Zur Relevanz von Feindbildern – am Beispiel des Golfkrieges / Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg

Zur Relevanz von Feindbildern – am Beispiel des Golfkrieges /
Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg

von Gert Sommer, Wilhelm Kempf

Politisches Bewußtsein und Handeln sind stark vom Feind-Freund-Denken beeinflußt, also von den Bildern , die sich Politiker und die Bevölkerung von politisch relevanten Personen und Ereignissen machen. Feindbilder sind eine Untergruppe von Vorurteilen. Insbesondere Sozialpsychologen haben herausgearbeitet, daß Vorurteile wichtige individuelle und soziale Ursachen haben, die eng miteinander verwoben sind.

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von Gert Sommer

I. Zur Psychologie von Feindbildern

Zunächst zu den individuellen Bedingungen für Vorurteile: Menschen machen sich Bilder, Vorstellungen von sich selbst und ihrer Umwelt. Die Realität ist so komplex, daß ein Individuum nicht alle Informationen wahrnehmen und verarbeiten kann. Subjektiv Wichtiges ist von Unwichtigem zu trennen, sonst würde das Individuum in einem Chaos von unendlich vielen Informationen untergehen, handlungsunfähig werden. Die direkt vorhandenen und die prinzipiell verfügbaren Informationen müssen also reduziert werden. Dies kann durch die Bildung von Kategorien oder Klassen geschehen, zu denen auch Vorurteile gehören. Kategorien bringen Übersichtlichkeit und Ordnung in die hochkomplexe Welt, sie erleichtern die Identifikation und Bewertung von Objekten. Damit wird eine subjektive Realität konstruiert, die für das Individuum Sinn ergibt und ihm Handlungsfähigkeit ermöglicht. Solche Kategorien sind zum Beispiel Stuhl, Tisch, Haus, Geschlecht, Alter, Religion, Beruf, Hautfarbe, Nationalität, politische Überzeugung. Die jahrzehntelang in der Bundesrepublik vermutlich wichtigste Kategorie internationaler Politik war »West« gegenüber »Ost« (und z.B. nicht eine ebenso denkbare Kategorie »Unterstützung von Diktaturen«). Handlungsfähigkeit mithilfe von Kategorienbildung erfordert auch, daß die Kategorien möglichst stabil und widerspruchsfrei sind; denn andernfalls müßten sie mit großem intellektuellem und emotionalem Aufwand häufig verändert und den neuen Bedingungen angepaßt werden. Um dies zu vermeiden, werden Informationen bevorzugt danach aufgesucht und auch verarbeitet, daß sie mit den bestehenden Kategorien konsistent sind und diese stabilisieren (Konsistenz-Prinzip). Dies geschieht auch dadurch, daß solche Personen und Gruppen bevorzugt werden, die entsprechende Informationen bereitstellen oder bestätigen.

Kategorienbildung und Konsistenzprinzip implizieren immer einen Informationsverlust; dies kann zu unangemessenen und vorläufigen, aber relativ leicht korrigierbaren Vor-Urteilen führen, jedoch auch zu groben Informationsverzerrungen, die schwer veränderbar sein können. Letzeres geschieht insbesondere dann, wenn realitäts-unangemessene Kategorien verwendet werden, wenn relevante Informationen systematisch (d.h. auch motivbedingt) unberücksichtigt bleiben und wenn diese Kategorien zusätzlich stark mit Emotionen besetzt sind. Dies ist typisch für Feindbilder mit ihren intensiven negativen Emotionen. Während die Bildung von Kategorien grundsätzlich eine kognitive Notwendigkeit zur individuellen Orientierung ist, bedeutet ihre Ausgestaltung in Form von Feindbildern eine starke Realitätsverzerrung, ein »pathologisches Extrem« (Spillmann & Spillmann).

Zu den sozialen Bedingungen für Vorurteile: Menschen streben als soziale Wesen nach sozialer Zugehörigkeit, sozialer Identität. Dazu suchen sie Anschluß an Personen und Gruppen, die sie schätzen und denen sie ähnlich sein wollen. Durch den engen Kontakt können Handlungs-, Denk-, Motiv- und Wertemuster in hohem Ausmaß übernommen werden. Dies geschieht insbesondere durch die psychologischen Prinzipien des Modell-Lernens und der sozialen Belohnung und Bestrafung.

Psychologisch erleichternd und notwendig erscheint es, auch eine Gruppe der anderen, Un-Ähnlichen zu konstruieren, von der Menschen sich abgrenzen und gegenüber denen sie Nicht-Zugehörigkeit demonstrieren können. Beispiele für solche Abgrenzungen von Wir- bzw. Innengruppen einerseits und Außengruppen andrerseits sind Männer gegenüber Frauen, Schul- gegenüber Kindergartenkindern, Studenten gegenüber Dozenten, Arbeiter gegenüber Angestellten, evangelische gegenüber katholischen Christen, Christen gegenüber Nicht-Christen, Weiße gegenüber Schwarzen, Konservative gegenüber Sozialisten. Entsprechende Gruppenbildungen mit dem dazugehörigen »Wir«-Gefühl sind grundsätzlich wichtig für die persönliche Identität und für die Identität von Gruppen. Bei Feindbildern sind solche Gruppenbildungen rigide und mit starken Emotionen besetzt: positive Gefühle bezüglich der Wirgruppe, negative Gefühle gegenüber der Außengruppe.

In seinen bekannten Ferienlager-Experimenten konnte der Sozialpsychologe Mustafer Sherif (Sherif & Sherif, 1969) aufzeigen, daß männliche Jugendliche im Rahmen eines Ferienlagers – insbesonder durch die Aufteilung auf verschiedene räumliche Einheiten – Gruppen bildeten mit eigenen Regeln und Rollenaufteilungen, die schnell zu einem Wir-Gefühl und auch entsprechender Abgrenzung zu anderen Grupen führten. Durch die experimentelle Herstellung einer Wettbewerbssituation und die entsprechenden Gewinner- und Verlierer-Erlebnisse – es wurde ein Spiele-Turnier organisiert und die Ergebnisse wurden ausgehängt – festigten sich sowohl der innere Zusammenhalt der Gruppen als auch die Abgrenzung zwischen den Gruppen erheblich, es kam schließlich zu tätlichen Auseinandersetzungen.

II. Vom Vorurteil zum Feindbild

Insbesondere bei Spannungen, Konflikten und Krisen kann es zu einem Eskalationsprozeß kommen, in dem im inner- und zwischengesellschaftlichen Bereich die Gruppe der anderen zunehmend negativ beurteilt wird mit den vorherrschenden Assoziationen falsch, schlecht, minderwertig, gefährlich und böse. Dies kann zum Teil realistisch sein (wenn z.B. eine Gruppe die andere diskriminiert, unterdrückt, ausbeutet oder gar physisch vernichtet), zum Teil kann dies auch – bei nur geringer realistischer Grundlage – durch entsprechende Propaganda von einflußreichen Meinungsbildnern hergestellt werden, zumindest sofern die Adressaten für diese Propaganda auch empfänglich sind.

Die Distanz zum positiven Selbstbild und damit die Un-Ähnlichkeit wird im Verlauf des Eskalationsprozesses immer größer. Allein die Nennung des Feind-Namens führt zu einem Bündel negativer Bewertungen und Gefühle. Das Bild vom anderen enthält dann (fast) auschließlich negative Attribute. Der andere wird als brutal, kriegerisch, gefährlich und moralisch minderwertig bewertet. Im Extrem wird ihm die Menschlichkeit abgesprochen, er wird zum Unter-Menschen und Un-Menschen. Nach unserer Definition sind Feindbilder Deutungsmuster für gesellschaftlich-politisches Geschehen; sie sind negative, hoch emotionale, schwer veränderbare Vorurteile, die reichen können bis hin zur fantasierten oder gar realen Vernichtung des Gegners. Feindbilder können sich richten gegen einzelne Menschen, Gruppen, Völker, Staaten oder Ideologien.

Typisch für ein ausgeprägtes Feindbild ist also, daß es im anderen nur oder hauptsächlich das Negative, Böse sieht (vgl. z.B. die Kennzeichnung der Sowjetunion als »Reich des Bösen« durch US-Präsident Reagan). Dies geschieht psychologisch u.a. dadurch, daß der gesamte Prozeß der Informationsaufnahme und -verarbeitung in den Dienst der Aufrechterhaltung dieses Bildes gestellt wird und daß dem Feind primär negative Motive zugeschrieben werden. Dieses negative Bild kann in Teilbereichen realitätsangemessen sein, häufig aber ist dies in den anderen hineinfantasiert, projiziert. Die negative Realität kann im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zum Teil durch das Feindbild selbst produziert werden: Der andere verhält sich so negativ, wie wir es von ihm erwarten und ihm durch unsere eigenen Aktionen nahelegen.

Typisch für ein Feindbild ist zudem, daß es durch sachliche Informationen kaum zu verändern ist. Dies unterscheidet es von vorläufigen Urteilen, die hauptsächlich durch mangelnde Erfahrungen zustande kommen und erheblich leichter zu revidieren sind.

Verzerrte Vorstellungen vom anderen im Sinne von Feindbildern können sich in einem eskalierenden Prozeß wechselseitig entwickeln: Die an diesem Prozeß beteiligten Gruppierungen nehmen sich gegenseitig zunehmend negativ wahr (vgl. z.B. Frei, 1985, bezogen auf die USA bzw. die UdSSR). Dieses Phänomen wird auch als Spiegelbild von Feindbildern bezeichnet. Bei dieser Begriffsverwendung besteht allerdings die Gefahr, daß reale Unterschiede zwischen Gruppen in dem Ausmaß und bei den Thematiken ihrer Verzerrungen leicht übersehen werden.

Der Begriff Feindbild wird in den letzten Jahren inflationär verwendet. Nach der bisherigen Aufzählung von Attributen des Feindbildes grenzen wir den Begriff daher im folgenden von benachbarten Sachverhalten ab. (1) Nach unserem Verständnis reichen Kritik oder sachliche Gegnerschaft nicht aus, von »Feindbild« zu sprechen. (2) Zudem ist es psychologisch und politisch bedeutsam, zwischen groben Verzerrungen, Vorurteilen im Sinne eines Feindbildes einerseits und realen Gegnern und Feinden andrerseits zu unterscheiden. Reale Feinde existieren und sie sind lebensgefährlich; als historisches Beispiel sei an Hitler-Deutschland erinnert, das Grausamkeiten und millionenfachen Tod brachte. Es ist daher bei der Bewertung der »anderen« eine fortwährende und nie endende Aufgabe, zwischen Vorurteilen einerseits und sachlich fundierten Urteilen andrerseits zu unterscheiden.

Mit dieser Aussage heben wir uns von einem anderen Feindbild-Verständnis ab, bei dem z.B. auch die negative Darstellung von SS-Mördern als Feindbild bezeichnet wird (z.B. Keen, 1987); dabei wird der Begriff Feindbild verstanden als negative Bewertung einer anderen Gruppe, unabhängig davon, wie realistisch dieses Bild ist, also unabhängig davon, ob es sich um ein negatives Vorurteil handelt.

Den oben erwähnten Eskalationsprozeß bei der Entwicklung von Feindbildern haben Spillmann & Spillmann (1990) anhand umfangreicher Literaturanalysen detailliert beschrieben. Da er von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung von Feindbildern und die Diagnostik des Feindbilddenkens ist, stellen wir ihn im folgenden ausführlich vor. Zusammengefaßt konzeptualisieren die Autoren die eskalierende Entwicklung von Feindbildern – und zwar sowohl bei individuellen als auch bei Gruppen-Beziehungen – als progrediente emotionale und kognitive Regression.

„Interessengegensätze, Meinungsunterschiede, Angst oder Mißverständnisse können zu intensiven Konflikten und bedrohlichen Auseinandersetzungen führen. Ein solcher Eskalationsprozeß verläuft aber nicht chaotisch, sondern stufenweise und in auffallender Weise reziprok zu den Stufen der emotionalen und kognitiven Entwicklung.“ (S. 272).

Eskalationsstufe 1 meint alltägliche Konflikte, die bei beidseitigem Bemühen und gegenseitiger Empathie konsensual und gerecht, d.h. unter Berücksichtigung der Interessen beider Seiten, gelöst werden können.

Auf Eskalationsstufe 2 gewinnen die eigenen Anliegen – bei Vernachlässigung gemeinsamer Interessen – deutlich an Gewicht, die Informationsaufnahme wird weniger differenziert, Streitfragen werden erweitert und die Gegenseite wird kompetitiv zu überzeugen versucht.Auf Eskalationsstufe 3 wird die rein verbale Ebene verlassen und damit – zumindest kurzfristig – die eigene Spannung reduziert. „Dabei sind die Erwartungen der Parteien paradox: Beide erwarten, durch Druck und Entschlossenheit die Gegenpartei zum Nachgeben zu bringen, sind selber aber nicht bereit, nachzugeben. Damit entsteht der für die Eskalation bezeichnende Widerspruch, daß die beabsichtigte Wirkung einer Maßnahme von der Gegenpartei als Signal zur Eskalation und nicht zur Deeskalation verstanden wird.“ (S. 273) Sachfragen treten allmählich in den Hintergrund, die Gegenseite wird mit kollektiven negativen Stereotypen (z.B. »Rechte« und »Linke«) charakterisiert, die Empathiebereitschaft schwindet zunehmend. Entsprechend beginnt innerhalb der eigenen Gruppe der Konformitätsdruck, „eines der ersten sichtbaren Warnsignale einer sich intensivierenden Eskalation. Abweichende Meinungen, das heißt, unterschiedliche Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen des Konfliktverlaufs, werden immer weniger geduldet. Das bringt viele, die eigentlich anderer Meinung sind, zum Schweigen und macht sie zu Mitläufern.“ (S. 273) Drohender Ausschluß aus der Gruppe evoziert „tiefliegende Verlassenheits- und Verlustängste“, die durch den Gruppendruck erzwungene Vereinheitlichung von Meinungen (Janis, 1972; spricht negativ vom „Gruppendenken“) führt zu eingeengter, verzerrter Sicht der Realität, die für den Problemlösungsprozeß erforderliche Denkvielfalt wird drastisch reduziert.

Auf Eskalationsstufe 4 schwindet die Empathiebereitschaft. „Man weiß zwar um die andere Perspektive, aber man ist nicht mehr fähig oder bereit, die Gedanken, Gefühle und die Situation des anderen zu erschließen und für das eigene Verhalten zu berücksichtigen.“ (S. 274) Der emotionale Abstand zwischen den Gruppen nimmt weiter zu, „alles, was 'nicht-ich', bzw. 'nicht-wir' ist, ist bedrohlich und böse und wird abgelehnt. … Gleichzeitig nehmen die gegenseitigen Projektionen zu: Was in den Parteien lebt, aber nicht als zum eigenen Bild gehörig anerkannt wird, wird in die Außenwelt bzw. auf die Gegenpartei projiziert.“ (S. 274) Die Bilder, die sich jede Partei von sich selbst und den anderen macht, beherrschen Denken, Handeln und Gefühle. „Der Druck auf indifferente Personen oder Gruppen nimmt weiter zu. Wer mit beiden Seiten Kontakt pflegt, macht sich verdächtig.“ (S.274)

Zur letzten Eskalationsstufe 5 kommt es, wenn „eine Seite eine Handlung begeht oder zu begehen droht, die von der Gegenseite als Kränkung, als »Gesichtsverlust« erlebt wird, auf den sie sich entsprechend zu reagieren gezwungen fühlt.“ (S. 275) Die Konflikte werden umfassend ideologisiert, das gesamte Selbst- und Weltbild einbezogen. „…Informationen (werden) wieder auf die frühkindlich-elementare Einordnung in die Gegensatzpaare Fremd/Eigen, Bedrohlich/Sicher, bzw. Böse/Gut reduziert“. Die Gegnerschaft wird als total erlebt, „die Wahrnehmung der Gegenseite erstarrt zum Feindbild“ (S.275) „Es geht um 'Heilige Werte'…und übergeordnete moralische Verpflichtungen. Diese entbinden den einzelnen von der schweren Bürde persönlicher Verantwortung.“ (275) Gewalt wird unpersönlich, Drohungen und schließlich auch Gewaltakte nehmen zu, „um glaubwürdig zu bleiben und den Feind von einem Gewaltakt abzuhalten. … Dies wiederum beweist dem Bedrohten die Aggressivität des Drohenden und provoziert Gegengewalt und damit weitere Eskalation, die bis zur totalen Vernichtung und Selbstvernichtung führen kann. Der Feind wird zum 'Sachobjekt' entwertet und völlig dehumanisiert. Damit schwindet jede Gemeinsamkeit, damit schwinden auch alle menschlichen Normen und Skrupel. Der Abbau und die Demontage der emotionalen und kognitiven Ordnungsmuster, die dem Menschen Empathie und Differenzierung ermöglichen, ist auf diesen Eskalationsstufen in bezug auf den Umgang mit dem Feind umfassend. Im Umgang mit der eigenen Gruppe hingegen ist es den gleichen Menschen – aufgrund der wiederbelebten frühkindlichen Spaltungsvorgänge von »Gut« und »Böse« – möglich, innerhalb ihrer eigenen (»guten«) Gruppe scheinbar normal und menschlich zu funktionieren. Dies macht es dem unerfahrenen oder unwissenden Beobachter schwer, mit ihrer effektiv tief regredierten Selbst- und Fremdwahrnehmung zu rechnen und diese bei allfälligen Konfliktlösungsbemühungen auch bewußt in Betracht zu ziehen.“ (275f)

Das Modell von Spillmann & Spillmann (1990) stellt die Entwicklung von Feindbildern dar als Umgekehrung des Prozesses der emotionalen und kognitiven Entwicklung. Mit dem zunehmenden Verlust an kognitiver und emotionaler Differenziertheit, also mit zunehmender Regression, verfestigt sich Schwarz-Weiß-Denken; Empathie – sich Hineinversetzen in die Welt des anderen – als eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches soziales Problemlösen geht verloren. Die im Modell vorgestellten fünf Eskalationsstufen beschreiben wichtige Merkmale der Feindbildentwicklung, sind aber nach unserer Meinung weniger klar voneinander zu trennen; zudem können sie sich nicht nur auf den »Feind« als Gesamtes beziehen, sondern sie können begrenzt sein auf wichtige Teilbereiche (z.B. Gesellschaftsstruktur, nicht aber Kultur).

III. Auswirkungen von Feindbildern

Etablierte Feindbilder haben vielfältige Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, sie sind ein wichtiger und »nützlicher« Faktor in Politik und psychischer Hygiene (Sommer et al., 1989). Einige dieser Auswirkungen fassen wir im folgenden knapp zusammen. Diese können als einzelne in den Vordergrund treten, sie können aber auch bei entsprechender politischer Eskalation gemeinsam erscheinen.

Individuelle Auswirkungen

  1. Positives Selbstbild: Ein Individuum erfährt durch Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gruppe(n) individuelle und soziale Identität. Dabei entwickelt es bei vorhandenem Feindbild durch Identifikation mit den »Guten« und durch Abgrenzung von den »Bösen« einen erhöhten Selbstwert, ein positive(re)s und idealisiertes Selbstbild.
  2. Simples Weltbild: Politische Informationen werden in einer stark vereinfachten »Gut- vs. Schlecht-« Kategorie verarbeitet. Kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Informationssuche, Aufmerksamkeit, Interpretation, Ursachenzuschreibung, Gedächtnis und Erinnerung werden aktiv so organisiert, daß sie das positive Selbstbild und das negative Feindbild stützen. Negative Ereignisse oder Verhaltensweisen beim Gegner bestätigen das Feindbild, während sie bei der eigenen Seite durch spezifische Umstände bedingt sind und eine Ausnahme darstellen (Umgekehrtes gilt für positive Ereignisse). Positiv erscheinendes Verhalten des Feindes (z.B. ein Angebot zur Abrüstung) wird als belanglos oder unzureichend oder nicht Ernst gemeint bewertet oder aber es verbirgt eine negative Absicht, z.B. soll damit nur das eigene Bündnis gespalten werden. Da diese Prozesse u.a. durch das bedeutsame Motiv zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes gespeist werden, können nicht-kompatible Informationen negiert (»selektive Wahrnehmung«), uminterpretiert oder auch aggressiv abgewehrt werden. Ereignisse werden eher anhand des Akteurs und weniger anhand des Ereignisses selbst bewertet. Vergleichbare Ereignisse (z.B. Rüstung, Krieg) können somit völlig unterschiedlich beurteilt werden (»doppelter Standard«). Dieses psychische Gesamtgeschehen hat für ein Individuum – zumindest kurzfristig – positive Auswirkungen: Auch hoch komplexe gesellschaftliche Vorkommnisse können ohne großen intellektuellen und emotionalen Aufwand in ein griffiges, einfaches Schema verarbeitet werden. Langfristig kann dies selbstverständlich auch negative Auswirkungen haben: Wenn gesellschaftliches Geschehen inadäquat bewertet und auf dieser Grundlage gehandelt wird, kann dies zu negativen Folgen für das Individuum (zur Rechenschaft gezogen werden), die Gemeinde und sogar die Menschheit führen (z.B. Folgen von Rüstung, Industrialisierung und Wohlstand für Ökologie und Dritte Welt).
  3. Ängste erklären und Aggressionen ausleben: Ängste unterschiedlichsten Ursprungs (intrapsychisch, interpersonell, gesellschaftlich) können benannt, mit der Existenz eines bösen Feindes »erklärt« und damit reduziert werden. Eigene Passivität beim Wahrnehmen von Unrecht – motiviert etwa durch Angstvermeidung – kann vor sich selbst und anderen damit »begründet« werden, daß das Opfer (der Feind) letztlich selbst verantwortlich ist: Schlechte Gewissen werden beruhigt. Aggressionen unterschiedlichster Herkunft können auf den »bösen Feind« gelenkt werden. Aggressives Handeln – tatsächlich oder in der Phantasie –, Foltern und andere Grausamkeiten, Töten bzw. Morden sind erlaubt, »gerechtfertigt« und sogar gefordert. Sie werden von der Gruppe und/oder den Herrschenden belohnt: mit hohem Ansehen, mit Orden und der Auszeichnung »Held«, mit Geld oder anderen Reichtümern. Dies geschieht insbesondere, nachdem es gelungen ist, den »Feind« zu entmenschlichen; dazu dienen Begriffe wie z.B. Schwein, Ungeziefer, Ratte, Wanze.
  4. Psychischen Aufwand vermeiden: Wenn in der politischen Sozialisation und in dem gesellschaftlichen Klima Feindbilder verfestigt sind, bedeutet es einen großen psychischen Aufwand, diese zu überwinden: Denkgewohnheiten und emotionale Schemata müssen verändert, soziale Bestrafung muß ertragen werden, im Extremfall sind psychische Integrität und physische Existenz gefährdet. Diese Gefährdungen und die psychischen Anstrengungen können vermieden werden, solange ein Individuum sich an die gesellschaftliche Realität mit dem herrschenden Feindbild anpaßt bzw. sich ihr unterwirft.

Gesellschaftliche Auswirkungen

  1. Meinungen manipulieren: Politische Informationen über den »Feind« sind häufig unabhängig von jeglichen persönlichen Erfahrungen. Die Öffentlichkeit ist somit abhängig von Informationen, wie sie u.a. von Massenmedien und Politikern vermittelt werden: Obwohl mit Neuigkeiten überfüttert, ist sie häufig uninformiert. Um ein Feindbild zu etablieren, können u.a. folgende Strategien der Propaganda eingesetzt werden: unerwünschte Informationen unterschlagen; erwünschte Informationen wiederholen; Ereignisse fälschen; Interpretationen im Sinne des Feindbildes mitliefern, u.a. durch Wortwahl, Bilder oder explizite Kommentare; über Ereignisse berichten ohne den relevanten geschichtlichen oder gesellschaftlichen Hintergrund zu reflektieren. Diese gezielte (Des-)Informationspolitik kann durch direkte Zensur der Medien erreicht werden; sie ist aber in Krisensituationen auch immer wieder in Ländern mit »freiem« Pressewesen zu beobachten; dabei sind die Rollen von »Täter« und »Opfer« oft schwer auseinanderzuhalten (vgl. Golfkrieg).
  2. Militär stärken: Ein starkes Feindbild trägt dazu bei, die Bedeutung des Militärs in einer Gesellschaft zu erhöhen. Militärische Aktionen, Vernichtung, Völkermord werden legitimiert als notwendige Handlungen, um das Böse in der Welt zu bekämpfen und dem Guten (der eigenen Seite) zum Sieg zu verhelfen.
  3. Rüstung erhöhen: Eigene miltärische Ausgaben sind notwendig, eigene Waffensysteme sind gut und defensiv, dagegen sind Rüstung, Waffen, Miltärdoktrinen des »Feindes« aggressiv und schlecht. Dies spiegelt sich auch in Namensgebungen wieder, wenn z.B. die eigenen »Massen“vernichtungswaffen Kose- oder Friedensnamen erhalten (»little big man«, »peacekeeper«).
  4. Nullsummendenken: Politische und miltärische Aktionen werden nach dem einfachen Schema bewertet, daß für die eigene Seite all das schlecht ist, was dem Feind nutzt und umgekehrt: Was dem Feind schadet, nutzt uns. Entsprechend ist des Feindes Freund unser Feind und des Feindes Feind unser Freund, mögen wir letzterem früher auch noch so negative Eigenschaften zugeschrieben haben. Gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden werden nicht mehr wahrgenommen. Dies führt z.B. dazu, daß der gesellschaftliche Schaden, der aus Militärausgaben folgt, nicht angemessen berücksichtigt wird oder daß lange Zeit davon ausgegangen wurde, daß ein Atomkrieg »gewonnen« und ein Land mit atomaren oder chemischen Waffen »verteidigt« werden kann.
  5. Gesellschaft stabilisieren: Der Verweis auf die Bedrohung durch einen »Feind« erleichtert es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von relevanten Problemen in der eigenen Gesellschaft (z.B. Arbeitslosigkeit, Armut, Zensur, Unterdrückung) abzulenken und/oder die Bewertung und den Stellenwert dieser Probleme zu mindern. Zudem wird durch die Bekämpfung des »Bösen« das Selbstbild der eigenen Gruppe, Gesellschaft und Nation erhöht.
    Innergesellschaftlich bedingte Unzufriedenheit und Aggressionen können gegen den »Feind« kanalisiert werden. Somit schaffen Feindbilder Einigkeit nach innen und dienen der Herrschaftssicherung. Wegen der großen Bedrohung erscheint es auch legitim, die innergesellschaftliche Opposition zu diffamieren, zu unterdrücken, zu verfolgen und zu vernichten.
  6. Internationale Probleme vereinfachen: Internationale Probleme und Konflikte unterschiedlichster Art werden in das Feind-Freund-Denken hineingepreßt. Damit wird es überflüssig, sich sachgerecht mit ihnen auseinanderzusetzen, eine angemessene Problemsicht wird verhindert. Beispiele dafür sind allgemeine Menschheitsprobleme wie z.B. Militärausgaben, Binden von intellektuellen Ressourcen durch Militärforschung, atomare, biologische und chemische »Massen“vernichtungsmittel (Overkill), Arbeitslosigkeit, Hunger, Unterernährung, Energie, Ökologie. Weitere Beispiele sind die Bewertung von Konflikten in anderen Gesellschaften und die entsprechende politische, finanzielle und militärische Unterstützung einzelner Konfliktparteien.

IV. Feindbilder am Beispiel des Golfkrieges 1990/91

Beim Golfkrieg 1990/91 und seiner Vorbereitung sind mindestens zwei Feindbild-Themen relevant: (1) Saddam Hussein, der zum Feind der Welt aufgebaut wurde und somit einen Krieg scheinbar erforderlich machte; (2) Anti-Amerikanismus und -Israelismus: Der Vorwurf gegenüber Gegnern des Krieges, ein Feindbild USA und/oder ein Feindbild Israel zu haben. Diese beiden Feindbild-Themen – das eine außenpolitisch, das andere innenpolitisch – ergänzen sich.

Feindbild Saddam Hussein?

Der irakische Diktator Saddam Hussein wurde – insbesondere in den führenden westlichen Ländern – nach der Annektion Kuwaits im August 1990 innerhalb kurzer Zeit zum Feind Nummer Eins der Welt, der Völkergemeinschaft, der Menschheit erklärt (er avancierte „gleichsam über Nacht vom hofierten Partner zum neuen Hitler“, Krell, 1991,135). Dies wurde insbesondere mit der Metapher »Hitler von Bagdad« (oder auch »Irrer von Bagdad«) prägnant verdeutlicht. Dem Irak wurde zudem eine riesige Militärmacht zugeschrieben, die viele Nachbarländer bedrohe. Dies führte zusammengefaßt zu folgendem Bild, das – wie wir sehen werden – die komplexe Realität extrem vereinfacht und verzerrt:

Ein Diktator hat einen wehrlosen Nachbarstaat brutal überfallen. Dafür muß er in einem gerechten Krieg bestraft werden. Somit wird das Völkerrecht verwirklicht, der Grundstein für eine neue friedliche und gerechte Weltordnung (nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes) wird gelegt. Ursache für den Krieg ist allein dieser Diktator.

Bei unserer Argumentation versuchen wir, einige Hauptlinien der Diskussion in der BRD und den USA aufzuzeigen. Unsere Überlegungen beruhen auf einer (eher unsystematischen) Analyse von Medien und auf Erfahrungen bei zahlreichen Gesprächen und Vorträgen.

Zunächst zu der Frage, ob es angemessen ist, von einem »Feindbild« Hussein zu sprechen. Dies muß in der Tat eingeschränkt werden, denn an der negativen Sicht des Hussein ist – nach den uns bekannten Informationen – vieles realistisch: Er hat sein Land in hohem Maße aufgerüstet, u.a. mit chemischen Waffen; er hat nicht nur Kuwait überfallen, sondern früher bereits einen Krieg gegen den Nachbarn Iran begonnen; er hat die Opposition im eigenen Land sowie Minderheiten – Kurden und Assyrer – verfolgt und getötet; dabei hat er auch das völkerrechtlich geächtete Giftgas eingesetzt. Hussein ist also ein realer Feind z.B. für irakische Oppositionsgruppen, Kurden und benachbarte Staaten. Trotz dieser Kumulation negativer Attribute erscheint es mir doch gerechtfertigt, das Konzept Feindbild zu verwenden. Denn viele systematische Verzerrungen sind zu beobachten, wenn der Irakkrieg auf das Phänomen »Böser Hussein« reduziert wird: Relevante Daten und Ereignisse werden negiert (u.a. westlicher Kolonialismus; systematische Aufrüstung des Irak durch das Ausland; Waffenherstellung und -export; Energieverschwendung), zudem herrschen problematische Werte und Bewertungen vor, wenn z.B. tote Irakis und ökologische Katastrophen wenig bedeuten. Wir werden dies im folgenden an einigen Aspekten illustrieren.

(1) Geschichtlicher Hintergrund und Kriegsbeginn

Die durch das Feindbild geprägte Meinung lautet: Allein Hussein ist für den Krieg verantwortlich, da er Kuwait annektiert hat.

Die Annektion Kuwaits war ein Bruch des Völkerrechts, der entsprechend mit den Mitteln der Vereinten Nationen zu sanktionieren und zu revidieren war. Zu einer angemessenen Bewertung der Ereignisse sind aber u.a. der historische Hintergrund sowie die Angemessenheit und Verhältnismäßigkewit des Mittels Krieg zu diskutieren.

Seit der Unabhängigkeit Kuwaits im Jahre 1961 gibt es Grenzstreitigkeiten zwischen Irak und Kuwait, insbesondere auch bezüglich der kuwaitischen Ausbeutung der dortigen Erdölfelder. Die Grenzen selbst sind zum Teil willkürlich durch die Kolonialmächte festgelegt worden. Der norwegische Friedensforscher Galtung erinnerte daran, daß Engländer bereits 1920 Iraker und Kurden mit Giftgas getötet hätten (FR, 4.3.91). Die westliche Kolonialherrschaft und die Verfügung westlicher Firmen über den Rohstoff Öl führten in den arabischen Ländern zu einer weit verbreiteten negativen Einstellung gegenüber dem Westen, die von Hussein geschickt genutzt wurde. Somit erscheint der Krieg auch als eine späte Folge westlichen Kolonialismus.

Während des vom Irak begonnenen Kriegs gegen Iran wurde der Irak von der Sowjetunion, aber auch vom Westen politisch, militärisch und technologisch unterstützt. Hussein war anscheinend – trotz Unterdrückung der irakischen Bevölkerung, trotz Beginn eines Krieges mit über einer Million Toten und trotz Einsatz von Giftgas – ein akzeptabler Partner auch des Westens, und zwar, solange er ein »Schutzschild« gegen den fundamentalistischen Iran war, solange er den »richtigen« Krieg führte.

„Wir wußten, daß Saddam ein Hurensohn war, aber er war eben damals unser Hurensohn, den wir gegen die schlimmere Bedrohung des Ayatollah Khomeini einsetzen wollten“. (G. Kemp, Chef der Nahost-Abteilung im Sicherheitsrat der USA unter Präsident Reagan. Stern 6/91.) Das gleiche Muster des Umgangs zeigt sich gegenüber dem früheren Militärmachthaber Panamas, Noriega, der – u.a. als Waffen- und Geldlieferant für die nicaraguanischen Contras – bis unmittelbar vor seiner Entmachtung durch das US-Militär eng mit dem US-Geheimdienst CIA zusammenarbeitete und erhebliche finanzielle Zuwendungen erhielt. (FR, 17.5.91).

Erst dann wurde er zum Feind erklärt, als er mit der Annektion Kuwaits auch die langfristigen westlichen Interessen gefährdete, insbesondere die Kontrolle der Verfügbarkeit über Öl und dessen Preispolitik. Der später insbesondere von westlichen Ländern beklagte – und als Kriegsgrund aufgeführte – hohe Rüstungsstand des Irak ist also zusätzlich zur UdSSR wesentlich von westlichen Länder mitproduziert worden.

Allgemeiner: Die Länder des Nahen Ostens haben zwischen 1974 und 1988 Waffen im Wert von 214 Mrd US$ gekauft, größter Abnehmer war der Irak. Drei Viertel dieser Waffen wurden von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Weltsicherheitsrats geliefert, also jenen, die den Krieg gegen den Irak beschlossen. FR, 7.3.91.

Damit wird auch das grundlegende Problem von Waffenproduktion und Waffenexport thematisiert, die direkt (Exportgewinne) und indirekt (Sicherung von Herrschaftsstrukturen, die eine den westlichen Kapitalinteressen entgegenkommende Politik betreiben) zum Reichtum westlicher Länder beitragen. Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge westlichen Lebensstandards und westlicher (Rüstungs-)Politik, die auch mit Diktaturen eng zusammenarbeitet, sofern sie den westlichen Wirtschaftsinteressen entgegenkommen.

Der durch den Irankrieg hoch verschuldete Irak (etwa 70 Milliarden US$) wünschte insbesondere von seinen Nachbarländern Kuwait und Saudi-Arabien zunächst Schuldenerlaß, später eine Anhebung des Erdölpreises (der 1990 zeitweise unter 14 US$ gefallen war) durch Drosselung der Produktion. Als dies nicht erreicht wurde, und als Kuwait auch bei der umstrittenen Ölförderung unterhalb der irakisch-kuwaitischen Grenze nicht kompromißbereit erschien, annektierte Irak den Nachbarstaat – nachdem von der Botschafterin der USA signalisiert wurde, daß US-Interessen nicht berührt seien (vgl. Karsh & Rautsi, 1991). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge unterschiedlicher Interessen bei der Festsetzung des Erdölpreises, bei denen der Westen wesentlich beteiligt ist.

Die Verfügbarkeit von immer mehr Staaten über atomare und chemische Waffen ist auch eine Folge der Rüstungspolitik der Großmächte, insbesondere der USA, die in den letzten Jahren sowohl ein Atomteststopp-Abkommen (als Ergänzung des Nonproliferations-Vertrages) als auch die Unterzeichnung einer erweiterten C-Waffen-Konvention blockierten (Naturwissenschaftler-Rundbrief Verantwortung für den Frieden,3/1990).

Nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak verabschiedete der UNO-Weltsicherheitsrat – insbesondere auf Betreiben der USA – eine Reihe von Resolutionen mit dem hauptsächlichen Ziel, die Souveränität des Kuwait wiederherzustellen. Dazu gehörten u.a. Forderung nach bedingungslosem Rückzug aus Kuwait (2. August 1990), Verhängung eines Handelsembargos (6. August), dessen Durchsetzung auch mit militärischen Mitteln (25. August) und schließlich – als der Irak unzureichend reagierte – mit der Resolution 678 (29. November) die Ankündigung, bei Ablauf des Ultimatums am 15.1.1991 die Souveränität Kuwaits mit „allen erforderlichen Mitteln“, also notfalls auch mit militärischer Gewalt wiederherzustellen. Insbesondere die Resolution 678 führte zu intensiven politischen Diskussionen. Für die Befürworter des Krieges war damit die Legitimation durch die »Weltgemeinschaft« gegeben, die Verantwortung für einen möglichen Krieg wurde dem Irak zugeschrieben, da er Völkerrecht verletzt habe und die Resolutionen des Weltsicherheitsrates nicht anerkenne. Gegner des zu erwartenden Krieges führten u.a. die folgenden Argumente auf. (1) Das Embargo wirken lassen: Die Wirtschaft des Irak sei nahezu vollständig auf Einnahmen durch den Export von Erdöl angewiesen; die moderne Armee des Irak sei zur Aufrechterhaltung ihrer Einsatzfähigkeit weitgehend abhängig von importierter Technologie. Somit sei ein Erfolg des Embargos im Sinne der Durchsetzung von UNO-Resolutionen wahrscheinlich (vgl. Dembinski & Kubbig, 1991). (2) Verhältnismäßigkeit der Mittel: Es sei unverhältnismäßig, ein großes Unrecht (die Annektion Kuwaits) durch ein noch größeres Unrecht (einen Krieg) zu bekämpfen; bei jedem Krieg leide hauptsächlich die Zivilbevölkerung, das gelte es zu verhindern; es bestehe die Wahrscheinlichkeit, daß chemische und atomare Waffen eingesetzt werden mit ihren verheerenden Folgen für alles Leben; die ökologischen, aber auch die wirtschaftlichen und politischen Folgen eines Krieges seien für die Region und die Welt kaum absehbar; die UNO dürfe sich nicht zum Erfüllungsgehilfen des Weltpolizisten USA machen lassen (die Wende hin zu einem Krieg kam spätestens am 8. November – also zeitlich vor der Resolution 678 –, als US-Präsident Bush eine Verdoppelung der US-Truppen auf über 400.000 Soldaten verkündete und von einer „offensiven militärischen Option“ sprach; Spiegel, 49/1990); es gelte schließlich, unterschiedliche Standards zu vermeiden: So habe der UNO-Sicherheitsrat nicht oder erheblich weniger konsequent gehandelt, als andere Länder Völkerrecht brachen, z.B. Syrien mit der Besetzung des Libanon, die Türkei mit der Verfolgung der Kurden und der Besetzung Nordzyperns, Marokko mit der Besetzung der Westsahara, Israel mit der Annektion der Westbank und der Golanhöhen, die USA mit ihren Militäreinsätzen z.B. gegen Grenada (1983), Libyen (1986), Nicaragua (dafür verurteilt vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag) und Panama (1989). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge zielgerichteter US-Politk, die es u.a. erreichte, den Weltsicherheitsrat für diese Politik zu gewinnen oder zu instrumentalisieren (vgl. Ruf, 1991). Dieses Argument wird noch dadurch unterstützt, daß die US-Regierung durch ihre ultimativen Forderungen und durch Ablehnen jeglicher Verhandlungen es Hussein unmöglich machte, bei einem Rückzug sein Gesicht zu wahren.

Zu den bisherigen Ausführungen einige Zitate und Hinweise:

Brzezinski (von 1977-81 nationaler Sicherheitsberater der USA; Spiegel 4/1991): „Meiner Meinung nach hätte ein Embargo langfristig zum Erfolg geführt…Sanktionen (hätten) sich besser mit einer neuen internationalen Weltordnung der Sicherheit und Zusammenarbeit vertragen.- Ein Krieg hätte verhindert werden können, wenn der Sicherheitsrat einen größeren Verhandlungsspielraum gelassen hätte… wenn die amerikanische Politik sich stärker um eine diplomatische Lösung bemüht hätte … und … wenn (die Europäer) nicht mit neuen Initiativen bis zum letzten Augenblick gewartet hätten.“

Crowe (bis Oktober 1989 höchster US-Offizier als Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs): Bush solle zunächst die Wirkung der Wirtschaftsblockade abwarten, auch wenn das „12 bis 18“ Monate dauere; geduldiges Ausharren sei allemal beser als Krieg mit den zu erwartenden Opfern und Risiken. (Spiegel 49/1990). Entsprechend äußerte der zur Zeit der Krise tätige Chef des US-Generalstabs Powell „ernsthafte Zweifel“ an einer militärischen Lösung (FR, 3.5.1991).

General Schwarzkopf (Oberbefehlshaber am Golf, Einsätze im Vietnamkrieg, bei Grenada und Panama): „…die Sanktionen sind erst seit ein paar Monaten in Kraft. Warum sollten wir jetzt, wo sie zu schmerzen beginnen, plötzlich sagen: Okay, das war nichts, laßt uns die Sache hinter uns bringen und viele Menschen umbringen? Das ist doch verrückt.“ (Spiegel, 49/1990)

Ein erheblicher Teil der US-Politiker im US-Kongreß, wenn auch nicht die Mehrheit, lehnten die Option der Gewaltanwendung ab (Senat 47:52; Repräsentantenhaus 183:250).

Der französische Verteidigungsminister Chevenement, der wegen des Kriegs zurücktrat, bezeichnete ihn später als „amerikanische Expedition wie zur Kolonialzeit“ (FR, 23.4.91).

Powell räumte ein, daß die USA seit mehreren Jahren Pläne für eine Truppenstationierung in der Region hatten: „Wir wollten seit geraumer Zeit gerne ein vorgeschobenes Hauptquartier in der Region, und nun besteht eine gute Gelegenheit“. (FR, 25.3. und 20.2.1991)

Die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« z.B. hatte bereits im Dezember 1988 den Bundesaußenminister Genscher in einem Brief gebeten, Klage gegen den Irak vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erheben, und zwar aus zwei Gründen: (1) wegen der Giftgaseinsätze gegen den Iran (Verstoß gegen die Genfer Konvention von 1925, die den Einsatz chemischer Waffen ächtet); (2) wegen der Giftgaseinsätze gegen die irakischen Kurden (Verstoß gegen die UNO-Konvention von 1948 über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes). Eine Klage aber wurde weder von der Bundesrepublik noch von einem anderen Staat erhoben.

Mohssen Massarrat; Professor für Politische Wissenschaften in Osnabrück (FR, 22.2.91): „Der Krieg erst macht ihn (Saddam Hussein) zum Helden und Fürsprecher der Gedemütigten der Dritten Welt. – Die jahrhundertelang unterlegene morgenländische Kultur sieht ihre Zeit gekommen, jene Bedeutung, die sie einst in der Geschichte hatte, zurückzugewinnen und die islamische Identität wiederherzustellen.- Es geht um die Vernichtung Saddam Husseins als Symbol eines selbständig handelnden Repräsentanten einer Welt, die seit langem nach kultureller und ökonomischer Autonomie strebt, aber bisher scheiterte und eine Niederlage nach der anderen hat hinnehmen müsen. Anmaßende Überlegenheitsgefühle im Westen bestimmen das Denken und Handeln im gegenwärtigen Konflikt. Der kulturelle Konsens zwischen Politikern, Massenmedien und dem Mann auf der Straße, das feindliche Symbol Saddam Hussein im Krieg besiegen und vernichten zu wollen, läßt keinen Raum für friedliche Lösungsstrategien.“

Der irakische Philosoph Sadiq Galal al-Azm, Gastprofessor in den USA und der BRD, führte zum Feindbild Husseins aus (FR, 6.4.91): „Saddam Hussein ist ein brutaler Diktator von übelster Statur. Aber das Bild, das man in Westen von ihm zeichnet, läuft auf eine Dämonisierung hinaus, als sei er die Inkarnation alles nur erdenklich Bösen. Wenn die Amerikaner und der Westen mit dieser Dämonisierung fortfahren, dann laufen sie Gefahr, arabische Realität falsch zu deuten. Denn die Sympathien, die Saddam Hussein in der arabischen Welt genießt, gelten nicht dem Diktator, sondern dem Mann, der sich westlichen Machtansprüchen widersetzt hat. Bei uns besteht allgemein der Eindruck, daß arabische Ressourcen und Bodenschätze, insbesondere das Erdöl, nicht von Arabern kontrolliert werden, sondern vom Westen. Und dieses Gefühl ist mit Ende des Golfkrieges wahrhaftig nicht geringer geworden. Wenn die westliche Vorherrschaft über die arabische Welt – in militärischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht – sich fortsetzt, ist die nächste Explosion nur eine Frage der Zeit.“

Zusammengefaßt spricht für die Relevanz des Feindbildkonzeptes, daß die komplexe politische und militärische Situation durch Verweis auf die Person Hussein stark vereinfacht wurde. Durch die Bekämpfung dieses bösen Feindes wurde das Selbstbild erhöht, erhebliche Anteile des Westens an der Entstehung dieser Situation (u.a. Kolonialismus, Aufrüstung des Irak, Bedarf an billigem Öl, unzureichende Versuche nicht-militärischer Konfliktlösungen, gezieltes Hinwirken auf eine militärische Auseinandersetzung) konnten bewußtseinsmäßig in den Hintergrund gedrängt werden. Die Dämonisierung Husseins etablierte Denkverbote und trug bei zu einer Schuldentlastung der mit diesem System Verstrickten. Dies alles wurde erheblich erleichtert durch viele Handlungen der irakischen Seite, u.a. Geiselnahme, Folterungen, militärische Drohungen u.a. gegen Israel, zögerliches Eingehen auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.

Energieverbrauch (in kg Öleinheiten) pro Kopf der Bevölkerung:

USA: 7193
Bundesrepublik: 4719
Frankreich: 3673
Großbritannien: 3603
Argentinien: 1427
Indien: 208

(2) Ursachen des Krieges

Vermutlich hatte die US-Regierung im wesentlichen wirtschaftliche Gründe für ihren militärischen Einsatz, auch wenn Präsident Bush neben dem Interesse am Öl und der Absicherung des »american way of life« weitere Gründe nannte, z.B. die Befreiung der Geiseln und des Kuwait (hinzukommen mögen: außenpolitisch Festigung des politischen und militärischen Führungsanspruches weltweit; innenpolitisch Demonstration der Führungskraft des Präsidenten, Ablenken von großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen). Der Rohstoff Öl aber ist in den letzten Jahrzehnten ein wesentlicher Faktor des Reichtums der westlichen Industriestaaten geworden: Neun Industriestaaten (etwa ein Viertel der Menschheit) verbrauchen drei Viertel der Energie und 80% der Rohstoffe (das Pendant: Nach dem Armutsbericht der Weltbank verfügen drei Viertel der Erdbevölkerung über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von weniger als 2.000 US$, davon nahezu drei Mrd. Menschen von weniger als 500 US$). Allein die USA (mit ca. 4% der Weltbevölkerung) verbrauchen nahezu ein Viertel der Weltenergie, im wesentlichen Erdöl (davon wiederum werden ungefähr 60% für den Verkehrssektor verwendet; zum Vergleich: In der Bundesrepublik waren dies etwa 40%). Diese Daten können noch illustriert werden mit dem durchschnittlichen Energieverbrauch einiger Länder für das Jahr 1986 (Fischer Weltalmanach, 1990):

Somit sind insbesondere für die westlichen Industriestaaten der ungestörte Zugang zum Rohstoff Öl und ein (möglichst) niedriger Preis von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Nach einer aktuellen Regierungsvorlage soll auch die künftige Energiepolitik der USA weitgehend auf Energieeinsparungen und Nutzung regenerativer Energien verzichten (FR, 13.2.191). Die Kontrolle über den Ölpreis aber war durch die große Konzentration der Welt-Ölreserven beim Irak (nach der Annektion Kuwaits) und dessen Interesse an einem erheblich höheren Preis in ernster Gefahr.

Für das Feindbildkonzept bedeutet dies zusammengefaßt: Die Bekämpfung eines bösen Feindes läßt sich innen- und außenpolitisch leichter durchsetzen (zudem ist es für das Selbstbild erheblich günstiger!) als eine Politik, die wesentlich die Sicherung des Wohlstandes eines kleinen Teils der Erdbevölkerung zum Ziel hat. Der Verweis auf den Feind macht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen dieser Politik, z.B. mit Energievergeudung, Umweltverschmutzung und Armut in der Welt scheinbar weniger dringlich.

(3) Kriegsverlauf und -ende

Die Bevölkerung in unserem Land – eingeschlossen wohl auch die meisten Politiker, Journalisten und Wissenschaftler – war in ihrem Informationsstand weitestgehend abhängig von der Berichterstattung in den Massenmedien. Der Philosoph Günter Anders schrieb bereits 1956 zu Bildern und damit auch zu Massenmedien u.a. die folgenden allgemeinen Erkenntnisse: „… statt Welt zu erfahren kann man sich mit Weltphantomen abspeisen lassen…“ (S.1.) „Wenn es erst in seiner Reproduktionsform, also als Bild sozial wichtig wird, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit und Bild aufgehoben.“ (S.111) „Was dem Betrachter geboten wird, ist also primär die Perspektive, unter der er die Ware »in Betracht ziehen« soll; diese ist festgelegt und, noch ehe die Ware selbst geliefert ist, bereits vorgeliefert.“ (S.162)

Wegen der strengen Zensur bei allen Kriegsbeteiligten führte dies zu einem geringen, extrem verzerrten Wissen über den Krieg. Auch nach Kriegsende wurde Zensur ausgeübt: So ordnete die US-Regierung Wissenschaftler an, der Öffentlichkeit keine Auskünfte über die ökologischen Folgen des Golfriegs zu geben (FAZ, 11.4.91). Das grundlegende demokratische Recht auf Informationszugang wurde systematisch und in großem Umfang verletzt. Die Proteste gegen die Zensur waren insgesamt erstaunlich gering – demokratische Grundprinzipien können nach dieser Erfahrung auch in unserer politischen Kultur relativ leicht außer Kraft gesetzt werden.

Schon vor Kriegsbeginn waren in den deutschen Medien Berichte und Diskussionen über Rüstungsstand und militärische Optionen vorherrschend. Sie nahmen erheblich mehr Raum ein als Überlegungen zu nicht-militärischen Konfliktlösungen und Antizipationen wahrscheinlicher Kriegsfolgen.

Nach Kriegsbeginn wurde die brutale Realität des Krieges transformiert in ein Video-Kriegsspiel: Schöne Bilder zeigten den erfolgreichen Einsatz westlicher Technik gegen Militäreinrichtungen. Die Zuschauer saßen wie bei einer Sportreportage in der ersten Reihe. Suggeriert wurde ein sauberer Krieg, in dem es keine Verwundeten und Toten, kein Leid und Elend, keine Grausamkeiten und Verwüstungen gab – zumindest auf seiten der Alliierten. Einzelne Raketenangriffe auf Israel mit ihren Zerstörungen wurden detailliert mit Bildern gezeigt und kommentiert; die Auswirkungen tausender Angriffe der Alliierten auch auf die Zivilbevölkerung des Irak wurden nicht gezeigt und kaum erwähnt. Sendungen aus Washington in der abendlichen Tagesschau hatten eher den Charakter eines Hofberichts als einer reflektierten politischen Information. Insgesamt wurden somit „die westlichen Medien … während des Golf-Krieges zur Waffe gegen Iraks Staatschef Saddam Husein“ (FR, 4.3.1991), und es ist wohl zu ergänzen, auch zu einer Waffe gegen die eigene Bevölkerung, die sich kein realitätsangemessenes Bild von diesem Krieg machen konnte. Von den Medien und führenden Politikern wurden kurz nach Kriegsbeginn die zahlreichen Kriegsgegner nicht nur argumentativ kritisiert, sondern aggressiv verbal bekämpft bis zur Diffamierung. Mit Verlauf des Krieges befürwortete – nach den veröffentlichten Umfrageergebnisssen – die Mehrheit der Bevölkerung in der BRD und anderen westlichen Staaten den Krieg. Die politische Führung insbesondere in Großbritannien und den USA gewann erheblich an Popularität; die Zustimmung der US-Bevölkerung zur Politik ihres Präsidenten erreichte Rekordhöhen (dies ist ein weiterer Beleg dafür, daß Kriege von innenpolitischen Problemen ablenken sollen und dies auch häufig erfolgreich tun).

Dies stellt sich für einige arabische Staaten völlig anders dar – deren Bevölkerung sah in Hussein anscheinend hauptsächlich ein Symbol für neue Hoffnungen und forderte daher eine militärische Unterstützung des Irak. Der deutsche Botschafter in Marokko, W. Hofmann, sagte zu diesem für viele überraschenden Phänomen: „Der Westen neigt generell dazu, die Traumatisierung zu verkennen, welche die arabische Psyche als Folge der Kolonialisierung und des Absturzes in die Unterentwicklung belastet“. (FR, 15.2.1991) An diesem Beispiel wird deutlich, daß »Feindbild« immer eine Perspektive beinhaltet: Es kommt auf den Beobachter und Beurteiler an. Für die verarmte Bevölkerung vieler arabischer Staaten wurde Hussein als Held wahrgenommen, der sich endlich gegen die westliche Vorherrschaft wehrt und eine bessere arabische Zukunft erhoffen läßt. Wie (un)realistisch diese Bewertung der Person Hussein auch immer sein mag: Ernst zu nehmen sind die zugrundeliegenden Motive, insbesondere Hoffnung darauf, wieder stolz sein zu können, ein Araber zu sein, und Hoffnung auch auf bessere Lebensbedingungen.

Da es darum ging, Hussein zu »bestrafen«, spielten im politischen Bewußtsein die schrecklichen Kriegsfolgen auch für die Zivilbevölkerung nur eine geringe Rolle: Zehntausende Tote und Verletzte, hunderttausende Flüchtlinge, verwüstete Länder waren (politisch) weniger wichtig als die Genugtuung, einen Diktator zu bestrafen. Auch die ökologische Katastrophe und die Gefährdung Israels wurden in Kauf genommen; denn sie waren von Hussein angedroht worden und somit vorhersehbar.Verschiedene Waffen wurden von den USA erstmals militärisch eingesetzt (Tomahawk-Marschflugkörper, lasergesteuerte Bomben, fuel-air explosives, cluster bomb units; FR, 10.6.91), die mit ihrer Präzision und ihrem Vernichtungsausmaß eine weitere Eskalation grausamer Kriegsführung darstellen. Dagegen hat die US-Abwehrrakete »Patriot« – die im Krieg als Retter Israels galt und Anlaß für eine modifizierte Weiterführung des SDI-Programms gab – in Israel vermutlich mehr Schaden angerichtet als verhindert (FAZ, 15.5.91).

Am Beispiel des Landkrieges läßt sich wiederum die Dominanz der US-Politik (und nicht der UNO) demonstrieren. Der Landkrieg wurde begonnen trotz irakischer Bereitschaft zum Rückzug aus Kuwait und trotz intensiver, erfolgversprechender diplomatischer Bemühungen der UdSSR, den Krieg zu beenden. Für die Öffentlichkeit wurde die Landoffensive von den USA begründet mit neuesten Ölbränden sowie Grausamkeiten der irakischen Truppen an der kuwaitischen Bevölkerung. Dies wird vermutlich auch in Erinnerung bleiben und weniger die Tatsache, daß die Bodenoffensive bereits mindestens zwei Wochen vorher von den USA beschlossen war.

Der US-Regierungssprecher Fitzwater erwähnte, „die sowjetischen Friedensbemühungen hätten keinen Einfluß auf den Termin der Bodenoffensive gehabt. Auch sei er nicht dadurch bestimmt worden, daß die Iraker Ölfelder in Brand gesteckt hätten“ (Oberhessische Presse, 25.2.1991).

Zusammengefaßt ergibt sich für das Feindbildkonzept, daß die Bekämpfung und möglichst auch Vernichtung des Feindes Denken und Handeln beherrschten; dabei wurden die Brutalität des Krieges und die schrecklichen Folgen für Mensch und Umwelt in Kauf genommen, zum Teil auch eigene Aggressivität (stellvertretend) ausgelebt. Denken in militärischen Kategorien dominierte, Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösungen wurden nicht berücksichtigt und umfassende Zensur akzeptiert (es sei nur daran erinnert, mit welcher Heftigkeit und Ausdauer früher von unseren Politikern und Medien die zensierten Informationen z.B. der DDR kritisiert wurden). Herrschaft wurde gesichert und das individuelle und kollektive Selbstbild positiv überhöht. Somit wurden insgesamt viele Merkmale des Feindbildkonzeptes politisch relevant.

(4) Auswirkungen des Krieges

Das zu »befreiende« Kuwait ist weitgehend verwüstet. Die für die irakische Bevölkerung lebenswichtige Infrastruktur (Lebensmittel-, Wasser-, Strom-, medizinische Versorgung) ist weitestgehend zerstört. Mindestens zweihunderttausend Menschen wurden getötet, mindestens fünf Millionen Menschen verloren ihre Wohnung oder ihre Arbeit (Admiral a.D. Elmar Schmähling: „Moderner Krieg ist somit zwangsläufig ein Verbrechen gegen das Völkerrecht und die Menschlichkeit.“). Der Krieg hat zu einer verheerenden ökologischen Katastrophe geführt, insbesondere durch das irakische Entzünden der Ölfelder und das Einleiten von Öl ins Meer, aber auch durch die Kriegshandlungen der Alliierten. Beide kriegsführenden Seiten haben schwere Verstöße gegen den »Umweltkriegsverbots-Vertrag« und das »Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen« begangen (Krusewitz, im vorigen Infoheft).

Minderheiten im Irak wurden blutig unterdrückt bis hin zum Völkermord an den Kurden, nachdem die US-Regierung zum Aufstand ermutigt hatte. Die vielfältigen Probleme des Nahen Ostens sind nicht gelöst. Durch die Verschwendung von Geld und anderen Ressourcen (allein die USA hat ein Kriegstag zwischen 500 Millionen und einer Milliarde US$ gekostet) fehlen diese zur Bekämpfung weltweiter Probleme wie Armut, Hunger, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Energievergeudung und Umweltzerstörung. Die Gesamtkosten des Krieges werden auf 500 Milliarden US$ geschätzt (Herwig u.a., im vorigen Infoheft); ein Betrag, mit dem die Lebensbedingungen der Armen dieser Welt in erheblichem Ausmaß hätten verbessert werden können.

Zwei Beispiele: Programme, die laut UNICEF ungefähr 40 Millionen Kindern pro Jahr das Leben retten könnten (insbesondere Impfungen gegen Masern, Keuchhusten und Tetanus; Antibiotika gegen Lungenentzündung; Zucker-Salz-Lösungen bei Durchfall) würden pro Jahr 2,4 Mrd US$ kosten, doch dafür fehlt bislang das Geld. Dringend erforderliche humanitäre Hilfen für die Flüchtlinge am Persischen Golf (eine Folge des Krieges!) kostet etwa 450 Millionen US$, dafür eingegangen sind bei der UNO aber nur 134 Mill. $ (OP, 13.6.91).Das Selbstverständnis der US-Politik hat sich mit dem Irakkrieg stark verändert, das »Vietnam-Trauma« erscheint überwunden. An der größten Militärparade der USA nach dem zweiten Weltkrieg zur Feier des Sieges Mitte Juni 1991 in New York (US-Präsident Bush: „Das ist gut für Amerika“) nahmen zwei Millionen Menschen teil (in Washington gab es zuvor 800 000 Teilnehmer; FR, 10.&11.6.91)). Die derzeitige US-Regierung sieht sich nun wieder in der Rolle der allein führenden Weltmacht. Neue Rüstungsprogramme mit hohen Kosten sind vorgesehen (z.B. modifiziertes SDI; 10 Mrd US$ für ein neues »Tarnkappenflugzeug«; FR, 15.4.1991).

„Als Amerikaner (müssen wir) Verantwortung übernehmen, die Welt aus dem dunklen Chaos der Diktatoren … zu führen. …

(Jeder unserer Soldaten) führt einen mutigen Kampf, um für die Vereinigten Staaten, die Welt und zukünftige Generationen einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erlangen… Wir wollen ein SDI-Programm verfolgen, das jeder zukünftigen Bedrohung der Vereinigten Staaten, unserer Streitkräfte in Übersee und unserer Freunde und Verbündeten gewachsen ist… Unter den Ländern der Welt verfügen lediglich die Vereinigten Staaten über die moralische Standfestigkeit und die Mittel zu ihrer (einer neuen Weltordnung G.S.) Durchsetzung. – Wir wissen eins: Unsere Sache ist gerecht. Unsere Sache ist moralisch, und unsere Sache ist richtig. … Der Wind des Wandels weht aus unserer Richtung. Die Kräfte der Freiheit sind vereint. Wir treten zuversichtlicher als je zuvor in das nächste Jahrhundert ein, daß wir im In- und Ausland über den Willen verfügen, das zu leisten, was geleistet werden muß – harte Arbeit für die Freiheit.“ (FR, 5.2.91 „begleitet vom starken Applaus der versammelten Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der USA“)

Die USA nach Kriegsende: „Stehende Ovationen, Jubel und strahlende Gesichter beherrschten … die Kammer des US-Repräsentantenhauses, wo sich die beiden Häuser des Kongresses, das Kabinett, der Generalstab und das diplomatische Korps Washingtons versammelt hatten, um den Sieg am Golf zu feiern… Freude und Erleichterung, Stolz und noch einmal Stolz auf das US-Militär … und auf die politische Führung, die mit fester und kundiger Hand den Weg gewiesen hatte.“ (FR, 8.3.1991)

Liberation aus Paris kommentiert den Kriegsbeginn: George Bush „ist der Führer der Koalition des Rechts: Er ist es, der sie im Laufe der Wochen errichtet und der sie in die Schlacht geführt hat. Er verwirklicht den amerikanischen Traum, die Welt zu moralisieren, wenn nötig mit Gewalt.“ (Oberhessische Presse, 18.1.1991)

Und die liberale Frankfurter Rundschau (4.3.91) kommentiert entsprechend: „Seit dem Kriegsende 1945 und der Mondlandung 1969 waren das Ansehen der USA in der Welt und das Selbstwertgefühl (hervorgehoben von G.S.) zu Hause nicht mehr so groß.“„ …die Kombination aus entschlossener Führung und intensiver Konsultation und Kooperation mit anderen Staaten über ideologische und kulturelle Grenzen hinweg, ist ein erster gut gegründeter Pfeiler (einer »neuen Weltordnung«)“.

Der Chefredakteur der Zeitschrift Merkur (März 91, S. 257f) schreibt zu Krieg und psychischer Gesundheit: „Nur noch bei den Angelsachsen findet sich ein selbstverständlicher Umgang mit dem Horrorszenario (der ihnen schon 1944 erlaubte, Dresden und später Hiroshima fast ohne moralische Skrupel auszulöschen). Als Herren der Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sie kein Schmerz- und Schuldbewußtsein entwickelt, ebensowenig wie der subjektiv gesund sich Fühlende zum Psychiater geht.“

Die USA konnten zudem mit dem Irakkrieg ein Exempel statuieren für andere Länder, die sich den weltweiten Interessen der Industrieländer zu widersetzen gedachten (US-Verteidigungsminister „Cheney will ausgefeiltere Raketen zum Schutz gegen Dritte Welt“, FR, 3.4.1991).

In den Regierungen der NATO-Länder erhält die militärische Konfliktlösung hohe Priorität. »Mobile Einsatzverbände« sollen gebildet werden, um die weltweiten Probleme auch militärisch unterdrücken zu können. Die bisher verlautbarte Aufgabe der NATO, Schutz der Mitgliedsländer vor einem militärischen Angriff, wird somit erheblich gewandelt in eine Option zur militärischen Kontrolle weltweiter Probleme.

Dazu ist in Heft 1/91 von Europäische Sicherheit u.a. folgendes zu lesen. NATO-Generalsekretär Wörner:„ (Die Golfkrise) ist … symptomatisch für das Ausmaß ungelöster Nord-Süd-Probleme und die globalen Aufgabenstellungen, die auch die Allianz in ihre künftigen Sicherheitsüberlegungen einbeziehen muß: das Problem der Ressourcenverteilung, der Energieversorgung und des Bevölkerungswachstums, die vielfältigen Auswirkungen ethnischer Konflikte und religiöser Spannungen, die Folgen großflächiger Umweltschäden, die Ausbreitung der Raketentechnologie sowie der nuklearen und chemischen Waffen, der internationale Terrorismus und das Drogenproblem …“ „Die Spannungen werden nicht nur durch Machtgelüste von Tyrannen … geschürt, sondern auch durch explosives Bevölkerungswachstum, Ressourcenprobleme, Unterentwicklung…“.

Und General v. Sandrart: „… gibt es ein neues Sicherheitsbedürfnis: den Schutz gegen Bedrohungen von außerhalb Europas. …hohes Bevölkerungswachstum, Armut verbunden mit Neid … Politisch gesteuertes Krisenmanagement bedarf dann auch abgestufter militärischer Optionen … auch Optionen für den Einsatz sofort verfügbarer, multinationaler Eingreiftruppen. … “Rapid Reaction Forces« … sind in besonderem Maße Kräfte des Krisenmanagements.“

Der Golfkrieg hat somit auch zur Konsequenz, bei Politikern Denken in militärischen Kategorien zu stärken und bei Konfliktlösungen verstärkt militärische Mittel einzusetzen: Krieg ist wieder ein akzeptables Mittel der Politik geworden.

Dies bedeutet zusammengefaßt für das Feindbildkonzept: Die scheinbar erfolgreiche Bekämpfung des »Feindes« dominiert politisches Denken, der errungene »Sieg« erhöht das Selbstbild. Die schrecklichen Auswirkungen des Krieges für Millionen Menschen und die Natur werden aus dem (politischen) Bewußtsein gedrängt, ebenso die Tatsache, daß auch dieser Krieg mehr Probleme geschaffen als gelöst hat. Die Mitverantwortung unserer Politiker und unsere Mitschuld erleben wir als gering, da dem »bösen Feind« die alleinige Schuld zugeschrieben wird. Wesentliche Probleme der gesamten Menschheit (Hunger, Unterentwicklung und Armut, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend, Umweltzerstörung) werden in ihrer Bedeutung vernachlässigt oder aber militärisch unter Kontrolle zu halten versucht.

Anti-Amerikanismus und Anti-Israelismus oder Feindbild Friedensbewegung?

Mit Beginn der Kriegshandlungen der Alliierten gab es in Fernsehen, Rundfunk und Printmedien eine breite und heftige Kampagne gegen die Friedensbewegung. Ihr wurde vorgeworfen, anti-amerikanisch und anti-israelitisch zu sein; damit wurde implizit oder auch explizit unterstellt, die Friedensbewegung unterstütze Hussein und sei letztlich an dem Krieg schuld (dazu wurde folgende Frage ständig wiederholt: Wann hat die Friedensbewegung für … – oder gegen … – demonstriert?). Inhaltlich entsprach diese Argumentation der Meinung des damaligen CDU-Generalsekretärs Geißler, der Pazifismus sei für die nationalsozialistischen Verbrechen wesentlich mitverantwortlich. Strukturell wird dabei nicht gesehen, daß Aktivitäten der Friedensbewegung sehr aufwendig zu organisieren sind und daß die Friedensbewegung besonders dann aktiv wird, wenn die eigenen Regierungen versagen. Zur Auseinandersetzung mit dieser Kampagne sei an die Argumente der Friedensbewegung erinnert.

Lange vor Beginn des Golfkrieges haben große Teile der Friedensbewegung u.a. folgende Forderungen erhoben: Rückzug des Irak aus Kuwait, Ende der Kriegsvorbereitungen, Durchsetzung der UN-Resolutionen mit einem Wirtschaftsembargo; eine Konferenz über Sicherheit im Nahen Osten, in der die vielfältigen Probleme dieser Region (u.a. Rüstung, Herschaftsstrukturen, Unterentwicklung, Armut vs. Reichtum, Sicherheit Israels, gesicherte Heimat für Pälästinenser und Kurden) verhandelt werden können. Nach Beginn des Krieges war dann eine zusätzliche zentrale Forderung, insbesondere an die US-Regierung, diesen Krieg schnellstmöglich mit einem Waffenstillstand zu unterbrechen, um mit allen beteiligten und betroffenen Staaten politische Lösungen zu erarbeiten und durchzusetzen.

Mit dem Vorwurf des Anti-Amerikanismus und -israelismus sollte offensichtlich ein Feindbild »Friedensbewegung« aufgebaut werden, um die Akzeptanz des Krieges zu erhöhen und um von den eigentlichen Problemen abzulenken: dem Export von Waffen und militärisch relevanter Technologie in den Irak, solange dieser den »richtigen« Krieg gegen den Iran geführt hatte; und dem Versagen von Politikern.

Die Friedensbewegung wandte sich nicht gegen »die Amerikaner«, sondern gegen die konkrete Politik der Regierung der USA, die – nach der Annexion Kuwaits – durch ihre unnachgiebige Position und durch den zunehmenden militärischen Aufmarsch – auf einen Krieg in der Golfregion hingearbeitet hat. Gegen den Krieg wandten sich auch mehrere hunderttausend US-Bürger sowie führende Theologen in Lateinamerika und den USA. Mit einer wesentlichen Forderung der Friedensbewegung, das Embargo längere Zeit wirken zu lassen, stimmten auch ein erheblicher Teil der Politiker im US-Senat und selbst höchste US-Militärs überein (vgl. oben). All diesen müßte daher auch der absurde Vorwurf des »Antiamerikanismus« gemacht werden.

Erinnert sei an den Vietnamkrieg, der wesentlich durch die weltweiten Demonstrationen, auch in den USA, beendet wurde. Die gleichen Politiker, die damals von »Antiamerikanismus« redeten, bezeichnen inzwischen den Vietnamkrieg als großen Fehler.

Die Friedensbewegung wendet sich zudem grundsätzlich gegen Krieg. Denn Krieg löst keine Probleme, er bedeutet vielmehr Leid, Tod, Grausamkeit, Verwüstung und Entmenschlichung. Das hat auch der Golfkrieg wieder erwiesen. Zudem wurde mit dem Golfkrieg ein Unrecht, die Annexion Kuwaits, mit einem viel größeren Unrecht geahndet – es wird also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mitteln grob mißachtet. Die Friedensbewegung setzt sich dafür ein, daß Konflikte friedlich gelöst werden und daß die menschlichen, finanziellen und technischen Möglichkeiten der Menschheit endlich eingesetzt werden zur Lösung der mannigfachen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Erde.

Gegnern des Krieges wurden von vielen Seiten – u.a. Medien und Politikern, Israelis und Kriegsbefürwortern in der Bevölkerung – heftige Vorwürfe gemacht, die darin gipfelten, die Vernichtung Israels würde billigend in Kauf genommen. Manche dieser Äußerungen klangen so, als habe die Friedensbewegung Hussein politisch hervorgebracht und militärisch aufgerüstet – eine extreme Verzerrung der Realität. Ein Beispiel von vielen möge dies belegen (Resümee eines längeren Artikels, Der Spiegel, 18/1991):

„Ich meine nicht, daß sich die Mehrheit der Deutschen die Vernichtung Israels wünscht. Ich meine, daß in einem quantitativ wie qualitativ erheblichen Teil der Friedensbewegung der unbewußte, aber durchaus heftige Wunsch am Werke war, Saddam Hussein möge die historische Chance nutzen und den Job vollenden, den die Nazis nicht zu Ende bringen konnten.“

Das Anliegen der Kriegsgegner wurde somit ins Gegenteil verkehrt. Viele Organisationen aus der Friedens- und Ökologiebewegung hatten sich gegen einen Krieg und nach dessen Beginn für seine sofortige Beendigung eingesetzt. Dabei war die Grundüberlegung leitend, daß auch dieser Krieg die bereits vorhandenen Probleme nicht lösen und zusätzlich neue hervorbringen werde. Gefordert wurde daher eine Friedenskonferenz, in der die vielen Probleme der Region zu verhandeln sind, u.a. die Sicherheit Israels und eine gesicherte Heimat auch für Palästinenser und Kurden. Zu einer friedlichen Lösung, bei der die verschiedensten Interessen zu berücksichtigen sind, gebe es langfristig keine Alternative; denn die Sicherheit Israels sei auf Dauer nicht durch Waffen, Gewalt und Krieg zu sichern.

Daß es gelingen konnte, die Friedensbewegung im politischen Bewußtsein zum Hauptfeind Israels zu machen, verweist auf die Relevanz des Feindbildkonzepts: Wer sich nicht eindeutig für einen Krieg gegen Hussein bekannte, machte sich verdächtig, dessen Freund zu sein. Der Druck zum einheitlichen »Gruppendenken« war erheblich, Abweichungen im Sinne einer differenzierten politischen Herangehensweise wurden sozial und moralisch verurteilt. Das Schüren intensiver Emotionen – mit besonderem Verweis auf die Geschichte der Juden in Deutschland – lenkte zum einen Aggressionen gegen die Friedensbewegung (statt gegen diejenigen, die durch ihr Verhalten Hussein politisch und militärisch aufgerüstet haben), und führte zum anderen zu einer moralischen Entlastung oder gar Erhöhung der Kriegsbefürworter (der Krieg wird nicht wegen des Öls geführt, sondern um hohe moralische Ziele zu erreichen, wie die Rettung Israels, Befreiung der Geiseln und des Kuwait). Die emotionale Intensität der Vorwürfe und die intellektuelle Entdifferenzierung der Argumentation verweisen auf die Relevanz des Feindbildes.

Schlußbemerkungen

Feindbilder können von Herrschenden – wider besseres Wissen – gezielt hergestellt werden, um eigene politische Interpretationen sowie wirtschaftliche und militärische Handlungen durchzusetzen – und zwar gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Ausland.

Verzerrte Informationen im Sinne von Feindbildern können aber auch als wahr angenommen werden. Das politisch Bedeutsame an diesen Interpretationen ist, daß sie als Grundlage der Politik dienen, auch wenn sie völlig realitätsfern sind.

Auch wenn einer Person, politischen Gruppierung oder Bevölkerung realitätsangemessen viele negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden, kann es doch lohnend sein, auf die Wirkung von Feindbildern zu achten: Kein Objekt besteht nur aus negativen Attributen und das Auffinden und Berücksichtigen positiver Merkmale kann wichtig sein für eine friedliche Konfliktlösung.

Feindbilder sind nach unserer Auffassung nicht Ursachen von Spannungen, Rüstung und Krieg. Ursachen sind vielmehr reale Konflikte, Interessengegensätze, das Streben nach besseren Lebensbedingungen, nach Reichtum und Macht, nach Einflußgebieten, Rohstoffen, Märkten und billigen Arbeitskräften. Bei der Durchsetzung einseitiger Interessen aber kommt Feindbildern eine wesentliche psychologische Mittlerunktion zu, sie sind die ideologische Hauptwaffe.

Für eine friedlichere Welt kommt dementsprechend dem Abbau von Feindbildern eine wichtige Funktion zu. Mindestens ebenso wichtig aber sind Entwickeln und Einsetzen von Konfliktstrategien, bei denen gewaltfrei Lösungen angestrebt werden unter Berücksichtigung der kurz- und langfristigen Interessen aller Betroffenen und Beteiligten. Als Zielperspektiven können dabei die bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte dienen.

Die fehlgeschlagenen Versuche, einen Krieg zu verhindern, verweisen auf fehlende demokratische Kompetenzen in der Bevölkerung und auf unzureichende demokratische Strukturen bei politischen Entscheidungen. Denn vor Kriegsbeginn gab es in den westlichen Ländern eine deutliche Mehrheit gegen den Krieg, die sich aber politisch nicht durchsetzen konnte.

Literatur

Fetscher, I. (Hrsg.). Feindbilder. Psychosozial, 40, 19-36.

Frei, D. (1985). Feindbilder und Abrüstung. München: Beck.

Keen, S. (1987). Bilder des Bösen. Weinheim: Beltz.

Krell, G. & Kubbig, B.W. (Hrsg.) (1991). Krieg und Frieden am Golf. Frankfurt: Fischer.

Ruf, W. (Hrsg.)(1991). Vom kalten Krieg zur heißen Ordnung? Münster: Lit.

Sherif, M. & Sherif, C. (1969). Social Psychology. New York: Harper & Row.

Sommer, G., Becker, J.M., Rehbein, K. & Zimmermann, R. (Hrsg.)(1988). Feindbilder im Dienste der Aufrüstung. Marburg: Schriftenreihe des Arbeitskreis Marburger Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung.

Spillmann, K.R. & Spillmann, K. (1990). Feindbilder: Entstehung, Funktion und Möglichkeiten ihres Abbaus. Internationale Schulbuchforschung, 12, 253-284.

(Teile dieses Aufsatzes werden mit dem Titel »Zur Psychologie von Feindbildern« erscheinen in Voit, H. (Hrsg.) (1991). Geschichte ohne Feindbild? Erlanger Forschungen.)

zum Anfang | Der inszenierte Krieg

Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg*

von Prof. Dr. Wilhelm Kempf

Die ganzen 80er-Jahre hindurch sind die USA für ihre Kriege in der Dritten Welt von der Militärdoktrin des low-intensity conflict ausgegangen: von Kriegsführung »niedriger Intensität«, einer Strategie integrierter militärischer, ökonomischer und psychologischer Maßnahmen, die im Gegensatz zu herkömmlichen Kriegen nicht auf territoriale Eroberungen, sondern auf eine gewünschte Verhaltensänderung in der Bevölkerung abzielt.

Musterbeispiel hierfür ist der konterrevolutionäre Krieg der USA gegen Nicaragua, der nach fast 10 Jahren mit der Wahlniederlage der FSLN im Februar 1990 zu Ende ging.

Der Golfkrieg leitete demgegenüber die Anwendung einer neuen Militärdoktrin ein. Kernstück dieser Doktrin der Kriege »mittlerer Intensität« (mid-intensity conflict) ist die Überzeugung, daß die USA ihren Supermachtstatus nur erhalten können, wenn sie die Fähigkeit besitzen, jede beliebige Macht herauszufordern und zu besiegen, die den Zugang der USA zu kritischen Interessenzonen bedroht:

mid-intensity-warfare und psychologische Kriegsführung

„Unser politischer und militärischer Status als Supermacht hängt ab von unserer Fähigkeit, im Wettbewerb auf den existierenden und auf sich entwickelnden Märkten mitzuhalten, sowie von unserem ungehinderten Zugang (…) zu den für unsere Industrieproduktion benötigten Ressourcen. “ Um diesen sicherzustellen, „brauchen wir im Rahmen unserer einsatzbereiten Streitkräftestruktur ein glaubwürdiges Potential militärischer Machtprojektion, das flexibel genug ist, auf Auseinandersetzungen jeder Art im weltweiten Spektrum gewaltsamer Konflikte zu antworten “.1

Während die Modelle der Aufstandsbekämpfung und der Kriegsführung »niedriger Intensität« von leichtbewaffneten Guerillas oder schwachen Militärkräften als Kriegsgegnern der USA ausgegangen waren, wurde von US-Militärstrategen bereits Ende der 80er-Jahre das Aufkommen gutgerüsteter Regionalmächte in der Dritten Welt als Hauptbedrohung der US-amerikanischen Sicherheit wahrgenommen, der durch eine Verstärkung der Fähigkeit zu abgestufter nichtatomarer Gewaltanwendung begegnet werden müsse. Dies erfordere eine bedeutende Ausweitung der Kapazitäten für High-Tech-Kriege in nicht zum NATO-Bereich gehörenden Regionen der Dritten Welt.2

Dieser intensivste Einsatz modernster Waffen unterscheidet den Krieg »mittlerer Intensität« vom Konzept der Kriegsführung »niedriger Intensität«, bei welcher der direkte Einsatz US-amerikanischer Truppen nur kurzfristig und in Ausnahmesituationen vorgesehen ist.3

Maßnahmen der psychologischen Kriegsführung, wie sie z.B. im Krieg gegen Nicaragua zeitweise einen Anteil von bis zu 80% erreicht hatten,4 bleiben jedoch nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Im Krieg »mittlerer Intensität« ist der Anteil der psychologischen Kriegsführung zwar angesichts des massiven Militäreinsatzes relativ geringer. Indem praktisch die gesamten Medien der westlichen Welt in den Dienst der Kriegsführung gestellt wurden, muß das absolute Ausmaß der psychologischen Kriegsführung, wie es etwa im Golfkrieg zum Einsatz kam, jedoch noch um ein vielfaches höher angesetzt werden.

Manipulation der Medien

Wie der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Schwarzkopf, nach Beginn des Waffenstillstandes darlegte,5 waren die Medien gezielt manipuliert worden, um Bagdad über die wahren militärischen Absichten der USA und ihrer Verbündeten zu täuschen und zu falschen strategischen Schlüssen zu verleiten: vor allem bei der Vorbereitung der Landoffensive konnte durch gezielte Desinformation der Eindruck erweckt werden, daß ein amphibisches Landemanöver an der kuwaitischen Golfküste bevorstünde, während die alliierten Verbände sich tatsächlich an der westlichen Flanke der irakischen Armee formierten. Da Iraks Luftwaffe ausgeschaltet und die irakischen Fernmeldeeinrichtungen zerstört waren, konnten sich die Iraker nur über Rundfunkberichte ein Bild von den alliierten Aufmarschvorbereitungen machen und das Täuschungsmanöver nicht rechtzeitig erkennen.

„Sorgfältig von den militärischen Informanten an die Kette gelegt halfen die Medien den Irak zu täuschen und die öffentliche Zustimmung zu diesem Krieg zu stärken “ beurteilte das Wall Street Journal6 die Rolle der Medien im Golfkrieg.

Um der Politik der US-Administration zur Durchsetzung zu verhelfen, kommen Propaganda und psychologischer Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit bereits bei der Kriegsführung »niedriger Intensität« eine besondere Bedeutung zu, welche die westliche Öffentlichkeit zu einem der Hauptziele der psychologischen Kriegsführung werden läßt.

Im Golfkrieg wurde das Kriegsziel dieser psychologischen Kriegsführung von US-Präsident Bush in seiner ersten Fernsehansprache nach Beginn der Luftangriffe klar benannt:

„Ich habe dem amerikanischen Volk vorher gesagt, daß dies kein weiteres Vietnam werden wird. Und ich wiederhole dies hier heute abend. Unsere Truppen werden die bestmöglichste Unterstützung in der ganzen Welt haben. Und man wird nicht von ihnen verlangen, mit einer auf den Rücken gebundenen Hand zu kämpfen“.7

Hauptelemente der psychologischen Kriegsführung, mittels derer dies erreicht werden sollte, bestanden in Desinformation bzw. Informationsverweigerung, in Maßnahmen der psychologischen Destabilisierung, sowie in Maßnahmen zur Polarisierung der Bevölkerung.

Die Erzeugung eines Feindbildes

Dabei setzten Desinformation und Informationsverweigerung nicht erst in Gestalt der Militärzensur nach Beginn der Kriegshandlungen ein, sondern schon lange im Vorfeld des Krieges findet sich in der Berichterstattung der Massenmedien eine weitestgehende Vorenthaltung aller Sachinformationen über Konfliktursachen und Konfliktgenese, die zur Besetzung Kuwaits durch den Irak geführt haben. Nur so kann das Bild entstehen: „Der Krieg beginnt – gleichsam aus heiterem Himmel – durch den „Überfall “ eines „Irren “ auf ein Nachbarland“.

Andere Informationen die von den meisten Medien bisher – d.h. solange Saddam Hussein als Verbündeter des Westens gelten konnte – „nicht dramatisiert “ wurden, wie Waffenlieferungen an den Irak oder die irakischen Giftgaseinsätze gegen die kurdische Bevölkerung nach Ende des Iran-Irakischen (Golf-)Krieges werden für die Medien jetzt zum Thema. So entsteht das Bild: „Der Irre besitzt Massenvernichtungswaffen und ist bereit, diese auch einzusetzen“. Und die logische Folgerung: „Er muß gestoppt werden, bevor die ganze Welt in Flammen steht“.

Durch selektive Informationsvorgaben, wird so innerhalb kürzester Zeit ein Feindbild geschaffen, mit den grundlegenden Strukturmerkmalen der gleichzeitigen Minderwertigkeit und Gefährlichkeit des Gegners.

Die Strukturübereinstimmung dieses neuen Feindbildes mit allen anderen, schon bekannten und vertrauten Feindbildern kommt dem Bedürfnis des Alltagsbewußtseins8 entgegen, jede qualitative Umformung des Bewußtseinshorizontes zu vermeiden, indem es Unbekanntes auf (scheinbar) Bekanntes reduziert, und die Desiderate alter Erfahrungen auf neue Situationen überträgt. Diese naturwüchsigen Übertragungsvorgänge werden durch publizierte Übertragungsangebote verstärkt und gesteuert. Hierher gehört die Gleichsetzung Saddam Husseins mit Hitler durch Politpoeten wie Wolf Biermann (in der Zeit) und Hans Magnus Enzensberger (im Spiegel) ebenso, wie die (historisch falsche9) Gleichsetzung von Pazifismus mit Appeasement-Politik, die dann womöglich noch mit einer Warnung vor „Einäugigkeit und ahistorische(r) Betrachtungsweise “ verbunden wird, durch welche „das berechtigte, ja notwendige Infragestellen des Kriegs, die Forderung nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker (…) nicht entwertet “ werden dürfe.10

Gerade der Diskurs um die Frage, ob im konkreten Fall des Golfkonfliktes ein militärischer Konfliktaustrag unvermeidbar bzw. gerechtfertigt ist, wird dadurch de facto nicht geführt. In den Auseinandersetzungen über diese Frage kommt der Golfkonflikt gar nicht vor, da er durch Bilder wie die oben genannten aus dem Diskurs verdrängt wird, die als Ersatz für die Realitätswahrnehmung ergriffen werden.

Kriegsberichterstattung

Mit Beginn der Kriegshandlungen setzt dann eine reine Kriegsberichterstattung ein, die nicht nur Kriegsursachen und Kriegsziele weiterhin im Dunklen läßt, sondern auch so gut wie keine Informationen über Kriegsverlauf und Kriegsopfer bietet, während zugleich der Eindruck vermittelt wird, als könnte Mensch den Krieg am Fernsehschirm live miterleben.

Meldungen wie die, daß die Alliierten bereits während der ersten drei Stunden des Angriffes auf den Irak 18 000 Tonnen Bomben abgeworfen hätten, werden rein »technisch« abgehandelt: um Vertrauen in die Kriegsmaschinerie zu wecken. Die damit angerichteten Verheerungen kommen nicht ins Bild. Lediglich ein Video, welches die Präzision demonstrieren soll, mit welcher die alliierten Kampfflugzeuge ihre Ziele treffen, wird wieder und wieder gezeigt.

Kontrolliert wird die Kriegsberichterstattung durch einen Katalog von »Grundregeln«, die nach längeren Verhandlungen mit Medienvertretern vom US-Verteidigungsministerium festgelegt und mit Datum vom 14. Januar veröffentlicht wurden11 und strenge Zensurvorschriften und Sprachregelungen enthalten, durch welche die zulässigen Informationen vage und inhaltsleer werden. Aus der Berichterstattung ausgeschlossen wurden dadurch u.a. Informationen über:

  • Truppenstärke, Waffensysteme und Ausrüstung etc. der alliierten Streitkräfte,
  • geplante, aufgeschobene oder abgeblasene Operationen der alliierten Streitkräfte,
  • den Standort der alliierten Streitkräfte,
  • Details der Einsatzpläne,
  • Geheimdienstaktivitäten einschließlich ihrer Ziele, Methoden und Ergebnisse,
  • Truppenbewegungen der alliierten Truppen (mit Ausnahme solcher Informationen die von der Zensurbehörde freigegeben wurden),12
  • Identifikation der Ausgangsbasen, von denen aus Luftangriffe geflogen wurden,
  • Effektivität oder Ineffektivität der Tarnung, Täuschung, Zielsicherheit,13 direkten und indirekten Beschusses, Informationsbeschaffung und Sicherheitsmaßnahmen.
  • spezifische Angaben über vermißte oder abgeschossene bzw. versenkte Flugzeuge und Schiffe, solange noch Such- oder Rettungsaktionen in Gang sind,
  • Methoden, Ausrüstung und Taktik von Spezialeinheiten, etc.

Außerdem wurden Richtlinien für die Nachrichtenmedien erlassen,14 wonach Journalisten die kämpfende Truppe nicht ohne Militäreskorte begleiten dürfen15 und sich mit »Pool-Berichten« begnügen müssen: zur Berichterstattung zugelassen sind nur wenige – fast ausschließlich US-amerikanische – Journalisten, deren Beiträge – nachdem sie von der Zensurbehörde genehmigt wurden – allgemein zur Verfügung gestellt werden.

Dadurch werden authentische Berichte verhindert, wie sie im Vietnamkrieg die öffentliche Meinung maßgebend beeinflußt hatten, als Journalisten auf eigene Faust über das Grauen des Krieges berichtet hatten. Stattdessen werden »schöne« Bilder erfolgreicher Bombardements gezeigt, die den Eindruck eines »sauberen« Krieges gegen Militäreinrichtungen vermitteln, „von dem die Bevölkerung ausgenommen ist “.16

Umgekehrt werden vergleichsweise geringe Schäden vereinzelter Raketenangriffe des Irak auf Israel als Terrorangriffe ins Bild gerückt: z.B. die Bombenschäden an der Turnhalle einer Schule in Tel Aviv.

Zweifel am Realitätsgehalt dieser Berichterstattung können sich allenfalls daran festmachen, daß immer wieder dieselben Bilder gezeigt werden, die aber (angeblich) jedesmal etwas anderes darstellen sollen.

Zweifel und Informationsmangel zusammen verunsichern Öffentlichkeit wie Journalisten und versetzen sie in eine contraproduktive Double-Bind-Situation: gerade weil Mensch merkt, daß er angelogen wird, daß ihm Informationen vorenthalten werden, er sich kein Urteil bilden kann, ist er gezwungen denen zu glauben, die ihn anlügen und die ihm Informationen vorenthalten, ja ggf. noch deren Lügen weiter zu verteidigen, wo Zweifel aufkommen.

Das Phänomen der »Doppel-Bindung«

In der klinischen Psychologie wurde man auf solche »Doppel-Bindungen« zuerst als Ursache für die Entwicklung schizophrener Denkstörungen aufmerksam.17 Definitionsmerkmale der Doppelbindung sind: 1. Eine so intensive Beziehung zu einer anderen Person oder Institution, daß es besonders wichtig wird, deren Mitteilungen genau zu verstehen, um angemessen darauf reagieren zu können.18 (2) Diese Person oder Institution übermittelt mit ihrer Äußerung zwei widersprüchliche Botschaften.19 (3) Die betroffene Person kann zu den einander entgegengesetzten Botschaften weder Stellung beziehen,20 noch sich aus der Situation zurückziehen.

Eine traurige Berühmtheit erlangte der systematische Einsatz von Doppel-Bindungen im Rahmen psychologischer Foltermethoden, wobei es entweder eine Arbeitsteilung zwischen zwei oder mehr Folterern geben kann, von denen der eine die Rolle des verständnisvollen, väterlichen und freundlichen Befragers spielt, während die übrigen sich feindselig und aggressiv geben, sodaß dem Opfer entgegengesetzte Informationen über das zwischen ihm und der Institution bestehende Verhältnis, deren Absichten und seine Aussichten davonzukommen übermittelt werden. Oder ein und derselbe Folterer vereinigt die widersprüchlichen Haltungen in ein und derselben Person. Z.B. verhält er sich handlungsmäßig aggressiv, verbal aber freundlich. Oder er zeigt ein ständiges Hin und Her zwischen Sadismus und Gefälligkeit, wodurch ebenfalls erreicht wird, daß der Gefangene über seine Situation im Unklaren ist und deshalb keine angemessenen Abwehrstrategien entwickeln kann.21

Als langfristiges Resultat bleiben nicht wenige Folteropfer in ihrem Denken und ihren Wahrnehmungen dauerhaft von der Manipulation durch andere abhängig. Psychosoziale Traumata wie die – auch im Medienkrieg betriebene – Zerstörung der Bezugssysteme durch Doppel-Bindungen führen in einen Prozeß der Dehumanisierung,22 dessen Symptome im Rahmen der psychologischen Kriegsführung durchaus als beabsichtigt gelten können: selektive Unaufmerksamkeit und Festklammern an Vorurteilen, Absolutheitsansprüche und Idealisierungen, ausweichender Skeptizismus und paranoide Abwehrhaltungen welche u.a. die Fähigkeit klar zu denken beeinträchtigen und für das Leid anderer unempfänglich machen.

Integraler Bestandteil der psychischen Destabilisierung durch Doppel-Bindungen sind auch die vertrauensbildenden Maßnahmen, mittels welcher die angebliche Objektivität der Berichterstattunmg inszeniert wird. So überträgt der US-amerikanische Nachrichtensender CNN (und mit ihm unzählige andere Fernsehsender – wie z.B. das schweizerische Fernsehen DRS – die das CNN-Programm an diesem Morgen live übernommen haben) wenige Stunden nach Kriegsbeginn eine Pressekonferenz Fidel Castros, in der dieser bemängelt, daß die Möglichkeiten einer nichtmilitärischen Konfliktbeilegung nicht ausgeschöpft worden seien und auf die verheerenden Auswirkungen hinweist, welche der Krieg für die Länder der Dritten Welt nach sich ziehen wird.

Was auf den ersten Blick als beeindruckendes Beispiel einer objektiven und differenzierten Berichterstattung erscheint, die selbst den Erzfeind der USA zu Wort kommen läßt, gewinnt bei genauerer Betrachtung noch eine andere Bedeutung: daß nämlich für die Antikriegsbewegung zentrale Argumente dadurch diskreditiert werden, daß es ausgerechnet Castro ist, mit dem diese assoziiert werden.

Wichtig ist der »Sender« der Botschaft

Wie experimentalpsychologische Studien bereits Anfang der 50er-Jahre gezeigt haben, erweisen sich dieselben Argumente für die Änderung von Einstellungen als wirkungsamer, wenn sie von einem positiv bewerteten (glaubwürdigen) »Sender« kommen:23 Schon von daher gesehen, war es für die öffentliche Zustimmung zum Krieg durchaus funktional, zentrale (und ohnedies nicht verhinderbare) Argumente der Kriegsgegner zuerst durch Fidel Castro an die nordamerikanische Öffentlichkeit kommen zu lassen, zumal es bei einem negativ bewerteten (unglaubwürdigen) Sender zu einer Art Bumerangeffekt24 kommen kann: je stärker die Einstellungsänderung ist, die er verlangt, desto weniger erreicht er. Einem Sender dieser Art gelingen höchstens kleine Einstellungsänderungen, sodaß wohl kaum die Gefahr bestand, Fidel Castro könnte die Bevölkerung der USA gegen den Krieg am Golf einnehmen. Daß die Argumente der Kriegsgegner (durch Fidel Castro) öffentlich vorgebracht wurden dürfte stattdessen dazu beigetragen haben, die Zustimmung der Öffentlichkeit zu dem Krieg für die Argumentation der Anti-Kriegsbewegung weniger empfindlich zu machen: nach gut gesicherten experimentalpsychologischen Ergebnissen25 sind auf »zweiseitigen Mitteilungen« basierende Einstellungen (bei deren Ausbildung die Gegenargumente schon vorweggenommen wurden) gegenüber späterer »Gegenpropaganda« widerstandsfähiger als »einseitige Mitteilungen«, die nur die Pro-Argumente enthalten.

Während die Fähigkeit zu einer eigenständigen Urteilsbildung durch Informationsmangel und psychische Destabilisierung bereits geschädigt ist, wird zugleich die Polarisierung der Öffentlichkeit betrieben, indem die Anti-Kriegsbewegung als Anti-USA-Bewegung, als Anti-Israel-Bewegung oder gar als Pro-Saddam-Bewegung denunziert wird.

So sah sich die Bundesregierung veranlaßt, im Zusammenhang mit den anhaltenden Demonstrationen gegen den Golfkrieg vor einer neuen Welle des Antiamerikanismus in Deutschland zu warnen. Es sei der Sache am Golf „absolut nicht angemessen “, daß die Verantwortung für die Entwicklung am Golf von den Demonstranten den Amerikanern zugeschrieben werde,26 und der Präsident des außenpolitischen Ausschusses der israelischen Knesset warf den deutschen Friedensdemonstranten vor, Saddam Hussein zu unterstützen.27

Marginalisierung der Kriegsopposition

Verbunden ist diese Polarisierung mit einer klaren Marginalisierungsdrohung: wer sich nicht hinter den Krieg stellt, läuft Gefahr, sich am Rande der Gesellschaft wiederzufinden. Und zwar sowohl individuell, als auch kollektiv. So formuliert z.B. Gerd Appenzeller in einem Leitartikel des Südkurier vom 19.1.1991 die Verheißung an die Deutschen, bei einer Kriegsbeteiligung endlich aus ihrem angeblichen Abseits herauszukommen – bzw. die Drohung in solch ein Abseits zu geraten, wenn nicht:

„Die Deutschen werden ohnedies, wie auch immer, die Folgen des Golfkrieges noch in Punkten zu spüren bekommen, die schmerzen. Gegen die Annexion Kuwaits kämpfen inzwischen Briten, Franzosen, Niederländer, Italiener, Kanadier, Amerikaner. Deutschland steht, verfassungsbedingt korrekt, abseits. Aber wenn der Krieg (hoffentlich erfolgreich) vorbei ist, werden sich die, die ihn gegen den Aggressor gewannen, gegenseitig auf die Schultern klopfen, und auf jene herabschauen, die sich nicht engagierten “.

Als ein wichtiges Mittel dieser Polarisierung dient dabei auch der Versuch, den Krieg als einen Krieg »der Vereinten Nationen« darzustellen, oder zumindest als einen Krieg, den die USA »im Auftrag der Vereinten Nationen« führen, während Äußerungen des UN-Generalsekretärs, die diese Darstellung zurückweisen, von den meisten Medien ebensowenig thematisiert werden, wie die berechtigten Zweifel, ob die inzwischen verfolgten Kriegsziele überhaupt noch mit den UN-Resolutionen vereinbar sind.

Selbst jene politischen Gruppierungen, die gegen die Kriegspolitik aufzutreten scheinen, vermögen in dieser Situation weder Sicherheit noch Rückhalt zu bieten. Teilweise, weil sie eh zu schwach sind, und andernteils, wie im Falle der SPD, weil sich gleichzeitig führende Identifikationsfiguren – wie etwa Willy Brandt – in Zeitungsanzeigen hinter den Krieg stellen.

Der Krieg »mittlerer Intensität«, wie er von den USA am Golf geführt wurde, erweist sich derart schon innerhalb der ersten Kriegstage als ein totaler Krieg gegen das Entstehen einer kritischen Öffentlichkeit und damit gegen die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Psychologische Kriegsführung, als Krieg um die Köpfe und Herzen der Menschen, gerät im Zuge der Kriegsführung »mittlerer Intensität« endgültig zum psychologischen Krieg gegen die Menschen im eigenen Land und gegen ihre Fähigkeit der Urteilsbildung ebenso wie gegen ihre Fähigkeit der Anteilnahme.

Literatur

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Hovland, C.I., Weiss, W., 1951. The influence of source credibility on communication effectiveness. Public Opinion Quarterly, 15, 635-650.

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Klare, M.T., 1991a. Krieg den Aufsteigern. Die neue US-Doktrin der »Konflikte mittlerer Intensität« (MIC). Blätter für deutsche und internationale Politik, 3'91, S.320-326.

Klare, M.T., 1991b. Der Golf – Versuchsfeld der Kriege von morgen. Die neue Militärstrategie der USA – Middle-Intensity-Conflict. Prowo Nr. 12.

Klare, M.T., Kornbluh, P., 1988. Low Intensity Warfare. New York.

Leithäuser, Th., Volmerg, B., 1977. Die Entwicklung einer empirischen Forschungsperspektive aus der Theorie des Alltagsbewußtseins, in: Leithäuser, Th., Volmerg, B., Salje, G., Volmerg, U., Wutka, B., Entwurf zu einer Empirie des Alltagsbewußtseins. Frankfurt/M.

Lumsdaine, A.A., Janis, I.L., 1953. Resistance to »counter-propaganda« produced by one-sided and two-sided »propaganda« presentations. Public Opinion Quarterly, 17, 311-318.

Martin-Baro, I., 1988. Die psychischen Wunden der Gewalt, in: Kempf, W., (Hrsg.), Kriegsführung »niedriger Intensität«, Menschenrechte und psychosoziale Situation in Zentralamerika. Hamburg, 1991 (im Druck).

Niedhart, G., 1991. Appeasement ist kein Pazifismus und Krieg ist nicht gleich Krieg. Frankfurter Rundschau vom 26.2.1991, S.9.

Samoyoa, J., 1987. Guerra y deshumanización. Una perspectiva psicosocial. Estudios Centroamericanos (ECA), No. 461, S.213-225.

Auszugsweiser Nachdruck eines Aufsatzes, der unter dem Titel »Verdeckte Gewalt. Herausforderungen an Friedens- und Solidaritätsbewegung zu Beginn der 90er Jahre« in dem von W. Kempf herausgegebenen Buch Verdeckte Gewalt – Psychosoziale Folgen der Kriegsführung niedriger Intensität in Zentralamerika im Argument-Verlag, Hamburg, erschienen ist.

Stimmen aus der arabischen Öffentlichkeit

War on Terror:

Stimmen aus der arabischen Öffentlichkeit

von Carmen Becker

Die arabische Medienlandschaft ist genauso verwirrend und vielfältig, wie die in anderen Ländern. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die arabischsprachigen Angebote zum »war on terror« im Internet, in den audio-visuellen und den Printmedien. Die Autorin beschränkt sich bei ihrer Darstellung des Umgangs mit dem Kampf gegen den Terrorismus in der arabischen Öffentlichkeit auf die arabischen Nachrichtensender, allen voran al-Jazeera als beliebtester Sender mit den insgesamt höchsten Einschaltquoten. Diese Sender bilden den Kern einer politisierten arabischen Öffentlichkeit, in der Argumente ausgetauscht und um Definitionen sowie Interpretationen gerungen wird. Um die Darstellung des Themas »war on terror« und die Diskussionen um dieses Thema in der arabischen politischen Öffentlichkeit besser einordnen zu können, befasst sie sich zunächst mit dem Selbstverständnis dieser Öffentlichkeit. Anschließend geht sie auf die Wortwahl der Berichterstattung über Terrorismus ein und wirft einen Blick in die diskursiven Felder, die in den Fernsehdebatten zum Thema dominieren.

Das Selbstverständnis arabischer Zuschauer und auch vieler Produzenten arabischsprachiger Satellitenprogramme – jenseits des Unterhaltungssegements – wird in einer Aussage im Hizbullah-Sender al-Manar1 deutlich: Die USA bekämpfen jedes freie Medium, das nicht ihre Politik in der Region propagiert. Al-Manar vertritt die arabische Straße und ist ein Echo der Sorgen arabischer Bürger. Das stört die Amerikaner und die zionistische Lobby.“2

Die Mehrheit der arabischen Bevölkerung ist überzeugt, dass sie al-Jazeera und Co brauchen um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen und dem »amerikanischen bzw. westlichen Projekt« etwas entgegen zusetzen. Auch diejenigen, die wenig für Verschwörungstheorien übrig haben, konzidieren, dass eine unabhängige arabische Stimme als Alternative sowohl zu den westlichen als auch zu den arabischen staatlich zensierten Medien unbedingt geboten ist.

Arabische Gegenöffentlichkeit zur westlichen Dominanz?

Das Misstrauen gegenüber westlichen Medien, obwohl diese fleißig konsumiert werden, ist groß. Sie werden in weiten Kreisen der arabischen Öffentlichkeit als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit – oder weniger taktvoll als Propagandainstrument – des »Westens« wahrgenommen. Dieser Subtext untermalt sämtliche Diskussionen in der arabischen politischen Öffentlichkeit und ist die gängigste Schablone, vor deren Hintergrund internationale und regionale Ereignisse wahrgenommen werden, auch der »war on terror«.

Dabei schien sich mit dem Aufkommen der transnationalen arabischen Satellitensender Anfang der 1990er Jahre zunächst aus der Sicht des so genannten Westens ein neuer Verbündeter für Demokratisierung aufzutun. Man versprach sich dadurch eine Befreiung von Regierungskontrolle, ein Aufbrechen staatlicher Medienmonopole und in der Folge einen Demokratisierungsschub in den arabischen Gesellschaften. 1996 trat al-Jazeera als erster arabischsprachiger reiner Nachrichtensender mit der berühmten Prämisse auf die Bühne: „Die Meinung und die andere Meinung“. Al-Jazeera beanspruchte für sich, professionell auf Arabisch und mit einem arabischen Blick aus der Region sowie über außerregionale Ereignisse zu berichten und dabei alle Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Der Sender transformierte die arabische Medienlandschaft durch seinen dezidiert politischen Fokus im Gegensatz zu den herrschenden Entertainmentsendern und trat zu einer Zeit auf, als die staatliche Kontrolle über die meisten nationalen Medien wieder zunahm. Mittlerweile sind zahlreiche Nachrichtensender bzw. Sender mit gemischten Unterhaltungs- und Nachrichtenanteilen entstanden. Al-Jazeera hat inzwischen scharfe Konkurrenz von al-Arabiya bekommen und auch das religiöse Segment erfreut sich großer Beliebtheit. Zu letzterem zählen neben dem bereits eingangs erwähnten Nachrichtensender al-Manar mit Standort in Beirut, auch Sender wie Iqraa3 aus Ägypten.

Die Entwicklung des arabischen Satellitenfernsehens zog eine Restrukturierung des kommunikativen Raums nach sich. Stil und Struktur der öffentlichen Diskussionen veränderten sich rapide. Es ist fast unmöglich, den Talkshows im arabischen Fernsehen zu entkommen. Die Debatten sind offen, überwiegend nicht aufgezeichnet, enthalten die unterschiedlichsten Positionen und sind im Verlauf nicht vorhersagbar. Es ist für Teilnehmer (oder Moderatoren) an Talkshows, Live-Interviews und Fernsehdebatten unmöglich, Kontrolle auszuüben. Gleichzeitig finden sich die Kommunikationsformen in einem neuen Verhältnis zur politischen Organisation sowie Artikulation wieder. Die arabischen Zuschauer erfahren oft zum ersten Mal, was politische Partizipation in Form von Meinungsäußerung bedeuten kann. Nicht umsonst sind gerade Talkshows mit der Möglichkeit, ungefiltert über Telefon seine Meinung zu äußern oder über bestimmte Fragen abzustimmen, besonders beliebt.

Allgegenwärtig – vor allem auf al-Jazeera – sind die »polarization entrepreneurs«, diejenigen, die jede Talkshow mit diametral entgegengesetzten Meinungen versorgen. Nicht zufällig heißt die beliebteste Diskussionssendung auf al-Jazeera »Entgegengesetzte Richtung«. Hier findet der Kampf zwischen zwei unversöhnlichen Lagern statt, der sich aus der Sicht der Teilnehmer oft zum Kampf zwischen Gut und Böse entwickelt, z. B. bei Themen wie »Die Araber und der Besitz von Atomwaffen«, »Die Krise in Libanon« und »Amerika und die Klassifizierung der Araber in Moderate und Extremisten«. Solche Sendungen stellen nicht nur den ständigen Nachschub an extremen Ansichten sicher, sie bieten auch einen gewissen Unterhaltungswert.

Transnationale arabische Medien erreichen Gemeinschaften, die durch Migration und Vertreibung in alle Winde zerstreut wurden, und können sie über Grenzen hinweg vereinen. Soziale und nationale Identitäten (Stadt und Land; Tunesier, Ägypter oder Kuwaiti etc.) verlieren an Bedeutung gegenüber dem Gefühl, an einem gemeinsamen politischen Projekt teilzunehmen und zu arbeiten. Wie dieses Projekt genau aussieht, ist umstritten, aber es ist arabisch und beschäftigt sich mit »arabischen« Problemen. In den arabischen Ländern und Diasporagemeinden betrachten sich die Zuschauer als Teilnehmer an einer permanenten politischen Debatte.

Die transnationale arabische Öffentlichkeit ist somit keine kosmopolitische Öffentlichkeit. Sie ermutigt sogar die Politik der Identitäten, da sie sich bewusst auf eine bereits existierende transnationale politische Gemeinschaft – die Araber – bezieht. Teilnehmer an Debatten sprechen die arabische politische Öffentlichkeit eben als arabische Öffentlichkeit an.

Dies zieht im Umkehrschluss nach sich, dass man sich als Gegenöffentlichkeit zur westlichen Hegemonie versteht. Bis zu den Ereignissen des 11. September wurden die Debatten in der arabischen Öffentlichkeit so geführt, als ob der so genannte Westen weder teilnimmt noch zuhört. Erst nach dem 11. September interagierte die »westliche« Öffentlichkeit mit dem arabischen Counterpart. Jedoch entwickelte sich daraus kein Dialog, sondern vielmehr eine Beziehung basierend auf Dominanz und Widerstand. Der Krieg gegen den Terror traf auch arabische Satellitensender und führte zum tiefgreifenden Vertrauensbruch zwischen dem Großteil der arabischen Medien und allen voran der US-Regierung. Nicht zuletzt angebliche US-Pläne zur Bombardierung des Sitzes von al-Jazeera in Katar vertieften den Bruch. Die arabischen Medien sahen und sehen sich immer noch den Vorwürfen ausgesetzt, Hass gegen die USA und dem »Westen« zu verbreiten, Terroristen sowie Islamisten eine Plattform zu bieten und für den Antiamerikanismus, der die arabische Welt nach 9/11 überschwemmte, verantwortlich zu sein. Vor allem al-Jazeera hält dagegen: Man müsse die Stimmung auf der Straße einfangen und wiedergeben. Alles, was politisch relevant sei, müsse zu Wort kommen, ob es den USA passe oder nicht. Der Antiamerikanismus ist in den letzten Jahren auch außerhalb der arabischsprachigen Region (auch in Europa!) gestiegen. Die Schuld einseitig arabischsprachigen Medien zuzuschreiben, würde die Existenz des Phänomens in anderen Sprachregionen nicht erklären. Allein aus diesem Grund können al-Jazeera und Co. kaum als Verursacher von Antiamerikanismus, als Verantwortliche für steigenden Hass und Extremismus, ausgemacht werden.

War on Terror vor Ort

Vor dem geschilderten Hintergrund debattiert eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure in der politischen arabischen Öffentlichkeit über den »war on terror«. Die Betroffenheit der Diskussionsteilnehmer als Araber oder Muslim sowie die gewaltsamen Veränderungen, die sich aus dem »Krieg gegen den Terrorismus« in ihrem Lebensumfeld ergeben, sind naturgemäß der Ausgangspunkt dieser Diskussionen. Im Unterschied zu den Menschen außerhalb der Region, hat der »Krieg gegen den Terrorismus« die regionalen Herrschaftsstrukturen im Nahen und Mittleren Osten nachhaltig verändert (Irak, Afghanistan, Aufstieg Irans zur Regionalmacht), lokale Konflikte überlagert (israelisch-palästinensischer Konflikt, Libanon) und die Einteilung politischer Akteure, sowohl innerhalb der politischen Systeme als auch auf der internationalen Bühne, neu konfiguriert (Extremisten vs. Moderate, Terroristen vs. Staat, Achse des Bösen etc.). Aufgrund dieser Betroffenheit der Diskutanten erscheinen die Diskussionen oft emotional, überhitzt und extrem.

Vier diskursive Zusammenhänge dominieren die Diskussionen um Terrorismus und Terrorismusbekämpfung in der arabischen Öffentlichkeit:

  • Arabische Medien berichten ausführlich über die neue Gesetzgebung im Rahmen der Terrorimusbekämpfung in Europa und den USA. Im Mittelpunkt der Berichterstattung steht der Umgang mit den jeweiligen muslimischen Minderheiten. Besonders dann, wenn Bürgerrechte zu Gunsten von Sicherheitserwägungen eingeschränkt werden und in der westlichen Öffentlichkeit wieder einmal ein »Generalverdacht« gegenüber Muslimen geschürt wird, ist die mediale Aufmerksamkeit sehr hoch. Während einer Folge der Sendung »Mehr als eine Meinung« auf al-Jazeera bedauerte ein islamischer Flüchtling in Großbritannien diese Entwicklung: „Das britische Rechtswesen war die Wirbelsäule Großbritanniens und hat das System und den Erfolg der Väter und Großväter des Vereinigten Königreichs getragen. Dafür haben wir die Briten respektiert und ihre Gesetze studiert. Es tut mir um die Entwicklung in Großbritannien leid.?
  • Sowohl arabische Regime als auch der »Westen« werden zunehmend als Kräfte wahrgenommen, die Terrorismusbekämpfung als Vorwand nutzen, um Demokratieförderung und Reformen auszusetzen. Demokratisierung, so die weit verbreitete Wahrnehmung, werde vom Westen nur dann verfolgt, wenn es den eigenen Interessen diene. Ist dem nicht der Fall, lasse der Westen hehre Ziele wie Demokratie und Menschenrechte im Namen des Kampfes gegen angebliche Terroristen fallen. Als Beispiel wird prominent die Blockade der von Hamas gebildeten Regierung oder auch aktuell das Gerichtsverfahren gegen Sadam Hussain angeführt. Ebenso müssen sich arabische Regime den Vorwurf gefallen lassen, unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Repressionen gegen Opposition und Zivilgesellschaft zu verschärfen, vor allem wenn sie islamistischer Prägung sind und eine Herausforderung für die eigene Herrschaft darstellen. Auch hier wird Terrorismusbekämpfung von weiten Teilen der politischen arabischen Öffentlichkeit als Instrument zur Festigung von autoritärer Herrschaft und Unterdrückung von Opposition interpretiert.
  • Die Beziehung zwischen Islam und Terrorismus hat ebenfalls ihren Platz in den öffentlichen politischen Diskussionen. Terrorismus wird allgemein verurteilt. Jedoch ist die große Frage, was eigentlich Terrorismus ist, der Punkt, an dem sich auch in der arabischen Öffentlichkeit die Geister scheiden. Sind palästinensische Selbstmordattentäter, Hizbullahkämpfer und irakische Rebellen Terroristen oder Widerstandskämpfer gegen Besatzung und ausländische Bedrohungen? Während in den westlichen Öffentlichkeiten das Wort »Islamist« überwiegend als eine Bezeichnung für einen Terroristen muslimischen Glaubens verstanden wird – oft verdeutlicht durch Adjektive wie extremistisch oder radikal, so wird in der arabischen Öffentlichkeit weiter differenziert und zunehmend nach den Wurzeln von Terrorismus, z.B. sozio-ökonomische und psychologische Faktoren oder äußere Einflüsse wie Imperialismus, gefragt.
  • Der »Krieg gegen den Terror« hat sich unbemerkt aber mit aller Wucht in lokale Konflikte in der Region übertragen oder ist, wie im Irak, selbst zum Auslöser eines neuen Krisenherdes geworden. Anders als das nicht-arabische Publikum ist die arabische Öffentlichkeit direkt im täglichen Leben vom »Krieg gegen den Terror« betroffen bzw. fühlt sich als »Araber« oder »Muslim« als Teil der betroffenen Gemeinschaft. In lokalen gewalttätigen Auseinandersetzungen, wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt, oder in Irak, wird die Legitmität des eigenen Handelns aus der jeweils als terroristisch oder illigitim wahrgenommenen Gewalt der Gegenseite abgeleitet. Die israelische Politik – mit den gezielten Tötungen, der Zerstörung von Häusern und der Enteignung von Ländereien – wird in weiten Teilen der arabischen Öffentlichkeit als Staatsterrorismus bezeichnet. Hamas oder auch Hizbullah gelten demgegenüber überwiegend als gewählte politische Akteure. Selbst ihre arabischen politischen Gegner begegnen ihnen zumindest in der Öffentlichkeit nicht mit dem Terrorismusvorwurf. Dass sie in der Matrix des »war on terror« im »Westen« auf der Seite terroristischer Kräfte verbucht werden, stößt in der arabischen Öffentlichkeit auf Unverständnis.

Ausgestrahlte Videos mit Botschaften von Terroristen, mit verängstigten, flehenden Geiseln und Aufnahmen von Morden an unschuldigen Zivilisten haben heftige Reaktionen im »Westen« ausgelöst. Der Vorwurf wendet sich vor allem an al-Jazeera. Der Sender strahlt trotzdem weiterhin Videos von al-Qa’ida und anderen jihadistischen Gruppen aus, wenn auch selektiver als zuvor; Tötungen und Leichen, die auf solchen Videos zu sehen sind, werden nicht gezeigt. Al-Jazeera zufolge wird sogar die große Mehrheit der Videos, die beim Sender ankommen, nicht gesendet. In der arabischen Öffentlichkeit wird die Veröffentlichung der Videos im Gegensatz zu den westlichen Öffentlichkeiten kaum kontrovers diskutiert. Al-Qa’ida beeinflusst aus arabischer Sicht die Geschicke der Region. Daher haben z.B. Videonachrichten vom zweiten Mann al-Qa’idas, Aiman al-Zawahiri, einen eigenen Nachrichtenwert. Während der Inhalt der Nachrichten durchaus sehr kontrovers diskutiert und kritisch kommentiert wird, befürwortet nur eine Minderheit ein Verbot der Ausstrahlung solcher Nachrichten.

Von Rebellen, Märtyrern oder Terroristen

Die Wortwahl entscheidet in den Medien über die Legitimität einer politischen Aktion, auch wenn dazu der Einsatz von Gewalt gehört. In der Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt bezeichnet al-Jazeera fast ausnahmslos alle getöteten Palästinenser, sowohl Kämpfer als auch Zivilisten, als »Märtyrer« (arab. shahid). Entsprechende Nachrichten werden in der Regel mit „x Palästinenser starben heute den Märtyrertod (arab. ustushhida)“ eingeleitet. Der Begriff wird ebenso, wenn auch weniger konsequent, für palästinensische Selbstmordattentäter verwendet. Der Ausdruck »den Märtyrertod erleiden« bleibt auf al-Jazeera im irakischen oder afghanischen Kontext Zivilisten vorbehalten. Kämpfer werden als Kämpfer oder Rebellen, seltener als Mitglieder des Widerstands bezeichnet.

Der größte Konkurrent al-Jazeeras, der Nachrichtensender al-Arabiya, versucht, Begriffe wie Märtyrer und Terrorist weitgehend zu vermeiden. Al-Arabiya definiert sich im Kampf um Marktanteile als moderate Alternative zu al-Jazeera, die mehr als der Konkurrent der Objektivität verpflichtet sei. Viele leiten daraus eine größere Nähe zum »Westen« ab. So benutzt al-Arabiya z.B. oft ohne Hinterfragung den Begriff Terrorismus. Demgegenüber hört man auf al-Jazeera grundsätzlich nur „der so genannte Terrorismus“ oder „so genannte Terroristen“.

Für das westliche Publikum erscheinen Diskussionsrunden absurd, in denen Islamisten und Nicht-Islamisten über Themen wie Reform, Demokratie und Terrorismus streiten. Was soll ein Islamist, der per se als potenzieller Terrorist gilt, zu Demokratie und Terrorismus schon zu sagen haben? Ein Beispiel aus der Diskussionssendung »Offener Dialog« auf al-Jazeera vom Februar 2005 zeigt exemplarisch und in fast idealtypischer Weise, wie auch in der arabischen Öffentlichkeit Akteure dem Zwang ausgesetzt sind, sich als wahre Muslime darzustellen und sich gleichzeitig von Gewalt und Terrorismus abzugrenzen. An der Diskussion nahmen Abdullah al-Nibari, ehemaliger Abgeordneter im kuwaitischen Parlament, und Abd al-Mun’im Abu Fatuh, Mitglied des Leitungsbüros der ägyptischen Muslimbrüder, teil.

Im Laufe der Diskussion argumentierte al-Nibari, dass der moderate politische Islam, also auch die Muslimbrüder, zwar nicht mit den radikalen islamischen Fundamentalisten gleichgesetzt werden könne, er habe aber indirekt den Nährboden für den islamischen Fundamentalismus bereitet. In einigen Staaten wie Ägypten und Kuwait seien quasi Bündnisse zwischen moderaten Islamisten und den Regierungen entstanden. Die moderaten Islamisten erhielten Zugang zu Parlamenten und priviligierten Positionen in der Verwaltung. Diese Bündnisse erleichterten dadurch die Verbreitung islamisch-politischen Gedankenguts, vor dessen Hintergrund fundamentalistische Bewegungen – als Abspaltungen von den moderaten Bewegungen – ihre radikalen Agenden entwickelten.

Abu Fatuh entgegnete, dass Korruption und der Mangel an Freiheit sowie Demokratie die wahren Gründe für Gewalt sind. Die wachsende Armut führe angesichts einer sich selbst bereichernden privilegierten Schicht zu Gewalt. Laizisten sähten das Gerücht, dass die Muslimbrüder fundamentalistische Strömungen hervor gebracht hätten. Extremismus und Fundamentalismus seien aber keine religiösen Prinzipien. Die Muslimbrüder seien ein durch die Bevölkerung legitimierter Teil der politischen Szene in vielen arabischen Ländern. Auf Irak bezogen betonen beide, dass „Köpfe abschlagen, Zivilisten nieder metzeln und lebensnotwendige wirtschaftliche Organisationen zu zerschlagen kein Widerstand ist.“ Wenn diese Aktionen auf das amerikanische Militär beschränkt wären, dann könne man dies Widerstand nennen.

Obwohl das Thema der Sendung explizit der Kampf gegen den Terrorismus war, tat sich während der Diskussion ein wahres Bouquet an Themen auf: Reformen, Demokratie, Islam, Korruption, Armut, Widerstand gegen Besatzungen, Gewalt, Laizismus und die Rolle der Religion in der Öffentlichkeit.

Jede Diskussion zum »war on terror« zieht, wie die von mir skizzierten vier diskursiven Felder zeigen, eine Fülle von grundlegenden Fragen des Zusammenlebens, des Allgemeinwohls und des zu erstrebenden politischen Systems nach sich. Dies ist ein Indiz, dass sich die arabische Öffentlichkeit in einem tiefgreifenden Prozess des Wandels in allen Lebensbereichen wähnt, wovon der Krieg gegen den Terrorismus ein zentraler Teilaspekt ist. Da alle bereits durchlebten Experimente wie etwa Panarabismus, Monarchien und sozialistische Republiken als gescheitert gelten, dominieren Fragen nach der erstrebenswerten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verfasstheit der Gemeinwesen und die Abrechnung mit der gegenwärtigen Lage auch die Diskussionen über Terrorismus und den »war on terror«.

Anmerkungen

1) Al-Manar: Libanesischer Satellitensender der Hizbullah, der in Europa durch die Diskussion um eine Fernsehserie auf der Grundlage des antisemitischen Buchs »Die Protokolle der Weisen von Zion« bekannt wurde.

2) Aussage eines Teilnehmers an der Sendung »Kulissen« auf al-Jazeera im April 2006 zum Thema »Verbot von al-Manar«.

3) Iqraa bedeutet übersetzt „Lies!“ oder „Rezitiere!“. „Iqraa“ ist Aufforderung Gottes an den Propheten Muhammad, der damit aufgefordert wird, die göttliche Offenbarung zu verbreiten. Neben religiösen Programmen mit Koranauslegungen sowie Lebensberatung dominieren vor allem Familiensendungen und Dokumentationen das Programm des Senders.

Carmen Becker ist Politologin mit Schwerpunkt auf dem arabischsprachigen Raum. Bis vor kurzem war sie im Auswärtigen Amt für die Analyse arabischsprachiger Medien zuständig.

Weapons of Mass Deception

Weapons of Mass Deception

Strategische Manipulation von Medien während des Irak-Krieges

von Jürgen Rose

Wenn politische Entscheidungsträger in Demokratien Bürger – und auch immer zahlreicher Bürgerinnen – in Kriege entsenden wollen, um in fernen Ländern, wie das der Krieg gemeinhin so mit sich bringt, andere Menschen zu töten oder zu verstümmeln und dabei gegebenenfalls selbst das gleiche Schicksal zu erleiden, dann benötigen sie für ein derartiges Unterfangen eine möglichst breite und tunlichst nicht in Zweifel zu ziehende demokratische Legitimation. Freilich ist „[i]nsbesondere in Demokratien der Aufwand groß, mit dem man friedliche Bürger von der Notwendigkeit überzeugen muss, die Waffen aufzunehmen bzw. für die Kosten der Kampagne gerade zu stehen. Nur der allergarstigste Gegner kann schließlich rechtfertigen, dass man sich zu Gegenmaßnahmen entschließt, die so sehr den eigenen zivilen Werten widersprechen.“ (Stephan 1998, S. 157) Gerade demokratische Öffentlichkeiten, die Krieg normalerweise als illegitimes Mittel der Politik betrachten, lassen sich nur durch geschickte und überzeugende Propaganda von dessen Notwendigkeit überzeugen. Die Entscheidung zum Krieg bedarf in Demokratien mittlerweile der Beschwörung von Menschheitsbedrohungen wie Massenvernichtungswaffen, Terrorismus oder Völkermord.

Da in modernen Demokratien jedwede Politik vornehmlich massenmedial vermittelt wird, kann auch die Legitimationsbeschaffung zur Kriegführung nur qua Unterstützung durch die Massenmedien erfolgen. Letzteren kommt die Funktion zu, einer demokratischen Öffentlichkeit jene moralisch unanfechtbare Begründung für den Krieg zu liefern, die sie begehrt. Weil sich derartige Letzt-Begründungen jedoch prinzipiell nicht verfertigen lassen, mutieren Massenmedien in Kriegszeiten gleichwohl regelmäßig zur Propagandamaschine der Regierenden, die dem Wahlvolk jene Lügen liefert, nach denen es partout verlangt. Zugleich machen sie sich dadurch zum ebenbürtigen Partner der Panzer, Flotten und Bomberverbände. Gelingt solchermaßen die erfolgreiche Gleichschaltung von Massenmedien in Zeiten des Krieges, so ist die essentielle Voraussetzung für die Unterstützung des Streitkräfteeinsatzes seitens der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsapparate erfüllt. Scheitert andererseits die Instrumentalisierung der Massenmedien zum Zwecke der Kriegspropaganda, kann selbst erdrückende militärische Überlegenheit auf dem Schlachtfeld die politische Niederlage nicht verhindern.

In Erkenntnis dieses Sachverhaltes begann mit der Intention, ein erneutes Desaster wie in Vietnam zu vermeiden, bereits 1984 unter der Ägide des damaligen US-Verteidigungsministers Caspar Weinberger die Entwicklung neuer Kriterien für den Gebrauch militärischer Macht. Ein wesentliches Kriterium bestand darin, dass vor jedem denkbaren Streitkräfteeinsatz unbedingt die hinreichende innenpolitische Unterstützung garantiert sein müsste. Im Jahr 1990 erfuhr dieses Prinzip vor dem Krieg gegen den Irak durch die Bush-Administration seine schlagende Bestätigung. Weiterentwickelt und verfeinert wurden die Grundsätze der PR-Arbeit im Rahmen der US-Militärstrategie in der Ära Clinton vom damaligen US-Generalstabschef, General Colin Powell. Auch er erachtete es als unabdingbar, vor jeder Entsendung von US-Truppen die Unterstützung hierfür seitens der Öffentlichkeit, der Medien und des Kongresses sicherzustellen. Ergänzend trat als herausragendes Kriterium hinzu, dass bei jeglichen Einsätzen unter allen Umständen das Ansehen der Streitkräfte gewahrt bleiben musste. Die von Powell formulierten Kriterien gelten auch unter der gegenwärtigen US-Administration fort und wurden seitdem weiter verfeinert. Pars pro toto lässt sich dies sehr eindrucksvoll anhand der von der U.S. Air Force im Januar 2002 präsentierten Doktrin für Informationsoperationen illustrieren. Dort wird zur strategischen Zielsetzung der so genannten Public Affairs Operations unter anderem ausgeführt: „Operationen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dienen der Unterstützung einer starken nationalen Verteidigung, nämlich die Nation auf den Krieg vorzubereiten, indem sie in der Öffentlichkeit Vertrauen und Verständnis für den Beitrag des Militärs zur nationalen Sicherheit und das dafür notwendige Budget herstellen. Mit dieser Rückenstärkung durch Steuerzahler und Kongress kann die militärische Führung effektiv Soldaten anwerben, ausrüsten und ausbilden, die das gesamte Spektrum militärischer Operationen beherrschen. Im Falle einer nationalen Krise lassen sich durch Operationen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der amerikanischen Öffentlichkeit die Informationen übermitteln, die sie benötigt, um die Relevanz militärischer Aktionen zu verstehen – und zugleich stärken sie die nationale Entschlossenheit. Diese Art der Kommunikation eröffnet den Befehlshabern die Option, sich in der Krise an die Spitze zu stellen, die Wahrnehmung von Ereignissen zu beeinflussen, Klarheit im öffentlichen Bewusstsein zu schaffen und den Rahmen für die Diskussion in der Öffentlichkeit zu bestimmen.“ (United States Air Force 2002, S. 37) Noch unverhohlener decouvriert folgende Formulierung die militärische Bedeutung der »Öffentlichkeitsarbeits-Waffe«: „Als Waffe im Arsenal des militärischen Führerskönnen Operationen der Öffentlichkeitsarbeit einen Kampfkraftverstärker bilden, der das informationelle Umfeld militärischer Operationen zugleich auslotet und gestaltet.“ (United States Air Force 2002, S. 29) Weitere einschlägige Doktrinen, in denen ähnliche oder gleichlautende Prinzipien auftauchen, finden sich in Dokumenten wie der »Joint Doctrine for Information Operations«, der »Doctrine for Public Affairs in Joint Operations« sowie der »Joint Doctrine for Civil-Military Operations«.

Wie die auf der Ebene der Militärstrategie respektive der genannten Doktrinen definierten Grundsätze für die Informations-, Desinformations- und Propagandaarbeit des Pentagons in die Praxis umgesetzt werden, lässt sich empirisch eindrucksvoll am Beispiel der vor dem jüngsten Irakkrieg erlassenen »Richtlinien für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Einbettung von Medien im Rahmen möglicher künftiger Operationen/Dislozierungen im Verantwortungsbereich des U.S. Central Command (CENTCOM)« vom 17. Januar 2003 illustrieren (im folgenden »Public Affairs Guidance – PAG«). Mit dieser Richtlinie hat das Pentagon nach den unbefriedigenden Erfahrungen mit der Bildung von Kriegsberichterstatter-Pools während des Golfkrieges 1990/91 erstmals eine neue und vielversprechende Form der Informationskontrolle eingeführt. Diese basierte auf den positiven Erfahrungen, die im Rahmen der »Operation Anaconda« in Afghanistan 2002 gewonnen wurden.

Die fundamentale Innovation der vor dem neuerlichen Krieg gegen Saddam Hussein ausbaldowerten PR-Strategie bestand in der sogenannten Einbettung, d.h. der Integration von Journalisten direkt in die kämpfende Truppe. Die Idee des »Embedding« stammt von Victoria »Torie« Clarke, die als stellvertretende Verteidigungsministerin im Department of Defense der USA (DoD) für Public Affairs zuständig ist. Zu ihrem Aufgabengebiet gehören auch die Armeezeitung Stars & Stripes, das Armed Forces Radio und andere militärpublizistische Erzeugnisse. Gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Bryan Whitman, einem ehemaligen Offizier der US-Army, definierte sie die strategischen Leitgedanken des Embedding-Projekts:

  • „die Desinformationsmaßnahmen unserer Gegner neutralisieren,
  • die Unterstützung sowohl für die Politik der USA als auch für den globalen Krieg gegen den Terrorismus mobilisieren und erhalten,
  • offensive Schritte zur Erringung der Informationsüberlegenheit ergreifen,
  • die Professionalität des US-Militärs demonstrieren,
  • die Unterstützung für den Kämpfer da draußen auf dem Schlachtfeld mobilisieren und erhalten. “

Pointiert lautete das sich hinter der Idee des »Embedding« verbergende Kalkül der PR-Spezialisten aus dem Pentagon: „Schleichende Korruption durch Nähe“ (Bussemer 2003, S. 26). Der springende Punkt dabei war, dass die Medienvertreter zuvor einen Katalog vorgegebener Grundregeln für die Berichterstattung – das »CFLCC Ground Rules Agreement« – unterzeichnen mussten (CFLCC = Coalition Forces Land Component Command). Dabei handelte es sich um ein äußerst ausgeklügeltes System von Auflagen und Offerten für die betroffenen Journalisten und ihre Berichterstattung, das der alterprobten Maxime »do, ut des« folgte und zugleich günstigste Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Manipulation und Korrumpierung der Kriegsberichterstattung im von der US-Administration erwünschten Sinne schaffte. Auf diese Weise sollten Reporter zu „cheerleaders for the military“ (Shepard 2004, S. 14) respektive „tour guides for war“ (Shepard 2004, S. 37) umfunktioniert werden.

Darüber hinaus wurden in Konkurrenz zu den kommerziellen Medien noch so genannte Joint Tactical Information Cells installiert, deren »Mediensoldaten« mit Hilfe modernster Satelliten-Technologie eigene Text- und Bildberichte über den Kriegsverlauf versenden konnten, was den unschätzbaren Vorteil der Exklusivität sicherte. Geliefert wurden solche Berichte u. a. von so genannten Combat Camera Teams, welche die US-Streitkräfte schon seit längerem unterhält und die für die visuelle Dokumentation des Krieges sorgen sollen. Deren Aufnahmen finden auch als Teil der Media-Kits Verwendung, mit denen Journalisten auf Pressekonferenzen versorgt werden.

Nachfolgend sollen die wesentlichsten Aspekte der vom Pentagon erlassenen »Public Affairs Guidance« und des »CFLCC Ground Rules Agreement’s« näher analysiert werden.

Die PR-Arbeit des US-Militärs zielt auf drei Adressatengruppen, nämlich die amerikanische Öffentlichkeit, die Öffentlichkeit in den verbündeten Staaten sowie die Öffentlichkeit in den Staaten, in denen die USA militärische Operationen durchführen. Die vorrangige Devise dabei lautet: „Wir müssen über die Tatsachen berichten – seien sie gut oder schlecht –, bevor andere die Medien mit Desinformationen und verzerrten Darstellungen impfen, wie sie es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch weiterhin tun werden. Unsere Leute vor Ort müssen unsere Sichtweise vermitteln (SECDEF/deutsche Übersetzung Reeb 2003)

Mehrfach wird betont, dass es entscheidend darauf ankommt, mittels der Einbettung der Medienberichterstatter die Ereignisse aus amerikanischer Perspektive zu vermitteln und das Verständnis in der (Welt-)Öffentlichkeit daraufhin zu fokussieren: „Diese eingebetteten Medien werden als Teil der Truppenteile, in die sie eingebettet sind, leben, arbeiten und verlegen, um bessere Voraussetzungen für ein Maximum an gründlicher Berichterstattung über die US-Streitkräfte im Gefecht sowie über damit zusammenhängende Operationen zu schaffen.Die Medien werden in der Truppe, auf Stützpunkten der Luftwaffe und der Bodentruppen sowie in schwimmenden Einheiten eingebettet, um ein umfassendes Verständnis aller Operationen zu gewährleisten.Es werden Plätze in Fahrzeugen, in Luftfahrzeugen und auf Kriegsschiffen zur Verfügung gestellt, um eine möglichst umfassende Berichterstattung über die US-Truppen vor Ort zu ermöglichen.Die Truppenteile haben Transportkapazität und logistische Unterstützung vorzusehen, um den Transport von Medienprodukten zum und vom Gefechtsfeld zu unterstützen, damit unsere Darstellung der Ereignisse zeitgerecht ermöglicht wird.“ (SECDEF/deutsche Übersetzung Reeb 2003)

Selbst die militärische Geheimhaltung stellt unter bestimmten Voraussetzungen kein prinzipielles Hindernis für die Berichterstattung dar, wie in der »PAG« ausgeführt wird, wenn der betreffende Reporter sich mit einer erweiterten Zensur seitens der Militärs einverstanden zeigt: „In Fällen, in denen ein militärischer Führer oder sein offizieller Stellvertreter feststellt, dass ein Berichterstatter mehr an geheimhaltungsbedürftigen Informationen erhält als durch eine Belehrung im Rahmen einer Vor- oder Nachbesprechung abgedeckt wird, die Berichterstattung selbst jedoch im besten Interesse des US-Verteidigungsministeriums ist, kann der militärische Führer Zugang zu den Informationen gewähren, falls der Reporter einer Sicherheitsüberprüfung seines Berichts zustimmt.“ (SECDEF/deutsche Übersetzung. Reeb 2003)

Für die Wahrnehmung der ihnen vom US-Verteidigungsministerium zugedachten Aufgaben bietet die »PAG« den eingebetteten Journalisten eine breite Palette von Unterstützungsleistungen an. Darunter fällt unter anderem:

  • der generell erleichterte Zugang zu den Streitkräften,
  • der Zugang zu operativen Kampfeinsätzen mit der Gelegenheit, tatsächliche Kampfhandlungen zu beobachten,
  • kostenloser Transport in Luftfahrzeugen des US-Verteidigungsministeriums,
  • Plätze in Fahrzeugen, in Luftfahrzeugen und auf Kriegsschiffen,
  • ggf. fernmeldetechnische Unterstützung beim Absetzen bzw. Übertragen von Medienprodukten sowie Nutzung schneller militärischer Fernmeldeverbindungen,
  • die Bereitstellung von Unterkunft, Verpflegung und ggf. sanitätsdienstlicher Versorgung,
  • die leihweise Ausgabe von ABC-Schutzausrüstung,
  • die (kostenpflichtige) Gestellung von Impfstoffen gegen Anthrax und Pocken.

Allerdings war die Gewährung dieser Vergünstigungen an die strikte Einhaltung umfangreicher Auflagen gekoppelt. Dazu zählte:

  • die obligatorische Beantragung auf Einbettung beim US-Verteidigungsministerium,
  • das Verbot, eigene Fahrzeuge zu benutzen,
  • die Einholung der Genehmigung zur Nutzung elektronischer Geräte in einem Kampfgebiet bzw. einem feindlichen Umfeld,
  • die Unterzeichnung des »CFLCC Ground Rules Agreement’s« sowie einer »Vereinbarung über Haftungsfreistellung und Klageverzicht«.

Darüber hinaus wies die »PAG« die letztinstanzliche Entscheidungskompetenz über den Bewegungsspielraum der eingebetteten Berichterstatter den militärischen Befehlshabern vor Ort zu – der entscheidende Passus diesbezüglich lautet: „Falls ein Medienvertreter nach Auffassung des militärischen Führers außerstande ist, mit den harten Rahmenbedingungen zurechtzukommen, obwohl dies für den Einsatz mit den vorn dislozierten Kräften erforderlich ist, kann der militärische Führer oder sein Stellvertreter die Teilnahme des Medienvertreters bei den Einsatzkräften einschränken, um die Sicherheit des Truppenteils zu gewährleisten.“ (SECDEF/deutsche Übersetzung Reeb 2003) Wie ein Damoklesschwert schwebte diese Option permanent über den eingebetteten Reportern und musste daher allein aufgrund ihrer potenziellen Nutzung als Sanktion für unvorteilhafte Reportagen auf sublime Weise die Berichterstattung beeinflussen.

Das bereits erwähnte »CFLCC Ground Rules Agreement« enthielt das von der »PAG« vorgegebene detaillierte Regelwerk, das jeder Reporter vor seiner Einbettung in den ihm zugewiesenen Truppenteil förmlich zu unterzeichnen hatte. Grundsätzlich galt: „Die Grundregeln sind von den Medien vorher anzuerkennen und vor der Einbettung zu unterzeichnen. Verstöße gegen die Grundregeln können die sofortige Beendigung der Einbettung und die Entfernung aus dem Verantwortungsbereich zur Folge haben.“ Von nicht zu unterschätzender Relevanz war, die Anweisung, dass „sämtliche Interviews mit Angehörigen der Streitkräfte zu … protokollieren [waren].“ (CENTCOM 2003) (Das CFLCC stellt die Umsetzung der PAG auf nächstniedriger Ebene dar). Damit war sichergestellt, dass einerseits die betroffenen Soldaten bei ihren Aussagen äußerste Zurückhaltung walten ließen und andererseits die Journalisten, um ihre Interviewpartner nicht zu kompromittieren, schon während sie fragten, stets die »Schere im Kopf trugen«. Eine weitere Option zur Steuerung der Berichterstattung bot die Bestimmung, dass Sperrfristen verhängt werden konnten, um die „operative Sicherheit zu gewährleisten.“ Mittels der Anweisung, alle Berichte für Druck- oder Rundfunkmedien mit Orts- und Datumsangabe zu versehen, wurde eine lückenlose Überwachung und Identifikation der jeweilige Urheber sichergestellt. Schließlich wurde noch festgelegt, dass Medienvertreter unbewaffnet zu sein und bei Operationen in der Dunkelheit die Lichtdisziplin (Regelungen zum Gebrauch von Lichtquellen) zu wahren hatten.

Entscheidend war darüber hinaus selbstredend die Festlegung der Kategorien für Informationen, die zur Veröffentlichung freigegeben waren respektive die nicht publiziert werden durften. Prinzipiell freigegeben waren ausschließlich allgemeine, pauschale und ungefähre Angaben über die eigenen Streitkräfte und deren Aktionen, nicht aber konkrete und präzise Zahlen, Daten und Fakten. Details über den Kriegsverlauf sollten tunlichst nicht publik werden, es genügte, wenn die (Welt-)Öffentlichkeit vom grandiosen Sieg der US-Truppen erfuhr. Da passte es ins Bild, dass „gesicherte Zahlenangaben zu verhafteten oder gefangengenommenen Angehörigen der feindlichen Kräfte“ (CENTCOM 2003) durchaus zur Veröffentlichung freigegeben waren.

Verboten war die Veröffentlichung jedweder konkreter Zahlen, Daten und Fakten zu Personal, Material, Truppenteilen, militärischen Einrichtungen, Truppenbewegungen, Dislozierung etc. Unter die Geheimhaltung fielen auch die Einsatzregeln, Sicherheitsmaßnahmen, Informationen über Spezialeinheiten, Methodik und Taktik von militärischen Operationen sowie Informationen über die Effektivität der gegnerischen Kampfführung. Darüber hinaus unterlag der Zugang zu Kriegsgefangenen strikten Restriktionen, ebenso wie jegliche Berichterstattung über tote, verwundete, verletzte und kranke Soldaten der eigenen Streitkräfte. Das Kriegshandwerk im einzelnen sowie die furchtbaren Auswirkungen der Waffengewalt sollten vor der (Welt-)Öffentlichkeit soweit wie irgend möglich verborgen gehalten respektive nur in homöopathischen Dosen zur Kenntnis gegeben werden. Die Konsequenz war, dass die Medien „am Ende den Krieg weichspülten, indem sie es vorzogen, siegestrunkene Amerikaner anstelle von blutigen, verwundeten oder toten amerikanischen oder irakischen Soldaten zu zeigen“ (Shepard 2004, S. 62) und dass insbesondere die US-Medienanstalten „die Schrecken des Krieges vernebelten, indem sie grausame Bilder vermieden, sich des Militärjargons („irakische Ziele aufweichen“) anstatt einer direkten, brutalen, konkreten Ausdrucksweise („Iraker töten“) bedienten.“ (Shepard 2004, S. 71)

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es dem US-Militär gelang, mittels seiner äußerst ausgeklügelten PR-Arbeit, sicherzustellen, dass der Krieg zwar nicht absolut, aber nahezu nur insoweit abgelichtet werden konnte, wie es dem Pentagon passte. Die Basis des Erfolgs bildete eine Doppelstrategie, nämlich einerseits wohlwollend gesonnene Medienvertreter nach allen Regeln der Kunst zu umgarnen und zu korrumpieren. Ein Washingtoner Redaktionsleiter schwärmte diesbezüglich: „Der Charme des Einbettungsprogramms bestand darin, dass es unsere beiderseitigen Bedürfnisse erfüllte.“ (Shepard 2004, S. 59f.) Andererseits wurden unabhängig recherchierende Reporter, die so genannten unilaterals, insbesondere auch solche aus europäischen und arabischen Ländern, systematisch benachteiligt, behindert, schikaniert und in Einzelfällen auch massiven Bedrohungen für Leib und Leben ausgesetzt, wie die Bombardierungen von Al Jazeera und Abu Dhabi TV sowie der Beschuss des Hotels Palestine illustrieren. Diese Verfahrensweise hatte zur Folge, dass dem Publikum zwar eine Fülle von selektiven Eindrücken über die Kampfhandlungen vermittelt wurden, es aber keine Chance besaß, die komplexe Realität des Krieges zu erfassen. Erzeugt wurde somit allenfalls die Illusion, am Krieg »beteiligt« gewesen zu sein. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass von den insgesamt 775 »eingebetteten« Reportern gerade einmal 40 bis 50 tatsächlich die Gelegenheit bekamen, „Kriegführung real zu erleben“ (Shepard 2004, S. 23).

Problematisch muss darüber hinaus die grundsätzliche Steuerung der Medienöffentlichkeit durch das US-Militär erscheinen. Zudem werden seitens der US-Administration die Grenzen zwischen Gegenpropaganda und Täuschung nach außen sowie der PR nach innen zunehmend verwischt und dem Militär Aufgaben zugewiesen, die von Diplomaten und anderen zivilen Experten kompetenter wahrgenommen werden können.

Summa summarum demonstriert gerade der jüngste Irak-Krieg, dass die „Massenmedienaus Sicht des Militärs von potentiellen Störfaktoren, die es zu instrumentalisieren gilt, zu willfährigen Helfern der Kriegführung avanciert [sind]. Die Medien selbst wurden zur Kriegswaffe.“ (Bussemer 2003, S.13)

Literatur:

Anonym (-MM-): Embedded Journalists – der Wahrheit näher?, in: Truppendienst, 6/2003

Bussemer, Thymian: Medien als Kriegswaffe. Eine Analyse der amerikanischen Militärpropaganda im Irak-Krieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49-50/2003

CENTCOM (ed.): Coalition Forces Land Component Command Ground Rules Agreement; im Internet unter: http://www.rsf.org/article.php3?id_article=5334 [29.08.2004].

MacArthur, John R.: Die Schlacht der Lügen. Wie die USA den Golfkrieg verkauften, München 1993

Hartwig, Stefan: Berichterstattung über den Irak-Krieg, in: Truppendienst, 6/2003

Joint Staff (ed.): Joint Pub 3-13, „Joint Doctrine for Information Operations“, 9 October 1998; im Internet unter: http://www.dtic.mil/doctrine/jel/new_pubs/jp3_13.pdf [29.08.2004]

Joint Staff (ed.): Joint Pub 3-61, „Doctrine for Public Affairs in Joint Operations“, 14 May 1997; im Internet unter: http://www.dtic.mil/doctrine/jel/new_pubs/jp3_61.pdf [29.08.2004]

Joint Staff (ed.): Joint Publication 3-57, „Joint Doctrine for Civil-Military Operations“, 8 February 2001; im Internet unter: http://www.dtic.mil/doctrine/jel/new_pubs/jp3_57.pdf [29.08.2004]

Reeb, Hans-Joachim: Berichterstattung vom Golf. Reflexionen über den Journalismus im Irak-Krieg 2003, Führungsakademie der Bundeswehr, Fachbereich Sozialwissenschaften, Reihe SOW kontrovers, Nr. 1/03, Hamburg, Juni 2003

SECDEF Washington DC//OASD-PA//: SECDEF MSG, DTG 172200Z Jan 03, SUBJ: Public Affairs Guidance (PAG) for movement of forces into the CENTCOM AOR for possible future operationS; im Internet unter: http://www.defenselink.mil/news/ Feb2003/d20030228pag.pdf [29.08.2004]. Deutsche Übersetzung durch Führungsakademie der Bundeswehr, Sprachendienst, Auftrags-Nr. 047/03, in: Reeb, Hans-Joachim: a. a. O., S. 41 – 52

Shepard, Alicia C.: Narrowing the Gap. Military, Media and the Iraq War, Cantigny Conference Series, Conference Report, published by Robert R. McCormick Tribune Foundation, Chicago, Illinois 2004

Stephan, Cora: Das Handwerk des Krieges, Berlin 1998

Stevenson, Charles A.: The Evolving Clinton Doctrine on the Use of Force, in: Armed Forces & Society, Vol. 22, No. 4, Summer 1996

Szukala, Andrea: Medien und öffentliche Meinung im Irakkrieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24-25/2003

United States Air Force (ed.): Information Operations, Air Force Doctrine Document 2-5, 04 January 2002; im Internet unter: http://www.dtic.mil/doctrine/jel/service_pubs/afdd2_5.pdf [29.08.2004].

Virchow, Fabian/Thomas, Tanja: Militainment, unveröffentlichtes Manuskript, Kiel 2003, S. 3. Erscheint unter dem Titel „Militainment als »banaler« Militarismus. Auf dem Weg zu einer Militarisierung der politischen Kultur?“ in: Löffelholz, Martin (Hrsg.): Krieg als Medienereignis II. Westdeutscher Verlag, Opladen 2004

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Friedensjournalismus – Möglichkeit oder Utopie?

Friedensjournalismus – Möglichkeit oder Utopie?

von Nadine Bilke

Schon die Verbindung der Wörter Frieden und Journalismus provoziert in der Medienbranche mehr Widerspruch als Zustimmung: Journalisten müssen objektiv sein, heißt es ablehnend. Doch ist die vorherrschende Berichterstattung über Kriege und Konflikte denn objektiv? Einzig die Frankfurter Rundschau machte in der Berichterstattung über die letzten Kriege ihre LeserInnen täglich darauf aufmerksam, dass die Redaktion weitgehend auf Informationen der führenden Kriegspartei angewiesen sei und deren Wahrheitsgehalt oft nicht überprüft werden könne. Tatsächlich geht die Kritik aber noch weiter: Eine Mehrheit der JournalistInnen übernimmt nicht nur Informationen ohne Gegenrecherche, sie bedient sich auch der Sprache der Kriegsparteien.
Nadine Bilke plädiert für einen friedensjournalistischen Lernprozess, dafür dass JournalistInnen von der Friedenswissenschaft lernen, z.B. die Sensibilität im Umgang mit Begriffen wie Krise oder Krieg, die gründliche Analyse einer Konfliktkonstellation und die Diskussion möglicher Schritte zu einer zivilen Lösung der Konflikte.

Zahlreiche Studien zeigen, dass Medien nicht objektiv über Krisen und Kriege berichten: Sie stehen vor allem auf der Seite ihrer Regierung und so genannter nationaler Interessen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür lieferten die US-amerikanischen Medien nach dem 11. September und während des Irak-Krieges. Patriotismus als Mittel zur Disziplinierung der Medien: Wer der offiziellen Lesart der Ereignisse widersprach, liebte sein Land nicht und stand damit auf der »anderen Seite«. Diese Reduzierung auf zwei Lager ist ein typisches Muster in der Berichterstattung. Das gilt für die Parteien in einem Krieg: die »bösen Serben« gegen die »guten Kroaten«. Das gilt auch für die Debatte zwischen Kriegsgegnern und -befürwortern in dem am Krieg beteiligten Ländern. Im Kosovo-Krieg waren die Fronten hierzulande klar abgesteckt. »Nie wieder Auschwitz« gegen »Nie wieder Krieg«: Der Gute führt Krieg, der Böse lässt den Völkermord zu. Erzählt werden also Geschichten von Gut und Böse, die mit den Realitäten des Konfliktverlaufs nur noch wenig zu tun haben.1Die Schnelligkeit der Live-Berichterstattung begünstigt diese vereinfachte Wiedergabe. Moderne Kriege sind Medienereignisse. Die Entwicklung des Live-Krieges ist am zweiten und dritten Golfkrieg zu beobachten: Im zweiten Golfkrieg dominierten noch die zum Teil mit viel Verspätung freigegebenen »technischen« Momentaufnahmen, im dritten berichteten eingebettete Journalisten rund um die Uhr direkt vom Ort des Geschehens. Auch die Sprache der Berichterstatter hat häufig einen wenig objektiven Klang. Journalistinnen und Journalisten nennen dem Krieg Friedensmission oder Befreiungsaktion, sie reden von einem Vorstoß oder gar von einer Razzia gegen Paramilitärs. Mit diesen Wortschöpfungen verharmlosen sie nicht nur das Geschehen, sie schaffen auch neue Realitäten, z.B. durch die Benutzung der neuen Kreation »vorbeugender Krieg«.2Man gewinnt den Eindruck, viele Medien gehen an die Bearbeitung des Krieges als Kampf- und Schoßhund. Sie mögen den Konflikt, denn er bringt gute Stories und gute Bilder, er bringt Auflage – das weckt den Kampfhund. Sie trauen sich keine eigene oder gar oppositionelle Position zu, schmiegen sich als Schoßhund in die Arme ihrer nationalen Regierung.3

Eine Umorientierung in Richtung hin zu einem Friedensjournalismus ist also dringend erforderlich. Dabei geht es nicht darum, einen parteiischen »Kriegsjournalismus« durch einen parteiischen »Friedensjournalismus« zu ersetzen. Es geht darum, dass der Journalismus die Fähigkeit zur gründlichen Konfliktanalyse entwickelt aus einer »überparteiischen Situation« heraus. Damit könnten die Medien überparteiische Vermittler im Friedensdienst unterstützen und auch selbst vermittelnd eingreifen.

Rechtliche Grundlagen

Diese Verantwortung lässt sich auch aus rechtlichen Grundlagen ableiten, denn Journalismus schwebt keineswegs in einem wertefreien Raum. Seine grundlegenden Normen sind auf nationaler und internationaler Ebene festgelegt. Aus dem Grundgesetz, den Landesmediengesetzen und verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich unter anderem folgende Funktionen ableiten: Medien sollen Information und Orientierung bieten, sie sollen ein Forum sein für verschiedene Meinungen, sich selbst kritisch äußern und Kontrolle ausüben gegenüber der Regierung. Damit sollen sie die Meinungsbildung der Bürger ermöglichen. Insofern bilden die Medien eine Grundlage der Demokratie. Sie legitimieren Herrschaft durch die Herstellung von Öffentlichkeit. Ohne Medien, die sich diesen Anforderungen stellen, kann Demokratie nicht funktionieren. Und damit führt diese Begründung – obwohl abgeleitet aus deutschen Gesetzestexten – zu einer allgemeineren demokratietheoretischen Einsicht.

Im internationalen Rechtsrahmen bilden die Menschenrechte den wichtigsten Orientierungspunkt. Menschenwürde legt den Grundstein für die anderen Rechte, die zusammengenommen ein Konzept für Frieden darstellen – ein Konzept, das über die reine Abwesenheit von Krieg hinausgeht und den Rahmen für soziale Gerechtigkeit liefern will. Neuere Ansätze im Völkerrecht sehen die Demokratie als die geeignete Staatsform zur Umsetzung dieser Rechte und damit schließt sich der Kreis zur Aufgabe der Medien in einer Demokratie. Grundlegende völkerrechtliche Prinzipien sind in Deutschland entweder dem Grundgesetz übergeordnet oder in nationales Recht überführt. Ähnliches gilt für andere Länder. Schon die rechtlichen Zielvorgaben führen also zu dem Schluss, dass der Frieden ein legitimes Ziel journalistischer Arbeit darstellt.4

Medienwirkungen

Ihr großes Wirkungspotenzial unterstreicht die Verantwortung von Konfliktberichterstattern. Auf individueller, nationaler und internationaler Ebene wirkt ihr Verhalten zurück auf die Konfliktparteien und damit auf den Konfliktverlauf.5

Zunächst beeinflusst jeder Journalist einen Konflikt ganz direkt durch sein eigenes Handeln. Er spricht mit Konfliktparteien, ist vielleicht selbst vor Ort. Damit bildet er eine Einflussgröße im Geschehen. Seine Auffassung vom Konflikt fließt ein in seine Berichte. Sein Bild der beteiligten Gruppen oder Kulturen schlägt sich nieder in seiner Arbeit.

Diese Berichterstattung hat Einfluss auf sein Publikum. Studien belegen, dass speziell über das Geschehen im Ausland nur wenig stabiles Wissen vorhanden ist. In Krisenzeiten aber fragen besorgte Menschen verstärkt nach Nachrichten. Diese Kombination aus einer großen Nachfrage und geringem Wissen eröffnet neue Spielräume für den Einfluss der Medien. Das Bild des Publikums, die öffentliche Meinung zu einem Konflikt, beeinflusst auch den weiteren Konfliktverlauf auf internationaler Ebene. Wenn der offene, wahrhaftige Diskurs Voraussetzung ist zur Kontrolle und Bewertung des Regierungshandelns, dann sind Medien der Schlüssel zu einem friedlichen Verhalten demokratischer Staaten. Öffentlicher Druck, diese Position vertreten einige Studien, kann ein starker Politikimpuls werden, unter bestimmten Bedingungen sogar Militäreinsätze auslösen oder beenden.

In einer Welt, in der Medien zunehmend globalisiert sind, wird die Berichterstattung außerdem zu einem eigenen Kommunikationskanal zwischen den Konfliktparteien, denken wir an CNN und zunehmend auch Al Dschasira. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist aber nicht nur Kommunikationskanal, sondern vor allem auch Informationskanal für Entscheidungsträger. So bestimmt sie – natürlich zusätzlich zu anderen Quellen – auch Wahrnehmungsmuster, die Grundlage von politischem oder militärischem Handeln werden können.6

Friedensjournalismus

Journalistinnen und Journalisten haben also immer einen Einfluss auf das Geschehen – teilweise auch schon vor der Berichterstattung, falls nämlich Akteure in einem Konflikt ihr Handeln auf die potenzielle Medienwirkung ausrichten. Friedensjournalismus kann helfen, dieser journalistischen Verantwortung gerecht zu werden. Das Konzept stellt keineswegs eine zusätzliche Arbeitsbelastung dar, sondern bietet eine grundsätzliche Ausrichtung: Wie berichte ich über Konflikte, wie stelle ich Menschen dar, welche Lösungen präsentiere ich? Dabei wenden Journalisten Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung an, um eine Krisensituation zu schildern. Die folgenden Vorschläge können eine Basis bilden für konkrete Vorgehensweisen, die angepasst sein müssen an die Konfliktkonstellation und die eigenen Handlungsmöglichkeiten.

Die benutzte Systematik lehnt an die Modelle von Johan Galtung und Wilhelm Kempf an.7 Galtung entwickelt vier große Ziele: Frieden/Konflikt, Wahrheit, Menschen und Lösung. Wenn Friedensjournalismus genau wie der Frieden selbst als ein Prozess begriffen wird, gehören zu diesen Feldern auch die Wege um sie zu erreichen: Konfliktanalyse/Friedfertigkeit, Wahrhaftigkeit, Empathie und Kompromissbereitschaft.

Konfliktanalyse

Am Anfang einer jeden Konfliktanalyse muss das Wissen um die eigene Befangenheit stehen. Jeder, der sich einem Konflikt nähert, nimmt die Beteiligten, ihre Ziele und Vorgehensweisen aus einer anderen Perspektive wahr. Er muss versuchen, sich gegen Vorurteile und Stereotypen zu wehren, um eine detaillierte Analyse zu erreichen. Damit öffnet sich der Blick auf eine komplexe Konfliktkonstellation, die allen Beteiligten die Chance auf einen für sie positiven Ausgang einräumt.

Jeder Konflikt hat mehr als zwei Seiten, viele beteiligte Parteien, viele Interessen, Ziele und Themen müssen beachtet werden; auch innerhalb einer Konfliktpartei sind nicht alle Menschen einer Meinung.

Das Problem sind nicht die Parteien selbst oder gar einzelne Menschen, das Problem ist vor allem die Eskalation des Konfliktes in Gewalt. Gewalt wird nicht um ihrer selbst willen angewandt, verfeindete Parteien kämpfen um politische und wirtschaftliche Macht.

Gewalt zerstört – deshalb ist ein weiteres Ziel die Verhinderung einer solchen Eskalation. Wer Konflikte einordnen kann, ist vielleicht auch in der Lage ihre Eskalationsstufen zu analysieren und dem Ausbruch von Gewalt entgegenzuwirken.

Wahrhaftigkeit

Objektivität ist ein Schlüssel zum Friedensjournalismus, allerdings wird Objektivität hier nicht als Neutralität, als Präsentation der einen Wahrheit verstanden, sondern als ein kritisches Abwägen der Positionen. Wer glaubt, das eine Bild der Wahrheit darstellen zu können, läuft Gefahr, seinen eigenen Standpunkt nicht ausreichend zu reflektieren. Wenn offizielle Quellen, auf die sich Journalisten gern verlassen, mit ihren Informationen den Einsatz von Gewalt rechtfertigen, haben Journalisten nicht nur die Wahl, das ungefiltert weiterzugeben oder nicht, sie können sich durchaus entscheiden, ob sie kriegerische oder friedliche Mittel befürworten.

Friedensjournalismus kann nicht heißen, dass Journalistinnen und Journalisten unkritisch Partei ergreifen für eine am Konflikt beteiligte Gruppe. Sie sollen vor allem Partei ergreifen für eine friedliche Lösung, über den Dingen stehen und dennoch emotional mitten im Geschehen. In einem Konflikt hat keine Partei die absolute Wahrheit auf ihrer Seite, auch die Opfer von Gewalt nicht. Friedensjournalisten müssen diese Kriegskultur durchschauen und sich gegen vorgefertigte Erwartungshaltungen durchsetzen. Sonst laufen sie Gefahr, auf Kriegspropaganda hereinzufallen.

Wichtig ist dabei vor allem das Hinterfragen der eigenen Position (Wie bewerte ich diesen Konflikt?), der eigenen Kultur (Wie rechtfertigt mein kultureller Hintergrund Gewalt?), des eigenen Landes (Genügen westliche Demokratien ihren eigenen Maßstäben?) und des eigenen Mediums (Welche Wirkung haben bestimmte Bilder, bestimmte Darstellungsformen?).

Empathie

In modernen Kriegen bleibt die Gewalt häufig unsichtbar. Friedensjournalisten müssen sie sichtbar machen, um die Unmenschlichkeit der Eskalation zu zeigen. Wer versucht, im Angesicht von Gewalt nur kühl und sachlich zu bleiben, läuft Gefahr, in einen unmenschlichen Zynismus abzugleiten. Menschliche Betroffenheit ist – aus einer überparteilichen Perspektive entsprungen – ein Schlüssel zum besseren Verständnis einer Krise.

Auf allen Seiten gibt es Gewalt und Opfer. Ebenso gibt es auf allen Seiten Menschen, die sich für eine friedlichere Zukunft einsetzen. Auch sie sollten ihren Platz in der Berichterstattung haben.

Lösung

Friedensjournalisten dürfen Konflikte nicht als Rennen um den Sieg verstehen. Sie müssen sich an einer Lösung des Konfliktes orientieren, möglichst einen kreativen Prozess anstoßen durch ihre Themenauswahl und ihre Fragestellungen. Sie können z.B. über Friedensinitiativen berichten oder auch eine Konfliktpartei mit den Lösungsvorschlägen einer anderen konfrontieren. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist ein Schwerpunkt der Friedensberichterstattung, dabei soll sie nicht unkritisch über Differenzen hinwegsehen, sondern diese genau analysieren.

Am Ende muss die Erkenntnis stehen, dass alle Seiten von einer friedlichen Lösung profitieren würden. Viele Menschen, die am Konflikt beteiligt sind, haben also zumindest ein gemeinsames Interesse. Das macht Hoffnung auf die Möglichkeit eines Zusammenlebens und einer Verständigung – auch in interkulturellen Konflikten. Die heutige Welt scheint zunächst wenig friedlich und doch sind einige Ansätze für eine neue Konfliktkultur vorhanden: Strategien der Konfliktforschung, die Tradition der Gewaltfreiheit und das weltweite Netz sozialen Engagements können Hinweise liefern. Hier muss sich ein Friedensjournalist auch fragen, welche Alternativen es zur Gewaltlastigkeit des eigenen Mediums gibt.8

Arbeitsbedingungen

Die Strukturen in den Medien9 schaffen Arbeitsbedingungen, die den gerade beschriebenen Anspruch nicht unbedingt begünstigen. Um nur einige zu nennen: Journalisten werden beeinflusst von Zeitmangel, Konkurrenzdenken und Kostendruck. Auch die Strukturen müssten sich also ändern, damit Reporter dem Konzept eines Friedensjournalismus gerecht werden können. Allerdings kann diese Änderung im System nicht die Voraussetzung sein, um friedensjournalistisch zu arbeiten, denn dann wäre das Ziel nicht zu verwirklichen. Also kann Friedensjournalismus zunächst nur eine Aufforderung an jeden einzelnen Journalisten sein. Denn jede und jeder Einzelne hat trotz aller Vorgaben noch Spielräume bei seiner Arbeit. Ein Chef vom Dienst muss während des Irak-Krieges wahrscheinlich ein Schaltgespräch anordnen zu dem eingebetteten Reporter, der den Sender viel Geld kostet. Er kann allerdings auch entscheiden, der Sendung einen hintergründigen Beitrag über die Konfliktursachen im Irak hinzuzufügen.

Optimalerweise sollte das Konzept eines Friedensjournalismus all die hinderlichen Strukturen und Einflüsse einschließen. Da das zumindest kurzfristig nur eine Utopie sein kann, kann Friedensjournalismus seinen Praxisbezug nur behalten, wenn er als mehrstufiger Prozess begriffen wird. Diese Palette beginnt bei einfachen Regeln journalistischen Handwerks: Mehrere Quellen benutzen, beide Seiten anhören, nicht nur Machteliten zu Wort kommen lassen. Sie führt zu höheren Sphären der Konfliktanalyse: Dualität aufzubrechen, die Argumente aller Seiten zu hinterfragen. Und schließlich fordert Friedensjournalismus von jedem Einzelnen, sein Medium, sich selbst und sein eigenes Weltbild in Frage zu stellen. Ultimatives Ziel des Ansatzes ist es, einen konstruktiven Beitrag zur Lösung des Konfliktes zu leisten.

Umsetzung

Friedensjournalistische Strategien können keine Patentrezepte für jede Konfliktsituation sein. Journalisten müssen ihre Anwendung anpassen an die Situation vor Ort: Sollen Sie vor einer Eskalation warnen? Können sie während eines Kriegs den Betroffenen wertvolle Informationen liefern? Wie können sie nach einer Krise einen Beitrag leisten zu Wiederaufbau und Versöhnung? Beispiele für eine solche Arbeit liefern Medienprojekte von Nichtregierungsorganisationen: Die US-amerikanische Organisation Search for Common Ground und die Schweizer Stiftung Hirondelle bauen z.B. unabhängige Medien in Krisenregionen auf. Durch Trainingsprogramme können solche Initiativen auch auf die nationalen Medien eines Landes wirken, das Peace Media Centre in Kapstadt ist eins von vielen Projekten, die so arbeiten.10 Journalisten, die in Krisengebieten leben und gleichzeitig über die Ereignisse berichten, haben nach der Erfahrung vieler Trainer weniger Probleme mit dem Konzept eines Friedensjournalismus als ihre Kollegen in westlichen Industrieländern: Sie sind selbst betroffen und deshalb ist Frieden für sie ein lebenswichtiges Ziel.

Doch auch in zumindest im Inneren weitgehend friedlichen, westlichen Ländern ist der Umgang von Medien mit Konflikten immer wieder ein Thema, in jüngster Zeit verstärkt in Auseinandersetzung mit dem Konzept eines Friedensjournalismus.11 Während des Irak-Krieges ließen sich auch in deutschen Medien Beispiele für seine Anwendung finden: Fragen nach Kriegsgründen, Vorstellen von Friedensinitiativen, vereinzelt auch die Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten. Es fanden und finden Tagungen, Seminare und Workshops statt, bei denen sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Journalisten austauschen.

Friedenswissenschaft mag in der Kommunikationswissenschaft wie in der Medienbranche noch ein Randthema sein, doch die ersten Berührungspunkte sind gefunden. Wenn sich diese Verbindung auch in der Aus- und Weiterbildung festigt, könnte sie einen wichtigen Beitrag zur Ausformung einer konstruktiven Konfliktberichterstattung leisten.

Anmerkungen

1) Vgl. Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Friedenswissenschaft NRW (Hg.): …nach dem Krieg ist vor dem Krieg, Kosovo-Forum vom 25.-26. Oktober 1999, Dokumentation der Tagungsbeiträge, Hagen 1999.

2) Zur Kriegsberichterstattung s. u.a. Albrecht, Ulrich / Becker, Jörg (Hg.): Medien zwischen Krieg und Frieden, Baden-Baden 2002; Imhof, Kurt / Schulz, Peter (Hg.): Medien und Krieg – Krieg in den Medien, Zürich 1995; Löffelholz, Martin (Hg.): Krieg als Medienereignis, Opladen 1993.

3) Vgl. Hafez, Kai: Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung, Baden-Baden 2001, S. 151ff.; Müller, Harald: Zwischen Information, Inszenierung und Zensur, HSFK-Standpunkte: Beiträge zum demokratischen Frieden, Nr. 4 / 2002.

4) Vgl. Bilke, Nadine: Friedensjournalismus, Münster 2002, S. 62ff.; Essen, Jakim Florian: Verantwortlichkeit der Massenmedien für Frieden und Demokratie, unveröffentlichte Diplomarbeit am Institut für Journalistik der Universität Dortmund, April 2003.

5) Die komplexen Zusammenhänge der Wirkungsforschung sind hier aus Platzgründen stark verkürzt. Zu Problemen und Einschränkungen siehe Holtz-Bacha, Christina / Scherer, H. / Waldmann, N. (Hg.): Wie die Medien die Welt erschaffen und wie die Menschen darin leben, Opladen 1998; Schorr, Angela (Hg.): Publikums- und Wirkungsforschung, Ein Reader, Opladen 2000.

6) Vgl. Arno, Andrew: The News Media as Third Parties in National and International Conflict: Duobus Litigantibus Tertius Gaudet. In: Ders. / Dissanayake, Wimal (Hg.): The News Media in National and International Conflict, London 1984, S. 229-238; Botes, Janie: Dialogue of the Deaf – Reframing the debate over media and conflict. In: Track Two, December 1998, S. 4-6; Hafez, Kai, a.a.O., S. 118ff.; Müller, Harald, a.a.O.; Robinson, Piers: The CNN Effect. London 2002.

7) Vgl. Galtung, Johan: Friedensjournalismus: Was, warum, wer, wie, wann, wo? In: Kempf, Wilhelm / Schmidt-Regener, Irena: Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien 1997, S. 3-20; Kempf, Wilhelm: Konfliktberichterstattung zwischen Eskalation und Deeskalation. In: Wissenschaft & Frieden, Nr. 2 / 1996, S. 51-54.

8) Zum Konzept eines Friedensjournalismus s. auch Bilke, Nadine, a.a.O.; Lynch, Jake: Reporting the World. Conflict & Peace Forums 2002.

9) Siehe Becker, Jörg: Die unfriedlichen Strukturen. In: Fritz, Michael (Hg.): Die tägliche Mobilmachung, Göttingen 1984, S. 96-113.

10) S. Bilke, Nadine, a.a.O., S. 82ff.; Howard, Ross / Rolt, Francis / van de Veen, Hans / Vehoeven, Juliette: The Power of the Media, A Handbook for Peacebuilders, Utrecht 2003.

11) In Großbritannien zum Beispiel hat der Journalist Jake Lynch von Reporting the World, einer Art Think Tank für Journalisten, eine Check-Liste für ethische Konfliktberichterstattung entwickelt, s. Lynch, a.a.O.

Dipl. Journalistin Nadine Bilke arbeitet als Redakteurin bei ZDFonline und promoviert an der Universität Dortmund

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

von Jürgen Nieth

Lieber Leserin, lieber Leser,
Oktober 1983 – die Bundesrepublik Deutschland erlebte die größten Friedensdemonstrationen in ihrer Geschichte. Weit über eine Million demonstrierten, wohlwissend, dass der Bundestag gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung wenige Tage später die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen beschließen wird. In dieser Situation erschien die erste Ausgabe des »Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden«.

Die Friedensbewegung hatte sich in den drei Jahren des Massenprotestes zwischen 1981 und 1983 viel militär-technisches Fachwissen angeeignet. Raketenreichweiten und Zielgenauigkeit, »Overkill« und die Gefahr eines Zufallskrieges waren Tagesthemen. Was würden die nächsten Schritte im atomaren Wettrüsten sein? Erste Pläne für eine Weltraummilitarisierung lagen bereits auf dem Tisch. Mit neuen Waffensystemen würden aber auch die Anforderungen an das Wissen der Bewegung wachsen.

Der BdWi ergriff die Initiative für einen Informationsdienst, der wissenschaftliche Erkenntnis aufbereiten und den Friedensengagierten zugänglich machen sollte. Rainer Rilling und Paul Schäfer wandten sich an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftler-Initiativen mit dem Aufruf, durch Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen. Mit Erfolg: Aus ihren Reihen kamen die ersten AutorInnen, später wurden die Initiativen selbst Mitherausgeber.

Obwohl der »Infodienst« von Anfang an interdisziplinär angelegt war, dominierte in den ersten Jahren die nüchterne Hardware-Expertise verbunden mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung.

1989/90 dann der Kollaps des Sozialistischen Lagers. Die NATO verlor den Feind und nicht nur die Friedensbewegung hoffte auf eine umfassende Abrüstung, eine friedlichere Welt und eine Friedensdividende. Der Fokus Frieden und Rüstungskritik schien überholt, Themen wie Konversion, die Weiterentwicklung internationaler Institutionen, die Umwidmung freiwerdender Gelder für die Entwicklungspolitik rückten nach vorne.

Doch die Hoffnungen zerstoben schnell: Der Golfkrieg 1991 demonstrierte das ungebrochene Denken der westlichen Eliten in militärischen Kategorien. Der Abbau überflüssig gewordener militärischer Potenziale führte nur vorrübergehend zu einer Senkung der weltweiten Rüstungskosten. Rüstungsanalyse und -kritik blieben notwendig. Gleichzeitig unterstrichen die Gewalteskalation in Folge des Zerfalls multiethnischer Staaten und die sich selbst reproduzierenden Kriege in Afrika die Notwendigkeit einer breiteren Themenführung: Frieden in Bezug zu Menschenrechten, Demokratisierung, zum Nord-Süd-Verhältnis und zu einer »zukunftsfähigen« Politik, um nur einige zu nennen.

1999 dann der Kosovo-Krieg. Das bis dahin Undenkbare wurde Realität: Nach über 50 Jahren beteiligte sich Deutschland wieder an einem Angriffskrieg, ausgerechnet unter Rot-Grün wurde der Krieg wieder zur »Fortführung der Politik mit anderen Mitteln«. An die Stelle der Bündnis- bzw. Landesverteidigung rückte in der Folge bei NATO und Bundeswehr der Einsatz »out of area«.

Eine komplizierte Situation für eine an der Schnittstelle von Friedensforschung und Friedensbewegung wirkende Zeitschrift. Der Aktualität geschuldet dominierten jetzt die Kriegs-, Militär- und Rüstungskritik. Für Visionen, die Diskussion einer zukunftsfähigen Entwicklung oder einer Kultur des Friedens blieb zu wenig Raum.

Das galt auch für die Information über das breite Spektrum der deutschen Friedensforschung. Deshalb haben wir dieses Thema in den Mittelpunkt der »Jubiläumsausgabe« gestellt. Es geht nicht um einen vollständigen Überblick, sondern um einen Einblick in die breit gefächerte Forschungslandschaft. Ein Einblick der darauf hinweist, dass sich auf diesem Sektor in den letzten 20 Jahren viel verändert hat, der aber auch inhaltliche Defizite aufzeigt zum Teil bedingt durch die ungenügende und ungesicherte Finanzierung vieler Bereiche. Ein Einblick, der die Spanne deutlich werden lässt, zwischen friedenswissenschaftlichen Erkenntnissen und realer Politik, der die Möglichkeiten, vor allem aber die Grenzen der friedenswissenschaftlichen Politikberatung erkennen lässt.

Die Friedensforschung muss damit leben, dass die Politik nur das übernimmt, was in ihr Konzept passt. Beispiel Zivile Konfliktbearbeitung: Vom Kosovo über Afghanistan zum Irak, die Beweise liegen auf dem Tisch: Kriege lösen keine Probleme, wir brauchen zivile Konfliktbearbeitung als Alternative und nicht – wie von den Regierenden weitgehend akzeptiert – als Ergänzung des militärischen Einsatzes.

20 Jahre W&F: Die Schwerpunkte haben sich entsprechend der politischen Entwicklung wiederholt verändert. Geblieben ist: Der Frieden braucht Bewegung und Bewegung braucht Expertise. Es ist unser Ziel, diese weiterhin wissenschaftlich fundiert zu liefern.

Jürgen Nieth

Bonner Notizen

Bonner Notizen

von Jürgen Nieth

Gewissen nach Postleitzahl

Das Grundgesetz garantiert Gewissensfreiheit für Kriegsdienstverweigerer. Aber dieses Grundrecht wird wegen der Wehrpflicht staatlicher Überprüfung untergeordnet. Wie groß die Willkür in den Prüfungsverfahren für Einberufene, Soldaten und Reservisten ist, zeigen jetzt bekannt gewordene Zahlen der fast 25.000 KDV-Verfahren aus den Jahren 2000 und 2001.

Wie die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung mitteilt, gibt es Ausschüsse, die 77% der Kriegsdienstverweigerer ablehnen und andere, die 95% anerkennen. Wer gegen die Ablehnung Widerspruch einlegt, kommt zur Kammer für Kriegsdienstverweigerung. Hier gibt es Kammern, die fast alle (85%) zuvor abgelehnten Kriegsdienstverweigerer anerkennen, und andere, die nur jeden dritten (36%) anerkennen.

Dazu der Vorsitzende der Zentralstelle, Ulrich Finckh: „Ob die Gewissensentscheidung eines Kriegsdienstverweigerers anerkannt wird, hängt offensichtlich bei Einberufenen, Soldaten und Reservisten nicht von ihrem Gewissen und ihrer Argumentation ab, sondern von ihrem Wohnort, genauer von der Willkür der Prüfenden, die örtlich zuständig sind. Deutlicher kann die Unmöglichkeit dieser Prüfungsverfahren nicht aufgezeigt werden. Es ist Zeit, dass diese Willkür beendet wird.“

Die Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerung bestehen jeweils aus drei Personen, die Vorsitzenden kommen von der Wehrverwaltung, die Beisitzenden werden von den Kreistagen oder Stadtparlamenten gewählt. Die Ausschussverfahren durchliefen im Jahr 2000 über 11.000 Kriegsdienstverweigerer, im Jahr 2001 über 13.000. Im schriftlichen Verfahren für ungediente Wehrpflichtige bearbeitet das Bundesamt für den Zivildienst pro Jahr über 150.000 Verweigerungsanträge und erkennt bundeseinheitlich über 90% an.

USA stärken »zweite Front« in Asien

Ein neues »Abkommen über die gegenseitige logistische Unterstützung« haben US-Außenminister Powell und die philippinische Ministerpräsidentin Arroyo am 3.August unterzeichnet. Die Abmachung umgeht das Verfassungsverbot von Stützpunkten dadurch, dass die von den USA gebauten Strukturen der philippinischen Regierung offiziell übergeben werden, von den amerikanischen Streitkräften aber jederzeit genutzt werden können.

Auf der gleichen Südostasienreise vereinbarte Powell auch eine engere Zusammenarbeit in Malaysia und Singapur. Indonesien versprach er eine 50 Millionen Dollar-Unterstützung für den Ausbau der »Sicherheitskräfte«. Die USA hatten die Militärhilfe für Indonesien nach den Gräueltaten der indonesischen Soldaten in Ost-Timor eingestellt.

Für die FAZ zeigt die Reise Powells, dass „nach Afghanistan und Pakistan… die Länder Südostasiens die zweite Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bilden.“ (FAZ,03.08.02)

Beweisvernichtung nach Bombardements

Nach der versehentlichen Bombardierung einer Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan mit 48 Toten haben US-Soldaten angeblich Beweise verschwinden lassen. Zu diesem Ergebnis kommen nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 30.7.02 die UN-Ermittler. Nach dem UN-Bericht sind US-Soldaten kurz nach dem Angriff in dem Dorf aufgetaucht und „hätten Bombensplitter, Geschosse und Blut beseitigt.“ Die UN-Berichterstatter hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die US-Angaben gefunden, nach denen die US-Luftwaffe auf Flugabwehrfeuer reagiert habe.

Drogen im Cockpit

US-Piloten in Afghanistan bekommen Amphetamine, um bei den acht bis zwölf Stunden langen Einsätzen nicht einzuschlafen. Das bestätigte die Air-Force-Sprecherin Betty Anne Mauger der Süddeutschen Zeitung (13.8.02): „Sie bekommen Dexidrin in Zehn-Milligramm-Dosen gegen die Müdigkeit.“ Interne Dokumente der US-Navy über »Leistungserhaltung während andauernder Flugoperationen« bestätigen das.

Nach demselben Bericht kam der regelmäßige »Kick im Cockpit« ans Licht, nachdem ein US-Pilot eine Übung kanadischer Truppen für feindliches Abwehrfeuer gehalten hatte und mit einer Lenkbombe vier verbündete Soldaten tötete und acht verletzte.

Amphetamine gelten allgemein als Muntermacher. Drogenmediziner warnen jedoch vor einem Umschlagen der Wirkung. „Amphetamine machen furchtlose Kämpfer“, so der Psychologe Elbert von der Uni Konstanz in der SZ, „aber sie wirken realitätsverzerrend und können sogar Halluzinationen auslösen.“ Sie können „zu Handlungen führen, die nicht beabsichtigt sind.“

USA gegen neues Anti-Folter-Abkommen

Gegen den Widerstand der USA hat ein Gremium der Vereinten Nationen, in dem 54 Staaten vertreten waren, mit großer Mehrheit für den Entwurf eines neuen Anti-Folter-Abkommens gestimmt. Unter den Befürwortern waren die 15 EU-Staaten, mit den USA stimmten China und Kuba.

Der Entwurf war zehn Jahre lang diskutiert worden und er soll noch in diesem Jahr der UN-Vollversammlung vorgelegt werden. Er tritt in Kraft, wenn er von mindestens 20 Staaten ratifiziert ist. Das neue Abkommen würde auch UN-Inspektionen in dem US-Lager für gefangene Taliban auf Kuba erforderlich machen. Der US-Vertreter im Ausschuss, Mike Dennis, argumentierte, der Entwurf sei unvereinbar mit amerikanischem Recht, da er u.a. die Staatsgefängnisse für internationale Inspekteure öffnen würde, ohne das der entsprechende Bundesstaat zustimmen müsse.

Das neue Anti-Folter-Abkommen soll das alte von 1987 ergänzen, das von 130 Staaten – darunter auch die USA – ratifiziert wurde. (TAZ 26.07.02)

Das Letzte

Bushtrommeln

„Ich weiß nicht welche Beweise wir noch brauchen“, damit alle die Gefährlichkeit des Irak erkennen, meinte US-Präsident Bush am 8. September mit einem Verweis auf einen neuen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde. Und der britische Premier, Tony Blair sekundierte: man müsse jetzt nur noch lesen, „was in einer früheren Atomwaffenfabrik (des Irak) vor sich gehe.“

Am 12.9. teilt »Die Zeit« mit, es gebe keinen neuen Bericht der Atomenergiebehörde (IAEO). Der von Bush und Blair aufgerufene Zeuge, der Leiter des Irak-Teams der Wiener IAEO, Jacques Baute, habe klar gestellt: „Wir haben nichts, was uns erlaubt, eine Schlussfolgerung zu ziehen.“

Unsere Schlussfolgerung: Kriegstrommeln müssen laut sein – nicht wahr!

Macht der Medienbilder oder Medienbilder der Macht?

Macht der Medienbilder oder Medienbilder der Macht?

von Jutta Röser

Die Macht der Medien – nirgends wird sie so nachdrücklich unterstellt wie beim Thema Mediengewalt. Denn die zentrale Frage der auf diesem Gebiet dominierenden Wirkungsforschung lautet: Ermuntern die Medienszenarien Zuschauer dazu, selbst Gewalt auszuüben oder zu billigen? Haben Medien also die Macht, Gewalt in die Gesellschaft zu tragen? Und warum werden solche Effekte nur für Männer vermutet, während die Reaktionen von Frauen unbeachtet bleiben?
Die besorgte Debatte um die Wirkung von Mediengewalt droht aus den Augen zu verlieren, dass wir in einer keineswegs gewaltfreien Gesellschaft leben. Die Kritik an Mediengewalt geht in weiten Teilen von einem Denkmodell aus, wonach in unsere potenziell friedfertige Gesellschaft Gewalt von außen hineingetragen wird – durch die Medien. Plastisch ausgedrückt: Wirklichkeitsferne, abstruse Gewaltszenarien treffen auf triebgesteuerte, gefährdete (und immer männlich gedachte) Individuen. Und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Irreale Mediengewalt?

Wie friedlich ist unsere Gesellschaft wirklich? Sind es tatsächlich in erster Linie die Medien, die Kinder und Jugendliche mit Gewalt konfrontieren? Ein Schlaglicht: Allein in den letzten zwölf Monaten hat jede/r zehnte deutsche Jugendliche Gewalt zwischen den Eltern erlebt – also in der Regel Gewalt des Vaters gegen die Mutter. Unter ausländischen Kindern waren es noch deutlich mehr. Vier von zehn Jugendlichen sind innerhalb eines Jahres selbst Opfer von Gewalt geworden.1

»Kindermörder für immer wegsperren« – mit dieser Stammtisch-sicheren Forderung verabschiedete sich unser Medienkanzler in die letztjährige Sommerpause. Sie betrifft statistisch gesehen vier Täter jährlich. Unterhalb dieser Spitze des Eisbergs werden Kinder in der Normalität des Alltags tausendfach missbraucht und misshandelt.

Das große Dunkelfeld an alltäglicher, verheimlichter Gewalt – gegen Frauen, gegen Kinder, gegen Homosexuelle, am Arbeitsplatz – basiert auf Machtverhältnissen und taucht weder in den Kriminalitätsstatistiken noch im öffentlichen Diskurs angemessen auf. Die journalistische Gewaltberichterstattung ist Teil dieses einseitigen Diskurses: Sie ist auf Gewalt gegen die öffentliche Ordnung und auf Kriminalität konzentriert, sie konstruiert das Bild des triebgesteuerten, anormalen Einzeltäters, sie vernachlässigt alltägliche Gewalt und strukturelle Hintergründe.

Es sind die fiktionalen Gewaltstorys, die die hässliche und verdrängte Seite der gesellschaftlichen Wirklichkeit behandeln. Natürlich nicht eins zu eins, nicht als statistisch zutreffendes Abbild. Spielfilme und Serien sind »symbolisches Material«. In der Forschung werden die Gewalterzählungen des Fernsehens meist nur oberflächlich betrachtet. Unterstellt wird die schlichte Gleichung: mediale Gewalthandlung = Gewaltbotschaft = Gewaltwirkung. Es gilt aber genauer hinzusehen, welche Geschichten um die Gewalt eigentlich erzählt werden. Erzählt wird von Bedrohung, Gefahr und Angst auf der einen Seite. Und von Helden, die Ohnmacht und Ausgrenzung überwinden, auf der anderen Seite.

Bedrohung, Angst und hierarchische Weltbilder

Die Mediengewaltforschung sucht Wirkungen ausschließlich in Form von Aggressionseffekten. Es wird implizit davon ausgegangen, dass Zuschauende »mit dem Täter« fühlen, das Mediengeschehen durch seine Brille betrachten. Eine Gewaltszene enthält aber nicht nur eine aggressive Tat, sondern – durch die Brille des Opfers gesehen – ebenso eine höchst bedrohliche Situation. Tatsächlich sprechen diverse Befunde dafür, dass für Zuschauer und Zuschauerinnen Empathie mit dem Opfer ganz wesentlich ist. Die Frage nach den Wirkungen von Gewalt ist also zu öffnen. Vor allem die Dimension der Bedrohung und Angst rückt ins Blickfeld, wenn Gewaltstorys aus der Perspektive des Publikums erforscht werden. Dies veranschaulicht eine Rezeptionsanalyse2 anhand einer Krimigewaltszene mit der typischen Geschlechterkonstellation »Mann verfolgt und tötet Frau«. Eine positive Wahrnehmung der Gewalt, ein Fühlen »mit dem Täter« erweist sich als irrelevant – bei Frauen ebenso wie bei Männern. Einerseits ist die Rezeption von Mitgefühl für das Opfer geprägt, was insbesondere bei Frauen mit Angst und Belastungsgefühlen einher geht. Andererseits herrschen Langeweile und Desinteresse, weil das schwache, weibliche Opfer nicht empathiefähig ist und vor allem Männer keinen Zugang zum Geschehen finden – ohne sich deshalb mit dem Täter zu »verbünden«. Ein kleinerer Teil der männlichen Zuschauer blickt geringschätzig von oben herab auf die schwach inszenierte Frau: »So blöd kann nur eine Frau reagieren«. Demgegenüber aktualisiert ein größerer Teil der Zuschauerinnen anlässlich der Szene ihre Angst, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden: »Das könnte mir auch passieren«. Damit wirkt die Szene, aber anders als gemeinhin angenommen: Sie aktualisiert Angstgefühle, sie bebildert existierende Gewaltstrukturen und sie bestätigt das hierarchische Geschlechterverhältnis, in dem Frauen Gewalt von (fremden) Männern fürchten und Männer auf Frauen herabsehen. Die Szene steht in ihrer Grundstruktur im Einklang mit der erlebten gesellschaftlichen Wirklichkeit, sie ist »realistisch«.

Symbolische Überwindung von Ohnmacht und Ausgrenzung

In Krimis und Actionfilmen werden nicht nur Gewaltdrohung, sondern auch Themen wie Macht und Ohnmacht, Auflehnung und Marginalisierung symbolisch verhandelt. Ob sie auch sozial konstruktivverhandelt werden, ist damit allerdings nicht gesagt.

In diesem Rahmen erschließt sich die Bedeutung vieler populärer Heldengeschichten: Die Medienhelden müssen Ungerechtigkeit und Ohnmacht überwinden, weil z.B. Polizei und Gesellschaft versagen. Das Vergnügen an Helden und Heldinnen ist nicht identisch mit Lust an Gewalt, auch wenn diese gewalttätig agieren. Mediale Kämpfe scheinen insbesondere für männliche Zuschauer auch als Metapher für den sozialen Lebenskampf zu stehen. Kräfteverhältnisse einschätzen, Chancen nutzen, sich behaupten, Überlegenheit gewinnen – diese Aspekte der Gewalt können zugleich das Thema Selbstbehauptung in einer hierarchisch erlebten Sozialwelt symbolisieren. Das Problem dabei liegt weniger in der Anstachelung zur Gewalt, denn Zuschauende unterscheiden durchaus zwischen realer und medialer Gewalt. Es liegt eher darin, dass hier der männliche Dominanzanspruch gespiegelt und auf wenig soziale Weise gestützt wird.

Trotzdem muss ein solches Vergnügen nicht zwangsläufig anti-sozial sein und es betrifft auch nicht nur Männer. Dazu ein weiterer Befund aus der erwähnten Rezeptionsstudie.2 In einem nicht ganz typischen Heldenszenario besiegt eine Frau einen männlichen Angreifer souverän mittels Kampftechniken. Dieses Szenario erlebten die meisten Zuschauerinnen mit großem Vergnügen, mit Genugtuung und als Ermutigung. Hier manifestierte sich aber nicht Lust an der Gewalt, sondern das Vergnügen daran, symbolisch Ohnmacht zu überwinden und Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Dieser Szene konnten männliche Zuschauer übrigens kaum vergnügliche Seiten abgewinnen, sie zeigten sich irritiert und mühten sich mit der Deutung des Gesehenen. Gleichwohl dürfte auch das Vergnügen von Männern an Dirty Harry, Rocky & Co. oder von Kindern an Filmen wie »Kevin allein zu Haus«, in denen David gegen Goliath besteht, in ähnlicher Weise motiviert sein. Dies bedeutet: Die Attraktivität populärer Gewaltszenarien kann gerade darin liegen, dass Ohnmacht und Marginalisierung symbolisch überwunden werden.

Medienerzählungen über Machtverhältnisse

Prägnant formuliert führt dies zu der Schlussfolgerung: Wir haben deshalb soviel Gewalt in der Populärkultur, weil hier Themen wie Macht und Ohnmacht, Auflehnung und Marginalisierung, Hierarchie und auch Gewaltdrohung symbolisch verhandelt werden können. Medienbilder geben abstrakten Verhältnissen und Strukturen eine Gestalt. Insofern repräsentiert Mediengewalt nicht die Macht der Medien, sondern Medienerzählungen über Macht. Und weil die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft tief greifend vergeschlechtlicht sind, geschehen zwei Dinge: Auf der einen Seite enthalten die Gewaltinszenierungen unterschiedliche Positionen für Frauen und Männer. Auf der anderen Seite blicken Zuschauerinnen und Zuschauer aus unterschiedlichen Perspektiven auf das gewaltträchtige Geschehen in Film und Fernsehen. Darum bedeutet dieselbe Story für Frauen und Männer häufig eben nicht dasselbe.3

Jutta Röser ist Kommunikationswissenschaftlerin und Vertretungsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum.

Anmerkungen

1) Christian Pfeiffer & Peter Wetzels (2000): Gewalt hat ein Geschlecht. In: Emma, Nr.1/2000: 49-51.

2) Jutta Röser (2000): Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse über Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

3) Eine frühere gekürzte Fassung dieses Artikels ist von der Autorin unter dem Titel »Das Märchen von der Gewalt in den Medien«, zuerst erschienen in: Cover. Medienmagazin des Instituts für Journalistik der Universität Hamburg, September 2001.

Der Artikel erscheint parallel in der Vierteljahreszeitschrift „Wir Frauen“, Düsseldorf, deren Redaktion wir an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit danken.

Afghanistan: Der Krieg und die Medien

Afghanistan: Der Krieg und die Medien

von Jörg Becker

Nach nun rund zehn Jahren intensiver Debatte darüber, was denn nun der Informationskrieg sei, und nach dem dazu grundlegenden Aufsatz von John Arquilla und David Ronfeldt1 von Anfang der neunziger Jahre lässt sich in der Abfolge der Kriege im Kosovo, Mazedonien und Afghanistan ganz simpel festhalten, dass gerade der Afghanistan-Krieg durch und durch zu einem Informationskrieg geworden ist. Im Afghanistan-Krieg sind Propaganda, gezielte Desinformation, Lügen, Verfälschungen, Vertuschungen, Manipulationen, Informationszurückhaltungen, Zensur, Pressionen gegen kritische Journalisten und unliebsame Medieneigner, staatliches Abhören der Telekommunikation, vorab vom Pentagon produzierte Videofilme mit Kampfjets usw. endgültig zum Normalfall geworden. Und der Umfang dieser Aktionen ist durchaus teuer und bedeutend: Allein zwischen Ende September und Ende Oktober 2001 starteten die USA drei neue militärische Spionagesatelliten und allein in diesem Zeitraum gaben alle US-Medien zusammen genommen den zusätzlichen Betrag von 25 Mio. US-Dollar für Kriegsberichterstattung aus. Das komplexe Wechselspiel zwischen Krieg und Kommunikation wird im Folgenden für den gegenwärtigen Informationskrieg rund um Afghanistan anhand von sieben Dimensionen beschrieben und analysiert.
Ganz ohne Frage ruht die gegenwärtige mediale, mentale und öffentliche Verarbeitung der terroristischen Anschläge auf das World Trade Centre und das Pentagon vom 11. September 2001 und der sich darin anschließende Afghanistan-Krieg auf einem historisch gewachsenen Sockel anti-islamischer Feindbilder. Sie bilden quasi eine Folie, vor der die mediale Verarbeitung des Afghanistankrieges einzelne Bruchstücke eines sowieso schon festgefügten Bildes über den Islam aktualisiert.

Feindbilder

In der deutschen Medienlandschaft waren und sind es insbesondere Illustrierte und Magazine wie der Stern, Focus und Der Spiegel, die mit ihren reißerischen Titeln und Aufmachern vor der »Weltmacht des Islam« oder dem »Geheimnis Islam« warnen. Diese Printmedien wirken durch ihren Mix aus Bildsprache und Symbolen, mit bedrohlich wirkenden Menschen»massen«, wütenden Männern, verschleierten Frauen. Am 8. Oktober 2001 titelte Der Spiegel«: „Der religiöse Wahn. Die Rückkehr des Mittelalters“. Zwischen dem brennenden World Trade Center, vermummten Kriegern mit Maschinengewehren und einem Halbmond zeigt sich das Gesicht von Osama Bin Laden. Dem folgte der Stern am 25. Oktober 2001 mit einem Titelbild, auf dem über kriegerischen Reiterhorden der kleine Augenschlitz einer tief verschleierten Frau zu sehen ist. Dazu heißt es auf dem Titelblatt: „Neue Serie: Die Wurzeln des Hasses. Mohammeds zornige Erben. 1400 Jahre zwischen Stolz und Demütigung“. Für die anti-islamischen Medienaktivitäten in den USA verwies die englische Zeitung Guardian auf folgendes Beispiel von 1999: Als damals US-amerikanische Zeitungen über den Absturz des Fluges 990 der EgyptAir über dem Atlantik berichteten, war deren Meinung, dass hier ein fanatischer Muslimpilot Selbstmord verübt habe, in den Medien der USA auch dann nicht zu erschüttern, als die ägyptische Presse Fotos des Piloten mit seiner Tochter vor christlichem Weihnachtsschmuck veröffentlichte.2

Positiv gegenüber dem Spiegel hebt sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Berichterstattung über den Islam nach dem 11. September 2001 ab. So bringt z.B. die FAZ gegen den Homogenisierungszwang vieler Massenmedien in ihrer Ausgabe vom 22. Oktober 2001 folgende Berichte, die allesamt eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam spüren lassen: „Auf der Suche nach den gemäßigten Taliban“, Missbilligung der US-amerikanischen Militärschläge durch die APEC-Länder, ausgesprochen positive Würdigung der muslimischen Moscheen in Hamburg, zustimmende Analyse zu den Friedensplänen der Pakistan Muslim League, religiöse Toleranz in Marokko und ein langer Artikel über die religiös-politische Gratwanderung des Iran zwischen den USA und der islamischen Welt. Oder: Im Wochenendfeuilleton der FAZ vom 10. November 2001 gibt es einen ganzseitigen Artikel über Ignaz Goldziher, den deutschen Begründer einer Islamwissenschaft, und eine ausführliche Rezension eines neuen türkischen Romans.

Dichotomien

Aufbauend auf dem Spiegelbild-Theorem der Feindbildanalysen von David J. Singer aus den frühen sechziger Jahren des letzten Jhs.3 weiß die Friedensforschung seit langem, dass »Freund« und »Feind« spiegelbildlich bewertet, dass sie einem »guten« und einem »schlechten« Lager zugeordnet werden. US-Präsident George W. Bushs politische Rhetorik ist exakt solchen dichotomischen Denkschablonen verhaftet. „Dies ist der Kampf der Zivilisation“ und „Die zivilisierte Welt schart sich um Amerika“ hieß es in seiner Rede vor dem Kongress4 und einem „Krieg gegen das Böse auf der Welt“ stellte der US-Senat 40 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Bundeskanzler Gerhard Schröder sekundierte Bush mit dem Ausdruck, dass der New Yorker Terroranschlag eine „Kriegserklärung an die zivilisierte Völkergemeinschaft“ 5 gewesen sei und in der FAZ sprach Günther Nonnenmacher ungestraft vom „Endkampf zwischen Gut und Böse“6.

Eine solche Trennung in eine »zivilisierte« und eine »unzivilisierte« Welt vertieft nicht nur die Gräben, sie steht obendrein in einer mehr als fatalen kolonialistischen Tradition des Nordens gegenüber dem Süden. Und so als ob Osama Bin Laden die Arbeiten von David J. Singer gelesen hätte, verfestigte auch er dichotomisches Denken. In einem seiner Videos über den TV-Sender Al-Dschasira erklärte er: „Die Welt ist eingeteilt in die Menschen, die sich gefreut haben über die Angriffe auf den ungerechten Giganten Amerika und einen anderen Teil, der diese Angriffe verurteilt hat.“ 7

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy brachte die gut gesicherten Erkenntnisse der Friedensforschung auf den Punkt, als sie in der FAZ ausführte: „Wenn es Osama Bin Laden nicht gäbe, müssten ihn die Amerikaner erfinden. (…) Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten.“ 8 Was man in einem Entwicklungsland wie Indien ungestraft sagen kann, ist allerdings im öffentlichen Meinungsklima eines Industrielandes wie Deutschland z.Zt. kaum sagbar. Als der TV-Moderator Ulrich Wickert Anfang Oktober 2001 in einer Meinungskolumne der Zeitschrift Max Osama Bin Laden mit George W. Bush verglichen und den Satz geschrieben hatte, „Bush ist kein Mörder und Terrorist. Aber die Denkstrukturen sind die gleichen“, da forderte die konservative Oppositionspartei gleich seine Entlassung aus der ARD und Wickert übte flugs Selbstkritik. Immerhin nahm Freimut Duve, OSZE-Beauftragter für Medienfreiheit, diesen Vorfall zum Anlass, sich Sorgen über die Pressefreiheit in Deutschland zu machen.9

Kriegs- und Gewaltrhetorik

Johannes Nitschmann spricht von einem journalistischen Ausnahmezustand: „Die apokalyptischen Reiter sind los. In deutschen Zeitungshäusern und Sendeanstalten haben die barbarischen Terroranschläge auf die USA eine heillose Hybris ausgelöst. An den Schreibtischen hat der Superlativ die Besonnenheit ersetzt. »Machen wir uns nichts vor, es ist der dritte Weltkrieg«, dröhnt »Bild«. (…) Kriegsrhetorik hat Konjunktur. Das Berliner Boulevardblatt »B.Z.« (…) liefert ihren Lesern in großer Graphik die objektiv günstigsten Aufmarschpläne für einen US-amerikanischen Gegenschlag auf Afghanistan.“ 10

„Der Angriff“, brüllt die Bild-Zeitung in sieben Zentimeter Größe auf ihrem Titelblatt am 8. Oktober 2001, und „Tötet bin Laden“ fordert der Kölner Express in vier Zentimeter Größe seine Leser am 22. Oktober 2001 auf. Und weil ein Aufruf zum Mord normalerweise strafrechtlich verfolgt werden muss, schickt der Express seinem Aufruf in kleineren Buchstaben die beiden Zeilen vorweg: „Präsident Bush. Geheimbefehl an die CIA“. Dass das Leben von Freund und Feind in Kriegen unterschiedlich viel wert ist, zeigt nicht nur dieser Mordaufruf der journalistischen Kanaille, sondern gleichermaßen die normale deutsche Lokalpresse. So schreibt beispielsweise eine dpa-Korrespondentin am 12. Oktober 2001 folgende Sätze: „Die Missionen der an den Luftangriffen beteiligten Langstreckenbomber und Kampfflugzeuge waren relativ risikoarm. (…) Jetzt verlagert sich der Einsatz auf Kampfhubschrauber, Spezial-Bodentrupps und leichte Infanterie mit der Gefahr des Verlustes an Menschenleben.“11 Fällt dieser Journalistin denn überhaupt nicht auf, dass es eine „Gefahr des Verlustes an Menschenleben“ schon in Phase I der Luftangriffe gab (und nach aller Kriegslogik doch bewusst geben sollte) – freilich »nur« für die »anderen«, nicht die »eigenen«?

Krieg, Katastrophe, Rache, Heiliger Krieg, Kommando, Terror, Mörder, Tod und Blutbad lauten die wichtigsten Wörter zwischen dem 12. und 23. September 2001 als Aufmacher auf Seite eins des Kölner Express – Dritter Weltkrieg, Angriff, Terroristen, Mörder und Krieg heißen parallel dazu die Schlagzeilen in der türkischen Hürriyet.

Als der US-amerikanische Außenminister Colin Powell unmittelbar nach dem Anschlag in New York verkündete, Amerika befinde sich „im Krieg“, setzte er eine verhängnisvolle Dynamik in Gang, nicht nur völkerrechtlich und bündnispolitisch, sondern auch psychologisch und medial. Zu sagen, man befände sich „im Krieg“, schafft eine massenmediale Kriegspsychose, schürt die Erwartungshaltung nach einer militärischen Aktion, legitimiert einen Einsatz von Gewalt ohne Wenn und Aber und verleiht den Terroristen eine neuartige Würde. Es gibt ihnen die Legitimität einer »richtigen« Kriegspartei, die sie bislang gar nicht hatten.

Patriotische Rhetorik

Am 11. September 2001 kam der patriotische Journalismus zurück in die USA.

Er kam in der Öffentlichkeit und den Medien, im Fernsehen und in der Presse in der Form von Flaggen, Fähnchen, Girlanden und Feiern, von einander-an-den-Händen-Halten, von Bekundungen, Schwüren und großen Reden, von Emotionen und Tränen, von Schuldzuweisungen und Bezichtigungen. So weit es sich erstens bei diesen Formen um spontane und direkte Reaktionen auf die Terroranschläge handelt, wird man sie nicht kritisieren können und wollen. Reaktionen auf Schocks sind traumatischer Natur und entziehen sich damit einer besserwisserischen Perspektive von Außen. Zweitens muss man bei einer Auseinandersetzung mit dem, was man patriotischen Journalismus nennen könnte, auch das in den USA im Vergleich zu Deutschland völlig andere kulturpolitische Klima von Patriotismus und Nationalismus in Rechnung stellen. Dies vorweg und halb erklärend, halb entschuldigend gesagt, hat der patriotische Selbstvergewisserungs-Journalismus in den USA inzwischen dennoch pathologische Züge angenommen.

Dieser Journalismus kennt nur noch eine Meinung, nämlich die offizielle Meinung der US-Regierung. Es ist ein Journalismus des Entweder-Oder, des Ja oder Nein. Es ist auch ein Journalismus von Zensur und Selbstzensur. Und es ist eine Zeit der Intellektuellen-Hatz, die an die Hetze gegen »unamerikanische Umtriebe« der McCarthy-Jahre erinnert. Der Karikaturist Garry Trudeau zog seine Bush-Karikaturen zurück, Barbara Streisand entfernte von ihrer Homepage Anti-Bush-Sprüche und Susan Sontag musste es sich gefallen lassen, dass man ihr aufgrund ihres kritischen Artikels12 „moralische Verwirrung und gequälte Relativierung“ vorwarf, dass man sie zu den „Amerika-Hassern“ zählte.13

Als »Wir-sind-doch-alle-Amerikaner«-Attitude ist patriotischer Journalismus in spezifischen Ausformungen auch in Deutschland zu beobachten. Hatte Kaiser Wilhelm II. zu Kriegsanfang im August 1914 betont, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch deutsche Brüder, die fest und unerschütterlich in der Sorge um das teure deutsche Vaterland zusammen stünden, so wurde genau dieser Burgfrieden nicht nur zum politischen Credo von Bundeskanzler Gerhard Schröder und noch ausgeprägter von Außenminister Joschka Fischer, sondern vor allem auch von Fernsehen und Presse. Dazu Heribert Prantl, Leiter des innenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung: „Kritik an der amerikanischen Regierung wäre schon möglich, wird aber zu wenig geübt.“ Er habe noch nie so viel Kritiklosigkeit erlebt, wie in den ersten Wochen nach den Anschlägen. Stattdessen werde „das Wort »Krieg« geradezu lustvoll gebraucht.“14

Patriotischer Journalismus in Deutschland äußerst sich vor allem in einer diffusen Bündnissolidarität mit den USA. Er wird z.B. an einem neuen und zusätzlichen Unternehmensgrundsatz deutlich, den der Axel Springer-Verlag unter dem Eindruck der Terroranschläge beschlossen hat. Alle Mitarbeiter dieses Medienkonzerns müssen in Zukunft schriftlich erklären, dass sie auch mit folgender Vorgabe einverstanden sind, nämlich der „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und der Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Mit spitzer Feder hält Franziska Augstein der deutschen Regierung und den deutschen Medien entgegen: „Die Bundesregierung nennt es Solidarität, auf dem halben Globus muss es ankommen wie Aftergehorsam. (…) Bei aller Solidarität können die deutschen Politiker (und die deutschen Medien, J.B.) allerdings nicht vermitteln, dass die Politik der Vereinigten Staaten Hand und Fuß hätte. Dazu ist die Rhetorik dieses Krieges gegen den Terror zu wirr und zu beunruhigend.“15

Patriotischer Journalismus kennt keine Abweichungen vom richtigen Weg: Die Äußerung des Modedesigners Wolfgang Joop, er halte die Twin Towers für ein Symbol kapitalistischer Arroganz und er vermisse sie nicht,16 oder die des englischen Kriminalautors John Le Carré, der Tony Blair den „eloquenten weißen Ritter eines heiklen transatlantischen Verhältnisses“ nannte,17 muss man in den deutschen Medien mit der Lupe suchen. Gar in Rotdruck gehaltene Notizen unter der Überschrift „Widersprüchliche Meldungen aus Afghanistan“, also der Rubrik in der Financial Times Deutschland, in der mit dem journalistischen und juristischen Prinzip des »audiatur et altera pars« ernst gemacht wird, weil »feindliche« Nachrichten unkommentiert abgedruckt werden, sind eine allzu rare Ausnahme.

Staatliche Zensur

Was eigentlich ja nur die »Schlechten«, die anderen, tun, ist seit dem 11. September 2001 in den USA Praxis geworden: Staatliche Zensur, zensurähnliche Maßnahmen und bindende Absprachen zwischen privatwirtschaftlich verfassten Medien und staatlichen Behörden gehören ausgerechnet in dem Land zum Medienalltag, in dem traditionellerweise der Meinungsfreiheit höchstrichterlich ein höherer Rang zugeordnet wird als beispielsweise der Menschenwürde.

Folgende Beispiele aus der jüngsten US-amerikanischen Medienpolitik illustrieren verschiedenartige Formen von Zensur, Absprache und politischem Druck:

  • Anfang Oktober 2001 entschlossen sich die sechs größten US-Nachrichtensender zu einer Selbstzensur. ABC News, CBS News, NBC News, MSNBC, Cable News Network und Fox News Channel beugten sich dem Druck der US-amerikanischen Regierung, Videos von Osama Bin Laden und der Terrororganisation Al Qaida nicht mehr in voller Länge und nicht mehr unkommentiert zu senden. Mögliche verbale Hasstiraden auf die USA versprachen diesen sechs Networks zu zensieren.
  • Als explizite Reaktion auf »unpatriotische« Reden von TV-Moderator Bill Maher in der ABC-Talkshow zogen zwei werbetreibende Firmen ihre Werbespots zurück.
  • Mehrere US-amerikanische Zeitungsjournalisten wurden von ihren Verlegern wegen ihrer Kritik an der Kriegsführung der US-Regierung fristlos entlassen.

Solche Formen von Zensur gibt es in Deutschland nicht, aber auch hier überwiegt ein Mainstream-Journalismus als spezifische Form von vorweg genommener Zensur.

Informationelle Repression

Information, Kommunikation und Medien werden in rechtsstaatlich verfassten Demokratien durch zahlreiche Gesetze geregelt: Meinungs- und Pressefreiheit, Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Informationseinsichtrechte, Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten, Brief- und Postgeheimnis – um nur die wichtigsten zu nennen. In Folge der terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 und bei proklamiertem Vorrang nationaler Sicherheitsinteressen vor Menschenrechten werden alle informationellen Rechte in vielen westlichen Industrieländern erheblich eingeschränkt, greifen zusätzliche staatliche Repressionsmaßnahmen im gesamten Informationssektor. Dazu einige Beispiele:

  • Offene TV-Kanäle, in den siebziger Jahren als Momente von Bürgerpartizipation eingeführt, werden seit Anfang des Afghanistan-Krieges von den Landesmedienanstalten dann streng beobachtet, wenn es sich um nichtdeutschsprachige Sendungen handelt, besonders um solche in urdu, arabisch und türkisch.
  • Zusätzlich zu den neu vom US-amerikanischen Kongress erlaubten Rechten beim Abhören von Telefongesprächen und dem Mitlesen von E-Mails ist es US-Behörden seit Mitte November 2001 erlaubt, Gespräche zwischen Mandanten und Verteidigern ohne richterliche Genehmigung abzuhören, wenn es begründeten Verdacht dafür gibt, man könne Gewalt oder Terror verhindern.
  • Die in Deutschland beschlossene Erfassung biometrischer Daten (Finger- oder Handabdruck, Gesichtsgeometrie, Augenfarbe, Irismerkmale, dreidimensionale Hologrammfotos) in Ausweispapieren ist verfassungsrechtlich höchst problematisch. Und zwar nicht wegen der zusätzlichen Erfassung eines individuellen Identitätsmerkmals, sondern wegen der damit geschaffenen digitalen Gesamterfassung einer Bevölkerung und den dadurch möglichen digitalen Abgleichsverfahren.

Staatliche Repression stärkt den staatlichen Apparat, nützt nach aller Erfahrung in der Bekämpfung des Terrorismus nichts, gaukelt den Menschen in hoch technisierten Gesellschaften Schutz vor Gefahren und Gewalt vor (die es nicht gibt), schränkt drastisch alle Freiheitsrechte im Informationssektor ein und belässt es nach aller Erfahrung bei den neuen Einschränkungen auch für den Fall, dass der Terrorismus nicht mehr akut ist.

Hollywood und der Afghanistan-Krieg

Von allen dramaturgischen Elementen der gegenwärtigen Medienverarbeitung des Terroranschlags und des darauf folgenden Afghanistankrieges ist dem Kino nichts fremd. Flugzeugangriffe auf Wolkenkratzer, Krieg gegen radikale Muslims in Afghanistan und anti-muslimische Vorurteile: Die Traumfabrik Hollywood kennt alle drei Momente als ideologische Versatzstücke seit Langem.18

»Flammendes Inferno« heißt ein Film-Schocker von 1975, in dem suizidwillige Muslims Passagiermaschinen in das Pentagon und die Türme des World Trade Centers fliegen. In John Frankenheimers »Schwarzer Sonntag« von 1977 setzt eine palästinensische Terroristin einen Piloten unter Druck, einen mit 500 Kilo Plastiksprengstoff geladenen Zeppelin in ein voll besetztes Football-Stadion zu steuern. 1988 folgt im Genre solcher Horrorfilme der »Ausnahmezustand« von Edmund Zwick. Eine Serie von Terroranschlägen fundamentalistischer Islamisten führt zur Verhängung des Kriegsrechts in den USA. Über die Brooklyn-Bridge rollen Panzer – arabische Amerikaner werden in Lagern interniert. Und in dem Film »Die Hard« (»Jetzt erst recht«) von 1995 wird nach einem Bombenattentat der gesamte Stadtteil Manhattan abgeriegelt. In »Independence Day« des deutschen Regisseurs Roland Emmerich bedrohen Außerirdische das World Trade Center, und das Weiße Haus geht in Flammen auf. Und kurz vor dem 11. September 2001 stellt der deutsche Filmregisseur Joachim Grüninger einen Werbefilm für Telegate fertig, in dem sich ein Passagierflugzeug durch das Billboard eines Wolkenkratzers bohrt.

Und seit wann gibt es (in den nördlichen Industrieländern) Afghanistan als Filmmotiv? Als monumentale Gebirgskulisse mit wild-grimmigen Menschen taucht Afghanistan im »Hauptmann von Peshawar« von 1953 auf und in »Der Mann, der König sein wollte«, eine Kipling-Version von 1975. Spannender im gegenwärtigen Kontext ist freilich »Rambo III« mit Sylvester Stallone von 1987. John Rambo hilft hier afghanischen Pferde-Kriegern gegen die russischen Invasoren, indem er deren Festungen sprengt und pralle Wodkabäuche von Iwans vor der Kamera platzen lässt.

Über das hier nur skizzierte Zusammengehen von Hollywood und Politik, Film und Regierung, Wirklichkeit und Phantasie kann sich höchstens ein Laie wundern. Gerade die Symbiose von Hollywood und Pentagon ist der Kommunikationsforschung gut bekannt und bestens dokumentiert. Allein zwischen 1940 und dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941, also in nur wenigen Monaten, produzierte Hollywood fast 40 Filme über den Krieg in Europa. Und genau an diese erfolgreiche Zusammenarbeit will die gegenwärtige US-amerikanische Regierung anknüpfen. Anfang November 2001 versammelten sich in Los Angeles auf Initiative der Regierung Bush und unter Schirmherrschaft der Motion Picture Association 50 Vertreter der Film- und TV-Studios, um eine Unterstützungskampagne für die Regierung zu planen. Dabei geht es um Werbe- und Unterhaltungsfilme und um Live-Auftritte von Unterhaltungskünstlern vor Soldaten.

Resümee

Wegen schwerer völkerrechtlicher und politischer Legitimationsmängel ist der Medienkrieg um Afghanistan so intensiv, gibt es anti-islamische Feindbilder, herrschen binär gehaltene Sichtweisen von Gut und Böse vor, gibt es Zensur, Lüge, Propaganda, Verkürzungen, Glorifizierungen und insbesondere eine mediale Kriegs- und Gewaltrhetorik, eine distanzlose Patriotismus- und Bündnisrhetorik, die erschreckend ist und öffentlich kaum bewusst wird, geschweige dass sie etwa mit der Schärfe eines Karl Kraus aufgespießt und kritisiert würden.

Was also bleibt zu tun?

Beantwortet man diese Frage mit dem anlässlich des ersten afghanisch-britischen Krieges von 1842 entstandenen Gedicht »Das Trauerspiel von Afghanistan« (1848) des deutschen Schriftstellers, Journalisten und Kriegsberichterstatters Theodor Fontane, dann bleibt die Zukunft duster. Alle 13.000 britischen Soldaten kamen am Khyber-Pass 1842 ums Leben und Fontane schließt sein Gedicht mit folgenden Zeilen: „Die hören sollen, sie hören nicht mehr, vernichtet ist das ganze Heer, mit dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan.“

Man kann diese Frage aber auch mit dem Zitat eines anderen deutschen Dichters beantworten, mit Günter Grass: „Ich habe meine Zweifel, ob der Westen die Kraft aufbringt (…) sich wirklich globale Gedanken zu machen und die Dritte Welt als gleichberechtigt miteinzubeziehen. Wenn man es täte, wäre es ein entscheidender Schritt, um dem vorhandenen Terrorismus auf Dauer das Wasser abzugraben, ihn auszudörren.“19

Anmerkungen

1) Vgl. Arquilla, John und Ronfeldt, David: Der Cyberkieg kommt!, in: Stocker, Gerfried und Schöpf, Christine (Hg.): Information.Macht.Krieg. Ars Electronica 98, Wien: Springer 1998, S. 24-56.

2) Vgl. Soueif, Ahdaf: Special report: terrorism in the US, in: Guardian, 15. September 2001.

3) Vgl. Singer, David J.: Soviet and American Foreign Policy Attitudes: Content Analysis of Elite Articulations, in: Journal of Conflict Resolution, 1964, S. 424-485.

4) Bush, George W.: Entweder Ihr seid für uns, oder Ihr seid für die Terroristen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. September 2001, S. 8.

5) Schröder, Gerhard: Solidarität mit den Menschen in den USA, in: Das Parlament, 21. September 2001, S. 11.

6) Zit. nach Precht, Richard David: Die deutsche Betroffenheit. Kommentar in der Sendereihe »Kritisches Tagebuch« von WDR 3, 13. September 2001. 7.

7) Zit. nach Clasmann, Anne-Beatrice: Bin Laden und sein Freund-Feind-Schema, in: Solinger Tageblatt, 5. November 2001, S. 2.

8) Roy, Arundhati: Terror ist nur ein Symptom. Ein Kontinent brennt. Warum der Terrorismus nur ein Symptom ist, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28 September 2001, S. 49.

9) Duve, Freimut: Das Ende der Vielfalt. Die Anti-Terror-Allianz als Risiko für die Pressefreiheit, in: Frankfurter Rundschau, 12. Oktober 2001, S. 23.

10) Nitschmann, Johannes: Journalistischer Ausnahmezustand, in: Menschen-Machen-Medien, Nr. 10/2001, S. 6.

11) Chwallek, Gabriele: Erst Phase II birgt echte Risiken, in: Wiesbadener Kurier, 12. Oktober 2001, S. 1.

12) Vgl. Sontag, Susan: Amerika unter Schock: Die falsche Einstimmigkeit der Kommentare, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. September 2001, S. 45.

13) Vgl. Schmitt, Uwe: Das fragwürdige Recht der Kritik an der Regierung. Einige US-Intellektuelle haben sich dem patriotischen Imperativ verweigert und werden dafür von allen Seiten scharf angegriffen, in: Die Welt, 2. Oktober 2001, S. 6.

14) Zit. nach Moorstedt, Tobias und Schrenk, Jakob: Nur noch eine Meinung auf der Welt, in: die tageszeitung, 3./4. November 2001, S. 17.

15) Augstein, Franziska: Teure Treue. Bündnissolidarität oder: Hauptsache, wir machen mit, in: Süddeutsche Zeitung, 15. November 2001, S. 15.

16) Vgl. N.N.: Joop vermisst Twin Towers nicht, in: Solinger Tageblatt, 16. Oktober 2001, S. 10.

17) Vgl. N.N.: Gegen den Krieg in Afghanistan, in: Rheinische Post, 18. Oktober 2001.

18) Ich danke an dieser Stelle Rolf Giesen vom Berliner Filmmuseum, der mir sein noch unveröffentlichtes Manuskript »Flammendes Inferno« von Anfang November 2001 zur Verfügung stellte.

19) Grass, Günter: Der Westen muss sich endlich fragen, was er falsch gemacht hat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Oktober 2001, S. 45.

Dr. Jörg Becker ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft ab der Universität Marburg und Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen

Friedensjournalismus als Beruf

Friedensjournalismus als Beruf

von Martin Zint

Der ruhige, harmonievolle Begriff »Frieden« läßt sich nur schwer zusammenbringen mit der landläufigen Vorstellung vom rasenden Reporter, der von Skandal zu Skandal und von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz eilt. Journalisten1 müssen aggressiv sein um immer in die erste Reihe zu kommen. Ihnen genügt ein kurzer Blick auf die Bühne. Was hinter den Kulissen geschieht ist nur dann ihr Job, wenn sie es, aus welchen Gründen auch immer, auf die Bühne zerren können. Journalisten sind vom Typ Jäger und Sammler. Der archaische Orientierungsreflex, also die reflexhafte Hinwendung zu einer Veränderung im Umfeld, ist bei ihnen noch besonders ausgeprägt. Und sie haben Übung darin, diese Veränderung zu erkunden, in ihrer Relevanz einzuschätzen und so umzusetzen, dass die RezipientInnen verstehen, was gemeint ist. Ist Journalismus als Profession also überhaupt friedensfähig? Aber ja, und JournalistInnen gehören sogar zu den Schlüsselfiguren der Prozesse, die zum Frieden führen.

Um das Thema bearbeiten zu können ist es nötig, sich an dieser Stelle gleich von dem hehren Begriff »Frieden« zu verabschieden. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Ziele dann eine gute Aussicht auf Realisierung haben, wenn sie leicht über dem liegen, was als erreichbar gilt. Liegt die Latte zu niedrig oder liegt sie viel zu hoch, sinken die Motivation und die Erfolgschance. In diesem Sinne und im Sinne der Operationalisierung des Themas wird hier nur der Frage nachgegangen, was JournalistInnen dazu beitragen können das Konflikte nicht gewaltförmig eskalieren. Konflikte haben einen typischen kurvenhaften Verlauf. Steigender Spannung folgt bei Erreichung eines gewissen Levels die gewaltförmige Entladung, nach der die Spannung nachlässt. Aufgabe der Konfliktbearbeitung ist es, den Verlauf der Kurve so zu beeinflussen, dass sie möglichst flach verläuft und sie nicht den Level der gewaltförmigen Entladung erreicht.

Was können JournalistInnen zur Konfliktbearbeitung beitragen?

Zuallererst können JournalistInnen durch ihre Arbeit die Kommunikation zwischen den Parteien fördern. In Konfliktsituationen ist die direkte Kommunikation zwischen den Parteien oft unterbrochen oder erschwert. Vieles von dem, was sie übereinander erfahren, stammt aus den Medien. Die Berichterstattung kann Konflikte präzisieren und definieren. JournalistInnen können dazu beitragen, Probleme und Interessen in einer Weise zu definieren, die ihre Lösung erleichtert. Sie sind manchmal besonders aufmerksam gegenüber den Konzessionen, die die Parteien machen, bei den Übereinstimmungen, die zwischen ihnen existieren, oder in Bezug auf Lösungen, die in Betracht gezogen werden.

Darüber hinaus haben Medien, und damit die JournalistInnen, einen Bildungsauftrag, der bei den elektronischen Medien in Deutschland sogar gesetzlich festgeschrieben ist. Dieser Auftrag ist ganz besonders im Umfeld von Konflikten wahrzunehmen. Durch einfache Veränderungen des Informationsumfeldes, in dem die Parteien operieren, kann sich die Dynamik eines Konfliktes stark verändern.

Rob. K. Mannoff lehrt am Zentrum für »War, Peace and the News Media« an der New York University. Er hat diese möglichen Rollen von JournalistInnen in der Konfliktprävention und der Konfliktbearbeitung beschrieben. Einige dieser Rollen, wie die vorgenannten, ergeben sich aus einem angelsächsischen Verständnis von journalistischer Arbeit. Andere Rollen setzen voraus, dass die JournalistInnen Kenntnisse in der Konfliktanalyse und der Konfliktbearbeitung haben. JournalistInnen können im Rahmen ihrer Arbeit Konflikte analysieren. Diese Rolle unterscheidet sich von der konventionellen Präsentation von Konflikten in den Medien. Die JournalistInnen wenden hier bewusst Methoden der Konfliktanalyse an, die aus der Konfliktforschung abgeleitet wurden. Sie erlauben es der Öffentlichkeit, ihr Verständnis von den Schlüsselaspekten der Situation systematisch zu verbessern und die Dynamik der Maßnahmen besser zu verstehen, die eingeleitet wurden um die Situation zu meistern.

Ein elaborierter Journalismus kann auch die Konturen der ProtagonistInnen herausarbeiten. Was so einfach klingt erfordert in der Praxis die besondere Fähigkeit, dies jenseits eines »Gut oder Böse«-Schemas zu tun. Hier kann die Konfliktforschung möglicherweise Kategorien liefern und eine systematische Einordnung ermöglichen.

JournalistInnen können sich auch aktiv einmischen. Z.B. können sie das Gleichgewicht der Kräfte stärken. Ein entsprechender Bericht in den Medien kann die stärkere Partei schwächen oder die schwächere Partei stärken und auf diese Weise die Parteien zu Verhandlungen zu ermutigen. Medien können zum Erfolg der Verhandlungen ganz beträchtlich beitragen, indem sie Kompromisse ermöglichen. Wenn sie einen Schritt in Richtung auf die Konfliktlösung machen riskieren die Parteien, dass sie von ihren AnhängerInnen angegriffen werden. Aus der Mediation im politischen Bereich ist bekannt, dass der eigentliche Mediationsprozess scheitern kann, wenn es keinen parallelen Prozess gibt, den man »soziale Mediation« nennen könnte. Durch ihn wird den AkteurInnen und den verschiedenen Anhängerschaften der verhandelnden Parteien dieser Prozess nahegebracht; er bereitet sie darauf vor, seinen Ausgang zu akzeptieren.

JournalistInnen können ihre Medien auch ganz bewusst in den Dienst der Konfliktbearbeitung stellen. Manche Konflikte eskalieren u.a. weil die Parteien nicht die adäquaten Mittel haben, ihre Klagen vorzubringen. Medien können sich auch als Mittel zur Konfliktaustragung zur Verfügung stellen. Das setzt jedoch besondere Kompetenzen, z.B. in der Interviewtechnik oder der Moderation, voraus. Entgegen einer verbreiteten Praxis geht es hier nicht darum, Konflikte zu dramatisieren und ihre öffentliche Austragung quotenfördernd darzubieten. Die Gesprächsführung darf nicht problemorientiert, sondern muss lösungsorientiert sein. Hier kommen ebenfalls Elemente aus der Mediation zum Tragen, die JournalistInnen als Zusatzqualifikation erwerben können.

Merkmale
des Friedensjournalismus
nach Johan Galtung

Wie bisher ausgeführt wurde, beinhalten die berufständischen Regeln eines Journalismus in angelsächsischer Tradition viele Elemente der konstruktiven Konfliktbearbeitung, auch wenn manchmal zusätzliche Qualifikationen, z.B. in der Konfliktanalyse und der Konfliktintervention, notwendig sind. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung sieht den Friedensjournalismus als eine journalistische Fachrichtung, die leider noch unzureichend entwickelt ist. So wie sich ein elaborierter Gesundheitsjournalismus entwickelt hat und Blüten treibt, so sollte es auch einen Friedensjournalismus geben, der sachlich über Konflikte und ihre Entstehung berichtet, Therapien aufzeigt und zur Vorbeugung ermuntert. Als konkrete Arbeitshilfe hat Galtung ein Schema entwickelt, das einen friedens- und konfliktorientierten Journalismus einem, wie er ihn nennt, Hass-Journalismus gegenüberstellt.

Friedens-Journalismus ist

  • friedens- und konfliktorientiert, d.h. er untersucht die Konfliktentstehung und Konfliktparteien, ihre Ziele und deren Folgen, er ist win-win-orientiert und widmet den Themen viel Zeit und viel Raum, da Ursachen und Folgen vielschichtig und auch in der Geschichte und Kultur zu suchen sind. Er macht Konflikte transparent, gibt allen Seiten eine Stimme, fühlt sich ein und versucht zu verstehen, stellt den Konflikt/Krieg als Problem dar und konzentriert sich auf kreative Lösungen, lässt allen Seiten die Menschlichkeit, egal wie schlimm die Waffen sind, berichtet pro-aktiv, d.h. bevor es zu Gewalt kommt, und konzentriert sich auf die unsichtbaren Kriegsfolgen (Traumatisierung und Verherrlichung, Zerstörung von Strukturen).
  • wahrheitsorientiert, d.h. er stellt die Lügen aller Seiten dar und deckt alle Verschleierungslügen auf.
  • volksorientiert, d.h. er zeigt das Leiden aller, gibt ihnen eine Stimme, nennt alle ÜbeltäterInnen und schaut auf FriedensmacherInnen im Volk.
  • lösungsorientiert, d.h. er versteht Frieden als Gewaltfreiheit und Kreativität, stellt Friedensinitiativen heraus, um neue Kriege zu verhindern, konzentriert sich auf Strukturen, Kultur, die friedliche Gesellschaft, berichtet über die Folgen des Krieges: Lösung, Wiederaufbau, Versöhnung.

Hass-Journalismus dagegen ist

  • kriegs- und gewaltorientiert, d.h. er konzentriert sich auf eine Darstellung der Konfliktaustragung, Polarisierung, des Sieges und ist nullsummenorientiert, berichtet auf begrenztem Raum und in begrenzter Zeit, sucht Ursachen nach dem Motto: Wer warf den ersten Stein? Er macht den Krieg undurchsichtig, geheimnisvoll, unterscheidet Journalismus »von uns« von dem »der anderen« (»Propaganda«), sieht die »anderen« als Problem, konzentriert sich auf die Erfolgreichen des Krieges, »entmenschlicht« die anderen, egal wie schlimm die Waffen sind, berichtet reaktiv, d.h. erst nachdem Gewalt ausgebrochen ist, und konzentriert sich auf die sichtbaren Folgen der Gewalt (Zahl der Toten und Verletzten, Materialverluste).
  • propagandaorientiert, d.h. er stellt die Lügen der anderen dar und deckt die Verschleierung der anderen auf.
  • elitenorientiert, d.h. er zeigt »unser« Leiden und spricht für die männliche Elite, nennt »deren« Übeltäter und schaut auf Friedensstifter der Elite.
  • Ergebnisorientiert, d.h. er versteht Frieden als Sieg, Niederlage oder Waffenstillstand, verheimlicht Friedensinitiativen so lange kein Ergebnis in Sicht ist, konzentriert sich auf Abkommen, Institutionen, die kontrollierte Gesellschaft und berichtet über Folgen dann, wenn der Krieg wieder aufflammt.

Was lernen FriedensjournalistInnen,
was andere JournalistInnen
nicht lernen?

Das Media Peace Center in Kapstadt, Südafrika, hat über ein Jahrzehnt Erfahrung in der konfliktlösungsorientierten Trainingsarbeit mit JournalistInnen. Dabei werden klassische journalistische Arbeitsfelder geschult wie der Umgang mit der Sprache (Was unterscheidet FreiheitskämpferInnen und TerroristInnen?; Konkretion gegen Abstraktion = Blick auf die Opfer statt von Kollateralschäden zu sprechen), Interviewtraining (Wie erkundet man die fünf berühmten W gegenüber Konfliktparteien?), der Umgang mit Quellen (Eliten- oder volksorientiert?). Zentraler Begriff ist das »Framing«, also unter welchem Blickwinkel und mit welchem Ausschnitt wird der Gegenstand der Berichterstattung dargestellt (Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Werden 400 überleben oder 100 sterben?). In Südafrika wurden besonders viele Erfahrungen gesammelt, nicht nur im Kapstädter Media Peace Center. Diese Erfahrungen müssen für die journalistische Praxis weltweit nutzbar gemacht werden. Organisationen wie die Schweizer Stiftung Hirondelle und Search for Common Ground, Washington, haben da schon einiges angestoßen. Beachtenswert ist auch die Arbeit des britischen Conflict and Peace Forums, Taplow.

Beispiele für deeskalierenden Journalismus
und Friedensjournalismus

JournalistInnen brauchen Medien, um die Produkte ihrer Arbeit für die RezipientInnen wahrnehmbar zu machen. Die innere und äußere Verfasstheit dieser Medien bedeutet in der Praxis oft eine Einschränkung der berufsständischen Regeln. Verlage und Rundfunksender sehen journalistische Qualität nicht mehr unbedingt als wichtigstes Kriterium, sondern zunehmend als Kostenfaktor. Der Wettbewerb im Mediensektor läuft völlig einseitig über die Auflage, respektive die Quote, und nicht über die Qualität. Das führt dazu, dass sich die Anforderungen im Medienbereich von der journalistischen Kompetenz weg hin zur Präsentation verlagern. Wirtschaftliche Faktoren vom Kostendruck bis zur direkten Einflussnahme gehören nach Ansicht vieler PraktikerInnen zu den ernsten Bedrohungen der Pressefreiheit, zumindest aber der journalistischen Qualität. Die Tatsache, dass die Lufthansa Anfang dieses Jahres eine Ausgabe der deutschen Financial Times nicht an Bord nahm, weil diese sich in einem Artikel kritisch mit der Geschäftspolitik der Airline auseinandergesetzt hatte, zeigt, mit welche harten Bandagen gekämpft wird.

Dieser Befund macht es zunehmend nötig, in Krisensituationen die Informationsübermittlung durch selbstorganisierte Medien zu sichern. Das schon erwähnte »Center for War, Peace and the News Media« der New York University nennt derzeit die Zahl von 150 Projekten der Konfliktbearbeitung durch Medien weltweit. Die Anstrengungen, die BBC, Deutsche Welle oder VOA zur Information nach journalistischen Kriterien in lokalen Sprachen machen, sind besonders in Krisenregionen mit eingeschränktem Zugang zu Informationen sehr wichtig, aber keineswegs ausreichend. Krisenregionen, z.B. im Bereich der großen Seen Afrikas, brauchen spezifische Information. Medien die solche Informationen liefern wollen, müssen in der Region lokal verankert sein. Informationsverbreitung von außen kann nur letztes Mittel sein.

Die UNESCO leistet mit ihrer Abteilung »SOS Medien« seit 1992 Medienhilfe, sowohl auf diplomatischer Ebene zur Vergabe von Frequenzen und in der Begleitung von Mediengesetzgebung, durch die Einbeziehung von Medienfragen bei der Aushandlung von Friedensvereinbarungen und in humanitären Hilfsaktionen. In Einzelfällen hat auch der Sicherheitsrat der VN, z.B. 1992 in Kambodscha, die Einrichtung unparteiischer Medien beschlossen. Welche Medien unterstützt werden, ist stark von den Infrastruktur der jeweiligen Region abhängig, für den afrikanischen Kontinent z.B. liegt ein deutlicher Schwerpunkt beim Radio.

Der BBC-Monitoring Service hat 1998 eine Aufstellung der verschiedenen elektronischen so genannten Hass- und Friedensmedien versucht. BetreiberInnen sind meist NGOs, oft Interessengruppen politischer, ethnischer oder religiöser Art. Der Begriff »Friedensradio« wird dabei auch kritisch diskutiert: Radio solle keine Gegenpropaganda machen, weil das nur zu Polarisierung führe; Ziel von Medienprojekten müsse die Unabhängigkeit und Professionalität der geförderten Medien sein.

Drei Projekte medialer Intervention bei Konflikten:

Studio Ijambo, Burundi/Agence Hirondelle, Tansania/Star Radio, Liberia

Der afrikanische Staat Burundi ist gekennzeichnet von starken ethnischen Gegensätzen zwischen den dort lebenden Angehörigen der Volksgruppen der Hutus und der Tutsis. Nachdem sich die Spannungen zwischen diesen Gruppen im benachbarten Ruanda 1994 in einem Völkermord entladen hatten, gab es Initiativen, eine ähnliche Eskalation in Burundi durch Präventionsarbeit zu verhindern. Eines dieser Projekt ist Studio Ijambo, eine Radioredaktion, die Sendezeit auf dem staatlichen Sender zur Verfügung hat. Die US-amerikanische NGO Search for Common Ground hat Studio Ijambo eingerichtet und lokale JournalistInnen angestellt. In gemischt-ethnischen Teams aus Hutus und Tutsis recherchieren sie Themen und setzen sie in Radio-Programme um, die mehrere Funktionen erfüllen.

Da Hutus und Tutsis gemeinsam auftreten, können sie Einblick in die Realität der ansonsten streng abgeschotteten anderen Gruppe bekommen und in die jeweils eigene Gruppe kommunizieren. Diese Teams erreichen auch eine besonders hohe Glaubwürdigkeit. Internationale Agenturen und Sender wie die BBC nutzen Studio Ijambo als Informationsquelle. Gesprächsrunden mit ModeratorInnen, die in konfliktlösender Gesprächsführung geschult sind, fördern den politischen Diskurs zwischen den verfeindeten Gruppen. Ergänzend wird eine Radio-Soap-Serie produziert, in der eine Hutu- und eine Tutsi-Familie Wand an Wand wohnen und ihre Alltagskonflikte ohne Gewalt lösen.

Der Genozid 1994 in Ruanda wird derzeit vor einem UN-Tribunal juristisch aufgearbeitet. Dieses Tribunal findet in Arusha, einer Provinzstadt Tansanias, statt. Die Kommunikationsinfrastruktur ist schlecht, internationale Medien waren dort überhaupt nicht vertreten. So könnte die juristische Aufarbeitung des Völkermordes in aller Stille stattfinden. Wenn nicht die Schweizer Stiftung Hirondelle, auf Medieneinsatz in der Konfliktbearbeitung spezialisiert, in Arusha eine Redaktion eingerichtet hätte. Die berichtet regelmäßig von der Arbeit des Gerichtshofes für den Hörfunk und die schreibende Presse in englisch, französisch und kinyruanda. Außerdem dokumentiert sie die Arbeit des Tribunals und macht die Dokumente im Internet verfügbar. Vor dem Tribunal in Arusha stehen übrigens auch Journalisten unter der Anklage des Völkermordes. Mit dem italienisch-belgischen Journalist Georges Ruggio wurde erstmals ein Journalist wegen seiner Hetze auf einem Radiosender (Milles Collines/MC, Ruanda) zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Herbst wird es einen weiteren Prozess gegen den Direktor und ein Mitglied des Trägerkreises von Radio MC sowie gegen den Chefredakteur der Zeitung Kangura geben.

Während des Bürgerkrieges in Liberia waren Radiosender wichtige Kriegsziele. Vor und noch lange während des Krieges gab es mehrere unabhängige Sender. Sie wurden jedoch nach und nach zerstört. Danach verfügte der einflussreichste Milizenchef mit seinen Sendern über ein Nachrichtenmonopol im Land, da die Infrastruktur, z.B. für den Zeitungsvertrieb, zerstört war und ein Großteil der Bevölkerung analphabetisch ist. Als ein Friedensprozess in Gang kam, richtete die Stiftung Hirondelle mit internationaler Unterstützung Star-Radio ein, mit leistungsstarken UKW- und Mittelwellensendern. Eine Redaktion aus einheimischen JournalistInnen machte ab Juni 1997 ein sehr erfolgreiches nachrichtenorientiertes Programm in 17 lokalen Sprachen, das im ganzen Land empfangen wurde und per Internet weltweit abgerufen werden konnte. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen mit der Regierung wurde Star-Radio am 15. März 2000 von den liberianischen Behörden geschlossen. Trotz intensiver Bemühungen auf vielen Ebenen konnte es bis heute nicht wieder auf Sendung gehen.

Von der Legitimität
medialer Intervention

Star-Radio wurde Opfer der Achilles-Ferse elektronischer Medien. Sie sind fast überall auf die Zustimmung der jeweiligen Regierungen angewiesen. Rechtliche Probleme gehören zu den größten Schwierigkeiten von Projekten der Konfliktbearbeitung durch Medien. Auf Einladung der Schweizer Stiftung Hirondelle fand deshalb im Juli 1998 in Genf ein internationales Kolloquium zu der Frage statt: Darf sich die internationale Gemeinschaft in die Belange der Information einer Region einmischen?

Das Ergebnis: Das internationale Recht kennt keine explizite Rechtsgrundlage für die Verbreitung unparteiischer Informationen (non-partisan-information) in einem Land, dessen Regierung dies nicht zulässt. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die Freiheit sich zu informieren sind individuelle Rechte. Wenn aber der Zugang zu unparteiischer Information für die Menschen in Krisenregionen unmöglich gemacht wird, kann ein Recht auf Einmischung entstehen. Nach der Genfer Konvention hat die internationale Gemeinschaft das Recht zur Einmischung wenn die humanitären Grundbedürfnisse nicht gesichert sind. Sie kann dann für die Deckung dieser Grundbedürfnisse sorgen, auch ohne das erklärte Einverständnis der jeweiligen Machthaber. Bei Beginn humanitärer Hilfeleistung kann auch die Einrichtung unparteiischer Medien zur Vorbedingung gemacht werden. Die UNESCO fordert dies seit vielen Jahren. Unter den Teilnehmenden des Kolloquiums herrschte Einigkeit, dass es sich bei der Frage des Zugangs zu unparteiischer Information um ein solches Grundbedürfnis handelt. Durch die regelmäßige Einbindung von Medienprojekten in humanitäre Hilfsmaßnahmen könnte ein Gewohnheitsrecht entstehen, eine noch zu erarbeitende internationale Konvention über das Recht zur Information wird angestrebt.

Literatur:

Bußler, Ingrid: Deeskalierende Friedens- und Kriegsberichterstattung. Eine kommentierte Bibliographie. Hagen 1998, Arbeitspapiere der LAG Friedenswissenschaft in NRW, Fern-Universität Hagen, Im Dünningsbruch 9, 5084 Hagen.
christiane.lammers@fernuni-hagen.de

Hartwig, Stefan: Konflikt und Kommunikation, Berichterstattung, Medienarbeit und Propaganda in internationalen Konflikten vom Krimkrieg bis zum Kosovo, Münster/W, Lit, 1999, ISBN 3-8258-4513-3.

Conflict and Peace Courses/Transcend Peace and Develpoment Network: The Peace Journalism Option, 1998, Taplow Court, Taplow, Bucks, SL6 OER, UK
www. conflictandpeace.org, info@ conflictandpeace

Conflict and Peace Forums/Transcend Peace and Develpoment Network: What Are Journalists For? The Peace Journalism Option 2, 1999 Taplow Court.

Dieselben: Using Conflict Analysis in Reporting, »The Peace Journalism Option 3«; 2000, Taplow Court.

Zhou Mei, Radio UNCTAD of Cambodia, Winning hearts and minds, White Lotus Verlag, Bangkok, 1994, ISBN 974-8496-17-1.

Galtung, Johan: low road – high road, in: track two, Vierteljahresschrift des Centre for conflict resolution and the media peace centre, c/o UCT, Private Bag, 7701 Rondebosch, Republik Süd-Afrika, Dezember 1998.

Manoff, Robert Karl: Role Plays, in track two, Vierteljahresschrift des Center for conflict resolution and the media peace centre, c/o UCT, Private Bag, 7701 Rondebosch, Republik Süd-Afrika, Dezember 1998.

Media and Conflict – Promoting Peace, A Symposium with journalists from Eritrea and Ethiopia, 24.-27.1.99, Documentations and reports, No. 1, editet by the Heinrich Boell Foundation, Berlin 1999.

Fachot, Morand: Tentative d'inventaire critique des radios et télévison de haine de paix actuelles, BBC Monitoring Service, März 1998, www.monitor.bbc.co.uk

print process special 2.000, Pressefreiheit – alles unter Kontrolle, www.printprocess.net

message, internationale Fachzeitschrift für Journalismus, www.message-online.com

Kontakte und weitere Informationen bei:

Fondation Hirondelle, 3, Rue Traversière, CH 1018 Lausanne, www.hirondelle.org

Search for Common Ground, 1601 Connecticut Avenue NW, Suite 200, Washington DC
20009, USA, www.searchforcommonground.org

Institut für strategische Kommunikationsforschung e.V., isk@excite.de

Conflict and Peace Forums/Transcend Peace and Develpoment Network, Taplow Court, Taplow, Bucks, SL6 OER, UK, www. conflictandpeace.org, info@ conflictandpeace

The Media Peace Centre, c/o UCT, Private Bag, 7701 Rondebosch, Republik Süd-Afrika.

Anmerkung

1) Bei dem Versuch, den Text geschlechtsneutral zu gestalten, fiel mir auf, dass viele Facetten journalistischen Verhaltens tatsächlich typisch männliche Verhaltensmuster sind. Ich habe deshalb an einigen Stellen bewusst darauf verzichtet, Kolleginnen einfach einzubeziehen und die männliche Form »Journalist« verwendet.

Diplom-Pädagoge Martin Zint arbeitet als Freier Autor, spezialisiert auf Westafrika und Medien in der Konfliktbearbeitung. Er ist Koordinator der AG »Qualifizierung für zivile Konfliktbearbeitung/Zivilen Friedensdienst«

Mediengestammel anlässlich eines Geiseldramas

Mediengestammel anlässlich eines Geiseldramas

Abu Sayyaf als Subunternehmer staatlichen Terrors

von Rainer Werning

So viel hochdotierte und zelebrierte Konfusion war selten, wie während der bewegten und bewegenden Tage des Geiseldramas auf der südphilippinischen Insel Jolo. Doch kaum ein Vertreter der mit modernstem technischen Gerät ausgestatteten, omnipräsenten und häufig live geschalteten Medienschar fühlte sich bemüßigt, den interessierten ZuschauerInnen das eigentlich nahe Liegende auch nur ansatzweise zu erklären: Wieso gelingt es ein paar geiselnehmenden Desperados immer wieder, mit einem Großaufgebot von bis zu 5.000 philippinischen Militärs Katz und Maus zu spielen und gebetene sowie ungebetene Vermittler mühelos auflaufen zu lassen? Wer und was steckt hinter Abu Sayyaf?

Der Medientross gefiel sich darin, Statements und Infohäppchen zu paraphrasieren, die ihm aus zivilen und militärischen Regierungsstellen in Manila und vom SouthCom, dem in Zamboanga beheimateten und für die Region zuständigen Südkommando, gesteckt wurden. Einige der vor Ort anwesenden JournalistInnen waren zuvor im Kosovo und in Tschetschenien und lechzten offensichtlich nach spektakulären Bildern, zu denen ihnen, so sie diese schließlich von philippinischen KollegInnen zugespielt bekamen, meistens nur Spruchblasen einfielen. Bevor auch nur Genaues über den Tathergang bekannt war, waren bereits die Täter ausgemacht und lief die Feindbildprojektion auf Hochttouren. „Islamistische Terroristen“, „Moro-Sezessionisten“ und „moslemische Rebellen“ seien dafür verantwortlich. Hartmut Idzko sprach am 25. April in der 20-Uhr-Tagesschau vom „Rebellenführer Abu Sayyaf“, was so präzise ist, als begrüßte im Gegenzug ein Moro den guten Korrespondenten mit »Hartmut Tagesschau«. Schließlich ist Abu Sayyaf der Name der Organisation, als ihr Chef gilt Khaddafy Janjalani. Unzählige Male wurde aber in den westlichen Medien der Vorsitzende der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), Hashim Salamat, als Abu Sayyaf-Chef ausgegeben. Der Geheimdienstgeneral José Calimlim wird sich ob seiner famos geglückten Desinformation mächtig gefreut haben. Salamat, den Vorsitzenden der heute bedeutsamsten und größten Moro-Widerstandsbewegung, in einen Topf mit Abu Sayyaf zu werfen, ist nicht nur gefährlicher Unfug – das hat Methode. Schließlich hat Präsident Joseph Estrada höchstpersönlich mehrfach öffentlich den „Moro-Rebellen den totalen Krieg“ erklärt und ihnen Anfang Mai unterschiedslos mit ihrer „Pulverisierung“ gedroht.

Günter Ederer, von 1985 bis 1990 ZDF-Korrespondent in Ostasien, gelang in einem Beitrag für Die Welt (4. Mai) ein nachgerade müheloser Rückfall hinter Karl May. Darin heißt es u.a.: (…) fasziniert mich am meisten, wie der wilde und unzivilisierte Stamm der Tausugs (…) es geschafft hat, seine Räuberei und Piraterie international als islamischen Aufstand hoffähig zu machen. (…) Die Stunde von Nur Misuari schlug unter Präsident Ramos. Die Pfründe wurden neu verteilt. Seine bewaffneten Krieger übernahmen die Rolle der Ordnungsmacht und seit er im Palast der autonomen Verwaltung in Zamboanga Platz nehmen durfte, sitzt er an den Einnahmequellen. Prompt entstand eine neue »Befreiungsarmee«, die Abu Sayyaf.„ Da verschränken sich rassistische Versatzstücke mit purem Unsinn. Die autonome Verwaltung, die Herr Ederer meint, ist die »Autonomous Region of Moslem Mindanao« (ARMM), deren Gouverneur Misuari ist, die aber ihren Sitz in Cotabato City (Maguindanao) hat. Seinen Frieden schloss Misuari mit Ex-Präsident und Ex-General Fidel V. Ramos am 2. September 1996. Demnach ist laut Ederer das Geburtsdatum der Abu Sayyaf nicht vor September 1996 festzumachen. Da muss er, dessen Beitrag mit einem postkolonialem Charme ausstrahlenden Privatfoto (zusammen mit waschechten Piraten) versehen wurde, fast ein Jahrzehnt dieser trüben Truppe übersehen oder vergessen haben.

Ähnliche »Qualität« im Kölner Stadt-Anzeiger (8.5.), der in völliger Verkehrung der Realität seinen Philippinen-Beitrag mit „Moslems führen gegen Manila Krieg“ betitelte! Sympathischer wirkten da schon zwei Beiträge von Tilmann Bünz und Uwe Kröger. Erstgenannter meldete sich am 8. Mai in der Nachmittagsausgabe der Tagesschau zu Wort, um als Neuigkeit das Ende der Vermittlerrolle des philippinischen Chefunterhändlers Nur Misuaris zu verkünden – was zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht stimmte! Sein Resümee: Die ganze Lage sei verwirrend und chaotisch, man blicke kaum noch durch. Einen Tag später (9. Mai) meldete sich sein ZDF-Kollege Kröger im heute journal mit einem Feature aus Basilan, jener Insel, auf der Abu Sayyaf eine ganze Schulklasse als Geiseln genommen und der Provinzgouverneur Wahab Akbar im Gegenzug Verwandte und Freunde des Abu Sayyaf-Chefs Khaddafy Janjalani gekidnappt hatte. Dort sprach er wenigstens mit Kindern dieser Schulklasse, denen die Flucht geglückt war und ließ sie selbst zu Wort kommen.

Im Zeitalter schneller Bilder und rasanter Globalisierung gerät offensichtlich die seriöse Recherche immer stärker unter den Hammer. Unter dem Zwang, in höchstens drei Minuten Substanzielles zu sagen, wird Plattitüde zum Programm.

Metamorphosen des Terrors

Abu Sayyaf (wörtlich: »Vater des Schwertes« oder »Vater des Scharfrichters«) ist ein komplexes Phänomen, das überdies einige Metamorphosen erlebte. Ihre Ursprünge reichen zurück in die Ära der Marcos-Nachfolgerin Präsidentin Corazon Aquino, mit der der Gründungsvorsitzende der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) und langjährig im libyschen Exil weilende Nur Misuari 1986/87 Friedensgespräche führte. Sie scheiterten auf der ganzen Linie und führten vor allem auf der Insel Basilan – später auch auf Jolo und Tawi-Tawi – zur Desillusionierung einstiger Weggefährten. Misuari war dieser Gruppe von Ex-MNLF-Kämpfern suspekt geworden und hatte seine Führungsrolle verspielt. Als neue Leitbilder galten fortan Ayatollah Khomeini (Riesenposter von ihm prangten in Dschungelcamps, vermittelt von iranischen Missionaren) und die hauptsächlich von Pakistan aus operierenden Widerstandskämpfer gegen das Kabuler Regime und die sowjetischen Besatzertruppen. Einige Abu Sayyaf-Mitglieder erhielten dort ebenso eine militärische Ausbildung wie später unter den Taliban-Milizen.

Zu Beginn der 90er-Jahre kam eine neue Komponente ins Spiel, die für das philippinische Militär und den Geheimdienst des Landes wenig schmeichelhaft ist. Ich beschränke mich hier auf den Fall von Edwin Angeles. Dieser, ein Agent der Sicherheitskräfte, trat zu der Zeit zum Islam über, avancierte alsbald zu einem der Feldkommandeure von Abu Sayyaf und war für mehrere deren Militäroperationen verantwortlich. 1995 kehrte Angeles der Abu Sayyaf den Rücken, tauchte unter, um im Januar 1999 von Sicherheitskräften erschossen aufgefunden zu werden. Einen Monat zuvor hatte es den Gründer von Abu Sayyaf, Abdurajak Abubakar Janjalani erwischt, der während eines Feuergefechts mit Armeeeinheiten ums Leben kam. Seitdem hat sein Bruder Khaddafy Janjalani die Führung der zirka 800 Mann starken, militaristischen Gruppe übernommen, deren Mitglieder überwiegend auf Yakan rekrutiert wurden. Auch er eine schillernde Person: Khaddafy diente einst in der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) und stand zeitweilig unter Aufsicht der Streitkräfte (AFP) in Manilas Camp Crame. Bis heute bleibt unklar, ob er auf freien Fuß gesetzt wurde, entfliehen konnte oder in bestimmter Mission tätig ist. Jedenfalls gehörten Kidnapping (zumeist reicher Geschäftsleute), Lösegelderpressungen und Terroranschläge gegen zivile Einrichtungen zum Repertoire dieser Gruppe. Die aus diesem »Business« erzielte Beute, auch das gilt es im Detail zu klären, kam nach Einschätzungen zuverlässiger Quellen vor Ort teilweise lokalen und regionalen Politikern und Militärs direkt oder indirekt zugute. Diese revanchierten sich, indem kaum eine Aufklärung – von einer rechtskräftigen Verurteilung ganz zu schweigen – spektakulärer Abu Sayyaf-Aktionen stattfand. Bei ihrem Angriff auf den Ort Ipil starben 1995 über 50 Menschen und vor Weihnachten 1998 machten sie durch Granatenanschläge gegen Kirchen und ein Einkaufszentrum in Zamboanga City von sich reden, bei denen 60 Personen zum Teil schwer verletzt wurden.

Am 8. Mai hielt Senator Aquilino Pimentel in seinem und im Namen der anderen beiden aus Mindanao stammenden Senatoren Teofisto F. Guingona und Robert Z. Barbers im philippinischen Senat eine bemerkenswerte Rede. Erstens handelte es sich um eine parteiübergreifende Stellungnahme. Zweitens attackierte sie scharf die neuerliche Entfesselung des Krieges in Zentralmindanao, der bis zum 10. Mai bereits 160.000 Menschen zu Vertriebenen machte und Hunderte von Toten forderte. Schließlich enthielt sie Pikantes zur Abu Sayyaf. In dieser mit »Stop Hostilities for the People`s Sake« betitelten Stellungnahme heißt es beispielsweise: „(…) Die MILF und Abu Sayyaf ständig zusammenzuwürfeln, als handele es sich um ein und denselben Hund mit unterschiedlichen Halsbänden, ist unstatthaft. Die MILF hat eine politische Agenda. Die Abu Sayyaf ist eine durch und durch kriminelle Vereinigung. Die MILF kämpft dafür, die eigene Kultur, Religion und Identität zu wahren. Abu Sayyaf kämpft hingegen, um ihre Verbrechen in ein Business zu verwandeln, von dem einzig diese Gruppe profitiert. Abu Sayyaf-Kämpfer wurden ursprünglich als freiwillige Moujahedeen rekrutiert, um im amerikanischen Stellvertreter-Krieg in Afghanistan in den frühen 90er Jahren zu dienen. (…) Finanzielle und logistische Unterstützung erhielt Abu Sayyaf von US-Undercover Agents – mit eventueller Verbindung zur CIA. Osama Bin Laden könnte dabei den Hauptkurier gespielt haben, was entweder die finanzielle Unterstützung oder Waffenlieferung an Abu Sayyaf oder gar beides betrifft.“ Sollte sich dies bewahrheiten, hieße das Fazit: Widerstandskämpfer werden von einflussreichen politischen Kräften zuerst kreiert und politisch instrumentalisiert, um im Bedarfsfall zu Terroristen abgestempelt und in den Orkus verbannt zu werden.

Misuaris zum Scheitern verurteilte Mission

Die Entwicklungen lassen vermuten, dass es »Koordinationsschwierigkeiten« und Kompetenzgerangel zwischen zentralen und regionalen/lokalen Instanzen gibt – sozusagen ein Zentrum-Peripherie-Konflikt auf anderer Ebene. Im Vorfeld der seit 1993 hauptsächlich in Indonesien geführten Gesprächsrunden zwischen der MNLF und der Ramos-Regierung, die am 2. September 1996 zur Unterzeichnung des endgültigen Friedensvertrages führten, war Abu Sayyaf ein wesentliches Destabilisierungselement, von sämtlichen reaktionären Kräften als eine Art Subunternehmen instrumentalisiert, um Chaos und interreligiöse Konflikte gezielt zu schüren und Misuaris »Kapitulation« (Hashim Salamat) zu beschleunigen. Ein halbes Jahr vor Unterzeichnung des Friedensabkommens, im März 1996, hatte Misuari in einem langen Gespräch mit dem Autoren in Jolo noch die Hoffnung gehegt, ein »Arafat der Moros« zu werden. Ein fataler Trugschluss: Sein Schulterschluss mit dem Korea- und Vietnamkriegsveteranen und an US-amerikanischen Militärakademien in PsyOp (psychologische Kriegsführung) geschulten Ramos ließ ihn schrittweise und unaufhaltsam zur Fußnote (einige seiner Weggefährten setzen das Adjektiv »lächerlich« hinzu) des Moro-Widerstandes herabsinken. Der Friede blieb brüchig und die Performance des als ARMM-Gouverneur vollständig ins System integrierten Misuari grotesk. Kein Wunder, dass Manila nunmehr alles daran setzt, die bereits 1978 von der MNLF abgespaltene MILF als Pfahl im Fleisch zu betrachten und sie, die nach wie vor für Unabhängigkeit einsteht, zu »befrieden«. Und gleichsam ist es nicht erstaunlich, dass Misuari als Vermittler im Geiseldrama von Anfang an strikt abgelehnt und selbst unter seinen Tausug-Gefolgsleuten als »parenta« eingestuft wurde. Was frei übersetzt so viel bedeutet wie »Der hat denselben Stallgeruch wie die Regierung«. Die allererste Forderung der Geiselnehmer war denn auch die sofortige Absetzung Misuaris als Chefunterhändler – ein Zeichen dafür, dass zentralen Vermittlungsinstanzen weniger Gewicht als regionalen/lokalen zukommt.

Es sind zu Misuari auf Distanz gegangene Ex-MNLFler, die direkt oder indirekt mit Abu Sayyaf kooperieren. Damit aber kommt nolens volens die Staatsmacht auf peripherer Ebene ins Spiel. Das am 2. September 1996 zwischen der MNLF und Manila geschlossene Friedensabkommen sieht als einen wesentlichen Bestandteil die Integration 7.500 früherer MNLF-Kämpfer in die Streitkräfte (AFP) und Nationalpolizei (PNP) vor. Dieser Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen. Doch die bereits Integrierten pflegen enge Kontakte zu ihren Weggefährten, einschließlich der Abu Sayyaf – wichtiger noch: Sie sind oftmals verwandtschaftlich mit ihnen verbunden. Bekanntlich ist Blut dicker als Wasser. Da saßen denn Burschen, die Kidnapping als Einkommen schaffende Maßnahme betrachten, in mehreren Barangays (Barrios) von Talipao und Patikul mit ihren Geiseln und ließen andere Segmente/Fraktionen des Militärs im Dunkeln tappen. Talipao und Patikul aber sind seit langem einige der zahlreichen Domänen der MNLF, die sich von Misuari verschaukelt fühlen, da dieser sie nach September 1996 wie eine heiße Kartoffel fallen ließ.

Als Hauptverantwortlicher der Geiselnahme gilt Galib Andang alias Kommandeur Robot. Andang ist ein notorischer Krimineller, der seit längerem im Sulu-Archipel sein Unwesen treibt und als Drahtzieher in mehreren Erpressungs- und Kidnapping-Fällen gilt. Was Misuaris Verhandlungsrolle und die der wegen ihrer Nähe zu ihm ebenfalls scheiternden Unterhändler erschwert(e) ist die Tatsache, dass hinter Andang mit Mujib Agga Susukan, Said Suaib und Abu Pula Jumdail drei Kommandeure stehen, die alte Rechnungen mit Misuari, mithin also mit dem Staatsapparat, zu begleichen haben. Der Vater von Mujib beispielsweise, ein alter Kampfgefährte Misuaris und MNLF-Provinzkommandeur, kam vor einigen Jahren in einem Feuergefecht mit Regierungstruppen ums Leben. Und Mujib selbst, der Misuari nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1996 um politische und finanzielle Unterstützung bat, fühlte sich maßlos brüskiert, als dieser ihn einfach links liegen ließ.

Ablenkung vom Krieg in Zentralmindanao

Der von den westlichen Medien anfänglich so hoch geschätzte Friedensmakler Misuari blockierte letztlich eine sensible und diskrete Verhandlung mit unkonventionellen Mitteln. Das heißt, die Kanäle waren blockiert für solche Avancen, die jenseits des Scheinwerferlichts hätten genutzt werden können, aber aufgrund der auf eine Kriegslogik eingeschworenen Regierung nicht zum Zuge kamen. So verhandelte Misuari tagelang mit seinem eigenen Schatten. Gleichzeitig aber waren nur wenige erpicht, in diesen Schatten zu treten. So ist denn die Zentralregierung Opfer und Täter zugleich einer Politik, die auf zentraler Ebene aus den Fugen gleitet und regional/lokal tatkräftig den Geiselnehmern zuarbeitet.

Natürlich verdienen die 21 Geiseln Mitgefühl, aber es ist skandalös, wenn nur über die Geiseln und nicht auch über die 160.000 zwangsevakuierten Opfer staatsterroristischer Aktionen in Zentralmindanao informiert wird. Unweit Zamboangas, im Hochland von Maguindanao, den beiden Lanao-Provinzen und selbst in Städten wie Davao und General Santos führt das Militär seit März Großoffensiven gegen die MILF durch und wiegelt von ihr kurzerhand aus dem Boden gestampfte paramilitärische Banden auf, interreligiösen Hass zu säen. Seit Anfang Mai haben Marine- und andere Eliteeinheiten der philippinischen Armee ihren Belagerungsring um das MILF-Hauptquartier Camp Abubakar, in den beiden Lanao-Provinzen und in Maguindanao enger gezogen. Gleichzeitig wurden über 1.000 frisch rekrutierte Paramilitärs, Mitglieder der sogenannten CAFGU (Citizen Armed Forces Geographical Units), zur Unterstützung der Armee in das Gebiet abkommandiert. Gut die Hälfte der Kampfverbände ist somit im Süden des Archipels konzentriert. Der Narciso Ramos Highway, der die Provinzen miteinander verbindet, wurde für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Elektrizitätsmasten wurden vielerorts in die Luft gesprengt, Banken ganz oder zeitweilig geschlossen, Flüge zwischen Manila und Cotabato City und General Santos City kurzerhand eingestellt. Willkürliche Verhaftungen nehmen zu und erinnern fatal an die bleiernen Marcos-Jahre. Sollte ein Großangriff auf Camp Abubakar erfolgen, wäre das der Beginn eines neuerlichen offenen Bürgerkrieges! Manilas Regierung scheint die Eskalation der Gewalt billigend in Kauf zu nehmen. Der von zahlreichen Skandalen und Korruptionsaffären lädierte Präsident folgt mit seinen Militärs einer Kampf- und Kriegslogik, die der Ex-Schauspieler früher bevorzugt in Billigproduktionen zelebrierte. Verantwortlich ist letztlich er, den das Auswärtige Amt und die EU (vertreten durch Javier Solana) noch immer hofieren. Das vertrackt die Lage und verheißt wenig Gutes.

Als Geste des guten Willens erklärte die MILF am Abend des 5. Mai eine einseitige Feuerpause, die ab dem 6. Mai morgens in Kraft trat. Die Regierung hat jedoch zum Entsetzen zahlreicher NROs und namhafter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – darunter Erzbischof Orlando Quevedo und der rührige Friedensadvokat Fr. Eliseo Mercado aus Cotabato City – diese Geste missachtet. Verteidigungsminister Orlando Mercado und Generalleutnant a.D. Edgardo Batenga, Chefunterhändler Manilas bei den zwischenzeitlich geplatzten Friedensgesprächen mit der MILF, spielten die Ahnungslosen und verschanzten sich hinter der Ausrede, weder der eine noch der andere hätte die Order zur neuerlichen Offensive gegeben. So desolat deren Informationspolitik ist, so draufgängerisch gebärdet sich weiterhin Estrada. Der Mann hat, wenn immer er ausgerechnet den Süden seines Archipels besucht, die Chuzpe, im Kampfanzug zu erscheinen – ein famose Geste gegenüber den Moros. Das wagte nicht einmal die rechte Hand von Marcos und dessen Kriegsrechtsverwalter und Ex-Präsident Ramos. Der General a.D. war wenigstens so sensibel, während seiner Amtszeit stets in Zivil zu erscheinen.

Eigentlich genügend Stoff für qualitative Hintergrundberichte im Umfeld eines Geiseldramas.

Anmerkung

Das vorliegende Manuskript wurde am 10. Mai abgeschlossen.

Dr. Rainer Werning, Geschäftsführer der Stiftung für Kinder (Freiburg i.Br.) und Vizepräsident des International Forum for Child Welfare (Genf/Brüssel), befasst sich seit 1970 u.a. intensiv mit der Mindanao- und Moro-Problematik. Erst kürzlich kehrte er von einer neuerlichen Reise nach Mindanao, Sabah (Ostmalaysia) und Jolo zurück.