Weltraum zwischen Konflikt und Kooperation

Weltraum zwischen Konflikt und Kooperation

von Jürgen Scheffran, Götz Neuneck, Dieter Engels, Regina Hagen, Arne Sönnichsen und Maximilian Bertamini

Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden e.V. (IWIF)

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 4/2022

Geopolitik oder Gemeinsame Sicherheit im Weltraum?

von Jürgen Scheffran

Im März 2022 warnte der Chef der russischen Raumfahrtbehörde Ros­kosmos, Dmitri Rogosin, die 500 Tonnen schwere Internationale Raumstation (ISS) drohe abzustürzen. Er begründete dies mit den gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten westlichen Sanktionen. Diese träfen auch die russische Raumfahrtindustrie, würden die Versorgung und Steuerung der ISS beeinträchtigen und das Risiko für mehr Weltraumschrott erhöhen. Während Rogosin eine Abkopplung und mögliche militärische Nutzung des russischen Moduls ins Spiel brachte, kündigte sein Nachfolger Juri Borissow im Juli 2022 gleich ganz den Ausstieg aus der ISS nach 2024 und den Bau einer eigenen Raumstation an (SPIEGEL 2022). Dies würde das Ende der ISS als gemeinsames Projekt Russlands mit westlichen Staaten besiegeln und eine jahrzehntelange zivile Zusammenarbeit im Weltraum beenden. Das erste Raumfahrt-Kooperationsprojekt zwischen den USA und der UdSSR, die Apollo-Sojus-Mission 1975, symbolisierte damals Entspannung und friedliche Zusammenarbeit im Weltraum. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein.

Dual-Use oder Dominanz des Militärischen?

Seit den Anfängen der Raumfahrt sind zivile und militärische Technologien und Infrastrukturen der Raumfahrt eng verflochten (Scheffran 1993). Die deutsche Raketenentwicklung in den 1930er Jahren erfolgte mit militärischer Unterstützung. Sie wurde während des Zweiten Weltkriegs zu einer Triebkraft für die Entwicklung der V2-Rakete in Nazi-Deutschland, die bei der Produktion im Konzentrationslager und beim Einsatz gegen europäische Städte tausende Menschen das Leben kostete. In den 1950er Jahren des Kalten Krieges dominierte – trotz öffentlich erklärter friedlicher Absichten – eine militärische Dimension des Rennens um den Weltraum. Das Janusgesicht der Raumfahrt wurde zum Synonym für technologischen Fortschritt und militärische Überlegenheit, was sich in Innovationen wie der präzisionsgelenkten Interkontinentalrakete, Aufklärungssatelliten und Mikroelektronik niederschlug. Neben der grundsätzlichen Faszination des Weltraums und den damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen erklärt doch am ehesten die ambivalente Beziehung zwischen Weltraum und Militär die enormen Summen für Weltraumprojekte und den Stellenwert, der diesem Raum in den internationalen Beziehungen zugemessen wird.

Zwischen 1957 und dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989 brachten die Supermächte mehr als 3.000 Objekte ins All, von denen etwa drei Viertel militärischen Zwecken dienten. Die militärische Nutzung des Weltraums wurde von Satelliten für Aufklärung, Frühwarnung, Wetterbeobachtung, Kommunikation und Navigation dominiert, die die Kriegsführung auf der Erde unterstützen sollten und auch zur Stabilität beitragen konnten, indem sie Transparenz schafften (Schrogl et al. 2015; Neuneck und Rothkirch 2006; Weeden 2019).

Konfrontation und Entspannung im Kalten Krieg

Bis in die 1960er Jahre stand der Weltraum weiter im Zeichen von Machtkämpfen um die militärisch-technologische Vorherrschaft im All. Hatte zunächst die Sow­jetunion mit dem Start des Sputnik-Satelliten 1957 und dem ersten Menschen im All (1961) die Nase vorn, mobilisierten die USA enorme Ressourcen für die zivile Raumfahrt, angespornt durch die Rede von US-Präsident John F. Kennedy am 12. September 1962 (kurz vor der Kuba-Krise), in der er die Nation auf die Mondlandung einschwor. Mit sechs Apollo-Mondfähren zwischen 1969 und 1972 erlangten die USA zwar einen Vorsprung, doch erlahmte danach zunächst das Inte­resse an teuren Raumfahrtprojekten, zumal ihr Nutzen für die Menschheit fraglich war. Erst in jüngster Zeit kehrte das Interesse an Reisen zu Mond oder Mars wieder auf die Agenda zurück.

Nach der Entspannung der 1970er Jahre und der damit verbundenen Abkommen (Weltraumvertrag 1967, SALT-Abkommen und ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr 1972) begann in den 1980er Jahren eine weitere Phase von Systemkonkurrenz und Konfrontation, die erneut den Weltraum erfasste und das Risiko eines Atomkriegs barg. In der sogenannten »Star-Wars«-Rede vom 23. März 1983 kündigte US-Präsident Ronald Reagan an, Atomwaffen durch einen Raketenschild im Weltraum unwirksam und obsolet machen zu wollen (Engels et al. 1984). Während viele Wissenschafler*innen die Machbarkeit bezweifelten, wurde die »Strategic Defense Initiative« (SDI) dennoch an den Start gebracht, und erreichte erwartungsgemäß dieses Ziel nicht. Milliardenschwere Ausgaben verstärkten die Weltraumrüstung, von kinetischen Antisatellitenwaffen (ASAT) bis zu La­serwaffen zur Raketenabwehr (siehe den Beitrag von Neuneck in diesem Dossier, S. 6). Nachdem der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow 1985 an die Macht gekommen war, verhandelten beide Supermächte über eine Beendigung des Wettrüstens auf der Erde und im Weltraum, und vereinbarten mit den INF- und START-Verträgen nukleare Abrüstungsschritte. Beide Seiten hielten sich lange an ein von Moskau vorgeschlagenes Moratorium für ASAT-Tests, bis die USA 2008 wieder testeten. Die erneute Entspannung und der Zusammenbruch der Sowjetunion schufen die Voraussetzungen für die Beendigung des Ost-West-Konflikts.

Nach dem Kalten Krieg

In den 1990er Jahren verlagerte sich die Aufrüstung und Nutzung des Weltraums auf Dual-use Projekte, um zivil-militärische Synergien zu nutzen (Liebert et al. 1994). Dies bedeutete aber keineswegs eine geringere militärische Nutzung des Weltraums: Bereits der Golfkrieg 1990/1991, von manchen als erster Weltraumkrieg bezeichnet, stellte dies unter Beweis, da Satelliten intensiv genutzt wurden und die Patriot-Abwehrrakete zum Einsatz kam. Gleichwohl versagten viele dieser High-Tech-Waffen (einschließlich Patriot). Entsprechendes gilt für die folgenden Militärinterventionen (Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Ukraine), mit immensen Schäden.

Mit dem schon 1985 von Reagan gegründeten »Space Command« verstärkten die USA dann nach den Anschlägen vom 11. September 2001 unter Präsident George W. Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erneut ihre klar militärisch geprägten Dominanzbestrebungen, vorgeblich um ein imaginäres »Pearl Harbor im Weltraum« durch Angriffe von »Schurkenstaaten« und »Terroristen« abzuwehren (INESAP 2002). 2002 kündigte Präsident Bush dann den ABM-Vertrag, um ungestört Raketenabwehr und Weltraumrüstung entwickeln zu können. Ähnliche Schritte der militärischen Expansion im Weltraum erfolgten unter Präsident Donald Trump, der 2019 eine eigene »Space Force« in der US-Armee etablierte und die Weltraumbudgets der entsprechenden Behörden erhöhte.

Doch die Vorherrschaft der USA im Weltraum ist nicht mehr unangefochten. Weitere Akteure haben mittlerweile Zugang zu Trägerraketen und Satelliten, was einerseits die militärische Nutzung vorantreibt und andererseits das Akteursgefüge zunehmend verkompliziert. Trotz einer Krise der russischen Raumfahrt und wachsender Konkurrenz im Weltraumtransport, verfügt Russland nach wie vor über beträchtliche technische und militärische Fähigkeiten im Weltraum, die auch modernisiert werden. Die Ambitionen dokumentierte der russische ASAT-Test vom 15.11.2021, der zahlreiche orbitale Trümmerteile hinterließ (Bugos 2021).

In Europa ist neben den industriellen, technologischen und wissenschaftlichen Kompetenzen sowie dem öffentlichen Interesse an der bemannten Raumfahrt auch eine zunehmende Aufmerksamkeit für militärische Fähigkeiten der Aufklärung, Navigation und Kommunikation zu beobachten, unter Ausnutzung von Dual-use fähigen Projekten (siehe den Beitrag von Hagen in diesem Dossier, S. 14). Dazu gehört die Einrichtung von militärischen Weltraumkommandos in einigen Staaten, wie in Frankreich und Deutschland. Ähnliche Entwicklungen sind in Japan zu beobachten (Yoshitomi 2019).

New Space Race: Globaler Süden und Kommerzialisierung

Die Dual-Use-Strategie im Weltraum spielt auch im Globalen Süden eine Rolle. Weltraumkooperation und Technologietransfer schufen Voraussetzungen für die Entwicklung und Produktion von ballistischen Raketen und Satelliten. Dies wurde deutlich, als der Irak im Golfkrieg Raketen einsetzte, die auch über Dual-Use-Technologieexporte entwickelt, getestet und produziert wurden (Scheffran 1991). Hier zeigten sich Abgrenzungsprobleme bei der Umsetzung von Abkommen wie dem Trägertechnologie-Kontrollregime (»Missile Technology Control Regime«, MTCR) von 1987, das die Verbreitung von Raketentechnologie durch Lieferländer einschränken sollte.

Die Volksrepublik China hat wie die Supermächte auch ballistische Raketen als Grundlage für Weltraumraketen verwendet. Seit 1970 verfügt China über eine wachsende Zahl von Satelliten und verfolgt Programme zur Abwehr von Raketen und Satelliten. Dies zeigte 2007 der erste chinesische ASAT-Test, der ebenfalls Tausende von Fragmenten in der Umlaufbahn hinterließ. Israel verfügt ebenso über leistungsstarke Trägerraketen und seit 1988 auch über Satelliten für Aufklärungs- und andere Zwecke. Auch Indien gehört zu den führenden Raumfahrtnationen, mit Trägerraketen, Satelliten und einem ASAT-Versuch 2019. Ebenso zum »Weltraum-Club« dazu gehören wollen die Atommacht Nordkorea und Iran, der im April 2020 erstmals einen Militärsatelliten in eine Umlaufbahn brachte.

Immer mehr Akteure drängen in den Weltraum, Rivalitäten nehmen zu, besonders zwischen den USA und der VR China (vgl. den Beitrag von Engels, S. 10). Weltweit investierten 2014 insgesamt 58 Länder jeweils mehr als 10 Mio. US$ in die Raumfahrt, 20 Staaten mehr als noch 2005 (Jetzke und Weide 2017). Gründe für das neue Weltraumrennen (»New Space Race«) sind die fallenden Kosten für Starts, die Wiederverwendbarkeit von Trägerraketen, die Serienproduktion von Kleinsatelliten und Effizienzsteigerungen im privaten Sektor.

Ende 2021 befanden sich nahezu 5.000 Satelliten in der Erdumlaufbahn, davon etwa 3.000 aus den USA, 500 aus China und rund 170 aus Russland (Statista 2021). Das Raumfahrtbudget der US-Regierung lag 2018 bei knapp 20 Mrd. US$, gefolgt von den Budgets Chinas, Europas und Russlands. Während die Raumfahrt früher fast ausschließlich von Staaten finanziert und von wenigen etablierten Unternehmen durchgeführt wurde, wird sie mit zunehmender Kommerzialisierung von privaten Akteuren geprägt, bis hin zum Weltraumtourismus (vgl. den zweiten Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21). Zwischen 2005 und 2017 wuchs der Weltmarkt für raumfahrtbezogene Geschäfte mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 6,7 % pro Jahr. Die Raumfahrtindustrie erwirtschaftete 2005 einen Umsatz von rund 175 Mrd. US$, der sich bis 2040 verzehnfachen könnte (Kind et al. 2020).

Ukrainekrieg: Brennglas der Geopolitik im Weltraum-Zeitalter

Mit zunehmenden Investitionen wachsen auch die Sicherheitsambitionen im Weltraum, einem Schauplatz geopolitischer Rivalität, der zunehmend „komplexer, fragiler und letztendlich konfliktiver“ wird und gekennzeichnet ist durch Internationalisierung, Kommerzialisierung, Verdichtung und ungenügende Reglementierung (Rotter 2022, S. 18).

Der Ukrainekrieg und die anvisierte sicherheitspolitische Zeitenwende beeinflussen auch die Weltraumsicherheit und die zivile Zusammenarbeit. Seit russische Sojus-Starts vom Raumfahrtzentrum Guayana eingestellt wurden, was auch europäische kommerzielle Satelliten betrifft, braucht die ESA dringend eine alternative Trägerrakete. Direkt vom Krieg betroffen ist die Produktion von Triebwerken der europäischen Vega-Trägerrakete in der Ukraine. Die europäische Weltraumbehörde ESA stellte zudem die Zusammenarbeit mit den kommenden russischen Missionen ein, darunter das deutsch-russische Weltraumteleskop eROSITA und die Mars-Sonde ExoMars.

Im Ukrainekrieg wird der Weltraum von allen Beteiligten militärisch instrumentalisiert, für Aufklärung, Lageeinschätzung, Kommunikation und Navigation. Der Cyberangriff auf einen kommerziellen Satelliten des US-Unternehmens ViaSat zu Kriegsbeginn hatte Auswirkungen auf das Militär in der Ukraine und beeinträchtigte die Terminals ziviler Kunden in ganz Europa, darunter Tausende von Windkraftanlagen in Deutschland (ESPI 2022). Damit rückte die Verwundbarkeit und der Schutz der Weltrauminfrastruktur ins Rampenlicht.

Als Reaktion auf diese oben genannten Herausforderungen zielt der neue »Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung« (EU 2022) darauf, das »geopolitische Erwachen« in eine dauerhaftere Strategie umzusetzen. Angestrebt wird, neue Mittel, Fähigkeiten und Technologien zu entwickeln, auch für den Schutz und die Resilienz der europäischen Weltraumressourcen in Krisenzeiten. Hierzu gehört die für 2023 angekündigte »Europäische Weltraumstrategie für Sicherheit und Verteidigung«. Vorgeschlagen werden Maßnahmen für Risikoeinschätzung und Krisenmanagement, Überwachung und Vernetzung im Weltraum, der Schutz kritischer Weltraum-Infrastrukturen, -Technologien und -Versorgungsketten, Dual-use-Innovationen und ein autonomer Zugang zum Weltraum (siehe weiter bei Hagen, S. 14). Damit verbunden sind verschiedene Rüstungsprogramme, da­runter auch ein Raketenabwehrsystem für Europa.

Weltraumrecht und Rüstungskontrolle

Die Rivalitäten zwischen den Großmächten und die Verschlechterung der internationalen Beziehungen wirken sich auf die künftige Zusammenarbeit im Weltraum ebenso aus wie auf multilaterale Verhandlungen und Abkommen des Völkerrechts. Entgegen der faktischen militärischen Nutzung hat die internationale Gemeinschaft den starken Wunsch zum Ausdruck gebracht, den Weltraum für Zusammenarbeit und friedliche Zwecke zu erhalten. Als Verhandlungsforen dienen der UN-Sonderausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS) und die Genfer Abrüstungskonferenz (CD) zur militärischen Weltraumnutzung.

Die Entwicklung des Weltraumrechts hat mit den raschen und komplexen Herausforderungen im Weltraum nicht Schritt gehalten (vgl. die entsprechenden Beiträge von Sönnichsen, S. 17 und Bertamini, S. 25). Hier sind neue Regelungen erforderlich, die über den Weltraumvertrag von 1967 hinausgehen und Risiken vermeiden, Investitionen erleichtern, Rechtssicherheit schaffen und nicht zuletzt Sicherheit und Frieden im Weltraum ermöglichen. Resolutionen der VN-Generalversammlung zur »Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum« (PAROS) konnten bislang auch noch nicht in konkrete Schritte umgesetzt werden. Durch passiven und aktiven Schutz und Verkehrsregeln im Weltraum könnten Risiken reduziert und die Überlebensfähigkeit von Weltraumobjekten verbessert werden. Bis zu einem gewissen Grad könnten auch andere vertrauensbildende Maßnahmen (VBM) zur Vermeidung von Unfällen und Missverständnissen mit zur Stabilisierung beitragen.

Da es bislang noch keine wirksamen Weltraumwaffen gibt, kann eine destabilisierende Bewaffnung und ein Wettrüsten im Weltraum durch präventive Rüstungskontrolle und Abrüstung noch verhindert werden (Hagen und Scheffran 2005). Seit den 1970er Jahren gab es Initiativen gegen die Bewaffnung des Weltraums, darunter Vorschläge Frankreichs, der Sowjetunion und der »Union of Concerned Scientists«. Deutsche Wissenschaftler legten 1984 auf einer Konferenz in Göttingen einen »Vertragsentwurf über die Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums« vor, der seinerzeit Gegenstand einer Bundestagsdebatte war (Fischer et al. 1984; Scheffran 2021). Ergänzend könnten ein Testverbot für ASAT-Waffen und/oder ballistische Raketen vereinbart werden.

In den letzten zehn Jahren wurden erneut verschiedene diplomatische Initiativen ergriffen, um einem Wettrüsten im Weltraum zu begegnen: ein Verhaltenskodex der EU für den Weltraum, Vorschläge Kanadas zur Nichtbewaffnung des Weltraums, ein gemeinsamer Vertragsentwurf Russlands und Chinas gegen Weltraumwaffen (siehe auch der erste Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 17). Die USA blockierten bislang entsprechende Verhandlungen grundsätzlich. Erst 2022 unter Präsident Joe Biden signalisierten sie die Bereitschaft zur Kontrolle von ASAT-Waffen.

Die Wirksamkeit eines Weltraumabkommens hängt von politischen Anforderungen und technischen Fähigkeiten der Verifikation ab, um die vereinbarten Regeln zu überprüfen und Vertragsverstöße rechtzeitig zu entdecken. Verschiedene Mittel können zu diesem Zweck genutzt werden (Scheffran 1986): Fernerkundung in verschiedenen Spektralbereichen; Bahnverfolgung; Sensoren vor Ort/an Bord; kooperative und institutionelle Verfahren (Informationsaustausch; Inspektion; VBM; eine internationale Agentur; Konsultationen). Einige dieser Mittel sind leicht verfügbar, andere wiederum erfordern Forschung und internationale Zusammenarbeit.

Gemeinsame Sicherheit im Weltraum

Die Chancen der Weltraumrüstungskontrolle hängen von den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ab. In einem feindseligen Umfeld ist Rüstungskontrolle notwendiger, wenn auch schwieriger, während in einem kooperativen Umfeld die Anforderungen an Rüstungskontrolle oft geringer sind. Die derzeitige geopolitische Landschaft mit multiplen Krisen, Feindseligkeiten und Instabilitäten steht im Widerspruch zu einer gelingenden internationalen Zusammenarbeit im Weltraum und einer dafür notwendigen breiten Unterstützung von VN-Resolutionen für eine friedliche Weltraumnutzung. Um ein neues Sicherheitsumfeld zu schaffen, müssen Spannungen und Anreize für eine Bewaffnung des Weltraums abgebaut werden, unterstützt durch Maßnahmen zur Risikominderung, Überwachung und Vertrauensbildung. Beim Übergang zu einem globalen Weltraum-Sicherheitsregime spielt die regionale Sicherheitsdynamik und -zusammenarbeit eine Rolle, als Antrieb und als Hindernis. Ohne ein stärkeres diplomatisches Engagement, kooperative Initiativen und ein neues Denken, wie es der kürzlich verstorben Michail Gorbatschow einst forderte, können daher Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitsdilemmata im Weltraum schnell übermächtig werden.

Nach Wolter (2006, S. 5) umfasst das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit im Weltraum „das Verbot aktiver militärischer Nutzungen mit zerstörerischem Charakter im gemeinsamen Raum; ein umfassendes Paket vertrauensbildender Maßnahmen mit multilateralen Satellitenüberwachungs- und -verifikationssystemen sowie ein Schutzregime für friedliche Weltraumobjekte auf der Grundlage von Immunitätsregeln für Satelliten, wie z.B. ‘Verkehrsregeln’ und ein ‘Verhaltenskodex’.“ Gemeinsame Sicherheit sucht also die gegenseitigen Interessen im Weltraum zu wahren und gemeinsame Partnerschaften für regionale Sicherheit, Rüstungskontrolle und Abrüstung anzustreben (ITUC et al. 2022). Hierzu gehört eine sichere und nachhaltige Nutzung des Weltraums, die die Integrität von Weltraumaktivitäten gegen Bedrohungen und Naturrisiken sicherstellt.

Umwelt, Zivilgesellschaft und nachhaltiger Frieden

Der Weltraum ist ein Gemeinschaftsgut, das zur Umwelt der Erde gehört und im Sinne erweiterter Sicherheit vor Aktivitäten zu schützen ist, die sie ausbeuten und zerstören (vgl. der Beitrag von Bertamini in diesem Dossier, S. 25). Krieg im All belastet diese Umwelt und seine Ressourcen. Raumfahrtaktivität schafft negative Nebenwirkungen für die Umwelt, u.a. Weltraummüll, Lichtverschmutzung, Unfallrisiken bei Start und Wiederkehr, Emission von CO2 und anderen Schadstoffen durch Raketenstarts und die dafür notwendige Infrastruktur. In Deutschland wurden ökologische Probleme der Raumfahrt schon seit 1988 untersucht (Wengeler 1993).

Richtig eingesetzt, kann die Raumfahrttechnologie zur Entwicklung der Menschheit und zur Bewahrung der Bio­sphäre beitragen. Für eine friedliche und nachhaltige Weltraumnutzung hatte ich acht Kriterien vorgeschlagen, die auch die sozialen und politischen Kräfteverhältnisse berücksichtigen (Scheffran 2001, siehe Kasten oben links). Neben der Erforschung und Nutzung des Weltraums richtet sich der Blick auf die Kommunikation und die Beobachtung der Erde über Satelliten in wichtigen Bereichen wie Landwirtschaft und Fischerei, Umweltüberwachung und Wettervorhersage, Geologie und Rohstofferkundung, Kartografie und Stadtplanung. So lassen sich wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt gewinnen, für die nachhaltige Lösung globaler Probleme wie Klimawandel, Arten­sterben, Meeresforschung, Seenotrettung, Katastrophenmanagement und die Überprüfung internationaler Verträge. Satelliten liefern auch Erkenntnisse und Abwehrmöglicheiten gegen Gefahren aus dem All, etwa durch Zusammenstöße mit Asteroiden, wie zuletzt die Dart-Mission am 26.9.2022 zeigte.

Acht Kriterien für eine friedliche und nachhaltige Weltraumnutzung (nach Scheffran 2001):

1. Schwere Katastrophen vermeiden.

2. Militärische Nutzung des Weltraums begrenzen.

3. Risiken für menschliche Gesundheit und Umwelt minimieren.

4. Probleme und menschliche Bedürfnisse nachhaltig lösen.

5. Qualität, Effizienz und Zuverlässigkeit der Technologien sichern.

6. Technische Alternativen mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis entwickeln.

7. Sozialverträglichkeit gewährleisten und Zusammenarbeit stärken.

8. Projekte in öffentlichen Debatten unter Beteiligung der Betroffenen rechtfertigen.

In den Machtkämpfen des Raumfahrtzeitalters spielte die Zivilgesellschaft nur eine untergeordnete Rolle. Wie der Göttinger Vertragsentwurf und andere Initiativen zeigen, können Wissenschaft und Gesellschaft sich jedoch effektiv an Fragen der Weltraumsicherheit und Rüstungskontrolle beteiligen und die Sackgasse bei den Verhandlungen im Rahmen einer Weltraumdiplomatie überwinden helfen (Scheffran 2021). Um das öffentliche Bewusstsein und die Demokratisierung des Weltraums zu schärfen, ist ein öffentlicher Diskurs über die zugrundeliegenden Probleme und möglichen Lösungen erforderlich, der auf Offenheit, Transparenz, Fairness und gegenseitigem Respekt beruht. Initiativen (wie das »SichTRaum«-Netzwerk oder das »Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement«) können den Informationsaustausch und demokratischen Prozess zwischen Zivilgesellschaft, Medien und staatlichen Einrichtungen fördern und Unsicherheiten verringern helfen. Hierzu gehört die Entwicklung handlungsleitender Kriterien für die zukünftige Raumfahrtentwicklung, im Sinne nachhaltiger Entwicklung und einer friedlichen Nutzung des Weltraums.

Literatur

Bugos, S. (2021): Russian ASAT test creates massive debris. Arms Control Today 51(10), Dezember 2021.

Engels, D.; Scheffran, J.; Sieker, E. (1984): Die Front im All. Weltraumrüstung und atomarer Erstschlag. Köln: Pahl-Rugenstein.

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EU (2022): A Strategic Compass for Security and Defence. European Union.

Fischer, H.; Labusch, R.; Maus, E.; Scheffran, J. (1984): Entwurf eines Vertrages zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums. In: Labusch, R.; Maus, E.; Send, W. (Hrsg.): Weltraum ohne Waffen. Naturwissenschaftler warnen vor der Militarisierung des Weltraums. Gütersloh: Bertelsmann, S. 175-187.

Hagen, R.; Scheffran, J. (2005): International space law and space security. In: Benkö, M.; Schrogl, K.-U. (Hrsg.): Space law: Current problems and perspectives for future regulation. Den Haag: Eleven International Publishing, S. 273-301.

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Jetzke, T.; Weide, S. (2017): Wettlauf in eine neue Weltraumära. Themenkurzprofil 13, Mai 2017. Berlin: Büro für Technikfolgenforschung.

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Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg und Mitglied der W&F-Redaktion.

Ein neues Wettrüsten im Weltraum?

von Götz Neuneck

Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Machtrivalitäten zwischen den USA, Russland und China verschärft sich auch der Wettbewerb im und um den Weltraum, erst recht nach Beginn des Ukraine-Krieges. In einigen Technologiefeldern, insbesondere solchen mit militärischem Hintergrund, ist ein Wettrüsten zu beobachten. Ein Wettrüsten ist ein militärischer Wettbewerb zwischen zwei oder mehreren Staaten, um überlegene Streitkräfte aufzustellen, die über qualitative oder quantitative Vorteile verfügen. Allein die Vermutung, dass der potenzielle Gegner in Schlüsseltechnologien investiert, reicht z.B. für enorme Investitionen in militärisch relevante Raumfahrtprogramme wie Raketenabwehr, Laser oder Künstliche Intelligenz. Die führenden Weltraummächte beschuldigen sich auch gegenseitig, den Weltraum zu bewaffnen bzw. Angriffe gegeneinander durchzuführen, während sie Anti-Satelliten-Fähigkeiten testen (Trevithick 2021). Etwa 20 bis 25 % aller Satelliten werden heute direkt für militärische Zwecke genutzt, d.h. für Aufklärung, Frühwarnung, Kommunikation, Raketennavigation usw. Sie sind von zentraler Bedeutung für die Koordinierung globaler Militäroperationen und für den Einsatz von Waffen (Drohnen, Marschflugkörper), aber auch für die Aufrechterhaltung von Aufklärung und Frühwarnung. Ein Angriff auf Frühwarnsysteme hätte unabsehbare Konsequenzen im Krisenfall.

Mehr nationale Sicherheit im Weltraum und der Schutz kritischer Infrastrukturen sind das Gebot der Stunde für die führenden Weltraummächte (Harrison et al. 2018 und 2022). Die Einrichtung von Weltraumstreitkräften in Russland, China und den USA, die verstärkte russisch-chinesische Zusammenarbeit und die Erprobung von »Counter-Space«-Aktivitäten durch die drei führenden Weltraummächte sind Belege für die Vorbereitung einer heimlichen Bewaffnung des Weltraums, die im Kriegsfall eingesetzt werden oder sogar einen Krieg auslösen kann.

Die militärische Nutzung des Weltraums

Während des Kalten Krieges war die mili­tärische Nutzung des Weltraums eine der wichtigsten Triebfedern der Weltraumprogramme der Supermächte. Viele Entwicklungen, z.B. in den Bereichen Trägerraketen, Erdbeobachtung und Satellitentechnologie, verdeutlichen den doppelten Verwendungszweck der Raumfahrttechnologie, da ihre Operationen sowohl für militärische als auch für kommerzielle oder friedliche Zwecke genutzt werden können (vgl. auch den Beitrag von Hagen in diesem Dossier, S. 14). Wie William Burrows in seiner bahnbrechenden »Geschichte des ersten Weltraumzeitalters« formulierte: „Doch der Weltraum konnte nur durch Raketen erreicht werden, und die Schande daran war, dass Raketen immer wieder ausdrücklich dafür konzipiert wurden, beispiellose Zerstörung anzurichten und eine große Zahl genau der Menschen zu töten, deren Aufklärung und Erlösung sie versprachen“ (Burrows 1998, S. 4). Bereits in den späten 1950er Jahren begannen die USA und die UdSSR mit der Entwicklung und Erprobung kinetischer Anti-Satelliten-Technologien (ASAT). Nukleare Tests im Weltraum (z.B. Starfish Prime 1962) zeigten, dass durch den von Nuklearexplosionen ausgelösten Elektromagnetischen Impuls (EMP) nicht gehärtete Satelliten und Kommunikationsdienste massiv gestört werden würden.

Von der Erde aus können Angriffe mit direkt aufsteigenden Raketen auch Satelliten als Teil von Raketenabwehrsystemen kinetisch zerstören (über den Zusammenhang von Raketenabwehr und Weltraumverteidigung siehe Neuneck, Alwardt und Gils 2015). Eine andere Methode besteht darin, Satelliten in einer Umlaufbahn zu positionieren, sie in die Nähe von feindlichen Satelliten zu bringen und dann den anvisierten Satelliten zu zerstören – eine Methode, die langsamer und berechenbarer ist, aber auch höhere Umlaufbahnen erreicht. Solche »orbitalen« ASAT-Tests wurden vor allem von der UdSSR in den 1970er Jahren durchgeführt. Mit Reagans SDI-Rede 1983 und einer angenommenen sowjetischen ASAT-Bedrohung wurden die ASAT-Entwicklungen in den USA intensiviert. Immer wieder wurden von beiden Supermächten auch militärische Entwicklungen vorangetrieben, wie z.B. bewaffnete Raumstationen (USA: MOL und UdSSR: Almaz) oder Laserwaffen. Nach einigen Entwicklungs- und Testphasen wurden sie jedoch letztlich nicht dauerhaft eingesetzt: zu teuer im Unterhalt, ineffizient und zu gefährlich im Krisenfall waren die berechtigten Hauptargumente. Andere militärische Technologien wie die Aufklärung und Frühwarnung aus dem Weltraum wirkten eher deeskalierend. Sie verringerten das Risiko von Fehleinschätzungen und einer unerwünschten Eskalation im Krisenfall. Dieses Erbe steht heute auf dem Spiel, zumal die Entwicklungen sich nicht mehr alleine auf die Hauptakteure USA und Russland beschränken.

Was sind Weltraumwaffen?

Bereits während des Kalten Krieges verfolgten die USA und die Sowjetunion wiederholt Waffenprogramme und testeten Raumfahrzeuge mit Anti-Satelliten-Funktionen, setzten aber bisher »offiziell« keine Weltraumwaffen dauerhaft ein oder statio­nierten diese.

Unter Weltraumwaffen versteht man einerseits Objekte, die sich im Weltraum befinden oder in den Weltraum hineinwirken können und darauf ausgelegt sind, Satelliten zu beschädigen, funktionsunfähig zu machen oder sogar zu zerstören. Andererseits werden zunehmend neue manövrierfähige Flugkörper (»hyper-glide vehicles«) entwickelt, die auf der Erde starten, den Weltraum durchqueren und wieder Ziele auf der Erde bekämpfen können, also Waffen, die indirekt »aus dem Weltraum« operieren. Ein Überblick über die wesentlichen technologischen Voraussetzungen für Weltraumwaffen findet sich bei Neuneck (2022).

Im Prinzip gibt es verschiedene Technologien, um Objekte (primär Satelliten) im Weltraum zu treffen, zu stören oder funktionsunfähig zu machen. Satelliten kehren zyklisch zurück, so dass sie leicht zu verfolgen sind. Aufgrund ihrer Leichtbauweise sind sie sehr verwundbar und vor allem in niedrigen Orbitalhöhen zerstörbar, auch und gerade durch die in der Entwicklung befindlichen bodengestützten Raketenabwehrsysteme der USA, Russlands, Chinas und Indiens. Das Spektrum der Angriffsmöglichkeiten reicht von nuklearen Explosionen im Weltraum über elektromagnetische Störungen bis hin zu kinetischen Waffen (d.h. durch Explosion oder Kollision).

  • Eine in der Umlaufbahn ausgelöste Nuklearexplosion kann aufgrund der freigesetzten Strahlung Satelliten in einem großen Radius beschädigen oder zerstören und stellt langfristig ein erhebliches Problem dar.
  • Der Einsatz von Waffen mit gerichteter Strahlungswirkung (»directed energy weapons«), wie Laser, Mikrowellen, oder Störsender, erfordert erhebliche technologische Erfahrung (Stupl und Neuneck 2005). Ein Schutz gegen solche Auswirkungen ist begrenzt möglich, doch wird der Satellit dadurch schwerer. Einseitig verwendbar ist die bessere Abschirmung durch Schilde, den schnellen Austausch von Satelliten oder Redundanz. Die Fähigkeiten und Tests von Lasern zum Blenden von Satelliten und das elektronische Stören von fremden Satelliten schreiten bei den drei maßgeblich einflussreichen Weltraummächten voran. Hacker-Angriffe und Störsignale wurden auch schon aktiv bei militärischen Operationen eingesetzt, so im Rahmen des Ukraine-Krieges durch das Stören von GPS-Satellitendaten durch Russland.
  • Eine wichtige Kategorie sind kinetische Angriffe, die im Weltraum aufgrund der hohen Eigengeschwindigkeiten von Satelliten leicht durch Kollisionen erzielt werden können. Eine weitere Option ist die zunehmende Zahl von Kleinsatelliten, die zwar nur begrenzt manövrierfähig sind, aber wie eine »Weltraummine« wirken können. Größere »Kampfsatelliten« müssen durch ko-orbitale Manöver zum Ziel gebracht werden, was Treibstoff und Zeit erfordert. Diese Typen erfordern umfangreiche Tests, weltweit verteilte Bodenstationen und eine jahrelange Technologieentwicklung.
  • Zudem können Anti-Satelliten-Ab­fang­raketen von der Erde aus gestartet oder für längere Zeit im Weltraum stationiert und im Kriegsfall eingesetzt werden. Bodengestützte Raketen lassen sich im Rahmen der Raketenabwehr (»Ballistic Missile Defense«, BMD) auch direkt gegen bestimmte Satelliten einsetzen.
  • Ebenso können Satelliten direkt durch externe Manipulation oder eine Sprengladung funktionsunfähig gemacht werden.
  • Eine letzte Möglichkeit besteht darin, die Datenverbindung zu einem Satelliten zu unterbrechen oder zu kappen. Aufgrund des hohen Dual-Use-Potenzials der Raumfahrttechnologien verfügen vor allem die führenden Raumfahrtnationen über solche Fähigkeiten: Die Bahnen der Zielsatelliten müssen vermessen werden, was Radar- oder optische Bahnverfolgungssysteme, d.h. eine umfassende Weltraumüberwachung, erfordert.

»Counter Space«: Neue Anti-Satellitentests

Der internationale Weckruf für einen neuen Vorstoß in Sachen Weltraumwaffen war der chinesische Satellitentest im Januar 2007, als es der VR China gelang, mit einer bodengestützten Abfangrakete ihren eigenen Wettersatelliten Fengyun-1C zu zerstören (Neuneck 2008). Ein Jahr später setzten die USA ihre schiffsgestützte Abfangrakete SM-3 ein, um einen funktionsunfähigen US-Satelliten zu zerstören, und demonstrierten China und Russland damit ihre bereits vorhandenen Fähigkeiten. Russland testet die boden- und luftgestützten Abfangraketen »Nudol« und »Contact« zum Abfangen von Flugkörpern im niedrigen Orbit. China hat zwischen 2010 und 2018 seine eigenen Abfangraketen getestet. Auch die Nuklearmacht Indien ist in die Entwicklung von Antisatelliten-Abwehr eingestiegen. Am 27. März 2019 verkündete der indische Premierminister den ersten erfolgreichen ASAT-Test Indiens (»Mission Shakti«). Dabei hatte eine bodengestützte ASAT-Abfangrakete den indischen Testsatelliten Microsat R in 300 km Höhe zerstört. Ein indischer Sprecher erklärte, der Test sei nicht gegen eine Nation gerichtet gewesen und die Fähigkeit sei zu Abschreckungszwecken erworben worden.

Die Entwicklung von Counter-Space-Technologien (ASAT, Laser, elektronische Kriegsführung usw.) hat sich seit Ende der 2000er Jahre intensiviert (Secure World Foundation 2019). So werden auch zunehmend übliche zivile Satellitenexperimente zu Rendezvous-Zwecken durch die USA, China und Russland beobachtet. Diese »Rendezvous and Proximity Operations« (RPO) können gut getarnt sein, da sie zivilen Zwecken dienen können, wie z. B. der Betankung oder Reparatur anderer Satelliten. Während man bis vor kurzem glaubte, dass Satelliten in hohen geostationären Umlaufbahnen (36.000 km) unzugänglich und daher sicher seien, mehren sich die Hinweise, dass alle Weltraummächte auch Weltraumwaffen für hohe Umlaufbahnen entwickeln. Während die USA seit 2003 unbemannte Rendezvous-Technologien testen, operiert China seit 2021 mit dem Satelliten SJ-21 in der geostationären Umlaufbahn, um Weltraummüll einzusammeln (Harrison et al. 2022,24). Russland nutzte den Luch-Satelliten, um sich mehreren in der geostationären Umlaufbahn geparkten Satelliten zu nähern.

Im Jahr 2020 beschuldigte das Weltraumkommando der US-Streitkräfte Russland, einen Sub-Satelliten vom Typ »Cosmos-2543« abgesetzt zu haben, um einen US-Spionagesatelliten auszuspionieren. Im Juli 2020 wurde Russland vorgeworfen, dass dieser Satellit ein Projektil ausgestoßen habe, um einen ASAT-Test durchzuführen. Die USA werfen Russland und China vor, einerseits für Rüstungskontrolle im Weltraum einzutreten, andererseits aber heimlich ASAT-Waffen zu testen. Transparenz und Vertrauensbildung in diesem Sektor sind jedenfalls nicht mehr festzustellen.

Ein Krieg im Weltraum wird möglich

Die zunehmende Bedeutung der Weltraum­umgebung für militärische Zwecke wird auch durch einschlägige Dokumente, Programme und die Einrichtung von militärischen Weltraumkommandos und -zentren der führenden Weltraummächte unterstrichen. Im Juni 2018 erklärte der damalige Präsident Trump: „Wir brauchen eine amerikanische Dominanz im Weltraum“ (Lewin 2018). Die von Trump ins Leben gerufene neue 6. Streitkraft der »Space Force« verkündete: „Die Menschheit hat sich verändert, und die Handlungen unserer potenziellen Gegner haben die Wahrscheinlichkeit einer Kriegsführung im Weltraum deutlich erhöht“ (US Space Force 2020). Der Weltraum und damit verbunden auch der Cyber­space werden in der im März 2018 veröffentlichten »National Space Strategy« als neue „Kriegsführungsdomäne“ aufgeführt, was neue militärische Weltraumentwicklungen rechtfertigt und eine „durchdachte Antwort“ in Aussicht stellt (DoD 2018). Für 2020 hat das Pentagon eine eigene »Defense Space Strategy« zur Aufrechterhaltung der „Überlegenheit im Weltraum“ entwickelt (DoD 2020). Russland und China werden darin beschuldigt, die „Bewaffnung des Weltraums“ voranzutreiben, und ihre Programme und Dok­trinen werden als kommende strategische Bedrohung angesehen. Gleichzeitig sollen gemäß der Strategie »Weltraum-Kriegsführungsoperationen« in die operative Führung der USA integriert werden. Die Defense Intelligence Agency nennt in ihrem Bericht »Challenges to Security in Space« für 2019 auch Iran und Nordkorea als Herausforderer der US-Überlegenheit im Weltraum (DIA 2019).

Auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel 2021 widmete die NATO dem Weltraum einen eigenen Abschnitt und die Allianz hat inzwischen eigene Richtlinien veröffentlicht (NATO 2022). Einerseits will sie ein verantwortungsvolles Verhalten im Weltraum anstreben, andererseits kann ein Angriff im Weltraum nun auch als Bündnisfall betrachtet werden. In Ramstein wird seit 2020 ein NATO-Raumfahrtzentrum aufgebaut, das die Raumfahrtaktivitäten der NATO-Mitglieder koordinieren soll. Allerdings soll es keine direkten ­NATO-Operationen im Weltraum geben.

Russland setzt seine alte Raumfahrttradition fort und entwickelt seit 2010 verschiedene Programme. Oft sind die Ziele der verschiedenen Entwicklungen unklar. Seit 2015 organisiert Russland auch seine Luft- und Weltraumverteidigung neu. Die russische und die chinesische Raumfahrtindustrie befinden sich weitgehend in staatlicher Hand. Die Zusammenarbeit zwischen Russland und China sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich schreitet voran. Peking hat beschlossen, dass China „in jeder Hinsicht“ eine Weltraummacht werden will (PRC Space Programme 2021). Das Raumfahrtprogramm ist Teil des »chinesischen Traums« von Präsident Xi und umfasst drei Startzentren und den Betrieb einer eigenen Raumstation (vgl. den Beitrag von Engels in diesem Dossier, S. 10). Eine Beteiligung Chinas an der ISS wurde schon vor langer Zeit abgelehnt. Mond- und Marsmissionen unterstreichen Chinas ehrgeizige Ziele im Weltraum. Im Juli 2019 veröffentlichte China sein erstes Verteidigungsweißbuch seit 2015, in dem der Weltraum, der elektromagnetische Raum und der Cyberspace“ als Domänen für die nationale Verteidigung angesehen werden (State Council Information Office 2019). Ebenfalls seit 2015 werden diese Bereiche von den »Strategic Support Forces« verwaltet. Während seit 2018 keine direkten kinetischen ASAT-Tests durch China mehr beobachtet wurden, scheinen mehr nicht-kinetische Versuche (Laser, elektronische Angriffe) stattzufinden (Weeden 2022).

Zwischen diesen Weltraummächten herrscht, wie oben festgestellt, im militärischen Bereich keine Transparenz. Gegenseitige Verdächtigungen und Anschuldigungen dominieren die veröffentlichten Erklärungen und Doktrinen. Das unbemannte amerikanische Mini-Space Shuttle X-37B hat seit 1999 bereits sechs Langzeitmissionen mit unbekanntem Zweck absolviert und beunruhigt China und Russland ebenso wie umgekehrt die ASAT-Tests der VR China und Russlands. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung Biden ernsthafte Anstrengungen unternimmt, um internationale Regelungen voranzutreiben, neue Regeln für die Raumfahrt aufzustellen und für mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit bei Militärprogrammen zu sorgen (Samson und Weeden 2020).

Dieser Text ist eine nachbearbeitete Übersetzung von Auszügen aus Neuneck (2022).

Literatur

Burrows, W. (1998): This new ocean. The story of the first space age. New York: Random House.

DIA (2019): Challenges to security in space. Defense Intelligence Agency (Januar 2019). o.O.: Eigenverlag.

DoD (2018): 2018 National defense strategy. U.S. Department of Defense.

DoD (2020): Defense space strategy. Summary. U.S. Department of Defense, Juni 2020.

Harrison, T.; Johnson, K.; Roberts, T.G. (2018): Space threat assessment 2018. Center for Strategic and International Studies, 12.4.2018.

Harrison, T.; Johnson, K.; Young, M.; Wood, N.; Goessler, A. (2022): Space threat assessment 2022. Center for Strategic and International Studies, 4.4.2022.

Lewin, S. (2018): Trump orders Space Force for ‘American dominance,’ signs space-traffic policy. Space.com, 18.6.2018.

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Neuneck, G. (2008): China’s ASAT test. A warning shot or the beginning of an arms race in space? In: European Space Policy Institute (Hrsg.): Yearbook on space policy 2006/2007: New impetus for Europe. Wien: Springer, S. 211-224.

Neuneck, G. (2022): A new arms race in space? Options for arms control in outer space. In: Peña, J. C. (Hrsg.): Security and defence: Ethical and legal challenges in the face of current conflicts. Cham: Springer, S. 23-36.

Neuneck, G.; Alwardt, Ch.; Gils, H. Ch. (2015): Raketenabwehr in Europa. Baden-Baden: Nomos.

PRC Space Programme (2021): China’s space program: A 2021 perspective. State Council, People’s Republic of China, 28.01.2022.

Samson, V.; Weeden, B. (2020): Enhancing space security: Time for legally binding measures. Arms Control Today 50(10), Dezember 2020.

Secure World Foundation (2019): The UN COPUOS guidelines for the longterm sustainability of outer space activities. Factsheet, November 2019.

State Council Information Office (2019): China’s national defense in the new era. People’s Republic of China, Juli 2019. Beijing: Foreign Languages Press.

Stupl, J.; Neuneck, G. (2005): High energy lasers: A sensible choice for future weapon systems? Security Challenges 1(1), S. 135-153.

Trevithick, J. (2021): U.S. satellites are being attacked every day according to Space Force general. The War Zone, 30.11.2021.

US Space Force (2020): Spacepower doctrine for Space Forces. US Space Force Headquarters, Juni 2020.

Weeden, B. (2022): Chinese Direct Ascent Anti-Satellite Testing. Secure World Foundation, Updated Mai 2022.

Götz Neuneck ist Physiker und Ko-Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

China und USA – Rivalen im Weltraum

von Dieter Engels

Die Nutzung des Weltraums, aber auch die astronomische Forschung und die Erkundungsprojekte von Mond und Mars, sind heute von großer und noch wachsender Bedeutung. Sie werden durch die politischen Konflikte auf der Erde und die daraus resultierenden militärischen Aktivitäten im Weltraum behindert, wenn nicht gar bedroht. Der russische Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 hat die Kooperationen zwischen Russland und den westlichen Staaten praktisch zum Erliegen gebracht. Die zivile Zusammenarbeit im Weltraum, lange ein symbolisches Element gegenseitigen Vertrauens zwischen politisch konkurrierenden Gesellschaften, liegt damit in Trümmern. Noch deutlich ernstere Probleme werden entstehen, wenn die sich in den Weltraum ausdehnenden Rivalitäten zwischen den USA und China nicht durch bilaterale oder internationale Abkommen eingedämmt werden.

Die Bedeutung des Weltraums für Machtdemonstrationen ist nicht neu. Das Apollo-Programm der USA mit sechs Landungen auf dem Mond (1969-1972) und das parallel dazu gescheiterte Programm der Sowjetunion manifestierte die Vorherrschaft der USA im Weltraumsektor. Diese Vorherrschaft wird heute aber mindestens durch Chinas Weltraumprogramm (Reichl 2022; Harvey 2019) in Frage gestellt, u.a. auch bei der Erforschung des Mondes. Neben dem Aufbau einer breiten Palette von Satellitensystemen (mit 541 ca. 10 % aller Satelliten weltweit, UCS 2022), wird in China systematisch an prestigeträchtigen bemannten Raumfahrtprogrammen, sowie an Erkundungsmissionen zu Mond und Mars gearbeitet (Reichl 2022).

Orbitale Programme Chinas

Mit Programmen zur Entsendung von Menschen in eine Umlaufbahn wurde offiziell bereits Anfang der 1970er Jahre noch unter Mao Zedong begonnen. Aber erst 2003 erreichte der Taikonaut Yang Liwei die Umlaufbahn in einer Shenzou Raumkapsel. Seitdem wurde das Raumfahrtprogramm parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung Chinas rapide vorangetrieben. Bereits 2011 und 2015 wurden die erste Raumstationen Tiangong 1 und 2 gestartet, die mehrfach von Taikonauten mit Hilfe der Shenzou-Kapseln jeweils für wenige Wochen besucht wurden. Dabei wurden zahlreiche Technologien getestet, die für den permanenten Betrieb einer solchen Station notwendig sind. Seit kurzem wird mit dem Aufbau von Tiangong 3 begonnen. Gestartet wurde am 21.4.2021 mit dem 22 Tonnen schweren Zentralelement »Tianhe«, das mit den notwendigen Antrieben, Versorgungseinheiten, sowie Unterkünften und sechs Andockstationen ausgestattet ist. Die erste dreiköpfige Crew besuchte die Station schon im Oktober 2021. Zu ihr gehörte Wang Yaping, Chinas zweite Frau im All, die als erste Frau bei ihrem Aufenthalt einen Außenbordeinsatz absolvierte. Weitere Elemente der Station werden zwei Labore sein, die in den nächsten Monaten gestartet werden sollen, und temporär angedockte »Tianzhou«-Frachtmodule, die zusätzlichen flexibel nutzbaren Raum für jeweils sechs Monate bieten. Die Station ist mit einer geplanten Gesamtmasse von ca. 100 Tonnen etwa nur ein Viertel so groß wie die Internationale Raumstation ISS und fliegt mit 340 bis 430 km in vergleichbarer Höhe. Konzipiert ist sie für eine Lebensdauer von 10 bis 15 Jahren. Mit einer permanenten Besatzung wird ab 2023 gerechnet. Ein Highlight der Station ist ein Weltraumteleskop »Xuntian«, das Ende 2024 gestartet werden soll. Es fliegt in geringem Abstand auf der gleichen Bahn wie Tiangong 3, und soll von dort aus gewartet werden können (Reichl 2022).

Mondprogramme Chinas und der USA

Das chinesische Monderkundungsprogramm wurde mit dem Start der ersten, nach der Mondgöttin Chang’e benannten Mondsonde 2007 begonnen (Reichl 2022, S. 30-33). Die ersten unbemannten Mondlandungen erfolgten 2013 und 2019 (Chang’e 3 und 4), und 2020 brachte die Mission Chang’e 5 dann 1,7 kg Mondgestein zur Erde zurück. Damit gelang China als drittem Land dieses Experiment, nach den USA und der Sowjetunion. Weitere drei Sonden mit Starts innerhalb der nächsten zehn Jahre sind in Planung. Parallel entwickelt China eine neue Raumkapsel, die die bisher verwendeten Shenzou Raumkapseln zur Versorgung der Raumstation ablösen soll, aber auch Menschen zum Mond bringen kann (Reichl 2022, S. 32). 2021 wurde angekündigt, in den 2030er Jahren eine Mondforschungsstation bauen zu wollen, an der auch Russland beteiligt sein soll und die Mitarbeit weiterer Länder erwünscht ist (ebd., S. 34; Jones 2021). Die Station soll robotisch arbeiten, und nur hin und wieder von Taikonaut*innen zur Wartung besucht werden (Zheng 2021).

Auf der anderen Seite nimmt »Artemis«, das Apollo-Nachfolgeprogramm der USA, mit dem für November 2022 geplanten Start der neuen Trägerrakete »Space Launch System« (SLS) an Fahrt auf. Die Geschichte von Artemis hat viel mit der Einstellung des Space Shuttle Programms 2011 zu tun. Obgleich umstritten, hatte der US-Kongress Jahr für Jahr Mittel für den Bau des SLS und einer Orion-Kapsel bewilligt, um die durch das Shuttle-Programm freiwerdenden Raumfahrtkapazitäten in mehreren Bundesstaaten zu erhalten. Die SLS-Rakete wird die Orion-Kapsel in einen 42-tägigen Testflug um den Mond schicken – eine Mission (Artemis 1), die in der Bergung der Kapsel innerhalb von nur zwei Stunden nach der Landung im Pazifischen Ozean gipfeln soll. Bei einem Erfolg der Mission, soll mit Artemis 2 der erste bemannte Flug (ohne Landung auf dem Mond) nicht vor Ende 2024 folgen. An den Artemis-Missionen sind auch Japan, Kanada und die europäische Raumfahrtagentur ESA beteiligt. Die ESA hat das Versorgungsmodul für die Orion-Raumkapsel beigetragen und wird fünf weitere bauen. Dafür werden den Ländern Mitflugmöglichkeiten geboten. Zwei der europäischen Astronaut*innen sollen sich mit Artemis 4 und 5 am Aufbau des von den USA angestrebten »Lunar Gateway« beteiligen, ein dritter soll bis 2030 den Mond betreten können (Foust 2022a, b). Bei dem Gateway handelt es sich um eine Raumstation in der Mondumlaufbahn, die u.a. als Umschlagplatz dienen soll, um eine ebenfalls geplante Station auf der Mondoberfläche zu versorgen.

Es ist abzusehen, dass die beiden Programme nicht im sportlichen Wettstreit miteinander den Mond erkunden werden. Neben Grundlagenforschung werden die Missionen auch Möglichkeiten (kommerzieller) Ausbeutung von Rohstoffen erkunden. Das generelle Misstrauen der USA in die chinesischen Weltraumaktivitäten macht deshalb auch vor der Mond­erkundung nicht halt, wobei bei den Anschuldigungen nicht gerade zimperlich vorgegangen wird. NASA-Leiter Bill Nelson warf China Anfang Juli 2022 in einem Interview der Bild-Zeitung vor, den Mond besetzen zu wollen (Both 2022): „Wir müssen sehr besorgt darüber sein, dass China auf dem Mond landet und sagt: Der gehört jetzt uns, und Ihr bleibt draußen.“ Weiter sagte er, Chinas Raumstation würde zum Training für Astronaut*innen dienen, die Satelliten von Anderen zerstören sollen, sowie dass die technologischen Erfolge Chinas lediglich durch geklaute Ergebnisse möglich gewesen seien.

China reagierte darauf empört. Der Sprecher des Außenministeriums, Zhao Lijian, bewertete Nelsons Vorwürfe als „rücksichtslos“ und eine „Lüge“. Andere chinesische Offizielle betonten, dass kein Interesse bestehe, den Mond zu militarisieren, und China eine Gemeinschaft (»community«) vieler Nationen unterstütze (Hughes 2022). Die Äußerungen Nelsons gelten für Kenner des chinesischen Weltraumprogramms als weit hergeholt. Die Inbesitznahme des Mondes durch Staaten ist durch den 1967 geschlossenen und auch von China unterzeichneten Weltraumvertrag rechtlich ausgeschlossen. Auch wäre der Aufwand immens um 39 Mio. km2 Oberfläche (fünfmal die Fläche Australiens) zu besetzen, zumal der Nutzen fragwürdig ist. China, dessen Raumfahrtbudget 2020 geschätzte 13 Mrd. US$ umfasste (etwa halb soviel wie das Budget der NASA), könnte dies allein nicht leisten, wie auch andere Nationen nicht (Ben-Hitzak und Hines 2022).

Die parallele Erkundung des Monds und der Aufbau von Forschungsstationen kann aber wohl zu Konflikten führen. Ein eventuelles Eindringen in die nähere Umgebung dieser Stationen wird sicher als unerwünscht angesehen, so wie auf der Erde das unautorisierte Eindringen von fremden Schiffen in die 200-Meilen Zone eines Küstenstaates. Damit würde eine de-facto Kontrolle über (kleine) Teilgebiete ausgeübt, die im Prinzip schrittweise ausgeweitet werden könnte. Streit könnte durch die Konkurrenz um besonders interessante Gebiete entstehen, z.B. mit Wasser-Eis-Vorkommen. Auszuschließen sind solche Szenarien nicht, da die in beiden Ländern diskutierten Landegebiete am lunaren Südpol für die bemannte Artemis 3 Mission der USA (geplanter Start Ende 2025) und auch für die unbemannte Mondsonde Chang’e 7 (geplanter Start 2024) Überschneidungen aufweisen (Jones 2022).

Herausforderungen der Satellitenverfolgung: klare Regelungslücken

Der Raum zwischen dem geostationären Orbit (GEO) und der Mondumgebung wird als »cislunarer Raum« bezeichnet, ist tausendmal größer als der erdnahe Raum (siehe Infokasten) – und wird bisher kaum überwacht. So ist die Chang’e 5 Raumsonde nach der Abtrennung der Rückkehr-Kapsel Ende 2020 aktiv geblieben, und im Herbst 2021 zum Lagrange Punkt L1 in der Nähe des Monds manövriert worden (zu den Fachbegriffen GEO, cislunar und ­Lagrange-Punkt, siehe Infokasten). Dieses unangekündigte Manöver ist nur durch die Aktivitäten einiger Amateure der Satellitenverfolgung bekannt geworden. Es gibt keine internationalen Regelungen, die die Meldung eines solchen Manövers verlangen. Jedoch zeigt dieser Fall, dass die Bewegungen von Weltraumfahrzeugen im cislunaren Raum zumindest für die Öffentlichkeit nur unzureichend bekannt sind (Schingler et al. 2022). Bestehende Weltraumüberwachungssysteme reichen bisher nur bis zur GEO-Bahn.

Lagrange-Punkte bzw. -Regionen

Im Erde-Mond- und Sonne-Erde-System gibt es ausgezeichnete Orte, in denen sich die Schwerkraft der beteiligten Körper gerade aufhebt. Diese an der Zahl fünf Orte werden nach dem italienischen Himmelsmechaniker J.-L. Lagrange (1736-1813) benannt. Von Interesse sind im Erde-Mond-System die Lagrange-Punkte L1 und L2, die sich auf der Verbindungsachse Erde-Mond vor und hinter dem Mond befinden.

Vor allem der L2 Punkt gilt als bevorzugter Ort für die Stationierung von Sonden. Diese Punkte sind aber instabil, so wie die Balance einer Kugel auf einer Spitze instabil ist. Sonden werden daher auf Umlaufbahnen um die L-Punkte gebracht. Es ist ausreichend Platz für verschiedene Bahnen, sodass ein gleichzeitiger Aufenthalt mehrerer Satelliten möglich ist. Der Begriff »Punkt« ist deshalb etwas verwirrend, genauer sind es Regionen.

Weltraum, GEO, LEO – eine Definition

Die Grenze zwischen der Erdatmosphäre und dem Weltraum ist fließend. Üblicherweise wird sie bei 80 bis 100 km oberhalb der Erdoberfläche gezogen. Satelliten müssen eine Mindesthöhe erreichen, damit sie nicht durch die Restatmosphäre zu schnell abgebremst werden und zur Erde zurückstürzen. Die meisten Satelliten und die Raumstationen umkreisen die Erde in Umlaufbahnen bis ca. 2.000 km Höhe (LEO = Low Earth Orbit).

Der Start in den LEO benötigt weniger Energie und der geringe Abstand erlaubt eine relativ hohe Auflösung bei den Aufnahmen zur Erdbeobachtung oder Aufklärung. Der Nachteil sind die kurzen Umlaufzeiten im Zeitraum von Stunden, die die kontinuierliche Beobachtung eines bestimmten Gebietes nur mit Hilfe mehrerer Satelliten erlauben.

Dieser Nachteil wird auf einer Bahnhöhe von 36.000 km (GEO = Geostationary Orbit) aufgehoben. Satelliten, die in dieser Höhe über dem Erdäquator umlaufen, befinden sich ständig oberhalb eines bestimmten Ortes auf der Erde. Mit Hilfe von drei im Winkelabstand von 120 Grad angeordneten Satelliten, lässt sich ständig die gesamte Erdoberfläche (außer den Polargebieten) im Blick behalten. Diese besondere Bahn ist deshalb der bevorzugte Aufenthaltsort der Kommunikations-Satelliten (Telefon, TV, …), aber auch von Frühwarnsatelliten, die Raketenstarts erfassen, und vor einem potentiellen Atomschlag warnen können.

Die Bahnen zwischen LEO und GEO werden von Satelliten(-Konstellationen) genutzt, die die speziellen Eigenschaften der LEO- und GEO-Bahnen nicht benötigen. Die kommerzielle und militärische Nutzung des Weltraums beschränkt sich bisher auf den »erdnahen Raum« innerhalb der GEO-Bahn. In den »cislunaren« Raum bis zum Mond in einer Entfernung von 384.000 km, in den interplanetaren Raum (bis 4,5 Mrd. km) und darüber hinaus sind bisher nur Sonden und (bemannte) Weltraumfahrzeuge zur Forschung und Erkundung vorgedrungen.

Mit den zunehmenden Aktivitäten Richtung Mond wird Transparenz bei den Bewegungen und Kommunikationskanälen zwischen den beteiligten Betreibern eine Voraussetzung sein, um auch unbeabsichtigte (Nahezu-)Kollisionen in Zukunft zu vermeiden (Byers und Boley 2022). Diese Kommunikation wird mit Hindernissen zu rechnen haben, weil im Hintergrund immer militärische Dienste die ausgetauschten Informationen abgreifen. So hat beispielsweise die US Air Force Zugriffsrechte auf die Daten, die der erst kürzlich gestartete CAPSTONE Kleinsatellit der NASA zur Erkundung geeigneter Mondumlaufbahnen für die geplante »Gateway«-Station überträgt (Schingler et al. 2022).

Vor diesem Hintergrund ist die in den USA aufgeflammte Diskussion, die Aktivitäten Chinas im cislunaren Raum oder auf dem Mond als neue Herausforderung für die US-amerikanischen Sicherheitsinteressen zu sehen, alarmierend (Bender 2022). Aus militärischen Kreisen wird bereits ein Überwachungssatellit (»Cislunar Highway Patrol System«) für den Raum zwischen Erde und Mond vorgeschlagen (Air Force 2022). Auch Forschungsprojekte auf der Mondoberfläche werfen Fragen auf (s. Abb. S. 11).

Umstrittene Projektvisualisierung zu Materialentwicklung auf dem Mond durch die ­Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), einer Behörde des US-Verteidigungsministeriums. Das von den DARPA Webseiten inzwischen entfernte Bild suggeriert geplante Aktivitäten des Militärs auf dem Mond. Im Einzelnen: Hitchens 2021a. (Quelle: DARPA NOM4D project image)

Die Diskussionen in China zu diesem Thema sind unbekannt. Der bereits erwähnte Weltraumvertrag, der als einziger der weltraumbezogenen Rüstungskon­trollverträge heute noch Bestand hat, beinhaltet Regelungen, die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zu keinen praktischen Folgen führten, die aber heute aktuell sind. Der Vertrag ist ein Beispiel dafür, wie frühzeitige Verhandlungen verhindern, dass Partikularinteressen den Abschluss eines Abkommens blockieren. Knapp 20 Jahre später war es zum Beispiel nicht mehr möglich, breite Unterstützung für den 1984 in Kraft getretenen Mond-Vertrag zu erhalten, der auch die private Aneignung von lunaren Ressourcen verbieten sollte (O’Brien 2022). 2020 haben die USA mit den »Artemis Accords« immerhin eine Initiative gestartet, über bilaterale Abkommen zu Regulierungen für den Rohstoffabbau und zu Sicherheitszonen um mögliche Stationen zu kommen. 21 Ländern haben die »Accords« bisher unterzeichnet, nicht aber China, Russland und bisher auch nicht Deutschland. Kritiker*innen werfen den USA vor, ihre Rechtsauffassung durchdrücken zu wollen (Boley und Byers 2022; Seidler 2022), statt sich um internationale Abmachungen zu bemühen. Denn es droht eine Situation wie beim Goldrausch in Alaska: Wer auf dem Mond als erster gräbt, darf die Schätze behalten.

Initiativen für eine Aufnahme von internationalen Verhandlungen zu potentiell möglichen Konflikten bei der Erkundung des Mondes aber auch zu gegenseitigen Hilfsmaßnahmen in Notfällen wären wünschenswert. Die Weltraumüberwachung für den cislunaren Raum sollte international organisiert und maximale Transparenz zu den dort stattfindenden Aktivitäten für alle Staaten, aber auch für zivile Organisationen hergestellt werden. Solche Verhandlungen werden derzeit vermutlich eher zum Erfolg führen, als solche zu den Problemen im erdnahen Raum.

Die neue große Rivalität

Seit der Fokussierung der US-amerikanischen Außenpolitik auf den Ostasien-Raum (»Pivot to Asia«, Lippert und Perthes 2020; Müller 2021) und insbesondere während der Regierungszeit von Donald Trump (2017-2021) haben sich die Medienpublikationen vervielfacht, die sich mit Chinas angeblicher Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA auch im Weltraum beschäftigen. Sie begleiten die Gründung der »Space Force« Ende 2019, die die bisher verteilten militärischen Raumfahrtprogramme in einer eigenständigen Teilstreitkraft bündelte (David 2020). China wird aus US-amerikanischer Perspektive vorgeworfen, an Anti-Satelliten- und anderen Weltraum-Waffen zu arbeiten, sodass sich die USA auf Kampfhandlungen im Weltraum vorbereiten müssten (DIA 2021; Erwin 2021, Hitchens 2022a). In einem jährlich herausgegebenen Bericht des Pentagons (DoD 2021) werden Chinas raumfahrtbezogene Fähigkeiten als Teil seiner militärischen Fähigkeiten beschrieben, und die Raumstation, das Satelliten-Navigations-System Beidou, und die Gaofen Erdbeobachtungs-Satelliten zum Unwillen Chinas als militärische Einrichtungen angesehen (Wei et al. 2022). Dies sind typische Beispiele von Dual-Use-Projekten, wobei die nicht vorhandene Trennung von militärischer und ziviler Raumfahrt in China es kaum zulässt zu bestimmen, auf welchem Bereich der Schwerpunkt liegt. Der doppelte Verwendungszweck ist aber bei den westlichen Raumfahrtsystemen auch gegeben, sei es bei dem militärisch entwickelten Navigations-Satelliten-System GPS oder bei dem zivil entwickelten europäischen System Galileo (siehe dazu Demirel und Wagner 2021). Beide Systeme haben neben dem öffentlichen auch ein verschlüsseltes Signal, welches dem Militär und anderen Regierungsstellen vorbehalten ist (GPS 2019, 2020). Auch Erdbeobachtungs-Bilder, wie sie aktuell von kommerziellen Anbietern entwickelte Kleinsatelliten aufnehmen, werden an militärische Kunden verkauft oder, wie im aktuellen Fall der Ukraine, direkt an eine Armee weitergegeben (Hitchens 2022b).

China bestreitet vehement, sich in seiner Entwicklung des Weltraumprogramms von Rivalitäten mit den USA leiten zu lassen und sich an einem Wettlauf um die Vormacht zu beteiligen. Seine Verteidigungsfähigkeit im Weltraum würde entsprechend seiner generellen Präsenz im Weltraum ausschließlich dazu dienen, Chinas Souveränität im Weltraum sicherzustellen (Zheng 2021). Im Gegenzug wirft China den USA vor, selbst Waffen für den Einsatz im Weltraum zu entwickeln, den Weltraum als mögliches Schlachtfeld erklärt zu haben (Glenn 2020) und ihre langjährige Politik der Dominanz im Weltraum fortzusetzen. Die USA seien die Hauptverantwortlichen für die fortschreitende Militarisierung des Weltraums. Die angesprochenen Weltraumwaffen sind bekannte Programme, wie Laserwaffen und Störsender, aber auch der Geheimhaltung unterliegende Programme, von denen in 2021 gefordert wurde, sie zu Abschreckungszwecken öffentlich zu machen (Hecht 2019; Hitchens 2021b). Offizielle Stellen der VR China beklagen eine Welle von Versuchen, das chinesische Weltraumprogramm in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, und verweisen auf das Weißbuch von 2021 (SCIO 2022), das sich deutlich dafür ausspricht, den Weltraum für friedliche Zwecke zu nutzen und sich Bestrebungen zu widersetzen, den Weltraum in eine Waffe oder ein Schlachtfeld zu verwandeln, oder dort gar ein Wettrüsten zu beginnen.

Die gegenseitigen Anschuldigungen erinnern nur zu gut an den ständigen verbalen Schlagabtausch zwischen der Sowjetunion und den USA im Kalten Krieg. Trotzdem war es damals möglich zusammenzuarbeiten, wie der Aufbau der ISS mit Russland seit 1998 zeigt. Von solchen Projekten, die den verbalen Friedensbeschwörungen Glaubwürdigkeit verleihen würden, sind die USA und China jedoch aktuell noch weit entfernt.

Literatur

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Dr. Dieter Engels ist Astrophysiker und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg.

Ein doppelter Verwendungszweck

Die Nutzung des Weltraums in Europa

von Regina Hagen

Die Nutzung von Weltraumtechnologie gehört spätestens seit dem Golfkrieg 1991 zum Repertoire der aktiven Kriegsführung. Navigations-, Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten ermöglichten damals den US-Truppen die Orientierung im fremden Gelände, den schnellen Vormarsch in den Irak und vernichtende, hochpräzise Angriffe mit Marschflugkörpern und Kurzstreckenraketen auf (mitunter nur vermeintlich) militärische Ziele.

Im aktuellen Ukrainekrieg kommt militärischen wie zivilen Weltraumsystemen erneut eine entscheidende Rolle zu. Verbündete Staaten, wie die USA und Großbritannien, versorgten die Ukraine schon vor Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 mit militärischen und nachrichtendienstlichen Aufklärungsdaten und -berichten. Der russische Verteidigungsminister konstatierte sechs Monate nach Kriegsbeginn, „[w]ir sind wirklich im Krieg mit […] der NATO und dem kollektiven Westen“; dabei gehe es nicht nur um Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern um „Kommunikationssysteme, […] Aufklärungssysteme und Spionagesatelliten“ (TASS 2022).

Die ukrainischen Streitkräfte setzen bei der Weltraumnutzung aber nicht nur auf die Hilfe befreundeter Staaten, sondern wurden selbst aktiv. Dazu zwei Beispiele:

  • Schon zwei Tage nach Beginn des Krieges vermeldete Elon Musk, Gründer und CEO von SpaceX (vgl. Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21), die von der ukrainischen Regierung erbetene und von der US-Regierung mitfinanzierte und mitorganisierte Lieferung erster Starlink-Terminals an ukrainische Regierungsstellen, um die durch Russland gestörte Satellitenkommunikation zumindest teilweise wieder zu ermöglichen (Jin 2022). Einsatzkräfte an der Front nutzen das kommerziell betriebene, auf bislang gut 3.000 Kleinsatelliten basierende Breitbandsystem z.B. zur Kommunikation mit anderen Truppenteilen oder zur Übertragung von Zielkoordinaten an Artilleriegeschosse und bewaffnete Drohnen.
  • Unter anderem zur Festlegung dieser Zieldaten verfügt das ukrainische Militär seit Kurzem über den exklusiven, per Crowdfunding finanzierten Zugriff auf einen SAR-Kleinsatelliten der finnischen Firma ICEYE (ICEYE 2022) sowie die Rechte an der Datennutzung weiterer ICEYE-Satelliten. Synthetic Aperture Radar (SAR) liefert auch bei Wolken, Schnee, Nebel und Dunkelheit zuverlässig Bilder, in diesem Fall mit einer Auflösung von einem halben bis einem Meter. Diese können mit optischen Daten kommerzieller Satelliten kombiniert in relativ kurzen Abständen aussagekräftige Bilder für die Zielidentifikation liefern und Aufklärungsdaten befreundeter Streitkräfte und Geheimdienste, z.B. Großbritanniens, bestätigen oder ergänzen.

Die vollständige Integration der »Dimension Weltraum« in die Verteidigungsplanung und Kriegsführung war seit Langem abzusehen. In den USA gibt es mit der U.S. Space Force eine eigenständige Teilstreitkraft; in China sind die Weltraumprojekte der Strategischen Kampfunterstützungstruppe unterstellt; in Russland gehört der Weltraum zum Aufgabenspektrum der Воздушно-космические силы (Luft- und Weltraumkräfte). Diese militärischen Hauptakteure haben ebenso wie Indien in den letzten 15 Jahren mit Anti-Satelliten-Tests außerdem ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, gegnerische Weltraumobjekte zu zerstören (vgl. Neuneck in diesem Dossier, S. 6). Die NATO betreibt keine eigenen Satelliten, erklärte aber den Weltraum vor wenigen Jahren zum »Operationsbereich«, verabschiedete eine Weltraumstrategie (NATO 2022a) und eröffnete auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein ein Weltraumzentrum. Dabei setzt die NATO gezielt auf Dual-use – und auf die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union (NATO 2022b; Geoană 2020; EEAS 2020).

Europa und die Dimension Weltraum

Auch in Europa hat Raumfahrt schon lange einen hohen Stellenwert, wird von zahlreichen Akteuren betrieben und erzeugt einen relevanten kommerziellen Umsatz (2019: ca. 13 Mrd. Euro).

Der größte der europäischen Akteure ist die 1975 gegründete Europäische Welt­raum­agen­tur (European Space Agency, ESA) mit 22 Mitgliedstaaten, die nicht alle der EU angehören (was umgekehrt ebenso gilt), und einem Budget in Höhe von 7,15 Mrd. Euro für 2022. Die ESA hat relevante Niederlassungen in sieben europäischen Ländern und einen eigenen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana.

Schwerpunktmäßig beschäftigen sich die ESA-Projekte mit dem Bau von zivilen Raketen für große und kleine Nutzlasten, der Erforschung des tiefen Weltraums, der bemenschten Raumfahrt (u.a. Beteiligung an der Internationalen Weltraumstation), der Erd-, Klima- und Wetterbeobachtung, der Satellitennavigation und -kommunikation sowie der Suche nach Lösungen für die zunehmende »Vermüllung« des Weltraums (vgl. Beiträge von Sönnichsen und Bertamini in diesem Dossier, ab S. 21).

Laut Satzung wurde die ESA für „ausschließlich friedliche Zwecke“ gegründet (ESA 1975), öffnete sich seit der Jahrtausendwende jedoch zunehmend für »Sicherheits«-Themen, und zwar unter ausdrücklichem Verweis auf die »Petersberg-Erklärung«. In dieser hatte sich die Europäische Union, der zweite große Weltraumakteur in Europa, ab 1992 für gemeinsame Militäraktionen der Mitgliedstaaten bis hin zu „Kampfeinsätze[n] bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens“ (WEU 1992) ausgesprochen.1

Inzwischen gehört die zivil-militärische Nutzbarkeit von Weltraumprogrammen ausdrücklich zum Verständnis von ESA und EU, ebenso die enge Kooperation zwischen den beiden Organisationen. Seit 2019 ist die Weltraumthematik der EU im Direktorat »Verteidigungsindustrie und Weltraum« angesiedelt und wird 2021-2027 mit knapp 15 Mrd. Euro finanziert.

Im Mai 2021 konstatierten das Europäische Parlament und der Europäische Rat: „Die Entwicklung der Weltraumwirtschaft ist seit jeher mit dem Bereich der Sicherheit verknüpft. In vielen Fällen haben die Ausrüstung, Komponenten und Instrumente, die in der Weltraumwirtschaft zum Einsatz kommen, sowie Weltraumdaten und –dienste einen doppelten Verwendungszweck.“ In diesem Sinne sollten „[d]ie Möglichkeiten, die die Raumfahrt im Hinblick auf die Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten bietet, […] insbesondere gemäß der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union vom Juni 2016 genutzt werden“ (EU 2021).

Im März 2022 kamen auch die Staats- und Regierungschefs der EU überein, „Synergien zwischen Zivil-, Verteidigungs- und Weltraumforschung und -innovation zu fördern und in kritische und neue Technologien und Innovationen für Sicherheit und Verteidigung zu investieren“ (EU 2022a). Im »Strategischen Kompass für Sicherheit und Verteidigung« vom März 2022 kommt dem Weltraum ebenfalls eine hohe Bedeutung zu (EU 2022b).

Europäische Dual-use-Projekte

Die ESA und/oder die EU betreiben eine Reihe von Weltraumprojekten mit dezidiert militärischem Nutzen. Einige davon werden nachfolgend beschrieben.

Satellitennavigation mit Galileo

Heute ist Kriegsführung ohne Satellitennavigation kaum noch denkbar. Panzer und Schiffe vergewissern sich mit Hilfe der Signale ihrer exakten Position und Geschwindigkeit; Raketen, Marschflugkörper und Drohnen werden präzise gelenkt; Minengürtel werden punktgenau verlegt; Nachschub erreicht die Truppen am richtigen Abschnitt der Front.

Galileo ist ein von der EU und der ESA gemeinsam betriebenes, mit dem US-amerikanischen Global Positioning System (GPS), dem russischen Glonass und dem chinesischen Beidou vergleichbares globales System, das zur exakten Positions- und Zeitbestimmung die Signale von Navigationssatelliten nutzt.

Galileo wurde, anders als GPS, Glonass und Beidou, als ziviles Programm aufgesetzt und als solches 2003 von den EU-Mitgliedstaaten genehmigt. 2008 allerdings stimmte das EU-Parlament auf Antrag des deutschen CDU-Abgeordneten Karl von Wogau einer Resolution zu, die „betont, dass Galileo für eigenständige ESVP-Operationen2 notwendig ist, wie auch für die Gemeinsame Außen- und Sicher­heitspolitik (GASP), für Europas eigene Sicherheit und für die strategische Autonomie der Union“ (EP 2008).

Entsprechend bietet Galileo neben den zivilen und offenen Nutzungsmöglichkeiten, z.B. der Positionsbestimmung mit dem Smartphone oder dem Einsatz im Bergbau, in der Landwirtschaft und im Vermessungswesen, einen geschützten Dienst mit einer höheren Ausfallsicherheit und vor allem einer höheren Genauigkeit. Auf diesen verschlüsselten »Öffentlichen Regulierten Dienst« können nur bestimmte Nutzergruppen zugreifen, darunter der Europäische Auswärtige Dienst, Streitkräfte, Polizei, Küstenwachen einschließlich FRONTEX sowie Nachrichtendienste.

Aktuell besteht Galileo aus 24 Satelliten in einer mittleren Erdumlaufbahn. Für den Betrieb von Galileo wurde eigens die Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm (EUSPA) gegründet.

Erdbeobachtung mit Copernicus

Aus dem Weltraum lassen sich die Erde und ihre Ökosysteme besonders gut und über lange Zeiträume beobachten. Der Zustand der Landmasse, der Meere und anderer Gewässer, der Pole, Eismassen und Gletscher, der Atmosphäre und der klimatischen Verhältnisse sowie deren Veränderungen stehen hier im Zentrum.

Für die Europäische Union ist Copernicus das zweite, ebenfalls in Kooperation mit der ESA betriebene, »Flaggschiff«-Projekt im Weltraum. Zusätzlich zu Satellitendaten bindet Copernicus Daten ein, die von land-, see- und luftgestützten Messstationen gesammelt werden. Die von Copernicus bereitgestellten Informationen sind in der Regel offen und kostenlos zugänglich; zu den Nutzergruppen gehören Behörden und Unternehmen ebenso wie Umweltämter und -verbände oder interessierte Bürger*innen.

Neben Land-, Meeres-, Atmosphären- und Klimaüberwachung bietet Copernicus zwei weitere »Kerndienste«: Katastro­phen- und Krisenmanagement sowie Sicherheitsdienste. Letzteres meint die gezielte Aufbereitung der mit Copernicus gewonnenen Daten zur Überwachung der EU-Außengrenzen (insbesondere zum Schutz vor »illegitimer« Migration), zur Unterstützung militärischer EU-Einsätze auch außerhalb Europas und zur Überwachung des Schiffsverkehrs (ESA 2014). Diese Daten können „geschützt“ und als „Verschlusssache“ behandelt (EU 2014) und somit bestimmten Nutzergruppen vorbehalten werden, die im Wesentlichen denen des regulierten Dienstes von Galileo entsprechen.

Copernicus umfasst mehrere systemspezifische, »Sentinel« (Wächter) genannte Satelliten sowie einige Instrumentenpakete an Bord von Wettersatelliten der europäischen Wettersatellitenbehörde EUMETSAT. Zu den eingesetzten Technologien gehören u.a. SAR- und Radar-Höhenmessungssysteme sowie optische Spektralkameras vom sichtbaren bis zum Infrarotbereich mit hohem militärischem Nutzungswert. Weitere Daten werden von bis zu 30 Fernerkundungs- und Spionage-Satelliten zugeliefert, die von nationalen, europäischen und internationalen Organisationen betrieben werden. Komplettiert wird das Gesamtsystem durch mehrere Boden- und Kontrollstationen.

Satellitenkommunikation mit EDRS

Das Europäische Daten-Relais-Satellitensystem (EDRS) nutzt zur Satellitenkommunikation stör- und abhörsichere Laserstrahlen mit einer besonders hohen Datenübertragungsrate. Die EDRS-Satelliten kreisen im geostationären Orbit, empfangen die Datenströme niedriger fliegender Satelliten oder Flugzeuge und übertragen diese nahezu in Echtzeit an andere Satelliten oder an die Bodenstationen, die sich alle auf EU-Territorium befinden (ESA 2022). Die damit mögliche Datenautonomie und die hohe Störresistenz sowie die Nahezu-Echtzeitfähigkeit machen das System attraktiv für militärische Anwendungen, wie Aufklärung oder die Datenübertragung an Kampfjets und Drohnen. Das komplette, unter dem Markennamen »SpaceDataHighway™« laufende, System gehört dem privaten Unternehmen Airbus Defence and Space und wird von diesem im Auftrag der ESA betrieben (Airbus 2022).

Sichere Regierungskommunikation mit GOVSATCOM

Governmental Satellite Communications (GOVSATCOM) ist ein EU-Programm für sichere Satellitenkommunikation „mit einer starken Sicherheitsdimension“ im Rahmen der »Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union« vom Juni 2016. Kern ist die Sicherstellung der Kommunikation in Regionen oder Situationen, in denen andere Kommunikationsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen oder gestört bzw. zerstört sind, oder anders formuliert die „Übertragungssicherheit kritischer Informationen mit adäquatem Schutz vor Störung, Abhörung, Eindringung und Cybersicherheitsrisiken“ (ENTRUSTED o.D.) zu garantieren. Zu den Anwendungsbereichen von GOVSATCOM gehören das zivile und das militärischen Krisenmanagement sowie die Überwachung der EU-Außengrenzen und der »illegitimen« Migration. Auch bei diesem Programm werden als Anwendergruppen ausdrücklich Polizei, Grenztruppen und „militärische Krisenkräfte“ identifiziert (EUSPA 2021).

Datenauswertung im Satellitenzentrum Torrejón

Die EU betreibt in Spanien ein eigenes Satellitenzentrum. Auf seiner Homepage führt sich das European Union Satellite Centre (EUSC) so ein: „Arbeiten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Im Kontext der Informationsflut und -verzerrung bietet SatCen eine schnelle und zuverlässige Analyse von Satellitendaten zur Bewältigung aktueller Sicherheitsherausforderungen.“ (EUSC o.D.)

Hier werden für EU-Behörden Satellitenbilder, insbesondere von Copernicus, und Luftbilder gesammelt und so aufbereitet, dass sie die Überwachung von Vorgängen und Aktivitäten außerhalb Europas ermöglichen. Dazu arbeitet das Zentrum eng mit der Europäischen Verteidigungsagentur zusammen und unterstützt mit seinen Analysen die zuständigen Behörden bei der Entscheidungsfindung im Bereich Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. EUSC ist direkt dem Hohen Repräsentanten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik unterstellt.

Wohin führt der Weg?

Die militärisch relevanten Weltraumprogramme von EU und ESA reichen bei weitem nicht an die der größeren Akteure, wie USA, Russland oder China, heran. Auch sind in Europa bislang keine Tendenzen zur Weltraumbewaffnung zu erkennen. Am aktuellen Ukrainekrieg lässt sich aber wieder einmal erkennen, wohin der Trend zu gehen scheint: zur immer entgrenzteren Kriegsführung und zum Ausreizen aller technischen Möglichkeiten, auch der, die die Weltraumtechnologie bietet.

Bereits 2008 legte die EU der internationalen Gemeinschaft den Entwurf eines Internationalen Verhaltenskodex für Weltraumaktivitäten (International Code of Conduct for Outer Space Activities) vor, der 2012 und 2013 auf mehreren Expertentreffen diskutiert und daraufhin überarbeitet wurde. Der Kodex soll u.a. „die weitere friedliche und nachhaltige Nutzung des Weltraums für jetzige und künftige Generationen schützen“, dabei helfen, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern“, die weitere Entstehung von Weltraumschrott verhindern und „internationale Normen für verantwortliches Verhalten im Weltraum stärken“ (EEAS 2014). Zu echten Verhandlungen über diesen Vorschlag kam es bislang nicht, und die Gespräche bei der UN-Abrüstungskonferenz in Genf über die »Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum« (PAROS) kommen auch keinen Schritt voran.

Die Bemühungen um »Spielregeln« für die Weltraumnutzung sind löblich, die weitere Militarisierung des Weltraums werden sie aber nicht verhindern – ebenso wenig wie die zunehmende militärische Nutzung des Weltraums in der EU selbst.

Anmerkungen

1) Die »Petersberg-Erklärung« wurde ursprünglich von der Westeuropäischen Union (WEU), einem kollektiven Beistandspakt, verabschiedet. Die WEU wurde durch die Verträge von Maastricht (1997) und Nizza (2001) sukzessive in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bzw. die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union überführt.

2) ESVP = Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, entspricht GSVP.

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Regina Hagen ist ehemalige Redakteurin von W&F. Mit der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke beschäftigt sie sich seit 25 Jahren.

Noch Chancen für Rüstungs­kontrolle im Weltraum?

Interdisziplinäre Antworten auf eine komplexe Frage

von Arne Sönnichsen

Wiederkehrende Tests von Anti-Satelliten-Waffen (ASAT) gelten in der Debatte um die Militarisierung des Weltraums als Indikator für eine zunehmende Militarisierung und Bewaffnung des Weltraums. Dabei nehmen Expert*innen aus der Physik und den Ingenieurwissenschaften, der Rechtswissenschaft und der Politikwissenschaft jeweils andere Facetten einer vielschichtigen Problematik wahr. Mit diesem Artikel soll ein Beitrag für einen Dialog zwischen diesen Disziplinen geschaffen werden. Das Argument ist, dass die Militarisierung des Weltraums nicht unausweichlich ist und sich einzigartige Perspektiven für die Rüstungskontrolle im Weltraum ergeben, wenn die verschiedenen Fachdisziplinen ihre Erkenntnisse kombinieren.

Durch eine zunehmende Zahl an Akteuren und Aktivitäten im Weltraum steigt nicht nur die Bedeutung des Weltraums für die Menschheit, sondern auch das Risiko seiner verstärkten Militarisierung. Dabei wird Militarisierung verstanden als „die Anwendung der Wissensbestände der Weltraumwissenschaften zur Formulierung und daraus folgenden Herstellung von In­stru­menten, Geräten und Maschinen, die in einem militärischen Kontext eine praktische Verwendung finden können“ (Sariak 2017, S. 52). Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich eine »passive« bzw. »defensive« Militarisierung – d.h. der Weltraum wird vom Militär etwa für nachrichtendienstliche Zwecke verwendet – und eine »aktive« bzw. »offensive« Militarisierung, wonach das Militär in, um, und durch den Weltraum offensive Waffen einsetzt (siehe z.B. Wolter 2006, S. 52ff.). In der Debatte wird häufig kolportiert, dass Rüstungskontrollmechanismen unzureichend seien, um diese Militarisierung einzuhegen. Die oben genannten Diszipli­nen liefern jedoch Teilantworten darauf, treten aber vielfach nicht in einen Dialog. In diesem Beitrag werden die Perspektiven dieser Disziplinen daher systematisch zueinander in Beziehung gesetzt, um die Chancen für Rüstungskontrolle zu verdeutlichen.

Technische Perspektive

Weltraumtechnologien, die für offensive Zwecke verwendet werden können, werden von der Secure World Foundation (SWF) als »Counterspace«-Technologien bezeichnet. Zu diesen Systemen zählen folgende Typen: Direct Ascent (DA), Directed Energy, Co-Orbital, Electronic Warfare und Cyber (Weeden und Samson 2022, S. xxxi) – also ballistische Abfang­raketen, Laser- und Mikrowellenwaffen, ko-orbitale »Killersatelliten« (siehe dazu ausführlicher Neuneck in diesem Dossier, S. 6ff.), elektronische Kriegsführung und Cyberattacken. Die SWF listet außerdem »Space Situational Awareness« (SSA), also die Überwachung des Weltraums, als defensive Kapazität auf. Für eine Verteilung der Kapazitäten unter den Ländern siehe die Tabelle (oben rechts).

Tabelle: 2022 Global Counterspace Capabilities.
Hinweis: Die SWF summiert Cyberwaffen unter »Electronic Warfare«
Quelle: Website SWF, abgedruckt mit der Zustimmung der Autoren.

Der Weltraum als militärisches Umfeld ist in verschiedener Hinsicht einzigartig: 1.) Weltraumtechnologien sind sehr komplex und teuer, und es ist deshalb wenig verwunderlich, dass lediglich die Weltraumgroßmächte USA und Russland, Europa und Japan, China und Indien nennenswerte Kapazitäten aufbauen konnten oder aufzubauen fähig sind; 2.) gegenüber den schwer nachweisbaren Cyber- und elektronischen Angriffen sind konventionelle Waffen (DA oder ko-orbital) äußerst transparent. 3.) Kriegsführung im Weltraum hat enorme Effekte für alle raumfahrenden Staaten, da die Gefahr der unkontrollierten Erzeugung von Weltraumschrott (»Space Debris«) durch Waffeneinsätze zum sogenannten Kesslersyndrom führen können, also zu Kaskadeneffekten der Schrotterzeugung (Su 2021, siehe auch Bentamini in diesem Dossier, S. 25).

Diese Faktoren stellen jedoch nicht per se ein Hindernis für ein Rüstungskontrollregime im Weltraum dar. Im Gegenteil: die generellen Kosten und Risiken der Raumfahrt, insbesondere hinsichtlich der weltraumspezifischen Waffentechnologien und den Kaskadeneffekten eines unkon­trol­lierten militärischen Schlagabtausches, liefern starke Anreize gerade für die stark involvierten Staaten, die Gefahren durch Rüstungskontrolle zu verhindern.

Rechtswissenschaftliche Perspektive

Das Völkerrecht spielt bei der Militarisierung des Weltraums vor allem in Gestalt möglicher Rüstungskontrollregime eine Rolle. Hierzu muss zunächst beantwortet werden können, was eine Waffe im Weltraum sein kann und wie das Völkerrecht im Allgemeinen an die Definition von Waffen herangeht. Das humanitäre Völkerrecht (HVR) fokussiert primär auf das ius in bello, also jene Regeln, die auf die Durchführung des bewaffneten Konflikts zielen. Im Kontext des HVR wird festgehalten, was ein bewaffneter Konflikt ist (Artikel 2 der Genfer Konventionen). In Ermangelung klarer Definitionen für Waffen lässt sich ein funktionaler Ansatz heranziehen, wonach jedes Objekt, welches dazu geeignet oder bestimmt ist, Schaden zu verursachen, unter den Waffenbegriff fällt. Ähnlich verfährt auch die Haager Landkriegsordnung, die jedenfalls solche Objekte unter den Waffenbegriff fasst, welche geschaffen werden, um Verletzungen und unnötiges Leid zuzufügen. Auch Art. 36 des ersten Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen deutet auf ein weites Verständnis des Waffenbegriffs hin.

Im Kontext kollektiver Sicherheit stellen die Vereinten Nationen (VN) und die VN-Charta (VNCh) die zentrale Referenz dar. Gewaltanwendung ist im Kontext der VN strikt untersagt, wobei die VNCh in Artikel 51 das Recht auf Selbstverteidigung einräumt. Was genau eine Waffe konstituiert, wird nicht bestimmt, doch in einer strikten Auslegung angesichts der hohen Schwelle, die die VNCh an legale Gewaltanwendung in Form der Selbstverteidigung knüpft, lässt sich argumentieren, dass die Anwendung jeden Mittels, das substanzielle Schäden zu verursachen vermag, ausreicht, um als Angriff gewertet zu werden. Damit greift auch die VNCh auf einen funktionellen Ansatz zurück, der international durch konkrete Beispiele präzisiert wurde, wie die Terror­angriffe von 9/11 und das NATO »Tallinn Manual« zu Cyberattacken.

Einer Vielzahl von Rüstungskontrollabkommen fehlt es an klaren Definitionen, was als Waffe definiert wird – dies gilt nicht allein für den Weltraum. Das betrifft beispielsweise den Vertrag über den Waffenhandel (ATT) von 2013 und den Nichtverbreitungsvertrag (NPT) von 1968. In der Biowaffenkonvention werden Wirkmittel beschrieben, die in bestimmten Quantitäten waffenfähig gemacht werden können, ebenso wie Mittel zum Transport dieser Wirkmittel – dies ähnelt einem funktionellen Ansatz. Die Chemiewaffenkonvention folgt dem Ansatz, eine spezifische Definition zu liefern, welche Substanzen waffenfähig sind. Unterscheidungsmerkmal zwischen einer legitimen und einer waffenmäßigen Verwendung ist in diesem Abkommen die Intention und die Quantität, in welcher diese vorhanden ist und verwendet wird.

Es zeigt sich, dass im internationalen Recht das funktionale Verständnis von Waffen – definiert als solche Objekte, die dazu geeignet oder bestimmt sind, Schaden oder Leid zu verursachen – den überwiegenden Teil ausmacht. Je nach Rüstungskontrollabkommen treten dann zusätzliche technologiespezifische Aspekte als Entscheidungsmerkmale hinzu.

Adaptiert könnte daher eine Definition von Weltraumwaffen lauten: Weltraumwaffen sind alle Mittel, welche absichtsvoll gebaut oder verwendet werden, um ein Objekt im Orbit zu schädigen oder zu zerstören, oder jedes weltraumbasierte Objekt, welches entworfen oder getestet wurde, um Ziele auf der Erde anzugreifen (Moltz 2019, S. 42f.; Grego 2012).

Im Bemühen um die Verregelung der Weltraumnutzung gab es wiederholt Versuche, Rüstungskontrollregime oder -mechanismen zu etablieren, die bislang jedoch alle erfolglos geblieben sind. Die Magna Charta der Raumfahrt, der Weltraumvertrag (WRV) von 1967, bannte einzig Massenvernichtungswaffen im Weltraum. 1978 und 1979 gab es eine Reihe von erfolglosen bilateralen ASAT-Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion. 1981 stieß die VN-Generalversammlung einen Prozess an, der 1985 als Aufgabe an die ständige Abrüstungskonferenz (»Conference on Disarmament«, CD) weitergeleitet wurde und Verhandlungen zur Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum (»Prevention of an Arms Race in Outer Space«, PAROS) anstieß. Auch dieser Prozess blieb und bleibt bislang erfolglos.

China und Russland versuchten 2008 mit einem Vertragsentwurf zum Verbot von Weltraumwaffen (PPWT 2008) einen eigenen Anlauf, der von den USA aber scharf zurückgewiesen wurde, da im Entwurf erdgebundene ASAT-Waffen weiterhin erlaubt geblieben wären. Einen Vorstoß hin zu einem »soft law«-Ansatz unternahm die Europäische Union 2008 mit dem Internationalen Verhaltenskodex für Weltraumaktivitäten (ICoC 2008). Dieser Prozess scheiterte ebenfalls 2015, diesmal am Widerstand der Länder des Globalen Südens. Einen ähnlichen Anlauf unternahm Kanada (2009). Neuer politischer Wind kommt dieser Tage aus den USA: Nach einem russischen ASAT-Test vom November 2021 kündigten die USA (im April 2022) und Deutschland (im September 2022) überraschend an, in Zukunft auf destruktive ASAT-Tests zu verzichten (The White House 2022, Auswärtiges Amt 2022).

Es besteht also weiter eine große Regelungslücke, nicht nur bei militärischen Weltraumaktivitäten. Die vielstimmigen Bemühungen sollten durchaus positiv stimmen, dass es im gemeinsamen Bestreben der Staaten mittelfristig zu einer Lösung kommen kann.

Politikwissenschaftliche Perspektive

Eine politikwissenschaftliche Perspektive fokussiert vornehmlich auf die Beziehungen zwischen den Staaten und berücksichtigt dabei im Unterschied zur rechtswissenschaftlichen Perspektive auch Beziehungen in einer weniger institutionalisierten Form. Debatten kreisen hier um den Begriff der Weltraumsicherheit (»space security«), die definiert ist als „Aggregat aller technischen, regulatorischen und politischen Mittel, die auf die Sicherung des ungehinderten Zugangs und der ungestörten Nutzbarkeit des Weltraums sowie die Nutzbarkeit des Weltraums für die Wahrung der Sicherheit auf der Erde abzielen“ (Antoni 2020, S. 15). Sechs raumfahrende Großmächte, die sich insbesondere durch ihre Autonomie auszeichnen und die zeithistorisch als Paare zu Akteuren der Raumfahrt aufstiegen, lassen sich identifizieren: die USA und die Sowjetunion/Russland, Europa und Japan, sowie China und Indien (Schrogl 2019). Zwischen diesen lassen sich vier zentrale Dynamiken identifizieren: Weltraumüberlegenheit, Sicherheitsdilemma, Weltraumclub und zivile Nutzung. Es zeigt sich, dass diese abhängig von der geografischen und geopolitischen Situation des jeweiligen Akteurs ausgespielt werden:

Weltraumüberlegenheit:

  • Dies betrifft vor allem die USA, Russland und China, die allesamt einen geopolitischen Führungsanspruch erheben. Die Machtverteilung ist auch hier unterschiedlich, wobei die USA die umfangreichsten Kapazitäten und das meiste Know-How besitzen, dicht gefolgt von Russland, welches jedoch durch Budgetrestriktionen von seiner Substanz zehrt. China dagegen ist eine aufstrebende Weltraumgroßmacht, die ihre Kapazitäten beständig ausbaut (Space Security Index 2019, S. 136ff.). Andere Staaten rüsten ebenfalls auf, etwa Frankreich und Indien. Insbesondere der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China und die von beiden klar artikulierte Führungsrolle könnten sich als Konflikttreiber herausstellen.

Sicherheitsdilemma:

  • Ein Sicherheitsdilemma ist ein klassischer Fall internationaler Politik, in der sich Staaten durch gegenseitiges Misstrauen genötigt fühlen, in militärische Sicherheit zu investieren. Dieses Phänomen korreliert teilweise mit der Dynamik der Weltraumüberlegenheit, ist jedoch regional eingegrenzt, wobei der Hotspot derzeit der asiatische Raum ist, in dem sich die drei Staaten China, Japan und Indien in einem solchen Sicherheitsdilemma sehen. China strebt deutlich nach einer Führungsrolle, während Indien und Japan sich zusehends in eine defensive Rolle gedrängt sehen (Khan und Khan 2019).

Space Club:

  • Das Konzept des »Space Club« (Paikowsky 2017) beschreibt die symbolische Bedeutsamkeit von Staaten. Staaten versuchen demnach durch die Mitgliedschaft in technologischen »Clubs« anderen Staaten zu signalisieren, dass sie als Großmächte anerkannt werden wollen. Zwei Beispiele: Der Wettlauf ins All der 1960er Jahre hatte explizit Konnotationen eines »Space Clubs« in Bezug auf die globale technologische Führungsrolle (Musgrave und Nexon 2018) – wer im Rennen um den Weltraum mit dabei war, konnte sich international als Großmacht geben. Ähnliches trifft auf den indischen ASAT-Test 2019 zu, der gewertet werden kann als Versuch, einen Platz am Verhandlungstisch für einen potenziellen ASAT-Vertrag zu erzwingen, seinen direkten Nachbarn China und Pakistan die militärischen Fähigkeiten zu beweisen, innenpolitisch Stärke zu zeigen und zugleich auf dem internationalen Parkett als verantwortungsvoller Akteur wahrgenommen zu werden (Sönnichsen und Lambach 2020).

Zivile Nutzung:

  • Die zivile Nutzung war lange Zeit der zentrale Handlungstreiber der europäischen Staaten bzw. der europäischen Raumfahrtagentur (ESA) mit ihrer expliziten Zivilklausel, aber auch für Japan. Einige der Länder des Globalen Südens kopierten den Ansatz, die Raumfahrt vor allem zur sozio-ökonomischen Entwicklung zu verwenden, etwa Indien (Harding 2013). Auch wenn die ESA und Japan weiterhin an der zivilen Raumfahrt festhalten, zeigt sich, dass die zunehmende sicherheitspolitische Neubewertung auch hier Einzug hält. So wird die Zivilklausel der ESA durch die europäischen Staaten dadurch umgangen, dass die tendenziell militär- und sicherheitspolitischen Komponenten in die neue EU-Raumfahrtagentur (»European Union Agency for the Space Programme«, EUSPA) ausgelagert werden (Klimburg-Witjes 2021). Auch zeigen Länder wie Frankreich, Indien (Aliberti 2018) und Japan (European Space Policy Institute 2020) verstärkte Tendenzen einer sicherheitspolitischen Neubewertung.

Diese Entwicklungen zeigen, dass die Raumfahrt zunehmend in sicherheitspolitischen Dimensionen gedacht wird. Sie zeigen auch, dass gerade die Konfliktlinien, die am deutlichsten zwischen USA/Russland, USA/China, China/Indien, China/Japan hervortreten, Bewegungen hin zu gemeinsamen und effektiven Rüstungskontrollbestrebungen aushebeln. Dennoch liegt in dieser Analyse der Dynamiken auch eine Chance, sich dieser bewusst zu werden und sie gezielt auszuspielen, um ein Rüstungskontrollregime zu schaffen, welches potenziell desaströse Effekte vermeiden könnte.

Der ABM-Vertrag: Handlungsleitendes Beispiel?

Der 1972 zwischen den USA und der Sow­jet­union vereinbarte und 2002 durch US-Präsident George W. Bush aufgekündigte ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (Anti-Ballistic Missiles, ABM) stellt ein Beispiel für die Herausforderungen eines Rüstungskon­trollregimes dar, das häufig als Referenz für die Probleme bei der Regulierung der Militarisierung der Raumfahrt genannt wird. Die Überlegung hinter dem Abkommen lautete, dass ein Erstschlag wahrscheinlicher wäre, wenn ein Staat über umfangreiche Defensivkapazitäten verfügte und die begründete Vermutung hätte, dass er einen Gegenschlag überleben könnte. Durch die Aufgabe dieser Fähigkeit wären beide Staaten einem Gegenschlag ausgeliefert, was den Anreiz eines Erstschlags verringern sollte. Die Verifikation, also die (gegenseitige) Überprüfung der Einhaltung der Abrüstungsleistungen der Vertragsparteien, ist das Herzstück von Rüstungskontrollregimen und wurde beim ABM-Vertrag in dreifacher Weise realisiert: Beide Vertragspartner erarbeiteten eine funktionell-absichtsbezogene Definition einzelner Bauteile, legten also mithin fest, auf welche Systeme sich das Abkommen bezog. Die Regelbefolgung wurde durch Überwachungsmaßnahmen wie Fotoaufklärungssatelliten bewerkstelligt. Eine ständige Beratungskommission (Art. XIII) konnte angerufen werden, sollte es einen Verdacht geben, dass eine Partei ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Dieser Dreiklang schuf die Grundlage, dass die Vertragspartner den ABM-Vertrag umsetzen konnten und könnte deshalb auch als Beispiel für einen ASAT-Vertrag herhalten (Mutschler 2013).

Fazit

Drei Ergebnisse lassen sich festhalten:

1. Weder technisch noch rechtlich konnten wir Hindernisse feststellen, die die Schaffung eines Rüstungskontrollregimes verhindern – vielmehr deuteten die Bedürfnisse einer Verhinderung (der Kosten) von Kaskadeneffekten und die erkennbaren Regelungsversuche auf ein allgemeines Kontrollbemühen hin. Wohl jedoch ließ sich feststellen, dass die eskalierenden Dynamiken wahrgenommener Sicherheitsdilemmata und Überlegenheitsansprüche zwischen den Staaten das größte Hindernis darstellen.

2. Rechtlich und politisch ist es möglich, gemeinsame Ziele für die beteiligten Akteure zu formulieren, das beweist die Schaffung der ABM-Vertrags.

3. Die Kosten von Weltraumtechnologie sind derzeit ein Flaschenhals, doch es ist zu erwarten, dass mit zunehmender symbolischer Bedeutung der Raumfahrt (»Space Club«) und sinkenden Kosten das Risiko sich verstärkender sicherheitspolitischer Dynamiken steigen wird: die Militarisierung wird zunehmen.

Im Lichte der widersprüchlichen Bewegungen in der aktuellen Politik zwischen der Ankündigung der USA, auf destruktive ASAT-Tests zu verzichten, auf der einen Seite und der durch den Ukrainekrieg steigenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen auf der anderen Seite, ist eine abschließende Einschätzung zu den Chancen für Rüstungskontrolle im Weltraum schwierig. Grundsätzlich zeigen jedoch alle oben geschilderten Erkenntnisse, dass Rüstungskontrolle im nationalen Interesse aller raumfahrenden Staaten ist und Kooperation auf lange Sicht den (auch eventuell unbeabsichtigten) de­struk­tiven Effekten der Militarisierung entgegenwirken kann. Nur gemeinsam bleibt der Weltraum eine „Domäne der gesamten Menschheit“, wie es im Weltraumvertrag heißt.

Dieser Beitrag basiert in Teilen auf einem Artikel, der im Kontext des SichTRaum Netzwerkes (sichtraum-netzwerk.de) entstand und zur Veröffentlichung in »Die FriedensWarte« angenommen ist (­Sönnichsen et al, 2022). Hier finden sich weitere Literaturangaben.

Literatur

Aliberti, M. (2018): India in space: Between utility and geopolitics. Cham: Springer.

Antoni, N. (2020): Definition and status of space security. In: Schrogl, K.-U. (Hrsg.): Handbook of space security. Policies, applications and programs. 2. Aufl. Cham: Springer, S. 9-33.

Auswärtiges Amt (2022): Deutschland erklärt in Genf Verzicht auf Tests mit Anti-Satelliten-Raketen. Beitrag auf der Homepage des Ministeriums, 13.09.2022.

European Space Policy Institute (2020): Securing Japan. An assessment of Japan’s strategy for space. Wien: Webpublikation, 21.7.2020.

Grego, L. (2012): A history of anti-satellite programs. Union of Concerned Scientists (UCS), Webpublikation, Januar 2012.

Harding, R. C. (2013): Space policy in developing countries. The search for security and development on the final frontier. London, New York: Routledge.

ICoC (2008): Draft International Code of Conduct for Outer Space Activities. CD, 2008, 17175/08.

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Khan, Z.; Khan, A. (2019): Space security trilemma in South Asia. Astropolitics 17(1), S. 4-22.

Klimburg-Witjes, N. (2021): Shifting articulations of space and security: boundary work in European space policy making. European Security 30(4), S. 526-546.

Moltz, J. C. (2019): The politics of space security. Strategic restraint and the pursuit of national interests. 3. Aufl. Redwood City: Standford University Press.

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Mutschler, M. (2013): Arms control in space. Exploring conditions for preventive arms control. New York: Palgrave Macmillan.

Paikowsky, D. (2017): The power of the Space Club. Cambridge: Cambridge University Press.

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Schrogl, K.-U. (2019): Die strategische Bedeutung des Weltraums für die Großmächte. Zeitschrift für Politikwissenschaft 29(4), S. 517-524.

Sönnichsen, A.; Lambach, D. (2020): A developing arms race in outer space? De-constructing the dynamics in the field of anti-satellite weapons. Sicherheit und Frieden 38(1), S. 5-9.

Sönnichsen, A.; Hadley, S.; Altmann, J.; Bertamini, M.; Mutschler, M.; Scheffran, J. (2022, im Erscheinen): The militarization of space. Unique opportunities for arms control. Die Friedens-Warte 95 (3-4), S. 247-266.

Space Security Index (2019): Space Security Index 2019. Featuring a global assessment of space security by Brian Weeden. 16. Aufl. Ontario.

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Weeden, B.; Samson, V. (2022): Global counterspace capabilities: An open source assessment. Secure World Foundation. Broomfield.

Wolter, D. (2006): Common Security in outer space and international law. Geneva: UNIDIR.

Arne Sönnichsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik der Universität Duisburg-Essen. Er befasst sich im Rahmen seiner Dissertation mit den Auswirkungen von Technik auf Governance am Beispiel der Raumfahrt und koordiniert das Forschungsnetzwerk »SichTRaum – Sicherheit, Technologie, Weltraum«.

Kommerzialisierung als Sicherheitsherausforderung?

Der Aufstieg des »New Space«

von Arne Sönnichsen

Seit die Trägerrakete Falcon 9 im Juni 2010 erstmals erfolgreich in den Himmel startete, steht der exzentrische Milliardär Elon Musk und mit ihm sein Unternehmen SpaceX für eine neue Weltraum-Ära, die auch als »New Space« bekannt ist und im Widerspruch zum »Classic Space« gesehen wird (Paikowsky 2017). Analyst*innen überschlagen sich, prognostizieren sprunghaftes Wachstum der weltweiten Weltraumausgaben um das Achtfache, von 339 Mrd. US$ in 2017 auf bis zu 2,7 Bio. US$ in 2045 (Tran et al. 2017). Es scheint, als habe ein neuer Goldrausch“ (Pelton 2017) eingesetzt, in dem Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson mit ihren Unternehmen SpaceX, Blue Origin und Virgin ganz vorne mit dabei sein wollen. Damit hat das Zeitalter der privaten kommerziellen Nutzung (und Ausbeutung) des Weltraums begonnen – mit allen sicherheitsrelevanten, ökologischen und sozialen Konsequenzen. Kommerzielle Aktivitäten im Weltraum lassen sich unterscheiden in 1.) etablierte Aktivitäten: Satelliten, Trägersysteme und Satellitenkommunikation; 2.) in der Entwicklung befindliche Aktivitäten: Weltraumtourismus, Serviceleistungen im Weltraum und die Entsorgung von Weltraummüll (»Space Debris«); 3.) prospektive Aktivitäten: Produktion im Weltraum, Asteroidenbergbau und Weltraumhabitate (Kind et al. 2020).

Der Artikel skizziert die rechtlichen Regelbereiche der Weltraumgovernance und blickt beispielhaft auf die Genese eines kommerziellen Marktes für Trägersysteme sowie den Weltraumtourismus und den Asteroidenbergbau. Dabei stehen die sicherheitsrelevanten Folgen dieser Entwicklungen im Fokus, die im Kontext der weiteren Versicherheitlichung und Militarisierung des Weltraums nicht unterschätzt werden dürfen.

Die Ursprünge der Kommerzialisierung

Es dauerte gerade einmal fünf Jahre, nach dem Start des Weltraumzeitalters mit Sputnik, bis kommerzielle Akteure nicht nur als Zulieferer von Weltraumtechnologie, sondern auch als Projektpartner fungierten: Am 10. Juli 1962 startete die NASA für AT&T und Bell Telephone Laboratories den ersten kommerziell finanzierten und entwickelten Satelliten Telstar I. Noch im selben Jahr schuf die US-Regierung den »Communications Satellite Act«, der den kommerziellen Betrieb von Satelliten rechtlich verankerte.

Dieses Bemühen um Regulierung einer aufkommenden Kommerzialisierung drückt sich auch in diversen Abkommen aus. Ab 1967 wurde mit dem Weltraumvertrag (WRV) die Beteiligung von nicht-staatlichen Akteuren unter die Überwachung der entsendenden Staaten gestellt. In Artikel VI heißt es: „Die Aktivitäten nichtstaatlicher Körperschaften im Weltraum, einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper, bedürfen der Genehmigung und ständigen Überwachung durch den zuständigen Vertragsstaat.“ Auch die weiteren weltraumbezogenen Verträge, das Weltraumrettungsübereinkommen (1968), das Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände (»Space Liability Convention«, 1972), und das Weltraumregistrierungsübereinkommen (1976) finden prinzipielle Anwendung auf kommerzielle Akteure. Der Mond-Vertrag von 1979 gilt dagegen wegen seiner geringen Unterstützung als gescheitert und findet insofern keine Anwendung.

Der Durchbruch der kommerziellen Satellitenkommunikation lässt sich auf die 1980er Jahre datieren und allem Anschein nach bleibt die Satellitenkommunikation bis auf weiteres auch das hauptsächliche Betätigungsfeld. Insbesondere in den USA ergeben sich starke Tendenzen, die Kommerzialisierung auch in anderen Bereichen zu entwickeln, dicht gefolgt von Europa und Japan, die zunehmend Programme zur Förderung kommerzieller Raumfahrt einrichten. Russland bewegt sich hier eher in eine Regression, indem es kommerzielle Aktivitäten zunehmend verstaatlicht, während China und Indien die Raumfahrt stets in den Dienst sozioökonomischer Entwicklung stellten (Kind et al. 2020, S. 21-25). Der zweite »Durchbruch« war die zunehmende Kommerzialisierung in den 2010er und 2020er Jahren, die alle Raumfahrtnationen ernst nahmen. Heute machen privatwirtschaftliche Kommunikationsaktivitäten rund ein Drittel und Erdbeobachtung ein weiteres Drittel aller Satellitenkapazitäten aus (Kind et al. 2020, S. 49).

»Lift Off« für kommerzielle Aktivitäten und Trägersysteme

Auch wenn Telstar I in Kooperation mit den Telekommunikationspartnern entwickelt wurde, übernahm die NASA die Kernaufgabe der Beschaffung der Trägersysteme ebenso wie die der Starts. Dieses Vorgehen sollte der Modus Operandi bis in die 1980er Jahre bleiben. Mit der Mondlandung am 20. Juli 1969 wähnten sich die USA als Sieger des »Space Race«, und das Interesse der US-Öffentlichkeit am Weltraum schwand zunächst, nicht zuletzt infolge von Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg und geopolitischer Entspannungspolitik (Logsdon 2015, S. 114f.). In den 1970er und 1980er Jahren nahmen zwei Projekte Fahrt auf, die die Raumfahrt kommerzialisieren wollten. Die deutsche OTRAG (Orbital Transport- und Raketen Aktiengesellschaft) versuchte ab 1975 eine simple, aus mehreren Flüssigraketen bestehende Trägerrakete zu bauen und zu vermarkten. Neben Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit führten politischer Druck der USA und der Sowjetunion, aber auch Frankreichs, das eine direkte Konkurrenz zur staatlich getragenen Europa-Rakete/Ariane fürchtete, zum Ende der OTRAG 1986 (Schwehm 2018).

Das Space Transportation System (STS), besser bekannt als Space Shuttle, wurde zeitgleich das neue Prestigeprojekt der NASA, die dazu das Weiße Haus von einem wiederverwendbaren Raumgleiter überzeugte, der Operationen der zivilen NASA, des Militärs und kommerzieller Unternehmen übernehmen sollte. Die Versprechungen waren riesig, die Enttäuschung umso größer: Acht jährliche Starts bei rund 10.000 US$/kg (Preise 2020) waren angepriesen, realisieren konnte man im statistischen Mittel 4,7 Starts jährlich bei Kosten um 65.000 US$/kg (Logsdon 2015, S. 257; Jones 2018). Das Shuttle erlangte trotz explosionsartiger Kostensteigerung 1981 seine Startlizenz, bis die Regierung von Ronald Reagan ihr 1986 diese Lizenz infolge der Explosion des Shuttles »Challenger« wieder entzog und später den Einsatz der Shuttles auf zivile Missionen der NASA begrenzte. Militärische wie kommerzielle Akteure wechselten zu Einweg-Trägerraketen (»Expendable Launch Vehicles«).

Das Scheitern des Shuttles führte zu einem jähen Einbruch amerikanischer Starts, die von dem multinationalen Unternehmen Arianespace und ihrer Ariane-Raketenfamilie (ab 1983) aufgefangen wurden. Dies gilt auch heute als Startschuss für kommerzielle Trägersysteme – wenn auch mit nationalstaatlicher Absicherung. Die Dominanz der ­Ariane wurde erst nach dem Fall der Sow­jetunion geschmälert, als nun auch die russischen Folgeunternehmen mit der Soyuz-, ­Angara-, Proton-Raketenfamilie und der ukrainischen Zenit kommerzielle Raketenstarts anboten, infolge eines durch die Raumstationen MIR und ISS eingeschränkten Budgets und getrieben durch die generellen ökonomischen Nöte der postsowjetischen Länder.

US-amerikanischer Markt für Weltraumstarts

Aufgrund der Bereitschaft für die Öffnung, der hegemonialen Stellung der USA in diesem Bereich und der entsprechend finanzstarken Akteurslandschaft lohnt ein Blick auf die Entwicklung des US-amerikanischen Marktes für Weltraumstarts, um das Phänomen der Kommerzialisierung besser einordnen zu können. Ein kommerzieller Markt für Startkapazitäten entwickelte sich auch dort zunächst nicht, trotz Deregulierung durch die Regierung von Präsident Reagan. Erfolge wie die Conestoga I der Firma Space Science Inc., die am 9. September 1982 erfolgreich abhob, ignorierte die NASA. 2003 führte das Space Shuttle abermals zur Neujustierung des Marktes, als die Raumfähre »Columbia« beim Wiedereintritt verglühte. Die sogenannte Aldridge-Kommission, die der 2004 verkündeten »Vision for Space Exploration« von George W. Bush, jr. folgte, plädierte entschieden dafür, von der bisherigen Praxis der Beschaffung der Startkapazitäten durch die NASA Abstand zu nehmen: statt eines »Kosten Plus«-Modells sollten privat-kommerzielle Startkapazitäten als Public-Private Partnerships nach einem festgelegten Preis eingekauft werden (Solomon 2008, S. 25-29). Im klassischen Modus waren aufgeblähte Hierarchien, Kostensteigerungen und Verzögerungen üblich (Paikowsky 2017), auch hatte sich zwischen NASA und Raumfahrtindustrie eine »Drehtür« für Manager etabliert. De facto blieben sowieso nur zwei Konzerne übrig: Boeing und Lockheed Martin (Berger 2021, S. 192).

Direkte Konsequenzen zeigten sich für die NASA noch nicht, wohl jedoch für ein 2002 gegründetes Weltraumunternehmen. Elon Musk, der durch den Verkauf eines Softwareunternehmens zu einigen Millionen US$ gelangt war, zeigte sich unzufrieden mit den ambitionslosen Zielen der NASA, sodass er kurzerhand sein eigenes Raumfahrtunternehmen, Space Explorations bzw. SpaceX, gründete. 2003 klagte SpaceX gegen die Vergabe eines Auftrags der NASA über 227 Mio. US$ zur Versorgung der ISS, der ohne Ausschreibung an das beinahe bankrotte Unternehmen Kistler Aerospace gegangen war. Die NASA verlor den Prozess, zog den Vertrag mit Kistler zurück und schuf die Programme COTS (»Commercial Orbital Transport Services«) und CRS (»Commercial Resupply Services«), welche finanzielle Mittel an die teilnehmenden Firmen ausschütteten, die zuvor gesteckte Ziele erreicht hatten. Am 28. September 2008 führte SpaceX einen vierten, endlich erfolgreichen Start seiner Falcon 1 durch und wurde mit einem 1,9 Mrd. US$ schweren Vertrag zur Versorgung der ISS belohnt, der das Unternehmen zugleich vor dem Bankrott bewahrte (Vance 2015; Berger 2021).

Damals noch belächelt, transformiert SpaceX seitdem den Markt durch seine der traditionellen Raumfahrt diametral entgegengesetzten Praktiken: so hat SpaceX flache Hierarchien und Entscheidungsprozesse, produziert in-house und verwendet kommerziell verfügbare Bauteile. Käufer bezahlen einen fixen Preis, die Kosten liegen pro kg bei 2.400 US$ (Jones 2018), was vor allem zu einer zunehmenden Marktmacht von SpaceX beiträgt. Auch experimentiert SpaceX mit wiederverwendbarer Technologie und setzt mit Falcon Heavy (Jungfernflug 2018) und der Entwicklung des Gleiters Starship erneut Akzente. Damit ist SpaceX auch zur Chiffre des »New Space« avanciert. Das Unternehmen beweist nicht nur die Agilität und Innovationsfähigkeit von Start-Ups, es beweist, dass Risikoarmut und ein auf Sicherheit getrimmtes Businessmodell für die Frühzeit der (bemannten) Raumfahrt bestimmend war, jedoch zunehmend überholt ist. Dieser Trend wird durch viele nachahmende Unternehmen im Bereich der sogenannten »Microlauncher« kopiert, etwa Electron und Firefly in den USA, oder HyImpulse, RFA und Isar Aerospace in Deutschland.

Weltraumtourismus: Der nächste Schritt?

Beim Weltraumtourismus reisen Personen, die nicht in die Organisationsstrukturen staatlicher Stellen eingebunden sind, gegen Bezahlung in den Weltraum. Der erste Weltraumtourist war Dennis Tito, ein amerikanischer Multimillionär, der 2001 mit einer russischen Soyuz für 20 Mio. US$ zur ISS flog. Generell ist zu unterscheiden zwischen mehrtägigen Aufenthalten im Weltraum, etwa auf der ISS oder in anderen speziellen Habitaten, die Unternehmen wie Bigelow Aerospace planen, und suborbitalen Flügen, bei denen der Rand der Atmosphäre für einige Minuten erreicht wird, bevor das Raumfahrzeug zur Erde zurückfällt. In Zahlen ausgedrückt: Bis Juni 2022 flogen 13 Personen für 8-17 Tage zur ISS und bezahlten zwischen 20 und 35 Mio. US$ an das Unternehmen Space Adventures. 26 Personen unternahmen zehnminütige suborbitale Flüge mit Blue Origin, die rund 200.000 bis 300.000 US$ kosten sollten. Vier Personen blieben mit SpaceX drei Tage im LEO. Während die Aufenthalte von Space Adventures alle ein bis zwei Jahre stattfanden, entsendet Blue Origin seine Raumfahrzeuge annähernd monatlich, d.h. alle 26 Personen, die bislang einen suborbitalen Flug absolvierten, taten dies innerhalb eines Jahres.

Regulativ ist die derzeitige Form des Weltraumtourismus unproblematisch. Staaten haften für die Durchführung der Flüge, und da auf der ISS das jeweilige Landesrecht gilt, obliegt die Entscheidung darüber, wer Zugang zur ISS erhält, dem entsendenden Staat. Ein handfestes politisches Problem betrifft Fragen der (Klima-)Gerechtigkeit. Es wird geschätzt, dass ein einfacher suborbitaler Flug, der bereits deutlich weniger Beschleunigung und damit weniger Abgase und CO2 erzeugt als ein orbitaler Flug, immer noch das 50-100fache eines regulären transkontinentalen Fluges freisetzt. Hier steht der Weltraumtourismus unter einem nicht unerheblichen Rechtfertigungsdruck, da eine Ausweitung der weltraumtouristischen Unternehmungen faktisch nur durch eine höhere Umweltbelastung zu haben ist.

Asteroidenbergbau: ein neuer Extraktivismus?

Der Asteroidenbergbau, d.h. das Einfangen von Asteroiden und der Abbau der enthaltenen Mineralien, ist noch in den Bereich der Science-Fiction einzuordnen, hat jedoch ein signifikantes Transformationspotential. So wäre es möglich, dass der 1852 entdeckte Asteroid Psyche 16 in seinem Inneren Goldvorkommen im Wert von heute rund 600-700 Trillionen US$ mit sich trägt. Zum Vergleich: Der irdische Goldmarkt umfasste 2019 rund 317 Bio. US$. Grundlegende Technologien zum Abbau sind realisierbar und der ESA-Satellit Rosetta demonstrierte schon 2016, dass eine Landung möglich ist. Dennoch sind die Kosten derzeit kaum realistisch zu kalkulieren, die Chancen auf Erfolg mehr als unsicher. Trotzdem wird geforscht und investiert.

Zwei internationale Rechtsnormen werden in diesem Kontext zitiert: Artikel I WRV beschreibt den Weltraum als „Domäne der Menschheit“ und schreibt diesem ähnliche Charakteristika zu wie bei den Globalen Gemeingütern (»Global Commons«). Artikel II WRV verbietet nationale Aneignungen im Weltraum. Gemeinsam entfalten diese beiden Artikel einen Effekt, der darauf hindeutet, dass Asteroidenbergbau auf Basis des derzeitig gültigen Rahmens internationaler Normen nicht legal ist bzw. nicht ausreichend reguliert ist. Diese Lücke haben die USA 2015 und Luxemburg 2017 durch nationale Gesetze gefüllt, die Unternehmen das Recht einräumten, geplünderte Mineralien zu behalten. Als Absicherung von Investitionen sind diese Gesetze plausibel, doch ist damit noch nicht die Gerechtigkeitsproblematik ausgeräumt, die vermutlich dann folgt, sobald Asteroidenbergbau faktisch realisiert werden kann (Svec 2022).

Trägersysteme als Anstoß für weitere kommerzielle Aktivitäten

Die durchgreifenden Veränderungen im Markt der Trägersysteme gehen mit tiefgreifenden Veränderungen aller kommerziellen Aktivitäten einher, die zu weiten Teilen erst möglich sind, seit es kostengünstige Zugänge zum Weltraum gibt. Die Ausweitung von Satellitenstarts, von Satellitenanwendungen, dem Weltraumtourismus und der durch Miniaturisierung forcierte Aufbau von Satellitenschwärmen und Konstellationen aus vielen kleinen Satelliten (Konecny 2004) mit dem Ziel, größtmögliche Redundanz und Resilienz zu schaffen (etwa bei StarLink von SpaceX und dessen globalem Internetangebot), sind maßgeblich auf fallende Startpreise zurückzuführen. Damit kommen auch kommerzielle Dienstleistungsaktivitäten im Weltraum, wie etwa die Durchführung von Wartungsarbeiten an Objekten im Weltraum, erst in Frage. Zugleich entstehen durch diese Ausweitung auch signifikante Sicherheitsgefahren, hier weniger in der traditionellen Dimension militärischer und nationaler Sicherheit (»Security«), vielmehr in den Dimensionen der sicheren Nutzung des Weltraums (»Safety«).

Je mehr Objekte sich im Weltraum befinden, desto höher ist die von ihnen ausgehende Gefahr von kaskadierenden Zusammenstößen, die die Raumfahrt praktisch völlig zum Erliegen bringen könnten. Deshalb ist das Thema Weltraummüll für die Raumfahrt im Zusammenhang mit der Kommerzialisierung zu einem prioritären Thema der Raumfahrtdiplomatie avanciert (siehe den Beitrag von Bertamini in diesem Dossier, S. 25). Entsorgungskonzepte werden bereits als Designmerkmal von Raumfahrzeugen entwickelt, während eine Art aktiver Müllabfuhr im Weltraum Thema politischer Verhandlungen ist. Kommerzielle Akteure wie ClearSpace sind hier auf dem Vormarsch, aber globale Übereinkommen zur Entfernung von Weltraummüll stellen zurzeit noch eine größere politische Herausforderung dar, als Weltraummüll schlicht zu vermeiden. In diesem Kontext wird seit einigen Jahren auch eine Regulierung des Weltraumverkehrs (»Space Traffic Management«) vorangetrieben, um die Vielzahl an Problemen anzugehen (IAA 2016).

Kommerzialisierung als Katalysator oder Dämpfer von Konflikten?

Die Kommerzialisierung beschert der Raumfahrt eine erhöhte Aufmerksamkeit, die vornehmlich auf SpaceX und dessen technologischen Errungenschaften sowie den fallenden Startpreisen beruht. Die Vervielfältigung von Weltraumaktivitäten in Quantität und Qualität nimmt bereits zu, wenngleich eine nachhaltige Demokratisierung im Sinne einer Neujustierung der Machtverhältnisse unwahrscheinlich ist (Rementeria 2022).

Es muss aber bei allem Enthusiasmus auch konstatiert werden, dass die kommerziellen Aktivitäten weiterhin auf einem moderaten Niveau stattfinden. So gibt es zwar einen Aufwärtstrend in der Zahl an Raketenstarts und der gestarteten Objekte (2016: 221; 2021: 1807), und auch insgesamt ist der Satellitenmarkt weiterhin der bedeutsamste hinsichtlich kommerzieller Aktivitäten. Die meisten der gestarteten Objekte werden jedoch weiterhin vornehmlich von staatlichen Akteuren finanziert – hier haben Unternehmen wie SpaceX lediglich im Bereich der Trägersysteme staatliche und halbstaatliche Akteure wie Roskosmos und Arianespace bei der Beförderung verdrängt.

Für die konkrete Umwelt des Weltraums ist die Vervielfältigung an kommerziellen Aktivitäten daher bedeutsam, da sie auch explizit (sicherheits-)politische Verwerfungen durch eine Verschärfung der Abfallproblematik nach sich zieht. Zudem zeigt sich ein Überkreuzen geopolitisch staatlicher Interessen und kommerzieller Aktivitäten: StarLink von SpaceX wird von Staaten wie Russland und China wegen der Verwicklungen im Ukraine­krieg und auch wegen seines unzensierbaren Zugriffs auf das Internet argwöhnisch beobachtet, teilweise sogar aktiv durch Weltraummüll gestört (Sönnichsen 2021) oder gar mit expliziten Ankündigungen bedroht, diese Satelliten abzuschießen (Bhatia 2022). Dass Konstellationen wie StarLink das Potenzial haben, in Krisenregionen eine Kommunikationsinfrastruktur aufrecht zu erhalten, oder dass die Erdbeobachtung unschätzbare Informationen hinsichtlich Klimafolgen, Katastrophen und Menschenrechtsverletzungen liefert, ist gerade im Kontext eines breiten Sicherheitsbegriffes (»human security«) von Relevanz.

Durch die Volatilität der Kommerzialisierung ist eine abschließende Bewertung schwierig. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Kommerzialisierung a.) keineswegs ein neues Phänomen, sondern eine Evolution darstellt, die dazu transformativ wirkt; dass b.) die Kommerzialisierung eng mit der Geschichte der Trägersysteme verbunden ist, an deren Anfang wir erst stehen; und c.) die Kommerzialisierung unterschiedliche Rückwirkungen auf Politik und Sicherheit nimmt. Erwartbar ist, dass die technische Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, es deshalb zu weiteren geopolitischen Konflikten kommen wird und es daher regulativer Eingriffe bedarf, um klare Leitplanken für kommerzielle Aktivitäten im Weltraum herzustellen.

Literatur

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Arne Sönnichsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik der Universität Duisburg-Essen. Er befasst sich im Rahmen seiner Dissertation mit den Auswirkungen von Technik auf Governance am Beispiel der Raumfahrt und koordiniert das Forschungsnetzwerk »SichTRaum – Sicherheit, Technologie, Weltraum«.

Ressourcenabbau, Weltraumschrott und der Weltraum als Teil der »Umwelt«

Eine rechtswissenschaftlich-ökologische Betrachtung

von Maximilian Bertamini

Die Bedeutung des Weltraums für den internationalen Frieden ist breiter gefächert, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn nicht nur eine fortschreitende Militarisierung schafft Konfliktpotenziale im All, sondern auch Wettläufe um Ressourcen und die stetige Verknappung nutzbarer Orbits durch Weltraumschrott. Im Sinne des Friedensbegriffs der Vereinten Nationen ist Frieden nicht nur die weitgehende Abwesenheit militärischer Konflikte, sondern darüber hinaus auch das Vorherrschen von Bedingungen, die Konflikten vorbeugen und unter denen Frieden fortbestehen kann. Dazu zählen sozio-ökonomische, humanitäre und ökologische Faktoren (VN Sicherheitsrat 1992), die weitestgehend auch menschenrechtlich verbürgt sind. In Hinblick auf diese Faktoren sind auch Dynamiken friedensrelevant, die nicht militärisch geprägt sind.

Anhand der Regulierung von Ressourcenabbau im Weltall und der Problematik des Weltraumschrotts soll im Folgenden gezeigt werden, inwiefern diese beiden Bereiche Herausforderungen für den richtigerweise breit verstandenen internationalen Frieden sind. Der Beitrag endet mit Überlegungen dazu, ob und inwieweit diese Dynamiken mit einer Einordnung des Weltraums als Teil der natürlichen Umwelt vereinbar wären.

Konfliktpotenzial Ressourcenabbau im Weltall

Auch wenn es nach Science Fiction klingen mag: Der Abbau von natürlichen Ressourcen im Weltraum, z.B. von Aste­roiden und anderen Himmelskörpern, ist ein Vorhaben, dem Unternehmen, Raumfahrtbehörden und Wissenschaft seit einigen Jahren mehr Aufmerksamkeit schenken denn je. Waren 2019 noch ca. 20.000 erdnahe Asteroiden bekannt, so sind es zum Zeitpunkt dieser Publikation bereits ca. 30.000 (CalTech 2022). Viele dieser Himmelskörper verfügen über reichhaltige Vorkommen an Platin und anderen wertvollen Rohstoffen, die jeweils Milliarden von US$ wert sind (Yarlagadda 2022). Neben Mineralien hält der Weltraum auch nennenswerte Vorkommen an Wasserstoff in Form von Eis bereit (etwa in den Polkappen des Mondes) (NASA 2018), die das Interesse verschiedener Akteure wecken. Aus dem Eis kann Wasserstoff extrahiert und in Treibstoff umgewandelt werden, wodurch ein erneutes Auftanken von Raumfahrzeugen ermöglicht würde (TU Berlin 2021). Diese Möglichkeit, in Verbindung mit der Wiederverwendbarkeit moderner Raketen, könnte die Kosten der Raumfahrt derart senken, dass damit ein neues Weltraumzeitalter losgetreten würde. Entsprechend groß ist das wirtschaftliche und wissenschaftliche Interesse am Abbau natürlicher Ressourcen im All.

Angesichts des großen Potenzials von Weltraumbergbau droht allerdings auch ein Wettrennen um die Ressourcen, die mit den jeweils aktuellen technischen Möglichkeiten schon erreichbar sind. Dabei ist zu befürchten, dass das Ringen um die besten Abbaumöglichkeiten nicht nur nach dem Prinzip »first come, first serve« vonstatten geht, sondern dabei auch Konflikte über die extrem wertvollen Rohstoffvorkommen entflammen können. Diese Befürchtung wird dadurch verstärkt, dass der Weltraumvertrag (WRV) von 1967, der einen Großteil der Rechte und Pflichten von Staaten im Weltraum regelt, das Thema Ressourcenabbau nicht explizit behandelt und die freie Nutzung und Erkundung des Weltraums für alle garantiert, was Raum für eine Wild-West-Mentalität lässt (siehe auch Engels in diesem Dossier, S. 12). Der umstrittene rechtliche Status von Ressourcen im All wird im Folgenden skizziert.

Artikel II WRV legt fest, dass der Weltraum keiner nationalen Aneignung unterliegt, sei es durch Souveränitätsansprüche, Besetzung, Benutzung oder auf anderen Wegen. Was in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich behandelt wird, ist der Umgang mit Rohstoffen einerseits und mit Privateigentum andererseits. Die Meinungen in der juristischen Fachliteratur darüber, welche Objekte und Rechte von Art. II WRV erfasst sind, gehen teils diametral auseinander. Eine klarere Position zur Frage der Rohstoffnutzung bezieht Art. 11 des Mondvertrages – welcher übrigens einen deutlich weiteren Anwendungsbereich hat, als sein Name vermuten lässt. Laut Art. 11 sind auch Ressourcen im Weltraum ausdrücklich vom Aneignungsverbot erfasst, was so bleiben soll, bis die Vertragsstaaten sich auf Regelungen für ihren Abbau und die Verteilung der daraus resultierenden Vorteile einigen können. Allerdings sind lediglich 18 Staaten Vertragsparteien des Mondvertrages, darunter keine der großen Raumfahrtnationen. Beobachter*innen führen die mangelnde Popularität des Mondvertrages unter anderem auf seinen restriktiven Umgang mit Rohstoffen zurück (Anderson et al. 2019; Coffey 2009, S. 127).

Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass manche Staaten bereits nationale Regelungen erlassen haben, die sich die offene Rechtslage zu Nutzen machen und es den eigenen Staatsangehörigen erlauben, Eigentum an Ressourcen im Weltraum zu erwerben. Insbesondere der US Commercial Space Launch Competitiveness Act (CSLC 2015) und das Luxemburgische Gesetz zur Erkundung und Nutzung der Ressourcen des Weltraums (Luxemburg 2017) sind hier nennenswert (vgl. den Beitrag von Sönnichsen in diesem Dossier, S. 21). Was mit einzelnen Gesetzen begann, findet heute seine Fortführung in den »Artemis Accords« (2020), einem unverbindlich-politischen Vertragswerk unter Schirmherrschaft der USA, demzufolge der Abbau und die Nutzung von Weltraumressourcen nicht per se das Aneignungsverbot in Art. II WRV verletzen. Im gleichen Geiste steht das 2022 erschienene McGill Manual on International Law Applicable to Military Uses of Outer Space (Jakhu und Freeland 2022), welches aktuell geltendes internationales Weltraumrecht wiedergeben soll. Darin heißt es in Regel 128, dass die Ressourcen des Weltraums erkundet und genutzt werden dürfen. Auch wenn die Formulierungen der Artemis Accords und des McGill Manuals vorsichtig gewählt sind und nicht ausdrücklich eine kommerzielle Nutzung von Weltraumressourcen gestatten, stellen sie als derzeit aktuellste Stellungnahmen zur rechtlichen Regelung der Thematik auch keine Hürde für diese dar. Es wird zwar jeweils betont, dass der Weltraum, wie auch in Art. IV WRV vorgesehen, nur zu friedlichen Zwecken genutzt werden darf. Allerdings betrifft diese Einschränkung nur die jeweilige Weltraumnutzung. Das Konfliktpotenzial, das sich aus dem Wettbewerb um ebendiese Nutzungen ergeben kann, findet keine Erwähnung.

Die dargestellte Rechtslage kann Akteure dazu ermutigen, sich die Ressourcen des Weltraums unilateral zu eigen machen zu wollen. Dies betrifft vor allem diejenigen Staaten und Unternehmen, die technologisch und finanziell entsprechend ausgestattet sind – nicht selten auf der Grundlage großer eigener Rohstoffvorkommen (Öl, Gas, Kohle, Seltene Erden, Sand, usw.) auf der Erde, wie etwa im Falle Russlands, Chinas oder der USA. Der Drang nach Festigung und Erweiterung geopolitischer Macht durch weitere oder das erneute Erschließen bereits erschöpfter Rohstoffe kann das Verhältnis der großen Raumfahrtnationen zueinander gefährden und dazu führen, dass Ungleichheiten gegenüber den weniger entwickelten Staaten fortgesetzt und vertieft werden. Zwar betonen das internationale Weltraumrecht, die Artemis Accords und das McGill Manual die Pflicht zur Kooperation und gegenseitigen Rücksichtnahme, aber wie die aktuellen Spannungen zwischen Russland und den USA um die ISS (vgl. Scheffran in diesem Dossier, S. 2) und Chinas Alleingang beim Bau ihrer eigenen Raumstation zeigen, verkommen diese Pflichten nur allzu schnell zu Lippenbekenntnissen. Ein Wettrennen der Großmächte um die Ressourcen des Weltraums bleibt daher sehr bedenklich, insbesondere vor dem Hintergrund eines anspruchsvollen Friedensbegriffs. Es droht Konflikte und Instabilität zu fördern, statt sie einzudämmen, insbesondere auch auf der sozio-ökonomischen Ebene. Angesichts der theoretisch unendlichen Verfügbarkeit von Ressourcen im Weltall eine ernüchternde Vorstellung.

Konflikte um begrenzte Orbits und Weltraumschrott

Eine ähnliche Dynamik droht im Zusammenhang mit dem knapper werdenden nutzbaren Raum im Erdorbit. Mit der stetig steigenden Nutzung des Weltraums durch staatliche und in letzter Zeit auch immer mehr private Akteure steigt auch die Zahl an ausrangierten Satelliten, Trümmerteilen und Kleinstteilen, die unter dem Begriff Weltraumschrott zusammengefasst werden. Insbesondere das fortschreitende Testen von Anti-Satelliten-Raketen ist hier problematisch. Aber auch bei nichtmilitärischer Nutzung entsteht Weltraumschrott, etwa dadurch, dass Objekte technische Defekte erleiden oder sich kleinere Partikel bei Raketenstarts ablösen. Auch das Betreiben von Weltraumbergbau wäre wohl kaum möglich, ohne dass dabei Weltraumschrott entstünde. Im Frühjahr 2022 befanden sich rund 130 Millionen erkennbare Teile Weltraumschrott im Erd­orbit, von denen ca. 100.000 größer als 1cm und ca. 36.500 größer als 10cm sind (SatelliteXplorer 2022). Diese erreichen Geschwindigkeiten von rund 28.000km/h (ebd.), wodurch selbst kleinste Teile bei Kollisionen mit aktiven Weltraumobjekten erhebliche Schäden anrichten können. Je mehr Weltraumschrott anfällt, desto schwieriger wird eine sichere und langfristige Nutzung des Weltraums.

Bestrebungen, die Verursachung von weiterem Weltraumschrott zu verhindern und schon vorhandenen zu beseitigen, verfolgen sowohl staatliche als auch private Akteure. Diese Bemühungen stecken aber jeweils noch in ihren Kinderschuhen (vgl. ebd.). Verheerend an Weltraumschrott ist, dass sich dessen Zahl auch ohne menschliche Einwirkung weiter vervielfacht. Der NASA-Physiker Donald Kessler beschrieb bereits 1978 ein Phänomen, das seitdem als das Kessler-Syndrom bekannt ist (Kessler und Cour-Palais 1978). Seine These ist, dass Teile von Weltraumschrott früher oder später miteinander kollidieren, wodurch weitere kleinere Teile produziert werden, die wiederum mit anderen kollidieren und eine (zunächst langsam eskalierende) Kettenreaktion auslösen. Da auch kleinste Teile Weltraumschrott angesichts ihrer extremen Geschwindigkeit enorme Schäden an funktionsfähigen Weltraumobjekten anrichten können, ist das Kessler-Syndrom ein großes Problem für die langfristige Nutzbarkeit des Weltraums.

In Ermangelung kurzfristiger Lösungen für die Weltraumschrottproblematik und der steigenden Anzahl an Weltraumakteuren wird der Weltraum zunehmend »enger«. Diese Entwicklung erzeugt Druck auf Weltraumakteure und verschärft damit den Drang danach, das meiste aus der eigenen Weltraumnutzung herauszuholen, solange dies noch effizient möglich ist.

Ähnlich wie auch beim Thema des Ressourcenabbaus im Weltraum ist die veraltete Rechtslage eher ein Teil des Problems als der Lösung. Der Weltraumvertrag enthält nur eine einzige Klausel mit einer umweltbezogenen Dimension und damit einen Bezug zur Verschmutzung des Weltraums. Artikel IX WRV spricht davon, dass bei der Erkundung und Erforschung des Weltraums auf die Interessen anderer Staaten Rücksicht zu nehmen ist und verbietet in diesem Sinne auch die Kontaminierung der Erde und anderer Himmelskörper durch Stoffe aus dem Weltraum. Diese Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach allerdings in zweierlei Hinsicht beschränkt: Zum einen erstreckt sie sich nicht auf Weltraumnutzungen außerhalb von Erforschung und Erkundung (d.h. nicht auf wirtschaftliche oder militärische Nutzung) und zum anderen werden durch den Fokus auf Himmelskörper die Umlaufbahnen und der »offene« Raum um die Erde nicht in den Anwendungsbereich einbezogen.

Dementsprechend kommt auch das McGill Manual in Regel 129 zu dem Schluss, dass das Völkerrecht keine ausdrücklichen Regeln zur Verursachung von Weltraumschrott enthält. Die Regel enthält aber auch das Zugeständnis, dass sich Pflichten mittelbar aus anderen Normen als denen des Weltraumrechts ergeben können – jedoch ohne diese konkret zu benennen. Auf der politischen Ebene haben sich immerhin die 20 Unterzeichnerstaaten der Artemis Accords in Abschnitt 12 zur Eindämmung von Weltraumschrott verpflichtet.

Der Weltraum als natürliche Umwelt

Neben Perspektiven, die den Weltraum als wirtschaftliche Ressource, militärische Domäne oder Forschungsobjekt betrachten, wird auch immer wieder vorgeschlagen, den Weltraum insbesondere in Hinblick auf das Thema Weltraumschrott als Teil der natürlichen Umwelt zu begreifen (statt vieler s. Bertamini 2021; Shrivastav 2020). Dabei steht im Vordergrund, den Weltraum in zweierlei Hinsicht für zukünftige Generationen zu erhalten: Einerseits als nutzbaren Raum (wirtschaftlich, wissenschaftlich, etc.) und andererseits als kulturellen und spirituellen Bezugspunkt (vgl. hierzu die »Dark and Quiet Skies«-Initiative des VN-Weltraumbüros, UNOSA 2021). Da der Umweltbegriff dynamisch ist und davon abhängt, was die Menschheit zu einem gegebenen Zeitpunkt unter »Umwelt« versteht, sprechen keine kategorischen Erwägungen gegen die Einordnung des Weltraums als Umwelt.

Den Weltraum als Teil der natürlichen Umwelt zu verstehen, würde bedeuten, Erwägungen zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen auf den Weltraum auszudehnen. Das hätte auch Implikationen für Weltraumbergbau und Weltraumschrott. Für den Umgang mit Weltraumschrott würde die Einordnung des Weltraums als Umwelt vor allem bedeuten, den Fokus weg von Verantwortlichkeit für Schäden durch Weltraumschrott hin zu dessen Prävention zu verschieben. Denn das internationale Umweltrecht, das in weiten Teilen gewohnheitsrechtlich und damit annähernd universell gilt, verlangt den Schutz gemeinschaftlich genutzter Ressourcen und fordert von Staaten die Prüfung einer jeglichen geplanten Maßnahme, die sich negativ auf den Zustand der Ressource auswirken könnte (IGH 2010, Rn. 204). Auch die Übernutzung von Ressourcen wäre dann eindeutig rechtswidrig. Umweltrechtliche Kooperations- und Konsultationspflichten könnten hier die vergleichsweise vagen und engen Pflichten aus dem Weltraumrecht stärken und konkretisieren. Auch in Hinblick auf militärische Nutzungen des Weltraums und den dadurch direkt und indirekt entstehenden Weltraumschrott wäre eine umweltrechtliche Perspektive förderlich. Denn das humanitäre Völkerrecht enthält verschiedene Pflichten zum Schutz der Umwelt in bewaffneten Konflikten (vgl. Art. 55 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949).

Mit Blick auf den Weltraumbergbau würde die Einordnung des Weltraums als natürliche Umwelt vor allem globale Abstimmung und fairen Zugang einfordern. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre hier aber ein ausdrückliches Regelwerk mit klaren Vorgaben, Bedingungen und Verteilungsquoten wünschenswerter.

Eine umwelt(recht)liche Perspektive auf den Weltraum hat das Potenzial, die oft unspezifischen Regeln des Weltraumrechts in manchen Punkten zu konkretisieren und bestehende Pflichten als solche zu betonen. Mindestens als Übergangslösung, bis zur Schaffung konkreter Spezialregeln für die modernen Herausforderungen der Weltraumnutzung, wäre angesichts der erheblichen Bedeutung des Weltraums für das Leben auf der Erde ein »Umweltmindset« angebracht. Durch den vorherrschenden umweltbewussten Zeitgeist lässt sich das Potenzial dieser Perspektive heute besser entfalten als je zuvor.

Literatur

Anderson, S.; Christensen, K.; La Manna, J. (2019): The development of natural resources in outer space. Journal of Energy & Natural Resources Law 37, S. 227-258.

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Bertamini, M. (2021): Weltraumschrott und Umweltschutz. SichTRaum Blog, 05.02.2021.

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Coffey, S. (2009): Establishing a legal framework for property rights to natural resources in outer space. Case Western Reserve Journal of International Law 41, S. 119-147.

CSLC (2015): US Commercial Space Launch Competitiveness Act. 114th U.S. Congress, Washington D.C.

Internationaler Gerichtshof (IGH) (2010): Pulp mills on the river Uruguay (Argentinien v. Uruguay). Urteil Rep. 14.

Jakhu, R.; Freeland, S. (Hrsg.) (2022): McGill manual on international law applicable to military uses of outer space, Vol. I – Rules. Montreal: Centre for Research in Air and Space Law.

Kessler, D.; Cour-Palais, B. (1978): Collision frequency of artificial satellites: The creation of a debris belt. Journal of Geophysical Research 86, S. 2637-2646.

Luxemburg (2017): Law of July 20th 2017 on the exploration and use of space resources. Luxemburg Space Agency.

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SatelliteXplorer (2022): Space debris map 2022. Online Kartierung, geoxc-apps.bd.esri.com/space/satellite-explorer.

Shrivastav, G. (2020): The future of armed conflicts: Outer space as “natural environment”? Jindal Forum for International and Economic Laws, 10.11.2020.

TU Berlin (2021): Producing rocket fuel and drinking water on the moon. Pressemitteilung, 14.07.2021.

UNOSA (2021): Dark and Quiet Skies Initiative. UN Office for Outer Space Affairs.

VN Sicherheitsrat (1992): Note by the president of the security council, UN Doc. S/23500, 31.01.1992.

Yarlagadda, S. (2022): Economics of the stars: The future of asteroid mining and the global economy. Harvard International Review, 08.04.2022.

Maximilian Bertamini ist Doktorand im internationalen Weltraumrecht und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (Bochum).

Dual-use als Strategie

Dual-use als Strategie

Europa, der Weltraum und die Sicherheit

von Regina Hagen

Als Ronald Reagan vor 31 Jahren sein Star-Wars-Programm bekannt gab, führte das nicht nur zu einer weltweiten Protestbewegung, es löste auch eine breite Debatte aus über Realisierbarkeit und Kosten. In den Folgejahren dominierten die Zweifel, viele Wissenschaftler verweigerten die Mitwirkung, und nach dem Ende des Kalten Krieges verschwand das Thema weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung, allerdings nicht aus den Köpfen von Politikern und Militärs. Dabei steht für die meisten Staaten nicht die Stationierung von Weltraumwaffen im Mittelpunkt, sondern die Entwicklung von Weltraumtechnik für militärische Zwecke . Dies gilt nicht nur für die militärischen Großmächte, sondern auch für Europa.1

Die Volksrepublik China schoss 2007 einen eigenen, ausgedienten Satelliten ab und demonstrierte damit ihre Fähigkeit zum Satellitenkrieg; die USA zogen 2008 mit einem Anti-Satellitentest nach. Die Sowjetunion testete schon in den 1960er Jahren offensive Weltraumwaffen, und die USA heizten diesen Rüstungswettlauf ihrerseits kräftig an, bevor Moskau Mitte der 1980er Jahre ein Testmoratorium anbot, dem sich die USA nach einigem Zögern anschlossen und das bis 2008 hielt. Aktuell werden im US-Verteidigungshaushalt Milliarden Dollar umgeschichtet, um die Pentagon-Programme zur Weltraumkontrolle (space control) zu stärken. Die indische Defense Research and Development Organization teilte vor einigen Jahren unverblümt mit, Indien verfüge über die Technologie zum Bau von Weltraumwaffen. Japan ändert gerade die gesetzlichen Grundlagen für seine Weltraumagentur, um die Festlegung auf eine »ausschließlich friedliche Nutzung« des Weltraums aufzuheben.

Weniger spektakulär, dennoch kontinuierlich, verläuft die Militarisierung des Weltraums, die von zahlreichen anderen Staaten betrieben wird und die moderne Kriegsführung grundlegend bestimmt.

In Europa macht Raumfahrt meist positive Schlagzeilen: Die europäische Weltraumagentur realisiert die Kometenmission Rosetta; der deutsche Astronaut Gerst führt auf der Internationalen Raumstation wissenschaftliche Experimente; das Satellitennavigationssystem Galileo verspricht hilfreiche und wirtschaftlich lukrative Anwendungen… Die Raumfahrt in Europa ist aber keineswegs rein zivil ausgelegt. Zahlreiche Projekte dienen militärischen Zwecken oder setzen bewusst auf Dual-use, die Kombination aus ziviler und militärischer Nutzung von Satellitentechnik.

Weltraumsysteme als nationaler »Kampfkraftverstärker«

Seit Jahrzehnten verfolgen einige europäische Staaten auf nationaler Ebene Projekte mit militärischem oder Dual-use-Charakter, um ihre militärischen Einsatzmöglichkeiten zu verbessern bzw. im Militärjargon: die »Kampfkraft zu verstärken«. Hier seien stellvertretend einige Beispiele genannt:

  • Eine Voraussetzung für den heutigen Echtzeitkrieg ist die stabile Kommunikation, z.B. zwischen der Kommandozentrale zu Hause und den Einsatztruppen am anderen Ende der Welt oder mit ferngesteuerten Drohnen. Großbritannien gibt daher 3,6 Mrd. £ für das militärische Skynet-Projekt aus, das seit 2012 vier Satelliten umfasst und in einer Public-Private-Partnership von Paradigm Secure Communications entwickelt, gebaut und betrieben wird.2
  • Der erste Aufklärungssatellit der Serie Helios wurde vom französischen Militär 1995 auf eine Erdumlaufbahn gebracht. Inzwischen liefern vier Satelliten optische Bilder mit einer Auflösung bis 35 cm. Infrarotkameras (sie erkennen Wärmeunterschiede auf der Erdoberfläche) bieten auch bei Dunkelheit eine gewisse Aufklärungskapazität. Frankreich hat für die Helios-Daten Nutzungsabkommen mit Italien, Spanien, Belgien und Griechenland abgeschlossen. Ein entsprechendes Abkommen mit Deutschland verschafft Frankreich im Gegenzug SAR-Lupe-Daten.3
  • Das Bremer Unternehmen OHB-Systems AG ist Generalunternehmer für die SAR-Lupe-Satelliten der deutschen Bundeswehr. Fünf mit Synthetic Aperture Radar (SAR) ausgestattete Satelliten umkreisen seit 2007 die Erde in 500 km Höhe auf einer polaren Umlaufbahn und erstellen unabhängig von Wetter- und Lichtverhältnissen Bilder von jedem Punkt der Erde mit einer Auflösung deutlich unter einem Meter.4 Die SAR-Technologie ist beim Militär beliebt, weil mit ihr auch Höhenunterschiede gemessen, Bewegungen wahrgenommen sowie Menschen und metallische Gegenstände am Boden (z.B. Fahrzeuge oder Flugabwehrsysteme) erkannt werden können. 2013 teilte die Bundeswehr mit, SAR-Lupe werde 2017 durch das leistungsfähigere Nachfolgesystem SARah ersetzt. Optische Bilder des französischen Helios-Systems komplettieren die bildgebenden Aufklärungsfähigkeiten des deutschen Militärs.
  • Das zweite militärischer Nutzung vorbehaltene Satellitensystem der Bundeswehr ist das Kommunikationssystem SATCOM Bw. Mit dem System „soll das IT–System der Bundeswehr bedarfsgerecht in die Einsatzgebiete verlängert und mindestens die gleiche Qualität wie in Deutschland bereitgestellt werden. Satellitenfunkverbindungen […] können nahezu unter allen Witterungsbedingungen und in jedem Gelände hergestellt und betrieben werden. Einzelne Satellitenfunksysteme ermöglichen zudem eine Übertragung in der Bewegung.“ 5

Weltraum und Verteidigung in der EU

Die obigen Beispiele zeigen: Militärpolitik und –ausrüstung ist in Europa weitgehend Sache der Nationalstaaten, nicht der Europäischen Union; das Gleiche gilt für die Weltraumaktivitäten. Diese werden obendrein von wenigen Staaten dominiert. Die Europäische Weltraumagentur (European Space Agency, ESA) hat 22 Mitgliedstaaten – nicht alle davon sind Mitglieder der EU – und Kooperationsabkommen mit etlichen weiteren europäischen Staaten sowie Kanada. 2015 beträgt das ESA-Gesamtbudget 4,33 Mrd. Euro, davon werden 3,24 Mrd. Euro von den Mitgliedstaaten und Kooperationspartnern getragen. Allerdings steuern nur vier Staaten 87% dieses Anteils bei (und werden dafür mit dem Rückfluss entsprechender Industrieaufträge kompensiert): Deutschland zahlt 24,6% (= 797,4 Mio. Euro), Frankreich 22,2%, Italien 10,2% und Großbritannien 9,9%.Wichtigster Geldgeber überhaupt ist inzwischen aber die EU mit knapp über einer Mrd. Euro.6

Das war nicht immer so. ESA wurde ja nicht als Agentur der EU gegründet, sondern 1975 als zwischenstaatliche Organisation um, wie es in der ESA-Konvention heißt, „die europäische Zusammenarbeit für ausschließlich friedliche Zwecke auf dem Gebiet der Weltraumforschung, der Weltraumtechnologie und ihrer weltraumtechnischen Anwendungen […] fortzuführen und zu verstärken“.

In den vergangen 20 Jahren hat sich die EU aber gewandelt. Mit dem »Lissabonner Vertrag« von 2007 hat sie sich neu verfasst und festgeschrieben: „Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit.“ Der Vertrag verpflichtet die EU-Staaten daher darauf, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ und installiert die Europäische Verteidigungsagentur, um dieses Ziel abzusichern (Artikel 42). Artikel 189 verfügt die Ausarbeitung einer „europäische(n) Raumfahrtpolitik“ – diese wurde noch im selben Jahr verabschiedet – und die Herstellung einer „zweckdienlichen Verbindung zur Europäischen Weltraumorganisation“.

Die Ausweitung der Aufgabengebiete um Verteidigungspolitik nahm ihren Ausgang 1992, als die EU im Maastrichter Vertrag die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik festlegte. Im selben Jahr beschloss die (inzwischen aufgelöste) Westeuropäische Union – ein militärischer Beistandspakt einiger Länder mit EU- und NATO-Mitgliedschaft – bei ihrem Gipfeltreffen die »Petersberger Aufgaben«. Diese wurden später ausdrücklich in den Lissabonner Vertrag übernommen und umfassen

  • „humanitäre Aktionen oder Rettungseinsätze;
  • Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens;
  • Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung, einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen;
  • gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen;
  • Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung;
  • Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“.7

In einem »Gemeinsamen Grundsatzpapier der [Europäischen] Kommission und der ESA zur europäischen Strategie für die Raumfahrt« stellten die beiden Partner im Jahr 2000 fest: „Der Weltraum hat eine sicherheitspolitische Dimension, die bisher auf europäischer Ebene nur im Kontext der WEU eine Rolle gespielt hat. Durch die anstehende Integration der WEU in die EU und die auf dem europäischen Gipfel von Helsinki unternommenen Schritte in Richtung einer [Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik] erlangt die Raumfahrt für die Europäische Union einen neuen Stellenwert, beispielsweise für die Entscheidungsfindung zur Planung und Durchführung der Petersberg-Aufgaben.“

Fast gleichzeitig erstellten im Auftrag des damaligen ESA-Kabinettchefs die so genannten »drei Weisen« Carl Bildt, Jean Peyrelevade und Lothar Späth den Bericht »Towards a Space Agency for the European Union« und empfahlen dort, „die Fähigkeiten der ESA auch für die Entwicklung der eher sicherheitsorientierten Aspekte der europäischen Weltraumpolitik einzusetzen. Da die Anstrengungen der Europäischen Union in diesen Bereichen auf die so genannten Petersberger Aufgaben […] abgestimmt sind, sehen wir kein Problem mit der Satzung der ESA.“ Dies zu betonen war nötig, hätten einer Satzungsänderung der ESA doch alle Mitgliedsländer zustimmen müssen, auch diejenigen, die nicht der EU angehören und in die EU-Politik eingebunden sind, so z.B. die Schweiz.

Damit war die Hürde zur Einbindung der ESA in die Militärpolitik der EU genommen, und die zuständigen Organe untermauerten die neue Gemeinsamkeit in einer Flut von Dokumenten.8 Diese reichen vom »WEISSBUCH – Die Raumfahrt« der Europäischen Kommission (2003: „Raumfahrtsysteme unterstützen nicht nur eine breite Palette ziviler Politikbereiche, sondern können auch einen unmittelbaren Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und zu ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten.“) bis zu einer Mitteilung der Europäischen Kommission (4. April 2011: „Die weltraumgestützte Infrastruktur hat, was den Bereich der Sicherheit anbelangt, sowohl die Funktion eines Instruments als auch die eines Objektes. Als Instrument kann sie für Sicherheits- und Verteidigungszwecke der Europäischen Union eingesetzt werden. Als Objekt muss sie selbst geschützt werden.“). Kaum überraschen konnte daher 2011 die Gründung des ESA Security Office mit Sitz in Frascati/Italien, das „damit beauftragt ist, sicherzustellen, dass ESA alle Sicherheitsfähigkeiten hat, die sie braucht, um die Sicherheit der von ihr vorgehaltenen Informationen zu gewährleisten und die Raumfahrtprogramme zu verwalten, die Elemente der Geheimhaltung beinhalten“.9

Europäische Flaggschiffe und Dual-use

Die Europäische Union hat sich als eigenständiger Akteur für zwei große Weltraumprojekte entschieden. Beide werden als »Flaggschiffe« der europäischen Raumfahrt bezeichnet und ausdrücklich dem Dual-use-Bereich zugeordnet: Galileo, ein Satellitennavigationssystem in Ergänzung (oder Konkurrenz) zu GPS, und Copernicus, das hier kurz näher beleuchtet wird.10

Copernicus geht auf das »Baveno-Manifest« europäischer Weltrauminstitutionen im Jahr 1998 zurück, in dem eine „globale Überwachung für die Sicherheit der Umwelt“ gefordert wurde. Und in der Tat beschlossen die Staats- und Regierungschefs bei ihrem EU-Gipfeltreffen in Göteborg 2001 den Aufbau eines gemeinsamen Weltraumprogramms zur „globalen Überwachung für die Sicherheit der Umwelt“. Als solches wurde das Programm im Vorfeld auch immer diskutiert und von den nationalen Parlamenten bestätigt: ein Programm im Dienste der Umwelt und der »menschlichen Sicherheit«, folgerichtig »Global Monitoring for Environment and Security« (GMES) benannt.

Allerdings verschob sich die Interpretation von »Sicherheit« rasch. Schon 2005 stellte die Europäische Kommission in einer Mitteilung fest: „GMES wird einen wichtigen Beitrag dazu liefern, den zivilen Sicherheitsbedarf in der EU zu decken. Zusätzlich werden Möglichkeiten zur Schaffung weiterer Kapazitäten im Bereich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik […] eröffnet. Alle erdenklichen zivilen und militärischen Synergien sollten angepeilt werden, eine bessere Nutzung der Ressourcen sicherzustellen, wobei auf Komplementarität mit dem bereits auf diesem Gebiet tätigen EU-Satellitenzentrum […] zu achten sein wird.“ 2012 wurde GMES in Copernicus umbenannt. Das Programm wird von der EU gemeinsam mit ESA betrieben; die in Darmstadt ansässige Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) ist in Copernicus ebenfalls eingebunden.

Copernicus setzt stark auf die Nutzung vorhandener, auch nationaler Satellitenkapazitäten, komplettiert diese aber mit der Entwicklung und dem Betrieb sechs eigener Satelliten mit hoch auflösender Erdbeobachtungstechnik (SAR, Optik, Infrarot). Die Satelliten werden »Sentinel« genannt, und Sentinel-1A wurde vor einem Jahr in die Erdumlaufbahn gebracht.

Sentinel heißt Wächter. Die Öffentlichkeit tut gut daran, wachsam zu beobachten, wie sich die Raumfahrtaktivitäten in Europa entwickeln. Wir alle sollten der zunehmenden Weltraummilitärisierung entgegenarbeiten, denn nur dann ist Raumfahrt „für ausschließlich friedliche Zwecke“ und, wie es der 1967 von der internationalen Staatengemeinschaft vereinbarte Weltraumvertrag fordert, „zum Vorteil und im Interesse aller Länder“ als „Sache der gesamten Menschheit“ langfristig möglich.11

Anmerkungen

1) Mit »Militarisierung« ist hier die Nutzung von Weltraumtechnik für militärische Zwecke gemeint. Als »Bewaffnung des Weltraums« wird im Allgemeinen die Stationierung von Waffen im Weltraum bezeichnet, gelegentlich auch die Stationierung von Waffen, die gegen Weltraumobjekte auf der Erde gerichtet sind.

2) Jonathan Amos: UK’s Skynet military satellite launched. BBC News, 19 December 2012.

3) Ministère de la Défense: Hélios II; defense.gouv.fr, online gestellt 19.3.2015.

4) SAR-Lupe – Das innovative Programm zur satellitengestützten Radaraufklärung. OHB-Systems AG, o.J.

5) deutschesheer.de.

6) ESA Budget for 2015; esa.int.

7) europa.eu; dort: Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung – Glossar – Petersberger Aufgaben.

8) Mit Raumfahrt sind in der EU der Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, die Europäische Verteidigungsagentur und das Satellitenzentrum der Europäischen Union in Torrejón/Spanien befasst. Das Literaturverzeichnis listet lediglich die in diesem Artikel erwähnten Dokumente auf, soweit der Autorin bekannt jeweils die deutsche Fassung.

9) esa.int; dort: About Us – Security at ESA.

10) Die Informationen zu Copernicus bzw. GMES stammen, sofern nicht anders angegeben, von der Website d-gmes.de, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. betrieben wird. Das DLR fungiert u.a. als deutsche Raumfahrtagentur. Zahlreiche Dokumente zu Copernicus/GMES sowie zu Galileo finden sich auf den Websites der EU und ESA.

11) Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeit von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper. Verabschiedet am 27. Januar 1967, im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und damit für Deutschland in Kraft getreten am 8. Oktober 1969.

Literatur

Theresa Hitchens and Tomas Valasek (2006): Europan Military Space Capabilities. A Primer. Washington D.C.: Center for Defense Information.

Xavier Pasco (2009): A European Approach to Space Security. Cambridge, MA: American Academy of Arts and Sciences.

Auswahl relevanter Dokumente der EU

Kommission der europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das europäische Parlament – Ein neues Kapitel der europäischen Raumfahrt. KOM(2000)597 endgültig vom 27. September 2000.

Carl Bildt, Jean Peyrelevade, Lothar Späth: Towards a Space Agency for the European Union. Report to the ESA Director General. Vorgestellt am 9. November 2000 in Paris.

Council of the European Union: Framework Agreement between the European Community and the European Space Agency. 7 October 2003.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: WEISSBUCH – Die Raumfahrt: Europäische Horizonte einer erweiterten Union. Aktionsplan für die Durchführung der europäischen Raumfahrtpolitik. 11. November 2003.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Globale Überwachung von Umwelt und Sicherheit (GMES): Vom Konzept zur Wirklichkeit. KOM(2005)656 endgültig vom 10. November 2005.

Rat der Europäischen Union: Vertrag über die Europäische Union. Unterzeichnet am 13. Dezember 2007 in Lissabon.

EU, EDA, CSG, ESA Joint Task Force: Civil-Military Synergies in the Field of Earth Observation. Final report. 26th November 2010.

Regina Hagen beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit Atomwaffen, Raketenabwehr und Weltraumrüstung. Sie ist verantwortliche Redakteurin von W&F.

Deutsche Satelliten für die militarisierte Weltraumnutzung

Deutsche Satelliten für die militarisierte Weltraumnutzung

von Malte Lühmann

Am 8. Januar 2007 wurde der erste Militärsatellit der deutschen Geschichte in die Kontrolle der Bundeswehr übergeben. Es handelte sich um einen Satelliten des Aufklärungssystems SAR-Lupe, das den deutschen Militärs Radarbilder von der Erde liefert. Inzwischen verfügt die Bundeswehr über sieben Aufklärungs- und Kommunikationssatelliten, weitere werden folgen. Während das deutsche Militär hier kräftig aufrüstet, hat auch in der europäischen Raumfahrt eine deutliche Verschiebung stattgefunden: von der Erforschung des Weltraums zu ausschließlich friedlichen Zwecken hin zur Nutzung von Weltraumtechnologien für die politischen Ziele der EU, darunter an zentraler Stelle ihre militärisch untermauerten Machtambitionen.1 In beiden Bereichen spielt Satellitentechnik aus Deutschland eine zentrale Rolle, denn sie hebt sich vor allem im Bereich der satellitengestützten Radaraufklärung für militärische und zivile Zwecke von der Konkurrenz ab.

Die aktuelle Nutzung des Weltraums durch Bundeswehr und EU unterscheidet sich qualitativ in doppelter Weise von früheren Ansätzen. Das betrifft erstens die Rolle von Satelliten innerhalb des Militärs und der modernen Kriegsführung und zweitens die konsequente Vermischung ziviler und militärischer Nutzungen. Insbesondere im Rahmen der EU – wenn auch keineswegs nur hier – wird unter dem Schlagwort »dual-use« systematisch Weltraumtechnologie zivil finanziert und aufgebaut, um sie anschließend für militärische und andere sicherheitspolitische Zwecke nutzen zu können.2

Weltraum und moderne Kriegsführung

Vom Beginn des Kalten Krieges bis zum Ende der Blockkonfrontation Anfang der 1990er Jahre war die militärische Nutzung des Weltraums vom Paradigma der symmetrischen und insbesondere der atomaren Kriegsführung zwischen den Supermächten bestimmt. Im Zusammenhang mit der einsetzenden gegenseitigen Rüstungskontrolle spielten Satelliten schließlich eine wichtige Rolle bei der Überwachung eingegangener Verpflichtungen. Die Aussichten für eine zukünftige militärische Weltraumpolitik in Westeuropa, wie sie sich unmittelbar nach dem Ende der Blockkonfrontation darstellten, wurden noch weitgehend entlang dieser Entwicklungslinien, insbesondere im Bereich der Rüstungskontrolle, gesehen.3

Schon zehn Jahre später sind die Karten neu gemischt und diese Prognose ist, wie so viele andere politikwissenschaftliche Analysen, angesichts der raschen Veränderungen der Weltlage im Laufe der 1990er Jahre obsolet geworden. Die militarisierte Weltraumnutzung wie sie sich seither darstellt steht ganz im Zeichen der westlichen Interventionspolitik und der Revolution in Military Affairs (RMA). Die Debatte um die RMA wurde seit den 1970er und 1980er Jahren zuerst in der Sowjetunion und dann in den USA geführt.4 Im Kern beschreibt sie die Revolutionierung der Kriegsführung durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Militärisch rückt dabei die Gewinnung, Verbreitung und effektive Nutzung von Informationen innerhalb der eigenen Streitkräfte in den Mittelpunkt und löst damit die materielle Übermacht an Panzern, Flugzeugen usw. als Erfolgskriterium tendenziell ab. Der Golfkrieg von 1991 kann als erstes Beispiel für einen mit »Informationsübermacht« und hoch präzisen Waffen geführten Krieg gesehen werden.

Satelliten spielen eine zentrale Rolle in dieser neuen Art der Kriegsführung.5 Sie liefern Aufklärungsdaten für die strategische Planung, bilden ein Kommunikationsnetzwerk für die sekundenschnelle, weltweite Übermittlung von Informationen und stellen genaue Navigationsdaten für die Orientierung der Truppen und die Zielführung von Bomben und Raketen zur Verfügung. „Die Verfügbarkeit von Satelliten wird in immer stärkerem Maße zur Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit moderner Streitkräfte“, so die Schlussfolgerung von Stefan Klenz, Oberstleutnant i.G. der Luftwaffe.6

Nachdem sich diese Entwicklung zunächst vor allem in den USA vollzogen hatte, betrifft sie heute auch die deutsche und andere europäische Armeen. Der Umbau der Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz«, ähnliche Prozesse in den meisten anderen europäischen Staaten sowie die Aktivitäten der EU als Militärmacht bilden hier den politischen Hintergrund. Denn die Veränderungen in der Organisation und Ausrüstung des Militärs adressieren Anforderungen, die sich aus dem neuen Einsatzszenario der militärischen Interventionen von Afghanistan bis in die Demokratische Republik Kongo ergeben. Insbesondere für Armeen, die außerhalb des eigenen Territoriums, in unbekanntem Terrain und in asymmetrischen Konflikten eingesetzt werden, sind Satellitentechnologien zur Kommunikation, Erkundung und Navigation von zentraler Bedeutung.7

Der deutsche Beitrag I: Satellitenaufklärung per Radar für die Bundeswehr

Vor dem dargestellten Hintergrund werden in Deutschland zurzeit sowohl national als auch im Rahmen der EU große Anstrengungen im Bereich der militärischen und militärisch genutzten Satellitentechnologie unternommen. Dabei stehen insbesondere die Aktivitäten für Erdbeobachtung und Aufklärung im Fokus, obwohl auch die Telekommunikation und Navigation nicht zu vernachlässigen sind, wie in den letzten Jahren der Start der beiden COMSATBw-Satelliten der Bundeswehr und der Auftrag zum Bau der ersten 14 Galileo-Satelliten an das deutsche Unternehmen OHB-System gezeigt haben.8 In diesen Segmenten hat die deutsche Industrie im Vergleich zu US-amerikanischen und anderen europäischen Konkurrenten allerdings keine hervorgehobene Rolle inne. Über die Erdbeobachtung heißt es demgegenüber im Bericht des Koordinators der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt, Peter Hintze: „In diesem Bereich verfügt Deutschland über eine führende Position. Erdbeobachtung ist das derzeit strategisch wichtigste Feld in der anwendungsorientierten Raumfahrt“.9

Ein Aufsehen erregendes Projekt in diesem Feld ist SAR-Lupe, das seit 2008 voll einsatzfähig ist. Dabei handelt es sich um eine Konstellation aus fünf Satelliten zur Radaraufklärung, die den Bedarf der Bundeswehr an Satellitenbildern aus aktuellen und potentiellen Einsatzgebieten überall auf der Welt decken sollen. Die Radartechnik ermöglicht es dabei im Gegensatz zu optischen Systemen, Aufnahmen bei Tag und Nacht und unabhängig von der Wetterlage, etwa auch bei Bewölkung, zu machen. Die deutsche Bundeswehr ist mit diesem technisch hoch entwickelten System nach den US-amerikanischen und russischen Streitkräften die dritte Armee, die in der Lage ist, solche Aufnahmen der Erde in hoher Qualität zu machen.10 Mit der Auswertung der Bilder von SAR-Lupe sollen im Kommando Strategische Aufklärung über 90 Personen in einer eigenen Abteilung beschäftigt sein. Das Bundesverteidigungsministerium kommentierte, das System hebe die „Fähigkeiten der Bundeswehr zum Krisenmanagement auf eine qualitativ neue Stufe“.11 Der Bezug zu Auslandseinsätzen wird hier also explizit hergestellt. Am Bau der Satelliten, deren Bereitstellung die Bundeswehr nach eigenen Angaben insgesamt 742 Mio. Euro gekostet hat, waren unter der Führung von OHB auch EADS Astrium und THALES, zwei Riesen der europäischen Raumfahrt- und Rüstungsindustrie, beteiligt.12

Der deutsche Beitrag II: zivil-militärische Beobachtungs- satelliten für die EU

Auch im Rahmen des europäischen GMES-Projektes (Global Monitoring for Environment and Security) versuchen die Deutschen, ihre Expertise im Bereich der Erdbeobachtung einzusetzen. Schließlich geht es um erhebliche Mittel, die hier aus verschiedenen Töpfen von der Europäischen Weltraumagentur ESA, der EU und anderen staatlichen Stellen aufgewendet werden. Die Gesamtkosten für den Zeitraum von 2004-2013 werden auf fünf Mrd. Euro geschätzt.13 GMES ist ein Vernetzungsprojekt, in dem bestehende sowie neu zu schaffende nationale und europäische Erdbeobachtungssysteme im Dienste verschiedener EU-Politiken zusammengefasst werden sollen. Gleichzeitig handelt es sich aber auch um eine industriepolitische Initiative mit dem Ziel, die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Raumfahrtindustrie durch staatliche Investitionen zu stärken.14 Die Bedeutung von GMES brachte der ehemalige Vizepräsident der EU-Kommission Günter Verheugen folgendermaßen auf den Punkt: „Mit diesem Projekt meldet sich Europa als Weltraummacht an.“ 15

Laut aktueller Entscheidungslage der EU soll GMES Beiträge zur Überwachung der Atmosphäre, der Erdoberfläche, der Meeresumwelt und des Klimawandels, beim Katastrophen- und Krisenmanagement und im Bereich Sicherheit leisten.16 Genauer heißt es zum letzten Punkt in der betreffenden EU-Verordnung: „Sicherheitsdienste stellen nützliche Informationen im Hinblick auf die Herausforderungen für Europa im Sicherheitsbereich bereit – vor allem im Hinblick auf Grenzüberwachung, Überwachung des Schiffsverkehrs und Unterstützung der auswärtigen Maßnahmen der EU“.17 Zentral für die sicherheitspolitische bzw. militärische Nutzung des Projektes ist das Europäische Satellitenzentrum (EUSC) in Torrejón de Ardoz/Spanien, das seit 2002 Bilder aus zumeist kommerziellen Quellen zur Vorbereitung und Unterstützung praktisch aller EU-Interventionen der letzten Jahre verarbeitet.18 Da das EUSC über keine eigenen Satelliten verfügt, kann ein strukturierter Zugang zu den in GMES zusammengefassten Kapazitäten für die weitere Arbeit des Zentrums kaum überschätzt werden. Das EUSC war dementsprechend von Anfang an in die Planung und Gestaltung von GMES eingebunden. Dual-use heißt hier einmal mehr, dass militärische und sicherheitspolitische Stellen sowohl Einfluss auf die Gestaltung als auch Anteil an der Nutzung eines nicht aus Militärbudgets finanzierten und in der Öffentlichkeit als zivil dargestellten Programms haben.

Unter Berücksichtigung der Aktivitäten zu GMES stechen Bremen, der Großraum München und Friedrichshafen als bedeutende Standorte in der deutschen Raumfahrtlandschaft hervor. Hier sind mit EADS Astrium (Ottobrunn bei München/Friedrichshafen am Bodensee) und OHB-System (Bremen) die wichtigsten Unternehmen der Branche angesiedelt, zudem hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das die staatliche Seite des deutschen Beitrags zu GMES koordiniert, in Oberpfaffenhofen bei München die meisten seiner Aktivitäten im Bereich der Erdbeobachtung konzentriert. Sowohl OHB als auch EADS Astrium sind am Bau der Sentinel-Satelliten beteiligt, die im Auftrag der ESA speziell für GMES gebaut werden.19 Dazu kommen die von EADS Astrium und dem DLR durchgeführten Satellitenprojekte TerraSAR-X und Tandem-X, deren Radarbilder in GMES eingebracht werden sollen, sowie zahlreiche Projekte, in denen unter Beteiligung der beiden Konzerne, des DLR und anderer Akteure mögliche Anwendungen des Satellitenverbundes für einzelne Politikfelder erforscht werden.20

Besonders aktiv bei der Förderung dieser Projekte ist das Land Bremen, das in diesem Zusammenhang bisher über eine Mio. Euro ausgegeben hat.21 Mit diesen Mitteln wurden neben anderen Projekten ein GMES-Büro sowie das Centre for Communication, Earth Observation and Navigation Services (CEON) finanziert, um die ansässige Rüstungs- und Raumfahrtindustrie stärker mit Forschungseinrichtungen und Universitäten zu vernetzen.22 »Maritime Sicherheit« und die Überwachung von Meeresräumen sind dabei wichtige Forschungsschwerpunkte. Auf die Frage nach den militärischen Anwendungsmöglichkeiten von GMES antwortet der Senat in seiner Antwort auf eine große Anfrage aus der Bremischen Bürgerschaft: „Bei seinen Fördermaßnahmen legt der Senat stets zugrunde, dass keine wehrtechnischen Aktivitäten unterstützt werden. Dabei ist er sich der generellen, durch ihn nicht beeinflussbaren, so genannten Dual-Use-Problematik bewusst.“23

Implikationen einer militarisierten Weltraumpolitik

Das zitierte Statement des Bremer Senats macht deutlich, wie politische Entscheidungsträger sehenden Auges die Militarisierung der Raumfahrt auch in Deutschland weiter vorantreiben. Zusätzlich zu den dezidiert militärischen Satellitenprojekten der Bundeswehr werden so auf EU-Ebene und national die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Weltraumnutzung verwischt. Für die Rüstungskontrolle und die Dynamik der Entwicklung von Weltraumwaffen und deren Stationierung im All ergeben sich ernsthafte Gefahren aus beiden Prozessen. Angesichts der zunehmenden Abhängigkeit des Militärs von Satelliten wird zunächst generell die Bewaffnung des Weltraums wahrscheinlicher, denn Satelliten werden auf der einen Seite zum lohnenden Angriffsziel und auf der anderen zum wichtigen Aktivposten, den es zu verteidigen gilt.24 Dazu kommt aber, dass sich diese Gefahr durch die absichtliche Vermischung von zivilen und militärischen Systemen auch auf zivile Satelliten ausweitet, die ja de facto Teil der militärischen Infrastruktur sind. Aus dieser Perspektive betrachtet besteht die größte »Sicherheitsbedrohung« für die Raumfahrt in Europa in den Auswirkungen der eigenen Politik im Dienste einer militärisch abgestützten Weltmachtrolle.

Anmerkungen

1) Lühmann, Malte (2008): Aus dem All in alle Welt. Weltraumpolitik für die Militärmacht EUropa. Tübingen: IMI (Studien zur Militarisierung EUropas 33/2008); www.imi-online.de/download/EU-Studie-33-2008.pdf.

2) Slijper, Frank (2008): From Venus to Mars. The European Union’s steps towards the militarization of space. Amsterdam: TNI/CtW, S.24.

3) McLean, Alastair (1992): Western European Military Space Policy. Aldershot: Dartmouth, S.107ff.

4) Neuneck, Götz / Alwardt, Christian (2008): The Revolution in Military Affairs, its Driving Forces, Elements and Complexity. Hamburg: IFSH (IFAR Working Paper #13), S.4f; http://ifsh.de/IFAR/pdf/wp_13.pdf.

5) Hirst, Paul (2005): Space and Power. Politics, War and Architecture. Cambridge: Politiy Press, S 149ff.

6) Klenz, Stefan (2007): Militärische Nutzung des Weltraums aus Sicht der Luftwaffe. In: Europäische Sicherheit 56, Jg. Nr. 7, Juli 2007, S.26.

7) Neuneck, Götz / Rothkirch, André (2005): Weltraumbewaffnung und präventive Rüstungskontrolle. Hamburg: IFSH (IFAR Working Paper #10), S.11ff; http://ifsh.de/IFAR/pdf/wp10.pdf.

8) Zu COMSATBw, den militärischen Kommunikationssatelliten der Bundeswehr, siehe: DLR (2010): Zweiter Kommunikationssatellit für die Bundeswehr an Bord der 50. Ariane 5 gestartet. In: DLR Portal; www.dlr.de/DesktopDefault.aspx/tabid-1/86_read-23332. Zum Galileo-Auftrag an OHB: Spiegel-Online: Deutsche Firma erhält riesigen Galileo-Auftrag. 07.01.2010.

9) Bundeministerium für Wirtschaft (2009): Bericht des Koordinators für die Deutsche Luft- und Raumfahrt. Berlin: BMWI, S 43.

10) Lange, Sascha (2007): Der erste SAR-Lupe-Satellit im All. In: Strategie und Technik, Februar 2007, S.14-16.

11) Zit. nach: junge welt: 733 Millionen ins All gejagt. 20.12.2006.

12) Lühmann, Malte (2007): Quantensprung im Weltraum. In: AUSDRUCK, Dezember 2007, S.26.

13) Europäische Kommission Generaldirektion Forschung (2005): GMES, das große europäische Vorhaben. In: FTE info Magazin über Europäische Forschung, N° 44, Februar 2005.

14) Oikonomou, Iraklis (2008): The political economy of ESDP-space. The case of Global Monitoring for Environment and Security (GMES). Paper presented at the Third Pan-Hellenic Conference on International Political Economy, Harokopio University, 16-18 May 2008, S.4ff.

15) Zit. nach: Welt: Europa meldet Anspruch als Weltraummacht an. 17.4.2007.

16) Verordnung (EU) Nr. 911/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 über das Europäische Erdbeobachtungsprogramm (GMES) und seine ersten operativen Tätigkeiten (2011-2013); http://ec.europa.eu/enterprise/policies/space/files/gmes/verordnung_%28eu%29_nr._911_2010 _de.pdf, S.5.

17) Ibid., S.10.

18) Asbeck, Frank (2009): EU Satellite Center – A bird’s eye view in support of ESDP operations. In: ESDP Newsletter, Nr. 8, Sommer 2009, S.22ff. Das EUSC entstand am 1.1.2002 auf Beschluss des Europäischen Rates aus dem Satellitenzentrum des vormaligen militärischen Arms der EU, der Western European Union, und hatte seinen Betrieb ursprünglich 1991 aufgenommen; www.eusc.europa.eu.

19) EADS Astrium (2010): GMES. Global Monitoring for Environment and Security: the smart way of looking at the world; www.astrium.eads.net/en/programme/gmes.html. OHB-System (2010): GMES Sentinel-1; www.ohb-system.de/sentinel-1.html.

20) DLR EOC (2010): Global Monitoring for Environment and Security (GMES); www.dlr.de/caf/desktopdefault.aspx/tabid-5367/9013_read-16792.

21) Bremische Bürgerschaft (2010, Drucksache 17/1149, 2.2.2010, S.4f.

22) GMES Office Bremen (GOB); www.gmes-bremen.eu (05.12.10); CEON; www.ceon-bremen.de.

23) Bremische Bürgerschaft Drucksache 17/1149, op.cit., S.5.

24) Hagen, Regina (2004): Europa – eine führende Macht im Weltraum?. In: Wissenschaft & Frieden, 2-2004.

Malte Lühmann ist Politikwissenschaftler aus Kassel und Beirat der Informationstelle Militarisierung.

Zur Entwicklung militärischer Aufklärungssatelliten in Europa

Zur Entwicklung militärischer Aufklärungssatelliten in Europa

Offener Brief an den Bundesminister für Verteidigung, Rudolf Scharping

von NaturwissenschaftlerInnen-Initiative

Sehr geehrter Herr Minister,

im Zuge des Kososo-Konfliktes sind in den letzten Wochen erneut Stimmen zu hören, die eine von den USA unabhängige, satellitengestützte militärische Aufklärungskapazität für Europa fordern. Der Hintergrund dieser Forderung sind u.a. die unzuverlässigen Informationen über die Lage der Flüchtlinge im Kosovo und die wiederholt vorgebrachte Klage, dass die USA ihre Informationen nicht uneingeschränkt mit ihren NATO-Verbündeten teilen.

Wir wollen das berechtigte Interesse der europäischen Politik und Öffentlichkeit an zuverlässigen und unabhängigen Informationsquellen zur Beurteilung von Krisensitutationen nicht grundsätzlich bestreiten. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Lösung dieser Probleme mit eigenen militärischen Aufklärungssatelliten weder hinreichend möglich, noch erforderlich ist. Sie wären eine milliardenschwere Investition, deren langfristige negative Folgen für die Abrüstung auf der Erde und für die Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stehen. Für sinnvolle Aufgaben der Satellitenfernerkundung sind die in Zukunft verfügbaren zivilen Systeme hinreichend, zudem kostengünstiger und öffentlich zugänglich.

Der Nutzen eines militärischen Aufklärungssatelliten-Systems wird in Deutschland seit über einem Jahrzehnt debattiert. Diese Debatte schien 1998 mit dem Ende der Planungen für den deutsch-französischen Radar-Satelliten Horus ein vorläufiges Ende gefunden zu haben. Die Gründe, warum auf solche Satelliten besser verzichtet werden sollte, werden durch die Erfahrungen mit dem Kosovo-Krieg eher bestätigt.

Die militärische Nutzung des Weltraums ist ein Konzept des Kalten Krieges, das nicht unhinterfragt auf die neue Weltlage übertragen werden darf. Denkbaren militärischen Bedrohungen lässt sich wirkungsvoller durch umfassende, kontrollierte Abrüstung und Rüstungsexportkontrolle sowie durch vorbeugende Vermeidung von Konfliktursachen und durch Konfliktschlichtung begegnen. Um Konflikten wie im Kosovo wirksam entgegenzutreten, sind frühzeitig politische und wirtschaftliche Maßnahmen sowie geeignete humanitäre Hilfe zu ergreifen, die gewaltsamen Auseinandersetzungen entgegenwirken. Es wäre kurzsichtig, die beträchtlichen Möglichkeiten Deutschlands und Europas auf diesem Gebiet einzuschränken, indem dafür benötigte finanzielle Mittel in fragwürdigen militärischen Projekten gebunden werden.

Deutschlands neuer Verantwortung in der Welt wäre bestens gedient, wenn es seine wissenschaftliche und wirtschaftliche Kapazität in zukunftweisenden, innovativen Projekten bündelt, die wirksame Methoden für die Beilegung von innerstaatlichen und ethnischen Konflikten entwickeln. Wir würden es begrüßen, wenn Sie Ihren Einfluss in Ihrer Partei und in der Bundesregierung dafür geltend machen würden, dass die strikte Beschränkung Deutschlands auf zivile Weltraumforschung erhalten bleibt…

Erläuterungen:

Die meisten Aufgaben zur Informationsbeschaffung, bei denen Satelliten sinnvoll einsetzbar sind (Klima- und Umweltbeobachtung, Verifikation, Krisenprävention), können bereits von existierenden oder geplanten zivilen Beobachtungssatelliten bewältigt werden. Preiswerte und aktuelle Satellitenaufnahmen hoher Qualität und von jedem Gebiet der Erde werden in naher Zukunft kommerziell zu erwerben sein. Wie der Golfkrieg gezeigt hat, greifen auch militärische Stellen zunehmend auf zivile Satellitendaten zurück. Jeder darüber hinausgehende militärische Informationsbedarf wird durch einen starken Zuwachs an Kosten erkauft, der durch die meist höheren Anforderungen an militärische Systeme (Genauigkeit, Verfügbarkeit, Redundanz, Schutzmaßnahmen, Lebensdauer, Datenverschlüsselung) bedingt ist. Diese Kosten stehen in keinem Verhältnis zu dem damit gewonnenen Nutzen, der zudem auf einen militärischen Anwendungskreis beschränkt ist.

Es sollte klar sein, dass eine zeitgerechte Aufklärung eines Gebietes mit mehreren Satelliten erfolgen muss, da ein einzelner Satellit sich nur für eine kurze Zeit über dem aufzuklärenden Gebiet befindet. Die USA haben derzeit sechs bis sieben Satelliten im Einsatz und erhalten ca. zweimal am Tag Aufnahmen aus dem Kosovo. Jeder dieser Satelliten kostet ca. eine Milliarde Dollar und wird vom National Reconnaissance Office (NRO) betrieben. Das jährliche Budget dieser Agentur übertrifft mit 6-7 Mrd. US-Dollar die Aufwendungen des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA um das Doppelte. Zur Übertragung der Aufklärungsdaten werden zusätzlich Kommunikationssatelliten und Bodenempfangsstationen benötigt. Diese Zahlen sollten deutlich machen, dass jedweder Versuch Europas eine mit den USA zu vergleichende Aufklärungskapazität zu schaffen, jährliche Aufwendungen von mehreren Milliarden Euro erfordern würde. Berechnungen der WEU, die vor einigen Jahren angestellt wurden, kamen auf einen Gesamtbetrag von 20 Mrd. DM für eine Gesamtsystem aus vier Satelliten.

Ein neues zusätzliches System von militärischen Aufklärungssatelliten übersteigt den berechtigten Informationsbedarf in Europa. Die Überwachung von Rüstungskontroll-Verträgen erfolgt in Europa kooperativ im Rahmen der OSZE, durch die Vereinbarung von Vor-Ort-Inspektionen und den »Open Skies«-Vertrag, in dem weit kostengünstigere luftgestützte Aufklärungsmittel Verwendung finden. Mögliche militärische Bedrohungen in anderen Regionen, insbesondere die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, können bereits mit zivilen Beobachtungssatelliten weitgehend eingegrenzt werden. Eine Verbesserung der Genauigkeit von Aufklärungssatelliten kann keine letzte Sicherheit bringen und durch Tarn- und Täuschmaßnahmen teilweise umgangen werden. Selbst möglicherweise bedrohliche Rüstungprojekte werden oft nicht erkannt. Jüngste Beispiele sind der Atomwaffentest in Indien 1998, der selbst die US-Regierung unvorbereitet traf, und der Abschuss einer dreistufigen Rakete durch Nordkorea, die japanisches Territorium überquerte. Auch ohne Satelliten sind die potenziellen Krisenherde der Zukunft schon heute bekannt. Für die frühzeitige Erkennung von Krisen in unterschiedlichen Weltregionen genügt die bessere Ausnutzung und Integration verfügbarer Daten, wobei Satelliten nur eine von mehreren Informationsquellen sind. Die Begrenztheit der Möglichkeiten von Aufklärungssatelliten zeigt auch der französische Satellit Helios, über den in der Öffentlichkeit bisher nur wenig Informationen verfügbar sind.

Hochgenaue Militärsatelliten werden heute v.a. dann bedeutsam, wenn es um konkrete kriegerische Auseinandersetzungen geht, in die rasch eingegriffen werden soll, etwa mit »Krisenreaktions-Streitkräften«, die für die militärische Einsatzplanung und -durchführung Daten nahezu in Echtzeit benötigen. Nach dem Golfkrieg sind die US-amerikanischen Aufklärungssysteme für diesen Zweck optimiert worden. Auch im Kosovo-Krieg werden die Satelliten weniger zur Hilfestellung für Flüchtlinge benutzt, als vielmehr zur Zielbestimmung und Schadensfeststellung bei NATO-Luftangriffen auf Serbien.

Der wachsende Einsatz militärischer Weltraumsysteme kann von anderen Staaten als Bedrohung wahrgenommen werden und diese zu entsprechenden Gegenmaßnahmen veranlassen, die das Wettrüsten im Weltraum und auf der Erde verstärken. Folgt Europa dem Vorbild der USA und Russlands, werden weitere Staaten dies als Argument für die Beschaffung eigener Aufklärungssatelliten benutzen. Eine Reihe von Staaten hat durchaus die Fähigkeit, solche Satelliten zu bauen, andere hätten das Geld, sie zu kaufen. Die militärische Relevanz dieser Satelliten würde Tendenzen insbesondere in den USA fördern, ihre Pläne für den Bau von Anti-Satelliten-Waffen wiederzubeleben. Die zivile Weltraumnutzung würde dadurch gefährdet. Es wäre deshalb konsequent, den Weltraum soweit wie möglich von militärischen Aktivitäten freizuhalten. Seit vielen Jahren haben Naturwissenschaftler auf die Gefahren einer Rüstungsdynamik im Weltraum hingewiesen und Vorschläge zu ihrer Begrenzung ausgearbeitet. Statt das derzeit herrschende Zwei-Klassen-System des Zugangs zu Bildinformationen zu verstärken, wäre es besser, ein internationales, allen Staaten zugängliches System zu schaffen, wie die von Frankreich bereits 1978 vorgeschlagene International Satellite Monitoring Agency (ISMA) oder eine entsprechende europäische Satellitenagentur.

Mit Sorge stellen wir fest, dass mit Aufklärungssatelliten der Einstieg Deutschlands in die militärische Nutzung des Weltraums eingeleitet wird. Damit würde eine lange Tradition deutscher Weltraumforschung durchbrochen, die mit zivilen Projekten national wie auch im internationalen Rahmen Sehenswertes geleistet hat. Der Einstieg in raumgestützte Militärprojekte wird bei Aufklärungssatelliten nicht stehenbleiben. Weitere Projekte im Bereich raumgestützter Kommunikation, Raketen-Frühwarnung und Navigation würden folgen, wie es entsprechende Entwicklungsprojekte zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien belegen.

Die militärische Weltraumnutzung würde auch tiefgreifende Folgen für die zivile Weltraumforschung haben. Obgleich die Europäische Weltraumbehörde (ESA) die ausschließliche zivile Nutzung in ihren Statuten verankert hat, weisen alle bisher zugänglichen Unterlagen z.B. der WEU aus, dass bei solchen Projekten der engen Zusammenarbeit mit der ESA aus Gründen der Kostenersparnis hohe Priorität eingeräumt wird. Jedes Projekt der Weltraumforschung würde so auf seine militärische Verwendbarkeit überprüft werden. Die zu erwartenden hohen Ausgabensteigerungen im militärischen Bereich werden in denselben Zeitraum fallen, in dem die ESA ohnehin schon erhebliche Steigerungen im zivilen Raumfahrtbudget der Teilnehmerländer erwartet. Die Streichung sinnvoller und zukunfträchtiger Forschungsprojekte wäre abzusehen.

NaturwissenschaftlerInnen-Initiative – Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit


Antwort des Bundesverteidigungs-
ministeriums

Sehr geehrter Herr Braun,

für Ihren Brief vom 25. Mai 1999 danke ich Ihnen. Ihrer Forderung zum Verzicht auf eine europäische Fähigkeit zur satellitengestützten Aufklärung vermag ich mich jedoch nicht anzuschließen.

Eine verantwortliche und wirkungsvolle deutsche und europäische Sicherheitspolitik erfordert die ganzheitliche Betrachtung politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und militärischer Faktoren. Zur Deckung des hieraus resultierenden Informationsbedarfs ist ein Verbund aller Möglichkeiten der Informationsgewinnung und -analyse erforderlich. In diesem Verbund ist ein System zur satellitengestützten Aufklärung besonders geeignet, derzeit bestehende Defizite in der Informationsgewinnung zu minimieren. Nur durch Satelliten ist eine weltweite, zuverlässige und zeitgerechte Informationsgewinnung ohne rechtliche Beschränkungen möglich.

Satellitenaufklärung ist kein Werkzeug des Kalten Krieges. Sie ist vielmehr als »national technical means« in der Rüstungskontrolle und Verifikation allgemein anerkannt. Sie trägt nicht zur Konfrontation bei, sondern ist ein wirkungsvolles Mittel zur Ergänzung bestehender internationaler Mechanismen der Verifikation. Das Vorhandensein von Aufklärungssatelliten hat in der Vergangenheit den Abschluss von Rüstungskontrollvereinbarungen erleichtert und zum Teil erst möglich gemacht. Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen können in ihrer Wirksamkeit noch verstärkt werden, wenn die Möglichkeit besteht, die Einhaltung von Vereinbarungen auch durch Satellitenaufklärung zu überprüfen. Satellitenaufklärung unterstützt die von Ihnen aufgeführten Möglichkeiten der Verifikation. Sie ist dabei nicht von der Mitwirkung von Vertragspartnern abhängig und bietet damit eine Rückversicherung für den Fall von Beeinträchtigungen der kooperativen Verifikation.

Ein politisch zusammenwachsendes Europa muss einen angemessenen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten können und dazu als verantwortungsbewusster Akteur über die entsprechenden Instrumente verfügen. Satellitenaufklärung trägt wesentlich zum frühzeitigen Erkennen krisenhafter Entwicklungen bei und schafft damit die Voraussetzungen für rechtzeitige und gezielte politische Maßnahmen präventiver Krisenbewältigung. Sie kann darüber hinaus rasch das Ausmaß von Zerstörungen bei Naturkatastrophen feststellen. Dadurch können Hilfsmaßnahmen gezielt eingeleitet und die eigenen Kräfte mit einsatzrelevanten Informationen versorgt werden.

Satellitenaufklärung stellt für kein anderes Land eine Bedrohung dar und ist damit auch kein Schritt zur Weltraumrüstung. Vielmehr ist sie nach internationalem Verständnis, bekräftigt durch die VN, als nicht intrusive Aufklärungsform legitimiert.

Wie Sie richtig darlegen, nimmt das Angebot an kommerziellem Satellitenbildmaterial zu. US-Firmen wollen in Kürze optische Bilder mit einer Auflösung von ca. 1m anbieten. Gleichwohl reicht diese Auflösung für sicherheitspolitische Aufgabenstellungen nicht aus. Radarbilder mit entsprechender Auflösung werden auf absehbare Zeit nicht kommerziell verfügbar sein.

Hinsichtlich der Kosten eines Systems zur satellitengestützten Aufklärung sind die Schätzungen der Vergangenheit aufgrund der technologischen Entwicklung überholt. Neuartige technische Lösungsansätze lassen es heute realistisch erscheinen, ein leistungsfähiges System mit komplementärer Sensorik zu einem Bruchteil der Kostenschätzung der WEU zu realisieren. Durch die Investitionen in diesen zukunftsweisenden und innovativen Sektor der Hochtechnologie wird die Position der deutschen und europäischen Industrie im internationalen Wettbewerb gestärkt. Damit werden auch langfristig Arbeitsplätze gesichert.

Die Regierungen der EU sind sich einig in dem Bestreben, eine Stärkung des europäischen Beitrages zur internationalen Krisenbewältigung herbeizuführen. Dabei bleiben die Kooperation und das Zusammenwirken mit den USA weiterhin ein wesentlicher Eckpfeiler. Eigenständige europäische Fähigkeiten in Schlüsselbereichen sind Voraussetzung für gleichberechtigte Kooperation und für eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung. Vor diesem Hintergrund bleibt die Realisierung eines europäischen Systems zur satellitengestützten Aufklärung ein wichtiges Ziel.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Walther Stützle, Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung

Bonn, 14. Juli 1999

»SDI light« oder die Aushöhlung des ABM-Vertrages1

»SDI light« oder die Aushöhlung des ABM-Vertrages1

von Götz Neuneck

Mitte März 1999 stimmten US-Senat und Repräsentantenhaus mit deutlicher Mehrheit für die Errichtung eines neuen territorialen Raketenabwehrsystems mit der Bezeichnung »National Missile Defense« (NMD), dem potenziellen Nachfolger des legendären »Star Wars«-Konzeptes von Ronald Reagan. Präsident Clinton hatte bereits Anfang Januar 1999 verkündet, dass zusätzlich fast 7 Mrd. $ für die Entwicklung von NMD ausgeben werden sollen. In der Resolution des Senats heißt es, dass eine Stationierung erfolgt sobald dies „technologisch möglich“ ist. Damit hat die Clinton-Administration dem jahrelangen Druck der Republikaner nachgegeben und eine Stationierung ist in greifbare Nähe gerückt, auch wenn das Unterfangen technologisch und rüstungskontrollpolitisch höchst fragwürdig ist. Die USA sind dem Aufbau eines ABM-unverträglichen Abwehrsystems einen entscheidenden Schritt näher gerückt. Das geplante System fußt auf einer Bodenkomponente, die durch eine vertragswidrige globale Radar- und Weltraumkomponente ergänzt wird und »bei Bedarf« ausgebaut werden kann. Zwar wird als Aufgabe von NMD die Abwehr der Bedrohung durch die sog. Schurkenstaaten wie z.B. Nordkorea ausgegeben, unterlaufen werden in erster Linie aber die Bestimmungen des ABM-Vertrages, der die Stabilität der strategischen Potenziale der USA und Russlands und damit die Option tiefgreifender strategischer Abrüstung ermöglicht. Eine endgültige Entscheidung für eine Stationierung, die im Jahr 2005 erfolgen könnte, soll im nächsten Jahr getroffen werden, die Weichen für das Ende der ABM-Vertrages, der den Eckpfeiler der nuklearen Abschreckung bildet, sind damit jedoch gestellt.

NMD-System
Funktionsdiagramm des geplanten NMD-Systems

Der Aufbau von Kapazitäten zum Abfangen von Trägersystemen steht seit Anfang der 90er Jahre in Verbindung mit der Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen im Mittelpunkt US-amerikanischer Verteidigungsanstrengungen. Das Counterproliferationskonzept sieht ein breites Spektrum von Maßnahmen vor, um Weiterverbreitung zu verhindern und aktive und passive militärische Aktionen einzuleiten, wenn die Nichtverbreitungspolitik versagt hat. Der finanziell, organisatorisch und konzeptionell wichtigste Schwerpunkt liegt bei dem Aufbau mehrschichtiger Raketenabwehrsysteme. Beim Amtsantritt Clintons wurde insbesondere die Abwehr von Kurz- und Mittelstreckenraketen ins Zentrum der F&E gerückt. Nunmehr soll verstärkt die landesweite Raketenabwehrentwicklung vorangetrieben werden.

Von SDI zur Theater Missile Defense: Waiting for a Hit

1983 hatte US-Präsident Reagan die »Strategic Defense Initiative« (SDI) verkündet, deren Ziel darin bestand, eine kontinentale Weltraumverteidigung aufzubauen um Nuklearwaffen »impotent« und »obsolet« zu machen. Technologisch wurden u.a. weltraumgestützte Laser- und Strahlenwaffen favorisiert. Analysen zeigten jedoch, dass mit den damals vorgeschlagenen Technologien eine perfekte Abwehr unter zumutbaren Kosten nicht erreichbar war. Im Gegenteil: Erstschlagszwänge, vermehrtes Wettrüsten und enorme Kosten wären die Folge gewesen. Neben einer nationalen Raketenabwehr und einer weltraumgestützten Abwehrkomponente (brilliant pebbles) unter Bush wurde auch die »Theater Missile Defense« (TMD) unter Clinton zur Bekämpfung von taktischen Raketen ins Gespräch gebracht.2 Mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation und der Chance zu verstärkter nuklearer Abrüstung schien der Aufbau einer »Raketenmauer« gegen hunderte anfliegende Sprengköpfe nicht mehr nötig zu sein. Die Clinton-Administration konzentrierte sich auf die umgehende Stationierung vorhandener Technologien zum Schutze kleinerer Gebiete auch außerhalb der USA. Die Bedrohung durch die sog. Schurkenstaaten ersetzte die Bedrohung durch die nicht mehr vorhandene Sowjetunion.

Die Entwicklungsprogramme für die mobile »Theater Missile Defense« (TMD), die von der Administration vorangetrieben wurden, umfassen sowohl die Verbesserung von vorhandenen Systemen (PATRIOT) zur Punktverteidigung als auch die Neuentwicklung von Flächenverteidigungssystemen der Army und der Navy, die sogar Mittelstreckenraketen abfangen sollen. Das TMD-Programm enthält verschiedene Kernkomponenten, die in mehreren Schichten gekoppelt werden können (multi-tier-systems). Die zweifelhaften Erfolge der PATRIOT-Raketen3 im Golfkrieg 1991 haben zu einer Verbesserung der eingesetzten Systeme geführt. Die Flugabwehrrakete HAWK wird bei den US-Marines eingeführt. Das MEADS-Projekt, an dem auch die BRD und Italien beteiligt sind, wird von den USA z.Z. nicht mehr prioritär unterstützt. Die Seemobile Raketenabwehr der Navy besitzt ein hohes Maß an weltweiter Beweglichkeit und würde erstmalig der Navy Raketenabwehr-Aufgaben zuweisen.

Während die bereits existierenden radargelenkten Abwehrsystemen für geringe Höhen innerhalb der Atmosphäre zur Punktverteidigung ausgelegt sind, befindet sich gleich fünf Flächenverteidigungssysteme in der Entwicklung:

Das »Theatre High Altitude Area Defense« System (THAAD) erlaubt die Einleitung des Abfangens innerhalb und außerhalb der Atmosphäre mittels des Abschusses mehrerer Abfangraketen nacheinander. Nach den Vorstellungen des Pentagon können auch Raketen mit einer Reichweite bis zu 3.500 km von mehreren Abwehrsystemen abgefangen werden. Die in der Entwicklung befindlichen Systeme THAAD und »Navy Theater Wide« sollen Raketen in der Mittelphase ihres Fluges (Midcourse Defense) im »Hit-to-kill«-Verfahren, also durch direkte Treffer, zerstören. Für jedes der Systeme sind lediglich 11 Tests vorgesehen. Bisher erwiesen sich die ersten acht THAAD-Tests meist als Misserfolge.5 Die Aufgabe, die man sich hier technologisch gestellt hat, ist vergleichbar mit dem Unterfangen, eine Gewehrkugel mit einer Gewehrkugel abzuschießen. Die Navy verweist darauf, dass eine schiffsstationierte Raketenabwehr (z.B. im Pazifik) Vorteile gegenüber einer Landstationierung besitzt, da die Wahrscheinlichkeit, anfliegende Sprengköpfe z.B. aus Nordkorea oder China abzufangen, um so größer ist je mehr Schiffe stationiert werden.6 2001 wird sich das Pentagon entweder für THAAD oder Navy Theater Wide entscheiden. Mit finanzieller und technischer Unterstützung der USA arbeitet Israel seit 1988 an der ARROW-Abfangrakete. Zwischen Japan und den USA finden Gespräche über eine Zusammenarbeit auf dem TMD-Sektor statt.7

Während sich TMD-Systeme auf die Spätphase der ballistischen Flugbahn eines Sprengkopfes konzentrieren, werden auch Anstrengungen unternommen, Raketen direkt am Abschussort oder in der Startphase auszuschalten (Boost Phase Intercept; BPI). Als BPI-Waffe werden sowohl energiereiche Laser als auch Raketen oder Drohnen in Betracht gezogen, die von Flugzeugen aus sicherer Entfernung in die Richtung der Startplatzes der Rakete abgeschossen werden.8 Eine offensive und permanente Stationierung der Systeme über dem Raketenabschussgebiet ist dazu nötig.

Ein Problem, das der ABM-Vertrag hinterlassen hat, ist die Unterscheidung von strategischen und nichtstrategischen ballistischen Raketen. Die Entwicklung und Stationierung von THAAD bzw. dem Navy Theater Wide-System ist zwar nach der russisch-amerikanischen Einigung beim Gipfel in Helsinki bzw. aufgrund der »Demarcation Agreements« als mit dem ABM-Vertrag kompatibel erklärt worden. Sollten beide Systeme erfolgreich getestet und stationiert werden, haben sie in Verbindung mit einer globalen Frühwarnkomponente im Weltraum jedoch signifikante Fähigkeiten auch zur Abwehr strategischer Raketen.9 Am 26. September 1997 unterzeichneten die USA und Russland zwei separate »Agreed Statements«, um sich über die in der Entwicklung befindlichen US-Systeme zu einigen, die ABM-vertragskonform sind. Das »Low-speed agreement« besagt, dass jedes System erlaubt ist, das nicht schneller als 3 km/s fliegt und nicht gegen Ziele getestet wurde, die schneller als 5 km/s fliegen. Das »High-speed agreement« erlaubt Systeme, die denselben Testbeschränkungen wie die »Low-speed-Systeme« unterzogen sind. Es verpflichtet die Vertragsparteien lediglich dazu, Konsultationen abzuhalten und Fragen und Probleme zu diskutieren. Immerhin ist die Stationierung von Abfangsystemen im Weltraum verboten.10

Das Streben nach Schutz von alliierten Truppen oder Bevölkerungszentren im regionalen Kontext, insbesondere in konfliktträchtigen Regionen (Naher Osten, koreanische Halbinsel), erscheint legitim. Es ist jedoch vor allem angesichts hoher Kosten zu bedenken, dass ein vollständiger Schutz nicht möglich ist. Gegenmaßnahmen wie eine verstärkte Stationierung (d.h. Wettrüsten) sind ebenso möglich wie einfache technische Gegenmaßnahmen um die Flugbahn unberechenbar zu machen. Auch könnte sich bei Truppen oder der Bevölkerung ein illusionäres Sicherheitsgefühl einstellen. Schließlich besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass eine umfassende Stationierung von Abfangsystemen auch strategische Arsenale berührt. Selbst wenn die Abwehr nicht effizient ist, was sich möglicherweise erst im Konfliktfalle herausstellt, so bildet sie für gegnerische Planer einen Unsicherheitsfaktor, der durch eine Verstärkung der Offensivkomponente »ausgeglichen« werden kann. Fortgesetzte Raketenrüstung wäre die Folge.

Aus »3+3« wird »3+5«:
Das geplante NMD-System

Für eine neue Diskussion über die Notwendigkeit von Raketenabwehrsystemen sorgte 1998 die Rumsfeld-Kommission.11 In ihrem Bericht wurde erklärt, dass Nordkorea und der Iran „die Fähigkeit erwerben könnten, die USA mit ballistischen Raketen zu treffen, falls sie die Entscheidung dazu träfen.“ Beide Staaten könnten dieses Ziel schon in fünf Jahren erreichen, wenn sie die Entscheidung zum Bau einer solchen Rakete träfen. Die Studie kritisiert die Analysen der US-Geheimdienstkreise, die im Rahmen ihrer »National Intelligence Estimate« 1995 eine Vorwarnzeit von 15 Jahren angaben.12 Der Report behauptete jedoch weder, dass diese Entwicklung sehr wahrscheinlich sei, noch dass dies die einzige vorstellbare Bedrohung wäre. Es wurden keine Angaben darüber gemacht, wie die US-Regierung auf diese spezifische Gefahr reagieren solle. Andere Bedrohungsformen, die wesentlich einfacher und damit wahrscheinlicher sind, wurden nicht analysiert. Die Studie gab insbesondere den notorischen NMD-Befürwortern aus dem Kreise der Republikaner Anlass zu behaupten, die Bedrohung für die USA werde signifikant zunehmen und sie könne durch eine Raketenabwehr wirkungsvoll bekämpft werden. Die Einschränkungen, die die Studie bei ihrer Analyse gemacht hatte, fielen in der öffentlichen Diskussion weg.

Zweck des geplanten NMD-Systems ist die Abwehr von begrenzten, unautorisierten oder unbeabsichtigten Angriffen durch Raketen z.B. aus den Kernwaffenstaaten Russland und China – der angeblich wachsenden Bedrohung aus den »rogue states«. Verteidigungsminister Cohen zufolge soll die am 31. August 1998 getestete nordkoreanische Taepo-Dong 1 typische Charakteristika einer Interkontinentalrakete (ICBM) aufweisen.13 Der Bau einer nordkoreanischen ICBM erscheint zwar prinzipiell möglich, jedoch wenig wahrscheinlich. Eine längere Vorwarnzeit ist genauso gegeben wie diverse Reaktionsmöglichkeiten (Diplomatie, Militäraktionen etc.) und US-Militärexperten verweisen auch darauf, dass China verstärkt Raketen an seiner südöstlichen Grenze gegenüber Taiwan stationiert.14

Den permanenten Druck der Republikaner zum Aufbau einer landesweiten Raketenabwehr hatte die Clinton-Administration 1996 mit dem 3+3-Programm beantwortet. Danach sollten die NMD-Komponenten erst drei Jahre lang entwickelt werden um bei erfolgreichen Tests dann innerhalb von drei Jahren stationiert werden zu können. Die endgültige Stationierungsentscheidung soll nun im Juni 2000 getroffen werden. Laut Cohen soll sie nur dann erfolgen, wenn eine Bedrohung vorhanden ist und wenn die NMD-Tests erfolgreich verlaufen. Er verwies darauf, dass in diesem Falle der ABM-Vertrag geändert werden müsse. Irritationen löste Cohen aus als er erwähnte, die USA könnten sich vom ABM-Vertrag zurückziehen falls Russland den Änderungen nicht zustimme.15

Der neue National Missile Defense Act: Ein Etappensieg für die Abwehrbefürworter

Mitte März 1999 stimmten Senat und Repräsentantenhaus des US-Kongresses mit deutlicher Mehrheit für die Errichtung des neuen territorialen Raketenabwehrsystems NMD. In der Resolution des Repräsentantenhauses heißt es, dass „es die Politik der Vereinigten Staaten ist, ein Nationales Verteidigungssystem aufzustellen“. In dem »National Missile Defense Act« des Senats vom 17. März ist darüber hinaus zu lesen, dass die Stationierung einer effektiven Raketenabwehr erfolgt sobald dies „technologisch möglich“ ist. Andere Kriterien wie die ABM-Verträglichkeit, die tatsächliche Bedrohung, die Kosten-Nutzen-Relation oder die Effizienz16 besitzen offensichtlich nur noch zweitrangige Bedeutung.17 Präsident Clinton hatte bisher die Vorschläge der Republikaner zur sofortigen Einführung einer Raketenabwehr „zum technologisch frühestmöglichen Zeitpunkt“ durch sein Veto abgelehnt. Nun hat sich die Administration selbst in Zugzwang gebracht. Ausschlaggebend werden nun die geplanten Tests und die fortgesetzte Bedrohungsdiskussion sein. Angesichts enormer Geldmittel, die in die NMD-Entwicklungen fließen, ist eine Stationierung allein aus politischen Gründen (Gesichtswahrung, Schutzfunktion gegenüber der Bevölkerung etc.) in den nächsten Jahren wahrscheinlich. Damit ist ein schrittweises Aufweichen des ABM-Vertrages vorprogrammiert und die strategische Rüstungskontrolle wird signifikant erschwert.18

Das NMD-System:
Boden- und weltraumgestützt

Die Systemarchitektur des geplanten NMD-Systems besteht aus:

  • einer landgestützten Abfangkomponente, im Wesentlichen landgestützte Abfangraketen (Ground Based Interceptor; GBI)
  • land- und weltraumgestützten Frühwarn- und Bahnverfolgungskomponenten:landgestütztem Radar (Ground Based Radar; GBR)
    verbesserten Frühwarnsystemen (Upgraded Early Warning Radar; UEWR)
    einem weltraumgestützten Warn-und Verfolgungssystem (Space and Missile Tracking System; SMTS) und
  • einem Gefechtsfeldkoordinationssystem (Battle Management/Command, Control and Communications; BM/C3).

Der Schwerpunkt von NMD liegt auf der Vernichtung von anfliegenden Sprengköpfen in großer Höhe außerhalb der Atmosphäre. Entscheidend für den technischen Erfolg sind ein frühzeitiges Erkennen der Ziele, eine präzise Bahnverfolgung und das Heranführen der landstationierten Abfangraketen an die Zielobjekte. Die Clinton-Administration hat erklärt, dass die »Hit-to-kill«-Abfangraketenkapazität auf 100 Exemplare beschränkt werden soll, so wie dies der ABM-Vertrag vorschreibt. Diese Systeme werden eingebunden in ein »Space and Missile Tracking System« (SMTS), das aus vorhandenen und noch zu stationierenden Frühwarnsatelliten besteht. Seit 1970 melden die »Defense Support Program« (DSP) -Satelliten Raketenstarts aus einer geostationären Umlaufbahn. Im Rahmen des »Space-Based Infrared System« (SBIRS) sollen bis zu 30 Exemplare diese Aufgaben übernehmen. Vier »SBIRS-High«-Satelliten sollen dann die DSP-Muster ersetzen. 16-24 »SBIRS-Low«-Satelliten sollen die Verfolgung aus niedrigeren Umlaufbahnen unterhalb von 500 km übernehmen. Ein Verbund von Radaranlagen vervollständigt das Warn- und Verfolgungssystem.

Im April 1998 hat die BMDO die Firma Boeing als Hauptkontraktor bekanntgegeben. Der Konzern ist nicht nur für die Integration der NMD-Komponenten verantwortlich, sondern auch für die Demonstrationstests und die Vorbereitung der Stationierung. Mitte 1998 wurde eine Startrakete für den »Ground-Based Interceptor« ausgewählt.

Zunächst sind fünf Tests geplant. Der erste Test des integrierten Systems ist für 2001 vorgesehen. Als Stationierungsort für die GBI/ GBR wird Grand Forks in North Dakota genannt. Ist jedoch der Schutz des gesamten US-Territoriums erwünscht, so sind Stationierungen in Nord-Alaska oder an anderen Orten nicht ausgeschlossen. Um die komplette Flugbahn einer anfliegenden Rakete beobachten zu können, werden derzeit die vorhandenen Frühwarnradars der USA modernisiert, so auch die Radaranlagen in Thule (Grönland), Fylingdales (UK) sowie die »Clear Air Station« (Alaska). Möglich erscheint auch, dass zusätzliche Forward-Based Radars (FBRs) in Alaska oder an der Ost- bzw. Westküste errichtet werden. Um anfliegende Sprengköpfe schon jenseits des Horizonts erfassen zu können, sind Satelliten in niedriger Umlaufbahn erforderlich. Die Stationierung von »SBIRS-Low«-Satelliten ist für 2004 vorgesehen. Das SMTS-System unterstützt dabei nicht nur die territoriale Verteidigung der USA, sondern auch die Raketenabwehr TMD auf den einzelnen Kriegsschauplätzen. Die US Air Force plant darüber hinaus die Entwicklung und Stationierung eines weltraumgestützten Lasers (Space-Based Laser SBL), der anfliegende Raketensprengköpfe aus einer maximalen Entfernung von einigen 100 km zerstören soll. Die Stationierung eines solchen Systems ist durch den ABM-Vertrag zweifelsfrei verboten. Erste Tests sollen zwischen 2005 und 2008 durchgeführt werden.19

Die bisherigen Abfangtests in großer Höhe haben wenig Erfolge erzielt. Von den bisherigen 16 Tests 1982-98 wurde das Ziel lediglich in zwei Fällen getroffen. Für das Safeguard ABM-System der 70er Jahre wurden alleine 111 Flugtests durchgeführt. Bis zur Stationierungsentscheidung des NMD-Systems im nächsten Jahr sind nur vier Tests geplant. Ohne erfolgreiche Flugtests gegen reale Ziele ist eine Bewertung des gesamten Abfangprozesses jedoch ein technisch gewagtes Unternehmen. Bereits ein Bericht unter Federführung von General a.D. Larry Welch vom 27. Februar 1998 verwies darauf, dass der Zeitplan zur Stationierungsentscheidung bis 2000 unrealistisch ist.20

Die Kosten

Clinton kündigte eine drastische Erhöhung des US-Rüstungsetats um 100 Mrd. $ im Laufe der nächsten sechs Jahre an. Zudem wollen die USA etwa 7 Mrd. $ zusätzlich in die verstärkt vorangetriebene NMD-Entwicklung verteilt auf die nächsten sechs Jahre investieren. Bis zum Jahr 2005 werden mindestens 10,5 Mrd. $ für den SDI-Nachfolger ausgegeben werden.

Seit Reagans SDI haben die USA ca. 67 Mrd. $ für diverse Raketenabwehrprojekte ausgegeben.21 Im Durchschnitt wurden 3 Mrd. $ pro Jahr für die BMDO aufgewandt, pro Jahr ca. so viel wie für SDI. Bis 2005 sollen die jährliche Ausgaben für NMD verdreifacht werden. Ein BMDO-Sprecher hat bereits erklärt, dass die NMD-Kosten in der Fünfjahresperiode eher bei 13 Mrd. $ liegen.22 Sollten die geplanten Systeme gebaut werden, werden die Kosten weiter ansteigen. NMD und TMD könnten die USA in den nächsten fünf Jahren an die 31 Mrd. $ kosten.23 Die Operations- und Unterhaltungskosten könnten bei 2 bis 4 Mrd. $ jährlich liegen. Die Bilanz ist dürftig. Bis heute konnte kein einziges strategisches System erfolgreich stationiert werden. Die meisten Tests schlugen fehl.

Konsequenzen für den ABM-Vertrag:
The end is at hand

Die Einstellung der Clinton-Administration zum ABM-Vertrag war stets ambivalent, da sie ihre NMD-Entwicklungen als »demonstration readiness program« ausgelegt hat. Zum einen wurde der Erhalt des Vertrages als zentrales Element der US-Sicherheitspolitik angesehen, zum anderen hat das 3+3-Programm jedoch die Weichen für eine Stationierung gestellt. Nach drei Jahren Entwicklung sollten die Technologien bereitstehen, um innerhalb von drei Jahren diese Systeme stationieren zu können falls eine Bedrohung festgestellt wird.

Ziel des 3+3 NMD-System war stets die Verteidigung des gesamten US-Territoriums einschließlich Hawaii und Alaska, nicht die Verteidigung einer „individuellen Region“, wie dies der ABM-Vertrag verlangt. Artikel 1 Ziffer 2 schreibt vor, „keine ABM-Systeme zur Verteidigung des Territoriums des eigenen Landes zu stationieren und keine Basis für eine solche Verteidigung vorzusehen“.

Die Administration ist der Meinung, dass die Stationierung von 100 Abfangraketen mit dem ABM-Vertrag vereinbar ist. Die Errichtung einer Abfangstellung mit maximal 100 Interzeptoren, eine Art „dünne Verteidigung“, ist laut Vertrag zwar erlaubt, bezieht sich aber nur auf die Verteidigung einer „individuellen Region“. Im Übrigen ist solch ein ABM-System, das über die globale, boden- und weltraumgestützte Frühwarninfrastruktur verfügt, im Falle einer neuen globalen Konfrontation durch das Hinzufügen weiterer Interzeptoren und Stellungen sehr schnell in eine umfassendes Raketenabwehrsystem zu verwandeln. Das jetzt geplante NMD-Programm stellt die Weichen im Hinblick auf den Schutz der gesamten USA. Zudem können durch die Weltraumkomponente die geplanten TMD-Systeme strategische Abwehrkapazitäten erreichen.

Auch verlangt der Vertrag, dass alle ABM-Systeme inkl. Radar in ihrer Gesamtheit nur an einem einzigen Ort errichtet werden dürfen. Die geplanten Radaranlagen decken hingegen den ganzen Globus ab. George Lewis vom MIT kommt zu dem Ergebnis: Die sogenannten »single-site« NMD-Systeme, die im Augenblick diskutiert werden, besitzen in Wahrheit »multiple-site«-Charakter.24 Die geplanten vornestationierten Radaranlagen und das weltraumgestützte SMTS-System sind darauf ausgelegt, einen Raketenstart frühzeitig zu erkennen und zu verfolgen. Da die verschiedenen Elemente netzwerkähnlich zusammengeschaltet werden können, bilden sie das wesentliche Element des NMD-Systems. Möglicherweise gelingt es, den ABM-Vertrag zu modifizieren und das NMD-System, falls es stationiert wird, so auszulegen, dass es ABM-kompatibel wird. Sind die entwickelten Abwehrtechnologien und globalen Standorte des Frühwarnsystems jedoch erst einmal vorhanden, ist eine Ausweitung nur eine Frage der Zeit. Der Erhalt der nuklearen Abschreckung wird somit langfristig gefährdet.

Reaktionen: Ablehnung – aber was ist die Alternative

Der russische Außenminister Iwanow lehnte eine Änderung des ABM-Vertrages kategorisch ab. Eine neuerliche Modifikation des ABM-Vertrages wird als bedrohlich für die russische Sicherheit angesehen, da sich bei Einführung der geplanten NMD-Systeme die strategische Balance beider Nuklearmächte längerfristig ändern wird. Eine Beibehaltung des ABM-Vertrages ist für Teile der russischen Duma eine wichtige Voraussetzung für die Ratifizierung des START 2-Abkommens. Eine ausbleibende Ratifizierung wird aber die Kräfte im US-Kongress stärken, die ein Ende des ABM-Vertrages fordern.

Die Clinton-Administration hat einen weiteren Schritt zur Aushöhlung des ABM-Vertrages getan, indem sie der Entwicklung von NMD-Technologien neuen Schwung verliehen hat. Diese Schritte komplizieren die weitere strategische Rüstungskontrolle – insbesondere die Ratifikation des START 2-Vertrages in der russischen Duma. Angesichts der faktischen Einführung von mobilen Raketenabwehrsystemen werden zusätzliche Anreize zum Erhalt von ballistischen Offensivpotentialen geschaffen. Die einfachste Möglichkeit, ein Abwehrpotenzial zu unterlaufen, ist die Beibehaltung vorhandener Offensivpotenziale oder die (Wieder-)Einführung von Mehrfachsprengköpfen. Dies könnte einmal erreicht werden, indem das Arsenal auf z.B. 2.000 Sprengköpfe eingefroren wird. Zum anderen könnte Russland seine veralteten SS-19 oder SS-18, die noch mit Mehrfachsprengköpfen ausgestattet sind, behalten. Vor dem Hintergrund des maladen Frühwarnsystems Russlands stiege die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen in Krisensituationen. Eine positive Stationierungsentscheidung für ein NMD-System bedeutet, dass die strategischen Arsenale der Supermächte auf ihrem jetzigen Stand eingefroren werden. Die Hoffnungen auf ein START 3-Abkommen, das die strategischen Arsenale auf 1.000 nukleare Sprengköpfe beschränkt, wären auf unabsehbare Zeit zerstört. China könnte zusätzliche strategische Nuklearwaffen und verstärkt Mehrfachsprengköpfe einführen, da dies die einfachste Möglichkeit ist, eine »dünne Raketenabwehr« zu überwältigen. Ein verstärktes Raketenwettrüsten könnte bei einer Verschlechterung der Weltlage die Folge sein.

Große Beunruhigung lösen die US-Pläne auch im asiatischen Raum aus. Wie die Raketentests von Nordkorea, Pakistan und Indien zeigen, wird das Raketenwettrüsten im asiatischen Raum verstärkt fortgesetzt. Indien und Pakistan führten weitere Tests von Mittelstreckenraketen im April 1999 durch. Der Direktor der chinesischen Rüstungskontrollabteilung Sha Zukeng kritisierte das MTC-Regime25 als rüstungskontrollpolitisch ineffektiv und verwies auf den Zusammenhang von MTCR und ABM-Vertrag. Er regte eine Erweiterung des ABM-Vertrages und eine Multilateralisierung des MTC-Regimes an.26 Angesichts einer möglichen Raketenbedrohung werden die Stimmen in Washington und Taipeh lauter, die die Integration Taiwans in die TMD-Pläne der USA fordern.27 Eine offizielle chinesische Zeitung stellte eine Verschlechterung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen in Aussicht falls Taiwan in eine »asiatisch-pazifische Raketenverteidigung« einbezogen wird.28 Pläne zur Einführung von TMD-Systemen in den südpazifischen Raum werden von Japan unterstützt. Ein Sprecher des japanischen Außenministeriums hat kürzlich verlautbart, dass Nordkorea bereits Raketen stationiert haben könnte.29 In Südkorea wird die Option diskutiert, statt einer US-amerikanischen Raketenabwehr ein eigenes Raketenabschreckungspotenzial aufzubauen. Seoul hatte 1989 mit einem eigenen Raketenprogramm begonnen.

Es ist evident, dass die geplanten Abwehrsysteme nur einem Teil der möglichen Bedrohung begegnen können. Technische Gegenmaßnahmen wie die Vervielfachung der Sprengköpfe durch Attrappen oder Mehrfachsprengköpfe ermöglichen ein kostengünstiges Verfahren zum »Überlisten« von Raketenabwehren. Planer werden sich darauf nicht verlassen, sondern verstärkt für den Erhalt oder den Ausbau der strategischen Raketen plädieren. Anderen Bedrohungen wie dem Einschmuggeln von Massenvernichtungswaffen durch Schiffe oder der Verwendung von konventionellen Trägersystemen wie Flugkörpern, Flugzeugen oder Schiffen wird nicht begegnet. Es besteht die Gefahr, dass die finanziellen Mittel, die in das ABM-Vorhaben fließen, an anderer Stelle fehlen. So sollten besser die Frühwarnung und der passive Schutz gegenüber terroristischen Bedrohungen ausgebaut werden. Ein forciertes Vorantreiben der Abrüstung im Bereich der Massenvernichtungswaffen könnte die zukünftigen Bedrohungen dauerhafter verringern als die Einführung fraglicher globaler Abwehrtechnologien.

Die USA sollten mit den anderen Kernwaffenstaaten Verhandlungen mit dem Ziel aufnehmen, eine langfristige Einigung in Bezug auf den »Eckpfeiler« der strategischen Rüstungskontrolle, den ABM-Vertrag, zu erreichen. So könnte einerseits versucht werden, die geplanten Abwehrtechnologien auf eine kleine Zahl von Abfangsystemen und Orte zu beschränken, zum anderen könnte ein umspannendes Frühwarnsystem aufgebaut werden, das vor unautorisierten oder unbeabsichtigten Raketenstarts warnt und dessen Daten allen Parteien zugänglich sind. Im Rahmen des »Jahr 2000-Problems« findet bereits eine amerikanisch-russische Zusammenarbeit statt. Insbesondere das lückenhafte russische Frühwarnsystem sollte durch technische Hilfe gestärkt werden. Reduktionen der strategischen Arsenale, d.h. beschleunigter Abbau der Offensivwaffen und Maßnahmen zur Senkung des Alarmstatus (Dealerting, Demating) sollten eingeleitet werden. Die Weltgemeinschaft sollte sich mittels Rüstungskontrolle verstärkt dem Problem des fortgesetzten Aufbaus neuer Mittelstreckenraketenpotenziale und der Raketenproliferation zuwenden. Eine Multilateralisierung des MTC-Regimes und die Einführung von Zonen, die frei von Mittelstreckenraketen sind, sollten im Mittleren Osten und in Südasien in Betracht gezogen werden. Eine fortgesetzte strategische Abrüstung wie z.B. der Verzicht auf die Ersteinsatzoption, das Inkrafttreten des CTBT und von START 2, die Entsorgung von überschüssigen spaltbaren Materialien und die Denuklearisierung der taktischen Gefechtsfeldwaffen dienen besser dem Abbau von Bedrohungen als kostspielige Raketenabwehrtechnologien.

Chronologischer Überblick über die US-Pläne zur Raketenabwehr
Jahre Ereignis
1952 Die USA aktivieren NIKE-Abwehrraketen
1967-1969 Die USA schlagen das Sentinel (später Safeguard) Abwehrsystem vor
26. Mai 1972 Unterzeichnung des ABM-Vertrags durch Nixon und Breschnew
23.3.1983 Verkündung der Strategic Defense Initiative (SDI) durch Präsident Reagan
31.7.1989 Bush und Gorbatschow unterzeichnen den START 1-Vertrag
Januar 1991 Präsident Bush verändert den Schwerpunkt des SDI-Programms in Richtung auf einen Globalen Schutz gegenüber begrenzten Angriffen (GPALS)
Februar 1991 Im Golfkrieg werden die Patriot-Systeme gegen anfliegende irakische SCUDs eingesetzt
3. Januar 1993 Clinton und Jelzin unterzeichnen den START 2-Vertrag, der bis heute nicht in Kraft ist
Mai 1993 Aus der SDI-Organisation wird die Ballistic Missile Defense Organization (BMDO)

Anmerkungen

1) Dieser Aufsatz ist die Kurzfassung einer längeren Studie zur Problematik der Raketenabwehr. Eine ausführlichere Version erscheint in der Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden (S+F) 1/99.

2) Siehe dazu ausführlich: B.W. Kubbig, J. Scheffran, J. Altmann, W. Liebert, G. Neuneck: Von SDI zu GPALS, Dossier in: Wissenschaft und Frieden 2/1992.

3) Der US-Bundesrechnungshof spricht in seiner Analyse davon, dass 9 % der 45 irakischen SCUDs getroffen wurden. U.S. General Accounting Office: National Missile Defense – Schedule and Technical Risks Represent Significant Development Challenges, Dezember 1997 (GAO-NSIAD-98-28).

4) The Institute of Electrical and Electronics Engineers: Spectrum, Ballistic Missile Defense: Its Back, Special Report, September 1997, S. 26-69 (im folgenden zitiert als IEEE 1997) S.33.

5) Die ersten drei Tests hatten kein abzufangendes Ziel, so dass es nicht zu einem Abfangmanöver kam. Die Armee sprach von Erfolgen. Die nächsten Tests, bei denen versucht wurde Ziele abzufangen, waren Misserfolge. Offizielle Angaben finden sich unter http://www.acq.osd.mil/bmdolink/html/factsheet.html. Eine Analyse stammt von G. Lewis: Chronology of hit-to-kill missile tests, Cambridge/Mass. 16. April 1997.

6) Defense News, 15. März 1999, S.1.

7) Japan hat bereits AEGIS-Kreuzer bestellt und ist an dem Kauf von Patriot PAC-3 und THAAD sowie nach dem neusten nordkoreanischen Raketentest am Aufbau einer eigenen Verteidigung interessiert.

8) Für 1998 wurden 151,4 Mio. $ ausgegeben, für 1999 sind 292 Mio. $ veranschlagt. Geplant ist eine Flotte von 7 Boeing 747, von denen zwei ständig im Luftraum über dem Startgebiet sein sollen. U. S. General Accounting Office. Theater Missile Defense. Significant Technical Challenges Face the Airborne Laser Program, Washington D.C., October 1997 (GAO/NSIAD-98-37).

9) Lisbeth Gronlund, George Lewis, Theodore Postol, and David Wright, »Highly Capable Theater Missile Defenses and the ABM Treaty«, Arms Control Today, April 1994, pp. 3-8.

10) Zwei neue Prinzipien werden eingeführt und bleiben offen für eine mögliche Einigung: die Zahl der stationierten Systeme und das geografische Gebiet. Die Stationierung soll erlaubt sein, solange die »High-speed«-Systeme keine realistische Bedrohung für die strategischen Nuklearstreitkräfte darstellen. Dieses Kriterium ist höchst schwach da die Zahl der zu stationierenden Systeme relativ leicht hochgesetzt werden kann. Siehe dazu ausführlich: Lisbeth Gronlund: ABM: Just kicking the can, in: The Bulletin of the Atomic Scientists, January/February 1998, p. 15-16.

11) Executive Summary of the Report of the Commission to Assess the Ballistic Missile Threat to the United States, July 15, 1998. Geleitet wurde sie von dem ehemaligen Verteidigungsminister Rumsfeld. Mitglieder der Rumsfeld-Kommission waren u.a. General Lee Butler, James Woolsey, Barry Blechman und Larry D. Welch. (http://www.fas.org/irp/threat/bm-threat.htm).

12) Der »National Intelligence Estimate« (NIE) von 1995 kam zu dem Ergebnis, dass „kein anderes Land als die erklärten Nuklearmächte eine ballistische Bedrohung in den nächsten 15 Jahren entwickeln oder erwerben werden, die die angrenzenden 48 US-Staaten und Kanada erreichen“.

13) Die 1998 getestete Taepo-Dong 1 hat möglicherweise drei Stufen, von denen die letzte versagte. Nordkorea erklärte, die Rakete habe einen kleinen Satelliten in eine Umlaufbahn transportiert. Details siehe: David Wright: An Analysis of the North Korean Missile Launch of 31 August 1998, in: INESAP Information Bulletin 16, 1998, S.23-25.

14) Gesprochen wird allerdings von 150-200 Marschflugkörpern. (Süddeutsche Zeitung vom 11. Februar 1999, S.9) Diese würden von einem TMD-System jedoch nicht abgefangen werden können.

15) Cohen hatte auf die sechsmonatige Kündigungsfrist verwiesen, die der Vertrag einräumt. Robert Bell, Direktor für die Verteidigungsprogramme im »National Security Council« sprach wenige Tage darauf von einem „Missverständnis“. Er sagte: „The ABM treaty remains, in the view of this administrationen, a cornerstone of strategic stability.“ (Associated Press 22. Januar 1999).

16) Ein GAO-Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die technischen Risiken der NMD-Systeme sehr hoch sind. U.S. General Accounting Office: National Missile Defense – Even with Increased Funding Technical and Schedule Risks Are High, Juni 1998 (GAO-NSIAD-98-153).

17) In einem Brief des Sicherheitsberaters Sand Berger an Senator Levin vom 3. Februar 1999 ist zu lesen, dass ein Stationierungsbeschluss von Faktoren wie Effektivität, ABM-Verträglichkeit und tatsächlicher Bedrohung abhängt.

18) G. Neuneck: Der START-Prozess – am Anfang oder am Ende ? in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden (S+F), Vol. 15 (2) 1997, S.85-91.

19) 1998 wurden für konzeptionelle Arbeiten 122,1 Mio. $ ausgegeben.

20) Report of the Panel in BMD Flight Test Programs, 27. Februar 1998.

21) Nach Berechnungen des Center for Strategic and Budgetary Assessment, Washington D.C.

22) »NMD Costs Estimate up 30 Percent since Last Week«, Defense Week, 19. Januar 1999.

23) Nach Schätzungen des Congressional Budget Office (CBO) kostet das kleinste System bestehend aus 100 GBIs, 500 SBLs und 24 Frühwarnsatelliten ca. 31 Mio. $. CBO: The Future of Theater Missile Defense, June 1995; CBO Letter to Chairman of the House National Security Committee Floyd Spence, June 3, 1996.

24) George Lewis: The U.S. 3+3 NMD Program and the ABM Treaty, in: Inesap Information Bulletin Nr. 16, November 1998, S. 26-28.

25) Das MTCR-Rüstungsexportkontrollregime wurde 1987 von einer Gruppe von Staaten gegründet um zu verhindern, dass komplette Raketensyssteme oder Subsysteme in die Hände von anderen Staaten fallen.

26) Defense News, 25. Januar 1999, S. 1-2.

27) Defense News 25. Januar 1999, S. 26.

28) Reuters 27. Januar 1999.

29) Nach dem nordkoreanischen Raketentest hatte die japanische Regierung beschlossen, vier Spionagesatelliten in den nächsten Jahren zu starten, um nordkoreanische Raketenstarts aufspüren zu können. Reuters 29. 1. 1999.

Dr. Götz Neuneck ist Wiss. Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

Weltraumnutzung und Ethik

Weltraumnutzung und Ethik

Ein Tagungsthema macht Schlagzeilen

von Regina Hagen und Jürgen Scheffran

Fast ein Jahr dauerten die Vorbereitungen zu der Tagung »Weltraumnutzung und Ethik. Kriterien zur Beurteilung zukünftiger Weltraumprojekte«, die vom 3.-5. März an der Technischen Universität Darmstadt stattfand. Den VeranstalterInnen war bewusst, dass eine Reihe von Weltraumprogrammen in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden – besonders die Frage nach deren Sinn und Kosten und dass der Weltraumtechnologie eine ambivalente, d.h. eine zivile wie auch militärische Rolle zukommt. Wie aktuell die Themenstellung aber tatsächlich werden sollte, das konnten die VeranstalterInnen vorab nicht ahnen: Ein Gesetz des US-Kongresses zum Aufbau eines Raketenabwehrsystems, der massive Einsatz von Weltraumtechnologie durch die NATO im Jugoslawienkrieg, die Nöte der Bundesforschungsministerin bei der Finanzierung der Weltraumforschung – diese Ereignisse machten während und kurz nach der Tagung Schlagzeilen in den deutschen Medien. Weitere Brisanz erhielt die Tagung durch kurzfristige Absagen von Mitarbeitern der deutschen und europäischen Raumfahrtagenturen.

„Wir können die Nutzung der Weltraumtechniken aus unserem Alltagsleben nicht mehr wegdenken. Bewusst oder unbewusst profitiert jeder Fernsehzuschauer, jeder Internetsurfer und Telefonierer so wie jeder, der den Wetterbericht in der Zeitung liest, von dieser modernen Technik. … Die Weltraumtechnik ist lebensnotwendig geworden. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite trägt sie dazu bei, effizientere militärische Einsätze zu ermöglichen, häufig unter Nutzung der gleichen Techniken und Geräte, die dem zivilen Leben dienen. … Darüber hinaus werden neue weltraumgestützte Verteidigungs- und Angriffssysteme – mit hohem finanziellen Einsatz und ohne öffentliche Debatte – entwickelt. Mit der Zunahme der Weltraumaktivitäten gewinnt die Frage nach den mit ihnen verbunden Risiken an Gewicht…“

Mit diesen Worten sprach in der Eröffnungsrede der Theologe und Sozialethiker Wolfgang Bender bereits die wesentlichen Themen an: Nutzen und Risiken sowie zivile und militärische Einsatzmöglichkeiten der Weltraumtechnologie, Sinnhaftigkeit der bemannten Weltraumforschung und der Besiedelung des Weltraums, aber auch die Zukunft von Weltraumforschung und politik sollten sich an der Messlatte (ethischer) Kriterien messen lassen.1

Um damit verbundene Fragen zu diskutieren, waren etwa achtzig ReferentInnen und TeilnehmerInnen aus Wissenschaft, Weltraumforschung, Militär und der Friedensbewegung erschienen, aus Ländern wie den USA, England, Russland, Rumänien, Usbekistan und Indien. Die verschiedene Herkunft wie auch der unterschiedliche Diskussionsstil von Fachleuten einerseits und FriedensaktivistInnen andererseits erbrachten ein breites Spektrum von Perspektiven und forderten von allen TagungsteilnehmerInnen ein hohes Maß an Toleranz, Lern- und Kommunikationsfähigkeit. Der interdisziplinäre Diskurs zwischen Natur- und GeisteswissenschaftlerInnen, kritischen Laien und MilitärexpertInnen sowie VertreterInnen der Politik sollte zum Abbau von Barrieren beitragen, ohne dem Streit aus dem Wege zu gehen. Dass bereits im Vorfeld der Tagung der Streitaspekt im Vordergrund stand, war zurückzuführen auf die Absagen sämtlicher Mitarbeiter der Europäischen Weltraumagentur (ESA) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) kurz vor Tagungsbeginn, die wegen ausbleibender Dienstreiseerlaubnisse ihre bereits gegebenen Zusagen zurückzogen. Es wurde vermutet, dass angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen ESA-Spitze und Forschungsministerium über die Höhe des Raumfahrtetats eine kritische öffentliche Auseinandersetzung über Grundsätze und Kriterien von Weltraumprojekten nicht opportun erschien.2

Kriterien für die Weltraumforschung
und -nutzung

Der erste Tagungsabend war der Vorstellung verschiedener Kriteriensätze für die Bewertung von Weltraumprojekten gewidmet. Zum Auftakt stellte Wolfgang Bender von IANUS ethische Kriterien zur prospektiven und problemorientierten Bewertung von Weltraumtechnologie vor. Er wies darauf hin, dass während des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR die Raumfahrt vor allem durch politische Macht- und Prestigeerwägungen bestimmt wurde und daher erst recht spät überhaupt eine Bewertungsdebatte über die Raumfahrt einsetzte. Angemessenheit von Mittel und Ziel, Funktionsfähigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Technologie, Orientierung an humanen, sozialen, umwelt- und zukunftsrelevanten Fragestellungen, Offenlegung (nicht beabsichtigter) negativer Folgen und Güterabwägung im Konfliktfall waren Stichworte des ethisch ausgerichteten Vortrags.

Ergänzt wurden seine Ausführungen von Jürgen Scheffran (IANUS), der ausgehend von einer mehr technischen Betrachtung seinen Schwerpunkt auf Kriterien für eine friedliche und nachhaltige Nutzung des Weltraums legte. Um den Einsatz von Weltraumtechnologie beurteilen und eine ausreichende Akzeptanz sichern zu können, müsse die Frage nach Kosten und Ressourcen, Zielen und Nutzen, aber auch nach unerwünschten Folgen und Risiken gestellt werden. Entscheidend sei im 21. Jahrhundert der Beitrag der Raumfahrt für die nachhaltige Konflikt- und Problemlösung auf der Erde. In diesem Zusammenhang schlug er acht konkrete Beurteilungskriterien vor:

  • Die Gefahr einer folgenschweren Katastrophe muss ausgeschlossen sein.
  • Militärische Nutzung, Waffenverbreitung und gewaltsame Konflikte sollen vermieden werden.
  • Negative Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt sind zu minimieren.
  • Die wissenschaftlich-technische Qualität, Funktionalität und Zuverlässigkeit der eingesetzten Technologie muss gewährleistet sein.
  • Das Projekt sollte zur Lösung von Problemen und zur nachhaltigen und zeitgerechten Bedürfnisbefriedigung beitragen.
  • Es ist die Alternative mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis zu wählen.
  • Die soziale Verträglichkeit und die Förderung von Kooperation sind sicherzustellen.
  • Das Projekt muss in einer öffentlichen Debatte gerechtfertigt werden, unter Einschluss der davon Betroffenen.

Der Physiker und Systemingenieur Hartmut Sax, Professor an der Universität Ingolstadt, konzentrierte sich auf die Schwierigkeit, der Ambivalenz von Weltraumtechnologie gerecht zu werden. Als Mitautor der SAPHIR-Studie, die die Verantwortbarkeit der bemannten Raumfahrt untersuchte, setzte er bei der normativen Technikfolgenbeurteilung an, bei der die Handlung in Bezug zu ihrem Zweck zu setzen sei. Die Diskrepanz zwischen erwünschten Folgen und (eventuell unerwünschten) Wirkungen sowie zwischen dem beabsichtigten Konstrukteurszweck und dem tatsächlich erzielten Anwenderzweck müsse untersucht und beurteilt werden.

Ließen sich Weltraummissionen ganz allgemein mit globalen, nationalen und kulturellen Gründen rechtfertigen, so dürften Aspekte wie die zivil-militärische Ambivalenz (Beispiel Navigationssatelliten) oder die Verwendung von Ergebnissen der Satellitenfernerkundung (die auch zum Nachteil eines Beteiligten eingesetzt werden könnten) nicht ignoriert werden.

Ruben Apressyan, Professor am Institut für Philosphie der Russischen Akademie der Wissenschaft, trug seine Gedanken über ethische Kriterien für die Weltraumnutzung aus russischer Sicht vor. In Moskau sei die sogenannte Heldenallee mit Büsten der sowjetischen Kosmonauten markiert. Da diese – wie auch in den USA – überwiegend aus den Reihen der Luftwaffe kamen und in Militäruniform festgehalten wurden, entstehe fast zwangsläufig der Eindruck, dass hier die sowjetische Raketenstreitmacht verherrlicht werde. Er nannte diese Wirkung tragisch, erfülle sich mit dem Durchbruch in den Weltraum für die meisten Menschen doch der alte Traum, die Schwerkraft hinter sich zu lassen und den Sternen näher zu kommen. Der Weltraum, dessen russische Bedeutung »Kosmos« das Universum als geordnetes Ganzes bezeichnet, verkörpere Integrität (im Sinne des griechischen »polis«) und solle daher als Aktionsfeld für Repräsentanten der gesamten Menschheit bewahrt und nicht nationalen oder privaten Interessen unterworfen werden.

Nutzung von Kernenergie
im Weltraum

Spätestens seit im Sommer und Herbst 1997 zahlreiche Friedens- und Umweltgruppen öffentlichkeitswirksam gegen den Start der Saturnsonde Cassini/Huygens protestierten, die für die Energieversorgung der Bordinstrumente 32,8 kg Plutonium 238 mitführt, wird die Nutzung von Kernenergie im Weltraum auch in Wissenschaftlerkreisen debattiert.

Göstar Klingelhöfer, der am Institut für Kernphysik der TU Darmstadt am »Mars Surveyor«-Programm mitarbeitet, erläuterte in nachvollziehbaren Schritten, wie und warum die ursprüngliche Entscheidung, das Marsprojekt mit Plutoniumgeneratoren auszustatten, trotz erheblicher technischer Schwierigkeiten zugunsten von Solartechnik revidiert wurde.

Roland Wolff, Medizinphysiker am Kreiskrankenhaus Lüdenscheid, befasste sich mit den medizinischen Aspekten der Nutzung von Plutonium 238, das beim Verglühen infolge eines unbeabsichtigten Wiedereintritts in die Erdatmosphäre eine hohe gesundheitliche Gefährdung der gesamten Menschheit mit sich bringen würde.

Der Physiker Kai Petzke von der TU Berlin zeigte in seinem Referat die Vor- und Nachteile der verfügbaren Möglichkeiten zur Energieversorgung für tiefe Weltraummissionen auf. In einer umfassenden Abwägung, die Solartechnologie, Plutoniumgeneratoren und Uranreaktoren einbezog, kam er zu dem Schluss: Plutoniumgeneratoren seien technisch vielleicht die optimale Lösung, bergen aber inakzeptable Risiken in sich. Uranreaktoren seien eine relativ störanfällige, bei einem Unfall aber wesentlich ungefährlichere Alternative. Solartechnologie sei ungefährlich, berge aber ein hohes Ausfallrisiko und könne bei Missionen in sehr großer Entfernung zur Sonne nicht eingesetzt werden.

Die Kritiker von Plutoniummissionen verweisen auf Pläne der US-Raumfahrtbehörde NASA, in den nächsten Jahren acht weitere Missionen mit Plutoniumgeneratoren zu starten.3 Auch der neue, als technologisch besonders innovativ gepriesene Ionen-Antrieb kann aufgrund des hohen Strombedarfs im tiefen Weltraum nur nuklear betrieben werden.4 Das US-Energieministerium (DoE) gab über das Federal Register im Oktober 1998 bekannt, dass das erforderliche Nuklearmaterial entweder von Russland gekauft oder aber extra hergestellt werden müsse. Konkret müssten die USA dann die Herstellung von Plutonium 238 wiederaufnehmen.5 Ebenfalls in Arbeit sind die sogenannten AMTEC-Generatoren (alkali metal thermal to electrical conversion), die kleiner sind als die bisher verwendeten Radioisotopen-Generatoren wie sie beispielsweise bei der Cassini/Huygens-Mission zum Einsatz kommen.6

Die Cassini-Kritiker registrierten in den letzten Monaten eine Pechsträhne der US Air Force. Drei Mal hintereinander schlugen Starts militärischer Satelliten fehl, die vom Raketentyp Titan IV mit einer Centaur-Stufe in den Weltraum gebracht wurden dem Modell, das auch Cassini in den Weltraum trug.

Raketenabwehr

„Weil uns die Veranstalter in Zusammenhang mit Militärsatelliten gebracht haben und sehr voreingenommen sind“, verweigerte die Europäische Weltraumagentur (ESA) ihren als Referenten eingeladenen Mitarbeitern die Dienstreisegenehmigung zu der Darmstädter Tagung. Als Folge dieses Rückzugs wurde der Themenschwerpunkt Raketenabwehr ins Programm aufgenommen. Dafür gab es triftige Gründe:

Am 10. März 1999 billigte der US-Kongress in Washington ein Gesetz, das den Aufbau eines Raketenabwehrsystems zulässt. Dafür sollen in den nächsten Jahren knapp 7 Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Die Aufstellung von boden- und seegestützten Abfangsystemen soll mit logistischer Unterstützung aus dem Weltraum das Territorium der USA vor der Bedrohung durch ballistische Raketen schützen (National Missile Defense, NMD). Aber auch für die in anderen Erdteilen (Pazifik, Nahost, Nordostasien) stationierten Streitkräfte der USA sind entsprechende Schutzsysteme geplant (Theater Missile Defense, TMD).

Neben Russland zeigt sich vor allem China sehr besorgt über die Ankündigung der USA, eine nationale Raketenabwehr aufzubauen und auch in Taiwan und Japan zu stationieren. China sieht sich sofern diese Pläne realisiert werden im Zugzwang, die (verglichen mit den USA geringe) Anzahl von Kernwaffen deutlich zu erhöhen. Die Umsetzung des Long Range Plan des USSPACECOM7 könnte die Chinesen veranlassen, ihre militärischen Aktivitäten ebenfalls in den Weltraum auszudehnen.

Bernd Kubbig von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik beleuchteten die aktuelle Debatte zur Raketenabwehr8 und die Gefahren für den ABM-Vertrag9.

Satellitenfernerkundung

Ganz im Sinne ihrer Satzung wies die ESA zur Rechtfertigung ihrer Tagungsabsage darauf hin, dass ihre Projekte ausschließlich zivilen Charakter hätten. Allerdings wird eine Ausweitung ihres Programms als Option nicht ausgeschlossen. „Die Europäer müssten ihre eigenen Fernmelde- und Forschungssatelliten … vermehrt auf militärische Nutzungsmöglichkeiten hin testen“, ließ Peter Creola, Vorsitzender des ESA-Strategiekomitees, Ende April 1999 verlauten.10 Das Komitee empfiehlt die Aufstockung des ESA-Etats, da „wie das US-Beispiel zeige, Raumfahrt zunehmend zu einem integralen Bestandteil politischer, wirtschaftlicher und militärischer Führung werde.“11

Als Beleg führt das Space Command der USA den Kosovo-Krieg an: „Das US-Weltraumkommando leistet substanzielle Weltraumunterstützung der NATO-Operationen im Kosovo. Ein teilstreitkräfte-übergreifendes Unterstützungsteam des US-Weltraumkommandos berät vor Ort die US-amerikanischen und alliierten Kämpfer in Europa und koordiniert den optimalen Einsatz der US-amerikanischen Weltraumtechnik. Die Weltraumoperationen erhöhen durch die Kontrolle von Satelliten die Raketenwarnungs-, Kommunikations-, Wetter-, Navigations- und Aufklärungsfähigkeiten.“12 Ob Kampfflugzeuge oder unbemannte Drohnen, ob Marschflugkörper oder lasergelenkte »Präzisionswaffen«, ob Aufklärungsmission oder Kampfeinsatz – die Luftstreitkräfte der NATO sind auf die Daten der US-militärischen GPS- (Global Positioning System) Satelliten, die Daten der (zivilen) Wettersatelliten und die Aufklärungsfotos der Fernerkundungssatelliten angewiesen.

Durch ihr Fernbleiben vergaben ESA und DLR die Chance, die Vorteile und den zivilen Nutzenwert der Fernerkundungssatelliten darzulegen. So blieb es Dieter Engels vom Observatorium der Universität Hamburg vorbehalten, sich kritisch mit der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit (Dual Use) von Aufklärungsdaten auseinanderzusetzen und sie in den historischen Kontext einzuordnen. Die von Politikern immer wieder eingeforderte Notwendigkeit eigenständiger militärischer Aufklärungskapazitäten Europas im Weltraum sei nicht zu rechtfertigen, da bereits die im zivilen Bereich vorhandenen und derzeit entwickelten Beobachtungssatelliten hinreichend leistungsfähig sind, um sinnvolle Aufgaben der Krisenbeobachtung und Überprüfung von Rüstungskontrollabkommen zu bewältigen.

Bemannte Weltraumfahrt

Der Frage, ob die bemannte Weltraumfahrt sinnlos oder ein Schlüssel zur Zukunft sei, wurde am Beispiel der Internationalen Weltraumstation (ISS) beleuchtet. Wolfgang Engelhardt, Ingenieur, Journalist und Herausgeber von Raumfahrt-Wirtschaft, Informationsdienst für Politik, Industrie + Forschung, hatte für die Tagung das Skript »Kleine Raumfahrt-Philosophie für große Erkenntnis-Sprünge« eingereicht. Statt dieses mehr philosophisch orientierten Beitrags referierte er einen Text mit dem Titel »Mensch und Weltraum. So wird die Raumstation aufgebaut«, der die technischen Daten der ISS beschrieb.

Seine Bewertung der Darmstädter Tagung in seiner eigenen Zeitschrift lässt eine gewisse Verärgerung darüber erkennen, durch das Wegbleiben seiner Kollegen, von dem er wohl erst auf der Tagung erfuhr, fast alleine der Kritik ausgesetzt worden zu sein: „Angesichts der politischen und militärischen Entspannung nach der Wende im Osten suchen die Friedenskämpfer unseres Landes nun ein neues Feinbild und das meinen sie auch in der Raumfahrt, vor allem bei der Internationalen Raumstation, gefunden zu haben. Dabei wird die Notwendigkeit von Menschen in der Erdumlaufbahn grundsätzlich bezweifelt und hinter allen neuen Satellitenprojekten werden zunächst militärische Geheimabsichten vermutet.“13

Der Soziologe und Weltraumexperte Johannes Weyer, Dozent an der Universität Bielefeld, gab in seinem Referat einen kurzen Überblick über die Geschichte bemannter Weltraumstationen, deren Nutzung für »Zwecke der nationalen Sicherheit« sich die USA wie Russland immer vorbehalten hätten. Weyer präsentierte als Schlussfolgerung die Aussage, dass bemannte Raumfahrt nur noch deshalb verfolgt würde, weil die Industrie ihre Projekte als Beitrag zum technologischen Fortschritt und zur wirtschaftlichen Entwicklung gut verkaufe und PolitikerInnen sich gerne im Glanz spektakulärer und erfolgreicher Weltraummissionen sonnten. Die zu erwartenden Ergebnisse der Forschung rechtfertigen die immensen Kosten alleine nicht.

Konflikt und internationale Kontrolle im Weltraum

Die Podiumsdiskussion »Wer kontrolliert den Weltraum?« war der Höhepunkt der Konferenz. Unter der Leitung von Götz Neuneck diskutierten Oberst Klaus Arnold vom deutschen Verteidigungsministerium, R. Balasubramaniam von der indischen Botschaft in Bonn, Lieutenant Colonel Brad Duty vom US-Weltraumkommando (US Space Command) in Europa und Karl Grossmann, Professor an der State University in New York. Der Vertreter Indiens stellte das durch internationale Verträge gesetzte Ziel der friedlichen Weltraumnutzung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen und verlangte Richtlinien für eine gerechte und gemeinsame Nutzung der Weltraumressourcen, um die bisherige Praxis nach dem Motto »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« zu korrigieren. Die scharfe Debatte zwischen den beiden US-amerikanischen Teilnehmern entzündete sich an der von der US-Regierung propagierten »Dominanz im Weltraum«. Während Karl Grossman sich für eine Entmilitarisierung des Weltraums einsetzte, verteidigte Brad Duty die Weltraumpolitik der USA als eine Pflicht der einzigen Macht, die zur Zeit in der Lage sei, die Ordnung im Weltraum zu gewährleisten. Klaus Arnold setzte sich für die Beibehaltung und Verwirklichung des Vertrages über das Verbot von Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) ein, der durch die neuere US-amerikanische Politik gefährdet ist.

Weltraum und Völkerrecht

Nicht als Vereinbarung einzelner Staaten wie der ABM-Vertrag, sondern im Rahmen des Völkerrechts wurden in den vergangenen Jahrzehnten etliche internationale Verträge abgeschlossen, die sich mit dem Weltraum befassen. Kernstück des weltraumbezogenen Völkerrechts ist der Weltraumvertrag von 1967.

Dieser hält in Art. 1 fest, dass die Erforschung und Nutzung des Weltraums zum Vorteil und im Interesse aller Länder erfolgen muss. Art. 4 bestimmt außerdem, dass der Weltraum nur für friedliche Zwecke verwendet werden darf. Wie Hans-Joachim Heintze vom Institut für Friedenssicherung und Humanitäres Völkerrecht der Bochumer Ruhr-Universität in seinem Vortrag darlegte, besteht ein Problem bei der Interpretation des Weltraumvertrags darin, dass es im Völkerrecht keine Definition des Begriffs »friedlich« gebe. Daher definiert das Weltraumrecht die friedliche Nutzung lediglich über Nutzungsverbote, z.B. dass keine Kern- oder andere Waffenvernichtungswaffen in eine Erdumlaufbahn gebracht werden dürfen. Die friedliche Nutzung gemäß dem Weltraumvertrag schließe also die Nutzung für militärische Zwecke gerade nicht aus.

Heintze kam zu dem ernüchternden Schluss, dass es offensichtlich auch nach dem Ende des Kalten Krieges nicht möglich sei, ein international gültiges Abkommen abzuschließen, mit dem die militärische Nutzung des Weltraums eingedämmt wird. Besonders problematisch sei die Monopolstellung der USA, die über bessere Informationen über Konfliktsituationen verfüge als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und diese geheim halte.

Forderungen für eine künftige Weltraumpolitik

Regina Hagen, Vorstandsmitglied im Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space formulierte zum Abschluss der Tagung Forderungen für eine künftige Weltraumforschung und -politik. Dazu gehöre, dass geplante Weltraumvorhaben einem öffentlichen Diskurs zu unterwerfen seien. Die BürgerInnen hätten das Recht, vollständig und in für sie verständlicher Form darüber informiert zu werden, welche Vorhaben die Regierung mit den Steuergeldern unterstützen wolle. Nur so sei es möglich, einen gesellschaftlichen Konsens über Weltraumvorhaben zu erzielen. Dabei schloss sie keineswegs aus, dass sich ein reiches Land wie die Bundesrepublik auch den »Luxus« interessanter Weltraummissionen leisten könne.

Und manchmal kommt es anders…

Bei den Nachforschungen, was ESA und DLR zu ihrem „im wissenschaftlichen Bereich völlig ungewöhnlich(en)“ (Wolfgang Bender in seiner Begrüßungsrede) Verhalten veranlasst haben könnte, stießen die Veranstalter darauf, dass die ESA eine Erhöhung des bundesdeutschen Budgetanteils von momentan 970 Mio. DM auf 1,6 Mrd. DM im Jahr 2003 forderte – eine Steigerung von 60%. Die Gelder waren u.a. für die Entwicklung eines eigenen europäischen Satellitennavigationssystems, aber auch für den Aufbau und Betrieb der Internationalen Weltraumstation (ISS), die Weiterentwicklung der Rakete Ariane V, das Erdbeobachtungsprogramm »Living Planet«, die Mikrogravitationsforschung, ein Telekommunikationsprogramm und die Entwicklung eines neuen Trägersystems vorgesehen.

Eine Anregung von Andreas Schlossarek aufgreifend formulierten im Anschluss an die Darmstädter Tagung fünf Initativgruppen einen Aufruf an die deutsche Forschungsministerin Bulmahn, bei der ESA-Ministerratstagung Mitte Mai nicht der eingeforderten Erhöhung der Bundeszuschüsse zuzustimmen (siehe blaue Seiten).

Anmerkungen

1) Die Tagung wurde veranstaltet von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TU Darmstadt in Zusammenarbeit mit: Institut für Theologie und Sozialethik der TU Darmstadt, NaturwissenschaftlerInnen-Initiative, International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), Darmstädter Friedensforum, Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space.

2) Wolfgang Schlupp-Hauck: Raumfahrtexperten drücken sich vor Debatte, taz vom 5. März 1999.

3) NASA (April 1998): Future NASA Spacecraft: Solar Arrays, Batteries, and Radioisotope Power and Heating Systems, Fact Sheet.

4) Roland H. Knauer: Mit geringem Schub zu den Sternen, Darmstädter Echo vom 20. Februar 1999.

5) Federal Register Vol. 63, No. 192 vom 5. Oktober 1998 und Federal Register Vol. 63, No. 213 vom 4. November 1998.

6) Firmeninformationen im Internet unter http://www.ampsys.com. Siehe auch Tom Henderson: Ann Arbor firm aims for Pluto, The Detroit News, 29. Oktober 1998.

7) US Space Command (März 1998): Long Range Plan. Implementing USSPACECOM Vision for 2020, Peterson Air Force Base, Colorado/USA.

8) siehe Artikel von Götz Neuneck in dieser Ausgabe von W&F.

9) siehe gekürzte Fassung des Referats von Bernd Kubbig: Der ABM-Vertrag soll »auf dem Müllhaufen der Geschichte« landen, Frankfurter Rundschau vom 5. März 1999.

10) Stefan Brändle: Die Zukunft wartet nicht auf die Langsamen, Frankfurter Rundschau vom 24.4.1999.

11) Warten auf den Befreiungssschlag, VDI nachrichtenvom 30.4.1999.

12) US Space Command Supports Kosovo Operation, Presseerklärung des US Space Command vom 24. März 1999.

13) Wolfgang Engelhard: Raumfahrt-Kritiker irren sich, Raumfahrt-Wirtschaft Nr. 6/99 vom 15. März 1999.

Regina Hagen, Technische Übersetzerin, ist Vorstandsmitglied des Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space und arbeitet im Darmstädter Friedensforum mit.
Jürgen Scheffran ist Wissenschaftlicher Assistent in der interdisziplinären Forschergruppe IANUS an der TU Darmstadt.

Star Wars II

Star Wars II

USA bauen militärischen Vorsprung aus

von Regina Hagen

Die USA sind dabei, ihren militärischen Vorsprung im Weltraum auszubauen.1. Das wurde erneut deutlich auf dem jährlich in Colorado Springs stattfindenden National Space Symposium, an dem Politik, Streitkräfte und Wirtschaftsunternehmen teilnehmen. Parallel tagte in diesem Jahr das Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space. Möglichkeit zur Information und für Protestaktionen.

Stolz verkündete die US-amerikanische Firma TRW auf dem National Space Symposium 1998, daß sie von der Ballistic Missile Defense Organisation (BMDO) den Auftrag erhalten habe, gemeinsam mit Boeing eine Machbarkeitsstudie auszuarbeiten. Diese soll in den nächsten sechs Monaten zur Entwicklung eines Space-Based Laser Readiness Demonstrator (SBLRD), also eines SBL-Prototyps führen.2 Vor dem Tagungshotel des Symposiums in Colorado Springs, Colorado/USA, demonstrierten gleichzeitig TeilnehmerInnen der Jahrestagung des Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space gegen die Dominanzbestrebungen der USA im Weltraum.

SBL – dahinter steht ein Satellitensystem, das frühzeitig vor einer feindlichen Rakete warnt und diese mit Hilfe eines Lasers noch in der Startphase zerstört. Die Startphase ist bei der Raketenabwehr deshalb besonders interessant, weil bei der Zerstörung eventuell an Bord befindliche Massenvernichtungswaffen – also biologische, chemische oder Kernwaffen – noch in der Nähe des Startgeländes und damit über dem Gebiet des angreifenden Feindes freigesetzt würden.

In Artikel V(1) des ABM-Vertrages (Anti-Ballistic Missile Treaty, Raketenabwehrvertrag), der zur Eindämmung des Wettrüstens 1972 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion abgeschlossen wurde und mit geringen Änderungen noch heute zwischen den USA und Rußland gültig ist, verpflichten sich die Vertragsparteien „keine ABM-Systeme oder Bestandteile zu entwickeln, zu erproben oder aufzubauen, die see-, luft- oder weltraumgestützt sind“;3. Als ABM-System wird gemäß Artikel II „ein System zur Bekämpfung anfliegender strategischer ballistischer Flugkörper oder ihrer Grundbestandteile“ definiert.

TRW betont daher in der Presseerklärung zum SBLRD-Vertragsabschluß auch ausdrücklich: „Der SBLRD soll nachweisen, daß es mit einem weltraumbasierten Lasersystem technisch möglich ist, schauplatzgebundene ballistische Raketen bereits in der Startphase abzufangen und zu zerstören.“;4

Planung für den Krieg im Weltraum

Die Unterscheidung in schauplatzgebundene oder strategische Raketen ist rechtlich erforderlich, da andernfalls die Verletzung des ABM-Vertrags zu offensichtlich wäre. Rhetorisch weniger zurückhaltend als die mit der Waffenentwicklung betraute Firma TRW ist das Militär. Das US-Verteidigungsministerium beschreibt in öffentlich zugänglichen Dokumenten ungeniert die kurzfristige „Vision für die Weltraumaktivitäten des Verteidigungsministeriums“;.5

Etwas dauerhafter angelegt ist der Langzeitplan des US Space Command zur Implementierung der Vision für 2020: „Kontrolle des Weltraums bedeutet die Fähigkeit, den Zugang zum Weltraum zu gewährleisten, Operationen im Weltraum ungehindert durchführen zu können und nötigenfalls die Weltraumnutzung durch andere zu unterbinden.“;6

Das ist angesichts der Vision der Weltraumkrieger nur konsequent: „US Space Command – Dominiert zum Schutz US-nationaler Interessen und Investitionen bei militärischen Operationen die Weltraumdimension. Integriert die Weltraumstreitkräfte in die Kampffähigkeit über das komplette Konfliktspektrum.“;7

Über das Space Command schrieben Engels/Scheffran/Sieker 1984 in »Die Front im All«: „Seit dem 1. September 1982 hat auf der Peterson Air Base in Colorado Springs das neue militärische Oberkommando für »Weltraumaktivitäten« SPACECOM seine Arbeit aufgenommen. Es koordiniert die Weltraumaktivitäten der Air Force, die dort auch ihr Luftwaffenkommando NORAD unterhält. Derzeitige Aufgabe des SPACECOM sind die Katalogisierung und Überwachung von mittlerweile mehr als 5000 Satelliten(resten), der Schutz vor Kollisionen von US-Raumflugkörpern mit diesen 5000 Objekten und die Entwicklung von Anti-Satelliten-Waffen.“; 8

Als »Die Front im All« geschrieben wurde, wurden die Pläne der U.S.-Militärs zur Verlagerung des Kriegs in den Weltraum unter dem Namen SDI (Strategic Defense Initiative, also Strategische Verteidigungsinitiative) oder Star Wars (Krieg der Sterne) auch in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Inzwischen ist es um dieses Thema erstaunlich ruhig geworden – ganz zu Unrecht. Unter der Bezeichnung Ballistic Missile Defense (Abwehr von ballistischen Flugkörpern) weist der diesjährige Militärhaushalt des Weißen Hauses immerhin $ 3,554 Mrd. (knapp DM 6,5 Mrd.) aus, die für die Ballistic Missile Defense Organisation (BMDO) reserviert sind9. Hinzu kommen die Haushalte der Teilstreitkräfte, die unter dem Schlagwort Joint Vision 201010 (Teilstreitkräfte-übergreifende Vision für 2010) in das Gesamtkonzept des Space Command eingebunden sind und sich ebenfalls für den Krieg im und aus dem Weltraum rüsten. Zusammengenommen hat sich das Budget für den »Krieg der Sterne« gegenüber den 80er Jahren nicht wesentlich verändert.

Weitgehend unverändert blieb auch die Mission des US Space Command: 11

  • Katalogisierung und Überwachung der mittlerweile über 10.000 Objekte in der Erdumlaufbahn (dabei handelt es sich einerseits um Satelliten, andererseits um Satellitenreste oder sogenannten Weltraumschrott, durch den vor allem Weltraummissionen und Raketenstarts gefährdet sind);
  • Entdeckung von und Warnung vor ballistischen Flugkörpern, Raketenstarts und Nuklearexplosionen;
  • Kontrolle des Weltraums;
  • „direkte Unterstützung der Krieger auf der ganzen Welt“.

Friedliche Nutzung des Weltraums einfordern

Colorado Springs spielt bei der Vorbereitung der kriegerischen Weltraumaktivitäten eine wichtige Rolle. Neben dem Hauptquartier des US Space Command auf der Peterson Air Force Base beherbergt es die United States Air Force Academy, deren Schulungen sämtliche Angehörigen der US Air Force durchlaufen. Die Stadt bietet folglich gute Voraussetzungen für das jährlich stattfindende National Space Symposium im Broadmoor Hotel12.

Traditionell schicken Weltraumorganisationen, Streitkräfte und kommerzielle Unternehmen ihre Vertreter zu dieser Veranstaltung, zu der die FriedensaktivistInnen natürlich keinen Zutritt hatten. Auf einer angegliederten Industriemesse präsentieren die Firmen, die die Technologie für den Krieg im Weltraum bereitstellen, ihre Produkte und Entwicklungen. Diese Ausstellung wird jeweils zwei Stunden lang für das allgemeine Publikum geöffnet – eine Chance, sich aus erster Hand über die neuesten Planungen zu informieren.

Da kommerzielle Unternehmen bei Ihren Aktivitäten ein ausgeprägtes Profitinteresse haben, ist wohl auszuschließen, daß die vorgestellten Technologien und Projekte nur Wunschgebilde sind. Der militärisch-industrielle Komplex investiert in Forschung & Entwicklung für die Weltraumrüstung und kann sich dabei, wie das Beispiel TRW zeigt (die SBLRD-Machbarkeitsstudie wird von der BMDO mit $10 Mio. vergütet), reichlich aus dem Militärbudget der Vereinigten Staaten bedienen. Die Qualität der aufwendigen Firmenprospekte läßt die Folgerung zu, daß die Firmenmanager mit den Gewinnen aus dem Rüstungssektor sehr zufrieden sind und ihren Werbeabteilungen großzügige Etats gewähren.

Ort und Zeitpunkt für die Jahrestagung des Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space waren also sorgfältig ausgewählt, boten die Möglichkeit zur Information wie zu Protesten. Die Mitglieder und MitarbeiterInnen mehrerer Dutzend amerikanischer und europäischer Friedensorganisationen beschäftigten sich auf der dreitägigen Konferenz mit unterschiedlichen Aspekten der Rüstung und Kernenergienutzung im Weltraum. Aufgrund der technischen, militärischen und finanziellen Dominanz der Vereinigten Staaten standen die amerikanischen Weltraumaktivitäten häufig im Vordergrund.

In elf Workshops und mehreren Vorträgen informierten sich die AktivistInnen und WissenschaftlerInnen gegenseitig über Fragen des Völkerrechts, die Nutzung von Kernenergie, die Dominanz des U.S.-Militärs, Spionage und Bürgerrechte, die Saturnmission Cassini mit 32 kg Plutonium an Bord, den Einsatz von Militärsatelliten, den Protest englischer Frauen gegen die amerikanische Spionagestation in Menwith Hill und vieles mehr. Besuche der lokalen USSPACECOM-Standorte nötigten den militärischen PR-MitarbeiterInnen ein Höchstmaß an Flexibilität ab.

Höhepunkte der Konferenz waren sicherlich der furiose Vortrag des amerikanischen Physikprofessors Michio Kaku, der sich mit beißender Ironie dem Thema annäherte, sowie eine Abendveranstaltung mit der britischen Friedensaktivistin Helen John, die seit eineinhalb Jahren an dem Frauenprotestcamp von Menwith Hill teilnimmt. Auch für Unterhaltung war gesorgt: Ein dreistündiger Theater-, Performance- und Satireabend verführte zu schallendem Gelächter und zu der Heiterkeit, mit der sich dieses unerquickliche Thema gedanklich besser bewältigen läßt.

Ergebnisse des Global Network-Treffens

Neben den inhaltlichen Auseinandersetzungen blieb auf der Jahreskonferenz des Global Network ausreichend Zeit, sich den anfallenden organisatorischen Dingen zu widmen:

  • Das Global Network wächst und gedeiht. Es wurden drei ehrenamtliche KoordinatorInnen gewählt, die in den nächsten 12 Monaten die Geschäfte führen werden, bei Bedarf nach Absprache mit einem Beratergremium (darin vertreten drei AktivistInnen aus Europa).
  • Das Global Network bemüht sich bei den Vereinten Nationen um eine Registrierung als Nichtregierungsorganisation (NRO).
  • Das Global Network beantragt bei den US-amerikanischen Behörden die Eintragung als gemeinnützige Organisation; dann sind Spenden an die Gruppe steuerfrei.
  • Das Global Network beantragt bei dem weltweiten Netzwerk zur Abschaffung sämtlicher Atomwaffen, Abolition 2000, eine neue Arbeitsgruppe zur Militarisierung und Kernenergienutzung im Weltraum und bittet darum, das Global Network insgesamt als diese Arbeitsgruppe zu akzeptieren.

Das nächste Jahrestreffen findet im Frühjahr 1999 in Darmstadt/Deutschland statt. Dabei soll an das internationale Symposium »Ambivalence of Space Technology« vom März 1997 angeknüpft werden, das ebenfalls in Darmstadt durchgeführt wurde und VertreterInnen von Weltraumorganisationen, Wissenschafts- und Friedens-/Umweltgruppen miteinander ins Gespräch brachte.

Übrigens: Der bilaterale ABM-Vertrag, der bisher die offene Aufrüstung im Weltraum verhindern konnte, steht 1999 zur Überprüfung an. In amerikanischen Politikerkreisen gibt es starke Bestrebungen, den Vertrag ersatzlos zu streichen. Auch der 1967 auf UNO-Ebene abgeschlossene Weltraumvertrag (Outer Space Treaty), schreibt gemäß Artikel IV vor: „Kernwaffen und andere Massenvernichtungswaffen dürfen weder im Weltraum stationiert noch in eine Erdumlaufbahn oder auf Himmelskörper gebracht werden. Militärische Einrichtungen auf Himmelskörpern sind verboten.“;13Das Global Network und andere NRO tuen gut daran, das weltweite Bewußtsein dafür zu schärfen, daß den USA die Auslegung und Einhaltung dieser beiden Verträge nicht nach eigenem Gutdünken überlassen werden darf.

Soweit nicht anders angegeben, wurden sämtliche Zitate aus englischsprachigen Dokumenten von der Autorin übersetzt.

Anmerkungen

1) Gemäß der Einleitung der Executive Summary – Long Range Plan, USSPACECOM, Peterson AFB, o.J., ist „Weltraum: Eine Möglichkeit für uns UND unsere Gegner; ein Vorsprung, den wir nicht verlieren dürfen; ein Aktivposten, den wir schützen müssen.“ Zurück

2) TRW-led Team SBL Awarded $10 Million Space Laser Contract; Pressemitteilung von TRW vom März 1998; http://www.businesswire.com/trw Zurück

3) Treaty Between the United States of America and the Union of Soviet Socialist Republics on the Limitation of Anti-Ballistic Missile Systems“, abgeschlossen am 26. Mai 1972; zitiert nach Dieter Engels/Jürgen Scheffran/Ekkehard Sieker, Die Front im All, Pahl-Rugenstein, 1984, S. 127-128. Zurück

4) TRW-Presseerklärung, a.a.O. Zurück

5) Department of Defense Space Program, deckt die Jahre 1998-2003 ab; http://www.fas.org/spp/military/program/sp97 Zurück

6) Long Range Plan. Implementing USSPACECOM Vision for 2020, US Space Command, März 1998 Zurück

7) Vision for 2020, US Space Command, Peterson Air Force Base, 2. Auflage August 1997 Zurück

8) Engels/Scheffran/Sieker, a.a.O., S. 38 Zurück

9) National Defense Authorization Act for Fiscal Year 1998, Report 105-29, US-Kongreß und Senat, Juni 1997; http://www.fas.org/man/congress/1997/s105_29.htm Zurück

10) Joint Vision 2010, Pentagon, o.J.; http://www.nsa.gov:8080/ Zurück

11) Schriftliches Skript zu Overhead-Folien für die Öffentlichkeitsarbeit des 21st Space Wing der Peterson Air Force Base in Colorado Springs, Colorado/USA; o.J.; verwendet bei Vortrag am 9. April 1998 Zurück

12) Die britischen Friedensaktivistinnen des Global Network fanden diesen Tagungsort sehr passend: In England steht der Name „Broadmoor“ für eine Anstalt zur Unterbringung besonders gefährlicher psychisch Kranker. Zurück

13) zitiert nach Engels/Scheffran/Sieker, a.a.O. Zurück

Regina Hagen ist Vorstandsmitglied des Global Network. Sie war 1997 Ko-Koordinatorin der deutschen Kampagne »Stoppt Cassini«. Kontaktmöglichkeiten: Fax 06151/47105, E-Mail: regina.hagen@jugenstil.da.shuttle.de.

Westeuropas Augen im All

Westeuropas Augen im All

Deutsch-französische Pläne zur Militarisierung des Weltraums1

von Dieter Engels • Jürgen Scheffran

Fünf Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und über ein Jahr nach der offiziellen Beendigung des SDI-Programms schickt sich Westeuropa unter der Führung Frankreichs und Deutschlands an, der seitdem gebremsten Aufrüstung im Weltraum neue Impulse zu geben. 1995 startet Frankreich seinen ersten optischen Aufklärungs-Satelliten Helios-1 und sucht für den Nachfolge-Satelliten Helios-2 die Beteiligung Deutschlands. Die Bundesregierung möchte dafür finanzielle Unterstützung für den Bau des Radar-Satelliten Osiris. Beide Satelliten-Systeme sollen im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) betrieben werden.

Nur einen Tag nach der Bundestagswahl am 16. Oktober meldete die »Defense News«, daß Deutschland Milliarden für Weltraumrüstung auszugeben beabsichtige.2 Gemeint sind die deutsch-französischen Verhandlungen für eine deutsche Beteiligung an Helios-2 und die damit verbundene Planung einer raumgestützten Aufklärungskapazität im Rahmen der WEU. Eine Entscheidung war für den deutsch-französischen Gipfel am 29./30. November 1994 angekündigt, wurde jedoch aufgrund ungeklärter Finanzierungsfragen noch einmal verschoben. Diese Bemühungen der Bundesregierung sind in der Öffentlichkeit und im parlamentarischen Raum kaum wahrgenommen3 und nur vereinzelt kritisiert worden. Das Bewußtsein für die militärische und außenpolitische Bedeutung sowie für die finanziellen Dimensionen ist nur in einigen Insider-Kreisen vorhanden. Trotzdem oder gerade deswegen will die WEU schon im Mai 1995 bei ihrer nächsten Ministerrats-Tagung den Aufbau des Satelliten-Systems endgültig beschließen. Bis dahin muß die Bundesregierung entschieden haben, und es ist zu befürchten, daß der Einstieg in die Weltraumrüstung ohne öffentliche Diskussion vollzogen werden soll.

Zivil-militärische Ambivalenz von Fernerkundungssatelliten

Die ersten zivilen Erdbeobachtungs-Satelliten (LANDSAT) wurden 1972 von den USA eingeführt, 12 Jahre nach dem ersten Start von militärischen Aufklärungs-Satelliten. Trotz des nicht gerade überwältigenden Erfolges des LANDSAT-Programms entwickelte Frankreich ein eigenes Erdbeobachtungs-Satellitensystem SPOT (Systeme Pour l'Observation de la Terre), dessen erster Satellit Anfang 1986 gestartet wurde. SPOT-Bilder haben bei Schwarz-Weiß-Aufnahmen ein Auflösungsvermögen von 10 Metern und bei Farbaufnahmen von 20 Metern. Ein wichtiger Kunde der Betreiberfirma SPOT-Image ist das Militär. So tätigte beispielsweise das Pentagon vor dem Golf-Krieg einen Großeinkauf, um das Kartenmaterial der Region zu überarbeiten. Andererseits verkaufte SPOT-Image der Allgemeinheit auf Anweisung der französischen Regierung plötzlich keine Photos aus der Krisenregion mehr, so daß unabhängige Einrichtungen sich kein Bild von der Lage am Golf machen konnten.

Im Bereich der Erderkundung mittels Radar hat Europa eine Spitzenstellung mit dem »Earth Resource Satellite« (ERS-1) erreicht, der unter der Leitung der Europäischen Weltraumbehörde ESA (European Space Agency) entwickelt worden ist. Der 2,5 Tonnen schwere und 1,65 Mrd. DM teure Mikrowellenradar-Satellit umkreist seit 1991 die Erde in 800 km Höhe und tastet dabei mit einer 10m großen Antenne mit synthetischer Apertur (SAR: Synthetic Aperture Radar) einen 100 km breiten Steifen unter ihm ab. Aufgrund seiner Manövrierfähigkeit kann er bei Bedarf alle drei Tage dasselbe Gebiet überfliegen. Im Unterschied zur konventionellen Radartechnik, die nur eine Auflösung von 5 km erreicht, wird durch die SAR-Technik die Auflösung auf 20×20 Meter verbessert. Eine zweite Version ERS-2 wird für einen Start im Jahre 1995 vorbereitet.

Die Erfahrungen Frankreichs mit dem Bau optischer Satelliten (Hauptauftragnehmer: Matra Marconi Space) und Deutschlands mit Radar-Satelliten (Hauptauftragnehmer: Dornier) sollen nach dem Willen der Regierungen in militärischen Satellitensystemen Anwendung finden. Diesen Schritt hat Frankreich mit dem Bau des 1995 zum Start vorgesehenen Helios-1 Satelliten bereits vor zehn Jahren gemacht. Gleichzeitig mit der Planung der zweiten Generation von SPOT-Satelliten (ab SPOT-4) wurde auch eine militärische Version in Betracht gezogen. Frankreich wollte damit, wie seinerzeit bei allen Raumfahrt-Projekten, Autonomie gewinnen, um bei Aufklärung und Zielplanung für die »Force de frappe« unabhängig von den USA zu werden.

Militärische Satellitenaufklärung in Westeuropa

1984 bot Frankreich der Bundesrepublik eine Kooperation an, die 1985 wegen der hohen Kosten abgelehnt wurde. Der Satellit wurde mit 4 Mrd. DM veranschlagt, wovon die deutsche Seite 40<0> <>% übernehmen sollte. Im Mai 1988 forderte der damalige forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU (und heutige »Zukunftsminister«) Jürgen Rüttgers eine neue Entscheidung über einen deutschen Einstieg in das Helios-Projekt und diente der Öffentlichkeit das Satellitensystem auch für Aufgaben des Umweltschutzes, der Raumplanung und der Entwicklungshilfe an. Schließlich führte Frankreich dieses Projekt mit Italien (14% Beteiligung) und Spanien (5<0> <>%) durch. Die Programmkosten wurden 1992 mit 2,1 Mrd. DM angegeben. Die technischen Fähigkeiten des Helios-Satelliten werden mit denen von SPOT-4 vergleichbar sein. Letzterer erhält neben den beiden optischen Bändern noch einen zusätzlichen Sensor für den mittleren Infrarot-Bereich. Dadurch wird vor allem die Nachtsicht-Fähigkeit verbessert.

Wenige Monate nach dem Golfkrieg 1991 wurden von Matra Marconi Space Vorstellungen zu Helios-Nachfolgenerationen publik gemacht, die eine geringere Wetterabhängigkeit haben sollten. Für die zweite Generation wurden verbesserte optische und zusätzliche infrarote Sensoren gefordert, während eine dritte Generation nach der Jahrtausendwende zusätzlich mit Radar-Geräten ausgestattet sein sollte.

Neben dem Helios-Satelliten befinden sich in Frankreich noch weitere militärische Raumfahrtprogramme in Bau oder Planung. Unter dem Namen Cerise ist ein experimenteller elektronischer Aufklärungs-Satellit gebaut worden, der 1995 zusammen mit Helios-1 in den Weltraum geschossen wird und als Zenon Anfang des nächsten Jahrzehnts einsatzbereit sein soll. Schließlich ist ein abbildender Radar-Satellit, genannt Osiris, in Planung, der im Jahr 2000 in den Dienst gestellt werden könnte und Helios als Allwetter-Satellit ergänzen soll.

Diese französischen Projekte bilden die Grundlage für die Planungen der WEU für ein eigenes Aufklärungs-Satelliten-System. Im Falle einer Internationalisierung des Systems auf westeuropäischer Ebene verspricht sich Deutschland die Federführung bei der Entwicklung des Osiris-Radar-Satelliten, da Dornier mit dieser Technologie in Europa mittlerweile die meiste Erfahrung hat.

In diesem Jahr hat Frankreich mit der Entwicklung des SPOT-5-Satelliten begonnen, der ein Auflösungsvermögen von 5m erreichen soll. Damit verbunden steht die Entscheidung für einen neuen Helios-Satelliten an, an dem sich Spanien aus Kostengründen nicht mehr beteiligen will. Der neue Satellit Helios-2 soll mit der Technologie von SPOT-5 und mit einer geringeren Umlaufbahn ein Auflösungsvermögen von 1-2m erreichen. Anscheinend ist die Bundesregierung jetzt gewillt, sich an Helios zu beteiligen, falls eine Übereinkunft zu Osiris getroffen werden kann. Die Kosten für Helios-2 und Osiris werden mit je 3 Mrd. DM angegeben.

Nach den Vorstellungen der WEU könnte eine endgültige Konfiguration des Gesamt-Systems aus 6 Satelliten bestehen, 2 optischen (Helios) und 2 Radar-Satelliten (Osiris), sowie 2 geostationären Relais-Satelliten (DRS: Data-Relay-Satellites), die für die schnelle Bildübertragung von Satelliten zur Bodenstation benötigt werden. Die Kosten werden auf 12,4 Mrd. ECU (ca. 21 Mrd. DM) geschätzt. Da selbst die WEU davon ausgeht, daß ein solcher Betrag kurzfristig nicht aufgebracht werden kann, wird als Einstieg ein abgespecktes System aus drei Satelliten vorgeschlagen, welches je nach Ausrüstung 5 bis 6 Mrd. DM kosten würde und 2004 einsatzbereit wäre. Die engültige Konfiguration könnte dann schrittweise bis zum Jahre 2010 erreicht werden. Diese Preise enthalten dabei weder die Start-, noch die Betriebskosten und auch nicht die Mittel für das Bildauswertungs-Zentrum.

Die Realisierung der WEU-Planungen wird nur der Auftakt für eine ganze Reihe von militärischen Satelliten-Projekten sein, die unweigerlich nach einer erfolgreichen Implementierung der Aufklärungs-Satelliten auf die Tagesordnung kommen werden. Dies ist unschwer an den in Frankreich heute schon laufenden Planungen für militärische Satelliten-Systeme abzulesen. Gleichzeitig geben die Entwicklungen des Raumfahrtbereichs in Frankreich Berechtigung zu der Aussage, daß dort eine weitgehende (offiziell gewollte und auch zugegebene) Verflechtung von militärischem und zivilem Bereich stattgefunden hat, die Deutschland noch bevorsteht. Dieser Verflechtungsprozeß ist Ende 1993 auch organisatorisch vollzogen worden, indem die französische Regierung der Raumfahrtbehörde Centre National d'Etudes Spatiales (CNES) die Verantwortung für die militärischen Raumfahrtprogramme übergeben hat. Das Budget der CNES für 1994 beträgt ca. 3,2 Mrd. DM (11 Mrd. FF), wovon 2,1 Mrd DM in den zivilen Bereich gehen. Die Ausgaben im militärischen Bereich schnellen raketenhaft hoch von 200 Mio. DM 1987 auf 1,1 Mrd. DM 1994 (Steigerungsrate von 64<0> <>% pro Jahr) und sollen 1,8 Mrd. DM Ende der neunziger Jahre erreichen.

Die CNES war 1961 als zivile Agentur gegründet worden, um Frankreichs Unabhängigkeit von den Großmächten im Raumfahrtbereich abzusichern. Sie hat auch innerhalb der ESA weitgehend den Ton angegeben. Der neue Verantwortungsbereich reflektiert einen Wandel in der französischen Raumfahrtpolitik weg von den Prestige-Objekten der bemannten Raumfahrt (vgl. Hermes) hin zu kommerziell erfolgversprechenderen Projekten, sprich Satelliten-Systemen. Zur Zeit liegen die Prioritäten noch auf der Entwicklung der Rakete Ariane-V.

Neben Aufklärungs-Satelliten werden in Frankreich auch Pläne für fortgeschrittene Kommunikations- und Frühwarn-Satelliten diskutiert. 1991 wurde in Toulouse über die Schaffung eines multinationalen militärischen Satelliten-Kommunikations-Systems beraten, welches Anfang des nächsten Jahrtausends zum Einsatz kommen soll. Das System soll die britischen Skynet-Satelliten und das französische Kommunikations-Netzwerk Syracuse ersetzen, welches Kanäle der zivilen Kommunikations-Satelliten Telecom 1/2 benutzt. Frankreich will Syracuse soweit verbessern, daß Helios-Aufnahmen direkt in zukünftige Operationsgebiete übertragen werden können.

Überlegungen der WEU zum Aufbau eines europäischen Raketenabwehr-Systems werden den Bedarf nach militärischen Satelliten ebenfalls steigern. Die Zeitschrift »Aviation Week & Space Technology« meldete am 3. Mai 1993, daß ein Konsortium von französischen, deutschen und italienischen Firmen bei der WEU den Antrag stellen will, einen experimentellen Frühwarn-Satelliten zu bauen, als ersten Baustein für ein solches Abwehr-System.

Bereits begonnen hat die WEU mit dem Aufbau des bodengestützten Teils des Aufklärungssystems. Die Außen- und Verteidigungsminister der WEU-Ministerrats-Tagung beschlossen am 27. Juni 1991, „ein Zentrum zur Auswertung von Satellitendaten einzurichten, dessen unmittelbare Aufgabe in der Ausbildung europäischer Experten auf dem Gebiet der Photoauswertung satellitengestützter Daten, in der Sammlung und Verarbeitung zugänglicher Daten und in der Bereitstellung dieser Daten für die Mitgliedstaaten, insbesondere im Rahmen der Verifikation von Rüstungskontrollübereinkünften, der Krisenbeobachtung und der Umweltüberwachung bestünde“. Außerdem wurde die schon erwähnte, von Dornier durchgeführte Studie in Auftrag gegeben „Möglichkeiten für eine mittel- und langfristige Zusammenarbeit bei einem europäischen Satellitenbeobachtungssystem zu erarbeiten“.4

Das Satellitenzentrum wurde 1992 auf der Torrejon Luftwaffen-Basis in der Nähe von Madrid eingerichtet, und soll nach einer dreijährigen Probezeit für die 38,25 Mio. ECU (ca. 70 Mio. DM) zur Verfügung gestellt wurde, in eine ständige Einrichtung überführt werden. Zur Zeit werten ca. 50 Mitarbeiter unter Leitung eines Wissenschaftlers, der dem britischen Verteidigungsministerium angehört, Bilder aus kommerziellen Quellen aus, sollen aber ab 1995 Bilder von dem Helios-Satelliten zur Verfügung gestellt bekommen. Nachdem die relevanten Vorstudien abgeschlossen scheinen, hat am 9.5.94 der WEU-Ministerrat einer Arbeitsgruppe den Auftrag gegeben, für die Frühjahrstagung im Mai 1995 eine Entscheidung für den Aufbau des eigentlichen Satelliten-Systems vorzubereiten.

Begründungen für Aufklärungs-Satelliten

Die WEU hat auf ihrer Pariser Ministerrats-Tagung am 10.12.1990 die Ziele ihrer Weltraumaktivitäten offiziell mit Verifikation von Rüstungskontrollverträgen, Krisenmanagement und Umweltüberwachung angegeben. In der Zwischenzeit scheinen Krisenmanagement sowie die allgemeine Spionage zur Lagebeurteilung in den Vordergrund gerückt zu sein. Angeblich ist das eigentliche Motiv der Bundesregierung, deutsche »Peacekeeping-Einheiten« mit Kommunikations- und Aufklärungs-Satelliten zu unterstützen, nun da das Bundesverfassungs-Gericht den Einsatz außerhalb des NATO-Gebietes für zulässig erklärt hat. Auch wenn eine offizielle Begründung der Bundesregierung noch aussteht, ist diese Aufgabe wahrscheinlich die entscheidende.

Ein erhebliches Interesse an Satelliten-Aufklärung hat der Bundesnachrichtendienst (BND) angemeldet, der bisher auf Spionage (Human Intelligence) und Abhör-Techniken (Signal Intelligence) angewiesen war. Zunehmend wird nach Ende des Kalten Krieges der Blick auf »neue Bedrohungen« aus anderen Teilen der Welt gelenkt, die im Zuge einer »Politik der präventiven Friedenssicherung« frühzeitig aufgeklärt werden müßten. Einsatzbereiche für Satelliten-Bilder werden bei der Verifikation, der Überwachung von Nichtweiterverbreitung von ABC-Waffen, der Aufklärung potentieller Bedrohung Deutschlands von außen, der Krisen- und Naturkatastrophen-Frühwarnung und der allgemeinen Aufklärung (Ernte-Vorhersagen, Infrastruktur etc.) gesehen.

Verifikation

Die Verifikation von Rüstungskontroll-Verträgen ist heutzutage auf Bilder von Aufklärungs-Satelliten kaum noch angewiesen. Wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, genügt zur Entdeckung und Grobidentifizierung von militärischem Großgerät und militärischer Anlagen bereits eine Genauigkeit von 10-20 m, wie sie von modernen kommerziellen Fernerkundungssatelliten wie SPOT möglich ist. Zur Erkennung von Fahrzeugen und Flugkörpern wird eine Auflösung im Meterbereich benötigt, was im zivilen Bereich in absehbarer Zeit erreicht wird. Eine weitere Verbesserung der Bildauflösung bringt im Verhältnis zu den wachsenden Kosten keine entsprechende Steigerung der Verifikationsfähigkeit mit sich. Im Unterschied zu den zeitkritischeren militärischen Anforderungen an die Verfügbarkeit von Daten reichen für die Verifikation meist regelmäßige Überflüge in Abständen von Monaten, und die Bildaufbereitung muß nicht in Echtzeit erfolgen. Zudem ist die Satellitenbeobachtung zum Nachweis bestimmter militärisch relevanter Aktivitäten eher ungeeignet.

Satelliten sind ohnehin nie alleinige und oftmals nur zusätzliche Mittel der Verifikation. Aufnahmen von Flugzeugen, Vor-Ort-Inspektionen und weitergehende Maßnahmen (etwa die Messung von Umweltindikatoren) können einen substanziellen Beitrag zur Verifikation leisten. Offene Quellen, Informationsaustausch und mehr Transparenz hätten den Vorteil, daß regierungsunabhängige Organisationen Zugang zu dem Bildmaterial hätten und damit einer Manipulation oder einer propagandistischen Verwendung entgegenwirken könnten. Die neuen Satelliten werden dagegen das Informationsmonopol in den Händen von Militärs und Nachrichtendiensten stärken und ihnen mehr Möglichkeit zur Informationsselektion eröffnen, zu Lasten der Öffentlichkeit.

Verifikation ist eine vertrauensbildende Maßnahme, und im Prinzip haben alle Vertragspartner von Abrüstungsverträgen das Recht, daran teilzunehmen. Es erscheint deshalb fragwürdig, das derzeit herrschende Zwei-Klassen-System des Zugangs zu Bild-Informationen zu zementieren. Besser wäre es, wenn die westeuropäischen Staaten sich für ein internationales, allen Staaten zugängliches System einsetzen würden, nach dem Vorbild der von Frankreich 1978 vorgeschlagenen »International Satellite Monitoring Agency« (ISMA).

Krisenmanagement

Krisen- und Kriegsbeobachtung und die Unterstützung von Militäreinsätzen erfordern ein flexibles System mit mehreren Satelliten und verschiedenen Sensoren, deren Daten annähernd in Echtzeit übertragen werden. Vom Anforderungs- und Einsatzprofil her ergeben sich keine grundlegenden Unterschiede zur allgemeinen militärischen Satellitenaufklärung. Angestrebt wird eine möglichst häufige Überwachung eines bestimmten Gebietes bei jedem Wetter, um auf die Geschehnisse in einer Region rasch reagieren zu können. Das vorgeschlagene Satelliten-System ist daher weniger als passiv wirkendes Instrument der Informationsgewinnung zu verstehen, sondern als aktives Element zur Planung und Durchführung von militärischen Einsätzen.

Die Effektivität von Satelliten zur Früherkennung und Prävention ist fragwürdig, wie man am Beispiel Jugoslawiens zeigen kann. Mit Hilfe von Satelliten erfaßbare Hinweise auf eine gewaltsame Eskalation gab es erst unmittelbar vor Ausbruch der Kämpfe, d.h. als die Gewaltschwelle gerade überschritten wurde und politisch-diplomatische Maßnahmen zu spät kamen. Der teure Bau neuer militärischer Satelliten läßt sich derzeit weder mit der Früherkennung von Krisen noch mit ihrem Management allein hinreichend legitimieren – zumal auch hier in den kommenden Jahren deutlich verbesserte kommerzielle bzw. zivile Fernerkundungssatelliten zur Verfügung stehen werden. Wichtiger sind Bemühungen, die frühzeitige Wahrnehmung von vorhandenen Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung zu verbessern.

Umweltüberwachung

Auch die Argumentation, Aufklärungs-Satelliten könnten zur Umweltüberwachung beitragen, erweist sich bei genauem Hinsehen als nicht überzeugend. Für die Umweltbeobachtung ist weniger die Detailaufnahme als vielmehr die regelmäßige Überprüfung größerer zusammenhängender Gebiete gefragt. Hochauflösende Fotos mit 1m Auflösung, die zur Kartierung, für Forstmanagement oder zur Entdeckung von lokaler Umweltkriminalität hilfreich sein können, werden von der nächsten Generation von Erdbeobachtungs-Satelliten geliefert werden, soweit sie nicht durch Luftaufnahmen und Vor-Ort-Inspektion am Boden ohnehin preiswerter gewonnen werden können. Bei einem militärischen Einsatzprofil ist es auch nicht gewährleistet, daß die Satelliten Umweltdaten aus den Regionen liefern, aus denen sie aktuell benötigt werden. Zusätzliche Umweltdaten sind auch deshalb unsinnig, weil die WEU für ihre Auswertung keine Arbeitsplätze schaffen will und bestehende Institute jetzt schon damit überfordert sind, die anfallende Informationsflut von den Erdbeobachtungs-Satelliten zu verarbeiten.

Proliferation von Massenvernichtungswaffen

Der Verbreitung (Proliferation) von Massenvernichtungswaffen mit militärischen Mitteln (Counter-Proliferation, Raketenabwehr) begegnen zu wollen, ist wenig erfolgversprechend. Abgesehen von überzogenen Bedrohungswahrnehmungen dürfte die zugrundeliegende Konfrontationslogik diesen Prozeß eher beschleunigen.

Ob Aufklärungssatelliten einen wesentlichen Beitrag leisten können, um die Entwicklung und Produktion von Massenvernichtungswaffen in versteckten bzw. als zivil deklarierten Anlagen zu entdecken, darf bezweifelt werden. Typisches Beispiel für das Versagen der Satellitenaufklärung ist die Herstellung der israelischen Atombombe in unterirdischen Anlagen oder das irakische Atomwaffenprogramm, die beide den weit schärferen Weltraumaugen der Supermächte entgangen sind. Mit Hilfe von Aufklärungssatelliten läßt sich lediglich eine Liste vermuteter proliferationsrelevanter Anlagen gewinnen, die damit zu Zielen potentieller militärischer Angriffe werden. So konnte die israelische Luftwaffe ihren Angriff auf den irakischen Nuklearreaktor Osirak im Jahr 1981 aufgrund amerikanischer Satellitenaufnahmen fliegen. Die USA haben im Golfkrieg praktisch alles angegriffen, was ihnen verdächtig schien. Dabei konnten sie zwar eine enorme Zerstörung anrichten, aber das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen nicht vernichten. Obwohl die USA die besten Aufklärungssatelliten der Welt und den größten Geheimdienst der Welt besitzen, waren sie nicht in der Lage, die mobilen irakischen Scud-Raketen zu orten. Dies verweist auf die Grenzen der Satellitenaufklärung auch im militärischen Bereich.

Wenn Westeuropa, allen voran Frankreich mit seinen Kern- und Raketenwaffen, den Schritt zur Weltraummilitarisierung vollzieht, werden wahrscheinlich weitere Staaten folgen. Wie schon bei anderen Waffenkategorien, bei denen technologische Entwicklungen des Westens oder Ostens von Entwicklungsländern nachgeahmt wurden, oft mit auswärtiger Hilfe, finden auch Aufklärungssatelliten neue Interessenten. Insgesamt haben bereits eine ganze Reihe von Ländern das technische Potential, eigene Aufklärungs-Satelliten zu bauen. Genannt seien hier Brasilien, China, Japan, Indien, Israel und Südafrika. Militärische Luftaufklärung gehört zu den Techniken, die fast alle Armeen auf der Welt beherrschen, so daß sie sich die Erfahrungen für die Auswertung von Satelliten-Bildern rasch aneignen können. Schon jetzt wird über die möglichen Folgen einer zukünftigen Proliferation von Satellitentechnologie in Staaten der Dritten Welt und über mögliche Gegenmaßnahmen nachgedacht. Gepaart mit Offensivwaffen, etwa Kurz- und Mittelstreckenraketen, würden Aufklärungssatelliten als Bedrohung empfunden werden und das Bedürfnis zum Bau von Anti-Satelliten-Waffen wecken. Die Konsequenz könnte die Fortsetzung der globalen Rüstungsdynamik in den Weltraum sein.

Bewertung der Begründungen

Die in der Diskussion befindlichen Anwendungsgebiete der WEU-Aufklärungs-Satelliten, insbesondere die Verifikation, sind zum Teil mit kommerziellen Bildern dieser und zukünftiger Generationen von Erdbeobachtungs-Satelliten zu bedienen. Ansonsten sind Satellitenbilder nur eingeschränkt verwendbar.

Bewertet man die technischen Spezifikationen der Satelliten sowie das militärische und politische Umfeld, muß man zu dem Schluß kommen, daß sie schwerpunktmäßig für das Krisenmanagement eingesetzt werden sollen, wobei man Krisenmanagement hier in sehr eingeschränktem Sinne mit »Planung und Durchführung von militärischen Einsätzen« übersetzen muß. Offensichtlich wird auch im Nord-Süd-Konflikt an das Denken des Kalten Krieges angeknüpft und nach neuen sicherheitspolitischen Begründungsmustern für Raumfahrt gesucht. Als Kronzeuge dient vielfach der Golfkrieg, der jedoch eher die Grenzen der Hochtechnologie-Kriegsführung demonstriert hat als ihren Erfolg.

Die militärischen Aufklärungssatelliten stehen für eine konfrontative Konzeption von Sicherheitspolitik und befinden sich damit im Gegensatz zu kooperativen Ansätzen von Abrüstung und Konfliktprävention. Es läßt sich der Eindruck nicht vermeiden, daß der Aufklärungssatellit der neu erwachten Großmacht Deutschland helfen soll, ihrem selbstdefinierten Auftrag als militärische Ordnungsmacht in einer von Risiko und Unsicherheit bestimmten Welt gerecht zu werden. Zur Realisierung globalpolitischer Ansprüche wird ins Kalkül gezogen, daß nun auch der Weltraum der militärischen Nutzung erschlossen wird, was bislang vorwiegend den Supermächten im Kalten Krieg vorbehalten war. Zusammen mit Frankreich sollen zehn Jahre alte Träume einer militärischen Weltraummacht Westeuropa realisiert werden.

Den neuen Sicherheitsherausforderungen, insbesondere dem Problem der Proliferation, muß viel wirksamer durch eine Doppelstrategie begegnet werden, die globale Abrüstung und präventive Rüstungskontrolle verbindet mit vereinten Anstrengungen zur umweltgerechten Entwicklung der unterentwickelten Länder und Regionen. Für den Weltraumbereich heißt dies, eine internationale Kooperation in sinnvollen Bereichen der Raumfahrt zu verknüpfen mit der zivilen Kontrolle von Raketen und Raumflugkörpern. Wenn überhaupt, dann sollten Aufklärungs-Satelliten nach dem Vorbild des »Open Skies«-Vertrages international betrieben werden.

Folgen für die zivile Weltraumforschung

Der Einstieg Deuschlands in die Entwicklung von Aufklärungs-Satelliten wäre eine tiefgreifende Zäsur in der bisherigen offiziellen Politik der Bundesrepublik, Raumfahrtprogramme auf den zivilen Bereich zu beschränken. Die dafür jährlich bereitgestellten 1,6 Mrd. DM (1995) verteilen sich zu 69<0> <>% (1,1 Mrd. DM) auf Projekte der ESA und zu 31<0> <>% auf nationale Projekte. Die ESA ist durch ihr Statut zur friedlichen Nutzung des Weltraums verpflichtet, und bei nationalen Projekten hatte die Bundesrepublik Deutschland eine militärische Nutzung bislang aus prinzipiellen Erwägungen ebenfalls ausgeschlossen. Seit Anfang der achtziger Jahre, im Gefolge des SDI-Programms und der Weltraummilitarisierung unter US-Präsident Reagan, wurde in verschiedenen Berichten, insbesondere der WEU und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), jedoch die Absicht ausgesprochen, zivile Weltraumprogramme für militärische Zwecke zu verwenden (Dual-use).

Der Preis, der für die Herstellung und Nutzung militärischer Aufklärungssatelliten gezahlt werden wird, ist nicht nur finanziell sehr hoch. Die Konsequenz ist die Aufgabe des bisher fast ausschließlich zivil ausgerichteten Raumfahrt-Programms der Bundesrepublik Deutschland und auf mittlere Sicht die Dominanz der militärischen Weltraumnutzung. Im einzelnen lassen sich die folgenden Konsequenzen vorhersehen:

  • Rechnet man konservativ mit Kosten von 30 Mrd. DM für das vorgeschlagene Gesamt-System mit 6 Satelliten5, entfallen auf Deutschland bis zum Jahr 2010 bei einer Beteiligung von 40<0> <>% jährliche Kosten von 800 Mio. DM, das sind ca. 50<0> <>% des heutigen Gesamt-Raumfahrtbudgets. Den enormen Kosten steht (außer den Arbeitsplätzen bei der Dornier Deutsche Aerospace) kein erkennbarer Nutzen gegenüber.
  • Berücksichtigt man, daß die Aufklärungs-Satelliten nicht die einzigen militärischen Satelliten der WEU bleiben, werden die militärischen Raumfahrtausgaben die zivilen innerhalb der nächsten 15 Jahre übersteigen.
  • Deutschland müßte konsequenterweise dem Beispiel Frankreichs folgen und die militärische Raumfahrt institutionell verankern, etwa indem sie die Deutsche Agentur für Raumfahrt-Angelegenheiten (DARA) mit der Durchführung militärischer Projekte beauftragt.
  • Der in den Statuten der ESA festgelegte Auftrag, Raumfahrt nur zu friedlichen Zwecken zu betreiben, wird vollständig ad absurdum geführt, wenn jede technologische Entwicklung direkt für den Einsatz im militärischen Bereich verplant wird, wie im gegenwärtigen Beispiel die Relais-Satelliten DRS.
  • Der Beginn neuer Weltraumforschungs-Programme durch die ESA dürfte erheblich erschwert werden. So erwartet die ESA für ihr jüngst beschlossenes Gesamt-Programm Horizon 2000 Plus, daß die Teilnehmerländer ab dem Jahr 2000 ihre Beiträge um 4-5<0> <>% jährlich erhöhen. Dies fiele in einen Zeitraum, für den auch die WEU die größten Ausgaben erwartet. Da die Finanz-Vorstellungen der ESA jetzt schon umstritten sind, dürfte Horizon 2000 Plus bei zusätzlichen Ausgaben im militärischen Bereich kaum durchsetzbar sein.
  • Wirtschafts- und industriepolitisch dürfte diese Entwicklung negative Auswirkungen haben. Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten überzeugend bewiesen, daß technologischer Fortschritt auch und gerade ohne Rüstungsforschung möglich ist. Die Anwendung im militärischen Bereich wird keine Innovation hervorbringen, stattdessen jedoch wichtige finanzielle Ressourcen binden. Anstelle eines »Spin-offs« in den zivilen Bereich wird über die Dual-use-Strategie umgekehrt versucht, den zivilen Sektor für militärische Zwecke zu verplanen.
  • Die Anwendung der zivil entwickelten Raumfahrt-Technologien im militärischen Bereich ist ein Affront gegen eine Großzahl von Beschäftigten bei der ESA, an nationalen Forschungs-Instituten, ja selbst in der Industrie, die im guten Glauben, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, jetzt erkennen müssen, daß die Früchte ihrer Arbeit mißbraucht werden.
  • Die militärische Nutzung des Weltraums beschleunigt den Legitimationsverfall der Weltraumforschung und könnte so zu ihrem Totengräber werden. Da bereits bei den bemannten Raumfahrt-Projekten Milliardensummen ausgegeben und gefordert werden, die nicht zu rechtfertigen sind, hat das Image der Weltraumforschung in der Öffentlichkeit erheblich gelitten. Wenn jetzt der Weltraum zur neuen Arena der Aufrüstung würde, dürfte die Akzeptanz weiter schwinden.

Literatur

D. Engels, J. Scheffran, Bundesdeutsche Weltraumpolitik – Großmachtstreben im All, Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/1987, S. 764ff.

U. Erich, W. Kriegl, Weltraumgestützte Aufklärung und Krisenüberwachung, Dornier Post 3/1992, S. 18/19.

K. Kaiser, S. von Welck (Hrg.), Weltraum und internationale Politik, München, 1987.

M. Krepon et.al. (Hrg.), Commercial Observation Satellites and International Security, London etc., 1990.

B. Jasani, The Use of Commercial Satellite Images for Conventional Arms Control, in: J. Altmann et al (Hrg.), Verification at Vienna – Monitoring Reductions of Conventional Armed Forces, Gordon and Breach, 1992, S. 140-169.

J. Richelson, The Future of Space Reconnaissance, Scientific American, 1/1991, S. 33-44.

J. Rüttgers, Europas Wege in den Weltraum, Frankfurt/Main 1989.

J. Scheffran, Die europäische Weltraumgemeinschaft – Aufbruch in die Zukunft?, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/1985.

J. Scheffran, D. Engels, E. Heinemann, Dual-use in der Raumfahrt, in: W. Liebert, R. Rilling, J. Scheffran (Hrsg.), Die Janusköpfigkeit von Forschung und Technik, Marburg, 1994, S. 108ff.

M. Sheehan, West-European Military Space Cooperation, Defense Analysis, Vol.9, No.3, Dec. 1993, S. 329-340.

H. Spitzer, Constraints on the technology contributing to militarization of space, in: H.G. Brauch, et al (Hrg.), Controlling the Development and Spread of Military Technology, Amsterdam 1992.

J.H. Wallner, Konventionelle Rüstungskontrolle und Fernerkundung in Europa, Doktorarbeit am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, 1994.

J. Weyer (Hrg.), Technische Visionen – politische Kompromisse. Geschichte und Perspektiven der deutschen Raumfahrt, Berlin: edition sigma, 1993.

Beobachtungssatelliten für Europa, Bericht einer Expertengruppe, Bonn: DGAP, 1990.

Memorandum Kritik der Bonner Weltraumpolitik, vgl. Forum Wissenschaft 3/1987, S. 48ff.

The development of a European space-based observation system, Part 1+2, WEU-Dokumente 1304/1393 30.4.1992/8.11.1993.

Anmerkungen

1) Eine ausführlichere Studie zu dieser Thematik mit ausführlichen Quellenangaben ist bei der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« erhältlich. Die Presseerklärung anläßlich des deutsch-französischen Gipfels am 29./30. November 1994 ist auf den »Blauen Seiten« dieses Hefts abgedruckt. Zurück

2) Germany Intends to Spend Billions on Military Space, Defense News, 17.-23.10.94. Zurück

3) Obgleich die WEU schon 1993 eine Entscheidung für 1995 angekündigt hat, erschienen Berichte in der deutschen Presse erst im Oktober 1994, vgl. Süddeutsche Zeitung, 25.10.94, Stern, 10.11.94. Außer in Regierungskreisen scheinen die Planungen lediglich im Verteidigungs-Ausschuß des Bundestages diskutiert worden zu sein. Zurück

4) »Europa-Archiv«, 2/92, S. D45. Zurück

5) Der Kostenvoranschlag der WEU beträgt mehr als 20 Mrd. DM, dazu müssen die Start- und Betriebskosten sowie die übliche Teuerungsrate gezählt werden. Zurück

Dieter Engels ist Astronom und arbeitet an der Hamburger Sternwarte. Jürgen Scheffran ist Physiker, Wissenschaftlicher Assistent bei IANUS an der TH Darmstadt und Mitglied im Coordinating Committee des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP).

Dual use? Militär und Weltraumfahrt

Dual use? Militär und Weltraumfahrt

Thesen zur Diskussion

von Ulrich Albrecht

1. Die Raumfahrtpolitik ist weltweit in eine Phase kritischer Diskussion geraten besonders in Bezug auf bemannte Raumfahrt und die Verbindung zu militärischer Rüstung.

In der UdSSR erscheint Raumfahrt namhaften Kritikern in der zugespitzten Situation des wirtschaftlichen Umbaus, der »Perestroika«, als einer der Auswüchse der verfehlten Politik von Prestigeobjekten der Vergangenheit. Selbst ehemalige Raumfahrer, etwa der Wissenschaftler K. Feoktistow, engagieren sich stark kritisch in dieser Debatte.1 In den USA hat das »Advisory Committee on The Future of the U.S. Space Program« (nach dem Vorsitzenden auch »Augustine Report« genannt), immerhin eine Gruppierung aus dem Raumfahrtestablishment, im Dezember 1990 kräftige Abstriche an der Priorität der Space Shuttle, eine weniger aufwendige Konzipierung bemannter Raumstationen, vor allem aber eine stärkere Betonung von wissenschaftlichen Projekten der nicht bemannten Raumforschung vorgeschlagen. Besonders das Office of Technology Assessment des US Kongresses (OTA) hat sich sehr dezidiert mit den Beziehungen zwischen Rüstungs- und Zivilforschung befaßt und gelangt 1989 zu dem Ergebnis:

„Mehr und mehr wird Spitzentechnologie im Zivilsektor entwickelt und findet hernach den Weg zur Verwendung in der Rüstung.“

UNIDIR, das United Nations Institute for Disarmament Research befand gleichfalls 1990 bündig:

„The bulk of interaction between military and civilian R&D goes the other way: from civilian to military R&D.“

In der Bundesrepublik sollte die „Entschließung zur bemannten Raumfahrt“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vom vergangenen Dezember eigentlich breitere Beachtung finden. Die namhaften Unterzeichner der Entschließung ziehen den Nutzen bemannter Projekte grundsätzlich in Zweifel. „Haupttriebfeder“ für solche Vorhaben sei in der Vergangenheit der „politische und militärische Wettbewerb“ der Mächte gewesen. Spin-off-Effekte seien „derzeit nicht zu erkennen.“ Die drei größeren Friedensforschungsinstitute in Deutschland – die Hessische Stiftung, die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft und das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik – haben in ihrem »Friedensgutachten 1990« die Bundesregierung aufgefordert, „die Aufwendungen für militärische Projekte schon jetzt drastisch zu senken und die freiwerdenden Mittwel für die Lösung der Umwelt- und Entwicklungsländerproblematik einzusetzen.“

2. Für »dual use« geeignete, sowohl für militärische wie für zivile Zwecke nutzbare Forschung, wird besonders in öffentlich geförderten Programmen vermutet, während die privatwirtschaftlich finanzierte Forschung diesen Ansatz kaum kennt.

Regierungen sind besonders an der Steuerung von Forschung interessiert, aus wirtschaftspolitischen und auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Die öffentliche Hand bestreitet den Löwenanteil der Forschungsausgaben im Sozialprodukt (in der OECD-Nomenklatur GERD, Gross Domestic Expenditure on R&D, in Deutschland 37 %). Daraus erwachsen für Regierungen Legitimierungsprobleme, die der von der Wirtschaft betriebenen Forschung fremd sind. Die Thesen vom »dual use«, vom »spin off“/“spill over“/“fall out« (die terminologischen Schwankungen verweisen auf Unsicherheiten) stellen wichtige Versuche solcher regierungsamtlichen Rechtfertigungen dar. Angemessen behandelt man sie zuallererst als Rechtfertigungsbemühungen und nicht als Versuche, Probleme wirklich zu analysieren.

3. Im Spektrum von Technologien bilden »dual use«-Beispiele ein begrenztes Segment.

Es gibt Schnittstellentechnologien wie Computerwissenschaft, Avionik, Halbleitertechnologien und Elektronik, die breit beiden konkurrierenden Verwendungsmöglichkeiten offenstehen. Daneben lassen sich Technologielinien angeben, etwa in der Werkstofforschung, die in begrenzterem Maße doppelwertig sind. Die erwähnte OTA-Studie konzentriert sich exemplarisch auf drei Technologielinien (Softwareentwicklung, Optronik und Verbundwerkstoffe), diesen Befund bestätigend. Von der Masse der Rüstungstechnologie, so ein sich herausbildender Konsens in der Forschung, ist hingegen mehr und mehr eine zivile Anwendbarkeit nicht zu erwarten.

Die Bedeutung solcher Schnittstellentechnologien steigt andererseits rasch, was die These von der Bedeutung des »dual-use«-Aspekts steigert, wie etwa der Executive Director des US Defense Science Board, Welch, unterstreicht.5

Der analytische Schwachpunkt der »dual-use«-Debatte liegt allgemein darin, daß zwischen ziviler und militärischer Forschung nach input-Kriterien unterschieden wird (wenn auch nicht frei von Vorstellungen zu Forschungsergebnissen), nämlich nach der Finanzierungsart, während die im politischen Streit liegenden Konzepte (»dual use«, »spin-off«) Verwendungskriterien wiedergeben. Dieser Unterschied läßt sich analytisch nicht aufheben.

4. Zwischen ziviler und militärischer Forschung gibt es Wechselwirkungen, die nicht symmetrisch ausfallen und deren Hauptrichtung sich mehr und mehr verlagert vom Zivil- zum Militärsektor.

Im Kalten Krieg (damals mit mehr Berechtigung) herrschte die Annahme vor, daß von der Rüstungsforschung als Leitsektor starke Impulse auf das technologische Niveau einer Volkswirtschaft insgesamt ausgehen, auch wenn die Übertragungsmechanismen nicht bekannt und die Effekte nicht quantifizierbar seien. In neueren Untersuchungen, etwa der UN-veranlaßten Studie „The military use of R&D“ , wird nunmehr festgehalten, daß neben den Technologielinien der Entstehungszyklus von Waffen für spin-offs sehr unterschiedlich wirksam ist: in der Phase der Grundlagenforschung gelten diese als erheblich, in der (die größten Kostenanteile verschlingenden) Phase der Durchentwicklung als besonders gering.6 Gewichtige Akteure wie die Kommission der EG äußern heute die eingangs von der OTA zitierte Auffassung, daß dort, wo es Verbindungen zwischen beiden Forschungssektoren gibt, die Wirkrichtung vorrangig vom zivilen zum militärischen Sektor verläuft. Die UNIDIR-Studie spricht von »spin-on« oder »spin-in«. Verschoben wird das Bild ferner durch den Tatbestand, daß von militärischer Seite zivile Forschungen systematisch beobachtet und genutzt werden, während dies in umgekehrter Richtung kaum zutrifft.

5. Da sich die Schubkräfte für militärische und zivile Forschung unterschiedlich entwickeln, steht eine weitere Minderung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Rüstungsforschung an.

Das qualitative Wettrüsten zwischen Ost und West hat vorrangig der Rüstungsforschung Schub gegeben. Künftig entfällt dieses Triebmoment weitgehend. Der Wettbewerb auf Zivilmärkten verliert international keineswegs an Schärfe.

In Bereichen wie Unterhaltungs- und Gebrauchselektronik, der alltäglichen Verwendung von Computern, in der Elektrooptik und der Verwendung von Glasfasern zur Datenübermittlung werden zivile Umsätze jede militärische Nachfrage um Größenordnungen überschreiten und die forschungspolitischen Entscheidungen bestimmen. Zwar handelt es sich um »dual-use«-Technologien, aber der Zivilsektor wird hier in Führung liegen, während die militärischen Anwendungen nachfolgen. Daraus ergibt sich, daß die Förderung solcher Forschungslinien über den Militärhaushalt verfehlt wäre.

6. Aus übergeordneten abrüstungspolitischen Gründen bleibt eine Verringerung der Rüstungsforschung wünschenswert.

Seit nunmehr drei Jahrzehnten wird in der Debatte über Möglichkeiten zur Rüstungsbeschränkung gezielt auf die Rüstungsforschung verwiesen (vergl. etwa die US „Outline for Basic Provisions on a Treaty on GCD in a Peaceful World“ vom 18.4.62: die UN sollten „collect reports from the Parties to the Treaty on any basic scientific discovery and any technical innovation having potential military significance“; außerdem sollte verifiziert werden, „that such discoveries and inventions were not utilized for military purposes“). Seither gibt es eine Reihe von Vorschlägen, aus Ost und West, das Wettrüsten durch Beschränkungen der Rüstungsforschung zu begrenzen, besonders aus Skandinavien. Die »dual-use«-Debatte sollte solche übergordneten abrüstungspolitischen Bemühungen einbeziehen.8

Anmerkungen

1) Eine Anzahl von Belegen habe ich in dem Band The Soviet Armaments Industry zusammengetragen (i.E. bei Harwood Academic Publishers, London Zurück

2) US Congress, Office of Technology Assessment, Holding the Edge: Maintaining the Defense Technology Base, OTA-ISC-420, Washington, D.C.: US Government Printing Office, April 1989, S. 5 (Übersetzng d. Verf.). Zurück

3) UNIDIR, Science and technology between civilian and military research and development. Armaments and development at variance, Research Papers No. 7, New York, Nov. 1990, S. 17. Zurück

4) Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Friedensgutachten 1990, Münster/Hamburg 1990, S. 13. Zurück

5) Thomas J. Welch, Technology Change and Security“, in: Washington Quarterly , vol. 13, no. 2, Spring 1990, bes. S. 112. Zurück

6) Vergl. die Sonderausgabe des Bulletin of Peace Proposals, „Military Use of R&D: The Arms Race and Development“, vol.19, no. 3/4 1988 (dort ist der erwähnte Bericht mit Kommentar zu finden). Zurück

7) Zit. nach: Documents on Disarmament, vol.l, Washington, D.C., (ACDA, publication 19), 1963, S. 379. Zurück

8) Bei den Thesen handelt es sich um einen Vorabdruck des Beitrags von U. Albrecht in: Wolf-Michael Catenhusen, Werner Fricke (Hrsg.): Raumfahrt kontrovers. Perspektiven der deutschen und der europäischen Weltraumpolitik. Forum Humane Technikgestaltung Heft 3. Friedrich Ebert-Stiftung, Bonn 1991. Zurück

Prof. Dr. Ulrich Albrecht ist Hochschullehrer für Politische Wissenschaften an der FU Berlin.

SDI: Neue Begründungen – neue Gelder

SDI: Neue Begründungen – neue Gelder

von Bernd W. Kubbig

Wie im Vorjahr beantragte die Bush-Administration Anfang 1991 für Raketenabwehrprogramme Finanzmittel, die weit über der letzten Bewilligung des Kongresses liegen. Für das am 1. Oktober 1991 beginnende Haushaltsjahr 1992 forderte die Exekutive 5,2 Mrd. USD. Das wären im Vergleich zum letzten SDI-Etat von 2,9 Mrd. USD fast 100% mehr. Dieses Budgetvolumen ist taktischer Art. Die Administration weiß, daß eine solche Steigerungsrate illusorisch ist.

Die Entwicklungen 1990/91

Sollte das politische Tauziehen um den SDI-Etat bei einem Wachstum von 20% – also bei ca. 3,5 Mrd. USD – enden, wäre nicht nur die magische Dreimilliardengrenze überschritten. Bei einer realen (und minimalen) Verminderung des gesamten Militärhaushalts von ca. 1% wäre SDI »gut davongekommen«. Selbst 3 Mrd. USD ist immer noch ein großes Volumen für ein Programm, das nach dem Zusammenbruch »des Kommunismus« und angesichts der sich entwickelnden politischen Partnerschaft zwischen den Supermächten seine ursprüngliche Begründung verloren hat – nämlich die UdSSR zusätzlich abzuschrecken, sowjetische Raketen abzuwehren und mit den entsprechenden »Defensiv“aktivitäten Moskaus mitzuhalten.

Bereits vor dem Golf-Konflikt lancierten die SDI-Befürworter eine neue Begründung, um die Raketenabwehrprogramme zu legitimieren: Die anwachsende Gefahr, die von der Weiterverbreitung von Atomwaffen, vor allem in der Dritten Welt, ausgeht.

Auf der konzeptionellen Ebene zwang diese fundamental neue Bedrohungslage das Pentagon, erneut mit einem veränderten SDI-Design zu reagieren. Die nun maßgebliche Ausrichtung der Strategischen Verteidigungsinitiative läuft auf einen Schutz vor Kurzstreckenraketen hinaus. Das ist im Vergleich zu den erklärten Zielen der Reagan-Ära ein äußerst bescheidenes Ziel. Es stellt den endgültigen Abschied von der Idee eines nahezu perfekten Schutzschildes gegen feindliche Raketen, vor allem aus der Sowjetunion, dar. Gleichgeblieben ist indes die pragmatisch-flexible Art und Weise, in der die Bush-Administration auch im letzten Jahr die Strategische Verteidigungsinitiative behandelte. US-Präsident Bush hat sie nicht zur »persönlichen Chefsache« gemacht.

Das neue Kürzel: GPALS

An die Stelle des Kürzels SDI tritt mehr und mehr das Akronym GPALS (Global Protection Against Limited Strikes). Dieses Konzept behält die Idee bei, daß ein Abwehrsystem aus mehreren Schichten bestehen soll. Kernelement ist gegenwärtig eine Kombination von 1. landgestützten, mobilen Abwehrsystemen, vor allem die Entwicklung der als »Super-Patriot« bezeichneten ERIS-Rakete und 2. von weltraumgestützten Brilliant Pebbles, also relativ kleinen HighTech-Abwehrraketen.

GPALS wiederum ist trotz seiner bereits stark reduzierten Zielsetzung ein umfassendes Konzept in der neuen Raketenabwehrarchitektur der SDI-Bürokratie (SDI Organization, SDIO). TPALS und CPALS könnten ihm mit noch weniger anspruchsvollen Missionen vorgeschaltet werden, nämlich zunächst der Transport (»T«) von Waffen und Sensoren per Flugzeug auf einen eventuellen Kriegsschauplatz, um die »Expeditionskorps« der USA und ihrer Verbündeten zu schützen. Darüber hinaus mache der Schutz von auf amerikanischen Territorium stationierten Waffen (»C« für Continental) gegen Raketen der Dritten Welt es erforderlich, daß zu den landgestützten Abwehrraketen Brilliant Eyes kommen, also Sensoren im Weltraum, die feindliche Sprengköpfe in der Freiflug- sowie der Endphase abfangen. Auf CPALS und TPALS soll dann die erste Phase eines strategischen Verteidigungssystems aufgebaut werden. Diese »erste Phase« dürfte sich nicht wesentlich, sondern nur in der Anzahl der Systeme vom gegenwärtig propagierten Konzept des Global Protection Against Limited Strikes unterscheiden. Die Raketenabwehrbefürworter jonglieren hier mit den Zahlen, was zeigt, wie wenig ausgereift alle diese Konzepte sind. Zur Zeit werden die land- und weltraumgestützten Systeme mit je ca. 1000 angegeben. Frühere Vorstellungen gingen von erheblich mehr Waffen aus.

Erfolgswaffe »PATRIOT«?

Es kann nicht verwundern, daß die SDI-Befürworter versuchten, vor allem aus dem Einsatz der Patriot-Abwehrwaffe im Golf-Krieg (haushalts)politisches Kapital für den gesamten Raketenabwehrbereich zu schlagen. Zunächst setzten sie die Patriot mit der Strategischen Verteidigungsinitiative gleich. Führende Vertreter, insbesondere aus der SDI-Bürokratie, waren darüber hinaus bemüht, die weltraumgestützten Brilliant Pebbles als Lösung für unberechenbare Diktatoren mit nuklearem Ehrgeiz wie Saddam Hussein zu propagieren. Andere Befürworter einer Raketenabwehr – insbesondere Senator Warner – wollten die Gunst der Stunde nutzen und den rüstungskontrollpolitisch zentralen Raketenabwehrvertrag (ABM) so verändern, daß er zur bloßen Makulatur geworden wäre.

Diese Argumentationsversuche konnten von den SDI-Kritikern leicht entkräftet werden. Sie wiesen darauf hin, daß gerade das Patriot-Programm außerhalb der SDI-Bürokratie verwaltet und finanziert worden ist. Seit den siebziger Jahren unterstand es einer bürokratischen Einheit der Armee in Huntsville, Alabama. Die Patriot war ursprünglich zum Abfangen von Flugzeugen entwickelt worden, erst Änderungen in der Computer-Software und bei den Sprengköpfen machten sie für die Abwehr taktischer Raketen tauglich – und auch dies nur gegen technisch veraltete, langsam fliegende und nicht zielgenaue Scud-Waffen des Irak, die dazu nicht mit nuklearen Sprengköpfen ausgestattet waren. Die Patriot und entsprechende Weiterentwicklungen würden, so die SDI-Kritiker keinen nennenswerten Schutz gegen eine Vielzahl nuklearer Raketen mit internationaler Reichweite bieten. Außerdem waren selbst die »Leistungen« der Patriot im Golf-Krieg mehr als fraglich: 158 Systeme hatte man starten müssen, um 47 der mehr als 70 vom Irak abgefeuerten Scud-Raketen »erfolgreich« angreifen zu können. Die meisten der Patriots hatten sich nach erfolgloser Zielsuche selbst zerstört.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt war die Strategie, mit den »Erfolgen« der Patriot der Strategischen Verteidigungsinitiative insgesamt zu einem neuen Aufschwung zu verhelfen, nicht wirkungsvoll. Eher ist das Gegenteil der Fall, wenn man die Entscheidung des Verteidigungsausschusses im Repräsentantenhaus als Omen für die Ausrichtung und Zusammensetzung des nächsten SDI-Haushalts nimmt. Das Armed Services Committee plädierte mehrheitlich dafür, das größte SDI-Einzelprogramm (von l,6 Mrd. USD) für eine baldige landesweite Raketenabwehr zu streichen (davon 600 Mio. USD für Brilliant Pebbles).

Unterstützung finden demgegenüber bodengestützte Abwehrprojekte, etwa die Entwicklung der »Super-Patriot« ERIS, die strategische Raketen abfangen soll (Anfang 1991 fand ein erfolgreicher Test statt, bei dem eine ERIS eine Rakete interkontinentaler Reichweite abwehrte und zerstörte). Der Verteidigungsausschuß befürwortete zudem die von der Administration geforderten 883 Mio. USD für Programme zur Abwehr taktischer Raketen, und zwar in voller Höhe. Dieses Votum ist sicherlich mit eine Auswirkung des Patriot-Einsatzes im Golfkrieg. Gegenüber dem Vorjahr ist dieser Bereich sehr stark aufgewertet worden (das Finanzvolumen hat sich um mehr als 100% gesteigert). Darüber hinaus votierte die Mehrheit des Armed Services Committee dafür, der Armee sämtliche Programme zur Abwehr taktischer Raketen zu übertragen. Diese Entscheidung, die eine Schwächung der SDI-Bürokratie und eine Stärkung der Streitkräfte bedeuten dürfte, will möglicherweise die kontinuierliche Entwicklung dieser Technologien sicherstellen.

Der Versuch, den ABM-Vertrag zu verwässern, schlug ebenfalls im Kongreß fehl. Aber auch die Administration, die den START-Vertrag unter Dach und Fach bringen möchte, will den Abschluß dieses Abkommens nicht zusätzlich gefährden. Die UdSSR macht zwar ihr Ja zu einem START-Vertrag nicht mehr von der Auslegung des ABM-Abkommens abhängig. Allerdings haben die Sowjets wiederholt damit gedroht, daß sie unilaterale Erklärungen hinsichtlich eines Junktims abgeben könnten.

Unklar ist gegenwärtig, welchen Stellenwert die Bush-Administration und der Kongreß den Antisatelliten-Technologien (ASAT) beimessen, die mit den Raketenabwehrwaffen eng verwandt sind. Gesichert ist hingegen, daß das Repräsentantenhaus letztlich festgeschrieben haben möchte, daß ein zentrales ASAT-Programm, der chemische Laser (MIRACL) bis September 1993 nicht in der Testanlage von White Sands, NM, getestet werden darf.

Bewertung und Perspektiven

Der Golf-Krieg hat nicht zu einer neuen inneramerikanischen Debatte über die gesamte Strategische Verteidigungsinitiative geführt. Er hat auch keinen Aufschwung von SDI bewirkt. Der Konflikt trug jedoch mit dazu bei, die Raketenabwehrprogramme nach dem Ende des Kalten Krieges neu zu gewichten und auszurichten, nämlich zugunsten einer bodengestützten Abwehr, bei der das Abfangen taktischer Raketen einen weitaus größeren Stellenwert hat als zuvor. Abzuwarten bleibt, ob etwa weiter entwickelte Patriot-Raketen beispielsweise in Israel aufgestellt werden, denn die Israelis entwickeln mit amerikanischer Unterstützung ein eigenes Programm vom Typ Arrows.

Die Zukunft des neuesten Phase I-Konzepts der Administration mit weltraumgestützten Brilliant Pebbles im Mittelpunkt ist mehr als fraglich. Wird dieses bisher größte Einzelprogramm erheblich gestutzt, wird der Abschied von den Versuchen, möglichst früh Waffen im Weltraum aufzustellen, eingeleitet. Damit vermindert sich auch der Druck auf den ABM-Vertrag, der eine solche Dislozierung verbietet. Für die absehbare Zeit läuft das SDI-Programm auf eine Mischung aus langfristig zu entwickelnden Raketenabwehrsystemen und Waffen zur Abwehr taktischer Raketen hinaus.

Zusammengefasst: Kein politischer Aufschwung für SDI, aber wahrscheinlich ein finanzieller Anstieg der Mittel trotz der kaum noch vorhandenen sowjetischen Bedrohung. Auch wenn der Kongreß die Forderungen der Administration um ein Drittel auf ca. 3 Mrd. USD kürzen und die Steigerungsrate damit kappen würde, wäre ein solcher Finanzsockel ein verläßlicher Indikator dafür, daß die Strategische Verteidigungsinitiative zumindest im letzten Jahr ihre Eigendynamik bewahren konnte.

Dr. Bernd W. Kubbig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt/M.