Ästhetik der Kriegswaren und „Gute Industrieform“

Ästhetik der Kriegswaren und „Gute Industrieform“

von Udo Klitzke

In Air Land Battle 2000 kann man lesen, daß das Pentagon die Lust des Spielens von Kindern und Jugendlichen mit Computern und Videos militärisch nutzen will. Es ist zu vermuten, daß die hier vorgebrachten Thesen zur Vereinnahmung unserer Sinnlichkeit durch militärisches Interesse eher noch ungenügend erfassen.

In Air Land Battle 2000 steht: „Insbesondere der jüngere Teil unserer Bevölkerung gewöhnt sich zusehends an eine Video Display und Computerspiele Umwelt. Die Waffensysteme der Zukunft müssen diesen Trend ausnutzen.“ (zit. nach Blätter für deutsche und internationale Politik, Köln, H. 10, 1983, S. 1381 So verwerflich die Kriegsspiele der Kinder mit herkömmlichem Kriegsspielzeug sind, so „harmlos“ nehmen sie sich gegen diese abartige Vereinnahmung des Spiels der Kinder aus. Das bisherige Kriegsspiel der Kinder ist offenkundig und dies gibt die Möglichkeit, erzieherisch einzugreifen. Es war auch nicht als Kriegstechnik für's Militär zu verwerten. Das Spiel mit Computern und Videos jedoch muß und braucht keineswegs unmittelbar Kriegsspiel zu sein, um die in diesem Spiel gelernten Techniken militärisch zu nutzen.

Das Phänomen: Die sinnliche Gleichheit der „Form“ militärischer und ziviler Waren

Ein Vergleich von Katalogabbildungen der Exponate der Sonderschau „Gute Industrieform“ auf der Hannover-Messe mit Abbildungen im redaktionellen oder Anzeigenteil wehrtechnischer Zeitschriften zeigt: viele Waren für das Militär und zivile Waren mit „guter Industrieform“ gleichen sich wie ein Ei dem anderen.

Datenverarbeitungs- und Navigationsanlagen, Kommunikationsmittel und Meßinstrumente, Peilgeräte und Bedienpulte sind an Hand ihrer „Form“ nicht als Militärwaren zu erkennen.

Diese Gleichheit im Design gilt freilich auch für Gewehre, Mörser, Raketenwerfer usw. Daß der Konzern Heckler und Koch für sein „Waffen Munitions System Gewehr G 11 mit hüllenloser Munition“ u. a. „(g)utes ergonomisches Design, dadurch hohe und schnelle Feuerbereitschaft“ (Wehrtechnik, H. 8/1982, S. 7) anführt, zeigt, daß die Gestaltung solcher Waffen einen hohen Stellenwert für deren Funktion hat. Die im Sinne der „Guten Industrieform“ hervorragend gelungene „Form“, fand denn auch ihre entsprechende Anerkennung, indem das Gewehr System auf dieser Sonderschau ausgestellt wurde. Ebenso hätte dort auch das Mörsergeschoß „Bussard“ ausgestellt werden können.

Diese Beispiele sollen zeigen, eine eindeutige Zuordnung bestimmter Militärwaffen ist im Unterschied zu der Zeit der Technisierung der Militärwaren zu Beginn dieses Jahrhunderts und der folgenden Jahrzehnte über die sinnliche Erscheinung nicht mehr eindeutig möglich. Da der Umgang mit Gestaltungsmitteln sicherlich bei Militärwaren nicht beliebt ist, stellt sich die Frage nach den Gründen dieser „Angleichung“. Ein Grund könnte darin liegen, daß die modernen industriell gefertigten Waren, gleich welcher Gattung sie angehören, auf eine einheitliche „Formsprache“ hindrängen. Ein anderer Grund könnte der sein, daß die Waren mit „guter Industrieform“ schlicht Adaptionen der Formgestaltung von Militärwaren sind. Eine Umkehrung dieses Schlusses ergibt deshalb keinen Sinn, weil gerade in Rüstungswaren die höchste Form von Planung bei Entwurf und Produktion im Kapitalismus zu verzeichnen ist.

Gleichheit in der Technik

Die Möglichkeit, für militärische Zwecke entwickelte Waren auch im Produktionsbereich einzusetzen, ist v. a. darin begründet, daß sich aus der Sichtweise des Kapitals Probleme der Steuerung und Regelung von Maschinen und Anlagen, der Datenerfassung, -verarbeitung und -übermittlung, der Kommunikation usw. prinzipiell mit denen der Militärs gleichen, so daß das Kapital in für das Militär entwickelter Technik auch sein Verwertungsinteresse gewahrt sieht. Oder anders ausgedrückt: aus den vielfältigen Möglichkeiten der vom Kapital und vom Militär vorgefundenen und gesetzten Situationen, die es durch Technik zu lösen gilt, wird genau die technische Möglichkeit realisiert, die ihren Interessen gleichermaßen entspricht. Dabei ist als eine Voraussetzung gegeben, daß sich die Interessen beider bei der Problemdefinition decken. Sie „ziehen“, wie die Analyse des Militär Industrie Komplexes (MIK) zeigt, „zumindest ein stückweit an einem Strang“.

Als eine Voraussetzung für die Gleichheit der sinnlichen Erscheinung von Kriegs- und Zivilwaren ist auszumachen, daß der eindeutig vorhandene Spielraum alternativer Lösungen technischer Probleme vom gleichen Interesse des Militärs und Kapitals für ihre Zwecke genutzt wird und nicht im Allgemeininteresse nach humaner Arbeit, humanen Leben überhaupt. Selbstverständlich ist in diese Voraussetzung eingeschlossen, daß die Technik, gleich welchem Bereich sie dienen soll, identisch behandelt wird, als Technik an sich. Insofern hat hierin die Gleichheit der sinnlichen Warenerscheinung beider Warengattungen eine ihrer Voraussetzungen.

Auf Ergonomie reduzierte Handhabung

Als ein weiterer Beleg für die These der Gleichheit von Kriegs- und Zivilwaren in ihrem Design muß die Verwendung ergonomischer Erkenntnisse bei der Warengestaltung gelten.

In den 60er und v. a. in den 70er Jahren trat die Ergonomie in der Formgestaltung einen Siegeszug an. Sie wurde zur „Zauberformel“ für „gutes Design“. Abzulesen ist dies z. B. über den Stellenwert der „Handhabung“ bei Warentests der Stiftung Warentest und bei Designbewertung des Rates für Formgebung. Angesichts der marktstrategischen Bedeutung guter Testergebnisse dürfte evident sein, daß ein großer Teil des Kapitals bei der Warengestaltung auf ergonomische Erkenntnisse zurückgreift.

Eine solche Entwicklung ist im Interesse der Warenkäufer zu begrüßen, aber ist sie es vorbehaltlos? Ist der hier zur Geltung kommende Handhabungsbegriff ausreichend?

Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst festzuhalten, daß die Ergonomie, wie dies Murell schreibt, den Anstoß für ihre schnelle Entwicklung auf militärischem Gebiet im Weltkrieg erhielt und dies setzt sich auch nach dessen Ende fort. Im Resultat erbrachte dies, daß „sich in der Tat in Amerika das Studium der menschlichen Arbeitskraft vorwiegend mit militärischen Problemen befaßt … .“ (Murell, S. 17). D. h. die Ergonomie ist in ihrer konkreten Ausprägung vorwiegend durch die Lösung militärischer Probleme bestimmt und zwar sowohl in ihrer Theorie- als auch Methodenbildung. Wenn in dieser Wissenschaft wie bei Murell von „menschlicher Arbeitskraft“ die Rede ist. so heißt dies wohl, daß darunter ein Mensch gefaßt wird, der in der Kriegsmaschinerie fungiert.

In der BRD entwickelte und verbreitete sich die Ergonomie wesentlich später als in den USA., d. h. die hier tätig werdenden Wissenschaftler lernten v. a. jene in den USA im Militärbereich entwickelte Wissenschaft. Dabei war es keineswegs so, daß nun die aus den USA kommende Ergonomie aufgrund ihrer „militärischen Abkunft“ in Frage gestellt wurde, sondern in der Theorie und Methodenbildung kam es zu Kontinuität.

Die Leitfunktion der im Militärinteresse betriebenen Forschung reichte bis in die konkrete Gestaltung von Gegenständen: Bedienhebel, Schalthebel, Drehknöpfe, Steueraggregate, Optimierung von Greifräumen usw. müssen zur Hand gehen, bzw. ihr entsprechen. Die Bedienung einer Maschine muß unter Hinzuziehung ergonomischer Erkenntnisse totsicher sein.

Optimale Bedienung und Handhabung von Kriegswaren muß auch den Eigenarten unserer visuellen Wahrnehmung entsprechen. Skalen, Zeichen, Symbole usw. müssen hierfür entwickelt werden. Auch in diesem Bereich erhielt die im militärischen Interesse entwickelte Ergonomie eine Leitfunktion in Theorie-, Methoden und Gestaltbildung.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Die Anpassung der Warenoberfläche an eine optimale Bedienung und Handhabung erfordert eine adäquate Farbgestaltung, die zugleich auch immer auf's Gemüt wirkt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß Rüstungswaren nicht in jedem Fall über den kriegerischen Tarnanstrich verfügen. Im Inneren des Panzers, der Kommandostelle, der Funkstation und anderer Orte muß sich der NATO Soldat nicht vor dem Feind tarnen. Hier hat die Farbe, wie Oberhaupt die Gestaltung, die wesentliche Funktion der Bedienungs- und Handhabungsoptimierung und die der Streßkompensation. So ist z. B. auch das Bedienpult FERA (vgl. Wehrtechnik, H. 8/1982, S. 39) an Hand des Design nicht als das zu erkennen, was es ist.

Allein diese Beispiele zeigen, da aufgrund der enormen Forschungsressourcen der Militärforschung, diese Forschung Leitfunktion erhält, weil sie Untersuchungen zur Handhabung und zum Bedienungskomfort machen kann, die in anderen Bereichen kapitalistischer Warenproduktion nicht möglich erscheinen. Sie muß diese Forschung im Militärinteresse auch betreiben, um die Wirkung aggressiver Hochrüstung auch zu gewähren, wie dies ein Beispiel einer Einschätzung der israelischen Okkupation Libanons in der Zeitschrift „Wehrtechnik“ zeigt. Dort steht, daß die eingreifenden Syrer überraschend holte Verluste hinnehmen mußten, obschon sie von der UdSSR hochwertige Waffensysteme hatten. Für diese Verluste führt die Zeitschrift u. a. folgenden Grund an: „Ein wesentlicher Faktor in dieser psychologischen Situation schien auch die lähmende Enge in den sowjetischen Fahrzeugen zu sein, die besonders bei der in diesem Krieg herrschenden Hitze zu Ermüdungs- und Streßreaktionen führte. Fahr- und Bedienungskomfort ist noch immer ein zu wenig beachteter 'Teil des Waffenbaus.“ (Wehrtechnik, H. 10/1982, S. 32).

Nun, der Ratschlag an die UdSSR diese Punkte beim „Waffenbau“ zukünftig besser zu beachten, soll hier nicht weiter interessieren. Galt es doch zu zeigen, daß bei Kriegswaren quasi kein Punkt bei der Konstruktion und Gestaltung außer Acht gelassen wird, daß sie in höchster Form sowohl in Technik und Gestaltung aufwarten und ihrer Entstehung eine Wissenschafts- und Gestaltungsqualität von sonst unerreichbarer Dimension verdanken.

Zum falschen Stellenwert der Kriegstechnik

Wenn Funktionalisten wie Muthesius zu Beginn dieses Jahrhunderts die Kriegswaren als Vorbilder für eine funktionale Gestaltung Hinstellten, so ließen sie sich von dem Gedanken und der Erkenntnis leiten, daß in diesem Bereiche kapitalistischer Produktionsverhältnisse die Surrogatproduktion“ nicht zu Hause sein kann.

Wenn je von der Erfüllung der Forderung nach Material-, Kontruktionsgerechtigkeit und innerer Wahrhaftigkeit im Kapitalismus die Rede sein kann, so sind hier insbesondere die Kriegswaren anzuführen. Sie sind aufgrund der für ihre Herstellung betriebenen Forschung auf ihre Funktion hin optimal konstruiert und gestaltet. Sie erreichen selbst unter extremen Belastungen eine lange Gebrauchsdauer, sie sind im Hinblick auf Bedienung und Handhabung optimal für ihre Zwecke gestaltet und konstruiert.

Weil die kapitalistischen Verhältnisse eine Waren- und Umweltgestaltung im Allgemeininteresse verhindern, kann eine aus der Militärtechnik ins zivile Leben übertragene Gestaltung eine falsche Bedeutsamkeit erlangen. In ihr wird das positiv bewertet, was in anderen Warengattungen z. T. nur rudimentär vorhanden ist: die hohe Übereinstimmung von technischem Gebrauchswert, Gestalt und Zweck.

Da die Forschungserkenntnisse in der Technik und Gestaltung aus ihrem Entwicklungskontext, dem Militärinteresse, herausgelöst werden, „an sich“ erscheinen, erzielen sie eine scheinbare Wertneutralität, die wiederum die Basis für ihren beliebigen Umgang abgibt. Insofern erscheint es als selbstverständlich, daß sie, entsprechend ihrer gewonnenen Beliebigkeit, Wissen und Erkenntnis schlechthin sind. Es erscheint nicht als Zumutung, in der militärischen Ergonomie nicht von Soldaten zu sprechen, sondern von „Arbeitskraft“. Und wer wird sich schon darüber aufregen, über „Arbeitskräfte“ gewonnene Erkenntnisse zu verwenden? Das Computer und Videospiel der Kids ist zunächst nichts Militärisches, aber indem es durch die Pentagon Strategen zum Material von Militärischem wird, wird es unter der Hand militärisches Spiel für Kinder und Jugendliche. So kommt über das Video Display und das Computerspiel die Funktion des Soldaten zu den Kids, die dann, wenn sie nun wirklich Soldaten sind, ihre Feststellungen treffen können, daß zwischen ihrem Spiel und ihrer Kriegsübung der Unterschied nicht so groß ist. Und auch die Waffen werden über ihr Design dazu beitragen, daß sie ihr Soldatensein nicht als Bruch, der zum Denken anregen könnte, empfinden. Sehen das Mörsergeschoß „Bussard“ und das „Gewehrsystem G 11“ nicht schön aus? Sind sie in ihrem Design nicht der nahtlose Übergang aus dem Zivil- ins Militärleben?

In unser aller Interesse muß der schleichenden Militarisierung unseres ganzen Lebens und mithin auch der falschen Bedeutsamkeit militärischer Waren Einhalt geboten werden. Bei dem Erarbeiten und Aufzeigen von Alternativen gilt freilich, daß „der Gegenstand“, wie Marx sagt, „kein Gegenstand überhaupt (ist), sondern ein bestimmter Gegenstand, der in einer bestimmten, durch die Produktion selbst wieder (zu) vermittelnden Art konsumiert werden muß.“ (Marx, S. 624) Wie der Hunger nicht gleich Hunger ist (vgl. ebda.), ist die Hand nicht gleich Hand. Die Hand, die die Kriegsmaschinerie bedient, ist eine andere als die, die gesellschaftlich sinnvolle Produkte herstellt, die zum Genuß und zur Lust spielt, die Kunstprodukte herstellt und Liebe gibt. Muß nicht auch die Technik und Gestaltung diesen Eigenarten unserer Hand, unseres Gehörs, unserer Augen, unserer Sinne gemeinhin Rechnung tragen?

Literatur

Air Land Battle 2000, zit. nach Blättern für deutsche und internationale Politik, H. 10/1983
Auf Gedeih und Verderb, hrsg. v. Friedrichs, G. u. Schaff, A., Wien 1982
Marx, K.: Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, Berlin 1971
Murell, K. F. H.: Ergonomie, Düsseldorf und Wien 1971
Noble, D. F.: Maschinen gegen Menschen. Nachdruck des Alektor Verlags, Stuttgart o. J. Stern, H. 10/1983
Wehrtechnik, H. 8/1982
Wehrtechnik, H. 10/1982

„Berichte von der Front“ – Kriegsbilder im Science-Fiction-Film

„Berichte von der Front“ – Kriegsbilder im Science-Fiction-Film

von Brunhilde Janßen

Sei es der „Krieg der Welten“ H. G. Wells, 1898 oder der „Krieg der Sterne“ (1977) – in der Geschichte der SF spielt der Themenbereich Konflikte, Katastrophen und Krieg eine zentrale Rolle. Kriegerische Katastrophen haben sich entweder schon ereignet oder drohen, sich in nächster Zukunft abzuspielen, wenn sie nicht sogar selbst Thema von SF sind. Fast immer geht es dabei um die gewaltsame Eroberung des Alls und fremder Planeten oder aber ein in neuerer Zeit häufiger auftauchendes Bild – um die Verteidigung der menschlichen Rasse gegen aliens, die aus den Tiefen des Alls in unsere Galaxie vorgedrungen sind, um auch diese zu erobern und zu beherrschen.

Ein Krieg im Weltall, so suggeriert die SF, kann sehr schön sein und läßt den Betrachter seine womöglich realen Erfahrungen mit dem Krieg oder zumindest sein Problembewußtsein bezüglich der realen Kriege auf unserer Erde vergessen. Das All, an sich von einer endlosen und faszinierenden Weite und Anonymität, belebt sich mit Tötungsmaschinen unterschiedlicher Art: majestätische „Kampfschiffe“ schweben ebenso lautlos und leicht durch den Raum wie kleine und schnelle Angriffsfahrzeuge, die mit allen Wundern der Technik ausgestattet sind. Angereichert wird dieses Waffenpotential durch eine Vielzahl von Strahlenwaffen, atomaren Sprengköpfen oder auch seit es den Film „Krieg der Sterne“, Teil 1 gibt Licht- und Strahlenschwertern, die an archaische Formen des Kampfes erinnern.

Die technischen Wunderwerke erlangen ihre Ästhetik und Faszination durch ihr Schweben im unendlichen Raum. in dem sie für den Betrachter wie Sterne leuchten und strahlen, und diese Faszination nimmt auch nicht ab, wenn plötzlich eines dieser Gebilde vorn Bild verschwindet: abgeschossen und verglüht. Der Kampf der Raumschiffe soll Spannung und Nervenkitzel erzeugen. Doch letztlich bleibt der Krieg im Weltall schön und lautlos. Selbst die Explosion eines Raumfahrzeuges erzeugt noch ein ästhetisches Bild, das zum Staunen anregt und die Distanz, in der solches geschieht, enthebt den Zuschauer der unangenehmen Problematik, sich womöglich mit dem Tod von Menschen auseinandersetzen zu müssen. Die kriegerische Auseinandersetzung bleibt für den Betrachter prinzipiell folgenlos, Übrigens auch für die Hauptpersonen in einem solchen SF-Film. Der Tod erhält ein anonymes Gesicht, für den Zuschauer nicht mehr begreifbar als Leiden und Sterben, sondern vorwiegend als logisches Faktum: das getroffene Objekt verschwindet einfach, ohne Lärm, ohne Blut, ohne Leiche. Töten wird so zu einem selbstverständlichen Vorgang, der auch vom Zuschauer aufgrund seiner Distanzierung ohne weiteres akzeptiert werden kann, ja sogar von ihm am nächsten Computer-Spielautomaten selbst nachgeahmt werden kann. Natürlich findet der Krieg im Weltall nicht grundlos statt. Er erhält seine Legitimation aus zwei Quellen: zum einen handeln die Guten, also die Identifikationsfiguren, immer aus einer Notwendigkeit heraus, da sie bedroht oder von Fremden angegriffen werden, zum anderen aber kämpfen sie für das Gute an sich, für die gesamte menschliche Rasse. Ohne inhaltlich genauer definiert werden zu müssen, ist dieses Gute immer im Recht, denn es verteidigt uns, die Menschen.

Dem Guten, repräsentiert durch hübsche, mutige und ehrenwerte Personen, die mit Vorliebe weiß gekleidet sind, steht das Böse gegenüber: dunkel, maskiert, anonym und niederträchtig. Die Beweggründe der bösen Personen sind schnell genannt. Sie wollen Macht und Besitz, und was sich nicht beherrschen läßt, soll getötet, besser: vernichtet werden. So einfach die Handlungsmotive der bösen Protagonisten sind, so einfach hat auch die Reaktion darauf zu sein. Dein Zuschauer wird die Notwendigkeit vor Augen geführt, radikal und durchaus gewalttätig gegen das Böse vorzugehen, ohne etwa nach Hintergründen oder gar nach Verhandlungsmöglichkeiten zu fragen. Daß Böse muß ausgerottet werden, da es sonst uns, die Menschen, vernichtet.

Daher geht es um die Art und Weise, wie die SF der letzten Jahre das Thema Krieg behandelt. Dem Zuschauer oder Leser wird eine simple Schwarz-Weiß-Sicht der viel komplizierteren realen gesellschaftlichen und politischen Vorgänge angeboten, die ihm letztlich eine Einsicht in die Gründe, warum in unserer Gegenwart Kriege geplant und geführt werden, verstellt. Vor allem aber lernt er zu akzeptieren, daß es zur Vernichtung des Übels sogar notwendig sein kann, die eigene Zerstörung in Kauf zu nehmen, wenn nur irgendwelche, womöglich wertvollere Repräsentanten der menschlichen Rasse vor dem Untergang bewahrt werden.

Und noch etwas anderes wird in den meisten SF-Produktionen der jüngeren Vergangenheit als selbstverständlich vorausgesetzt: der 3. Weltkrieg hat auf der Erde bereits stattgefunden, der Planet Erde ist in den Weiten des Alls verglüht. Ein Gedanke, der uns im Jahre 1984 Angst macht, weil er im Bereich des Möglichen und Denkbaren liegt, wird uns zugleich als akzeptabel und prinzipiell fast folgenlos präsentiert. Die Erde existiert nicht mehr, aber die menschliche Rasse gibt es noch und sie kämpft in alter Manier für ihr Überleben.

Die Weltsicht, die hinter diesen Bildern steht, ist eindeutig: ein von den Menschen gefürchteter Atomkrieg ist gar nicht so gefährlich, denn man kann ihn überleben. Wer ihn aber nicht überlebt hat, der ist für die Vernichtung des Bösen gestorben. Denn – „es gibt Wichtigeres, als im Frieden zu leben“.

Nicht zufällig findet sich diese Anschauung besonders in amerikanischen SF-Produktionen. Ihre Wirkung ist bemerkenswert. Mehr als die durchschnittlichen deutschen SF-Film Zuschauer sind die amerikanischen Zuschauer bereit, die „Commies“ (= Kommunisten) als dunkle, gewalttätige Monster, als Vertreter einer undefinierbaren, jedenfalls aber bösen Macht zu betrachten. Die gedankliche Hemmschwelle, gegen den historischen Gegner in einem realen Krieg möglicherweise auch Atomwaffen einzusetzen, um sich „seiner (zu) entledigen“ (R. Reagan), ist dann auch sehr niedrig: ca. 40% von befragten amerikanischen Zuschauern wären dazu bereit.1

Die ideologische Aussage der SF in den letzten Jahren, die sich mit dem Motiv des Krieges thematisch beschäftigt, ist also nicht nur Widerspiegelung der Realität, sondern zugleich konkretes Mittel zur politischen Auseinandersetzung. Sie postuliert die Vorstellung und Akzeptanz des bisher Undenkbaren.

Zugleich impliziert eine solche Sichtweise des Krieges als einzig funktionierendes und deshalb durchaus legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung auch eine Reihe weiterer gesellschaftsbezogener Aussagen in der SF. Der Krieg, so erfährt der Zuschauer, macht es notwendig, daß alle Beteiligten gehorsam ihrem Oberhaupt, ihrem Führer, ihrem Vater, z. B. im „Krieg der Sterne“ auch versinnbildlicht im Darth Vader, dem Oberhaupt der „Bösen“, folgen. Eine Hierarchie, offenbar von Urzeiten an bestehend und von Prinzen, Prinzessinnen oder Herrschern repräsentiert, darf nun auch nicht hinterfragt werden, denn Unterordnung und Gehorsam sind wichtiger. Schließlich geht es um das Überleben des Imperiums oder der menschlichen Rasse selbst.

Bis in die Rollenstrukturen von Mann und Frau wirkt die permanente Krisensituation hinein: der Krieg in den Galaxien ist auch der Kampf der Geschlechter, ohne daß dies allerdings thematisiert würde. Schließlich mag es als selbst-verständlich erscheinen, daß der Kampf gegen mächtige und monströse Gestalten des bösen Reichs nur von mutigen, starken und tatkräftigen Männern geführt werden kann, während Frauen als Opfer oder namenlose Zuschauer zu fungieren haben. So ist es nur folgerichtig, daß das Imperium des Guten zwar grundsätzlich von schönen, kindlich-unschuldigen aber durchaus erotisch anziehenden Prinzessinnen repräsentiert, letztlich aber von starken Männern beherrscht und verteidigt wird. Nur ihnen kann die nötige Kaltblütigkeit und Tötungsbereitschaft zugetraut werden, nur sie – so wird dem Zuschauer suggeriert – verfügen über die Rationalität und notfalls gefühlsmäßige Kälte, um als Soldaten ihres Reichs zu kämpfen.

Frauen dagegen sind Garnitur oder sogar überhaupt anonyme Masse, zumindest aber sind sie immer potentielles Opfer des Geschehens. Handlungsfähigkeit kann ihnen abgesprochen werden und so werden sie vom Feind gejagt und gefangengenommen, als Sexualobjekt benutzt und von den guten Helden, für die sie im Grunde nichts anderes bedeuten, wieder befreit. Prinzessin Leia im „Krieg der Sterne“ bildet hierfür ein deutliches Beispiel.

Zwar gibt es auch böse Prinzessinnen („Buck Rogers“), die mit ihren niederträchtigen Beweggründen die Mächte des Bösen und Dunklen vertreten. Doch auch sie sind letztlich nur Objekte der Handlung, indem sie – zumeist mit großem Kostümaufwand als galaktische femmes fatales gekennzeichnet – gegen die wirklich bösen Männer in ihrem Rücken doch nicht antreten können. Selbst intellektuell zu schwach und auch nicht rücksichtslos genug, sind sie dem Untergang geweiht. Frauen sind also. in der SF zumeist schwach und unterlegen, gleichgültig ob gut oder böse, und auch der vereinzelte Kampf gegen die Vorherrschaft der Männer ändert nichts an ihrer Aufgabe, als Farbtupfer die männliche und von Soldaten geprägte Welt aufzuhellen.

Die waffenstarrende Symbolisierung der männlichen Vorherrschaft reicht bis in psychoanalytische Ebenen hinein. Nur zu leicht lassen sich die Strahlenwaffen, vor allem aber die Lichtschwerter, mit denen die Hauptakteure gegeneinander antreten, als Phallussymbole interpretieren. Strahlenwaffen sind utopisch wie archaisch zugleich: Laserstrahlen zeigen die Macht des technologischen Fortschritts, doch die Form des Schwerts steht für den männlichen Kampf in seiner „klassischen“ Gestalt: zwei Männer stehen sich mit dem Vorsatz gegenüber, einander zu töten.

Die moralische Vereinfachung, visuell gekennzeichnet durch das Gegenüber von Hell und Dunkel in der Kleidung der Protagonisten, findet ihre äußerliche Entsprechung in der monumentalen Aufteilung der Räume – im Innern der Raumschiffe wie im All. Figuren wie Ben Kenobi, Luke Skywalker oder – auf der anderen Seite Darth Vader im „Krieg der Sterne“ sind nicht nur Repräsentanten von gut und böse, sie sind vor allem Führer ganzer Raumschiff-Flotten und riesiger Heere von Raumsoldaten. Dem entsprechen die häufig auftauchenden Paraden und Begrüßungsszenerien, in denen weitläufige Hallen mit uniformierten und zumeist auch maskierten Soldaten angefüllt sind. Tausende von Soldaten stehen stramm, im Imperium des Guten ebenso wie im dunklen Reich des Bösen. Unterschiede lassen sich nur an Äußerlichkeiten festmachen: natürlich lassen sich die Soldaten des Guten noch als Menschen identifizieren, die ihre Pflicht tun, während die in Metall und Kunststoff verkleideten Kämpfer der dunklen Macht genausogut Maschinen sein können. Dies erleichtert zusätzlich die Legitimation ihrer Vernichtung. Das alles findet in monumentalen Räumen und Bauwerken statt, die die Wirkung einer normierten Masse von Lebewesen deutlicher hervorzuheben vermögen.

Daß einzelne Szenarios aus der SF an den NSDAP-Reichsparteitag im Jahre 1936 erinnern, ist kein Zufall. Die SF-Requisitenwelt versinnbildlicht die skizzierten ideologischen Hintergründe. Große Massen soldatischer Männer dienen als „Kanonenfutter“ in einem wahnsinnigen, aber notwendigen Krieg, während die Leitfiguren allein über Handeln und Strategie entscheiden. Dabei ist nicht nur die Masse der Menschen an sich wertlos (soweit es nicht um ihre Rolle innerhalb der Erhaltung der Rasse geht), sondern auch der Gegner bereits per definitionem minderwertig. Diesen faschistoiden Elementen entspricht die soldatische Härte der Personen, die die Autorität der Führer vorbehaltlos anerkennen und deren Befehle ohne Zögern befolgen, sei es auch mit der Konsequenz des eigenen Todes. Vorgeführt wird eine ethische Entmenschlichung des Individuums. Seit den 50er Jahren ist die Science Fiction nicht bloß bunter und phantastischer geworden. Der Zuschauer von 1984 soll lernen, seinen eigenen Untergang, der ihm so faszinierend vorgeführt wird, zu akzeptieren.

Brunhilde Janßen ist Lehrerin. Sie wohnt in Königswinter

Anmerkungen

1 Vgl. dazu einen Bericht in der Zeitschrift KONKRET, Nr.12, Dez. 1983, S. 47 Zurück

gekürzter Vorabdruck aus: Harald Kimpel/Gerhard Hallenberger (Hg.), Zukunftsträume. Bildwellen und Weltbilder der Science Fiction. ed. 8 1/2 (erscheint Ende April). Das Buch ist eine Begleitpublikation zu einer gleichnamigen Ausstellung, die vom 30.4.-17.6. in der Kasseler Orangerie gezeigt wird.

Editorial: Was für eine Wissenschaft?

Editorial: Was für eine Wissenschaft?

von Redaktion

„Die postnukleare Gesellschaft wird lernen müssen, sich im Umfeld ionisierender Strahlung zu bewegen. Im Ganzen betrachtet wird nach Meinung des Forschungsberichtes keine Panikstimmung auftreten, Die Verhaltensmuster der Überlebenden werden durchaus adaptiv sein. Die meisten Menschen können eine Zeit bis zu mehreren Wochen mit geringstem Ausmaß von Nahrungsmittelzufuhr überleben. Das Wasser- und Nachrungsmittelproblem ist jedoch nur eine Organisationsfrage. Die Natur ist durch die menschliche Zivilisation bereits so gründlich verändert, daß eine nukleare Katastrophe höchstens zu einer allmählichen Rückkehr zur ursprünglichen Situation fuhren dürfte. Großräumige Waldbrände, Insektenplagen oder andere Störungen des ökologischen Gleichgewichts sind jedoch nicht zu erwarten. Ausgedehnte Studien an bestrahlten Patienten, sowie an Opfern aus Hiroshima und Nagasaki zeigen jedoch, daß die genetischen Schäden im Vergleich zu den bisher beschriebenen Atomkriegsfolgen eher ein „Hintergrundgeräusch“ darstellen.“ (Forschungsbericht des amerikanischen Zivilschutzes vom Mai 1979, J. Greene, in: Münchner medizinischer Wochenschrift 121 (1979), Nr. 36, S. 1124ff.).

Was ist das für eine Wissenschaft. Sie ist unmoralisch und zynisch, das sicherlich, Mehr noch.- sie ist grauenerregend. Ihre „objektiv-nüchterne“ Verharmlosung der Atomkriegsfolgen ist geradezu Kriegsführungsoption.

Ein Ziel des Informationsdienstes Wissenschaft und Friede ist es, zur Diskreditierung solcherart Wissenschaft beizutragen. Mit dem Thema Kriegsfolgen befassen sich einige Beiträge dieses Heftes. „Auch nach den Pershings“ so lautet die Titelzeile unseres ersten Heftes, das in den Tagen des Stationierungsbeginns erschien . Schon jetzt, ein paar Wochen danach, zeigt sich die Korrektheit dieser Einschätzung trotz mancherlei Resignations- und Spaltungserscheinungen. Die seitdem publizierten (und in diesem Heft dokumentierten) Wissenschaftleraufrufe die zahlreichen Aktivitäten zum Jahrestag des Stationierungsbeschlusses am 12.12., endlich die außerordentlich umfangreichen Aktionen der Studentenschaft im November/Dezember 1983 zeigen, daß der Stationierungsbeginn zu keinem emotionalen, bzw. politischen Zusammenbruch der Friedensbewegung geführt hat.

Ein kleines Indiz hierfür ist auch die beträchtliche Resonanz auf das Projekt des Informationsdienstes – das immerhin eben zu einem Zeitpunkt gestartet wurde, als viele das Ende der Friedensbewegung gekommen sahen. Wir haben in nur zwei Monaten Hunderte von Abonnenten gerade auch außerhalb des Wissenschaftsbereiches gewonnen. Offenbar ist der Informationsdienst nützlich. Und er ist anscheinend auch wirksam: die Frankfurter Allgemeine Zeitung nahm sich der Dokumentation militärischer Forschung an den Hochschulen an, vermutete Enthüllungen, Kampagnen, Antiamerikanismus, die Hand Moskaus, ach ja. Es bedurfte keiner Enthüllungen, die der Dokumentation zugrundeliegenden Quellen sind öffentlich (und auch noch offiziös). Der beliebten Aufforderung, doch auch über die militärische Forschung in der UdSSR zu berichten (so die FAZ), werden wir bei Gelegenheit gerne nachkommen mit oder ohne „Beziehungen“ (FAZ). Die Resonanz hat uns veranlaßt, für Studenten, Schüler und Arbeitslose einen niedrigeren Verkaufspreis als ursprünglich kalkuliert einzuführen. Das bedeutet aber auch, daß wir auf jedes Abonnement angewiesen sind. Wir bitten daher alle Leser, Mitarbeiter. und Vertreter der Wissenschaftlerinitiativen und Friedensgruppen, den Informationsdienst zu nutzen, ihn zu abonnieren und für ihn zu werben. Er ist ein Projekt der Friedensbewegung.

»Medien-Blauhelme« in der DR Kongo

»Medien-Blauhelme« in der DR Kongo1

von Etienne Fopa und Christiane Lammers

Seit Jahrzehnten wird die Berichterstattung über Afrika durch die drei großen »K’s«: Kriege, Katastrophen und Krankheiten dominiert. Aber nicht nur das Fremdbild, d.h. die Berichterstattung im westlichen Ausland, ist einseitig und ideologisch geprägt. Auch in den afrikanischen Staaten selbst mangelt es oft an Medien, die sich dem Anspruch einer umfassenden, informativen Innensicht stellen. Der folgende Beitrag stellt ein solches Projekt vor.

Im Zeitalter der Massenmedien ist die Bedeutung der Massenkommunikationsmittel kaum zu unterschätzen, was ihre politische und politisierende Wirkung angeht. Dies umso mehr in Gesellschaften, in denen desolate Infrastrukturen und ökonomischer Mangel dazu führen, dass die gesellschaftliche Teilhabe der Bevölkerungsmehrheit auf ein Minimum reduziert wird bzw. werden kann. Demokratisierung und Entwicklung, verstanden als Prozesse von »unten«, sind wesentlich von einer Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten und -strategien abhängig.2 Nicht zuletzt geht es aber auch um die Anerkennung eines Menschenrechtes, nämlich des uneingeschränkten Rechtes auf Information.

1995 wurde in der Schweiz mit Hilfe des dortigen Entwicklungsministeriums, konkret der »Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit«, die Stiftung »Hirondelle« gegründet. Die Stiftung versteht sich als eine Journalisten-Organisation, die in Krisengebieten neue Medien aufbaut. Ihr Präsident, der Journalist Jean-Marie Etter, war zuvor als Generalsekretär der Schweizer Sektion von »Reporter ohne Grenzen« tätig und arbeitete bei »Radio Agatashya« in der Gegend der Grossen Seen in Afrika. Der Name der Stiftung deutet auf dieses erste Projekt der Stiftung hin: Agatashya bedeutet in Deutsch »Schwalbe«(franz. »Hirondelle«). Die Stiftung »Hirondelle« baute in den letzten 10 Jahren »Star Radio« in Liberia auf, »Radio Blue Sky« im Kosovo, »Radio Ndeke Luka« in Bangui (Republik Zentralafrika), und unterstützte das nationale Radio/Fernsehen RTTL in Osttimor. Das älteste Projekt von »Hirondelle« ist jedoch kein Radio, sondern die Presseagentur »Arusha« in Tansania, die die Arbeit des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Ruanda begleitete.

In einem Interview äußert sich Etter zu den die Arbeit der Stiftung bestimmenden Werten: »Es gibt einerseits professionelle Werte. Ich glaube an journalistische Grundsätze, die universelle Gültigkeit besitzen und in der Praxis angewendet werden müssen. Daneben gibt es ethische Werte wie den Respekt der Menschenwürde, Ehrlichkeit und Transparenz. Unser aller tiefster Grundsatz ist jedoch die Unabhängigkeit von wirtschaftlicher und politischer Macht3

Konkret heißt das: Die Stiftung will ihr Know-How, ihr Ansehen und ihre Erfahrung den Mitarbeitern/innen vor Ort vermitteln und ihnen somit helfen, unabhängige Medien auf Dauer betreiben und die volle Verantwortung übernehmen zu können. In der Regel arbeitet also die Stiftung mit lokalen Mitarbeitern/innen, mit Ausnahme der Projektleitung. Die Medien werden von Anfang an so konzipiert, dass sie den lokalen Mitarbeitern übergeben werden können. Die Budgets werden entsprechend ausgerichtet und erforderliche Ausbildungen vorgesehen, sowohl für die Journalisten, die Techniker wie auch für das Managementpersonal. Die Sicherung der Unabhängigkeit der Medien bedarf auch der Kontrolle des gesamten Produktionsprozesses, vom Papier zur Verteilung, vom Sammeln der Informationen bis zur Sendung. Um die Qualität dieser ganzen Ketten abzusichern, bemüht sich die Stiftung ständig darum, die notwendigen materiellen Grundvoraussetzungen zu schaffen.

Journalismus in Konfliktsituationen

Innergesellschaftliche Konflikte haben tiefgreifende politische Wurzeln, die seit Jahrzehnten gewachsen sind, wobei die aktuelle Situation nur ein Punkt mehr auf der Konfliktskala darstellt. Die Journalisten sind daher mit besonderen Herausforderungen konfrontiert: »In times of political confrontation and internal conflicts in society, journalists – as allegedly objectives reporters, are more than ever in danger of becoming themselves part of the dispute by selecting an evaluating information.“4 Journalisten gehen, bei bestem Willen, ständig das Risiko ein, zu Mittätern zu werden: durch den unreflektierten Gebrauch von Sprachregelungen, bei der unzulänglichen Vereinfachung komplexer Zusammenhänge, durch die Bedienung tradierter Klischees etc. Vor der Gefahr von Missverständnissen können sie sich nur schützen, indem sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sich dieser stellen. Kompromisse sind hier nicht denkbar. Sie haben alle ihnen zur Verfügung stehenden Wege der Kommunikation intensiv und gewissenhaft zu prüfen, bevor sie sie nutzen, um Ereignisse und Zusammenhänge transparenter machen oder Konfliktparteien lösungsorientierte Wege vorzuschlagen5: »Conversely, the approach of crisis reporting know in the Anglo-Saxon world as peace journalism, which avoid any simple attribution of roles of victim/perpetrator and instead focuses on all sides of the conflict in an equal measure, is based on the assumption that communication via the media may also have a de-escalating effect and that journalists should deliberately assume a mediating position for the sake of peaceful solution.«6

Voraussetzung für diese Mediatorenfunktion ist allerdings neben einer entsprechend ausgerichteten professionellen Ausbildung auch die materielle Absicherung. Dies schließt auch den konkreten Schutz von Gebäuden und Personen mit ein. In Konfliktgebieten kann dies bedeuten, dass Medienprojekte darauf angewiesen sind, Unterstützung zum Beispiel von UNO-Missionen vor Ort zu erhalten.

»Radio Okapi«

Seit 2002 betreibt die Stiftung »Hirondelle« in Partnerschaft mit der UNO, konkret der MONUC, das »Radio Okapi« in der Demokratischen Republik Kongo. Es handelt sich um das größte Radioprojekt der UNO. Okapi gilt heute als das wichtigste Medium in der DR Kongo, da es als einziges Medium landesweit ausstrahlt und damit ca. 20 Mio. der 60 Mio. Einwohner des Landes erreicht, das etwa so groß wie ganz Westeuropa ist.

Für Kongo ist Radio Okapi längst mehr als »nur« eine glaubwürdige Informationsquelle, obwohl das allein eine reife Leistung in einem Land ist, in dem einst die Abendnachrichten mit dem Bild eines auf einer Wolke schwebenden Diktator zu beginnen pflegten. Der Radiosender ist zu einer nationalen Identitätsklammer geworden, weil er in einem Land ohne Straßen und doch so groß wie Westeuropa die Menschen wieder zusammengeführt hat. Knapp 200 Mitarbeiter in acht Regionalstudios und der Zentrale in Kinshasa sowie ein flächendeckendes Sendernetz sorgen dafür, dass »Radio Okapi« auch im entlegendsten Winkel Kongos zu empfangen ist. Zudem sendet »Radio Okapi« neben der normalen FM-Frequenz auf Kurzwelle und in fünf Sprachen: Französisch, Lingala, Swahili, Tshiluba und Kikongo. Das Hauptstadtstudio ist auf dem Gelände der MUNOC in Kinshasa untergebracht.

Die Qualität des Journalismus, die Aktualität und nicht zuletzt die Diskussionsforen unter Beteiligung der Bürger haben »Radio Okapi« nicht nur zum unumstrittenen Leitmedium im Land gemacht, sondern die Arbeit bei diesem Sender führt bei den Mitarbeitenden zu Lernprozessen, die durch ihre Multiplikatorenfunktion Einflüsse auf die Gesamtgesellschaft haben.

Okapi hat die Fähigkeit, neutral in der Berichterstattung zu bleiben. Mitarbeiter Okapis sollen auf diese Weise auch in ihrem Bürger-Bewusstsein gestärkt werden. Menschen im Kongo, wie in weiten Teilen Afrikas überhaupt, haben in ihrer Lebensgeschichte keinen positiven Bezug zum Nationalstaat entwickeln können. Jede/r fühlt sich mehr seiner Ethnie verbunden als dem Land selbst. Dazu kommen noch alle kulturellen Feinheiten der jeweiligen Regionen, schließlich die Familienzugehörigkeit und das Verbundensein mit einer politischen Partei. Und gerade die afrikanischen Parteien spielen stark mit der ethnischen Zugehörigkeit. Die Journalisten, z.B. des staatlichen Senders RTNC, wurden durch das System derart ›formatiert‹, nur eine Meinung zu vertreten: sie berichteten, was die Volks-Revolutionäre Partei von Mobutu (der man per Geburt angehörte!) verlangte. Trotzdem waren sie als Journalisten gut ausgebildete Leute, die jedoch jahrelang keine Möglichkeiten hatten, objektive Berichterstattung zu leisten. Sie waren es gewöhnt, neben ihrem Beruf, noch (Geld-)Geschenke zu bekommen und anzunehmen. Bei »Radio Okapi« bekamen viele von ihnen eine neue Chance als einheimische Mitarbeiter und hatten überraschend große Erfolge. »Sie sind sehr gute Journalisten und haben es nachgewiesen; unter Mobutu hatten sie auch sehr gut gearbeitet, aber mit gebundenen Füssen. Jetzt haben sie das Bewegungsrecht und die Kongolesenbehaupten, wir haben nur die besten ausgesucht.“7

Wahlen als Testfall

Ein wichtiger Prüfstein für eine qualifizierte Berichterstattung waren die Wahlen im Juli 2006. Die Verantwortung, zur politischen Information und Aufklärung beizutragen, war in dieser Situation besonders groß. Groß war aber auch die Gefahr, dass alte Bekanntschaften und Abhängigkeiten bis hin zur Korruption wieder zu einer manipulativen Berichterstattung führen würden. Um hier vorzubeugen, verschärfte Okapi die Arbeitsregelungen in Bezug auf die Wahlen. »Les employés de Radio Okapi doivent refuser les cadeaux, les bénéfices, l’argent ou toute autre compensation offerte. La finalité de ces propositions est toujours d’influencer la décision électorale de Radio Okapi. Les employés de radio Okapi ne doivent pas laisser penser, par leur tenue vestimentaire, qu’ils soutiennent tel ou tel parti ou candidat, par exemple en portant des vêtements ou accessoires au nom ou à l’effigie d’un parti ou d’un candidat.«8

Zusammengefasst wurden alle diese Bedingungen in den sogenannten Produktionsnormen. Für manch einen der Mitarbeiter waren diese Einschränkungen schwer zu akzeptieren, denn es bedeutete »frei« und doch »nicht frei« sein. Zum Beispiel forderte »Radio Okapi« jeden Mitarbeiter auf, zu den Wahlen zu gehen, da jeder verpflichtet sei, diese Aufgabe als Bürger zu erfüllen. Andererseits ist es den Mitarbeitern des Radios streng verboten, sich öffentlich zu positionieren – etwa zu einem aktuellen Referendum, einer Volksabstimmung oder einer Wahl. Die Mitarbeiter dürfen auch nicht als Aktivisten erscheinen oder ein politisches Wahlamt übernehmen.9

Zu den Wahlen hat »Radio Okapi« unter dem Titel »Das sind unsere Überzeugungen«10 10 Regeln aufgestellt:

  • Radio Okapi begleitet den Prozess der demokratischen Wahlen.
  • Radio Okapi begünstigt die Verbreitung der Ideen, Meinungen und Informationen.
  • Radio Okapi gewährleistet die Gesamtheit der aus seinem Haus gesendeten Informationen.
  • Radio Okapi sendet faire, exakte, vollständige und ausgewogene Informationen.
  • Radio Okapi sendet nur Tatsachen.
  • Radio Okapi überprüft die Tatsachen durch Berücksichtigung unterschiedlichster Quellen.
  • Radio Okapi kann überprüfte Informationen nicht zurückhalten.
  • Radio Okapi tritt nicht mit editorialen Stellungnahmen auf.
  • Radio Okapi behandelt jeden mit Respekt und Gerechtigkeit.
  • Radio Okapi lehnt alle Geschenke, Überschuss und »Coupages«11 ab.

Diese Regeln dienen als »Taschenbuch« für Okapi-Journalisten. Das bedeutet: ganz gleich woher sie kommen und welcher Ethnie sie angehören, sie müssen die Regeln des Radios anerkennen und sich an diese halten.

Das Verhalten der Journalisten von Okapi ist die konsequente Pflege des Images von Okapi, persönlich wie öffentlich, intern wie extern. Der Anspruch ist, dass die einheimischen Mitarbeiter in der DR Kongo keine einfachen Reporter des neuen Senders sind, sondern »Le nouvel Homme des media congolais«12, der als Vorbild den Journalisten im ganzen Land dienen soll.

Die Wahlen in der DR Kongo sind vorbei, sie sind überraschend friedlich verlaufen. Die Konsequenz: Der Kongo ist heute aus den westlichen Medien fast vollständig wieder verschwunden. »Radio Okapi« jedoch sendet weiter (www.radiookapi.net)13 und ist auch bei uns zu hören.

Anmerkungen

1) Der Beitrag beruht zum Teil auf der Diplomarbeit: von Etienne Simon Fopas: »Medien zwischen Konflikt und Frieden. Die Bedeutung der UNO und die ›Fondation Hirondelle‹ für eine Friedensförderung durch Medien in Afrika: Das Radio Okapi in Kongo Zaire« (April 2006; Institut für Journalistik, Universität Dortmund).

2) Vgl. Die Rolle der Medien, Magazin für Kommunikation, E+Z, Jg. 45 (2004), S.276.

3) www.swissinfo.org/ger/dossiers/portrait/detail/Die_Stimme_der_Schwalben_im_Kampf_fuer_Freiheit.html (26.06.2007).

4) Klussmann, Jürgen: Medien im Konflikt – Mittäter oder Mediatoren. Internationale Konferenz, Friedrich-Ebert–Stiftung, Berlin, 11. Mai 2000, S.8.

5) Vgl. Zint, Martin: Friedensjournalismus als Beruf, in: Wissenschaft & Frieden, Heft 4/2000.

6) Klussmann, Jürgen, a.a.O.

7) Schmidt, Christian, im Interview mit E. Fopa, siehe Fußnote 1.

8) Wahlcharta, Radio Okapi, Interne Schriften; Kap. 5, §2, Abs.2, Kinshasa 2005, S.8. gekürzte Übersetzung. Im Original heißt es, dass Mitarbeiter von Okapi keine Geschenke oder Geld annehmen dürfen. Dies erweckt den Eindruck der Beeinflussung der Meinungen. Mitarbeiter dürfen auch keine Gadjets (eine Art »Fanartikel« wie Kappen, Halstücher, etc.) tragen mit dem Foto von Kandidaten.

9) Wahlcharta, ebenda.

10) Wahlcharta, ebenda, S.10.

11) Coupage (franz. umgangssprachlich in Kongo) bedeutet »Bestechung«

12) Etter, Jean Marie, im Interview mit E. Fopa, siehe Fußnote 1

13) Auch die Wochenzeitung »Die Zeit« bietet seit längerem einen blog zum Kongo: http://blog.zeit.de/kongo/, in dem über Alltägliches und Politisches im Kongo berichtet wird. Die zuständige Redakteurin ist Andrea Böhm.

Etienne Fopa, geb. in Kamerun, ist Absolvent am Institut für Journalistik der Universität Dortmund und Trainer für Medien und Konflikt bei Pecojon Germany (peace and conflict journalism network). Christiane Lammers ist Redakteurin von Wissenschaft und Frieden.

Die Projektgruppe Friedensforschung Konstanz

Die Projektgruppe Friedensforschung Konstanz

von Wilhelm Kempf

Die Projektgruppe Friedensforschung Konstanz ist eine informelle Arbeitsgruppe innerhalb der Arbeitseinheit »Methodenlehre« im Fachbereich Psychologie an der Universität Konstanz. Sie entstand im Studienjahr 1977/78 aus einem DGFK-Projekt über »Kritische Meinungsbildung als Grundlage für Konfliktlösung« und entwickelte im Laufe der Zeit unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Inzwischen ist die Perspektive der konstruktiven Konfliktberichterstattung bestimmend.

Der Forschungsschwerpunkt der Projektgruppe lag zunächst auf der wissenschaftstheoretischen Grundlegung psychologischer Friedensforschung (Kempf 1978). Mitte der 80er Jahre verlagerte er sich auf die empirische Untersuchung von Kriegsberichterstattung und Propaganda, zunächst am Beispiel des nicaraguanischen Contra-Krieges (Kempf 1990), später im Falle der nationalen (Kempf 1994) und internationalen (Nohrstedt & Ottosen 2001; Kempf & Luostarinen 2002) Medienberichterstattung über den Golfkrieg und der Berichterstattung über die ex-jugoslawischen Bürgerkriege (Jaeger 1998; 2001; Sabellek 2001; Kempf 2002; Annabring & Jaeger 2005).

Dabei war es der Projektgruppe jedoch stets nicht nur ein Anliegen, die sozialpsychologischen Mechanismen zu untersuchen, auf denen das Funktionieren von Propaganda beruht. Es ging ihr auch darum, positive Impulse zu setzen und Modelle zu entwickeln, wie die Medien, statt Kriege anzuheizen, zur Friedensstiftung und zur Versöhnung zwischen den Konfliktparteien beitragen können. Dementsprechend verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt der Projektgruppe schließlich auf die Rolle der Medien in Nachkriegsgesellschaften und auf die Fragen, ob eine konstruktive Konfliktberichterstattung von der Öffentlichkeit überhaupt akzeptiert würde und welchen Einfluss sie auf die mentalen Modelle ausübt, auf deren Grundlage die Rezipienten die berichteten Ereignisse interpretieren (Projektgruppe Friedensforschung 2005; Kempf 2005; Schaefer 2006; Spohrs 2006).

In theoretischer Hinsicht steht die Arbeit der Projektgruppe in der Tradition der Konflikttheorie von Deutsch (1973). Deutsch geht davon aus, dass die Eskalation von Konflikten kein unentrinnbares Schicksal ist, sondern aus den emotional-kognitiven Schemata resultiert, mittels derer Konflikte interpretiert werden. Diesen Erklärungsansatz mit den Eskalationsmodellen von Creighton (1992) and Glasl (1992) verbindend, entwickelte die Projektgruppe eine Typologie mentaler Konfliktmodelle. Danach sind solche Modelle entlang der folgenden Dimensionen zu beschreiben: (a) Konzeptualisierung des Konflikts als win-win, win-lose oder lose-lose Prozess, (b) Wahrnehmung der Rechte und Ziele der Konfliktparteien, (c) Bewertung ihres Verhaltens und (d) emotionale Konsequenzen dieser Interpretationen (Kempf 2000).

Dieses Evaluationsmodell wurde in einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen zur Medienberichterstattung über Kriege (Golfkrieg, Bosnien und Kosovo), zur Nachkriegsberichterstattung (Deutsch-französische Beziehungen nach dem 2. Weltkrieg, Serbien nach Milosevic) und zur Berichterstattung über Friedensprozesse (Nordirland, Israel-Palästina) validiert. Darauf aufbauend wurde ein zweistufiges Modell der konstruktiven Konfliktberichterstattung entwickelt (Kempf 2003; Bläsi 2006), das dem Konzept des Friedensjournalismus nach Galtung (1998) nahesteht. Im Unterschied zu Lynch & McGoldrick (2005) interpretiert die Projektgruppe Friedensforschung Friedensjournalismus jedoch nicht als eine Form von Meinungsjournalismus oder Friedens-PR, sondern als eine Form von Qualitätsjournalismus. Er wird den journalistischen Qualitätskriterien der Wahrheitstreue, Neutralität und Objektivität gerecht, indem er auf konflikttheoretische und sozialpsychologische Kompetenzen zurückgreift, um den Wahrnehmungsverzerrungen entgegen zu wirken, die sich in eskalierenden Konflikten gleichsam naturwüchsig einstellen.

Journalismus und Medien spielen eine wesentliche Rolle in der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit. Sie können diese Rolle so oder so ausfüllen: Durch die Art der Berichterstattung können sie entweder der Eskalation oder der Deeskalation von Konflikten Impulse geben. In der Regel tendieren Journalisten dazu, Konflikte mittels derselben mentalen Modelle zu interpretieren, welche in der jeweiligen Gesellschaft dominant sind und/oder ihrer politischen Agenda entsprechen. Sie passen diese mentalen Modelle aber auch den sich verändernden politischen Bedingungen an, und die Art und Weise, wie sie Konflikte interpretieren, bleibt nicht ohne Einfluss auf die öffentliche Meinung. In den meisten Fällen eilt die Medienberichterstattung dem Eskalationsprozess um einen halben Schritt voraus und wird so selbst zu einem Motor der Konflikteskalation (neben anderen). Diesen Prozess umzukehren und einen halben Schritt in Richtung Deeskalation und Versöhnung vorauszugehen, ist die Alternative, welche das Konzept der konstruktiven Konfliktberichterstattung anbietet und welche nach dem bisherigen Stand der Forschung auch von den Rezipienten als faire, unparteiliche und kompetente Berichterstattung anerkannt wird.

Während der heißen Phase eines Konflikts ist jedoch eine Beschränkung auf deeskalationsorientierte Konfliktberichterstattung anzuraten, d.h. eine Beschränkung auf sachliche, distanzierte und gegenüber allen Seiten faire und respektvolle Berichterstattung, die den Konflikt nicht weiter anheizt und sich zu den Kriegführenden jeder Couleur auf kritische Distanz begibt. Lösungsvorschläge erscheinen in dieser Phase noch nicht angebracht. Das Risiko, dass die Berichterstattung vorschnell als unglaubwürdig oder als feindliche Gegenpropaganda abgewehrt werden könnte, ist noch zu hoch. Deshalb kann es in dieser Phase nur das vorrangige Ziel sein, aus der Fixierung auf Gewalt und gegenseitige Vernichtung herauszufinden und dem Publikum die Augen für einen Außenstandpunkt zu öffnen, der die antagonistische Wirklichkeitsauffassung und die Polarisierung der Konfliktparteien dekonstruiert.

Erst als zweite Stufe kann man zu lösungsorientierter Konfliktberichterstattung übergehen, die auf die Annäherung der Gegner hinarbeitet und für alle Betroffenen akzeptable Wege aus dem Konflikt sucht. Obwohl er als konsistente Minderheitsposition auch schon während des Krieges einen Beitrag zur sukzessiven Dekonstruktion des Kriegsdiskurses leisten kann, wird dieser Schritt jedoch erst dann mehrheitsfähig sein, wenn der Konflikt aus seiner heißen Phase herausgetreten ist und nicht mehr reflexartig jede Stimme als feindlich wahrgenommen wird, die nach Mäßigung ruft.

Den Stand der Forschung zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Publikum einer konstruktiven Konfliktberichterstattung weit offener gegenübersteht als gemeinhin angenommen wird. Auch auf Seiten der Journalisten finden sich zahlreiche Beispiele dafür, dass Spielräume für konstruktive Nachkriegsberichterstattung erkannt und genutzt werden. Dennoch sollte man die Entwicklung dieser bei Journalisten wie auch bei Rezipienten bereits vorhandenen Kompetenzen nicht einfach dem Zufall überlassen, sondern sowohl in der Journalistenausbildung als auch in der Medienpädagogik systematisch fördern und weiterentwickeln.

Literatur

Annabring, U. & Jaeger, S. (2005): Der Wandel des Feindbildes Serbien nach dem Machtwechsel. In: Projektgruppe Friedensforschung Konstanz (Hrsg.): Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften, Berlin: irena regener, S.129-148.

Bläsi, B. (2006): Keine Zeit, kein Geld, kein Interesse …? Konstruktive Konfliktberichterstattung zwischen Anspruch und medialer Wirklichkeit. Berlin: irena regener.

Creighton, J. L. (1992): Schlag nicht die Türe zu. Konflikte aushalten lernen. Reinbek: Rowohlt.

Deutsch, M. (1973): The resolution of conflict. New Haven: Yale University Press.

Galtung, J. (1998): Friedensjournalismus: Warum, was, wer, wo, wann? In: W. Kempf & I. Schmidt-Regener (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien, Münster: LIT, S.3-20.

Glasl, F. (1992): Konfliktmanagement. Ein Handbuch zur Diagnose und Behandlung von Konflikten für Organisationen und ihre Berater. Bern: Haupt.

Jaeger, S. (1998): Propaganda mit Frauenschicksalen? Die deutsche Presseberichterstattung über Vergewaltigung im Krieg in Bosnien-Herzegowina. In: W. Kempf & I. Schmidt-Regener (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien, Münster: LIT, S.75-88.

Jaeger, S. (2001): Rollenkonstruktion im Bosnien-Konflikt. Westliche Kriegsberichterstattung zwischen Ambivalenz und Anteilnahme. In: J. Richter (Hrsg.): Deutschland: (un)bewältigte Vergangenheiten, Tübingen: dgvt, S.151-160.

Kempf, W. (1978): Konfliktlösung und Aggression. Zu den Grundlagen einer psychologischen Friedensforschung, Bern: Huber.

Kempf, W. (1994): Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg, Münster: LIT.

Kempf, W. (1990): Medienkrieg oder der Fall Nicaragua. Politisch-psychologische Analysen über US-Propaganda und psychologische Kriegsführung, Berlin: Argument.

Kempf, W. (2000): Konfliktursachen und Konfliktdynamiken. In: ÖSFK (Hrsg.): Konflikt und Gewalt, Münster: agenda, S.44-65.

Kempf, W. (2002): Escalating and de-escalating aspects in the coverage of the Bosnia conflict. In: W. Kempf & H. Luostarinen (Hrsg.): Journalism and the New World Order. Studying War and the Media, Göteborg: Nordicom, S.227-258.

Kempf, W. (2003): Constructive Conflict Coverage. A Social Psychological Approach (edited by the Austrian Study Center for Peace and Conflict Resolution). Berlin: irena regener.

Kempf, W. (2005): Two experiments focusing on de-escalation oriented coverage of post-war conflicts. conflict & communication online, 4/2.

Kempf, W. & Luostarinen, H. (Hrsg.) (2002): Journalism and the New World Order. Studying War and the Media. Göteborg: Nordicom.

Lynch, J. & McGoldrick, A. (2005): Peace Journalism. Gloucestershire, UK: Hawthorn Press.

Nohrstedt, S.A. & Ottosen, R. (2001): Journalism and the New World Order. Gulf War, National News Discourses and Globalization. Göteborg: Nordicom.

Projektgruppe Friedensforschung Konstanz (Hrsg.) (2005): Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften. Berlin: irena regener.

Sabellek, Ch. (2001): Die Entwicklung des Kosovokonflikts und die Wahrnehmung durch die Medien. In: J. Richter (Hrsg.), Deutschland: (un)bewältigte Vergangenheiten, Tübingen: dgvt, S.161-172.

Schaefer, C.D. (2006): The effects of escalation vs. de-escalation-orientated conflict coverage on the evaluation of military measures. conflict & communication online, 5/1.

Spohrs, M. (2006): Über den Nachrichtenwert von Friedensjournalismus – Ergebnisse einer experimentellen Studie. conflict & communication online, 5/1.

Prof. Dr. Wilhelm Kempf lehrt am Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz und ist Herausgeber von conflict & communication online

Kriegsdarstellung in den Medien

Kriegsdarstellung in den Medien

Ein DVD-Bildungsprojekt

von Magdalena Kladzinski

Viele Menschen in Deutschland – und vor allem die meisten Jugendlichen – kennen den Krieg aus den Bildschirmmedien. Dass mediale Wirklichkeit eine konstruierte Wirklichkeit ist, ist unumstritten. Dennoch finden medial vermittelte Informationen über kriegerische Auseinandersetzungen in unterschiedlichem Ausmaß Eingang in unsere Erfahrungswelt und werden zu Deutungsmustern über die Geschehnisse in der Welt. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Bildung Jugendlicher ist zu fragen, welche Bilder vom Krieg den jungen Menschen präsentiert werden und welche Auswirkung das auf ihre Entscheidungsfindung als mündige Bürger in Bezug auf gesellschaftlich-politische Prozesse haben kann?

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Jugendliche einen durchaus kritischen Umgang mit Medienangeboten und – genauso wie der größte Teil der gesamten Bevölkerung – eine deutliche Anti-Krieg-Haltung aufweisen. Auf der anderen Seite aber gehören kriegerische Auseinandersetzungen zu den Themen, die junge Menschen faszinieren. Für Bildungsarbeit bedeutet dies, Jugendlichen einerseits die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit medial vermittelten Inhalten zu vermitteln und andererseits die Reflexion der Wirkung dieser Inhalte auf die eigene Einstellung und Handlung anzuregen. Keine leichte Aufgabe, vor allem, da die Vermittlung von friedenspädagogischen Grundgedanken und eines medienkritischen Umgangs nicht losgelöst von der Tatsache behandelt werden können, dass kriegerische Handlungen Jugendliche aufgrund ihrer adoleszenten Entwicklungsaufgaben (Kampf um Autonomie und Anerkennung) faszinieren.

Das DVD-Projekt »Krieg in den Medien« ist ein Versuch, Jugendliche an die Kriegsdarstellung in den Medien heranzuführen. Im Vordergrund des Projektes steht die Aufgabe, den Jugendlichen den Unterschied zwischen realer und medialer Wirklichkeit aufzuzeigen. Den Ausgangspunkt für das Projekt bildet die Erkenntnis, dass mediale Kriegsproduktionen (Filme, Fernsehnachrichten und Computerspiele) interessengeleitet sind und wenig mit dem realen Krieg zu tun haben. Das Interesse von Filme- und Computerspielmachern ist, audiovisuell perfekt inszenierte Kampfszenen (in Bild und Ton) zu produzieren, die die Zuschauer – in welcher Form auch immer – an das Medium binden. Und auch wenn sich die filmischen Bilder zwischen Abschreckung und Faszination bewegen – in eine spannende Geschichte eingebunden und mit Topbesetzung mit bekannten Schauspielern werden sie oft zu Kassenschlagern. Ähnliches gilt für Computerkriegsspiele. Ist die Oberflächenstruktur von Computerspielen realitätsgetreu dargestellt (Sound, Grafik, menschenähnliche Spielfiguren usw.) und die Story spannend, können die Computerspielemacher mit wirtschaftlichem Erfolg rechnen. Bei Nachrichten, die ihrem Charakter nach als nicht-fiktionale Formate gelten, handelt es sich um gezielt nach Selektionskriterien ausgesuchte Informationen, die sowohl mit Hilfe von unterschiedlichen Ton- und Visualisierungstechniken als auch durch Einsatz von Computeranimationen an die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums angepasst werden.

Das ökonomische Interesse der Medienmacher bei der Herstellung von Medienprodukten mit Kriegsinhalten und das Interesse des Publikums an Unterhaltung einerseits und die Möglichkeit der Medien als Vermittlungsinstanzen von Informationen an die breite Öffentlichkeit andererseits haben zur Folge, dass die Medien sehr leicht ein wichtiges Mittel für die Manipulation werden können, d.h. sie können – zwecks Propaganda – offene oder versteckte politische Botschaften und Ansichten mit Hilfe von rhetorischen und audiovisuellen Mitteln transportieren.

In demokratischen Staaten braucht der Krieg Legitimation – sowohl in Kriegs- und Krisenzeiten als auch im Frieden, in dem die Menschen möglicherweise auf einen neuen Krieg vorbereitet werden sollen. Medien als Informationsquellen eignen sich hervorragend als Übermittler solcher Botschaften. Dem Interesse der Medien nach Unabhängigkeit steht das Interesse der Politik nach politikfreundlicher Berichterstattung entgegen. Über Zensur, Behinderung oder gar Verbot der Informationstätigkeit der Medien gibt es ausreichend Beispiele aus den vergangenen Kriegen. Auch die Prinzipien der Kriegspropaganda sind von der ferneren Vergangenheit bis heute unverändert geblieben – die eigenen Stärken mit allen visuellen und rhetorischen Mitteln zu präsentieren, den Feind hingegen als schwach und grausam darzustellen. Dabei gibt es eine Tendenz zur versteckten Propaganda im Sinne von Informationslenkung und -manipulation. Diese Art von Propaganda ist nicht auf den ersten Blick zu durchschauen.

Das Zusammenspiel von Medien, Politik und Militär ist von einem wechselseitigen Vorteil geprägt: Medien sind an politischen und militärischen Themen interessiert und machen sie gerne zum Inhalt – auch wenn das meistens Selbstzensur und Objektivitätsverlust nach sich zieht. Für Politik und Militär sind Medien aufgrund ihrer kommunikativen und technologischen Möglichkeiten Instrumente für Öffentlichkeitsbeeinflussung. Was machen die Medien mit den Menschen? Oder sollte man eher umgekehrt fragen: Was machen die Menschen mit den Medien?

Auf der Grundlage einschlägiger wissenschaftlicher Literatur zur Medienanalyse und zur Bedeutung von Medien für Politik und Militär und basierend auf einer explorativen Untersuchung zur Kritikfähigkeit Jugendlicher wurden im Zusammenhang mit dem DVD-Projekt einzelne themenrelevante Schwerpunkte erarbeitet und – um der Komplexität der Thematik eine Struktur zu geben – in drei Themenbereiche eingeteilt:

  • Live dabei? Der Krieg und die Medien
  • Medienprodukt Krieg? Die Inszenierung des Krieges in den Medien
  • Alles Propaganda? Medien als Instrument der Beeinflussung.

In allen drei Abschnitten haben die Schüler die Möglichkeit, das Wissen »interaktiv« zu erwerben. Anhand von vielen Beispielen können die Jugendlichen die Darstellung des Krieges in den Bildschirmmedien analysieren und die Wirkungsweise von spezifischen Gestaltungskomponenten selbst ausprobieren. Neben Ausschnitten aus Filmen, Computerspielen und Fernsehnachrichten gibt es zahlreiche Beispiele aus Printmedien, Experteninterviews, Aussagen von Jugendlichen, Datenbanken und ein Glossar, in denen die Thematik und Problematik aufgezeigt wird. Als Medium dient didaktisch aufbereitetes Bildungsmaterial, das sowohl im als auch außerhalb des Unterrichts eingesetzt werden kann. Für Pädagogen gibt es zusätzlich eine Handreichung für die Vorbereitung des Unterrichts.

Das DVD-Projekt ist in einer Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft e.V. (IBI), der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) und ProSiebenSat1 Media AG entstanden.

Magdalena Kladzinski ist Gastforscherin in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

»Hallo Krieg«

»Hallo Krieg«

Internationale Videoprojekte zur politischen Bildung

von Andreas von Hören

Das Medienprojekt Wuppertal konzipiert und realisiert seit 1992 erfolgreich Modellprojekte aktiver Jugendvideoarbeit unter dem Motto »das bestmögliche Video für das größtmögliche Publikum«. Innerhalb kurzer Zeit hat sich das »Medienprojekt« zur bundesweit größten und ambitioniertesten Jugendvideoproduktion entwickelt. Jugendliche und junge Erwachsene werden im Rahmen von pädagogischen Institutionen oder frei organisiert bei ihren eigenen Videoproduktionen unterstützt, ihre Videos im Kino, in Schulen, Jugendeinrichtungen etc. in Wuppertal präsentiert und als Bildungsmittel bundesweit vertrieben. Alle Projekte dienen der aktiven Medienerziehung und dem kreativen Ausdruck jugendlicher Ästhetiken, Meinungen und Lebensinhalte.

Die Doku-Serie »Hallo Krieg«

Unter dem Titel »Hallo Krieg« produzierte das Medienprojekt Wuppertal von Januar bis August 2003 mit Jugendlichen eine Doku-Serie zum Irakkrieg. Deutsche, irakische und amerikanische Jugendliche dokumentierten in diesem weltweit einzigartigen tri-nationalen Projekt mit der Videokamera ihr Leben und ihre Gedanken über mehrere Monate vor, während und nach dem Krieg. Sie wurden dabei angeleitet von Medienpädagogen und Filmemachern. Die Doku-Serie wurde in Bagdad, Wuppertal, Iowa und Oklahoma produziert. Mit dem Filmprojekt sollte erreicht werden, Krieg und seine Auswirkungen für Jugendliche in allen drei Ländern aus den verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen nachvollziehbarer zu machen.

»Hallo Krieg« wurde in 30-minütigen Folgen von Februar bis Mai alle 3 Wochen veröffentlicht und bundesweit als politisches Bildungsmittel für Schulen, Jugendeinrichtungen, Veranstaltungen und Privatpersonen vertrieben. Ausschnitte und Making-of-Reportagen aus dem Projekt wurden regelmäßig aktuell im Fernsehen gezeigt. Für den abschließenden fünften Teil reisten im August 2003 drei Schülerinnen mit dem Projektleiter nach Bagdad, um dort eine Reportage über den Krieg und die Kriegsauswirkungen im Irak aus junger Sichtweise zu drehen.

Der medienpädagogische Ansatz des Projektes

Der medienpädagogische Ansatz setzt auf Peereducation/Peerinvolvement: Jugendliche klären Jugendliche am besten auf. Jugendliche sollen sowohl medial als auch politisch partizipieren und ihre junge mediale Artikulation in Verbindung mit ihrer breiten öffentlichen Publikation gefördert werden.

Viele Jugendliche sind nicht politikverdrossen, sondern Politikerverdrossen, d.h. frustriert und ablehnend gegenüber dem in den »großen Medien« i.d.R. lancierten personenbezogenen Politikstil mit offensichtlichen Unmoralitäten. Andererseits engagieren sich viele Jugendliche für moralische Zwecke aus ihrem Lebensumfeld, wenn man sie lässt und dabei unterstützt. Dieses ist auch für sie oftmals ungewohnt und muss erst mal gelernt werden – von den produzierenden Jugendlichen, von den unterstützenden Medienpädagogen, von den kritisierten Politikern.

Unpolitische PädagogInnen machen unpolitische Medienarbeit. Als negative Vorbilder für Jugendliche sind viele MedienpädagogInnen mit ihrer journalistischen oder künstlerischen Artikulation traditionell näher an der Pädagogik als an den Medien. In politischen Projekten geht es nicht nur um das klassisch-pädagogische »Reden über« sondern um ein »Engagieren für«. Außerdem müssen die Jugendlichen das Medium technisch und künstlerisch beherrschen und nicht andersherum das Medium die Jugendlichen.

Politische Gruppen haben für ihre Videoarbeit oftmals weder ausreichendes Know-how noch adäquates Equipment oder Publikationsmöglichkeiten außerhalb ihrer Subkultur. Video bietet die Möglichkeit einer Verbindung von kognitiven und emotionalen Inhalten, von Kommunikation und Aktion und gleicht damit der politischen Einmischung selbst. Video ist als publiziertes Medium massenwirksam, politisiert informell und schafft so politische Partizipation für Jugendliche. Politisch partizipative Videoarbeit versucht Jugendliche zu unterstützen, individuelle und gesellschaftliche Grenzlinien zu überschreiten und somit auszudehnen. Hierbei stößt sie an institutionelle Grenzen, in dem sie politische Reaktionen provoziert. Was für den Medienpädagogen eine Gefahr ist, wird für Jugendliche zum Erfolg.

Politische Bildungsarbeit via Medienpädagogik ist dann erfolgreich im Sinne der Zielgruppe, wenn sie keinen individuell-defizitären sondern einen positiven, gesellschaftskritischen Ansatz verfolgt. Politische Filmarbeit versucht reflektiert Parteilichkeit, Emotionalität und Spaß miteinander zu verquicken. Wenn Demokratie individuell und gesellschaftlich das Ziel ist, so gilt es demokratische Mittel zu nutzen. Unsere Projekte zeichnen sich durch die inhaltliche Autonomie der jugendlichen FilmemacherInnen, filmgestalterische Unterstützung »learning by doing« durch »Film-Profis« mit politischem Bewusstsein, mobiles Digital-Videoequipment für Produktion und Postproduktion, massenwirksame öffentliche und szenemäßige Publikationsforen mit entsprechendem Marketing und begleitende Medienkampagnen aus.

In ihren Videos bearbeiten Jugendliche nicht abstrakte oder recherchierte Themen sondern Selbstthematisierungen, wo sie tatsächlich involviert sind. Deswegen sind ihre Filme oft dynamischer, authentischer, direkter und kompromissloser als Fernsehproduktionen.

Die produzierende Gruppe

Die Doku-Serie wurde hauptsächlich von 8 Wuppertaler Jugendlichen (7 Mädchen und 1 Junge) im Alter zwischen 18 und 19 Jahren produziert. Die Gruppe arbeitete mehrere Monate mit bemerkenswerten Engagement an allen Stufen dieses Projektes: Konzeption, Recherche, Dreh, Interviews, Schnitt, Organisation von Werbung für Aufführungen, Pressetermine, Gesamtorganisation und Konzeption von Aktionen. Ermutigt wurde die Gruppe, die zum großen Teil im Abitur stand, durch den politischen Anlass und das positive Feedback im persönlichen Kreis sowie in der bundesweiten Berichterstattung. Die Gruppe merkte, dass sie tatsächlich etwas bewegen konnte. Neben dieser Kerngruppe arbeiteten noch zwei Austauschschüler in den USA mit amerikanischen Jugendlichen an dem Projekt. Sie produzierten zahlreiche Interviews, die per Post alle 3 Wochen nach Wuppertal geschickt wurden. Mit Studenten aus Bagdad nahm die Wuppertaler Gruppe einen langfristigen Kontakt auf, zunächst in Telefoninterviews, später mit einem Besuch vor Ort. Es fand auch eine enge Zusammenarbeit mit in Wuppertal lebenden Irakis statt, die zunächst reine Interviewpartner waren. Später entstanden private Kontakte mit der produzierenden Gruppe und sie nahmen Pressetermine gemeinsam wahr. Neben der Kerngruppe arbeiteten diverse weitere Jugendliche an dem Projekt auf vielen Ebenen: Als Synchronsprecher, ein aus Kanada stammender Student beteiligte sich an der Übersetzung, bei Straßenaktionen wirkten weitere SchülerInnen mit.

Bei der Bagdadreportage für Teil 5 der Serie bestand die Gruppe aus 3 Mädchen, die zu der Kerngruppe zählen, welche seit Beginn beim Projekt teilnehmen. Das Projekt war sehr Mädchen-dominant, weil Mädchen nach unseren Erfahrungen – im Durchschnitt – neben gleichen filmischen Kompetenzen höhere kommunikative, sensitive Fähigkeiten, die für Dokumentarprojekte wichtig sind, mitbringen sowie eine größere Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit aufweisen.

Die RezipientInnen

Die Filme wurden vor, während und nach dem Irakkrieg alle drei Wochen aktuell in einem Wuppertaler Kulturzentrum vor mehreren hundert Zuschauern uraufgeführt. Die Altersstruktur war gemischt. Sie bestand zu ca. 2/3 aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen (12 bis 25 Jahre), zu ca. 1/3 aus Erwachsenen jeglichen Alters. Die Aufführungen erfolgten immer zeitnah zu den aktuellen Geschehnissen. Außerdem fanden Aufführungen in einer Wuppertaler Kirche statt. Die einzelnen Serienteile wurden in einer Auflage von je ca. 250 Stück bundesweit als Bildungsmittel vertrieben und wurden so von mehreren 10.000 Personen gesehen. Ferner bekamen alle Wuppertaler Schulen kostenfrei und unmittelbar nach der Fertigstellung Exemplare für den Schulunterricht geliefert. Die Filme wurden auch flächendeckend als Unterrichtsmaterial eingesetzt. Extra für Unterrichtsstunden gibt es optional auch eine Kurzfassung von 15 Min. auf dem Videotape, um den Film auch in einer Einzelstunde behandeln zu können.

Nach Erscheinen der aktuellen Teile tourten Mitarbeiter und jugendliche Filmemacher mit Videoleinwand und Beamer durch Kneipen, Clubs und Discos. Es gab eine breite mediale Berichterstattung und regelmäßige Fernsehausstrahlungen von Ausschnitten der Filme und Making-of-Reportagen. Ein 60minütiger Zusammenschnitt aller Serienteile wurde nach Abschluss des Projektes bundesweit als Bildungsmittel vertrieben. Dieser soll nicht nur über den immer noch aktuellen Krieg berichten, sondern zeigen, welche Auswirkungen Krieg im Verlauf auf junge Menschen in verschiedenen Ländern hat

Auszeichnungen

Die Doku-Reihe »Hallo Krieg« wurde mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet, wie dem 1. Preis des Dieter-Baacke-Preises 2003, dem Jugendkulturpreis NRW 2004 und demHans-Götzelmann-Preis 2004. Auszeichnungen sind nicht nur als qualifiziertes Feed Back und zur Anerkennung der medienpädagogischen, künstlerischen und inhaltlichen Leistung aller ProjektteilnehmerInnen wichtig. Die öffentliche Darstellung und Wahrnehmung ist zum einen wichtig, weil politische Filmprojekte bei politischen Entscheidungsträgern oft umstritten sind und von diesen nur auf Grund der veröffentlichten Meinung wahrgenommen und wertgeschätzt wird: Was gilt der Prophet im eigenen Land, und gerne tötet man den Überbringer von »bösen« Nachrichten. Zum anderen ist die Filmarbeit finanziell von Förderungen abhängig, qualifizierte Bewertungen helfen hierbei perspektivisch.

Andreas von Hören ist Gründer und Geschäftsführer des Medienprojektes Wuppertal e.V.

Von der Zivilmacht zur Supermacht Europa

Von der Zivilmacht zur Supermacht Europa

Die außenpolitische Agenda der Bertelsmann-Stiftung

von Jörn Hagenloch

Sage niemand, die Provinz sei harmlos. Ausgerechnet in Gütersloh ist einer der aggressivsten und einflussreichsten Fürsprecher einer Militarisierung der deutschen und europäischen Außenpolitik zuhause: die Bertelsmann-Stiftung. Seit vielen Jahren arbeitet sie mit Erfolg daran, in Deutschland neoliberale Reformen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen mehrheitsfähig zu machen (Bildung, Gesundheit und andere soziale Sicherungssysteme, öffentliche Hand,…). Sie ist einzigartig, was ihre finanziellen und personellen Ressourcen betrifft sowie die daraus resultierenden Einflussmöglichkeiten. Die Stiftung macht keinen Hehl aus ihrer »Mission« und beschreibt sich unverblümt als operatives Instrument, das direkt in Politik und Gesellschaft eingreift1.

Lagen die Arbeitsschwerpunkte in der Vergangenheit eher bei innenpolitischen Reformen, so stellt die Stiftung zunehmend außenpolitische Themen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Für die Beförderung ihrer außenpolitischen Agenda nutzt sie ein engmaschiges Netzwerk von persönlichen Beziehungen, das bis in die Spitzen der nationalen, europäischen und transatlantischen Politik reicht. Diese exponierte Stellung ermöglicht ihr großen Einfluss bei der strategischen Ausrichtung der deutschen und europäischen Außenpolitik (Sicherheits-, Rohstoff-, Verteidigungspolitik). Für die strategische Vorbereitung und Umsetzung stehen 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Hinzu kommen von der Stiftung finanzierten Forschungsinstitute wie das »Centrum für angewandte Politikwissenschaft« (CAP) in München.

Die außenpolitische Agenda der Stiftung hat einen eindeutigen Fokus auf der »Mitgestaltung« der zukünftigen Rolle der EU in der Welt. Die Botschaft lautet: Europa soll innerhalb der globalen Wirtschafts- und Machtblöcke seine Interessen wahrnehmen und sich zum Weltmachtstatus bekennen. Dafür haben die Stiftung und das CAP eine schier unübersehbare Vielzahl von Gutachten, Einschätzungen und Empfehlungen veröffentlicht sowie hochkarätig besetzte Konferenzen organisiert. Das alles gleicht einem Trommelfeuer für ihr strategisches Ziel: die Europäische Union, die sich bis vor wenigen Jahren noch als Zivilmacht verstanden hat, zum globalen Militärakteur zu entwickeln, der jeden Punkt der Welt kontrollieren kann, damit sogenannte sicherheitspolitische Interessen gewahrt werden, der Zufluss von Rohstoffen jederzeit sicher bleibt und reibungslose globale Kapitalströme sowie Liefer- und Absatzketten gewährleistet sind.

Geschichte und Verflechtungen der Bertelsmann-Stiftung

Die Geschichte der Bertelsmann-Stiftung ist jung, sie reicht ins Jahr 1977. Damals wurde sie vom Bertelsmann-Patriarchen Reinhard Mohn gegründet – vor allem wohl aus Gründen der Steuerersparnis. Am Anfang waren die Betätigungsfelder im sozialen und kulturellen Bereich angesiedelt. Erst langsam kamen neoliberale bildungspolitische Initiativen hinzu (z.B. die Privatuniversität Witten-Herdecke). Im Jahr 1991 begann die Stiftung ihren aggressiven Kurs der gesellschaftlichen Einflussnahme, der sich seither kontinuierlich gesteigert hat. Damals gab Konzernpatriarch Reinhard Mohn den Vorstandsposten des Konzerns ab und wechselte auf den Vorstandsposten der Stiftung. Ein Jahr später berief er Werner Weidenfeld in den Vorstand der Stiftung. Weidenfeld, damals Politologe an der Universität Mainz, war zuvor langjähriger Berater Helmut Kohls und brachte seine weitreichenden persönlichen Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern in der EU und den USA in die Stiftung ein.

Dass die Bertelsmann-Stiftung auch mit anderen außenpolitischen Think Tanks verbunden ist, zeigt der Blick auf die Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Hier, wo sich Vertreter des deutschen Militärs und der Geheimdienste mit Wissenschaftlern und Journalisten zum Austausch treffen, ist auch die Bertelsmann-Stiftung nicht weit. Von 1995 bis 2005 hat Werner Weidenfeld die hauseigene Zeitschrift »IP – Internationale Politik« herausgegeben und war lange Zeit Mitglied des Exekutivausschusses und des Präsidiums der DGAP. Die DGAP hat sich zum obersten Ziel gesetzt, »die außenpolitische Stellung Deutschlands zu fördern«. Sie wird vornehmlich aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Industrie finanziert und weist bemerkenswerte personelle Überschneidungen mit der Bertelsmann-Stiftung auf. So sitzen im Präsidium der DGAP beispielsweise Elmar Brok, der einflussreiche EU-Parlamentarier und Angestellte der Bertelsmann AG, Günther Nonnenmacher, einer der Herausgeber der FAZ und vom CAP für seine langjährige Verbundenheit in den exquisiten Club der »CAP-Fellows« aufgenommen, sowie Rita Süßmuth, die bis vor kurzem auch im Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung saß.

1993 übertrug Mohn der Stiftung 68,8% des Grundkapitals der Bertelsmann AG. Seither wird die Arbeit der Stiftung maßgeblich aus den erwirtschafteten Dividenden der AG finanziert. In der Folge wurde das »Centrum für Hochschulentwicklung« (CHE) gegründet und 1995 das CAP. Das CAP ist als Institut direkt der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität angegliedert, wo Weidenfeld zugleich den Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Einigung übertragen wurde. 1999 kam es innerhalb des CAP zur Gründung der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik. Deren Leiter Josef Janning ist gleichzeitig stellverstretender Leiter des CAP. Der Aufbau der organisatorischen Strukturen war damit abgeschlossen.

Empfehlungen zur Militarisierung der EU-Außenpolitik

Die strategische außenpolitische Einflussnahme begann unter anderem mit der Gründung von »Expertenteams«, die im Auftrag der Stiftung »Expertisen« zu außen- und sicherheitspolitischen Themen entwickeln. So wurde 1999 die »Venusberg Group« gegründet. Sie besteht aus neun außen- und sicherheitspolitischen »Experten« aus verschiedenen europäischen Staaten. Im Jahr 2000 veröffentlichten sie ein sicherheitspolitisches Konzept für die EU. Darin fordern sie, dass sich »die EU bis 2030 gegen alle Arten von Bedrohung autonom verteidigen können«2 soll. Es wird auch deutlich gesagt, dass die militärische Leitstrategie der Verteidigung des eigenen Territoriums gegen Angriffe nicht mehr genügt. Der neue Leitgedanke ist die Lösung von »sicherheitspolitischen Herausforderungen«. Unverhohlen empfiehlt das Konzept »über den regionalen Rahmen hinaus weltweit zu Sicherheit und Stabilität beizutragen. […] Ziel der EU sollte es sein, sowohl im zivilen wie im militärischen Bereich zu einem effektiven sicherheitspolitischen Akteur zu werden«. Das schließt auch ausdrücklich EU-weite militärische Strukturen und gemeinsame Rüstungsprojekte ein.

Diese nachdrückliche Empfehlung einer Militarisierung der EU-Außenpolitik bestärkt Tendenzen der EU-Kommission und der Regierungen der Mitgliedsländer.3 Die Bertelsmann-Stiftung sieht ihre Rolle innerhalb des Elitendiskurses darin, den Ausbau der EU zur militärischen Weltmacht zu beschleunigen und unumkehrbar zu machen. Die ökonomische Macht soll mit politischer und vor allem militärischer Macht abgesichert werden. Schon vor dem 11. September 2001 fordert die Bertelsmann-Stiftung die EU auf, künftig eine dominante weltpolitische Rolle zu spielen. Und kurz nach dem 11. September 2001 wurde dann von der Stiftung eine »Task Force Zukunft der Sicherheit« ins Leben gerufen. Das selbst gesteckte Ziel: »Schwachstellenanalyse der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen Sicherheitsstrukturen vornehmen und einen Katalog von Empfehlungen für die Abwehr aktueller und denkbarer Bedrohungen erarbeiten«. Der Ton zeugt vom selbstbewussten Umgang mit den höchsten politischen Stellen auf nationaler und europäischer Ebene. Man kennt sich eben gut, so dass es nichts Ungewöhnliches ist, als im November 2001 in Brüssel Bertelsmann-Stiftung und CAP dem EU-Kommissar Günter Verheugen gemeinsam ein Strategiepapier zur Zukunft des europäischen Prozesses übergeben. Darin wird eine gemeinsame EU-weite Außen- und Sicherheitspolitik propagiert. Die »asymmetrische Bedrohung für die Innen- und Außenpolitik« ist weiterhin ein zentrales Thema der Stiftung. Im vergangenen Jahr wurde eigens dafür der »1. Global Policy Council« abgehalten, flankiert von der Bertelsmann-Studie »Weltmächte im 21. Jahrhundert«. Ihr Inhalt: »Diese Bestandsaufnahme zeigt, wie wirtschaftliche Verflechtung, globale Abhängigkeiten, Kontrolle über wichtige regionale Versorgungslinien, demographischer Stress, Pandemien, Zugang zu Ressourcen wie Energie und Wasser sowie Probleme wie staatliches Versagen oder die Entfaltung nuklearer Macht geostrategisches Handeln in Zukunft bestimmen werden.« Hauptredner Wolfgang Schäuble wird sich verstanden gefühlt haben.

Überhaupt wird der Kontakt in die höchsten nationalen und EU-Kreise intensiv gepflegt. Die Stiftung empfiehlt sich beispielsweise mit ihrem »Bertelsmann International Forum« regelmäßig als Kontaktbörse der großen Politik. Für ihre alle zwei Jahre stattfindende Konferenz steht ihr das Auswärtige Amt als Tagungsort zur Verfügung. Die Veranstaltung ist hochkarätig besetzt. Beim letzten Treffen 2006 konnten die Spitzen von Bertelsmann AG und Bertelsmann-Stiftung 160 Gäste begrüßen, darunter die Bundeskanzlerin und ihren Verteidigungsminister, Henry Kissinger, den Präsidenten der EU-Kommission, zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus der EU, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, außereuropäische Diplomaten, Vertreter der Weltbank sowie hochrangige internationale Manager, Wissenschaftler und Medienvertreter. Und einmal mehr ging es zentral um die globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen und die europäische »strategische Antwort« darauf.

An dieser Antwort arbeitet die Stiftung selbst intensiv seit 2004. Damals wurde das Projekt »Europas weltpolitische Verantwortung« aus der Taufe gehoben. Nach eigener Aussage dient es dazu, »den Entwicklungsprozess der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union konzeptionell mit Analysen, Handlungskonzepten und Strategieempfehlungen [zu begleiten]. Schwerpunkte liegen dabei auf der Ausgestaltung der transatlantischen Partnerschaft, der Weiterentwicklung der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Instrumente der Europäischen Union sowie ihrer Befähigung zur konstruktiven Konfliktregelung bei innerstaatlichen und regionalen Konflikten

Entsprechend dieser Leitlinien hat die »Venusberg Gruppe« 2004 ihre Vorstellungen einer europäischen Verteidigungsstrategie vorgestellt. Sie betont, dass die EU als »security actor« global Verantwortung übernehmen muss, dass die bisherige Sicherheitsstrategie nicht weit genug geht, da konkrete Handlungsanleitungen fehlen. So lässt der Text auch keinen Zweifel daran, dass die Zeiten der rein defensiven Verteidigung längst vorbei sind. Es geht um Angriffspolitik und das empfohlene strategische Konzept zielt auf »offensive and defensive security and defence efforts«4. So werden die Kernelemente aller Bertelsmann-Papiere zur Außenpolitik noch einmal aufgezählt: die Schaffung des Postens eines EU-Außenministers, einer EU-Armee, neuer Waffen für den globalen Einsatz und gemeinsame geheimdienstlicher Strukturen. Und durch die Hintertüre wird Deutschland als Teil der Europäischen Union sogar Atommacht. Denn was die französischen und englischen Atomwaffen anbetrifft, so heißt es lapidar: »In time it may be that the role of these forces might have to be formalised within an EU framework as they are within the NATO framework5

Europa als machtpolitischer Akteur

Es sind ganz neue Töne, die den EU-Bürgern plötzlich in den Ohren klingen. Die Zivilmacht Europa ändert ihren Charakter. Die Wirtschaftsmacht, die es bisher so gut verstanden hat, ihre globale Interessenpolitik hinter der Fassade des globalen Anwalts der Menschenrechte, als Helfer in der Not zu verstecken, schlägt neue Töne an. Doch weltweite militärische Einsätze sind für EU-Bürger immer noch gewöhnungsbedürftig. Die Bertelsmann-Stiftung hat das erkannt. Schließlich hat sie hierzulande mittlerweile viel Erfahrung bei der Beeinflussung des gesellschaftlichen Klimas gesammelt. Beispielsweise durch die mediale Verbreitung der eigenen Überzeugungen. Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung werden von Printmedien, Hörfunk und Fernsehen als »Experten« für außen- und sicherheitspolitische Fragen eingeladen und können ihre Sicht der Dinge vermitteln. Immer wieder gibt es auch hochkarätig besetzte Tagungen und Diskussionsrunden, die sich der Frage widmen, wie politische Kommunikation heute gemacht werden muss, um die »Reformbereitschaft« der Menschen zu steigern.6 So soll auch die Bereitschaft der EU-Bürger zum Weltmachtstatus gefördert werden. Ein Strategiepapier der »Venusberg Group« aus dem Jahr 2005 mit dem Titel »Why the World needs a Strong Europe…and Europe needs to be Strong. Ten Massages to the European Council« empfiehlt dem Europäischen Rat: »Engage the European People: Europeans want leadership. To generate political capital for Europe’s new defence European leaders must finally open a strategic dialogue with EU civil society about the role of Europe in the world. Only by gaining broad popular support Europe will be capable of achieving its strategic objectives and master the challenges ahead7

Mit anderen Worten: es geht um den Gewinn der diskursiven Hegemonie in der Gesellschaft, um die gesellschaftliche Akzeptanz für weltweite Kriegseinsätze. Und die zentrale Botschaft lautet: Es gibt zahllose Gefahren für den europäischen Wohlstand und das sichere Leben der EU-Bürger. Überall lauern Bedrohungen, die nicht mehr nur mit zivilen Mitteln abgewendet werden können, beispielsweise durch »Terrorismus, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Staatsscheitern und die Abhängigkeit von Energie-Importen«8. Im Juni 2007 forderte die Stiftung gar eine europäische »Energieaußenpolitik«. Unter dem Titel »Europa im Wettlauf um Öl und Gas« werden Vorschläge gemacht, durch welche Maßnahmen die EU ihren gewaltigen Energiebedarf in Zukunft sichern könnte. Dort heißt es: »Aufgrund der Instabilität diverser Rohstoffstaaten ist Europa gefordert, durch den Einsatz seiner vielfältigen außenpolitischen Instrumente (Diplomatie, Wirtschaft, Handel, Entwicklung, etc.) die Voraussetzungen für ein verlässliches Agieren der Partner zu unterstützen9 Was hier so zivilisiert klingt, kann auch einen anderen Ton annehmen; so ist in einer Analyse des CAP zur Asienpolitik der EU etwa der Satz zu lesen: »Außerdem bedarf es eines Bekenntnisses der EU dazu, dass auch Europäer in ihrer Außenpolitik sehr wohl Interessenpolitik betreiben10

Wohin die Reise tatsächlich gehen soll, vermittelt eine Broschüre des CAP aus dem Jahr 2003. Dort werden fünf Szenarien zur Zukunft der EU beschrieben. Hier der Favorit der Autoren: »Im Szenario Supermacht Europa wird das große Europa seinem objektiven Weltmachtpotential gerecht. Die Europäische Union nutzt ihre materiellen und institutionellen Ressourcen in vollem Umfang. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Bevölkerungszahl, militärisches Potential und das europäische Wertesystem bieten ihr eine beachtliche Handlungsbasis. […] Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgültig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik.«11

Anmerkungen

1) Der damalige Vorsitzende der Stiftung Heribert Meffert hat es in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so formuliert: »Die Politik braucht Unterstützung. Wir dürfen uns deshalb nicht nur als Think Tank, als Denkfabrik, betätigen, sondern müssen auch kampagnenfähig werden und konkrete Lösungsansätze bieten. Damit steigt natürlich der Einfluss« (SZ, 29.04.05).

2) Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung vom 06.06.2000.

3) So hat der Europäische Rat auf seiner Sitzung im Dezember 1999 beschlossen, eine europäische Eingreiftruppe aufzubauen, die innerhalb von 60 Tagen mit einer Stärke von bis zu 60.000 Soldaten weltweit einsetzbar ist und deren Einsatz für ein Jahr gewährleistet werden kann.

4) Bertelsmann Foundation: »A European Defence Strategy«. Gütersloh, 2004. S.5.

5) Ebenda: S.58

6) Hier ist auch die PR-Kampagne »Du bist Deutschland« zu erwähnen, die in den Vorstandsetagen von Bertelsmann erfunden und u.a. mit starker Hilfe der hauseigenen Medien (RTL, Stern etc.) umgesetzt wurde.

7) »Why the World needs a Strong Europe…and Europe needs to be Strong. Ten Messages to the European Council«. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh, November 2005, S.18.

8) Klaus Brummer: »Warum schicken wir Truppen in alle Welt?«. Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 03.08.2006. Brummer ist Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung.

9) www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F14-E88E9715/bst/hs.xsl/nachrichten_53103.htm.

10) www.cap-lmu.de/aktuell/positionen/2006/asem.php.

11) Algieri, Emmanouilidis, Maruhn: »Europa Zukunft. Fünf EU-Szenarien« München, 2003. S.12f.

Jörn Hagenloch ist freier Journalist und arbeitet im Medienkombinat Berlin

Operation Balkan:

Operation Balkan:

Werbung für Krieg und Tod

von Jörg Becker und Mira Beham

Seit dem Kosovokrieg von 1999, der die Frage nach der Rolle der Medien im Krieg und nach Krisenkommunikation überhaupt in einer relativ breiten Öffentlichkeit thematisierte, ist eine explosionsartig angewachsene und kontinuierlich wachsende Menge an Literatur zum Thema Medien und Krieg zu verzeichnen. Damit scheint eine lange geltende kommunikationswissenschaftliche Gesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt worden zu sein, wonach jeder Krieg eine Medienkrise hervorruft, in der sich die Medienschaffenden veranlasst sehen, zu fragen, wie sie über den Krieg kommuniziert haben, um anschließend alsbald wieder zur Tagesordnung überzugehen und wenig bis gar keine Lehren aus dem zurückliegenden für den nächsten Krieg zu ziehen.

Dass es jetzt aber eine offenbar gestiegene und eine mehr oder weniger andauernde Sensibilität für den Umgang der Medien mit Kriegen gibt, hat vermutlich vor allem zwei Gründe. Erstens haben uns der 11. September 2001 und seine Folgen praktisch in den Zustand eines permanenten Krieges versetzt, was wiederum eine permanente Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen der Kommunikation über Krieg hervorruft und erforderlich macht. Zweitens ist eine rasante Veränderung der Quantität und Qualität von Kriegs- und Krisenkommunikation eingetreten.

Innerhalb der Friedensforschung ist ebenfalls eine erhöhte Sensibilität hinsichtlich dieses Themas zu verzeichnen. Auffällig jedoch ist dabei generell, dass – nicht nur in der Friedensforschung – zwei wichtige Aspekte der komplexen Problematik eher ein Schattendasein fristen. Da wären zum einen die Balkankriege der neunziger Jahre, die über den Kosovokrieg hinaus kaum Interesse wecken, obschon der NATO-Krieg gegen Jugoslawien in vielerlei Hinsicht – auch medial – auf ihnen aufgebaut hat.1 Und da wäre zum anderen die Frage nach der Beeinflussung von Kriegs- und Krisenkommunikation, also auch der von Medien, durch Public Relations-Maßnahmen.2

Propaganda und Public Relations

Wer im 21. Jahrhundert etwas über Propaganda schreiben will, tut gut daran, bei Harold D. Lasswell zu beginnen. Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts veröffentlichte Lasswell sein Buch »Propaganda Technique in the World War«3, einen Klassiker über die Propagandagräuel aller Kriegsparteien im Ersten Weltkrieg. Nach Lasswell dient Kriegspropaganda vier Zielen: den Hass gegen den Feind zu mobilisieren, die Freundschaft unter den eigenen Verbündeten zu stärken, freundliche Kooperationsmodelle gegenüber neutralen Mächten herzustellen und den Feind zu demoralisieren. Diese Zielsetzungen von Kriegspropaganda haben sich bis heute nicht geändert.

In seinem Aufsatz über »Die Theorie der politischen Propaganda«4 bestimmte Lasswell sein Verständnis von Kommunikation folgendermaßen: »Propagandastrategien kann man am besten in der Terminologie von Stimulus und Response erklären. Einem Propagandisten geht es um die Vervielfachung der Stimuli, die am ehesten die gewünschte Wirkung erzielen und um Auslöschung der Stimuli, die wahrscheinlich zu unerwünschten Wirkungen führen.« Später schrieb er an anderer Stelle, dass Propaganda die Manipulation von Symbolen sei, um Einstellungen bezüglich kontroverser Themen zu beeinflussen. Lasswells theoretische Modellbildung ging davon aus: Sind die Stimuli erstens nur geschickt genug ausgewählt und werden sie zweitens nur ausreichend häufig genug wiederholt, ist von geglückter Kommunikation zu sprechen, kann eine einheitliche Reaktion seitens der »amorphen Masse« vorausgesetzt werden.

Hinter Lasswells Überlegungen verbirgt sich das Reiz-Reaktions-Modell der etablierten Sozialwissenschaft. Und als Persuasionsforschung, also als eine Kommunikationsforschung, die überreden und überzeugen will, stehen diese Überlegungen nach wie vor Pate für alle etablierten Konzepte der gegenwärtigen Werbewirkungsforschung, der Wirkungs- in der Kommunikationsforschung und auf dem Arbeitsgebiet von PR. Diskreditiert durch den positiv besetzten Propaganda-Begriff in der NS-Zeit grenzen sich Vertreter und Befürworter von PR seit langem vom Propaganda-Begriff ab.

Definitorisch indes sind auch gegenwärtig die Abgrenzungen zwischen den Begriffen Propaganda und PR keinesfalls zufrieden stellend zu leisten. Weder ist trennscharf zu unterscheiden zwischen »überreden« für Propaganda und »überzeugen« für PR, noch sind inter-subjektiv überprüfbare und messbare Kriterien für »gute« kommunikative Absicht und »gute« Ethik für PR und »schlechte« kommunikative Absicht und »schlechte« Ethik für Propaganda denkbar.

Wie sehr der neue Begriff PR lediglich Neusprech für den alten Begriff Propaganda ist, zeigt der folgende Abgrenzungsversuch von Günter Bentele, Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentlichkeitsarbeit und PR an der Universität Leipzig: Eine »umstandslose Gleichsetzung von Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda« sei „unter logisch-systematischen Gesichtspunkten und gemessen an der Zielsetzung einer differenzierten PR-Theorie zu simpel. Das Problem dieser Position ist, dass notwendigerweise von gravierenden Unterschieden zwischen nationalsozialistischer Propaganda oder politischer DDR-Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit westlichen Typs abstrahiert werden muss5.

Doch Benteles Position bleibt aus zwei Gründen problematisch. Erstens huldigt er einem sozialwissenschaftlich fragwürdigen, weil allzu simplen Totalitarismusmodell, dessen Dichotomie Feindbildcharakter aufweist: Propaganda haben nur die anderen, man selbst betreibt Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit. Zweitens aber bekommt Benteles inhaltlich leerer Strukturfunktionalismus erhebliche empirische Probleme, denn ganz offensichtlich kann nicht sein, was nicht sein darf.

Das Engagement von PR-Agenturen in den ex-jugoslawischen Kriegen

Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass Regierungen PR-Unternehmen damit beauftragen, ihr Image in anderen Ländern aufzubessern. Wenig bekannt ist hingegen, dass es seit langem von sehr unterschiedlichen Regierungen in Auftrag gegebene und bezahlte PR-Kampagnen gibt, um Feindbilder aufzubauen, Kriege vorzubereiten oder Diktaturen zu beschönigen.

Im wechselseitigen Abhängigkeitssystem »Regierungen/PR-Agenturen in Kriegszeiten« haben wir insgesamt 157 Halbjahresverträge zwischen ex-jugoslawischen Kunden und 31 verschiedenen PR-Agenturen sowie neun Einzelpersonen aus dem Zeitraum der Kriege in Ex-Jugoslawien von 1991 bis 2002 erfasst.

Im August 1991 erhielt die PR-Firma »Ruder Finn« von der kroatischen Regierung den Auftrag, für sie zu arbeiten, im Mai 1992 von der bosnischen Regierung und im Herbst desselben Jahres von der Führung der Kosovo-Albaner. Damit ist »Ruder Finn« die einzige PR-Agentur, die im Krieg für alle drei nicht-serbischen Kriegsparteien gleichzeitig tätig war. Kennzeichnend für die Arbeit von »Ruder Finn« im Auftrag der drei Kriegsparteien – und eher unüblich für das nüchtern dienstleistungsorientierte Selbstverständnis der Branche – ist das hohe Maß an Identifikation mit den Anliegen und Zielen der Kunden, das sowohl David Finn als auch James Harff, beide »Ruder Finn«, mehrfach dokumentiert haben. In einem uns exklusiv vorliegenden Interview, das für die holländische TV-Dokumentation »De Zaak Miloševiæ« gedreht und nur in Auszügen ausgestrahlt wurde, erklärt Harff: »Es ist in unserem Blut, wir haben den Balkan im Blut wegen der persönlichen und professionellen Erfahrungen. […] Wir haben uns sehr große Sorgen um das Kosovo gemacht, und natürlich war die NATO-Aktion von 1999 ganz sicher angemessen, wenn auch verspätet. […] Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht.«6

Die Kommunikationskonzepte in den Balkan-Kriegen

Die von den Kriegsparteien engagierten PR-Agenturen arbeiteten im wesentlichen mit folgenden Elementen, die sie formal und inhaltlich miteinander kombinierten: politische Propaganda, Lobbying, Krisenkommunikation, Medienkommunikation, Informationsmanagement, Issues-Management, Public Affairs (also politische Kommunikation), Consulting und Intelligence. PR-Agenturen, die für nicht-serbische Klienten arbeiteten, gaben folgende Ziele ihrer Arbeit an:

  • die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die USA
  • die Wahrnehmung Sloweniens und Kroatiens als fortschrittliche Staaten westeuropäischen Zuschnitts
  • die Darstellung der Serben als Unterdrücker und Aggressoren
  • die Gleichsetzung der Serben mit den Nazis
  • die Formulierung des politischen Programms der Kosovo-Albaner
  • die Darstellung der Kroaten, der bosnischen Muslime und der Kosovo-Albaner als ausschließlich unschuldige Opfer
  • die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele
  • das Eingreifen der USA in die Ereignisse auf dem Balkan
  • die Darstellung der Eroberung der serbisch gehaltenen Krajina durch die kroatische Armee als legitim und legal
  • die Aufrechterhaltung der UN-Sanktionen gegen Serbien
  • eine günstige Entscheidung beim Schiedsspruch um die bosnische Stadt Brèko
  • die Völkermordanklage gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag
  • günstige Verhandlungsergebnisse für die albanische Seite in Rambouillet
  • die Anklage Slobodan Miloševiæs vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
  • eine Förderung von US-Investitionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten
  • die Sezession Montenegros von Belgrad.

PR-Agenturen, die für serbische Klienten arbeiteten, gaben folgende Ziele ihrer Arbeit an:

  • die allgemeine Verbesserung des schlechten Images
  • die Verbesserung des Images der bosnischen Serbenrepublik
  • die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele
  • Förderung von US-Investitionen in Serbien
  • die Verbesserung der Beziehungen zu den USA nach der Abwahl Miloševiæs
  • die Aufhebung der UN-Sanktionen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Balkan-Klienten mit ihren PR-Aktivitäten zwei Ziele verfolgten: Erstens ging es ihnen um eine Selbst-Einführung in die US-amerikanische Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Man wollte sich also selbst positiv präsentieren, d.h. diplomatisch tätig sein. Zweitens ging es ihnen um die Erreichung sehr handfester, eigener Kriegsziele. Oft wurden hierbei beide Aspekte stark miteinander verwoben.

Bad und good guys – die Simplifizierung bewaffneter Konflikte

In den Balkan-Kriegen haben wir die Konstellation, dass Kriegsregierungen ihre Propaganda durch den Filter von PR-Agenturen und deren zahlreiche Kommunikationskanäle in glaubwürdige Botschaften verwandeln konnten. Daraus resultiert eine starke Homogenisierung der öffentlichen Meinung in den USA und in den westlichen Gesellschaften überhaupt: die US-Regierung, amnesty international, Human Rights Watch, Freedom House, das United States Institute of Peace, die Soros-Foundation, liberale Intellektuelle und weite Kreise der Konservativen, die Vereinten Nationen, Journalisten, aber auch die Regierung in Zagreb, die Regierung in Sarajevo, die Führung der Kosovo-Albaner, die UÇK – sie alle haben, mit geringfügigen Nuancen, eine praktisch identische Lesart der Balkan-Kriege. In einer etwas überspitzten Kurzfassung sieht diese so aus: Die Serben sind in nationalistischen Wahn verfallen und wollten ein Großserbien errichten, Slobodan Miloševiæ, ein unverbesserlicher Kommunist, hat sich zu ihrem Führer aufgeschwungen und hat mit der Jugoslawischen Volksarmee die nicht-serbischen Republiken und Völker angegriffen und dabei Massenvergewaltigungen, ethnische Säuberungen und Völkermord begehen lassen; die anderen ex-jugoslawischen Nationen – Slowenen, Kroaten, Bosnier, Albaner, Mazedonier – waren friedliebende, demokratische Völker (die Montenegriner hatten ein geteiltes Image: solange sie mit Belgrad solidarisch waren, galten sie als ebenso aggressiv; als sie mit Belgrad brachen, verwandelten sie sich in ein friedliebendes Volk). Das ist genau das Bild der Balkan-Kriege, das die PR-Agenturen 1:1 verbreitet haben. Und es ist deckungsgleich mit der Propaganda der ex-jugoslawischen, nicht-serbischen Kriegsparteien.

PR und private Militärfirmen

Die kroatische Regierung hatte praktisch durchgehend von 1991 bis 2002 verschiedene große PR-Firmen engagiert, die sich in den USA für ihre politischen, ökonomischen und kulturellen Belange einsetzten und ein positives Image des Staates verbreiteten. Nach der erfolgreichen Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens durch die USA gab es jedoch noch ein besonders kritisches politisch-militärisches Problem, das es zu lösen galt – die Serbenfrage in der Krajina. Und an diesem Punkt gibt es eine erste nachweisbare Kombination von gleichzeitigen Aktivitäten einer PR-Agentur und Aktivitäten einer privaten Militärfirma.

Im März 1993 engagierte das Büro des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman die PR-Agentur »Jefferson Waterman International (Waterman Associates)« und im September 1994 unterzeichnete die kroatische Regierung einen Vertrag mit der privaten US-amerikanischen Militärfirma MPRI (Military Professional Resources Inc.). MPRI ist eine von einigen Dutzend ähnlicher privater Militärfirmen (PMFs), die militärisches Training und verwandte Hilfsdienste für ausländische Regierungen durchführen. Wie ein ehemals hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter erklärt, sind diese privaten Trainingsprogramme dazu gedacht, die »außenpolitischen Ziele der USA zu fördern« und dürfen deshalb nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung des US-amerikanischen Außenministeriums realisiert werden. Mit Hilfe dieser florierenden privaten Kriegsindustrie kann die US-Regierung in jedem Land der Welt jede Form von Militärhilfe leisten, ohne die Zustimmung des Kongresses einholen oder der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen zu müssen.7

Anfang August 1995, elf Monate nach der Unterzeichnung des Vertrags mit MPRI, startete die kroatische Armee die »Operation Sturm« und überrannte in nur vier Tagen die UNPA-Zonen (UNPA = United Nations Protected Area) in der serbisch gehaltenen Krajina. Das war genau jene Aktion, auf die die US-amerikanische Öffentlichkeit von der PR-Firma »Jefferson Waterman International« positiv eingestimmt werden sollte. Während MPRI leugnet, mit der »Operation Sturm« irgendetwas zu tun zu haben, sagen Experten, dass der Angriff ganz eindeutig die »Handschrift« der USA trage. Nicht nur der Name »Operation Storm« wurde bewusst in Anlehnung an die »Operation Desert Storm«, also den Golf-Krieg von 1991, gewählt, vielmehr seien einzelne Aktionen so vorbildlich »wie aus einem Handbuch« der US-Armee durchgeführt worden.

MPRI war jedoch nicht nur in Kroatien tätig, und Kroatien war nicht die einzige Kriegspartei auf dem Balkan, die die Dienste einer PMF in Anspruch nahm: So bildete MPRI die UÇK im Kosovo und Mazedonien aus, war aber gleichzeitig offiziell für die Armee der Republik Mazedonien tätig. Als es im Frühjahr 2001 zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den mazedonischen Streitkräften und der UÇK kam und die Armee die UÇK in Araèinovo östlich von Skopje in die Enge gedrängt hatte, intervenierte die NATO und stellte 15 klimatisierte Busse zur Verfügung, die die albanischen Kämpfer samt Waffen evakuierten. Unter ihnen befanden sich 17 Instrukteure von MPRI.8 Zusammenfassend kann man sagen, dass es hier um eine Struktur geht, in der sich die Aktivitäten von privatwirtschaftlich agierenden PR-Agenturen und die einer privatwirtschaftlich agierenden Militärfirma im Dienste politisch-militärischer Ziele von Kriegsparteien komplementär verhalten. Privatisiert ist also nicht nur die Kriegspropaganda, privatisiert ist vor allem die Kriegsführung selbst.

Anmerkungen

1) Eine der wenigen friedenswissenschaftlichen Ausarbeitungen zur Kriegs- und Krisenkommunikation über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien im Zeitraum 1991-1995 stammt von Alexander S. Neu (2004): Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der Times und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein Vergleich, Baden-Baden: Nomos.

2) Dieser Beitrag gibt wichtige Aspekte des jüngst erschienen Buches mit dem gleichnamigen Titel wider (Baden-Baden: Nomos 2006). Das Buch stellt den Versuch dar, diese beiden eher vernachlässigten Aspekte – die Balkankriege als auch die Kriegs- und Krisenkommunikation – der Kommunikations- und kommunikationsorientierten Friedensforschung nicht nur zu thematisieren, sondern auch zusammenzuführen. Es ist im Rahmen des zweijährigen Forschungsprojekts »Die Informationskriege um den Balkan seit 1991« entstanden, das wir dank nachhaltiger Unterstützung des inzwischen tragischerweise verstorbenen Gründungsdirektors der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF), Dieter S. Lutz, durchführen konnten.

3) Lasswell, Harold D. (1927): Propaganda Technique in the World War, London: Paul Kegan.

4) Lasswell, Harold D. (1927): The Theory of Political Propaganda, in: The American Political Science Review. Jg. XXI.

5) zit. nach Kunczik, Michael (2002): Public Relations. Konzepte und Theorien. 4. Aufl., Köln: Böhlau, S.36.

6) Harff, James in: »De Zaak Miloševiæ« (Der Fall Miloševiæ). Regie: Jos de Putter, Niederlande 2003 [z. Tl. unveröffentlichtes Filmmaterial].

7) Silverstein, Ken (1997): Privatizing War. How affairs of state are outsourced to corporations beyond public control, in: The Nation, 28. Juli 1997.

8) Oschlies, Wolf (2001): Mazedonien als Opfer internationaler Ignoranz?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8.

Prof. Dr. Jörg Becker ist Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg und Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen. Mira Beham (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarneiterin am KomTech-Institut für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen

Bildermaschine für den Krieg

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Eine friedenswissenschaftliche Herausforderung

von Peter Bürger

Noch etwa drei Jahre währt die von den Vereinten Nationen ausgerufene »Dekade für eine Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens«. Im kultur- und medienpolitischen Diskurs spielt sie so gut wie keine Rolle. Die Militarisierung der Massenkultur schreitet dagegen unverdrossen voran. Bildschirmunterhaltung im Tarnanzug und Militärsimulationen am privaten Computer gehören längst zum Alltag. In diesem Bereich besteht ein enormes Forschungsdefizit. Der Autor skizziert grundlegende Dimensionen einer friedenswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der kriegsförderlichen Unterhaltungskultur.

Die Marktsortimente der kriegsförderlichen Unterhaltungsindustrie können – zumindest von Einzelnen – nicht mehr überblickt werden. Sie sind Teil eines übergreifenden Phänomens, das als »massenkultureller Krieg« (Holert & Terkessidis 2002) oder als »banaler Militarismus« (Thomas & Virchow 2006) beschrieben worden ist. Der Sache nach hat es »Militainment« in der Welt des Krieges schon immer gegeben. Im digitalen Kommunikationszeitalter haben sich die Bedingungen für Produktion und Verbreitung von kurzweiliger Kriegsunterhaltung jedoch auf eine Weise revolutioniert, die alles Bisherige weit in den Schatten stellt. Noch wirkungsvoller als die Informationsmedien können Produktionen der Unterhaltungsindustrie auf der Basis von Kollektivsymbolen ein kriegsfreundliches Bild der Welt konstruieren. »Medien«, so meint Siegfried Weischenberg, »dürfen keine Kriege führen. Sie dürfen höchstens darüber berichten« (zit. nach Albrecht & Becker 2002, S.131). Für fiktionale Filmgenres oder zwittrige Medienformate (»Infotainment«) scheint es einen vergleichbaren Standard nicht zu geben.

Kriegsförderliche Massenkultur als Gegenstand der Friedensforschung

Während nun der besondere Blick auf die Informationsmedien in Friedensbewegung und Friedensforschung als etabliert gelten kann, wächst das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung des Unterhaltungskomplexes vergleichsweise nur langsam. Über Ursachen des wenig ausgeprägten Sinns für das fiktionale Kriegsbild lässt sich spekulieren. Die Friedenswissenschaften sind zum Großteil bewusstseinsorientiert und kantianisch geprägt. Im rationalen Diskurs können sie zeigen, dass die Programme »Militär« und »Krieg« zu Beginn des dritten Jahrtausends restlos bankrott und mit einer Überlebensperspektive für die menschliche Zivilisation unvereinbar sind. Doch warum findet die Vernunft so wenig Gehör? Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, darf die Tiefenschichten von Gesellschaft und Kultur nicht ausblenden. Es gilt, gegen alle Neigung auch die kommerziellen Unterhaltungssortimente zur Kenntnis zu nehmen. Eine andere Ursache könnte in Kompetenzfragen liegen. Darf sich die politische Kritik überhaupt in Bereiche der Ästhetik und Kunstkritik einmischen? Entsprechende Skrupel zeigen zunächst, dass ästhetische und politische Fragestellungen im Rahmen einer gesellschaftskritischen Medienforschung heute wieder zusammenkommen müssen. Die Friedensforschung böte dafür ideale Vorraussetzungen, da unter ihrem Dach ohnehin interdisziplinär geforscht wird. Andererseits werden andere Wissenschaftszweige ihr die systematische Erforschung der kriegsförderlichen Massenkultur kaum abnehmen. Im Rahmen etwa der Filmwissenschaften gibt es nicht sehr viele Beiträge, die interessegeleitet vom Friedensstandpunkt ausgehen. Ansätze zur zeitnahen Erforschung des Unterhaltungskomplexes im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen kommen eher aus der Politikwissenschaft.

Nach meinen Erfahrungen bei Vorträgen seit 2002 weckt eine anschauliche Vermittlung von Medieninhalten am ehesten Sensibilität für die Bedeutung des Gegenstandes. In diesem Beitrag soll es jedoch konzentriert um die Frage gehen, welche grundlegenden Dimensionen eine friedenswissenschaftliche Methodik zur Kritik der kriegsförderlichen Unterhaltungskultur denn zu beachten hätte. Aus meiner Sicht sind dies die Macht der Bildermacher, die Macht der Bilder und die Macht der Bildertechnologien. Erträge für die Praxis sind nur zu erwarten, wenn keine dieser drei Grunddimensionen vernachlässigt wird.

Macht der Bilderfabriken und -macher

Innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaften scheinen sich Fragestellungen der Medienproduktkritik einerseits und solche der Medienökonomie bzw. der Strukturkritik andererseits auf getrennte Disziplinen verteilt zu haben (Jürgens 2006). Für die Anbieterseite ist es natürlich höchst komfortabel, wenn das real existierende Medienangebot nicht im Zusammenhang mit Medienmacht untersucht wird. Kulturelle und wirtschaftliche Macht kommen hier zusammen. Die politische Medienkritik kann deshalb Wirtschaftsdaten, die sich auf Herstellung, Werbung, Vermarktung oder Distribution von großen Unterhaltungsproduktionen beziehen, nicht unbeachtet lassen. Produktionsbudgets von 100 oder 150 Millionen US-Dollar sind für »Blockbuster« des Kriegskinos normal.

Medienmonopolisten üben über Denkfabriken und Stiftungen Einfluss auf Politik und Bildungsbetrieb aus. Sie sind zunehmend in einem Konzerngeflecht angesiedelt, in dem auch Rüstungsproduzenten und andere Kriegsprofiteure den Ton angeben (Leidinger 2003). Es gibt Beispiele dafür, dass Medienanbieter Rüstungsprodukte ihres Mutterkonzerns oder umstrittene Rüstungsprojekte in ihrem Angebot besonders berücksichtigen.

Neben der Rüstungsindustrie kommt auch das Militär als Akteur ins Spiel. Die traditionsreiche Kooperation von Hollywood und Pentagon vollzieht sich in festen Strukturen. Die vorliegenden Forschungen widerlegen eindeutig die Annahme, es handele sich dabei lediglich um harmlose Gefälligkeiten (Bürger 2006; 2007). Vielmehr erlangt das Militär – über Mechanismen der Selbstzensur hinausgehend – eine regelrechte editorische Kontrolle über Produktionen der privaten Filmwirtschaft. Der Köder besteht aus aufwendigen Unterstützungsleistungen, die außerhalb einer Kooperation jedes Filmbudget sprengen würden. In Europa findet die »zivil-militärische Zusammenarbeit« bei Spielfilmproduktionen Nachahmer, wie z.B. bei »Les Chevaliers du Ciel« (Frankreich 2005). Die Bundeswehr beschränkt sich, soweit sich dies anhand der wenigen Veröffentlichungen über das nahe Geschehen beurteilen lässt, vorerst noch auf die Mitwirkung bei TV-Produktionen. Zu den eigenen Medienangeboten des Pentagon gehören Kabelsenderprogramme, Kinotrailer und Computerspiele für Jugendliche. Im Bereich der Computerspielproduktion ist die Kooperation von Militär und Professionellen der privatwirtschaftlichen Kreativtechnologie schon seit längerem institutionalisiert.

Über die Intentionen der beteiligten Akteure muss man nicht immer spekulieren. Die Filmförderrichtlinien des Pentagon setzen z.B. als zwingend voraus, dass Kooperationsprojekte das Militär »ganz realistisch« in ein gutes Licht rücken und der Rekrutierung dienlich sind. Zum deutschen TV-Zweiteiler »Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei« (2005) konstatieren die Filmemacher in den DVD-Extras ein gestörtes transatlantisches Freundschaftsverhältnis. Ihr Werk soll aktuell auch als Brücke zwischen den USA und der Bundesrepublik gesehen werden.

Ich halte es für angemessen, die Unterhaltungsindustrie wie einen schwergewichtigen Rüstungssektor einzustufen. Die organisierte Einflussnahme von staatlichen, militärischen und ökonomischen Kriegsinteressenten auf den Unterhaltungskomplex muss unbedingt weiter erforscht werden. Allerdings darf dies nicht auf der Basis eines zu engen und einfach gestrickten Propagandamodells geschehen. Die durch Gramscis Konzept der Kulturellen Hegemonie inspirierten Erkenntnisfortschritte würden dann nämlich wieder unter den Tisch fallen. Neben den Propagandaphänomenen im engeren Sinne muss jene viel umfassendere Kollaboration der gesamten Kulturmaschine bzw. des »freien Marktes« im Blickfeld bleiben, die nicht auf sichtbaren Druck, Zensur, Manipulation, gezielte Propagandastrategien etc. zurückgeführt werden kann (Boggs & Pollard 2006).

Macht der Bilder

Ähnliche Unterscheidungen sind auch auf der Ebene der Produktkritik von größter Wichtigkeit. Ein beträchtlicher Teil der Unterhaltungsproduktionen transportiert Botschaften, die in ziemlich direkter Beziehung zu bestimmten Kriegsplanungen, Schauplätzen, Rekrutierungszielen, Militärdoktrinen, Strategien oder Technologieentwicklungen stehen. In der entsprechenden Inhaltsanalyse kommt der politischen Drehbuchkritik eine zentrale Bedeutung zu. Fundierte Kenntnisse des jeweiligen äußeren Bezugsrahmens sind unverzichtbar.

Bezogen auf das »Ganze« greift dieser Ansatz allerdings – genauso wie ein isolierter und punktueller Blick auf die »Medien im Kriegsfall« – zu kurz. In den Tiefenschichten der besagten Produktionen und in einem wesentlich breiter gefächerten massenkulturellen Kanon geht es nämlich viel grundlegender um die Konstruktion von Welt- und Menschenbildern, die der Kriegsideologie zuarbeiten. Nicht nur ein einzelner Schauplatz der Geschichte, sondern die menschliche Geschichte als solche wird kriegerisch re-inszeniert und gedeutet. Im Mittelpunkt steht z.B. nicht ein konkretes Rüstungsprojekt, sondern eine dem modernen Krieg förderliche Ästhetik. Vermittelt werden eher Deutungsmuster und Stimmungslagen statt einzelne Inhalte. Die Beliebigkeit der Unterhaltungssortimente scheint auf den ersten Blick sehr groß zu sein. Doch unbequeme Felder des Geschichtsgedächtnisses, gewaltfreie Denkweisen und Perspektiven oder Modelle einer nicht auf aggressives Wirtschaften abzielenden Weltgestaltung bleiben durchgehend ausgeblendet. Entscheidend ist also auch, was im vorherrschenden Horizont nicht zur Sprache oder ins Bild kommt. Vermutlich ist der übergreifende und tiefere »massenkulturelle Krieg«, der eher auf Unbewusstes abzielt, bedeutsamer als die kategoriale – bewusstseinsnahe – Propaganda. Zur politischen Drehbuchkritik muss deshalb so etwas wie eine politische Tiefenpsychologie hinzutreten.

Für das pentagongeförderte Kino, das sich keineswegs nur im zuerst skizzierten Bereich der bewusstseinsnahen Propaganda bewegt, lässt sich durchaus ein systematischer Lehrplan aufzeigen (Bürger 2006; 2007). Zahllos sind darüber hinaus die Filmproduktionen, in denen auch ohne Militärassistenz die zentralen Themen der neuen Weltkriegsordnung behandelt werden. Der speziell im deutschen Film- und Kulturgeschehen massiv betriebene Geschichtsrevisionismus lässt sich kaum noch übersehen.

In der politischen Filmkritik kommt zwangsläufig das gesamte militarisierte Kino mit all seinen Maskierungen ins Blickfeld. Die beiden großen Trilogien zum Auftakt des dritten Jahrtausends – »Lord of the Rings« und »Matrix« – verankern z.B. die Schlacht zwischen Gut und Böse in der Massenkultur. Das Science-Fiction-Kino verleiht der »Revolution in Military Affairs« – auch ästhetisch – ein positives Image. Für die friedenswissenschaftliche Herangehensweise ist also eine Fixierung auf das Kriegsfilmgenre nicht hilfreich. Deshalb schlage ich den bewusst weit gefassten Begriff des »kriegssubventionierenden Films« vor, für den es letztlich gar keine Genre-Einschränkung gibt. Grundlegende propagandistische Funktionen können für den gesamten Bereich der Massenkultur formuliert werden (Bürger 2006, S.512-527; 2007, S.51f.). Die Notwendigkeit einer interdisziplinären Forschung ergibt sich bereits aus den Erfordernissen der Inhaltsanalyse, die sich z.B. gleichermaßen mit rechtsrelevanten oder militärtechnologischen Sachverhalten und kriegstheologischen Topoi auseinandersetzen muss.

Macht von Bildertechnologie und Rezeptionsbedingungen

Die Technik gilt gemeinhin als neutral. Doch unsere Weltwahrnehmung verändert sich durch eine Digitalisierung der gesamten Kommunikation, welche z.B. das Bild des sauberen »virtuellen Krieges« sehr begünstigt (Bürger 2007, S.11-31). Die Friedensforschung muss zur Kenntnis nehmen, »dass es eine Interdependenz von Form und Inhalt, von Medium/Technologie und Botschaft gibt« (Albrecht & Becker 2002, S.18). Das ist schon deshalb unabdingbar, weil viele moderne Medientechnologien militärischen Ursprungs sind. Beim Militär und im Mediengeschäft kommen z.T. die gleichen Technologien zum Einsatz, was erhebliche Auswirkungen auf Inhalte, Bildausschnitte, Bildästhetik etc. hat. Auf dem Sektor der Unterhaltungsindustrie führen digitale Techniken dazu, dass Gestaltung, Herstellung, Verbreitung und Konsum der kommerziellen Bildangebote immer schneller und leichter vonstatten gehen. Bereits das kleine Display des Handys kann die Massenleinwand des Kinos ersetzen. Im Internet etablieren sich über Videoclip-Seiten (»You Tube«) ganz neue Angebots- und Konsummuster von »Militainment«. Der Gipfelpunkt ist vorerst im Bereich der Computerspiele erreicht. Was die Unterhaltungsbranche zur Bildschirmunterhaltung im häuslichen Bereich anbietet, kommt beim militärischen Produktionspartner für Kriegszwecke zum Einsatz.

Der Blick auf die Bilderkonsumenten in Medienpädagogik, Mediengewaltforschung oder Jugendschutzdiskurs ist zumeist individuumzentriert. Die Rezeption ist jedoch keineswegs eine Sache, die sich nur in einzelnen Köpfen abspielt, und auch keine reine Familienangelegenheit. Zunächst wird sie durch massive kommerzielle Produktbewerbung und ein breit gestreutes »neoliberales« Rezensionswesen auf banalstem Niveau in Gang gesetzt. Der Medienkonsum geht im Medienzeitalter mit kollektiven Rezeptionsbedingungen und einer regelrechten Mediensozialisation einher. Es ist zunächst durchaus wahrscheinlich, dass auch im Bereich der Unterhaltung einzelne Medienereignisse oder ein gezieltes Timing für einzelne Produktsortimente Wirkungen entfalten. Ein einzelner Filmklassiker wie »Apocalypse Now« hat die gesamte populäre Kriegskultur nachhaltig beeinflusst und spielt im Kontext »psychologischer Kriegsführung« noch heute eine Rolle. Der Focus auf einzelne Propagandaereignisse führt jedoch leicht in die Irre. So waren zum Beispiel fast alle Filme, die man 2002 in den Kulturredaktionen als Hollywoods Reaktion auf die Terroranschläge deutete, schon vor dem »Elften Neunten« produziert worden. Speziell der Kulturkampf im Kino hat sich über mindestens drei Jahrzehnte hinweg entwickelt. Hegemoniale Kulturprozesse und Rezeptionskreisläufe basieren auf einem längerfristigen Kulturkanon, nicht auf dem isolierten Einzelprodukt.

Zivilgesellschaft und bellizistisches Kulturdiktat

Für eine wachsame Friedensforschung stellt sich die Frage: »Gibt es ohne Abrüstung der Massenkultur für die Zivilisation überhaupt eine Aussicht auf Frieden?« Die Zivilgesellschaft muss sich gegen das Kulturdiktat der Bellizisten zur Wehr setzen. Damit kann sie nicht warten, bis sich die grundlegenden Bedingungen für die Kulturproduktion ändern. Sie braucht – abseits von kurzsichtigen Verbotsphantasien – praktikable Zwischenschritte (Bürger 2006, S.506-562; 2007) wie z.B. einen demokratischen Verbraucherschutz bei angebotenen Unterhaltungsproduktionen mit staatlicher, militärischer oder rüstungsindustrieller Assistenz. Die Friedensbewegung sollte ein medien- und kulturpolitisches Programm vorlegen, das den Unterhaltungskomplex an zentraler Stelle berücksichtigt. Die Friedensforschung könnte für Interessierte aus allen Wissenschaftsdisziplinen einen Leitfaden zur Analyse kriegsförderlicher Kulturprodukte (Filme, Spiele etc.) entwickeln.

Letztlich werden von einer Kritik des massenkulturellen Krieges natürlich nur bescheidene Beiträge zu erwarten sein. Da die Kritik sich auf das Gewalttätige und Kriegsförderliche richtet, kann sie bestenfalls Perspektiven für eine kriegskritische Kultur eröffnen. Die »Kultur der Gewaltfreiheit und des Friedens« ist damit aber noch gar nicht thematisiert.

Literatur

Albrecht, U. & Becker, J. (2002): Medien zwischen Krieg und Frieden. Baden-Baden: Nomos.

Boggs, C. & Pollard, T. (2006): The Hollywood War Machine. Boulder-London: Routledge.

Bürger, P. (2006): Kino der Angst. Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood (2. Auflage). Stuttgart: Schmetterling.

Bürger, P. (2007): Bildermaschine für den Krieg. Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft. Hannover: Heise.

Holert, T. & Terkessidis, M. (2002): Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Jürgens, E. (2006): Von der Medienkritik zur Wissenschaftskritik. In H. Niesyto, M. Rath & H. Sowa (Hrsg.): Medienkritik heute (S.109-114). München: kopaed.

Leidinger, C. (2003): Medien – Herrschaft – Globalisierung. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Thomas, T. & Virchow, F. (Hrsg.) (2006): Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen. Bielefeld: transcript.

Peter Bürger ist Theologe und Publizist. 2006 wurde er für seine Studie »Kino der Angst« mit dem Bertha-von-Suttner-Preis in der Kategorie »Film und Medien« ausgezeichnet. Unlängst ist sein neues Buch »Bildermaschine für den Krieg« erschienen. Weitere Information: www.friedensbilder.de/kriegsfilme