»Festung Europa«

»Festung Europa«

von Gabriele del Grande

Täglich sterben Menschen beim Versuch, auf ihrer Flucht vor Krieg und Verfolgung, Elend, Umweltzerstörung und Gewalt nach Europa zu gelangen. Für uns im Norden sind sie namenlos, aber ihre Angehörigen bangen und hoffen, von ihnen ein Lebenszeichen zu hören. Die Initiative »fortresseurope« bemüht sich darum, die tödlichen Ergebnisse der EU-Abschottungspolitik zu erfassen. Wir dokumentieren den Bericht für den Monat September.

Unseren internationalen Presseberichten nach sind mindestens 99 Personen im September dieses Jahr an den Pforten Europas gestorben. Es gibt 1.096 Opfer seit Anfang des Jahres, 10.355 Migranten sind seit 1988 gestorben. Im letzten Monat sind 43 Personen vor den Kanarischen Inseln ertrunken; 19 auf dem Weg zu der französischen Insel Mayotte im Indischen Ozean, 11 Leute starben auf dem Weg zwischen der algerischen und spanischen Küste, 13 starben im Kanal von Sizilien und 10 vor den griechischen Inseln. Drei tschetschenische Mädchen, im Alter von 6, 10 und 13 Jahren sind beim Versuch, mit ihrer Mutter von der Ukraine zu Fuß nach Polen zu gelangen, erfroren. Die Zahl der Ankünfte über See nimmt ab (-75% in Spanien und -7% in Italien), nicht aber die Zahl der Opfer. Unterwegs zwischen Libyen und Spanien, sind dieses Jahr bereits 500 Personen gestorben, verglichen mit den 302 des ganzen vorigen Jahres. Inzwischen geht in Libyen das Leiden der 600 Eritreer weiter, die in Misratah gefangen sind. Aber Europa schaut weg und Frattini kündigt ein neues Abkommen mit Tripoli an, um Migranten, die im Meer aufgegriffen werden, zurückzuschicken.

Am 10. September überwachten Frontex-Patrouillen den Kanal von Sizilien und den Süden von Sardinien, von Annaba aus, entlang der algerischen Route nach Italien. Im ersten Teil ihrer Mission, genannt »Nautilus II«, die im Juni und Juli 2007 stattgefunden hat, wurden 464 Migranten festgenommen und 166 gerettet. Der EU Kommissar Frattini hat vor kurzem mitgeteilt, dass diese Patrouillen ab 2008 permanent eingesetzt werden und dass Libyen dann mitarbeiten wird. Der Kommissar hat bereits 30 Millionen Euro zusätzlich erbeten, mit denen das Frontex-Budget aufgestockt werden soll (34 Millionen Euro in 2007) – und das, obwohl ein Verfassungszusatz des Europäischen Parlaments verlangt hat sofort 30% der administrativen Ausgaben einzufrieren. Momentan ist »fortresseurope« sehr besorgt über die zukünftige Zusammenarbeit mit Libyen, um Migranten zurückzuschicken.

Frontex schickt sie bereits in Mauretanien und Senegal zurück, wo mehr als 1.500 Personen in 2007 abgefangen wurden und wo mehr als 18.000 Senegalesen im Jahr 2006 von Europa aus abgeschoben wurden. Human Rights Watch teilt mit, dass sie große Besorgnis über Misshandlungen und Folter von Migranten in Libyen hege. Aber Europa schaut weg. Frontex hat bereits Kontakt mit libyschen Offiziellen aufgenommen. Brüssel schenkt Gaddafi ein elektronisches Sicherheitssystem, um die südlichen Grenzen zum Niger, Tschad und Sudan zu überwachen, von wo aus Tausende Menschen jedes Jahr ins Land eindringen und manchmal weiter nach Lampedusa reisen. Frattini wird in Kürze eine Truppe nach Tripoli schicken, um die Geräte zu installieren, wie der italienischen Innenminister Giuliano Amato am 18. September verkündete.

Am selben Tag – was für ein schizophrenes Europa! – hat eine offizielle Mitteilung der Europäischen Union das „ernste Missachten der Menschenrechte“ in Eritrea verurteilt. Aber kein Wort wurde über die 2.589 eritreischen Flüchtlinge verloren, die im Jahr 2006 an der sizilianischen Küste ankamen, nachdem sie der Diktatur entflohen waren. Sie machen 12% der 22.016 Migranten aus, die im letzten Jahr illegal in Italien angekommen sind, und 20,8% der 10.438 AsylbewerberInnen der gleichen Zeit. Und nichts wurde gesagt über die 600 Eritreer, die seit einem Jahr und 6 Monaten in Misratah gefangen sind, 200 km östlich von Tripoli, unter menschenunwürdigen Verhältnissen, darunter drei schwangere Frauen, zwei Babies und mehr als zehn Kinder. Weitere 70 Eritreer wurden in Zawiyah in einer Razzia in der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2007 festgenommen. Viele von ihnen sind vom Flüchtlingshilfswerk der UNO anerkannte Flüchtlinge, die versuchen eine Umsiedlung zu organisieren. Die meisten von ihnen sind der Armee und dem Krieg entflohen. Sie haben die Sahara durchquert und haben versucht durchs Mittelmeer nach Italien zu gelangen und politisches Asyl zu beantragen. Wenn sie zurückgebracht werden, steht ihr Leben auf dem Spiel, so wie das der 161 Kriegsdienstverweigerer, die im Jahr 2005 nach Angaben von amnesty international in Eritrea erschossen wurden. Die eritreische Diaspora demonstrierte am 18 September überall in Europa für ihre Freilassung.

Das Grünbuch der EU zum Thema Asyl vermerkt, dass es eine Vermischung der Arbeitsmigration mit den Flüchtlingen ohne Papiere gibt. Europäische Statistiken zeigen, dass im Jahr 2006 192.000 Migranten in den 27 EU-Ländern um Asyl nachgesucht haben; das ist nur ein Fünftel der 670.000 Anfragen im Jahr 1992 in damals 15 Ländern. Die Anzahl der Asylanträge ist in den letzten fünf Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Das ist das Ergebnis der Jagd auf die illegale Migration, die die meisten der Iraker, Sudanesen, Afghanen und anderen Flüchtlinge dazu zwingt, Europa auf illegalem Weg zu erreichen. Europa wehrt sich gegen sie mit Armeen, rassistischen Gesetzen, Mauern und Gefängnissen und bringt sie zurück in ihren Krieg.

Sie kommen aus dem Irak, Afghanistan und Iran und sie gelangen in Patras und Igoumenitsa an Bord von Touristenschiffen aus Griechenland und erreichen so Italien. Täglich findet die italienische Polizei Dutzende von Migranten ohne Papiere in den Häfen der Adria. Sie werden an Bord festgehalten, bis das Schiff wieder nach Griechenland zurückkehrt, wo sie dann festgenommen werden und vielleicht in die Türkei abgeschoben werden, die sie dann wiederum in ihre Heimatländer abschiebt. Nach italienischen Pressemitteilungen vom September wurden 194 Migranten zurückgeschickt; davon waren 95 Iraker, 30 Türken und 19 Afghanen. Die meisten von ihnen wurden in Griechenland wieder »aufgenommen«. Am 19. September wurde eine irakische Familie – Mutter, Vater und 4 Kinder im Alter von einem bis acht Jahren, vom Hafen in Ancona nach Griechenland zurückgeschickt. Im August wurden mindestens 362 Personen auf die gleiche Art zurückgebracht. Vom Hafen von Bari aus – so die Angaben der Grenzpolizei – wurden im Jahr 2006 850 Migranten nach Griechenland zurückgebracht, davon waren 300 Iraker und 170 Afghanen. Am 9. April 2007 wurden – wiederum von Bari aus – an einem einzigen Tag mindestens 150 Iraker auf die gleiche Weise zurückgebracht; 120 Iraker waren es im August 2007 und 43 im September.

Einen Asylbewerber zurückzuschicken, ist nach italienischem Gesetz sowie nach UN-Konvention für Flüchtlinge verboten. Das europäische Parlament und das UNHCR haben Empfehlungen gegen die Wiederaufnahme von Irakern in Griechenland ausgesprochen.

Einem EU-Bericht nach hat Griechenland noch kein einziges Mal einen Iraker als Flüchtling anerkannt. Im Gegenteil: Griechenland hat im Jahr 2001 einen Rückführungsvertrag mit der Türkei unterschrieben. In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres haben die griechischen Behörden über 4.500 Migranten festgenommen, wovon viele in die Türkei abgeschoben wurden, darunter auch Iraker. Und von der Türkei aus wurden im Juli dieses Jahres 135 Iraker deportiert, so die UNHCR. Am 11. September habe die türkischen Behörden 145 Migranten bei Durchsuchungen in Edirne und Ipsala festgenommen. Die Orte liegen nahe der griechischen Grenze. 50 Afghanen, 21 Somalier und 74 Iraker, Mauretanier, Ruander, Georgier, Palästinenser und Birmesen.

In der Zwischenzeit wird in der Türkei eine 473 km lange Mauer entlang der irakischen Grenze gebaut, um den bewaffneten Kampf der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und das Eindringen von Migranten zu stoppen. Syrien hat die östliche Grenze Tanaf geschlossen und Saudi Arabien hat 3,2 Billionen Dollar investiert, um einen 900 km langen Stacheldrahtzaun zur irakischen Grenze zu ziehen. Wundert sich da noch jemand, dass die Zahl der Asylanträge rückläufig ist?!

Zäune, die an die von Ceuta und Melilla erinnern und die die Geister der 17 Migranten rufen, die von der Marokkanischen »Forces Auxiliaires« und der Spanischen »Guardia Civil« im Sommer und Herbst 2005 erschossen wurden. Zwei Jahre später, am 21. Oktober, wird eine Karawane zu diesen Orten zurückkehren, eine Karawane der Solidarität, um an die Opfer eines Krieges zu erinnern. Ein Krieg gegen die Migranten, der noch nicht vorbei ist und der seine Opfer ebenfalls an der östlichen Front fordert.

Der neue Vorhang verläuft von der Slowakei über Polen, Ungarn und Rumänien. Die externe Grenze der EU ist der Ukraine anvertraut. Auch dort ist die Behandlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden jedoch häufig nicht an menschenrechtlichen Standards orientiert. „Die Ukraine misshandelt regelmäßig Migranten und Asylbewerber, sperrt sie unter unmöglichen Bedingungen ein, verübt Gewalt, Folter und Ausbeutung und schiebt sie danach ab, zurück in die Folter und die Gefangenschaft“, so ein Bericht von Human Rights Watch (HRW) im November 2005. „Das Asylsystem funktioniert kaum, und das führt zu Zwangsrückführungen in Länder, in denen die Einwohner Folter und Verfolgung riskieren“. Daher verlangt HRW von der EU, dass zunächst eine Reihe von Verbesserungen hinsichtlich der Behandlung von Asylsuchenden mit der Ukraine vereinbart werden müssen, bevor irgend ein neuer Rückführungsvertrag unterschrieben wird. Es gibt bereits Rückführungsverträge zwischen der Ukraine und ihren EU-Nachbarn, um Migranten und Asylsuchende in die Ukraine abzuschieben. Dies ruft zum Teil große Sorge hervor, weil dabei Asylbewerber aus Tschetschenien und Usbekistan oft nach Russland abgeschoben werden – trotz des Risikos der Verfolgung, dem sie dort ausgesetzt sind.

Die Ukraine hat im Jahre 2004 5.000 Migranten und in den ersten 6 Monaten des Jahres 2005 2.346 Migranten zurückgeschickt – 50% davon nach Russland, die anderen nach China, Indien, Pakistan und Bangladesh. Die EU wusste davon Bescheid, doch Brüssel hat am 18. Juni 2007 bereits einen Wiederaufnahme-Vertrag mit Kiew unterzeichnet. Der Vertrag soll noch vor Ende dieses Jahres in Kraft treten. Der HRW-Bericht wurde vor zwei Jahren veröffentlicht, aber der kürzlich erschienene Bericht von Pawschino, einer ukrainischen Organisation, verdeutlicht, das sich nichts zum Positiven verändert hat.

Gabriele del Grande ist Mitarbeiter des Projektes »fortresseurope« (fortresseurope.blogspot)

Verraten, vergessen, verlassen Palästinensische Flüchtlinge im Libanon

Verraten, vergessen, verlassen Palästinensische Flüchtlinge im Libanon

von Barbara Dietrich

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden (IWIF) e.V.

„Ein Lager ist ein schmerzlicher Mikrokosmos einer wesentlich größeren Realität. Es ist ein abscheuliches Geschwür, wo der eingesperrte Mensch nach und nach seine Würde und Kampfbereitschaft verliert, um so mehr, da er als Entwurzelter auch keine Identität mehr besitzt. Der Palästinenser, und vor allem der junge, der dazu verdammt ist, in diesen ungesunden Ghettos dahinzuvegetieren, kann auf niemanden hoffen, außer auf seine eigene zerstörerische Energie und den Einsatz seiner eigenen Gewalt, für die allein er die Gesetze und Praktiken schaffen wird.“
Rachid Boudjedra, Das Palästina Tagebuch (Paris 1972), Mainz 1991, S. 68 f.

Der Krieg im Kosovo ist kaum zu Ende und die »akute Bedrohung« der europäischen Staaten durch die »Flüchtlingsströme«der Kosovo-AlbanerInnen abgeklungen, schon sind die Flüchtlinge selber – immerhin sind es etwa 1 Million Menschen, die aus diesem Teil Jugoslawiens vertrieben wurden oder geflohen sind (60, S. 7) – aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden. Ähnlich erging es den KurdInnen, die während des Golfkrieges um die Jahreswende 1991/92 aus dem Irak in die Türkei flohen oder zu fliehen versuchten und zeitweilig von türkischen Soldaten mit Gewehren davon abgehalten wurden. Die Beispiele für dieses äußerst kurzfristige öffentliche Interesse an Flüchtlingen ließen sich beliebig ergänzen: Den ZeitungsleserInnen begegnen Flüchtlinge dann wieder in kleineren Meldungen, z. B. über den UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, in denen es um materielle Hilfeleistungen für oder um Rückführung von Flüchtlingen geht und darum wer beides finanziert. Oder wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht: um das „Feilschen um Zahlen, Kontingente, Lastenverteilung und Einreisemodalitäten“ (61, S. 44).

Eine schon seit Jahrzehnten vergessene Gruppe von Flüchtlingen sind die PalästinenserInnen im Libanon. Der nachfolgende Bericht entstand nach einer Studienreise in dieses Land im Oktober 1998. Thematischer Schwerpunkt der Reise waren die Lebensbedingungen der dort in Lagern lebenden palästinensischen Flüchtlinge.

Ursache für die Flucht von PalästinenserInnen aus ihrem eigenen Land war die Ausrufung des Staates Israel am 14. 5. 1948 auf der Grundlage des UN-Teilungsplanes, der die Errichtung eines arabischen und eines jüdischen Staates auf palästinensischem Territorium und eine Internationalisierung Jerusalems vorsah (53, S. 21 ff.). Damals lebten in Palästina etwa 1,365 Mio. AraberInnen und ca. 710.000 JüdInnen (13, S. 23), dennoch wurde das Territorium den AraberInnen nur zu 45 %, den JüdInnen dagegen zu 55 % zugesprochen. Das den JüdInnen zugeteilte Gebiet enthielt zudem die fruchtbarsten Gebiete des palästinensischen Territoriums, wiewohl die Landwirtschaft wichtigste Existenzgrundlage der arabischen Bevölkerung war (12, S. 2).

Der als Folge dieser Entscheidung zwischen Israel und den arabischen Staaten ausgetragene Krieg dauerte mehr als ein Jahr und hatte zum Ergebnis, dass Israel mehr als 75 % der Gesamtfläche Palästinas sowie Westjerusalem unter seine Kontrolle brachte (13, S. 24). Etwa 150.000 PalästinenserInnen blieben in Israel (3; 12, S. 2), etwa 750.000 PalästinenserInnen wurden aus den von Israelis besetzten Gebieten vertrieben oder flohen aus Angst um ihr Leben und suchten Zuflucht in Ghaza, im Westjordanland, in den arabischen Nachbarstaaten sowie im Libanon (12, S. 2; 44, S. 153 f.; 31, S. 5).

Neuere Forschungen haben – im Gegensatz zu früher offiziell verbreiteten Darstellungen – ergeben, dass es sich hier um eine gezielte Vertreibungspolitik seitens Israels handelte, die bereits vor der Staatsgründung begonnen hatte und im April 1948 mit dem Angriff auf das arabische Dorf Deir Yassin bei Jerusalem einen vorläufigen Höhepunkt erreichte (2, S. 36 f.; 13, S. 25; 16).

Auch in späteren Kriegen in dieser Region kam es immer wieder zu Fluchtbewegungen der PalästinenserInnen – im Verlaufe des 6-Tage-Krieges im Jahre 1967 waren es zum Beispiel etwa
500 000 Menschen (31, S.4), sodass Ende des Jahres 1996

  • 1.300.000 PalästinenserInnen in Jordanien,
  • 352.700 im Libanon,
  • 347.400 in Syrien,
  • 247.800 in Saudi Arabien,
  • 71.000 in Ägypten, Kuweit und Jemen (12, S. 3; 11),

insgesamt also etwa 2,4 Mio PalästinenserInnen außerhalb ihres eigenen Landes leben mussten. Von ihnen waren etwa 850.000 in Flüchtlingslagern untergebracht, die übrigen lebten verstreut in Städten und Dörfern (31, S. 5).

Rechtsstatus der PalästinenserInnen im Nahen Osten

Keines der arabischen Aufnahmeländer hat die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus dem Jahre 1951 unterzeichnet, so der Stand am 23.7.1996 (43). Dies bedeutet, dass die palästinensischen Flüchtlinge, die in diesen Ländern leben, sich nicht auf den Schutz nach diesem Abkommen berufen können (4, S. 162). Sollte der eine oder andere dieser Staaten die Unterzeichnung der GFK vornehmen, würde auch in diesem Fall der Schutz der GFK gegenüber palästinensischen Flüchtlingen unter Umständen nicht zur Geltung kommen: Artikel 1 D der GFK besagt nämlich, dass sie keine Anwendung findet auf Personen, welche zum Zeitpunkt ihres Zustandekommens (28.7.1951) bereits den Schutz einer UN-Organisation genießen. Dies trifft für die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien, Jordanien und auch im Libanon zu, sie unterstehen UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestinian Refugees in the Near East), der bereits im Jahre 1949 eigens zum Schutz der palästinensischen Flüchtlinge ins Leben gerufenen UN-Organisation (51, S. 23 ff.). Hält sich ein palästinensicher Flüchtling allerdings in einem Land außerhalb der Operationsgebiete von UNRWA auf, so kann er sich auf die GFK berufen, sofern bzw. nachdem das Land seines Aufenthaltes der GFK beigetreten ist (26, Kap. IV B Ziff. 142 f.; 14, S. 73).

Ein weiteres Problem der palästinensischen Flüchtlinge liegt darin, dass sie Staatenlose sind. Palästina war bis zum Jahre 1948 britisches Mandatsgebiet. Die PalästinenserInnen besaßen folglich den Status als Mandatszugehörige, doch begründete weder dieser, noch die Zugehörigkeit zur palästinensischen Nation eine Staatsangehörigkeit im völkerrechtlichen Sinne (4, S. 162). In den arabischen Aufnahmeländern sind die PalästinenserInnen nicht in den Genuss der jeweiligen Staatsangehörigkeit gekommen, außer in Jordanien, dessen Regierung ihnen seit 1952 das Recht die jordanische Staatsangehörigkeit zu erwerben zuerkannt hatte (14, S. 120).

Vor diesem Hintergrund ist die Forderung der palästinensischen Flüchtlinge nach Rückkehr in das ehemalige Mandatsgebiet Palästina, so wie es in der Resolution Nr. 194 (III) der UN-Vollversammlung vom 11.12.1948 vorgesehen ist (53, S. 24), von besonderer Brisanz und in unmittelbarem Zusammenhang zu sehen mit der nunmehr anvisierten Gründung eines Staates Palästina, welche die Schaffung einer palästinensischen Staatsangehörigkeit für die dort lebenden PalästinenserInnen – und damit eine wesentliche Status-Verbesserung – implizieren würde (33; 4, S. 162).

Palästinensische Flüchtlinge
im Libanon

Aufenthaltsrechtlicher Status

Was den Rechtsstatus der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon angeht, so sind die Flüchtlinge in diesem Land – über das bisher Gesagte hinaus – massiven rechtlichen Diskriminierungen bis hin zur Verweigerung der bürgerlichen Freiheitsrechte ausgesetzt.

Bezogen auf das Aufenthaltsrecht hat sich der Status der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Zwar wird ihnen grundsätzlich ein Recht auf Aufenthalt zugestanden, vorausgesetzt sie sind bei UNRWA registriert. Ab dem Jahr 1962 erhielten sie auch das Recht auf freie Ausreise aus dem und Einreise in den Libanon, wenn sie entsprechende Reisedokumente vorweisen konnten (9, S. 5).

Diese Situation änderte sich jedoch schlagartig, als die libysche Regierung im September 1995 die Ausweisung aller dort lebenden PalästinenserInnen – also auch der etwa 10.000 palästinensischen Flüchtlinge aus dem Libanon – verfügte: Durch Beschluss des libanesischen Innenministers Nr. 478 vom 23. 9. 1995 wurde festgeschrieben, dass PalästinenserInnen mit Wohnsitz im Libanon das Land nur mit Ausreiseerlaubnis verlassen dürften; vor allem aber mussten sich PalästinenserInnen, die sich außer Landes befinden, bei den libanesischen diplomatischen Vertretungen ihres jeweiligen Aufenthaltslandes ein Visum für die Einreise in den Libanon beschaffen, wobei dies nicht für LibanesInnen galt, die in Syrien lebten (14, S. 146 f.). Gleichzeitig wurden die diplomatischen Vertretungen im Ausland seitens der libanesischen Regierung angewiesen, PalästinenserInnen kein derartiges Einreisevisum auszustellen (14, S. 37 f.).

Die Massenausweisung der PalästinenserInnen aus Libyen bot eine willkommene Gelegenheit, diese schon lange vorher konzipierte Maßnahme umzusetzen. Begründet wurde die neue Regelung damit, dass der Libanon eine solch große Anzahl von Flüchtlingen nicht aufnehmen könne, dass man den Aufenthalt von nicht registrierten Flüchtlingen verhindern und – nicht zuletzt – deren endgültige Niederlassung im Libanon unterbinden wolle. In diesem Zusammenhang fiel denn auch der entlarvende Satz des damaligen Regierungsmitglieds, Nicolas Fattusch, demzufolge der Libanon „keine Halde für Menschenmüll“ werden dürfe (14, S. 40 ff.).

Seit Einführung der Maßnahme vom September 1995 unterlag also vor allem die Einreise und damit die Gewährung eines Aufenthaltsrechts für palästinensische Flüchtlinge der willkürlichen Entscheidungsgewalt der libanesischen Regierung. Es liegt auf der Hand, dass diese Restriktionen und ebensolche in anderen Bereichen jeglicher Zuwanderung einen Riegel vorschieben bzw. den Auswanderungsdruck auf die palästinensischen Flüchtlinge intensivieren sollten (14, S. 23 ff.).

Für die Regierung des Libanon schien es ohne Belang, dass sie mit dem Beschluss Nr. 478 gegen das Protokoll von Casablanca verstieß, in dem sich die Staaten der Arabischen Liga einschließlich Libanon im Jahre 1965 verpflichtet hatten, die PalästinenserInnen bezüglich Reisefreiheit und Aufenthaltsrecht ebenso zu behandeln wie die Bürger des jeweiligen eigenen Landes (9, S. 5; 14, S. 73).

Neuen Informationen zufolge soll die Maßnahme vom September 1995 inzwischen wieder aufgehoben worden sein (0).

Unterbringung

Die vielen Benachteiligungen, welche Flüchtlinge im Libanon erfahren müssen, wurden uns deutlich während der Besuche, die wir in den Flüchtlingslagern Burj Al-Shimali bei Tyros, Bourj Al-Barajneh und= Shatila machten.

Mehr als die Hälfte der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon leben in den 12 über das Land verstreuten Lagern (14, S.13). Diese sind inzwischen völlig überfüllt: Das Lager Burj Al-Shimali z.B. war anfangs, d.h. nach 1948, für 5.000 Personen vorgesehen. Heute leben dort ca. 20.000 Menschen. Vergleichbar ist die Entwicklung auch in den anderen Lagern (10, S. 9).

Die Überfüllung ist zum einen dem natürlichen Bevölkerungszuwachs geschuldet, zum anderen der Tatsache, dass andere Lager – es waren nach 1948 insgesamt mindestens 14 gewesen (9, S. 5; 1, S. 20) – während des 15 Jahre dauernden Bürgerkrieges im Libanon (1975–1990) oder in Folge israelischer Angriffe teilweise oder ganz zerstört wurden. So wurde im Jahr 1976 im Lager Tell Al-Za'ter in der Nähe von Beirut von rechten Milizen ein Massaker angerichtet und es schließlich völlig zerstört; die Lager Shatila und Sabra wurden durch christliche Milizen nach dem Einmarsch der israelischen Armee in den Libanon im Jahr 1982 mit Billigung der israelischen Militärführung nach einem Massaker ebenfalls zerstört (14, S. 7, 129; 9, S. 5). Das Lager Shatila ist seit seiner Gründung insgesamt viermal zerstört und wieder aufgebaut worden (0).

Viele Flüchtlinge wurden infolge der Angriffe obdachlos und waren gezwungen andernorts, vor allem in anderen Lagern, Unterschlupf zu suchen. Der libanesische Staat begegnete dem mit äußerster Härte. Durch Verwaltungsanordnung wurden verboten:

  • die flächenmäßige Erweiterung der bestehenden Lager,
  • die mehrstöckige Bebauung,
  • die nachträgliche Aufstockung von Gebäuden.

Außerdem ist der Wiederaufbau der zerstörten Lager untersagt, ebenso wie die Errichtung neuer Lager oder das Bauen außerhalb der Lager. Auch die Trinkwasser- und Stromversorgung sowie die Kanalisation wurden in den zerstörten Lagern nicht wieder hergestellt (9, S. 6; 14, S. 23 f.).

Dass in diesen Lagern viel zu viele Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht leben wird schon offensichtlich, wenn man an Ort und Stelle nur herumgeht. Dieser Eindruck bestätigte und intensivierte sich durch Besuche bei verschiedenen Familien: Hier wohnen z.B. acht Personen in zwei Räumen oder fünf Personen in einem Raum, sieben Personen haben eineinhalb Räume zur Verfügung usw.

Darüber hinaus hinterlässt aber auch der Gesamtzustand der Lager einen erschütternden Eindruck, vor allem, wenn man bedenkt, dass viele Menschen hier bereits seit 50 Jahren ihr Leben zubringen müssen. Die Behausungen selbst – aus Brettern oder Steinen zusammengestellt – sind äußerst notdürftig. Der jeweilige Innenraum ist dunkel, klein – gemessen an der Zahl der Personen, die darin leben müssen – und es sind nur ein paar Sitzgelegenheiten vorhanden: Kissen oder Tücher auf dem Boden oder einige Stühle aus Plastik, übereinander gestapelt. Anstelle von Betten sieht man Matten auf den Betonböden liegen. Die Wellbleche, mit denen die Wohnräume überdeckt sind, sind undicht, sodass es hinein regnen kann. Die jeweilige »Küche« ist ein winziger Raum, darin einige wenige Geräte und Töpfe.

Jede Familie hat in ihrer Unterkunft eine Sickergrube; Wasserversorgung gibt es hingegen in den Unterkünften meist nicht. Um die Wasserzapfhähne draußen sieht man vielmehr oftmals kleinere Menschenansammlungen stehen und warten: 20 bis 30 Familien müssen sich einen Zapfhahn teilen. Die Wasserzufuhr wird außerdem zeitweilig abgeschaltet. Überall auf den Wegen die durch die Lager führen sieht man – trotz strahlenden Sonnenscheins und sehr warmer Temperaturen – Pfützen, die nicht weg trocknen: die Wasserleitungen, die an den Häuserwänden entlang laufen, sind undicht, Brauchwasser und Trinkwasser mischen sich. Wo man hinsieht liegen kleinere Müllhaufen oder gar Müllhalden in den engen Gassen oder auf Plätzen.

Im Lager Burj Al-Shimali gibt es nur zwei befestigte Straßen für die durch das Lager fahrenden Busse, ansonsten sind die Wege unbefestigt, die Gassen eng und dunkel. Auch dieses Lager wurde im Jahre 1982 durch die Israelis bombardiert: Vom Meer aus schossen sie direkt und gezielt auf einzelne Unterkünfte, sodass schließlich 150 Personen getötet und 15 vermisst wurden. Ein vor fünf Jahren bei UNRWA eingebrachter Antrag, wegen der gesundheitlichen Gefahren für die BewohnerInnen Mittel für die Sanierung dieses Lagers zur Verfügung zu stellen, blieb ohne Resonanz (0).

Im Lager Shatila leben heute neben palästinensischen Flüchtlingen zu 50 % auch LibanesInnen, KurdInnen und SyrerInnen, die wegen ihrer extremen Armut keine andere Unterkunft finden können(0).

Das Projekt »Beirut 2 000«, ein gigantisches Großprojekt zum Wiederaufbau, zur Sanierung und Modernisierung der Innenstadt von Beirut unter Federführung des bis Ende 1998 amtierenden Ministerpräsidenten und Milliardärs Rafik Hariri, ist mitten im Gang und das mit Priorität geförderte und mittlerweile restaurierte Bankenviertel ein gelungenes Vorzeigeobjekt (41; 22, S. 16). Im Verlaufe der Realisierung dieses Konzepts sollen die vier um Beirut angesiedelten Flüchtlingslager, u.a. auch Shatila und Bourj Al-Barajneh, aufgelöst werden, weil durch das jeweilige Lagergebiet eine breite Autotrasse gelegt werden soll. Die dort lebenden Flüchtlinge sollen eventuell in den Norden und in die Bekaa-Ebene umgesiedelt werden – in das Gebiet also, das am weitesten von Palästina entfernt liegt und von dem nicht klar ist, ob dort ein Existenzminimum überhaupt gewährleistet sein wird (9, S. 11; 0)

Arbeitsmöglichkeiten, Einkommen, Armut

Die palästinensischen Flüchtlinge unterliegen im Libanon äußerst restriktiven Regulierungen im Hinblick auf Möglichkeiten einer Arbeitsaufnahme. In ungefähr 65 – insbesondere akademischen – Berufen ist ihnen seit 1982 eine Beschäftigung untersagt. Durch ein Dekret der libanesischen Regierung vom Dezember 1995 wurde dieses gesetzliche Berufsverbot nochmals bestätigt und festgeschrieben, dass bestimmte Berufe nur von LibanesInnen ausgeübt werden dürfen (9, S. 5; 14, S. 24). Es sind dies u.a. Berufe im Bereich Management und Buchführung, Informatik, Handel, Geldwechsel sowie die meisten Handwerksberufe, juristische, medizinische, pharmazeutische Berufe, ArchitektIn und IngenieurIn (10, S. 50, 54).

Für die Ausübung aller übrigen Berufe – dazu zählen Berufe in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, im Textil- und Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie und der Krankenpflege – bedürfen palästinensische Flüchtlinge einer Arbeitserlaubnis, die allerdings nur sehr selten erteilt wird: Im Jahr 1994 waren es gerade eben 100 (14, S. 24) und auch im Jahr 1995 nur 354 Arbeitsgenehmigungen (14, S. 24; 10, S. 54). Demgegenüber hat die Regierung des Libanon inzwischen ArbeiterInnen aus anderen Ländern (Sri Lanka, Ägypten, Indien, Philippinen), vor allem aber über 1 Mio. syrische Arbeitskräfte, ins Land geholt bzw. gelassen: diese sind überwiegend im Baugewerbe – das zuvor insbesondere den palästinensischen Flüchtlingen vorbehalten war – und im hauswirtschaftlichen Bereich beschäftigt (29, S. 666; 22, S.16; 9, S. 5). Hier ist die Praxis der Erteilung von Arbeitsgenehmigungen weitaus liberaler: Im Jahr 1995 erhielten mehr als 1.000 SyrerInnen, etwa 11.600 ÄgypterInnen und 14.253 Sri LankerInnen eine solche (10, S. 54).

Im Lager Burj Al-Shimali gibt es nur zwei befestigte Straßen für die durch das Lager fahrenden Busse, ansonsten sind die Wege unbefestigt, die Gassen eng und dunkel. Auch dieses Lager wurde im Jahre 1982 durch die Israelis bombardiert: Vom Meer aus schossen sie direkt und gezielt auf einzelne Unterkünfte, sodass schließlich 150 Personen getötet und 15 vermisst wurden. Ein vor fünf Jahren bei UNRWA eingebrachter Antrag, wegen der gesundheitlichen Gefahren für die BewohnerInnen Mittel für die Sanierung dieses Lagers zur Verfügung zu stellen, blieb ohne Resonanz (0).

Im Lager Shatila leben heute neben palästinensischen Flüchtlingen zu 50 % auch LibanesInnen, KurdInnen und SyrerInnen, die wegen ihrer extremen Armut keine andere Unterkunft finden können(0).

Das Projekt »Beirut 2 000«, ein gigantisches Großprojekt zum Wiederaufbau, zur Sanierung und Modernisierung der Innenstadt von Beirut unter Federführung des bis Ende 1998 amtierenden Ministerpräsidenten und Milliardärs Rafik Hariri, ist mitten im Gang und das mit Priorität geförderte und mittlerweile restaurierte Bankenviertel ein gelungenes Vorzeigeobjekt (41; 22, S. 16). Im Verlaufe der Realisierung dieses Konzepts sollen die vier um Beirut angesiedelten Flüchtlingslager, u.a. auch Shatila und Bourj Al-Barajneh, aufgelöst werden, weil durch das jeweilige Lagergebiet eine breite Autotrasse gelegt werden soll. Die dort lebenden Flüchtlinge sollen eventuell in den Norden und in die Bekaa-Ebene umgesiedelt werden – in das Gebiet also, das am weitesten von Palästina entfernt liegt und von dem nicht klar ist, ob dort ein Existenzminimum überhaupt gewährleistet sein wird (9, S. 11; 0)

Gesundheit

Im Flüchtlingslager Burj Al-Shimali wurden uns Einzelheiten zur gesundheitlichen Situation und Versorgung der Flüchtlinge berichtet. Mehr als die Hälfte der 20.000 in diesem Lager lebenden Menschen sind nach Einschätzung des Sozialarbeiters, der uns begleitete, krank. Die am häufigsten vorkommenden Krankheiten sind Diabetes, zu hoher Blutdruck und Herzkrankheiten. 55 Personen leiden an Thalassämia, einer erblichen Krankheit, bei der sich die weißen Blutkörperchen zu stark vermehren. Aus finanziellen Gründen bleiben chronisch kranke Flüchtlinge in der Regel ohne ärztliche Therapie (14, S. 29); dies gilt insbesondere für PatientInnen mit der zuletzt genannten – unter Umständen lebensverkürzenden – Krankheit, deren Therapie sich über ein Jahr hinziehen und pro Behandlung 100 US$ kosten würde (0). Eingeschränkt werden Behandlungsmöglichkeiten durch das Alter. Für PatientInnen über 60 Jahre wird von UNRWA keine Behandlung mehr finanziert (0; 9, S. 8).

Im Lager Burj Al-Shimali gibt es eine Klinik, in der libanesische und palästinensische ÄrztInnen arbeiten. Innerhalb der Flüchtlingslager besitzt das Berufsverbot – wie gesagt – keine Geltung. Die ÄrztInnen behandeln im Schnitt 200 PatientInnen pro Tag; in diesem Lager kommen auf einen Arzt ca. 17.000 PatientInnen, so wurde uns im Gespräch berichtet. Verglichen mit der gesetzlichen Regelung, wonach auf eine Ärztin/einen Arzt etwa 6.000 PatientInnen kommen sollen, ist dies eine Verdreifachung (0). Die Behandlung durch ÄrztInnen und ZahnärztInnen ist für die Flüchtlinge kostenlos, die Kosten werden von UNRWA übernommen (0). Im Falle eines Krankenhausaufenthaltes übernimmt UNWRA 2/3 der Kosten für ein Krankenhausbett; Arzthonorar, Untersuchungs- und Behandlungskosten müssen die PatientInnen selbst bezahlen (10, S.51).

Der krasse Unterschied zwischen diesem Niveau der Gesundheitsversorgung und dem im Libanon allgemein in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht gültigen, wird deutlich an der Einschätzung des Auswärtigen Amtes der deutschen Bundesregierung, wonach der Libanon „ – bei leichten regionalen Unterschieden – ein Land mit einem recht hohen Niveau medizinischer Versorgung“ ist. Mehr als dezent erscheint hingegen der anschließende Hinweis, „Palästinensische Flüchtlinge werden von den Gesundheitsdiensten der UNWRA im Rahmen deren Möglichkeiten versorgt“ (58, S. 11 f.).

Bemerkenswert erscheint die Tatsache, dass Hizb Allah (Partei Gottes), die im Jahre 1982 nach der Invasion Israels im Libanon gegründete schiitische Organisation (1, S. 20; 35, S. 89), in Beirut seit 1988 ein Krankenhaus mit inzwischen 130 Betten unterhält: Hier, im Stadtrandgebiet von Beirut, wird therapiert, operiert, es werden Kinder zur Welt gebracht und alle können die dort angebotenen Möglichkeiten kostenlos in Anspruch nehmen (0). Diese Art außerstaatlicher Sozialpolitik erscheint charakteristisch für die Hizb Allah, die z.B. im Lager Bourj Al-Barajneh und in verschiedenen Vororten Beiruts auch Wassertanks installiert hat und diese täglich mehrmals mit Trinkwasser auffüllt (0; 10, S. 21). Im Gespräch mit dem Parlamentsabgeordneten und Vorsitzenden des Rates der Hizb Allah, Hajj Mohamad Raad, wurde deutlich, dass sich die Organisation inzwischen als politische Partei organisiert hat – sie ist seit den Wahlen im Jahre 1996 wieder mit 7 Abgeordneten im Parlament vertreten (15, S. 6) – die einerseits den bewaffneten Widerstand gegen die Besetzung des Südlibanon durch die israelische Armee an- und fortführt, andererseits ihre politischen und parlamentarischen Aktivitäten auf sozialpolitische Bereiche – medizinische und soziale Grundversorgung, Schulbildung und Ausbildung – konzentriert (0; 35, S. 89; 15, S. 6).

Schule, Ausbildung

In allen von uns besuchten Flüchtlingslagern gibt es Hauptschulen, die von UNRWA betrieben werden. Die Klassengröße liegt bei 40 bis 45 SchülerInnen. Das libanesische Gesetz sieht dagegen eine maximale Klassengröße von 25 SchülerInnen vor (0). Insgesamt unterhält UNRWA im Libanon 75 Schulen der Grund- und Mittelstufe (9, S. 12). Zwei Gymnasien stehen für 650 SchülerInnen zur Verfügung (0).

Immer wieder, so berichtete uns die Sozialarbeiterin mit der wir im Lager Bourj Al-Barajneh sprachen, sei es notwendig Zusammenkünfte für Mütter von Kindern oder Jugendlichen zu organisieren um das Thema »Schulbesuch statt Kinderarbeit« zu besprechen. Diesbezügliche Angaben von UNRWA zeigten für die Jahre 1993/94, dass 56% der palästinensischen Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und neunzehn Jahren nicht in die Schule gingen. Bei den bis 17-Jährigen waren es knapp über 70%, bei den 18- bis 19-Jährigen sogar 93% (9, S. 12).

Die Analphabetenrate unter den palästinensischen Flüchtlingen im Libanon betrug in den Jahren 1994/95 bei Männern 8%, bei Frauen im Alter von 16 bis 60 Jahren 19% (9, S. 12); sie ist im Steigen begriffen (0; 14, S. 30).

Demokratische Partizipation

Das Recht auf Meinungsfreiheit, auf gewerkschaftliche Betätigung und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf politische Betätigung und Schutz vor staatlicher Willkür und auch der Erwerb von Eigentum sind den palästinensischen Flüchtlingen im Libanon verwehrt (14, S. 148 ff.). Hier ist allerdings anzumerken, dass die Missachtung von Grundrechten auch gegenüber libanesischen Staatsbürgern zum politischen Alltag gehört (47; 40, S. 369 ff.; 11, S. 462 f.).

Der Erwerb der libanesischen Staatsangehörigkeit wird v.a. von Seiten christlicher Politiker zu verhindern versucht, wiewohl ein Gesetz aus dem Jahre 1925 vorsieht, dass eingebürgert werden kann, wer seit fünf Jahren legal im Libanon ansässig ist (30, S. 236).

Dass dies vorerst so bleiben wird, hängt u.a. mit dem Konfessionsproporz zusammen, der im Libanon bereits im 19. Jahrhundert etabliert und durch die Verfassung aus dem Jahre 1926 und den (ungeschriebenen) Nationalpakt von 1943 bestätigt wurde (35, S.86; 30, S. 246). Inhalt dieses Proporzes ist die Regelung, dass Regierungsämter und Ämter des öffentlichen Dienstes im Verhältnis 6 : 5 an ChristInnen und MuslimInnen zu vergeben sind (35, S. 86 f.).

Im Nationalpakt kam man überein, diesen Proporz auch in Bezug auf die Besetzung der Parlamentssitze anzuwenden (30, S. 246). In dem nach Beendigung des Bürgerkrieges im Jahre 1989 geschlossenen Abkommen von Ta'if wurde der Konfessionsproporz schließlich dahingehend revidiert, dass die Parlamentssitze nunmehr im Verhältnis 50 : 50, also paritätisch von ChristInnen und MuslimInnen zu besetzen seien (14, S. 130).

Auch in dieser reformierten Fassung ist der Konfessionsproporz jedoch historisch überholt und undemokratisch, beruht er doch dem Grunde nach noch immer auf der Volkszählung aus dem Jahre 1932. Damals waren 51,2 % der Bevölkerung im Libanon christlichen und 48,2 % muslimischen Glaubens (19, S. 17; 1, S. 19). Inzwischen hat die muslimische Bevölkerung überproportional zugenommen (35, S. 87), sodass das Verhältnis bereits im Jahre 1986 mit 60–73 % MuslimInnen und 26-39 % ChristInnen angegeben wurde (8, S. 471; 11, S. 461; 30, S. 236f.). Würde nunmehr den palästinensischen Flüchtlingen, die muslimischen Glaubens – überwiegend sunnitischer Prägung – sind, die libanesische Staatsbürgerschaft zuerkannt, so käme der Konfessionsproporz in eine noch weitaus größere Schieflage und wäre politisch sicherlich nicht mehr aufrechtzuerhalten (14, S. 63; 15, S.11).

Allerdings ist hier anzumerken, dass auch die palästinensischen Flüchtlinge selbst die libanesische Staatsbürgerschaft nicht anstreben bzw. an einer dauerhaften Ansiedlung im Libanon kein Interesse haben. Dies wurde uns in unseren Gesprächen mehrfach erklärt und gilt jedenfalls noch derzeit. Zur Begründung verwiesen die GesprächsteilnehmerInnen darauf, dass die wenigen eingebürgerten (christlichen) PalästinenserInnen auch keine Wohnung und keine Arbeit besäßen. Zudem sehen die Flüchtlinge darin eine Aufgabe ihrer Rückkehroption bzw. einen Verzicht auf ihren Flüchtlingsstatus und des damit implizierten Rückkehr- und/oder Entschädigungsanspruchs sowie eine Aufgabe ihrer nationalen Identität (0; 14, S. 63).

Welche wesentliche Rolle die Pflege und Bewahrung der nationalen Identität als PalästinenserInnen für die Flüchtlinge in den Lagern spielt, wurde u.a. daran deutlich, dass überall in den von uns besuchten Räumen entsprechende Symbole (Nationalfahnen, Landkarten von Palästina, Verwendung der Nationalfarben in Handarbeiten und als Wandbemalung) verwendet wurden und dass uns am Ende jeden Gesprächs Jugendliche traditionelle Tänze in traditioneller Kleidung vorführten und uns den jeweiligen Herkunftsort dieser Tänze in Palästina nannten und genau beschrieben.

Beit Atfal Assumoud

Im Lager Mar-Elias sprachen wir mit dem Geschäftsführer der Stiftung Beit Atfal Assumoud – Haus der standhaften Kinder. Am Eingang des Lagers fällt eine mehrere Meter hohe und breite Müllhalde auf, in der Erwachsene und Kinder nach Brauchbarem herumsuchen – vor allem nach Kleidung, wie uns gesagt wurde.

Der Gesprächspartner stellt uns die Stiftung vor, die im Jahre 1976, kurz nach Beginn des Bürgerkrieges, als Haus für Waisenkinder gegründet wurde. Anlass war ein Massaker im Flüchtlingslager Tell Al-Za'ter, das die christlichen Phalangisten mit Rückendeckung der syrischen Regierung angerichtet hatten und bei dem 4.000 Menschen getötet und viele Kinder zu Waisen wurden. Für sie wurde die Organisation ins Leben gerufen. Heute werden von den MitarbeiterInnen der Stiftung 1.300 Kinder und Jugendliche in 770 Familien betreut. 600 Kinder besuchen die acht Kindergärten, die von Beit Atfal Assumoud in den verschiedenen Lagern eingerichtet wurden weil UNRWA keine solchen betreibt (9, S. 12). Außerdem gibt es elf von der Stiftung etablierte Sozialzentren in den verschiedenen Lagern. Darüber hinaus werden Angebote für Frauen und junge Mädchen gemacht: Alphabetisierungskurse, Ausbildung im Nähen, im Kunsthandwerk. Für männliche Jugendliche gibt es u.a. Arbeitsmöglichkeiten im Bauhandwerk sowie sprachliche, sportliche und kulturelle Angebote; Büchereien und Feriencamps stehen allen zur Verfügung.

Trotz all dieser Bemühungen nimmt die Aggressivität unter den Jugendlichen in den Flüchtlingslagern nach der Einschätzung unseres Gesprächspartners zu. Man erinnert sich dabei an die eingangs zitierte Vorwarnung von Rachid Boudjedra, die er bereits vor mehr als 25 Jahren notierte.

Die Arbeit von Beit Atfal Assumoud wird mit Hilfe von Spenden einzelner Personen aus dem In- und Ausland sowie kirchlicher und gemeinnütziger Organisationen finanziert. Unser Gesprächspartner verweist mehrfach und mit großem Nachdruck darauf, dass UNRWA ursprünglich als eine Organisation konzipiert war, die den palästinensischen Flüchtlingen gleichermaßen Hilfe und Unterstützung gewähren sollte, dass deren Präsenz und materielle Hilfeleistungen für die Flüchtlinge im Libanon aber in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sei (0; 38).

Die Rolle der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA)

UNRWA wurde am 8.12.1949 auf der Grundlage der Resolution Nr. 302 der UN-Vollversammlung gegründet um „die fortgesetzte Unterstützung der Palästinaflüchtlinge“ bis zur politischen Lösung des Palästinaproblems zu gewährleisten. Dabei sollte Hilfe bei der „Vermeidung von Hunger und Elend“ geleistet und „friedliche und stabile Verhältnisse“ gefördert werden (51; 17, S. 208; 2, S. 37). Die wichtigsten GeldgeberInnen sind derzeit die USA, die EU und Japan, wobei die Höhe der Geldbeträge dem Ermessen der Geberländer anheimgestellt ist (2, S. 38; 31, S. 6).

Die Registrierung als Flüchtling durch das UNRWA ist für die PalästinenserInnen von existenzieller Bedeutung, berechtigt sie doch zum Empfang von Leistungen. Ein Palästinaflüchtling, so wurde von der UNO im Jahre 1950 definiert, „ist eine Person, deren gewöhnlicher Wohnort mindestens zwei Jahre vor dem Konflikt von 1948 Palästina gewesen ist, die infolge dieses Konflikts ihre Unterkunft sowie ihren Lebensunterhalt verlor und 1948 in eines der Länder flüchtete, in denen das UNRWA Hilfe leistet. Flüchtlinge im Rahmen dieser Definition und deren direkte Nachkommen haben ein Anrecht auf die Unterstützung des Hilfswerks, wenn sie

  • vom UNRWA erfasst wurden,
  • in Gebieten leben, in denen das UNRWA aktiv ist,
  • bedürftig sind“ (31, S. 5).

Die Registrierung durch UNRWA ist aber auch die einschlägige Rechtsgrundlage für das Recht auf Rückkehr und/oder zukünftige Entschädigungsansprüche (14, S. 75, 80; 2, S. 38): Bei der Gründung von UNRWA war man davon ausgegangen, dass die Palästinafrage alsbald politisch gelöst sein werde, sodass die palästinensischen Flüchtlinge wieder in ihr Heimatland zurückkehren könnten oder aber in dem jeweiligen arabischen Land verbleiben würden. Demgemäß hatte die UN-Generalversammlung die Losung »Repatriierung oder Entschädigung« ausgegeben (53, S. 24; 31, S. 5).

Entgegen der Resolution Nr. 194 (III). der UN-Vollversammlung aus dem Jahre 1948 (53) und Nr. 237 des UN-Sicherheitsrates vom 14. 6. 1967 (52) verweigert Israel den palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr und leugnet damit zugleich die Verantwortung für ihre Vertreibung (44, S. 154; 13, S. 28). Gleichermaßen lehnten die meisten arabischen Aufnahmeländer eine dauerhafte Ansiedlung der Palästinaflüchtlinge ab (2, S. 37; 14, S. 24f., 63). Dem entspricht, dass das Mandat von UNRWA jeweils auf drei Jahre befristet wird und kontinuierlich verlängert werden muss: Das derzeitige Mandat reicht bis zum 30. Juni 1999 (31, S. 5; 10, S. 55).

Heute sind etwa 3,3 Mio. palästinensische Flüchtlinge bei UNRWA registriert, davon etwas mehr als 350.000 (knapp 11%) im Libanon, von denen wiederum 194.000 in Lagern leben (17, S. 213; 9, S. 4; 15, S. 10; 58, S.4). Zusätzlich gibt es im Libanon noch 100.000 bis 150.000 palästinensische Flüchtlinge, die nicht bei UNRWA registriert sind (21, S. 198).

Zunächst lag das Schwergewicht der Arbeit von UNRWA auf der Entwicklung von Siedlungsprogrammen und Programmen zur Arbeitsbeschaffung mit dem Ziel der Integration der palästinensischen Flüchtlinge in die jeweiligen Aufnahmeländer. Da dies wegen der geschilderten Vorbehalte auf beiden Seiten ohne Erfolg blieb (4, S. 162), verlagerte UNRWA ihren Arbeitsschwerpunkt nunmehr auf die materielle Versorgung der Flüchtlinge, auf Soziales, Gesundheit, einschließlich Versorgung mit sanitärer Infrastruktur, auf Bildung und Ausbildung (21, S. 201; 2, S. 37). So betrieb UNRWA im Haushaltsjahr 1990/91 insgesamt 632 Grund- und Hauptschulen mit 10.902 LehrerInnen und 365.625 SchülerInnen, 104 Gesundheitszentren, in denen sechs Mio. PatientInnen behandelt wurden. Es gab damals noch acht Berufsschulen mit 5.146 Studienplätzen und Hochschulstipendien für 641 Flüchtlinge (31, S. 5).

Die Tatsache, dass für die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon ein fast vollständiges Arbeitsverbot besteht und dass sich die PLO im Jahr 1982 aus dem Libanon zurückziehen musste (37, S. 472) und seit 1991 ihre Unterstützungsleistungen erheblich reduziert hat, führt dazu, dass UNRWA eine um so wichtigere Rolle bei der Sicherung der Existenzbedingungen für die Flüchtlinge in den libanesischen Lagern spielt (14, S. 16, 19, 57; 2, S. 36). Nicht zuletzt ist UNRWA mit insgesamt 22.000 Arbeitsplätzen, davon 2.500 Beschäftigten in den libanesischen Flüchtlingslagern, der wichtigste Arbeitgeber für PalästinenserInnen im Libanon. (17, S. 213; 10, S. 55).

Allerdings entspricht dieser gewachsenen Bedeutung keine Heraufsetzung des Budgets: Vielmehr befand sich UNRWA im Jahr 1997 in der schwersten Finanzkrise seit ihrer Gründung. Das Haushaltsdefizit in Höhe von 20 Mio. US$ war deshalb für den Generalkommissar von UNRWA Anlass, die Aufrechterhaltung des bisherigen Leistungsniveaus grundlegend in Zweifel zu ziehen (17, S. 213).

Diese Entwicklung schlägt sich unmittelbar zum Nachteil der palästinensischen Flüchtlinge nieder: So musste die Unterstützung pro Flüchtling von 120$ (1992) auf 90$ (1997) im Jahr reduziert werden (2, S. 39). Die Zahl der zu betreuenden Flüchtlinge hatte in den vorangegangenen Jahren zu-, die Geldspenden der Geberländer dagegen abgenommen oder sie waren gleich geblieben, ohne dass UNRWA Möglichkeiten hatte, dieses durch anderweitige Geldein- oder aufnahmen zu kompensieren (17, S. 213).

Die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon sind von diesen finanziellen Restriktionen überproportional betroffen, konzentriert sich doch die Geldverteilung sowohl für allgemeine als auch für besondere Hilfsprogramme seitens UNRWA schon seit längerem auf die palästinensischen Autonomieregionen, insbesondere auf Ghaza (14, S. 83; 9, S. 7; 17, S. 209 f.; 2, S. 38).

Dies steht im Zusammenhang mit der im Jahre 1991 begonnenen Diskussion, der zufolge sich UNRWA nach der Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems in Ghaza und der Westbank (!) „auflösen und seine Einrichtungen, Strukturen und Dienste an die entstehenden palästinensischen Institutionen übergeben“ soll (31, S. 10). Im Juni 1994 kündigte der Generalsekretär der Vereinten Nationen öffentlich an, der Sitz des UNRWA werde von Wien nach Ghaza verlegt und verwies zur Begründung darauf, dass die Probleme der palästinensischen Flüchtlinge dort am größten seien und UNRWA den Friedensprozess unmittelbar am Ort des Geschehens am wirksamsten unterstützen könne. Diese Entscheidung wurde im Juli 1996 realisiert und eine enge Kooperation zwischen UNRWA und der palästinensischen Autonomiebehörde entwickelt (17, S. 210 f.; 9, S.7): Vorstufe der anvisierten Übergabe ?!

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Verlegung der UNRWA-Zentrale nach Ghaza zugleich eine „bewusste Marginalisierung der Flüchtlingsfrage bedeute“. Indem der Autonomieregion absoluter Vorrang – nicht nur hinsichtlich der Zuteilung der finanziellen Ressourcen – eingeräumt wird, werden die externen Flüchtlinge im Libanon und in Syrien (nicht dagegen in Jordanien) benachteiligt und in den Hintergrund gedrängt (9, S. 7).

Für die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon sind diese Veränderungen deshalb besonders belastend, weil UNRWA die einzige Organisation ist, die sich noch um sie kümmert (17, S. 213). Es „macht sich Verzweiflung unter den Flüchtlingen breit und wirkt in hohem Maße politisch destabilisierend“, so beschrieb der Generalkommissar von UNRWA, Peter Hansen, im Jahre 1997 die Lage vor Ort (17, S. 213; 48, S.1). Er selber hatte im August 1997 angesichts des hohen Haushaltsdefizits drastische Sparmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsversorgung und Schulausbildung angekündigt – z. B. sollten SchülerInnen, die UNRWA-Schulen besuchten, ein Schulgeld in Höhe von 14 US$ pro Jahr bezahlen, eine für die Betroffenen hohe und nicht bezahlbare Summe. Gegen diese Forderung hatte sich allenthalben massiver Protest erhoben (2, S. 35f.).

Die Marginalisierung der palästinensischen Flüchtlinge, die 1948 Palästina verlassen mussten, ist aber auch Kennzeichen der seit 1993 zwischen Israel und den PalästinenserInnen geschlossenen Friedensverträge. In Art. 5 der »Prinzipienerklärung über Vereinbarungen zur übergangsweisen Selbstverwaltung« vom 19.9.1993 (Gaza-Jericho-Abkommen, auch Oslo I genannt; 45, S. 1255; 44, S. 171) ist geregelt, dass Verhandlungen über einen dauerhaften Status zwischen Israel und PalästinenserInnen sobald wie möglich, spätestens aber mit dem Beginn des 3. Jahres der insgesamt fünf Jahre währenden Übergangsperiode beginnen müssen, und dass sie unter anderem das Thema Flüchtlinge zum Beratungsgegenstand haben werden (18, S. 1281ff.; 44, S. 172). Diese sogenannten Endstatusverhandlungen (61) wurden zwar im Mai 1996 termingerecht eröffnet, mehr geschah allerdings in Anbetracht der damals neu gewählten Regierung Netanyahu nicht (14, S.106; 20, S.198). Die palästinensischen Flüchtlinge aus der Zeit um 1948 werden auch in den nachfolgenden Abkommen vom 29.4.1994 (Paris-Abkommen) und vom 28.9.1995 (Taba-Abkommen, auch Oslo II genannt; 45, S. 1257) nicht erwähnt (14, S. 107f.).

Anders dagegen wurde mit den 1967 während des Sechs-Tage-Krieges aus Ghaza und der Westbank vertriebenen PalästinenserInnen verfahren: Für sie ist gemäß Art. 12 der Prinzipienerklärung ein Komitee vorgesehen, das über die Modalitäten ihrer Zulassung in die Autonomiegebiete entscheiden wird. Dieses Komitee wurde unter Beteiligung palästinensischer VertreterInnen, Israels, Ägyptens und Jordaniens gegründet und hat im März 1995 mit seiner Arbeit begonnen (14, S. 74).

Sicherheitszone

Ein letzter Besuch führte uns in den Südteil des Landes, in ein kleines Dorf – En Nmairiyé – in der Nähe der Stadt Nabatiye und nur einige Kilometer von der »Sicherheitszone« entfernt. Trotz der sehr schönen Berglandschaft spürte man hier mehr noch als andernorts die Anspannung der Menschen, die angesichts der in dieser Region ständig stattfindenden Kampfhandlungen in dauernder Gefährdung leben. Wir sprachen mit einer jungen palästinen sischen Flüchtlingsfamilie, die aus der BRD zurückgekehrt war und nun in diesem Ort zusammen mit ihren Eltern ihr Auskommen suchte. Im Verlaufe unseres Gespräches hörten wir immer wieder Schüsse.

Die Sicherheitszone, ca. 850 qkm groß und ca. 9% des libanesischen Territoriums umfassend, ist ein etwa 15 km breiter Gürtel im Süden Libanons, im Grenzgebiet zu Israel und Syrien, dessen Besetzung durch Israel im Jahre 1978 erfolgte (22, S. 17; 1, S. 21). Innerhalb dieses Gebietes leben etwa 150.000 Menschen, überwiegend SchiitInnen (1, S. 21), aber auch ChristInnen (34, S. 52). Israel hat dort etwa 1.000 Soldaten ständig stationiert und unterhält außerdem eine Söldnermiliz, die südlibanesische Armee (SLA) mit einer Stärke von 3.000 bis 4.000 Mann (58, S. 5). Die SLA ist damit beauftragt, im Bereich der Sicherheitszone jegliche Kooperation mit der Hizb Allah zu verhindern, Einreise in die und Ausreise aus der Sicherheitszone zu kontrollieren und Infiltrationsversuchen in dieses Gebiet entgegenzuwirken. Die militärischen Operationen – vor allem Angriffe gegen die Hizb Allah innerhalb der Sicherheitszone und auf palästinensische Guerillastellungen nördlich davon – liegen in der Verantwortung der israelischen Militärs; die SLA hat dabei lediglich unterstützende Obliegenheiten (24, S. Lib 001.024.001).

Die Hizb Allah wiederum ist eine nach der israelischen Invasion im Jahr 1982 entstandene, von Syrien und dem Iran unterstützte Miliz mit einer Stärke von 3.000 bis 5.000 Mann (58, S.6), die als einzige der vielen Milizen im Libanon nicht entwaffnet worden ist, weil sie ihre Aufgabe, gegen die israelische Besatzung im Südlibanon zu kämpfen, weiterhin erfüllen und aus syrischer Sicht als Druckmittel gegenüber Israel im Hinblick auf die Rückgabe der von Israel besetzten Golan-Höhen eingesetzt werden sollte (35, S. 88 f.; 11, S. 463; 1, S. 22).

Nicht nur die Sicherheitszone, sondern der Südlibanon insgesamt ist eine Region in der permanent bewaffnete Kämpfe stattfinden. In Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Libanon, Syrien und Israel wurde mehrmals vereinbart, dass ausschließlich militärische Ziele angegriffen werden dürfen, doch werden diese Vereinbarungen »unfriedlicher Koexistenz« (34, S. 51) nicht eingehalten, vielmehr immer wieder von beiden Seiten gezielt durchbrochen, sodass Menschen innerhalb und außerhalb der Sicherheitszone getötet werden oder fliehen müssen (11, S. 463; 20, S. 403 ff.; 34, S. 51).

Ein Beispiel für die großen Gefahren, in denen die Bevölkerung dort lebt, ist die Offensive der Israelis gegen die Hizb Allah im April 1996 während der israelische Artillerie-, See- und Luftstreitkräfte Gebiete im Südlibanon unter Beschuss nahmen. 300.000 bis 400.000 Personen mussten fliehen, über 150 ZivilistInnen verloren ihr Leben. Allein bei dem Angriff auf das kleine Dorf Qana, bei dem auf einen dort stationierten Hangar der UNIFIL-Truppen (UN Interim Forces in Lebanon) geschossen wurde, kamen mehr als 100 ZivilistInnen ums Leben und wurden etwa 100 Personen verletzt. Zusätzlich starben sechs Menschen, die in einem Krankenwagen aus der Gefahrenzone heraus transportiert werden sollten und währenddessen von einem Hubschrauber aus unter Raketenbeschuss genommen wurden (39, S. 341,346; 34, S. 52; 20, S. 403 f.).

Wir haben den eigens aus diesem Anlass eingerichteten Friedhof, der zugleich Mahnmal ist, in Qana besucht. Am Ortseingang hängt quer über der Straße ein Spruchband mit der Aufschrift: „Our victims blood is our voice to the world“.

Auch die Resolution Nr. 425 des UNO-Sicherheitsrates aus dem Jahr 1978 (56, S. 69), in der Israel zum sofortigen und bedingungslosen Rückzug seines Militärs aus dem Libanon aufgefordert worden war, ist folgenlos geblieben. Erst nach Jahren, im April 1998, bot die israelische Regierung an, ihre Truppen aus dem Südlibanon zurückzuziehen. Damit verband sie folgende Bedingungen: Frieden und Sicherheit müssten durch Auflösung der libanesischen Widerstandsbewegung –vor allem der Hizb Allah – garantiert werden, die libanesische Armee müsse die Kontrolle über die bisher von der Hizb Allah beherrschten Gebiete übernehmen und die Milizionäre der SLA amnestiert werden. Die Regierung des Libanon hat dieses Ansinnen in Absprache mit Syrien, der Patronatsmacht des Libanon, abgelehnt und damit begründet, dass in der UNO-Resolution von 1978 ein Abzug Israels ohne Bedingungen verlangt werde (27; 28).

Ein weiterer Vorschlag des damaligen Ministers für Infrastruktur im Kabinett Netanyahu, Ariel Sharon ( der als ehemaliger Verteidigungsminister Israels Verantwortung trägt für das Massaker im Jahre 1982; 27) vom November 1998, die israelischen Truppen einseitig aus dem Libanon abzuziehen, wurde von Netanyahu stante pede abgelehnt (32; 33).

Für die Bevölkerung in und um die Sicherheitszone bedeutet dies, dass sie auch weiterhin ständig Angst um Leib und Leben haben muss (23, S. 28; 32; 33; 36; 25). Dies hat sich auch in jüngster Zeit wieder gezeigt, als von beiden Seiten Waffen eingesetzt wurden und es Tote und Verletzte gab (FR 2. 3. und 3. 3. 1999). Das Versprechen, das der seit Mitte 1999 amtierende israelische Premierminister Ehud Barak (Arbeitspartei) während des Wahlkampfes abgab und während der Regierungsbildung bekräftigte, die Truppen aus dem Süden Libanons innerhalb eines Jahres abzuziehen, könnte Hoffnung aufkommen lassen, doch wird eine diesbezügliche Vereinbarung mit der Regierung des Libanon nur mit Zustimmung Syriens und unter Einbeziehung der Golanhöhen zustande kommen können (59, S.796; 58, S. 1). Barak hat für den Fall, dass diese Vereinbarung nicht zustande kommen sollte, allerdings einen einseitigen Abzug der israelischen Truppen aus Südlibanon in Aussicht gestellt (63).

Der massive Einfluss Syriens auf die Politik im Libanon, so sei hier zum besseren Verständnis hinzugefügt, gründet sich auf das bereits erwähnte Abkommen von Ta'if aus dem Jahre 1989, das zur Beendigung des Bürgerkrieges im Libanon geschlossen wurde, und auf das Sicherheitsabkommen zwischen Syrien und Libanon aus dem Jahr 1991, in dem eine weitreichende Kooperation libanesischer und syrischer Armee- und Sicherheitskräfte festgelegt wurde. Syrien erhielt das Recht, 35.000 Soldaten im Libanon zu stationieren, die zusammen mit einer größeren Anzahl syrischer Geheimdienst- und Sicherheitskräfte für die Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit nach Ende des Bürgerkrieges im Libanon zu sorgen hatten (58, S. 7). Im Bereich der Sicherheits- und Regionalpolitik bestimmt somit Syrien die Politik im Libanon, im wirtschaftlichen Bereich hat die Regierung Libanons dagegen freie Hand im eigenen Land (14, S. 131).

Perspektiven

Hält man sich die gegenwärtige Lage der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon und in den anderen Ländern vor Augen und überlegt die potenziellen politischen Perspektiven, so scheinen die Aussichten zu einer befriedigenden Lösung zu kommen nicht eben gut, denn das Desinteresse und die Abwehr gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen besteht auf Seiten aller in dieses Problem involvierten Regierungen: Es ist einerseits offenkundig, dass die meisten Aufnahmeländer die Flüchtlinge nicht dauerhaft bei sich aufnehmen und integrieren wollen. Es ist andererseits offenkundig, dass Israel die Rückkehr einer so großen Zahl von Flüchtlingen in ihre Heimatgebiete bisher vehement abgelehnt hat, weil darin eine Gefahr für die nationale Sicherheit und auch eine individuelle Bedrohung gesehen wird. Eine gleiche Sichtweise hat Israel im Hinblick auf eine Reintegration der palästinensischen Flüchtlinge in die Autonomiegebiete.

Diese Option ist aber auch deswegen unrealistisch weil das den PalästinenserInnen zugesprochene Gebiet insgesamt nicht ausreicht um die Flüchtlinge aus der Diaspora aufzunehmen; insbesondere Ghaza ist bereits jetzt vollständig überfüllt. Aber auch im Westjordanland sind die palästinensischen Flüchtlinge als zusätzliche KonkurrentInnen um Land, Arbeitsplätze, Wohnungen und Hilfeleistungen nicht willkommen.

Nicht zuletzt ist auch das Interesse der PLO selbst an den Flüchtlingen inzwischen gering, dies wird z.B. anhand der bereits erwähnten Vertragsbestimmungen deutlich. Interesse an den ExilpalästinenserInnen seitens der PLO besteht wohl allenfalls dann, wenn es sich bei den Flüchtlingen um finanzkräftige Investoren oder um qualifizierte Intellektuelle handelt; die aber sind unter den rückkehrwilligen Flüchtlingen nicht eben häufig bzw. zeigen keine Neigung zurückzukehren (14, S. 61 f.; 49, S. 197 f.).

Was die neue Regierung Israels angeht, so erscheint bemerkenswert, dass Barak im Vorfeld seiner ersten Begegnung mit Yassir Arafat angekündigt hat, er wolle seinen Gesprächspartner dafür gewinnen, die Endstatus-Verhandlungen, bei denen es u.a. um die Ansprüche der palästinensischen Flüchtlinge aus den Kriegen von 1967 und 1948 geht, sofort in die laufenden Friedensverhandlungen einzubeziehen (62). Kurze Zeit später kündigte Barak an, er wolle die Vereinbarungen über den Endstatus bis Ende des Jahres 2000 abgeschlossen haben (63). Es ist nunmehr denkbar, dass der Problemkomplex »palästinensische Flüchtlinge« in absehbarer Zeit Verhandlungsgegenstand zwischen Israel und Arafat – unter Einschluss anderer beteiligter Regierungen – werden könnte. Im Vorgriff auf den Inhalt dieser Verhandlungen äußerte Barak allerdings bereits Zweifel im Hinblick auf eine potenzielle Rückkehr von palästinensischen Flüchtlingen nach Israel. Er sagte dazu, es sei „besser, wenn man für sie dort, wo sie jetzt leben, eine Lösung finden“ könnte (64). Damit bestätigt er die zuvor dargestellte Grundposition Israels – jedenfalls hinsichtlich der Ablehnung der Rückkehroption.

Exkurs: Palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon in der BRD

Nach Angaben im Ausländerzentralregister leben in der BRD 26.147 abgelehnte AsylbewerberInnen libanesischer Staatsangehörigkeit (Stand 31.7.1997; 55, S. 10 f.). Unklar ist, wie viele von ihnen palästinensische Flüchtlinge sind, da im Ausländerzentralregister die Staatsangehörigkeit, nicht aber die Volkszugehörigkeit erfasst wird (48, S.4).

PalästinenserInnen, die keine Staatsangehörigkeit besitzen, werden im Register unter der Kategorie »ungeklärt« erfasst: hierunter waren am 31.12.1996 47.439 Personen registriert. Schätzungen zufolge sollen 3/4 dieser Personen palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon sein, darunter etwa 9.600 Ausreisepflichtige (57, S. 6; 48, S. 3).

Wiewohl die Bundesregierung die Lebensbedingungen der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon vor allem im Hinblick auf Arbeitslosigkeit, Gesundheitsversorgung, Unterkunft und Ausbildung als schlecht beurteilt (54, S. 3), reicht dieser Umstand allein nach allgemeiner Ansicht nicht aus, um einen Flüchtlingsstatus oder einen Daueraufenthalt zu begründen – so die Position der Bundesregierung im September 1997 (55, S. 12).

Auch die Gerichte erkennen palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon nicht als asylberechtigt an. Eine Durchsicht der Rechtsprechung in Asylangelegenheiten der Jahre 1994 bis 1998 in der BRD (5; 6; 7) zeigt, dass weder die Zugehörigkeit zum Volk der PalästinenserInnen als Asylgrund gewertet, noch eine Gruppenverfolgung angenommen wird (5, S. 218).

Das Bundesverwaltungsgericht stellte schon am 24.10.1995 – also kurz nach dem bereits erwähnten Dekret Nr. 478 des libanesischen Innenministeriums (s.o. S.5) – fest, dass die Einreiseverweigerung der libanesischen Regierung gegenüber PalästinenserInnen keine asylrelevante politische Verfolgung darstelle, sondern aus bevölkerungspolitischen, sozialen und sicherheitspolitischen Überlegungen eingeführt worden sei (6, S. 260).

Auch in anderen Verfahren im Jahre 1995 kamen die Gerichte zum Ergebnis, dass PalästinenserInnen im Libanon keinen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind (6, S. 260 f.), wobei allerdings Fragen der Glaubwürdigkeit im Vordergrund der Urteile standen.

Einen anderen Ausgang nahm das Asylverfahren eines Palästinensers aus dem Libanon durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5.8.1998. Der Antragsteller hatte im Libanon Flugblätter verteilt, in denen er zum Boykott der Wahlen von 1992 aufgerufen und seine Befürchtung geäußert hatte, dass infolge des Wahlausgangs Syrien und Iran zukünftig übermäßig starken Einfluss im Libanon haben werden. Er wurde deswegen verhaftet und gefoltert. Dem Strafverfahren, das mit einer Strafe bis zu 10 Jahren Haft hätte enden können, entzog er sich durch Flucht.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die aktive Umsetzung der eigenen politischen Meinung im Schutzbereich des Art. 16 a GG liege und darauf gegründete staatliche Verfolgung als politische Verfolgung anzusehen sei – jedenfalls dann, wenn der Antragsteller im Vergleich zu anderen Tätern eine härtere Behandlung, z. B. Folter erlitten habe oder wenn die Folter wegen der politischen Überzeugung in schärferer Form angewendet worden sei (50).

In diesem Zusammenhang erscheint es notwendig, darauf hinzuweisen, dass Menschenrechtsverletzungen im Libanon gegenüber politischen GegnerInnen durchaus an der Tagesordnung sind. Darunter fallen z.B. willkürliche Verhaftungen, Anwendung von Folter gegenüber politischen und kriminellen Gefangenen und Gerichtsverfahren unter unfairen Bedingungen. Insbesondere aber verdient die Tatsache Beachtung, dass im März 1994 durch Gesetz die Anwendbarkeit der Todesstrafe erweitert worden ist und seitdem 12 Todesurteile vollstreckt wurden (39; 40; 47, Kap. IV bis VIII).

Schließlich soll noch auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1993 hingewiesen werden, in dem es um die Einbürgerung eines palästinensischen Kindes ging, das im Jahr 1982 in der BRD geboren wurde, nachdem seine Eltern – PalästinenserInnen aus dem Libanon – 1981 als Asylsuchende in die BRD eingereist waren. Nachdem das Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt worden war, wurde der Familie mit Rücksicht auf den damals herrschenden Bürgerkrieg eine Duldung erteilt; später erhielt das Kind eine befristete Aufenthaltsbefugnis. Im Jahre 1987 beantragten die Eltern des Kindes seine Einbürgerung.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass das Kind Anspruch auf die Einbürgerung habe. Grundsätzlich sei es für Staatenlose, insbesondere für Staatenlose wie die PalästinenserInnen, welche die Bindung an ihre Volksgruppe nicht aufgeben wollen, nicht erforderlich, dass sie sich – wie es die Einbürgerungsrichtlinien normalerweise verlangten – in die deutschen Lebensverhältnisse eingeordnet haben müssten; Voraussetzung der Einbürgerung Staatenloser sei vielmehr allein deren dauerhafter Aufenthalt, d.h., dass sie auf unabsehbare Zeit in der BRD leben. Dies sei im Hinblick auf das Kind anzunehmen angesichts des (zum Zeitpunkt der Entscheidung) herrschenden Bürgerkrieges im Libanon, dessen Ende nicht abzusehen sei. Aus diesem Grunde sei auch keine Abschiebung möglich, denn es fehlten entsprechende Reisedokumente und der Rückreiseweg sei versperrt. Ausschlaggebend sei vielmehr allein, dass das Kind sich seit 5 Jahren rechtmäßig in der BRD aufgehalten habe (42).

Anmerkungen

Literatur

0) Information durch Gespräch.

1) Frank Wullkopf, Die Macht der Milizen. Der Bürgerkrieg im Libanon zwischen 1975 und 1990, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 3/1997, S. 19 ff.

2) Ronald Ofteringer, Palästinensische Flüchtlinge in Aufruhr, in: Komitee für Grundrech- te und Demokratie, Jahrbuch '97/98,
Köln 1998, S. 35 ff.

3) Hans-Christian Rößler, In palästinensischen Flüchtlingslagern wächst die Ver-zweiflung. Die dritte Generation wartet auf eine Rückkehr, in: FAZ 11.4.1998.

4) Hermann Weber/Takkenberg, Lex, The Status of Palestinian Refugees in International Law, in: Vereinte Nationen, Heft 4/1998, S. 162.

5) Zentrale Dokumentationsstelle der Freien Wohlfahrtspflege für Flüchtlinge e. V. (ZDWF), Rechtsprechungsübersicht 1994, Schriftenreihe Nr. 60, Siegburg 1995, S. 218 ff.

6) ZDWF, Rechtsprechungsübersicht 1995, Schriftenreihe Nr. 64, Siegburg 1996, S. 260 ff.

7) ZDWF, Rechtsprechungsübersicht 1998, Schriftenreihe Nr. 73, Teil 2, Siegburg 1998, S. 332 ff.

8) Stichwort Libanon, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon Dritte Welt, Reinbek 1998, S.470 ff.

9) PDS im Bundestag, Palästinensische Flüchtlinge im Libanon, Bonn 1997.

10) Said Arnaout und Manfred Budzinsky, Gespräche im Libanon. Ein Überblick über die aktuelle Lage, Besuche bei Familien, Ansichten »vor Ort«, Perspektiven, epd-Dokumentation Nr. 5/1999 vom 25. Januar 1999.

11) Fischer Weltalmanach. Zahlen, Daten. Fakten '98, Frankfurt/M. 1997.

12) Bertold Meyer, Der nahöstliche Frieden – verbaut oder noch zu retten?, in: HSFK – Standpunkte Nr. 6 / Oktober 1998.

13) Ludwig Watzal, Friedensfeinde. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1998.

14) Ronald Ofteringer (Hsg.), Palästinensische Flüchtlinge und der Friedensprozess. PalästinenserInnen im Libanon, Frankfurt/M., 1997.

15) Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation im Libanon, Bonn, September 1997.

16) Wolfgang Köhler, Ein glänzender Eroberungsakt. In der arabischen Welt ist die Erinnerung an das Massaker von Deir Jassin wach geblieben, in: FAZ 29.4.1998.

17) Peter Hansen, Wechsel nach Gaza als neue Herausforderung. Das UNRWA und der Friedensprozess im Nahen Osten, in: Vereinte Nationen, Heft 6 /1997, S. 208 ff.

18) Dokumente zum Friedensprozess im Nahen Osten, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 10/1993, S. 1280 ff.

19) Wolfgang Günter Lerch, Der Bürgerkrieg im Libanon. Ein Minderheitenkonflikt im Nahen Osten, 1991, S. 6 ff.

20) Fischer Weltalmanach. Zahlen, Daten, Fakten 1997, Frankfurt/M., 1996.

21) Peter J. Opitz, Das Weltflüchtlingsproblem, München 1988, S. 196 ff.

22) Thomas Scheffler, Libanon 1996, Wirtschaft und politische Rahmendaten, in: Beiruter Blätter (Hrsg. Deutsches Orient Institut, Beirut), 1997, S. 13 ff.

23) Hisbollah attackiert Israels Verbündete, in: FR 11.9.1998.

24) Libanon, Stichwort in: ZDWF (Hsg.), Handbuch der Fluchtländer, Stand 4. Erg. Lieferg.

25) Netanyahu droht Libanon mit Vergeltung, in: Süddeutsche Zeitung 1./2.1.1999.

26) Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf 1979, Kap. IV B.

27) Wolfgang Köhler, Misstrauen mit guten Gründen, in: FAZ 7.4.1998.

28) Netanyahu erwägt Rückzug, in: FR 28.11.1998.

29) Theodor Hanf, Libanon Konflikt, in: Udo Steinbach et al. (Hsg.), Der Nahe und der Mittlere Osten, Band 1, Opladen 1988, S. 663 ff.

30) Michael Kuderna, Libanon, in: Udo Steinbach et al., Der Nahe und der Mittlere Osten, Band 2, Opladen 1988, S. 235 ff.

31) Alexandra Senfft, Zwischen Intifada und Besatzung. Gegenwärtige Aufgaben und Probleme des UNRWA, in: Vereinte Nationen, Heft 1/1992, S. 4 ff.

32) Scharon plädiert für Truppenabzug aus Libanon , in: FR 30.11.1998.

33) Abzug aus Libanon abgelehnt, in: FR 1.12.1998.

34) Michael Gaebel, Die »Früchte des Zorns« und das Begräbnis zu Qana, in: Beiruter Blätter (Hrsg. Orient Institut, Beirut), 1997, S. 51f.

35) Andreas Rieck, Der Libanon: Ein Prüfstein muslimisch-christlicher Koexistenz, in: Gerbot Rotter (Hrsg.), Die Welten des Islam: Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen, Frankfurt/M., 1993, S. 85 ff.

36) Hisbollah feuert auf israelische Grenzstädte, in: FR 24.12.1998.

37) Syrien, Stichwort in: Dieter Nohlen (Hg.), Lexikon Dritte Welt, Reinbek 1998, S. 714 ff.

38) Flüchtlingskinder im Libanon e.V., Faltblatt, herausgegeben von dem Gemeinnützigen Verein zur Unterstützung palästinensischer Flüchtlingskinder im Libanon, o.O., o. J.

39) Libanon (Republik), in: amnesty international, Jahresbericht 1997, Frankfurt/M., 1997, S. 341 ff.

40) Libanon (Republik), in: amnesty international, Jahresbericht 1998, Frankfurt/M. 1998, S. 368 ff.

41) Elias Khoury, Im Krieg sind die Grenzen zwischen den Dingen zerstört, in: FR, 21. 12. 1996.

42) Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.2.1993, AZ IC 45.90, in: Informationsbrief Ausländerrecht 1993, S. 268 ff.

43) UNHCR, States Parties (Including Reservations and Declarations) to the 1951 Convention, 23.7.1996.

44) Mohsen Massarat (Hrsg.), Mittlerer und Naher Osten, Münster 1996.

45) Norman Paech, Das verlorene Territorium des palästinensischen Staates, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 10/1996, S. 1252 ff.

46) Rachid Boudjedra, Das Palästina Tagebuch, Paris 1972, Mainz 1991.

47) amnesty international, Lebanon. Human Rights Developments and Violations, London o. J. (1997 oder 1998).

48) Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/8770 vom 14.10.1997: Antwort der Bundesregierung. Verhandlungen mit dem Libanon über die Rücknahme und die Abschiebung von Flüchtlingen und Hilfe für die palästinensischen Flüchtlinge.

49) Klaus Timm, Nahostverhandlungen: Hürden und Optionen, in: Vereinte Nationen, Heft 6/1997, S. 193 ff.

50) Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5.8.1998, AZ 2 BvR 153/96.

51) The General Assembly, Resolution Nr. 302 (IV). Assistance to Palestine refugees, 8 December 1949, in: United Nations, Official Records of the Fourth Session of the General Assembly, Resolutions 20 September – 10 December 1949, New York o.J., S.23 f.

52) Security Council, Resolution 237 (1967) of 14 June 1967, in: Resolutions and Decisions of the Security Council 1967, United Nations, New York 1968, S. 5.

53) The General Assembly, Resolution Nr. 194 (III). Palestine – Progress Report of the Unites Nations Mediator, 11 December 1948, in: United Nations, Official Records of the Third Session of the General Assembly, Part 1, 21 September – 12 December 1948, Paris o.J., S. 21 ff.

54) Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/8192 vom 10. 7.1997, Antwort der Bundesregierung – Rückführungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland mit dem Libanon.

55) Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/8470 vom 5. 9.1997, Antwort der Bundesregierung – Verhandlungen und Abkommen über die Rückübernahme von Flüchtlingen.

56) Sicherheitsrat, Resolution 425 (1978) vom 19. März 1978 – Aufstellung einer Interimstruppe für den Südlibanon, in: Vereinte Nationen 2/1978, S. 69.

57) Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/8409 vom 22. 8. 1997 – Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 18. August 1997 eingegangenen Antworten der Bundesregierung.

58) Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation im Libanon, Stand September 1998, Bonn 1998.

59) Margret Johannsen, Israel: Licht am Ende des Tunnels?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 7/1999, S. 794 ff.

60) Jürgen Nieth, Humanität oder Macht?, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 2/1999, S.7 ff.

61) Heiko Kauffmann, Helfen statt bomben, in: Wissenschaft und Frieden, Heft 2/1999, S. 43 f.

62) Gespräche zwischen Barak und Arafat über Friedensprozess im Nahen Osten, in: FAZ 12.7.1999.

63) Arafat zeigt sich »äußerst optimistisch«, in: FAZ 19.7.1999.

64) Barak strebt gundlegende Einigung binnen 15 Monaten an, in: FAZ 20.7.1999.

Prof. Dr. Barbara Dietrich lehrt am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Wiesbaden; ihre Arbeitsschwerpunkte sind Migrationspolitik und Friedensforschung.