Friedensjournalismus – Möglichkeit oder Utopie?

Friedensjournalismus – Möglichkeit oder Utopie?

von Nadine Bilke

Schon die Verbindung der Wörter Frieden und Journalismus provoziert in der Medienbranche mehr Widerspruch als Zustimmung: Journalisten müssen objektiv sein, heißt es ablehnend. Doch ist die vorherrschende Berichterstattung über Kriege und Konflikte denn objektiv? Einzig die Frankfurter Rundschau machte in der Berichterstattung über die letzten Kriege ihre LeserInnen täglich darauf aufmerksam, dass die Redaktion weitgehend auf Informationen der führenden Kriegspartei angewiesen sei und deren Wahrheitsgehalt oft nicht überprüft werden könne. Tatsächlich geht die Kritik aber noch weiter: Eine Mehrheit der JournalistInnen übernimmt nicht nur Informationen ohne Gegenrecherche, sie bedient sich auch der Sprache der Kriegsparteien.
Nadine Bilke plädiert für einen friedensjournalistischen Lernprozess, dafür dass JournalistInnen von der Friedenswissenschaft lernen, z.B. die Sensibilität im Umgang mit Begriffen wie Krise oder Krieg, die gründliche Analyse einer Konfliktkonstellation und die Diskussion möglicher Schritte zu einer zivilen Lösung der Konflikte.

Zahlreiche Studien zeigen, dass Medien nicht objektiv über Krisen und Kriege berichten: Sie stehen vor allem auf der Seite ihrer Regierung und so genannter nationaler Interessen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür lieferten die US-amerikanischen Medien nach dem 11. September und während des Irak-Krieges. Patriotismus als Mittel zur Disziplinierung der Medien: Wer der offiziellen Lesart der Ereignisse widersprach, liebte sein Land nicht und stand damit auf der »anderen Seite«. Diese Reduzierung auf zwei Lager ist ein typisches Muster in der Berichterstattung. Das gilt für die Parteien in einem Krieg: die »bösen Serben« gegen die »guten Kroaten«. Das gilt auch für die Debatte zwischen Kriegsgegnern und -befürwortern in dem am Krieg beteiligten Ländern. Im Kosovo-Krieg waren die Fronten hierzulande klar abgesteckt. »Nie wieder Auschwitz« gegen »Nie wieder Krieg«: Der Gute führt Krieg, der Böse lässt den Völkermord zu. Erzählt werden also Geschichten von Gut und Böse, die mit den Realitäten des Konfliktverlaufs nur noch wenig zu tun haben.1Die Schnelligkeit der Live-Berichterstattung begünstigt diese vereinfachte Wiedergabe. Moderne Kriege sind Medienereignisse. Die Entwicklung des Live-Krieges ist am zweiten und dritten Golfkrieg zu beobachten: Im zweiten Golfkrieg dominierten noch die zum Teil mit viel Verspätung freigegebenen »technischen« Momentaufnahmen, im dritten berichteten eingebettete Journalisten rund um die Uhr direkt vom Ort des Geschehens. Auch die Sprache der Berichterstatter hat häufig einen wenig objektiven Klang. Journalistinnen und Journalisten nennen dem Krieg Friedensmission oder Befreiungsaktion, sie reden von einem Vorstoß oder gar von einer Razzia gegen Paramilitärs. Mit diesen Wortschöpfungen verharmlosen sie nicht nur das Geschehen, sie schaffen auch neue Realitäten, z.B. durch die Benutzung der neuen Kreation »vorbeugender Krieg«.2Man gewinnt den Eindruck, viele Medien gehen an die Bearbeitung des Krieges als Kampf- und Schoßhund. Sie mögen den Konflikt, denn er bringt gute Stories und gute Bilder, er bringt Auflage – das weckt den Kampfhund. Sie trauen sich keine eigene oder gar oppositionelle Position zu, schmiegen sich als Schoßhund in die Arme ihrer nationalen Regierung.3

Eine Umorientierung in Richtung hin zu einem Friedensjournalismus ist also dringend erforderlich. Dabei geht es nicht darum, einen parteiischen »Kriegsjournalismus« durch einen parteiischen »Friedensjournalismus« zu ersetzen. Es geht darum, dass der Journalismus die Fähigkeit zur gründlichen Konfliktanalyse entwickelt aus einer »überparteiischen Situation« heraus. Damit könnten die Medien überparteiische Vermittler im Friedensdienst unterstützen und auch selbst vermittelnd eingreifen.

Rechtliche Grundlagen

Diese Verantwortung lässt sich auch aus rechtlichen Grundlagen ableiten, denn Journalismus schwebt keineswegs in einem wertefreien Raum. Seine grundlegenden Normen sind auf nationaler und internationaler Ebene festgelegt. Aus dem Grundgesetz, den Landesmediengesetzen und verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich unter anderem folgende Funktionen ableiten: Medien sollen Information und Orientierung bieten, sie sollen ein Forum sein für verschiedene Meinungen, sich selbst kritisch äußern und Kontrolle ausüben gegenüber der Regierung. Damit sollen sie die Meinungsbildung der Bürger ermöglichen. Insofern bilden die Medien eine Grundlage der Demokratie. Sie legitimieren Herrschaft durch die Herstellung von Öffentlichkeit. Ohne Medien, die sich diesen Anforderungen stellen, kann Demokratie nicht funktionieren. Und damit führt diese Begründung – obwohl abgeleitet aus deutschen Gesetzestexten – zu einer allgemeineren demokratietheoretischen Einsicht.

Im internationalen Rechtsrahmen bilden die Menschenrechte den wichtigsten Orientierungspunkt. Menschenwürde legt den Grundstein für die anderen Rechte, die zusammengenommen ein Konzept für Frieden darstellen – ein Konzept, das über die reine Abwesenheit von Krieg hinausgeht und den Rahmen für soziale Gerechtigkeit liefern will. Neuere Ansätze im Völkerrecht sehen die Demokratie als die geeignete Staatsform zur Umsetzung dieser Rechte und damit schließt sich der Kreis zur Aufgabe der Medien in einer Demokratie. Grundlegende völkerrechtliche Prinzipien sind in Deutschland entweder dem Grundgesetz übergeordnet oder in nationales Recht überführt. Ähnliches gilt für andere Länder. Schon die rechtlichen Zielvorgaben führen also zu dem Schluss, dass der Frieden ein legitimes Ziel journalistischer Arbeit darstellt.4

Medienwirkungen

Ihr großes Wirkungspotenzial unterstreicht die Verantwortung von Konfliktberichterstattern. Auf individueller, nationaler und internationaler Ebene wirkt ihr Verhalten zurück auf die Konfliktparteien und damit auf den Konfliktverlauf.5

Zunächst beeinflusst jeder Journalist einen Konflikt ganz direkt durch sein eigenes Handeln. Er spricht mit Konfliktparteien, ist vielleicht selbst vor Ort. Damit bildet er eine Einflussgröße im Geschehen. Seine Auffassung vom Konflikt fließt ein in seine Berichte. Sein Bild der beteiligten Gruppen oder Kulturen schlägt sich nieder in seiner Arbeit.

Diese Berichterstattung hat Einfluss auf sein Publikum. Studien belegen, dass speziell über das Geschehen im Ausland nur wenig stabiles Wissen vorhanden ist. In Krisenzeiten aber fragen besorgte Menschen verstärkt nach Nachrichten. Diese Kombination aus einer großen Nachfrage und geringem Wissen eröffnet neue Spielräume für den Einfluss der Medien. Das Bild des Publikums, die öffentliche Meinung zu einem Konflikt, beeinflusst auch den weiteren Konfliktverlauf auf internationaler Ebene. Wenn der offene, wahrhaftige Diskurs Voraussetzung ist zur Kontrolle und Bewertung des Regierungshandelns, dann sind Medien der Schlüssel zu einem friedlichen Verhalten demokratischer Staaten. Öffentlicher Druck, diese Position vertreten einige Studien, kann ein starker Politikimpuls werden, unter bestimmten Bedingungen sogar Militäreinsätze auslösen oder beenden.

In einer Welt, in der Medien zunehmend globalisiert sind, wird die Berichterstattung außerdem zu einem eigenen Kommunikationskanal zwischen den Konfliktparteien, denken wir an CNN und zunehmend auch Al Dschasira. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist aber nicht nur Kommunikationskanal, sondern vor allem auch Informationskanal für Entscheidungsträger. So bestimmt sie – natürlich zusätzlich zu anderen Quellen – auch Wahrnehmungsmuster, die Grundlage von politischem oder militärischem Handeln werden können.6

Friedensjournalismus

Journalistinnen und Journalisten haben also immer einen Einfluss auf das Geschehen – teilweise auch schon vor der Berichterstattung, falls nämlich Akteure in einem Konflikt ihr Handeln auf die potenzielle Medienwirkung ausrichten. Friedensjournalismus kann helfen, dieser journalistischen Verantwortung gerecht zu werden. Das Konzept stellt keineswegs eine zusätzliche Arbeitsbelastung dar, sondern bietet eine grundsätzliche Ausrichtung: Wie berichte ich über Konflikte, wie stelle ich Menschen dar, welche Lösungen präsentiere ich? Dabei wenden Journalisten Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung an, um eine Krisensituation zu schildern. Die folgenden Vorschläge können eine Basis bilden für konkrete Vorgehensweisen, die angepasst sein müssen an die Konfliktkonstellation und die eigenen Handlungsmöglichkeiten.

Die benutzte Systematik lehnt an die Modelle von Johan Galtung und Wilhelm Kempf an.7 Galtung entwickelt vier große Ziele: Frieden/Konflikt, Wahrheit, Menschen und Lösung. Wenn Friedensjournalismus genau wie der Frieden selbst als ein Prozess begriffen wird, gehören zu diesen Feldern auch die Wege um sie zu erreichen: Konfliktanalyse/Friedfertigkeit, Wahrhaftigkeit, Empathie und Kompromissbereitschaft.

Konfliktanalyse

Am Anfang einer jeden Konfliktanalyse muss das Wissen um die eigene Befangenheit stehen. Jeder, der sich einem Konflikt nähert, nimmt die Beteiligten, ihre Ziele und Vorgehensweisen aus einer anderen Perspektive wahr. Er muss versuchen, sich gegen Vorurteile und Stereotypen zu wehren, um eine detaillierte Analyse zu erreichen. Damit öffnet sich der Blick auf eine komplexe Konfliktkonstellation, die allen Beteiligten die Chance auf einen für sie positiven Ausgang einräumt.

Jeder Konflikt hat mehr als zwei Seiten, viele beteiligte Parteien, viele Interessen, Ziele und Themen müssen beachtet werden; auch innerhalb einer Konfliktpartei sind nicht alle Menschen einer Meinung.

Das Problem sind nicht die Parteien selbst oder gar einzelne Menschen, das Problem ist vor allem die Eskalation des Konfliktes in Gewalt. Gewalt wird nicht um ihrer selbst willen angewandt, verfeindete Parteien kämpfen um politische und wirtschaftliche Macht.

Gewalt zerstört – deshalb ist ein weiteres Ziel die Verhinderung einer solchen Eskalation. Wer Konflikte einordnen kann, ist vielleicht auch in der Lage ihre Eskalationsstufen zu analysieren und dem Ausbruch von Gewalt entgegenzuwirken.

Wahrhaftigkeit

Objektivität ist ein Schlüssel zum Friedensjournalismus, allerdings wird Objektivität hier nicht als Neutralität, als Präsentation der einen Wahrheit verstanden, sondern als ein kritisches Abwägen der Positionen. Wer glaubt, das eine Bild der Wahrheit darstellen zu können, läuft Gefahr, seinen eigenen Standpunkt nicht ausreichend zu reflektieren. Wenn offizielle Quellen, auf die sich Journalisten gern verlassen, mit ihren Informationen den Einsatz von Gewalt rechtfertigen, haben Journalisten nicht nur die Wahl, das ungefiltert weiterzugeben oder nicht, sie können sich durchaus entscheiden, ob sie kriegerische oder friedliche Mittel befürworten.

Friedensjournalismus kann nicht heißen, dass Journalistinnen und Journalisten unkritisch Partei ergreifen für eine am Konflikt beteiligte Gruppe. Sie sollen vor allem Partei ergreifen für eine friedliche Lösung, über den Dingen stehen und dennoch emotional mitten im Geschehen. In einem Konflikt hat keine Partei die absolute Wahrheit auf ihrer Seite, auch die Opfer von Gewalt nicht. Friedensjournalisten müssen diese Kriegskultur durchschauen und sich gegen vorgefertigte Erwartungshaltungen durchsetzen. Sonst laufen sie Gefahr, auf Kriegspropaganda hereinzufallen.

Wichtig ist dabei vor allem das Hinterfragen der eigenen Position (Wie bewerte ich diesen Konflikt?), der eigenen Kultur (Wie rechtfertigt mein kultureller Hintergrund Gewalt?), des eigenen Landes (Genügen westliche Demokratien ihren eigenen Maßstäben?) und des eigenen Mediums (Welche Wirkung haben bestimmte Bilder, bestimmte Darstellungsformen?).

Empathie

In modernen Kriegen bleibt die Gewalt häufig unsichtbar. Friedensjournalisten müssen sie sichtbar machen, um die Unmenschlichkeit der Eskalation zu zeigen. Wer versucht, im Angesicht von Gewalt nur kühl und sachlich zu bleiben, läuft Gefahr, in einen unmenschlichen Zynismus abzugleiten. Menschliche Betroffenheit ist – aus einer überparteilichen Perspektive entsprungen – ein Schlüssel zum besseren Verständnis einer Krise.

Auf allen Seiten gibt es Gewalt und Opfer. Ebenso gibt es auf allen Seiten Menschen, die sich für eine friedlichere Zukunft einsetzen. Auch sie sollten ihren Platz in der Berichterstattung haben.

Lösung

Friedensjournalisten dürfen Konflikte nicht als Rennen um den Sieg verstehen. Sie müssen sich an einer Lösung des Konfliktes orientieren, möglichst einen kreativen Prozess anstoßen durch ihre Themenauswahl und ihre Fragestellungen. Sie können z.B. über Friedensinitiativen berichten oder auch eine Konfliktpartei mit den Lösungsvorschlägen einer anderen konfrontieren. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist ein Schwerpunkt der Friedensberichterstattung, dabei soll sie nicht unkritisch über Differenzen hinwegsehen, sondern diese genau analysieren.

Am Ende muss die Erkenntnis stehen, dass alle Seiten von einer friedlichen Lösung profitieren würden. Viele Menschen, die am Konflikt beteiligt sind, haben also zumindest ein gemeinsames Interesse. Das macht Hoffnung auf die Möglichkeit eines Zusammenlebens und einer Verständigung – auch in interkulturellen Konflikten. Die heutige Welt scheint zunächst wenig friedlich und doch sind einige Ansätze für eine neue Konfliktkultur vorhanden: Strategien der Konfliktforschung, die Tradition der Gewaltfreiheit und das weltweite Netz sozialen Engagements können Hinweise liefern. Hier muss sich ein Friedensjournalist auch fragen, welche Alternativen es zur Gewaltlastigkeit des eigenen Mediums gibt.8

Arbeitsbedingungen

Die Strukturen in den Medien9 schaffen Arbeitsbedingungen, die den gerade beschriebenen Anspruch nicht unbedingt begünstigen. Um nur einige zu nennen: Journalisten werden beeinflusst von Zeitmangel, Konkurrenzdenken und Kostendruck. Auch die Strukturen müssten sich also ändern, damit Reporter dem Konzept eines Friedensjournalismus gerecht werden können. Allerdings kann diese Änderung im System nicht die Voraussetzung sein, um friedensjournalistisch zu arbeiten, denn dann wäre das Ziel nicht zu verwirklichen. Also kann Friedensjournalismus zunächst nur eine Aufforderung an jeden einzelnen Journalisten sein. Denn jede und jeder Einzelne hat trotz aller Vorgaben noch Spielräume bei seiner Arbeit. Ein Chef vom Dienst muss während des Irak-Krieges wahrscheinlich ein Schaltgespräch anordnen zu dem eingebetteten Reporter, der den Sender viel Geld kostet. Er kann allerdings auch entscheiden, der Sendung einen hintergründigen Beitrag über die Konfliktursachen im Irak hinzuzufügen.

Optimalerweise sollte das Konzept eines Friedensjournalismus all die hinderlichen Strukturen und Einflüsse einschließen. Da das zumindest kurzfristig nur eine Utopie sein kann, kann Friedensjournalismus seinen Praxisbezug nur behalten, wenn er als mehrstufiger Prozess begriffen wird. Diese Palette beginnt bei einfachen Regeln journalistischen Handwerks: Mehrere Quellen benutzen, beide Seiten anhören, nicht nur Machteliten zu Wort kommen lassen. Sie führt zu höheren Sphären der Konfliktanalyse: Dualität aufzubrechen, die Argumente aller Seiten zu hinterfragen. Und schließlich fordert Friedensjournalismus von jedem Einzelnen, sein Medium, sich selbst und sein eigenes Weltbild in Frage zu stellen. Ultimatives Ziel des Ansatzes ist es, einen konstruktiven Beitrag zur Lösung des Konfliktes zu leisten.

Umsetzung

Friedensjournalistische Strategien können keine Patentrezepte für jede Konfliktsituation sein. Journalisten müssen ihre Anwendung anpassen an die Situation vor Ort: Sollen Sie vor einer Eskalation warnen? Können sie während eines Kriegs den Betroffenen wertvolle Informationen liefern? Wie können sie nach einer Krise einen Beitrag leisten zu Wiederaufbau und Versöhnung? Beispiele für eine solche Arbeit liefern Medienprojekte von Nichtregierungsorganisationen: Die US-amerikanische Organisation Search for Common Ground und die Schweizer Stiftung Hirondelle bauen z.B. unabhängige Medien in Krisenregionen auf. Durch Trainingsprogramme können solche Initiativen auch auf die nationalen Medien eines Landes wirken, das Peace Media Centre in Kapstadt ist eins von vielen Projekten, die so arbeiten.10 Journalisten, die in Krisengebieten leben und gleichzeitig über die Ereignisse berichten, haben nach der Erfahrung vieler Trainer weniger Probleme mit dem Konzept eines Friedensjournalismus als ihre Kollegen in westlichen Industrieländern: Sie sind selbst betroffen und deshalb ist Frieden für sie ein lebenswichtiges Ziel.

Doch auch in zumindest im Inneren weitgehend friedlichen, westlichen Ländern ist der Umgang von Medien mit Konflikten immer wieder ein Thema, in jüngster Zeit verstärkt in Auseinandersetzung mit dem Konzept eines Friedensjournalismus.11 Während des Irak-Krieges ließen sich auch in deutschen Medien Beispiele für seine Anwendung finden: Fragen nach Kriegsgründen, Vorstellen von Friedensinitiativen, vereinzelt auch die Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten. Es fanden und finden Tagungen, Seminare und Workshops statt, bei denen sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Journalisten austauschen.

Friedenswissenschaft mag in der Kommunikationswissenschaft wie in der Medienbranche noch ein Randthema sein, doch die ersten Berührungspunkte sind gefunden. Wenn sich diese Verbindung auch in der Aus- und Weiterbildung festigt, könnte sie einen wichtigen Beitrag zur Ausformung einer konstruktiven Konfliktberichterstattung leisten.

Anmerkungen

1) Vgl. Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Friedenswissenschaft NRW (Hg.): …nach dem Krieg ist vor dem Krieg, Kosovo-Forum vom 25.-26. Oktober 1999, Dokumentation der Tagungsbeiträge, Hagen 1999.

2) Zur Kriegsberichterstattung s. u.a. Albrecht, Ulrich / Becker, Jörg (Hg.): Medien zwischen Krieg und Frieden, Baden-Baden 2002; Imhof, Kurt / Schulz, Peter (Hg.): Medien und Krieg – Krieg in den Medien, Zürich 1995; Löffelholz, Martin (Hg.): Krieg als Medienereignis, Opladen 1993.

3) Vgl. Hafez, Kai: Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung, Baden-Baden 2001, S. 151ff.; Müller, Harald: Zwischen Information, Inszenierung und Zensur, HSFK-Standpunkte: Beiträge zum demokratischen Frieden, Nr. 4 / 2002.

4) Vgl. Bilke, Nadine: Friedensjournalismus, Münster 2002, S. 62ff.; Essen, Jakim Florian: Verantwortlichkeit der Massenmedien für Frieden und Demokratie, unveröffentlichte Diplomarbeit am Institut für Journalistik der Universität Dortmund, April 2003.

5) Die komplexen Zusammenhänge der Wirkungsforschung sind hier aus Platzgründen stark verkürzt. Zu Problemen und Einschränkungen siehe Holtz-Bacha, Christina / Scherer, H. / Waldmann, N. (Hg.): Wie die Medien die Welt erschaffen und wie die Menschen darin leben, Opladen 1998; Schorr, Angela (Hg.): Publikums- und Wirkungsforschung, Ein Reader, Opladen 2000.

6) Vgl. Arno, Andrew: The News Media as Third Parties in National and International Conflict: Duobus Litigantibus Tertius Gaudet. In: Ders. / Dissanayake, Wimal (Hg.): The News Media in National and International Conflict, London 1984, S. 229-238; Botes, Janie: Dialogue of the Deaf – Reframing the debate over media and conflict. In: Track Two, December 1998, S. 4-6; Hafez, Kai, a.a.O., S. 118ff.; Müller, Harald, a.a.O.; Robinson, Piers: The CNN Effect. London 2002.

7) Vgl. Galtung, Johan: Friedensjournalismus: Was, warum, wer, wie, wann, wo? In: Kempf, Wilhelm / Schmidt-Regener, Irena: Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien 1997, S. 3-20; Kempf, Wilhelm: Konfliktberichterstattung zwischen Eskalation und Deeskalation. In: Wissenschaft & Frieden, Nr. 2 / 1996, S. 51-54.

8) Zum Konzept eines Friedensjournalismus s. auch Bilke, Nadine, a.a.O.; Lynch, Jake: Reporting the World. Conflict & Peace Forums 2002.

9) Siehe Becker, Jörg: Die unfriedlichen Strukturen. In: Fritz, Michael (Hg.): Die tägliche Mobilmachung, Göttingen 1984, S. 96-113.

10) S. Bilke, Nadine, a.a.O., S. 82ff.; Howard, Ross / Rolt, Francis / van de Veen, Hans / Vehoeven, Juliette: The Power of the Media, A Handbook for Peacebuilders, Utrecht 2003.

11) In Großbritannien zum Beispiel hat der Journalist Jake Lynch von Reporting the World, einer Art Think Tank für Journalisten, eine Check-Liste für ethische Konfliktberichterstattung entwickelt, s. Lynch, a.a.O.

Dipl. Journalistin Nadine Bilke arbeitet als Redakteurin bei ZDFonline und promoviert an der Universität Dortmund

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

20 Jahre Wissenschaft und Frieden

von Jürgen Nieth

Lieber Leserin, lieber Leser,
Oktober 1983 – die Bundesrepublik Deutschland erlebte die größten Friedensdemonstrationen in ihrer Geschichte. Weit über eine Million demonstrierten, wohlwissend, dass der Bundestag gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung wenige Tage später die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen beschließen wird. In dieser Situation erschien die erste Ausgabe des »Informationsdienstes Wissenschaft und Frieden«.

Die Friedensbewegung hatte sich in den drei Jahren des Massenprotestes zwischen 1981 und 1983 viel militär-technisches Fachwissen angeeignet. Raketenreichweiten und Zielgenauigkeit, »Overkill« und die Gefahr eines Zufallskrieges waren Tagesthemen. Was würden die nächsten Schritte im atomaren Wettrüsten sein? Erste Pläne für eine Weltraummilitarisierung lagen bereits auf dem Tisch. Mit neuen Waffensystemen würden aber auch die Anforderungen an das Wissen der Bewegung wachsen.

Der BdWi ergriff die Initiative für einen Informationsdienst, der wissenschaftliche Erkenntnis aufbereiten und den Friedensengagierten zugänglich machen sollte. Rainer Rilling und Paul Schäfer wandten sich an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftler-Initiativen mit dem Aufruf, durch Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen. Mit Erfolg: Aus ihren Reihen kamen die ersten AutorInnen, später wurden die Initiativen selbst Mitherausgeber.

Obwohl der »Infodienst« von Anfang an interdisziplinär angelegt war, dominierte in den ersten Jahren die nüchterne Hardware-Expertise verbunden mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung.

1989/90 dann der Kollaps des Sozialistischen Lagers. Die NATO verlor den Feind und nicht nur die Friedensbewegung hoffte auf eine umfassende Abrüstung, eine friedlichere Welt und eine Friedensdividende. Der Fokus Frieden und Rüstungskritik schien überholt, Themen wie Konversion, die Weiterentwicklung internationaler Institutionen, die Umwidmung freiwerdender Gelder für die Entwicklungspolitik rückten nach vorne.

Doch die Hoffnungen zerstoben schnell: Der Golfkrieg 1991 demonstrierte das ungebrochene Denken der westlichen Eliten in militärischen Kategorien. Der Abbau überflüssig gewordener militärischer Potenziale führte nur vorrübergehend zu einer Senkung der weltweiten Rüstungskosten. Rüstungsanalyse und -kritik blieben notwendig. Gleichzeitig unterstrichen die Gewalteskalation in Folge des Zerfalls multiethnischer Staaten und die sich selbst reproduzierenden Kriege in Afrika die Notwendigkeit einer breiteren Themenführung: Frieden in Bezug zu Menschenrechten, Demokratisierung, zum Nord-Süd-Verhältnis und zu einer »zukunftsfähigen« Politik, um nur einige zu nennen.

1999 dann der Kosovo-Krieg. Das bis dahin Undenkbare wurde Realität: Nach über 50 Jahren beteiligte sich Deutschland wieder an einem Angriffskrieg, ausgerechnet unter Rot-Grün wurde der Krieg wieder zur »Fortführung der Politik mit anderen Mitteln«. An die Stelle der Bündnis- bzw. Landesverteidigung rückte in der Folge bei NATO und Bundeswehr der Einsatz »out of area«.

Eine komplizierte Situation für eine an der Schnittstelle von Friedensforschung und Friedensbewegung wirkende Zeitschrift. Der Aktualität geschuldet dominierten jetzt die Kriegs-, Militär- und Rüstungskritik. Für Visionen, die Diskussion einer zukunftsfähigen Entwicklung oder einer Kultur des Friedens blieb zu wenig Raum.

Das galt auch für die Information über das breite Spektrum der deutschen Friedensforschung. Deshalb haben wir dieses Thema in den Mittelpunkt der »Jubiläumsausgabe« gestellt. Es geht nicht um einen vollständigen Überblick, sondern um einen Einblick in die breit gefächerte Forschungslandschaft. Ein Einblick der darauf hinweist, dass sich auf diesem Sektor in den letzten 20 Jahren viel verändert hat, der aber auch inhaltliche Defizite aufzeigt zum Teil bedingt durch die ungenügende und ungesicherte Finanzierung vieler Bereiche. Ein Einblick, der die Spanne deutlich werden lässt, zwischen friedenswissenschaftlichen Erkenntnissen und realer Politik, der die Möglichkeiten, vor allem aber die Grenzen der friedenswissenschaftlichen Politikberatung erkennen lässt.

Die Friedensforschung muss damit leben, dass die Politik nur das übernimmt, was in ihr Konzept passt. Beispiel Zivile Konfliktbearbeitung: Vom Kosovo über Afghanistan zum Irak, die Beweise liegen auf dem Tisch: Kriege lösen keine Probleme, wir brauchen zivile Konfliktbearbeitung als Alternative und nicht – wie von den Regierenden weitgehend akzeptiert – als Ergänzung des militärischen Einsatzes.

20 Jahre W&F: Die Schwerpunkte haben sich entsprechend der politischen Entwicklung wiederholt verändert. Geblieben ist: Der Frieden braucht Bewegung und Bewegung braucht Expertise. Es ist unser Ziel, diese weiterhin wissenschaftlich fundiert zu liefern.

Jürgen Nieth

Bonner Notizen

Bonner Notizen

von Jürgen Nieth

Gewissen nach Postleitzahl

Das Grundgesetz garantiert Gewissensfreiheit für Kriegsdienstverweigerer. Aber dieses Grundrecht wird wegen der Wehrpflicht staatlicher Überprüfung untergeordnet. Wie groß die Willkür in den Prüfungsverfahren für Einberufene, Soldaten und Reservisten ist, zeigen jetzt bekannt gewordene Zahlen der fast 25.000 KDV-Verfahren aus den Jahren 2000 und 2001.

Wie die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung mitteilt, gibt es Ausschüsse, die 77% der Kriegsdienstverweigerer ablehnen und andere, die 95% anerkennen. Wer gegen die Ablehnung Widerspruch einlegt, kommt zur Kammer für Kriegsdienstverweigerung. Hier gibt es Kammern, die fast alle (85%) zuvor abgelehnten Kriegsdienstverweigerer anerkennen, und andere, die nur jeden dritten (36%) anerkennen.

Dazu der Vorsitzende der Zentralstelle, Ulrich Finckh: „Ob die Gewissensentscheidung eines Kriegsdienstverweigerers anerkannt wird, hängt offensichtlich bei Einberufenen, Soldaten und Reservisten nicht von ihrem Gewissen und ihrer Argumentation ab, sondern von ihrem Wohnort, genauer von der Willkür der Prüfenden, die örtlich zuständig sind. Deutlicher kann die Unmöglichkeit dieser Prüfungsverfahren nicht aufgezeigt werden. Es ist Zeit, dass diese Willkür beendet wird.“

Die Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerung bestehen jeweils aus drei Personen, die Vorsitzenden kommen von der Wehrverwaltung, die Beisitzenden werden von den Kreistagen oder Stadtparlamenten gewählt. Die Ausschussverfahren durchliefen im Jahr 2000 über 11.000 Kriegsdienstverweigerer, im Jahr 2001 über 13.000. Im schriftlichen Verfahren für ungediente Wehrpflichtige bearbeitet das Bundesamt für den Zivildienst pro Jahr über 150.000 Verweigerungsanträge und erkennt bundeseinheitlich über 90% an.

USA stärken »zweite Front« in Asien

Ein neues »Abkommen über die gegenseitige logistische Unterstützung« haben US-Außenminister Powell und die philippinische Ministerpräsidentin Arroyo am 3.August unterzeichnet. Die Abmachung umgeht das Verfassungsverbot von Stützpunkten dadurch, dass die von den USA gebauten Strukturen der philippinischen Regierung offiziell übergeben werden, von den amerikanischen Streitkräften aber jederzeit genutzt werden können.

Auf der gleichen Südostasienreise vereinbarte Powell auch eine engere Zusammenarbeit in Malaysia und Singapur. Indonesien versprach er eine 50 Millionen Dollar-Unterstützung für den Ausbau der »Sicherheitskräfte«. Die USA hatten die Militärhilfe für Indonesien nach den Gräueltaten der indonesischen Soldaten in Ost-Timor eingestellt.

Für die FAZ zeigt die Reise Powells, dass „nach Afghanistan und Pakistan… die Länder Südostasiens die zweite Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bilden.“ (FAZ,03.08.02)

Beweisvernichtung nach Bombardements

Nach der versehentlichen Bombardierung einer Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan mit 48 Toten haben US-Soldaten angeblich Beweise verschwinden lassen. Zu diesem Ergebnis kommen nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 30.7.02 die UN-Ermittler. Nach dem UN-Bericht sind US-Soldaten kurz nach dem Angriff in dem Dorf aufgetaucht und „hätten Bombensplitter, Geschosse und Blut beseitigt.“ Die UN-Berichterstatter hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die US-Angaben gefunden, nach denen die US-Luftwaffe auf Flugabwehrfeuer reagiert habe.

Drogen im Cockpit

US-Piloten in Afghanistan bekommen Amphetamine, um bei den acht bis zwölf Stunden langen Einsätzen nicht einzuschlafen. Das bestätigte die Air-Force-Sprecherin Betty Anne Mauger der Süddeutschen Zeitung (13.8.02): „Sie bekommen Dexidrin in Zehn-Milligramm-Dosen gegen die Müdigkeit.“ Interne Dokumente der US-Navy über »Leistungserhaltung während andauernder Flugoperationen« bestätigen das.

Nach demselben Bericht kam der regelmäßige »Kick im Cockpit« ans Licht, nachdem ein US-Pilot eine Übung kanadischer Truppen für feindliches Abwehrfeuer gehalten hatte und mit einer Lenkbombe vier verbündete Soldaten tötete und acht verletzte.

Amphetamine gelten allgemein als Muntermacher. Drogenmediziner warnen jedoch vor einem Umschlagen der Wirkung. „Amphetamine machen furchtlose Kämpfer“, so der Psychologe Elbert von der Uni Konstanz in der SZ, „aber sie wirken realitätsverzerrend und können sogar Halluzinationen auslösen.“ Sie können „zu Handlungen führen, die nicht beabsichtigt sind.“

USA gegen neues Anti-Folter-Abkommen

Gegen den Widerstand der USA hat ein Gremium der Vereinten Nationen, in dem 54 Staaten vertreten waren, mit großer Mehrheit für den Entwurf eines neuen Anti-Folter-Abkommens gestimmt. Unter den Befürwortern waren die 15 EU-Staaten, mit den USA stimmten China und Kuba.

Der Entwurf war zehn Jahre lang diskutiert worden und er soll noch in diesem Jahr der UN-Vollversammlung vorgelegt werden. Er tritt in Kraft, wenn er von mindestens 20 Staaten ratifiziert ist. Das neue Abkommen würde auch UN-Inspektionen in dem US-Lager für gefangene Taliban auf Kuba erforderlich machen. Der US-Vertreter im Ausschuss, Mike Dennis, argumentierte, der Entwurf sei unvereinbar mit amerikanischem Recht, da er u.a. die Staatsgefängnisse für internationale Inspekteure öffnen würde, ohne das der entsprechende Bundesstaat zustimmen müsse.

Das neue Anti-Folter-Abkommen soll das alte von 1987 ergänzen, das von 130 Staaten – darunter auch die USA – ratifiziert wurde. (TAZ 26.07.02)

Das Letzte

Bushtrommeln

„Ich weiß nicht welche Beweise wir noch brauchen“, damit alle die Gefährlichkeit des Irak erkennen, meinte US-Präsident Bush am 8. September mit einem Verweis auf einen neuen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde. Und der britische Premier, Tony Blair sekundierte: man müsse jetzt nur noch lesen, „was in einer früheren Atomwaffenfabrik (des Irak) vor sich gehe.“

Am 12.9. teilt »Die Zeit« mit, es gebe keinen neuen Bericht der Atomenergiebehörde (IAEO). Der von Bush und Blair aufgerufene Zeuge, der Leiter des Irak-Teams der Wiener IAEO, Jacques Baute, habe klar gestellt: „Wir haben nichts, was uns erlaubt, eine Schlussfolgerung zu ziehen.“

Unsere Schlussfolgerung: Kriegstrommeln müssen laut sein – nicht wahr!

Macht der Medienbilder oder Medienbilder der Macht?

Macht der Medienbilder oder Medienbilder der Macht?

von Jutta Röser

Die Macht der Medien – nirgends wird sie so nachdrücklich unterstellt wie beim Thema Mediengewalt. Denn die zentrale Frage der auf diesem Gebiet dominierenden Wirkungsforschung lautet: Ermuntern die Medienszenarien Zuschauer dazu, selbst Gewalt auszuüben oder zu billigen? Haben Medien also die Macht, Gewalt in die Gesellschaft zu tragen? Und warum werden solche Effekte nur für Männer vermutet, während die Reaktionen von Frauen unbeachtet bleiben?
Die besorgte Debatte um die Wirkung von Mediengewalt droht aus den Augen zu verlieren, dass wir in einer keineswegs gewaltfreien Gesellschaft leben. Die Kritik an Mediengewalt geht in weiten Teilen von einem Denkmodell aus, wonach in unsere potenziell friedfertige Gesellschaft Gewalt von außen hineingetragen wird – durch die Medien. Plastisch ausgedrückt: Wirklichkeitsferne, abstruse Gewaltszenarien treffen auf triebgesteuerte, gefährdete (und immer männlich gedachte) Individuen. Und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Irreale Mediengewalt?

Wie friedlich ist unsere Gesellschaft wirklich? Sind es tatsächlich in erster Linie die Medien, die Kinder und Jugendliche mit Gewalt konfrontieren? Ein Schlaglicht: Allein in den letzten zwölf Monaten hat jede/r zehnte deutsche Jugendliche Gewalt zwischen den Eltern erlebt – also in der Regel Gewalt des Vaters gegen die Mutter. Unter ausländischen Kindern waren es noch deutlich mehr. Vier von zehn Jugendlichen sind innerhalb eines Jahres selbst Opfer von Gewalt geworden.1

»Kindermörder für immer wegsperren« – mit dieser Stammtisch-sicheren Forderung verabschiedete sich unser Medienkanzler in die letztjährige Sommerpause. Sie betrifft statistisch gesehen vier Täter jährlich. Unterhalb dieser Spitze des Eisbergs werden Kinder in der Normalität des Alltags tausendfach missbraucht und misshandelt.

Das große Dunkelfeld an alltäglicher, verheimlichter Gewalt – gegen Frauen, gegen Kinder, gegen Homosexuelle, am Arbeitsplatz – basiert auf Machtverhältnissen und taucht weder in den Kriminalitätsstatistiken noch im öffentlichen Diskurs angemessen auf. Die journalistische Gewaltberichterstattung ist Teil dieses einseitigen Diskurses: Sie ist auf Gewalt gegen die öffentliche Ordnung und auf Kriminalität konzentriert, sie konstruiert das Bild des triebgesteuerten, anormalen Einzeltäters, sie vernachlässigt alltägliche Gewalt und strukturelle Hintergründe.

Es sind die fiktionalen Gewaltstorys, die die hässliche und verdrängte Seite der gesellschaftlichen Wirklichkeit behandeln. Natürlich nicht eins zu eins, nicht als statistisch zutreffendes Abbild. Spielfilme und Serien sind »symbolisches Material«. In der Forschung werden die Gewalterzählungen des Fernsehens meist nur oberflächlich betrachtet. Unterstellt wird die schlichte Gleichung: mediale Gewalthandlung = Gewaltbotschaft = Gewaltwirkung. Es gilt aber genauer hinzusehen, welche Geschichten um die Gewalt eigentlich erzählt werden. Erzählt wird von Bedrohung, Gefahr und Angst auf der einen Seite. Und von Helden, die Ohnmacht und Ausgrenzung überwinden, auf der anderen Seite.

Bedrohung, Angst und hierarchische Weltbilder

Die Mediengewaltforschung sucht Wirkungen ausschließlich in Form von Aggressionseffekten. Es wird implizit davon ausgegangen, dass Zuschauende »mit dem Täter« fühlen, das Mediengeschehen durch seine Brille betrachten. Eine Gewaltszene enthält aber nicht nur eine aggressive Tat, sondern – durch die Brille des Opfers gesehen – ebenso eine höchst bedrohliche Situation. Tatsächlich sprechen diverse Befunde dafür, dass für Zuschauer und Zuschauerinnen Empathie mit dem Opfer ganz wesentlich ist. Die Frage nach den Wirkungen von Gewalt ist also zu öffnen. Vor allem die Dimension der Bedrohung und Angst rückt ins Blickfeld, wenn Gewaltstorys aus der Perspektive des Publikums erforscht werden. Dies veranschaulicht eine Rezeptionsanalyse2 anhand einer Krimigewaltszene mit der typischen Geschlechterkonstellation »Mann verfolgt und tötet Frau«. Eine positive Wahrnehmung der Gewalt, ein Fühlen »mit dem Täter« erweist sich als irrelevant – bei Frauen ebenso wie bei Männern. Einerseits ist die Rezeption von Mitgefühl für das Opfer geprägt, was insbesondere bei Frauen mit Angst und Belastungsgefühlen einher geht. Andererseits herrschen Langeweile und Desinteresse, weil das schwache, weibliche Opfer nicht empathiefähig ist und vor allem Männer keinen Zugang zum Geschehen finden – ohne sich deshalb mit dem Täter zu »verbünden«. Ein kleinerer Teil der männlichen Zuschauer blickt geringschätzig von oben herab auf die schwach inszenierte Frau: »So blöd kann nur eine Frau reagieren«. Demgegenüber aktualisiert ein größerer Teil der Zuschauerinnen anlässlich der Szene ihre Angst, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden: »Das könnte mir auch passieren«. Damit wirkt die Szene, aber anders als gemeinhin angenommen: Sie aktualisiert Angstgefühle, sie bebildert existierende Gewaltstrukturen und sie bestätigt das hierarchische Geschlechterverhältnis, in dem Frauen Gewalt von (fremden) Männern fürchten und Männer auf Frauen herabsehen. Die Szene steht in ihrer Grundstruktur im Einklang mit der erlebten gesellschaftlichen Wirklichkeit, sie ist »realistisch«.

Symbolische Überwindung von Ohnmacht und Ausgrenzung

In Krimis und Actionfilmen werden nicht nur Gewaltdrohung, sondern auch Themen wie Macht und Ohnmacht, Auflehnung und Marginalisierung symbolisch verhandelt. Ob sie auch sozial konstruktivverhandelt werden, ist damit allerdings nicht gesagt.

In diesem Rahmen erschließt sich die Bedeutung vieler populärer Heldengeschichten: Die Medienhelden müssen Ungerechtigkeit und Ohnmacht überwinden, weil z.B. Polizei und Gesellschaft versagen. Das Vergnügen an Helden und Heldinnen ist nicht identisch mit Lust an Gewalt, auch wenn diese gewalttätig agieren. Mediale Kämpfe scheinen insbesondere für männliche Zuschauer auch als Metapher für den sozialen Lebenskampf zu stehen. Kräfteverhältnisse einschätzen, Chancen nutzen, sich behaupten, Überlegenheit gewinnen – diese Aspekte der Gewalt können zugleich das Thema Selbstbehauptung in einer hierarchisch erlebten Sozialwelt symbolisieren. Das Problem dabei liegt weniger in der Anstachelung zur Gewalt, denn Zuschauende unterscheiden durchaus zwischen realer und medialer Gewalt. Es liegt eher darin, dass hier der männliche Dominanzanspruch gespiegelt und auf wenig soziale Weise gestützt wird.

Trotzdem muss ein solches Vergnügen nicht zwangsläufig anti-sozial sein und es betrifft auch nicht nur Männer. Dazu ein weiterer Befund aus der erwähnten Rezeptionsstudie.2 In einem nicht ganz typischen Heldenszenario besiegt eine Frau einen männlichen Angreifer souverän mittels Kampftechniken. Dieses Szenario erlebten die meisten Zuschauerinnen mit großem Vergnügen, mit Genugtuung und als Ermutigung. Hier manifestierte sich aber nicht Lust an der Gewalt, sondern das Vergnügen daran, symbolisch Ohnmacht zu überwinden und Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Dieser Szene konnten männliche Zuschauer übrigens kaum vergnügliche Seiten abgewinnen, sie zeigten sich irritiert und mühten sich mit der Deutung des Gesehenen. Gleichwohl dürfte auch das Vergnügen von Männern an Dirty Harry, Rocky & Co. oder von Kindern an Filmen wie »Kevin allein zu Haus«, in denen David gegen Goliath besteht, in ähnlicher Weise motiviert sein. Dies bedeutet: Die Attraktivität populärer Gewaltszenarien kann gerade darin liegen, dass Ohnmacht und Marginalisierung symbolisch überwunden werden.

Medienerzählungen über Machtverhältnisse

Prägnant formuliert führt dies zu der Schlussfolgerung: Wir haben deshalb soviel Gewalt in der Populärkultur, weil hier Themen wie Macht und Ohnmacht, Auflehnung und Marginalisierung, Hierarchie und auch Gewaltdrohung symbolisch verhandelt werden können. Medienbilder geben abstrakten Verhältnissen und Strukturen eine Gestalt. Insofern repräsentiert Mediengewalt nicht die Macht der Medien, sondern Medienerzählungen über Macht. Und weil die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft tief greifend vergeschlechtlicht sind, geschehen zwei Dinge: Auf der einen Seite enthalten die Gewaltinszenierungen unterschiedliche Positionen für Frauen und Männer. Auf der anderen Seite blicken Zuschauerinnen und Zuschauer aus unterschiedlichen Perspektiven auf das gewaltträchtige Geschehen in Film und Fernsehen. Darum bedeutet dieselbe Story für Frauen und Männer häufig eben nicht dasselbe.3

Jutta Röser ist Kommunikationswissenschaftlerin und Vertretungsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum.

Anmerkungen

1) Christian Pfeiffer & Peter Wetzels (2000): Gewalt hat ein Geschlecht. In: Emma, Nr.1/2000: 49-51.

2) Jutta Röser (2000): Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse über Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

3) Eine frühere gekürzte Fassung dieses Artikels ist von der Autorin unter dem Titel »Das Märchen von der Gewalt in den Medien«, zuerst erschienen in: Cover. Medienmagazin des Instituts für Journalistik der Universität Hamburg, September 2001.

Der Artikel erscheint parallel in der Vierteljahreszeitschrift „Wir Frauen“, Düsseldorf, deren Redaktion wir an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit danken.

Afghanistan: Der Krieg und die Medien

Afghanistan: Der Krieg und die Medien

von Jörg Becker

Nach nun rund zehn Jahren intensiver Debatte darüber, was denn nun der Informationskrieg sei, und nach dem dazu grundlegenden Aufsatz von John Arquilla und David Ronfeldt1 von Anfang der neunziger Jahre lässt sich in der Abfolge der Kriege im Kosovo, Mazedonien und Afghanistan ganz simpel festhalten, dass gerade der Afghanistan-Krieg durch und durch zu einem Informationskrieg geworden ist. Im Afghanistan-Krieg sind Propaganda, gezielte Desinformation, Lügen, Verfälschungen, Vertuschungen, Manipulationen, Informationszurückhaltungen, Zensur, Pressionen gegen kritische Journalisten und unliebsame Medieneigner, staatliches Abhören der Telekommunikation, vorab vom Pentagon produzierte Videofilme mit Kampfjets usw. endgültig zum Normalfall geworden. Und der Umfang dieser Aktionen ist durchaus teuer und bedeutend: Allein zwischen Ende September und Ende Oktober 2001 starteten die USA drei neue militärische Spionagesatelliten und allein in diesem Zeitraum gaben alle US-Medien zusammen genommen den zusätzlichen Betrag von 25 Mio. US-Dollar für Kriegsberichterstattung aus. Das komplexe Wechselspiel zwischen Krieg und Kommunikation wird im Folgenden für den gegenwärtigen Informationskrieg rund um Afghanistan anhand von sieben Dimensionen beschrieben und analysiert.
Ganz ohne Frage ruht die gegenwärtige mediale, mentale und öffentliche Verarbeitung der terroristischen Anschläge auf das World Trade Centre und das Pentagon vom 11. September 2001 und der sich darin anschließende Afghanistan-Krieg auf einem historisch gewachsenen Sockel anti-islamischer Feindbilder. Sie bilden quasi eine Folie, vor der die mediale Verarbeitung des Afghanistankrieges einzelne Bruchstücke eines sowieso schon festgefügten Bildes über den Islam aktualisiert.

Feindbilder

In der deutschen Medienlandschaft waren und sind es insbesondere Illustrierte und Magazine wie der Stern, Focus und Der Spiegel, die mit ihren reißerischen Titeln und Aufmachern vor der »Weltmacht des Islam« oder dem »Geheimnis Islam« warnen. Diese Printmedien wirken durch ihren Mix aus Bildsprache und Symbolen, mit bedrohlich wirkenden Menschen»massen«, wütenden Männern, verschleierten Frauen. Am 8. Oktober 2001 titelte Der Spiegel«: „Der religiöse Wahn. Die Rückkehr des Mittelalters“. Zwischen dem brennenden World Trade Center, vermummten Kriegern mit Maschinengewehren und einem Halbmond zeigt sich das Gesicht von Osama Bin Laden. Dem folgte der Stern am 25. Oktober 2001 mit einem Titelbild, auf dem über kriegerischen Reiterhorden der kleine Augenschlitz einer tief verschleierten Frau zu sehen ist. Dazu heißt es auf dem Titelblatt: „Neue Serie: Die Wurzeln des Hasses. Mohammeds zornige Erben. 1400 Jahre zwischen Stolz und Demütigung“. Für die anti-islamischen Medienaktivitäten in den USA verwies die englische Zeitung Guardian auf folgendes Beispiel von 1999: Als damals US-amerikanische Zeitungen über den Absturz des Fluges 990 der EgyptAir über dem Atlantik berichteten, war deren Meinung, dass hier ein fanatischer Muslimpilot Selbstmord verübt habe, in den Medien der USA auch dann nicht zu erschüttern, als die ägyptische Presse Fotos des Piloten mit seiner Tochter vor christlichem Weihnachtsschmuck veröffentlichte.2

Positiv gegenüber dem Spiegel hebt sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Berichterstattung über den Islam nach dem 11. September 2001 ab. So bringt z.B. die FAZ gegen den Homogenisierungszwang vieler Massenmedien in ihrer Ausgabe vom 22. Oktober 2001 folgende Berichte, die allesamt eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam spüren lassen: „Auf der Suche nach den gemäßigten Taliban“, Missbilligung der US-amerikanischen Militärschläge durch die APEC-Länder, ausgesprochen positive Würdigung der muslimischen Moscheen in Hamburg, zustimmende Analyse zu den Friedensplänen der Pakistan Muslim League, religiöse Toleranz in Marokko und ein langer Artikel über die religiös-politische Gratwanderung des Iran zwischen den USA und der islamischen Welt. Oder: Im Wochenendfeuilleton der FAZ vom 10. November 2001 gibt es einen ganzseitigen Artikel über Ignaz Goldziher, den deutschen Begründer einer Islamwissenschaft, und eine ausführliche Rezension eines neuen türkischen Romans.

Dichotomien

Aufbauend auf dem Spiegelbild-Theorem der Feindbildanalysen von David J. Singer aus den frühen sechziger Jahren des letzten Jhs.3 weiß die Friedensforschung seit langem, dass »Freund« und »Feind« spiegelbildlich bewertet, dass sie einem »guten« und einem »schlechten« Lager zugeordnet werden. US-Präsident George W. Bushs politische Rhetorik ist exakt solchen dichotomischen Denkschablonen verhaftet. „Dies ist der Kampf der Zivilisation“ und „Die zivilisierte Welt schart sich um Amerika“ hieß es in seiner Rede vor dem Kongress4 und einem „Krieg gegen das Böse auf der Welt“ stellte der US-Senat 40 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Bundeskanzler Gerhard Schröder sekundierte Bush mit dem Ausdruck, dass der New Yorker Terroranschlag eine „Kriegserklärung an die zivilisierte Völkergemeinschaft“ 5 gewesen sei und in der FAZ sprach Günther Nonnenmacher ungestraft vom „Endkampf zwischen Gut und Böse“6.

Eine solche Trennung in eine »zivilisierte« und eine »unzivilisierte« Welt vertieft nicht nur die Gräben, sie steht obendrein in einer mehr als fatalen kolonialistischen Tradition des Nordens gegenüber dem Süden. Und so als ob Osama Bin Laden die Arbeiten von David J. Singer gelesen hätte, verfestigte auch er dichotomisches Denken. In einem seiner Videos über den TV-Sender Al-Dschasira erklärte er: „Die Welt ist eingeteilt in die Menschen, die sich gefreut haben über die Angriffe auf den ungerechten Giganten Amerika und einen anderen Teil, der diese Angriffe verurteilt hat.“ 7

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy brachte die gut gesicherten Erkenntnisse der Friedensforschung auf den Punkt, als sie in der FAZ ausführte: „Wenn es Osama Bin Laden nicht gäbe, müssten ihn die Amerikaner erfinden. (…) Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten.“ 8 Was man in einem Entwicklungsland wie Indien ungestraft sagen kann, ist allerdings im öffentlichen Meinungsklima eines Industrielandes wie Deutschland z.Zt. kaum sagbar. Als der TV-Moderator Ulrich Wickert Anfang Oktober 2001 in einer Meinungskolumne der Zeitschrift Max Osama Bin Laden mit George W. Bush verglichen und den Satz geschrieben hatte, „Bush ist kein Mörder und Terrorist. Aber die Denkstrukturen sind die gleichen“, da forderte die konservative Oppositionspartei gleich seine Entlassung aus der ARD und Wickert übte flugs Selbstkritik. Immerhin nahm Freimut Duve, OSZE-Beauftragter für Medienfreiheit, diesen Vorfall zum Anlass, sich Sorgen über die Pressefreiheit in Deutschland zu machen.9

Kriegs- und Gewaltrhetorik

Johannes Nitschmann spricht von einem journalistischen Ausnahmezustand: „Die apokalyptischen Reiter sind los. In deutschen Zeitungshäusern und Sendeanstalten haben die barbarischen Terroranschläge auf die USA eine heillose Hybris ausgelöst. An den Schreibtischen hat der Superlativ die Besonnenheit ersetzt. »Machen wir uns nichts vor, es ist der dritte Weltkrieg«, dröhnt »Bild«. (…) Kriegsrhetorik hat Konjunktur. Das Berliner Boulevardblatt »B.Z.« (…) liefert ihren Lesern in großer Graphik die objektiv günstigsten Aufmarschpläne für einen US-amerikanischen Gegenschlag auf Afghanistan.“ 10

„Der Angriff“, brüllt die Bild-Zeitung in sieben Zentimeter Größe auf ihrem Titelblatt am 8. Oktober 2001, und „Tötet bin Laden“ fordert der Kölner Express in vier Zentimeter Größe seine Leser am 22. Oktober 2001 auf. Und weil ein Aufruf zum Mord normalerweise strafrechtlich verfolgt werden muss, schickt der Express seinem Aufruf in kleineren Buchstaben die beiden Zeilen vorweg: „Präsident Bush. Geheimbefehl an die CIA“. Dass das Leben von Freund und Feind in Kriegen unterschiedlich viel wert ist, zeigt nicht nur dieser Mordaufruf der journalistischen Kanaille, sondern gleichermaßen die normale deutsche Lokalpresse. So schreibt beispielsweise eine dpa-Korrespondentin am 12. Oktober 2001 folgende Sätze: „Die Missionen der an den Luftangriffen beteiligten Langstreckenbomber und Kampfflugzeuge waren relativ risikoarm. (…) Jetzt verlagert sich der Einsatz auf Kampfhubschrauber, Spezial-Bodentrupps und leichte Infanterie mit der Gefahr des Verlustes an Menschenleben.“11 Fällt dieser Journalistin denn überhaupt nicht auf, dass es eine „Gefahr des Verlustes an Menschenleben“ schon in Phase I der Luftangriffe gab (und nach aller Kriegslogik doch bewusst geben sollte) – freilich »nur« für die »anderen«, nicht die »eigenen«?

Krieg, Katastrophe, Rache, Heiliger Krieg, Kommando, Terror, Mörder, Tod und Blutbad lauten die wichtigsten Wörter zwischen dem 12. und 23. September 2001 als Aufmacher auf Seite eins des Kölner Express – Dritter Weltkrieg, Angriff, Terroristen, Mörder und Krieg heißen parallel dazu die Schlagzeilen in der türkischen Hürriyet.

Als der US-amerikanische Außenminister Colin Powell unmittelbar nach dem Anschlag in New York verkündete, Amerika befinde sich „im Krieg“, setzte er eine verhängnisvolle Dynamik in Gang, nicht nur völkerrechtlich und bündnispolitisch, sondern auch psychologisch und medial. Zu sagen, man befände sich „im Krieg“, schafft eine massenmediale Kriegspsychose, schürt die Erwartungshaltung nach einer militärischen Aktion, legitimiert einen Einsatz von Gewalt ohne Wenn und Aber und verleiht den Terroristen eine neuartige Würde. Es gibt ihnen die Legitimität einer »richtigen« Kriegspartei, die sie bislang gar nicht hatten.

Patriotische Rhetorik

Am 11. September 2001 kam der patriotische Journalismus zurück in die USA.

Er kam in der Öffentlichkeit und den Medien, im Fernsehen und in der Presse in der Form von Flaggen, Fähnchen, Girlanden und Feiern, von einander-an-den-Händen-Halten, von Bekundungen, Schwüren und großen Reden, von Emotionen und Tränen, von Schuldzuweisungen und Bezichtigungen. So weit es sich erstens bei diesen Formen um spontane und direkte Reaktionen auf die Terroranschläge handelt, wird man sie nicht kritisieren können und wollen. Reaktionen auf Schocks sind traumatischer Natur und entziehen sich damit einer besserwisserischen Perspektive von Außen. Zweitens muss man bei einer Auseinandersetzung mit dem, was man patriotischen Journalismus nennen könnte, auch das in den USA im Vergleich zu Deutschland völlig andere kulturpolitische Klima von Patriotismus und Nationalismus in Rechnung stellen. Dies vorweg und halb erklärend, halb entschuldigend gesagt, hat der patriotische Selbstvergewisserungs-Journalismus in den USA inzwischen dennoch pathologische Züge angenommen.

Dieser Journalismus kennt nur noch eine Meinung, nämlich die offizielle Meinung der US-Regierung. Es ist ein Journalismus des Entweder-Oder, des Ja oder Nein. Es ist auch ein Journalismus von Zensur und Selbstzensur. Und es ist eine Zeit der Intellektuellen-Hatz, die an die Hetze gegen »unamerikanische Umtriebe« der McCarthy-Jahre erinnert. Der Karikaturist Garry Trudeau zog seine Bush-Karikaturen zurück, Barbara Streisand entfernte von ihrer Homepage Anti-Bush-Sprüche und Susan Sontag musste es sich gefallen lassen, dass man ihr aufgrund ihres kritischen Artikels12 „moralische Verwirrung und gequälte Relativierung“ vorwarf, dass man sie zu den „Amerika-Hassern“ zählte.13

Als »Wir-sind-doch-alle-Amerikaner«-Attitude ist patriotischer Journalismus in spezifischen Ausformungen auch in Deutschland zu beobachten. Hatte Kaiser Wilhelm II. zu Kriegsanfang im August 1914 betont, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch deutsche Brüder, die fest und unerschütterlich in der Sorge um das teure deutsche Vaterland zusammen stünden, so wurde genau dieser Burgfrieden nicht nur zum politischen Credo von Bundeskanzler Gerhard Schröder und noch ausgeprägter von Außenminister Joschka Fischer, sondern vor allem auch von Fernsehen und Presse. Dazu Heribert Prantl, Leiter des innenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung: „Kritik an der amerikanischen Regierung wäre schon möglich, wird aber zu wenig geübt.“ Er habe noch nie so viel Kritiklosigkeit erlebt, wie in den ersten Wochen nach den Anschlägen. Stattdessen werde „das Wort »Krieg« geradezu lustvoll gebraucht.“14

Patriotischer Journalismus in Deutschland äußerst sich vor allem in einer diffusen Bündnissolidarität mit den USA. Er wird z.B. an einem neuen und zusätzlichen Unternehmensgrundsatz deutlich, den der Axel Springer-Verlag unter dem Eindruck der Terroranschläge beschlossen hat. Alle Mitarbeiter dieses Medienkonzerns müssen in Zukunft schriftlich erklären, dass sie auch mit folgender Vorgabe einverstanden sind, nämlich der „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und der Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Mit spitzer Feder hält Franziska Augstein der deutschen Regierung und den deutschen Medien entgegen: „Die Bundesregierung nennt es Solidarität, auf dem halben Globus muss es ankommen wie Aftergehorsam. (…) Bei aller Solidarität können die deutschen Politiker (und die deutschen Medien, J.B.) allerdings nicht vermitteln, dass die Politik der Vereinigten Staaten Hand und Fuß hätte. Dazu ist die Rhetorik dieses Krieges gegen den Terror zu wirr und zu beunruhigend.“15

Patriotischer Journalismus kennt keine Abweichungen vom richtigen Weg: Die Äußerung des Modedesigners Wolfgang Joop, er halte die Twin Towers für ein Symbol kapitalistischer Arroganz und er vermisse sie nicht,16 oder die des englischen Kriminalautors John Le Carré, der Tony Blair den „eloquenten weißen Ritter eines heiklen transatlantischen Verhältnisses“ nannte,17 muss man in den deutschen Medien mit der Lupe suchen. Gar in Rotdruck gehaltene Notizen unter der Überschrift „Widersprüchliche Meldungen aus Afghanistan“, also der Rubrik in der Financial Times Deutschland, in der mit dem journalistischen und juristischen Prinzip des »audiatur et altera pars« ernst gemacht wird, weil »feindliche« Nachrichten unkommentiert abgedruckt werden, sind eine allzu rare Ausnahme.

Staatliche Zensur

Was eigentlich ja nur die »Schlechten«, die anderen, tun, ist seit dem 11. September 2001 in den USA Praxis geworden: Staatliche Zensur, zensurähnliche Maßnahmen und bindende Absprachen zwischen privatwirtschaftlich verfassten Medien und staatlichen Behörden gehören ausgerechnet in dem Land zum Medienalltag, in dem traditionellerweise der Meinungsfreiheit höchstrichterlich ein höherer Rang zugeordnet wird als beispielsweise der Menschenwürde.

Folgende Beispiele aus der jüngsten US-amerikanischen Medienpolitik illustrieren verschiedenartige Formen von Zensur, Absprache und politischem Druck:

  • Anfang Oktober 2001 entschlossen sich die sechs größten US-Nachrichtensender zu einer Selbstzensur. ABC News, CBS News, NBC News, MSNBC, Cable News Network und Fox News Channel beugten sich dem Druck der US-amerikanischen Regierung, Videos von Osama Bin Laden und der Terrororganisation Al Qaida nicht mehr in voller Länge und nicht mehr unkommentiert zu senden. Mögliche verbale Hasstiraden auf die USA versprachen diesen sechs Networks zu zensieren.
  • Als explizite Reaktion auf »unpatriotische« Reden von TV-Moderator Bill Maher in der ABC-Talkshow zogen zwei werbetreibende Firmen ihre Werbespots zurück.
  • Mehrere US-amerikanische Zeitungsjournalisten wurden von ihren Verlegern wegen ihrer Kritik an der Kriegsführung der US-Regierung fristlos entlassen.

Solche Formen von Zensur gibt es in Deutschland nicht, aber auch hier überwiegt ein Mainstream-Journalismus als spezifische Form von vorweg genommener Zensur.

Informationelle Repression

Information, Kommunikation und Medien werden in rechtsstaatlich verfassten Demokratien durch zahlreiche Gesetze geregelt: Meinungs- und Pressefreiheit, Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Informationseinsichtrechte, Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten, Brief- und Postgeheimnis – um nur die wichtigsten zu nennen. In Folge der terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 und bei proklamiertem Vorrang nationaler Sicherheitsinteressen vor Menschenrechten werden alle informationellen Rechte in vielen westlichen Industrieländern erheblich eingeschränkt, greifen zusätzliche staatliche Repressionsmaßnahmen im gesamten Informationssektor. Dazu einige Beispiele:

  • Offene TV-Kanäle, in den siebziger Jahren als Momente von Bürgerpartizipation eingeführt, werden seit Anfang des Afghanistan-Krieges von den Landesmedienanstalten dann streng beobachtet, wenn es sich um nichtdeutschsprachige Sendungen handelt, besonders um solche in urdu, arabisch und türkisch.
  • Zusätzlich zu den neu vom US-amerikanischen Kongress erlaubten Rechten beim Abhören von Telefongesprächen und dem Mitlesen von E-Mails ist es US-Behörden seit Mitte November 2001 erlaubt, Gespräche zwischen Mandanten und Verteidigern ohne richterliche Genehmigung abzuhören, wenn es begründeten Verdacht dafür gibt, man könne Gewalt oder Terror verhindern.
  • Die in Deutschland beschlossene Erfassung biometrischer Daten (Finger- oder Handabdruck, Gesichtsgeometrie, Augenfarbe, Irismerkmale, dreidimensionale Hologrammfotos) in Ausweispapieren ist verfassungsrechtlich höchst problematisch. Und zwar nicht wegen der zusätzlichen Erfassung eines individuellen Identitätsmerkmals, sondern wegen der damit geschaffenen digitalen Gesamterfassung einer Bevölkerung und den dadurch möglichen digitalen Abgleichsverfahren.

Staatliche Repression stärkt den staatlichen Apparat, nützt nach aller Erfahrung in der Bekämpfung des Terrorismus nichts, gaukelt den Menschen in hoch technisierten Gesellschaften Schutz vor Gefahren und Gewalt vor (die es nicht gibt), schränkt drastisch alle Freiheitsrechte im Informationssektor ein und belässt es nach aller Erfahrung bei den neuen Einschränkungen auch für den Fall, dass der Terrorismus nicht mehr akut ist.

Hollywood und der Afghanistan-Krieg

Von allen dramaturgischen Elementen der gegenwärtigen Medienverarbeitung des Terroranschlags und des darauf folgenden Afghanistankrieges ist dem Kino nichts fremd. Flugzeugangriffe auf Wolkenkratzer, Krieg gegen radikale Muslims in Afghanistan und anti-muslimische Vorurteile: Die Traumfabrik Hollywood kennt alle drei Momente als ideologische Versatzstücke seit Langem.18

»Flammendes Inferno« heißt ein Film-Schocker von 1975, in dem suizidwillige Muslims Passagiermaschinen in das Pentagon und die Türme des World Trade Centers fliegen. In John Frankenheimers »Schwarzer Sonntag« von 1977 setzt eine palästinensische Terroristin einen Piloten unter Druck, einen mit 500 Kilo Plastiksprengstoff geladenen Zeppelin in ein voll besetztes Football-Stadion zu steuern. 1988 folgt im Genre solcher Horrorfilme der »Ausnahmezustand« von Edmund Zwick. Eine Serie von Terroranschlägen fundamentalistischer Islamisten führt zur Verhängung des Kriegsrechts in den USA. Über die Brooklyn-Bridge rollen Panzer – arabische Amerikaner werden in Lagern interniert. Und in dem Film »Die Hard« (»Jetzt erst recht«) von 1995 wird nach einem Bombenattentat der gesamte Stadtteil Manhattan abgeriegelt. In »Independence Day« des deutschen Regisseurs Roland Emmerich bedrohen Außerirdische das World Trade Center, und das Weiße Haus geht in Flammen auf. Und kurz vor dem 11. September 2001 stellt der deutsche Filmregisseur Joachim Grüninger einen Werbefilm für Telegate fertig, in dem sich ein Passagierflugzeug durch das Billboard eines Wolkenkratzers bohrt.

Und seit wann gibt es (in den nördlichen Industrieländern) Afghanistan als Filmmotiv? Als monumentale Gebirgskulisse mit wild-grimmigen Menschen taucht Afghanistan im »Hauptmann von Peshawar« von 1953 auf und in »Der Mann, der König sein wollte«, eine Kipling-Version von 1975. Spannender im gegenwärtigen Kontext ist freilich »Rambo III« mit Sylvester Stallone von 1987. John Rambo hilft hier afghanischen Pferde-Kriegern gegen die russischen Invasoren, indem er deren Festungen sprengt und pralle Wodkabäuche von Iwans vor der Kamera platzen lässt.

Über das hier nur skizzierte Zusammengehen von Hollywood und Politik, Film und Regierung, Wirklichkeit und Phantasie kann sich höchstens ein Laie wundern. Gerade die Symbiose von Hollywood und Pentagon ist der Kommunikationsforschung gut bekannt und bestens dokumentiert. Allein zwischen 1940 und dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941, also in nur wenigen Monaten, produzierte Hollywood fast 40 Filme über den Krieg in Europa. Und genau an diese erfolgreiche Zusammenarbeit will die gegenwärtige US-amerikanische Regierung anknüpfen. Anfang November 2001 versammelten sich in Los Angeles auf Initiative der Regierung Bush und unter Schirmherrschaft der Motion Picture Association 50 Vertreter der Film- und TV-Studios, um eine Unterstützungskampagne für die Regierung zu planen. Dabei geht es um Werbe- und Unterhaltungsfilme und um Live-Auftritte von Unterhaltungskünstlern vor Soldaten.

Resümee

Wegen schwerer völkerrechtlicher und politischer Legitimationsmängel ist der Medienkrieg um Afghanistan so intensiv, gibt es anti-islamische Feindbilder, herrschen binär gehaltene Sichtweisen von Gut und Böse vor, gibt es Zensur, Lüge, Propaganda, Verkürzungen, Glorifizierungen und insbesondere eine mediale Kriegs- und Gewaltrhetorik, eine distanzlose Patriotismus- und Bündnisrhetorik, die erschreckend ist und öffentlich kaum bewusst wird, geschweige dass sie etwa mit der Schärfe eines Karl Kraus aufgespießt und kritisiert würden.

Was also bleibt zu tun?

Beantwortet man diese Frage mit dem anlässlich des ersten afghanisch-britischen Krieges von 1842 entstandenen Gedicht »Das Trauerspiel von Afghanistan« (1848) des deutschen Schriftstellers, Journalisten und Kriegsberichterstatters Theodor Fontane, dann bleibt die Zukunft duster. Alle 13.000 britischen Soldaten kamen am Khyber-Pass 1842 ums Leben und Fontane schließt sein Gedicht mit folgenden Zeilen: „Die hören sollen, sie hören nicht mehr, vernichtet ist das ganze Heer, mit dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan.“

Man kann diese Frage aber auch mit dem Zitat eines anderen deutschen Dichters beantworten, mit Günter Grass: „Ich habe meine Zweifel, ob der Westen die Kraft aufbringt (…) sich wirklich globale Gedanken zu machen und die Dritte Welt als gleichberechtigt miteinzubeziehen. Wenn man es täte, wäre es ein entscheidender Schritt, um dem vorhandenen Terrorismus auf Dauer das Wasser abzugraben, ihn auszudörren.“19

Anmerkungen

1) Vgl. Arquilla, John und Ronfeldt, David: Der Cyberkieg kommt!, in: Stocker, Gerfried und Schöpf, Christine (Hg.): Information.Macht.Krieg. Ars Electronica 98, Wien: Springer 1998, S. 24-56.

2) Vgl. Soueif, Ahdaf: Special report: terrorism in the US, in: Guardian, 15. September 2001.

3) Vgl. Singer, David J.: Soviet and American Foreign Policy Attitudes: Content Analysis of Elite Articulations, in: Journal of Conflict Resolution, 1964, S. 424-485.

4) Bush, George W.: Entweder Ihr seid für uns, oder Ihr seid für die Terroristen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. September 2001, S. 8.

5) Schröder, Gerhard: Solidarität mit den Menschen in den USA, in: Das Parlament, 21. September 2001, S. 11.

6) Zit. nach Precht, Richard David: Die deutsche Betroffenheit. Kommentar in der Sendereihe »Kritisches Tagebuch« von WDR 3, 13. September 2001. 7.

7) Zit. nach Clasmann, Anne-Beatrice: Bin Laden und sein Freund-Feind-Schema, in: Solinger Tageblatt, 5. November 2001, S. 2.

8) Roy, Arundhati: Terror ist nur ein Symptom. Ein Kontinent brennt. Warum der Terrorismus nur ein Symptom ist, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28 September 2001, S. 49.

9) Duve, Freimut: Das Ende der Vielfalt. Die Anti-Terror-Allianz als Risiko für die Pressefreiheit, in: Frankfurter Rundschau, 12. Oktober 2001, S. 23.

10) Nitschmann, Johannes: Journalistischer Ausnahmezustand, in: Menschen-Machen-Medien, Nr. 10/2001, S. 6.

11) Chwallek, Gabriele: Erst Phase II birgt echte Risiken, in: Wiesbadener Kurier, 12. Oktober 2001, S. 1.

12) Vgl. Sontag, Susan: Amerika unter Schock: Die falsche Einstimmigkeit der Kommentare, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. September 2001, S. 45.

13) Vgl. Schmitt, Uwe: Das fragwürdige Recht der Kritik an der Regierung. Einige US-Intellektuelle haben sich dem patriotischen Imperativ verweigert und werden dafür von allen Seiten scharf angegriffen, in: Die Welt, 2. Oktober 2001, S. 6.

14) Zit. nach Moorstedt, Tobias und Schrenk, Jakob: Nur noch eine Meinung auf der Welt, in: die tageszeitung, 3./4. November 2001, S. 17.

15) Augstein, Franziska: Teure Treue. Bündnissolidarität oder: Hauptsache, wir machen mit, in: Süddeutsche Zeitung, 15. November 2001, S. 15.

16) Vgl. N.N.: Joop vermisst Twin Towers nicht, in: Solinger Tageblatt, 16. Oktober 2001, S. 10.

17) Vgl. N.N.: Gegen den Krieg in Afghanistan, in: Rheinische Post, 18. Oktober 2001.

18) Ich danke an dieser Stelle Rolf Giesen vom Berliner Filmmuseum, der mir sein noch unveröffentlichtes Manuskript »Flammendes Inferno« von Anfang November 2001 zur Verfügung stellte.

19) Grass, Günter: Der Westen muss sich endlich fragen, was er falsch gemacht hat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Oktober 2001, S. 45.

Dr. Jörg Becker ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft ab der Universität Marburg und Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen

Friedensjournalismus als Beruf

Friedensjournalismus als Beruf

von Martin Zint

Der ruhige, harmonievolle Begriff »Frieden« läßt sich nur schwer zusammenbringen mit der landläufigen Vorstellung vom rasenden Reporter, der von Skandal zu Skandal und von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz eilt. Journalisten1 müssen aggressiv sein um immer in die erste Reihe zu kommen. Ihnen genügt ein kurzer Blick auf die Bühne. Was hinter den Kulissen geschieht ist nur dann ihr Job, wenn sie es, aus welchen Gründen auch immer, auf die Bühne zerren können. Journalisten sind vom Typ Jäger und Sammler. Der archaische Orientierungsreflex, also die reflexhafte Hinwendung zu einer Veränderung im Umfeld, ist bei ihnen noch besonders ausgeprägt. Und sie haben Übung darin, diese Veränderung zu erkunden, in ihrer Relevanz einzuschätzen und so umzusetzen, dass die RezipientInnen verstehen, was gemeint ist. Ist Journalismus als Profession also überhaupt friedensfähig? Aber ja, und JournalistInnen gehören sogar zu den Schlüsselfiguren der Prozesse, die zum Frieden führen.

Um das Thema bearbeiten zu können ist es nötig, sich an dieser Stelle gleich von dem hehren Begriff »Frieden« zu verabschieden. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Ziele dann eine gute Aussicht auf Realisierung haben, wenn sie leicht über dem liegen, was als erreichbar gilt. Liegt die Latte zu niedrig oder liegt sie viel zu hoch, sinken die Motivation und die Erfolgschance. In diesem Sinne und im Sinne der Operationalisierung des Themas wird hier nur der Frage nachgegangen, was JournalistInnen dazu beitragen können das Konflikte nicht gewaltförmig eskalieren. Konflikte haben einen typischen kurvenhaften Verlauf. Steigender Spannung folgt bei Erreichung eines gewissen Levels die gewaltförmige Entladung, nach der die Spannung nachlässt. Aufgabe der Konfliktbearbeitung ist es, den Verlauf der Kurve so zu beeinflussen, dass sie möglichst flach verläuft und sie nicht den Level der gewaltförmigen Entladung erreicht.

Was können JournalistInnen zur Konfliktbearbeitung beitragen?

Zuallererst können JournalistInnen durch ihre Arbeit die Kommunikation zwischen den Parteien fördern. In Konfliktsituationen ist die direkte Kommunikation zwischen den Parteien oft unterbrochen oder erschwert. Vieles von dem, was sie übereinander erfahren, stammt aus den Medien. Die Berichterstattung kann Konflikte präzisieren und definieren. JournalistInnen können dazu beitragen, Probleme und Interessen in einer Weise zu definieren, die ihre Lösung erleichtert. Sie sind manchmal besonders aufmerksam gegenüber den Konzessionen, die die Parteien machen, bei den Übereinstimmungen, die zwischen ihnen existieren, oder in Bezug auf Lösungen, die in Betracht gezogen werden.

Darüber hinaus haben Medien, und damit die JournalistInnen, einen Bildungsauftrag, der bei den elektronischen Medien in Deutschland sogar gesetzlich festgeschrieben ist. Dieser Auftrag ist ganz besonders im Umfeld von Konflikten wahrzunehmen. Durch einfache Veränderungen des Informationsumfeldes, in dem die Parteien operieren, kann sich die Dynamik eines Konfliktes stark verändern.

Rob. K. Mannoff lehrt am Zentrum für »War, Peace and the News Media« an der New York University. Er hat diese möglichen Rollen von JournalistInnen in der Konfliktprävention und der Konfliktbearbeitung beschrieben. Einige dieser Rollen, wie die vorgenannten, ergeben sich aus einem angelsächsischen Verständnis von journalistischer Arbeit. Andere Rollen setzen voraus, dass die JournalistInnen Kenntnisse in der Konfliktanalyse und der Konfliktbearbeitung haben. JournalistInnen können im Rahmen ihrer Arbeit Konflikte analysieren. Diese Rolle unterscheidet sich von der konventionellen Präsentation von Konflikten in den Medien. Die JournalistInnen wenden hier bewusst Methoden der Konfliktanalyse an, die aus der Konfliktforschung abgeleitet wurden. Sie erlauben es der Öffentlichkeit, ihr Verständnis von den Schlüsselaspekten der Situation systematisch zu verbessern und die Dynamik der Maßnahmen besser zu verstehen, die eingeleitet wurden um die Situation zu meistern.

Ein elaborierter Journalismus kann auch die Konturen der ProtagonistInnen herausarbeiten. Was so einfach klingt erfordert in der Praxis die besondere Fähigkeit, dies jenseits eines »Gut oder Böse«-Schemas zu tun. Hier kann die Konfliktforschung möglicherweise Kategorien liefern und eine systematische Einordnung ermöglichen.

JournalistInnen können sich auch aktiv einmischen. Z.B. können sie das Gleichgewicht der Kräfte stärken. Ein entsprechender Bericht in den Medien kann die stärkere Partei schwächen oder die schwächere Partei stärken und auf diese Weise die Parteien zu Verhandlungen zu ermutigen. Medien können zum Erfolg der Verhandlungen ganz beträchtlich beitragen, indem sie Kompromisse ermöglichen. Wenn sie einen Schritt in Richtung auf die Konfliktlösung machen riskieren die Parteien, dass sie von ihren AnhängerInnen angegriffen werden. Aus der Mediation im politischen Bereich ist bekannt, dass der eigentliche Mediationsprozess scheitern kann, wenn es keinen parallelen Prozess gibt, den man »soziale Mediation« nennen könnte. Durch ihn wird den AkteurInnen und den verschiedenen Anhängerschaften der verhandelnden Parteien dieser Prozess nahegebracht; er bereitet sie darauf vor, seinen Ausgang zu akzeptieren.

JournalistInnen können ihre Medien auch ganz bewusst in den Dienst der Konfliktbearbeitung stellen. Manche Konflikte eskalieren u.a. weil die Parteien nicht die adäquaten Mittel haben, ihre Klagen vorzubringen. Medien können sich auch als Mittel zur Konfliktaustragung zur Verfügung stellen. Das setzt jedoch besondere Kompetenzen, z.B. in der Interviewtechnik oder der Moderation, voraus. Entgegen einer verbreiteten Praxis geht es hier nicht darum, Konflikte zu dramatisieren und ihre öffentliche Austragung quotenfördernd darzubieten. Die Gesprächsführung darf nicht problemorientiert, sondern muss lösungsorientiert sein. Hier kommen ebenfalls Elemente aus der Mediation zum Tragen, die JournalistInnen als Zusatzqualifikation erwerben können.

Merkmale
des Friedensjournalismus
nach Johan Galtung

Wie bisher ausgeführt wurde, beinhalten die berufständischen Regeln eines Journalismus in angelsächsischer Tradition viele Elemente der konstruktiven Konfliktbearbeitung, auch wenn manchmal zusätzliche Qualifikationen, z.B. in der Konfliktanalyse und der Konfliktintervention, notwendig sind. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung sieht den Friedensjournalismus als eine journalistische Fachrichtung, die leider noch unzureichend entwickelt ist. So wie sich ein elaborierter Gesundheitsjournalismus entwickelt hat und Blüten treibt, so sollte es auch einen Friedensjournalismus geben, der sachlich über Konflikte und ihre Entstehung berichtet, Therapien aufzeigt und zur Vorbeugung ermuntert. Als konkrete Arbeitshilfe hat Galtung ein Schema entwickelt, das einen friedens- und konfliktorientierten Journalismus einem, wie er ihn nennt, Hass-Journalismus gegenüberstellt.

Friedens-Journalismus ist

  • friedens- und konfliktorientiert, d.h. er untersucht die Konfliktentstehung und Konfliktparteien, ihre Ziele und deren Folgen, er ist win-win-orientiert und widmet den Themen viel Zeit und viel Raum, da Ursachen und Folgen vielschichtig und auch in der Geschichte und Kultur zu suchen sind. Er macht Konflikte transparent, gibt allen Seiten eine Stimme, fühlt sich ein und versucht zu verstehen, stellt den Konflikt/Krieg als Problem dar und konzentriert sich auf kreative Lösungen, lässt allen Seiten die Menschlichkeit, egal wie schlimm die Waffen sind, berichtet pro-aktiv, d.h. bevor es zu Gewalt kommt, und konzentriert sich auf die unsichtbaren Kriegsfolgen (Traumatisierung und Verherrlichung, Zerstörung von Strukturen).
  • wahrheitsorientiert, d.h. er stellt die Lügen aller Seiten dar und deckt alle Verschleierungslügen auf.
  • volksorientiert, d.h. er zeigt das Leiden aller, gibt ihnen eine Stimme, nennt alle ÜbeltäterInnen und schaut auf FriedensmacherInnen im Volk.
  • lösungsorientiert, d.h. er versteht Frieden als Gewaltfreiheit und Kreativität, stellt Friedensinitiativen heraus, um neue Kriege zu verhindern, konzentriert sich auf Strukturen, Kultur, die friedliche Gesellschaft, berichtet über die Folgen des Krieges: Lösung, Wiederaufbau, Versöhnung.

Hass-Journalismus dagegen ist

  • kriegs- und gewaltorientiert, d.h. er konzentriert sich auf eine Darstellung der Konfliktaustragung, Polarisierung, des Sieges und ist nullsummenorientiert, berichtet auf begrenztem Raum und in begrenzter Zeit, sucht Ursachen nach dem Motto: Wer warf den ersten Stein? Er macht den Krieg undurchsichtig, geheimnisvoll, unterscheidet Journalismus »von uns« von dem »der anderen« (»Propaganda«), sieht die »anderen« als Problem, konzentriert sich auf die Erfolgreichen des Krieges, »entmenschlicht« die anderen, egal wie schlimm die Waffen sind, berichtet reaktiv, d.h. erst nachdem Gewalt ausgebrochen ist, und konzentriert sich auf die sichtbaren Folgen der Gewalt (Zahl der Toten und Verletzten, Materialverluste).
  • propagandaorientiert, d.h. er stellt die Lügen der anderen dar und deckt die Verschleierung der anderen auf.
  • elitenorientiert, d.h. er zeigt »unser« Leiden und spricht für die männliche Elite, nennt »deren« Übeltäter und schaut auf Friedensstifter der Elite.
  • Ergebnisorientiert, d.h. er versteht Frieden als Sieg, Niederlage oder Waffenstillstand, verheimlicht Friedensinitiativen so lange kein Ergebnis in Sicht ist, konzentriert sich auf Abkommen, Institutionen, die kontrollierte Gesellschaft und berichtet über Folgen dann, wenn der Krieg wieder aufflammt.

Was lernen FriedensjournalistInnen,
was andere JournalistInnen
nicht lernen?

Das Media Peace Center in Kapstadt, Südafrika, hat über ein Jahrzehnt Erfahrung in der konfliktlösungsorientierten Trainingsarbeit mit JournalistInnen. Dabei werden klassische journalistische Arbeitsfelder geschult wie der Umgang mit der Sprache (Was unterscheidet FreiheitskämpferInnen und TerroristInnen?; Konkretion gegen Abstraktion = Blick auf die Opfer statt von Kollateralschäden zu sprechen), Interviewtraining (Wie erkundet man die fünf berühmten W gegenüber Konfliktparteien?), der Umgang mit Quellen (Eliten- oder volksorientiert?). Zentraler Begriff ist das »Framing«, also unter welchem Blickwinkel und mit welchem Ausschnitt wird der Gegenstand der Berichterstattung dargestellt (Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Werden 400 überleben oder 100 sterben?). In Südafrika wurden besonders viele Erfahrungen gesammelt, nicht nur im Kapstädter Media Peace Center. Diese Erfahrungen müssen für die journalistische Praxis weltweit nutzbar gemacht werden. Organisationen wie die Schweizer Stiftung Hirondelle und Search for Common Ground, Washington, haben da schon einiges angestoßen. Beachtenswert ist auch die Arbeit des britischen Conflict and Peace Forums, Taplow.

Beispiele für deeskalierenden Journalismus
und Friedensjournalismus

JournalistInnen brauchen Medien, um die Produkte ihrer Arbeit für die RezipientInnen wahrnehmbar zu machen. Die innere und äußere Verfasstheit dieser Medien bedeutet in der Praxis oft eine Einschränkung der berufsständischen Regeln. Verlage und Rundfunksender sehen journalistische Qualität nicht mehr unbedingt als wichtigstes Kriterium, sondern zunehmend als Kostenfaktor. Der Wettbewerb im Mediensektor läuft völlig einseitig über die Auflage, respektive die Quote, und nicht über die Qualität. Das führt dazu, dass sich die Anforderungen im Medienbereich von der journalistischen Kompetenz weg hin zur Präsentation verlagern. Wirtschaftliche Faktoren vom Kostendruck bis zur direkten Einflussnahme gehören nach Ansicht vieler PraktikerInnen zu den ernsten Bedrohungen der Pressefreiheit, zumindest aber der journalistischen Qualität. Die Tatsache, dass die Lufthansa Anfang dieses Jahres eine Ausgabe der deutschen Financial Times nicht an Bord nahm, weil diese sich in einem Artikel kritisch mit der Geschäftspolitik der Airline auseinandergesetzt hatte, zeigt, mit welche harten Bandagen gekämpft wird.

Dieser Befund macht es zunehmend nötig, in Krisensituationen die Informationsübermittlung durch selbstorganisierte Medien zu sichern. Das schon erwähnte »Center for War, Peace and the News Media« der New York University nennt derzeit die Zahl von 150 Projekten der Konfliktbearbeitung durch Medien weltweit. Die Anstrengungen, die BBC, Deutsche Welle oder VOA zur Information nach journalistischen Kriterien in lokalen Sprachen machen, sind besonders in Krisenregionen mit eingeschränktem Zugang zu Informationen sehr wichtig, aber keineswegs ausreichend. Krisenregionen, z.B. im Bereich der großen Seen Afrikas, brauchen spezifische Information. Medien die solche Informationen liefern wollen, müssen in der Region lokal verankert sein. Informationsverbreitung von außen kann nur letztes Mittel sein.

Die UNESCO leistet mit ihrer Abteilung »SOS Medien« seit 1992 Medienhilfe, sowohl auf diplomatischer Ebene zur Vergabe von Frequenzen und in der Begleitung von Mediengesetzgebung, durch die Einbeziehung von Medienfragen bei der Aushandlung von Friedensvereinbarungen und in humanitären Hilfsaktionen. In Einzelfällen hat auch der Sicherheitsrat der VN, z.B. 1992 in Kambodscha, die Einrichtung unparteiischer Medien beschlossen. Welche Medien unterstützt werden, ist stark von den Infrastruktur der jeweiligen Region abhängig, für den afrikanischen Kontinent z.B. liegt ein deutlicher Schwerpunkt beim Radio.

Der BBC-Monitoring Service hat 1998 eine Aufstellung der verschiedenen elektronischen so genannten Hass- und Friedensmedien versucht. BetreiberInnen sind meist NGOs, oft Interessengruppen politischer, ethnischer oder religiöser Art. Der Begriff »Friedensradio« wird dabei auch kritisch diskutiert: Radio solle keine Gegenpropaganda machen, weil das nur zu Polarisierung führe; Ziel von Medienprojekten müsse die Unabhängigkeit und Professionalität der geförderten Medien sein.

Drei Projekte medialer Intervention bei Konflikten:

Studio Ijambo, Burundi/Agence Hirondelle, Tansania/Star Radio, Liberia

Der afrikanische Staat Burundi ist gekennzeichnet von starken ethnischen Gegensätzen zwischen den dort lebenden Angehörigen der Volksgruppen der Hutus und der Tutsis. Nachdem sich die Spannungen zwischen diesen Gruppen im benachbarten Ruanda 1994 in einem Völkermord entladen hatten, gab es Initiativen, eine ähnliche Eskalation in Burundi durch Präventionsarbeit zu verhindern. Eines dieser Projekt ist Studio Ijambo, eine Radioredaktion, die Sendezeit auf dem staatlichen Sender zur Verfügung hat. Die US-amerikanische NGO Search for Common Ground hat Studio Ijambo eingerichtet und lokale JournalistInnen angestellt. In gemischt-ethnischen Teams aus Hutus und Tutsis recherchieren sie Themen und setzen sie in Radio-Programme um, die mehrere Funktionen erfüllen.

Da Hutus und Tutsis gemeinsam auftreten, können sie Einblick in die Realität der ansonsten streng abgeschotteten anderen Gruppe bekommen und in die jeweils eigene Gruppe kommunizieren. Diese Teams erreichen auch eine besonders hohe Glaubwürdigkeit. Internationale Agenturen und Sender wie die BBC nutzen Studio Ijambo als Informationsquelle. Gesprächsrunden mit ModeratorInnen, die in konfliktlösender Gesprächsführung geschult sind, fördern den politischen Diskurs zwischen den verfeindeten Gruppen. Ergänzend wird eine Radio-Soap-Serie produziert, in der eine Hutu- und eine Tutsi-Familie Wand an Wand wohnen und ihre Alltagskonflikte ohne Gewalt lösen.

Der Genozid 1994 in Ruanda wird derzeit vor einem UN-Tribunal juristisch aufgearbeitet. Dieses Tribunal findet in Arusha, einer Provinzstadt Tansanias, statt. Die Kommunikationsinfrastruktur ist schlecht, internationale Medien waren dort überhaupt nicht vertreten. So könnte die juristische Aufarbeitung des Völkermordes in aller Stille stattfinden. Wenn nicht die Schweizer Stiftung Hirondelle, auf Medieneinsatz in der Konfliktbearbeitung spezialisiert, in Arusha eine Redaktion eingerichtet hätte. Die berichtet regelmäßig von der Arbeit des Gerichtshofes für den Hörfunk und die schreibende Presse in englisch, französisch und kinyruanda. Außerdem dokumentiert sie die Arbeit des Tribunals und macht die Dokumente im Internet verfügbar. Vor dem Tribunal in Arusha stehen übrigens auch Journalisten unter der Anklage des Völkermordes. Mit dem italienisch-belgischen Journalist Georges Ruggio wurde erstmals ein Journalist wegen seiner Hetze auf einem Radiosender (Milles Collines/MC, Ruanda) zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Herbst wird es einen weiteren Prozess gegen den Direktor und ein Mitglied des Trägerkreises von Radio MC sowie gegen den Chefredakteur der Zeitung Kangura geben.

Während des Bürgerkrieges in Liberia waren Radiosender wichtige Kriegsziele. Vor und noch lange während des Krieges gab es mehrere unabhängige Sender. Sie wurden jedoch nach und nach zerstört. Danach verfügte der einflussreichste Milizenchef mit seinen Sendern über ein Nachrichtenmonopol im Land, da die Infrastruktur, z.B. für den Zeitungsvertrieb, zerstört war und ein Großteil der Bevölkerung analphabetisch ist. Als ein Friedensprozess in Gang kam, richtete die Stiftung Hirondelle mit internationaler Unterstützung Star-Radio ein, mit leistungsstarken UKW- und Mittelwellensendern. Eine Redaktion aus einheimischen JournalistInnen machte ab Juni 1997 ein sehr erfolgreiches nachrichtenorientiertes Programm in 17 lokalen Sprachen, das im ganzen Land empfangen wurde und per Internet weltweit abgerufen werden konnte. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen mit der Regierung wurde Star-Radio am 15. März 2000 von den liberianischen Behörden geschlossen. Trotz intensiver Bemühungen auf vielen Ebenen konnte es bis heute nicht wieder auf Sendung gehen.

Von der Legitimität
medialer Intervention

Star-Radio wurde Opfer der Achilles-Ferse elektronischer Medien. Sie sind fast überall auf die Zustimmung der jeweiligen Regierungen angewiesen. Rechtliche Probleme gehören zu den größten Schwierigkeiten von Projekten der Konfliktbearbeitung durch Medien. Auf Einladung der Schweizer Stiftung Hirondelle fand deshalb im Juli 1998 in Genf ein internationales Kolloquium zu der Frage statt: Darf sich die internationale Gemeinschaft in die Belange der Information einer Region einmischen?

Das Ergebnis: Das internationale Recht kennt keine explizite Rechtsgrundlage für die Verbreitung unparteiischer Informationen (non-partisan-information) in einem Land, dessen Regierung dies nicht zulässt. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die Freiheit sich zu informieren sind individuelle Rechte. Wenn aber der Zugang zu unparteiischer Information für die Menschen in Krisenregionen unmöglich gemacht wird, kann ein Recht auf Einmischung entstehen. Nach der Genfer Konvention hat die internationale Gemeinschaft das Recht zur Einmischung wenn die humanitären Grundbedürfnisse nicht gesichert sind. Sie kann dann für die Deckung dieser Grundbedürfnisse sorgen, auch ohne das erklärte Einverständnis der jeweiligen Machthaber. Bei Beginn humanitärer Hilfeleistung kann auch die Einrichtung unparteiischer Medien zur Vorbedingung gemacht werden. Die UNESCO fordert dies seit vielen Jahren. Unter den Teilnehmenden des Kolloquiums herrschte Einigkeit, dass es sich bei der Frage des Zugangs zu unparteiischer Information um ein solches Grundbedürfnis handelt. Durch die regelmäßige Einbindung von Medienprojekten in humanitäre Hilfsmaßnahmen könnte ein Gewohnheitsrecht entstehen, eine noch zu erarbeitende internationale Konvention über das Recht zur Information wird angestrebt.

Literatur:

Bußler, Ingrid: Deeskalierende Friedens- und Kriegsberichterstattung. Eine kommentierte Bibliographie. Hagen 1998, Arbeitspapiere der LAG Friedenswissenschaft in NRW, Fern-Universität Hagen, Im Dünningsbruch 9, 5084 Hagen.
christiane.lammers@fernuni-hagen.de

Hartwig, Stefan: Konflikt und Kommunikation, Berichterstattung, Medienarbeit und Propaganda in internationalen Konflikten vom Krimkrieg bis zum Kosovo, Münster/W, Lit, 1999, ISBN 3-8258-4513-3.

Conflict and Peace Courses/Transcend Peace and Develpoment Network: The Peace Journalism Option, 1998, Taplow Court, Taplow, Bucks, SL6 OER, UK
www. conflictandpeace.org, info@ conflictandpeace

Conflict and Peace Forums/Transcend Peace and Develpoment Network: What Are Journalists For? The Peace Journalism Option 2, 1999 Taplow Court.

Dieselben: Using Conflict Analysis in Reporting, »The Peace Journalism Option 3«; 2000, Taplow Court.

Zhou Mei, Radio UNCTAD of Cambodia, Winning hearts and minds, White Lotus Verlag, Bangkok, 1994, ISBN 974-8496-17-1.

Galtung, Johan: low road – high road, in: track two, Vierteljahresschrift des Centre for conflict resolution and the media peace centre, c/o UCT, Private Bag, 7701 Rondebosch, Republik Süd-Afrika, Dezember 1998.

Manoff, Robert Karl: Role Plays, in track two, Vierteljahresschrift des Center for conflict resolution and the media peace centre, c/o UCT, Private Bag, 7701 Rondebosch, Republik Süd-Afrika, Dezember 1998.

Media and Conflict – Promoting Peace, A Symposium with journalists from Eritrea and Ethiopia, 24.-27.1.99, Documentations and reports, No. 1, editet by the Heinrich Boell Foundation, Berlin 1999.

Fachot, Morand: Tentative d'inventaire critique des radios et télévison de haine de paix actuelles, BBC Monitoring Service, März 1998, www.monitor.bbc.co.uk

print process special 2.000, Pressefreiheit – alles unter Kontrolle, www.printprocess.net

message, internationale Fachzeitschrift für Journalismus, www.message-online.com

Kontakte und weitere Informationen bei:

Fondation Hirondelle, 3, Rue Traversière, CH 1018 Lausanne, www.hirondelle.org

Search for Common Ground, 1601 Connecticut Avenue NW, Suite 200, Washington DC
20009, USA, www.searchforcommonground.org

Institut für strategische Kommunikationsforschung e.V., isk@excite.de

Conflict and Peace Forums/Transcend Peace and Develpoment Network, Taplow Court, Taplow, Bucks, SL6 OER, UK, www. conflictandpeace.org, info@ conflictandpeace

The Media Peace Centre, c/o UCT, Private Bag, 7701 Rondebosch, Republik Süd-Afrika.

Anmerkung

1) Bei dem Versuch, den Text geschlechtsneutral zu gestalten, fiel mir auf, dass viele Facetten journalistischen Verhaltens tatsächlich typisch männliche Verhaltensmuster sind. Ich habe deshalb an einigen Stellen bewusst darauf verzichtet, Kolleginnen einfach einzubeziehen und die männliche Form »Journalist« verwendet.

Diplom-Pädagoge Martin Zint arbeitet als Freier Autor, spezialisiert auf Westafrika und Medien in der Konfliktbearbeitung. Er ist Koordinator der AG »Qualifizierung für zivile Konfliktbearbeitung/Zivilen Friedensdienst«

Mediengestammel anlässlich eines Geiseldramas

Mediengestammel anlässlich eines Geiseldramas

Abu Sayyaf als Subunternehmer staatlichen Terrors

von Rainer Werning

So viel hochdotierte und zelebrierte Konfusion war selten, wie während der bewegten und bewegenden Tage des Geiseldramas auf der südphilippinischen Insel Jolo. Doch kaum ein Vertreter der mit modernstem technischen Gerät ausgestatteten, omnipräsenten und häufig live geschalteten Medienschar fühlte sich bemüßigt, den interessierten ZuschauerInnen das eigentlich nahe Liegende auch nur ansatzweise zu erklären: Wieso gelingt es ein paar geiselnehmenden Desperados immer wieder, mit einem Großaufgebot von bis zu 5.000 philippinischen Militärs Katz und Maus zu spielen und gebetene sowie ungebetene Vermittler mühelos auflaufen zu lassen? Wer und was steckt hinter Abu Sayyaf?

Der Medientross gefiel sich darin, Statements und Infohäppchen zu paraphrasieren, die ihm aus zivilen und militärischen Regierungsstellen in Manila und vom SouthCom, dem in Zamboanga beheimateten und für die Region zuständigen Südkommando, gesteckt wurden. Einige der vor Ort anwesenden JournalistInnen waren zuvor im Kosovo und in Tschetschenien und lechzten offensichtlich nach spektakulären Bildern, zu denen ihnen, so sie diese schließlich von philippinischen KollegInnen zugespielt bekamen, meistens nur Spruchblasen einfielen. Bevor auch nur Genaues über den Tathergang bekannt war, waren bereits die Täter ausgemacht und lief die Feindbildprojektion auf Hochttouren. „Islamistische Terroristen“, „Moro-Sezessionisten“ und „moslemische Rebellen“ seien dafür verantwortlich. Hartmut Idzko sprach am 25. April in der 20-Uhr-Tagesschau vom „Rebellenführer Abu Sayyaf“, was so präzise ist, als begrüßte im Gegenzug ein Moro den guten Korrespondenten mit »Hartmut Tagesschau«. Schließlich ist Abu Sayyaf der Name der Organisation, als ihr Chef gilt Khaddafy Janjalani. Unzählige Male wurde aber in den westlichen Medien der Vorsitzende der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), Hashim Salamat, als Abu Sayyaf-Chef ausgegeben. Der Geheimdienstgeneral José Calimlim wird sich ob seiner famos geglückten Desinformation mächtig gefreut haben. Salamat, den Vorsitzenden der heute bedeutsamsten und größten Moro-Widerstandsbewegung, in einen Topf mit Abu Sayyaf zu werfen, ist nicht nur gefährlicher Unfug – das hat Methode. Schließlich hat Präsident Joseph Estrada höchstpersönlich mehrfach öffentlich den „Moro-Rebellen den totalen Krieg“ erklärt und ihnen Anfang Mai unterschiedslos mit ihrer „Pulverisierung“ gedroht.

Günter Ederer, von 1985 bis 1990 ZDF-Korrespondent in Ostasien, gelang in einem Beitrag für Die Welt (4. Mai) ein nachgerade müheloser Rückfall hinter Karl May. Darin heißt es u.a.: (…) fasziniert mich am meisten, wie der wilde und unzivilisierte Stamm der Tausugs (…) es geschafft hat, seine Räuberei und Piraterie international als islamischen Aufstand hoffähig zu machen. (…) Die Stunde von Nur Misuari schlug unter Präsident Ramos. Die Pfründe wurden neu verteilt. Seine bewaffneten Krieger übernahmen die Rolle der Ordnungsmacht und seit er im Palast der autonomen Verwaltung in Zamboanga Platz nehmen durfte, sitzt er an den Einnahmequellen. Prompt entstand eine neue »Befreiungsarmee«, die Abu Sayyaf.„ Da verschränken sich rassistische Versatzstücke mit purem Unsinn. Die autonome Verwaltung, die Herr Ederer meint, ist die »Autonomous Region of Moslem Mindanao« (ARMM), deren Gouverneur Misuari ist, die aber ihren Sitz in Cotabato City (Maguindanao) hat. Seinen Frieden schloss Misuari mit Ex-Präsident und Ex-General Fidel V. Ramos am 2. September 1996. Demnach ist laut Ederer das Geburtsdatum der Abu Sayyaf nicht vor September 1996 festzumachen. Da muss er, dessen Beitrag mit einem postkolonialem Charme ausstrahlenden Privatfoto (zusammen mit waschechten Piraten) versehen wurde, fast ein Jahrzehnt dieser trüben Truppe übersehen oder vergessen haben.

Ähnliche »Qualität« im Kölner Stadt-Anzeiger (8.5.), der in völliger Verkehrung der Realität seinen Philippinen-Beitrag mit „Moslems führen gegen Manila Krieg“ betitelte! Sympathischer wirkten da schon zwei Beiträge von Tilmann Bünz und Uwe Kröger. Erstgenannter meldete sich am 8. Mai in der Nachmittagsausgabe der Tagesschau zu Wort, um als Neuigkeit das Ende der Vermittlerrolle des philippinischen Chefunterhändlers Nur Misuaris zu verkünden – was zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht stimmte! Sein Resümee: Die ganze Lage sei verwirrend und chaotisch, man blicke kaum noch durch. Einen Tag später (9. Mai) meldete sich sein ZDF-Kollege Kröger im heute journal mit einem Feature aus Basilan, jener Insel, auf der Abu Sayyaf eine ganze Schulklasse als Geiseln genommen und der Provinzgouverneur Wahab Akbar im Gegenzug Verwandte und Freunde des Abu Sayyaf-Chefs Khaddafy Janjalani gekidnappt hatte. Dort sprach er wenigstens mit Kindern dieser Schulklasse, denen die Flucht geglückt war und ließ sie selbst zu Wort kommen.

Im Zeitalter schneller Bilder und rasanter Globalisierung gerät offensichtlich die seriöse Recherche immer stärker unter den Hammer. Unter dem Zwang, in höchstens drei Minuten Substanzielles zu sagen, wird Plattitüde zum Programm.

Metamorphosen des Terrors

Abu Sayyaf (wörtlich: »Vater des Schwertes« oder »Vater des Scharfrichters«) ist ein komplexes Phänomen, das überdies einige Metamorphosen erlebte. Ihre Ursprünge reichen zurück in die Ära der Marcos-Nachfolgerin Präsidentin Corazon Aquino, mit der der Gründungsvorsitzende der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) und langjährig im libyschen Exil weilende Nur Misuari 1986/87 Friedensgespräche führte. Sie scheiterten auf der ganzen Linie und führten vor allem auf der Insel Basilan – später auch auf Jolo und Tawi-Tawi – zur Desillusionierung einstiger Weggefährten. Misuari war dieser Gruppe von Ex-MNLF-Kämpfern suspekt geworden und hatte seine Führungsrolle verspielt. Als neue Leitbilder galten fortan Ayatollah Khomeini (Riesenposter von ihm prangten in Dschungelcamps, vermittelt von iranischen Missionaren) und die hauptsächlich von Pakistan aus operierenden Widerstandskämpfer gegen das Kabuler Regime und die sowjetischen Besatzertruppen. Einige Abu Sayyaf-Mitglieder erhielten dort ebenso eine militärische Ausbildung wie später unter den Taliban-Milizen.

Zu Beginn der 90er-Jahre kam eine neue Komponente ins Spiel, die für das philippinische Militär und den Geheimdienst des Landes wenig schmeichelhaft ist. Ich beschränke mich hier auf den Fall von Edwin Angeles. Dieser, ein Agent der Sicherheitskräfte, trat zu der Zeit zum Islam über, avancierte alsbald zu einem der Feldkommandeure von Abu Sayyaf und war für mehrere deren Militäroperationen verantwortlich. 1995 kehrte Angeles der Abu Sayyaf den Rücken, tauchte unter, um im Januar 1999 von Sicherheitskräften erschossen aufgefunden zu werden. Einen Monat zuvor hatte es den Gründer von Abu Sayyaf, Abdurajak Abubakar Janjalani erwischt, der während eines Feuergefechts mit Armeeeinheiten ums Leben kam. Seitdem hat sein Bruder Khaddafy Janjalani die Führung der zirka 800 Mann starken, militaristischen Gruppe übernommen, deren Mitglieder überwiegend auf Yakan rekrutiert wurden. Auch er eine schillernde Person: Khaddafy diente einst in der Philippinischen Nationalpolizei (PNP) und stand zeitweilig unter Aufsicht der Streitkräfte (AFP) in Manilas Camp Crame. Bis heute bleibt unklar, ob er auf freien Fuß gesetzt wurde, entfliehen konnte oder in bestimmter Mission tätig ist. Jedenfalls gehörten Kidnapping (zumeist reicher Geschäftsleute), Lösegelderpressungen und Terroranschläge gegen zivile Einrichtungen zum Repertoire dieser Gruppe. Die aus diesem »Business« erzielte Beute, auch das gilt es im Detail zu klären, kam nach Einschätzungen zuverlässiger Quellen vor Ort teilweise lokalen und regionalen Politikern und Militärs direkt oder indirekt zugute. Diese revanchierten sich, indem kaum eine Aufklärung – von einer rechtskräftigen Verurteilung ganz zu schweigen – spektakulärer Abu Sayyaf-Aktionen stattfand. Bei ihrem Angriff auf den Ort Ipil starben 1995 über 50 Menschen und vor Weihnachten 1998 machten sie durch Granatenanschläge gegen Kirchen und ein Einkaufszentrum in Zamboanga City von sich reden, bei denen 60 Personen zum Teil schwer verletzt wurden.

Am 8. Mai hielt Senator Aquilino Pimentel in seinem und im Namen der anderen beiden aus Mindanao stammenden Senatoren Teofisto F. Guingona und Robert Z. Barbers im philippinischen Senat eine bemerkenswerte Rede. Erstens handelte es sich um eine parteiübergreifende Stellungnahme. Zweitens attackierte sie scharf die neuerliche Entfesselung des Krieges in Zentralmindanao, der bis zum 10. Mai bereits 160.000 Menschen zu Vertriebenen machte und Hunderte von Toten forderte. Schließlich enthielt sie Pikantes zur Abu Sayyaf. In dieser mit »Stop Hostilities for the People`s Sake« betitelten Stellungnahme heißt es beispielsweise: „(…) Die MILF und Abu Sayyaf ständig zusammenzuwürfeln, als handele es sich um ein und denselben Hund mit unterschiedlichen Halsbänden, ist unstatthaft. Die MILF hat eine politische Agenda. Die Abu Sayyaf ist eine durch und durch kriminelle Vereinigung. Die MILF kämpft dafür, die eigene Kultur, Religion und Identität zu wahren. Abu Sayyaf kämpft hingegen, um ihre Verbrechen in ein Business zu verwandeln, von dem einzig diese Gruppe profitiert. Abu Sayyaf-Kämpfer wurden ursprünglich als freiwillige Moujahedeen rekrutiert, um im amerikanischen Stellvertreter-Krieg in Afghanistan in den frühen 90er Jahren zu dienen. (…) Finanzielle und logistische Unterstützung erhielt Abu Sayyaf von US-Undercover Agents – mit eventueller Verbindung zur CIA. Osama Bin Laden könnte dabei den Hauptkurier gespielt haben, was entweder die finanzielle Unterstützung oder Waffenlieferung an Abu Sayyaf oder gar beides betrifft.“ Sollte sich dies bewahrheiten, hieße das Fazit: Widerstandskämpfer werden von einflussreichen politischen Kräften zuerst kreiert und politisch instrumentalisiert, um im Bedarfsfall zu Terroristen abgestempelt und in den Orkus verbannt zu werden.

Misuaris zum Scheitern verurteilte Mission

Die Entwicklungen lassen vermuten, dass es »Koordinationsschwierigkeiten« und Kompetenzgerangel zwischen zentralen und regionalen/lokalen Instanzen gibt – sozusagen ein Zentrum-Peripherie-Konflikt auf anderer Ebene. Im Vorfeld der seit 1993 hauptsächlich in Indonesien geführten Gesprächsrunden zwischen der MNLF und der Ramos-Regierung, die am 2. September 1996 zur Unterzeichnung des endgültigen Friedensvertrages führten, war Abu Sayyaf ein wesentliches Destabilisierungselement, von sämtlichen reaktionären Kräften als eine Art Subunternehmen instrumentalisiert, um Chaos und interreligiöse Konflikte gezielt zu schüren und Misuaris »Kapitulation« (Hashim Salamat) zu beschleunigen. Ein halbes Jahr vor Unterzeichnung des Friedensabkommens, im März 1996, hatte Misuari in einem langen Gespräch mit dem Autoren in Jolo noch die Hoffnung gehegt, ein »Arafat der Moros« zu werden. Ein fataler Trugschluss: Sein Schulterschluss mit dem Korea- und Vietnamkriegsveteranen und an US-amerikanischen Militärakademien in PsyOp (psychologische Kriegsführung) geschulten Ramos ließ ihn schrittweise und unaufhaltsam zur Fußnote (einige seiner Weggefährten setzen das Adjektiv »lächerlich« hinzu) des Moro-Widerstandes herabsinken. Der Friede blieb brüchig und die Performance des als ARMM-Gouverneur vollständig ins System integrierten Misuari grotesk. Kein Wunder, dass Manila nunmehr alles daran setzt, die bereits 1978 von der MNLF abgespaltene MILF als Pfahl im Fleisch zu betrachten und sie, die nach wie vor für Unabhängigkeit einsteht, zu »befrieden«. Und gleichsam ist es nicht erstaunlich, dass Misuari als Vermittler im Geiseldrama von Anfang an strikt abgelehnt und selbst unter seinen Tausug-Gefolgsleuten als »parenta« eingestuft wurde. Was frei übersetzt so viel bedeutet wie »Der hat denselben Stallgeruch wie die Regierung«. Die allererste Forderung der Geiselnehmer war denn auch die sofortige Absetzung Misuaris als Chefunterhändler – ein Zeichen dafür, dass zentralen Vermittlungsinstanzen weniger Gewicht als regionalen/lokalen zukommt.

Es sind zu Misuari auf Distanz gegangene Ex-MNLFler, die direkt oder indirekt mit Abu Sayyaf kooperieren. Damit aber kommt nolens volens die Staatsmacht auf peripherer Ebene ins Spiel. Das am 2. September 1996 zwischen der MNLF und Manila geschlossene Friedensabkommen sieht als einen wesentlichen Bestandteil die Integration 7.500 früherer MNLF-Kämpfer in die Streitkräfte (AFP) und Nationalpolizei (PNP) vor. Dieser Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen. Doch die bereits Integrierten pflegen enge Kontakte zu ihren Weggefährten, einschließlich der Abu Sayyaf – wichtiger noch: Sie sind oftmals verwandtschaftlich mit ihnen verbunden. Bekanntlich ist Blut dicker als Wasser. Da saßen denn Burschen, die Kidnapping als Einkommen schaffende Maßnahme betrachten, in mehreren Barangays (Barrios) von Talipao und Patikul mit ihren Geiseln und ließen andere Segmente/Fraktionen des Militärs im Dunkeln tappen. Talipao und Patikul aber sind seit langem einige der zahlreichen Domänen der MNLF, die sich von Misuari verschaukelt fühlen, da dieser sie nach September 1996 wie eine heiße Kartoffel fallen ließ.

Als Hauptverantwortlicher der Geiselnahme gilt Galib Andang alias Kommandeur Robot. Andang ist ein notorischer Krimineller, der seit längerem im Sulu-Archipel sein Unwesen treibt und als Drahtzieher in mehreren Erpressungs- und Kidnapping-Fällen gilt. Was Misuaris Verhandlungsrolle und die der wegen ihrer Nähe zu ihm ebenfalls scheiternden Unterhändler erschwert(e) ist die Tatsache, dass hinter Andang mit Mujib Agga Susukan, Said Suaib und Abu Pula Jumdail drei Kommandeure stehen, die alte Rechnungen mit Misuari, mithin also mit dem Staatsapparat, zu begleichen haben. Der Vater von Mujib beispielsweise, ein alter Kampfgefährte Misuaris und MNLF-Provinzkommandeur, kam vor einigen Jahren in einem Feuergefecht mit Regierungstruppen ums Leben. Und Mujib selbst, der Misuari nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1996 um politische und finanzielle Unterstützung bat, fühlte sich maßlos brüskiert, als dieser ihn einfach links liegen ließ.

Ablenkung vom Krieg in Zentralmindanao

Der von den westlichen Medien anfänglich so hoch geschätzte Friedensmakler Misuari blockierte letztlich eine sensible und diskrete Verhandlung mit unkonventionellen Mitteln. Das heißt, die Kanäle waren blockiert für solche Avancen, die jenseits des Scheinwerferlichts hätten genutzt werden können, aber aufgrund der auf eine Kriegslogik eingeschworenen Regierung nicht zum Zuge kamen. So verhandelte Misuari tagelang mit seinem eigenen Schatten. Gleichzeitig aber waren nur wenige erpicht, in diesen Schatten zu treten. So ist denn die Zentralregierung Opfer und Täter zugleich einer Politik, die auf zentraler Ebene aus den Fugen gleitet und regional/lokal tatkräftig den Geiselnehmern zuarbeitet.

Natürlich verdienen die 21 Geiseln Mitgefühl, aber es ist skandalös, wenn nur über die Geiseln und nicht auch über die 160.000 zwangsevakuierten Opfer staatsterroristischer Aktionen in Zentralmindanao informiert wird. Unweit Zamboangas, im Hochland von Maguindanao, den beiden Lanao-Provinzen und selbst in Städten wie Davao und General Santos führt das Militär seit März Großoffensiven gegen die MILF durch und wiegelt von ihr kurzerhand aus dem Boden gestampfte paramilitärische Banden auf, interreligiösen Hass zu säen. Seit Anfang Mai haben Marine- und andere Eliteeinheiten der philippinischen Armee ihren Belagerungsring um das MILF-Hauptquartier Camp Abubakar, in den beiden Lanao-Provinzen und in Maguindanao enger gezogen. Gleichzeitig wurden über 1.000 frisch rekrutierte Paramilitärs, Mitglieder der sogenannten CAFGU (Citizen Armed Forces Geographical Units), zur Unterstützung der Armee in das Gebiet abkommandiert. Gut die Hälfte der Kampfverbände ist somit im Süden des Archipels konzentriert. Der Narciso Ramos Highway, der die Provinzen miteinander verbindet, wurde für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Elektrizitätsmasten wurden vielerorts in die Luft gesprengt, Banken ganz oder zeitweilig geschlossen, Flüge zwischen Manila und Cotabato City und General Santos City kurzerhand eingestellt. Willkürliche Verhaftungen nehmen zu und erinnern fatal an die bleiernen Marcos-Jahre. Sollte ein Großangriff auf Camp Abubakar erfolgen, wäre das der Beginn eines neuerlichen offenen Bürgerkrieges! Manilas Regierung scheint die Eskalation der Gewalt billigend in Kauf zu nehmen. Der von zahlreichen Skandalen und Korruptionsaffären lädierte Präsident folgt mit seinen Militärs einer Kampf- und Kriegslogik, die der Ex-Schauspieler früher bevorzugt in Billigproduktionen zelebrierte. Verantwortlich ist letztlich er, den das Auswärtige Amt und die EU (vertreten durch Javier Solana) noch immer hofieren. Das vertrackt die Lage und verheißt wenig Gutes.

Als Geste des guten Willens erklärte die MILF am Abend des 5. Mai eine einseitige Feuerpause, die ab dem 6. Mai morgens in Kraft trat. Die Regierung hat jedoch zum Entsetzen zahlreicher NROs und namhafter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – darunter Erzbischof Orlando Quevedo und der rührige Friedensadvokat Fr. Eliseo Mercado aus Cotabato City – diese Geste missachtet. Verteidigungsminister Orlando Mercado und Generalleutnant a.D. Edgardo Batenga, Chefunterhändler Manilas bei den zwischenzeitlich geplatzten Friedensgesprächen mit der MILF, spielten die Ahnungslosen und verschanzten sich hinter der Ausrede, weder der eine noch der andere hätte die Order zur neuerlichen Offensive gegeben. So desolat deren Informationspolitik ist, so draufgängerisch gebärdet sich weiterhin Estrada. Der Mann hat, wenn immer er ausgerechnet den Süden seines Archipels besucht, die Chuzpe, im Kampfanzug zu erscheinen – ein famose Geste gegenüber den Moros. Das wagte nicht einmal die rechte Hand von Marcos und dessen Kriegsrechtsverwalter und Ex-Präsident Ramos. Der General a.D. war wenigstens so sensibel, während seiner Amtszeit stets in Zivil zu erscheinen.

Eigentlich genügend Stoff für qualitative Hintergrundberichte im Umfeld eines Geiseldramas.

Anmerkung

Das vorliegende Manuskript wurde am 10. Mai abgeschlossen.

Dr. Rainer Werning, Geschäftsführer der Stiftung für Kinder (Freiburg i.Br.) und Vizepräsident des International Forum for Child Welfare (Genf/Brüssel), befasst sich seit 1970 u.a. intensiv mit der Mindanao- und Moro-Problematik. Erst kürzlich kehrte er von einer neuerlichen Reise nach Mindanao, Sabah (Ostmalaysia) und Jolo zurück.