeten Sieg tauchen in den Medien ebenfalls kurzzeitig Fotos und Erzählungen von geretteten und befreiten Frauen und Mädchen auf. Am 10.4.2003 zeigt die Bildzeitung zwei großformatige Fotos, die erneut die im kollektiven Bildgedächtnis fest verankerten Bilder aktualisieren. Gezeigt wird ein US-Soldat mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. Bildunterschrift: „Ein Bild des Friedens. Ein US-Soldat hält fürsorglich ein kleines Mädchen, das bei den Kämpfen in Bagdad leicht verletzt wurde“. Gleich daneben sieht man das Foto einer in die Kamera strahlenden jungen Frau, die ihren Daumen empor streckt. Bildunterschrift: „Daumen rauf! Ein irakisches Mädchen begrüßt die alliierten Truppen“. Auch im Text ist wiederholt von den glücklichen Frauen die Rede: „Nach drei Wochen Bombenangriffen ruft eine Frau US-Soldaten weinend zu: ‚Wir lieben euch’.“ Der Rückgriff auf die altbewährten (Geschlechter-)Stereotypen von frauenfeindlichen Schurken und heldenhaften Soldaten auf der einen, geretteten »FrauenundMädchen« auf der anderen Seite, verleiht so auch dem Irakkrieg – trotz aller Kritik – im Nachhinein einen positiven Nutzen.

Die Schleiersymbolik in der Irakkriegsberichterstattung ist zudem keineswegs so eindeutig auf die Lesart Zwang und Unterdrückung festgelegt wie es im Afghanistankrieg der Fall war. Zu beobachten ist ein wiederkehrendes Bildmotiv, welches zumeist ohne Textbezug auftritt. Die Fotos zeigen schwarz verschleierte und schwer bewaffnete irakische Soldatinnen. Die Bildunterschriften setzen die Fotos regelmäßig in Zusammenhang mit dem »Terror-Regime« und assoziieren eine bevorstehende Gefahr (für die USA). So wird etwa betont, dass es sich bei den Frauen um Sympathisantinnen Saddam Husseins handele, die sich in einem „Protestmarsch gegen die USA“ (Spiegel 5/2003) befänden und dass ein Bürgerkrieg sowie Racheaktionen gegen die USA bevor stünden. Auch die taz verfolgt eine ähnliche Bilderpolitik: Schwarz verschleierte Frauen mit großen Gewehren zieren die Titelseite am 26.3.2003, darunter heißt es: „In der Stadt Jusifija, 30 Kilometer südlich von Bagdad gelegen, rufen bewaffnete Frauen antiamerikanische Parolen“. In keinem der Artikel wird jedoch auf die bewaffneten Frauen und Soldatinnen eingegangen. Völlig ohne Textbezug symbolisieren die (verschleierten) kampfbereiten Frauen eine besondere Gefahr für die USA und den Westen. Wie schon im zweiten Golfkrieg erscheinen irakische Soldatinnen als „unweibliche Amazonen mit Killerinstinkt“ (Kassel/Klaus 2008, S.270), von denen eine besondere Bedrohung auszugehen scheint. Die Opferrolle schwenkt in „fanatische Guerillaaktivität“ (ebd.) um – ein Motiv, welches für die Darstellung von Frauen in Kriegskontexten – wenn sie als Handelnde, Kämpfende und (potentielle) Täterinnen in Erscheinung treten – ebenfalls Tradition besitzt.

Frauen als stumme Warnung vor dem Truppenabzug

Die Situation der Frauen in Afghanistan und im Irak sowie das Thema Frauenrechte rücken im Verlauf der Konflikt-Berichterstattung immer weiter in den Hintergrund. Afghanische oder irakische Frauen tauchen in den Medien nur noch zu spezifischen Anlässen auf, zum Beispiel, wenn es um das Thema freie Wahlen geht oder wenn parlamentarische Abstimmungen über die Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr anstehen. So wird die Berichterstattung über die Parlamentswahlen in Afghanistan (18.9.2005) oder die Wahlen im Irak (30.1.2005) von Fotos begleitet, die Frauen auf dem Weg zum Wahllokal oder nach erfolgter Stimmabgabe mit blau oder violett gefärbten Zeigefingern (zur Kennzeichnung, dass die Wahl erfolgt ist und um Wahlbetrug zu vermeiden) zeigen (z.B. FAZ 31.1.2005). Die Fotografien der Frauen haben erneut überwiegend Symbolcharakter: Die anonymen Frauen auf den Fotos werden zum Zeichen des geglückten demokratischen Neubeginns des Landes – bei gleichzeitigem Schweigen über die reale Lage der Frauen, ihre Interessen oder Forderungen. So zeigt die taz am 31.1.2005 unter der Schlagzeile „Irak schreitet zur Demokratie“ verschiedene Fotos von Frauen (und Männern) mit dem charakteristischen »Wahlfinger«, den sie „stolz und zufrieden“ (Bildunterschrift) in die Kamera halten. Im Innenteil der Zeitung wird der Bericht fortgesetzt, begleitet von einem Foto, das zwei Frauen bei einer Sicherheitskontrolle vor einem Wahllokal zeigt – wiederum ohne dass die Lage der Frauen Gegenstand des Artikels wäre oder Frauen selbst zu Wort kämen. Auch die Berichterstattung über die Parlamentswahlen in Afghanistan wird vor allem mit weiblichen Wählerinnen bebildert, die vor einem Wahllokal Schlange stehen (z.B. taz 19.9.2005; FAZ 19.9.2005).

Geht es um die Mandatsverlängerungen des Afghanistaneinsatzes und damit verbunden um die Bestimmung des militärischen Auftrages und der konkreten Aufgabenfelder der Bundeswehr vor Ort, ist kaum noch von der Lage der Frauen oder der Einführung von Frauenrechten zu lesen. Dies war zu erwarten, nachdem die Situation der afghanischen Frauen bereits nach dem formalen Kriegsende für die Medien kaum noch von Interesse war. Andere militärische Aufgaben wie die Verteidigung der Sicherheit, Terrorbekämpfung oder Stabilisierung des Landes stehen nunmehr im Vordergrund. Auch der Verweis auf die Burka, die vormals so oft als die schlimmste Form der Frauenunterdrückung und Missachtung der Menschenrechte skandalisiert wurde, taucht in den Texten und Bildunterschriften heute nicht mehr auf. Niemanden scheint es zu verwundern, dass die afghanische Frau die Burka gar nicht abgelegt hat, wie es noch im November 2001 in allen Medien freudig prophezeit wurde.

Das Symbol Burka ist jedoch aus den Medien nicht völlig verschwunden – die Burka bleibt vielmehr als »stille Warnung« präsent. Auf nahezu jedem Foto, das deutsche Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zeigt, ist auch eine »Burka-Frau« zu sehen – sei sie auch noch so klein und in weiter Ferne. Die Burka-Symbolik hat sich offensichtlich etabliert und bedarf keiner expliziten textlichen Begleitung mehr. Trotzdem bleibt die »Burka-Frau« als symbolische Referenz erhalten, ihre hartnäckige Präsenz auf den Fotos fungiert wie eine beständige Wiederholung der etablierten Legitimierungsfigur »Krieg für Frauenrechte« bzw. als stumme Mahnung, dass der Militäreinsatz (vermeintlich) auch für die afghanischen Frauen geführt wird.

Literatur

Dietze, Gabriele (2006): The political Veil. Interconnected Discourses on Burquas and Headscarves in the US and in Europe. In: von Braun, Christina/Brunotte, Ulrike/Dietze, Gabriele/Hrzán, Daniela/Jähnert, Gabriele/Pruin, Dagmar (Hrsg.): »Holy War« and Gender. »Gotteskrieg« und Geschlecht. Münster, S.225-238.

Enloe, Cynthia (1990): Womenandchildren: Making Feminist Sense of the Persian Gulf Crisis. In: Village Voice, 25. September, S.29-32.

Hunt, Krista (2006): »Embedded Feminism« and the War on Terror. In: Dies./Rygiel, Kim (Hrsg.): (En)Gendering the War on Terror. War Stories and Camouflaged Politics. Hampshire, S.51-72.

Kassel, Susanne (2004): Krieg im Namen der Frauenrechte? Der Beitrag der Medien zur Konstruktion einer Legitimationsfigur. In: Schweitzer, Christine/Aust, Björn/Schlotter, Peter (Hrsg.): Demokratien im Krieg. Baden-Baden, S.161-179.

Kirchner, Andrea/Kreischer, Sebastian/Ruth, Ina (2002): Bilder, die zum Handeln auffordern. In: Jäger, Margarete/Jäger, Siegfried (Hrsg.): Medien im Krieg. Duisburg, S.29-71.

Klaus, Elisabeth/Kassel, Susanne (2008): Frauenrechte als Kriegslegitimation in den Medien. In: Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte/Köpl, Regina (Hrsg.): Medien – Politik – Geschlecht. Feministisch Befunde zur politischen Kommunikationsforschung. Wiesbaden, S.266-280.

Maier, Tanja/Stegmann, Stefanie (2003): Unter dem Schleier. Zur Instrumentalisierung von Weiblichkeit: Mediale Repräsentationen im »Krieg gegen den Terror«. In: Feministische Studien, Heft 1, S.48-57.

Nachtigall, Andrea/Dietrich, Anette (2003): GeschlechterKrieg und FriedensFronten. Zur Funkion(alisierung) der Kategorie Geschlecht im Kontext von Krieg. In: BUKO (Hrsg.): radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke. Berlin, S.129-144.

Nachtigall, Andrea (2012): Gendering 9/11. Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des »War on Terror«. Bielefeld.

Pinn, Irmgard/Wehner, Marlies (1995): EuroPhantasien. Die islamische Frau aus westlicher Sicht. Duisburg.

Dr. phil. Andrea Nachtigall ist Professorin für Gender und Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Sie hat zum Thema Geschlecht und Medien im Kontext des »War on Terror« an der Freien Universität Berlin promoviert. Bei diesem Artikel handelt es sich um die gekürzte Fassung einer im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung 2011 entstandenen Studie; diese ist abrufbar unter gwi-boell.de/web/gewalt-konflikt- nachtigall-embedded-feminism- legitimation-medien-3421.html.

Feind – Freund – Feind

Menschenrechte und politisch-ökonomische Interessen

von Johannes Nau

Beziehungen zwischen Individuen wie auch zwischen Politikern und Staaten sind stark geprägt von Bildern, die Akteure von ihrem Gegenüber haben. Emotionen, Vorgeschichte und nicht zuletzt persönliche Interessen und Vorteile aus der Beziehung spielen eine große Rolle bei der Frage, ob diese Beziehung freundlich-positiv oder feindlich-negativ ist. Änderungen dieser inneren Bilder und damit der Beziehungen sind allgegenwärtig und alltäglich. So gibt es viele Beispiele schwankender Relationen zwischen westlichen Regierungen und Herrschern unter anderem des Nahen und Mittleren Ostens: Da wären die guten Beziehungen Saddam Husseins mit dem Westen, die ihm noch in den 1980er Jahren die Lieferung von Rüstungsgütern, Chemieanlagen und Kernreaktoren sicherten, sich jedoch im Zuge des ersten Golfkrieges zu einer erbitterten Feindschaft wandelten. Oder die Beziehung USA-Bin Laden, der ebenfalls in den 1980er Jahren durch die USA finanziell unterstützt wurde und während der sowjetischen Besetzung Afghanistans mit der CIA kooperierte. Zum Staatsfeind Nr. 1 der USA wurde Bin Laden erst nach den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001.

Ein weiteres Beispiel ist die mehrfach wechselnde Beziehung zwischen Muammar al-Gaddafi und westlichen Ländern, vor allem Europas, die hier chronologisch näher beleuchtet wird.

1970er Jahre

Gaddafi wird am 01. September 1969 durch einen unblutigen Militärputsch Libyens Staatsoberhaupt und bestimmt als Revolutionsführer von 1979 bis 2011 diktatorisch die Politik Libyens.

Schon zu Beginn seiner Machtergreifung macht Gaddafi sich wenige Freunde in der Welt. Nachdem er Anfang der 1970er Jahre Palästinenser auffordert, Selbstmordattentate gegen Israel zu begehen, und allen Arabern, die für palästinensische Gruppen kämpfen wollen, anbietet, sie auszubilden und finanziell zu unterstützen, ziehen die USA ihre Botschafter aus Libyen ab.

Gaddafi lobt das »Lod Airport Massaker«, bei dem 1972 am Flughafen Tel Aviv 28 Tote und knapp 80 Verletzte zu beklagen sind, und fordert palästinensische Terrorgruppen auf, ähnliche Anschläge durchzuführen. Er spielt eine Schlüsselrolle im Gebrauch von Öl-Embargos in den 1970er Jahren, um die Ölpreise anzuheben und so den Westen (vor allem die USA) von der Unterstützung Israels abzubringen.

Er lehnt sowohl den sowjetischen Kommunismus als auch den westlichen Kapitalismus ab und beschließt einen Mittelweg.

Unter anderem unterstützt er die Provisional IRA, eine Abspaltung der Irish Republican Army, ideell und materiell, indem er beispielsweise nach einer Reihe terroristischer Anschläge sagt: „Die Bomben, die Großbritannien erschüttern und den Geist der Briten brechen, sind Bomben des libyschen Volkes. Wir haben sie den irischen Revolutionären gesandt, damit die Briten den Preis für ihre vergangenen Taten zahlen“.

Im Dezember 1979 wird die amerikanische Botschaft in Libyen – im Zuge eines Protests gegen den Aufenthalt des gestürzten Schahs von Persien in den USA – von einem Mob attackiert und in Brand gesetzt. Daraufhin erklären die USA Libyen am 29.12.1979 zu einem „state sponsor of terrorism“.

1980er Jahre

Die Beziehungen zu den USA verschlechtern sich weiter, als im August 1981 ein US-Flugzeug über internationalem Gewässer im Mittelmeer von zwei libyschen Jets beschossen wird, da Libyen dieses Gebiet für sich beansprucht. Im Oktober 1981 wird der ägyptische Präsident Anwar Sadat ermordet. Gaddafi spendet dem Attentäter Beifall und spricht von einer gerechten Strafe für Sadats Unterschrift auf dem Camp-David-Abkommen mit den USA und Israel. Zwei Monate später erklärt das US-Außenministerium US-amerikanische Reisepässe für Reisen nach Libyen für ungültig und empfiehlt ihren Bürgern, Libyen zu verlassen.

Ungeachtet der angespannten Lage mit den USA besucht 1982 eine fast 20-köpfige Delegation der österreichischen »Gesellschaft für Nord- und Südfragen« Libyen im Kontext der Friedensbewegung und auf der Suche nach neuen Bündnispartnern. Unter ihnen sind auch die deutschen Grünen Otto Schily und Roland Vogt. Im März 1982 verbietet die US-Regierung Ölimporte aus Libyen. Im gleichen Monat reist Gaddafi auf Einladung des österreichischen Bundeskanzlers Kreisky nach Wien. Zu diesem Zeitpunkt herrscht international noch Unverständnis über diese Einladung.

Bei einer Demonstration gegen Gaddafi vor der libyschen Botschaft in London werden im April 1984 Schüsse aus der Botschaft auf die Demonstranten abgegeben; es werden elf Menschen verletzt und eine Polizistin getötet. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Libyen werden daraufhin für mehr als ein Jahrzehnt eingestellt. Nach palästinensischen Angriffen auf die Flughäfen in Rom und Wien 1985 erklärt Gaddafi, er würde weiterhin solche Terroranschläge sowie die RAF, die rote Brigade und die IRA unterstützen, solange europäische Länder »Anti-Gaddafi-Libyer« unterstützen. 1986 berichtet das libysche Fernsehen, Libyen bilde Selbstmordattentäter aus, um amerikanische und europäische Interessen zu attackieren.

Für den Bombenanschlag auf die Diskothek »La Belle« in Berlin im April 1986 macht US-Präsident Ronald Reagan den nach eigenen Aussagen „tollwütigen Hund des nahen Ostens“ Gaddafi persönlich verantwortlich und ordnet Luftangriffe auf Tripolis und Bengasi an, mit dem Ziel, Gaddafi zu töten. Gaddafis Adoptivtochter fällt dieser Aggression zum Opfer, er selbst überlebt dank seiner guten Beziehung zum damaligen maltesischen Ministerpräsidenten Carmelo Bonnici, der ihn vor dem Angriff warnt.

Die Anschläge auf ein Flugzeug der amerikanischen Linie Pan Am im schottischen Lockerbie am 21. Dezember 1988 durch libysche Geheimdienstler und auf Flug 772 der französischen Fluglinie UTA im Niger am 19. September 1989 führen zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehung westlicher Staaten zu Libyen. Es werden UN-Sanktionen gegen Libyen erlassen, welche unter anderem libyschen Flugzeugen verbieten, über das Territorium von UN-Mitgliedsstaaten zu fliegen (Resolutionen 731, 748 und 883 des UN-Sicherheitsrates).

Gaddafi unterstützt in dieser Zeit immer wieder islamistische und maoistische Terrorgruppen, unter anderem auf den Philippinen, und Paramilitärs in Ozeanien. So versucht er, die Maori in Neuseeland zu radikalisieren, um die USA zu destabilisieren, woraufhin Australien 1987 die diplomatischen Beziehungen zu Libyen abbricht. 1988 wird herausgefunden, dass Libyen im Begriff ist, chemische Waffen zu bauen.

1990er Jahre

Anfang der 1990er Jahre kommt es zu einer weiteren Zuspitzung in der Beziehung Libyens mit dem Westen: Zwei libysche Geheimdienstagenten sind mutmaßlich für die Bombenanschläge auf die beiden Flüge in den Jahren 1988 und 1989 verantwortlich. Da Gaddafi sich weigert, diese auszuliefern, beschließt der UN-Sicherheitsrat im November 1993 weitere Sanktionen gegen Libyen. Auch ein Besuch von UN-Generalsekretär Kofi Annan im Dezember 1998 bringt Gaddafi nicht dazu, die Täter auszuhändigen. Im April 1999 lenkt Gaddafi schlussendlich doch ein und liefert die Attentäter aus, damit diese auf neutralem Boden verurteilt werden können. Der Sicherheitsrat hebt die Sanktionen noch am selben Tag auf.

Im Februar 1996 gibt es einen weiteren westlichen und durch den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 mitfinanzierten Bombenanschlag auf Gaddafis Eskorte. Mehrere Gefolgsleute Gaddafis sterben, er selbst bleibt unverletzt.

Im gleichen Jahr beschließt der US-Kongress den »Iran and Libya Sanctions Act«, der alle Firmen bestraft, die innerhalb eines Jahres mehr als 40 Mio. US$ in Libyens Öl- oder Gassektor investieren. 2001 wird der Plan um weitere fünf Jahre erneuert (und 2006 in »Iran Sanctions Act« umbenannt).

In den späten 1990er Jahren solidarisiert sich Gaddafi trotz Widerstand des Westens mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševiæ, auch dann noch, als dieser der ethnischen Säuberung an Albanern im Kosovo beschuldigt und angeklagt wird. Dennoch besucht der italienische Ministerpräsident Massimo D’Alema am 2. Dezember 1999 als erster westlicher Regierungschef seit 15 Jahren Libyen. Danach suchen immer mehr westliche Politiker die Nähe Gaddafis, vor allem aus ökonomischen Interessen.

2000er Jahre

Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts knüpft Gaddafi eine enge, jahrelange Freundschaft zu Hugo Chavez, dem Präsidenten von Venezuela. Gleichzeitig verbessern sich nach den Anschlägen auf das World Trade Center von 11. September 2001 die Beziehungen Gaddafis zum Westen deutlich: Libysche Geheimdienste werden in den »global war on terror« integriert. Libysche Offiziere identifizieren und foltern im Auftrag der CIA Libyer, die mit al Kaida in Verbindung gebracht werden. Später beschreibt die CIA „surreale Treffen“ mit libyschen Geheimdienstlern, die mit dem Anschlag auf den PanAm Flug von 1988 in Verbindung gebracht werden.

Ab 2003 kooperiert die Europäische Union mit dem libyschem Regime, um afrikanische Flüchtlinge von den EU-Außengrenzen fern zu halten. Nach Angaben von Menschenrechtlern nimmt die EU dabei auch menschenunwürdige Zustände, Folter in libyschen Internierungslagern und den sicheren Tod der Flüchtlinge durch »Verfrachtung« in die Wüste in Kauf und finanziert dies sogar zum Teil.

Im selben Jahr gibt Gaddafi bekannt, dass Libyen an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen gearbeitet habe. Das ABC-Waffenprogramm wird daraufhin offen gelegt und demontiert, wodurch sich das Verhältnis zum Westen weiter stark verbessert.

Nach der US-Invasion in den Irak 2003 normalisieren sich die Beziehungen des Westens zu Libyen noch mehr: Es kommt zu Waffenlieferungen an Tripolis, und es werden Abkommen über Erdölförderung abgeschlossen.

2004 hebt US-Präsident George W. Bush die ökonomischen Sanktionen gegen Libyen auf, und im Januar besucht eine US-amerikanische Kongressdelegation offiziell den libyschen Staat.

Im März des selben Jahres besucht Tony Blair Libyen und durchbricht so die lange Isolation des nordafrikanischen Staats durch Großbritannien. Er lobt Gaddafi für die Abwendung von Nuklearprogrammen, und erstmals werden Geschäftsverbindungen mit Libyen aufgenommen. Diese beinhalten unter anderem die Lieferung militärischer Ausrüstung im Wert von 40 Mio £.

Im Oktober 2004 wird eine von der deutschen Firma Wintershell betriebene Ölbohranlage in Libyen von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeweiht, nachdem Libyen Kompensationszahlungen für die Bombenanschläge von 1986 auf die Diskothek in Berlin getätigt hatte.

2006 polemisiert Gaddafi wieder gegen den Westen und verordnet eine dreitägige Staatstrauer nach dem Tod Saddam Husseins. Es folgen Kürzungen westlicher Subventionen in die libysche Wirtschaft. Trotzdem streichen die USA Libyen 2006 nach 27 Jahren von der Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen, da Gaddafi öffentlich dem Terrorismus abgeschworen hat.

Am 10. Dezember 2007, dem Welttag der Menschenrechte, besucht Gaddafi zum ersten Mal seit 34 Jahren Paris und wird mit militärischen Ehren empfangen. Hauptgrund für Gaddafis Besuch sind Waffengeschäfte mit Frankreich. Im Jahr 2008 erfolgt der Gegenbesuch von Sarkozy in Libyen, um Nukleartechnologie an Gaddafi zu verkaufen. (Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2012 wird ein Dokument veröffentlicht werden, welches besagt, dass Gaddafi 2007 Sarkozys Wahlkampf mit 50 Mio. Euro unterstützt habe. Dies spiegelt gut die Wechselwirkung von persönlichen Interessen auf der einen und politischen und wirtschaftlichen Vorteilen auf der andern Seite wider).

Im Juli desselben Jahres kommt es zu einer diplomatischen Krise mit der Schweiz, da Gaddafis Sohn Hannibal und seine Gattin in Genf wegen Körperverletzung, Drohung und Nötigung angezeigt und vorläufig festgenommen werden. Libyen verhängt einen vorübergehenden Boykott auf schweizer Importe und bestimmt einen Visastopp für schweizer Bürger.

Im Januar 2009 wird Gaddafi von König Juan Carlos in Madrid empfangen. Dabei wird eine 17 Mrd. US$ schwere Investition spanischer Firmen in die libysche Wirtschaft ausgehandelt. Im August 2009 besucht der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi Libyen und spricht von einer „echten, tiefen Freundschaft“ zu Gaddafi. Ein Jahr zuvor hatte die Regierung in Rom Libyen Entschädigungszahlungen in Höhe von 3,4 Mrd. Euro für die Kolonialzeit von 1911 bis 1941 zugesagt. In den 2000er Jahren importiert Italien 60% seines Öls und 40% seines Erdgases aus Libyen. Darüber hinaus verspricht Berlusconi Gaddafi über 20 Jahre jährlich 250 Mio. Euro für die Zusage, alle nordafrikanischen Flüchtlinge, die Italien um politisches Asyl ersuchen, aufzunehmen.

Am 23. September 2009 kommt es dann bei der ersten Rede Gaddafis vor der UN-Vollversammlung zu einem Eklat. Gaddafi zerreißt einige Seiten der UN-Charta. Diese sei wertlos, da es Aufgabe der Vereinten Nationen sei, Frieden zu schaffen, es stattdessen seit ihrer Gründung aber 65 Kriege weltweit gegeben habe. Weiterhin nennt er den Sicherheitsrat einen »Terrorrat«, da dieser mit Nuklearmächten besetzt sei.

2010

Trotz der Furore vor der UN-Vollversammlung wird Gaddafi im August 2010 mit allen Ehren in Rom empfangen. Im Herbst besucht er erneut Frankreich. Die beiden Staaten einigen sich auf eine strategische Partnerschaft zum Bau eines Kernkraftwerks und die Lieferung französischer Kampfjets an Libyen.

Die 2010 veröffentlichten Wikileaks-Depeschen geben Klarheit, dass die Freilassung des in England inhaftierten Lockerbie-Attentäters Abdelbasset al-Megrahi im August 2009 nicht aus medizinischen Gründen erfolgte, sondern Libyen damit gedroht hatte, es würden harte, sofortige und unversöhnliche Konsequenzen folgen, sollte Megrahi im schottischen Gefängnis sterben. Dazu gehöre der sofortige Abbruch wirtschaftlicher Beziehungen mit Großbritannien und die Bedrohung britischer Diplomaten und Bürger in Libyen.

Anlass für den erneuten und letzten Bruch zwischen Gaddafi und dem Westen ist Gaddafis Verurteilung der tunesischen Revolution im Januar 2011 und seine Solidarisierung mit Präsident Ben Ali. Nach Massenprotesten in Libyen und den ersten Toten im Februar 2011 bricht Peru am 22.2. als erstes Land die diplomatischen Beziehungen mit Libyen ab. Am gleichen Tag suspendiert die Arabische Liga die Mitgliedschaft Libyens. Gaddafi erklärt die Liga daraufhin als illegitim: „Die Arabische Liga ist erledigt. Es gibt nichts wie die Arabische Liga.“

Westliche Staaten, darunter Großbritannien und die USA, verurteilen Gaddafi für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste in Libyen, woraufhin sich auch Europa immer mehr von Gaddafi distanziert. So erkennt Frankreich im März 2011 noch während des Bürgerkriegs, als erstes Land den Nationalen Übergangsrat als legitime Führung Libyens an. Sechs Monate später sind es bereits 98 Länder. Auch Gaddafis langjährige Freundschaft zu Italien wird von italienischer Seite auf Eis gelegt.

Am 19. März 2011 beginnt die NATO unter der Führung von Frankreich, Großbritannien und den USA einen Luftkrieg gegen das Regime. Als mutmaßlicher Kriegsverbrecher und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird Gaddafi seit dem 27. Juni 2011 weltweit mit Haftbefehl gesucht. Er wird am 20. Oktober 2011 nach seiner Gefangennahme getötet.

Fazit

Wie am Aufstieg und Fall Gaddafis zu erkennen ist, waren die Wechsel in der Beziehung Libyens zu westlichen Ländern zahlreich, und sie reichten von ausgeprägten Feindschaften bis hin zu langjährigen Allianzen. Zwar kam es aus politischen Gründen immer wieder zu Brüchen mit einzelnen Staaten, diese waren jedoch auf Grund wirtschaftlicher Interessen der westlichen Länder meist nicht von Dauer. Libyen als zeitweise viertgrößter Erdölproduzent Afrikas und Besitzer von vier Prozent der weltweiten Ölreserven war für Europa und die USA zu interessant, um auf geschäftliche Beziehungen zu verzichten. Darüber hinaus konnte die EU die Lösung der Flüchtlingsfrage an Gaddafi delegieren, der – gegen entsprechende finanzielle Zuschüsse – gerne half. Besonders bemerkenswert sind Frequenz und Ausmaß der Beziehungswechsel. So liegt beispielsweise zwischen dem Beschluss einer strategischen Partnerschaft mit Frankreich für den Bau eines Kernkraftwerks sowie der Lieferung von Kampfjets und dem Bombardement Libyens unter anderem durch Frankreich im Zuge der NATO-Koalition nur ein knappes halbes Jahr.

Insbesondere die EU und die USA konnten zur Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Interessen offenbar problemlos über die die Menschenrechte missachtenden Taten Gaddafis – von Terrorakten über die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen bis hin zu Solidaritätsbekundungen und finanzieller Unterstützung für terroristische Gruppen – hinwegsehen. Sie machten Gaddafi immer wieder zu einem respektierten Partner und Verbündeten, um Geschäfte vor allem mit Waffen, Rüstung und Erdöl abschließen zu können. Mit ihren Rüstungsexporten an Libyen unterstützten sie nicht zuletzt auch Gaddafis Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung.

Literatur

Cassola, Arnold (2011): Diktator Gaddafi und die falschen Freunde im Westen. Die Welt, 9.9.2011.

Davis, Brian L. (1990): Qaddafi, Terrorism, and the Origins of the U.S. Attack on Libya. Westport: Greenwood Publishing Group.

Terroristen: Diskrete Bitte. Zehn Jahre nach dem Anschlag auf die Berliner Disko »La Belle« soll dem mutmaßlichen Attentäter der Prozeß gemacht werden. Der Spiegel 16/1996.

Poßarnig, Renate (1986): Gaddafi. Enfant terrible der Weltpolitik. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Sadek, Hassan (2005): Gaddafi. München: Diederichs.

Schnurbusch, Ingrid (1994): Libyen im Fadenkreuz. Bonn: Bouvier.

Sullivan, Kimberley L. (2008): Muammar Al-Qaddafi’s Libya (Dictatorships). Minneapolis: Lerner Pub Group.

Johannes Nau ist Diplom-Psychologe. Er studiert Peace & Conflict Studies (International Double Award M.A.) an der Philipps-Universität Marburg und der University of Kent.

Medien im Krieg

Zwischen Instrumentalisierung und Widerstand

von María Cárdenas Alfonso

Im Zeitalter der Massendemokratien spielen die Medien eine immer bedeutendere Rolle: Sie stellen die Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren her und erfüllen Aufgaben, die das demokratische Funktionieren des Staates sichern und kontrollieren sollen. In bewaffneten Konflikten und militärischen Auseinandersetzungen ist die Handlungsfreiheit der Massenmedien jedoch oft durch zunehmenden Leistungsdruck, erschwerte Arbeitsbedingungen und politische Instrumentalisierungsversuche eingeschränkt. Welchen Grad der Handlungsfreiheit die Journalisten bei ihrer Berichterstattung aufrecht erhalten können, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.

Die Rolle der Massenmedien in Konflikten

In demokratischen Gesellschaften kommt den Massenmedien aus einer normativen Perspektive eine zentrale Rolle zu:

  • die Vermittlung zwischen verschiedenen Akteuren (insbesondere Exekutive und Bevölkerung),
  • die Kontrolle der demokratischen Institutionen und der Exekutive sowie
  • die (De-) Legitimation von politischen Entscheidungsprozessen.

Mittels Watchdog-Journalismus, Agenda-Setting und Gatekeeping stellen die Massenmedien die Kommunikation zwischen Exekutive und Bevölkerung her, definieren gesellschaftlich relevante Themen, sollen Rezipienten helfen, sich in ihrer Gesellschaft zu orientieren, und beeinflussen somit auch den Meinungsbildungsprozess.

Je mehr Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto wahrscheinlicher ist seine massenmediale Berücksichtigung durch Nachrichtenagenturen, Journalisten und Redakteure (vgl. Galtung und Ruge 1965). Mit Blick auf Kriegshandlungen wird schnell deutlich, dass diese einen Großteil relevanter Nachrichtenfaktoren (z.B. Aktualität, Relevanz, Negativität) erfüllen und ihnen daher in den Massenmedien große Beachtung geschenkt wird (vgl. Eilders und Hagen 2005, S.206).

Gleichzeitig wird hier auch ein erster Konflikt zwischen Medienlogik und konfliktpräventiver, deeskalierender und pazifistischer Medienberichterstattung sichtbar: Politische Konflikte erlangen meist erst dann massenmediale Aufmerksamkeit, wenn sie eskalieren und gewaltsam ausgetragen werden. Denn durch die Militarisierung eines Konflikts kann die inhaltliche Komplexität des politischen Konflikts auf die militärische Austragung desselben reduziert werden: Kurzfristige Ziele (z.B. militärische Siege) treten in den Vordergrund, da sie aktuell und eindeutig identifiziert und vermittelt werden können, die politischen Motive der einzelnen Akteure treten derweil jedoch in den Hintergrund. Dies erschwert es allen beteiligten Akteuren, in einen inhaltlichen Dialog über die politischen Interessen der jeweiligen Konfliktakteure und in einen beratenden Prozess zu treten. Besonders problematisch ist dieses Phänomen für den Unterlegenen, für den es so unweit schwieriger ist, seine politischen Forderungen zu vermitteln und (deeskalierende) politische Unterstützung, beispielsweise aus der Bevölkerung, für seine Interessen zu bekommen.

Aufgrund der Bedeutung für die politische Legitimation, die massenmedialer Kommunikation im Zeitalter der Massendemokratien zukommt, werden Ereignisse zunehmend medialisiert und entsprechend aufbereitet, um sie der Medienlogik (und insofern auch den Nachrichtenfaktoren) anzupassen. Vor diesem Hintergrund wird in der Aktualität häufig von einer Mediendemokratie gesprochen (vgl. u.a. Schatz, Rösler, Nieland 2002; Sarcinelli 2005). In bewaffneten Konflikten ist diese Situation besonders problematisch: Politische Akteure versuchen, die Medien für ihre Darstellung der Ereignisse zu instrumentalisieren. Gleichzeitig sind die Medien aber nicht als »neutrale Leinwand« zu betrachten, „auf die die Konfliktparteien ihre Bilder vom Krieg projizieren können“ (Brüggemann und Weßler 2009, S.635). Sie sind vielmehr ebenso ein politischer Akteur, der allerdings auch die sich im Spannungsfeld zueinander befindenden Interessen seiner Kundschaft (sowohl Mediennutzer bzw. Rezipienten als auch Anzeigenkundschaft) und Informanten (Militär, Regierung, politische Elite u.a.) berücksichtigen muss.

Die Medialisierung von Kriegen

Mit dem Aufkommen erster Tageszeitungen begann auch die mediale Begleitung von Kriegen. Der Krimkrieg (1853-1856) wurde als erster von Journalisten unabhängiger Tageszeitungen begleitet; die Medien erkannten den ökonomischen Mehrwert der Kriegsberichterstattung. Um dem Kontrollverlust durch unabhängige Kriegsberichterstattung vorzubeugen bzw. ihn zu vermeiden, entwickelten Staaten in den folgenden Weltkriegen Strategien zur Informationskontrolle und Staatspropaganda. Die Relevanz der Medien wurde mit der erstmaligen audiovisuellen Berichterstattung während des Vietnam-Kriegs besonders deutlich: Zwar wurde die Informationslage durch das US-Militär kontrolliert, jedoch führte die audiovisuelle »Teilhabe« am Krieg auch zu einer wachsenden Aufmerksamkeit in den USA. Die Bilder sorgten für eine stärkere Empathie mit den Opfern des Krieges einerseits, den eigenen, fallenden Soldaten andererseits und wirkten sich anfangs kriegsbefürwortend, später zunehmend kriegskritisch aus.

Als Reaktion auf die Bedeutung der Medien für die öffentliche Meinungsbildung zu kriegerischen Handlungen bildete sich parallel zur technologischen Entwicklung der Massenmedien (Live-Berichterstattung ) in den USA eine zunehmende Informationskontrolle durch Exekutive und Militär aus: Während im zweiten Golfkrieg 1990/91 nur ausgewählte Journalisten Einsätze begleiten durften und ihr Material untereinander teilen mussten (Pool-System), wird die Informationslage seit dem Afghanistankrieg durch »Embedded Journalism« und eine Informationsdoktrin kontrolliert, die die Informationsüberlegenheit zur Priorität allen militärischen Handelns erhebt (vgl. Szukala 2005). Insofern wurde anerkannt, dass der Krieg auch durch die Informationshoheit und Öffentlichkeitsarbeit (PR) entschieden wird: um Gegner einzuschüchtern, Alliierte für eine Unterstützung zu gewinnen und die eigene Bevölkerung für eine scheinbar unumgängliche militärische Lösung zu motivieren. Hierfür hat das US-Militär verschiedene Strategien entwickelt, die sich sowohl an die eigene Bevölkerung als auch an den Gegner wenden: die Störung der gegnerischen Informationsprozesse durch Überinformation (Information Overload), systematische Täuschungsmanöver (Deception) und die Vervielfältigung der Wirkung von Waffen durch Kommunikation (Force Multiplication). Diese durch die Exekutive beeinflusste Informationslage kann »Rally-around-the-flag«-Effekte verstärken, mit denen die Gesellschaft (und auch die Medienwelt) gegen den äußeren Feind geeint wird und sich hinter den Präsidenten stellt.

Der »Rally-around- the-flag«-Effekt

Die Wahrnehmung der Bevölkerung, »angegriffen zu werden« und »sich verteidigen zu müssen« ist ein essentielles Requisit, um einen Krieg legitimieren und durchsetzen zu können. Die Beteiligung eigener Soldaten an einem als unvermeidlich angesehenen Konflikt kann zu einem (kurzfristigen) Bedürfnis nach patriotischer Berichterstattung führen, welches es den Medien zu Beginn einer Kriegshandlung erschwert, eine kritische Haltung einzunehmen: „Die öffentliche Meinung tendiert dazu, die Regierungsposition zu stützen und Kritik als unpatriotisch zu tabuisieren“ (Brüggemann und Weßler 2009, S.642). Diese »Rally-around-the-flag«-Effekte (RATF-Effekte, »sich um die Flagge scharen«) konnten sich bislang vor allem in den USA feststellen lassen, beispielsweise im Zuge internationaler Finanzkrisen oder bzgl. des Kampfes gegen den Terrorismus (ebd.).

Kulturelle und sozialpsychologische Phänomene können eine zentrale Rolle für die Anfälligkeit einer Gesellschaft für den RATF-Effekt und seine Ausprägung spielen. So spricht eine patriotische Grundhaltung der Bevölkerung dafür, sich als eine positiv konnotierte Ingroup zu verstehen, die, wenn sie sich von einer Outgroup angegriffen fühlt, diese negativ konnotiert und somit eine militärische Initiative leichter legitimieren kann. Für die Frage nach der Legitimation von Gewalt spielt hier eine besondere Rolle, welche Assoziationen eine Gesellschaft mit militärischer Gewalt verbindet: Sind mit ihr positive Assoziationen und Stolz verbunden, wie z.B. durch eine erkämpfte Unabhängigkeit, ist der RATF-Effekt wahrscheinlicher, als wenn militärische Gewalt negative Assoziationen weckt, wie es bislang in Deutschland der Fall war. Insofern handelt es sich bei der Frage nach einer kritiklosen Unterstützung von Regierungen immer auch um die Prägung eines Diskurses, der eine wahrgenommene reelle oder symbolische Bedrohung der eigenen Nation forciert. Nimmt die Bevölkerung diese Bedrohung als gegeben wahr, anstatt sie kritisch zu hinterfragen und nach alternativen Handlungsmöglichkeiten zu suchen, ist ein RATF-Effekt wahrscheinlicher und eine Abhängigkeit der Medien von der politischen Agenda größer.

Elitendissens und unpatriotischer Pazifismus

Für die Frage, ob die Massenmedien eine zur Regierungslinie alternative Deutung des Geschehens einbringen können, ist außerdem die Breite des Meinungsspektrums im politischen Establishment und innerhalb der Regierung als relevant zu erachten (vgl. Brüggemann & Weßler 2009). Ein Elitendissens und eine von der Regierungslinie distanzierte Opposition ist also förderlich für die Medienfreiheit. Unter den sozialpsychologischen Faktoren eines »Rally-around-the-flag«-Effekts jedoch ist er relativ unwahrscheinlich. Denn auch die politische Elite kann es sich nicht leisten, als unpatriotisch stigmatisiert zu werden. Hiermit wird deutlich, dass eine von der Regierung gewollte militärische Eskalation durch Medien und politische Opposition nur noch schwer zu vermeiden ist, sobald die Bevölkerung eine unmittelbare und essentielle Bedrohung der Nation wahrnimmt. Allerdings hat die Vergangenheit auch gezeigt, dass insbesondere der Verlust vieler eigener Soldaten in einem Krieg ohne Aussicht auf einen (schnellen) Erfolg zu einem Diskurswechsel führen kann (im Vietnamkrieg ebenso wie im Afghanistankrieg). In solch einer Situation können die Medien im Sinne von »media follows change« alternative Deutungsmuster anbieten, die eine friedensfördernde Position vertreten und eine schnelle Beendigung der militärischen Auseinandersetzung unterstützen. Diesbezüglich ist die Ausrichtung und Positionierung der Medien selbst sowie die Beschaffenheit des Mediensystems von besonderer Relevanz.

Autonomie der Medien und journalistisches Selbstbild

Der Grad der Autonomie der Medien selbst ist für eine kriegskritische Haltung gegenüber der Exekutive von zentraler Bedeutung. So schwächt eine starke Kommerzialisierung der Medien durch ihre Abhängigkeit von Werbekunden und Einschaltquoten die Handlungsfähigkeit und zwingt die Medien zu opportunistischem Handeln bzw. fördert die Tendenz, Publikumsmeinungen zu reproduzieren, statt stets neu zu hinterfragen (Brüggemann und Weßler 2005, S.647f). Ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem wie in Deutschland kann durch seine (weitgehende) Unabhängigkeit von nationaler Politik und Wirtschaft privat-kommerzielle Medien unter Leistungs- und Konkurrenzdruck setzen und so insgesamt das journalistische Niveau heben bzw. halten. Einen ähnlichen Effekt könnte auch ein pluralistisches Mediensystem haben, sofern es dezentral strukturiert und durch Qualitäts- bzw. Leitmedien geprägt ist. Auch ist die Frage entscheidend, ob die Medien von allen beteiligten Konfliktparteien genutzt werden. Dann stiegt der Druck, Informationen der Akteure zu überprüfen und so neutral wie möglich zu formulieren oder sogar eine Vermittlerfunktion zu übernehmen (ebd.).

Gleichzeitig spielt auch das Selbstbild der Journalisten eine zentrale Rolle: So kann sich das Bild des »neutralen Beobachters« auch negativ auf die Konfliktentwicklung auswirken, indem Kriegspropaganda möglicherweise unkommentiert wiedergegeben wird. Medienakteure können, je nach ihrer (Un-) Abhängigkeit gegenüber dem politischen System und anderen Faktoren, mehr oder weniger autonom Nachrichten deuten und kommentieren. Ebenso können sie auch bewusst eine ideologiegeleitete Haltung und politische Position beziehen. So ist der »Journalism of Attachment«, der sich besonders in den USA herausgebildet hat, als eine bewusste politische Positionierung der Journalisten im »Kampf gegen das Böse« zu verstehen. Er beinhaltet bewusst eine »patriotische« Parteinahme. Dies bedeutet nicht nur, sich hinter den Präsidenten zu stellen, sondern auch, offizielle Informationen nicht zu hinterfragen. Damit stehen sie oft einer friedlichen Lösung von Konflikten entgegen und befürworten den militärischen Weg (Hanitzsch 2004, S.179 ff.).

Medienfreiheit im Krieg?

Bereits zu Beginn des Artikels wurde auf die Problematik der Nachrichtenfaktoren eingegangen und festgestellt, dass die Medien aufgrund von Medienlogik und Orientierungsfunktion in kriegerischen Auseinandersetzungen dazu verleitet werden, zugrunde liegende Motive zu vereinfachen und militärische Fakten in den Mittelpunkt zu stellen. Hierdurch kommt es häufig zu einer verkürzten Darstellung der Konfliktursachen und der politischen Forderungen der Konfliktparteien, was unwillentlich zu einer weiteren Polarisierung des Konflikts beitragen kann. Gleichzeitig erweist sich die Informationsbeschaffung in Zeiten des Krieges für die Massenmedien als sehr problematisch, da die Regierungen, allen voran die USA, strategische Informationskontrolle als übergeordnetes Ziel militärischer Handlung definieren und den Zugang zu Informationen, wie zuletzt im Afghanistankrieg, von der Einbettung in die US-amerikanische militärische Infrastruktur abhängig machen. Für Journalisten ist also eine von der Regierung »unabhängige« Informationsbeschaffung in bewaffneten Konflikten und damit eine kritische Berichterstattung zunehmend schwierig geworden.

In diesem Kontext ist die Diversifizierung des bislang durch europäische und US-amerikanische Medien kontrollierten internationalen Mediensystems durch die Entstehung von international einflussreichen und von den USA und Europa unabhängigen Medienoutlets (z.B. Al Jazeera) zu begrüßen: CNN, BBC, Reuters u.a. müssen nun „mit einer jungen Generation politisch relativ unabhängigen Satelliten-Nachrichtenfernsehens aus der arabischen Welt um Informationen aus den Konfliktregionen im Nahen und Mittleren Osten und in der Berichterstattung über asymmetrische Konflikte wie den diffusen internationalen Terrorismus“ konkurrieren (Hahn 2005, S.241). Dies könnte sich positiv auf die journalistische Qualität und Unabhängigkeit der etablierten Medien auswirken.

Wenngleich es Konzepte wie den Watchdog- und den Friedensjournalismus gibt, die aktiv versuchen, die Informationshegemonie des Staates zu brechen und ihn zu kontrollieren, stellt sich bei beiden die Frage nach der Wirkung: Auch wenn ihre grundlegend pazifistische und kritische Haltung durchweg positiv zu beurteilen ist, so bleibt es für sie problematisch, an relevante Informationen zu kommen und diese zu überprüfen. Die USA schlossen im zweiten Golfkrieg beispielsweise kritische Berichterstatter aus dem »Pool-System« aus.

Wenn die Nachfrage für sensationsorientierten und verkürzenden Journalismus steigt und die Anerkennung investigativen Journalismus und/oder öffentlich-rechtlicher Mediensysteme (die eine gewisse Unabhängigkeit der Medien absichern können) sinkt, werden Watchdog-Journalismus und Friedensjournalismus weiterhin lediglich bei einer kleinen Minderheit Gehör finden – so wie es bei Indymedia und anderen Grassroots-Medien der Fall ist. Eine Ausnahme sind hier »Whistleblowers«, die aus dem System heraus (z.B. als Regierungsmitarbeiter oder Angestellte des Militärs) Informationen über Unstimmigkeiten, Lügen und Verbrechen medienwirksam an die Öffentlichkeit geben.1 Insgesamt bleibt aber fraglich, inwiefern sich durch Informanten aus dem Inneren des Systems und Untergrundmedien bewusste Fehlinformationen und Falschaussagen der Exekutive nicht nur aufdecken und evtl. öffentlichkeitswirksam entlarven lassen, sondern auch eine nachhaltige Wirkung erzielt werden kann.

Das Internet zeigt die wachsenden Möglichkeiten eines zivilgesellschaftlichen Bottom-Up-Journalismus, der unabhängig von der Exekutive recherchieren und internationale Verbreitung finden kann. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass das kostenfreie Internet höhere Medienkompetenzen beim Nutzer einfordert (bspw. die Auswahl seriöser Quellen) und auch Printmedien bedroht. Letztere können ihre Existenz oft nur noch durch Ausgabensenkung und eine höhere Abhängigkeit von Werbekunden sichern, was eine Qualitätskontrolle sowie die Überprüfung von Fehlinformationen erschwert. Hierdurch steigt die Wahrscheinlichkeit der Reproduktion von Falschaussagen – umso mehr, als gleichzeitig auch viele Informationsmedien aus dem Internet die Printmedien als Informationsquelle nutzen.

Medienkonsum darf also nicht nur als Informationsaufnahme verstanden werden, sondern auch als eine gesellschaftspolitische Grundhaltung. Die Qualität der Medien hängt dabei neben strukturellen, politischen, sozialen und kulturellen Faktoren auch von der kritischen Würdigung, Unterstützung und Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ab. Letztendlich ist Medienkonsum „immer auch ein dramatischer und ritueller Akt, in dem gesellschaftliche, kulturelle und subkulturelle Normen und Werte thematisiert und reproduziert werden“ (Krotz 1998, S.68). Inwiefern Massenmedien sich unabhängig von der politischen Agenda bewegen (können), ist also auch eine Frage der Nachfrage.

Anmerkungen

1) Zum Beispiel Daniel Ellsberg, der mit der Veröffentlichung der »Pentagon-Papiere« (geheimer Akten über die US-Kriegsführung in Vietnam) zum Ende des Vietnamkrieges beitrug, oder auch Bradley E. Manning, der beschuldigt wird, u.a. geheime US-Militärdokumente über den Beschuss und den Tod irakischer Zivilisten an Wikileaks weitergegeben zu haben.

Literatur

Brüggemann, Michael und Weßler, Hartmut (2009): Medien im Krieg. Das Verhältnis von Medien und Politik im Zeitalter transnationaler Konfliktkommunikation. In: Politische Vierteljahresschrift, Nr. 42, hrsg. von Marcinkowski, Frank und Pfetsch, Barbara, S.635-657.

Hahn, Oliver (2005): Arabisches Satelliten-Nachrichtenfernsehen. In: Themenheft »Medialisierte Kriege und Kriegsberichterstattung«. Medien & Kommunikationswissenschaft, hrsg. von Eilders, Christiane und Hagen, Lutz M., 53. Jg., 2005/2-3, S.241 ff.

Hanitzsch, Thomas (2004): Journalisten zwischen Friedensdienst und Kampfeinsatz. Interventionismus im Kriegsjournalismus aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. In: Martin Löffelholz (Hrsg.): Krieg als Medienereignis II: Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert (War as Media Event: crisis communication in the 21st century). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S.169-193.

Krotz, Friedrich (1998): Kultur, Kommunikation und die Medien. In: Saxer, U. (Hrsg.): Medien-Kulturkommunikation. Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung, Sonderheft 2/1998, S.67-85.

Szukala, Andrea (2005): Informationsoperationen und die Fusion militärischer und medialer Instrumente in den USA. In: Themenheft »Medialisierte Kriege und Kriegsberichterstattung«. Medien & Kommunikationswissenschaft, hrsg. von Eilders, Christiane und Hagen, Lutz M. (Hrsg.), 53. Jg., 2005/2-3, S.222 ff.

Wolfsfeld, Gadi (1997): Media and Political Conflict. News from the Middle East. Cambridge: Cambridge University Press.

María Cárdenas Alfonso ist Staats- und Kommunikationswissenschaftlerin (B.A.). Zurzeit studiert sie Friedens- und Konfliktforschung (M.A.) an der Philipps-Universität Marburg und ist Mitglied des Redaktionsteams von W&F.

Computerspiele: Friedensjournalismus vs. Kriegspropaganda

Computerspiele:
Friedensjournalismus vs. Kriegspropaganda

von Michael Schulze von Glaßer und Rune Ottosen

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 1/2012
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden

Krieg aus Bits und Bytes

von Michael Schulze von Glaßer

Videospiele gehören heute vor allem für junge Menschen zum Alltag. Spiele, die Militär und Krieg darstellen, erfreuen sich besonderer Beliebtheit. Die in den Militärspielen erzählten Geschichten sind dabei oft politisch brisant. Die Spieleentwickler arbeiten nicht selten eng mit der Waffenindustrie und dem Militär zusammen oder sind sogar selbst in der Rüstungsbranche tätig.

Gemäß einer Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung betrug der Umsatz mit Videospielsoftware in Deutschland im Jahr 2010 insgesamt 1,86 Mrd. Euro.1 Das ist ein Wachstum von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Über 22 Millionen Bundesbürger spielen virtuelle Spiele. Das am 28. Oktober 2011 in Europa veröffentlichte First-Person-Shooter-Videospiel (Ego-Shooter) »Battlefield 3« des US-Herstellers Electronic Art ging in den ersten beiden Verkaufswochen allein in der Bundesrepublik über 500.000 Mal über die Ladentheke.2 Bis Ende November 2011 wurden weltweit zwölf Millionen Exemplare des Videospiels an den Einzelhandel ausgeliefert, von denen zu diesem Zeitpunkt bereits acht Millionen verkauft waren.3 Solche Verkaufszahlen sind kein Einzelfall. Der Anfang November 2011 erschienene dritte Teil der Reihe »Call of Duty: Modern Warfare« machte innerhalb von 17 Verkaufstagen mehr als eine Milliarde US-Dollar Umsatz.4 So erreichen militärische Videospiele heute ein Millionenpublikum und bringen den Herstellern Milliardenumsätze.

Kritische Debatten über Videospiele kreisen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit in der Regel um die Frage der dargestellten Gewalt. Welche politischen Aussagen die Spiele verbreiten, spielt hingegen kaum eine Rolle. Es wird über äußere Formen, nicht über die Inhalte der Videospiele diskutiert.5 Dabei sind die in den Spielen erzählten Geschichten oft hoch brisant, ebenso das Geschäftsgebaren der hinter den Spielen stehenden Firmen.

Westliche Feindbilder

Um gute Verkaufszahlen zu erreichen, bedarf es bei heutigen Videospielen nicht mehr nur einer guter Grafik und eines guten Sounds, sondern auch einer guten Geschichte. Dabei folgen digitale Spiele dem Trend in der Filmindustrie: je brisanter die Story, desto besser.

„Wir wollten das Spiel so schlüssig wie möglich wirken lassen, denn wenn die Spieler nicht mehr daran glauben, dass das alles wirklich so und nicht anders passieren könnte, hat man nur noch einen ganz normalen Shooter von der Stange“, erklärt etwa David Goldfarb, Lead Designer und Lead Writer des schon erwähnten Blockbuster-Videospiels »Battlefield 3«.6 „Es muss sich real anfühlen, es soll Emotionen hervorrufen“, beschreibt Goldfarb das Ziel der Spiele-Entwickler weiter.

Der Militär-Shooter versetzt den Spieler als US-Soldat im Jahr 2014 in den Irak. Laut Szenario ist dort die paramilitärische iranische Truppe »People’s Liberation and Resistance« (PLR) einmarschiert. Im Verlauf des Spiels stürmen US-Soldaten in einem Gegenschlag Teheran, um den iranischen Machthaber zu ergreifen. In der Wüste vor der iranischen Hauptstadt reiben US-Panzer iranische Truppenverbände auf.

So wundert es nicht, dass das Spiel zum Politikum wurde: Im Iran wurde der Verkauf des Spiels kurz nach seiner Veröffentlichung verboten. Eine Gruppen namens »Iranische Jugend« soll eine Online-Petition gegen das Videospiel gestartet haben: „Wir wissen, dass die Geschichte in einem Videospiel hypothetischer Natur ist, […aber] glauben auch, dass das Spiel absichtlich zu einer Zeit veröffentlicht wurde, in der die USA der internationalen Gemeinschaft Angst vor dem Iran machen wollen“, wird die Petition zitiert, die mehr als 5.000 Unterzeichner haben soll.7

Zudem planen iranische Programmierer eine Art »Gegenspiel«: Das von der iranischen National Foundation of Computer Games finanzierte Spiel soll den Namen »Attack on Tel Aviv« tragen.8 Dies passt zwar zu aktuellen politischen Verlautbarungen aus dem Iran, verwundert aber doch, da es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass Israel oder israelische Firmen an der Entwicklung von »Battlefield 3« beteiligt waren.

Sollte das iranische Spiel realisiert werden, wäre es eine Ausnahme: Videospiele werden überwiegend von westlichen Firmen oder zumindest für den westlichen Markt entwickelt und erzählen ihre Geschichten nahezu ausschließlich aus westlicher Sicht. Daher gibt es in »Battlefield 3« neben dem Iran noch einen weiteren Antagonisten: russische Ultranationalisten, die den Iran unterstützen. In vielen Videospielen wird Angst vor einem Wiedererstarken Russlands geschürt. In der schon erwähnten Reihe »Call of Duty: Modern Warfare« etwa stürzen russische Ultranationalisten die Erde mit Terror und List in einen Dritten Weltkrieg. In »Modern Warfare 3« werden auch Berlin und Hamburg zum Schlachtfeld.9 Millionen Spielern wird so beigebracht, grundlegendes Misstrauen gegenüber russischer Politik zu entwickeln. Auch das Luftkampf-Videospiel »Tom Clancy’s H.A.W.X. 2« stößt in diese Richtung: Russische Militärs lassen einige Atombomben verschwinden, bedrohen damit die Welt und putschen sich an die Macht.

Virtuelle Waffensysteme

Bei Videospielen, die wie die oben genannten in der Gegenwart oder der nahen Zukunft angesiedelt sind, greifen die Software-Entwickler für die virtuelle Darstellung gern auf reales Militärgerät zurück. Auch von deutschen Rüstungsunternehmen produzierte Waffen sind immer häufiger spielbar.

Im Frühjahr 2011 erschien in Deutschland das Videospiel »Elements of War« des russischen Spieleentwicklers Lesta Studios. In dem 3D-Echtzeit-Strategiespiel stehen sich nach einer Klimakatastrophe im Jahr 2022 die USA, Russland und eine »Europäische Allianz« gegenüber. Der Krieg wird dabei unter anderem mit Kampfpanzern vom Typ Leopard 2A5 und Spähwagen vom Typ Fennek ausgefochten.10 Beide Fahrzeuge werden in der realen Welt vom deutschen Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) in München und Kassel hergestellt. Auch der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern ist mit Fahrzeugen vertreten: Das modular aufgebaute »Geschützte Fahrzeugsystem«, kurz »GeFas«, existiert in der Realität bislang zwar nur als Studie, in »Elements of War« ist es aber bereits voll einsatzbereit und sogar mit Rheinmetall-Logo versehen. Das gepanzerte Transportfahrzeug Boxer, eine Gemeinschaftsentwicklung von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall, wird bei der Bundeswehr gerade erst eingeführt, ist in dem Videospiel aber ebenfalls schon spielbar. Waffen aus Deutschland sind für virtuelle Schlachtfelder beliebt.

So auch im bereits erwähnten Luftkampf-Spiel „H.A.W.X. 2“: „Die neuesten Technologien der weltweit größten Verteidigungsunternehmen und der fortschrittlichsten Militärfirmen stehen dem Spieler in H.A.W.X. 2 zur Verfügung, darunter über 40 lizenzierte Flugzeuge und Prototypen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Spieleentwicklers UbiSoft.11 Unter den lizenzierten Flugzeugen ist auch der Eurofighter Typhoon, der von der Eurofighter Jagdflugzeug GmbH mit Sitz in Hallbergmoos bei München produziert wird.

Ob das Unternehmen für das Videospiel nur die Lizenz zur Darstellung seines Flugzeugs vergegeben hat oder darüber hinaus anderweitig mit UbiSoft kooperiert, wollte das deutsche Rüstungsunternehmen nicht beantworten. Auch der Rheinmetall-Konzern schweigt zur Darstellung seiner Waffen in »Elements of War«. Einzig Krauss-Maffei Wegmann gibt an, bislang keine Videospielproduktion unterstützt zu haben: „KMW unterstützt die Hersteller von Computerspielen ausdrücklich nicht“, so ein Sprecher des Unternehmens.12 Allerdings scheint sich die Rüstungsfirma auch nicht daran zu stören, wenn ihre Panzerfahrzeuge in Spielen dargestellt werden.

Besonders bei großen Waffensystemen wie Kampfflugzeugen, Hubschraubern oder Panzern hat die Darstellung in Videospielen einen legitimierenden Effekt für die Rüstungsindustrie. Bekommt der Spieler etwa Kampfjets im Alltag kaum zu Gesicht, kann er vor dem Bildschirm gleich selbst ins Cockpit steigen und abheben.13 Und bei entsprechender Begeisterung für ein Hightech-Waffensystem lassen sich die meist horrenden Kosten einfacher legitimieren.

Software für Schießsimulatoren

Militärische Videospiele werden heute nicht selten von Waffenherstellern oder Armeen unterstützt. Es geht aber auch andersrum.

Crytek GmbH ist der Name eines der erfolgreichsten Software-Unternehmen in Deutschland. Mit First-Person-Shootern wie »Far Cry« und »Crysis« erlangte das 1999 gegründete Unternehmen mit heutigem Sitz in Frankfurt am Main weltweit Bekanntheit. Vor allem die von Crytek entwickelte Spiele-Engine – die visuelle, akustische sowie physikalische Darstellung im virtuellen Raum – wird von Spielern wie von der Fachwelt gelobt. Crytek wurde für ihre Engine sogar der »Deutsche Entwicklerpreis 2011« (German Game Developer Award) in der Kategorie »Gamestechnologie« verliehen. Der Preis wird von der Akademie des Deutschen Entwicklerpreises vergeben und vom Medienministerium und der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen gefördert.14 Die ausgezeichnete Entwicklungslösung »CryENGINE« ermöglicht eine so perfekte Simulation der Realität, dass sich nicht nur andere Videospiel-Hersteller dafür interessieren, auch das Militär gehört inzwischen zum festen Crytek-Kundenstamm. Viele Rüstungsunternehmen setzen die Software aus Frankfurt in ihren Trainingssimulatoren ein, u.a. die US-Militärkonzerne Lockheed Martin und Intelligent Decisions; letztere statten die US-Armee zurzeit mit 102 mobilen Infanterie-Simulatoren aus.15 Die Schlachtfelder im Trainingssimulator »Dismounted Soldier« werden mithilfe der CryENGINE entworfen. Das Projekt hat ein Budget von 57 Millionen US-Dollar und soll die Simulation von Kampfeinsätzen mithilfe von Virtual-Reality-Helmen besonders realistisch machen.

Auch der deutsche Kriegsschiffbauer ThyssenKrupp Marine Systems nutzt die CryENGINE. Die Firmentochter Blohm + Voss entwickelt aktuell das so genannte Virtual Ship Training and Information System (ViSTIS), einen Simulator für das Training von Schiffsbesatzungen. „In der virtuellen Simulationsumgebung lassen sich sowohl Routineaufgaben als auch Not- und Gefechtssituationen realistisch ausbilden, ohne Mensch oder Material zu gefährden“, heißt es in einer Konzernbroschüre.16 Zudem könnten durch den Einsatz des Simulators Kosten gespart und die Qualität der Ausbildung hoch gehalten werden: „Der hohe Realitätsgrad basiert auf einer realistischen Echtzeitvisualisierung mit Hilfe der CryEngine 3, einer der weltweit führenden »Game Engines« des Computerspiele-Herstellers Crytek.“ 17

In der Bundeswehr kommt die Lösung ebenfalls zum Einsatz: Der französische Rüstungskonzern Thales entwickelt aktuell mithilfe der CryENGINE 3 einen neuen Schießsimulator für die deutsche Armee.18 Das unter der Bezeichnung »SAGITTARIUS-Evolution« laufende Projekt soll die Armee u.a. in die Lage versetzen, mit einfachen Geodaten Trainingsszenarien mit unmittelbarem Einsatzbezug zu erstellen. Dazu werden Satellitenbilder mit Höhendaten und Informationen über die Vegetation gepaart und ergeben nach abschließender Detailarbeit ein realitätsnahes Bild der gewünschten Region. Egal wo also der nächste Auslandseinsatz der Bundeswehr ausgetragen wird, der Schießsimulator lässt sich einfach darauf programmieren.

Weitere Hersteller militärischer Videospiele sind inzwischen direkt in der Rüstungsbranche tätig. Am erstaunlichsten vollzog sich dieser Wandel beim Software-Unternehmen Bohemia Interactive aus der Tschechischen Republik. 2001 veröffentlichten die Programmierer das kommerzielle Videospiel »Operation Flashpoint«. Das Militär fand an dem Spiel Gefallen, und Bohemia Interactive entwickelte mit der »Operation Flashpoint«-Engine den Trainingssimulator »Virtual Battlespace 1«. Später folgte der »Virtual Battlespace 2« mit einer neueren Engine. Und für seinen Auftritt auf der ITEC 2011 in Köln, der größten Messe für Militärsimulatoren in Europa, warb das Unternehmen bereits so: „Bohemia Interactive Simulations ist ein weltweit führender Anbieter von Simulationstechnologien und integrierten Lösungen für die Ausbildung militärischer und ziviler Organisationen rund um den Globus.“ 19

Die Trainingssoftware bietet wie beim Videospiel eine detaillierte, dreidimensionale Umgebung und die Möglichkeit, mit einem Editor eigene Missionen zu programmieren. So werden Soldaten etwa virtuell in die Landschaft von Afghanistan versetzt und lernen, an einem Checkpoint Autos anzuhalten. Dabei sitzen die trainierenden Soldaten oft nicht einfach nur vor einem Computer, sondern in realgetreuen Fahrzeugen, die ins Training integriert werden. Die Soldaten sitzen dann wie gewohnt am Maschinengewehr ihres Militärfahrzeugs, und um sie herum wird die Trainingssoftware auf Leinwände projiziert. „Etwa fünfzehn Armeen nutzen unsere Simulationssoftware heute, und die Liste wächst ständig“, erzählte Martin Vaòo, Senior Designer bei Bohemia Interactive stolz.20 Vor allem NATO-Streitkräfte würden das Programm nutzen, darunter auch die Bundeswehr.

Für Bohemia Interactive lohnt sich die Zweigleisigkeit: 2009 machte das Unternehmen aus Prag mit Videospielen einen Umsatz von sechs Millionen Dollar, während die Rüstungssparte mit ihren Trainingssimulatoren sieben Millionen Dollar umsetzen konnte.21 Als »Operation Flashpoint« 2001 erschien, hatte die tschechische Videospielschmiede acht Mitarbeiter, heute arbeiten für die Bohemia Interactive-Gruppe 140 Menschen rund um den Globus.

Die Bundeswehr im Spiel

Seit sich die Bundeswehr zunehmend an Auslandseinsätzen beteiligt, wird sie auch selbst in immer mehr kommerziellen Videospielen zum Akteur.

Im Ende 2011 erschienenen Luftkampf-Spiel »Ace Combat: Assault Horizon« kann der Spieler mit Eurofighter-Kampfjets samt Bundeswehr-Logo – dem Eisernen Kreuz – auf die Jagd nach feindlichen Flugzeugen gehen. Auch im Strategiespiel »Wargame – European Escalation«, das 2012 erscheinen soll, wird der Spieler mit Leopard-Kampfpanzern und Marder-Schützenpanzern der Bundeswehr in einen fiktiven Krieg geschickt.

Doch die deutsche Armee kommt nicht nur in Neuerscheinungen zum Zug. In jüngster Vergangenheit erschienen zahlreiche Spiele, die deutsches Militär und die Einsätze der Bundeswehr thematisieren. In dem 2009 veröffentlichten First-Person-Shooter »Terrorist Takedown 2« des Unternehmens »City Interactive« gehören Bundeswehr-Soldaten zu den Hauptprotagonisten. Das Szenario hätte sich selbst die Image-Abteilung der Bundeswehr nicht besser ausdenken können: „JOURNALISTEN ENTFÜHRT! Zwei Tage nach der Geiselnahme. Die Regierung beginnt, mit den Terroristen über die Freilassung der Journalisten zu verhandeln. Aber die Forderungen der Entführer scheinen unerfüllbar! Als Soldat einer Spezialeinheit ist es Ihre Aufgabe, die Geiseln aus den Händen der Terroristen zu befreien und sie lebend zurückzubringen […]“ Die deutsche Militäreinheit heißt im Spiel »Spezialkräfte Kommando« und ist klar an die real existierende Elitetruppe »Kommando Spezialkräfte« (KSK) angelehnt. Der Ort des Spielgeschehens erinnert an Afghanistan: kleine Dörfer und Märkte, öde und dürre Landschaft sowie kahle Berge.

Auch in Flugsimulationen kommt die Bundeswehr zum Zug: Die deutsche Softwarefirma »Halycon Media« etwa veröffentlichte 2010 die Erweiterung »Jagdgeschwader 73« für den Microsoft Flight Simulator. Wie bei der echten Luftwaffen-Einheit heben die Eurofighter- und Phantom-Kampfjets im Spiel vom Flugplatz Rostock-Laage ab. Der Hersteller verspricht eine authentische Nachbildung des Fliegerhorstes der Bundeswehr.22 Auch die Flugzeuge sind bis ins Detail an die Originale angepasst, selbst die Flugzeug-Kennungen entsprechen denen realer Maschinen. Im September 2011 folgte mit »Jagdbombergeschwader 31« eine Erweiterung: Nun kann auch in Tornado-Kampfjets der Bundeswehr abgehoben werden.23

Die Bundeswehr wird aber nicht nur von kommerziellen Herstellern in Spiele integrieren. Für den 2005 erschienenen First-Person-Shooter »Battlefield 2« entwickelten Hobbyprogrammierer eine »Operation Peacekeeper« genannte Modifikation. Darin können allerlei Bundeswehr-Fahrzeuge bewegt werden. Die fiktive Geschichte von »Operation Peacekeeper« greift den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr auf und setzt am 22. Dezember 2004 ein: „Bei einem Treffen zwischen Deutschen und serbischem Militär wird ein serbischer Offizier durch einen Heckenschützen erschossen. Daraufhin kommt es durch Missverständnisse zu einem Feuergefecht zwischen der Bundeswehr und dem serbischem Militär, wobei es auf beiden Seiten Verluste gibt. Der Konflikt weitet sich aus, nachdem serbische und deutsche Panzer sowie deutsche Bo 105 Helikopter zur Unterstützung anrücken.“ 24

Trotz der zahlreichen und teils detaillierten Darstellungen der deutschen Armee in Videospielen weist das Verteidigungsministerium jede Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den Herstellern zurück: Es existierten keine Kooperationen zwischen kommerziellen Videospiel-Anbietern und der Bundeswehr, teilte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage mit. Für die Verwendung des Abzeichens der Bundeswehr gebe es zudem strikte Regeln: „Das Bundeswehrlogo darf nur mit Genehmigung der Bundeswehr verwendet werden“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Bisher hätte man eine solche Genehmigung noch nie erteilt. Auf welcher rechtlichen Grundlage die Bundeswehr etwa in »Ace Combat« und den Flugsimulatoren von »Halycon Media« dargestellt wird, bleibt offen: Die Softwarefirmen reagierten nicht auf entsprechende Anfragen, und die Bundeswehr geht offensichtlich nicht gegen die unautorisierte Nutzung ihres Logos vor.

So tragen beide Seiten Nutzen davon: Die Unternehmen können den Käufern ein realitätsnahes Kriegsszenario bieten, und die Bundeswehr freut sich über den Werbeeffekt, wird die deutsche Armee in den Spielen doch meist positiv dargestellt. Dies ist gerade in Zeiten anhaltenden Nachwuchsmangels höchst willkommen.

Spiele der Bundeswehr

»Helicopter-Mission« war 1994 der Name des ersten von der Bundeswehr veröffentlichten Computerspiels. Im Spiel wurden – entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Diskussion um Out-of-area-Einsätze – von den Spielern mit Bundeswehrhubschraubern ausschließlich Hilfs- und Rettungsmissionen geflogen. Das Ganze erschien in einer 2D-Grafik. Die Veröffentlichung des Spiels während der Diskussion um eine Neubestimmung der Rolle der Bundeswehr war gut geplant: In »Helicopter-Mission« wurde explizit auf die neuen Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr Bezug genommen.25 Jugendoffiziere verteilten das Spiel damals kostenlos. Es gab eine DOS-Version und eine Version für das Computersystem Amiga. Für damalige Verhältnisse soll das Spiel sehr reizvoll gewesen sein, auf modernen Computern läuft es nicht einmal mehr.

Sechs Jahre später, im Jahr 2000, veröffentlichte die Bundeswehr auf ihrer Rekrutierungswebsite treff.bundeswehr.de das Browser-Spiel »Luna-Mission«.26 Dabei steuerte der Spieler aus einer 2D-Vogelperspektive eine Aufklärungsdrohne des Typs Luna, die von der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan eingesetzt wird. Der Spieler sollte feindliche Panzer, Kämpfer, Waffen, Stellungen und Hubschrauber ausfindig machen; für aufgeklärtes Militärgerät gab es Punkte. Es galt, innerhalb einer vorgegebenen Zeit eine bestimmte »Aufklärungsquote« zu erfüllen. Das Spiel bestand aus vier Missionen: Die erste spielte in einer ländlichen Region, die zweite zeigte Stadtgebiet, die dritte ein Hafen- bzw. Industriegebiet und die letzte Mission spielte entlang eines Flusslaufs. Die Level erinnern vom Design an den Kosovo. 2002 begründeten einige Pädagogen und Publizisten einen Indizierungsantrag gegen treff.bundeswehr.de u.a. mit der Bereitstellung von »Luna Mission«.27 Sie sahen in den Inhalten der Website eine Verharmlosung des Kriegshandwerks. Judith Gerlach vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Bonn, tätig im Referat »Kinder- und Jugendschutz/Schutz vor Gewalt« blockte den Antrag allerdings ab: „Das Verteidigungsministerium verfolgt den konzeptionellen Ansatz, dass Computerspiele hier [auf der Website treff.bundeswehr, d A.] ein gutes Mittel sind, um Erstinformationen zur Bundeswehr mit eher spielerischen Aspekten und Unterhaltung zu verbinden. Unter den vier eingestellten Spielen ist kein Spiel, das aktiv militärisches Handwerk oder Ausrüstungsgegenstände der Bundeswehr aufgreift. Dies ist bewusst so geschehen. Es kommt bei diesen Spielen auf Merkfähigkeit, Schnelligkeit, Geschick und auch Allgemeinwissen an. Dies entspricht auch den Internet-Nutzungsgewohnheiten dieser jüngeren Jugendlichen. Die Spiele werden von der Zielgruppe besonders gut angenommen.“ 28 Allerdings: »Luna Mission« stellte sehr wohl einen Ausrüstungsgegenstand der Bundeswehr dar. Die Drohne »Luna« kam schon 2000 im Kosovo zum Einsatz,29 wurde jedoch erst 2003 offiziell bei der Bundeswehr in Dienst gestellt. Das Spiel wurde 2009 von der Website entfernt, laut Regierungsauskunft „aus technischen Gründen“,30 obwohl die 1,1 MB kleine exe-Datei auch heute noch ohne Probleme auf modernen Computern läuft.

Nach den beiden militärischen Spielen »Helicopter Mission« und »Luna Mission« wurden die von der Bundeswehr veröffentlichten Computerspiele zivil. Heute gibt es nur noch Sportspiele. Heute bietet die Bundeswehr ihre Browser-Games (siehe Tabelle) auf treff.bundeswehr unter folgendem Motto an: „Schalte vom Alltagsstress ab und spiele ein cooles Game.“

Kürzlich waren die Bundeswehr-Spiele Thema im Bundestag. Die Fraktion DIE LINKE wollte wissen, wie „die Bundesregierung den Bedarf und die Zweckmäßigkeit von Computer-/Videospielen für die Öffentlichkeitsarbeit und die Personalwerbung der Bundeswehr“ beurteilt. Die Antwort der Regierung könnte widersprüchlicher kaum sein: „Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr sieht keinerlei Bedarf und Zweckmäßigkeit von Computer-/Videospielen für ihre Arbeit! Computer-/Videospiele dienen im Rahmen des Personalmarketings der Bundeswehr der Interessentenbindung und der jugendgerechten Unterhaltung. Sie werden zielgruppengerecht auf Onlineportalen der Bundeswehr angeboten.“ 31 Die Spiele würden sich an 14- bis 21-Jährige richten und dienten auch zur Bewerbung von Jugendsportevents der Bundeswehr.

Aktuelles Spieleangebot auf treff.bundeswehr.de

Name des Spiels Spieleinhalt Erscheinungsjahr Hersteller Kosten für die Bundeswehr
Das verrückte Turmspiel Denkspiel 2002 Trend Service GmbH keine Angaben
Ballkünstler Fußball oben halten 2006 Salon 21 2.500 Euro
Beachsoccer – „Das Spiel für Scharfschützen“ Torwandschießen 2007 EURO RSCG ABC ≥ 5.800 Euro
Feel the Beat of the Street Streetball-Spiel 2008 EURO RSCG ABC 5.300 Euro
Beachvolleyball Volleyballspiel 2009 EURO RSCG ABC 5.000 Euro
Schwimm um die Wette Wettschwimmen 2010 Media Consulta 9.300 Euro

Verfehlter Jugendmedienschutz

In Deutschland sorgt die »Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle« (USK) für die Altersfreigabe von Videospielen. Die Institution gibt es seit 1994, und sie hat seit ihrer Gründung über 30.000 Videospiele auf ihre Kinder- und Jugendtauglichkeit geprüft.32 Die USK wird getragen durch die Freiwillige Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware GmbH. Gesellschafter sind der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. und der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen G.A.M.E. e.V., zwei Industrieverbände der Videospiele- und Computer-Industrie. Vor Veröffentlichung in Deutschland muss ein Videospiel samt Lösungsweg der USK vorgelegt werden. Die Sichter der USK spielen das Spiel durch und erstellen eine Präsentation, die beispielsweise Schlüsselszenen des Spielverlaufs enthält. Weder die USK noch die Sichter geben eine Altersbewertung ab, sondern präsentieren das Spiel einem Prüfgremium. Dieses besteht aus vier Jugendschutzsachverständigen und einem Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden (OLJB).33 Die Sachverständigen geben aufgrund der Präsentation eine Empfehlung für die Altersfreigabe ab, die der Vertreter der OLJB annehmen oder mit seinem Veto belegen kann. Das besondere Augenmerk der am deutschen Jugendmedienschutz Beteiligten liegt auf der Darstellung von Gewalt, aus friedenspolitischer Sicht reicht das aber nicht aus.

So beanstandet etwa der Buchautor und Friedensaktivist Peter Bürger das dem heutigen Jugendmedienschutz zugrunde liegende Gewaltparadigma: „Bei den herrschenden Kriterien kann man problemlos ein Kriegspropagandaspiel für Kinder und Jugendliche ins Sortiment schleusen.“ 34 Die wirksamste Propaganda sei ohnehin immer subtil, werde also durch vordergründige Gesichtspunkte gar nicht beeinträchtigt. Bürger fordert daher ein Umdenken: „Es ist ein großer Unterschied, ob man sich im engen Sinne auf psychologische Wirkungshypothesen zur »Mediengewalt« bezieht oder den in UN-Charta, Verfassung und Völkerrecht manifestierten Zivilisationskonsens beispielsweise einer Ächtung des Krieges zum Ausgangspunkt nimmt.“ Gewaltdarstellung allein sei nicht das Problem, denn die könne ein wichtiges Moment von sehr menschlichen und kritischen Kunstwerken sein: „Gewaltdarstellung kann sogar unter bestimmten Umständen friedensfördernd sein“, so der 2006 für seine Bücher über die Darstellung des Militärs in Filmen mit dem Bertha-von-Suttner-Preis der Deutschen Friedensgesellschaft ausgezeichnete Autor. Wichtiger als ein vordergründiger Blick auf die Gewaltdarstellung ist laut Bürger die Kritik der „politischen Drehbücher“ von Videospielen und Filmen.35

Beim heutigen Jugendmedienschutz stellt sich außerdem die Frage, ob Altersfreigaben in Zeiten von – legalen und illegalen – Internet-Downloads und Videospiel-Importen aus dem Ausland überhaupt noch etwas nützen. „Natürlich kann jede Regel auch umgangen werden“, räumt Felix Falk von der USK ein. Letztlich bleibe die Kontrolle der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen immer eine der wichtigsten Aufgaben der Eltern: „Das kann ihnen kein Gesetz und kein Kennzeichen abnehmen.“ Die USK biete den Eltern daher vielseitige Informationen über Videospiele.36

Der beste Jugendmedienschutz ist also Aufklärung – doch ob ein Staat, der Krieg führt, die jungen Leute zu Frieden und Gewaltfreiheit aufklärt, darf getrost bezweifelt werden.

Anmerkungen

1) Games-Report 2011 – Zahlen und Fakten zur deutschen Games-Industrie. Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V.; biu-online.de.

2) Linken, Andre: Battlefield 3 – Shooter bricht Verkaufsrekord in Deutschland. gamestar.de, 16. November 2011.

3) Schneider, Christian: Battlefield 3 – Verkaufszahlen klettern auf 8 Millionen. gamestar.de, 30. November 2011.

4) ActivisionPublishing Inc.: Call of Duty – Modern Warfare 3 generiert mehr als 1 Milliarde US Dollar Umsatz in nur 16 Tagen. Pressemitteilung, 12. Dezember 2011.

5) Schiffer, Christian: Machtspiele im digitalen Sandkasten – wie politisch sind Computerspiele? In: Inderst, Rudolf Thomas/Just, Peter (Hrsg.) (2011): Contact – Conflict – Combat. Zur Tradition des Konflikts in digitalen Spielen. Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch, S.71.

6) Goldfarb, David: Battleblog #10. Die Entwicklung einer fesselnden, auf Authentizität beruhenden Geschichte. battlefield.com/de.

7) Davari, Mohammad: Iran bans US video game showing Tehran invasion. AFP, 28. November 2011.

8) Fars News Agency: Iran to Respond to »Battlefield 3« with »Attack on Tel Aviv« Computer Game. 10. Dezember 2011.

9) Schulze von Glaßer, Michael: Schlachtfeld Berlin – mit der Bundeswehr! militainment.info – Informationen über die Darstellung des Militärs in Kino, Fernsehen und Videospiel, 10. November 2011.

10) Schulze von Glaßer, Michael: Virtuelle deutsche Panzer. telepolis.de, 11. Juli 2011.

11) UbiSoft: H.A.W.X. 2 (Wii). Pressemitteilung, 5. Oktober 2010.

12) Schulze von Glaßer, Michael: Virtuelle deutsche Panzer. op.cit.

13) Gieselmann, Hartmut (2001): Der virtuelle Krieg – Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel. Hannover: Offizin, Kultur und Gesellschaft Bd. 5, S.128.

14) deutscher-entwicklerpreis.de.

15) Partners – Disclosed Serious Games Licensees. mycryengine.com. Siehe auch: Gieselmann, Hartmut: US-Armee nutzt CryEngine 3 für Militär-Simulation. heise.de, 29. Mai 2011.

16) Schuppert, Markus: ViSTIS – Revolutionäres Team-Training für komplexe Systeme. ThyssenKrupp techforum Ausgabe 1/2011, S. 73.

17) Ebenda, S. 72.

18) Knickmeier, Michael: Weiterentwicklung der AGSHP – Rückblick – Gegenwart – Ausblick. Strategie & Technik, Oktober 2011.

19) ITEC 2011 Exhibitor List – Bohemia Interactive Australia Pty Ltd – Stand B110. itec.co.uk.

20) Schulze von Glaßer, Michael: Wir sind selbst in der Rüstungsbranche tätig – Interview mit Martin Vaòo. militainment.info, 14. September 2011.

21) Lin, Thomas: A War Training Platform From an Unlikely Source. nytimes.com, 1. Mai 2011.

22) Jagdgeschwader 73 – AddOn für Microsoft Flight Simulator 2004/FSX. halycon.de.

23) Jagdbombergeschwader 31 – AddOn für Microsoft Flight Simulator 2004/FSX. halycon.de.

24) OPK The Game: Story. http://458.45.funpic.de/opk-the-game/story/index.html.

25) Streibl, Ralf E.: Töten per Mausklick – Computerkriegsspiele. In: Wissenschaft und Frieden Nr. 2/1998.

26) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Harald Koch, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 17/7344 – »Bedeutung von Videospielen für Öffentlichkeitsarbeit und Personalwerbung der Bundeswehr«. Bundestags-Drucksache 17/7599.

27) Jänicke, Ekkehard/Pauli, Jörg Uwe: Ernsthafte Erstinformationen. aktuell – Zeitung für die Bundeswehr, Nr. 35/2002.

28) Ebenda.

29) EMT Ingenieursgesellschaft: LUNA Drohnensystem. emt-penzberg.de.

30) Ebenda.

31) Ebenda.

32) USK – Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle: Über uns. usk.de.

33) USK: Wie Alterskennzeichen bei der USK entstehen. usk.de.

34) Schulze von Glaßer, Michael: USK vs. PEGI vs. Alles Mist. militainment.info, 21. September 2011.

35) Schulze von Glaßer, Michael: Kritik am Jugendmedienschutz: »Gewaltdarstellung kann unter Umständen sogar friedensfördernd sein«. Interview mit Peter Bürger. militainment.info, 21. September 2011.

36) Schulze von Glaßer, Michael: USK vs. PEGI vs. Alles Mist. op.cit.

Michael Schulze von Glaßer schreibt unter militainment.info über die Darstellung des Militärs in Kino, Fernsehen und Videospiel. Zuletzt erschien von ihm Ende 2010 das Buch »An der Heimatfront. Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr« (Köln: Papyrossa).

Computerspiele als Instrument der Kriegspropaganda

Bietet Friedensjournalismus eine Alternative?

von Rune Ottosen

Computerkriegsspiele haben ihre politischen und ökonomischen Wurzeln im militärisch-industriellen Komplex. Spiele wie »America’s Army« werden von den Streitkräften zur Ausbildung und Rekrutierung genutzt und dienen zugleich der Propaganda, um im »Global War on Terror« die »hearts and minds« der Öffentlichkeit zu gewinnen. Für Fans von Computerspielen gibt es aber auch alternative Angebote, die Wege zur friedlichen Konfliktlösung aufzeigen, beispielsweise »Global Conflicts: Palestine«. Dieser Beitrag untersucht, ob sich die Erfahrungen mit den galtungschen Konzepten des Kriegs- und des Friedensjournalismus auf Computerspiele übertragen lassen und was das bedeuten kann.1

Friedensjournalismus im Sinne von Johan Galtung sieht im Krieg als solchem ein Problem und wirbt für die Gewaltfreiheit als Mittel der Konfliktlösung (Galtung 1990, 2002). Galtungs Konzept gründet auf der Dichotomie zwischen dem, was er als »Kriegsjournalismus« bezeichnet, und dem Konzept des »Friedensjournalismus«. Das Konzept umfasst vier Hauptpunkte, anhand derer er die zwei Konzepte miteinander vergleicht: Kriegsjournalismus zeichnet sich durch Gewaltorientierung, Propagandaorientierung, Eliteorientierung und Siegorientierung aus. Dieser Ansatz wird oft mit einem Nullsummenspiel verglichen, bei dem es (wie in der Sportberichterstattung) nur einen Gewinner geben kann. Kriegsjournalismus ist prototypisch für die traditionelle Kriegsberichterstattung der Mainstream-Medien, bei der die Journalisten ausblenden, dass die Medien in einem Konflikt eine eigenständige Rolle spielen und häufig zur Eskalation beitragen, indem sie die Propaganda reproduzieren, die die Konfliktparteien für ihre Medienstrategien und PR- bzw. Öffentlichkeitskampagnen entwickelt haben (vgl. Ottosen 2007).

Das Konzept »Friedensjournalismus« hat einen moralischen und ethischen Ausgangspunkt und nimmt zur Kenntnis, dass die Medien , ob absichtlich oder unabsichtlich, selbst eine Rolle in dem Propagandakrieg spielen. Friedensjournalismus entscheidet sich bewusst dafür, den Lesern und Zuschauern durch Lösungsorientierung, Menschenorientierung und Wahrheitsorientierung zusätzliche Betrachtungsweisen zugänglich zu machen. Dazu gehört auch, friedliche Möglichkeiten der Konfliktlösung aufzuzeigen, die die Konfliktparteien unter Umständen aus Eigeninteresse ausblenden. Friedensjournalismus ist menschenorientiert in dem Sinne, dass er die Opfer (häufig sind das Zivilisten) ins Blickfeld rückt und somit den Stimmlosen eine Stimme gibt. Und er ist wahrheitsorientiert, d.h. er deckt die Lügen sämtlicher Seiten auf und enttarnt die Propaganda als Mittel zur Fortsetzung des Krieges (Galtung 2002). In ihrem Buch »Peace Journalism« (2005) entwickelten Jake Lynch und Annabel McGoldrick das galtungsche Konzept so weiter, dass es für Journalisten praktisch nutzbar wurde. Kurz gesagt streben sie an, „die Aufmerksamkeit für Gewaltfreiheit und Kreativität im praktischen Tagesgeschäft beim Redigieren und Nachrichtenzusammenstellen“ zu stärken (Ibid).

Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich die Erfahrungen aus dem Nachrichtensektor auf Unterhaltungsmedien übertragen lassen.

Computerspiele als Massenmedien

In seinem Buch »Trigger Happy« (2004) stellt Steven Pole die These auf, Computerspiele müssten im Kontext von Massenmedien untersucht werden. Ein Verständnis der Massenkultur unter Jugendlichen sei ausgeschlossen, wenn die wachsende Computerspiele-Industrie unberücksichtigt bleibe. Schon 1999 gaben US-Bürger im dritten Jahr in Folge an, Computerspiele seien ihr liebstes Freizeitvergnügen. Doppelt so viele Menschen machen lieber Videospiele, als fern zu sehen (Poole 2004). Videospiele sind dreimal beliebter als Kino und sechsmal beliebter, als einen Film auszuleihen. Schon zur Jahrhundertwende verkaufte Sony allein in Großbritannien jedes Jahr fünf Millionen seiner PlayStation-Produkte.

Onlinespiele sind das Segment mit der höchsten Wachstumsrate in diesem Markt. Der norwegische Medienforscher Rotil Mortensen zeigte auf, dass Computerspiele im Jahr 2006 eine gänzlich andere und wichtigere Rolle in der Jugendkultur spielten als noch zehn Jahre zuvor (Mortensen 2006). 2003 wurden mit Spielekonsolen und –software alleine in den USA und Europa schätzungsweise 17 Milliarden US$ Umsatz erzielt. Laut Marktanalysen ist der Umsatz mit Onlinespiel-Abonnements im Zeitraum von 2002 bis 2005 von 500 Mio. US$ im Jahr auf zwei Mrd. US$ gestiegen. Für 2011 wurde ein weiterer Anstieg auf sechs bis acht Mrd. US$ erwartet. Der neueste Trend ist der Kauf von Spielfiguren und -objekten mit echtem Geld. Das Spiel »Project Entropia« ist durch einen Avatar mit der Kreditkarte des Spielers verlinkt. Die populärsten Spiele wie »Everquest« und »World of Warcraft« haben sich zu regelrechten Geldmaschinen entwickelt (Stordal 2006).

Kurzum: Computerspiele werden sich nicht einfach in Luft auflösen. Entsprechend müssen Friedensforscher die Message dieser Spiele ernster nehmen als bisher. Dazu müssen wir uns auf die wissenschaftliche Literatur über Computerspiele stützen (Aarsetz 2001; Miller 2006; Haddon 1999; Karlsen 1998).

Kultur der Gewalt in Computerspielen

Die Gewalttätigkeit der Spieleinhalte nahm mit der Qualität von Videospielen zu, und die Gewaltdarstellung wurde zunehmend realistischer. »Street Fighter II« startete 1991 mit einer naturgetreuen dreidimensionalen Darstellung. In dem Spiel stehen mächtige blaue Lichtspuren für vorbeizischende Glieder oder Feuerballangriffe. »Mortal Kombat« von 1992 hingegen führte in der Politik zu Diskussionen: es zeigte unheimlich detailgetreue Todesdarstellungen, in denen z.B. eine siegreiche Figur die Wirbelsäule des Gegners herausreißt und triumphierend in die Höhe hält, mit allen blutigen Details (Poole 2004). Mithilfe von »motion capture«, einer Technik, in der zuerst Kampfkunst-Darsteller gefilmt und die Aufzeichnungen dann als Bewegungscode für die virtuelle Welt digitalisiert werden, wurde die Darstellung von Kampfszenen und Kriegen zunehmend realistischer (Ibid.).

Poole schlägt eine Erklärung vor, weshalb Kriegsspiele in der Videospielindustrie so erfolgreich sind: Die militärische Logik passt gut zur Logik des Spiels. Lehnsesselgenerale sind mit Spielen wie »God of War«, einem Echtzeit-Strategiespiel, gut bedient. Das natürliche Setting dieser Spiele ist der Krieg. In einer gott-ähnlichen Rolle (sämtliche Militäroperationen werden von ihm geleitet) wird der Spieler von Beratern (Schauspielern und Videoclips) gebrieft und muss bestimmte Missionen ausführen. Dazu gibt er an zahlreiche kleine Truppeneinheiten auf dem Schlachtfeld Befehle aus. Der Spieler klickt auf eine bestimmte Einheit und gibt ihr z.B. die Anweisung, sich an einen anderen Ort zu begeben, eine andere Einheit anzugreifen, sich zu verteidigen oder sich zu zerstreuen (Ibid.).

Die erfolgreiche Serie »Command and Conquer« basiert auf historischen Begebenheiten und bedient sich der Logik, die der militaristisch ausgerichteten Geschichtsschreibung zugrunde liegt. Das Spiel konzentriert sich auf »Action« auf echten »Kriegsschauplätzen«. Anstatt den Spieler dazu zu animieren, über Konfliktlösungsstrategien nachzudenken und zu überlegen, wie ein Krieg verhindert oder eine friedliche Konflikttransformation herbeigeführt werden könnte, bietet das Spiel Hightech-Waffen an, mit denen die eigenen Truppen den »Feind« verfolgen und schlagen können.

Die »Sieglösungen« in den Kriegsspielen passen perfekt in das oben beschriebene Kriegsjournalismus-Konzept von Galtung. Es ist ein Nullsummenspiel mit zwei Parteien und einem »Gewinner«. Die Logik dieser Spiele entspricht der Logik des Kalten Krieges mit einer guten und einer bösen Seite. Die heutigen Computerspiele gehen alle auf das Angst einflößende Arcade-Spiel »Missile Command« von Atari zurück, das 1980 erschien. Dieses Spiel war die Weiterentwicklung einer militärischen Simulation, mit der herausgefunden werden sollte, wie viele Atomsprengköpfe ein menschlicher Operator auf dem Radarschirm verfolgen kann, bevor er den Überblick verliert. Da die Spiele insgesamt immer komplexer und hybrider werden, wurden die Kernelemente der Echtzeitstrategie (die Kontrolle mehrerer Spielelemente und taktische Erwägungen) von den Kriegsspielen für andere Spielegenres übernommen (Poole 2004).

Computerspielen und realer Krieg

Evan Wright, Autor des Buches »Generation Kill«, verbrachte zwei Monate mit 23 Marines des 1. Aufklärungsbataillons des US Marine Corps, einer militärischen Eliteeinheit, die bei der Invasion in den Irak 2003 an vorderster Front agierte. In seinem Buch erwähnt Wright einen Marine, der das Computerspiel »Grand Theft Auto: Vice City« erwähnt, als er von einem Angriff seiner Einheit gegen vorgebliche Aufständische erzählt: „Mir ging eines durch den Kopf, als wir auf diesen Hinterhalt zufuhren: »Grand Theft Auto: Vice City«. Ich hatte das Gefühl, es selbst zu leben, als die Flammen aus den Fenstern schlugen, das zerfetzte Auto auf der Straße stand, und die Typen herumschlichen und auf uns schossen. Es war verdammt cool.“ (zitiert in Herbst 2005)

Wright beschreibt, was die Gewalt in Videospielen mit den Erlebnissen auf dem Schlachtfeld zu tun hat. Er vergleicht den Krieg im Irak mit früheren Kriegen und kommt zum Schluss, dass die Soldaten schießwütiger sind. Wright bezieht sich auf das Buch »On Killing« von Dave Grossman und legt dar, dass in früheren Generationen nur 15-20 Prozent der kämpfenden Infanteristen bereit waren, die Waffen wirklich abzufeuern, während er in »seiner« Einheit des Marine Corps keinerlei Schießhemmungen beobachten konnte. Er geht davon aus, dass diese Verhaltensänderung etwas mit der Gewalterfahrung in Unterhaltungsmedien zu tun hat (zitiert in Matera 2005).

In einem anderen Artikel erzählt Wright, dass die Soldaten in der Einheit recht offen über das Töten von Zivilsten sprachen; einer sagte sogar, dass der Militärpfarrer der Einheit das erlaube – solange ihnen das Töten keinen Spaß macht. Wright zitiert diesen Soldaten und schreibt: „[…] als die Einheit die Außenbezirke von Bagdad erreichte, war der Sergeant überzeugt, er habe mindestens vier Männer getötet. Der Vorgesetzte lobte die Einheit für das »Abschlachten der Drachen« auf dem Weg nach Bagdad, und der Sergeant sagte seinen Leuten später ‚Wenn wir zu Hause nur halb so viel Scheiße angestellt hätten wie hier unten, würden wir im Knast landen’.“ (Wright 2004b)

Militär und Unterhaltungsindustrie

Das Verhältnis zwischen Unterhaltung und Krieg ist auch durch die strategische Zusammenarbeit zwischen dem militärisch-industriellen Komplex und der Unterhaltungsindustrie geprägt. Der Ursprung der Videospiele reicht in den Kalten Krieg zurück, und die entsprechende Technologie kommt aus der staatlichen Atomforschungsanlage Brookhaven National Laboratory sowie von einem Ingenieur, der für das Manhattan-Projekt, also für die Atombombe, elektronische Komponenten entwickelt hatte (Herman 1997). In einem Grundsatzpapier von 1996 betonte der US National Research Council (Nationaler Forschungsrat), dass bei Themen wie Modellierungs- und Simulationstechnologien der Kooperation zwischen dem Verteidigungsministerium und der Unterhaltungsindustrie ein besonders hoher Stellenwert zukomme. In dem Papier findet sich folgende Aussage: „Für das DoD [Verteidigungsministerium] bieten Modellierungs- und Simulationstechnologien eine kostengünstige Möglichkeit, um streitkräfteübergreifende Wehrübungen durchzuführen, neue Doktrinen und Taktiken zu evaluieren und die Wirksamkeit neuer Waffensysteme zu analysieren.“ (Zitiert nach Burston 2003).

Der Stellenwert dieser Kooperation schlägt sich in den kommerziellen Computerspielen nieder. 2002 kam das Spiel »Desert Storm« auf den Markt, also mehr als zehn Jahre nach dem [zweiten] Golfkrieg und ein Jahr vor dem nächsten Krieg gegen Irak. Es drängt sich die Vermutung auf, dass der Zeitpunkt nicht zufällig gewählt war. Es könnte bei der Rekrutierung neuer Soldaten hilfreich sein, das Gefühl des 1991er Sieges in jenem Land wieder heraufzubeschwören, in dem bald ein neuer Krieg stattfinden sollte. Um aus dem Spiel als Sieger herauszugehen, musst du so agieren, wie die US-Soldaten 1991. Bist du auf der Seite der Iraker, dann verlierst du und wirst getötet. Welche Botschaft sendet dies an junge Menschen (überwiegend Jungs) in einer Vorkriegssituation? (Nohrstedt und Ottoson 2005)

Die politische Ökonomie der Spieleindustrie

Für das Verständnis der politischen und ökonomischen Wurzeln der Kriegsspieleindustrie ist ein Artikel von Tim Lenoir (2000) sehr aufschlussreich. Lenoir beginnt mit der Feststellung, er sei fasziniert von dem Gedanken, dass wir kurz vor einer Renaissance stehen, die mit der im 14. und 15. Jahrhundert vergleichbar, dabei aber eng mit einer Revolution der Informationstechnologie gekoppelt sei. Im Gegensatz zur Renaissance des 14. Jahrhunderts, in der sich u.a. der Humanismus herausbildete, ist die aktuelle Renaissance aber der Vorbote einer post-humanen Ära, in der der Mensch mit der intelligenten Maschine verschmilzt. Lenoir forumliert das so: „Im post-humanen Zustand gibt es keine Grenzlinie mehr zwischen der körperlichen Existenz und der Computersimulation, zwischen kybernetischen Mechanismen und biologischen Organismen.“ (Lenoir 2000)

Lenoir bringt die technologische Revolution, die in der Computerspielindustrie stattfindet, in Verbindung mit Forschungsagenturen wie der zum Pentagon gehörenden Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), einigen privaten Unternehmen wie Xerox Parc und der universitären Forschung. Seit 1996 werden im Rahmen des DARPA-Programms »Smart Modules« neue Verfahren entwickelt und erprobt, die für die realistische Gefechtsfeldsimulation neue Technologien (z.B. Mikroprozessoren) mit leichten, energiesparenden Modulpaketen kombinieren (Ibid.). Lenoir weist auf den Zusammenhang zwischen dem Militär mit seinem Bedarf an Simulations- und Trainigsprogrammen und der Unterhaltungsindustrie hin und beschreibt anhand der Entwicklung von Ivan Sutherlands Datenhelm-Projekt die Kooperation zwischen dem akademischen Bereich und der Industrie.

Die Geschichte begann vor 40 Jahren. Sutherland kam von der Harvard University, die Finanzierung für sein Projekt kam aber aus unterschiedlichen Quellen: dem Militär, Universitäten, der Industrie und der Central Intelligence Agency. Die CIA unterstützte das Projekt 1966 mit 80.000 US$; weitere Gelder kamen von der ARPA (die später in DARPA umbenannt wurde), dem Office of Naval Research der US Navy und den Bell Laboratories. Der Hubschrauberhersteller Bell stellte Ausrüstung zur Verfügung, und die US-Luftwaffe steuerte Computer des Typs PDP-1 bei. Die Lincoln Laboratories des Massachusetts Institute of Technologie (MIT) entwickelten für das Projekt im Auftrag der ARPA einen Ultraschallsensor zur Erfassung der Kopfposition des Benutzers, dem bei der neuen Videospieltechnolologie eine Schlüsselrolle zukam. 1968 wechselte Sutherland an den Fachbereich Informatik der University of Utah, in der Folge eine Schlüsselinstitution für die Entwicklung neuer Computertechnologie und –graphik (Ibid.). Die neuen Animationstechnologien wurden auch in Filmen wie »Jurassic Park« und »Toy Story« eingesetzt. Der kommerzielle Durchbruch kam 1993, als Silicon Graphics, NEC und Nintendo eine Partnerschaft ankündigten und die leistungsfähigste Spiele-Engine der Welt auf dem Markt brachten. 1997 wurde das Spiel »Super Mario 64« mit zwei Mrd. US$ Umsatz ein Welterfolg.

Der Erfolg des Ego-Shooter-Spiels »Doom II: Hell on Earth«, das 1994 auf den Markt kam, animierte das US Marine Corps dazu, den nächsten Schritt bei der Kommerzialisierung von Kriegsspielen einzuleiten. In Kooperation mit dem Unternehmen MÄK Technologies wurde nach Spezifikationen des US Marine Corps ein taktisches Operationsspiel entwickelt. Der Vertrag sah vor, das Spiel später als offizielles taktisches Trainingsspiel des Marine Corps zu vermarkten. Neben dem Einsatz im Verteidigungssektor wurde die MÄK-Software für etliche Unterhaltungsfirmen (wie Total Entertainment Network und Zombie Virtual Reality Entertainment) lizenziert, um 3D-Videospiele für mehrere Benutzer zu entwickeln. Ein Beispiel ist »Spearhead«, das von Interactive Magic herausgegeben wurde und über das Internet gespielt werden kann, bei der Distribution des Spiels also noch einen Schritt weitergeht. Die Netzwerktechnologie entspricht der für militärische Simulationen und entwickelte sich zum neuen Standard für sämtliche Simulationsprogramme des US-Verteidigungsministeriums, das im ganzen Verantwortungsbereich ein einheitliches technisches System umsetzen will, um die Interoperabilität sämtlicher Modelle und Simulationen zu gewährleisten.

MÄK profitiert von der Kooperation sowohl mit dem Militär wie mit dem kommerziellen Sektor, ließ sich die US-Regierung die Entwicklung dieser Technologie doch fast 500 Mio. US$ kosten. Die Kooperation zwischen MÄK und dem Marine Corps mündete außerdem in einem Vertrag für »MEU 2000«, einem computergestützten taktischen Entscheidungsfindungsspiel für die Marine Expeditionary Unit des US Marine Corps und für den kommerziellen Markt. In diesem Mehrbenutzer-Spiel übernimmt jeder Spieler einen Posten in der Kommandohierarchie der US- oder der gegnerischen Kräfte. »MEU 2000« wurde zum Prototyp für nachfolgende Spiele, bei denen die Version für das Militär präzisere Taktik- und Waffendetails aufweist als die kommerzielle Version. Beide Versionen können aber von mehreren Spielern über das Internet gespielt werden (Lenoir 2000).

»America’s Army« – eine Erfolgstory

Eine der größten globalen Erfolgsstories auf dem Computermarkt ist das offizielle Computerspiel der US Army (Nieborg 2006). Von der Einführung als »America’s Army: Recon« am 4. Juli 2002, dem Nationalfeiertag der USA, bis 2006 wurden 22 neue Versionen herausgebracht. Das Spiel gibt es in mehreren Varianten; eine davon reproduziert das Bild des tapferen US-Soldaten und kann über das Internet kostenlos geladen werden. Auf der Homepage des Spiels wird in der Einführung erklärt: „Die Soldaten der Spezialkräfte spiegeln die Armee wieder, in der sie dienen. Es sind mutige, intelligente, einfallsreiche und engagierte Personen.“ Eine neue Version des Spiels wurde im Mai 2003 (dem Jahr der Irakinvasion) auf der Unterhaltungsmesse Electronic Entertainment Expo in Los Angeles/Kalifornien vorgestellt. Bei dem Event wurden die reale und die virtuelle Welt miteinander vermischt: Vor der Messe standen reale Panzer, während die Air Force Divison 101 einen simulierten Angriff startete (Pilet 2003). Im Ausstellungsgebäude wurde das neue Spiel als Werkzeug zur Rekrutierung neuer Soldaten für die reale US-Armee vorgestellt, während es im Internet gleichzeitig als kostenloses Videospiel beworben wurde (Løvlie 2007). Im November 2003 wurde »America’s Army« schon von zwei bis drei Millionen Spielern gespielt; bis Herbst 2011 stieg die Zahl auf über neun Millionen. Das Spiel rangiert somit unter den beliebtesten Spielen weltweit (Wikipedia 19. Dezember 2011).

Natürlich stellt sich die Frage, warum das Spiel kostenlos angeboten wird, obwohl es ein globales Marktpotential hat. Die offensichtlichste Antwort: Es wird in den USA zur Rekrutierung neuer Soldaten genutzt. Außerdem soll das Spiel beim heimischen und internationalen Publikum das Image der US Army stärken (Løvlie 2007). In einem Interview mit den Informationsdienst Army News Service stellte Oberst Casey Wardynski (Direktor des Office of Economic and Manpower Analysis der US Army, Projektmanager von »America’s Army« und außerordentlicher Professor für Ökonomie an der US Military Academy) klar, wie wirksam dieses Spiel ist: „Das Spiel hat Interesse an der US Army erzeugt und den Menschen das Soldatenhandwerk nahe gebracht.“ In einer Umfrage unter 16-21 jährigen Jugendlichen gaben 29 Prozent an, »America’s Army« sei die effektivste Methode, Interesse am Militär zu wecken (Petemeyer 2004).

Außerdem sollte die Wirksamkeit des Spiels zu Propagandazwecken nicht unterschätzt werden. Das Spiel ist extrem einseitig und bietet zur Lösung eines Konflikts ausschließlich militärisches Vorgehen an. Überdies werden sämtliche Themen aus US-Sicht abgehandelt.

Die Homepage von »America’s Army« wird regelmäßig aktualisiert und stellt z.B. reale Soldaten der US Army inklusive Name, Photo und Lebenslauf vor, wodurch sich der Unterschied zwischen den »realen Helden« im Dienste der USA und den fiktiven Soldaten im Computerspiel verwischt.

Die Botschaft von »America’s Army«

Beim Versuch, die nicht-verbale Botschaft in »America’s Army« einer rhetorischen Analyse zu unterziehen, greift der norwegische Wissenschaftler Anders Sundnes Løvlie auf die visuelle Analyse des französischen Philosophen Roland Barthes zurück. Nach Barthes lässt sich die Botschaft eines Bildes auf drei Ebenen analysieren: „Die linguistische Botschaft, die denotative (oder uncodierte, ikonische) Botschaft und die konnotative, kulturelle oder symbolische Botschaft.“ (Løvlie 2007) Løvlie erkannte in der Rhetorik der Spiele subtile Belege für die implizite Glorifizierung der US-Kriegsführung.

Welcher Art ist diese Rhetorik? Es ist scheinbar eine relativ subtile Art der Rhetorik, auf jeden Fall eine, die mit »minimalen Gesten« auskommt und auf übermächtige Wirkungen oder provokative Haltungen eher verzichtet. »America’s Army« ist Propaganda, und es gibt bestimmte Belege für eine hochgradig patriotische und vollmundige verbal-textliche Rhetorik in dem Spiel – dennoch scheint die Rhetorik der Spielform selbst, die ich oben versucht habe zu analysieren, nicht auf offen exzessive Sprache zu bauen. Vielmehr handelt es sich um eine Rhetorik der Bescheidenheit, der Verantwortung und der moralischen Autorität, und es wird darauf geachtet, dass niemand auf die Idee kommt, in die Figur eines Terroristen zu schlüpfen und US-Soldaten umzubringen; des Weiteren werden unrealistische Exzesse und undiszipliniertes Spielverhalten unterbunden (Løvlie 2007).

»America’s Army« ist nur eines von mehreren militaristischen Spielen auf dem Markt. Erwähnenswert sind auch »Falcon 4.0« oder »Counter Strike« und »Real Wars«. Nach Nieborg (2006) „war »Counter Strike« das Vorbild für »America’s Army«. Eines der neuesten Spiele, »Full Spectrum Warrior«, wurde ursprünglich ebenfalls als Trainingsspiel entwickelt, dann modifiziert und für die Öffentlichkeit freigegeben. Es spielt im fiktiven Staat Zekistan, dessen Diktator »ethnischer Säuberungen und der Unterstützung von Terroristen« beschuldigt wird“.

Norwegische Soldaten spielen zur Vorbereitungen auf ihren Afghanistan-Einsatz »Virtual Battlespace 2«. Dieses Videospiel kommt auch im US-Militär zum Einsatz. Die Soldaten spielen damit realistische Gefechtsszenen und bekämpfen die Taliban virtuell mit genau dem Equipment und den Waffen, die in Afghanistan zur Ausrüstung gehören. (Schønberg 2011).

Auf dieser Basis wäre es auch interessant zu analysieren, ob sich in den Spieletexten auch Tendenzen dessen finden, was Galtung »Kriegsjournalismus« nennt, ob also die Schuld für die Probleme, vor die die Menschen in den Kriegszonen gestellt sind, auf »die anderen« geschoben wird anstatt auf den Krieg.

»America’s Army« im Licht des galtungschen Konzepts

Um die Hypothese, Galtungs Konzept für Friedensjournalismus könne auch auf Computerspiele angewendet werden, zu prüfen, wählte ich für ein Experiment eine Gruppe Studierender mit Erfahrung in Computerspiele aus und entschied mich für zwei Spiele: Das galtungsche Konzept des Friedensjournalismus sollte anhand von »Global Conflicts: Palestine«, auf das ich weiter unten eingehen werde, analysiert werden und das Konzept des Kriegsjournalismus am Beispiel von »Rise of a Soldier«. Es zeigte sich, dass die Studierenden das Experiment hilfreich fanden, um »versteckte Botschaften« in den Spielen zu identifizieren.2 Unabhängig von diesem Experiment analysierte mein Forschungsassistent Daniel Wærnes »Global Conflicts: Palestine« anhand des galtungschen Konzepts. Seine Forschungsergebnisse bestätigten die Erfahrungen der Studierenden und werden weiter unten dargestellt.

Wie für die Serie »America’s Army« typisch, legt »Rise of a Soldier« großen Wert auf individuelle Verantwortung, auf die Pflicht jedes einzelnen Soldaten, die »Sicherheit« der USA zu bewahren. Die Loyalität der Soldaten gegenüber der Nation wird im Spiel immer wieder auf die Probe gestellt. Das Framing der Handlungen wird so gewählt, dass die Aktionen der Soldaten immer defensiv wirken, als Antwort auf die Bedrohung durch Terrorismus. Das stimmt mit der Propagandaorientierung von Galtungs Konzept überein. Die Propagandabotschaften werden in kleinen Videonachrichten und in Kommentaren von Mannschaftskameraden gebetsmühlenartig wiederholt. Das Spiel ist außerdem eindeutig ethnozentrisch mit Kommentaren, die die Distanzierung von »anderen« fördert, z.B. „Kann jemand von Euch auch nur das Geringste von dem verstehen, was diese Typen brüllen?“ Der Feind wird als gestresst, paranoid und unartikuliert dargestellt und brüllt ständig „bakh, bakh, bakh!“. Diese Primitivität und Entmenschlichung wird noch dadurch unterstrichen, dass »sie« unfähig sind, sich neu zu formieren und miteinander zu kooperieren.

Auf dieses Spiel passt also das galtungsche Konzept des Kriegsjournalismus, wo »sie« als Problem und als Bösewicht porträtiert werden. Der Schwerpunkt im Spiel liegt darauf, dass »wir« gegen »sie« zusammenhalten müssen. Die Aussage, dass die USA stolz auf ihre tapferen und starken Soldaten sein sollten, wird ohne jeglichen Kontext ständig wiederholt. Die Handlungen des »Feindes« werden nie dahingehend erklärt, warum sie kämpfen oder was für Personen sie eigentlich sind. Der Ursprung des Konflikts bleibt historisch im Unklaren, und der politische und soziale Kontext des Krieges wird nie erklärt. Diese »wir-sie«-Perspektive, ein weiteres Kriterium im galtungschen Konzept für Kriegsjournalismus, wird auch in der Spielestruktur erkennbar. Dein Avatar und dein Team beherrschen während des ganzen Spiels die Szene. »Unsere« Seite ist auch moderner, mit den neuesten Waffen besser ausgerüstet und stärker. Das Spiel ist so ausgelegt, dass es einfacher ist, »den Feind« zu töten als eigene Soldaten. In der Regel wird der Feind mit zwei oder drei Schüssen erledigt, während »unsere Soldaten« auch zehn Treffer überleben. Das unterstreicht die versteckte Botschaft, dass es kein Kampf zwischen »ebenbürtigen» Gegnern ist.

Es gibt nur ein Ziel in dem Spiel: die feindlichen Soldaten »beseitigen«, um zu gewinnen. Konfliktlösung oder Verhandlungen sind kein Thema, und es gibt nie eine Anregung, den Gewaltpegel zu senken. Ausschließlich Gewalt und Töten werden belohnt. Das Spiel lässt keinen Raum für Verhandlungen oder Nachdenken; es geht nur voran, wenn Befehle ausgeführt und die »Feinde« getötet werden. Kriegt man das nicht hin, dann kann man auch nicht vom Übungslevel auf den eigentlichen Gefechtslevel des Spiels aufsteigen. Das entspricht der Siegorientierung bei Galtung und verhindert im Spiel die von Galtung geforderte Wahrheitsorientierung; außerdem bestätigt dies die oben beschriebenen Schlussfolgerungen von Løvlie (2006). Wenn im Spiel Fakten irrelevant sind, dann wird das gesamte Thema »Wahrheit« mystifiziert.

In dem Spiel bleiben als Beleg für die Kriegsfolgen zwar zerschossene Gebäude stehen, die menschlichen Folgen für Zivilisten und Überlebende werden aber ausgeblendet. Die menschlichen Kosten von Krieg und Tod werden an keiner Stelle im Detail erläutert. Es gibt keine Darstellung des Verlusts von Menschen, keine trauernden Hinterbliebenen, keinen Schmerz. Lediglich am eigenen Avatar werden die sichtbaren Folgen von Gewaltanwendung erkennbar. Wird er getroffen, so atmet er schwer und der Bildschirm wird rot. Mit bestimmten Befehlen kann man den eigenen Avatar aber »heilen«. »Der Feind« hingegen schreit, wenn er getroffen wird, und ist nicht zu retten. Galtungs Kriterien für eine Kriegs-/Gewaltorientierung sind in dem Spiel also eindeutig erfüllt (Brustad et al. 2007).

Und die Gegenkräfte?

Wie bereits erwähnt, besteht die Herausforderung darin, Alternativen zu entwickeln, also Spiele aus der selben Arena, aber mit einer anderen Botschaft. Mit anderen Worten: Spiele, die vom Geist des Friedensjournalismus inspiriert und so unterhaltsam sind wie Kriegsspiele. Natürlich ist es schwierig, mit der Qualität der Technologie mitzuhalten, in die der militärisch-industrielle Komplex wie oben beschrieben so gigantische Mittel investiert hat. Aber der Versuch sollte unternommen werden.

Newsgaming

»Newsgaming« bezeichnet den Versuch von Gonzalo Frasca, eine alternative Strategie zu entwickeln, mit der sich der Herausforderung durch die gewaltorientierte kommerzielle Spieleindustrie begegnen lässt. Mithilfe der Homepage ludology.org und der Ludologie (Spieleforschung) wird der Versuch unternommen, Computersimulatoren zu gestalten, die sich auf aktuelle Ereignisse wie 9/11 oder die Anschläge in Madrid beziehen, aber alternative Deutungen anbieten. »Newsgaming« wird wie folgt definiert:

„Wir haben den Begriff Newsgaming geprägt, um ein Genre zu beschreiben, das gegenwärtig entsteht: Videospiele, die auf Geschehnissen basieren, die es in die Nachrichten schaffen. Traditionell beziehen sich Videospiele eher auf die Phantasie als auf die Realität, wir glauben aber, dass sie ein wichtiges Instrument zum besseren Verständnis der Welt sein können. Weil Newsgaming so neu ist, muss es eine eigene Ausdrucksform finden. Daher werden die meisten unserer Spiele experimentelle Anteile haben.“ (newsgaming.com)

Nach Frasca wird „Ludologie meist als die Analyse der Spielstruktur (oder des Spielablaufs) verstanden und unterscheidet sich damit von der Analyse von Spielen als Erzählungen oder als visuelles Medium“ (Frasca 2003; Tronstad 2003). Folgt man dem norwegischen Medienwissenschaftler Ragnhild Tronstad, dann unterscheidet Frasca zwischen Ludus und Paidia-Regeln. Frasca behält den Begriff »Ludus« den Spielen vor, die Gewinner und Verlierer kennen. „Ludus-Regeln sind also Regeln, die eine siegreiche Situation definieren. Paidia-Regeln sind Regeln, die den Prozess des Spielens definieren bzw. begrenzen, also z.B. wie das Equipment bedient werden kann“ (Tronstad 2003, S.5). Einige friedensorientierte Spiele haben das Potential, eine auf Frieden ausgerichtete siegorientierte Situation und damit eine Alternative zu den propagandaorientierten Kriegsspielen zu schaffen.

Meiner Ansicht nach bieten die Ludologie und Websites wie ludology.org eine interessante Plattform, um Alternativen zu den Spielen zu entwickeln, die der militärisch-industrielle Komplexes produziert. Dafür ist »September 11« ein gutes Beispiel, weil es perfekt in das galtungsche Konzept des Friedensjournalismus passt. Es hat keine festgelegte Storyline sondern einen offenen Ausgang. Die Idee ist, die Konsequenzen militärischen Handelns für Zivilisten sichtbar zu machen. Wenn du eine arabisch aussehende, bewaffnete Person ins Visier nimmt, wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Zivilisten treffen, die sich in der Nähe dieses Ziels aufhalten. Oder du kannst versehentlich ein ziviles Ziel im Stadtzentrum treffen. In diesem Spiel gibt es keinen Sieger; aber es wird deutlich, dass eine militärische Lösung viel Schaden anrichtet. Dies kann Spieler dazu motivieren, nach Alternativen zum Krieg zu suchen. Allerdings hege ich gewisse Zweifel, ob dies so spannend und reizvoll ist wie die traditionelleren Videospiele, die oben beschrieben wurden.

Global Conflicts: Palestine

Eines der relevanteste Spiele, die im Bereich Kriegs- und Friedensjournalismus ein Gegengewicht herstellen, ist das Spiel »Global Conflicts: Palestine« (GCP). Es wurde im Mai 2007 von dem Kopenhagener Unternehmen Serious Games Interactive auf den Markt gebracht.3 Auf der Homepage wird als Ziel des Projektes der Wunsch angegeben, „Computerspiele zu entwickeln, die bewährte Elemente der meisten Computerspiele wie Action, Tod und Gewalt einschließen, aber einen Anspruch haben, der über die reine Unterhaltung hinausgeht.“ GCP gehört eindeutig zum Typus des Edutainment und tritt mit dem Anspruch an, Bildung und Spaß miteinander zu kombinieren. Bei GCP geht es darum, die Spielewelt zu erkunden, mit einigen Einheimischen zu sprechen und im Spielverlauf Missions zu erfüllen. Aufgrund seiner Struktur ist GCP ein klassisches »Abenteuer«-Spiel, durch die zu lösenden Missions aber zugleich auch ein »Rätsel«-Spiel. Die folgende Analyse des Spiels fußt auf dem ersten Aspekt des galtungschen Konzepts und illustriert dessen Anwendung auf Videospiele (umfassend vgl. Ottosen/Wærnes 2008).

Die Hauptrolle in GCP wird von einem Journalisten (männlich oder weiblich) verkörpert. Das Spiel beginnt mit der Ankunft der Figur in Jerusalem, wo sie sich mit dem Redakteur Henry Fulbright trifft. Fulbright informiert den Spieler über die Möglichkeiten, verschiedene Orte zu besuchen, mit Menschen zu sprechen, die in unterschiedliche Vorfälle verwickelt waren, und Zitate zu sammeln, die für Artikel in drei verschiedenen Zeitungen genutzt werden können. Diese drei Zeitungen werden »Israel-Post«, »Palästina Heute« und – als europäische Zeitung – »Global News« genannt. Vor Beginn jeder Mission muss der Spieler entscheiden, für welche der drei Zeitungen er berichten möchte. Die Zitate, die von beiden Konfliktparteien (von Zivilisten, Militärs oder anderen) gesammelt werden, müssen gemäß der Ausrichtung der entsprechenden Zeitung verwandt werden.

Die israelische Zeitung legt dem Spieler nahe, das Framing so zu wählen, dass die Zitate vermitteln: Israel verteidigt sich lediglich gegen Feinde. Die palästinensische Zeitung hingegen möchte ein Story-Framing, das die Unterdrückung und Demütigung der Palästinenser betont, z.B. anhand des endlosen Wartens an den Checkpoints und der Schikanen durch israelische Soldaten. Die europäische Zeitung wiederum erwartet Zitate, die die Situation aller beteiligten Konfliktparteien beleuchtet, sie will also ausgewogenere Berichte. Bei jeder Mission muss der Spieler für einen Zeitungsbericht fünf Zitate auswählen. Diese Zitate – und dass sie mit der Linie des Blattes übereinstimmen – sind für die erfolgreiche Lösung der Mission das wichtigste Spieleelement.

Um von den Gesprächspartnern brauchbare Informationen zu bekommen, muss der Spieler während des Spielverlaufs vor allem Vertrauen aufbauen. Ein Vertrauensbarometer mit einer Skala von grün bis rot bewertet jedes Gespräch. Das Vertrauensniveau, das der Spieler beim Gesprächspartner genießt, wird auf dem Barometer angezeigt. Durch die Fragestellungen und die Übernahme kleinerer Gefälligkeiten, z.B. die Zustellung eines Briefes, verändert sich das Vertrauensniveau. Je mehr Vertrauen ein Spieler bei den Gesprächspartnern genießt, desto mehr Stories und Zitate kann er sammeln.

Fünf verschiedene Missions stehen zur Auswahl: »Militärischer Überfall«, »Der Checkpoint«, »Mohammad und die Siedler«, »Die Rolle der Märtyrer« und »Die andere Seite der Medaille«.4 Dabei geht es um verschiedene Vorfälle und Situationen, z.B. Kommandounternehmen gegen Terrorismusverdächtige, Abläufe an den Checkpoints und Terrorüberfälle. Für jede Mission muss sich der Spieler entscheiden, wie er über die einzelnen Vorfälle berichtet, und sich genau überlegen, welche Fragen er stellt. Der Erfolg jeder Mission bemisst sich daran, wo in der Zeitung die Story platziert wird: Eine mittelmäßige Leistung (und Story) wird im hinteren Teil der Zeitung abgedruckt, während eine nahezu perfekte Leistung auf der Titelseite abgedruckt wird. Ein interessanter Aspekt ist, dass das Vertrauensbarometer dadurch beeinflusst wird, für welche Seite der Spieler berichtet hat, da das zu einem Vertrauensverlust bei der gegnerischen Partei führt. Um dies auszugleichen kann der Spieler z.B. abwechselnd beide Parteien zu berücksichtigen oder für die europäische Zeitung zu schreiben.

Die Bedeutung des galtungschen Friedensjournalismus-Konzepts

Hier soll es darum gehen, ob das galtungsche Konzept des Friedensjournalismus für die Analyse der GCP-Mission »Der Checkpoint« sinnvoll angewendet werden kann.

Galtungs erste Perspektive im Konzept des Friedensjournalismus – Friedens-/Konfliktorientierung vs. Lösungsorientierung – umfasst acht Hauptkriterien, von denen ich im Folgenden sieben auf den spezifischen Inhalt von GCP anwende.

1. Konfliktformation analysieren; x Parteien, y Ziele, z Probleme, allgemeine Win-win-Orientierung GCP erzählt keine Rahmengeschichte, die die Ereignisse einordnet. Vielmehr muss der Spieler durch Erfahrung im Feld lernen (bzw. das Spiel spielen). Gespräche mit verschiedenen Einwohnern ermöglichen dem Spieler, den Konflikt aus der Sicht beider Seiten kennen zu lernen. Jedes Ereignis muss vom Spieler verstanden werden, und die Gespräche fungieren als Informationsträger, die das Geschehen erklären und deutlich machen, wie die Menschen von der Situation betroffen sind und welches Ergebnis sie sich wünschen.

In der Mission »Der Checkpoint« wird der Spieler zu einem bestimmten Checkpoint geschickt, um darüber zu berichten, wie dort die Abläufe sind, warum es sie gibt und wie Menschen durch sie betroffen sind. Soldaten erklären, wie Checkpoints dazu dienen, angesichts ständiger Terrorangriffe die Sicherheit zu gewährleisten usw. In der Schlange steht eine Frau, der plötzlich schwindlig wird. Der Spieler eilt ihr zur Hilfe und erfährt von ihr, dass sie schwanger und auf dem Weg zu einem Arzttermin ist. Ihr Ehemann redet mit den diensthabenden israelischen Soldaten, um die Abfertigung zu beschleunigen. Allerdings erklären die Soldaten dem Spieler, dass der Checkpunkt wegen einer möglichen terroristischen Bedrohung praktisch geschlossen ist, weshalb die schwangere Frau weiterhin in der sengenden Sonne warten muss. Ihr Mann hat kein Glück bei den israelischen Soldaten, da jemand in seiner Familie als Terrorist verdächtigt wird. Daher bittet die schwangere Frau den Spieler um Hilfe.

Der Spieler kann sich dafür entscheiden, sich bei den Soldaten für sie einzusetzen. Schließlich wird ihr erlaubt, den Checkpoint zu passieren, aber ihr Mann muss aus Sicherheitsgründen zurückbleiben. Kurz darauf rennt ein Terrorist auf den Checkpoint zu, schießt auf Zivilisten und Soldaten und verletzt (oder tötet sogar) etliche Menschen. Der Terrorist wird von den israelischen Soldaten überwältigt, und Krankenwagen erreichen den Ort des Geschehens. In dieser Situation muss der Spieler ein Telefon finden und seine Story an die von ihm ausgewählte Zeitung absetzen. Obwohl diese Mission eigentlich eine Lose-lose-Situation schildert, wird an ihr doch deutlich, wie im Spiel alle Parteien einbezogen und ihre Probleme erklärt werden. Dies birgt das Potential, die langfristigen Konsequenzen zu verstehen.

2. Offener Ort, offene Zeit; Ursachen und Ergebnisse, auch in der Geschichte/Kultur Obwohl die Missionen bei GCP hinsichtlich Zeit und Ort abgegrenzt sind, liefern die Gespräche mit den beteiligten Menschen Informationen über die Geschichte des Konflikts. Dies ist wichtig zum Verständnis der Gesamtsituation, da ein historischer und kultureller Kontext aufgespannt wird.

3. Allen Parteien eine Stimme geben; Empathie, Verständnis Durch die Gespräche mit verschiedenen Menschen mit ihren jeweiligen Sichtweisen erhält der Spieler einen Überblick über die Lage. Wenn der Spieler voreingenommen ist, dann kann er natürlich entscheiden, nur mit Vertretern einer Konfliktpartei zu sprechen, nur diesen zu helfen und nur deren Geschichten zu erzählen. Dabei vernachlässigt er die Perspektive der anderen Konfliktpartei. Das Spiel selbst versucht allerdings, die Stories auszubalancieren, um nicht einseitig die Sichtweise einer Konfliktpartei herauszustellen.

4. Konflikt/Krieg als Problem sehen; auf die Konfliktkreativität fokussieren GCP begreift den Palästinakonflikt als destruktives Problem. Der Inhalt der sechs Missionen lässt daran keinen Zweifel. Menschen werden von Soldaten oder Terroristen schikaniert, getötet, angegriffen, usw., und unterstreicht damit den Verlust von Sicherheit und Menschenrechten. GCP stützt sich nahezu ausschließlich auf Gespräche bzw. Interviews. Häufig ist es notwendig, andere Menschen davon zu überzeugen, dass sie dem Spieler helfen. Ein Beispiel ist die oben beschriebene Situation, wo der Soldat mit der schwangeren und hilfebedürftigen Frau konfrontiert wird. GCP versucht aufzuzeigen, dass auf der Grundlage gegenseitigen Verstehens Lösungen entwickelt werden können.

5. Menschliche Ebene aller Seiten; je mehr Waffen desto schlechter GCP nähert sich dem Konflikt nicht aus der Perspektive der politischen Entscheidungsebene, sondern schildert ihn vor allem aus der Perspektive der einfachen Leute. Dies trägt dazu bei, den Konflikt auf einer menschlichen Ebene zu betrachten, da der Spieler mit bodenständigen Situationen konfrontiert wird. So haben z.B. gewöhnliche israelische Soldaten Angst vor terroristischen Anschlägen, während Palästinenser sich vor den Schikanen der israelischen Soldaten fürchten.

6. Proaktiv: Prävention bevor Gewalt/Krieg stattfindet In GCP hat der Spieler die Möglichkeit, auf der Mikroebene proaktiv tätig zu werden, da der Konflikt zwischen Israel und Palästina auf der Makroebene seit über 60 Jahren andauert. Dem Spieler wird nicht die Rolle des Friedensretters zwischen den Nationen zugewiesen, da dies zu einer fiktiven Storyline führen würde. Allerdings kann der Spieler in bestimmten Situationen als Vermittler auftreten und gelegentlich Schlimmeres verhüten. Als Beispiel mag hier die Hilfe für die schwangere Frau am Checkpoint dienen, um einer weiteren Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes vorzubeugen.

7. Konzentration auf unsichtbare Auswirkungen von Gewalt (Trauma und Verherrlichung; Schäden an Struktur/Kultur) Durch Gespräche mit den verschiedenen Menschen, denen der Spieler in GCP begegnet, lernt dieser, wie sich der Konflikt auf sie auswirkt. Viele von ihnen misstrauen den Menschen der anderen Seite, häufig aufgrund persönlicher Erfahrungen. Manche Palästinenser sind frustriert, weil sie ihren täglichen Geschäften nicht nachgehen können, ohne unter Verdacht gestellt und schikaniert zu werden. Israelis ihrerseits wünschen sich ein Leben ohne Angst vor Selbstmordattentaten oder Autobomben. GCP versucht zu zeigen, wie Menschen durch den Konflikt traumatisiert werden und wie sich dadurch in ihrer Mentalität Paranoia und Angst festsetzen.

Eine Analyse anhand des galtungschen Konzepts des Friedensjournalismus ergibt also, dass GCP zahlreiche Aspekte des Konflikts abdeckt. Eine wichtige Dimension ist, dass GCP versucht, unparteiisch zu bleiben, und die Schlussfolgerungen beim Spieler zu belassen. Allerdings kann sich der Spieler auch dafür entscheiden, voreingenommen zu sein und es mit einseitiger Berichterstattung auf die Titelseite der israelischen oder der palästinensischen Zeitung zu schaffen. GCP macht damit nachvollziehbar, wie voreingenommener Journalismus die Inhalte der Nachrichten beeinflusst – dies ist ja auch in der Berichterstattung über die reale Welt durchaus sehr relevant. Dies ist ein wichtiger Lerneffekt und vielleicht der interessanteste Aspekt an GCP.

Schlussfolgerung

Der Spielemarkt ist ein Massenmarkt und bietet jungen Menschen zahlreiche attraktive Freizeitangebote. Junge Menschen scheinen heutzutage den traditionellen Nachrichtenmedien wenig Zeit zu widmen, und sie erlangen ihr Wissen über die Welt vor allem durch Unterhaltungsfilme und –spiele. Im Moment können wir lediglich spekulieren, welche Weltsicht junge Menschen mittels der Spiele, die vom militärisch-industriellen Komplex entwickelt werden, langfristig erwerben.

Auch wenn es schwer ist, die Wirkung solcher an realen Kriegen orientierten Videospiele auf das Verhalten der Nutzer einzuschätzen, sollte der Inhalt dennoch unter dem Gesichtspunkt der Kriegspropaganda analysiert werden. Die digitale Technologie, die in den Forschungslabors des militärisch-industriellen Komplexes entwickelt wird, kommt in Simulatoren zum Einsatz, mit deren Hilfe sich Soldaten auf reale Kriege vorbereiten. Und dieselben Technologien – häufig sogar dieselben Spiele – finden sich dann auf dem kommerziellen Videospielemarkt wieder. Es ist unklar, welche langfristigen Auswirkung es hat, wenn Millionen Nutzern beim Spielen der Narration der Kriegspropaganda ausgesetzt sind. Einige besorgniserregende Vorfälle vom Kriegsschauplatz Irak lassen vermuten, dass die gewalttätige männliche Kultur der Videospiele Soldaten zu inhumanerem und gewalttätigem Verhalten im Kampfgeschehen anspornt.

Aufgrund der ökonomischen, technologischen und kulturellen Verbindungen zwischen der Unterhaltungsindustrie und der wehrtechnischen Industrie ist es höchst unwahrscheinlich, dass die großen Nachrichtensender bei Fragen von Krieg und Frieden als kritische Watchdogs fungieren. Die großen Nachrichtenmedien halten sich nicht nur mit Kritik am Pentagon und am Weißen Haus zurück, wenn es um die Vorbereitung von Kriegen geht, sondern in manchen Fällen nutzen sie für ihre Berichterstattung über Militärangelegenheit dieselben digitalen Technologien wie die Spieleindustrie, und zwar so, dass die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verschwimmt. Robin Andersen hat den Begriff »military-entertainment complex« geprägt, um die symbiotischen Beziehungen zwischen dem Pentagon und Teilen der Spieleindustrie zu erklären (Andersen 2006). Die Einführung von Spielen wie »Global Conflicts: Palestine« bietet eine Alternative für diejenigen, die Computerspiele als Tool zur Erkundung neuer Ansätze der Friedensförderung und Konfliktlösung nutzen wollen.

Es besteht die Hoffnung, dass Friedensforscher, die sich von den analytischen Werkzeugen des Friedensjournalismus inspirieren lassen, gemeinsam mit Spieleentwicklern, die die Ludologie interessant finden, auf der Basis von Friedensförderung und Gewaltfreiheit ein Gegengewicht aufbauen und populäre Spiele auf den Markt bringen können. Dieser Beitrag wollte aufzeigen, dass Johan Galtungs Konzept für Kriegs- und Friedensjournalismus ein nützliches Instrument zur Analyse von Computerspielen ist. Das Konzept bietet einen analytischen Zugang, der uns den kriegsorientierten, ethnozentristischen und propagandistischen Charakter der Spiele vom militärisch-industriellen Komplex bewusst machen kann. Es bleibt abzuwarten, ob Alternativen zu den vom »military-entertainment complex» angebotenen Spielen kommerziell ähnlich erfolgreich sein können.

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Anmerkungen

1) Dieser Artikel greift auf Teile eines Artikels in »Peace and Policy«, Vol. 13, 2008 zurück, ebenso auf Ottosen 2009.

2) Studierende, die an diesem Experiment teilnahmen, berichteten in ihrer Bachelorarbeit für das Fachgebiet »Media and Communication« am Oslo University College über das Experiment; siehe Brustad et al. 2007.

3) Die Studierenden, die am Experiment mit »America’s Army« teilnahmen, analysierten auch »Global Conflict: Palestine«. Mein Forschungsassistent Daniel Wærnes führte unabhängig davon eine ausführliche Analyse des Spiels durch. Im folgenden Teil des Artikels stütze ich mich auf seine Arbeit; siehe Ottosen and Wærnes 2008.

4) Aus Platzgründen kann die Analyse hier nur in Auszügen wiedergegeben werden. Siehe Ottosen and Wærnes 2008 für den vollständigen Bericht der Studie..

Rune Ottosen ist Journalistikprofessor am Oslo and Akershus University College of Applied Sciences (Norwegen). Als Journalist und Politikwissenschaftler war er zuvor u.a. wissenschaftlicher Mitarbeiter und Direktor für Öffentlichkeitsarbeit am International Peace Research Institute (PRIO) in Oslo. Er schrieb eine Reihe Artikel und Bücher zur Mediengeschichte und zu Kriegs- und Friedensjournalismus, häufig zusammen mit Stig A. Nohrstedt von der Universität Örebro (Schweden). Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen und Fabian Virchow