Der neue »kalte« Krieg

Der neue »kalte« Krieg

Die USA, Russland, China und der Cyberwar

von Ronald H. Tuschl

„Der Kalte Krieg muss im Sinne von Diskursen verstanden werden, die Technologie, Strategie und Kultur miteinander verknüpfen. Der Kalte Krieg wurde buchstäblich in einem im Wesentlichen semiotischen Raum ausgefochten.“ (Paul Edwards)

Der neue »kalte« Krieg: Zur Vorgeschichte des Cyberwar

»Cyberwar« ist seit Beginn der 1990er Jahre ein höchst diffuser Begriff, der die elektronische Kriegführung zu umreißen versucht. Das US-amerikanische Militär subsumiert unter dem Terminus »Network Centric Warfare« eine bestimmte Form der digitalen Kriegsführung, deren Kernbestandteile die Informationshoheit sowie die informationelle Vernetzung von Soldaten sind. Diese Doktrin umfasst auch traditionelle Konzepte wie die psychologische Kriegführung (»PsyOps«) sowie die gezielte Störung von militärischen Radar- und Funksignalen. Gemäß diesem Konzept soll in Zukunft auch das Air Force Cyber Command (Afcyber) Operationen durchführen. Unter der Abkürzung NetOpFÜ (diese steht für »vernetzte Operationsführung«) operiert auch die deutsche Bundeswehr mit entsprechenden Aufgaben. So unterhält diese im fränkischen Greding die Wehrtechnische Dienststelle für Informationstechnologie und Elektronik (WTD 81), die sich unter anderem mit »elektronischer Kampfführung« beschäftigt. Seit 1991 ist in Deutschland das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für zivile Aspekte zuständig. Im Jahre 1998 wurde die interministerielle Arbeitsgruppe zum Schutz kritischer Infrastrukturen (Kritis) ins Leben gerufen.

Der Terminus »Cyberwar« mutiert schon seit längerer Zeit zum rhetorischen Kernbestand höchster politischer Diskurse. So wies erst Mitte Juli Barack Obama in einer seiner Wahlkampfreden darauf hin, dass unter seiner Ägide die »cyber security« jene Priorität erhalten würde, „die ihr im 21. Jahrhundert zusteht“. Darin hieß es unter anderem, dass die Bush-Administration „die Sache acht Jahre schleifen lassen“ habe und fortan Amerikas Netzwerke gegen terroristische Cyber-Attacken geschützt werden müssten.

Nach Angaben des US-Abgeordneten Frank Wolf drangen im Juni 2008 chinesische Hacker in mehrere Rechner des Kongresses ein, um an Listen mit politischen Dissidenten zu gelangen – eine Anschuldigung, die das chinesische Außenministerium energisch zurückwies. Nach Angaben der CIA seien im Januar desselben Jahres Cyber-Terroristen bei Energieanbietern außerhalb der USA eingedrungen und hätten die Stromversorgung unterbrochen. In einer Mitteilung des US-Verteidigungsministeriums vom Mai 2008 an den Geheimdienstausschuss, ist davon die Rede, dass das Rechnernetz des Ministeriums täglich mehr als 300 Millionen Mal von außerhalb gescannt und angegriffen würde. Michael Chertoff, Minister für Heimatschutz (Department of Homeland Security/DHS), sprach kürzlich von rund 13.000 Angriffen auf seine Behörde.

Derartige Vorfälle beschränken sich keineswegs nur auf die USA, auch die Bundesrepublik Deutschland wurde zur Zielscheibe derartiger Angriffe aus dem Cyberspace. Der bundesdeutsche Verfassungsschutz setzte im Mai 2007 Staatssekretäre des Innen-, Außen-, Justiz- und Verteidigungsministeriums davon in Kenntnis, dass chinesische Spähprogramme die Rechner verschiedener Ministerien infiziert hätten und vermutete dabei die chinesische Volksbefreiungsarmee als Angreifer, was umgehend von Peking dementiert wurde.

Der Höhepunkt all dieser und ähnlicher Vorfälle markierte der von Sicherheitsexperten als »erster Cyberkrieg« eingestufte Angriff auf Estland im Frühjahr 2007, als Hacker nahezu ganz Estland lahm legten – ein großangelegter Angriff, hinter dem der russische Geheimdienst vermutet wurde und der seither die NATO beschäftigt.

Am »Incident Response Capabilities Technical Center (NITC)« im militärischen NATO-Hauptquartier in Mons/Belgien sind rund 120 Militärs und zivile Computerexperten beschäftigt, um die Kommunikationsinfrastruktur der Bündnisstaaten zu schützen. Dem übergeordnet ist die NATO-Agentur für Informationssysteme (NCSA) unter der Leitung des deutschen Generalleutnants Ulrich Wolf – eine Einrichtung, die von der Fachzeitschrift »Janes Defence Weekly« als eine der wichtigsten Agenturen des nordatlantischen Militärbündnisses bezeichnet wird. Der Cyber-Angriff in Estland führte dazu, dass kurz darauf in der estnischen Hauptstadt Tallinn eine Institution namens »Center of Excellence Cyber Defense« zum Schutze des Landes eingerichtet wurde, woran sich auch Deutschland beteiligt.

In den USA ist man indes schon um Lichtjahre voraus. So beabsichtigte der damalige US-amerikanische Präsident George W. Bush mit einer zweistelligen Summe im Milliardenbereich eine »Cyber-Initiative« für die nächsten sieben Jahre flankieren zu wollen. Dabei handle es sich, wie Michael Chertoff vom Department of Home Security betont, um ein neues »Manhattan Project«. Das gigantische Vorhaben wurde laut Chertoff damit begründet, dass mit den neuen digitalen Gefahren eine „verheerende Kriegführung“, die „Zerstörungen der schlimmsten Art“ nach sich ziehen könnte, möglich werde. Die Namensgebung des Projekts scheint nicht ohne tiefere Bedeutung zu sein: Das »Manhattan Project« war 1942 der Tarnname der damaligen US-Regierung zur Entwicklung und zum Bau der Atombombe.1

Digitaler Krieg und analoge Realität: Russland, die USA und der Cyberwar

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der lange schwelenden Wirtschaftskrise ist es um Russlands Armee nicht sehr gut bestellt. Nach wir vor trachtet der einstige Kontrahent der USA um militärische Vormachtstellung und will auch an seinen Nuklearbeständen festhalten, um die einstige militärische Macht zu sichern. Allerdings scheinen die Waffenarsenale zu verkommen und man sieht sich bezüglich der Aufrüstung von Informationswaffen gegenüber den USA im Rückstand.

Nachdem die militärischen Computersysteme Russlands mit der Behebung des Y2K-Problems2 größere Schwierigkeiten hatten und damals um die Jahrtausendwende die Befürchtung auftrat, dass etwaige Störungen bei computergesteuerten Nuklearwaffen verheerende Folgen haben könnten, äußerte der damalige russische Außenminister Igor Ivanov in einem Brief an den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan die Befürchtung, dass Informationswaffen ebenso bedrohlich seien wie Massenvernichtungswaffen und schlug deswegen ein internationales Verbot für die Entwicklung, die Produktion und den Einsatz von „besonders gefährlichen Formen von Informationswaffen“ vor.

Die USA warnten in den letzten Jahren immer wieder vor der Gefährdung durch einen globalen Informationskrieg und trugen auch dafür Sorge, um sich gegen einen solchen zu schützen. Das Schreckensszenario eines »Digitalen Pearl Harbour« diente jedenfalls als Legitimationsgrundlage für alle weiteren Aufrüstungsbemühungen im Informationskriegszeitalter. Digitale Bedrohungsszenarien gibt es daher zur genüge, welche Informationswaffen aber vom US-amerikanischen Militär selbst entwickelt werden, bleibt hingegen im Dunkeln.

So war lange Zeit die Rede davon, dass man in den USA »logische Bomben« und Computerviren entwickeln würde, um militärische und zivile Computernetze des Feindes ausschalten zu können. Da unentwegt davon gesprochen wird, wie gefährdet gerade die USA als eines der Länder seien, die am meisten von High-Tech abhängig sind, liegt somit die Vermutung nahe, dass nicht nur an Defensivmaßnahmen, sondern auch an Angriffswaffen gearbeitet wird. Aus diesem Grunde hielt sich hartnäckig die Vermutung, dass die USA an Computerwürmern arbeiten würden, die in feindliche Computersysteme eindringen und dort Irritationen auslösen können. Der damalige CIA-Chef George Tenet ließ die Öffentlichkeit jedenfalls wissen, dass man in dieser Hinsicht wachsam sei und bereits internationale Geldtransfers zwischen arabischen Geschäftsleuten und terroristischen Organisationen gestört habe.

Nach einem Bericht der »Sunday Times« seien die Ängste der Russen durch Hinweise gestiegen, dass Computersysteme, die von den USA in die frühere Sowjetunion exportiert worden sind, vom CIA mit »Bugs«3 versehen wurden, die vom US-amerikanischen Geheimdienst bei Bedarf jederzeit aktiviert werden könnten. So ließ Ivanov in seinem Brief an Annan wissen: „Wir dürfen nicht die Entstehung eines fundamental neuen Bereichs internationaler Konfrontation zulassen, die zu einer Eskalation der Aufrüstung mit den neuesten Entwicklungen der wissenschaftlichen und technischen Revolution führen kann.“ 4

Einem Bericht der »Washington Post«5 zufolge verzichtete das US-Militär im Kosovo-Krieg auf jegliche Infowar-Angriffe, hatte aber doch eine »Information Operation«-Einheit aufgestellt und Attacken auf die Computersysteme zumindest vorbereitet. Anscheinend gab es neben dem noch nicht ausgereiften Arsenal an US-amerikanischen »Infowaffen« und aufgrund der dezentralisierten Struktur der serbischen Computersysteme, welche sich für einen Infowar-Anschlag als ungeeignet erwiesen hatten, auch rechtliche Bedenken.

Bereits während des Kosovo-Krieges verfasste das amerikanische Verteidigungsministerium Richtlinien zum Thema Infowar, welche die rechtlichen und ethischen Probleme eines Infowar-Einsatzes thematisierten. Das Dokument, das den Titel »An Assessment of International Legal Issues in Information Operations« trug, warnte die führenden Militärs davor, dass ein missbräuchlicher Einsatz von Informationssystemen die USA in Gefahr bringen könnte, eines Kriegsverbrechens beschuldigt zu werden. Demnach müssten Computerangriffe denselben Prinzipien der Kriegsführung unterworfen werden wie ein Einsatz von Bomben, womit nur jene Ziele angegriffen werden dürften, die von strategischer Bedeutung sind und bei denen »kollaterale« Schäden möglichst vermieden werden.

Demzufolge sollten Cyberangriffe in einem Krieg nur von Militärangehörigen durchgeführt werden und keine primär zivilen Ziele wie Bank-, Börsen- oder Universitätssysteme erfassen. Die möglichen Folgen eines kybernetischen Angriffs sollten daher, ähnlich wie bei einem Bombenangriff, sorgfältig erwogen werden, da ein Ausfall von Computersystemen, etwa im Kommunikations- oder Energieversorgungsbereich, weitreichende Folgen auf den zivilen Bereich haben kann. Es sei nicht auszuschließen, dass solche Angriffe nicht beabsichtigte Konsequenzen nach sich ziehen könnten wie beispielsweise das Öffnen von Schleusen eines Staudamms, die Explosion einer Ölraffinerie oder der Austritt von Radioaktivität bei einem Kernkraftwerk. Ganz zu schweigen davon, dass sich Computerangriffe dieser Art auch auf neutrale oder freundliche Staaten auswirken könnten.

Höchst problematisch sei auch der Umstand, ob die USA bei einem Angriff auf ihre Computersysteme mit gleichen Waffen zurückschlagen dürften, denn es sei nicht mit Gewissheit festzustellen, von wo aus die Angriffe wirklich ausgegangen seien. So ist bislang immer noch unklar, wer die sogenannten »Moonlight Maze-Angriffe«6 auf die Pentagonsysteme wirklich zu verantworten hat, obwohl man sie angeblich auf Rechner der russischen Akademie der Wissenschaften zurückverfolgt habe.

Nach Ansicht der amerikanischen Regierung, so die »Washington Post«, seien das existierende Recht und die internationalen Abkommen für die Regelung des Infowar ausreichend, wohingegen die russische Regierung sich schon seit einiger Zeit darum bemüht, im Rahmen der UN ein spezifisches Abkommen zu formulieren, das auch besonders gefährliche »Informationswaffen« verbieten sollte, um eine neue Eskalation des Wettrüstens zu vermeiden. In Moskau ist man zudem der Ansicht, dass das existierende internationale Recht „praktisch keine Mittel hat, die Entwicklung und den Einsatz von solchen Waffen zu regulieren“. Hinzu kommt noch, dass Russland für diese Initiative kaum bei anderen Staaten Unterstützung fand. Die USA sahen in dem russischen Vorstoß einen Versuch, die Entwicklung von Cyber-Waffensystemen zu blockieren, hinsichtlich derer sich Russland unterlegen fühlt.7

Rüstungswettlauf im Cyber-Krieg: Russland, China und USA rüsten im Cyberspace

»Asymmetrische« Kriegsführung hat nicht nur in Russland, sondern auch in China Einzug in die jeweilige Militärdoktrin gefunden. Die weltweit meisten BotNets8 von Cyber-Kriminellen sind in diesen Ländern angesiedelt, die damit über beachtliche »Erstschlagskapazitäten« verfügen. Im jährlichen Bericht des US-Verteidigungsministeriums an den Kongress über die Militärmacht Chinas wurde das Land erstmals offiziell in Bezug auf Internet-Attacken an den Pranger gestellt. Zwar gilt es als ungewiss, ob die jüngsten Angriffe auf die Netzwerke des US-Verteidigungsministeriums von oder mit Billigung der chinesischen Armee passierten, dennoch heißt es in dem Bericht, dass die Vorgehensweise mit neuen, einschlägigen Publikationen der chinesischen Volksarmee übereinstimme, was den Aufbau von Kapazitäten zum »Cyber-Warfare« betreffe.

Demnach sei ein zentrales Element von Chinas Strategie zur »asymmetrischen« Kriegsführung der sogenannte »kontaktlose Krieg«. Darunter versteht man Angriffe auf zivile und militärische Netzwerke, insbesondere auf Kommunikations- und Logistikknoten. Einer Studie des Pentagon zufolge seien im Laufe des Jahres 2007 Netzwerke des Verteidigungsministeriums und anderer US-Behörden, aber auch von Zulieferfirmen systematisch angegriffen worden. Die Angriffe seien demnach »offensichtlich« von chinesischen Rechnern ausgeführt worden.

Die Aussage der Pentagon-Studie reiht sich nahtlos in eine Serie offizieller Stellungnahmen zu Internet-Angriffen aus China ein, die von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrem Staatsbesuch in China vor gut einem Jahr eröffnet wurde. Ferner zitiert die US-Studie auch Hans Elmar Remberg, den Vizepräsidenten des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz, der China öffentlich anschuldigte, die „fast täglichen“ Attacken auf deutsche Ministerien und andere Behörden verursacht zu haben. Im September 2007 warnte der Chef des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 Topmanager aus dem Finanzbereich vor einer neuen Internet-Angriffswelle aus China. Fast gleichzeitig bestätigte der französische Verteidigungsminister, dass französische Informationssysteme der Regierung von China aus angegriffen worden waren.

Bisher wies die chinesische Regierung jegliche Beteiligung an den Cyber-Angriffen mit scharfen Worten von sich. Anlässlich des Besuchs von Kanzlerin Angela Merkel versicherte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao, seine Regierung werde in Zukunft dafür Sorge tragen, dass die Angriffe aus der Volksrepublik aufhören würden. Aber ganz offensichtlich verfolgen Chinas Militärs ebenso wie ihre russischen Kollegen, die beide den US-Streitkräften gesamttechnisch unterlegen sind, eine »asymmetrische« Militärdoktrin, indem der »halbstaatliche Sektor« beider Länder in die Strategie miteingebunden wird. Diese »asymmetrische« Einbindung in die jeweilige Militärdoktrin mag eine Erklärung dafür sein, weshalb Russlands Strafverfolger und Geheimdienste, die längst auf dem aktuelle Stand der Technik sind, bislang gegenüber kriminellen BotNets untätig geblieben sind. Es handelt sich bei den BotNets um eine funktionierende Infrastruktur, die von Dritten, nämlich von Kriminellen, aufgebaut, laufend »gepflegt« als auch erweitert wird und jederzeit dafür genützt werden kann, bestimmte Teile des Internets lahm zu legen.

Am selben Tag, als die Pentagon-Studie veröffentlicht wurde, forderte der stellvertretende Verteidigungsminister Gordon England mehr Geld und Befugnisse für den »Cyber-Warfare«. Kurz darauf ließ der damalige US-Präsident George W. Bush eine Taskforce einrichen, die im Erstfall auch auf „offensive Maßnahmen“ vorbereiten ist. Wie ein moderner Krieg auf der Informationsebene aussehen kann, lässt sich am Fallbeispiel des Irak-Kriegs ersehen, seit dem immerhin fünf Jahre technischer Entwicklungsarbeit vergangen sind. So begann der Angriff der USA auf das irakische Regime im Jahre 2003 mit zwei massiven Wellen von Spam auf Mailadressen der irakischen Armee, die den Betreff „Widerstand ist zwecklos“ trugen. Da der Irak über keine sonderlich ausgeprägte Internetstruktur verfügt, wurden die weitgehend informationsfreien Websites der irakischen Regierung attackiert und mit US-amerikanischen Sternenbannern versehen. Parallel zu diesem Cyberangriff wurden die Satelliten-Uplinks von Iraqi TV bombardiert und die Führungsschicht der irakischen Armee telefonisch aufgefordert, sich zu ergeben. Anschließend wurden die irakischen Telefonwählämter mit Lenkwaffen vernichtet.9

Web 2.0 vs. Real World 1.0 – Cyberwar zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Winn Schwartau, ein namhafter US-Sicherheitsexperte, generierte im Jahre 1991 die historisch nachhallende Formulierung des »Electronic Pearl Harbor«10, eine Bezeichnung, die von Geheimdienstchefs und Verteidigungsministern nun seit siebzehn Jahren wiederholt wird. Ein Jahr später rief das Pentagon mit der Direktive TS-3600.1 den Begriff »Information Warfare« ins Leben, womit der »Informationskrieg« gemeint ist. Im Jahre 1993 veröffentlichte der einflussreiche Publizist John Arquilla einen Artikel unter dem aufsehenerregenden Titel »Cyberwar is Coming!«11, der selbst von seriösen Zeitungen wie der »Times« oder der »Washington Post« laufend zitiert wurde. Seither nahmen militärische Studien über die Verletzbarkeit der Informationsgesellschaft und journalistische Berichte über dieses Phänomen rasant zu. Ein Jahr später wurde in Washington die »School for Information Warfare and Strategy« gegründet. Seit 1996 begann die Clinton-Regierung mit dem systematischen Ausbau des Schutzes der US-Infrastruktur vor Hackerangriffen. Seit 1997 ist »Cyberwar« ein Thema der National Security Agency (NSA) sowie in Querschnittsabteilungen aus Geheimdiensten und Militärs. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahre 2001 ist nicht nur in den USA, sondern auch in EU-Kreisen vom »digitalen 11. September«12 die Rede.13 Selbst die Hollywood-Unterhaltungsindustrie brachte in Filmen wie »Die Hard 4.0«14 das digitale Bedrohungsszenario auf die Leinwand und verwandelt damit virtuelle Bedrohungsszenarien in einen unterhaltsamen Thrill.

Das Internet wurde lange Zeit für eine Art von »Paralleluniversum« gehalten, das auf die reale Welt keinen oder kaum einen nennenswerten Einfluss hätte. Aus diesem Grunde galt die Auswirkung des zum neuen »Kampfraum« erklärten Mediums auf die reale Welt als sehr umstritten. Dies hat sich allerdings durch das vermehrte Auftreten von den oben erwähnten BotNets maßgeblich geändert, denn auf diese Weise wurde es möglich, dass eben dieser Kampfraum nicht mehr auf den Cyberspace beschränkt bleibt, sondern die Zivilgesellschaft unwillentlich in selbigen hineingezogen worden ist. Auf diese Weise werden Opfer von Netzattacken nun ungewollt zu Tätern – eine Entwicklung, die als äußerst beunruhigend eingestuft werden kann.

Kurzum: Der enorm forcierte Diskurs um digitale Bedrohungsszenarien aller Art fungiert als eine Art »Self-fulfilling Prophecy«, die rückkoppelnd von der reinen Fiktion auf die Realität wirkt. Oder anders ausgedrückt: Antizipative Feinbildprojektionen und Bedrohungsszenarien aus der digitalen Raum werden zu gegebener Zeit von der Realität eingeholt, wodurch die Fiktion zur Wirklichkeit wird – ein Phänomen, das dem »kalten Krieg« zwischen dem ohnehin angespannten Verhältnis zwischen Ost und West eine neue Dimension verleiht.

Anmerkungen

Bei dem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Version des Beitrags »Der neue ‚kalte‘ Krieg – Der Cyberwar zwischen Russland und seinen Nachbarstaaten«, in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.): Auf dem Weg zum neuen Kalten Krieg? Vom neuen Antagonismus zwischen West und Ost, Münster 2009, S.189-204.

1) Vgl. hierzu: Schlieter, Kai: Das Phantom des Cyberwar, in: http://www.taz.de/1/leben/internet/artikel/1/das-phantom-des-cyberwar/

2) Das Y2K-Problem, auch als »Millennium-Bug« oder »Y2K-Bug« (Year 2 Kilo = Jahr 2000) bezeichnet, ist ein Computerproblem, welches durch die interne Behandlung von Jahreszahlen als zweistellige Angabe entstanden ist.

3) Unter »Bugs« versteht man Programmfehler in einer Software.

4) Rötzer, Florian: Abrüstung der Informationswaffen, in: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/1/1685/1.html, Version vom 30.11.1998.

5) Vgl. hierzu: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A35345-1999Nov7.html.

6) »Moonlight Maze« ist der Codename für die Serie von weltweiten Computerangriffen auf das US-Verteidigungsministerium, die zwischen Januar und März 1999 gezielt in großer Anzahl stattfanden.

7) Rötzer, Florian: Pentagon zur rechtlichen Beurteilung des Infowar, in: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/6/6514/1.html, Version vom 8.11.1999.

8) Unter einem BotNet (auch »Botnetz« oder »zombie-net« genannt) versteht man ein Netzwerk aus mindestens einigen Tausend bis hin zu mehreren Millionen infizierter Computer, die von einem »Master-Server« ferngesteuert auf Aktionsbefehle warten.

9) Vgl. hierzu: Rüstungswettlauf im Cyberkrieg, in: http://futurezone.orf.at/stories/261604/

10) Vgl. Schwartau, Winn (1996): Electronic Civil Defense, in: ders. (Hg.): Information Warfare. Cyberterrorism: Protecting your Personal Security in the Electronic Age, New York, S.43.

11) Vgl. Arquilla, John/Ronfeldt, David (1993): Cyberwar is Coming! in: Comparative Strategy, Heft 2: 141-165.

12) Der Terminus wurde vom Direktor der Europäischen Agentur für Netzwerk- und Informationssicherheit (ENISA), Andrea Pirotti, öffentlich ins Spiel gebracht.

13) Vgl. Fußnote 1

14) In dem gleichnamigen Spielfilm mit Bruce Willis in der Hauptrolle rächt sich ein ehemaliger Chefprogrammierer des Pentagon dadurch, indem er durch einen flächendeckenden Cyber-Angriff (»Fire-Sale«) beinahe die gesamte Infrastruktur der USA lahmlegt und dadurch Chaos und Schrecken verursacht.

Mag. Dr. phil. Ronald H. Tuschl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter für Friedens- und Konfliktforschung und internationale Medienpolitik am European University Center for Peace Studies (EPU) in Stadtschlaining/Österreich.

17 Jahre W&F!!

17 Jahre W&F!!

Laudatio auf Prof. Dr. Albert Fuchs

von Redaktion

Prof. Dr. Albert Fuchs, Meckenheim, Kognitions- und Sozialpsychologe, Hochschullehrer i. R., Mitglied des Forums Friedenspsychologie – BewusstSein für den Frieden und Mitarbeiter des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung. W&F-Redaktionsmitglied seit 1992.
E-Mail: fuchs.albert@t-online.de

Mit diesen Angaben nebst Photo steht Albert Fuchs zur Zeit noch auf der Redaktionsseite von Wissenschaft und Frieden (www.wissenschaft-und-frieden.de). Nicht mehr lange, leider, denn nach 17-jähriger Zugehörigkeit zum ehrenamtlichen Redaktionsteam der Zeitschrift hat er beschlossen, mit der Drucklegung dieses Heftes sein »Amt« in jüngere Hände zu legen.

Viel gestrampelt hat er, als passionierter Fahrradfahrer wird er dies Bild verstehen, um seinen verschiedenen Professionen nach seinen Maßstäben gerecht zu werden.

Ein Psychologe in einer politikwissenschaftlich dominierten und entsprechend nach außen vernetzten Redaktion, in einer Zeitschrift, die den interdisziplinären Anspruch in ihren Strukturen und in ihrem Erscheinungsbild hochhält. Er hat diesen Auftrag übernommen: Autoren und Autorinnen zu finden, die Problemstellungen der Friedens- und Konfliktforschung aus seinem, nämlich psychologischen Blickwinkel heraus erforschen. Manches Mal ist er an dieser Sisyphus-Redakteursaufgabe gescheitert. Oft aber hat gerade diese Arbeit die inhaltliche Breite der Zeitschrift befördert.

Ein Professor, der diesem Titel wenig Bedeutung zumisst, aber der, wenn es um wissenschaftliche Formate im Detail geht, sehr hartnäckig auf Standardwahrung und anderem beharren kann. Artikel zu redigieren, mit Autoren und Autorinnen um Begriffe und Schlussfolgerungen zu streiten, ernsthaft in der Redaktion das aktuelle Heft umfassend und im Detail zu reflektieren, trägt wesentlich zu der Qualität der Zeitschrift bei.

Ein Pazifist, für den die antimilitaristische Orientierung der Redaktion sicherlich ein guter Grund ist, dem es jedoch in den Communities (Wissenschaft, Parteien, Kirchen) an konsequenter Eindeutigkeit mangelt. Für seine »pazifistische Wissenschaft« musste er sich einen Reflexionsraum jenseits der etablierten Strukturen suchen und hat ihn im IFGK wohl gefunden.

Ein Theologe (auch ohne den entsprechenden Studienabschluss), der der verfassten Kirche äußerst distanziert gegenüber steht, die theologische Diskussion nicht nur in Pax Christi, sondern auch in W & F herausforderte. Daraus entstand zum Beispiel die für das Format der Zeitschrift ungewöhnliche Auseinandersetzung über die Lehre des Gerechten Krieges (2001/2002) mit dem damals noch in Münster, heute in Siegen lehrenden Theologen Prof. Dr. H.-G. Stobbe.

Von all diesem hat die Zeitschrift profitiert: Nach wie vor zum wissenschaftlichen Disput regt sein erster in W&F erschienener Artikel »Wider die Entwertung des Gewaltbegriffs« (Heft 4/1992) an; sein Beitrag »Der Glaube an das Militär versetzt Berge…« (Heft 3/2005) eröffnet neben dem inhaltlichen auch einen kleinen Einblick in die methodischen Möglichkeiten der sozialpsychologischen Friedensforschung und die »Anmerkungen zur Friedensdenkschrift der EKD« (Heft 2/2008; in Langfassung beim Bund f. Soziale Verteidigung erschienen) könnten auch über den kirchlichen Horizont hinaus die von ihm geforderte breite öffentliche Debatte um eine konstruktive Friedens- und Sicherheitspolitik anstoßen.

Wenn Leser und Leserinnen diese Hinweise nutzen, um in eine qualifizierte Fachdebatte mit ihm einzutreten, wird er sich sicher freuen. Vielleicht ist diese so erhellend, dass sie auch in W & F dokumentiert werden kann. Ihm wird es recht sein, denn die Auseinandersetzung zwischen konträren Positionen ist ihm wichtig und in W & F bisher trotz aller Versuche zu kurz gekommen. Die Redaktion wird ihn im »täglichen Geschäft« und bei den Generaldebatten vermissen. Ein Trost wäre, wenn er zwar nicht mehr als Redakteur, aber als Autor, als Kritiker und vielleicht sogar als Leserbriefschreiber der Zeitschrift verbunden bliebe. Seinen Aufruf »Ja zur Friedensarbeit – auch wenn es eine Sisyphosarbeit ist« (Editorial 1/2000) – lesen wir auch nach fast zehn Jahren noch als Versprechen, weiterhin mit uns in diesem Sinne aktiv zu bleiben.

Die Redaktion

Die visuelle Dominanz des Kriegsaktes

Die visuelle Dominanz des Kriegsaktes

Von Bianca Raabe

Krieg ist ein visuelles Spektakel, aus dem Bilder gemacht und in den unterschiedlichsten Medien vermittelt werden. Längst ist von Militainment die Rede, faszinieren militaristisch-kriegerisch determinierte Computerspiele und Filme ein breites Publikum. Der Kriegsakt und das Erleben kriegerischer Grenzsituationen stehen im Vordergrund visueller Inszenierungen, während die Auswirkungen auf die Menschen und deren Leid weitgehend ausgeblendet bleiben.

Seit der Etablierung der Kriegsfotografie im 19. Jahrhundert werden kriegerische Gewaltakte durch technologische Verfahren vermehrt visuell vermittelt. Sie prägen dabei auch wesentlich die Vorstellung von Krieg und die Erwartungshaltung des Publikums an Bilder gewaltsamer Konfliktaustragung. Zentral für die visuelle Vermittlung sind die Betrachtungsebenen Macht und Herrschaft, weil diese den Blickwinkel bestimmen, sowie funktional Legitimierungs- und Emotionalisierungsstrategien zur Interessensdurchsetzung einsetzen. Krieg hat sich zu einer Bildermaschine entwickelt, die kriegsfördernd der Unterhaltung des Publikums in Filmen und Computerspielen dient. Nachstehend soll kurz aufgezeigt werden, welche Konzeptionen sich seit dem 19. Jahrhundert behauptet haben und welche Tendenzen sich aus gegenwärtigen Visualisierungsformen ersehen lassen

Konstante Konzeptionen in der visuellen Kriegsvermittlung

Jegliche Visualisierungsform stützt sich auf Konzeptionen, die sich bereits zu Beginn der modernen Kriegsführung herausbildeten: Ordnungssysteme der Kriegsaustragung wie Schlachtenanordnungen, militärische Hierarchien und eine Übersicht garantierende Distanz zum Geschehen sowie Soldatenbilder. Diese beruhen auf visuellen Authentifizierungs- und Identifikationsstrategien. Um zudem eine ästhetische Wirkung zu erzielen, ist es notwendig die in der jeweiligen Zeit in der visuellen Präsentation gültigen Konventionen hinsichtlich der Vorstellung und des Verständnisses von Krieg zu beachten (Köppen 2005, 21). Die visuelle Vermittlung von Gewaltkonflikten beinhaltet darüber hinaus den Aspekt der Teilhabe, indem räumlich entfernte Ereignisse über Medien in den Lebensalltag eines Publikums gelangen.

Als eine weitere Konstante erweist sich die Faszination an Militärtechnologie, die sich in der Kriegsberichterstattung durch eine zumeist unkritische Übernahme militärischen Bildmaterials aus Perspektive der Waffe selbst oder eingebetteter Journalisten zeigt. Auch mit dem Fortschritt der Übertragungstechnik leben diese Momente fort, aber die Live-Übertragungen verschärfen die Frage nach der Kategorie der Unsichtbarkeit (Virilio 2002, 46ff), denn die virtualisierte Gewaltanwendung folgt strategischen Überlegungen, die die direkten Folgen kriegerischer Gewalt auf die in Kriegsregionen lebenden Menschen ausblendet. Das konkrete Leiden bleibt so für den Betrachter unsichtbar.

Gegenwärtige Kriegsformen und Bildausprägungen

Ein Grund für diese Entwicklung ist auch in den gegenwärtigen Formen kriegerischer Konfliktaustragung zu sehen: Asymmetrische Strategien liefern kaum mehr »gute« Bilder, lassen Kriegsfotografen nur selten nah genug herankommen. Noch wichtiger ist das Verschwimmen von Unterscheidungsmerkmalen zwischen Kriegs- und Friedenszustand und Kombattanten und Nichtkombattanten, auf das Münkler in seiner Analyse der neuen Kriege hinweist (Münkler 2003). Dies macht es visuell schwierig, Identität und Identifikation (Sontag 2003, 16-18) in einer Weise bildlich umzusetzen, die letztlich zur Interessendurchsetzung beitragen sollen. Die Transformationsprozesse in der Konfliktaustragung erschweren für den Betrachter die Zuordnung zusehends, weil die Rolle der einzelnen Konfliktparteien weniger eindeutig ist. Das vermittelte Leiden von Menschen liefert nun einen Ausgangspunkt für Identifikation, wobei jedoch der konkrete Anlass dieses Leidens in den Bildstrategien verschwimmt. Auf dieser Basis gedeiht das Militainment, dem formal die verschwimmenden Grenzen zwischen Film-Genres entsprechen. So wurde der Kriegsfilm um Action Elemente erweitert.

Ende der 1990er Jahre etablierte Steven Spielberg mit »Saving Private Ryan« eine Reihe neuer Kriegsfilme, die durch die Anwendung der formalen Mittel (u.a. verwackelt erscheinende Bilder, Bildzitate von Robert Capa, ständig wechselnde Kamerapositionen) die Zuschauer fast unmittelbar an den Ereignissen auf der Leinwand bzw. der Landung der Alliierten teilhaben ließen. Damit etablierte Spielberg eine neue Art der filmischen Inszenierung und zugleich einen völlig neuen Anspruch an die visuelle Inszenierung einer konkreten Situation in einem vergangenen Krieg. Die Bildkonstruktion sollte nicht den Eindruck von Authentizität vermitteln, sondern sie dient vielmehr als Basis für einen Realismus-Anspruch, der über Authentizität hinausgeht. Die Realismus-Konzeption beinhaltet einen Absolutheitsanspruch, während Authentizität Freiräume für Interpretationen lässt und nur darauf hinweist, dass die filmische Rekonstruktion versucht, möglichst nah an die tatsächlichen Ereignisse anzuschließen. Dadurch wird die Inszenierung Spielbergs als absolut gesetzt: So war es damals wirklich, jede andere Sichtweise auf die Geschehnisse wird ausgeschlossen (Schneider, 2005, 351-390). Dies ist der Ausgangspunkt für nachfolgende Filme wie u.a. »Black Hawk Down« und »We Were Soldiers«. Die Realismus-Konstruktion garantiert den Rezipienten Partizipation am Spektakel Krieg und funktioniert zudem als Legitimationsstrategie, die sich auf ein übergeordnetes und moralisch überlegenes Interesse fokussiert und sich somit einer sachlichen Argumentation entzieht.

Der Blick auf den Gewaltakt und die Konstituierung von Heldenfiguren

Der kriegerische Gewaltakt und dessen Wirkung auf die Soldaten stehen im Mittelpunkt der Inszenierungen. Der Blick auf das Geschehen rückt in die Nahsicht und schildert direktes Erleben, das so das Publikum einschließt. Der Körper des Soldaten dient als Kristallisationspunkt, auf den das Ereignis zuläuft und an dem es sich entscheidet. Die Legitimation des Kriegsaktes, sein Verlauf und die Empfindung von Sieg oder Niederlage werden durch den Erlebnishorizont der Soldaten greifbar. Doch dass der Soldat – und damit auf einer abstrakteren Ebene der menschliche Körper – als Erklärungsbild des Krieges dient, ist nicht neu, sondern eine weitere Konstante. So nahmen Soldaten, die als Helden inszeniert und rezipiert werden konnten, seit jeher eine wichtige Funktion ein. Dies ging etwa im 19. Jh. einher mit der in dieser Zeit vorherrschenden Vorstellung der Abläufe kriegerischen Handelns als einem Ordnungssystem von Interessendurchsetzung durch das nach Regeln stattfindende Aufeinandertreffen nationalstaatlich organisierter Streitkräfte. Helden trugen ordentliche, gepflegte Uniformen, überschauten die Kampfsituation und demonstrierten ihre Überlegenheit in einer erfolgreichen Führungsrolle, die Siege an ein heimisches Publikum vermelden konnte. Die Veränderungen in der Kriegsaustragung haben sich auch auf Heldenkonstruktionen ausgewirkt. Nicht mehr nur ranghohe Offiziere, sondern gerade einfache Soldaten können sich in gegenwärtigen Visualisierungsformen zu Helden entwickeln. Gleichzeitig ist die Heldenfigur nicht mehr an ein vorhersehbares Schema gebunden: Sie darf leiden und brechen, aber sie scheitert nicht für den Zuschauer, weil sie in einer Sphäre agiert, die an dessen Erfahrungsraum anknüpft und sie dadurch authentisch erscheinen lässt. An dieser Stelle funktionieren die Individualisierungsstrategien im Sinne einer positiven Wahrnehmung von Heldenfiguren, die nicht mehr nur eindeutig positiv beschrieben werden. Dies wird besonders deutlich in Filmen wie z. B. »Blood Diamond«, »James Bond – Casino Royale« und »Rendition«.

Bildinnovationen filmischer Inszenierungen kriegerischer Akte

In der Hauptsache haben sich in filmischen Inszenierungen von Gewaltkonflikten zwei wesentliche Stränge herausgebildet. Ein Strang konzentriert sich auf die zu erzählende Geschichte des Films und weist verschiedene Erzählperspektiven auf, die sich zum Brennpunkt der Filmhandlung verdichten und schließlich auf eine Extremsituation zulaufen, ohne einen Lösungsansatz für das grundlegend behandelte, übergeordnete Thema zu liefern. So wird versucht der Diversifikation gegenwärtiger Konfliktsituationen insofern nachzukommen, wie sie mehrere Perspektiven berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass solche Inszenierungen Gefahr laufen, durch die vielen verschiedenen Erzählstränge unübersichtlich zu werden und dem Publikum zur Orientierung nur positiv konnotierte Figuren bleiben, die dazu beitragen, die Filmhandlung nachvollziehbar zu verknüpfen. Durch die Schwerpunktsetzung auf die erzählte Geschichte reduziert sich der visuelle Reiz: Die Filmbilder ähneln sich. Die filmischen Gestaltungsmittel werden zugunsten komplizierter Erzählstränge vernachlässigt und verlieren ihre Unterscheidbarkeit. Spezifische Bildformen, die einzelne Filme herausheben, fallen weg.

Betrachtet man den anderen Strang filmischer Inszenierungen, fällt die Konzentration auf das Visuelle auf. Hier treten die behandelten Konflikte und die Narration hinter die visuelle Gestaltung zurück. Kriegerische Gewaltakte bilden das Zentrum der Inszenierung, die Handlung konzentriert sich auf die Ausübung von Gewalt und bringt die Erzählstränge in Kampfakten zusammen. Bemerkenswert sind dabei vor allem zwei Aspekte: Die Beibehaltung traditioneller Motive der Vermittlung und des Verständnisses von Krieg und das Ausweichen auf historische Konflikte oder sagenhaftes Kriegsspektakel (Beispiele sind u.a. »300«, »The Last Legion«). Sie rufen Faszination auf der Grundlage eines visuellen Gesamterlebnisses für die Rezipienten hervor, aber verzichten auf eine politisch motivierte Aussage.

Das Medium Fernsehen wurde mit dem Vietnam-Krieg das herausragende Medium in der Vermittlung von Kriegsereignissen und hat „die Entertainisierung des postmodernen Krieges eingeleitet“ (Paul 2005, 93), indem es durch eine zeitnahe Übertragung bewegter Bilder in den Lebensbereich der Zuschauer diese an den fernen Geschehnissen partizipieren ließ. Visuell betrachtet hat sich das Fernsehen bei späteren Konflikten auf die jeweils neuen technologischen Möglichkeiten konzentriert, Computerspielbilder in Fadenkreuzoptik oder die Truppen begleitende Journalisten vor Kriegsgerät gezeigt. Nichts Neues, nur dass Direktübertragungen mit Interviews und farbige Umrahmungen mit gesplittetem Bildschirm technisch möglich geworden waren. Der Informationsgehalt wird hier zugunsten des Mediums und seiner formalen Gestaltungsmittel verringert, ohne jedoch visuell innovativ zu sein. Allein diese Konstellation weist daraufhin, dass das Fernsehen an Bedeutung in der visuellen Vermittlung verliert und nur schwer das Interesse des Publikums halten können wird. Der Bedeutungsverlust eines geläufigen Mediums zeigte sich jeweils in Übergangsphasen von einem Medium zu einem anderen mit neuen technischen Möglichkeiten, wie sich das momentan zwischen Fernsehen und Internet vollzieht.

Fasst man diese Punkte zusammen, ergibt sich, dass bestimmte Konzeptionen und Kategorien seit den Anfängen der modernen Kriegsführung im 19. Jahrhundert weiterhin dominant in der visuellen Vermittlung von Kriegsakten sind. Dies gilt besonders für Konzeptionen, die Partizipation versprechen und Extremsituationen fast körperlich erfahrbar machen. Anhand des menschlichen Körpers können Veränderungen des Soldatischen und Heldenfiguren konstituiert werden, die wiederum visuelle Neuerungen und ein transformiertes Verständnis kriegerischer Gewaltakte vermitteln. Bedingt werden diese Bildstrategien durch die technologischen Voraussetzungen. Krieg geriert sich hier als Teil der Massenkultur (Holert/ Terkessidis 2002) und setzt auf spektakuläre visuelle Effekte.

Friedenswissenschaftlicher Ansatz: Der Blick zur Konfliktperipherie

Gewaltakte haben sich als Teil medialer Unterhaltung etabliert, ohne kritisch reflektiert zu werden. Die Auswirkungen kriegerischer Gewalt und das Leiden der betroffenen Menschen fallen zumeist in die Kategorie der Unsichtbarkeit. Dennoch findet die Konfliktperipherie Beachtung: Das Schicksal von Flüchtlingen und die Situation in Flüchtlingslagern werden in der Berichterstattung in filmischen Inszenierungen (z.B. »Blood Diamond«) durchaus berücksichtigt. Ähnlich wie die Bilder von verschiedenen Gewaltkonflikten zu einem kaum mehr differenzierenden Gesamteindruck ineinander laufen, so lassen sich die Bilder der Konfliktperipherie, vor allem wenn sie in Form bewegter Bilder vermittelt werden, nur bedingt unterscheiden. Damit einhergehend verliert auch das Leiden der Menschen an Eindringlichkeit, da die Bilder Assoziationen mit bereits bekannten Bildern vergleichbaren Inhalts hervorrufen. An diesem Punkt kommt dem alten Medium Fotografie eine neue Rolle zu. Durch die gewonnene formale Autonomie kann sich die Fotografie von ihrer Reduzierung auf ein bloßes Eingabemedium lösen und gerade durch das bewusste Einsetzen ihrer formalen Gestaltungsmöglichkeiten Bilder erzeugen, die unterscheidbar sind und aus der Flut der Bilder hervortreten. Die Konfliktperipherie ist bislang kein Teil von Strategien der politisch-militärischen Handlungsebene, obgleich sie bereits in der Konsequenz der gegenwärtigen Entwicklung der gewaltsamen Konfliktaustragung selbst zum Schauplatz kriegerischer Akte wurde. Die Peripherie bleibt weitgehend sich selbst überlassen; sie kann jedoch im Rahmen von visuellen Individualisierungsstrategien Aspekte der direkten Auswirkungen von kriegerischer Gewalt auf die Menschen vermitteln. Die Fotografie ist für eine solche Form der visuellen Vermittlung von der Konfliktperipherie insofern geeignet, als dass sie die Würde der Menschen fassbar machen kann und nicht auf Sensationsgier beschränkt bleiben muss. So kann das Bild auch weiterhin von den Aussagen abweichen, die die politisch-militärische Handlungsebene bezüglich der Auswirkungen der Gewaltanwendung auf die Zivilbevölkerung trifft, wie Peter Turnleys Fotoreportage »The Unseen Gulf War« zeigt, die den Golfkrieg 2003 antizipierend kurz vor Kriegsbeginn online veröffentlicht wurden. Obwohl als chirurgisch präzise vermittelt, sind es Turnleys Fotografien, die ein gegenteiliges Bild zeichnen und Leiden, Zerstörungen und Tod belegen.

Inszenierungen kriegerischer Akte in bewegten Bildern sind es vor allem, die den Kriegsakt in den Mittelpunkt stellen und ihn durch Militärtechnik, die Opferbereitschaft und das anscheinende Heldentum von Einzelfiguren positiv konnotieren und in der Rezeption banalisieren und zum Erlebnis werden lassen. Die tatsächlichen Ereignisse hinter den inszenierten Konflikten verlieren an Bedeutung und Lösungsansätze werden zumeist nur in verstärkter Gewaltanwendung geboten. Ein alternatives Bild, das vom Militärischen wegführt, das auf zivile Aspekte eingeht und die Auswirkungen auf die betroffenen Menschen fokussiert, wird kaum geboten. Hier lassen sich jedoch Bildkonzeptionen entwickeln, die die Dominanz des Kriegsaktes unterbinden und die Peripherie in die Wahrnehmung rücken. Die Fotografie ist hierfür besonders geeignet, weil sie Aufmerksamkeit erringen, Leiden visuell einprägen kann und uns Erinnern lässt (Vgl. Sontag 2003, S28f).

Literatur

Bürger, Peter: Bildermaschine für den Krieg, in: Wissenschaft & Frieden 3/2007.

Brinkemper, Peter V. (2003): Angstbekämpfung im Militainment, Kunstforum International, Bd. 165, Juni/ Juli 2003, S.116-141.

Holert, Tom/ Terkessidis, Mark (2002): Entsichert: Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Köln: Kiepenheuer und Witsch.

Kaldor, Mary (2000): Alte und neue Kriege, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Keilholz, Sascha: Syriana (http://www.critic.de/index.pl?aktion=kritik=&id=440).

Köppen, Manuel (2005): Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Heidelberg: Universitäts-Verlag Winter.

Münkler, Herfried (2003): Die neuen Kriege (4. Auflage), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Paul, Gerhard (2005): Der Vietnamkrieg als Sonderfall und Wendepunkt in der Geschichte der Visualisierung des modernen Krieges?, in: Knieper, Thomas/ Müller, Marion G. (Hrsg., 2005): War Visions. Bildkommunikation und Krieg, Köln: Herbert von Halem.

Sachsse, Rolf (2003): Der Akt des Krieges im Körper des Fotografen, Kunstforum International, Bd. 165, Juni/ Juli 2003, S.98-105.

Schneider, Thomas F., (2005): „Giving a Sense of War As It Really Was“ – Präformation, Marketing und Rezeption von Steven Spielbergs Saving Private Ryan, in: Preußer, Heinz-Peter (Hrsg. 2005): Krieg in den Medien, Amsterdam: Rodopi.

Sontag, Susan (2003): Das Leiden anderer betrachten, München: Carl Hanser.

Turnley, Peter: The Unseen Gulf War (http://www.digitaljournalist.org/issue0212/pt_intro.html).

Virilio, Paul (2002): Desert Screen, London-New York: Continuum.

Bianca Raabe hat Politikwissenschaft, Kunstgeschichte und Medienwissenschaft studiert und zum Thema „Visualisierungsformen gewaltsamer Konflikte seit 1990“ promoviert.

Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen

Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen

von Andreas Buro und Andreas Zumach

Am 7. März 2009 verlieh die Stiftung Dr. Roland Röhl den Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach. W&F dokumentiert Auszüge der von Andreas Buro gehaltenen Laudatio sowie der Rede des Preisträgers.

Laudatio von Andreas Buro

Mein Glückwunsch, Andreas, zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises! Es ist leicht und gängig, die Welt in Gut und Böse zu unterteilen, wobei man selbst und das eigene Land freilich zu den Guten und die vermeintlichen Gegner zu den Bösen gerechnet werden. Dies hat nicht nur die Folge des Realitätsverlustes, es bewirkt auch die Unfähigkeit selbstkritisch mit dem Handeln der »eigenen Seite« umzugehen. Feindbilder taugen ebenso wenig wie Freundbilder! Andreas Zumach ist dieser so gängigen politischen und journalistischen Falle niemals zum Opfer gefallen. (…)

Ich fühle mich seit Jahrzehnten mit Andreas Zumach befreundet und bewundere seine Arbeit. (…) Kennen gelernt habe ich ihn bei der so genannten »Frühstücksrunde«. Als seinerzeit der NATO-Doppelbeschluss zur Diskussion stand, wodurch ganz Europa in eine kaum noch kontrollierbare Gefährdung atomarer Vernichtung getrieben wurde, strömten aus vielen Teilen der sozialen Bewegungen in Deutschland die Menschen zusammen, um sich gegen diesen wahnsinnigen Auswuchs des Abschreckungswettrüstens zur Wehr zu setzen. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es kaum eine Friedensbewegung gegeben. Sie erstand in dieser Situation in kürzester Zeit wieder auf. In der »Frühstücksrunde« trafen sich ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen, um zu besprechen, wie Öffentlichkeit durch Protest und gewaltfreien Widerstand zu organisieren sei.

Andreas Zumach beteiligte sich konstruktiv an der »Frühstücksrunde« und wurde aufgrund seiner hervorragenden analytischen Fähigkeiten, jedoch auch wegen seines konzilianten Umgangs mit anderen – trotz Härte und Schärfe in der Sache – sehr bald zu einem Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses, der aus der »Frühstücksrunde« hervorging. (…)

Andreas Zumach – 1954 in Köln geboren – studierter Volkswirt und Journalist – war nach zwei Jahren Redakteurstätigkeit von 1981-87 friedenspolitischer Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst. Er war also (…) nicht nur ein Friedensschreiber, sondern immer auch, das gilt bis heute, ein Friedenskämpfer. Er steht für Prävention, Deeskalation und Zivile Konfliktbearbeitung sowie für die Aufdeckung realer Zusammenhänge. Er ist jemand der die Schleier der Legitimationsideologien zu zerreißen versucht. (…)

Heute ist er nicht nur ein hochkarätiger und begehrter Journalist, sondern auch durch zahlreiche Vorträge und Diskussionen an der Basis der Friedensbewegung wie in der Öffentlichkeit präsent. Er arbeitet für viele regionale und nationale Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen, ferner für das »Network for European and Transatlantic Security« und das »Project for European Nuclear Nonproliferation«. (…)

Die Hürden für Friedenskämpfer und -schreiber wie Andreas Zumach sind sehr hoch. Gewalt ist tief in unserem Unterbewußtsein verwurzelt. Legitimationsideologien vom angeblich »Gerechten Krieg« bis zur »Humanitären Intervention« versuchen immer wieder, die grausame Brutalität des Krieges, also des gewaltsamen Konfliktaustrages, zu rechtfertigen , ja sogar zu verherrlichen. Interessen von Militär und Rüstungsindustrie verschleiern und verharmlosen und zeigen mit spitzen Fingern auf die angeblichen »Vaterlandsverräter«, »Nestbeschmutzer« und »Kollaborateure feindlicher Mächte«, die ausplaudern, was doch geheim bleiben soll. (…) Angesichts dieser vielen Hürden ist es um so bewundernswerter, dass es Andreas Zumach gelungen ist, den Kampf gegen die Hydra von Widrigkeiten so erfolgreich zu führen. Dabei ist er in seiner Deutlichkeit, die Verhältnisse beim Namen zu nennen, keineswegs zimperlich. (…) Erinnern Sie sich noch an den Rüstungsbericht der irakischen Regierung an den UN-Sicherheitsrat? Zumach hat ihn mit allen Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit gebracht. Über 80 deutsche Unternehmen und viele aus den USA hatten bis 2001 an den Diktator des Irak, Saddam Hussein, Elemente zur Entwicklung atomarer, konventioneller, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen geliefert. Selbst das Gift Anthrax stammte aus US-Laboratorien. Die USA haben den Bericht sogleich unter Verschluss genommen und von 12.000 Seiten 9.000 geschwärzt. Alles sollte verheimlicht werden. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stimmten dem zu. Zumach hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Doch Andreas Zumach ist nicht allein ein investigativer Journalist. Er konzentriert sich auch auf Möglichkeiten, wie Konflikte friedlich eingehegt und bearbeitet werden können. In diesem Sinne arbeitet er sich an den Internationalen Organisationen und am Völkerrecht ab. (…) Er deutet Zusammenhänge, Hintergründe und Strategien und macht sie für viele erst verständlich. Seine Bücher über die »Vereinten Nationen« (1995) , »Irak – Chronik eines gewollten Krieges« (2003 zusammen mit Hans-Christoph von Sponeck) und »Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?« (2005) sowie zahlreiche Aufsätze kreisen immer wieder um diese Themen.

Andreas Zumach erhält den Göttinger Friedenspreis heute für seine bisherigen hervorragenden Leistungen. Doch einer seiner Buchtitel weist schon auf die Zukunft, auf die kommenden Kriege. Was werden sie und die militärisch-technologische Entwicklung für Friedenskämpfer und -schreiber bereit halten? Welche weiteren Hürden werden sie auftürmen? Mit großer Sorge lerne ich, dass ein neues Schlachtfeld jenseits von konventionellen, nuklearen, chemischen und biologischen Waffen aufgebaut wird, dessen Wurzeln weit in die Militärgeschichte hinein reichen, das jedoch nun eine neue Qualität erreicht. Das Stichwort heißt Cyberwar. Ein unsichtbarer Krieg, der ohne Kriegserklärung oder Ankündigung auslösbar ist. Er kann ganze Volkswirtschaften und die überall arbeitenden Kommunikations- und Regelsysteme zusammen brechen lassen. Aggressoren können zudem alles abstreiten und sich sogar hinter anonymen Hackern verstecken. (…)

Der Höhepunkt all dieser und ähnlicher Vorfälle markierte der von Sicherheitsexperten als »erster Cyberkrieg« eingestufte Angriff auf Estland im Frühjahr 2007, als Hacker nahezu ganz Estland lahm legten – ein groß angelegter Angriff, hinter dem der russische Geheimdienst vermutet wurde und der seither die NATO beschäftigt. In den USA sei man indes schon um Lichtjahre voraus. So beabsichtige der frühere US-amerikanische Präsident George W. Bush mit einer zweistelligen Summe im Milliardenbereich eine »Cyber-Initiative« für die nächsten sieben Jahre flankieren zu wollen. Dabei handle es sich, wie US-Minister Chertoff betonte, um ein neues »Manhattan Project«. (…)

Selbstverständlich hoffe ich, indem ich auf dieses neue Schlachtfeld verweise, auf die Aufklärungsarbeit von Menschen aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung. Aber viele – so auch ich – setzen auch auf Andreas Zumach und auf viele seiner Kolleginnen und Kollegen, denen damit freilich eine neue schwere Last aufgebürdet wird. Andreas Zumach hat sich um mehr Frieden in der Welt verdient gemacht. Die Friedensbewegungen in zahlreichen Ländern haben ihm sehr viel zu verdanken. Große Erwartungen ruhen weiterhin auf ihm.

Viel Glück Andreas für Deine zukünftige Arbeit und nochmals meine Gratulation zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises.

Rede des Preisträgers Andreas Zumach

Vor genau 30 Jahren, Ende Februar 1979, habe ich angefangen als Journalist zu arbeiten, zunächst bei der Westberliner Zeitung »Die Neue«, die damals zeitgleich mit der »tageszeitung« (taz) gegründet wurde. Seitdem beschäftige ich mich überwiegend mit Kriegen und anderen internationalen Konflikten, ihren Ursachen und möglichen Lösungsstrategien. Dabei gilt mein Interesse vorrangig zivilen Instrumenten zur Bearbeitung von Konflikten und ihrer Stärkung – von der Früherkennung und Prävention über die Diplomatie zur Beendigung gewaltförmiger Eskalation bis hin zur Nachsorge für die oftmals schwer traumatisierten Opfer sowie den Versöhnungsbemühungen zwischen den vormalig kriegsführenden Parteien und dem Wiederaufbau.

Wenn Sie mich fragen, was der Journalismus in diesen 30 Jahren zum Frieden beigetragen hat, fällt mir nicht viel ein. Ich könnte einige wenige Kolleginnen und Kollegen nennen, wie zum Beispiel Anton Andreas Guha, den früheren langjährigen Redakteur der »Frankfurter Rundschau«. Doch die große Masse derjenigen, die überhaupt noch über diese Themen berichten, orientieren sich vorrangig oder ausschließlich an den für Krieg und den gewaltsamen Austrag von Konflikten verantwortlichen politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs. Die meisten sind unkritische, oftmals überforderte MitläuferInnen mit mangelnder professioneller Distanz zu den Mächtigen. (…)

Ich teile auch nicht die Meinung oder das Selbstwertgefühl mancher zumeist männlicher Kollegen, wonach Journalismus, der sich mit internationalen Konflikten befasst oder gar über Kriege berichtet, wichtiger sei als der Journalismus, dessen Gegenstand innen- oder lokalpolitische Themen sind. Die Sitzungen und Entscheidungen des Göttinger Stadtrates erfordern genauso wachsame journalistische Begleitung und Kontrolle, wie die Handlungen der Bundesminister Steinmeier und Jung oder die Aktivitäten der Bundeswehr in Afghanistan. Der Unterschied ist allerdings, dass es bei internationalen Konfliktthemen nicht selten um den Einsatz von Gewalt geht, um Leben und Tod, um Zerstörung und Vernichtung – also um Entscheidungen und Handlungen, die oftmals endgültige, katastrophale Konsequenzen haben, und – anders als ein noch so falscher Beschluss des Göttinger Stadtrates – nicht mehr korrigiert werden können.

Ich nenne im folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) vier politische und strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen, die vielleicht erklären können, warum der Beitrag des Journalismus zum Frieden zum Frieden so gering ausfällt.

Regierungs- und elitenfixierter Meutenjournalismus bei außen- und sicherheitspolitischen Themen: Die Unabhängigkeit und professionelle Distanz von JournalistInnen zu den politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs ist schon in Friedenszeiten sehr gering. Wenn das eigene Land an einem internationalen Konflikt oder gar Krieg beteiligt ist, existieren Unabhängigkeit und professionelle Distanz oft überhaupt nicht mehr. Analysen oder Konfliktlösungskonzepte aus der Zivilgesellschaft haben dann kaum eine Chance, von den Medien beachtet zu werden.

Immer raffiniertere Kriegspropaganda sowie die Einbindung von JournalistInnen und Medien in Kriegsvorbereitung und Kriegsführung: Das Pentagon hat für das Vietnam-Kriegsdesaster der USA die »mangelnde Unterstützung« durch die US-Medien verantwortlich gemacht und aus dieser Erfahrung immer raffiniertere Medien- und Öffentlichkeitsstrategien für künftige Kriege entwickelt. (…)

Die Diktatur der modernen Online-Kommunikationstechnologien: Die JournalistInnen und KorrespondentInnen im Ausland stehen auf Grund der heute verfügbaren schnellen und leicht transportablen Kommunikationstechnologien (Digitalkamera mit Soundsystem plus Satellitentelefon) unter großem Druck ihrer Heimatzentralen, schnell Filme/Bilder/Töne in die Zentralen zu schicken ohne die notwendigen journalistischen Recherchen zu unternehmen.

Privatisierung der elektronischen Medien und Kostendruck: Die infolge der Privatisierung seit Ende der 70er Jahre über ARD, ZDF und die Dritten Programme hinaus entstandenen zusätzlichen elektronischen Medien haben zu einem verschärften Konkurrenzdruck geführt und zu einer Absenkung der journalistischen Qualität auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist davon besonders stark betroffen.

Alle diese Rahmenbedingungen, so übermächtig und bedrückend wir sie als JournalistInnen und als MedienkonsumentInnen auch erleben, sind weder ein Naturgesetz noch gottgewollt oder Schicksal. Sie sind sämtlich von Menschen geschaffen und können daher auch von Menschen wieder korrigiert werden. Das wird allerdings nicht von außen geschehen durch neue Gesetze, politische Rahmenrichtlinien und Ähnliches, sondern nur durch Widerspruch und Widerständigkeit innerhalb der Medien. (…)

Ich bevorzuge daher den Begriff »konfliktsensitive Berichterstattung«, den meine Kollegin Nadine Bilke von der Online-Redaktion des ZDF geprägt hat. »Konfliktsensitiv« heißt in erster Linie, als JournalistIn alle an einem Konflikt Beteiligten und von ihm betroffenen Gruppen und Personen wahrzunehmen und nicht nur wie so häufig diejenigen, die auf militärische Mittel setzen und darüber verfügen, oder diejenigen, die über Propagandainstrumente zur aktiven Einflussnahme auf die Medien verfügen. Das heißt nicht, als JournalistIn »überparteilich« zu berichten, sondern »allparteilich«. Das setzt allerdings voraus, dass sich JournalistInnen zunächst über ihren eigenen Standpunkt im Klaren sind. Sie sind gefangen in ihrer Kultur, ihre Entscheidungen sind vom Mediensystem vorgeprägt, ihre Informationen werden von EntscheidungsträgerInnen ihrer Gesellschaft gefiltert. Aber selbst, wenn sie frei von derartigen Einflüssen und Prägungen wären und uneingeschränkt berichten könnten, wäre ihre Nachricht stets nur eine mögliche Version der Geschichte. 100-prozentige Objektivität, die viele, insbesondere männliche Journalisten, gerne für sich oder ihre Medien reklamieren, gibt es nicht. Es kann immer nur darum gehen, der Wahrheit eines Ereignisses so nahe wie möglich zu kommen. (…) Ausrichten sollte sich dieser Journalismus an drei Grundorientierungen: Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Nach meiner Meinung gelten diese drei Grundorientierungen universell und kulturübergreifend – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung historisch und kulturell bedingter unterschiedlicher Interpretationen und Verständnisse dieser drei Begriffe. Aus diesen drei Grundorientierungen lassen sich für die praktische Arbeit von JournalistInnen die folgenden professionellen Kriterien ableiten: Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, Relevanz und die Form der Vermittlung. (…)

25 Jahre Wissenschaft & Frieden

25 Jahre Wissenschaft & Frieden

von Jürgen Nieth

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Im Oktober 1983 – vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe von Wissenschaft & Frieden. Werfen wir einen Blick zurück: Nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Friedensbewegung stärker und in der Öffentlichkeit präsenter als in diesem Jahr 1983. Hunderttausende demonstrierten während des Ev. Kirchentages in Hannover gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missile, fast anderthalb Millionen beteiligten sich am 22. Oktober an den Demonstrationen in Bonn, Berlin und Hamburg sowie an der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm. Sechs Millionen hatten den Krefelder Apell unterschrieben, mit der Aufforderung „an die Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen.“

Die Friedensbewegung bediente sich aber nicht nur vielfältiger Protestformen, sie entwickelte auch eine bis dahin in dieser Breite nie gekannte wissenschaftliche Kompetenz. Ermöglicht wurde Letzteres u.a. durch eine Palette wissenschaftlicher Literatur und die Herausbildung zahlreicher berufsspezifischer Friedensinitiativen. Bereits 1982 hatte sich die »Deutsche Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW) gegründet. 1983 wurde mit dem Mainzer Kongress der Grundstein für die Bildung der »NaturwissenschaftlerInnen-Initiative – Verantwortung für den Frieden« gelegt. Es folgten die Friedensinitiativen der Juristen, der Psychologen, der Kulturschaffenden, der Pädagoginnen und Pädagogen, der Historiker, der Städtepläner usw. Diese Situation rief geradezu nach einem Informationsdienst an der Schnittstelle von Friedenswissenschaft und Friedensbewegung. Der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen ergriff die entsprechende Initiative.

Doch trotz aller Widerstände begann am 10. Dezember 1983 die Stationierung der atomaren Mittelstreckenraketen in der BRD. Die Rüstungsspirale drehte sich weiter und mit den US-amerikanischen Plänen zur Weltraummilitarisierung (SDI) drohte eine neue Eskalationsstufe.

Im ersten Editorial von W&F schrieben Rainer Rilling und Paul Schäfer: Der Infodienst „wird

• bundesweit friedenspolitische Aktivitäten im Wissenschaftsbereich dokumentieren…

• einen interdisziplinären Erfahrungs- und Informationsaustausch organisieren helfen…

• Analysen und Materialien zum Problemkreis Rüstungsforschung, Militarisierung der Wissenschaft etc. liefern.“

W&F wurde mit dieser Linie zu einer wichtigen Informationsquelle der Bewegung.

1986 gaben dann die USA und die Sowjetunion in Reykjavik ihre harten Positionen auf: Rüstungskontrolle und Abrüstung schienen machbar. 1989/90 dann die Implosion des Warschauer Paktes, die NATO verlor den Feind und in der Bevölkerung wuchs die Hoffnung auf eine Friedensdividende. In einem kurzen Zeitfenster stellte sich damit auch die Frage nach dem Charakter und der Notwendigkeit von W&F.

Doch spätestens Mitte der 1990er Jahre wurde sichtbar, die Welt war nicht friedlicher nach dem West-Ost-Konflikt. Zerfallende Staaten, neue Kriege und das Streben der übrig gebliebenen Weltmacht nach absoluter Dominanz prägten das Bild. Rüstungsausgaben und Rüstungsexporte stiegen wieder. Mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien kam es dann auch zum offenen Bruch des Völkerrechts durch die NATO und das mit Beteiligung der deutschen Bundeswehr. Eine Bundeswehr, die heute mit über 6.000 SoldatInnen in elf Ländern im Einsatz ist und wieder Krieg führt. Siehe Afghanistan!

Die Welt ist unübersichtlicher geworden und neue Themen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, wie z.B. die Folgen der Globalisierung, die Verletzung der Menschenrechte, die Aushebelung des Völkerrechts, die Privatisierung der Kriege. Gleichzeitig rücken aber auch »alte« Konfliktfelder wieder ins Blickfeld: Bestehende Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen werden nicht eingehalten, wie z.B. der Atomwaffensperrvertrag; die Rüstungsspirale dreht sich wieder schneller – das wird nicht nur in der A-Waffenforschung und der Weltraummilitarisierung sichtbar; zur Sicherung von Ressourcen und von Einflusssphären wird verstärkt auf die militärische Karte gesetzt; neben dem neuen Feindbild Islam wird auch das alte aus dem Ost-West-Konflikt wieder aufpoliert.

Der Start eines politischen Projektes wie W&F muss den Wunsch beinhalten, sich selbst überflüssig zu machen. Ziehen wir nach 25 Jahren Bilanz, dann müssen wir aber leider erkennen, dass wir davon sehr weit entfernt sind. Auf eine Stimme, die sich unbeirrbar und konsequent für friedliche Konfliktlösungen einsetzt und die wissenschaftlich fundiert Wege hin zu einer gerechteren und zukunftsfähigen Welt aufzeigt, kann nicht verzichtet werden.

Unser Dank gilt allen, die W&F über die Jahre unterstützt haben – durch Artikel und als AbonnentInnen. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass diese Stimme deutlicher gehört wird.

Ihr Jürgen Nieth

Rückblick »nine-eleven«

Rückblick »nine-eleven«

von Jürgen Nieth

Präsident Bush nahm den 11. September zum Anlass, den
Terroristen den Krieg zu erklären, einen Krieg von unbestimmter Dauer,
verbunden mit dem Versprechen, den Terrorismus endgültig zu vernichten. Drei
Jahre später – und nach zwei Kriegen – fällt die Bilanz eher düster aus.

Al Qaida zum 11.9.

Pünktlich zum Jahrestag hat sich der Stellvertreter Bin
Ladens, Aimann al-Sawahiri, per Video-Botschaft zurückgemeldet und die
Niederlage der USA in Afghanistan und im Irak vorausgesagt: Sie haben nur die
Wahl „auszubluten“ oder sich zurückzuziehen und „alles zu verlieren“.
(»Spiegel« 13.09.04, S. 109).

Tatsächlich haben weder die Besatzungstruppen noch die
eingesetzten Regierungen in Kabul und Bagdad das Land unter Kontrolle.

Karzai verhandelt mit dem Teufel

Der Lage in Afghanistan vor den Wahlen nimmt »Der Spiegel«
unter die Lupe (13.09.04, S. 126 ff.) und schildert wie (Ex-)Terroristen und
grausame Despoten im Wahlkampf nach oben gespült werden. „Die US-Amerikaner
jagen … die Hisb-i-Islami Kämpfer als Mitglieder einer terroristischen
Organisation und schicken sie ins US-Gefängnis nach Guantanamo Bay, … (doch
ihr) Spitzenmann Faruki sieht nicht aus wie ein Verlierer. Er steht unter dem
persönlichen Schutz von Präsident Karzai, deshalb werden ihn die Amerikaner
auch nicht verhaften … Um die jetzige Wahl zu gewinnen, verhandelt Karzai
sozusagen mit den Teufeln, selbst mit den Taliban, dort konkret mit Mullah
Omars ehemaligem Außenminister Wakid Ahmed Muttawakil. »Sie sind Söhne dieser
Erde und uns bis auf ein paar wenige hochwillkommen«, bot der Paschtune Karzai
den Koranschülern jüngst bei seinem Besuch in Pakistan an.“

Generäle gegen erweiterten Afghanistan Einsatz

18.000 Soldaten der USA und ihrer Verbündeten stehen derzeit
in Afghanistan. Die Bundeswehr ist in Kabul und in Kundus. Die jetzt von
Verteidigungsminister Struck angeordnete Verlegung von 85 Soldaten nach
Faisabad – zur Wahlsicherung – stößt nach einem Bericht der »Rheinzeitung«
(13.09.04) auf Widerstand bei Generälen: Struck wird vorgeworfen „eine
»Entscheidung ohne Konzept« getroffen zu haben. Die Niederländer, die
ursprünglich mit den Deutschen mitmachen wollten, nahmen wie mehrere andere
Nationen – unter ihnen die Skandinavier und Spanier – »Abstand vom Gang nach
Faisabad«.“ Die Rheinzeitung weist darauf hin, dass die deutschen Soldaten „in
Faisabad keine von der Bundesregierung geförderten zivilen Hilfsprojekte
schützen können … (und) die Soldaten … möglichen Kämpfen der afghanischen
Warlords um die Drogen-Einnahmequellen ausgeliefert (seien). Die Provinz gehört
zu den bedeutendsten Mohnanbaugebieten.“

Über 1.000 tote US-Soldaten

Vom Frieden ist auch der Irak weit entfernt. Seit dem
offiziellen Kriegsende sind dreimal mehr US-Soldaten gefallen als im Krieg. Die
Zahl der getöteten US-Soldaten hat Anfang September die 1.000 überschritten,
mehr als 7.000 Verwundete wurden seit Kriegsbeginn zurückgeholt. Amnesty
international schätzt die Zahl der getöteten Iraker auf über 10.000
(FR.09.09.04). Die US-Soldaten haben weite Teile des Iraks nicht unter
Kontrolle.

Späte Kriegskritik

Der Irakkrieg habe gegen die UN-Charta verstoßen, erklärte
der UN-Generalsekretär, Kofi Annan, im einem Interview der britischen BBC
(15.09.04). Für ihn sei die Invasion der USA und ihrer Verbündeten ein „illegaler
Akt“.

Kritik am Krieg auch US-intern. Die »Frankfurter Rundschau«
(12.09.04) zitiert aus dem Abschlussbericht des US-Untersuchungsausschusses zum
11.09., ein Gremium, dem fünf Republikaner und fünf Demokraten angehörten: „Die
pauschale Feinddefinition »Terrorismus« sei zu »diffus und vage«.“
Die
Bedrohung „besteht nach Ansicht der Kommission nicht nur in möglichen neuen
Anschlägen durch Al Qaeda, sondern auch in der »radikalen ideologischen
Bewegung« hinter dem Terrornetzwerk … (Darauf) habe man noch keine Antwort
gefunden. Vielmehr gewinne diese Bewegung in der islamischen Welt an Kraft,
während die USA an Ansehen verlören.“

Die FR zitiert weiter das US-Magazin »Atlantic Monthly«, das
zahlreiche Terrorismus-Experten befragt hatte und deren Meinung zusammenfasste:
„»Sie neigen dazu Amerikas Reaktion auf den 11.September als Katastrophe zu
sehen« … Statt der ideologischen Herausforderung Al Qaedas etwas
entgegenzusetzen, sei den Terroristen mit dem Irak-Krieg ein Geschenk gemacht
worden. Mit dem Krieg habe sich die (terroristische) Bedrohung der USA erhöht
und gleichzeitig hätten sich die militärischen, finanziellen und diplomatischen
Mittel, darauf zu reagieren, reduziert.“

Weiterhin schlechte Aussichten

Die »New York Times« vom 16.09.04 berichtet unter Berufung
auf US-Regierungsvertreter über ein Papier von Geheimdienstexperten, das der
Bush-Regierung Ende Juli übergeben wurde. Dazu die FR (17.09.04): „Darin
werden drei mögliche Entwicklungen bis Ende 2005 skizziert. Im schlimmsten Fall
drohe ein Bürgerkrieg, im besten Fall entwickle sich ein Staat, dessen
Sicherheitslage und politische wie wirtschaftliche Stabilität stark gefährdet
seien. Die Geheimdienstanalyse ist den Angaben zufolge die erste über den Irak
seit Oktober 2002. »Da steckt eine erheblich Menge Pessimismus drin«, zitiert
die Zeitung einen Regierungsmitarbeiter.“

Über Ursachen des Terrors nachdenken

Befragt nach der Bedeutung der Entwick­lungshilfe angesichts
des Terrorismus, antwortet der Präsident der Weltbank, James Wolfensohn, in der
FAZ (09.09.04): „Ich bin überzeugt, dass man auf keinen Fall die
Entwicklungsfrage verschieben kann, unabhängig davon, ob wir es mit dem
Terrorismus zu tun haben oder nicht. Das Geld, das dafür im Gespräch ist, kommt
nicht annähernd an die 900 Milliarden Dollar heran, die auf der Welt für Verteidigung
ausgegeben werden … Man muss den Menschen schon eine Hoffnung geben. Es ist
schwer, einem jungen Muslim in den Palästinensergebieten, der nie eine Arbeit
gehabt hat, davon zu überzeugen, sich an einen Friedensschluss zu halten … Die
Bekämpfung von Armut allein setzt dem Terrorismus kein Ende. Aber sie beseitigt
Instabilitäten und Kriege in vielen Teilen der Welt.“

15 Jahre Wissenschaft und Frieden

15 Jahre Wissenschaft und Frieden

Streiflichter von der Festveranstaltung

von Redaktion

15 Jahre Wissenschaft und Frieden: Vom Oktober 1983 bis zum Dezember 1998. AutorInnen aus Deutschland, den USA, Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich, Russland, Japan und vielen anderen Ländern haben in diesen 15 Jahren in 63 Ausgaben von W&F mit rund 1.500 Artikeln Position bezogen. Ein Grund zu feiern, nicht nur für Redaktion, Vorstand und Herausgeber. Über Hundert Aktive aus den Friedensinitiativen der WissenschaftlerInnen, aus Friedensforschungsinstituten, Hochschulen, aus Friedens- und Menschenrechtsorganisationen folgten am 15. Januar der Einladung von W&F in die Hessische Landesvertretung, fanden Zeit und Gelegenheit zum Gespräch miteinander; zur Erinnerung und zur Diskussion des wie weiter unter den neuen politischen Rahmenbedingungen. Um die Zukunft der Friedens- und Konfliktforschung ging es auch in einigen der hier auszugsweise dokumentierten Grußworte.

Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn:

…Ich darf Sie heute Abend ganz herzlich in der Stadt Bonn begrüßen. Der 15. Geburtstag einer Zeitschrift ist nicht ein Termin, den die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn als Pflichttermin wahrnehmen müsste. Zu Ihrem Geburtstag bin ich jedoch ganz besonders gerne gekommen…

Ich bin gekommen, um Ihnen zu gratulieren: Herzliche Glückwünsche der Stadt Bonn zum 15. Geburtstag, herzliche Glückwünsche zu 15 Jahren engagierter Arbeit! Ich bin aber auch gekommen, weil ein solcher Tag zwingt, die eigene politische Biographie zu rekapitulieren. Eine politische Biographie, die eng verbunden ist mit der Friedensbewegung…, die eng verbunden ist mit den politischen Diskussionen um friedenserhaltende und friedensstiftende Maßnahmen.

Wir alle, und viele von Ihnen kenne ich aus sehr unterschiedlichen politischen Zusammenhängen, haben die sicherheitspolitischen Auseinandersetzungen der 80er Jahre geführt. Geprägt war diese Zeit durch den Glauben, dass wir Frieden erhalten könnten, und das ist ja für manche Teile der Welt, z. B. für unser Land, gelungen.

Am Ende der Neunziger muss man trotzdem sagen, dass das Ziel, das wir damals vor Augen hatten, nur teilweise erreicht worden ist. Konflikte und Kriege bestimmen immer noch weite Teile dieser Welt und selbst auf europäischem Boden machen sie nicht halt. Dennoch war es wichtig und ist es wichtig, dass es ein Dialogforum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gibt, wie es die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« darstellt.

Durch ihre hervorragende Arbeit haben Sie in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, Konfliktlösungsstrategien und friedenserhaltende Maßnahmen zu durchdenken, zu diskutieren, aber auch Ursachen von Konflikten wissenschaftlich aufzuarbeiten. Sie haben ein Forum gegeben, auf dem Wissenschaftler aus der Bundesrepublik und aller Welt ihre unterschiedlichen Meinungen austauschen konnten. Sie haben Diskussionsprozesse angestoßen, die in vielen Fällen zu intensivem Engagement von Menschen für den Frieden geführt haben.

Ich bin aber auch deshalb gerne gekommen, weil die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« seit zehn Jahren ihren Sitz in Bonn hat und hervorragend zu den Zukunftsprofilen unserer Stadt passt.

»…war es wichtig und ist es wichtig, dass es ein Dialogforum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gibt, wie es die Zeitschrift W&F darstellt «

Die Bundesstadt Bonn ist nicht nur Sitz des Ministeriums für Bildung und Forschung, sondern auch Sitz des Zentrums für europäische Integrationsforschung, des Zentrums für Entwicklungsforschung, aber auch der UN-Organisation Volunteers against Conflict. Bonn wird in Zukunft der Sitz vieler Entwicklungseinrichtungen sein, ist der Sitz von vielen NGOs, die sich auch mit friedenserhaltenden Maßnahmen beschäftigen.

Willy Brandt, der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und langjährige Parteivorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat 1986 gesagt: „Friede ist sicherer geworden, aber wie wir wissen nicht sicher.“

Ich wünsche Ihnen und uns heute Abend, dass der Friede noch ein Stück sicherer werden möge, durch die Arbeit dieser Zeitschrift in den nächsten Jahren…

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Einen schönen Verlauf“ wünschte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, der 15-Jahrfeier von W&F. Sie schreibt, dass sie gern – wie angekündigt – der „Einladung entsprochen und bei der 15-Jahrfeier mitgewirkt hätte“, aber leider ein kurzfristig anberaumter Termin dazwischen gekommen sei. Gleichzeitig informiert Frau Bulmahn mit ihrem Schreiben über einige Gedanken zur weiteren Vorgehensweise bezüglich der Friedens- und Konfliktforschung. Sie verweist auf die Koalitionsvereinbarung, aus der abzulesen sei, „dass ein wirklich neuer und breiter Anlauf unternommen werden soll, Wissenschaft und Forschung für eine deutsche Politik der Friedensgestaltung zu mobilisieren und mit langfristiger Absicht im gesamten Wissenschaftssystem zu stärken.“

»Neue Fördermöglichkeiten für die Friedens- und Konfliktforschung «

Sie gibt der Zuversicht Ausdruck, dass die in der Friedens- und Konfliktforschung Tätigen „die vielen guten Vorschläge aus den zurückliegenden Jahren im Lichte der gegenwärtigen Situation nochmals durchdenken und womöglich so aufbereiten, dass sie in einen konzentrierten Prozeß im Frühjahr einfließen können.“ Weiter teilt sie mit, dass zu entsprechenden Gesprächen eingeladen werde und sie hoffe, dass „erste Fördermöglichkeiten bald wieder geschaffen werden können.“

Hansvolker Ziegler, Bundesministerium für Bildung und Forschung:

Hansvolker Ziegler aus dem BMBF, in dessen Bereich die Friedens- und Konfliktforschung fällt, legte Wert darauf festzustellen, dass er Frau Ministerin Bulmahn „in ihrer einzigartigen Rolle über viele Jahre Ansprechpartnerin für die gesamte Landschaft der »concerned scientists«“ zu sein, nicht vertreten könne. Er selbst habe unter der Regierung Kohl die „Abwicklung der verbliebenen »Sonderförderung« der DFG für Friedens- und Konfliktforschung“ durchführen müssen. Nur die kleine Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn sei wie ein Wunder in der Förderung des BMBF erhalten geblieben.

In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung sei festgehalten worden, dass sich die neue Bundesregierung einsetzt „für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung… Hierzu gehört neben der finanziellen Förderung der Friedens- und Konfliktforschung und der Vernetzung bestehender Initiativen, die Verbesserung der juristischen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Ausbildung und den Einsatz von Friedensfachkräften und -diensten.“ Damit gebe es jetzt eine neue Basis für eine umfassende Neugestaltung, bei der viele Ressorts zusammen wirken müssten, „damit keine nur isolierten Aktivitäten entstehen, sondern Forschung und Bildung einen gewichtigen Beitrag zu einer deutschen Politik der Friedensgestaltung erbringen können.“

»Wir brauchen eine breite Diskussion über die Modelle der Förderung von Friedens- und Konfliktforschung «

Hansvolker Ziegler bat um Verständnis dafür, dass bei einem „solchen Neuanfang, die Erwartungen auf ganz schnelle Lösungen enttäuscht werden müssen.“ Zuerst müssten wieder Menschen gefunden werden, die die Sache in die Hand nehmen. Er stellte den Anwesenden in diesem Zusammenhang Frau Irene Rüde vor, die sich hoffentlich diesem Aufgabenbereich zukünftig schwerpunktmäßig zuwenden wird.

Abschließend betonte er die Notwendigkeit einer breiten Diskussion über die Thematik und auch die Modelle der Förderung, „es reiche nicht, einfach das wieder zu beleben, was vor sechszehn Jahren unter ein politisch negatives Verdikt kam.“

Prof. Dr. Ulrich Albrecht, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung:

Ich beginne mit William Shakespeare, Hamlet:

Hamlet: Seht ihr die Wolke dort, beinahe in Gestalt eines Kamels?

Polonius: Beim Himmel, sie sieht wirklich aus wie ein Kamel.

Hamlet: Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.

Polonius: Sie hat einen Rücken, wie ein Wiesel.

Hamlet: Oder wie ein Walfisch.

Polonius: Ganz wie ein Walfisch.

Selbst was wir sehen, um zu schweigen von dem, was wir lesen, so der große Spötter Shakespeare, liegt offenbar im Zweifel.

Der Luftkrieg im Irak beschäftigt uns leider wiederholt. Der Angriff der »Operation Dessert Storm« vom 17. Januar 1991 konnte per Satellit weltweit am Bildschirm verfolgt werden.

Nur: Es waren nicht die Militärs, immerhin eine öffentliche Einrichtung, sondern es war das Privatunternehmen CNN, welches anfangs die Bilder vom Golfkrieg lieferte. Was Shakespeare noch nicht karikieren konnte: Was wir vom Krieg, von Rüstung wissen, erfahren wir zu einem Teil – zu welch einem eigentlich? – von kommerziellen Unternehmen.

»Selbst was wir sehen… liegt offenbar im Zweifel «

Der französische Medienphilosoph Paul Virilio nutze die Formel von der »Technisierung des Sehens« …, dass mit dem Erfolg der hochtechnischen Waffensysteme gleichzeitig die Verheimlichung ihrer Wirkung verbunden, ja diese Wirkung abhängig ist von Verheimlichung. Wir wissen bis heute nicht, wieviel Tote der Golfkrieg zu Beginn dieses Jahrzehnts gefordert hat…

Es bleibt festzuhalten: Was wir sehen, so Hamlet gegen Polonius, liegt im Zweifel, es wird zudem zweitens – zu einem ungewissen Teil – kommerziell dargeboten und wir erfahren drittens nicht hinreichend genug über die Folgen.

Medien sind für militärische Zwecke instrumentierbar, ja offenbar militarisierbar. Die mediale Unschuld, der Anspruch, nur neutral zu informieren, den gibt es gerade in Kriegs- und Rüstungsdingen schon lange nicht mehr… Wir könnten weiter sehen, wenn wir die Geschichte unseres Problems zur Kenntnis nehmen würden… Wenn die Beobachtung des Kriegsgeschehens selbst zur Waffe, zur politischen Waffe wird, dann wird… die genaue Beobachtung von Krieg und Kriegsvorbereitung, die Verwendung von wissenschaftlicher Genauigkeit für den Wissenschaftler zur Pflicht.

Lobendes über W&F:

Der aufmerksame Zuhörer bemerkt längst, dass diese Thesen den Weg vorbereiten für die Laudatio auf den Jubilar, W&F, nunmehr das 15. Erscheinungsjahr vollendend. Ich würde gern den Ursprung der Zeitschrift im Nachrüstungsprotest der ersten Hälfte der 80er Jahre vergleichen mit einem anderen Schlüsselvorgang der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Auseinandersetzung um die nukleare Ausrüstung der Bundeswehr in der zweiten Hälfte der 50er Jahre… (in diesem Kontext entstanden die Blätter für deutsche und internationale Politik, Argument, Konkret und Atomzeitalter). Während die Zeitschriftenprojekte des Jahres 1958 bezeichnenderweise der linken Kritik, ja marxistischen Positionen verpflichtet waren, aber ihre wenig spezifischen Titel wählten, ist es 25 Jahre später anders. Wissenschaft und Frieden drückt mit der Wahl der Selbstbezeichnung eine dezidierte Positionsnahme aus, die aber in der Umsetzung nicht mehr so deutlich für die marxsche Gesellschaftsanalyse eintritt… W&F (ist) wesentlich internationaler… angelegt als die Vorjournale, während die Militärkritik heute gleichermaßen viel konkreter ausfällt. Auch das Erscheinungsbild unterscheidet sich sehr: … W&F (hat) einfach eine andere, modernere Blattkultur…, ganz zu schweigen von der CD-ROM, auf der man die Zeitschrift nunmehr haben kann.

Als derzeitiger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung möchte ich diesen Teil schließen mit einigen Reflexionen über das Verhältnis von Friedensforschung und den Lesern und Machern der Zeitschrift, dem friedenspolitisch aufgeschlossenen Teil der politischen Linken. Das Verhältnis war spannungsreich, auf mehreren Ebenen. Die verhältnismäßig kleine Community der Friedensforschung wird recht kritisch wahrgenommen, etwa von dem Bereich Internationale Politik bei den Politologen… Aber auch die allgemeine politische Linke setze die Friedensforschung unter Ideologieverdacht – der fehlten doch die angemessenen, die marxschen Kategorien zur Analyse der Realität.

»… hat die kritische Friedensforschung und die kritische Linke aufeinander zugeführt »

Ich meine, die kollektive Erfahrung des Raketenprotests in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, welche W&F erzeugte, hat beide Richtungen, die kritische Friedensforschung sowie die kritische Linke, aufeinander zugeführt. In der Linken wurde akzeptiert, dass die wissenschaftlich hinreichende Analyse der empörenden Realität einschlägige Forschung erfordert, und in der Friedensforschung, wenigstens in ihrem kritisch engagierten Teil, wurde erkannt, dass ohne Bezug auf soziale Bewegung alle kritische Analyse nichts verrichtet…

Folgerungen für die Friedensforschung und -publizistik:

In der neuen rot-grünen Republik soll ja lt. Regierungsabkommen die Friedensforschung wieder zentral gefördert werden, die Regierung setzt sich „für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung ein.“ Es geht um neue Ausbildungsmöglichkeiten für Peacekeeping und Peacebuilding.

In dieser Runde ist es gewiß angemessen, über die Umsetzung dieser Vorhaben zu reflektieren…

Im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung sind wir dabei zu folgenden Auffassungen gelangt:

Da ist erstens das Modell, nach dem Vorbild des renomierten SIPRI, welches ja dem schwedischen Reichstag zugeordnet ist, oder auch des dem amerikanischen Kongreß zugeordneten US-Institute for Peace, ein Hauptstadt-Friedensforschungsinstitut einzurichten. Wir halten das für nicht richtig – was soll eine solche Einrichtung neben den existierenden Einrichtungen wie der Hessischen Stiftung oder dem Hamburger Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik?

Auch die Umlage der Fördermittel auf diese Einrichtungen verspricht nicht den frischen Impuls, den die neue Bundesregierung anstrebt. Die vorhandenen Institute sollen gewiß beteiligt sein, aber etwa in bezug auf die Prioritäten Ausbildung für Peacebuilding und Peacekeeping stehen sie nicht vornan.

Eine Neuauflage der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung erscheint uns gleichfalls als nicht zweckmäßig. Die DGFK war überkomplex organisiert, ihr organisatorischer Wasserkopf mit Kuratorium und Konzil neben Vorstand und Förderkommission drückte eher Probleme des Bildungsförderalismus aus als forschungsnahe Prioritäten.

Die Übertragung der Mittel an die DFG schließlich erscheint angesichts der disziplinären Verhärtungen dort als wenig attraktiv. Diese Wertung gilt ausdrücklich nicht der Bonn-Bad Godesberger Einrichtung oder gar ihren Mitarbeitern, sondern wendet sich zentral gegen Wissenschaftsauffassungen, wie sie etwa der Senat und die dort versammelten Professoren in seinen Entscheidungen sichtbar werden lässt.

Da es verstärkt um Ausbildung geht, erscheinen uns – positiv gewendet – die Hochschulen als Empfänger von Unterstützung besonders geeignet, etwa, indem ein Hochschulsonderprogramm Friedensforschung aufgelegt wird. Das käme der Intention entgegen, dezentral zu fördern. Auch könnte ein solches Programm Komponenten zur Frauenförderung sowie zur Förderung der Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen enthalten.

Mit andern Worten, ein solches Hochschulsonderprogramm soll nicht zur Linderung der sattsam bekannten Finanznöte der Universitäten dienen. Es soll den Hochschulen aber die Möglichkeit geben, in der Krise ihre friedenswissenschaftliche Kompetenz zu erweitern.

Ein solches Programm könnte ausgeschrieben werden, es sollte für die Institute der Friedensforschung wie auch für mögliche andere Bewerber offen gehalten werden. Ziel wäre die bewußte Heranziehung von Nachwuchs – einer weiteren Priorität der neuen Regierung.

Dr. Corinna Hauswedell, Historikerin, Vorstandsmitglied von W&F:

Das zum Abschied bereite Jahrhundert hätte in Sachen internationaler Friedens- und Sicherheitspolitik mit den 80er und 90er Jahren kaum zwei unterschiedlichere, aufeinanderfolgende Jahrzehnte hinterlassen können.

Im Laufe der 80er Jahre konnte der in der bisherigen Geschichte politisch-ideologisch wie technologisch am höchsten aggregierte und gerüstete, globale Ost-West-Konflikt beigelegt werden – im Konzert einer vorher und nachher nicht wieder erreichten öffentlichen Diskussion über Konzepte und praktische Wege der Friedenssicherung.

Die 90er Jahre mit ihrer Gemengelage aus Erwartungen an eine Friedensdividende im weiteren und engeren Sinne, den neuen Herausforderungen einer de facto erstmals in größeren Stil begonnenen Abrüstung, aber auch aus andauernden und neu aufbrechenden Konfliktpotentialen und Gewaltrealitäten sind Impulsgeber für die jetzt vorzufindende Bandbreite friedensorientierten Nachdenkens und Handelns geworden.

Auch angesichts der damit verbundenenen, früher ideologischer als heute geführten Auseinandersetzungen in Politik und Friedenswissenschaft erscheint die während dieser beiden Dekaden kontinuierliche, und zugleich durch Umbrüche und Veränderungen geprägte redaktionelle und herausgeberische Arbeit an der Zeitschrift W&F mit einem klaren thematischen Fokus und einer ideell und materiell wenig herrschaftspotent ausgestatteten Struktur als eine recht passable Leistung …

Es war ein guter Humus für W&F, dass die 80er Jahre ihre spezifischen Demokratisierungsimpulse vor allem einer doppelten Neukonstituierung von Öffentlichkeit verdankten: zum einen den sog. Neuen Sozialen Bewegungen… und zum anderen der Herausbildung einer Mediengesellschaft mit den unseren politischen und persönlichen Alltag revolutionierenden Kommunikationsformen und -strukturen.

Auf diesem Humus konnte die Zeitschrift sich und der mit ihr im weiteren verbundenen Community zwei spezifische Verdienste erwerben, die jeweils mit den eingangs erwähnten Unterschieden der beiden letzten Jahrzehnte korrespondieren: In den 80er Jahren war dies die Schaffung eines für die deutsche Diskussion neuen Forums vor allem naturwissenschaftlich geprägter Rüstungskritik, in den 90er Jahren das Angebot einer disziplinenübergreifenden Kommunikationsstruktur für die neuen friedenswissenschaftlichen Herausforderungen nach dem Kalten Krieg…

Die im Editorial der Nummer 1/1983 von W&F ergangene Einladung an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftlerinitiativen, insbesondere der Naturwissenschaftler, durch ihre Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen, hatte mit dem amerikanischen »Bulletin of the Atomic Scientists« ein Projekt friedensengagierter Wissenschaftspublizistik vor Augen gehabt, in dem seit dem Eintritt in das Nuklearzeitalter nüchterne Hardwareexpertise mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung verbunden wurde.

Es war für die bundesrepublikanische Landschaft jener Tage sicherlich nicht untypisch, dass die Initiative, für die zunächst Informationsdienst Wissenschaft und Frieden genannte Zeitschrift, aus den Reihen der akademischen Linken ins Werk kam. Rainer Rilling vom BdWi bewies damit ein hohes Gespür für den Stellenwert des bewegenden Zeitthemas und seine Demokratiehaltigkeit. Zusammen mit Paul Schäfer als engagiertem Redakteur und Anreger interessanter Beiträge wurde in den ersten acht Jahren die intellektuell attraktive Federführung des Heftes und das notwendige Durchstehvermögen für das innovative Projekt kreiert.

»Die Kritik der Waffen, als Enthüllung von und Frühwarnung vor neuen rüstungstechnologischen Entwicklungen… wurde zu einer Waffe der Kritik «

Die Kritik der Waffen, als Enthüllung von und Frühwarnung vor neuen rüstungstechnologischen Entwicklungen war ein Prinzip der Redaktionsarbeit von W&F, und wurde im öffentlichen Diskurs zu einer Waffe der Kritik an einer Dynamik, die immer wieder militärischen und nicht zivilen Konfliktlösungen Vorschub leistete…

Einen kritischen Umgang mit Wissenschaft und Technik in diesem Sinne für einen rationalen Pazifismus populär zu machen, wie er sich in den 80er Jahren entwickelte, kann vielleicht als die eine politisch-praktische Zielrichtung im Redaktionsverständnis von W&F angesehen werden. Verbunden war dies stets mit einer anderen, mit der Rückkoppelung in die Wissenschaft selbst, genauer zu den Hochschulen als den Orten von Wissenschaftsproduktion, Lehre und Ausbildung. Mit der Verbreitung von Seminar- und Vorlesungsprogrammen, Personen und Themen, unterstützte die Zeitschrift ein wesentliches Netzwerk- und Bildungsanliegen der friedenswissenschaftlich tätigen Initiativen und Individuen, und beschritt mit einer nirgendwo sonst vorfindbaren fachwissenschaftlichen Vielfalt natur- und sozialwissenschaftlicher, kulturhistorischer, psychologischer und pädagogischer Fragestellungen den Weg vom Informationsdienst zum interdisziplinären Magazin.

Ein Projekt, das sich mit einem derart kontroversen Themenfokus und so deutlich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Bürgerwegung verortete, durfte sich nicht wundern, dass es auch die Verwerfungen in jedem dieser Bereiche und zwischen diesen immer wieder zu spüren bekam. Es dauerte eine Weile, bis Interviews in W&F mit führenden sicherheitspolitischen Experten der etablierten Politik in den späten 80er Jahren normaler wurden. Manchen Friedensforschern war das gebotene Forum nicht akademisch genug. In der Umbruchzeit zwischen 1989/90 und dem Golfkrieg 1991 lagen Hoffnungen, Resignation und Suche nach neuen Betätigungsfeldern in der Friedensbewegung und auch in den Wissenschaftlerinitiativen eng beieinander. War der Fokus Frieden und Rüstungskritik angesichts der vom Schleier des Kalten Krieges befreiten globalen Probleme noch zu vertreten? In welche Richtung ging der wind of change? Und würden die Ressourcen im engeren Sinne, die für ein inzwischen anspruchsvolles Zeitschriftenprojekt gebraucht wurden, ausreichen für eine Erneuerung?

Mit der Veröffentlichung des Memorandums »Friedenssicherung in den 90er Jahren – Neue Herausforderungen an die Wissenschaft« im Januar 1992 in W&F wurde nicht nur ein bis heute politisch-inhaltlich relevanter (vielleicht noch nicht genügend beachteter) Themenkatalog und konzeptioneller Impuls vorgelegt. Das in dieser Form einmalige Zusammenwirken an dem Text von über 30 west- und ostdeutschen Friedenswissenschaftlern aus den Natur- und Gesellschaftswissenschaften signalisierte auch im Innenverhältnis der Community so etwas wie ein Rauswachsen aus den Aporien der Cold-War-Ära, durchaus zum Nutzen künftiger Kooperation inner- und außerhalb von Institutionen und Netzwerken, wie es auch W&F eins ist.

In der Binnenstruktur von W&F unternahm die Redaktion unter neuer Leitung von Caroline Thomas 1992 die Aufgabe, mit soft- und hardware-Impulsen aus der Friedenswissenschaft die Themenführung des Heftes um Schwerpunkte wie z.B. Nord-Süd-Dialog, Zerbrochenes Europa, Das UN-System zwischen Macht und Ohnmacht, oder Medien und Gewalt zu erweitern. Rückendeckung sollte die neue Herausgeberstruktur, jetzt in den Händen der Wissenschaftler-Initiativen selbst, geben. Übrigens mit dem bis heute vorbildlichen, zuweilen notwendigen »supervisorischen« Geleit von Gert Sommer von der Psychologeninitiative »Bewusst-Sein für den Frieden«.1993 kam auch die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) in diese Struktur. Das Organ bekam einen ordentlichen Vorstand, zunächst mit Peter Krahulec, dem langjährigen sympathischen Kopf des Arbeitskreises Frieden in Forschung und Lehre an Fachhochschulen, ab 1996 bis heute mit dem damaligen Vorsitzenden der AFK Wolfgang Vogt. Das Zusammengehen mit anderen in der Friedensbewegung tätigen Organen, am bekanntesten der ehemalige »Mediatus« des Weilheimer Instituts, half weitere Kräfte und Ressourcen zu bündeln…

Woran und wie lassen sich denn – gestatten Sie diese vorsichtige Frage einer sympathisierenden Zeithistorikerin – die Wirkungen eines solchen Unternehmens wie W&F messen?

An der Innovationsfähigkeit beim Bearbeiten der relevanten Themen? Nicht schlecht, W&F.

An der Entwicklung der Abonnenten- und Leserzahlen? Sicherlich. Mit zwischen 3.500 und 4.500 sind sie über die Jahre verdächtig konstant.

An der Anzahl der Nachdrucke und Resonanz in anderen Medien? Tendenz in jüngerer Zeit deutlich steigend.

»…die Kritik am Militär immer wieder ironisch mit der Kultur des Friedens kontrastieren «

Und nicht zuletzt sicherlich an der Fähigkeit, einen eigenen Stil zu prägen und diesem treu zu bleiben. Bei W&F heißt das auch, die Kritik am Militär immer wieder ironisch mit der Kultur des Friedens zu kontrastieren, sparsam gestaltet in schwarz-weiss, aber mit Lust an Schattierungen! Und natürlich ohne der negativen Faszination der modernen Technik, ihrer IANUS-Köpfigkeit zu erliegen. Danke Rainer Rilling für 15 Jahre W&F – jetzt auf CD-Rom! Danke auch an Stefan Knaab, den desk-top-Betreuer seit der ersten Stunde!

Ich hab’ den Krieg gezeichnet

Ich hab’ den Krieg gezeichnet

Kinderzeichnungen aus sechs Jahrzehnten

von Anja Kuhr

„Sie müssen schon genau hinschauen, um die Details der Kinderzeichnungen zu erkennen“, fordert Alfred Brauner. „Es sind die Kleinigkeiten, die die Angst ausdrücken, wie ein Schlüssel eröffnen sie das Verständnis zu dem Bild. Dieses Kind in El Salvador war offenbar Augenzeuge einer Ermordung. Das Kind zeichnet sich selbst versteckt hinter Bäumen, sein Gesicht hat weder Mund noch Nase, nur Augen – es will sagen: Ich hab' es genau gesehen. Oder das Bild eines 10-jährigen aus Vietnam. Selbst im Moment der Rettung ist die Ohnmacht des Kindes noch gegenwärtig: Die Boat-People malt der Junge ganz klein, während die Mannschaft des Rettungsbootes in Gestalt kolossaler Quadratmenschen an Deck steht.“

Selbst im größten Chaos suchen die Kinder in ihren Zeichnungen nach Harmonie. Ein Kind aus El Salvador hat eine Hinrichtungsszene gemalt: Sechs Frauen mit gebeugtem Kopf stehen sechs Soldaten gegenüber. Die Figuren sind gleich groß, das Kind hat jedem »Paar« exakt ein Drittel des Platzes überlassen. „Ein typisches Merkmal für Kinderzeichnungen aus Kriegsgebieten, das Kind versucht so, ein Gleichgewicht in dem Schrecken herzustellen. (siehe Kinderzeichnung auf dieser Seite) Es gibt viele Bilder, in denen die zerstörten Häuser auf einer schnurgeraden Linie angeordnet sind. Hier hat das Kind die Szene in einem Sechseck dargestellt. Versuche, Ordnung zu schaffen in einer aus den Fugen geratenen Welt.“

Auf diese Kleinigkeiten zu achten, haben Françoise und Alfred Brauner im Lauf ihres Lebens gelernt. Angefangen hat alles 1936 im Spanischen Bürgerkrieg, als sich die Brauners – Françoise als Ärztin, Alfred als Pädagoge – den Internationalen Brigaden anschlossen und dann den Auftrag erhielten, Flüchtlingskinder zu betreuen. „Zunächst hatten wir genug damit zu tun, die Kinder mit Nahrung und Betten zu versorgen. Als das organisiert war, haben wir begonnen, sie zu beschäftigen. Einige Kinder haben spontan gezeichnet, und unter diesen Bildern fanden wir überwältigende Tatsachenberichte. Wir haben die Kinder dann motiviert zu malen und waren erstaunt und zugleich erschrocken, was da alles zum Vorschein kam.“

Was die Kinder mit Worten nicht ausdrücken konnten, erzählten sie mit Buntstift und Papier. Die Brauners machten Fotografien dieser Bilder, die sie mit nach Frankreich nahmen. Sie wollten dokumentieren, welche Spuren Kriegserlebnisse bei Kindern hinterlassen.

Zurück aus Spanien betreuten sie jüdische Kinder, die 1939 mit einem der letzten Transporte aus Deutschland nach Frankreich gebracht wurden. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges, den Francoise und Alfred Brauner als Mitglieder der Résistance im besetzten Paris nur knapp überlebt haben, standen sie vor einer der schwierigsten Aufgaben in ihrem Leben: Sie haben 440 Kinder betreut, die als Überlebende aus den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald nach Frankreich gebracht wurden.

Auch später, als sie in Frankreich die erste Tagesklinik für mehrfach behinderte Kinder leiteten, ließ ihnen das Thema keine Ruhe. Sie haben aus der ganzen Welt Kinderzeichnungen zusammengetragen, rund 2000 Bilder, gelagert in unzähligen Mappen in ihrer Pariser Wohnung. Diese Sammlung bildete die Basis für mehrere wissenschaftliche Untersuchungen über die Bedeutung der Kinderzeichnung im Krieg.

Wenn Françoise und Alfred Brauner die Geschichte erzählen, die hinter jedem einzelnen Bild steckt, sind sie leidenschaftliche Anwälte der Kinder. „Wenn es um Kinder geht, gibt es keine nationalen Grenzen, nur internationale Verbrechen. Nehmen Sie die Zeichnungen und zeigen Sie sie überall. Sie müssen als Waffe dienen gegen den Wahnsinn aller Kriege“ – so verabschiedeten sie mich bei meinem Besuch 1993.

Bis dahin waren Teile der Sammlung ausschließlich auf Fachkonferenzen gezeigt worden. Im Herbst 93 haben wir dann erstmals einen Teil dieser Sammlung öffentlich ausgestellt. Nach der überwältigenden Resonanz beim Publikum und den Medien, die die Ausstellung in Hamburg fand, war die Ausstellung inzwischen in 40 Städten im In- und Ausland.

Unter dem Titel »Ich hab' den Krieg gezeichnet«, zeigen wir 78 Kinderzeichnungen aus verschiedenen Krisen – und Kriegsgebieten. Die Bilder entstanden in Konzentrationslagern, im Spanischen Bürgerkrieg, in Hiroshima, Afghanistan, Palästina, der West-Sahara, in Guatemala oder Kroatien. Diese Zusammenstellung soll belegen, daß Kinder von den psychosozialen Auswirkungen von Kriegen überall auf der Welt massiv betroffen sind. Kriege, die diese Kinder nie gewollt haben und deren Ursachen sie nicht verstehen können. Die Zeichnungen – das zeigen die Reaktionen der Besucher und die Eintragungen in die Besucherbücher – sprechen für sich. Sie machen betroffen, dem Betrachter wird eine Haltung abverlangt.

In vielen Städten wurden im Begleitprogramm zu der Ausstellung Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, die am Beispiel der Rüstungsexporte und anderer Fragen auch auf die Mitverantwortung eingingen, die gerade auch die Bundesrepublik hat.

Darüber hinaus will diese Ausstellung auch auf einen anderen aktuellen Konflikt in diesem Land hinweisen, den Umgang mit Flüchtlingen und die besondere Verantwortung, die wir gerade gegenüber den Kindern und Jugendlichen haben, die als unbegleitete Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Denn Flüchtlingskinder, ob begleitet oder allein unterwegs, sind in besonderer Weise verletzte Kinder. Alle ExpertInnen, die mit Flüchtlingskindern arbeiten, haben immer wieder darauf hingewiesen, daß diese Kinder eine beschützende Umgebung brauchen, die ihnen Sicherheit bietet und Menschen, die für sie da sind. Die heutige Asylpraxis nimmt aber gerade auf diese Kinder keinerlei Rücksicht. Wenn sie bei uns ankommen, erhalten sie häufig zum Trauma der Trennung und Flucht auch noch das Gefühl, unerwünscht zu sein. Selbst Kinder müssen sich inquisitorischen Verhören unterziehen, in denen sie ihre individuellen Verfolgungsgründe nachweisen sollen. Die rigorose Anwendung des Asylrechts hat dazu geführt, daß inzwischen auch immer mehr Kinder abgeschoben werden. Um sich der drohenden Abschiebung zu entziehen, tauchen viele Kinder und jugendliche Flüchtlinge unter. Ohne jeden Schutz sind sie gezwungen, sich in den Rotlichtvierteln der Großstädte durchzuschlagen. Wie würden wohl die Zeichnungen dieser Kinder aussehen ?

Es wäre ganz im Sinne von Françoise und Alfred Brauner, wenn diese Ausstellung dazu beiträgt, allen Menschen Mut zu machen, sich einzumischen, als Anwälte der Kinder.

Informationen über die Ausstellung und die Ausleihbedingungen: Cultur Cooperation e.V., Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg, Tel.040-394133, Fax: 040-3909866

Anja Kuhr, Cultur Cooperation e.V.

Töten per Mausklick – Computerkriegsspiele

Töten per Mausklick – Computerkriegsspiele

von Ralf E. Streibl

Krieg als Thema oder Element findet sich in vielen Computerspielen, besonders oft bei Action-, Strategie- und Simulations-Spielen. Vom Einzelkämpfer über die Steuerung eines Waffensystems (Panzer, Flugzeug etc.) bis hin zum generalstabsmäßig angelegten, strategischen Planspiel geht die Palette kampf- oder kriegsorientierter Handlungen, wobei in einem Spiel auch unterschiedliche Elemente nebeneinander auftreten können. Die Weltbilder sind dabei einfach, die Strukturen klar, es geht um Gut und Böse. Doch was passiert in den Köpfen der Kinder? Nützen Verbote etwas oder wie kann der Gewaltexplosion im Kinderzimmer begegnet werden?

Schon bei einem schnellen Vergleich einiger Computerkriegsspiele zeigen sich große Unterschiede, so u.a. in der Komplexität des Szenarios, in der Ausübung und Darstellung von Gewalt sowie im Realitätsgehalt. Jedoch lassen sich auch eine Reihe genretypischer Aspekte von Computerkriegsspielen aufzeigen. Wenn im folgenden einige Aspekte von Computerkriegsspielen hervorgehoben werden, handelt es sich somit um Charakteristiken, die zwar oft festzustellen sind, aber natürlich nicht für alle Spiele in gleichem Maße zutreffen.1

1. Computerspiele als heute selbstverständlicher Teil der Lebenswelt von Kindern stellen einen zusätzlichen medialen Sozialisationsagenten dar.

Man muß sich davor hüten, eine »andere Alltagspraxis« im Medienumgang von Kindern und Jugendlichen verglichen mit der Eltern- und Forschergeneration per se als problematisches Verhalten anzusehen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht nur als Objekte der verschiedenen Sozialisationsfaktoren – zu denen heute die Medien unbestritten gehören – angesehen werden, sondern sie sind aktive Gestalter ihrer eigenen Kindheit (vgl. Berg, 1991; Billmann-Mahecha, 1992). Die Beschäftigung mit Computerspielen ist heute für viele in den Industrienationen aufwachsende junge Menschen eine Selbstverständlichkeit. So spielen bereits etwa die Hälfte der Vorschulkinder, ein Viertel sogar täglich (Fritz, Wegge, Wagner, Gregarek, Trudewind, 1995). Anders als oft behauptet werden Computerspiele nicht immer nur allein, sondern auch gemeinsam mit Gleichaltrigen gespielt (Altmeyer-Baumann, 1991).

Spielen bildet ein wichtiges Element der Sozialisation im Sinne einer innerpersonalen Auseinandersetzung mit der äußeren Umwelt. Neben der Sprache hat das Spielen eine zentrale Bedeutung für die Identitätsentwicklung (vgl. z.B. Mead 1973). Es kann als lustbetontes, intrinsisch motiviertes, ich-betontes, freies Probehandeln verstanden werden und stellt so eine kindgemäße und selbstbestimmte Aneignung von »Welt« dar.

Zur Alltagserfahrung von Kindern gehören kleinere und größere Konflikte und Auseinandersetzungen. Selbst Kinder, die von eigenen Gewalt- und Kriegserfahrungen verschont bleiben, werden zumindest über die Medien oder durch Erwachsenen-Gespräche mit derartigen Themen konfrontiert. So ist es nur folgerichtig, daß Konflikte, Gewalt und Krieg Eingang ins kindliche Spiel und Handeln finden, ja sie sind – im Sinne der Verarbeitung dieser Wahrnehmungen – notwendiger Teil des »(Be)greifens« der Welt. Spiel bietet zumindest grundsätzlich die Freiheit, sich kulturellen Verhaltensregeln zu widersetzen oder sie zu parodieren (vgl. Wegener-Spöhring, 1995; Sutton-Smith, 1986; Oerter, 1997). Weiter unten wird gezeigt werden, daß Computerkriegs- und -gewaltspiele hier jedoch nicht unreflektiert subsumiert werden dürfen (vgl. These 3). Computerspiele sind in ihrer Bedeutung für Sozialisationsprozesse daher sowohl von klassischen Spielen als auch von anderen, überwiegend rezeptiv genutzten Medien (TV, Video) zu unterscheiden.

2. Die in Computerkriegsspielen gezeichneten Weltbilder sind einfach, korrespondieren mit Bedürfnissen der Spieler und motivieren dadurch zum Spiel.

Manche Computerkriegsspiele wirken auf den ersten Blick sehr komplex. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß ihnen meist einfache Strukturen zugrunde liegen. Der Spieler2 übernimmt die Rolle eines »Helden« im Kampf oder eines steuernden »Feldherren«, der den alleinigen oder wichtigsten Einfluß auf den Verlauf hat. Ihm stehen oft vielfältige »natürliche« und technische Machtmittel zur Verfügung. Normen, Werte, Menschenbilder sind zumeist vorgegeben, häufig gilt ein militärisch-hierarchisches Führerprinzip oder auch das Recht des Stärkeren, teilweise (z.B. bei Wirtschaftssimulationsanteilen in Kriegsspielen) gilt auch das Diktat der Ökonomie. Freund und Feind sind eindeutig zu unterscheiden. Männer treten vorwiegend als zähe Kämpfer auf, Frauen werden – sofern sie im Spiel vorkommen – durch ihre Kleidung und ihr Verhalten oft als Sexsymbole oder einfach nur hilflos dargestellt. Für kriegerische und gewalttätige Auseinandersetzungen gelten scheinbar klare, nachvollziehbare Regeln: Feuerkraft, Munitions- oder Kraftreserven, Widerstandskraft etc. werden in quantifizierter Form durch das Programm miteinander verrechnet. Auch bei komplexen Szenarien entsteht so der Eindruck einer objektiven Leistungsbewertung.

Für viele Spieler erfüllen derartige Spiele ein Bedürfnis nach Klarheit, Eindeutigkeit und übersichtlichen Anforderungen – im Gegensatz zum wirklichen Leben. Sie kommen dem Wunsch nach einer klaren Unterscheidung zwischen guter und böser Figur entgegen: „Hier steht fest, wer der Feind ist (die Gegner auf dem Bildschirm), hier steht fest, mit welchen Mitteln in dieser Beziehung zurückgeschlagen werden darf, und hier steht auch fest, daß der Spieler selbst eindeutig »gut« ist.“ (Büttner 1988, S.109). Wenn die gesellschaftliche Realität zunehmend von Gewalt, Aggression, Unverständnis und Rücksichtslosigkeit gerade auch gegenüber Kindern und Jugendlichen geprägt ist, dreht sich die Rüstungsspirale im Kinderzimmer immer schneller. Die im Spiel erlebte Handlungsmacht kann zeitweise eine Kompensation alltäglich erlebter struktureller Gewalt vermitteln. Struktur und Dynamik des Spiels sind dabei oft bedeutsamer als die Inhalte. Je stärker auf »Leistung« gespielt wird, desto mehr treten die Spielinhalte gegenüber der Wahrnehmung der Schlüsselreize in den Hintergrund (vgl. Fritz 1988).

Die Spieler nutzen das Computerspiel, um Machtträume und Phantasien damit auszuleben. In dieser Form erhalten Computerspiele eine Bedeutung vergleichbar den Comic-Superhelden oder auch den Helden aus Abenteuer-Romanen. Sie bieten auf Zeit die Möglichkeit, aktiv an den Erfolgen des »Helden« teilzuhaben, an seiner Macht zu partizipieren – auch hier manifestiert sich für manche Spieler der Wunsch nach einer Gegenwelt zu Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen im Alltag. Spiele aus der Perspektive der subjektiven Kamera wie z.B. Doom, Duke Nukem oder Quake erleichtern diese Identifikationsprozesse und erhöhen damit auch die emotionale Beteiligung.

Computerkriegsspiele erlauben den Spielern folgenlose Grenzüberschreitungen bei Gewaltausübung. Gewalt im Computerspiel macht mehr Spaß als in der Realität, zum einen „weil man da niemandem weh tut“ , zum anderen „weil man da nichts abkriegt, weil der ja im Spiel drin ist“ (zwei Schüler einer vierten Klasse in Bremen). Der Tod der Spielfigur stellt für die Spieler ein ärgerliches, aber nicht irreversibles Phänomen dar. In Gesprächen beschreiben auch jüngere Kinder teilweise recht heftige Gewaltszenen aus Computerspielen (vgl. Streibl 1998). Die Verstümmelung des menschlichen Körpers übt scheinbar eine Faszination vor allem auf die Jungen aus. Doch scheint ein Teil dieser Faszination auch darin zu liegen, zu beweisen, wie »abgebrüht« man ist. Extreme Gewaltspiele werden bewußt in Überschreitung elterlicher Verbote gespielt, die anscheinend oft nicht weiter begründet oder erklärt werden.

3. Aggressivität wird im Computerkriegsspiel zielgerichtet und meist ohne Handlungsalternativen kanalisiert. Während eine einfache Übertragung gewalttätiger Verhaltensweisen in die Realität i.d.R. nicht stattfindet, ist jedoch eine schleichende Desensibilisierung bezogen auf Gewalt zu vermuten.

Bei der Betrachtung von Aggression im Spiel muß zwischen realer und spielerischer Aggressivität unterschieden werden. Spiel kann als emanzipatorisches Medium wirksam werden: Aggression, Provokation und Phantasie im Spiel können Impulse für Veränderungen von Umfeld, Sozialbeziehungen und Gesellschaft geben. In diesem Zusammenhang sind die Handlungsspielräume und Freiheitspotentiale des Spiels im Sinne einer aktiven Verfügbarkeit über die Situation und das Selbst von Wichtigkeit (Befreiung von den Zwängen der Situation, Spielen gegen die Wirklichkeit, vgl. Wegener-Spöhring 1995). Im Spiel ist es möglich, die eigene Identität zu variieren, Regeln zu verändern, alles zu verwerfen, neu zu beginnen. Variabilität im Spiel erlaubt Macht- und Erfolgserleben in einer Welt der Fremdbestimmung und Abhängigkeit. Dies ist in vielen Computerspielen so nicht gegeben: Typisch sind im Design, Grafiklayout und Sound mehr oder minder perfektionistisch anmutende Szenarien, die jedoch nur begrenzte Handlungsoptionen (Set verfügbarer Befehle/Aktionen, meist keine Alternativen zur Gewaltausübung), Rollen (Charakter und Eigenschaften des Protagonisten) und Adaptionsmöglichkeiten (Auswahl von Level, Waffen etc.) zulassen, während gleichzeitig das Spielziel fest vorgegeben ist. Alternative Verhaltensweisen wie Aushandlungsprozesse, Empathie und Perspektivenwechsel finden sich in den Spielen kaum bis gar nicht.

Macht- und Erfolgserlebnisse sind im Computerspiel somit gerade keine Ergebnisse eigener Phantasie des Spielers, sondern durch das Programm festgelegte und damit strenggenommen wieder fremdbestimmte Häppchen. Statt freiem Spielfluß und diskontinuierlichem Zeitumgang herrschen in Computerspielen Ziel- und Leistungsorientierung vor. Auch eine hohe Komplexität der wählbaren Spielparameter ändert nichts an der Qualität: eine Zunahme von Steuerungsmöglichkeiten und Einflußvariablen ist strenggenommen nur eine vorgegebene bzw. vorgebliche Freiheit, ein Laufenlassen des Spielers an langer Leine. Freies Spiel erlaubt ein Ausleben von Ängsten durch die Möglichkeit, bei zu großer Bedrohung die Regeln oder das Szenario zu ändern. Diese aktive Erfahrung eigener Toleranzgrenzen ist im Computerspiel längst nicht so flexibel möglich. Rückt im freien Spiel das eigene Selbst in die Mitte, wird im Computerspiel möglicherweise gerade eine Distanz zum eigenen Selbst geschaffen.

Gewaltausübung hat in den Spielen erwartungsgemäß einen sehr hohen Stellenwert, meist sogar zentrale Bedeutung. Sie erzeugt kein ungutes Gefühl (eher im Gegenteil), da sie in der Spiellogik moralisch legitim erscheint (z.B. Schutz, Notwehr, Rache, Rettung…). Dennoch greifen simple Wirkungstheorien, die diese Verhaltensweisen in monokausalen Bezug zur Realität setzen, zu kurz. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Behauptungen der Art „Kriegsspiele am Computer machen aggressiv“ genau so wenig belegbar sind wie „Sie helfen Aggressionen abzubauen“. Anspannungen und Affekte der Spieler scheinen im Spiel stillgestellt (Steinhardt 1994) zu werden, d.h. sie sind nicht unmittelbar handlungsrelevant und werden auch nicht ausagiert. Gewalt wird teilweise nur als Beiwerk wahrgenommen, der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf Action und den spielentscheidenden Schlüsselreizen. Insofern werden explizite Gewaltdarstellungen im Spiel ebensowenig bearbeitet wie die dahinter liegenden Strukturen, die derartige Gewalt auslösen bzw. rechtfertigen. Computerkriegsspiele tragen so (gemeinsam mit anderen Medien) zu einer weiteren Gewöhnung an Gewaltszenen und -darstellungen bei, was längerfristig zu Desensibilisierungseffekten führt (vgl. auch Smith 1994). Gleichzeitig verhindern die geschilderten Bedingungen des Computerspiels – im Gegensatz zu Aggressionssituationen im freien Spiel – die Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen in der Spielsituation. Gerade diese wäre jedoch notwendig im Hinblick auf die zunehmende Unsicherheit von Beziehungen und Kontakten von Kindern und Jugendlichen (vgl. Hurrelmann 1995).

4. Computerkriegsspiele spiegeln bestimmte gesellschaftliche Werte und Entwicklungen wider und tragen damit zu ihrer Verfestigung bei.

Bei der Auseinandersetzung mit Computerkriegsspielen dreht es sich in der Regel um Themen wie Gewaltverherrlichung und Militarismus. Doch daneben gibt es weitere interessante Aspekte, die hier zumindest kurze Erwähnung finden sollen.

Wie viele andere Computerspiele auch, zeichnen sich die meisten Computerkriegsspiele durch eine starke Leistungsorientierung aus. Diese wird oft durch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade (Levels) realisiert, so daß ein permanenter Anreiz zur Verbesserung der bisherigen Leistung besteht. Der Spieler tritt in Konkurrenz zu sich selbst (und ggf. anderen auf einer High-Score-Liste verewigten Spielern) mit dem Ziel, die Aufgabe am erfolgreichsten (Punkte) und/oder am schnellsten (Zeit) zu lösen. Er versucht sich immer wieder von neuem an dem Spiel, bis die bestehenden Schwierigkeiten gemeistert sind (oder die Frustration zu groß geworden ist).

Phantasie und Vorstellungskraft zur Ausgestaltung des Spielgeschehens sind in dem Maße weniger erforderlich, je näher die grafische Darstellung und der digitale Sound der »Realität« kommen. Die Perfektion in der Darstellung gilt als Gütekriterium für Spiele. Hier vor allem ist der Grund für die immer weiter steigenden Hardware-Anforderungen an PCs zu sehen. Diese Entwicklung verläuft parallel zu einem allgemeinen Multimedia-Boom. Die gesellschaftliche Technikfaszination spiegelt sich somit zum einen in spezifischen Spielelementen (z.B. der detailreichen Darstellung der verwendeten technischen Waffensysteme), zum andern in dem immer weiter aufzurüstenden Spielmedium selbst.

Die Spiele stellen teilweise hohe Anforderungen an die Sensumotorik, meist jedoch nur an enge, spezifische Bereiche (z.B. Hand-Auge-Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit). Der Spieler wird auf Feinmotorik, Gesichtssinn und evtl. noch Gehör reduziert. Die damit einhergehende Entsinnlichung und Entfremdung von primären physischen Erfahrungen korrespondiert mit allgemeinen Veränderungen von Arbeitswelt und Freizeit hin zu medial vermitteltem Erleben. Die Tatsache, daß bei einer stark wachsenden Zahl von Kindern heute Bewegungsstörungen festzustellen sind, hat ihren Ursprung zum einen in der mediengeprägten Lebenswelt, zum anderen fehlt es zumindest im städtischen Umfeld in der Regel an kindgemäßen Bewegungs- und Erlebnisräumen.

5. Computerkriegsspiele transportieren militärische Denkweisen und Wertesyteme und tragen damit zur Militarisierung der Gesellschaft bei.

Computerkriegsspiele sind industriell gefertigte Güter, die explizit zum Kampf- oder Kriegsspiel für den Markt bestimmt sind. Kriegsspielzeug war in früheren Jahrhunderten ein selbstverständlicher und undiskutierter Bestandteil von Kultur und Kindererziehung (Wegener-Spöhring 1995, S.90), hatte jedoch immer schon eine politische Komponente, wie z.B. die Zunahme der Produktion vor und während Kriegszeiten belegt (Kroner 1979, S.23). Es wird als Mittel sozialer Kontrolle (vgl. Kroner 1982) und als Trainingsinstrument eingesetzt. Erinnert sei an Zinnsoldaten mit Uniformbemalung nach dem gerade geltenden Feindbild (Wegener-Spöhring 1995, S.91f) oder das zur Soldatenausbildung in der Preußischen Armee verwendete Kriegsspiel (vgl. Maaß 1996, S.117).

Daß Kriegsspielzeug derzeit nicht mehr so stark in der öffentlichen Diskussion ist wie noch vor 20 Jahren, liegt möglicherweise an der gesunkenen Bedeutung traditionellen Kriegsspielzeugs gegenüber Aktions- und Science-Fiction-Spielzeug, wo – aufgrund der größeren Distanz zur eigenen Lebenswelt – Gewalt legitimierter auftreten kann (vgl. Wegener-Spöhring 1995, S.99). Interessanterweise gilt diese Entwicklung für Computerspiele nicht in gleichem Maße: Zwar gibt es auch hier viele phantastische, utopische oder einfach nur fremde Kriegs- und Gewaltszenarien (z.B. die erfolgreichen Weltraum-Kriegsspiele Wing Commander Armada oder Tie Fighter), daneben existiert aber auch eine Vielzahl von Kriegsspielen, die reale Szenarien als Ausgangspunkt nehmen, so beispielsweise History Line (1. Weltkrieg), Victory at Sea (2. Weltkrieg), Platoon (Vietnam), Commando Libya (Libyen), Desert Storm (Irak). Ein aktuelles Beispiel ist Silent Thunder, welches laut Werbetext als Missionen den Kampf gegen einen „Potentaten im Mittleren Osten“, gegen „einen gnadenlosen Drogenbaron“ in Kolumbien sowie einen „schurkischen nordkoreanischen Kriegstreiber“ bietet.

Unabhängig davon, ob es sich um ein reales oder fiktionales Szenario handelt, beinhalten Computerkriegsspiele sehr häufig klassisch gestaltete Feindbilder (»Wir« sind anders, »die Anderen« sind häßlich, böse, charakterlos, schmutzig, schlecht, unwert…). Wie in Wirklichkeit wird dabei immer wieder auf höhere Werte abgehoben, um einen Krieg zum gerechten Krieg werden zu lassen (Streibl 1996). Bei realitätsnahen Spielen werden die historischen bzw. aktuell gültigen Feindbilder repliziert. Da derartige Spiele oft in den USA und zunächst für den amerikanischen Markt produziert werden, spiegelt der Spielemarkt vor allem die Feindbilder, Werte und ideologischen Konzepte dieser Nation wieder – exportiert in alle Welt. Das Spiel Back to Baghdad beispielsweise ist auf das Feindbild Irak ausgerichtet, personifiziert in Saddam Hussein (Streibl, 1996). Eine derartige Fokussierung der Feindbildkonstruktion auf die Person Saddam Husseins war nach der Annektion Kuwaits auch kennzeichnend für die Berichterstattung deutscher Massenmedien (vgl. Kempf, Palmbach, Reimann, 1993).

Während bei manchen Gewaltspielen teilweise noch spezifisch charakterisierte Gegner auftreten (vgl. z.B. das Prügelspiel Street Fighter II), wird bei Computerkriegsspielen Gewaltausübung oft gänzlich entpersonalisiert, d.h. es werden Fahrzeuge, Flugzeuge, Bauwerke, Landkarten oder abstrakte Symbole dargestellt, manchmal sogar nur Zahlenwerte (vergleichbar der medial vermittelten Distanz im realen High-Tech-Krieg). Der Gegner bildet eine anonyme Masse. Es wird kein Leid, keine Toten, keine Trauer etc. gezeigt, die Folgen der Gewalt sind auf die Zerstörung von Dingen und das Absterben von Körpern begrenzt. Gewaltausübung wird in der Regel nicht negativ sanktioniert – meist sogar positiv verstärkt. Ein Gewaltlusterleben ohne Schuldgefühle wird ermöglicht.

Es stellt sich die Frage, was es für die Bewältigung komplexer Situationen bedeuten mag, wenn die Spieler sich immer wieder unreflektiert in zwar irreale, aber realistisch gestaltete Vernichtungsszenarien hinein begeben, in denen sie einem abstrakten Befehl gehorchend versuchen, den Gegner zu vernichten. Kinder, die in ihren Spielen selbst Regeln entwickeln, entwickeln einen freieren Umgang mit Normen – weniger Rigidität – höhere Flexibilität in der Anwendung von Regeln (vgl. Schmidtchen & Erb 1976, S.76)

Es gibt viele Parallelen zwischen kriegerischen Computerspielen und dem Computereinsatz in der militärischen Wirklichkeit. Ohne besondere Überraschung stellt man fest, daß die beiden wichtigsten Anwendungsfelder von Computersimulationen beim Militär (vgl. Neuneck, 1995; Streibl, 1997) sich vielfach auf dem Spielemarkt wiederfinden lassen – zum einen Waffensystemsimulationen wie Comanche oder Tornado, zum anderen Strategiespiele wie Panzer General. Dabei handelt es sich teilweise um mehr als eine grobe Ähnlichkeit, wie z.B. ein Vergleich des Computerspiels Back to Baghdad mit dem militärischen Planungs- und Trainingssystem Power Scene zeigt (Streibl, 1996).

Inzwischen verwendet das Militär sogar schon kommerzielle Computerspiele im Rahmen von Ausbildung und Training. So wurde das Computerspiel Doom II vom U.S. Marine Corps Modeling & Simulation Management Office für die Ausbildung von U.S. Marines adaptiert (Riddell, 1997). Um die von Computerspielen auf Kinder ausgehende Faszination zu nutzen, wird auch über eine kommerzielle Verwertung des Programms nachgedacht, was – so Riddell – den Kreis schließt: Ein ursprünglich vom Militär inspiriertes Computerspiel wird vom Militär für seine Bedürfnisse zur Ausbildung von Soldaten adaptiert und zusätzlich als authentisches militärisches Trainingsspiel wieder auf dem Massenmarkt verkauft.

Diese offensichtliche Nähe mancher Computerkriegsspiele zu konkretem militärischen Training sollte nicht den Blick auf eine weitere militärische Verwendungsmöglichkeit von Computerspielen verstellen: die Funktionalisierung von Computerkriegsspielen für den Bereich Propaganda und psychologische Kriegsführung. Gemeint ist damit eine gezielte Einflußnahme auf Emotionen, Kognitionen und Verhalten (vgl. Ansorge & Streibl 1997). Zu denken ist hierbei u.a. an die gezielte Vermittlung von Feindbildern und ähnlichen ideologischen Inhalten – diese ist am effizientesten, wenn sie gleichzeitig über viele, scheinbar unabhängige Kanäle erfolgt (zur Rolle der klassischen Massenmedien am Beispiel des Golfkrieges vgl. Kempf, 1994). Aber auch die Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärs kann ein Ziel sein.

Auch in Deutschland gibt es derartige Tendenzen (allerdings was Spieltechnik und Spielreiz betrifft auf einem deutlich niedrigeren Level), wie das 1994 im Auftrag der Deutschen Bundeswehr produziertes Computerspiel Helicopter-Mission zeigt. Darin werden – entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Diskussion um (friedensschaffende) out-of-area-Einsätze – mit Bundeswehrhubschraubern ausschließlich Hilfs- und Rettungsmissionen geflogen. Die zeitgleiche Produktion dieses Spieles zur Diskussion um eine Neubestimmung der Rolle der Bundeswehr ist kein Zufall: In Helicopter-Mission wird explizit auf die neuen Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr Bezug genommen (vgl. Streibl 1998).

6. Gewalthaltigen und kriegerischen Computerspielen kann am ehesten durch eine differenzierte kritische Auseinandersetzung (im individuellen und im gesellschaftlichen Rahmen) begegnet werden.

Aus den obigen Überlegungen wird deutlich, daß es nicht sinnvoll ist, einen hermetisch gegen alle negativen Einflüsse abgeschotteten Schonraum für Kinder aufzubauen – ganz abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens. Elterliche Verbote sind genauso wenig wirksam wie Indizierungs-Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften: Sie haben eher kontraproduktive Wirkungen, wie folgende Aussage eines Student verdeutlicht: „…als ich in dem Alter war und mich die Altersbeschränkungen getroffen haben, da war das wie Briefmarken sammeln, irgendwelche indizierten Spiele zu haben … da hab' ich auch eine Menge Müll rumfliegen gehabt, nur weil er indiziert war und nicht zum Spielen“.

Ebenso wie es nicht das typische Computerkriegsspiel gibt, existiert auch nicht der typische Spieler – zu unterschiedlich sind die Nutzungsmotive und die lebensweltlichen Bedingungen, die als Rahmen für das Computerspiel wirksam sind. Gemeinsam ist den meisten Spielern, daß eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Aspekten eines Computerkriegsspiels kaum bis gar nicht stattfindet. Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen sollten sich bei aller Skepsis für die Spiele, die einen Teil der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen bilden, interessieren und zur Reflexion darüber anregen (z.B. auch durch gemeinsames Spielen, Analysieren, Kontrastieren und Vergleichen, Diskussion der Motive… ; vgl. Streibl 1998). Ziel sollte jedoch nicht sein, die Spieler zu überzeugen, wie schlecht ein Spiel sei, sondern zu einer produktiven Verunsicherung beizutragen, damit eine selbstbestimmte Weiterentwicklung erfolgen kann. Parallel dazu muß ferner eine intensive Beschäftigung mit den Gewaltwirklichkeiten in unserer Gesellschaft erfolgen, sowohl bezogen auf direkte als auch auf strukturelle Gewalt.

Schließlich muß eine gesellschaftliche Diskussion mit dem Ziel angestoßen werden, militärische Auseinandersetzungen grundsätzlich zu ächten und sie nicht mehr als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“ anzusehen. In diesem Sinne muß auf breiter Front gegen die Militarisierung in den Köpfen (z.B. neue Bundeswehr), in der Wirtschaft (z.B. die aktuellen Fusions- und Kooperationsprozesse der Rüstungsunternehmen) und im Bundeshaushalt (z.B. Eurofighter) angegangen werden. Eine Abrüstung allein im Kinderzimmer ist nur moralische Doppelzüngigkeit in einer Rüstungsschmiede wie Deutschland.

Literatur

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Ansorge, P. und Streibl, R.E. (1997): Schöner neuer Krieg. Information Warfare – der neue saubere Krieg ohne Schrecken. In: Krämer, J., Richter, J., Wendel, J., Zinßmeister, G. (Hrsg.): Schöne neue Arbeit. Mössingen-Talheim: Talheimer.

Berg, Ch., (1991): Wandel der Kindheit in der Industriegesellschaft. Neue Sammlung, (3), S. 411-435.

Billmann-Mahecha, E. (1992): Argumente für eine verstehende Kinderpsychologie aus kulturpsychologischer Perspektive. Memorandum Nr. 6. Universität Erlangen.

Büttner, Ch. (1988): Gewalt im Spiel. In: Fritz, J. (Hrsg.): Programmiert zum Kriegspielen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 93-113.

Fritz, J. (1988): Wie wirken Videospiele auf Kinder und Jugendliche. In: Fritz, J. (Hrsg.): Programmiert zum Kriegspielen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 200-217.

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Fritz, J.; Wegge, J.; Wagner, V.; Gregarek, S.; Trudewind, C. (1995): Faszination, Nutzung und Wirkung von Bildschirmspielen. Ergebnisse und offene Fragen. In: Fritz, J. (Hrsg.), Warum Computerspiele faszinieren. Weinheim: Juventa, S. 238-243.

Hurrelmann, K. (1995): Gewalt: ein Synonym für fehlende soziale Kompetenz. In: Valtin, R., Portmann, R. (Hrsg.): Gewalt und Aggression: Herausforderungen für die Grundschule. Frankfurt/Main: Arbeitskreis Grundschule, S. 75-84.

Kempf, W. (Hrsg.) (1994): Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg. Münster: Lit.

Kempf, W., Palmbach, U., Reimann, M. (1993): Kriegsschauplatz Deutschland. Die bundesdeutsche Presseberichterstattung im Golfkrieg. Wissenschaft & Frieden, 11 (3), S. 16-19.

Kroner, B. (1979): Die Bedeutung von Spiel und Spielzeug für die kindliche Entwicklung. In: Nationale Kommission für das Internationale Jahr des Kindes (Hrsg.): Erziehung gegen Gewalt. Kriegsspielzeug in der aktuellen Diskussion. Bonn, S. 1-27.

Kroner, B. (1982): Definitionen von Kriegsspielzeug. In: Galerie 70 Edition (Hrsg.): Kriegsspielzeug. Ist das noch Spielzeug? 2. Aufl. Berlin: Frölich & Kaufmann, S. 14-37.

Maaß, J. (1996): Strategiespiele am Computer. In: Maaß, J. (Hrsg.): Computerspiele: Markt und Pädagogik. München: Profil, S. 112-121.

Mead, G.H. (1973): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.

Neuneck, G. (1995): Computersimulation und moderne Kriegsführung. In: Kreowski, H.J., Risse, T., Spillner, A., Streibl, R.E., Vosseberg, K. (Hrsg.): Realität und Utopien der Informatik. Münster: agenda, S. 95-103.

Oerter, R. (1997). Psychologie des Spiels. 2. Aufl. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Riddell, R. (1997): Doom goes to war. The Marines are looking for a few good games. Wired, (4), S. 114-118, 164-166.

Schmidtchen, S., Erb, A. (1976): Analyse des Kinderspiels. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

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Streibl, R.E., (1996): Spielend zum Sieg. Krieg im Computerspiel – Krieg als Computerspiel. Informatik-Forum, 10 (4), S. 203-214.

Streibl, R.E. (1997): Der real simulierte Krieg. FriedensForum, (3), S. 32-33.

Streibl, R.E. (1998): Game over: Die Rüstungsspirale auf Diskette und CD-ROM. In: Kempf, W., Schmidt-Regener, I. (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. (in Druck)

Sutton-Smith, B. (1986): Toys as Culture. New York: Gardner Press.

Wegener-Spöhring, G. (1995): Aggressivität im kindlichen Spiel. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag.

Anmerkungen

1) Der Artikel beruht auf Ergebnissen eines vom Autoren an der Universität Bremen durchgeführten Projektes, initialgefördert von der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung sowie durch Zuschüsse unterstützt von der Bertha-von-Suttner-Stiftung und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Zurück

2) Der Verzicht auf die weibliche Form ist beabsichtigt, da Kriegsspiele überwiegend von männlichen Jugendlichen und Erwachsenen gespielt werden (vgl. u.a. Fritz & Misek-Schneider 1995). Zurück

Ralf E. Streibl, Diplom-Psychologe, Mitglied des Vorstandes des »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V.«

Der Wissenschaftler@Inter.net

Der Wissenschaftler@Inter.net

von Bodo Wegmann

Aktuelle Zeitungen, Fachpresse, die Post – ein ganz selbstverständliches Bild auf unserem Schreibtisch. Der aktuelle Newsgroup-Report, das Online-Magazin, e-mail – ganz selbstverständlich auf den Bildschirmen unserer Computer? Immer öfter werden einem Visitenkarten in die Hand gedrückt, auf denen neben den üblichen Angaben so etwas steht wie »glOi@alf.zfn.uni-bremen.de«, und immer öfter tauchen Begriffe auf wie Datenhighway und weltweites Computernetz. So manch einer, der sich gerade mühevoll mit seiner Textverarbeitung oder Datenbank zurechtgefunden hat, schaut mißtrauisch auf das, was als nächstes auf ihn zuzukommen droht: das Internet. Doch Vorbehalte sind hier fehl am Platz, im Gegenteil: das Internet ist eine großartige Hilfe für die wissenschaftliche Arbeit, spart Zeit und Geld, macht Spaß und ist einfacher zu handhaben als fast alle Programme in Ihrem Computer. Ein Großteil des Internet bildet das World Wide Web (WWW), und dazu brauchen Sie sogar nur Ihre Maus.

Was ist das Internet überhaupt? Seit Jahrzehnten wird immer mehr Wissen in Computern er- und verarbeitet. Der Austausch erfolgt meistens darüber, daß Mensch A etwas aus seinem Computer ausdruckt und einen Stapel Papier an Mensch B schickt, der diesen Haufen wiederum in seinen Computer einarbeitet. Auch das Hin- und Herschicken von Disketten ist mittlerweile gang und gäbe. Das Internet kürzt diesen Prozeß ab, indem es die Computer von Mensch A und Mensch B (und ca. 35 Millionen anderer Menschen) miteinander verbindet.

Dadurch haben Sie von Ihrem Rechner aus Zugang zu Datenbanken, Informationsdiensten, offiziellen Stellen usw. von Aachen bis Zypern. Alles, was Sie benötigen, ist ein Zugang zum Internet, z.B. über das Rechenzentrum der nächsten Universität oder über kommerzielle Anbieter wie Compuserve.

E-mail (engl. electronic mailing, dt. elektronische Post) ist mit dem Briefeschreiben vergleichbar. Sie schreiben einen Text auf Ihrem Computer, z.B. ein Buchkapitel von 80 Seiten. Doch anstatt alles auszudrucken und für ein horrendes Porto zu Ihrem Bekannten in die USA zu senden, »mailen« Sie den Text ganz einfach von Ihrem in seinen Rechner. In wenigen Minuten ist die Datenmenge bei Ihrem Bekannten, der nun seine Korrekturen direkt an seinem Computer vornehmen kann. Dann schickt er den Text als e-mail an Sie zurück, in Ihren Rechner, wo Sie ihn gleich weiter bearbeiten können. Wollen Sie wissen, aus welcher Quelle er die tolle Einfügung hat und bei der Gelegenheit gleich „Thank's for your help“ sagen? Dann können Sie entweder eine mail schicken, oder direkt mit ihm »chatten« (von engl. to chat, dt. klönen). Ihr „Thank's“ erscheint auf seinem Bildschirm, während Sie es tippen, und Sie sehen, wie er „my pleasure“ tippt: man klönt über die Tastatur. Wenn Sie gerne mal Bill Clinton eine Mail schicken oder mit ihm chatten wollen, erreichen Sie ihn unter »president@whitehouse.gov« (alle im folgenden vorgestellten Adressen erscheinen in » », die bei der Eingabe aber nicht mitgeschrieben werden dürfen).

Bleiben wir bei Ihrer Forschungsarbeit und nehmen an, Sie suchen korrekte bibliographische Angaben. Sie könnten jetzt mit Ihrer Quellenliste in die Bücherei fahren und alles nachschlagen. Oder: Sie schauen im Online-Katalog der Library of Congress in Washington, D. C. nach. Mit »locis.loc.gov« sind Sie mit einer der größten Bibliotheken der Welt verbunden, rund um die Uhr. Falls Sie militärische Fachliteratur suchen, können Sie auch bei der US Military Academy nachschauen (»library.usma.edu«). Für Geheimdienstliteratur können Sie eine Anfrage an das National Intelligence Book Center (»70346 .1166@compuserve.com«) schicken.

Wer neues erforscht, muß oft bereits Erforschtes nachschlagen: entweder in Nachschlagewerken oder in Datenbanken. Das bietet Ihnen das Internet natürlich ebenfalls. Man kann auf allgemeine und Fachlexika zugreifen, auf Fremdsprachen- und Rechenprogramme, meteorologische Daten aus Nahost und allerlei Spezialdatenbanken: über Personen aus Osteuropa informiert »http://galaxy.einet.net/ hytelnet/FUL053.htm«, über amerikanische statistische Daten »capaccess.org« und über Nuklearwaffen-Themen das Archiv von Paul McGinnis sowie über Human Radiation Experiments »http://www. eh.doe.gov/ohre/home.htm«. Der Friedensforscher möchte vielleicht gerne auf Daten von SIPRI, Schweden, zugreifen (»http://www.sipri.se«) oder auf den renomierten Verlag Jane's, GB, (»http://www. btg.com/janes«).

Sollen es statt Informationen über Geheimdienste, die gibt es zu jedem Land bei IWR unter »http://www.awpi.com/IntelWeb/« – lieber Informationen von Geheimdiensten sein? Dann adressieren Sie »http://www.odci.gov/« für die CIA, »http: //www.ustreas.gov/treasury/bureaus/usss/usss.htm« für den Secret Service oder »http://edcwww.cr.usgs.gov/dclass/dclass.htm« für Satellitenaufklärungs-Bilder, z.B. einer sowjetischen Luftwaffenbasis.

Natürlich sind Bilder genauso einfach zugänglich wie Texte und können einfach in Grafikprogramme Ihres Computers geladen werden (Haben Sie Windows? Dann können Sie Bilder in »Paintbrush« bearbeiten, oder mit »CorelDraw«). Die CIA stellt sich Ihnen unter vorgenannter Adresse sogar mit einem kleinen Filmprogramm vor. Und die National Security Agency (NSA) nimmt sie mit in eine bunte KGB-Ausstellung: »http://www.nsa.gov:8080/«.

Da fast jede Zeitung heute am Computer erstellt wird, liegt es nur nahe, sie auch gleich via Computer zu verbreiten. Was steht denn diese Woche im Spiegel (»http://spiegel.nda.net/nda/spiegel«)? Was schreiben Welt (»http://www.welt. de/«), TAZ (»http://www.prz.tu-berlin.de/ ~taz/«) oder der Standard aus Wien <>(»http://www.Austria.EU.net/DerStandard/«)?<> Artikel, die gut in Ihre Forschungsarbeit passen, können natürlich problemlos übernommen werden. Wer regelmäßig Internet-Zeitungen erhalten möchte, kann sie durch Aufnahme in einen sog. Listserver einfach abonieren, z.B. die Tagesberichte von Radio Free Europe/Radio Liberty. Auf solchem Wege sind auch die Pressemitteilungen aus dem Weißen Haus zu beziehen, von der NATO und der WEU.

Möchten Sie über Ihre Arbeit mit anderen Menschen diskutieren, die sich sehr für das Thema interessieren und meistens recht kenntnisreich sind? Bei der Gelegenheit lassen sich gute Tips austauschen und interessante Details erfahren. Dann sind Sie in den sog. Newsgroups richtig. Das sind Diskussionsforen, in denen alle miteinander kommunizieren, die sich für eines der zigtausend angebotenen Themen interessieren. Mit einfachen Suchbefehlen finden Sie die Gruppe(n), in der es genau um Ihr Thema geht, egal ob das nun Bonsai-Bäumchen sind, Religionsfreiheit in Tibet, Nationalismus-, Sozialismus- oder Verschwörungstheorien, Literatur, Friedenspolitik, Geheimdienste oder Raumschiff Enterprise. Und wenn Sie selbst eine neue Newsgroup einrichten wollen, ist auch das gar nicht so schwer.

Das weltweite Computernetz verbindet über den Datenhighway Menschen und Informationen. Es wird sich zu einem immer wichtigeren Instrument für die Forschungsarbeit entwickeln, das diese unglaublich erleichtert.

Ich hoffe, ich habe Ihnen die vielen Möglichkeiten, das Internet nutzen zu können, näher gebracht und Sie neugierig gemacht, es selbst einmal zu versuchen. Vielleicht mit einer e-mail an »glOi@alfzfn. uni-bremen.de«?

Bodo Wegmann, Berlin