Die visuelle Dominanz des Kriegsaktes

Die visuelle Dominanz des Kriegsaktes

Von Bianca Raabe

Krieg ist ein visuelles Spektakel, aus dem Bilder gemacht und in den unterschiedlichsten Medien vermittelt werden. Längst ist von Militainment die Rede, faszinieren militaristisch-kriegerisch determinierte Computerspiele und Filme ein breites Publikum. Der Kriegsakt und das Erleben kriegerischer Grenzsituationen stehen im Vordergrund visueller Inszenierungen, während die Auswirkungen auf die Menschen und deren Leid weitgehend ausgeblendet bleiben.

Seit der Etablierung der Kriegsfotografie im 19. Jahrhundert werden kriegerische Gewaltakte durch technologische Verfahren vermehrt visuell vermittelt. Sie prägen dabei auch wesentlich die Vorstellung von Krieg und die Erwartungshaltung des Publikums an Bilder gewaltsamer Konfliktaustragung. Zentral für die visuelle Vermittlung sind die Betrachtungsebenen Macht und Herrschaft, weil diese den Blickwinkel bestimmen, sowie funktional Legitimierungs- und Emotionalisierungsstrategien zur Interessensdurchsetzung einsetzen. Krieg hat sich zu einer Bildermaschine entwickelt, die kriegsfördernd der Unterhaltung des Publikums in Filmen und Computerspielen dient. Nachstehend soll kurz aufgezeigt werden, welche Konzeptionen sich seit dem 19. Jahrhundert behauptet haben und welche Tendenzen sich aus gegenwärtigen Visualisierungsformen ersehen lassen

Konstante Konzeptionen in der visuellen Kriegsvermittlung

Jegliche Visualisierungsform stützt sich auf Konzeptionen, die sich bereits zu Beginn der modernen Kriegsführung herausbildeten: Ordnungssysteme der Kriegsaustragung wie Schlachtenanordnungen, militärische Hierarchien und eine Übersicht garantierende Distanz zum Geschehen sowie Soldatenbilder. Diese beruhen auf visuellen Authentifizierungs- und Identifikationsstrategien. Um zudem eine ästhetische Wirkung zu erzielen, ist es notwendig die in der jeweiligen Zeit in der visuellen Präsentation gültigen Konventionen hinsichtlich der Vorstellung und des Verständnisses von Krieg zu beachten (Köppen 2005, 21). Die visuelle Vermittlung von Gewaltkonflikten beinhaltet darüber hinaus den Aspekt der Teilhabe, indem räumlich entfernte Ereignisse über Medien in den Lebensalltag eines Publikums gelangen.

Als eine weitere Konstante erweist sich die Faszination an Militärtechnologie, die sich in der Kriegsberichterstattung durch eine zumeist unkritische Übernahme militärischen Bildmaterials aus Perspektive der Waffe selbst oder eingebetteter Journalisten zeigt. Auch mit dem Fortschritt der Übertragungstechnik leben diese Momente fort, aber die Live-Übertragungen verschärfen die Frage nach der Kategorie der Unsichtbarkeit (Virilio 2002, 46ff), denn die virtualisierte Gewaltanwendung folgt strategischen Überlegungen, die die direkten Folgen kriegerischer Gewalt auf die in Kriegsregionen lebenden Menschen ausblendet. Das konkrete Leiden bleibt so für den Betrachter unsichtbar.

Gegenwärtige Kriegsformen und Bildausprägungen

Ein Grund für diese Entwicklung ist auch in den gegenwärtigen Formen kriegerischer Konfliktaustragung zu sehen: Asymmetrische Strategien liefern kaum mehr »gute« Bilder, lassen Kriegsfotografen nur selten nah genug herankommen. Noch wichtiger ist das Verschwimmen von Unterscheidungsmerkmalen zwischen Kriegs- und Friedenszustand und Kombattanten und Nichtkombattanten, auf das Münkler in seiner Analyse der neuen Kriege hinweist (Münkler 2003). Dies macht es visuell schwierig, Identität und Identifikation (Sontag 2003, 16-18) in einer Weise bildlich umzusetzen, die letztlich zur Interessendurchsetzung beitragen sollen. Die Transformationsprozesse in der Konfliktaustragung erschweren für den Betrachter die Zuordnung zusehends, weil die Rolle der einzelnen Konfliktparteien weniger eindeutig ist. Das vermittelte Leiden von Menschen liefert nun einen Ausgangspunkt für Identifikation, wobei jedoch der konkrete Anlass dieses Leidens in den Bildstrategien verschwimmt. Auf dieser Basis gedeiht das Militainment, dem formal die verschwimmenden Grenzen zwischen Film-Genres entsprechen. So wurde der Kriegsfilm um Action Elemente erweitert.

Ende der 1990er Jahre etablierte Steven Spielberg mit »Saving Private Ryan« eine Reihe neuer Kriegsfilme, die durch die Anwendung der formalen Mittel (u.a. verwackelt erscheinende Bilder, Bildzitate von Robert Capa, ständig wechselnde Kamerapositionen) die Zuschauer fast unmittelbar an den Ereignissen auf der Leinwand bzw. der Landung der Alliierten teilhaben ließen. Damit etablierte Spielberg eine neue Art der filmischen Inszenierung und zugleich einen völlig neuen Anspruch an die visuelle Inszenierung einer konkreten Situation in einem vergangenen Krieg. Die Bildkonstruktion sollte nicht den Eindruck von Authentizität vermitteln, sondern sie dient vielmehr als Basis für einen Realismus-Anspruch, der über Authentizität hinausgeht. Die Realismus-Konzeption beinhaltet einen Absolutheitsanspruch, während Authentizität Freiräume für Interpretationen lässt und nur darauf hinweist, dass die filmische Rekonstruktion versucht, möglichst nah an die tatsächlichen Ereignisse anzuschließen. Dadurch wird die Inszenierung Spielbergs als absolut gesetzt: So war es damals wirklich, jede andere Sichtweise auf die Geschehnisse wird ausgeschlossen (Schneider, 2005, 351-390). Dies ist der Ausgangspunkt für nachfolgende Filme wie u.a. »Black Hawk Down« und »We Were Soldiers«. Die Realismus-Konstruktion garantiert den Rezipienten Partizipation am Spektakel Krieg und funktioniert zudem als Legitimationsstrategie, die sich auf ein übergeordnetes und moralisch überlegenes Interesse fokussiert und sich somit einer sachlichen Argumentation entzieht.

Der Blick auf den Gewaltakt und die Konstituierung von Heldenfiguren

Der kriegerische Gewaltakt und dessen Wirkung auf die Soldaten stehen im Mittelpunkt der Inszenierungen. Der Blick auf das Geschehen rückt in die Nahsicht und schildert direktes Erleben, das so das Publikum einschließt. Der Körper des Soldaten dient als Kristallisationspunkt, auf den das Ereignis zuläuft und an dem es sich entscheidet. Die Legitimation des Kriegsaktes, sein Verlauf und die Empfindung von Sieg oder Niederlage werden durch den Erlebnishorizont der Soldaten greifbar. Doch dass der Soldat – und damit auf einer abstrakteren Ebene der menschliche Körper – als Erklärungsbild des Krieges dient, ist nicht neu, sondern eine weitere Konstante. So nahmen Soldaten, die als Helden inszeniert und rezipiert werden konnten, seit jeher eine wichtige Funktion ein. Dies ging etwa im 19. Jh. einher mit der in dieser Zeit vorherrschenden Vorstellung der Abläufe kriegerischen Handelns als einem Ordnungssystem von Interessendurchsetzung durch das nach Regeln stattfindende Aufeinandertreffen nationalstaatlich organisierter Streitkräfte. Helden trugen ordentliche, gepflegte Uniformen, überschauten die Kampfsituation und demonstrierten ihre Überlegenheit in einer erfolgreichen Führungsrolle, die Siege an ein heimisches Publikum vermelden konnte. Die Veränderungen in der Kriegsaustragung haben sich auch auf Heldenkonstruktionen ausgewirkt. Nicht mehr nur ranghohe Offiziere, sondern gerade einfache Soldaten können sich in gegenwärtigen Visualisierungsformen zu Helden entwickeln. Gleichzeitig ist die Heldenfigur nicht mehr an ein vorhersehbares Schema gebunden: Sie darf leiden und brechen, aber sie scheitert nicht für den Zuschauer, weil sie in einer Sphäre agiert, die an dessen Erfahrungsraum anknüpft und sie dadurch authentisch erscheinen lässt. An dieser Stelle funktionieren die Individualisierungsstrategien im Sinne einer positiven Wahrnehmung von Heldenfiguren, die nicht mehr nur eindeutig positiv beschrieben werden. Dies wird besonders deutlich in Filmen wie z. B. »Blood Diamond«, »James Bond – Casino Royale« und »Rendition«.

Bildinnovationen filmischer Inszenierungen kriegerischer Akte

In der Hauptsache haben sich in filmischen Inszenierungen von Gewaltkonflikten zwei wesentliche Stränge herausgebildet. Ein Strang konzentriert sich auf die zu erzählende Geschichte des Films und weist verschiedene Erzählperspektiven auf, die sich zum Brennpunkt der Filmhandlung verdichten und schließlich auf eine Extremsituation zulaufen, ohne einen Lösungsansatz für das grundlegend behandelte, übergeordnete Thema zu liefern. So wird versucht der Diversifikation gegenwärtiger Konfliktsituationen insofern nachzukommen, wie sie mehrere Perspektiven berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass solche Inszenierungen Gefahr laufen, durch die vielen verschiedenen Erzählstränge unübersichtlich zu werden und dem Publikum zur Orientierung nur positiv konnotierte Figuren bleiben, die dazu beitragen, die Filmhandlung nachvollziehbar zu verknüpfen. Durch die Schwerpunktsetzung auf die erzählte Geschichte reduziert sich der visuelle Reiz: Die Filmbilder ähneln sich. Die filmischen Gestaltungsmittel werden zugunsten komplizierter Erzählstränge vernachlässigt und verlieren ihre Unterscheidbarkeit. Spezifische Bildformen, die einzelne Filme herausheben, fallen weg.

Betrachtet man den anderen Strang filmischer Inszenierungen, fällt die Konzentration auf das Visuelle auf. Hier treten die behandelten Konflikte und die Narration hinter die visuelle Gestaltung zurück. Kriegerische Gewaltakte bilden das Zentrum der Inszenierung, die Handlung konzentriert sich auf die Ausübung von Gewalt und bringt die Erzählstränge in Kampfakten zusammen. Bemerkenswert sind dabei vor allem zwei Aspekte: Die Beibehaltung traditioneller Motive der Vermittlung und des Verständnisses von Krieg und das Ausweichen auf historische Konflikte oder sagenhaftes Kriegsspektakel (Beispiele sind u.a. »300«, »The Last Legion«). Sie rufen Faszination auf der Grundlage eines visuellen Gesamterlebnisses für die Rezipienten hervor, aber verzichten auf eine politisch motivierte Aussage.

Das Medium Fernsehen wurde mit dem Vietnam-Krieg das herausragende Medium in der Vermittlung von Kriegsereignissen und hat „die Entertainisierung des postmodernen Krieges eingeleitet“ (Paul 2005, 93), indem es durch eine zeitnahe Übertragung bewegter Bilder in den Lebensbereich der Zuschauer diese an den fernen Geschehnissen partizipieren ließ. Visuell betrachtet hat sich das Fernsehen bei späteren Konflikten auf die jeweils neuen technologischen Möglichkeiten konzentriert, Computerspielbilder in Fadenkreuzoptik oder die Truppen begleitende Journalisten vor Kriegsgerät gezeigt. Nichts Neues, nur dass Direktübertragungen mit Interviews und farbige Umrahmungen mit gesplittetem Bildschirm technisch möglich geworden waren. Der Informationsgehalt wird hier zugunsten des Mediums und seiner formalen Gestaltungsmittel verringert, ohne jedoch visuell innovativ zu sein. Allein diese Konstellation weist daraufhin, dass das Fernsehen an Bedeutung in der visuellen Vermittlung verliert und nur schwer das Interesse des Publikums halten können wird. Der Bedeutungsverlust eines geläufigen Mediums zeigte sich jeweils in Übergangsphasen von einem Medium zu einem anderen mit neuen technischen Möglichkeiten, wie sich das momentan zwischen Fernsehen und Internet vollzieht.

Fasst man diese Punkte zusammen, ergibt sich, dass bestimmte Konzeptionen und Kategorien seit den Anfängen der modernen Kriegsführung im 19. Jahrhundert weiterhin dominant in der visuellen Vermittlung von Kriegsakten sind. Dies gilt besonders für Konzeptionen, die Partizipation versprechen und Extremsituationen fast körperlich erfahrbar machen. Anhand des menschlichen Körpers können Veränderungen des Soldatischen und Heldenfiguren konstituiert werden, die wiederum visuelle Neuerungen und ein transformiertes Verständnis kriegerischer Gewaltakte vermitteln. Bedingt werden diese Bildstrategien durch die technologischen Voraussetzungen. Krieg geriert sich hier als Teil der Massenkultur (Holert/ Terkessidis 2002) und setzt auf spektakuläre visuelle Effekte.

Friedenswissenschaftlicher Ansatz: Der Blick zur Konfliktperipherie

Gewaltakte haben sich als Teil medialer Unterhaltung etabliert, ohne kritisch reflektiert zu werden. Die Auswirkungen kriegerischer Gewalt und das Leiden der betroffenen Menschen fallen zumeist in die Kategorie der Unsichtbarkeit. Dennoch findet die Konfliktperipherie Beachtung: Das Schicksal von Flüchtlingen und die Situation in Flüchtlingslagern werden in der Berichterstattung in filmischen Inszenierungen (z.B. »Blood Diamond«) durchaus berücksichtigt. Ähnlich wie die Bilder von verschiedenen Gewaltkonflikten zu einem kaum mehr differenzierenden Gesamteindruck ineinander laufen, so lassen sich die Bilder der Konfliktperipherie, vor allem wenn sie in Form bewegter Bilder vermittelt werden, nur bedingt unterscheiden. Damit einhergehend verliert auch das Leiden der Menschen an Eindringlichkeit, da die Bilder Assoziationen mit bereits bekannten Bildern vergleichbaren Inhalts hervorrufen. An diesem Punkt kommt dem alten Medium Fotografie eine neue Rolle zu. Durch die gewonnene formale Autonomie kann sich die Fotografie von ihrer Reduzierung auf ein bloßes Eingabemedium lösen und gerade durch das bewusste Einsetzen ihrer formalen Gestaltungsmöglichkeiten Bilder erzeugen, die unterscheidbar sind und aus der Flut der Bilder hervortreten. Die Konfliktperipherie ist bislang kein Teil von Strategien der politisch-militärischen Handlungsebene, obgleich sie bereits in der Konsequenz der gegenwärtigen Entwicklung der gewaltsamen Konfliktaustragung selbst zum Schauplatz kriegerischer Akte wurde. Die Peripherie bleibt weitgehend sich selbst überlassen; sie kann jedoch im Rahmen von visuellen Individualisierungsstrategien Aspekte der direkten Auswirkungen von kriegerischer Gewalt auf die Menschen vermitteln. Die Fotografie ist für eine solche Form der visuellen Vermittlung von der Konfliktperipherie insofern geeignet, als dass sie die Würde der Menschen fassbar machen kann und nicht auf Sensationsgier beschränkt bleiben muss. So kann das Bild auch weiterhin von den Aussagen abweichen, die die politisch-militärische Handlungsebene bezüglich der Auswirkungen der Gewaltanwendung auf die Zivilbevölkerung trifft, wie Peter Turnleys Fotoreportage »The Unseen Gulf War« zeigt, die den Golfkrieg 2003 antizipierend kurz vor Kriegsbeginn online veröffentlicht wurden. Obwohl als chirurgisch präzise vermittelt, sind es Turnleys Fotografien, die ein gegenteiliges Bild zeichnen und Leiden, Zerstörungen und Tod belegen.

Inszenierungen kriegerischer Akte in bewegten Bildern sind es vor allem, die den Kriegsakt in den Mittelpunkt stellen und ihn durch Militärtechnik, die Opferbereitschaft und das anscheinende Heldentum von Einzelfiguren positiv konnotieren und in der Rezeption banalisieren und zum Erlebnis werden lassen. Die tatsächlichen Ereignisse hinter den inszenierten Konflikten verlieren an Bedeutung und Lösungsansätze werden zumeist nur in verstärkter Gewaltanwendung geboten. Ein alternatives Bild, das vom Militärischen wegführt, das auf zivile Aspekte eingeht und die Auswirkungen auf die betroffenen Menschen fokussiert, wird kaum geboten. Hier lassen sich jedoch Bildkonzeptionen entwickeln, die die Dominanz des Kriegsaktes unterbinden und die Peripherie in die Wahrnehmung rücken. Die Fotografie ist hierfür besonders geeignet, weil sie Aufmerksamkeit erringen, Leiden visuell einprägen kann und uns Erinnern lässt (Vgl. Sontag 2003, S28f).

Literatur

Bürger, Peter: Bildermaschine für den Krieg, in: Wissenschaft & Frieden 3/2007.

Brinkemper, Peter V. (2003): Angstbekämpfung im Militainment, Kunstforum International, Bd. 165, Juni/ Juli 2003, S.116-141.

Holert, Tom/ Terkessidis, Mark (2002): Entsichert: Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Köln: Kiepenheuer und Witsch.

Kaldor, Mary (2000): Alte und neue Kriege, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Keilholz, Sascha: Syriana (http://www.critic.de/index.pl?aktion=kritik=&id=440).

Köppen, Manuel (2005): Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Heidelberg: Universitäts-Verlag Winter.

Münkler, Herfried (2003): Die neuen Kriege (4. Auflage), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Paul, Gerhard (2005): Der Vietnamkrieg als Sonderfall und Wendepunkt in der Geschichte der Visualisierung des modernen Krieges?, in: Knieper, Thomas/ Müller, Marion G. (Hrsg., 2005): War Visions. Bildkommunikation und Krieg, Köln: Herbert von Halem.

Sachsse, Rolf (2003): Der Akt des Krieges im Körper des Fotografen, Kunstforum International, Bd. 165, Juni/ Juli 2003, S.98-105.

Schneider, Thomas F., (2005): „Giving a Sense of War As It Really Was“ – Präformation, Marketing und Rezeption von Steven Spielbergs Saving Private Ryan, in: Preußer, Heinz-Peter (Hrsg. 2005): Krieg in den Medien, Amsterdam: Rodopi.

Sontag, Susan (2003): Das Leiden anderer betrachten, München: Carl Hanser.

Turnley, Peter: The Unseen Gulf War (http://www.digitaljournalist.org/issue0212/pt_intro.html).

Virilio, Paul (2002): Desert Screen, London-New York: Continuum.

Bianca Raabe hat Politikwissenschaft, Kunstgeschichte und Medienwissenschaft studiert und zum Thema „Visualisierungsformen gewaltsamer Konflikte seit 1990“ promoviert.

Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen

Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach verliehen

von Andreas Buro und Andreas Zumach

Am 7. März 2009 verlieh die Stiftung Dr. Roland Röhl den Göttinger Friedenspreis an Andreas Zumach. W&F dokumentiert Auszüge der von Andreas Buro gehaltenen Laudatio sowie der Rede des Preisträgers.

Laudatio von Andreas Buro

Mein Glückwunsch, Andreas, zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises! Es ist leicht und gängig, die Welt in Gut und Böse zu unterteilen, wobei man selbst und das eigene Land freilich zu den Guten und die vermeintlichen Gegner zu den Bösen gerechnet werden. Dies hat nicht nur die Folge des Realitätsverlustes, es bewirkt auch die Unfähigkeit selbstkritisch mit dem Handeln der »eigenen Seite« umzugehen. Feindbilder taugen ebenso wenig wie Freundbilder! Andreas Zumach ist dieser so gängigen politischen und journalistischen Falle niemals zum Opfer gefallen. (…)

Ich fühle mich seit Jahrzehnten mit Andreas Zumach befreundet und bewundere seine Arbeit. (…) Kennen gelernt habe ich ihn bei der so genannten »Frühstücksrunde«. Als seinerzeit der NATO-Doppelbeschluss zur Diskussion stand, wodurch ganz Europa in eine kaum noch kontrollierbare Gefährdung atomarer Vernichtung getrieben wurde, strömten aus vielen Teilen der sozialen Bewegungen in Deutschland die Menschen zusammen, um sich gegen diesen wahnsinnigen Auswuchs des Abschreckungswettrüstens zur Wehr zu setzen. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es kaum eine Friedensbewegung gegeben. Sie erstand in dieser Situation in kürzester Zeit wieder auf. In der »Frühstücksrunde« trafen sich ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen, um zu besprechen, wie Öffentlichkeit durch Protest und gewaltfreien Widerstand zu organisieren sei.

Andreas Zumach beteiligte sich konstruktiv an der »Frühstücksrunde« und wurde aufgrund seiner hervorragenden analytischen Fähigkeiten, jedoch auch wegen seines konzilianten Umgangs mit anderen – trotz Härte und Schärfe in der Sache – sehr bald zu einem Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses, der aus der »Frühstücksrunde« hervorging. (…)

Andreas Zumach – 1954 in Köln geboren – studierter Volkswirt und Journalist – war nach zwei Jahren Redakteurstätigkeit von 1981-87 friedenspolitischer Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst. Er war also (…) nicht nur ein Friedensschreiber, sondern immer auch, das gilt bis heute, ein Friedenskämpfer. Er steht für Prävention, Deeskalation und Zivile Konfliktbearbeitung sowie für die Aufdeckung realer Zusammenhänge. Er ist jemand der die Schleier der Legitimationsideologien zu zerreißen versucht. (…)

Heute ist er nicht nur ein hochkarätiger und begehrter Journalist, sondern auch durch zahlreiche Vorträge und Diskussionen an der Basis der Friedensbewegung wie in der Öffentlichkeit präsent. Er arbeitet für viele regionale und nationale Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen, ferner für das »Network for European and Transatlantic Security« und das »Project for European Nuclear Nonproliferation«. (…)

Die Hürden für Friedenskämpfer und -schreiber wie Andreas Zumach sind sehr hoch. Gewalt ist tief in unserem Unterbewußtsein verwurzelt. Legitimationsideologien vom angeblich »Gerechten Krieg« bis zur »Humanitären Intervention« versuchen immer wieder, die grausame Brutalität des Krieges, also des gewaltsamen Konfliktaustrages, zu rechtfertigen , ja sogar zu verherrlichen. Interessen von Militär und Rüstungsindustrie verschleiern und verharmlosen und zeigen mit spitzen Fingern auf die angeblichen »Vaterlandsverräter«, »Nestbeschmutzer« und »Kollaborateure feindlicher Mächte«, die ausplaudern, was doch geheim bleiben soll. (…) Angesichts dieser vielen Hürden ist es um so bewundernswerter, dass es Andreas Zumach gelungen ist, den Kampf gegen die Hydra von Widrigkeiten so erfolgreich zu führen. Dabei ist er in seiner Deutlichkeit, die Verhältnisse beim Namen zu nennen, keineswegs zimperlich. (…) Erinnern Sie sich noch an den Rüstungsbericht der irakischen Regierung an den UN-Sicherheitsrat? Zumach hat ihn mit allen Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit gebracht. Über 80 deutsche Unternehmen und viele aus den USA hatten bis 2001 an den Diktator des Irak, Saddam Hussein, Elemente zur Entwicklung atomarer, konventioneller, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen geliefert. Selbst das Gift Anthrax stammte aus US-Laboratorien. Die USA haben den Bericht sogleich unter Verschluss genommen und von 12.000 Seiten 9.000 geschwärzt. Alles sollte verheimlicht werden. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stimmten dem zu. Zumach hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Doch Andreas Zumach ist nicht allein ein investigativer Journalist. Er konzentriert sich auch auf Möglichkeiten, wie Konflikte friedlich eingehegt und bearbeitet werden können. In diesem Sinne arbeitet er sich an den Internationalen Organisationen und am Völkerrecht ab. (…) Er deutet Zusammenhänge, Hintergründe und Strategien und macht sie für viele erst verständlich. Seine Bücher über die »Vereinten Nationen« (1995) , »Irak – Chronik eines gewollten Krieges« (2003 zusammen mit Hans-Christoph von Sponeck) und »Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?« (2005) sowie zahlreiche Aufsätze kreisen immer wieder um diese Themen.

Andreas Zumach erhält den Göttinger Friedenspreis heute für seine bisherigen hervorragenden Leistungen. Doch einer seiner Buchtitel weist schon auf die Zukunft, auf die kommenden Kriege. Was werden sie und die militärisch-technologische Entwicklung für Friedenskämpfer und -schreiber bereit halten? Welche weiteren Hürden werden sie auftürmen? Mit großer Sorge lerne ich, dass ein neues Schlachtfeld jenseits von konventionellen, nuklearen, chemischen und biologischen Waffen aufgebaut wird, dessen Wurzeln weit in die Militärgeschichte hinein reichen, das jedoch nun eine neue Qualität erreicht. Das Stichwort heißt Cyberwar. Ein unsichtbarer Krieg, der ohne Kriegserklärung oder Ankündigung auslösbar ist. Er kann ganze Volkswirtschaften und die überall arbeitenden Kommunikations- und Regelsysteme zusammen brechen lassen. Aggressoren können zudem alles abstreiten und sich sogar hinter anonymen Hackern verstecken. (…)

Der Höhepunkt all dieser und ähnlicher Vorfälle markierte der von Sicherheitsexperten als »erster Cyberkrieg« eingestufte Angriff auf Estland im Frühjahr 2007, als Hacker nahezu ganz Estland lahm legten – ein groß angelegter Angriff, hinter dem der russische Geheimdienst vermutet wurde und der seither die NATO beschäftigt. In den USA sei man indes schon um Lichtjahre voraus. So beabsichtige der frühere US-amerikanische Präsident George W. Bush mit einer zweistelligen Summe im Milliardenbereich eine »Cyber-Initiative« für die nächsten sieben Jahre flankieren zu wollen. Dabei handle es sich, wie US-Minister Chertoff betonte, um ein neues »Manhattan Project«. (…)

Selbstverständlich hoffe ich, indem ich auf dieses neue Schlachtfeld verweise, auf die Aufklärungsarbeit von Menschen aus der Friedensbewegung und der Friedensforschung. Aber viele – so auch ich – setzen auch auf Andreas Zumach und auf viele seiner Kolleginnen und Kollegen, denen damit freilich eine neue schwere Last aufgebürdet wird. Andreas Zumach hat sich um mehr Frieden in der Welt verdient gemacht. Die Friedensbewegungen in zahlreichen Ländern haben ihm sehr viel zu verdanken. Große Erwartungen ruhen weiterhin auf ihm.

Viel Glück Andreas für Deine zukünftige Arbeit und nochmals meine Gratulation zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises.

Rede des Preisträgers Andreas Zumach

Vor genau 30 Jahren, Ende Februar 1979, habe ich angefangen als Journalist zu arbeiten, zunächst bei der Westberliner Zeitung »Die Neue«, die damals zeitgleich mit der »tageszeitung« (taz) gegründet wurde. Seitdem beschäftige ich mich überwiegend mit Kriegen und anderen internationalen Konflikten, ihren Ursachen und möglichen Lösungsstrategien. Dabei gilt mein Interesse vorrangig zivilen Instrumenten zur Bearbeitung von Konflikten und ihrer Stärkung – von der Früherkennung und Prävention über die Diplomatie zur Beendigung gewaltförmiger Eskalation bis hin zur Nachsorge für die oftmals schwer traumatisierten Opfer sowie den Versöhnungsbemühungen zwischen den vormalig kriegsführenden Parteien und dem Wiederaufbau.

Wenn Sie mich fragen, was der Journalismus in diesen 30 Jahren zum Frieden beigetragen hat, fällt mir nicht viel ein. Ich könnte einige wenige Kolleginnen und Kollegen nennen, wie zum Beispiel Anton Andreas Guha, den früheren langjährigen Redakteur der »Frankfurter Rundschau«. Doch die große Masse derjenigen, die überhaupt noch über diese Themen berichten, orientieren sich vorrangig oder ausschließlich an den für Krieg und den gewaltsamen Austrag von Konflikten verantwortlichen politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs. Die meisten sind unkritische, oftmals überforderte MitläuferInnen mit mangelnder professioneller Distanz zu den Mächtigen. (…)

Ich teile auch nicht die Meinung oder das Selbstwertgefühl mancher zumeist männlicher Kollegen, wonach Journalismus, der sich mit internationalen Konflikten befasst oder gar über Kriege berichtet, wichtiger sei als der Journalismus, dessen Gegenstand innen- oder lokalpolitische Themen sind. Die Sitzungen und Entscheidungen des Göttinger Stadtrates erfordern genauso wachsame journalistische Begleitung und Kontrolle, wie die Handlungen der Bundesminister Steinmeier und Jung oder die Aktivitäten der Bundeswehr in Afghanistan. Der Unterschied ist allerdings, dass es bei internationalen Konfliktthemen nicht selten um den Einsatz von Gewalt geht, um Leben und Tod, um Zerstörung und Vernichtung – also um Entscheidungen und Handlungen, die oftmals endgültige, katastrophale Konsequenzen haben, und – anders als ein noch so falscher Beschluss des Göttinger Stadtrates – nicht mehr korrigiert werden können.

Ich nenne im folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) vier politische und strukturelle Ursachen und Rahmenbedingungen, die vielleicht erklären können, warum der Beitrag des Journalismus zum Frieden zum Frieden so gering ausfällt.

Regierungs- und elitenfixierter Meutenjournalismus bei außen- und sicherheitspolitischen Themen: Die Unabhängigkeit und professionelle Distanz von JournalistInnen zu den politischen EntscheidungsträgerInnen und den Militärs ist schon in Friedenszeiten sehr gering. Wenn das eigene Land an einem internationalen Konflikt oder gar Krieg beteiligt ist, existieren Unabhängigkeit und professionelle Distanz oft überhaupt nicht mehr. Analysen oder Konfliktlösungskonzepte aus der Zivilgesellschaft haben dann kaum eine Chance, von den Medien beachtet zu werden.

Immer raffiniertere Kriegspropaganda sowie die Einbindung von JournalistInnen und Medien in Kriegsvorbereitung und Kriegsführung: Das Pentagon hat für das Vietnam-Kriegsdesaster der USA die »mangelnde Unterstützung« durch die US-Medien verantwortlich gemacht und aus dieser Erfahrung immer raffiniertere Medien- und Öffentlichkeitsstrategien für künftige Kriege entwickelt. (…)

Die Diktatur der modernen Online-Kommunikationstechnologien: Die JournalistInnen und KorrespondentInnen im Ausland stehen auf Grund der heute verfügbaren schnellen und leicht transportablen Kommunikationstechnologien (Digitalkamera mit Soundsystem plus Satellitentelefon) unter großem Druck ihrer Heimatzentralen, schnell Filme/Bilder/Töne in die Zentralen zu schicken ohne die notwendigen journalistischen Recherchen zu unternehmen.

Privatisierung der elektronischen Medien und Kostendruck: Die infolge der Privatisierung seit Ende der 70er Jahre über ARD, ZDF und die Dritten Programme hinaus entstandenen zusätzlichen elektronischen Medien haben zu einem verschärften Konkurrenzdruck geführt und zu einer Absenkung der journalistischen Qualität auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Die Berichterstattung über internationale Konflikte ist davon besonders stark betroffen.

Alle diese Rahmenbedingungen, so übermächtig und bedrückend wir sie als JournalistInnen und als MedienkonsumentInnen auch erleben, sind weder ein Naturgesetz noch gottgewollt oder Schicksal. Sie sind sämtlich von Menschen geschaffen und können daher auch von Menschen wieder korrigiert werden. Das wird allerdings nicht von außen geschehen durch neue Gesetze, politische Rahmenrichtlinien und Ähnliches, sondern nur durch Widerspruch und Widerständigkeit innerhalb der Medien. (…)

Ich bevorzuge daher den Begriff »konfliktsensitive Berichterstattung«, den meine Kollegin Nadine Bilke von der Online-Redaktion des ZDF geprägt hat. »Konfliktsensitiv« heißt in erster Linie, als JournalistIn alle an einem Konflikt Beteiligten und von ihm betroffenen Gruppen und Personen wahrzunehmen und nicht nur wie so häufig diejenigen, die auf militärische Mittel setzen und darüber verfügen, oder diejenigen, die über Propagandainstrumente zur aktiven Einflussnahme auf die Medien verfügen. Das heißt nicht, als JournalistIn »überparteilich« zu berichten, sondern »allparteilich«. Das setzt allerdings voraus, dass sich JournalistInnen zunächst über ihren eigenen Standpunkt im Klaren sind. Sie sind gefangen in ihrer Kultur, ihre Entscheidungen sind vom Mediensystem vorgeprägt, ihre Informationen werden von EntscheidungsträgerInnen ihrer Gesellschaft gefiltert. Aber selbst, wenn sie frei von derartigen Einflüssen und Prägungen wären und uneingeschränkt berichten könnten, wäre ihre Nachricht stets nur eine mögliche Version der Geschichte. 100-prozentige Objektivität, die viele, insbesondere männliche Journalisten, gerne für sich oder ihre Medien reklamieren, gibt es nicht. Es kann immer nur darum gehen, der Wahrheit eines Ereignisses so nahe wie möglich zu kommen. (…) Ausrichten sollte sich dieser Journalismus an drei Grundorientierungen: Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Nach meiner Meinung gelten diese drei Grundorientierungen universell und kulturübergreifend – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung historisch und kulturell bedingter unterschiedlicher Interpretationen und Verständnisse dieser drei Begriffe. Aus diesen drei Grundorientierungen lassen sich für die praktische Arbeit von JournalistInnen die folgenden professionellen Kriterien ableiten: Wahrhaftigkeit, Richtigkeit, Relevanz und die Form der Vermittlung. (…)

25 Jahre Wissenschaft & Frieden

25 Jahre Wissenschaft & Frieden

von Jürgen Nieth

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Im Oktober 1983 – vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe von Wissenschaft & Frieden. Werfen wir einen Blick zurück: Nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Friedensbewegung stärker und in der Öffentlichkeit präsenter als in diesem Jahr 1983. Hunderttausende demonstrierten während des Ev. Kirchentages in Hannover gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missile, fast anderthalb Millionen beteiligten sich am 22. Oktober an den Demonstrationen in Bonn, Berlin und Hamburg sowie an der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm. Sechs Millionen hatten den Krefelder Apell unterschrieben, mit der Aufforderung „an die Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen.“

Die Friedensbewegung bediente sich aber nicht nur vielfältiger Protestformen, sie entwickelte auch eine bis dahin in dieser Breite nie gekannte wissenschaftliche Kompetenz. Ermöglicht wurde Letzteres u.a. durch eine Palette wissenschaftlicher Literatur und die Herausbildung zahlreicher berufsspezifischer Friedensinitiativen. Bereits 1982 hatte sich die »Deutsche Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW) gegründet. 1983 wurde mit dem Mainzer Kongress der Grundstein für die Bildung der »NaturwissenschaftlerInnen-Initiative – Verantwortung für den Frieden« gelegt. Es folgten die Friedensinitiativen der Juristen, der Psychologen, der Kulturschaffenden, der Pädagoginnen und Pädagogen, der Historiker, der Städtepläner usw. Diese Situation rief geradezu nach einem Informationsdienst an der Schnittstelle von Friedenswissenschaft und Friedensbewegung. Der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen ergriff die entsprechende Initiative.

Doch trotz aller Widerstände begann am 10. Dezember 1983 die Stationierung der atomaren Mittelstreckenraketen in der BRD. Die Rüstungsspirale drehte sich weiter und mit den US-amerikanischen Plänen zur Weltraummilitarisierung (SDI) drohte eine neue Eskalationsstufe.

Im ersten Editorial von W&F schrieben Rainer Rilling und Paul Schäfer: Der Infodienst „wird

• bundesweit friedenspolitische Aktivitäten im Wissenschaftsbereich dokumentieren…

• einen interdisziplinären Erfahrungs- und Informationsaustausch organisieren helfen…

• Analysen und Materialien zum Problemkreis Rüstungsforschung, Militarisierung der Wissenschaft etc. liefern.“

W&F wurde mit dieser Linie zu einer wichtigen Informationsquelle der Bewegung.

1986 gaben dann die USA und die Sowjetunion in Reykjavik ihre harten Positionen auf: Rüstungskontrolle und Abrüstung schienen machbar. 1989/90 dann die Implosion des Warschauer Paktes, die NATO verlor den Feind und in der Bevölkerung wuchs die Hoffnung auf eine Friedensdividende. In einem kurzen Zeitfenster stellte sich damit auch die Frage nach dem Charakter und der Notwendigkeit von W&F.

Doch spätestens Mitte der 1990er Jahre wurde sichtbar, die Welt war nicht friedlicher nach dem West-Ost-Konflikt. Zerfallende Staaten, neue Kriege und das Streben der übrig gebliebenen Weltmacht nach absoluter Dominanz prägten das Bild. Rüstungsausgaben und Rüstungsexporte stiegen wieder. Mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien kam es dann auch zum offenen Bruch des Völkerrechts durch die NATO und das mit Beteiligung der deutschen Bundeswehr. Eine Bundeswehr, die heute mit über 6.000 SoldatInnen in elf Ländern im Einsatz ist und wieder Krieg führt. Siehe Afghanistan!

Die Welt ist unübersichtlicher geworden und neue Themen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, wie z.B. die Folgen der Globalisierung, die Verletzung der Menschenrechte, die Aushebelung des Völkerrechts, die Privatisierung der Kriege. Gleichzeitig rücken aber auch »alte« Konfliktfelder wieder ins Blickfeld: Bestehende Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen werden nicht eingehalten, wie z.B. der Atomwaffensperrvertrag; die Rüstungsspirale dreht sich wieder schneller – das wird nicht nur in der A-Waffenforschung und der Weltraummilitarisierung sichtbar; zur Sicherung von Ressourcen und von Einflusssphären wird verstärkt auf die militärische Karte gesetzt; neben dem neuen Feindbild Islam wird auch das alte aus dem Ost-West-Konflikt wieder aufpoliert.

Der Start eines politischen Projektes wie W&F muss den Wunsch beinhalten, sich selbst überflüssig zu machen. Ziehen wir nach 25 Jahren Bilanz, dann müssen wir aber leider erkennen, dass wir davon sehr weit entfernt sind. Auf eine Stimme, die sich unbeirrbar und konsequent für friedliche Konfliktlösungen einsetzt und die wissenschaftlich fundiert Wege hin zu einer gerechteren und zukunftsfähigen Welt aufzeigt, kann nicht verzichtet werden.

Unser Dank gilt allen, die W&F über die Jahre unterstützt haben – durch Artikel und als AbonnentInnen. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass diese Stimme deutlicher gehört wird.

Ihr Jürgen Nieth

Rückblick »nine-eleven«

Rückblick »nine-eleven«

von Jürgen Nieth

Präsident Bush nahm den 11. September zum Anlass, den
Terroristen den Krieg zu erklären, einen Krieg von unbestimmter Dauer,
verbunden mit dem Versprechen, den Terrorismus endgültig zu vernichten. Drei
Jahre später – und nach zwei Kriegen – fällt die Bilanz eher düster aus.

Al Qaida zum 11.9.

Pünktlich zum Jahrestag hat sich der Stellvertreter Bin
Ladens, Aimann al-Sawahiri, per Video-Botschaft zurückgemeldet und die
Niederlage der USA in Afghanistan und im Irak vorausgesagt: Sie haben nur die
Wahl „auszubluten“ oder sich zurückzuziehen und „alles zu verlieren“.
(»Spiegel« 13.09.04, S. 109).

Tatsächlich haben weder die Besatzungstruppen noch die
eingesetzten Regierungen in Kabul und Bagdad das Land unter Kontrolle.

Karzai verhandelt mit dem Teufel

Der Lage in Afghanistan vor den Wahlen nimmt »Der Spiegel«
unter die Lupe (13.09.04, S. 126 ff.) und schildert wie (Ex-)Terroristen und
grausame Despoten im Wahlkampf nach oben gespült werden. „Die US-Amerikaner
jagen … die Hisb-i-Islami Kämpfer als Mitglieder einer terroristischen
Organisation und schicken sie ins US-Gefängnis nach Guantanamo Bay, … (doch
ihr) Spitzenmann Faruki sieht nicht aus wie ein Verlierer. Er steht unter dem
persönlichen Schutz von Präsident Karzai, deshalb werden ihn die Amerikaner
auch nicht verhaften … Um die jetzige Wahl zu gewinnen, verhandelt Karzai
sozusagen mit den Teufeln, selbst mit den Taliban, dort konkret mit Mullah
Omars ehemaligem Außenminister Wakid Ahmed Muttawakil. »Sie sind Söhne dieser
Erde und uns bis auf ein paar wenige hochwillkommen«, bot der Paschtune Karzai
den Koranschülern jüngst bei seinem Besuch in Pakistan an.“

Generäle gegen erweiterten Afghanistan Einsatz

18.000 Soldaten der USA und ihrer Verbündeten stehen derzeit
in Afghanistan. Die Bundeswehr ist in Kabul und in Kundus. Die jetzt von
Verteidigungsminister Struck angeordnete Verlegung von 85 Soldaten nach
Faisabad – zur Wahlsicherung – stößt nach einem Bericht der »Rheinzeitung«
(13.09.04) auf Widerstand bei Generälen: Struck wird vorgeworfen „eine
»Entscheidung ohne Konzept« getroffen zu haben. Die Niederländer, die
ursprünglich mit den Deutschen mitmachen wollten, nahmen wie mehrere andere
Nationen – unter ihnen die Skandinavier und Spanier – »Abstand vom Gang nach
Faisabad«.“ Die Rheinzeitung weist darauf hin, dass die deutschen Soldaten „in
Faisabad keine von der Bundesregierung geförderten zivilen Hilfsprojekte
schützen können … (und) die Soldaten … möglichen Kämpfen der afghanischen
Warlords um die Drogen-Einnahmequellen ausgeliefert (seien). Die Provinz gehört
zu den bedeutendsten Mohnanbaugebieten.“

Über 1.000 tote US-Soldaten

Vom Frieden ist auch der Irak weit entfernt. Seit dem
offiziellen Kriegsende sind dreimal mehr US-Soldaten gefallen als im Krieg. Die
Zahl der getöteten US-Soldaten hat Anfang September die 1.000 überschritten,
mehr als 7.000 Verwundete wurden seit Kriegsbeginn zurückgeholt. Amnesty
international schätzt die Zahl der getöteten Iraker auf über 10.000
(FR.09.09.04). Die US-Soldaten haben weite Teile des Iraks nicht unter
Kontrolle.

Späte Kriegskritik

Der Irakkrieg habe gegen die UN-Charta verstoßen, erklärte
der UN-Generalsekretär, Kofi Annan, im einem Interview der britischen BBC
(15.09.04). Für ihn sei die Invasion der USA und ihrer Verbündeten ein „illegaler
Akt“.

Kritik am Krieg auch US-intern. Die »Frankfurter Rundschau«
(12.09.04) zitiert aus dem Abschlussbericht des US-Untersuchungsausschusses zum
11.09., ein Gremium, dem fünf Republikaner und fünf Demokraten angehörten: „Die
pauschale Feinddefinition »Terrorismus« sei zu »diffus und vage«.“
Die
Bedrohung „besteht nach Ansicht der Kommission nicht nur in möglichen neuen
Anschlägen durch Al Qaeda, sondern auch in der »radikalen ideologischen
Bewegung« hinter dem Terrornetzwerk … (Darauf) habe man noch keine Antwort
gefunden. Vielmehr gewinne diese Bewegung in der islamischen Welt an Kraft,
während die USA an Ansehen verlören.“

Die FR zitiert weiter das US-Magazin »Atlantic Monthly«, das
zahlreiche Terrorismus-Experten befragt hatte und deren Meinung zusammenfasste:
„»Sie neigen dazu Amerikas Reaktion auf den 11.September als Katastrophe zu
sehen« … Statt der ideologischen Herausforderung Al Qaedas etwas
entgegenzusetzen, sei den Terroristen mit dem Irak-Krieg ein Geschenk gemacht
worden. Mit dem Krieg habe sich die (terroristische) Bedrohung der USA erhöht
und gleichzeitig hätten sich die militärischen, finanziellen und diplomatischen
Mittel, darauf zu reagieren, reduziert.“

Weiterhin schlechte Aussichten

Die »New York Times« vom 16.09.04 berichtet unter Berufung
auf US-Regierungsvertreter über ein Papier von Geheimdienstexperten, das der
Bush-Regierung Ende Juli übergeben wurde. Dazu die FR (17.09.04): „Darin
werden drei mögliche Entwicklungen bis Ende 2005 skizziert. Im schlimmsten Fall
drohe ein Bürgerkrieg, im besten Fall entwickle sich ein Staat, dessen
Sicherheitslage und politische wie wirtschaftliche Stabilität stark gefährdet
seien. Die Geheimdienstanalyse ist den Angaben zufolge die erste über den Irak
seit Oktober 2002. »Da steckt eine erheblich Menge Pessimismus drin«, zitiert
die Zeitung einen Regierungsmitarbeiter.“

Über Ursachen des Terrors nachdenken

Befragt nach der Bedeutung der Entwick­lungshilfe angesichts
des Terrorismus, antwortet der Präsident der Weltbank, James Wolfensohn, in der
FAZ (09.09.04): „Ich bin überzeugt, dass man auf keinen Fall die
Entwicklungsfrage verschieben kann, unabhängig davon, ob wir es mit dem
Terrorismus zu tun haben oder nicht. Das Geld, das dafür im Gespräch ist, kommt
nicht annähernd an die 900 Milliarden Dollar heran, die auf der Welt für Verteidigung
ausgegeben werden … Man muss den Menschen schon eine Hoffnung geben. Es ist
schwer, einem jungen Muslim in den Palästinensergebieten, der nie eine Arbeit
gehabt hat, davon zu überzeugen, sich an einen Friedensschluss zu halten … Die
Bekämpfung von Armut allein setzt dem Terrorismus kein Ende. Aber sie beseitigt
Instabilitäten und Kriege in vielen Teilen der Welt.“

15 Jahre Wissenschaft und Frieden

15 Jahre Wissenschaft und Frieden

Streiflichter von der Festveranstaltung

von Redaktion

15 Jahre Wissenschaft und Frieden: Vom Oktober 1983 bis zum Dezember 1998. AutorInnen aus Deutschland, den USA, Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich, Russland, Japan und vielen anderen Ländern haben in diesen 15 Jahren in 63 Ausgaben von W&F mit rund 1.500 Artikeln Position bezogen. Ein Grund zu feiern, nicht nur für Redaktion, Vorstand und Herausgeber. Über Hundert Aktive aus den Friedensinitiativen der WissenschaftlerInnen, aus Friedensforschungsinstituten, Hochschulen, aus Friedens- und Menschenrechtsorganisationen folgten am 15. Januar der Einladung von W&F in die Hessische Landesvertretung, fanden Zeit und Gelegenheit zum Gespräch miteinander; zur Erinnerung und zur Diskussion des wie weiter unter den neuen politischen Rahmenbedingungen. Um die Zukunft der Friedens- und Konfliktforschung ging es auch in einigen der hier auszugsweise dokumentierten Grußworte.

Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn:

…Ich darf Sie heute Abend ganz herzlich in der Stadt Bonn begrüßen. Der 15. Geburtstag einer Zeitschrift ist nicht ein Termin, den die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn als Pflichttermin wahrnehmen müsste. Zu Ihrem Geburtstag bin ich jedoch ganz besonders gerne gekommen…

Ich bin gekommen, um Ihnen zu gratulieren: Herzliche Glückwünsche der Stadt Bonn zum 15. Geburtstag, herzliche Glückwünsche zu 15 Jahren engagierter Arbeit! Ich bin aber auch gekommen, weil ein solcher Tag zwingt, die eigene politische Biographie zu rekapitulieren. Eine politische Biographie, die eng verbunden ist mit der Friedensbewegung…, die eng verbunden ist mit den politischen Diskussionen um friedenserhaltende und friedensstiftende Maßnahmen.

Wir alle, und viele von Ihnen kenne ich aus sehr unterschiedlichen politischen Zusammenhängen, haben die sicherheitspolitischen Auseinandersetzungen der 80er Jahre geführt. Geprägt war diese Zeit durch den Glauben, dass wir Frieden erhalten könnten, und das ist ja für manche Teile der Welt, z. B. für unser Land, gelungen.

Am Ende der Neunziger muss man trotzdem sagen, dass das Ziel, das wir damals vor Augen hatten, nur teilweise erreicht worden ist. Konflikte und Kriege bestimmen immer noch weite Teile dieser Welt und selbst auf europäischem Boden machen sie nicht halt. Dennoch war es wichtig und ist es wichtig, dass es ein Dialogforum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gibt, wie es die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« darstellt.

Durch ihre hervorragende Arbeit haben Sie in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, Konfliktlösungsstrategien und friedenserhaltende Maßnahmen zu durchdenken, zu diskutieren, aber auch Ursachen von Konflikten wissenschaftlich aufzuarbeiten. Sie haben ein Forum gegeben, auf dem Wissenschaftler aus der Bundesrepublik und aller Welt ihre unterschiedlichen Meinungen austauschen konnten. Sie haben Diskussionsprozesse angestoßen, die in vielen Fällen zu intensivem Engagement von Menschen für den Frieden geführt haben.

Ich bin aber auch deshalb gerne gekommen, weil die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden« seit zehn Jahren ihren Sitz in Bonn hat und hervorragend zu den Zukunftsprofilen unserer Stadt passt.

»…war es wichtig und ist es wichtig, dass es ein Dialogforum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gibt, wie es die Zeitschrift W&F darstellt «

Die Bundesstadt Bonn ist nicht nur Sitz des Ministeriums für Bildung und Forschung, sondern auch Sitz des Zentrums für europäische Integrationsforschung, des Zentrums für Entwicklungsforschung, aber auch der UN-Organisation Volunteers against Conflict. Bonn wird in Zukunft der Sitz vieler Entwicklungseinrichtungen sein, ist der Sitz von vielen NGOs, die sich auch mit friedenserhaltenden Maßnahmen beschäftigen.

Willy Brandt, der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und langjährige Parteivorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat 1986 gesagt: „Friede ist sicherer geworden, aber wie wir wissen nicht sicher.“

Ich wünsche Ihnen und uns heute Abend, dass der Friede noch ein Stück sicherer werden möge, durch die Arbeit dieser Zeitschrift in den nächsten Jahren…

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Einen schönen Verlauf“ wünschte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, der 15-Jahrfeier von W&F. Sie schreibt, dass sie gern – wie angekündigt – der „Einladung entsprochen und bei der 15-Jahrfeier mitgewirkt hätte“, aber leider ein kurzfristig anberaumter Termin dazwischen gekommen sei. Gleichzeitig informiert Frau Bulmahn mit ihrem Schreiben über einige Gedanken zur weiteren Vorgehensweise bezüglich der Friedens- und Konfliktforschung. Sie verweist auf die Koalitionsvereinbarung, aus der abzulesen sei, „dass ein wirklich neuer und breiter Anlauf unternommen werden soll, Wissenschaft und Forschung für eine deutsche Politik der Friedensgestaltung zu mobilisieren und mit langfristiger Absicht im gesamten Wissenschaftssystem zu stärken.“

»Neue Fördermöglichkeiten für die Friedens- und Konfliktforschung «

Sie gibt der Zuversicht Ausdruck, dass die in der Friedens- und Konfliktforschung Tätigen „die vielen guten Vorschläge aus den zurückliegenden Jahren im Lichte der gegenwärtigen Situation nochmals durchdenken und womöglich so aufbereiten, dass sie in einen konzentrierten Prozeß im Frühjahr einfließen können.“ Weiter teilt sie mit, dass zu entsprechenden Gesprächen eingeladen werde und sie hoffe, dass „erste Fördermöglichkeiten bald wieder geschaffen werden können.“

Hansvolker Ziegler, Bundesministerium für Bildung und Forschung:

Hansvolker Ziegler aus dem BMBF, in dessen Bereich die Friedens- und Konfliktforschung fällt, legte Wert darauf festzustellen, dass er Frau Ministerin Bulmahn „in ihrer einzigartigen Rolle über viele Jahre Ansprechpartnerin für die gesamte Landschaft der »concerned scientists«“ zu sein, nicht vertreten könne. Er selbst habe unter der Regierung Kohl die „Abwicklung der verbliebenen »Sonderförderung« der DFG für Friedens- und Konfliktforschung“ durchführen müssen. Nur die kleine Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn sei wie ein Wunder in der Förderung des BMBF erhalten geblieben.

In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung sei festgehalten worden, dass sich die neue Bundesregierung einsetzt „für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung… Hierzu gehört neben der finanziellen Förderung der Friedens- und Konfliktforschung und der Vernetzung bestehender Initiativen, die Verbesserung der juristischen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen für die Ausbildung und den Einsatz von Friedensfachkräften und -diensten.“ Damit gebe es jetzt eine neue Basis für eine umfassende Neugestaltung, bei der viele Ressorts zusammen wirken müssten, „damit keine nur isolierten Aktivitäten entstehen, sondern Forschung und Bildung einen gewichtigen Beitrag zu einer deutschen Politik der Friedensgestaltung erbringen können.“

»Wir brauchen eine breite Diskussion über die Modelle der Förderung von Friedens- und Konfliktforschung «

Hansvolker Ziegler bat um Verständnis dafür, dass bei einem „solchen Neuanfang, die Erwartungen auf ganz schnelle Lösungen enttäuscht werden müssen.“ Zuerst müssten wieder Menschen gefunden werden, die die Sache in die Hand nehmen. Er stellte den Anwesenden in diesem Zusammenhang Frau Irene Rüde vor, die sich hoffentlich diesem Aufgabenbereich zukünftig schwerpunktmäßig zuwenden wird.

Abschließend betonte er die Notwendigkeit einer breiten Diskussion über die Thematik und auch die Modelle der Förderung, „es reiche nicht, einfach das wieder zu beleben, was vor sechszehn Jahren unter ein politisch negatives Verdikt kam.“

Prof. Dr. Ulrich Albrecht, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung:

Ich beginne mit William Shakespeare, Hamlet:

Hamlet: Seht ihr die Wolke dort, beinahe in Gestalt eines Kamels?

Polonius: Beim Himmel, sie sieht wirklich aus wie ein Kamel.

Hamlet: Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.

Polonius: Sie hat einen Rücken, wie ein Wiesel.

Hamlet: Oder wie ein Walfisch.

Polonius: Ganz wie ein Walfisch.

Selbst was wir sehen, um zu schweigen von dem, was wir lesen, so der große Spötter Shakespeare, liegt offenbar im Zweifel.

Der Luftkrieg im Irak beschäftigt uns leider wiederholt. Der Angriff der »Operation Dessert Storm« vom 17. Januar 1991 konnte per Satellit weltweit am Bildschirm verfolgt werden.

Nur: Es waren nicht die Militärs, immerhin eine öffentliche Einrichtung, sondern es war das Privatunternehmen CNN, welches anfangs die Bilder vom Golfkrieg lieferte. Was Shakespeare noch nicht karikieren konnte: Was wir vom Krieg, von Rüstung wissen, erfahren wir zu einem Teil – zu welch einem eigentlich? – von kommerziellen Unternehmen.

»Selbst was wir sehen… liegt offenbar im Zweifel «

Der französische Medienphilosoph Paul Virilio nutze die Formel von der »Technisierung des Sehens« …, dass mit dem Erfolg der hochtechnischen Waffensysteme gleichzeitig die Verheimlichung ihrer Wirkung verbunden, ja diese Wirkung abhängig ist von Verheimlichung. Wir wissen bis heute nicht, wieviel Tote der Golfkrieg zu Beginn dieses Jahrzehnts gefordert hat…

Es bleibt festzuhalten: Was wir sehen, so Hamlet gegen Polonius, liegt im Zweifel, es wird zudem zweitens – zu einem ungewissen Teil – kommerziell dargeboten und wir erfahren drittens nicht hinreichend genug über die Folgen.

Medien sind für militärische Zwecke instrumentierbar, ja offenbar militarisierbar. Die mediale Unschuld, der Anspruch, nur neutral zu informieren, den gibt es gerade in Kriegs- und Rüstungsdingen schon lange nicht mehr… Wir könnten weiter sehen, wenn wir die Geschichte unseres Problems zur Kenntnis nehmen würden… Wenn die Beobachtung des Kriegsgeschehens selbst zur Waffe, zur politischen Waffe wird, dann wird… die genaue Beobachtung von Krieg und Kriegsvorbereitung, die Verwendung von wissenschaftlicher Genauigkeit für den Wissenschaftler zur Pflicht.

Lobendes über W&F:

Der aufmerksame Zuhörer bemerkt längst, dass diese Thesen den Weg vorbereiten für die Laudatio auf den Jubilar, W&F, nunmehr das 15. Erscheinungsjahr vollendend. Ich würde gern den Ursprung der Zeitschrift im Nachrüstungsprotest der ersten Hälfte der 80er Jahre vergleichen mit einem anderen Schlüsselvorgang der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Auseinandersetzung um die nukleare Ausrüstung der Bundeswehr in der zweiten Hälfte der 50er Jahre… (in diesem Kontext entstanden die Blätter für deutsche und internationale Politik, Argument, Konkret und Atomzeitalter). Während die Zeitschriftenprojekte des Jahres 1958 bezeichnenderweise der linken Kritik, ja marxistischen Positionen verpflichtet waren, aber ihre wenig spezifischen Titel wählten, ist es 25 Jahre später anders. Wissenschaft und Frieden drückt mit der Wahl der Selbstbezeichnung eine dezidierte Positionsnahme aus, die aber in der Umsetzung nicht mehr so deutlich für die marxsche Gesellschaftsanalyse eintritt… W&F (ist) wesentlich internationaler… angelegt als die Vorjournale, während die Militärkritik heute gleichermaßen viel konkreter ausfällt. Auch das Erscheinungsbild unterscheidet sich sehr: … W&F (hat) einfach eine andere, modernere Blattkultur…, ganz zu schweigen von der CD-ROM, auf der man die Zeitschrift nunmehr haben kann.

Als derzeitiger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung möchte ich diesen Teil schließen mit einigen Reflexionen über das Verhältnis von Friedensforschung und den Lesern und Machern der Zeitschrift, dem friedenspolitisch aufgeschlossenen Teil der politischen Linken. Das Verhältnis war spannungsreich, auf mehreren Ebenen. Die verhältnismäßig kleine Community der Friedensforschung wird recht kritisch wahrgenommen, etwa von dem Bereich Internationale Politik bei den Politologen… Aber auch die allgemeine politische Linke setze die Friedensforschung unter Ideologieverdacht – der fehlten doch die angemessenen, die marxschen Kategorien zur Analyse der Realität.

»… hat die kritische Friedensforschung und die kritische Linke aufeinander zugeführt »

Ich meine, die kollektive Erfahrung des Raketenprotests in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, welche W&F erzeugte, hat beide Richtungen, die kritische Friedensforschung sowie die kritische Linke, aufeinander zugeführt. In der Linken wurde akzeptiert, dass die wissenschaftlich hinreichende Analyse der empörenden Realität einschlägige Forschung erfordert, und in der Friedensforschung, wenigstens in ihrem kritisch engagierten Teil, wurde erkannt, dass ohne Bezug auf soziale Bewegung alle kritische Analyse nichts verrichtet…

Folgerungen für die Friedensforschung und -publizistik:

In der neuen rot-grünen Republik soll ja lt. Regierungsabkommen die Friedensforschung wieder zentral gefördert werden, die Regierung setzt sich „für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung ein.“ Es geht um neue Ausbildungsmöglichkeiten für Peacekeeping und Peacebuilding.

In dieser Runde ist es gewiß angemessen, über die Umsetzung dieser Vorhaben zu reflektieren…

Im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung sind wir dabei zu folgenden Auffassungen gelangt:

Da ist erstens das Modell, nach dem Vorbild des renomierten SIPRI, welches ja dem schwedischen Reichstag zugeordnet ist, oder auch des dem amerikanischen Kongreß zugeordneten US-Institute for Peace, ein Hauptstadt-Friedensforschungsinstitut einzurichten. Wir halten das für nicht richtig – was soll eine solche Einrichtung neben den existierenden Einrichtungen wie der Hessischen Stiftung oder dem Hamburger Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik?

Auch die Umlage der Fördermittel auf diese Einrichtungen verspricht nicht den frischen Impuls, den die neue Bundesregierung anstrebt. Die vorhandenen Institute sollen gewiß beteiligt sein, aber etwa in bezug auf die Prioritäten Ausbildung für Peacebuilding und Peacekeeping stehen sie nicht vornan.

Eine Neuauflage der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung erscheint uns gleichfalls als nicht zweckmäßig. Die DGFK war überkomplex organisiert, ihr organisatorischer Wasserkopf mit Kuratorium und Konzil neben Vorstand und Förderkommission drückte eher Probleme des Bildungsförderalismus aus als forschungsnahe Prioritäten.

Die Übertragung der Mittel an die DFG schließlich erscheint angesichts der disziplinären Verhärtungen dort als wenig attraktiv. Diese Wertung gilt ausdrücklich nicht der Bonn-Bad Godesberger Einrichtung oder gar ihren Mitarbeitern, sondern wendet sich zentral gegen Wissenschaftsauffassungen, wie sie etwa der Senat und die dort versammelten Professoren in seinen Entscheidungen sichtbar werden lässt.

Da es verstärkt um Ausbildung geht, erscheinen uns – positiv gewendet – die Hochschulen als Empfänger von Unterstützung besonders geeignet, etwa, indem ein Hochschulsonderprogramm Friedensforschung aufgelegt wird. Das käme der Intention entgegen, dezentral zu fördern. Auch könnte ein solches Programm Komponenten zur Frauenförderung sowie zur Förderung der Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen enthalten.

Mit andern Worten, ein solches Hochschulsonderprogramm soll nicht zur Linderung der sattsam bekannten Finanznöte der Universitäten dienen. Es soll den Hochschulen aber die Möglichkeit geben, in der Krise ihre friedenswissenschaftliche Kompetenz zu erweitern.

Ein solches Programm könnte ausgeschrieben werden, es sollte für die Institute der Friedensforschung wie auch für mögliche andere Bewerber offen gehalten werden. Ziel wäre die bewußte Heranziehung von Nachwuchs – einer weiteren Priorität der neuen Regierung.

Dr. Corinna Hauswedell, Historikerin, Vorstandsmitglied von W&F:

Das zum Abschied bereite Jahrhundert hätte in Sachen internationaler Friedens- und Sicherheitspolitik mit den 80er und 90er Jahren kaum zwei unterschiedlichere, aufeinanderfolgende Jahrzehnte hinterlassen können.

Im Laufe der 80er Jahre konnte der in der bisherigen Geschichte politisch-ideologisch wie technologisch am höchsten aggregierte und gerüstete, globale Ost-West-Konflikt beigelegt werden – im Konzert einer vorher und nachher nicht wieder erreichten öffentlichen Diskussion über Konzepte und praktische Wege der Friedenssicherung.

Die 90er Jahre mit ihrer Gemengelage aus Erwartungen an eine Friedensdividende im weiteren und engeren Sinne, den neuen Herausforderungen einer de facto erstmals in größeren Stil begonnenen Abrüstung, aber auch aus andauernden und neu aufbrechenden Konfliktpotentialen und Gewaltrealitäten sind Impulsgeber für die jetzt vorzufindende Bandbreite friedensorientierten Nachdenkens und Handelns geworden.

Auch angesichts der damit verbundenenen, früher ideologischer als heute geführten Auseinandersetzungen in Politik und Friedenswissenschaft erscheint die während dieser beiden Dekaden kontinuierliche, und zugleich durch Umbrüche und Veränderungen geprägte redaktionelle und herausgeberische Arbeit an der Zeitschrift W&F mit einem klaren thematischen Fokus und einer ideell und materiell wenig herrschaftspotent ausgestatteten Struktur als eine recht passable Leistung …

Es war ein guter Humus für W&F, dass die 80er Jahre ihre spezifischen Demokratisierungsimpulse vor allem einer doppelten Neukonstituierung von Öffentlichkeit verdankten: zum einen den sog. Neuen Sozialen Bewegungen… und zum anderen der Herausbildung einer Mediengesellschaft mit den unseren politischen und persönlichen Alltag revolutionierenden Kommunikationsformen und -strukturen.

Auf diesem Humus konnte die Zeitschrift sich und der mit ihr im weiteren verbundenen Community zwei spezifische Verdienste erwerben, die jeweils mit den eingangs erwähnten Unterschieden der beiden letzten Jahrzehnte korrespondieren: In den 80er Jahren war dies die Schaffung eines für die deutsche Diskussion neuen Forums vor allem naturwissenschaftlich geprägter Rüstungskritik, in den 90er Jahren das Angebot einer disziplinenübergreifenden Kommunikationsstruktur für die neuen friedenswissenschaftlichen Herausforderungen nach dem Kalten Krieg…

Die im Editorial der Nummer 1/1983 von W&F ergangene Einladung an die im Zuge der Friedensbewegung entstandenen Wissenschaftlerinitiativen, insbesondere der Naturwissenschaftler, durch ihre Mitarbeit zur Qualifizierung der öffentlichen friedenspolitischen Diskussion beizutragen, hatte mit dem amerikanischen »Bulletin of the Atomic Scientists« ein Projekt friedensengagierter Wissenschaftspublizistik vor Augen gehabt, in dem seit dem Eintritt in das Nuklearzeitalter nüchterne Hardwareexpertise mit dem Ethos der wissenschaftlichen Verantwortung verbunden wurde.

Es war für die bundesrepublikanische Landschaft jener Tage sicherlich nicht untypisch, dass die Initiative, für die zunächst Informationsdienst Wissenschaft und Frieden genannte Zeitschrift, aus den Reihen der akademischen Linken ins Werk kam. Rainer Rilling vom BdWi bewies damit ein hohes Gespür für den Stellenwert des bewegenden Zeitthemas und seine Demokratiehaltigkeit. Zusammen mit Paul Schäfer als engagiertem Redakteur und Anreger interessanter Beiträge wurde in den ersten acht Jahren die intellektuell attraktive Federführung des Heftes und das notwendige Durchstehvermögen für das innovative Projekt kreiert.

»Die Kritik der Waffen, als Enthüllung von und Frühwarnung vor neuen rüstungstechnologischen Entwicklungen… wurde zu einer Waffe der Kritik «

Die Kritik der Waffen, als Enthüllung von und Frühwarnung vor neuen rüstungstechnologischen Entwicklungen war ein Prinzip der Redaktionsarbeit von W&F, und wurde im öffentlichen Diskurs zu einer Waffe der Kritik an einer Dynamik, die immer wieder militärischen und nicht zivilen Konfliktlösungen Vorschub leistete…

Einen kritischen Umgang mit Wissenschaft und Technik in diesem Sinne für einen rationalen Pazifismus populär zu machen, wie er sich in den 80er Jahren entwickelte, kann vielleicht als die eine politisch-praktische Zielrichtung im Redaktionsverständnis von W&F angesehen werden. Verbunden war dies stets mit einer anderen, mit der Rückkoppelung in die Wissenschaft selbst, genauer zu den Hochschulen als den Orten von Wissenschaftsproduktion, Lehre und Ausbildung. Mit der Verbreitung von Seminar- und Vorlesungsprogrammen, Personen und Themen, unterstützte die Zeitschrift ein wesentliches Netzwerk- und Bildungsanliegen der friedenswissenschaftlich tätigen Initiativen und Individuen, und beschritt mit einer nirgendwo sonst vorfindbaren fachwissenschaftlichen Vielfalt natur- und sozialwissenschaftlicher, kulturhistorischer, psychologischer und pädagogischer Fragestellungen den Weg vom Informationsdienst zum interdisziplinären Magazin.

Ein Projekt, das sich mit einem derart kontroversen Themenfokus und so deutlich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Bürgerwegung verortete, durfte sich nicht wundern, dass es auch die Verwerfungen in jedem dieser Bereiche und zwischen diesen immer wieder zu spüren bekam. Es dauerte eine Weile, bis Interviews in W&F mit führenden sicherheitspolitischen Experten der etablierten Politik in den späten 80er Jahren normaler wurden. Manchen Friedensforschern war das gebotene Forum nicht akademisch genug. In der Umbruchzeit zwischen 1989/90 und dem Golfkrieg 1991 lagen Hoffnungen, Resignation und Suche nach neuen Betätigungsfeldern in der Friedensbewegung und auch in den Wissenschaftlerinitiativen eng beieinander. War der Fokus Frieden und Rüstungskritik angesichts der vom Schleier des Kalten Krieges befreiten globalen Probleme noch zu vertreten? In welche Richtung ging der wind of change? Und würden die Ressourcen im engeren Sinne, die für ein inzwischen anspruchsvolles Zeitschriftenprojekt gebraucht wurden, ausreichen für eine Erneuerung?

Mit der Veröffentlichung des Memorandums »Friedenssicherung in den 90er Jahren – Neue Herausforderungen an die Wissenschaft« im Januar 1992 in W&F wurde nicht nur ein bis heute politisch-inhaltlich relevanter (vielleicht noch nicht genügend beachteter) Themenkatalog und konzeptioneller Impuls vorgelegt. Das in dieser Form einmalige Zusammenwirken an dem Text von über 30 west- und ostdeutschen Friedenswissenschaftlern aus den Natur- und Gesellschaftswissenschaften signalisierte auch im Innenverhältnis der Community so etwas wie ein Rauswachsen aus den Aporien der Cold-War-Ära, durchaus zum Nutzen künftiger Kooperation inner- und außerhalb von Institutionen und Netzwerken, wie es auch W&F eins ist.

In der Binnenstruktur von W&F unternahm die Redaktion unter neuer Leitung von Caroline Thomas 1992 die Aufgabe, mit soft- und hardware-Impulsen aus der Friedenswissenschaft die Themenführung des Heftes um Schwerpunkte wie z.B. Nord-Süd-Dialog, Zerbrochenes Europa, Das UN-System zwischen Macht und Ohnmacht, oder Medien und Gewalt zu erweitern. Rückendeckung sollte die neue Herausgeberstruktur, jetzt in den Händen der Wissenschaftler-Initiativen selbst, geben. Übrigens mit dem bis heute vorbildlichen, zuweilen notwendigen »supervisorischen« Geleit von Gert Sommer von der Psychologeninitiative »Bewusst-Sein für den Frieden«.1993 kam auch die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) in diese Struktur. Das Organ bekam einen ordentlichen Vorstand, zunächst mit Peter Krahulec, dem langjährigen sympathischen Kopf des Arbeitskreises Frieden in Forschung und Lehre an Fachhochschulen, ab 1996 bis heute mit dem damaligen Vorsitzenden der AFK Wolfgang Vogt. Das Zusammengehen mit anderen in der Friedensbewegung tätigen Organen, am bekanntesten der ehemalige »Mediatus« des Weilheimer Instituts, half weitere Kräfte und Ressourcen zu bündeln…

Woran und wie lassen sich denn – gestatten Sie diese vorsichtige Frage einer sympathisierenden Zeithistorikerin – die Wirkungen eines solchen Unternehmens wie W&F messen?

An der Innovationsfähigkeit beim Bearbeiten der relevanten Themen? Nicht schlecht, W&F.

An der Entwicklung der Abonnenten- und Leserzahlen? Sicherlich. Mit zwischen 3.500 und 4.500 sind sie über die Jahre verdächtig konstant.

An der Anzahl der Nachdrucke und Resonanz in anderen Medien? Tendenz in jüngerer Zeit deutlich steigend.

»…die Kritik am Militär immer wieder ironisch mit der Kultur des Friedens kontrastieren «

Und nicht zuletzt sicherlich an der Fähigkeit, einen eigenen Stil zu prägen und diesem treu zu bleiben. Bei W&F heißt das auch, die Kritik am Militär immer wieder ironisch mit der Kultur des Friedens zu kontrastieren, sparsam gestaltet in schwarz-weiss, aber mit Lust an Schattierungen! Und natürlich ohne der negativen Faszination der modernen Technik, ihrer IANUS-Köpfigkeit zu erliegen. Danke Rainer Rilling für 15 Jahre W&F – jetzt auf CD-Rom! Danke auch an Stefan Knaab, den desk-top-Betreuer seit der ersten Stunde!

Ich hab’ den Krieg gezeichnet

Ich hab’ den Krieg gezeichnet

Kinderzeichnungen aus sechs Jahrzehnten

von Anja Kuhr

„Sie müssen schon genau hinschauen, um die Details der Kinderzeichnungen zu erkennen“, fordert Alfred Brauner. „Es sind die Kleinigkeiten, die die Angst ausdrücken, wie ein Schlüssel eröffnen sie das Verständnis zu dem Bild. Dieses Kind in El Salvador war offenbar Augenzeuge einer Ermordung. Das Kind zeichnet sich selbst versteckt hinter Bäumen, sein Gesicht hat weder Mund noch Nase, nur Augen – es will sagen: Ich hab' es genau gesehen. Oder das Bild eines 10-jährigen aus Vietnam. Selbst im Moment der Rettung ist die Ohnmacht des Kindes noch gegenwärtig: Die Boat-People malt der Junge ganz klein, während die Mannschaft des Rettungsbootes in Gestalt kolossaler Quadratmenschen an Deck steht.“

Selbst im größten Chaos suchen die Kinder in ihren Zeichnungen nach Harmonie. Ein Kind aus El Salvador hat eine Hinrichtungsszene gemalt: Sechs Frauen mit gebeugtem Kopf stehen sechs Soldaten gegenüber. Die Figuren sind gleich groß, das Kind hat jedem »Paar« exakt ein Drittel des Platzes überlassen. „Ein typisches Merkmal für Kinderzeichnungen aus Kriegsgebieten, das Kind versucht so, ein Gleichgewicht in dem Schrecken herzustellen. (siehe Kinderzeichnung auf dieser Seite) Es gibt viele Bilder, in denen die zerstörten Häuser auf einer schnurgeraden Linie angeordnet sind. Hier hat das Kind die Szene in einem Sechseck dargestellt. Versuche, Ordnung zu schaffen in einer aus den Fugen geratenen Welt.“

Auf diese Kleinigkeiten zu achten, haben Françoise und Alfred Brauner im Lauf ihres Lebens gelernt. Angefangen hat alles 1936 im Spanischen Bürgerkrieg, als sich die Brauners – Françoise als Ärztin, Alfred als Pädagoge – den Internationalen Brigaden anschlossen und dann den Auftrag erhielten, Flüchtlingskinder zu betreuen. „Zunächst hatten wir genug damit zu tun, die Kinder mit Nahrung und Betten zu versorgen. Als das organisiert war, haben wir begonnen, sie zu beschäftigen. Einige Kinder haben spontan gezeichnet, und unter diesen Bildern fanden wir überwältigende Tatsachenberichte. Wir haben die Kinder dann motiviert zu malen und waren erstaunt und zugleich erschrocken, was da alles zum Vorschein kam.“

Was die Kinder mit Worten nicht ausdrücken konnten, erzählten sie mit Buntstift und Papier. Die Brauners machten Fotografien dieser Bilder, die sie mit nach Frankreich nahmen. Sie wollten dokumentieren, welche Spuren Kriegserlebnisse bei Kindern hinterlassen.

Zurück aus Spanien betreuten sie jüdische Kinder, die 1939 mit einem der letzten Transporte aus Deutschland nach Frankreich gebracht wurden. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges, den Francoise und Alfred Brauner als Mitglieder der Résistance im besetzten Paris nur knapp überlebt haben, standen sie vor einer der schwierigsten Aufgaben in ihrem Leben: Sie haben 440 Kinder betreut, die als Überlebende aus den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald nach Frankreich gebracht wurden.

Auch später, als sie in Frankreich die erste Tagesklinik für mehrfach behinderte Kinder leiteten, ließ ihnen das Thema keine Ruhe. Sie haben aus der ganzen Welt Kinderzeichnungen zusammengetragen, rund 2000 Bilder, gelagert in unzähligen Mappen in ihrer Pariser Wohnung. Diese Sammlung bildete die Basis für mehrere wissenschaftliche Untersuchungen über die Bedeutung der Kinderzeichnung im Krieg.

Wenn Françoise und Alfred Brauner die Geschichte erzählen, die hinter jedem einzelnen Bild steckt, sind sie leidenschaftliche Anwälte der Kinder. „Wenn es um Kinder geht, gibt es keine nationalen Grenzen, nur internationale Verbrechen. Nehmen Sie die Zeichnungen und zeigen Sie sie überall. Sie müssen als Waffe dienen gegen den Wahnsinn aller Kriege“ – so verabschiedeten sie mich bei meinem Besuch 1993.

Bis dahin waren Teile der Sammlung ausschließlich auf Fachkonferenzen gezeigt worden. Im Herbst 93 haben wir dann erstmals einen Teil dieser Sammlung öffentlich ausgestellt. Nach der überwältigenden Resonanz beim Publikum und den Medien, die die Ausstellung in Hamburg fand, war die Ausstellung inzwischen in 40 Städten im In- und Ausland.

Unter dem Titel »Ich hab' den Krieg gezeichnet«, zeigen wir 78 Kinderzeichnungen aus verschiedenen Krisen – und Kriegsgebieten. Die Bilder entstanden in Konzentrationslagern, im Spanischen Bürgerkrieg, in Hiroshima, Afghanistan, Palästina, der West-Sahara, in Guatemala oder Kroatien. Diese Zusammenstellung soll belegen, daß Kinder von den psychosozialen Auswirkungen von Kriegen überall auf der Welt massiv betroffen sind. Kriege, die diese Kinder nie gewollt haben und deren Ursachen sie nicht verstehen können. Die Zeichnungen – das zeigen die Reaktionen der Besucher und die Eintragungen in die Besucherbücher – sprechen für sich. Sie machen betroffen, dem Betrachter wird eine Haltung abverlangt.

In vielen Städten wurden im Begleitprogramm zu der Ausstellung Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, die am Beispiel der Rüstungsexporte und anderer Fragen auch auf die Mitverantwortung eingingen, die gerade auch die Bundesrepublik hat.

Darüber hinaus will diese Ausstellung auch auf einen anderen aktuellen Konflikt in diesem Land hinweisen, den Umgang mit Flüchtlingen und die besondere Verantwortung, die wir gerade gegenüber den Kindern und Jugendlichen haben, die als unbegleitete Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Denn Flüchtlingskinder, ob begleitet oder allein unterwegs, sind in besonderer Weise verletzte Kinder. Alle ExpertInnen, die mit Flüchtlingskindern arbeiten, haben immer wieder darauf hingewiesen, daß diese Kinder eine beschützende Umgebung brauchen, die ihnen Sicherheit bietet und Menschen, die für sie da sind. Die heutige Asylpraxis nimmt aber gerade auf diese Kinder keinerlei Rücksicht. Wenn sie bei uns ankommen, erhalten sie häufig zum Trauma der Trennung und Flucht auch noch das Gefühl, unerwünscht zu sein. Selbst Kinder müssen sich inquisitorischen Verhören unterziehen, in denen sie ihre individuellen Verfolgungsgründe nachweisen sollen. Die rigorose Anwendung des Asylrechts hat dazu geführt, daß inzwischen auch immer mehr Kinder abgeschoben werden. Um sich der drohenden Abschiebung zu entziehen, tauchen viele Kinder und jugendliche Flüchtlinge unter. Ohne jeden Schutz sind sie gezwungen, sich in den Rotlichtvierteln der Großstädte durchzuschlagen. Wie würden wohl die Zeichnungen dieser Kinder aussehen ?

Es wäre ganz im Sinne von Françoise und Alfred Brauner, wenn diese Ausstellung dazu beiträgt, allen Menschen Mut zu machen, sich einzumischen, als Anwälte der Kinder.

Informationen über die Ausstellung und die Ausleihbedingungen: Cultur Cooperation e.V., Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg, Tel.040-394133, Fax: 040-3909866

Anja Kuhr, Cultur Cooperation e.V.

Töten per Mausklick – Computerkriegsspiele

Töten per Mausklick – Computerkriegsspiele

von Ralf E. Streibl

Krieg als Thema oder Element findet sich in vielen Computerspielen, besonders oft bei Action-, Strategie- und Simulations-Spielen. Vom Einzelkämpfer über die Steuerung eines Waffensystems (Panzer, Flugzeug etc.) bis hin zum generalstabsmäßig angelegten, strategischen Planspiel geht die Palette kampf- oder kriegsorientierter Handlungen, wobei in einem Spiel auch unterschiedliche Elemente nebeneinander auftreten können. Die Weltbilder sind dabei einfach, die Strukturen klar, es geht um Gut und Böse. Doch was passiert in den Köpfen der Kinder? Nützen Verbote etwas oder wie kann der Gewaltexplosion im Kinderzimmer begegnet werden?

Schon bei einem schnellen Vergleich einiger Computerkriegsspiele zeigen sich große Unterschiede, so u.a. in der Komplexität des Szenarios, in der Ausübung und Darstellung von Gewalt sowie im Realitätsgehalt. Jedoch lassen sich auch eine Reihe genretypischer Aspekte von Computerkriegsspielen aufzeigen. Wenn im folgenden einige Aspekte von Computerkriegsspielen hervorgehoben werden, handelt es sich somit um Charakteristiken, die zwar oft festzustellen sind, aber natürlich nicht für alle Spiele in gleichem Maße zutreffen.1

1. Computerspiele als heute selbstverständlicher Teil der Lebenswelt von Kindern stellen einen zusätzlichen medialen Sozialisationsagenten dar.

Man muß sich davor hüten, eine »andere Alltagspraxis« im Medienumgang von Kindern und Jugendlichen verglichen mit der Eltern- und Forschergeneration per se als problematisches Verhalten anzusehen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht nur als Objekte der verschiedenen Sozialisationsfaktoren – zu denen heute die Medien unbestritten gehören – angesehen werden, sondern sie sind aktive Gestalter ihrer eigenen Kindheit (vgl. Berg, 1991; Billmann-Mahecha, 1992). Die Beschäftigung mit Computerspielen ist heute für viele in den Industrienationen aufwachsende junge Menschen eine Selbstverständlichkeit. So spielen bereits etwa die Hälfte der Vorschulkinder, ein Viertel sogar täglich (Fritz, Wegge, Wagner, Gregarek, Trudewind, 1995). Anders als oft behauptet werden Computerspiele nicht immer nur allein, sondern auch gemeinsam mit Gleichaltrigen gespielt (Altmeyer-Baumann, 1991).

Spielen bildet ein wichtiges Element der Sozialisation im Sinne einer innerpersonalen Auseinandersetzung mit der äußeren Umwelt. Neben der Sprache hat das Spielen eine zentrale Bedeutung für die Identitätsentwicklung (vgl. z.B. Mead 1973). Es kann als lustbetontes, intrinsisch motiviertes, ich-betontes, freies Probehandeln verstanden werden und stellt so eine kindgemäße und selbstbestimmte Aneignung von »Welt« dar.

Zur Alltagserfahrung von Kindern gehören kleinere und größere Konflikte und Auseinandersetzungen. Selbst Kinder, die von eigenen Gewalt- und Kriegserfahrungen verschont bleiben, werden zumindest über die Medien oder durch Erwachsenen-Gespräche mit derartigen Themen konfrontiert. So ist es nur folgerichtig, daß Konflikte, Gewalt und Krieg Eingang ins kindliche Spiel und Handeln finden, ja sie sind – im Sinne der Verarbeitung dieser Wahrnehmungen – notwendiger Teil des »(Be)greifens« der Welt. Spiel bietet zumindest grundsätzlich die Freiheit, sich kulturellen Verhaltensregeln zu widersetzen oder sie zu parodieren (vgl. Wegener-Spöhring, 1995; Sutton-Smith, 1986; Oerter, 1997). Weiter unten wird gezeigt werden, daß Computerkriegs- und -gewaltspiele hier jedoch nicht unreflektiert subsumiert werden dürfen (vgl. These 3). Computerspiele sind in ihrer Bedeutung für Sozialisationsprozesse daher sowohl von klassischen Spielen als auch von anderen, überwiegend rezeptiv genutzten Medien (TV, Video) zu unterscheiden.

2. Die in Computerkriegsspielen gezeichneten Weltbilder sind einfach, korrespondieren mit Bedürfnissen der Spieler und motivieren dadurch zum Spiel.

Manche Computerkriegsspiele wirken auf den ersten Blick sehr komplex. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß ihnen meist einfache Strukturen zugrunde liegen. Der Spieler2 übernimmt die Rolle eines »Helden« im Kampf oder eines steuernden »Feldherren«, der den alleinigen oder wichtigsten Einfluß auf den Verlauf hat. Ihm stehen oft vielfältige »natürliche« und technische Machtmittel zur Verfügung. Normen, Werte, Menschenbilder sind zumeist vorgegeben, häufig gilt ein militärisch-hierarchisches Führerprinzip oder auch das Recht des Stärkeren, teilweise (z.B. bei Wirtschaftssimulationsanteilen in Kriegsspielen) gilt auch das Diktat der Ökonomie. Freund und Feind sind eindeutig zu unterscheiden. Männer treten vorwiegend als zähe Kämpfer auf, Frauen werden – sofern sie im Spiel vorkommen – durch ihre Kleidung und ihr Verhalten oft als Sexsymbole oder einfach nur hilflos dargestellt. Für kriegerische und gewalttätige Auseinandersetzungen gelten scheinbar klare, nachvollziehbare Regeln: Feuerkraft, Munitions- oder Kraftreserven, Widerstandskraft etc. werden in quantifizierter Form durch das Programm miteinander verrechnet. Auch bei komplexen Szenarien entsteht so der Eindruck einer objektiven Leistungsbewertung.

Für viele Spieler erfüllen derartige Spiele ein Bedürfnis nach Klarheit, Eindeutigkeit und übersichtlichen Anforderungen – im Gegensatz zum wirklichen Leben. Sie kommen dem Wunsch nach einer klaren Unterscheidung zwischen guter und böser Figur entgegen: „Hier steht fest, wer der Feind ist (die Gegner auf dem Bildschirm), hier steht fest, mit welchen Mitteln in dieser Beziehung zurückgeschlagen werden darf, und hier steht auch fest, daß der Spieler selbst eindeutig »gut« ist.“ (Büttner 1988, S.109). Wenn die gesellschaftliche Realität zunehmend von Gewalt, Aggression, Unverständnis und Rücksichtslosigkeit gerade auch gegenüber Kindern und Jugendlichen geprägt ist, dreht sich die Rüstungsspirale im Kinderzimmer immer schneller. Die im Spiel erlebte Handlungsmacht kann zeitweise eine Kompensation alltäglich erlebter struktureller Gewalt vermitteln. Struktur und Dynamik des Spiels sind dabei oft bedeutsamer als die Inhalte. Je stärker auf »Leistung« gespielt wird, desto mehr treten die Spielinhalte gegenüber der Wahrnehmung der Schlüsselreize in den Hintergrund (vgl. Fritz 1988).

Die Spieler nutzen das Computerspiel, um Machtträume und Phantasien damit auszuleben. In dieser Form erhalten Computerspiele eine Bedeutung vergleichbar den Comic-Superhelden oder auch den Helden aus Abenteuer-Romanen. Sie bieten auf Zeit die Möglichkeit, aktiv an den Erfolgen des »Helden« teilzuhaben, an seiner Macht zu partizipieren – auch hier manifestiert sich für manche Spieler der Wunsch nach einer Gegenwelt zu Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen im Alltag. Spiele aus der Perspektive der subjektiven Kamera wie z.B. Doom, Duke Nukem oder Quake erleichtern diese Identifikationsprozesse und erhöhen damit auch die emotionale Beteiligung.

Computerkriegsspiele erlauben den Spielern folgenlose Grenzüberschreitungen bei Gewaltausübung. Gewalt im Computerspiel macht mehr Spaß als in der Realität, zum einen „weil man da niemandem weh tut“ , zum anderen „weil man da nichts abkriegt, weil der ja im Spiel drin ist“ (zwei Schüler einer vierten Klasse in Bremen). Der Tod der Spielfigur stellt für die Spieler ein ärgerliches, aber nicht irreversibles Phänomen dar. In Gesprächen beschreiben auch jüngere Kinder teilweise recht heftige Gewaltszenen aus Computerspielen (vgl. Streibl 1998). Die Verstümmelung des menschlichen Körpers übt scheinbar eine Faszination vor allem auf die Jungen aus. Doch scheint ein Teil dieser Faszination auch darin zu liegen, zu beweisen, wie »abgebrüht« man ist. Extreme Gewaltspiele werden bewußt in Überschreitung elterlicher Verbote gespielt, die anscheinend oft nicht weiter begründet oder erklärt werden.

3. Aggressivität wird im Computerkriegsspiel zielgerichtet und meist ohne Handlungsalternativen kanalisiert. Während eine einfache Übertragung gewalttätiger Verhaltensweisen in die Realität i.d.R. nicht stattfindet, ist jedoch eine schleichende Desensibilisierung bezogen auf Gewalt zu vermuten.

Bei der Betrachtung von Aggression im Spiel muß zwischen realer und spielerischer Aggressivität unterschieden werden. Spiel kann als emanzipatorisches Medium wirksam werden: Aggression, Provokation und Phantasie im Spiel können Impulse für Veränderungen von Umfeld, Sozialbeziehungen und Gesellschaft geben. In diesem Zusammenhang sind die Handlungsspielräume und Freiheitspotentiale des Spiels im Sinne einer aktiven Verfügbarkeit über die Situation und das Selbst von Wichtigkeit (Befreiung von den Zwängen der Situation, Spielen gegen die Wirklichkeit, vgl. Wegener-Spöhring 1995). Im Spiel ist es möglich, die eigene Identität zu variieren, Regeln zu verändern, alles zu verwerfen, neu zu beginnen. Variabilität im Spiel erlaubt Macht- und Erfolgserleben in einer Welt der Fremdbestimmung und Abhängigkeit. Dies ist in vielen Computerspielen so nicht gegeben: Typisch sind im Design, Grafiklayout und Sound mehr oder minder perfektionistisch anmutende Szenarien, die jedoch nur begrenzte Handlungsoptionen (Set verfügbarer Befehle/Aktionen, meist keine Alternativen zur Gewaltausübung), Rollen (Charakter und Eigenschaften des Protagonisten) und Adaptionsmöglichkeiten (Auswahl von Level, Waffen etc.) zulassen, während gleichzeitig das Spielziel fest vorgegeben ist. Alternative Verhaltensweisen wie Aushandlungsprozesse, Empathie und Perspektivenwechsel finden sich in den Spielen kaum bis gar nicht.

Macht- und Erfolgserlebnisse sind im Computerspiel somit gerade keine Ergebnisse eigener Phantasie des Spielers, sondern durch das Programm festgelegte und damit strenggenommen wieder fremdbestimmte Häppchen. Statt freiem Spielfluß und diskontinuierlichem Zeitumgang herrschen in Computerspielen Ziel- und Leistungsorientierung vor. Auch eine hohe Komplexität der wählbaren Spielparameter ändert nichts an der Qualität: eine Zunahme von Steuerungsmöglichkeiten und Einflußvariablen ist strenggenommen nur eine vorgegebene bzw. vorgebliche Freiheit, ein Laufenlassen des Spielers an langer Leine. Freies Spiel erlaubt ein Ausleben von Ängsten durch die Möglichkeit, bei zu großer Bedrohung die Regeln oder das Szenario zu ändern. Diese aktive Erfahrung eigener Toleranzgrenzen ist im Computerspiel längst nicht so flexibel möglich. Rückt im freien Spiel das eigene Selbst in die Mitte, wird im Computerspiel möglicherweise gerade eine Distanz zum eigenen Selbst geschaffen.

Gewaltausübung hat in den Spielen erwartungsgemäß einen sehr hohen Stellenwert, meist sogar zentrale Bedeutung. Sie erzeugt kein ungutes Gefühl (eher im Gegenteil), da sie in der Spiellogik moralisch legitim erscheint (z.B. Schutz, Notwehr, Rache, Rettung…). Dennoch greifen simple Wirkungstheorien, die diese Verhaltensweisen in monokausalen Bezug zur Realität setzen, zu kurz. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Behauptungen der Art „Kriegsspiele am Computer machen aggressiv“ genau so wenig belegbar sind wie „Sie helfen Aggressionen abzubauen“. Anspannungen und Affekte der Spieler scheinen im Spiel stillgestellt (Steinhardt 1994) zu werden, d.h. sie sind nicht unmittelbar handlungsrelevant und werden auch nicht ausagiert. Gewalt wird teilweise nur als Beiwerk wahrgenommen, der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf Action und den spielentscheidenden Schlüsselreizen. Insofern werden explizite Gewaltdarstellungen im Spiel ebensowenig bearbeitet wie die dahinter liegenden Strukturen, die derartige Gewalt auslösen bzw. rechtfertigen. Computerkriegsspiele tragen so (gemeinsam mit anderen Medien) zu einer weiteren Gewöhnung an Gewaltszenen und -darstellungen bei, was längerfristig zu Desensibilisierungseffekten führt (vgl. auch Smith 1994). Gleichzeitig verhindern die geschilderten Bedingungen des Computerspiels – im Gegensatz zu Aggressionssituationen im freien Spiel – die Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen in der Spielsituation. Gerade diese wäre jedoch notwendig im Hinblick auf die zunehmende Unsicherheit von Beziehungen und Kontakten von Kindern und Jugendlichen (vgl. Hurrelmann 1995).

4. Computerkriegsspiele spiegeln bestimmte gesellschaftliche Werte und Entwicklungen wider und tragen damit zu ihrer Verfestigung bei.

Bei der Auseinandersetzung mit Computerkriegsspielen dreht es sich in der Regel um Themen wie Gewaltverherrlichung und Militarismus. Doch daneben gibt es weitere interessante Aspekte, die hier zumindest kurze Erwähnung finden sollen.

Wie viele andere Computerspiele auch, zeichnen sich die meisten Computerkriegsspiele durch eine starke Leistungsorientierung aus. Diese wird oft durch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade (Levels) realisiert, so daß ein permanenter Anreiz zur Verbesserung der bisherigen Leistung besteht. Der Spieler tritt in Konkurrenz zu sich selbst (und ggf. anderen auf einer High-Score-Liste verewigten Spielern) mit dem Ziel, die Aufgabe am erfolgreichsten (Punkte) und/oder am schnellsten (Zeit) zu lösen. Er versucht sich immer wieder von neuem an dem Spiel, bis die bestehenden Schwierigkeiten gemeistert sind (oder die Frustration zu groß geworden ist).

Phantasie und Vorstellungskraft zur Ausgestaltung des Spielgeschehens sind in dem Maße weniger erforderlich, je näher die grafische Darstellung und der digitale Sound der »Realität« kommen. Die Perfektion in der Darstellung gilt als Gütekriterium für Spiele. Hier vor allem ist der Grund für die immer weiter steigenden Hardware-Anforderungen an PCs zu sehen. Diese Entwicklung verläuft parallel zu einem allgemeinen Multimedia-Boom. Die gesellschaftliche Technikfaszination spiegelt sich somit zum einen in spezifischen Spielelementen (z.B. der detailreichen Darstellung der verwendeten technischen Waffensysteme), zum andern in dem immer weiter aufzurüstenden Spielmedium selbst.

Die Spiele stellen teilweise hohe Anforderungen an die Sensumotorik, meist jedoch nur an enge, spezifische Bereiche (z.B. Hand-Auge-Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit). Der Spieler wird auf Feinmotorik, Gesichtssinn und evtl. noch Gehör reduziert. Die damit einhergehende Entsinnlichung und Entfremdung von primären physischen Erfahrungen korrespondiert mit allgemeinen Veränderungen von Arbeitswelt und Freizeit hin zu medial vermitteltem Erleben. Die Tatsache, daß bei einer stark wachsenden Zahl von Kindern heute Bewegungsstörungen festzustellen sind, hat ihren Ursprung zum einen in der mediengeprägten Lebenswelt, zum anderen fehlt es zumindest im städtischen Umfeld in der Regel an kindgemäßen Bewegungs- und Erlebnisräumen.

5. Computerkriegsspiele transportieren militärische Denkweisen und Wertesyteme und tragen damit zur Militarisierung der Gesellschaft bei.

Computerkriegsspiele sind industriell gefertigte Güter, die explizit zum Kampf- oder Kriegsspiel für den Markt bestimmt sind. Kriegsspielzeug war in früheren Jahrhunderten ein selbstverständlicher und undiskutierter Bestandteil von Kultur und Kindererziehung (Wegener-Spöhring 1995, S.90), hatte jedoch immer schon eine politische Komponente, wie z.B. die Zunahme der Produktion vor und während Kriegszeiten belegt (Kroner 1979, S.23). Es wird als Mittel sozialer Kontrolle (vgl. Kroner 1982) und als Trainingsinstrument eingesetzt. Erinnert sei an Zinnsoldaten mit Uniformbemalung nach dem gerade geltenden Feindbild (Wegener-Spöhring 1995, S.91f) oder das zur Soldatenausbildung in der Preußischen Armee verwendete Kriegsspiel (vgl. Maaß 1996, S.117).

Daß Kriegsspielzeug derzeit nicht mehr so stark in der öffentlichen Diskussion ist wie noch vor 20 Jahren, liegt möglicherweise an der gesunkenen Bedeutung traditionellen Kriegsspielzeugs gegenüber Aktions- und Science-Fiction-Spielzeug, wo – aufgrund der größeren Distanz zur eigenen Lebenswelt – Gewalt legitimierter auftreten kann (vgl. Wegener-Spöhring 1995, S.99). Interessanterweise gilt diese Entwicklung für Computerspiele nicht in gleichem Maße: Zwar gibt es auch hier viele phantastische, utopische oder einfach nur fremde Kriegs- und Gewaltszenarien (z.B. die erfolgreichen Weltraum-Kriegsspiele Wing Commander Armada oder Tie Fighter), daneben existiert aber auch eine Vielzahl von Kriegsspielen, die reale Szenarien als Ausgangspunkt nehmen, so beispielsweise History Line (1. Weltkrieg), Victory at Sea (2. Weltkrieg), Platoon (Vietnam), Commando Libya (Libyen), Desert Storm (Irak). Ein aktuelles Beispiel ist Silent Thunder, welches laut Werbetext als Missionen den Kampf gegen einen „Potentaten im Mittleren Osten“, gegen „einen gnadenlosen Drogenbaron“ in Kolumbien sowie einen „schurkischen nordkoreanischen Kriegstreiber“ bietet.

Unabhängig davon, ob es sich um ein reales oder fiktionales Szenario handelt, beinhalten Computerkriegsspiele sehr häufig klassisch gestaltete Feindbilder (»Wir« sind anders, »die Anderen« sind häßlich, böse, charakterlos, schmutzig, schlecht, unwert…). Wie in Wirklichkeit wird dabei immer wieder auf höhere Werte abgehoben, um einen Krieg zum gerechten Krieg werden zu lassen (Streibl 1996). Bei realitätsnahen Spielen werden die historischen bzw. aktuell gültigen Feindbilder repliziert. Da derartige Spiele oft in den USA und zunächst für den amerikanischen Markt produziert werden, spiegelt der Spielemarkt vor allem die Feindbilder, Werte und ideologischen Konzepte dieser Nation wieder – exportiert in alle Welt. Das Spiel Back to Baghdad beispielsweise ist auf das Feindbild Irak ausgerichtet, personifiziert in Saddam Hussein (Streibl, 1996). Eine derartige Fokussierung der Feindbildkonstruktion auf die Person Saddam Husseins war nach der Annektion Kuwaits auch kennzeichnend für die Berichterstattung deutscher Massenmedien (vgl. Kempf, Palmbach, Reimann, 1993).

Während bei manchen Gewaltspielen teilweise noch spezifisch charakterisierte Gegner auftreten (vgl. z.B. das Prügelspiel Street Fighter II), wird bei Computerkriegsspielen Gewaltausübung oft gänzlich entpersonalisiert, d.h. es werden Fahrzeuge, Flugzeuge, Bauwerke, Landkarten oder abstrakte Symbole dargestellt, manchmal sogar nur Zahlenwerte (vergleichbar der medial vermittelten Distanz im realen High-Tech-Krieg). Der Gegner bildet eine anonyme Masse. Es wird kein Leid, keine Toten, keine Trauer etc. gezeigt, die Folgen der Gewalt sind auf die Zerstörung von Dingen und das Absterben von Körpern begrenzt. Gewaltausübung wird in der Regel nicht negativ sanktioniert – meist sogar positiv verstärkt. Ein Gewaltlusterleben ohne Schuldgefühle wird ermöglicht.

Es stellt sich die Frage, was es für die Bewältigung komplexer Situationen bedeuten mag, wenn die Spieler sich immer wieder unreflektiert in zwar irreale, aber realistisch gestaltete Vernichtungsszenarien hinein begeben, in denen sie einem abstrakten Befehl gehorchend versuchen, den Gegner zu vernichten. Kinder, die in ihren Spielen selbst Regeln entwickeln, entwickeln einen freieren Umgang mit Normen – weniger Rigidität – höhere Flexibilität in der Anwendung von Regeln (vgl. Schmidtchen & Erb 1976, S.76)

Es gibt viele Parallelen zwischen kriegerischen Computerspielen und dem Computereinsatz in der militärischen Wirklichkeit. Ohne besondere Überraschung stellt man fest, daß die beiden wichtigsten Anwendungsfelder von Computersimulationen beim Militär (vgl. Neuneck, 1995; Streibl, 1997) sich vielfach auf dem Spielemarkt wiederfinden lassen – zum einen Waffensystemsimulationen wie Comanche oder Tornado, zum anderen Strategiespiele wie Panzer General. Dabei handelt es sich teilweise um mehr als eine grobe Ähnlichkeit, wie z.B. ein Vergleich des Computerspiels Back to Baghdad mit dem militärischen Planungs- und Trainingssystem Power Scene zeigt (Streibl, 1996).

Inzwischen verwendet das Militär sogar schon kommerzielle Computerspiele im Rahmen von Ausbildung und Training. So wurde das Computerspiel Doom II vom U.S. Marine Corps Modeling & Simulation Management Office für die Ausbildung von U.S. Marines adaptiert (Riddell, 1997). Um die von Computerspielen auf Kinder ausgehende Faszination zu nutzen, wird auch über eine kommerzielle Verwertung des Programms nachgedacht, was – so Riddell – den Kreis schließt: Ein ursprünglich vom Militär inspiriertes Computerspiel wird vom Militär für seine Bedürfnisse zur Ausbildung von Soldaten adaptiert und zusätzlich als authentisches militärisches Trainingsspiel wieder auf dem Massenmarkt verkauft.

Diese offensichtliche Nähe mancher Computerkriegsspiele zu konkretem militärischen Training sollte nicht den Blick auf eine weitere militärische Verwendungsmöglichkeit von Computerspielen verstellen: die Funktionalisierung von Computerkriegsspielen für den Bereich Propaganda und psychologische Kriegsführung. Gemeint ist damit eine gezielte Einflußnahme auf Emotionen, Kognitionen und Verhalten (vgl. Ansorge & Streibl 1997). Zu denken ist hierbei u.a. an die gezielte Vermittlung von Feindbildern und ähnlichen ideologischen Inhalten – diese ist am effizientesten, wenn sie gleichzeitig über viele, scheinbar unabhängige Kanäle erfolgt (zur Rolle der klassischen Massenmedien am Beispiel des Golfkrieges vgl. Kempf, 1994). Aber auch die Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärs kann ein Ziel sein.

Auch in Deutschland gibt es derartige Tendenzen (allerdings was Spieltechnik und Spielreiz betrifft auf einem deutlich niedrigeren Level), wie das 1994 im Auftrag der Deutschen Bundeswehr produziertes Computerspiel Helicopter-Mission zeigt. Darin werden – entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Diskussion um (friedensschaffende) out-of-area-Einsätze – mit Bundeswehrhubschraubern ausschließlich Hilfs- und Rettungsmissionen geflogen. Die zeitgleiche Produktion dieses Spieles zur Diskussion um eine Neubestimmung der Rolle der Bundeswehr ist kein Zufall: In Helicopter-Mission wird explizit auf die neuen Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr Bezug genommen (vgl. Streibl 1998).

6. Gewalthaltigen und kriegerischen Computerspielen kann am ehesten durch eine differenzierte kritische Auseinandersetzung (im individuellen und im gesellschaftlichen Rahmen) begegnet werden.

Aus den obigen Überlegungen wird deutlich, daß es nicht sinnvoll ist, einen hermetisch gegen alle negativen Einflüsse abgeschotteten Schonraum für Kinder aufzubauen – ganz abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens. Elterliche Verbote sind genauso wenig wirksam wie Indizierungs-Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften: Sie haben eher kontraproduktive Wirkungen, wie folgende Aussage eines Student verdeutlicht: „…als ich in dem Alter war und mich die Altersbeschränkungen getroffen haben, da war das wie Briefmarken sammeln, irgendwelche indizierten Spiele zu haben … da hab' ich auch eine Menge Müll rumfliegen gehabt, nur weil er indiziert war und nicht zum Spielen“.

Ebenso wie es nicht das typische Computerkriegsspiel gibt, existiert auch nicht der typische Spieler – zu unterschiedlich sind die Nutzungsmotive und die lebensweltlichen Bedingungen, die als Rahmen für das Computerspiel wirksam sind. Gemeinsam ist den meisten Spielern, daß eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Aspekten eines Computerkriegsspiels kaum bis gar nicht stattfindet. Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen sollten sich bei aller Skepsis für die Spiele, die einen Teil der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen bilden, interessieren und zur Reflexion darüber anregen (z.B. auch durch gemeinsames Spielen, Analysieren, Kontrastieren und Vergleichen, Diskussion der Motive… ; vgl. Streibl 1998). Ziel sollte jedoch nicht sein, die Spieler zu überzeugen, wie schlecht ein Spiel sei, sondern zu einer produktiven Verunsicherung beizutragen, damit eine selbstbestimmte Weiterentwicklung erfolgen kann. Parallel dazu muß ferner eine intensive Beschäftigung mit den Gewaltwirklichkeiten in unserer Gesellschaft erfolgen, sowohl bezogen auf direkte als auch auf strukturelle Gewalt.

Schließlich muß eine gesellschaftliche Diskussion mit dem Ziel angestoßen werden, militärische Auseinandersetzungen grundsätzlich zu ächten und sie nicht mehr als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“ anzusehen. In diesem Sinne muß auf breiter Front gegen die Militarisierung in den Köpfen (z.B. neue Bundeswehr), in der Wirtschaft (z.B. die aktuellen Fusions- und Kooperationsprozesse der Rüstungsunternehmen) und im Bundeshaushalt (z.B. Eurofighter) angegangen werden. Eine Abrüstung allein im Kinderzimmer ist nur moralische Doppelzüngigkeit in einer Rüstungsschmiede wie Deutschland.

Literatur

Altmeyer-Baumann, S. (1991): Jugend und Computer. Zum Forschungsstand in der Bundesrepublik Deutschland. Medienpsychologie, 3 (2), S. 86-108.

Ansorge, P. und Streibl, R.E. (1997): Schöner neuer Krieg. Information Warfare – der neue saubere Krieg ohne Schrecken. In: Krämer, J., Richter, J., Wendel, J., Zinßmeister, G. (Hrsg.): Schöne neue Arbeit. Mössingen-Talheim: Talheimer.

Berg, Ch., (1991): Wandel der Kindheit in der Industriegesellschaft. Neue Sammlung, (3), S. 411-435.

Billmann-Mahecha, E. (1992): Argumente für eine verstehende Kinderpsychologie aus kulturpsychologischer Perspektive. Memorandum Nr. 6. Universität Erlangen.

Büttner, Ch. (1988): Gewalt im Spiel. In: Fritz, J. (Hrsg.): Programmiert zum Kriegspielen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 93-113.

Fritz, J. (1988): Wie wirken Videospiele auf Kinder und Jugendliche. In: Fritz, J. (Hrsg.): Programmiert zum Kriegspielen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 200-217.

Fritz, J.; Misek-Schneider, K. (1995): Computerspiele aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen. In: Fritz, J. (Hrsg.): Warum Computerspiele faszinieren. Weinheim: Juventa, S. 86-125.

Fritz, J.; Wegge, J.; Wagner, V.; Gregarek, S.; Trudewind, C. (1995): Faszination, Nutzung und Wirkung von Bildschirmspielen. Ergebnisse und offene Fragen. In: Fritz, J. (Hrsg.), Warum Computerspiele faszinieren. Weinheim: Juventa, S. 238-243.

Hurrelmann, K. (1995): Gewalt: ein Synonym für fehlende soziale Kompetenz. In: Valtin, R., Portmann, R. (Hrsg.): Gewalt und Aggression: Herausforderungen für die Grundschule. Frankfurt/Main: Arbeitskreis Grundschule, S. 75-84.

Kempf, W. (Hrsg.) (1994): Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg. Münster: Lit.

Kempf, W., Palmbach, U., Reimann, M. (1993): Kriegsschauplatz Deutschland. Die bundesdeutsche Presseberichterstattung im Golfkrieg. Wissenschaft & Frieden, 11 (3), S. 16-19.

Kroner, B. (1979): Die Bedeutung von Spiel und Spielzeug für die kindliche Entwicklung. In: Nationale Kommission für das Internationale Jahr des Kindes (Hrsg.): Erziehung gegen Gewalt. Kriegsspielzeug in der aktuellen Diskussion. Bonn, S. 1-27.

Kroner, B. (1982): Definitionen von Kriegsspielzeug. In: Galerie 70 Edition (Hrsg.): Kriegsspielzeug. Ist das noch Spielzeug? 2. Aufl. Berlin: Frölich & Kaufmann, S. 14-37.

Maaß, J. (1996): Strategiespiele am Computer. In: Maaß, J. (Hrsg.): Computerspiele: Markt und Pädagogik. München: Profil, S. 112-121.

Mead, G.H. (1973): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.

Neuneck, G. (1995): Computersimulation und moderne Kriegsführung. In: Kreowski, H.J., Risse, T., Spillner, A., Streibl, R.E., Vosseberg, K. (Hrsg.): Realität und Utopien der Informatik. Münster: agenda, S. 95-103.

Oerter, R. (1997). Psychologie des Spiels. 2. Aufl. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Riddell, R. (1997): Doom goes to war. The Marines are looking for a few good games. Wired, (4), S. 114-118, 164-166.

Schmidtchen, S., Erb, A. (1976): Analyse des Kinderspiels. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Smith, P.K. (1994): The War Play Debate. In: Goldstein, J.H. (ed.): Toys, Play and Child Development. Cambridge: University Press, S. 67-84.

Steinhardt, G. (1994): Der Computer als neues Kulturelement in der Lebenswelt Jugendlicher. In: Janig, H., Rathmayr, B. (Hrsg.): Wartezeit. Studien zu den Lebensverhältnissen Jugendlicher in Österreich. Innsbruck: Österreichischer Studien Verlag, S. 241-268.

Streibl, R.E., (1996): Spielend zum Sieg. Krieg im Computerspiel – Krieg als Computerspiel. Informatik-Forum, 10 (4), S. 203-214.

Streibl, R.E. (1997): Der real simulierte Krieg. FriedensForum, (3), S. 32-33.

Streibl, R.E. (1998): Game over: Die Rüstungsspirale auf Diskette und CD-ROM. In: Kempf, W., Schmidt-Regener, I. (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. (in Druck)

Sutton-Smith, B. (1986): Toys as Culture. New York: Gardner Press.

Wegener-Spöhring, G. (1995): Aggressivität im kindlichen Spiel. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag.

Anmerkungen

1) Der Artikel beruht auf Ergebnissen eines vom Autoren an der Universität Bremen durchgeführten Projektes, initialgefördert von der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung sowie durch Zuschüsse unterstützt von der Bertha-von-Suttner-Stiftung und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Zurück

2) Der Verzicht auf die weibliche Form ist beabsichtigt, da Kriegsspiele überwiegend von männlichen Jugendlichen und Erwachsenen gespielt werden (vgl. u.a. Fritz & Misek-Schneider 1995). Zurück

Ralf E. Streibl, Diplom-Psychologe, Mitglied des Vorstandes des »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V.«

Der Wissenschaftler@Inter.net

Der Wissenschaftler@Inter.net

von Bodo Wegmann

Aktuelle Zeitungen, Fachpresse, die Post – ein ganz selbstverständliches Bild auf unserem Schreibtisch. Der aktuelle Newsgroup-Report, das Online-Magazin, e-mail – ganz selbstverständlich auf den Bildschirmen unserer Computer? Immer öfter werden einem Visitenkarten in die Hand gedrückt, auf denen neben den üblichen Angaben so etwas steht wie »glOi@alf.zfn.uni-bremen.de«, und immer öfter tauchen Begriffe auf wie Datenhighway und weltweites Computernetz. So manch einer, der sich gerade mühevoll mit seiner Textverarbeitung oder Datenbank zurechtgefunden hat, schaut mißtrauisch auf das, was als nächstes auf ihn zuzukommen droht: das Internet. Doch Vorbehalte sind hier fehl am Platz, im Gegenteil: das Internet ist eine großartige Hilfe für die wissenschaftliche Arbeit, spart Zeit und Geld, macht Spaß und ist einfacher zu handhaben als fast alle Programme in Ihrem Computer. Ein Großteil des Internet bildet das World Wide Web (WWW), und dazu brauchen Sie sogar nur Ihre Maus.

Was ist das Internet überhaupt? Seit Jahrzehnten wird immer mehr Wissen in Computern er- und verarbeitet. Der Austausch erfolgt meistens darüber, daß Mensch A etwas aus seinem Computer ausdruckt und einen Stapel Papier an Mensch B schickt, der diesen Haufen wiederum in seinen Computer einarbeitet. Auch das Hin- und Herschicken von Disketten ist mittlerweile gang und gäbe. Das Internet kürzt diesen Prozeß ab, indem es die Computer von Mensch A und Mensch B (und ca. 35 Millionen anderer Menschen) miteinander verbindet.

Dadurch haben Sie von Ihrem Rechner aus Zugang zu Datenbanken, Informationsdiensten, offiziellen Stellen usw. von Aachen bis Zypern. Alles, was Sie benötigen, ist ein Zugang zum Internet, z.B. über das Rechenzentrum der nächsten Universität oder über kommerzielle Anbieter wie Compuserve.

E-mail (engl. electronic mailing, dt. elektronische Post) ist mit dem Briefeschreiben vergleichbar. Sie schreiben einen Text auf Ihrem Computer, z.B. ein Buchkapitel von 80 Seiten. Doch anstatt alles auszudrucken und für ein horrendes Porto zu Ihrem Bekannten in die USA zu senden, »mailen« Sie den Text ganz einfach von Ihrem in seinen Rechner. In wenigen Minuten ist die Datenmenge bei Ihrem Bekannten, der nun seine Korrekturen direkt an seinem Computer vornehmen kann. Dann schickt er den Text als e-mail an Sie zurück, in Ihren Rechner, wo Sie ihn gleich weiter bearbeiten können. Wollen Sie wissen, aus welcher Quelle er die tolle Einfügung hat und bei der Gelegenheit gleich „Thank's for your help“ sagen? Dann können Sie entweder eine mail schicken, oder direkt mit ihm »chatten« (von engl. to chat, dt. klönen). Ihr „Thank's“ erscheint auf seinem Bildschirm, während Sie es tippen, und Sie sehen, wie er „my pleasure“ tippt: man klönt über die Tastatur. Wenn Sie gerne mal Bill Clinton eine Mail schicken oder mit ihm chatten wollen, erreichen Sie ihn unter »president@whitehouse.gov« (alle im folgenden vorgestellten Adressen erscheinen in » », die bei der Eingabe aber nicht mitgeschrieben werden dürfen).

Bleiben wir bei Ihrer Forschungsarbeit und nehmen an, Sie suchen korrekte bibliographische Angaben. Sie könnten jetzt mit Ihrer Quellenliste in die Bücherei fahren und alles nachschlagen. Oder: Sie schauen im Online-Katalog der Library of Congress in Washington, D. C. nach. Mit »locis.loc.gov« sind Sie mit einer der größten Bibliotheken der Welt verbunden, rund um die Uhr. Falls Sie militärische Fachliteratur suchen, können Sie auch bei der US Military Academy nachschauen (»library.usma.edu«). Für Geheimdienstliteratur können Sie eine Anfrage an das National Intelligence Book Center (»70346 .1166@compuserve.com«) schicken.

Wer neues erforscht, muß oft bereits Erforschtes nachschlagen: entweder in Nachschlagewerken oder in Datenbanken. Das bietet Ihnen das Internet natürlich ebenfalls. Man kann auf allgemeine und Fachlexika zugreifen, auf Fremdsprachen- und Rechenprogramme, meteorologische Daten aus Nahost und allerlei Spezialdatenbanken: über Personen aus Osteuropa informiert »http://galaxy.einet.net/ hytelnet/FUL053.htm«, über amerikanische statistische Daten »capaccess.org« und über Nuklearwaffen-Themen das Archiv von Paul McGinnis sowie über Human Radiation Experiments »http://www. eh.doe.gov/ohre/home.htm«. Der Friedensforscher möchte vielleicht gerne auf Daten von SIPRI, Schweden, zugreifen (»http://www.sipri.se«) oder auf den renomierten Verlag Jane's, GB, (»http://www. btg.com/janes«).

Sollen es statt Informationen über Geheimdienste, die gibt es zu jedem Land bei IWR unter »http://www.awpi.com/IntelWeb/« – lieber Informationen von Geheimdiensten sein? Dann adressieren Sie »http://www.odci.gov/« für die CIA, »http: //www.ustreas.gov/treasury/bureaus/usss/usss.htm« für den Secret Service oder »http://edcwww.cr.usgs.gov/dclass/dclass.htm« für Satellitenaufklärungs-Bilder, z.B. einer sowjetischen Luftwaffenbasis.

Natürlich sind Bilder genauso einfach zugänglich wie Texte und können einfach in Grafikprogramme Ihres Computers geladen werden (Haben Sie Windows? Dann können Sie Bilder in »Paintbrush« bearbeiten, oder mit »CorelDraw«). Die CIA stellt sich Ihnen unter vorgenannter Adresse sogar mit einem kleinen Filmprogramm vor. Und die National Security Agency (NSA) nimmt sie mit in eine bunte KGB-Ausstellung: »http://www.nsa.gov:8080/«.

Da fast jede Zeitung heute am Computer erstellt wird, liegt es nur nahe, sie auch gleich via Computer zu verbreiten. Was steht denn diese Woche im Spiegel (»http://spiegel.nda.net/nda/spiegel«)? Was schreiben Welt (»http://www.welt. de/«), TAZ (»http://www.prz.tu-berlin.de/ ~taz/«) oder der Standard aus Wien <>(»http://www.Austria.EU.net/DerStandard/«)?<> Artikel, die gut in Ihre Forschungsarbeit passen, können natürlich problemlos übernommen werden. Wer regelmäßig Internet-Zeitungen erhalten möchte, kann sie durch Aufnahme in einen sog. Listserver einfach abonieren, z.B. die Tagesberichte von Radio Free Europe/Radio Liberty. Auf solchem Wege sind auch die Pressemitteilungen aus dem Weißen Haus zu beziehen, von der NATO und der WEU.

Möchten Sie über Ihre Arbeit mit anderen Menschen diskutieren, die sich sehr für das Thema interessieren und meistens recht kenntnisreich sind? Bei der Gelegenheit lassen sich gute Tips austauschen und interessante Details erfahren. Dann sind Sie in den sog. Newsgroups richtig. Das sind Diskussionsforen, in denen alle miteinander kommunizieren, die sich für eines der zigtausend angebotenen Themen interessieren. Mit einfachen Suchbefehlen finden Sie die Gruppe(n), in der es genau um Ihr Thema geht, egal ob das nun Bonsai-Bäumchen sind, Religionsfreiheit in Tibet, Nationalismus-, Sozialismus- oder Verschwörungstheorien, Literatur, Friedenspolitik, Geheimdienste oder Raumschiff Enterprise. Und wenn Sie selbst eine neue Newsgroup einrichten wollen, ist auch das gar nicht so schwer.

Das weltweite Computernetz verbindet über den Datenhighway Menschen und Informationen. Es wird sich zu einem immer wichtigeren Instrument für die Forschungsarbeit entwickeln, das diese unglaublich erleichtert.

Ich hoffe, ich habe Ihnen die vielen Möglichkeiten, das Internet nutzen zu können, näher gebracht und Sie neugierig gemacht, es selbst einmal zu versuchen. Vielleicht mit einer e-mail an »glOi@alfzfn. uni-bremen.de«?

Bodo Wegmann, Berlin

Exempel Golfkrieg – Wird die These von der zunehmenden Unführbarkeit von Kriegen widerlegt?

Exempel Golfkrieg – Wird die These von der zunehmenden Unführbarkeit von Kriegen widerlegt?

Eine interaktive multimediale Dokumentation als computergestützte militärische Technikfolgenabschätzung

von Wolfgang Hofkirchner • Peter Purgathofer

Der Krieg am Golf fand statt. Also war er machbar. Also war Krieg machbar. Die Behauptung, Kriege seien in der heutigen Welt nicht mehr machbar, wird durch das Faktum Golfkrieg Lügen gestraft. So einfach ist das. Zu einfach! Denn die These von der Unführbarkeit von Kriegen hebt auf die Zweckmäßigkeit ihrer Führung ab: „Bezwecken Kriege in der Tat noch das, was sie sollen?“ ist die Frage, auf die sie eine negative Antwort gibt.

Krieg ist Mittel der Politik. Krieg ist die Anwendung bewaffneter Gewalt – heute, unter den Bedingungen der Existenz nationalstaatlich verfaßter Gesellschaften – innerhalb von bzw. zwischen Staaten zum Zweck der Erreichung innen- bzw. außenpolitischer Ziele. Diese Ziele sind entweder staatsbürgerlich bzw. nationalstaatlich borniert, d.h. darauf beschränkt, nur einem Teil des gesellschaftlichen Subjekts (bestimmten Gruppen innerhalb einer Nation bzw. bestimmten Nationen innerhalb der Völkergemeinschaft) auf Kosten eines anderen Teils Entwicklungsbedingungen einzuräumen, oder sie umfassen die Aufhebung ebendieser Herrschafts-, Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse. Nur in diesem zweiten Fall läßt sich davon sprechen, daß Krieg gerecht(fertigt) sei, sofern die Verhältnismäßigkeit des Mittels gewahrt werden kann, die Größe des Leids also, das durch den Einsatz des Mittels erst verursacht wird, weit unterhalb der Größe desjenigen gehalten werden kann, zu dessen Überwindung es eingesetzt wird.

Aber Krieg bleibt Mittel der Politik auch dann, wenn diese Verhältnismäßigkeit nicht mehr garantiert werden kann. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ein Zeitalter eingeläutet, in dem zum einen die Zerstörungskraft der Waffensysteme aufgrund ihrer ins Unermeßliche gesteigerten technischen Leistungsfähigkeit die Grenzen des militärisch Sinnvollen überschritten hat. Mit der Erklärung des obersten Repräsentanten der führenden Militärmacht der Erde, daß ein Atomkrieg niemals geführt werden dürfe, ist diese Erkenntnis seit Mitte der 80er Jahre regierungsamtlich. Und seit damals reift eine weitere Erkenntnis, nämlich daß es die Verwundbarkeit der zivilen Infrastruktur aufgrund ihrer komplizierten und komplexen technischen Interdependenzen zum anderen ist, die den Einsatz von Waffensystemen auch dann schon militärisch sinnlos macht, wenn diese weitaus weniger destruktiv sind. Beide Tendenzen bedeuten, daß Krieg als rationales Mittel der Politik obsolet zu werden beginnt, weil die Folgen der Anwendung bewaffneter Gewalt auch noch so bornierte politische Ziele in ihr Gegenteil zu verkehren drohen. Krieg wird für den Verfolg der eigenen Interessen zunehmend kontraproduktiv.

Und in dieser Situation eskalierte die Krise am Golf zum ersten und gleich mit dem ganzen Arsenal seiner noch nicht auf dem Schlachtfeld erprobten High-Tech-Waffen in Szene gesetzten Mid-intensity-Krieg des Westens nach dem Zusammenbruch des bisherigen Feindbildes Nummer 1. Die einen, die sich von der Beendigung des Ost-West-Konflikts die Perspektive der Zivilisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen erwartet hatten, traf der Krieg unvorbereitet, wie ein diabolus ex machina, für die anderen, die im Westen noch nie etwas Neues zu finden bereit gewesen waren, kam er folgerichtig, ja unausweichlich, mit dem Wegfall des Gegners, der in ihrer Sicht allein es vermocht hätte, ihn in die Schranken zu weisen. Obwohl er länger war, als einige vorgesehen hatten, war er doch kürzer, als viele befürchtet hatten. – Ein Erfolg?

Wenn dieser Krieg ein Erfolg war, dann muß die These vom drohenden Verfall der sinnvollen Führbarkeit von Kriegen revidiert werden. Entweder ist sie überhaupt zu verwerfen, oder es ist ihr Geltungsbereich, der eingeschränkt werden muß: Die These ist dann als ganze fallen zu lassen, wenn es falsch ist, daß die waffentechnologische Entwicklung immer lethalere Systeme oder daß die zivilisatorische Entwicklung immer fragilere Systeme hervorbringt, wenn also vielmehr zutrifft, daß die High-Tech-Waffen – etwa aufgrund ihrer typischen Spezifikationen Punktzielgenauigkeit und verkleinerte Sprengkraft – oder der Zivilschutz – etwa durch die Härtung lebenswichtiger Nervenstränge der Gesellschaft – den Trend geradezu umkehren. Die These gilt dann nur in einem Teilbereich, wenn eingeschätzt wird, daß dieser Krieg entweder Kampfhandlungen auf dem Territorium eines Staates mit hoch-verletzlicher industrieller Infrastruktur oder den Einsatz von Waffen hoher Vernichtungswirkung notwendigerweise ausgeschlossen hat – etwa weil es sich bei diesem Krieg um keinen Krieg zwischen hochentwickelten Gesellschaften gehandelt hat, sondern um einen Krieg zwischen Repräsentanten hochentwickelter Gesellschaften auf der einen Seite und Repräsentanten weniger entwickelter Gesellschaften auf der anderen. Die These kann dann für all jene Fälle aufrechterhalten werden, in denen die Beteiligung störanfälliger Infrastruktur oder hoch-zerstörerischer Militärpotentiale nicht mehr auszuschließen ist, während Kriege etwa in der Dritten Welt nicht zu der Klasse der Objekte gehören müssen, über die die These etwas aussagt. (Falls die Verwundbarkeit oder die Vernichtungsfähigkeit im Golfkrieg nicht notwendigerweise, sondern nur zufälligerweise nicht gegeben gewesen sein sollten, muß die These in keiner Weise revidiert werden. Es reicht, daß diese Bedingungen hätten eintreten können. Denn die These behauptet ja gerade, daß sie nicht mehr mit Sicherheit auszuschließen sind.)

Und wenn der Golfkrieg kein Erfolg war, dann wird die These von der verlorengehenden Sinnhaftigkeit der Kriege bestätigt. Sie bewährt sich nicht erst dann, wenn sich zeigen läßt, daß die wirklichen Folgen die angestrebten Kriegsziele konterkarieren. Sie bewährt sich bereits dann, wenn angenommen werden muß, daß derartige Folgen möglich und wahrscheinlich gewesen sind.

Ob die These beibehalten werden kann, ob sie modifiziert oder ob sie zurückgewiesen werden soll, müssen Untersuchungen zeigen.

Unsere Idee ist es nun, in einer Art Synopse militärischer Technikfolgenabschätzung zum Golfkrieg eine computerunterstützte Dokumentation mit den wichtigsten Ergebnissen einschlägiger Studien aufzubauen, die den Benutzer und die Benutzerin befähigt, Argumente pro und kontra gegeneinander abzuwägen und im Dialog mit dem PC eine eigene Gesamteinschätzung zu erarbeiten.

»Militärische Technikfolgenabschätzung«

Im einzelnen sollen Informationen zu den folgenden Gebieten abrufbar sein:

Mensch Technik Natur/Umwelt Gesellschaft
Militärpotential 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.
Ziviles Potential 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Risikopotential 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

1. zum Militärpotential der betreffenden Staaten, u.zw.
1.1. zu den Streitkräften (Truppenstärken, Ausbildungsstand),
1.2. zu den Rüstungen (Waffengattungen, Waffentechnologien, Führungssysteme),
1.3. zu den Aufmarschräumen, und
1.4. zu den Doktrinen, die den Gebrauch des Militärpotentials festschreiben;
2. zum „zivilen“ Potential, d.h. der Wirtschaftskraft, der Lebensfähigkeit, der betreffenden Staaten, u.zw.
2.1. zur personellen Infrastruktur (Wohnbevölkerung, erwerbstätige Bevölkerung, Qualifikationsstruktur),
2.2. zur materiellen Infrastruktur (Produktionsanlagen, Versorgungsnetze),
2.3. zu den natürlichen Ressourcen, und
2.4. zu den Politiken, mit denen die Entwicklung des zivilen Potentials bestimmt wird; und
3. zum „Risikopotential“ der betreffenden Staaten, d.h. dem Möglichkeitsfeld aller Folgewirkungen, die beim Einsatz des vorhandenen Militärpotentials auf der Grundlage des gegebenen zivilen Potentials mit einer gewissen (von 0 verschiedenen) Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und die Erfüllung der (über)lebenswichtigen gesellschaftlichen Funktionen in einem quantifizierbaren Ausmaß stören, seien sie kurz-, mittel oder langfristig, seien sie lokal, regional oder global, wobei die tatsächlich eingetretenen Folgewirkungen eine Teilmenge dieses Risikopotentials darstellen, u.zw.
3.1. zu den kalkulierbaren sog. Kollateralschäden (zivile Opfer),
3.2. zu den kalkulierbaren Schäden am sachlichen Produktivvermögen,
3.3. zu den kalkulierbaren Umweltschäden (Atmosphäre, Hydrosphäre, Pedosphäre), und
3.4. zu den kalkulierbaren negativen Folgen gesellschaftlicher Art (Konflikte).

Mit diesen Daten sollen Beurteilungen zum Themenkomplex Kriegsfolgen – Kriegsführung – Kriegsursachen – Kriegsverhütung erleichtert werden: War der Krieg schon ein zu großes Risiko, als daß er noch verantwortbar geführt hätte werden können, oder hielt sich das Risiko in Grenzen? Was waren die Kriegsziele und wurden irgendwelche erreicht? Welche gesellschaftlichen Probleme bestanden vor dem Krieg und welche bestehen jetzt, wurden irgendwelche von ihnen durch den Krieg gelöst? Waren Alternativen zum Krieg denkbar?

Dazu beizutragen, daß Fragen wie diese (auch für ein nicht-wissenschaftliches Publikum) wissenschaftlich fundiert beantwortbar werden, ist der Zweck der Dokumentation.

Deshalb soll diese Dokumentation interaktiv und multimedial sein. Das entscheidende Element an interaktiven Dokumentationen ist die Selbstbestimmung im Umgang mit dem Material. Im Gegensatz zu Dokumentationen in anderen Medien, etwa Fernsehen oder Radio, die die NutzerInnen zu reinen KonsumentInnen machen, können diese hier nach eigenem Gutdünken aus dem Fundus des vorhandenen schöpfen. Diesen Vorteil hätte etwa auch ein Buch oder eine Broschüre. Was diesen Medien jedoch fehlt, ist die Einbindung von Animation und Ton sowie schnelle, komplexe Interaktion.

Grundstruktur des Programmes sind Landkarten in drei verschiedenen Maßstäben – eine Weltkarte, eine Regionalkarte und eine Karte, auf der im wesentlichen nur Irak und Kuwait zu sehen sind. Zwischen diesen drei Sichten kann jederzeit gewechselt werden. In jeder Sicht können wie durch Filter unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden, die aus der oben beschriebenen Matrix (Potentiale/Betroffene) stammen. So sind beispielsweise für Kuwait (lokale Sicht) die Folgen der Entzündung der Ölquellen abrufbar. Durch Wechsel der »Brennweite« können die regionalen oder globalen Folgen der Brände abgefragt werden.

In jeder dieser Ebenen liegen zu jedem Aspekt die wichtigsten Informationen in noch detaillierterer Form vor, wobei das Spektrum der Erscheinungsformen dieser Hintergrunddaten von kurzen Textstücken über kommentierte Grafiken oder Darstellungen von Szenarien bis zu Animationen, die Wirkungsweisen besser verständlich machen, reicht.

Da das Lesen von Text auf dem Bildschirm langsamer und ermüdender ist als auf Papier, wollen wir auf lange Textpassagen möglichst verzichten und die Informationen durch grafische Umsetzung und Hervorhebung der essentiellen Daten möglichst leicht erfassbar machen.

Die Umsetzung erfolgt in HyperCard 2.0 auf Macintosh. Wir werden uns voraussichtlich auf das Format der 9“-Bildschirme beschränken, da das Produkt auch auf den kleinsten Macintosh-Modellen lauffähig sein soll. Zur Einbindung von Bildern und Grafiken steht uns neben einem Scanner eine Möglichkeit zur direkten Digitalisierung von Videobildern zur Verfügung, die es ermöglicht, auch in Form von Videokassetten vorliegendes Material einzubinden.

Unterstützung für unser Projekt, Wünsche, Anregungen, Anfragen bitten wir an folgende Anschrift: Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung, TU Wien, Möllwaldplatz 5, A-1040 Wien

Zwischen Hurra-Patriotismus und nationaler Selbstverwaisung

Zwischen Hurra-Patriotismus und nationaler Selbstverwaisung

Der »Blick von unten« in Buch und Film Letters Home from Vietnam.

von Adi Wimmer

In der offiziellen Geschichtsschreibung über den Vietnamkrieg durch die Joint Chiefs of Staff mit dem Titel The JCS and the War in Vietnam: History of the Indocbina Incident (der 1. Teil, 1940–54 erschien 1988, weitere 4 Bände existieren, sind aber nach top secret,1 wird wohl kaum zu lesen sein, daß sich patrouillierende US-Infanteristen ihr Essen häufig mit »peanut butter« (also Erdnußbutter) erhitzten. Peanut butter war verhaßt, weil es durstig machte, also wurden anfänglich große Mengen von Dosen weggeworfen. Die Viet Congs öffneten die Dose auf einer Seite, schoben eine kleine Menge Plastiksprengstoff hinein verschlossen die Dose mit einer Rohrzange, und brachten an einem Loch im Boden einen einfachen Detonator an. Fertig war eine sehr primitive, aber deswegen nicht uneffektive Brandmine, in der das Erdnußfett die Wirkung des Sprengstoffes auf Soldatenbeine und -weichteile intensivierte. Als die Gls dieser Technik auf die Schliche kamen, warfen sie keine Dosen mehr weg. Aber essen wollten sie das Zeugs auch nicht, also vermengten sie die Erdnußbutter mit einem öligen Insektengift. Erdnußbutter verbrennt sehr schnell, das Insektenöl an sich schlecht ; die Mischung ergab aber einen Heizofen, der ungefähr 10 Minuten zum Kochen zu gebrauchen war.

Die Perspektive von unten

Diese Information erhält man nicht aus den offiziellen Geschichtswerken, man erhält sie aus einem der Briefe der Sammlung Dear America: Letters Home from Vietnam (41)2. Man wird einwenden; daß dieses Detail für die Erstellung einer historischen Kriegschronik entbehrlich sei. lst es so? Wirft das Detail nicht ein kennzeichnendes Schlaglicht auf das Improvisationstalent der vietnamesischen Guerrillas, die sich über Jahre hinweg auch ohne Hilfe aus China oder der SU behaupten konnte; und ein zweites auf die tönerne Unbeweglichkeit des amerikanischen Armeeapparats, denn selbstverständlich wurde Erdnußbutter auch weiterhin dem Infanteristen in den Rucksack gesteckt? Historische Kriegschroniken wie das der JCS sind „wie Kriegskarten, auf denen Frontverlauf und Stellungen, militärische Bewegungen und Truppenstärken mit Pfeilen, Strichen, Ziffern (…) eine Rationalität vortäuschen, aus der die Realität des Leides (…) jenes Geschehens nie sichtbar werden kann“ 3. Der Salzburger Historiker Fritz Fellner fordert daher für die Historiographie des 1. Weltkriegs eine Loslösung von den offiziellen, und eine Hinwendung zu den privaten Quellen, zu Tagebüchern und Briefen. Daß auch diese Quellen, ja sogar die Briefe von Toten, in eine kulturelle Hegemonie kooptiert werden können, hat Bernd Ulrich in seinem Aufsatz „Die Perspektive von unten …“ 4 sehr gut dokumentiert.

„Die Zerstörung war wechselseitig“

Für die Historiographie des Vietnamkrieges sind diese privaten Quellen besonders wichtig. Denn nach dem offiziellen Ende der amerikanischen Partizipation im Februar 1973 überantwortete man Vietnam einem Orwellschen »Erinnerungsloch« . In den frühen 70iger Jahren wurden dutzende Vietnamkriegsmemoiren oder Romane geschrieben, von denen die allerwenigsten eine breitere Öffentlichkeit erreichten. Wieviele Bücher erst gar nicht angenommen wurden, darüber kann nur spekuliert werden. 1974 wurde das Buch des weltberühmten Autors James Earl Jones Viet Journal im Magazin TIME mit den Worten rezensiert: „ … a book about Vietnam for a public that doesn't want to hear anything more about Vietnam“, und die Rezension desselben Buches in der New York Times beginnt folgendermaßen: „Quick – before your mind fogs up at the prospect of yet another report on Vietnam.“.5 Ebenfalls in der NYT wird Michael Herrs Non-Fiction Novel Dispatches 1977 im einem ähnlichen Duktus besprochen: „If you think you don't want to read any more about Vietnam, you are wrong. Dispatches is beyond politics, beyond rhetoric. It is as if Dante had gone to hell with a cassette recording of Jimi Hendrix and a pocketful of pills: our first rock-and-roll war.“ 6 Der Rezensent insinuierte, daß man das Buch lesen könne, ohne dabei an Vietnam denken zu müssen, und selbst wenn man diesen Bezug nicht unterdrücken könne, von Fragen der Politik nicht inkommodiert zu werden. Von Fragen der Moral ganz zu schweigen, wie eine Äußerung von Jimmy Carter im selben Jahr belegt. Die USA hätten gegenüber Vietnam keine Verpflichtung zu Reparationszahlungen,- sagte Carter, „because the destruction was mutual.“ 7

Als Michael Cimino 1978 seinen Film The Deerhunter präsentierte, stürzte sich die Kritik vor allem auf ein total inauthentisches Detail, nämlich die Folterung von US-Gefangenen durch Vietcong-Soldaten, indem sie sie zu russischem Roulette zwangen. Andere spezifische Bedingungen des Kriegs wurden weder durch den Film noch in der Kritik aufgegriffen. Apocalypse Now (1979) beruht auf dem Roman Joseph Conrads Heart of Darkness (1896). Dem Publikumserfolg dieser Streifen gegenüberzustellen ist der totale Mißerfolg von authentischen Filmen dieser Jahre wie The Boys in Company C (1977) oder Go Tell the Spartans (1978). Sie wurden von der Kritik ignoriert und verschwanden sehr rasch in der Versenkung. Ebenfalls ignoriert wurde der nach 1967 erste Band mit Soldatenbriefen, herausgegeben 1975 im Selbstverlag von der Indochina Curriculum Group, Front Lines: Soldiers' Writings from Vietnam.8

Und selbst die 1981 erscheinenden Bände von Oral Histories, Nam (ed. Mark Baker) und Everything We Had (ed. Al Santoli ) werden teilweise von der Kritik mit Etiketten versehen, die ihnen entweder ihr spezifisches Diskurspotential für diesen spezifischen Krieg rauben, oder ihr Potential für einen ethischen Diskurs, oder beides. Drei Beispiele dafür aus Rezensionen von Mark Bakers Nam (alle drei als book blurbs ausgewählt)

Nam speaks with the one true voice, the voice of the universal soldier. (Chicago Tribune.)

Nam is not a political tract. It doesn't try to fix blame. It just overpowers the reader with the images of that catastrophe . (Hartford Courant) (Wer »overpowered« ist, kann nicht mehr nachdenken)

Here is the whole tragic catastrophe that was our involvement in Vietnam.9 (Harry Crews, novelist.)

Dieselbe Tendenz zur Entpolitisierung, die wir in Worten wie »catastrophe« oder »tragedy« finden (im Hegelianischen Sinne denotiert »tragisch« den Konflikt zwischen »gut« und »gut«), steckt auch in der Rezension der Washington Post Book World von Al Santolis Anthologie: „If there are to be any heroes in America then let us begin with the 33 men and women in this book“ 10 Auch Dear America weist eine solche Bucheinbandsrezension vor:

Das Buch präsentiere „the immediate, poignant and gloriously heroic voice of the American serviceman in Vietnam“.11

»Helden« sind erstens zeitlos, und lassen zweitens keine moralische Ambiguität zu. Die vielleicht krasseste Einebnung einer spezifischen Evidenz sehe ich, und das nicht ganz zufällig, in einigen Lobhudeleien zu Wallace Terrys Sammlung von Augenzeugenberichten schwarzer Soldaten in Vietnam.12 TIME Magazine schrieb: „A portrait not just of warfare and warriors but of beleaguered patriotism and pride . (…) Some of these men have witnessed the very worst that people can inflict on one another … their experience finally transcends race; their dramatic monologues bear witness to humanity.“ War die ganz offenkundige Absicht des Herausgebers, vor allem die Ungleichheit von Schwarz und Weiß im Vietnamkrieg, die Ungerechtigkeiten im Apparat und den offenen wie versteckten Rassismus der Militärbürokratie herauszuarbeiten, so postuliert der Rezensent eine vage und alles verbindende »Humnanität« in den Beobachtungen der schwarzen Zeugen, ja er verschließt sogar die Augen vor der Evidenz des Rassismus und spricht von einem „Transzendieren“ der Rassenbarrieren. Oder der Rezensent der Associated Press: „(Terry) wrote a compelling portrait of Americans in combat, and used his words so that the reader (…) knows the soldiers as men and Americans, their race overshadowed by the larger humanity.“ 13

„Eine Tragödie epischen Ausmasses“

Vietnam wird enthistorisiert, moralisch neutralisiert, und schließlich mystifiziert. Es dient als Planke für Diskussionen über die menschliche Psyche, über episches Drama, über Postmodernismus.14 Ausgespart werden alle Fragen über die spezifische Moralität. So z. B. vom Historiker Stanley Karnow, der als Begleitbuch zur PBS-Fernsehserie ein dickes Geschichtsbuch herausgab: „In human terms at least, the war in Vietnam was a war that nobody won – a struggle between victims. (…) But whether a valid venture or a misguided endeavor, it was a tragedy of epic dimensions.“ (S.11)15 An einer anderen Stelle des Buches legt sich Karnow allerdings doch fest: der Vietnamkrieg sei ein fehlgeschlagener Kreuzzug gewesen (43). Eine weitverbreitete Metapher für Vietnam ist auch der »Sumpf« (quagmire), in den der unschuldige Riese USA tapste bzw. von seinem südvietnamesischen Partner hineingezogen wurde. Bestenfalls ist Vietnam, wie schon anklang, eine Katastrophe, ein Desaster, so wie ein Erdbeben oder ein Wirbelsturm, für den niemand etwas kann. Die heute weitverbreitete Metapher für den Krieg »The Vietnam Experience« belegt den Prozeß der Extraktion von Aktanten; von Nutznießern, von Kausalitäten.16 Geradezu olympische Distanziertheit zeigt der Buchtitel, den ich eingangs zitiert habe: A History of the Indochina Incident. Auch in zwei Fällen, in denen Gerichtsverfahren angestrengt worden waren, manifestierte sich diese unbefriedigende Tendenz der Verschleierung, des Vermeidens von Konflikten. General Westmoreland klagte 1984 den Fernsehkonzern CBS an, der in einer Dokumentation dargelegt hatte, daß der einstige Oberbefehlshaber in Vietnam in seinen Berichten nach Washington bewußt die Sachlage verfälscht hatte. Im Verlauf des Prozesses wurde immer klarer, daß der General verlieren würde. Aber anstatt die Sache bis zum Ende durchzustehen und die gerichtliche Imprimatur für die Richtigkeit der Anschuldigungen zu erhalten, akzeptierte CBS einen faulen Yergleich, in dem Westmoreland seine Klage bei Übernahme aller angelaufenen Kosten zurückzog; und CBS im Gegenzug eine öffentliche Ehrenerklärung für den General abgab. Der zweite Fall: die Veteranenorganisation VVA klagte 1982 Dow Chemicals, die Herstellerfirma des dioxinhaltigen Entlaubungsgiftes Agent Orange, auf Wiedergutmachung für hunderte an Krebs erkrankte amerikanische Soldaten. Auch hier kam es 1985 zu einer außergerichtlichen Einigung: Dow zahlte 180 Mio. Dollar in einen Hilfsfond ein, ohne zugeben zu müssen, daß die Krebsfälle wirklich durch Agent Orange verursacht wurden; und die Fragen, was die Experten von Dow Chemicals über die Gefährlichkeit des Dioxinmittels genau wußten, und wie fahrlässig unvollständig die Beschreibungen des Mittels wirklich waren, können nie mehr geklärt werden.

In seinem Vorwort zu Everything We Had schreibt Al Santoli: „It must always be remembered that the Vietnam War was a human ordeal and not an abstract heroic adventure as might be understood by Hollywood or a politician's speechwriter.18 hat Michel Foucault zwischen hierarchischen und damit historischen sanktionierten Diskursen und »subjugiertem« Wissen unterschieden, welches er als „those blocs of historical knowledge“ bezeichnet, „which were present but disguised within the body of functionalist and systematising theory.“ (82). Damit war es immer ein »machtloses« Wissen, ein marginalisiertes, diffamiert als amorph, bar jeder Theorie und damit jeder Wissenschaftlichkeit. Aber indem sich die Vorstellung von der reinen und wissenschaftlichen Wahrheit, von der desinteressierten Objektivität sich mehr und mehr als eine Schimäre herausstellt, verliert im selben Maße das tradierte Corpus von geordnetem, scholastischem, funktionalistischem Wissen an Bedeutung:

„I would say that what has emerged in the course of the last ten or fifteen year is a sense of the increasing vulnerability to criticism of things, institutions, practices. A certain fragility has been discovered in the very bedrock of existence“ (…)(80)

Es ist dies, wie im weiteren klar wird, v.a. eine Fragilität jener Theorien, die die Totalität der Welt umfassen wollen, z. B. des Marxismus. Nur eine Aufgabe solcher Ansprüche kann uns in der Forschung weiterbringen: „the attempt to think in terms of a totality has in fact proved a hindrance to research.“ (81)

In dieser Situation tritt das temporär unterdrückte, fragmentierte und regionale Wissen auf den Plan, ein Wissen; das sich nicht als anti-intellektuell versteht, nicht als anti-kognitiv, sondern zuvörderst als insurrektiv, als in Opposition stehend zu den Machtansprüchen des herrschenden Diskurses. Foucault spricht von einer

„(…) insurrection of knowledges that are opposed primarily not to the contents, methods and concepts of a science, but to the effects of the centralising powers which are linked to the institution and functioning of an organised scientific discourse within a society such as ours.(84)20

Man müßte nun zur Schlußfolgerung kommen, daß im letzten Jahrzehnt subversive Formen des Diskurses über Vietnam die Oberhand gewonnen haben. Feministinnen, radikale Veteranenorganisationen, Theatergruppen wie das Vietnam Veterans Ensemble Theatre in New York, Vereinigungen von ethnischen Minoritäten innerhalb der Veteranen würden wichtige Beiträge leisten zu einem Vorgang der konterkulturellen Verarbeitung von Vietnam. Die simple Tatsache ist aber, daß wir – wie noch auszuführen sein wird – gerade das Gegenteil davon erleben, nämlich eine Rekonstruktion des Konsensus über Vietnam in allen kulturell irgendwie bedeutsamen Medien und Repräsentationsformen. Diese Vereinnahmung ist Teil der amerikanischen Ideologie, von der John Carlos Rowe schreibt: „What is unique and singular about American ideology – the ideology first to have made the most efficient political uses of diverse cultural representations – is the speed with which it can incorporate a wide variety of critical perspectives in an enveloping rhetorical system designed to maintain traditional order and values.“(S. 200)21

Dies ist das große Erscheinungsbild. Wie das im kleinen mit einer Herausgabe von Soldatenbriefen funktioniert, will ich im letzten Teil meiner Ausführungen zeigen.

„Ein Buch der Wahrheit“

Ich habe vorhergehend die These aufgestellt, daß dem heutigen Soldatenbericht a priori mehr Relevanz für das Bemühen um Wahrheit zugestanden wird als z. B. im Gefolge des 1. Weltkriegs. Als Beispiel führe ich die Buchbesprechung des Boston Globe an, in der befunden wurde : „(Dear America) is not a history book, not a war novel, it is a book of truth“ 22. Wenn dieser Rezensent „a book of truth“ als Opposition zu „a history book“ empfindet, dann ist er in seinem Mißtrauen gegenüber offiziellen Instanzen als Mediatoren der Wahrheit ein wahres Kind des Postmodernismus. Auch der Film Dear America deklariert sich bereits im Vorspann als ein Film der Wahrheit. Oral Histories schießen – in Europa wie in den USA – wie die Schwammerln aus dem Boden; das ist bekannt. Augenzeugenberichte aus dem Krieg in Vietnam sind in den letzten Jahren populärer als fiktionalisierte Behandlungen. Die wichtigen Indochinakriegsfilme seit 1985 (The Killing Fields, Platoon, Hamburger Hill, Hanoi Hilton, Casualties of War, Dear America, und Born on the 4th of July) basieren auf authentischen Berichten. (Nur 3 Ausnahmen: Gardens of Stone, Coppola; Full Metal Jacket, Stanley Kubrick, und Komödie Good Morning Vietnam.) Man mißtraut jedem Anspruch auf eine höhere, objektive Wahrheit und hält sich lieber an Fragmente subjektiver Wahrheit, die dem Leser zwar eine höhere Arbeitsleistung abfordern, ihm dafür aber ein echtes Beteiligungsangebot bei der Sinnkonstitution sowohl der Texte wie auch der Kontexte bietet.

Briefe aus dem Krieg, vor allem Briefe von später Getöteten, beeindrucken uns nicht nur wegen ihrer ungeschminkten Authentizität. Sie berühren uns, weil wir in Besitz und Kenntnis der weiteren Geschichte sind, welche den Schreibern der Briefe verborgen blieb. Sie besitzen damit eine Kraft, die aus der Universalität des Leides herrührt, und diese Kraft des Leides sollte allein genügen, uns die Faszination am Krieg abzugewöhnen.

Genau wie im 1. Weltkrieg wurden Soldaten des Vietnamkriegs dazu ermuntert, regelmäßigen Briefkontakt mit Angehörigen und Freunden zu pflegen. An die Stelle der Feldpostkarte (die man lesen und ev. zensurieren konnte) trat der kostenlose (und selbstverständlich nicht zensurierte) Flugpostbrief. Es gab dafür ein eigenes Kuvert mit dem Landkartenumriß von Vietnam, wo man an die übliche Stelle der Briefmarke lediglich das wort »free« schrieb. Von diesem Privileg, so berichtet William Broyles, wurde ausgiebig Gebrauch gemacht; einige seiner Leute schrieben bis zu 27 Briefe an einem Tag!23 Wie in jedem anderen Krieg, bestand die besondere Aktualität dieser Briefe oft in der bewußten Reflexion der eigenen Existenz, der Unsicherheit der eigenen Zukunft. Raymond Griffith, einer von diesen, schrieb: „I can tell you truthfully, I doubt if I'll come out of this war alive. In my original squad l'm the only left unharmed. In my platoon there's only 13 of us. It seems that every day another young guy 18 and 19 years old like myself is killed in action (…).“ (277.) Die Befürchtung sollte sich in ihrer Gänze bewahrheiten, denn am 4. July 1966 wurde Private Griffith getötet. Andere Männer knüpften gerade wegen der existentiellen Unsicherheit große Hoffnungen an ihr Leben, das mit dem Ende der 365 Tage Kriegsdienst erst richtig beginnen würde. Joseph Kerr Bush, 25, reagierte am 5.2.1969 auf die Sorgen seiner jungen Frau, er würde sich nach Ende seines Jahres freiwillig zu einem weiteren Jahr Gefechtsdienst melden: „Don't worry, old Joseph will come home to his wife and daughter in April as planned even if he has to swim the Pacific.“ (282) Er kam noch sechs Wochen vor diesem Datum nach Hause, in einem Sarg. Einen der bewegensten Briefe schrieb Tyrone Pannell am 11.8.1965 an seine neugeborene Tochter. „When I next see you …“ schließt er sein Schreiben, aber diese Begegnung sollte nie erfolgen.(246) 6 Monate später wurde er von einer Mine zerrissen, und das zaghafte Versprechen dieses Briefes konnte nicht eingelöst werden.

Andere Soldaten waren in ihren Berichten robuster, ja ungerührt; das ging hin bis zu jenem Infanteristen, der seinem Mädchen das abgeschnittene Ohr eines Vietcongs schickte, und sich dann wunderte, warum keine Post mehr kam.

Denn umgekehrt war das Erhalten von Briefen außergewöhnlich wichtig. Broyles gibt an, auf Soldaten seiner Einheit, die wenig oder keine Post erhielten, ein besonderes Augenmerk gehabt zu haben, es waren seine Sorgenkinder. Besonders gefürchtet waren die sogenannten »Dear John« Briefe, Briefe; mit denen ein geliebtes Mädchen, zuweilen sogar die angetraute Frau, eine Beziehung aufkündigte. In seiner Autobiographie erzählt William D. Ehrhart, wie sein Kamerad Calloway sich auf einen solchen Brief hin vor den Augen der entsetzten Freunde erschoß.24

Der Band Dear America: Letters Home from Vietnam muß in diesem Licht gesehen werden. Sein Zustandekommen ist eher ungewöhnlich. Auf den großen Erfolg des Vietnam Veterans Memorial hin konstituierte der New Yorker Bürgermeister Ted Koch 1982 eine Kommission mit dem Ziel, 1985 (zum 10-Jahresjubiläums des Kriegsendes) ein Vietnam-Denkmal in Manhattan einzuweihen. Das Exekutivkommittee; dem kein geringerer als Donald Trump als Vizepräsident angehörte, entschied bei 1.100 unterbreiteten Modellen25 auf einen Denkmalsentwurf in der Form einer durchscheinenden Glasziegelmauer in den Proportionen 20 mal 4,88 Meter. In die Glasziegeln einzuätzen waren Auszüge von Soldatenbriefen. Und das stellte die Kommission vor das Zusatzproblem der Auswahl: was sollte auf dem Denkmal stehen? Was ins Auge springt, ist die Verwässerung der ursprünglichen Idee, als Texte nur Feldbriefe zuzulassen; denn es finden sich auf dem Denkmal auch Aussprüche von vier ehemaligen Präsidenten der USA sowie von Martin Luther King, etliche Nachrichtenfetzen aus der New York Times, dazu noch einiges andere Material, das fehl am Platz erscheint. Da man aber schon mehr als 3000 eingesandte Briefe26 gelesen hatte, entstand die Idee, aus einer Auswahl davon ein Buch zu machen. Von der hardcover-Erstausgabe (1985) wurden insgesamt 47.000 Exemplare verkauft, auf welche zwei Taschenbuchversionen folgten, mit insgesamt 125.000 verkauften Exemplaren. Das Buch ist nach immerhin 5 Jahren seit der Ersterscheinung weiterhin im Druck und erhältlich.27 Die Rezensionen in amerikanischen Zeitungen waren mit der einzigen (aber bedeutsamen) Ausnahme der Washington Post positiv bis hymnisch, das Nachrichtenmagazin TIME brachte sogar ausführliche Auszüge daraus. Der Fernsehkonzern HBO kaufte 1986 für eine nicht bekannte Summe die Filmrechte. Gedreht wurde der Film auf den Philippinen bei einem relativ bescheidenen Budget von 1 Mio Dollar28; die Filmpremiere fand im April 1987 im HBO-Fernsehkanal statt. Nachfolgend wurde der Film im September 1988 in einer sehr begrenzten Anzahl von Kopien in den USA und Kanada gezeigt, aber wegen des offensichtlich nicht sehr großen Interesses nach 2 Wochen abgesetzt. (Schlechtes Timing, im TV seit 1/2 Jahr »Tour of Duty«, im Sommerkino »Good Morning Vietnam«) Daraufhin erfolgte die Freigabe auf Video. Besser erging es dem Film in Europa, Asien und Australien, wo er 1989 die Runde machte. Insgesamt sahen mehrere Millionen Menschen die Filmversion, womit sicherlich die Kosten mehrfach hereingebracht wurden. Damit hat aber diese Briefsammlung die bei weitem größte Breitenwirkung in der Geschichte des Genres erzielt.

„Den Krieg vom Krieger trennen“

Der Herausgeber B. Edelman schildert die editoriale Vorgangsweise für das Zustandekommen des Bandes in einem einzigen Satz. Er lautet: „Zwei Kriterien wurden bei der Auswahl des Materials eingehalten: alle Briefe mußten während des Krieges geschrieben worden sein, und jeder Brief sollte eine Beschreibung oder eine psychologische Einsicht bieten, die uns irgendwie die menschliche Dimension der Erfahrung von Vietnam besser nahebringen würde.“ 29 In einem nachfolgenden Brief war Edelman spezifischer: „Weil die Aufgabe der Kommission darin bestand, zu heilen und zu versöhnen, den Dienst und die Opferbereitschaft der Angehörigen der Streitkräfte anzuerkennen und zu würdigen, darum entschieden wir uns schon sehr früh, daß das Buch wie auch das Memorial keine spezifische politische Richtung haben könne.“ Und der Kernsatz dieser Intention: „Wir versuchten, den Krieg vom Krieger zu trennen.“ 30

Hier haben wir jenen hierarchischen, funktionalistischen universitären Diskurs, den Foucault als repressiv bezeichnet: „den Krieg vom Krieger“ trennen – das wollten auch jene konservativen Abgeordneten in der Weimarer Republik. Es erübrigt sich zu sagen; das dies nicht möglich ist; und übrigens ist der Soldat der, letzte, der das will.31 Der Krieg ist ihm, egal ob er ihn verabscheut oder klammheimlich liebt,32 eine fundamental wertvolle existentielle Erfahrung, die er sich nicht nehmen läßt. Selbst der Berichterstatter Michael Herr konstatierte: „We came to cover the war, and the war covered us.“ 33 Was können daher die Motive sein, die den Herausgeber dazu verleiten, eine offenkundig nicht einlösbare Herausgabestrategie anzunehmen? Sie sind jenen ähnlich; mit denen sich 60 Jahre zuvor Mitglieder eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses herumschlugen (KuL 2,47): Die Froschperspektive des gemeinen Soldaten ist lediglich im Bereich des »rein menschlichen Erlebens« zu etwas zu gebrauchen, und jeder Versuch, diese Perspektive zur Beantwortung der wirklich entscheidenden Fragen heranzuziehen, dient dazu, Fragen z. B. über die Legalität des Krieges oder die angeblich »veredelnde Natur« des Krieges, von vornherein abzuwürgen.

In der Weimarer Republik ging es den konservativen Kräften darum, das Bild vom Krieg als »große und heroische Zeit« zu bewahren, und die Mär von der freudigen Soldatenbeteiligung an einem patriotischen Unternehmen fortzuschreiben. Die diskursive Strategie der Rekonstruktion des Konsensus über Vietnam in den USA verläuft ein wenig anders.34 Ausnahmesituation des homo bellicosus. Daran ist maßgeblich ein spezifischer Umstand beteiligt. Der Vietnamkrieg wird Amerikanern weniger deswegen in Erinnerung bleiben, weil 10.000 Meilen entfernt etwas Mörderisches vor sich ging, sondern er wird ihnen wegen der Ereignisse im eigenen Land in unangenehmer Erinnerung sein. Und man muß konstatieren, daß es über diese Ereignisse über die mannigfachen Proteste, die bis knapp an die Unregierbarkeit des Landes führten – heute noch immer keinen rechten Diskurs gibt. Der Vietnamdiskurs von heute konzentriert sich auf die Figur des ehemaligen Kämpfers. Über Jahre hinweg hatte man ihn entweder ignoriert oder ihn als Babykiller, als Heroinjunkie, als durch den Krieg psychisch Deformierten stigmatisiert. In den 1970ern findet sich der Vietnamveteran in einer Fülle von Filmen und Trivialromanen als Sociopath, als Krimineller, als Zombie dargestellt, sehon deshalb, weil es politisch weniger brisant war, den Vietnamsoldaten anzugreifen als den Vietnamkrieg. Die Regisseure versuchten also genau dasselbe wie der Herausgeber von Dear America: den Krieger vom Krieg zu dissoziieren.

Die Veteranen als unbedankte Heroen

Erst in den 1980ern bricht dieses Stereotyp zusammen, und zwar im Gefolge von zwei Aufdeckungen: 1) daß Tausende Vietnamveteranen, die mit dem Entlaubungsgift Agent Orange in Kontakt kamen, Krebs entwickeln, und daß ihre Kinder häufig genetische Schäden aufweisen, und 2) daß das »Post-Vietnam-Syndrom«, auch »Posttraumatischer Stress« genannt, ein massenweise real existierendes psychisches Problem ist, welches lange Jahre unter den Teppich gekehrt worden war. Es wurde zögernd akzeptiert; daß man den Veteranen Unrecht angetan habe. Das Bild des Veteranen macht eine 1800> Kehrtwendung; die Emphase ist jetzt auf einem neuen Stereotyp, des zu Unrecht Leidenden, des Patrioten, des unbedankten Heroen. In einer Reihe von Ritualen, wie z.B. den »Welcome Home Parades« 10 Jahre nach Ende des Krieges (7. Mai 1985 in New York, die dann in vielen anderen Städten nachgeahmt wurden) wird der ehemals Geächtete rehabilitiert. Der Vietnamveteran ist damit wieder in die Gesellschaft aufgenommen, allerdings um den Preis der Aufgabe seiner diskursiven Möglichkeiten. Denn die Zeit, in der man ihn ins Abseits drängte, die Zeit des Krieges selbst, war eine Zeit der »Zerrissenheit.«“ Will der Veteran seine in Vietnam gewonnenen spezifischen Erkenntnisse in einen öffentlichen Diskurs einbringen, so trägt er damit wieder zu gesellschaftlichem Zwiespalt bei. Wie es Bernard Edelman mit hörbarem Schauder sagt: „Vietnam was an era that wrenched apart our nation.“ 35 Dorthin will man bei Gott nicht zurück, schon gar nicht in einer Zeit, in der in öffentlichen Reden (vor allem vor dem Veterans Memorial in Washington D. C. permanent Phrasen wie »healing« und »reconciliation« gedroschen werden.36

Was man dem Veteranen als Ersatz für ein echtes Einbringen von Erfahrung anbietet, ist die Rolle des Geschädigten und des Trauernden und diese Trauer wird uns v.a. in der Filmversion mit einer gewissen Penetranz aufgedrängt. In seiner individuellen Not nimmt ihn die Gesellschaft an, die ihrerseits profitiert, indem sie nicht mehr über Vietnam zu befinden hat, und aus dem Stadium der Zerrissenheit herausgetreten ist. Die alte kulturelle Hegemonie kann solcher Art rekonstruiert werden, ja, man kann sogar jenen eins auswischen, die damals gegen den Krieg opponiert haben: im Gegensatz zum Veteranen, der seiner Nation ohne Wenn und Aber diente, verloren sie das Vertrauen in Amerikas intrinsische Moralität. Sie sind in Wirklichkeit schuld am Dilemma der Veteranen, die sie zuerst in Vietnam, dann in der Heimat verrieten. (Rambo I und II!)

Ich erinnere an Bernard Edelmans Deklaration des editorialen Prinzips: „we determined that the book could not adopt any political bias.“ Eine nähere Prüfung einzelner Brief ergibt aber, daß weder die Forderung nach Vermeidung von »bias« wie von »politischen Inhalten« eingelöst wurde. Beispiele:

„Some people wonder why Americans are in Vietnam. The way I see the situation, I would rather fight to stop communism in South Vietnam than in Kincaid, Humboldt, Blue Mound, or Kansas City, and that is just about what it would end up being.“ (Jack Swender, 20.9.65. S.205).

(Aus einem Brief an eine Schulklasse:) „The reason that I and all the other soldiers are in Vietnam is so that you children will always be safe in our great country.“ (Robert B. Jackman, 21.5.66. S.206)

Einen schon etwas zweifelhafteren Ton schlägt Robert Salerno an: „There are so many things here that I 've seen that make me proud to be an American, proud to be a soldier. Yet there are times too when I wonder why things are the way they are in the war, in the Army.“ (30.10.69. S.223)

Marion Lee Kemper argumentiert, daß der Einsatz von US-Truppen in Vietnam mindestens genauso legitim ist wie frühere amerikanische Kriege: (ungewollte Ironie: genauso illegitim)

„Our claim to legality (…) is a lot more stronger than (…) before , such as (in) the Spanish American War, a host of expeditions against South American sovereignities, or, for that matter, our declaration of war against Germany in World War I. (…) As to the effect of the war upon the people, who can tell? All of our wars have had some effect, usually for the better (…)“ (9.8.66. S.206-7)

Rodney D. Baldra schreibt aus dem Lazarett, von wo er dennoch die hohe Moral der Truppe lobt: „The spirit of the men in Vietnam is overwhelming, for most every man believes that he is doing an important job and believe me, he is.“ Auch seine Verwundung kann ihn von dieser überzeugung nicht abbringen: „I was wounded about six weeks ago by a Russian pineapple grenade which was boobytrapped by a VC who was most likely just a brainwashed communist farmer.“ (June 1967. S.208)

Rodney Chastant schreibt an seine Eltern, er sei „proud to be an American, proud to be a Marine, proud to be fighting in Asia.“ Auch sonst kann er seinem Kriegsdasein allerhand abgewinnen, indem er ihnen von seiner Beförderung zum Hauptmann berichtet, und einer damit zusammenhängenden Gehaltserhöhung auf $ 9000 p.a.: 11.000 Dollar habe er sich bereits erspart, fügt er stolz hinzu: „That is not a bad start in life.“ Im September 1968 hätte Rodney nach seinem Einsatzjahr heim nach Alabama gehen können, verlängerte aber seinen Vertrag um ein weiteres Jahr. Ein Monat später wurde er getötet. (19-10.67, S.210)

Und natürlich verbergen sich politische Aussagen in einem Corpus obsoleter Sprache, die Paul Fussell37 mit dem Begriff »high diction« charakterisiert hat: z.B. wenn die Todesfälle unter den Kameraden als „heroic deaths“ (212)bezeichnet werden. Dasselbe funktioniert auch umgekehrt, wenn in mehreren Briefen die gegen den Krieg protestierenden jungen Amerikaner als „a bunch of bloody bastard radicals“ (with) „feeble and deteriorating and filthy degenerate minds“ (226) bezeichnet werden. In seinem Brief vom 5. April 1968 weigert sich Phil Woodall, um den eben ermordeten Martin Luther King zu trauern, und reserviert diese für die – wie er sagt – „wirklichen Friedensapostel“, Leute wie er selbst ; auch darin erkenne ich eine politische Aussage (214). Wenn die Entscheidungen Nixons zur Eskalierung des Krieges nach Kambodscha ausdrücklich belobigt wird, steckt eine politische Aussage darin. (226) Das Ganze ist so offensichtlich, daß die Langatmigkeit meiner Darlegung nur aus der expliziten Aussage des Herausgebervorwortes zu rechtfertigen ist, dies sei ein unpolitisches Buch.

Der Krieg war unamerikanisch, die Soldaten waren ehrenhaft

Es ist allerdings kein einseitiges Buch; Einseitigkeit wäre innerhalb einer amerikanischen Ideologie der größtmöglichen Diversizität (als Strategie der Entschärfung antihegemonialer Kräfte) ja nur kontraproduktiv. Briefe mit Kritik am Krieg gibt es, wenngleich auch diesen die spitzesten Zähne gezogen sind, und häufig das kritisiert wird, was man schon früher kritisieren durfte: die Arroganz von Vorgesetzten, die Verschwendung von Geld, besonders aber die Unzuverlässigkeit der verbündeten südvietnamesischen Armee. Immerhin werden in einigen Briefen Zweifel geäußert, ob man sich von dieser kriegsführenden Nation nicht lossagen sollte: Von „self-doubts“ ist Rob Riggan gequält (166), „I feel like I am at the bottom of a great sewer“ schreibt Tom Pellaton (106), als angstvoll ausgehöhlte Rassel bezeichnet sich John Houghton (200), und Joseph Morrissey, ein staff sergeant, forderte gar seinen Bruder auf, zu Hause an Demonstrationen gegen die Regierung teilzunehmen.

Im Vergleich zu Oral Histories oder zu Publikationen des zivilen Widerstandes in den USA fallen besonders jene Wahrheitslücken auf, die zur anerkannten Spezifizität dieses Krieges gehören: die zahllosen Verletzungen der Genfer Konvention, die bis hin zu Morden an der Zivilbevölkerung reichten38 (eine Ausnahme, S. 627) der weitverbreitete Gebrauch von Rauschgift, die ab 1970 zahlreichen Meutereien, die Praxis des »fragging«. Diesen unbequemen Fakten steuert Bill Broyles in seinem Vorwort bewußt entgegen, wenn er über die Vietnamsoldaten sagt: „(They) were the best we had, doing the best they could in a difficult and unpopular war.“ 39 Und schließlich ist noch ein subtiler wenngleich von den Briefautoren nicht zu verantwortender Mechanismus der Falsifizierung zu erwähnen: die in fast jedem Brief anzutreffenden liebevollen Anreden für Mütter, Väter oder Geschwister insinuieren eine mit sich im Frieden lebende amerikanische Gesellschaft, wenn doch genau das Gegenteil der Fall war. Die Intaktheit der Familie als Basiseinheit der Gesellschaft dient zur Approbierung ihrer unterlagernden Ideologie, ähnlich wie die Qualität der Kameradschaft, der Männerfreundschaft im Krieg als Argument dafür herhalten muß, daß nicht alles an ihm schlecht sein kann. In der Summe haben wir hier einen Diskurs, der über den Krieg selbst zwar zur Ansicht kommt, er sei falsch und unamerikanisch gewesen, doch für die Soldaten und ihr Verhalten nur ehrenvolle Attribute findet.

Anmerkungen

1) The History of the Joint Chiefs of Staff. The JCS and the War in Vietnam. A History of the Indochina Incident, 1940-54, The Pentagon. Washington D.C. 1989 (Quelle: Indochina Chronicle, VIII/4 (Oct.-Dec. 1989), 25 Zurück

2) Bernard Edelman (Hrsg.), Dear America. Letters Home from Vietnam, New York, Simon & Schuster/Pocket Books, 1986. (In Klammern gesetzte Zahlenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe) Zurück

3) Fritz Fellner, Der Krieg in Tagebüchern und Briefen<169> in: Klaus Amann, Hubert Lengauer (Hg.), Der große Krieg 1914-1918, Wien, Christian Brandstätter, 1988, 205-213. Zurück

4) Bernd Ulrich, Die Perspektive »von unten« und ihre Instrumentalisierung am Beispiel des Ersten Weltkrieges<169>, Krieg und Literatur/War and Literature, I/2 (1989), 47-64 Zurück

5) Zit. von Zalin Grant, Vietnam as Fable<169>, The New Republic, 25 March. 1978, 31-34. Ein namentlich nicht angeführter Journalist befürchtete 1983, daß die Falsifizierungen über Vietnam weiter an Boden gewinnen würden und schließlich ein alles umfassender Gedächtnisverlust und Instinkt für Selbstrechtfertigung<169> in den USA die Oberhand gewinnen wird. (Newsweek, Oct. 3, 1983, 58) Zurück

6) Zit. in James William Gibson, The Perfect War. The War We Couldn`t Lose and How We Did, New York, Random House/Vintage Books, 1988, 4. Zurück

7) President Carter zit. von Noam Chomsky, »Dominoes«, Granta, 15 (Frühjahr 1985), 129-134 Zurück

8) Glenn Munson (ed.), Letters from Vietnam, New York, Parallax 1966, ict. die erste Briefedition. Eine zweite wurde hrsgg. von der Indochina Curriculum Group, Front Lines. Soldiers` Writings from Vietnam, Cambridge MA, 1975 Zurück

9) Mark Dukes (Hg.), Nam. The Vietnam War in the Words of the Soldiers Who Fought There, New York, Berkeley Books, 1983. (Die Zitate stammen vom rückwärtigen Einband dieser Ausgabe) Zurück

10) Al Santoli (Hg.), Everything We Had. An Oral History of the Vietnam War by Thirty-Three American Soldiers Who Fought There, New York, Ballantine Books, 1982. (Das Zitat aus der Rezension der Washington Post findet sich am rückwärtigen Einband) Zurück

11) Autor Joe Klein wird mit seiner Rezension am Einbanddeckel von Dear America, op.cit. zitiert. Zurück

12) Time zit. in Wallace Terry (Hg.), Bloods. An Oral History of the Vietnam War by Black Veterans, New York, Ballantine Books, 1984, i. Zurück

13) Associated Press zit. an derselben Stelle. Zurück

14) John C. Rowe, Bringing it All Back Home`. American recyclings of the Vietnam War<169>, in: Nancy Armstrong, Leonard Tennenbaum (Hg.), The Violence of representation. Literature and the History of Violence, New York, Routledge, 1989, 197-218 Zurück

15) Stanley Karnow, Vietnam. A History, New York, The Viking Press, 1983, 11. An einer anderen Stelle seines Buches nennt Karnow den Vietnakrieg einen gescheiterten Kreuzzug<169>, S. 43 Zurück

16) Time-Life gibt eine 24-bändige Geschichte des Vietnamkrieges heraus; der Titel: The Vietnam Experience. Philipp Beidler, einer der ersten Autoren einer Untersuchung über Vietnamkriegsliteratur, nannte seine Untersuchung American Literature and the Experience of Vietnam<169> (University of Georgia Press, 1982). Zurück

17) Everything We Had, op. cit., xv. Zurück

18) Michel Foucault, Power/Knowledge: Selected Interviews and Other Writings 1972-1977, New York, Pantheon Books, 1980, 82. (Hg. Colin Gordon, ins Engl. übersetzt durch Colin Gordon, Leo Marshall, John Mepham, Kate Soper) Zurück

19) Ibid., 80, 81, 84. Zurück

20) Michel Foucault, Geschichte der Sexualität (Bd.I), Frankfurt, Suhrkamp, 1977, S. 75-83. Zurück

21) Rowe, op. cit., 200 Zurück

22) zit. in Dear America, i. Zurück

23) William Broyles, Vorwort zu Dear America, 10. Zurück

24) William D. Ehrhart, Vietnam-Perkasie. A Combat. Marine Memoir, Jefferson N. C. and London, Mc Farland, 1983, 79. Zurück

25) Bürgermeister Ed Koch, Vorwort zu Dear America, 16. Zurück

26) Bernard Edelman, Einleitung zu Dear America, 23. Zurück

27) Edelman, persönl. Korrespondenz mit dem Verf., 3. Juli 1990. Zurück

28) ebd. Zurück

29) Einleitung zu Dear America, 23. Zurück

30) Persönl. Korrespondenz. Zurück

31) Bernd Ulrich, op. cit. Zurück

32) Dazu ein sehr persönlich gehaltener und ehrlicher Bericht von William Broyles, Why Men Love War<169>, Esquire, November 1984, 60-65. Zurück

33) Michael Herr, Dispatches, London, Picador Books, 1978, 24. Zurück

34) Ausführlicher dazu Adi Wimmer, The Vietnam Veterans in American Literature and Popular Art<169>, in Mirko Jurak (ed.), Cross-Cultural Studies, Ljubljana University, 1988, 201-214. Zurück

35) s. Fußnote 27 Zurück

36) Harry Haines, What Kind of War? An Analysis of the Vietnam Veterans Memorial<169>, Critical Studies in Mass Communication, 3/1 (March 1986), 1-20; and Richard Morris, The Vietnam Veterans Memorial and the Myth of Superiority<169>, in: Richard Morris, Peter Ehrenhaus (ed.), The Cultural Legacies of Vietnam. Uses of the Past in the Present, Norwood N.J., Ablex Publishing, 1990, 199-228. Zurück

37) Paul Fussell, The Great War and Modern Memory, Oxford University Press, 1975, 21 passim Zurück

38) Gibson, op. cit., vor allem Kapitel 5, hat überzeugend nachgewiesen, daß Verletzungen der Genfer Konvention im Vietnamkrieg die Norm darstellten und keineswegs auf einzelne Vorfälle beschränkt blieben. Zurück

39) An anderer Stelle hat Broyles allerdings konstatiert, daß viele ethisch unzureichend veranlagte Amerikaner nach Vietnam geschickt wurden, weil die besten jungen Männer diesem Krieg ihre Unterstützung verweigerten. Die Katastrophe von My Lai führt Broyles auf diesen Umstand zurück. Leutnant Calley sei ein drop-out and loser<169> gewesen, der nie jene verantwortungsvolle Position bekleiden hätte können, wenn sich die College Studenten der Einberufung nicht entzogen hätten (Brothers in Arms. A Journey from War to Peace, New York, Avon Books, 1986, 238) Zurück

Dr. Adi Wimmer ist Universitätsassistent am Institut für Amerikanistik der Universität Klagenfurt. Korrespondenzadresse: Universitätsstraße 65, A-9020 Klagenfurt. Der obige Beitrag ist Teil einer größeren Untersuchung über das kulturelle Erbe des Vietnamkrieges in den USA.