Gemeinsame Ziele?


Gemeinsame Ziele?

Die Europäische Union und ihr Umgang mit China

von Andreas Seifert

Das Wort »Einigkeit« kommt nicht in den Sinn, wenn es in der EU um China geht – selbst die Bezeichnung »unterschiedliche Positionen« wäre schon eine diplomatische Formel. Im Umgang der EU mit der Volksrepublik (VR) China stehen selbst geübte Rhetoriker*innen vor der Herausforderung, die weit auseinander liegenden Ansichten noch geschmeidig auf eine glaubhafte Position zu bringen. Der Artikel betrachtet die Herausforderungen im europäischen Umgang mit China und hält fest: Eine EU, die ihre eigenen Differenzen nicht überwinden kann, wird sowohl an der Gestaltung eines positiven Verhältnisses zu China, wie zum Rest der Welt, scheitern.

China ist auf der Weltbühne zurück, hat sich seit den späten 1970er Jahren zu einem ökonomischen Schwergewicht entwickelt und ist zu einem der größten Handelspartner Europas angewachsen. Die Bewältigung globaler Aufgaben, wie der Umgang mit dem Klimawandel oder die Beseitigung weltweiter Armut sind heute ohne die VR weder denk- noch machbar. In den letzten zehn Jahren spitzten sich dabei Handels- und Ressourcenkonflikte immer öfter zu. Grund genug, danach zu fragen, wie sich die Europäische Union positioniert und welchen Einflüssen sie dabei unterliegt.

In Vielfalt geeint?

Die EU-Parlamentarier*innen haben in verschiedenen Beschlüssen seit der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz 1989 eine kritische Position gegenüber der Regierung in Beijing aufgebaut und gewahrt. Dem Beschluss des EU-Rates von 1989, ein Waffenembargo1 zu verhängen, hat sich das Parlament inhaltlich voll angeschlossen und auch Debatten über dessen Aufhebung immer wieder kritisch begleitet und abgewehrt. Die Besuche des Dalai Lama im Parlament und deutliche Kritik an der Minderheitenpolitik haben dazu beigetragen, das Parlament als einen Ort politischer und moralischer Grundsätze (gegenüber China) zu markieren.

Zuletzt hat sich der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments (EP) im Juni 2021 intensiv mit der VR befasst. Auf dieser Sitzung wurde aber nicht nur eine Vorlage zu China, sondern auch gleich eine zu Taiwan2 und Russland3 parallel diskutiert – ein Zeichen, dass man hier durchaus einen Zusammenhang erblickt, der eine gemeinsame Diskussion erfordert. In ihrem Berichtsentwurf4 versucht die liberale Abgeordnete Hilde Vautmans nichts weniger als den Entwurf einer neuen China-Strategie, die auf sechs Säulen stehen soll: 1) Offener Dialog über globale Herausforderungen; 2) Engagement für Menschenrechte durch wirtschaftlichen Einfluss; 3) Analyse der Bedrohungen und Herausforderungen; 4) Aufbau von Partnerschaften mit gleichgesinnten Partnern; 5) Förderung offener strategischer Autonomie; 6) Verteidigung grundlegender europäischer Interessen und Werte durch Umwandlung der EU in einen geopolitischen Akteur.

Die Ausführungen zu den einzelnen Säulen sind dabei von zwei Ideen durchzogen: (1) China sei eine Herausforderung für die EU und sein Handeln und Auftreten widerspräche den europäischen »Werten« und »Interessen«; zudem bilde (2) die EU keine Einheit gegenüber China und einzelne Staaten seien blauäugig/blind gegenüber der Herausforderung, die China für die Welt und die EU darstelle.

Letztlich wird im Bericht gefordert, sich sicherheitspolitisch in einer Front mit der NATO zu platzieren und eine strategische Autonomie der EU auf allen Ebenen und in allen Feldern aufzubauen, die eine konzertierte Antwort auf die VR ermöglicht. Die Gestaltung der Beziehungen zu China wird somit zum Anlass genommen, die Disziplinierung der Mitgliedstaaten unter eine einheitliche Linie der EU-Kommission zu fordern und die Bildung einer Verteidigungsunion voranzutreiben.

Man könnte argumentieren, dass es diese Tendenz im Parlament schon immer gegeben hat, eine größere Einheitlichkeit in der EU zu fordern und die pathetisch vorgetragene »europäische Idee« mit mehr (auch militärischem) Leben zu füllen – umgekehrt ist der Widerstand gegen genau diese Idee auch im Parlament mit abgebildet und zeigt sich auch in den Änderungsanträgen zu diesem Entwurf.5 So wird hier und da eine Schippe mehr Moral daraufgelegt und die Wortwahl in der Charakterisierung der Zustände in China und auch im Verhältnis Chinas zu einzelnen Staaten ein bisschen verschärft. Zum anderen werden aber auch Grenzen aufgezeigt, wie weit eine »Bevormundung« der EU-Staaten durch die Kommission erfolgen darf und es werden Elemente des Lobes für China eingefügt, die den Grundtenor aufweichen. Und selbstverständlich bleibt auch die Idee der Verteidigungsunion, die die militärischen Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten bündeln soll, nicht unwidersprochen bestehen.

Strategische Souveränität

Auf der Ebene der Kommission war man lange vorsichtig, sich selbst zu China zu äußern. China als einer der großen Handelspartner der EU – insbesondere der großen Staaten innerhalb der EU – wurde politisch milde behandelt. Die EU-Kommission war der Ort, wo mithilfe von Regulationen und Vorgaben der »Schutz« der europäischen Industrien organisiert wurde. Die von der Kommission erlassenen Vorschriften und Qualitätsstandards sollten die Marktmacht chinesischer Unternehmen (und die anderer Länder) beschneiden und europäische Anbieter schützen. Gemeinsam mit China erstellte Listen, wie die über den Schutz geografischer Bezeichnungen vom Ende letzten Jahres6, sind dabei eher die Ausnahme. In der Regel waren es in den letzten Jahrzehnten Qualitätsvorgaben und Prüfkriterien, die aufstrebende chinesische Unternehmen vom direkten Einstieg in den europäischen Markt ausgeschlossen hatten. Dass solche Regularien auch Anbieter aus der EU trafen und nur bestimmte Unternehmen in bestimmten Ländern schützten, zeigt das Dilemma einer solchen Politik auf. In China sah man die Kommission und ihren Hohen Vertreter kaum als Teil des diplomatischen Gepräges, vielmehr als bürokratische Verlängerung europäischer Nationalstaaten: der örtliche Vertreter der Kommission war eben kein Botschafter. Dieses geringe Profil in allen Feldern außerhalb des Handels war dabei durchaus auch etwas, was die europäischen Staatschefs so wollten und sich nicht nur gegenüber China zeigte.

Die EU-Kommission begnügte sich lange damit, den kleinsten europäischen Konsens wiederzugeben, oder sich gleich mit den Zielen der großen Staaten der EU und ihrer nationalen Industrieagenden zu identifizieren. Eingespannt zwischen einem auf Menschenrechte pochenden Parlament und pragmatisch auf den eigenen Vorteil bedachten Nationalstaaten festigte sich in der Brüsseler Bürokratie ein funktionales Verhältnis zu Werten und Normen: Sie sind vor allem dann gute Argumente, wenn andere Staaten »auf Linie« gebracht werden sollten, wenn dies aber nicht gelingt oder es sich als wirtschaftlich schädlich erweist, auf ihre Einhaltung zu bestehen, dann können Werte und Normen schnell zu protokollarischen Randnotizen gerinnen. Von Kritiker*innen auch als »das Pflegen doppelter Standards« benannt, reproduzierte die Kommission jedoch vor allem die Einstellungen der Regierungen der Mitgliedsstaaten, die im Europäischen Rat immer noch alle wesentlichen Entscheidungen zusammenbasteln.

Die Wirtschaftskrisen in Europa ab 2008, bzw. ab 2010 verschoben das Gleichgewicht innerhalb der EU weiter und auch das Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus den Strukturen hat die Konsensfindung nur in bestimmten Bereichen der EU-Politik vereinfacht. Mehr denn je tut sich die EU schwer damit, konsensual zu agieren. Vorschläge hierzu vorzutragen und ihre Umsetzung zu orchestrieren, fällt Kommission und EU-Ratspräsidentschaft immer schwerer. Der Idee, mithilfe einer »strategischen Souveränität« den EU-Institutionen mehr Gewicht zu geben und die nationalstaatlichen Einzelgänge zu reduzieren – gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik und gegenüber China – sind enge Grenzen gesetzt und sie misslingt immer wieder.

Dennoch hat sich die EU-Kommission 2019 in ihrem strategischen Ausblick zu China7 erstmals über den Minimalkonsens hinaus in der Triade von »Partner, Konkurrent und Systemrivale« geäußert und baut dieses Konzept seither aus. Der Vorstoß der Kommissionspräsidentin von der Leyen, die laut einem internen Bericht8 nur wenig Fortschritte im Verhältnis zu China erblickt und perspektivisch konstatiert, dass sich dies auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird, wurde als Ball nur widerwillig aufgegriffen. Denn anstatt weiter die existierenden Unterschiede unter den Teppich zu kehren und an einer »strategischen Partnerschaft« festzuhalten, so ihr Vorschlag, müsse realistisch auf Chinas Entwicklung geblickt werden. Die Kommissionsspitze empfahl daher nun, den Schulterschluss mit den USA zu suchen – eine Festlegung, die bisher in den europäischen Staaten, der Kommission und im EU-­Parla­ment mehrheitlich und deutlich zu vermeiden versucht wurde. Die hieraus resultierende »Blockbildung« hätte weitreichende Folgen auch und gerade auch im Hinblick auf die Sicherheitspolitik.

Die Zuspitzung der Konfrontation zwischen den USA und der Volksrepublik China, die unter der Trump-Administration massiv an Fahrt aufgenommen hatte, wird mehr und mehr auch über Dritte, und so auch über die EU, ausgetragen. Dies alleine birgt schon enorme Risiken einer gegebenenfalls auch militärischen Eskalation. Mit der Sicherheitspartnerschaft zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten (AUKUS), die im September 2021 ausgerufen wurde, ist auch ein neues Kapitel in den Chinesisch-Europäischen Beziehungen aufgeschlagen.9 Europa gerät immer mehr unter Druck, sich einer US-amerikanischen Eskalationspolitik gegenüber China anzuschließen, oder tatsächlich eigenständige Wege zu gehen – Wege allerdings, für die ein Konsens fehlt.

Viele Wege führen nach Beijing

Lange Zeit waren es die großen Industrienationen und deren industriepolitische Vorstellungen, die den Ton Europas gegenüber China angegeben hatten – eine Domäne insbesondere von Deutschland und Frankreich. Sie machten sich industrielle Interessen, beispielsweise der Auto- und Luftfahrtindustrie, zu eigen und hatten ein Interesse an einer zunehmenden Verregelung des Verhältnisses, um Gewinne und Umsätze abzusichern. Sich trotz viel berechtigter Kritik z.B. an Menschenrechten und Umweltproblemen, dennoch an ein positives Verhältnis zur VR zu klammern, wie es die Exportwirtschaft dieser Industriestaaten forderte, konnte als Synonym für die Politik der EU missverstanden werden.

In den kleineren Ländern der EU gab es demgegenüber andere Interessen am Verhältnis zu China. Einerseits waren die wenigsten Ökonomien so konsequent auf einen Export ausgerichtet, wie z.B. die deutsche, zum anderen waren ihre Industrien von dem selektiven Schutz, den die EU über ihre Normensetzung installierte, weit weniger abgedeckt und konnten nur bedingt davon profitieren. Die Kritik dieser Staaten an der EU-China-Politik ist demnach auch eine an den Mechanismen der EU selbst und den größeren Playern in der EU, von denen sie sich missachtet fühlen. Das beförderte die Tendenz, eigene bilaterale Lösungen mit China zu suchen und neue Formate abseits der EU-Linie zu kreieren, die ihnen die Möglichkeit bot, spezifische Interessen durchzusetzen. Das 2012 ins Leben gerufene Format 16+1 (bzw. 17+1: 11 (12) EU-Staaten + 5 Nicht-EU-Staaten vom Balkan + China) war bereits Ausdruck eines im Kern anderen Interesses an einem ökonomischen Austausch mit China.

Auch China hat ein Interesse an vornehmlich bilateralen Beziehungen zu einzelnen EU-Staaten, da aus seiner Sicht nur so passende Programme der Konnektivität in unterschiedlichen wirtschaftlichen Sektoren zu entwickeln sind. Bestes Beispiel hierfür ist dabei die Belt-and-Road-Initiative, die den engagierten Staaten Investitionen und Einbindung in neue Handelsströme in Aussicht stellt und beispielsweise von den Staaten des östlichen Europas, wie auch von Portugal deutlich enthusiastischer aufgegriffen wurde, als z.B. von Deutschland oder Frankreich. Dabei agiert China Analysen zufolge durchaus nicht nach einem oft unterstellten »Plan«, vielmehr ist es ein Austesten unterschiedlicher Optionen. Die Systematik dahinter, so analysiert Nadine Godehardt von der SWP, besteht in dem Versuch der Ausweitung der eigenen Diskursmacht, um zukünftig in der Gestaltung von Wirtschaftsbeziehungen einen Vorteil zu haben.10 Sie besteht hier darin, die Differenzen innerhalb der EU für eine chinesische Einflussnahme zu nutzen.

Einzelne Staaten sind dabei durchaus empfänglich für den impliziten Druck aus Beijing und passen z.B. ihr Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen und innerhalb der EU an die antizipierten Wünsche aus Beijing an.11 Zugeständnisse dieser Staaten im Bereich chinabezogener Politiken der EU sind damit auch ein Verhandlungspfand in anderen Bereichen der EU-Politik geworden. Das Beharren auf »Regelkonformität« oder einer »regelbasierten Weltwirtschaftsordnung« von Seiten der EU reicht heute scheinbar nicht mehr aus, um alle Staaten der EU auf eine einheitliche Linie gegenüber China zu bringen. Der Verweis auf gemeinsame Werte oder auf Menschenrechte hat als Kitt innerhalb der EU an Kraft verloren.

EU als geostrategischer Akteur

Will die EU als Akteurin überhaupt eine Rolle spielen, so muss sie sich zusammenraufen und sich in den wesentlichen Politikfeldern einigen – und das speziell im Umgang mit der Klimakrise und der Bewältigung ihrer sozialen Folgen weltweit. Nur ein überzeugendes Programm hierzu kann die Grundlage für einen Umgang mit anderen Akteuren weltweit sein. Die bisherigen Konstrukte, die vor allem darauf abzielen, den Wohlstand in Teilen Europas zu erhalten und in anderen vielleicht sogar auszubauen, reichen hier nicht aus. Ein positiver Beitrag wäre auch, militärische Mittel und Drohgebärden zur Durchsetzung partikularer Interessen auszuschließen. Waffenproduktion und Waffenexporte zu unterbinden kann ein wichtiger Bestandteil hiervon sein – der Verzicht auf eigene militärische Kapazitäten würde darüber hinaus Ressourcen sparen und das weltweite Risiko bewaffneter Zusammenstöße reduzieren. Darüber hinaus bleibt aber festzuhalten: Eine EU, die ihre eigenen Differenzen nicht überwinden kann, wird sowohl an der Gestaltung eines positiven Verhältnisses zu China, wie zum Rest der Welt, scheitern.

Anmerkungen

1) Das Embargo gilt noch heute, wird aber in den EU-Staaten durchaus unterschiedlich ausgelegt, da der Beschluss zwar ein Embargo ausspricht, aber die VR nicht zu einem Embargo-Land im weiteren Sinne macht.

2) Entwurf eines Berichts über eine Empfehlung des Europäischen Parlament […] zu den politischen Beziehungen und der Zusammenarbeit der EU und Taiwan, 2021/2041, 23.4.2021.

3) Entwurf eines Berichts über eine Empfehlung des Europäischen Parlament […] zu der Ausrichtung der politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland, 2021/2042, 5.5.2021.

4) Entwurf eines Berichts über eine neue China-Strategie der EU, 2021/2037, 30.4.2021.

5) Insgesamt stehen den fünf Seiten des Entwurfs 502 Änderungsanträge auf knapp 240 Seiten gegenüber.

6) EU-Council (2020): EU-China: Rat gibt endgültig grünes Licht für Abkommen über geografische Angaben, Pressemitteilung, 23.11.2020.

7) Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, EU-China – Strategische Perspektiven, JOIN (2019) 5 final, 12.3.2019.

8) Kolb, M. (2021): Bericht ohne Fortschritte, Süddeutsche Zeitung, 28.4.2021.

9) Siehe auch: Wagner, J. (2021): Die Geopolitik des AUKUS-Paktes, IMI-Analyse 42/2021, 24.9.2021.

10) Ausführlich: Godehardt, N. (2020): Wie China Weltpolitik formt. Die Logik von Pekings Außenpolitik unter Xi Jinping, SWP-Studie 19, 12.10.2020.

11) Bendiek, A.; Lippert, B. (2020): Die Europäische Union im Spannungsfeld der sino-amerikanischen Rivalität. In: Lippert, B.; Perthes, V. (Hrsg.), Strategische Rivalität zwischen USA und China, SWP-Studie 1/2020, S. 50-55, hier: S. 51.

Dr. Andreas Seifert ist Sinologe und Vorstandmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Tübingen.

Europas Hinterhof?


Europas Hinterhof?

»Ertüchtigung« und Militarisierung der Sahel-Region

von Christoph Marischka

Die EU betreibt die systematische Militarisierung der Sahel-Region. Bereits die ersten eigenständigen Schritte einer militärisch gestützten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ohne Rückgriff auf NATO-Strukturen erfolgten auf dem afrikanischen Kontinent – 2003 in der DR Kongo. Aktuell ist die EU mit diversen Missionen in der erweiterten Sahel-Region aktiv. Das sind die EU-Trainingsmissionen (EUTM) in Somalia und Mali, die Mission zum Kapazitätsaufbau (EUCAP) in Somalia, die EUCAP-SAHEL-Missionen ebenfalls in Mali und dem benachbarten Niger sowie eine Mission zur militärischen Beratung in der Zentralafrikanischen Republik. Eine weitere Mission zur Unterstützung der Grenzsicherung (EUBAM) in Libyen ist von Tunesien aus aktiv.

Die deutlich erkennbare Fokussierung der Europäischen Sicherheitspolitik auf den afrikanischen Kontinent lässt sich neben der relativen geografischen Nähe auch auf andere Gründe zurückführen. Zum einen sind hier die Einflussgebiete der international führenden Mächte nicht so klar abgesteckt und zugleich hart umkämpft, wie etwa im Mittleren Osten oder dem Kaukasus.

Zum anderen entsprechen viele postkoloniale afrikanische Staaten ziemlich exakt dem Szenario, welches die EU in ihrer 2003 verabschiedeten Sicherheitsstrategie unter dem Titel »Ein sicheres Europa in einer besseren Welt« als Rahmenbedingung für eigenständiges militärisches Handeln entworfen hat. Auch hier stehen nicht geopolitische Konkurrenten und die möglicherweise notwendige »Verteidigung« gegen einen etwa gleichwertigen militärischen Gegner im Mittelpunkt, sondern sogenannte »scheiternde Staatlichkeit«, unter der nicht nur die jeweils ansässige ­Bevölkerung zu leiden hätte, sondern die auch die Grundlage für verschiedene Bedrohungen wie Terrorismus, Kriminalität, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und – oft in einem Atemzug damit genannt – (illegale) Migration bildet, die hier ihren Ausgang nähmen und auch Europa beträfen.

Zuletzt zeigt auch die räumliche Verteilung europäischer Missionen auf dem Kontinent, dass dabei ein Fokus auf den ehemaligen französischen Kolonien liegt. Viele der frühen EU-Missionen wären nicht nur ohne die postkoloniale französische Militärpräsenz und Infrastruktur, sondern auch ohne die damit verbundenen diplomatischen Kontakte und entsprechenden außenpolitischen Wissensbestände kaum denkbar gewesen. Vergleichbare Strukturen bildeten sich in der Europäischen Verwaltung erst ab 1999 ansatzweise und weitgehend ad hoc und wurden erst ab 2010 mit der Einrichtung des »Europäischen Auswärtigen Dienstes« (EEAS) zunehmend systematisiert aufgebaut, z.B. durch Abteilungen mit regionalen Schwerpunkten.

Nachträglich könnte man durchaus mutmaßen, dass zumindest die frühen EU-Missionen auf dem afrikanischen Kontinent weniger den im jeweiligen Mandat festgelegten (humanitären) Zielen im Einsatzland dienten, sondern dem neuen außenpolitischen Akteur EU nicht nur eine gewisse Sichtbarkeit, sondern v.a. auch Erfahrungswerte liefern sollten.

Hinterhof-Politik

Die aktuelle Konzentration europäischer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf die Sahel-Region allerdings erscheint weniger experimentell als viel mehr strategisch. Seit etwa 2005 formieren sich im entstehenden diplomatischen Apparat der EU Personengruppen und Strukturen, die in den Beziehungen zu den Staaten Mauretanien, Mali und Niger vonseiten der EU einen länderübergreifenden Ansatz propagieren. Problematisiert werden dabei von diesen Staaten ausgehende Bedrohungen wie Organisierte Kriminalität, Drogenhandel und zunehmend auch Terrorismus. Befördert wurde diese Tendenz durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex und andere EU-Programme, die »illegale Migration« weit jenseits der eigenen Außengrenzen in den Herkunfts- und Transitstaaten untersuchten, problematisierten und als »Ströme« konzipierten, die es bereits hier aufzuhalten gelte. In der Konsequenz wurde die Region politisch als »Hinterhof Europas« verstanden, vom damaligen deutschen Entwicklungsminister Dirk Niebel gar ganz Afrika als Europas »Vorgarten« bezeichnet. Ganz in diesem Sinne erfuhr die Region zeitgleich mit der sicherheitspolitischen Problematisierung auch eine wachsende Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer ökonomischen Potentiale. Beispielhaft dafür ist die 2009 v.a. mit deutschem Kapital gegründete Desertec Industrial Initiative (Dii) GmbH, welche die Versorgung europäischer Energiemärkte mit »Wüstenstrom« aus der Sahara propagierte und vorantrieb.

Kurz nachdem der EEAS Ende 2010 seine Arbeit aufgenommen hatte, veröffentlichte er im März 2011 mit der »Strategie für Sicherheit und Entwicklung im Sahel« seine erste Regionalstrategie überhaupt. Als Ziele werden benannt, das Potential dortiger Terrorgruppen, Anschläge in Europa zu verüben, zu verringern, „Drogenschmuggel und anderen kriminellen Handel nach Europa einzudämmen, legale Handels- und Kommunikationswege durch den Sahel (Straßen, Pipelines) zu sichern, […] bestehende ökonomische Interessen zu schützen und die Basis für Handel und Investitionen aus der EU zu schaffen“ (EEAS 2011, S. 4). Die Strategie basierte u.a. auf vier Fact-Finding Missionen, welche die EU bereits zwischen Juli 2009 und Juli 2010 in Mauretanien, Mali, Niger und Algerien durchgeführt hatte und die in den drei erstgenannten Staaten „mangelnde operationale und strategische Kapazitäten“ im gesamten Sicherheitssektor offenbart hätten, woraus u.a. eine ungenügende „Kontrolle des Territoriums“, Rechtsdurchsetzung und ein ineffizientes Grenzmanagement resultieren würden (Ebd., S. 3). Die Bemühungen der EU fokussieren sich seitdem darauf, diese Kapazitäten aufzubauen.

Zwischen der Veröffentlichung der Sahel-Strategie und ihrer Umsetzung in den Missionen EUCAP Sahel Niger (Aug. 2013), EUTM Mali (März 2013) und EUCAP Sahel Mali (April 2014) lagen allerdings zwei – miteinander in Verbindung stehende – Ereignisse, welche die Lage in der Region grundsätzlich veränderten: Mit der NATO-Intervention »Unified Protector« wurde Libyen als Regionalmacht ausgeschaltet, das Land in einen bis heute anhaltenden Bürgerkrieg gestürzt und eine große Zahl von Waffen und Kämpfer*innen mobilisiert. Der darauf folgende Aufstand im Norden Malis, der einen Putsch im Süden des Landes auslöste, führte Anfang 2013 zu einer massiven französischen Militär­intervention und zur Stationierung von über 10.000 Soldat*innen, vorwiegend aus afrikanischen Staaten, die zunächst unter dem Dach der Afrikanischen Union (AU-Mission AFISMA), bald aber unter UN-Führung (MINUSMA) standen, was auch eine umfangreiche deutsche Beteiligung (bis zu 1.100 Kräfte) ermöglichte.

»Ertüchtigung« in der Sahel-Region

MINUSMA bildet seitdem die militärische Grundlage für eine Vielzahl von Ausbildungs- und Ausrüstungsinitiativen. Im Rahmen der EUTM-Mission wurden bislang laut EU-Außenbeauftragtem Borrell „90 % der malischen Armee“ (EEAS 2020) fortgebildet, deren Gesamtumfang auf knapp 20.000 Soldat*innen geschätzt wird. Das EUTM-Mandat wurde schrittweise auf die Nachbarstaaten ausgeweitet, damit auch weitere Angehörige der »Force Conjointe du G5 Sahel« ausgebildet werden können – gemeinsame Eingreifkräfte der Armeen Mauretaniens, Malis, Nigers, Burkina Fasos und des Tschad, für deren Aufbau Deutschland und Frankreich im Februar 2018 mehr als 400 Mio. € mobilisiert hatten1 und die vor allem in den Grenzregionen aktiv sind. Ende Mai 2020 wurde auch die Ausbildung nigrischer Soldaten durch Kampfschwimmer*innen der Bundeswehr – zuvor ohne Mandat als »Operation Gazelle« durchgeführt – in das deutsche Mandat der EUTM aufgenommen. Neben den deutschen Kampfschwimmer*innen und einem deutsch-französischen Logistikdrehkreuz in Niamey sind im Niger auch geschätzte 800 US-Soldat*innen, überwiegend Spezialkräfte, und die französische Operation »Barkhane« aktiv. Sie führen gemeinsame Anti-Terror-Operationen mit lokalen Einheiten durch, die ebenfalls häufig als Ausbildungsunterstützung dargestellt werden. Wie viele andere Staaten liefert Deutschland im Rahmen seiner »Ertüchtigungsinitiative« militärisches Material – von gepanzerten Fahrzeugen bis zu Helmen und Schutzwesten – nach Mali und Niger und baut vor Ort militärische Infrastruktur, Werkstätten und Munitionsdepots auf. Im Rahmen der EUCAP-Missionen in beiden Staaten werden darüber hinaus Grenzschutz-, Gendarmerie- und Polizeikräfte aufgebaut. Zuletzt wurden zudem immer wieder Gerüchte kolportiert, dass auch Russland zunehmend in Mali aktiv sei und u.a. zwei Kampfhubschrauber geliefert hätte (Muvunyi 2020), was wiederum in der EU als Argument dafür genannt wird, die eigenen Anstrengungen zu intensivieren.

Angesichts des gewaltigen Umfangs dieser internationalen Aufrüstung ist es kein Wunder, dass sowohl bei der Niederschlagung der Proteste gegen den ehemaligen malischen Präsidenten Keïta als auch bei dessen Sturz durch das Militär am 18. August 2020 jeweils von der EU ausgebildete »Sicherheitskräfte« beteiligt waren. Auch die Tatsache, dass nur einen Monat zuvor der malischen Armee in jener Basis, von welcher der Putsch ausgegangen war, im Beisein des deutschen Botschafters feierlich Fahrzeuge und Ausrüstung übergeben wurde, verdeutlicht eher die Alltäglichkeit solcher Zeremonien als irgendeine heimliche Komplizenschaft. Beispielhaft für den völligen Kontrollverlust im Zuge der militärisch gestützten »Stabilisierung« sind sie allemal.

Fragilitäts-Dilemma

Die Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) spricht im Hinblick auf die Region von einer »Counter-Terrorism Governance« die sich dort als neue Staatsräson etabliert habe, aber nur „in Verbindung mit ausländischer Militärpräsenz“ funktioniere. Darin zeige sich das sogenannte »Fragilitäts-Dilemma«: „Je mehr Militär dort hingeschickt wird, je mehr das Sahel-Militär aufgerüstet wird, desto schwächer werden dort die Staaten [und andere gesellschaftliche Machtstrukturen], desto abhängiger werden [sie] von der EU und den USA“ (FFM 2020). Das lässt sich auch rein monetär abbilden: Die Kosten einer flächendeckenden militärisch-polizeilichen Präsenz, wie sie v.a. den EU-Strateg*innen vorschwebt, würde die Gesamthaushalte der betreffenden Staaten um ein Vielfaches übersteigen. Die von außen zuströmenden Mittel entwickeln und versorgen vor Ort (und in Paris, Brüssel, Calw, …) korrupte, militaristische Strukturen, die keinerlei Interesse an einer Lösung und Demilitarisierung der Konflikte haben. Der Krieg ernährt sich selbst und hält die Sahel-­Region im Status eines unruhigen Hinterhofs. Höchste Zeit, diese »Ertüchtigung« zu beenden.

Anmerkung

1) Die Gelder stammten von der EU und ihren Mitgliedsstaaten, den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.

Literatur

EEAS (2011): Strategy for Security and Development in the Sahel.

EEAS (2020): Informal meeting of EU Defence Ministers: Remarks by the High Representative/Vice-President Josep Borrell at the press conference. Berlin, 26.8.2020.

Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) (2020): Aufstandsbekämpfung im Sahel. Beitrag der FFM zum Kongress der Informationsstelle Militarisierung, 21.11.2020, nachzuhören unter: https://www.wueste-welle.de/mp3/77954_Panel4_FFM-MP3.mp3.

Muvunyi, F.; Cascais, A. (2020): Putsch in Mali – Welche Rolle spielt Russland? Deutsche Welle, 28.8.2020.

Christoph Marischka ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung und arbeitet dort zu den Schwerpunkten der EU-Afrikapolitik und der Technologiepolitik.

Schrödingers Sicherheitsautonomie


Schrödingers Sicherheitsautonomie

Die EU zwischen Zivilmacht und Militärmacht

von Thomas Roithner

Die Autonomie in der EU-Sicherheitspolitik wird nach dem ­Brexit zu Schrödingers Katze: sie ist gleichzeitig lebendig und tot. Sie ist lebendig, vor allem weil Emmanuel Macron und die Rüstungsunternehmen darauf drängen. Sie ist tot, weil das Schwergewicht Großbritannien ausgeschieden ist und es am Grundlegenden – einer gemeinsamen Stimme in der Außenpolitik – oft mangelt. Eine Bestandsaufnahme der bisher erfolgten Schritte der Militarisierung der EU bietet die Chance, aktuelle Militarisierungstendenzen besser einzuschätzen.

Die USA formulieren seit vielen Jahrzehnten mit unterschiedlicher Vehemenz, dass die EG bzw. die EU sicherheitspolitisch nicht selbständig, abgekoppelt, gegengewichtig oder duplizierend wirken darf. Dieses weitgehend akzeptierte Verhältnis hat sich jedoch seit 2016 grundlegend gewandelt:

Zum einen durch die unmittelbar zeitlich beieinanderliegenden Ereignisse des Brexit und des Beschlusses der »EU-Globalstrategie« (EEAS 2016). Dieser zeitliche Zusammenhang war zwar zufällig, die Folgen hängen jedoch zusammen. Die Globalstrategie fordert mitunter »Hard Power« ein – eine Politik, die Großbritannien immer ausschließlich im transatlantischen Bündnis und nicht in der EU verortet hat (trotz der eigenen Rüstungskapazitäten).

Zum anderen hat Donald Trumps »America First«-Politik und seine Kritik an den NATO- und EU-Strukturen den Bemühungen um eine autonome EU-Militär- und Rüstungspolitik seit Jahresbeginn 2017 zusätzlichen Antrieb verliehen. Dass die USA sprichwörtlich »kocht und die EU den Abwasch besorgt«, soll nun besonders aus französischer Sicht der Vergangenheit angehören. Emmanuel Macron erklärte die US-dominierte NATO für „hirntot“ und verfolgt seither die Stärkung einer »EU-First«-Policy. Joe Biden ändert zwar das Lagebild, aber ein NATO-freundlicher Präsident Biden sei trotzdem keine Hilfe, die EU-Interessen in einer konfrontativeren Weltordnung durchzusetzen, so Paris sinngemäß. Beim Erlernen der »Sprache der Macht« wird inklusiv wirkenden Organisationen wie der UNO und der OSZE im Vergleich zur Herausbildung eigener Instrumente der Interessendurchsetzung zunehmend weniger Bedeutung eingeräumt. Institutioneller Pluralismus gerät so zur Nebensache statt Handlungsmaxime zu bleiben. Strategische Autonomie zu erreichen hat mittlerweile beinahe sprichwörtlichen Status in der EU.

Zum Dritten kommt nun zum Tragen, dass die EU-Staaten unterschiedliche außenpolitische Traditionen haben, die ihr jeweiliges Verhältnis zu einer gemeinsamen europäischen »strategischen Autonomie« bestimmen. Neben 21 NATO-Mitgliedern gehören der EU-27 auch sechs neutrale bzw. paktfreie Staaten an. Mit den EU-Erweiterungen kamen Mitglieder hinzu, die eigentlich schneller in die NATO als in die EU wollten. Das zeigt sich an der Inkohärenz der bisherigen GSVP/ESVP-Ansätze: Uneinigkeit bei Streitfragen wie der Flüchtlingspolitik, der Konfliktlösung in Syrien, Libyen oder der Ukraine oder der Anerkennung von Palästina und Kosovo als eigenständigen Staaten; Unklarheit in der Einschätzung der neuen Seidenstraßen; Debatten um (vollständig) autonome Waffensysteme oder die Haltung zum Atomwaffenverbotsvertrag zeigen, wie unzureichend das »Gemeinsame« in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik funktioniert.1

So verharrt die EU-Sicherheitsautonomie in einem Schwebezustand ähnlich Schrödingers Katze: einerseits wird sie von starken Befürworter*innen weiter am Leben gehalten und ausgebaut, während sie zeitgleich aufgrund einer großen Uneinigkeit und Streitigkeiten innerhalb der Union nicht vorankommt.

Auslandseinsätze

Trotz all der Differenzen verweist die EU auf 18 aktuell laufende und knapp zwei Dutzend abgeschlossene Auslandseinsätze (EEAS 2021). Räumlich gesehen liegen die Schwerpunkte dabei in Afrika und auf dem Balkan. Zwei Drittel der EU-Einsätze seit 2003 weisen einen zivilen Charakter auf, jedoch nur 20 % des operativen Personals waren und sind zivil und die Anzahl der eingesetzten zivilen Kräfte war in der letzten Dekade kontinuierlich rückläufig. Obwohl die EU stets betont, sowohl über zivile als auch militärische Einsatzmöglichkeiten zu verfügen, zeigt die Praxis eine klare Asymmetrie zugunsten der militärischen Kapazitäten. Der »Civilian Compact« der EU aus dem Jahr 2018 bleibt also weit hinter seinen Möglichkeiten zurück (vgl. Artikel von Fischer in dieser Ausgabe von W&F).

Doch trotz der Asymmetrie zugunsten militärischer Optionen wurden bspw. die »EU Battle Groups« seit ihrer Einführung 2005 aufgrund politischer und finanzieller Uneinigkeiten bisher noch nie eingesetzt. Da jeder EU-Staat gegen den Einsatz der Truppen sein Veto erheben kann und allen Truppenstellern für Battle Groups drohte, die finanzielle Hauptlast dafür tragen zu müssen, entschloss sich der Europäische Rat 2017, die Entsendung der Battle Groups als gemeinsame Kosten zu betrachten. So sollte die Hemmschwelle für deren Einsatz gesenkt werden.

Mit Blick auf die Militarisierungs­schübe der EU ist es frappierend, zu sehen, dass es weniger als sechs Monate benötigte, um nach dem Brexit-Referen­dum die Grundlagen für ein EU-Hauptquartier zu schaffen. Im Juni 2017 wurde der militärische Planungs- und Koordinierungsstab für EU-Auslandseinsätze (MPCC) beschlossen.

Die neue »Europäische Friedensfazilität« (EFF) soll den Pool an Instrumenten der EU für Auslandseinsätze erweitern. Die EFF ist nicht im Finanzrahmen gelistet, da sie außerhalb des Haushaltes finanziert wird. Finanziert werden mit diesem Instrument u.a. militärische Einsätze – trotz des Namens. Dazu zählen weltweite Militäreinsätze von Dritten, die im Interesse der EU sind, wobei sowohl Truppen als auch deren Infrastruktur bezahlt werden können (Europäische Kommission 2018). Offenkundig hatte der jahrelange Druck wesentlicher Teile der politischen und militärischen Eliten in der EU gewirkt.

Rüstungsinitiativen

Die abgelaufene Dekade war von Appellen zur gemeinsamen Aufrüstung geprägt. Schon dem EU-Vertrag von Lissabon (2007) ist zu entnehmen, dass sich die Mitgliedstaaten „verpflichten […], ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Artikel 28a(3)). Die damalige Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, hat dazu erläutert: „Wer Frieden will, muss sich rüsten“ (Ashton 2013). Die EU-Globalstrategie (EEAS 2016, S. 45) wiederum schreibt fest, dass „die Mitgliedstaaten bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen [benötigen][…]. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten […] zur Verfügung stehen muss“.

Besonders in der EU-Rüstungspolitik fungierte das britische Brexit-Referendum als Katalysator. Schon im November 2016 schlug die EU-Kommission den »Verteidigungs-Aktionsplan« vor, der den EU-Rüstungsmarkt stärken sollte. Als Ursache der mangelnden Kooperation unter den EU-Staaten wurde nationaler Protektionismus ausgemacht, den Binnenmarktregeln eigentlich unterbinden sollten und dem nun mit dem Aktionsplan entgegengetreten werden sollte. Im Juni 2017 wurde der Aktionsplan dann zum »Europäischen Verteidigungsfond« (EVF) weiterentwickelt. Das Ziel dieses Fonds ist es, „den Mitgliedstaaten zu helfen, das Geld der Steuerzahler effizienter auszugeben“, wobei unbemannte Systeme, Satelliten, die Marine und Drohnen jeweils Schwerpunkte bilden (Europäische Kommission 2017). Neben dem EVF sind noch weitere Rüstungsbudgets versteckt Teil des Haushaltes: Die »militärische Mobilität« und die »EU-Weltraumprogramme« (vgl. Demirel und Wagner in dieser Ausgabe von W&F). Der Rüstungsbranche ist also das »impfen« des Budgets in den strategisch zentralen Bereichen durchaus sichtbar gelungen.

Heute stellt die EU einen rüstungspolitisch relevanten Faktor dar, ersetzt jedoch kein nationales Militärbudget. Sie koordiniert, verstärkt, sammelt Steuergeld für EU-Rüstungsprojekte ein und wirkt an der Steigerung der Rüstungsexporte mit. Bei wichtigen rüstungspolitischen Entscheidungsprozessen sitzen Rüstungskonzerne mit am Tisch. Zwischen EU-Institutionen, nationalen Regierungen und der Rüstungsindustrie hat sich eine ständig in Bewegung befindliche Drehtür etabliert (vgl. ALTER-EU 2018; Nielsen 2020).

PESCO

Politische Uneinigkeit und die Notwendigkeit einstimmiger Beschlüsse stehen einem gemeinsamen Handeln der EU immer wieder im Weg. Ablehnende Volksentscheide zu EU-Verträgen verdichteten die Alternative zur Vielstimmigkeit in der Sicherheitspolitik: Die militärisch Potenten und politisch Willigen geben den Ton an, die anderen bleiben draußen. Der Vertrag von Lissabon 2007 sah die ständige strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) vor; im Dezember 2017 wurde diese dann Realität, denn das Austrittsreferendum in Großbritannien hatte den vehementesten Kritiker autonomer EU-Sicherheitsstrukturen aus dem Diskussionsprozess genommen.

In diesem Rahmen wurden bislang 47 Projekte ins Leben gerufen, darunter Diskussionswürdiges wie die Eurodrohne, Euro-Artillerie oder ein neuer EU-Kampfhubschrauber. PESCO sieht eine „regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte“ vor, muss also als klares Zeichen einer Militarisierung der EU verstanden werden. Nicht alle EU-Staaten nehmen an allen Projekten teil und ein Veto zu kontroversen Vorhaben erscheint unnötig.

Allerdings ist auch PESCO nicht nur erfolgreich. Die jährliche Überprüfung im »koordinierten Jahresbericht zur Verteidigung« (CARD) hat eine Fragmentierung und Inkohärenz bei Ausgaben für Rüstung und Truppen festgestellt. Es sei ein Dickicht an Projekten entstanden, der nationale Interessenbasar eben nicht überwunden und nur zwölf der 47 Projekte lieferten konkrete Ergebnisse. Die Industrie hat zwar Gewinne verbucht, sich aber gemessen an den Plänen von 2016 wenig bewegt. Aus militärischer Logik ist PESCO ein enger Sicherheitsgewinn, aber in einer breiteren Sicht kein Friedensprojekt.

Ein neues Kerneuropa?…

Neben dem institutionalisierten Kerneuropa hat Frankreich mit der Europäischen Interventionsinitiative (EI2) eine von EU und NATO unabhängige Spielart eines militärisch aktiven Kerneuropa geschaffen. Diese Initiative setzt nicht auf eine breite Beteiligung, sondern auf punktuelle Entschlossenheit einzelner Staaten. Frankreich und Deutschland sind in beiden Varianten – PESCO und EI2 – militärischer Schrittmacher für andere EU-Staaten.

Frankreich und Deutschland stehen bei einigen bi- und trilateralen Formen der Rüstungskooperationen im Zentrum. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen arbeitet Hand in Hand mit dem französischen EU-Kommissar für Rüstung und Raumfahrt, Thierry Breton. Beim kommenden Kampfflugzeugsystem (»Future Combat Air System«, FCAS) wird französisch und beim künftigen Kampfpanzersystem (»Main Ground Combat System«, MGCS) wird deutsch gesprochen. Allerdings ziehen Frankreich und Deutschland dabei keineswegs nur an einem Strang: die Widersprüche zwischen Paris und Berlin sowie Zeitverzögerungen in der Umsetzung sind vielgestaltig. Neben dreistelligen Milliardenbeträgen geht es dabei auch um die Souveränität nationaler Rüstungsexportpolitiken, um die Frage, wessen und ob neue Kampfflugzeuge Atomwaffen tragen sollen und wo die Grenzen der Kooperation mit den USA liegen. Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag von Aachen aus dem Jahr 2019 ist ein Lösungsversuch, zwar mit vielen offenen Fragen, aber einer ganz klaren Stoßrichtung: einer verstärkten und integrierten Militarisierung der EU.

…und der Rest

Die außenpolitische Uneinigkeit der EU-27 allerdings durch Militärambitionen eines deutsch-französischen Kerneuropas zu kompensieren ist – langfristig gesehen – im günstigsten Fall wirkungslos, im schlimmsten Fall gefährlich. Schon jetzt sind Tendenzen erkennbar: Staaten am kerneuropäischen Abstellgleis verlieren in Teilen ihre Mitsprachemöglichkeiten, u.a. bei PESCO. Das »Kerneuropa der Sicherheit« stellt sich als autoritäre Vertiefung der EU dar, wenngleich es für Militäreinsätze bislang immer noch die Zustimmung aller EU-Staaten braucht. Es scheint erkennbar zu sein, dass das Ziel der engeren Zusammenarbeit im EU-Sicherheitsbereich nicht die Überwindung der Nationalstaaten, sondern deren Hierarchisierung ist.2

Die Vernetzung von Strukturen, Mechanismen und Budgettöpfen stellt seit 2016 eine neue Qualität der sicherheitspolitischen Integration dar. Zwar besteht in der EU zwischen Vereinbarungen auf dem Papier und der Realität, nicht nur bei Truppen und Rüstung, immer noch ein Unterschied, denn Mitgliedstaaten haben ihre Zusagen für Eingreiftruppen, Rüstungsforschung oder Waffenentwicklungen jahrelang nicht beachtet, abgeschwächt oder stark verzögert. Allerdings darf das Niveau der Anreizsysteme von »EU-Globalstrategie«, der neuen Haushaltstöpfe, der Europäischen Friedensfazilität und nicht zuletzt PESCO nicht unterschätzt werden. Dass der größte Truppensteller auch die meisten finanziellen Lasten trägt, wurde jetzt zum Teil durch Gemeinschaftskosten abgefedert. Dass Mitgliedstaaten die teure Entwicklung neuer Waffen allein schultern, wird durch gemeinsame Töpfe und Kooperationen tranchiert. Zentral ist jedoch – mit Blick auf den globalen Wettbewerb – , dass der sprichwörtliche Kuchen vergrößert wird, an dem alle in unterschiedlichem Maße teilhaben wollen und können. Nicht zuletzt gewährleisten die EU-Entscheidungsmechanismen, dass der harte Kern von Kerneuropa auch ein Kuchenstück mit Kirsche bekommt.

EU-Rüstungsfonds, Kerneuropa, Rüstungsagentur, der militärische Überprüfungsmechanismus oder die Auslandseinsatzpolitik samt militärischem Hauptquartier sind kommunizierende Gefäße. Flankiert wird diese Entwicklung vom Auswärtigen Dienst und vom EU-Militärstab. Niemand soll bei der Rüstung unbemerkt den Retourgang einlegen können oder auch nur bummeln.

Brillant ist, dass Deutsche und Franzosen nicht mehr aufeinander schießen, sondern kooperieren. Nicht-Krieg unter den EU-Mitgliedern ist das Eine, schweigende Waffen auch nach außen ist das Andere. Ziel wäre nicht nur, dass Deutsche und Franzosen nicht mehr aufeinander schießen, sondern dass sie nicht gemeinsam auf andere schießen. Es gälte jetzt, hier entscheidende Schritte zu unternehmen. Denn das Friedensprojekt Europa ist derzeit lebendig wie tot zugleich.

Anmerkungen

1) Die EU hatte sich im Brexit-Verhandlungsprozess eine Regelung zur künftigen Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik gewünscht. Großbritannien hat dies mit Verweis auf die eigene Souveränität abgelehnt. Die EU wird wegen des britischen Know-how und dem Markt für Rüstungsgüter in der Zukunft wohl verstärkte Verständigungsprozesse im Sicherheitssektor anstoßen. Allerdings könnte eine zu exponierte britische Rolle Einigungsprozesse der verbleibenden EU-27 erschweren.

2) Der Vorschlag für ein Ziviles Kerneuropa (Roithner 2015) hat immerhin Eingang in das aktuelle österreichische Regierungsprogramm gefunden.

Literatur

Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation in the EU (ALTER-EU) (2018): Corporate Capture in Europe. When Big Business Dominates Policy- Making and Threatens our Rights. Brüssel.

Ashton, C. (2013): Wer Frieden will, muss sich rüsten. Der Standard, 20.12.2013.

Europäische Kommission (2017): A European Defence Fund: € 5.5 billion per year to boost Europe’s defence capabilities. 07.06.2017, Brüssel.

Europäische Kommission (2018): EU Budget for the Future. The European Defence Fund. 13.06.2018, Brüssel.

Europäischer Rat (2017): Schlussfolgerungen zu Sicherheit und Verteidigung, 22.06.2017, Brüssel.

European External Action Service (EEAS) (2016): A Global Strategy for the European Union’s Foreign and Security Policy. Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe. Juni 2016.

European External Action Service (EEAS) (2021): Military and Civilian Mission and Operation, https://eeas.europa.eu, Brussels.

European Union (2016): Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe, Brussels.

Nielsen, N. (2020): EU Defence Agency chief turned lobbyist broke conduct rules, euobserver.com, 11.12.2020.

Roithner, T. (2015): Marsch ins militärische Kerneuropa. Der Standard, 31.07.2015.

Roithner, T. (2020): Verglühtes Europa? Alternativen zur Militär- und Rüstungsunion. Vorschläge aktiver Friedenspolitik, 2. Auflage, Wien: Morawa.

Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund. Er ist Co-Kampagnenleiter zur Einführung des Zivilen Friedensdienstes in Österreich, www.thomasroithner.at

Die iranische Atomvereinbarung


Die iranische Atomvereinbarung

Erfolg und Misserfolg europäischer Außenpolitik

von Azadeh Zamirirad

Die Atomvereinbarung ist eine der größten Errungenschaften europäischer Außenpolitik. Doch das europäische Prestigeprojekt verfiel in einen Krisenmodus, als sich die US-Regierung unter Donald Trump 2018 einseitig von ihren Verpflichtungen zurückzog und fortan eine Politik des »maximalen Drucks« gegenüber Iran verfolgte. Es kann als bemerkenswerter Erfolg der Europäer gelten, dass sie es trotz des US-amerikanischen Sanktionsdrucks geschafft haben, ein unmittelbares Scheitern der Vereinbarung zu verhindern. Zugleich zeigte sich jedoch, dass die EU nicht die notwendigen Kapazitäten besitzt, um ihre eigenen sicherheitspolitischen Interessen gegebenenfalls auch gegen den Willen der USA durchzusetzen.

Die Atomvereinbarung, der sogenannte »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA, siehe Kasten), ist in erster Linie ein Erfolg europäischer Diplomatie. Die Europäer legten 2003 den Grundstein für Verhandlungen mit Iran, als die Außenminister der E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) erstmals zu Nukleargesprächen nach Teheran reisten. Berlin, Paris und London setzten auf einen politischen Dialog, um offene Fragen hinsichtlich des iranischen Atomprogramms auf friedlichem Wege beilegen zu können.

Europa als Wegbereiterin der Atomvereinbarung

Die Initiative folgte vornehmlich sicherheitspolitischen Erwägungen. Angesichts der US-Intervention im Irak zielten die Europäer darauf, zum einen eine weitere militärische Eskalation in ihrer Nachbarschaft zu verhindern und zum anderen einer zusätzlichen Proliferationskrise zuvorzukommen, nachdem bereits Nordkorea zu Beginn des Jahres aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ausgestiegen war.

Die EU schloss sich 2004 formal den Konsultationen an und wurde von der Hohen Vertreter*in für Außen- und Sicherheitspolitik vertreten. Dies bot nicht nur zusätzliche Möglichkeiten, Iran im Namen der gesamten Europäischen Union wirtschaftliche Anreize für einen Kompromiss zu setzen und damit den europäischen Verhandlungsspielraum zu erweitern. Durch die Einbeziehung der Hohen Vertreter*in konnte auch der Informationsfluss zwischen den E3 und den übrigen EU-Mitgliedsstaaten verbessert und entstandener Unmut gegenüber Alleingängen der E3 reduziert werden (Bassiri Tabrizi und Kienzle 2020, S. 327).

Trotz des größeren europäischen Rahmens und anfänglicher Verhandlungserfolge erwies sich das Gesprächsformat ohne explizite politische Unterstützung der USA und ohne Hinzuziehung weiterer permanenter Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf Dauer nicht als aussichtsreich. Im Jahr 2006 schlossen sich neben den USA auch Russland und China den Gesprächen an. Mit dem neuen Verhandlungsformat wandelte sich zugleich die Rolle der europäischen Staaten. Während diese 2003 als autonome Akteure mit eigenständigen Positionen auftraten, übernahmen sie kaum zehn Jahre später vor allem eine Vermittlerfunktion zwischen Washington und Teheran (Cronberg 2017, S. 246). Damit trug der erweiterte Verhandlungskreis der Atomgespräche zwar einerseits zum Einigungserfolg von 2015 bei, bedeutete andererseits aber auch, dass den europäischen Parteien nur noch eine nachrangige Rolle zukam.

Europa als Verteidigerin der Atomvereinbarung

Obwohl die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) mehrfach verifizierte, dass die Islamische Republik die Vereinbarung vollständig umsetze, verkündete die US-Regierung unter Donald Trump im Mai 2018, von ihren Verpflichtungen zurückzutreten. Der Rückzug hatte nicht nur das weitreichendste Sanktionsregime zur Folge, das die USA je gegen Iran verhängten. Die Adminis­tration unternahm auch gezielte Schritte, um die verbliebenen JCPOA-Parteien von der Fortführung der Vereinbarung abzuhalten. Insbesondere die Ausweitung US-amerikanischer Jurisdiktion mittels extraterritorialer Sanktionen erwies sich für europäische Staaten als enorme Herausforderung.

Die EU ergriff daher eine Reihe von Maßnahmen, die den Fortbestand der Vereinbarung sicherstellen sollten. Zu diesem Zweck aktualisierte die EU-Kommission eine Abwehrgesetzgebung aus dem Jahr 1996, die es europäischen Unternehmen untersagt, der US-amerikanischen Rechtsprechung zu folgen, und ihnen ermöglicht, dadurch entstandene finanzielle Schäden vor europäischen Gerichten einzuklagen. Darüber hinaus stellte sie auch finanzielle Hilfen bereit, darunter 50 Mio. € zur Unterstützung der wirtschaftlichen Kooperation mit dem iranischen Privatsektor. Den bedeutendsten Schritt unternahmen die E3 jedoch im Januar 2019 mit der Gründung eines vom US-Dollar unabhängigen Finanzmechanismus. Das sogenannte »Instrument in Support of Trade Exchanges« (INSTEX) sollte den Warenaustausch zwischen Iran und seinen Handelspartnern ermöglichen, ohne auf direkte Finanztransaktionen angewiesen zu sein, die durch US-Sanktionen behindert wurden. Mit der Einrichtung dieser Zweckgesellschaft sollten ursprünglich iranische Öl- und Gasexporte nach Europa abgesichert werden, doch um INSTEX aus dem Schussfeld amerikanischer Sanktionspolitik zu nehmen, wurde der Handel auf den humanitären Warenverkehr beschränkt. Ein substanzieller Beitrag zur wirtschaftlichen Kooperation mit Iran konnte damit nicht erzielt werden.

Während die Europäer den JCPOA nicht davor bewahren konnten, von US-amerikanischen Sanktionen wirtschaftlich untergraben zu werden, gelang es ihnen, die Abmachung zumindest politisch abzuschirmen. Im August 2020 verwehrten sie der US-Administration Unterstützung im UN-Sicherheitsrat (UNSR) bei deren Versuch, einen sogenannten »Snapback« in der UNSR-Resolution 2231 (siehe Kasten) auszulösen, mit dem der JCPOA außer Kraft gesetzt worden wäre. Zuvor hatten es die E3 bereits abgelehnt, sich einer Resolutionsinitiative aus Washington anzuschließen, mit der ein UN-Waffenembargo gegen Iran auf unbestimmte Zeit verlängert werden sollte – ein Vorhaben, das gegen die Abmachung verstoßen hätte. Mit ihrer klaren Haltung im Sicherheitsrat bekräftigten die Europäer glaubhaft ihre Absicht, an der Vereinbarung festzuhalten und zeigten, dass sie zur Aufrechterhaltung des JCPOA nicht davor zurückzu­schrecken, sich auch im Rahmen der Vereinten Nationen gegen den transatlantischen Bündnispartner zu positionieren.

Der Blick aus Teheran

Die europäischen Bemühungen wurden in Teheran jedoch als unzureichend angesehen. Nach dem einseitigen Rückzug Washingtons aus der Atomvereinbarung 2018 hatte die Islamische Republik zunächst darauf gesetzt, dass die verbliebenen Vereinbarungsparteien effektive Maßnahmen ergreifen würden, um die Wirtschaftskooperation trotz des US-amerikanischen Sanktionsdrucks aufrechtzuerhalten. Doch die Maßnah­men blieben weit hinter Teherans Erwartungen zurück. Insbesondere die Beschränkung von ­INSTEX auf den humanitären Warenverkehr stieß in allen politischen Lagern auf Kritik, die sich von der Zweckgesellschaft vor allem die Absicherung von Energieexporten versprochen hatten. Derweil weitete die Trump-Administration das Sanktionsregime gegen Iran sukzessive aus. Vor diesem Hintergrund setzte die Islamische Republik ab Mai 2019 Teile der Übereinkunft schrittweise aus und verkündete schließlich, keine der im JCPOA festgelegten technischen Beschränkungen des Atomprogramms mehr anzuerkennen. Die iranische Kehrtwende ist somit nicht nur die direkte Folge des US-amerikanischen Sanktionsdrucks, sondern zugleich Resultat des mangelnden Vermögens europäischer Akteure, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Damit wurden zwei grundlegende Annahmen der iranischen Atomdebatte bestätigt. Kritiker*innen eines Nuklearkompromisses hatten stets argumentiert, dass eine Vereinbarung mit westlichen Staaten keine nachhaltige Lösung im Atomkonflikt zur Folge haben würde, da es den USA am politischen Willen und den Europäern an grundlegenden Kapazitäten fehle. Durch die Erfahrung mit dem JCPOA wurde die Position jener politischen Kräfte in Iran untergraben, die sich für eine kooperative Haltung in der Atompolitik ausgesprochen hatten, darunter die Regierung von Präsident Hassan Rohani. Dies ist umso mehr der Fall, seit es Iran gelungen ist, durch eine regionale Eskalationsstrategie sowie die Steigerung nuklearer Aktivitäten, die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Derweil ist auch die Unterstützung der iranischen Bevölkerung für den JCPOA rapide gesunken (CISSM/IranPoll 2019, S. 4).

Europäische Versuche, Iran im Rahmen eines im JCPOA festgelegten Konfliktregulierungsmechanismus wieder zu einer vollständigen Implementierung der Vereinbarung zu bewegen, blieben daher ohne Erfolg. Teheran erklärte unmissverständlich, die Vereinbarung erst dann wieder in vollem Umfang umsetzen zu wollen, wenn auch die USA ihren Verpflichtungen wieder nachkämen.

Aussichten unter der Biden-Administration

Iran setzt die Übereinkunft nur noch in Teilen um und hat seine nuklearen Aktivitäten kontinuierlich ausgeweitet. Infolge des Attentats auf den Atomwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh im November 2020 verabschiedete das iranische Parlament ein bereits Monate zuvor erarbeitetes Gesetz, das die Regierung dazu anhält, den Zugang von IAEO-Inspekteur*innen zu iranischen Atomanlagen zu beschränken und Uran auf bis zu 20 % anzureichern, sollte es nicht zu kurzfristigen Sanktionserleichterungen kommen. Eine weitere Eskalation ließe sich unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden jedoch verhindern, der bereits im Wahlkampf seine Absicht erklärte, in die Vereinbarung zurückkehren zu wollen. Europäische Akteure könnten diesen Prozess unterstützen, indem sie sich mit Iran, Russland und China auf ein Verfahren für einen Wiedereinstieg der USA verständigen. Eine Verständigung auf eine schrittweise Implementierung auf US-amerikanischer und iranischer Seite wird jedoch auch unter einer Biden-Administration eine Herausforderung darstellen, nicht zuletzt, da Washington beabsichtigt auch in weiteren sensiblen Themenfeldern wie der iranischen Regionalpolitik oder dem ballistischen Raketenprogramm Folgevereinbarungen zu erzielen. Sollte es Biden versäumen, frühzeitig erste Sanktionserleichterungen zu erlassen, könnte Teheran beschließen, sein Atomprogramm auf Grundlage des Parlamentsbeschlusses erheblich auszuweiten. Damit wäre der JCPOA auf absehbare Zeit hinfällig.

Europas strategische Autonomie

Doch auch im Falle einer erfolgreichen Rückkehr der USA in die Vereinbarung wird die EU nicht umhinkommen, ihre strukturellen Defizite aufarbeiten zu müssen. Denn trotz zahlreicher Versuche ist es ihr nicht gelungen, europäischen Unternehmen die politische und rechtliche Sicherheit zu geben, den Handel mit Iran gegen anhaltenden Sanktionsdruck aus Washington fortsetzen zu können. Die Erfahrung mit dem JCPOA hat damit einmal mehr die Notwendigkeit für eine strategische Autonomie der Europäischen Union offenbart. Strategisch autonom wäre die EU dann, wenn sie imstande wäre, nicht nur eigene außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, sondern auch die institutionellen, politischen und materiellen Voraussetzungen zu erfüllen, um diese gegebenenfalls auch eigenständig umsetzen zu können (Lippert, von Ondarza und Perthes 2019, S. 5). Die Ausweitung von INSTEX zu einem gesamteuropäischen alternativen Finanzinstrument, das unabhängig vom US-Dollar operiert, könnte hier wichtige Impulse setzen.

Nach vier Jahren transatlantischer Spannungen stellt die Wahl Joe Bidens für viele europäische Mitgliedsstaaten einen willkommenen Machtwechsel im Weißen Haus dar. Zugleich läuft die EU jedoch Gefahr, nunmehr in gewohnte Bündnismuster zurückzufallen und Bemühungen um größere Souveränität hintanzustellen. Die Atomvereinbarung hat jedoch aufgezeigt, dass Europas Anspruch, internationale Normen und Vereinbarungen aufrechtzuerhalten, Konflikte auf diplomatischem Wege beizulegen und Nichtverbreitungsinstrumente zu stärken, an enge Grenzen stößt, solange die Europäer extraterritorialen Sanktionen nichts entgegensetzen können. Intensive Bemühungen um strategische Autonomie bleiben daher auch unter Biden unabdingbar für die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.

Dieser Artikel spiegelt den Stand der Entwicklungen bis Mitte Dezember 2020 wider.

Der »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA) (2015)

  • Der JCPOA wurde am 14.07.2015 zwischen der Islamischen Republik Iran und der Staatengruppe P5+1 (die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland) sowie der EU in Wien getroffen. Die Vereinbarung wurde mit der Verabschiedung der UN-Sicherheitsratsresolution 2231 (s.u.) völkerrechtlich verbindlich.
  • Der Text umfasst die Übereinkunft an sich und fünf weitere Anhänge (I-V), die genauer ausbuchstabieren, wie in den einzelnen Bereichen vorgegangen wird. Anhang V legt dafür den Zeitplan vor.
  • Im JCPOA bekräftigt Iran, niemals Atomwaffen besitzen oder beschaffen zu wollen (Präambel).
  • In der Vereinbarung verpflichtet sich Iran, bis 2030 maximal 300kg niedrig angereichertes Uran zu lagern und den Anreicherungsgrad auf maximal 3,67 % zu beschränken; ausreichend für zivile Nutzung, aber nicht für die Produktion einer Atombombe. Zudem sieht die Übereinkunft vor, dass Iran die Zahl verfügbarer Zentrifugen begrenzt und umfangreiche Modernisierungen am Schwerwasserreaktor vornimmt, die eine potenzielle militärische Nutzung verhindern sollen.
  • Im JCPOA unterwirft sich Iran einem umfangreichen und strengen Inspektionsregime durch die IAEO. Für den Fall von Unstimmigkeiten hinsichtlich der Umsetzung ist ein Disputregulierungsmechanismus vorgesehen. Wird der Disput unter den Vereinbarungsparteien innerhalb einer festgelegten Frist nicht beigelegt, wird der UN-Sicherheitsrat mit dem Konflikt befasst. Dieser hat 30 Tage Zeit, über eine Fortführung des JCPOA zu entscheiden, andernfalls treten alle zuvor ausgesetzten nuklearbezogenen UN-Sanktionen gegen Iran automatisch wieder in Kraft.

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2231 (2015)

Nach dem Abschluss der Verhandlungen verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig Resolution 2231, in der die internationale Staatengemeinschaft die Übereinkunft begrüßt und unter anderem folgendes festlegt:

  • Die Aufhebung der nuklearbezogenen UN-Sanktionen gegen Iran nach der positiven Einschätzung eines Umsetzungsberichtes der IAEO (Paragraph 5-7). Dieser Bericht wurde am 16.01.2016 eingereicht und damit der Umsetzungsplan im JCPOA ausgelöst.
  • Bei Verstößen gegen die Übereinkunft können die Sicherheitsratsmitglieder den sogenannten »Snapback-Mechanismus« auslösen, der zu einer sofortigen Wiederanwendung der zuvor aufgehobenen UN-Sanktionen führen würde (Paragraph 11 und 12).
  • Die Resolution hält auch fest, dass Iran eine Wiedereinsetzung von Sanktionen wie in Paragraph 11 und 12 als Bruch des JCPOA betrachtet und sich in einem derartigen Fall nicht länger an die Übereinkunft gebunden sieht (Paragraph 13). Hierauf beruft sich die Islamische Republik, nachdem die USA sich im Mai 2018 einseitig von ihren Verpflichtungen im JCPOA zurückzogen und fortan gegen Resolution 2231 verstießen.

Literatur

Bassiri Tabrizi, A.; Kienzle, B. (2020): The High Representative and Directories in European Foreign Policy. The Case of the Nuclear Negotiations with Iran. European Security 29(3), S. 320-336.

Center for International and Security Studies at Maryland (CISSM)/IranPoll (2019): Iranian Public Opinion Under »Maximum Pressure«, Oktober 2019.

Cronberg, T. (2017): No EU, no Iran Deal. The EU‘s Choice Between Multilateralism and the Transatlantic Link. The Nonproliferation Review 24(3-4), S. 243-259.

Lippert, B.; von Ondarza, N.; Perthes, V. (Hrsg.) (2019): Strategische Autonomie Europas. Akteure, Handlungsfelder, Zielkonflikte. SWP-Studie 2019/S 02, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.

Dr. Azadeh Zamirirad, Irananalystin und stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten & Afrika, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.

Die EU und Nahost


Die EU und Nahost

Gefangen im Zweistaaten-Mantra

von Muriel Asseburg

In den letzten 40 Jahren haben die europäischen Staaten versucht, zu einem friedlichen Ausgleich zwischen Israel und den Palästinenser*innen beizutragen. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist einer der Politikbereiche, in denen die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsstaaten eine klar definierte gemeinsame Position entwickelt und ein ausdifferenziertes Instrumentarium eingesetzt haben.1 Obwohl sie nur sehr eingeschränkten Einfluss auf die Konfliktdynamiken vor Ort nehmen konnten, halten die EU und ihre Mitgliedstaaten am Mantra einer (verhandelten) Zweistaatenlösung fest. Eine Überprüfung und Anpassung von Politikzielen, Strategien und Instrumenten wäre dringend angezeigt.

Nach wie vor halten die EU und ihre Mitgliedstaaten an der Zweistaatenregelung „als einzig realistischer Lösung des Nahostkonflikts“ (Delegation of the EU 2020) fest. Dabei ist dieser Glaubenssatz längst zu einer Leerformel verkommen, statt als Leitlinie europäischer Politik zu fungieren. So haben die EU und ihre Mitgliedstaaten zwar eine klar definierte gemeinsame Position entwickelt, regelmäßig die Prinzipien einer Konfliktregelung auf Grundlage von zwei souveränen Staaten betont und ein ausdifferenziertes Instrumentarium eingesetzt, ihre politischen Entscheidungen aber nicht konsequent an diesen Prinzipien ausgerichtet. Damit konnten sie nicht einmal effektiv zum Erhalt der Option einer Zweistaatenregelung beitragen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten waren in den letzten Jahren auch immer weniger in der Lage, ihr Gewicht geeint in die Waagschale zu werfen, um die Kosten-Nutzen-Rechnung der Konfliktparteien zu beeinflussen.

Das europäische Mantra der Zweistaatenlösung

Entsprechende Inkonsistenzen zeigten sich etwa an der Zweideutigkeit der ausgesandten Signale. Beispielsweise kritisierten die EU und ihre Mitgliedstaaten einerseits die israelische Siedlungspolitik und die zunehmend autoritäre Regierungsführung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Andererseits führte das kritisierte Verhalten in beiden Fällen nicht zu spürbaren Kosten für die Verursacher*innen. So setzten die Europäer*innen zwar 2008 eine formale Aufwertung der EU-Israel-Beziehungen aus und stoppten 2012 die Treffen des EU-Israel-Assoziierungsrates. Gleichzeitig aber vertieften sich seither die Beziehungen zwischen Israel und der EU sowie zwischen Israel und einzelnen EU-Mitgliedstaaten weiter. Dadurch wurde nicht nur das intendierte politische Signal konterkariert, sondern auch die Attraktivität einer formalen Aufwertung der Beziehungen deutlich gemindert. Analog erfuhr auch die PA keine signifikante Reduzierung ihrer Unterstützung durch Europa.

Ähnlich widersprüchlich kündigten die EU und ihre Mitgliedstaaten schon 1999 in der sogenannten »Berliner Erklärung« an, einen palästinensischen Staat zu gegebener Zeit“ anerkennen zu wollen (Europäischer Rat 1999). Doch haben sie – abgesehen von Schweden – diese Anerkennung bis heute mit dem Argument verweigert, dass ein palästinensischer Staat aus bilateralen Verhandlungen mit Israel hervorgehen müsse. Damit haben sie Israel de facto ein Veto über die Verwirklichung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts eingeräumt und eine Chance versäumt, die Grenzen von 1967 zu bekräftigen. Ebenso ist die von der EU und ihren Mitgliedstaaten beschlossene Differenzierungspolitik, also die Unterscheidung im Umgang mit Israel und israelischen Einrichtungen in den besetzten Gebieten, bislang nicht konsequent umgesetzt worden, etwa durch das einheitliche Kennzeichnen von Siedlungsprodukten (EuGH 2019; Lovatt o.J.). Angesichts des normativen Selbstverständnisses der EU ist es besonders irritierend, dass einige Mitgliedstaaten auf die palästinensische Führung dahingehend eingewirkt haben, nicht den internationalen Rechtsweg zu suchen, um ihre Ansprüche durchzusetzen bzw. Völkerrechtsverstöße ahnden zu lassen. So suchten sie die PA zunächst davon zu überzeugen, nicht dem Internationalen Strafgerichtshof beizutreten, und bestritten dann die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Ermittlung von Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten (vgl. etwa ICC 2020).

Darüber hinaus haben die EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren immer weniger an einem Strang gezogen und die Position der EU geschwächt, indem sie gemeinsame Beschlüsse nicht konsistent umsetzten und es versäumten, diese entschlossen zu verteidigen. Sie stellten sich nicht einmal hinter die Hohe Vertreterin der EU für Außenbeziehungen, als diese 2017/18 von der Netanjahu-­Regierung ins Abseits gerückt wurde, weil sie die europäischen Standpunkte zu Jerusalem und zur Zerstörung EU-finanzierter Projekte in den palästinensischen Gebieten durch Israel vertrat. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die europäischen Regierungen sich trotz der an sich klar definierten europäischen Position zur Zweistaatenregelung – vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen, Selbstverständnisse, politischer Kulturen und nicht zuletzt Beziehungen zu den USA – uneins sind, welche Bedeutung der Nahostkonflikt in der gemeinsamen Außenpolitik und in den Beziehungen zu Israel einnehmen und wie ein zielführender Umgang mit den Konfliktparteien aus­sehen soll. Diese Unstimmigkeiten hat die israelische Regierung genutzt, um Allianzen mit einzelnen Staats- und Regierungschefs und subregionalen Gruppen zu schmieden, die EU in dieser Frage zu spalten und den Einfluss der Kommission sowie einzelner besatzungskritischer Mitgliedstaaten zu mindern (Asseburg und Goren 2019).

Aktuelle Herausforderungen als Anlass zur Neubewertung

Eine formale Annexion von großen Teilen des Westjordanlandes ist zwar vorerst aufgeschoben, aber – wie führende israelische Politiker*innen betonen – keineswegs vom Tisch. Zudem hat Israels Regierung 2020 den Siedlungsbau sowie die Zerstörung von palästinensischen Häusern und Infrastruktur in strategisch wichtigen Gebieten – und damit die de-facto-Annexion des Westjordanlandes – noch stärker als zuvor vorangetrieben. Die vorgelegten Infrastrukturplanungen lassen keinen Zweifel an Israels Absicht, dauerhaft an der Kontrolle über Jerusalem und das Westjordanland festzuhalten (Rosen und Shaul 2020). Dabei hat sich in Israel und den palästinensischen Gebieten ohnehin längst eine komplexe Einstaatenrealität verfestigt, in der Israel die übergeordnete Kontrolle hat und den Bewohner*innen abhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, ihrer religiös-ethnischen Zugehörigkeit und ihrem Wohnort unterschiedliche Rechte zukommen bzw. verwehrt werden (Asseburg 2014).

Vor diesem Hintergrund sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten ihren Ansatz und ihre Politik gegenüber den Konfliktparteien grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Dabei bestehen entgegen dem europäischen Mantra durchaus Alternativen zu einer Zweistaatenregelung, um den nationalen Identitäten sowie individuellen und kollektiven Rechten kooperativ Geltung zu verschaffen (Asseburg und Busse 2016; Baumgarten 2020). Angesichts der Verfestigung der Einstaatenrealität gilt es, kreative und konstruktive Aspekte solcher Modelle – etwa eines binationalen Staates oder einer Konföderation – auszuloten, die geeignet sein könnten, zu einer Konflikt­regelung beizutragen.

Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten das Mantra der Zweistaatlichkeit zugunsten eines binationalen Staates mit gleichen Rechten aller Einwohner*innen aufgeben werden. Erstens würde dies Europa in direkten Widerspruch zu Israels Selbstdefinition als jüdischer und demokratischer Staat und (exklusiver) Zufluchtsort für Jüd*innen bringen. Dies ist, vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, kaum zu erwarten. Zweitens würde die Abkehr vom Zweistaatenparadigma ein vollständiges Überdenken des europäischen Ansatzes gegenüber Israel/Palästina erfordern. Dies wäre nicht nur aufgrund der Pfadabhängigkeit europäischer Politik eine große Herausforderung. Es dürfte auch aufgrund der grundlegenden Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten kaum von Erfolg gekrönt sein. Das Risiko, den europäischen Acquis zu Israel/Palästina zu verlieren, ohne eine Einigung zu erzielen, wäre groß. Dies hat bislang jede grundsätzliche Überprüfung und Anpassung des europäischen Ansatzes verhindert – und dürfte dies auch künftig tun.

Ebenso wenig ist zu erwarten, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihre Energie stattdessen darauf konzentrieren, konsequenter als bislang auf die Verwirklichung einer Zweistaatenregelung hinzuwirken. In US-Präsident Joe Biden dürften die EU und ihre Mitgliedstaaten zwar einen Ansprechpartner finden, der für einen multilateralen Ansatz offen ist und dessen nahostpolitische Positionen deutlich näher am bisherigen internationalen Konsens liegen als die seines Vorgängers. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Konfliktregelung in Nahost auf der Prioritätenliste der Biden-Administration relativ weit unten rangiert. Vor allem aber ist es eher unwahrscheinlich, dass unter den EU-27 ein Konsens darüber erzielt werden kann, wie ihre Politik künftig mit ihren Werten und erklärten Zielen in Einklang gebracht werden soll. Zudem haben sich die Mitgliedstaaten der EU längst mit einer eher unterstützenden als gestaltenden Rolle abgefunden. So dürfte Europa dem Mantra der Zweistaatenlösung verhaftet bleiben und sich damit bescheiden, den Ansatz der Biden-Administration zu Israel/Palästina zu unterstützen. Das heißt auch: Europa wird die Zahlmeisterin bleiben, die ein Spiel finanziert, das mit europäischen Werten und Interessen nicht in Einklang zu bringen ist.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Version von Asseburg 2020.

Anmerkung

1) Zu den Instrumenten zählen u.a. die Ernennung von EU-Sonderbeauftragten, die Entsendung einer Grenz- und einer Rechtsstaatsmission, Assoziierungsabkommen mit Israel und der PLO, finanzielle Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde, die israelische und palästinensische Zivilgesellschaft und UNRWA sowie humanitäre Hilfe.

Literatur

Asseburg, M. (2014): Nahost-Verhandlungen vor dem Aus. Die Einstaatenrealität verfestigt sich. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2014 (SWP-Aktuell 28/2014).

Asseburg, M.; Busse, J. (2016): Das Ende der Zweistaatenregelung? Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2016 (SWP-Aktuell 27/2016).

Asseburg, M; Goren, N. (Hrsg.) (2019): Divided and Divisive. Europeans, Israel and Israeli-Palestinian Peacemaking. The Israeli Institute for Regional Foreign Policies (MITVIM); Stiftung Wissenschaft und Politik; PAX, Mai 2019.

Asseburg, M (2020): Europa und der Nahostkonflikt. Wie weiter nach dem Ende der Oslo-Ära? In: Lippert, B.; Maihold, G. (Hrsg.): Krisenlandschaften und die Ordnung der Welt, Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2020 (SWP-Studie 2020/S 18), S. 64-71.

Baumgarten, H. (2020): Befreiung in den Staat? Palästina: Was kommt nach der gescheiterten Zwei-Staaten-Lösung? Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dezember 2020.

Delegation of the European Union to Israel (2020): Declaration by the High Representative Josep Borrell on behalf of the EU on the Middle East Peace Process, Brüssel, 28.1.2020.

Europäischer Rat (1999): Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat in Berlin. 24. und 25.03.1999.

Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) (2019): Urteil in der Rechtssache C-363/18. Pressemitteilung Nr. 140/19, Luxemburg, 12.11.2019.

ICC (2020): Situation in the State of Palestine. Observation by the Federal Republic of Germany. Den Haag: International Criminal Court, 16.3.2020.

Lovatt, H. (o.J.): Differentiation Tracker. London: ECFR.

Rosen M.; Shaul, Y. (2020): Highway to Annexation. Israeli Road and Transportation Infrastructure Development in the West Bank. The Israeli Centre for Public Affairs; Breaking the Silence, Dezember 2020.

Dr. Muriel Asseburg, Politikwissenschaftlerin, ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit in Berlin.

Europas Dilemma


Europas Dilemma

Die EU und der russisch-ukrainische Konflikt

von Hanna Shelest

Die Frage danach, wie sich die EU im Lösungsprozess des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine einbringen soll, steht seit 2014 auf der Agenda und noch immer gibt es keine eindeutige Antwort. Ist es die EU als Ganzes oder sind es Frankreich und Deutschland, die die Rolle des Mediators einnehmen? Sollte die EU eine Peacekeeping-Mission in die Ukraine schicken? Was kann die EU außer Sanktionen noch tun? Im Folgenden einige Überlegungen zur derzeitigen und zur möglichen zukünftigen Rolle der EU und ihres Engagements im russisch-ukrainischen Konflikt.

Obwohl sich das EU-Engagement in der Ukraine seit 2014 insgesamt bedeutend vertieft hat, lässt sich das Gleiche nicht über die Rolle der EU im Friedensprozess sagen. Viele EU-Beamte betonen, dass die Organisation durch Frankreich und Deutschland im Normandie-Format vertreten sei. Dies wird allerdings weiterhin eher als französische und deutsche Mediationsbemühungen wahrgenommen, denn als Bemühungen der EU, so sehr Frankreich und Deutschland auch kontinuierlich die anderen Mitgliedsstaaten über die Fortschritte informieren und sich in ihren Positionen abstimmen.

Im ersten Mediationsversuch im Konflikt um die Ukraine im April 2014 – dem sogenannten Genfer-Format – waren die Ukraine, Russland, die USA und die Europäische Union Verhandlungspartner*innen. Die EU war hier als Organisation anwesend. Die geringe Bereitschaft der USA, in diesem Konflikt eine aktive Rolle als Mediator*in einzunehmen, hat dieses Format torpediert und so dazu geführt, dass das neue Normandie-Format aufgesetzt wurde. Hier ist die EU jedoch nicht als Organisation präsent, sondern wird von Deutschland und Frankreich vertreten, die jeweils als Akteure in sich und als Stimme der EU auftreten.

Die letzten sechs Jahre des Konfliktes und seiner Fortentwicklung haben zwei Probleme des Formats für die EU offenbart: zum einen die Entscheidung, nur entweder staatlicher oder institutioneller Mediator sein zu können. Denn wann präsentieren Deutschland und Frankreich ihre je eigene Vision für die Konfliktbeendigung und wann vertreten sie eine gemeinsame Linie der EU? Trotz aller Beteuerungen der Beamt*innen, dass das Gegenteil der Fall sei, hat es Brüssel immer noch nicht geschafft, für eine öffentliche Wahrnehmung seines Engagements zu sorgen und das Engagement von Deutschland und Frankreich wird als individuelle Mediation zweier Staaten gesehen.

Zum anderen verhandeln die Ukraine und Russland Fragen rund um konkrete Konfliktthemen direkt mit Paris und Berlin. Wenn die Ukraine und Russland also beispielsweise über die Modalitäten eines Friedensplans, eines Waffenstillstands, den Umgang mit ausländischen Kämpfern oder Sicherheitsgarantien sprechen wollen, so diskutieren sie dies mit Frankreich und Deutschland. Die EU kommt dabei üblicherweise nur ins Bild, wenn es um Sanktionsmechanismen und den Wiederaufbau nach Konfliktende geht.

Politische Instrumente

Verschiedene Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben einen reichen Erfahrungsschatz, wenn es um Konflikt­lösung und Mediation geht, die EU als Ganzes allerdings hat nur beschränkte Erfahrungen in dieser Hinsicht. Die Stärke der EU liegt eher in ihrer Rolle als »Peacebuilder«, wenn es um Fragen des Wiederaufbaus und der Versöhnungsprozesse, Reformbestrebungen oder den Umgang mit umstrittenen Territorien geht. Erst kürzlich wurden Konfliktpräventionsmechanismen überhaupt zu den außenpolitischen Prioritäten der EU hinzugefügt. Die EU-Globalstrategie für Außen- und Sicherheitspolitik von 2016 stellt Mediation auf eine Linie mit präventiver Diplomatie und betrachtet sie als ein Instrument der vorsorglichen Friedenssicherung und für frühzeitiges Handeln: „Vorwarnung ist nur von geringem Nutzen, wenn sie nicht von frühzeitigem Handeln begleitet wird. Das beinhaltet regelmäßige Berichterstattung und Vorschläge an den Rat der EU, sich durch die EU-Delegationen und EU-Sondergesandten in präventiver Diplomatie und Mediation zu üben“ (EEAS 2016, S. 30). Der Politische Dialog ist eines der Hauptinstrumente der EU-Außenpolitik für Konfliktmanagement, das darauf abzielt das Verhalten der Konfliktparteien zu verändern. Aber im Fall der Ukraine fällt es der EU nicht leicht, sich zu entscheiden, wessen Positionen sie verändern möchte. Zudem ist unklar, ob die EU nicht auch selbst als Konfliktpartei betrachtet werden sollte.

Genau aus dieser Unklarheit speist sich die strategische Schwäche der EU an dieser Stelle: Sie ist weder anerkannte Konfliktpartei noch eine unparteiische Mediatorin. Da die Revolution von 2013-2014 auf einen Weg der Ukraine in die EU abzielte und die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU einer der Trigger für die russische Aggression war, entzogen die anderen Konfliktparteien (allen voran die russische Föderation, aber ebenso die separatistischen Regionen Donezk und Lugansk) der EU ihre »Neutralität« in diesem Konflikt. Die EU wird von der russischen Föderation und den separatistischen Gebieten nicht als Mediatorin akzeptiert, da sie Sanktionen gegen Russland eingesetzt hat und weiterhin einen Annäherungskurs mit der Ukraine fährt.

Gleichzeitig sollte die EU den »ukrainischen Fall« weitgehender betrachten, als nur durch die Linse der russisch-­ukrainischen Beziehungen. Für Russland ist diese Konfrontation eine über europäische Ordnungsmacht, ein Wettstreben mit den USA und eine Möglichkeit, den eigenen Einflussbereich gegen Europa in Stellung zu bringen. Für die EU hingegen sollte es hier um eine schwere Verletzung der Souveräntität und territorialen Integrität eines Staates, um Menschenrechte und Millionen Menschenleben, das Völkerrecht und die Unterstützung anderer unabhängiger Staaten gehen.

Seit 2014 hat es die EU nicht geschafft, einen Sondergesandten für die Ukraine zu benennen. Während die EU als Ganzes zwar umfassend im Dialog mit der Ukraine war, hatte die außenpolitische Komponente die geringste Bedeutung. Die Nachbarschaftspolitik, Energiefragen, Justiz-, Wirtschaft- und Handelsreformen, Visaerleichterungen – all diese Fragen führten schlussendlich zur Unterzeichnung des Assoziationsabkommens und des Freihandelsabkommens, zu verstärktem politischen Dialog und Handelsbeziehungen. Während der gleichen Zeit reiste die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nur zweimal in die Ukraine und priorisierte beide Male Reformen und den Anti-Korruptions-Prozess gegenüber dem Friedensprozess. Sie war stark in den Verhandlungen zu Kosovo und zur iranischen Atomfrage eingebunden, dem Donbas allerdings schenkte sie wenig Beachtung und reiste auch nie dorthin, trotz ausgesprochener Einladungen. Der Wechsel der EU-Kommission 2019 hat an dieser Situation und den EU-Prioritäten gegenüber der Ukraine nichts verändert.

Unentschlossene Peacekeeping-Versuche

2015 hatte der damalige ukrainische Präsident offiziell eine EU- oder UN-geführte Peacekeeping-Mission in der Ukraine angefordert. Die EU-Version einer solchen Mission wurde schnell abgelehnt, nachdem sich alle Expert*innen über die geringen Erfolgsaussichten einer solchen Peacekeeping-Mission einig zu sein schienen. Der wichtigste Grund dafür war wohl der drohende Verlust der Neutralität in diesem Konflikt; aber viel grundlegender galt es zu berücksichtigen, dass die EU keine relevante Erfahrung mit der Durchführung von ­Peacekeeping-Missionen hat.

Vielmehr konzentriert sich die EU normalerweise auf zivile Aufgaben, den Prozess des »Peacebuilding«, vertrauensfördernde Maßnahmen, Wiederaufbauprojekte und Konfliktprävention. So sind auch beide derzeitigen Missionen in der Ukraine zivile Missionen – die EU »Grenzunterstützungsmission (Border Assistance Mission)« in Moldawien und der Ukraine (EUBAM, seit 2005) und die »EU Beratermission zur Reform des zivilen Sicherheitssektors in der Ukraine« (EUAM Ukraine, seit März 2014. EU-Militärmissionen sind typischerweise kurze Einsätze und als Unterstützung der Aktivitäten anderer internationaler Organisationen angelegt. Obwohl ein EU-interner Beschluss für ihren Einsatz genügt, hat die EU in der Vergangenheit nur dort Einsätze gestartet, wo schon andere internationale Organisationen vor Ort waren. Peacekeeping überlässt die EU immer noch gerne vor allem anderen Organisationen.

Im postsowjetischen Raum verlassen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten bei Konflikten traditionell auf die OSZE. Die direkten Einladungen für einen Einsatz in der Ukraine 2015 und 2018 wurden mit dem Hinweis abgelehnt, dass die EU-Mitgliedstaaten bereitstünden durch die UN und die OSZE am Konflikt zu arbeiten. Die Sonderbeobachtungsmission der OSZE in der Ukraine ist keine Peacekeeping-Mission im eigentlichen Sinne des Wortes, aber sie ist die einzige derartige Mission, die derzeit vor Ort ist. Indem sie die Mission politisch, diplomatisch und finanziell unterstützt, kann die EU eine halbwegs neutrale Rolle beibehalten und dennoch den Peacekeeping-Prozess beeinflussen, muss aber nicht tiefergehender involviert sein.

Was folgt nun?

Während die nächste Waffenstillstandsverlängerung so gut wie sicher ist, kann sich die EU in die Friedensverhandlungen aktiver einbringen, die aufgrund der Pandemie und russischem Widerstand zum Erliegen gekommen sind. Die »Krim-Plattform«, wie sie kürzlich vom ukrainischen Außenministerium angekündigt wurde, könnte ein neues Format sein, in dem sich die EU als Organisation mehr einbringt (MFA 2020).

Mittlerweile lassen sich Rufe danach, den Konflikt einzufrieren und die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, häufiger vernehmen – obwohl ihre Urheber*innen den Kreml offen für die Annexion der Krim und den Krieg im Donbas anklagen. Viele europäische Think-Tanks haben schon vorgeschlagen, Russland in einen Dialog über die neue EU-Sicherheitsordnung einzubinden, in der Hoffnung, dass dies zur Konfliktbeilegung im Donbas beiträgt (vgl. ICG 2020, EASLG 2020). Viele von ihnen lassen dabei die Frage der Krim außen vor. De facto ist ein Szenario eines eingefrorenen Konfliktes aber die schlechteste Option, da es der internationalen Staatengemeinschaft erlauben würde, den Vorgängen in der Ukraine und den konstant erneuerten Forderungen aus Moskau noch weniger Beachtung zu schenken. Dialogbereitschaft und ein Einfrieren des Konfliktes fühlen sich daher mehr nach einem Beschwichtigungsversuch, als nach einer Konfliktlösung an.

An den Ausgangsbedingungen hat sich seit 2014 nichts verändert. Jeder Ruf nach Dialog sollte mit einem klaren Verständnis davon einhergehen, wie weit die europäischen Staaten bereit sind, Kompromisse bei ihren Prinzipien und Werten einzugehen. Wenn die EU eine normative Kraft hat und keine militärische, und wenn sie weichere Methoden und Sanktionen über militärische Optionen bevorzugt, dann kann es immer einen Weg für eine Position der »Offenen Karten« geben, nämlich mit der EU-Mitgliedschaftsperspektive für die Ukraine weiter voranzugehen. Das würde ein klares Signal an die russische Föderation senden, dass all ihre militärischen Manöver, hybride Kriegsführung oder politische Einmischung die EU nicht davon abhalten wird, neue Mitglieder einzuladen und den Einflussbereich ihrer Werte und Normen auszuweiten.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich die EU als Organisation mehr einbringen wird. Die gegenwärtige Situation, in der die zwei einflussreichsten Mitgliedsstaaten im Normandie-Format präsent sind, scheint alle anderen Mitgliedstaaten zu befriedigen und dennoch der EU-Kommission genug Spielraum für ihre eigenen Manöver zu lassen. Mit den anstehenden Wahlen in Deutschland und Frankreich kann sich diese Situation aber in absehbarer Zeit ändern – eine mögliche neue Chance für die EU, sich als einheitliche Stimme und mögliche Mediatorin im russisch-ukrainischen Konflikt zu präsentieren.

Literatur

European External Action Service (EEAS) (2016): Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe. A Global Strategy for the European Union‘s Foreign and Security Policy. June 2016.

Euro-Atlantic Security Leadership Group (EASLG) (2020): Twelve Steps toward Greater Security in Ukraine and the Euro-Atlantic Region. February 2020.

International Crisis Group (2020): Peace in Ukraine I: A European War. Report 256. 27.04.2020.

Ministry of Foreign Affairs of Ukraine (MFA) (2020): Crimean Platform to Keep Occupation of Crimea in Focus of Constant International Attention – Emine Dzhaparova. 05 October 2020.

Dr. Hanna Shelest ist Direktorin der Programme für Sicherheitsfragen beim außenpolitischen Think-Tank »Ukrainska Prisma« und Chefredakteurin der Zeitschrift »UA: Ukraine Analytica«.

Aus dem Englischen übersetzt von David Scheuing

Zwischen Intervention und Verteidigung


Zwischen Intervention und Verteidigung

Zeit für eine neue Balance?

von Marius Müller-Hennig

Die Diskussion um Europäische Außen- und Sicherheitspolitik erscheint oft reflexhaft: Einerseits ertönt häufig die Klage über mangelnde politische und militärische Handlungsfähigkeit der EU in beliebigen internationalen Krisen. Andererseits werden weitergehende Souveränitätstransfers nach Brüssel und vertiefte militärische Integration von verschiedenen Seiten skeptisch gesehen bzw. abgelehnt. Bei diesen Diskussionen kommt die Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der Pfadabhängigkeiten oft zu kurz. Die Maßstäbe, die in der politischen Bewertung von Erfolg und Misserfolg angelegt werden, erscheinen zudem oft ahistorisch und daher in weiten Teilen unrealistisch.

Im Folgenden werden für den Zweck einer realistischeren Debatte über die Außen- und Sicherheitspolitik der EU auf Basis eines knappen historischen Rückblicks zwei Thesen formuliert. Diese werden dann zu einer alternativen Vision für die Zukunft der militärischen Inte­gration der EU verdichtet: Einer defensiveren und realistischeren Verteidigungsintegration der EU. Einer Integration, die das »interventions-optimistische« Weltbild der 1990er Jahre hinter sich lässt, die Frage nach einer gemeinsamen Verteidigung für die EU in den Vordergrund stellt und die globale Friedenspolitik primär als politisch-diplomatisches und nicht militärisches Projekt begreift.

Historischer Rückblick: Von der Verteidigung zur Intervention

Die Geschichte der europäischen Inte­gra­tion ist hinreichend bekannt: von der EGKS, über EURATOM und EWG zur EG und weiter zur EU. Oftmals übersehen wird, dass bereits zu Beginn dieses Prozesses auch eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) auf der Agenda stand. Sie hatte sogar schon die meisten politischen Hürden genommen, bevor sie 1954 in der französischen Nationalversammlung scheiterte. Ziel des Projektes war es, neue deutsche Truppenkontingente in eine gemeinsame europäische Verteidigung Westeuropas zu integrieren. Die EVG wäre wiederum strategisch der NATO unterstellt gewesen (vgl. Schwabe 2016, S. 231); wenn man so möchte, eine Art europäischer Pfeiler in der NATO. Die Initiative für die EVG kam aus Frankreich und wurde von den USA nachdrücklich unterstützt. Als sie scheiterte, erfolgte die Wiederbewaffnung Deutschlands stattdessen direkt fest integriert in die NATO. Letztere sollte Westeuropa vor einer vermeintlichen sowjetischen Expansion beschützen und gleichzeitig dafür sorgen, dass sich das deutsche Militär nicht wieder zu einer Bedrohung seiner westeuropäischen Nachbarn entwickelte. So leistete die NATO einen indirekten, aber wichtigen Beitrag zur europäischen Einigung: Verteidigung nach außen und Vertrauensbildung nach innen.

Paradigmenwechsel in den 1990er Jahren: Von der Verteidigung zum Krisenmanagement

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts änderte sich im sogenannten »unipolaren Moment« der USA auch die strategische Polarität für den europäischen Westen. Bis in die 1980er Jahre sah sich Westeuropa als potentieller Schauplatz eines dritten Weltkriegs. Die europäischen NATO-Mitglieder sollten einen Angriff der Sowjetunion und ihrer Alliierten abschrecken und notfalls abwehren können. Priorität war die Verteidigung von Westeuropa. Spätestens mit den Eskala­tionen auf dem Balkan rückten dann Krisenmanagement-Einsätze außerhalb des NATO-Gebiets in den sicherheitspolitischen Fokus des Westens. Auch in der EU stand nun militärische Zusammenarbeit beim Krisenmanagement prominent auf der Agenda. Tatsächlich wurden dann auch in der EU neue Strukturen und Fähigkeiten für diesen Bereich geschaffen1 (ebenso wie im Bereich des zivilen Krisenmanagements). Allerdings zeigt bereits „ein kursorischer Blick auf die europäischen militärischen Kriseninterventionen […], dass die EU ihrer selbst definierten Verantwortung in diesem Bereich seit der ersten Operation Artemis im Osten Kongos 2003 eher langsamer und zurückhaltender nachkommt (Dembinski und Peters 2018, S. 5).

Interventions-Ernüchterung und die Suche nach Exit-Strategien

Insgesamt ist die Bilanz westlicher militärischer Interventionen durchwachsen. Von Afghanistan (2001) über den Irak (2003) und Libyen (2011) bis nach Mali (2013) folgte auf militärische Erfolge des Westens langanhaltende Instabilität. Zu oft endete militärisches Engagement in der Suche nach gesichtswahrenden Exit-Strategien. Es gab zwar auch militärische Einsätze mit positiverer Bilanz, so beispielsweise die NATO-Einsätze IFOR und SFOR in Bosnien und Herzegowina. Auch die EU konnte in mehreren Fällen effektive operative Beiträge im internationalen Krisenmanagement leisten; militärisch beispielsweise in Form der Anti-­Piraterie-Operation »Atalanta«. Insgesamt aber blieb in vielen Konflikten der Eindruck zurück, dass der Westen bzw. die EU nicht in der Lage waren, Frieden und Demokratie dauerhaft zu sichern oder zumindest Stabilität zu schaffen. Hierbei darf man zwar nicht vergessen, dass dieser Politikbereich für die EU völlig neu war und angesichts des rasanten politischen Wandels (deutsche Wiedervereinigung, Transformation der Staaten Mittelosteuropas und die Erweiterungsrunden der EU) mit anderen politischen Prioritäten konkurrierte. Aber selbst wenn die EU in diesem Feld heute schneller zu mehr Entscheidungen käme und über mehr militärische Fähigkeiten verfügte, ist es fraglich, ob sie tatsächlich mehr erreichen könnte. Die Erfahrungen der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs bieten wenig Grund für Optimismus. Sicher ist hingegen, dass die EU an solch einem Punkt bisher nicht angekommen ist. Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob die EU und ihre Mitgliedstaaten das »interventions-optimistische« Weltbild der 1990er Jahre nicht ablegen und die eigene Rolle bescheidener (und damit realistischer) konzipieren sollten.

Die Rückkehr der Bündnisverteidigung

Mit der russischen Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine kam die Frage nach der kollektiven Verteidigung des Bündnisgebiets wieder mit Nachdruck zurück auf die sicherheitspolitische Agenda – insbesondere in der NATO. Die EU hingegen blieb bei einem Modell der Verteidigungsintegration in Form der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), das zum Weltbild der 1990er Jahre passt. Dabei hat sie auf dem Papier durchaus der neuen Entwicklung Rechnung getragen: So wurde in der EU-Globalstrategie von 2016 der Sicherheit der EU (im Sinne von Verteidigung) explizit hohe Bedeutung beigemessen. Seit dem Vertrag von Lissabon verfügt die Union zudem mit Artikel 42(7) EUV zwar über eine explizite Beistandsklausel, praktisch aber zielen die Anstrengungen der EU weiterhin primär auf militärische Zusammenarbeit und Integration im Bereich Intervention bzw. Krisenmanagement.

Vision einer defensiv gedachten Verteidigungsintegration der EU

Ausgehend vom historischen Rückblick werden im Folgenden zwei Thesen zur verteidigungspolitischen Integration im Rahmen der EU und ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) formuliert und zu einer Vision für ihre Weiterentwicklung verdichtet.

Weniger Fixierung auf Krisenmanagement-Einsätze

  • These 1: Europäische Verteidigungsintegration sollte sich von der Fixierung auf Krisenmanagement-Einsätze lösen.

Der Westen insgesamt und die EU im Besonderen sollten den Rufen nach mehr militärischen Interventionen mit pragmatischer – aber nicht dogmatischer – Zurückhaltung begegnen. Die vergangenen dreißig Jahre haben gezeigt, dass westliche Interventionen schon unter wesentlich besseren globalen Rahmenbedingungen als heute vielleicht zunächst militärisch erfolgreich, politisch aber oft nicht nachhaltig waren (s.o.). Der ehemalige Botschafter Singapurs bei den Vereinten Nationen, Kishore Mahbubani, fürchtet, dass die Welt vor einer „besorgniserregenden Zukunft steht, wenn der Westen seine interventionistischen Impulse nicht abschütteln kann“ (Mahbubani 2018, S. 92).

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind zudem meist nicht hauptverantwortlich für die akuten Kriege und gewalttätigen Konflikte in ihrer Nachbarschaft (auch wenn mit Blick auf die strukturellen Konfliktursachen und historischen Entwicklungen der Einfluss Europas nicht ausgeblendet werden darf). Sie lassen auch kein »Vakuum« entstehen2, wenn sie nicht militärisch intervenieren. Gleichwohl darf das prekäre Instrument der militärischen Intervention auch nicht für jeden Fall kategorisch ausgeschlossen werden: Das Versagen der Europäer in Srebrenica gebietet es, diese Diskussionen in jedem Einzelfall wieder neu, ernsthaft und ehrlich zu führen. In den Fällen aber, in denen sich Europa zur Intervention entschieden hat, wird es die damit zusammenhängende Verantwortung nicht so schnell wieder los. Sowohl diese Verantwortung als auch die Glaubwürdigkeit der EU stehen auf dem Spiel, wenn ihr als intervenierender Dritter frühzeitig der Atem ausgeht – etwas das der EU gerade auf dem Balkan nicht passieren darf. Auch dieser Aspekt der Durchhaltefähigkeit des Engagements ist ein klares Argument für weniger anstatt mehr militärische Interventionen.

Andererseits kann die EU die sicherheitspolitischen Probleme in der Nachbarschaft auch nicht ignorieren. Sie ist durchaus von diesen selbst betroffen. Daher ist es wichtig, die zivilen und militärischen Fähigkeiten der EU zu stärken, mit denen sie im Rahmen von UN und OSZE operative Beiträge zu Krisenmanagement und Konfliktbewältigung leisten kann. Vor allem aber das politische und diplomatische Gewicht gilt es, noch stärker als bisher, gemeinsam in die Waagschale zu werfen, gerade auch im Rahmen von UN und OSZE. So könnten sich die EU-Mitgliedstaaten beispielsweise darauf einigen, ihre jeweiligen nicht-ständigen Sitze im UN-Sicherheitsrat in eine Art »virtuellen ständigen Sitz für die EU« zu überführen. Der europäische auswärtige Dienst (EEAS) könnte dann ein gemeinsames ständiges Sicherheitsratssekretariat für die Mitgliedstaaten und die Union betreiben.

Unabhängig von der Art des Engagements sollten die eigenen Erwartungen den Rahmenbedingungen angepasst werden. Die aktuelle Praxis, den Handlungsdruck einerseits regelmäßig in schrillen Tönen zu beschwören, nur um dann die vermeintlich fehlende Handlungsfähigkeit händeringend zu beklagen, ist kontraproduktiv und demoralisierend. Die EU ist nun einmal kein machtvoller souveräner Staat, sondern erhält Souveränität lediglich im begrenzten Umfang von ihren Mitgliedern. Dies wird auf absehbare Zeit so bleiben. Selbst wenn die Voraussetzungen für Mehrheitsentscheidungen in diesem sensiblen Politikfeld geschaffen wären, sollte man die damit verbundenen Effekte nicht überschätzen, denn „[q]ualifizierte bzw. Mehrheitsentscheidungen zur Beschlussfassung von zivilen Missionen aber auch von militärischen Operationen würden weder das Problem der Personalrekrutierung noch die demokratiepolitischen Vorbehalte in der EU beheben.“ (Bendieck 2020, S. 9) Tatsächlich ist der Rahmen für die GSVP zwar kontinuierlich ausgeweitet worden, die demokratische Kontrolle durch das europäische Parlament blieb hingegen unterentwickelt.3

All dies bedeutet nicht, dass die militärische Integration von Krisenmanagementfähigkeiten zurückgedreht werden sollte. Wie wir in den vergangenen 30 Jahren gesehen haben, führt diese Inte­gration nicht automatisch zu einer Militarisierung des auswärtigen Handelns der EU. Die unterschiedlichen nationalen Interessen führen auf absehbare Zeit eher zu einer Zurückhaltung der EU bei robusten militärischen Einsätzen. Hinzu kommt die innenpolitische Kombination aus pazifistischen politischen Strömungen einerseits und der Scheu anderer politischer Kräfte vor den hohen Kosten und Risiken solcher Einsätze andererseits. Sie bildet in vielen Mitgliedstaaten eine demokratische Sicherung vor allzu leichtfertigen militärischen Interventionen. Die eigentliche Herausforderung scheint eher darin zu bestehen, die Urteilskraft zu entwickeln und den politischen Willen zu generieren, um in den wenigen Fällen, in denen der robuste Einsatz von Militär tatsächlich geboten sein könnte, schnelles Handeln zu ermöglichen.

Defensive EU-Verteidigung

  • These 2: Eine stärkere militärische Integration im EU-Rahmen sollte zukünftig vor allem auf die defensiven Funktionen der Landes- und Bündnisverteidigung fokussiert werden.

Die bisherige Zurückhaltung der EU hinsichtlich einer stärkeren militärischen Integration im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung erscheint unbegründet. Diese muss keineswegs automatisch in Konkurrenz zur NATO stehen; selbst dann nicht, wenn das Ziel eine europäische Armee sein sollte. Genau dies war in den 1950er Jahren in Form der EVG der Plan A für Europa, unterstützt durch die USA. Die EVG versprach einerseits Fähigkeiten zur Verteidigung Europas zu bündeln und andererseits zur Einigung des Kontinents und der dauerhaften Beilegung alter Feindschaften beizutragen. Ein derart integriertes europäisches Militär war als essentieller Bestandteil der NATO-Verteidigung gedacht.

Warum etwas wie die EVG – gegebenenfalls mit Sonderklauseln für die neutralen Staaten ebenso wie für Dänemark – heute nicht einmal mehr denkbar sein sollte, ist nicht einleuchtend. Ein Fokus auf eine militärisch integrierte EU-Territorial- und Bündnisverteidigung könnte sogar deutlich mehr Sinn ergeben als eine Vergemeinschaftung der Interventions­kapazitäten, die bisher im Zentrum neuer Initiativen steht. Bei Entscheidungen über »Out-of-Area«-Einsätze können nationale Einschätzungen und Interessen durchaus stark variieren. Im Falle einer direkten territorialen Bedrohung hingegen – und erst recht im sehr unwahrscheinlichen Fall eines militärischen Angriffs auf einen Mitgliedsstaat – ist es relativ klar, dass es einer kollektiven Antwort der EU bedarf.

Zudem liegen gerade bei den klassischen Fähigkeiten für die Landes- und Bündnisverteidigung die verteidigungsökonomischen Vorteile weiterer Integration auf der Hand. Teure und hochkomplexe Waffensysteme in einer relevanten Stückzahl einsatzbereit zu halten, stellt viele – wenn nicht alle – EU-Mitgliedstaaten vor enorme Probleme. Daher gibt es bereits eine Reihe von bilateralen Integrationsvorhaben zwischen NATO- und EU-Mitgliedern, wie z.B. zwischen Deutschland und den Niederlanden. Würden die EU-Staaten nach einem solchen Muster nicht punktuell bilateral, sondern strukturell EU-weit ansetzen, könnten sie enorme Ressourceneinsparungen erreichen.

Aber auch sicherheitspolitisch könnten mit einer defensiven militärischen Integration im EU-Rahmen wichtige Ziele verfolgt werden: Integrierte Streitkräfte zur Verteidigung könnten gerade für die Staaten, die an der Solidarität ihrer europäischen Nachbarn für den Fall einer unmittelbaren Bedrohung oder eines Angriffs zweifeln, ein starkes Signal der Rückversicherung sein. Darüber hinaus könnte eine leistungsfähigere und gleichzeitig schlankere europäische Säule der NATO ein positives Signal in Richtung Washington und Moskau senden:

  • Nach Washington, dass die Europäer ihre Verteidigung stärker selbst in die Hand nehmen und perspektivisch weniger konventionelle amerikanische Kräfte in Europa stationiert sein müssten.
  • Nach Moskau, dass sowohl der nominelle Umfang der EU-Streitkräfte als auch der konventionelle Fußabdruck der USA in Europa mittelfristig deutlich reduziert werden könnten.

Mit einer solchen Perspektive könnte auch ein Neuanlauf der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ­angestoßen werden. Dieser wiederum wäre eine wichtige Voraussetzung dafür, endlich auch den Abzug aller taktischen Nuklearwaffen aus Europa vorzubereiten.

Eine konkrete/alternative Vision

Einerseits bedarf es für eine solche Vision der defensiveren Verteidigungsintegration vermutlich der Bereitschaft zu grundsätzlichen Änderungen an den EU-Verträgen. Dies war lange ein großes Tabu, gerade für Frankreich. Präsident Macron hat aber bereits deutlich gemacht, dass er generell bereit wäre, dieses Tabu hinter sich zu lassen (vgl. Macron 2019), um grundsätzlichen Reformbedarf der EU anzugehen; trotz der Erfahrung, dass wichtige europäische Verträge bereits zweimal am »Nein« Frankreichs scheiterten (beim EVG Vertrag 1954 und beim Verfassungsvertrag 2005). Die zweite notwendige Voraussetzung wäre ein deutliches Signal aus den USA, dass eine defensive Verteidigungsintegration innerhalb der EU die NATO nicht schwächt, sondern im Gegenteil von den USA unterstützt wird. Hieran fehlte es in der Vergangenheit. Wenn nun US-Präsident Biden tatsächlich, wie Max Bergmann unlängst im Magazin »Foreign Affairs« gefordert hat, an Stelle des nationalen 2 %-Ziels für Verteidigungsausgaben eine stärkere europäische Verteidigungsintegration unterstützen würde (Bergmann 2021), könnte dies den nötigen Paradigmenwandel in der EU anstoßen.

Militärische Interventionen hingegen gehören stärker als bisher auf den Prüfstand. Eingebettet in entsprechende völkerrechtliche Prozesse und Institutionen, allen voran in der UN und der OSZE, macht es auch zukünftig Sinn, europäisches Militär für Krisenmanagement vorzuhalten und einzusetzen. Als EU-Instrument zur Machtprojektion und zur militärischen Durchsetzung von Interessen außerhalb der genannten völkerrechtlichen Rahmen bleiben militärische Einsätze hingegen höchst fragwürdig. Die Hemmschwelle hierfür ist zu Recht extrem hoch; nicht zuletzt aufgrund der ambivalenten Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte.

Die hier skizzierte Vision für eine militärisch defensivere Vision der Verteidigungsintegration der EU könnte zum Kern eines sicherheitspolitischen »New Deals« in der transatlantischen Verteidigungspolitik werden. Einem »New Deal« der – entgegen der wenig progressiven Skizze von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer4 – auch friedenspolitisch überzeugt.

Anmerkungen

1) Nach der Etablierung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem Vertrag von Maastricht (1993), u.a. in Form des »European Headline Goals« (1999), der Einrichtung des Politischen- und Sicherheitskommittees, des EU Militärausschußes und des EU Militärstabs (2000), den »EU Battle Groups« (2005) sowie dem militärischen Planungs- und Durchführungsstab (MPCC) 2017. Einen hervorragenden Überblick dazu bietet ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages (2018, S. 9f.).

2) So schrieb bspw. Judy Dempsey mit Blick auf die Frage nach einer Intervention in Syrien: „Das Vakuum, das die USA und Europa hinterlassen haben, indem sie sich nicht am Krieg beteiligt haben, zumindest formell, ist grundsätzlich von Iran und Russland gefüllt worden.“ (Dempsey 2018)

3) Siehe bspw. Fisahn und Ocak (2010, S. 17). Tatsächlich gibt es bspw. schon länger die Idee der Einrichtung eines eigenständigen Verteidigungsausschusses im europäischen Parlament, die z.B. von Kiesewetter und Nietan (2015) aufgegriffen wurde.

4) In einer Rede an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg am 17. November 2020 beschrieb die Verteidigungsministerin drei Eckpunkte für einen solchen »New Deal« aus Ihrer Perspektive: 1.) Ausbau der Verteidigungshaushalte auch in Corona-Zeiten, 2.) ein deutsches Bekenntnis zur nuklearen Teilhabe, 3.) Zusammenarbeit beim Thema China, wo es mit deutschen Interessen zusammenpasst (vgl. Kramp-Karrenbauer 2020, S. 10).

Literatur

Bendieck, A. (2020): Stellungnahme. Anhörung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages zur Mitteilung der Kommission »Mehr Gewicht auf der internationalen Bühne: eine effizientere Beschlussfassung für die GASP«, Ausschussdrucksache 19(21)122, 23.11.2020.

Bergmann, M. (2021): The EU is the military ally the US needs. Foreigen Affairs, 06.01.2021.

Dembinski, M.; Peters, D. (2018): Eine Armee für die Europäische Union? Europapolitische Konzeptionen und verteidigungspolitischen Strukturen. PRIF Report 1/2018, Frankfurt am Main.

Dempsey, J. (2018): Germany’s No-Go Foreign Policy. Carnegie Europe, 17.04.2018.

Fisahn, A.; Ocak, O. (2010): Mit dem Lissaboner Vertrag wurde die EU zur militärischen Macht. In: Becker, P; Braun, R.; Deiseroth, D. (Hrsg): Frieden durch Recht?, Berlin: BWV, S. 122-135. Seitenzahlen im Text gemäß Online-PDF Dokument.

Kiesewetter, R.; Nietan, D. (2015): Verteidigung europäisch gestalten. Deutschland ist der Schlüssel bei der Stärkung kollektiver Sicherheit in Europa. Positionspapier, Europa-Union, 09.03.2015.

Kramp-Karrenbauer, A.(2020): Zweite Grundsatzrede der Verteidigungsministerin. Rede an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr, Hamburg, 17. November 2020. Zitiert gemäß dem veröffentlichten Rede-Manuskript, BMVg.

Macron, E. (2019): Für einen Neubeginn in Europa, Gastbeitrag vom 4. März 2019. Erschienen in 28 europäischen Tageszeitungen.

Mahbubani, K. (2018): Has the West lost it? A provocation. London: Penguin Books.

Schwabe, K. (2016): Jean Monnet. Frankreich, die Deutschen und die Einigung Europas. Baden-Baden: Nomos.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2018): Sachstand. Die europäische Armee 1948–2018. Konzepte und Ideen zur Vertiefung der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zur Erhöhung des Grades der Streitkräfteintegration. WD 2-3000-126/18, 18.10.2018.

Marius Müller-Hennig ist Referent für Europäische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Zuvor war er als Projektleiter der FES in Bosnien- und Herzegowina tätig.

Zivile Potentiale der EU ausbauen

Zivile Potentiale der EU ausbauen

Krisenprävention und Friedensförderung stärken

von Martina Fischer

Der Bedeutungszuwachs der militärischen Dimension in der industrie- und außenpolitischen Orientierung der EU wurde von friedens- und entwicklungspolitisch engagierten NGOs mit Recht kritisiert. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, dass die EU insgesamt deutlich mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit und zivile Ansätze der Außenpolitik als für Militärkooperation ausgibt. Einigen friedensfördernden Instrumenten der EU wurde in den vergangenen Jahren durch Evaluierungen erfolgreiche Arbeit bescheinigt. Diese stehen im Fokus des Beitrags.

Mit der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich« (PESCO), dem EU-Verteidigungsfonds und der sogenannten »Friedensfazilität«, die neben afrikanischen Friedensmissionen auch Militärhilfe für Armeen in Drittstaaten finanzieren soll, hat die militärische Dimension in der EU eine neue Dynamik bekommen. Diese verlangt ein sorgfältiges Monitoring. Gleichzeitig sollte die gesamte Ausgabenpolitik intensiv beobachtet werden, um sicherzustellen, dass die in der Krisenprävention, Friedensförderung und Menschenrechtspolitik bewährten Instrumente erhalten bleiben und weiter entwickelt werden können.

Für die kommenden sieben Jahre sind 98 Mrd. € für Nachbarschafts- und Entwicklungspolitik, humanitäre Hilfe, Menschenrechte, internationale Kooperation sowie Stabilität im EU-Finanzrahmen vorgesehen.

Bisherige EU-Förderung für Frieden, Stabilität, Demokratie und Menschenrechte

Eine Reihe von Instrumenten der EU kommen in der Früherkennung und Vorbeugung von Gewaltkonflikten zum Einsatz, darunter die »Abteilung für Konfliktprävention, Friedensförderung und Mediation« (PRISM) im Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) und die »Fragility and Crisis Management Unit« in der Generaldirektion für Entwicklungspolitik (DG DEVCO). Darüber hinaus gibt es finanzielle Fördertöpfe, die sich auf Stabilisierung in der Nachbarschaft der EU und auf Entwicklung im globalen Süden richten. Besondere friedenspolitische Verdienste kommen dem »Instrument für Stabilität und Frieden« (IcSP) und dem »Instrument für Demokratie und Menschenrechte« (EIDHR) zu, die beide im Finanzplan 2021-2027 in einem neuen »Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und Internationale Kooperation« (NDICI) mit den Budgetlinien für Entwicklung und Nachbarschaft verschmolzen werden.

Das »Instrument für Stabilität und Frieden« wurde durch die Verordnung 230/2014 des Europäischen Parlaments (EP) und des Rats der EU für die Unterstützung von Maßnahmen der Krisenprävention, zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung geschaffen (vgl. Aufgaben in Tab.1).

Das IcSP war im Finanzrahmen 2014-2020 mit 2,3 Mrd. € ausgestattet. So konnten in diesem Zeitraum 276 Projekte in mehr als 70 Ländern gefördert werden (vgl. European Commission 2019). Viele davon kamen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen zugute. Darunter waren auch längerfristige Dialog- und Mediationsaktivitäten (z.B. in Georgien, Jemen und Mali). Doch 2017 wurde das IcSP auf Betreiben der EU-Kommission und einiger Mitgliedstaaten (u.a. Deutschland) für militärische Aufgaben – die Ausbildung und Ausstattung von Armeen in Drittstaaten – geöffnet, was von entwicklungspolitischen NGOs und kirchlichen Hilfswerken nachdrücklich kritisiert wurde (vgl. Fischer 2019).

Das »Instrument für Demokratie und Menschenrechte« (EIDHR) wurde explizit zur Demokratieförderung und zum Schutz von Menschenrechten jenseits der EU-Grenzen etabliert, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Förderung der Zivilgesellschaft (vgl. Aufgaben in Tab.1). Im Zeitraum 2014-2020 war es mit 1,3 Mrd. € ausgestattet. Die EU-Institutionen kooperierten direkt mit NGOs und Menschenrechtsaktivist*innen im globalen Süden, ohne Einbeziehung staatlicher Stellen. So war es möglich, auch sensible Themen (z.B. Todesstrafe, Folter, Einschränkung von Freiheitsrechten und Diskriminierung verletzlicher Gruppen) zu adressieren. Das Instrument kam in Entwicklungs-, Schwellen- und Industrie­ländern gleichermaßen zum Einsatz und finanzierte Aktivitäten in einzelnen Ländern, auf regionaler und internationaler Ebene. Das Spektrum der geförderten Projekte reichte von der Unterstützung gefährdeter Menschenrechtsaktivist*innen, über Wahlbeobachtungsmissionen bis hin zum Ausbau von regionalen Instrumenten des Menschenrechtsschutzes.

Das »Instrument für Sicherheit und Frieden« (Aufgaben) Das »Instrument für Demokratie und Menschenrechte« (Aufgaben)
Maßnahmen für Krisenprävention, Frühwarnung, Friedensförderung, Mediation, Krisenmanagement, Wiederaufbau, Dialog- und Versöhnungsaktivitäten, Justiz und Rechtsstaatlichkeit, den Aufbau von Interim-Verwaltungen und demokratischen Institutionen; Fördermittel für lokale zivilgesellschaftliche Akteure und Menschenrechtsverteidiger*innen, die von den EU-Delegationen in den jeweiligen Ländern vergeben wurden;
Unterstützung von Frauen und Kindern in Konflikten, Maßnahmen gegen gender-basierte Gewalt, Rehabilitierung der Opfer, Unterstützung von Zivilgesellschaft und deren Partizipation im politischen Prozess; Unterstützung von Menschenrechtsaktivist*innen über jährliche, weltweite »calls for proposals«, finanziert von der DG DEVCO in Brüssel;
Förderung von »good governance« und Akzeptanz des Völkerrechts, Beratung bei Gesetzgebung und Justizmaßnahmen gegen Terrorismus, Unterstützung für internationale Tribunale, Wahrheits- und Versöhnungskommissionen; Ein Notfallfonds für unter Druck geratene Menschenrechtsaktivist*­innen, um über kleine Fördersummen rasch und unbürokratisch zu helfen;
Initiativen gegen Raubbau an natürlichen Ressourcen und deren Nutzung für die Finanzierung von Gewaltkonflikten, Förderung von Rüstungskonversion und ziviler Forschung, effektive Kontrolle der Ausfuhr von Waffen und »dual-use« Gütern in Drittstaaten, und Maßnahmen gegen unerlaubten Waffenbesitz; Vertrauliche Zahlungen im Rahmen der »Human Rights Crisis ­Facility« an NGOs und Aktivist*innen in Krisensituationen;
Demobilisierung und gesellschaftliche Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer*innen, Maßnahmen gegen gewaltbereiten Extremismus, orga­nisiertes Verbrechen und Korruption, und Stärkung von zivilen Elementen in Stabilisierungsmissionen; Gezielte Förderung von Projekten über sogenannte »Annual Action Programmes«.
Stärkung ziviler Kontrolle und Reform von Sicherheitsapparaten, Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen von Landminen und für zivilen Katastrophenschutz

Tabelle 1: Aufgabenbereiche des IcSP und EIDHR

Insbesondere der »Notfallfonds für Menschenrechtsverteidiger*innen« im Rahmen des EIDHR erwies sich für viele Aktivist*innen als hilfreich. Allein im Zeitraum 2010-2017 reagierte die EU auf rund 330 Anfragen und zahlte 3 Mio. € an 500 Personen und Organisationen in mehr als 50 Ländern aus. Die Mittel wurden u.a. für Prozesse und Rechtsbeistand verwandt sowie für medizinische Versorgung und die Rehabilitierung von Menschen, die Folter oder menschenverachtende Behandlung erfahren hatten. Auch Sicherheitsmaßnahmen für lokale NGOs sowie die Unterbringung von Aktivist*innen an sicheren Orten und die Versorgung der Familien von Gefangenen wurden daraus finanziert.

Daneben wurden auch mittel- und langfristige Unterstützungsmaßnahmen für Einzelpersonen und Organisationen gefördert. So wurden beispielsweise Menschenrechtsaktivist*innen in Guatemala bei der Wahlbeobachtung, marginalisierte Gruppen in Myanmar, Umweltaktivist*innen in diversen asiatischen Ländern sowie Menschenrechtsanwält*innen in Ostafrika unterstützt. Zusätzlich wurde aus Mitteln des EIDHR zum einen ein »Human Rights Defenders Mechanism« (protectdefenders.eu) eingerichtet, der von einem internationalen NGO-Konsortium getragen wird, und zum anderen die »Human Rights Crises Facility«, die besonders gefährdeten Akteuren, die nicht auf offiziellem Wege Mittel beantragen können, absolute Vertraulichkeit zusicherte. Insgesamt hat sich das EU-Instrument für Demokratie und Menschenrechte für viele NGOs im globalen Süden als wichtiges Instrument erwiesen, weil es ihren Handlungsspielraum in Zeiten zunehmender Bedrohung und »shrinking spaces« erweitert. Jedoch wurde die mangelnde Kohärenz der EU-Politik moniert, da aus anderen Finanztöpfen zugleich Programme für die militärische »Ertüchtigung« von Armeen (Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe) in Partnerländern unterstützt werden, ohne dass nach deren Menschenrechtspraxis und Friedensverträglichkeit oder der demokratischen Kontrolle der Streitkräfte gefragt wird.

Ein problematischer Umbau steht an

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur regelmäßig entwicklungspolitische Mittel bereitgestellt, sondern durch die oben beschriebenen Instrumente und Maßnahmen auch Krisenprävention und Konfliktbearbeitung, Demokratieförderung sowie den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen ermöglicht. So wurde die EU für viele Menschen, die sich im globalen Süden für Frieden, Menschenrechte und Entwicklung engagieren, zu einem wichtigen Referenzrahmen. Sehr bedauerlich ist, dass die EU-Kommission diese bewährten Instrumente nun als eigenständige Förderbereiche auflösen und deren Aufgaben in ein neues Außeninstrument, das »Neighbourhood, Development and International Cooperation Instrument« (NDICI) überführen will. Mit der Annahme des neuen Finanzrahmens im Dezember 2020 durch die Mitgliedstaaten und das EP wurde die neue Finanzarchitektur in ihren Eckdaten auch bestätigt. Das NDICI wird demnach in den kommenden sieben Jahren mit 70,8 Mrd. € ausgestattet. Es soll einen starken Fokus auf Migration(sabwehr) erhalten und auch Ausrüstung und Ausbildung von Partnerarmeen finanzieren. Die Mittel und der Aufgabenkatalog des IcSP hingegen sollen nach dem Wunsch der Kommission um mehr als die Hälfte gekürzt und das NDICI und die Ausgaben insgesamt flexibilisiert werden. So wird der »Versicherheitlichung« von Entwicklungsfinanzierung Tür und Tor geöffnet (vgl. Fischer 2019). Die genaue Ausgestaltung des neuen NDICI befindet sich allerdings noch in der Abstimmung zwischen den EU-Institutionen; in dem vom EP gebilligten Verordnungsentwurf wurde der Aufgabenkatalog des NDICI zuletzt vollständig übernommen.

Ausbau der Kapazitäten für Mediation und präventive Diplomatie

Über diese Instrumente hinaus entwickelte die EU in den vergangenen Jahren eine Reihe von Aktivitäten im Bereich der präventiven Diplomatie. In Folge des »Concept on Strengthening EU-Mediation and Dialogue Capabilities«, 2009 verabschiedet von den Mitgliedstaaten, wurde vom EEAS zum einen ein »Mediation Support Team« aufgebaut. Dieses bietet Trainings für Diplomat*innen, EU-Sonderbeauftragte, Delegationsleiter*innen und Missionspersonal an, stellt Faktenwissen für EU-Einsätze zur Verfügung und führt auch eigene Mediationsaktivitäten durch – in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten, den Vereinten Nationen und ihren Regionalorganisationen (vor allem mit der »Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa«, OSZE), und mit NGOs. Zudem widmet sich auch das »European Institute for Peace«, das von einigen EU-Mitgliedstaaten 2015 jenseits der EU-Institutionen in Brüssel etabliert wurde, der Weiterentwicklung von Mediationskapazitäten.

Die Mediationsaktivitäten der EU erstrecken sich auf eine große Bandbreite von Konfliktregionen (u.a. den Nahen und Mittleren Osten, Nordafrika, Südkaukasus, Zentralasien, Westbalkan, südliches Afrika, Zentralamerika) und Themen (Dialogarbeit, Versöhnung, Verfassungsverhandlungen, u.a.).1 In Mali wurde z.B. der Dialog und Versöhnungsprozess mit Workshops unterstützt. Im Libanon wurde das Carter Center bei der Ausarbeitung von verfassungsrechtlichen Fragen mit Blick auf Syrien beraten; im Südsudan wurden Dialoge mit Frauenorganisationen gefördert; in der Zentralafrikanischen Republik ein Waffenstillstandsabkommen vorbereitet; in der Ukraine Initiativen für einen nationalen Dialog begleitet.

Das EU-Parlament sieht in diesem Feld offenbar wichtige Potenziale. Im März 2019 verabschiedete es mit der Resolution 2018/2159 Anregungen für den
„Ausbau der Kapazitäten der EU im Bereich der Prävention und Mediation“. Die Resolution fordert, dass die EU Prävention und Mediation in den Mittelpunkt ihrer diplomatischen Aktivität rücken und »menschliche Sicherheit«, Konfliktsensibilität und »gender-sensi­tive« Ansätze zum handlungsleitenden Paradigma machen solle. Zudem schlagen die Abgeordneten vor, das Amt einer*eines Sonderbeauftragten für Friedenspolitik, der*die für Kohärenz und bessere Abstimmung zwischen den EU-Institutionen und der Zivilgesellschaft sorgen könne, und einen verlässlichen Mediator*innen-Pool für den Einsatz in Krisensituationen zu schaffen. Auch der EEAS hat kürzlich mit dem »Concept on EU Peace Mediation« (2020) ein neues Konzept vorgelegt und mehr Geld für den Ausbau der Mediationskapazitäten und institutionelle Veränderungen gefordert. All diese Vorschläge sind friedenspolitisch wegweisend, haben aber bislang keinen bindenden Charakter. Anlass zur Hoffnung bietet vielleicht eine Ratsentschließung vom Dezember 2020 über Schlussfolgerungen zur EU-Friedensmediation. Welche wertvollen Beiträge die EU für die globale Friedenspolitik leisten könnte, wenn sie noch systematischer in dieses Feld investieren würde, sollte eigentlich schon seit Jahren u.a. durch mindestens zwei Studien bekannt sein (vgl. Göldner-Ebenthal und Dudouet 2017; Tamminen 2012).

Evaluierung des Beitrags der EU zu Krisenprävention und Friedensförderung

Allerdings braucht eine überzeugende EU-Friedenspolitik neben dem politischen Willen zum Ausbau krisenpräventiver Instrumente und Finanzierungsansätze noch etwas Anderes: Kohärenz. Eine Evaluation, die im Auftrag der EU-Kommission vom »European Center for Development Policy Management« (ECDPM) und weiteren Thinktanks durchgeführt wurde, bescheinigt der EU begrenzte Fortschritte, zeigt aber auch Defizite und Schwächen auf, die das Zusammenspiel der Instrumente und die Kohärenz der Politikansätze insgesamt betreffen (vgl. European Commission et al. 2020).2 Im »mainstreaming« von Krisenprävention und Friedensförderung seien auf der übergeordneten Ebene Fortschritte erkennbar, aber noch nicht auf der regionalen und länderbezogenen Ebene. Im praktischen Engagement würden die strategischen Festlegungen selten explizit aufgegriffen, es mangele an Übersetzungsarbeit seitens des mittleren Managements. Die Abstimmung von EU-Institutionen habe sich zwar verbessert, aber viele Entscheidungen würden noch immer »ad-hoc« und nicht strategisch begründet getroffen. Auch bei den Themen »Menschenrechte« und »Gender-Sensibilität« gebe es »Raum für Optimierung«. Als größtes Manko beschreibt die Studie die »begrenzte Verfügbarkeit« an Personal, das für Prävention und Friedenspolitik qualifiziert ist. Erhebliche Defizite werden auch im Bereich der Evaluierung und des institutionellen Lernens ausgemacht. Ein Mangel an Kohärenz wird der EU-Politik auch durch eine umfangreiche Studie der Bertels­mann-Stiftung (2020) bescheinigt, die nicht nur die EU-Außen- und Sicherheitspolitik in den Blick nimmt, sondern diese auch mit der Politik der einzelnen Mitgliedstaaten abgleicht.

Fazit und Ausblick

In diesem Beitrag wurde das enorme Potenzial der EU im Bereich der Krisenprävention und Friedensförderung verdeutlicht. Würde dieses substanziell gestärkt, könnte die EU eine wichtige Rolle als Vermittlerin und Unterstützerin von Friedensallianzen auf globaler Ebene einnehmen und die Vereinten Nationen wirkungsvoll ergänzen. Anstatt ihren Fokus zunehmend auf die Unterstützung von Militärbündnissen (z.B. Übernahme von Infrastrukturkosten für die NATO) und die Doppelung von Verteidigungsstrukturen zu richten (PESCO), sollte sich die EU auf ihre Stärken als Brückenbildnerin besinnen und diese in den Dienst von Systemen kollektiver Sicherheit (der Vereinten Nationen und ihrer Regionalorganisationen, z.B. der OSZE) stellen.

Für NGOs und EU-Parlamentarier*innen wird eine wichtige Aufgabe fortan darin bestehen, darauf zu drängen, (a) dass das 0,7 % Ziel in der Entwicklungsfinanzierung konsequent erfüllt wird, (b) dass Mittel der Entwicklungszusammenarbeit wirklich für die Bekämpfung von Hunger und Armut verwandt werden und zivile Mittelansätze (des NDICI) nicht für sicherheits- und migrationspolitische Zwecke umgewidmet werden, und (c) dass die breit gefächerten Aufgabenkataloge des bisherigen »Instruments für Stabilität und Frieden« und des »Instruments für Demokratie und Menschenrechte« im neuen EU-Finanzrahmen in vollem Umfang erhalten bleiben. Zivilgesellschaftliche Netzwerke und friedensaktive EU-Parlamentarier*innen müssen deren Ausgabepraxis sorgfältig beobachten und durch Lobbyarbeit darauf hinwirken, dass die krisenpräventiven und friedens­politischen Ansätze in der komplexen und »flexiblen« neuen Finanzarchitektur erhalten und weiterentwickelt werden (vgl. Fischer 2020).

Eine weitere Herausforderung liegt darin, die zivilen Friedensmissionen der EU mit mehr Geld und mit geschultem Personal auszustatten. 2018 haben sich die Mitgliedstaaten der EU in einer Ratsentschließung zur Stärkung der zivilen Dimension der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verpflichtet (»Civilian CSDP Compact«, vgl. Rat der EU 2018). Die Umsetzung erfolgt bisher jedoch sehr schleppend. Weiterhin fehlt es an einem verlässlichen Expert*innenpool für zivile Missionen. Gut ausgebildete Menschen, die sich in der Wahlbeobachtung, Überwachung von Friedensvereinbarungen und im Aufbau von Polizei, Justiz und demokratischen Institutionen in Nachkriegsregionen engagieren, werden dringend benötigt. Die deutsche Bundesregierung hatte angekündigt, den Ausbau der zivilen Säule der GSVP zu einem Schwerpunkt ihrer EU-Ratspräsidentschaft 2020 zu machen. Dafür hat sie im September 2020 ein »Europäisches Kompetenzzentrum für ziviles Krisenmanagement« eröffnet, das die EU bei der Bearbeitung von Konflikten in angrenzenden Regionen unterstützen soll. Weitere Impulse blieben jedoch aus, zumal die Präsidentschaft weitgehend von der Bewältigung der Corona-Folgen, dem Brexit und der Verabschiedung des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 vereinnahmt wurde. Immerhin haben die EU-Mitgliedstaaten die Absicht, die zivile GSVP zu stärken, im Dezember 2020 nochmals in einer Ratsentschließung (Rat der EU 2020b) bekräftigt. Daran sollte man sie fortlaufend erinnern.

Mit den vorhandenen Instrumenten verfügt die Union über ein ausbaufähiges Potenzial, um auf internationaler Ebene als Vermittlerin und Friedensfördererin tätig zu werden. Um einen wirksamen Beitrag für Krisenprävention und Friedensförderung zu leisten, müssten die EU und ihre Mitgliedstaaten jedoch ihre Außenpolitik konsequent auf die Bewältigung der Ursachen von Gewaltkonflikten statt auf die Bekämpfung von Symptomen ausrichten und auch eigene Anteile am Unfrieden reflektieren. Das erfordert neben konfliktsensibler Entwicklungszusammenarbeit auch eine faire Agrar-, Handels-, Umwelt- und Klimapolitik gegenüber angrenzenden Regionen, insbesondere den afrikanischen Ländern. Mit der Fixierung auf militärische Missionen und Rüstungstransfer wird man Staatszerfall und zunehmenden Gewaltpotenzialen z.B. in der Sahelregion kaum entgegenwirken können. Erst wenn die EU und ihre Mitgliedstaaten die Außenwirtschaftspolitik an den restriktiven Bestimmungen zu Rüstungsexporten (Gemeinsamer Standpunkt von 2008, vgl. Rat der EU 2008) orientieren, können sie auch Glaubwürdigkeit beanspruchen.

Anmerkungen

1) Diverse Evaluierungen dazu finden sich unter http://eeas.europa.eu/cfsp/conflict_prevention/index_en.htm

2) Die Studie untersuchte Aktivitäten und Kooperationen im Zeitraum 2011-2018, die sich explizit auf Prävention und Friedensförderung richteten. Knapp die Hälfte wurden aus dem »European Development Fund« (EDF) finanziert, ein Fünftel von DCI, 18 % aus dem IcSP, 13 % aus dem »Neighbourhood Instrument« und ein kleinerer Teil (0,1 %) aus dem EIDHR.

Literatur

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2020): Europe’s Coherence Gap in External Crisis and Conflict Management. Political Rhetoric and Institutional Practices in the EU and its Member States. Gütersloh: Bertelsmann.

European Commission et al. (2020): External Evaluation of EU’s Support to Conflict Prevention and Peacebuilding (CPPB) 2013-2018, Vol 1. Brüssel: Verlag Bertelsmann Stiftung.

European Commission (2019):Programmes‘ performance overview. Extract from Programme Statements of operational expenditure. COM(2019) 400. Brüssel, Juni 2019.

European External Action Service (EEAS) (2020): Concept on EU Mediation. 1336/20, Brüssel, 2.12.2020.

Fischer, M. (2020): EU-Parlament billigt neuen Finanzrahmen, Blogbeitrag, Brot für die Welt, 17.12.2020.

Fischer, M. (2019): EU-Politik: Nachbarschaft, Entwicklung und Globales, Blogbeitrag, Brot für die Welt, 28.3.2019.

Rat der EU (2020): Schlussfolgerungen des Rates zur Friedensvermittlung durch die EU, 13440/20. Brüssel, 7.12.2020.

Rat der EU (2020b): Schlussfolgerungen des Rates zum Pakt für die zivile GSVP, 13571/20. Brüssel, 07.12.2020.

Rat der EU (2018): Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur Schaffung eines Pakts für die zivile GSVP , 14305/18. Brüssel, 19.11.2018.

Rat der EU (2008): Council common position, 2008/944/CFSP of 8 December 2008 defining common rules governing control of exports of military technology and equipment. Official Journal of the European Union, L335/99, 13.12.2008.

Dr. Martina Fischer ist Politikwissenschaftlerin und war knapp 20 Jahre bei der Berghof Foundation in Berlin tätig. Seit 2016 arbeitet sie bei »Brot für die Welt« als Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung.

EU-Militärhaushalte


EU-Militärhaushalte

Schritte über den Rubikon

von Özlem Alev Demirel und Jürgen Wagner

Aufgrund anhaltender Konflikte verzögerte sich die Verabschiedung des EU-Haushalts für 2021-2027 bis Mitte Dezember 2020. Nahezu unumstritten war allerdings die mit ihm einhergehende Einrichtung diverser Militärhaushalte, die für einen weiteren grundlegenden Schritt der Militarisierung der Europäischen Union stehen. Erhebliche rechtliche Bedenken wurden dabei ebenso ignoriert wie grundsätzliche Bedenken, dass es sich hierbei um den endgültigen Abschied von der einstmals viel gepriesenen »Zivilmacht Europa« handelt.

Lange Zeit war es vollkommen undenkbar, dass die Europäische Union über einen, geschweige denn gleich mehrere Militärhaushalte verfügen könnte. Allein schon aufgrund der lange vorherrschenden Auslegung der EU-Verträge wurde dies schlichtweg für illegal gehalten. In den letzten Jahren hat aber eine neue Interpretation an Boden gewonnen, die sich schließlich auch im ersten Haushaltsvorschlag der Kommission für das EU-Budget 2021-2027 niederschlug. Ausgelobt wurden darin eigene Budgetlinien für »Militärische Mobilität«, für einen »Europäischen Verteidigungsfonds« (EVF) sowie für militärisch relevante Weltraumprogramme. Hinzukommen wird wohl auch noch eine »Europäische Friedensfazilität«, die zwar – aus rechtlichen Erwägungen – kein offizieller Teil des Haushalts, aber ein integraler Bestandteil der EU-Mili­tärpolitik sein soll. Trotz anhaltend schwerer rechtlicher Bedenken war seit diesem Vorschlag nur noch die genaue Höhe der einzelnen Posten umstritten, nicht mehr aber die Grundsatzentscheidung selbst, mit der sich die EU ein weiteres wesentliches Merkmal einer Militärmacht zulegt.

Eigentlich illegal!

Rechtlich fragwürdig ist die Einrichtung von EU-Militärbudgets vor allem aufgrund von Artikel 41 Absatz 2 des EU-Vertrags von Lissabon (EUV), in dem es heißt: „Die operativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels [Allgemeine Bestimmungen über das Auswärtige Handeln der Union] gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen und von Fällen, in denen der Rat einstimmig etwas anderes beschließt.“

Lange wurde dieser Passus, nicht zuletzt auf Drängen Großbritanniens, derart interpretiert, dass keinerlei militärrelevante Ausgaben aus dem EU-Haushalt bestritten werden dürften – eine Auffassung, der sich 2015 auch noch die EU-Kommission anschloss (EU Kommission 2015, S. 7). Als sich die gesamte EU-Machtarchitektur im Anschluss an das britische Austrittsreferendum im Juni 2016 allerdings grundlegend veränderte, begann sich auch rasch eine neue Auslegung durchzusetzen.

Seither wird von Befürworter*innen dieser Haushaltstöpfe zweigleisig argumentiert: So wird einmal postuliert, der Begriff »operative Ausgaben« bezöge sich auf »Operationen«, weshalb das Finanzie­rungsverbot ausschließlich militärische Einsätze betreffe. In Ergänzung zu diesem doch extrem bemühten Rechtfertigungsversuch hat sich die Kommission dann aber noch ein weiteres Konstrukt einfallen lassen. Die einzelnen Töpfe wurden nämlich offiziell nicht auf die Kompetenzgrundlage der »Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik« gestellt, auf die allein sich das Verbot aus Artikel 41(2) EUV bezieht. Stattdessen wird beispielsweise als Kompetenzgrundlage des Europäischen Verteidigungsfonds Artikel 173 (Wettbewerbspolitik) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) respektive Artikel 179 AEUV (Forschungspolitik) angegeben. Dadurch würden weder die Gelder für die Erforschung noch die für die Entwicklung von Rüstungsgütern unter das Verbot aus Artikel 41(2) EUV fallen, so die Argumentation (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages 2018).

Dem widerspricht, dass es der Kommission nach geltender Rechtsauffassung nicht erlaubt ist, die Kompetenzgrundlage bestimmter Maßnahmen frei nach Gusto zu wählen. Ein entsprechendes Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) aus dem Jahr 2016 besagt: „Ergibt die Prüfung eines Unionsrechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert“ (EuGH 2016).

Aufgrund der dubiosen Rechtsauslegung der Kommission beauftragte die Linksfraktion GUE/NGL im EU-Parlament den Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem Rechtsgutachten zum Europäischen Verteidigungsfonds, das am 30. November 2018 veröffentlicht wurde. Nach einer ausführlichen Prüfung gelangte Fischer-Lescano darin zu dem Ergebnis, der EVF-Verordnungsvorschlag (EVF-VO) der Kommission enthalte „keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds“ (Fischer-Lescano 2018, S. 1). Es sei eindeutig, dass hier militärische Belange im Vordergrund stünden, die wiederum dem Finanzierungsverbot aus Artikel 41(2) EUV unterlägen: „Kurzum: Es gibt im Inhalt und der Begründung der EVF-VO deutliche Indizien, dass die in der VO geregelte Industrie- und Forschungsförderung nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck der Verteidigungsförderung darstellt und dass der Hauptzweck der EVF-VO darin liegt, die strategische Autonomie der EU im Bereich der Verteidigung zu gewährleisten“ (Ebd., S. 10).1 Zwar kann gegen die EU-Militärhaushalte erst nach deren endgültiger Verabschiedung juristisch vorgegangen werden, die rechtlichen Bedenken sind aber in jedem Fall gravierend.

Mobilität – Rüstung – Weltraum

Dennoch schlug die EU-Kommission im Mai 2018 für den nächsten EU-Haushalt 2021-2027 vor, 11,5 Mrd. € für den EVF einzustellen (EU Kommission 2018).2 Sinn und Zweck des EVF besteht demnach darin, die Erforschung und Entwicklung europaweiter Rüstungsprojekte zu finanzieren. Hierüber sollen Konzentrationsprozesse forciert und die Herausbildung eines europäischen Rüstungskomplexes vorangetrieben werden. Ferner waren 5,8 Mrd. € für die »Militärische Mobilität« enthalten, mit der die Infrastruktur für schnelle Truppen- und Gütertransporte Richtung Russland »ertüchtigt« werden soll – vor allem in Osteuropa. Drittens wurden 14,2 Mrd. € für Europäische Raumfahrtprogramme eingestellt, primär für »Copernicus« und »Galileo«, die von großer militärischer Bedeutung sind.

Verwaltet werden sollen diese Fonds nach Verabschiedung von der »General­direktion Verteidigungsindustrie und Weltraum« (DG Defence), die im Dezember 2019 neu gegründet wurde, um die militärisch relevanten Bereiche zu bündeln. Dass hier auch die extrem kostspieligen Weltraumprogramme mit verortet wurden, macht aus Sicht der Kommission Sinn. Industriekommissar Thierry Breton, Chef der DG Defence, wurde dazu im Februar 2020 mit den Worten zitiert: „Ich halte es für unerlässlich, dass sich der Raumfahrtsektor der EU an die neuen geopolitischen, strategischen, industriellen und technologischen Gegebenheiten anpasst. […] Auf europäischer Ebene war es lange Zeit ein Tabu, aber ich glaube, es ist an der Zeit, es zu brechen. […] Ja, Galileo hat eine Verteidigungsdimension. Ja, Copernicus kann Sicherheitsaufgaben dienen. Und ja, dieser Trend muss in Zukunft noch verstärkt werden“ (Pugnet 2020).

Friedensfazilität für EU-Kriege

Weiterhin unumstritten scheint zu sein, dass eine Finanzierung von EU-Militär­einsätzen nicht aus dem EU-Haushalt bestritten werden darf. Selbiges gilt für die Querfinanzierung von Interventionen Dritter, insbesondere der Afrikanischen Union, und auch der Ausbildung und Aufrüstung »befreundeter« Akteur*innen sind weiterhin Grenzen gesetzt. Doch auch hier wurde mit der »Europäischen Friedensfazilität« (EFF) eine kreative »Lösung« gefunden. Sie wurde im Juni 2018 nahezu parallel zum ersten Haushaltsentwurf der EU-Kommission mit einem Umfang von 9,2 Mrd. € vorgeschlagen. Die EFF ist explizit außerhalb des EU-Haushalts angesiedelt, um nicht in Konflikt mit Artikel 41(2) EUV zu geraten, und wird stattdessen nach einem festen Schlüssel mit Geldern der Einzelstaaten befüllt (Deutschland trägt ca. 25 % des EFF-Haushaltes bei).

Für EU-Militäreinsätze gab es bislang bereits ein ähnliches Finanzierungsmodell namens »ATHENA-Mechanismus«, über das es aber nur möglich war, zwischen 5 % und 15 % der Kosten von EU-Militäroperationen zu finanzieren. Den Rest mussten die beteiligten Staaten für ihren Anteil am Einsatz aus eigener Tasche bezahlen, was – nachvollziehbarerweise – für die Motivation diverser Länder, sich militärisch zu engagieren, nicht eben förderlich war. Aus dem EFF-Entwurf von EU-Außenbeauftragter und EU-Kommission wird nun ersichtlich, dass deshalb ein »Anreizsystem« zur Beteiligung an Militäreinsätzen geschaffen werden soll, indem der Anteil der gemeinsam zu finanzierenden Einsatzkosten auf 35 % bis 40 % angehoben werden soll (EEAS 2018, S. 2).

Über die Rolle des EFF bei der Finanzierung Dritter schreiben Kommission und Außenbeauftragte: „Überdies wird die Fazilität den militärischen Operationen der EU ermöglichen, im Rahmen ihres Mandats integrierte Paketlösungen, die Sicherheit, Ausbildung, Bereitstellung von Ausrüstung und direkte militärische Unterstützung bündeln, anzubieten und so im Einsatzgebiet voll und umfassend tätig zu werden. […] Mit der neuen Europäischen Friedensfazilität wird die Union in der Lage sein, weltweit direkt zur Finanzierung von Friedenseinsätzen, die von Drittstaaten geleitet werden, sowie zu internationalen Organisationen beizutragen, ohne dass dies auf Afrika oder die Afrikanische Union beschränkt wäre“ (Ebd.).

Vor allem gegen die Lieferung von Militärgerät – insbesondere letalem – regt sich aber Widerstand. Am 18. November 2020 warnten 40 zivilgesellschaftliche Gruppen in einer Stellungnahme: „Sollte sie in ihrer gegenwärtigen Form beschlossen werden, […] würde die EFF unter EU-Label Initiativen zum Training und zur Ausrüstung ausländischer Militär- und Sicherheitskräfte finanzieren, einschließlich der Möglichkeit, ihnen tödliche Waffen zu liefern. […] Hinweise aus jüngster Vergangenheit deuten darauf hin, dass die Maßnahmen zur Militär- und Sicherheitsunterstützung, die durch die EFF finanziert werden sollen, aller Wahrscheinlichkeit nach zur Eskalation von Konflikten, insbesondere in anfälligen konfliktbetroffenen Umgebungen, beitragen würden. […] Dies würde genau die Dynamiken befeuern, die der EFF eigentlich zu durchbrechen versucht.“ (Joint Civil Society Statement 2020).

Nach dem ersten Aufschlag der EU-Kommission setzten zähe Verhandlungen sowohl um die einzelnen Rüstungstöpfe als auch den gesamten EU-Haushalt ein. In der Folge mussten einzelne Posten teils deutliche Kürzungen hinnehmen. Zuletzt erzielten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen am 21. Juli 2020 eine Einigung. Dabei wurden 7,014 Mrd. € für den Europäischen Verteidigungsfonds und 1,5 Mrd. € für die Militärische Mobilität vorgeschlagen. Die EU-Weltraumprogramme sollen nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs 13,202 Mrd. € erhalten und für die Europäische Friedensfazilität sind 5 Mrd. € vorgesehen (EC 2020).

Grundsatzentscheidung

Diese Zahlen wurden schließlich auch in den Kompromiss für den EU-Haushalt 2021-2027 vom 10. November 2020 und in die abschließenden Entscheidungen Mitte Dezember 2020 übernommen. Die im Verhandlungsprozess vorgenommenen Kürzungen der einzelnen militärischen Posten hatten aber nichts mit einer Ablehnung der Entwicklung hin zu einer »Militärmacht Europa« zu tun, sondern waren anderen Dynamiken geschuldet. Denn getragen wird diese Entwicklung von der Überzeugung, in einer Ära der zunehmenden „Konkurrenz großer Mächte3 würden die entsprechenden Mittel benötigt, damit sich die Europäische Union (militärisch) behaupten könne.

Thierry Breton als Chef der neu geschaffenen DG Defence formulierte dies folgendermaßen: „Der allmähliche Aufbau einer europäischen Verteidigung ist Teil der jetzt notwendigen »hard power«-Dimension. Dies bedeutet nicht den Verzicht auf unsere historischen Bündnisse. Es geht einfach darum, Europa auf dem geostrategischen Schachbrett der Welt zu behaupten. […] In dieser Hinsicht ist der Europäische Verteidigungsfonds das Instrument, das Europa in die Lage versetzt, über die Technologien zu verfügen, die zur Unterstützung seiner strategischen Autonomie und zur Verringerung seiner Abhängigkeiten erforderlich sind, und in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten eine wettbewerbsfähige industrielle und technologische Verteidigungsbasis zu erhalten, die in der Lage ist, die von den Mitgliedstaaten benötigten Fähigkeiten bereitzustellen“ (Breton 2020).

So besehen wird mit der Geburt des Europäischen Verteidigungsfonds die Zivilmacht Europa wohl endgültig zu Grabe getragen.

Anmerkungen

1) Siehe auch Aust 2019.

2) Bei allen Angaben in diesem Artikel handelt es sich um Preise von 2018, die deutlich unter den bislang noch nicht vollständig veröffentlichten laufenden Preisen liegen. Beim Verteidigungsfonds summiert sich dies zum Beispiel auf 13 Mrd. € in laufenden statt der 11,5 Mrd. € in Preisen von 2018.

3) Diese Formulierung wählte die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrer Eröffnungsrede zur Münchner Sicherheitskonferenz 2019.

Literatur

Aust, B. (2019): Der Europäische Verteidigungsfonds. Ein Rüstungsbudget für die »Militärunion«. Wissenschaft und Frieden 1/2019, S. 43-45.

Breton, T. (2020): Les entretiens de la defense europeenne, Conférence sur l‘avenir de l‘Europe: quelle ambition pour la défense européenne? Brüssel, 04.11.2020.

European Council (EC) (2020): Special meeting of the European Council (17, 18, 19, 20 and 21 July2020) – Conclusions, EUCO 10/20, Brüssel, 21.07.2020.

EEAS (2018): Vorschlag der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik mit Unterstützung der Kommission an den Rat für einen Beschluss des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Friedensfazilität, HR(2018) 94, Brüssel, 13.06.2018.

EuGH (2016): Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) in der Rechtssache C 263/14, 14.06.2016.

EU Kommission (2015): Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung – Befähigung unserer Partner zur Krisenprävention und -bewältigung. JOIN (2015) 17, Brüssel, 28.04.2015.

EU Kommission (2018): Mitteilung der Kommission: Ein moderner Haushalt für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt. Mehrjähriger Finanzrahmen 2021-2027, COM(2018) 321 final, Brüssel, 02.05.2018.

Fischer-Lescano, A. (2018): Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfonds, GUE/NGL, November 2018.

Joint Civil Society Statement (2020): European ‘Peace’ Facility: Causing harm or bringing peace? November 2020.

Pugnet, A. (2020): Oui, la politique spatiale européenne, et Galileo, ont un volet ‘défense’, Bruxelles2, 02.02.2020.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2018): Zur Zulässigkeit der Haushaltsfinanzierung von Forschung im GSVP-Kontext vor dem Hintergrund des Verbots des Art. 41 Abs. 2 EUV, Sachstand, 16.06.2018.

Özlem Alev Demirel ist Mitglied des Europäischen Parlaments (DIE LINKE) und dort stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.

Die EU: Zerrissen zwischen Anspruch und Weltgeschehen

Die EU: Zerrissen zwischen Anspruch und Weltgeschehen

von David Scheuing

Das Jahr 2021 hat unter neuen weltpolitischen Vorzeichen begonnen. Der Brexit ist nun vollständig erfolgt, mit den zu erwartenden Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft in Großbritannien wie in Europa. Die USA vollziehen unter Joe Biden eine Kehrtwende in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Außenpolitik. Das erfolgt zwar mit einem erstaunlich linken Programm, was innenpolitische Themen anbelangt, aber immer noch keiner erwartbaren Abkehr von der Doktrin nuklearer Abschreckung, wie Jacqueline Cabasso in ihrem Gastkommentar deutlich macht. Die Pandemie ist mit Beginn der weltweiten Impfkampagnen in eine neue Phase getreten. Einerseits zeigt sich endlich ein Silberstreif am Horizont, dort aber drohen auch neue soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten (Bildungsgerechtigkeit, Zugang zu medizinischer Versorgung usw.) – ein absehbares Konfliktpotential für viele Gesellschaften.

Auch die EU findet sich in dieser neuen Lage. In ihr bewegt sich vieles: Es rumort an einigen Stellen, es werden neue Wege beschritten und altbekannte Probleme unter den Teppich gekehrt. Einige unserer Autor*innen attestieren der EU nicht nur deshalb eine Handlungsschwäche, da die EU nicht die viel beschworene »außenpolitische Autonomie« habe, sondern auch, weil viele Politikentwürfe, Visionen und Ansätze im zwischenstaatlichen Gerangel unter die Räder kommen.

Mit Abschluss der Haushaltsverhandlungen steht seit Ende Dezember 2020 nun immerhin der Budgetplan für die kommende sieben Jahre. In diesem Haushalt haben jedoch viele besorgnis­erregende Entwicklungen ihre Spuren hinterlassen, denen in der vorliegenden Ausgabe von W&F einige Autor*innen nachspüren:

So analysieren Özlem Demirel und Jürgen Wagner die Etablierung von versteckten Rüstungstöpfen durch eine modifizierte Industriepolitik;

Martina Fischer hebt den drohenden Bedeutungsverlust und die Budgetkürzungen beim »Instrument für Sicherheit und Frieden« und dem EU-Menschenrechts-Mechanismus hervor;

Thomas Roithner folgt in seiner Übersicht über den Zustand der Militarisierung in der EU dem drastischen und schnellen Wandel der EU-Außenpolitik seit dem Brexit-Entscheid 2016.

Roithner geht dabei auch der Entwicklung hin zu größerer »strategischer Autonomie« der EU in sicherheitspolitischen Fragen nach. Was genau unter dieser »strategischen Autonomie« verstanden werden kann und soll, ist längst noch nicht ausgehandelt. Das zeigen auch die Debattenbeiträge in dieser Ausgabe. Fungiert der Begriff für die einen als sprachliche Hülse für eine stärkere Militarisierung der EU, so bietet der Begriff für andere das Potential, auch positiv gefüllt werden zu können. »Strategische Autonomie« wäre dann
zu verstehen als eine fiskalische, diplomatisch-politische und mediierend-konflikt­bearbeitende Unabhängigkeit der EU, mittels derer sie ihre eigenen Interessen, auch gegen die Hegemone USA und China, eigenständig durch­setzen könnte.

Den Entwurf für diese Form der Autonomie skizzieren in Teilen die beiden Auftaktartikel unseres Schwerpunktes: Marius Müller-Hennig geht dem Gedanken nach, wie eine realistischere, weniger enttäuschungsträchtige Außenpolitik der EU unter dem Primat der Diplomatie und extremen militärischen Zurückhaltung gestaltet werden könnte; Martina Fischer wiederum weist das enorme, noch unausgeschöpfte Potential der EU in Friedensverhandlungen, Mediation und Menschenrechtspolitik aus und warnt vor der Marginalisierung dieser Politikansätze.

Der zweite Teil des Schwerpunktes analysiert die »Friedensmacht« EU aus der Perspektive anderer Staaten oder Regionen, in denen die EU durch Konfliktbearbeitung, Mediation, oder auch militärische Einsätze präsent ist. In den Beiträgen zur Ukraine, Iran, Israel und dem Sahel wird die Spannung zwischen diplomatischer Unerfahrenheit, strategischer Abhängigkeit, militärischer Unzulänglichkeit der EU und der gleichzeitig von ihr selbst angemeldeten politischen Bedeutsamkeit sichtbar.

Insgesamt zeichnet diese Ausgabe von W&F ein Bild der »Friedensmacht« EU, die zerrissen ist zwischen dem eigenen Anspruch auf »strategische Autonomie«, weltpolitische Bedeutung und dem Anspruch, einen direkten und effektiven Beitrag zu Frieden und Sicherheit leisten zu wollen und den realen Weltläufen, geringer Effektivität in ihrer tatsächlichen Friedenspolitik und versteckter, aber rasanter Militarisierung der Union.

Diese Ausgabe gibt dennoch der Hoffnung auf ein besseres und gewaltärmeres Morgen Raum und lädt uns als Leser*innen ein, Visionen für eine außen- und friedenspolitisch bedeutsame EU zu formulieren. Denn die Militarisierung der EU geht raschen Schrittes voran und verschiebt die Bedeutung von »Friedenspolitik« immer weiter ins Absurde. Es ist auch an uns, hier Einwände zu formulieren.

Auch die weiteren Beiträge jenseits des Schwerpunktes und das Dossier regen uns diesmal zu eigenen Positionierungen und zum Überdenken liebgewonnener Perspektiven an.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre, auch in Zeiten der Pandemie,

Ihr David Scheuing