Neues zur militärischen Eroberung des Weltraums

Neues zur militärischen Eroberung des Weltraums

von Christopher Cohen

Mehr als sieben Jahre sind vergangen, seit die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) zur Forschung und Entwicklung von strategischen Raketenabwehrsystemen von R. Reagan eingeleitet wurde. Während die Auseinandersetzung um die Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit der militärischen Eroberung des Weltraums in den Jahren 1983-1986 die friedens- und militärpolitische Diskussion auch der Bundesrepublik entscheidend prägte, ist es in den letzten Jahren vergleichsweise ruhig um SDI geworden.

Die Annäherung zwischen der UDSSR und den USA, die sich in Gipfeldiplomatie, INF-Vertrag und gemeinsamen Anstrengungen zur Beilegung von Konflikten in der »Dritten Welt« materialisiert hat, bestimmt das öffentliche Bild der Friedens- und (Ab)Rüstungspolitik. Sie hat Rüstungsprojekte wie SDI aus dem Blickfeld verdrängt. Doch SDI ist nicht vergangene Geschichte. Dies in einer sehr umfassenden Weise analysiert und dargestellt zu haben, ist das Verdienst eines zweibändigen Kompendiums, Die militärische Eroberung des Weltraums“, das Anfang des Jahres von Bernd W. Kubbig herausgegeben wurde. Die Bände, die eine Sammlung aus zum Teil schon veröffentlichten und zum Teil neuen Beiträgen verschiedener Autoren darstellen, markieren einen Zwischenstand in der SDI-Diskussion.

Die Veröffentlichung trägt den umfassenden Anspruch, SDI hinsichtlich „der wichtigsten Bedingungsfaktoren von Rüstung und ihrer Kontrolle“ zu untersuchen: „der Sicherheits- und Technokultur sowie wirtschaftlicher Aspekte.“ (Kubbig, S. 7)

Die Beiträge des ersten Kapitels Geschichte, Politik und politische Kultur setzen sich ausführlich mit den politischen Rahmenbedingungen von SDI auseinander. Dazu zählen eine Aufarbeitung der Raketenabwehrdiskussion und -entwicklung seit den fünfziger Jahren (Rudolf Witzel), eine Analyse der innenpolitischen Situation, die Reagan zu seiner »Star Wars«-Rede und der Initiierung von SDI bewegte (Karsten Zimmermann) und eine Betrachtung des Zusammenhangs zwischen SDI und der politischen Kultur der USA (Jakob Schissler).

Die Untersuchung der verschiedenen politischen Strömungen in der amerikanischen SDI-Debatte von Bernd Kubbig bildet eine wichtige Grundlage zum Verständnis der seit 1983 komplex verlaufenden SDI-Diskussion. Kubbig differenziert zwischen den »SDI-Befürwortern«, und den »Frühstationierern«, die anstelle eines Langzeitprogramms die sofortige Stationierung erster realisierbarer Technologien fordern, den »SDI-Skeptikern«, die aus haushaltspolitischen Erwägungen SDI mit Kritik gegenüberstehen sowie den »SDI-Gegnern«, die aus prinzipiellen rüstungskontrollpolitischen Erwägungen gegen jede Form eines ABM-Systems sind.

Ein Mangel dieses Kapitels, das mit einem recht umfassenden Beitrag von Klaus Segbers zur sowjetischen Haltung zu SDI abschließt, ist die unzureichende Analyse der politischen Kräfte außerhalb der Administration und des Kongresses. Es wäre lohnenswert zu untersuchen, inwieweit insbesondere namhafte (Natur)Wissenschaftler der USA mit ihrer SDI-Kritik dazu beigetragen haben, daß „trotz der weiten Verbreitung eines vagen SDI-Mythos in den Vereinigten Staaten … festgehalten werden (muß), daß nur Teile der Bevölkerung dieses militärische Programm unterstützen. Was durch eine politische Kultur legitimiert wird, kann immer auch noch durch sachrationale Überlegungen der Kritik ausgesetzt sein. (…) Ca. die Hälfte der amerikanischen Bürger steht SDI skeptisch oder gar ablehnend gegenüber.“ (Schissler, S. 190f.).

Im zweiten Kapitel „Raketenabwehrtechnolgien und ihre Kontrolle“ werden nicht alle innerhalb von SDI entwickelten Raketenabwehrtechnologien untersucht. Auf eine umfassende Darstellung der SDI-Binnenstruktur wird verzichtet. Stattdessen konzentriert sich das Kapitel auf die neuartigen Laserwaffentechnologien und damit verbundene Fragen der Rüstungskontrolle und der strategischen Stabilität.

Im einleitenden Beitrag untersucht Eckhard Lübkemeier die Auswirkungen von Raketenabwehr auf die strategische Stabilität. „Bis heute beruht diese Stabilität auf einem einfachen Mechanismus: Wer als erster Nuklearwaffen gegen den anderen einsetzt, muß mit dessen untragbarer Vergeltung rechnen“ (S. 255). Alle Versuche, dieses strategische Gleichgewicht durch die Entwicklung eines eigenen partiellen oder umfassenden Schutzes zu verletzen, gefährden die strategische Stabilität. Dazu zählt z.B. die Entwicklung und Stationierung von Laserwaffen im Weltraum, wie Jürgen Altmann nachweist. Sie könnten auch offensiv, als »Schwert« gegen Satelliten geführt werden, wie es amerikanische ASAT-Projekte (Anti-Satellitentechnologien) vorsehen.

Statt Laserwaffen zu entwickeln, die schon im Test-Stadium den rüstungskontrollpolitisch bedeutsamen ABM-Vertrag mindestens seinem Sinne nach verletzen, wie Bernd W. Kubbig aufzeigt, ist es notwendig (Jürgen Wilzewski) und möglich (Jürgen Scheffran), Abkommen zwischen den USA und der UdSSR zur Begrenzung, bzw. dem Verbot von ASAT-Technologien zu schließen. Das Fazit dieses Kapitels ist ebenso einfach wie einleuchtend: Jeder Versuch der Erhöhung der eigenen Sicherheit durch Defensivrüstung könnte einfacher, billiger und risikoloser durch kooperative Rüstungskontrolle und Abrüstung erzielt werden.

Im dritten Kapitel werden Westeuropäische Aspekte“ von SDI behandelt. Eckhard Lübkemeier stellt fest, daß die amerikanische Nukleargarantie für Westeuropa durch die Aufstellung von Raketenabwehrsystemen durchaus geschwächt werden könnte. Die Konsequenz westeuropäischer Rüstungs-Apologeten, zusätzlich zu SDI einen taktischen Schutzschirm für Westeuopa zu entwickeln, wird von Jürgen Altmann kritisiert. Technologisch ist eine taktische Raketenabwehr nicht einfacher als eine strategische zu realisieren und es treten ähnliche Probleme auf (keine Vorwarnzeiten, Sättigung durch vermehrte Offensivrüstung der Gegenseite, direkte Gegenmaßnahmen gegen das ATM-Sytem, etc.). Auch für die westeuropäischen Interessen gilt: die Stabilität wird am umfassendsten durch einen schrittweisen kooperativen Abbau der offensiven konventionellen und nuklearen Waffensysteme gesichert und ausgebaut.

Einen gerade von westeuropäischen SDI-Befürwortern strapazierten Bereich greift das vierte Kapitel Wissenschafts- und technologiepolitische Dimensionen“ auf. Bernd W. Kubbig gibt im ersten Beitrag einen Überblick über die »Spin-Off«-Diskussion. Neben der Erläuterung der prinzipellen Probleme, die das quantitative und qualitiative Erfassen des zivilen Nutzens von militärischer Forschung und Entwicklung bereitet, stellt er die unterschiedlichen Positionen in den USA vor.

„Die Befürworter einer primär militärisch orientierten Industriepolitik verweisen darauf, daß das Verteidigungsministerium angesichts der traditionell unkoordinierten, fragmentierten Industriepolitik in den USA faktisch die größte nationale Koordinations- und Planungsinstanz sei.“ (S. 553) Aber: Das Pentagon produziert für den militärischen Bedarf. Ziel ist nicht der kommerzielle Erfolg. Dementsprechend ist das Verteidigungsministerium nicht markt- und verbraucherorientiert und erschwert durch die Geheimhaltungsvorschriften die ziviltechnologische Nutzung militärischer Forschung und Entwicklung. Die findet, wenn überhaupt, erst nach längerer Zeit Eingang in die zivile Technologien. Es stellt sich außerdem die Frage, ob entsprechende zivile Erfolge nicht einfacher durch eine zivil angelegte Forschung und Entwicklung erzielt werden könnten?

Entsprechendes gilt konkret für das SDI-Projekt, wie Kubbig in einem zweiten Beitrag nachweist. Nach einem Exkurs in das zivil angelegte europäische Pendant zu SDI, EUREKA, (Johannes M. Becker), zeigt Kubbig im abschließenden Beitrag dieses Kapitels auf, daß die bundesdeutsche Beteiligung an SDI auch praktisch weder den erhofften Einfluß auf das SDI-Projekt noch einen nennenswerten ziviltechnologischen Ausfluß erbracht hat.

Zwei Fragestellungen bleiben in diesem wirtschafts- und technologiepolitischen Kapitel unbearbeitet: Erstens, welche Rolle SDI innerhalb der Wissenschaft(spolitik) spielt und zweitens, welche Bedeutung SDI aus rüstungsökonomischer Sicht zukommt. Eine Aufarbeitung dieser Fragen könnte eine Einschätzung Kubbigs aus dem Vorwort relativieren: „Zur verklammerten Sicherheits- und Technokultur gesellen sich in Reagans Vision wirtschaftliche Aspekte nur indirekt.“ (S. 12)

Im letzten Kapitel Ausblick beschäftigt sich Kubbig mit dem SDI-Projekt in der Nach-Reagan-Zeit. Er kommt zum Ergebnis, daß „die SDI-Politik der Bush-Administration … 1989 weitgehend im vorgezeichneten Rahmen der Regierung Reagan (verlief), allerdings mit geringerem Engagement, in langsamerem Tempo und bei einer entschärften Rhetorik. Die neue Exekutive blieb bei den lang- und kurzfristigen Zielsetzungen für SDI: das Nuklearpotential allmählich durch ein »Defensiv“system zu ersetzen und eine baldige Stationierung einer ersten Phase von Raketenabwehrwaffen anzustreben, was eine Aufkündigung des ABM-Vertrags erforderlich macht. (…) Ob sich der Präsident und seine Administration mit größerer zeitlicher Entfernung vom SDI-Initiator zu größeren Kürzungen entschließen, wird sich zeigen. (…) Es gibt Anzeichen dafür, daß die Legitimierung der Strategischen Verteidigungsinitiative etwas schwieriger wird. Aber ob derartige externe Faktoren die etablierte SDI-Struktur aufweichen können? Zweifel sind angebracht.“ (766f.)

In der Tat: Die vorliegenden beiden Bände machen deutlich, welch umfassenden Einfluß das SDI-Projekt innerhalb der innen und außenpolitischen, militär- und rüstungskontrollpolitischen, wirtschafts- und technologiepolitischen Entwicklung in den USA gewonnen hat. Mit einer Investitionssumme von mittlerweile weit über 20 Mrd $ ist SDI mit Abstand zum größten Forschungs- und Entwicklungsprojekt der USA avanciert, das auf allen politischen Feldern seine Spuren hinterläßt. Selbst wenn sein Etat auf etwas mehr als 2 Mrd. $ jährlich gekürzt werden sollte, wäre es immer noch doppelt so hoch wie die ABM-Ausgaben zu Beginn der 80er Jahre.

Die Lektüre dieser beiden Bände macht deutlich, wie wichtig die weitere Auseinandersetzung mit SDI ist. Insbesondere ihr umfassendes Herangehen an die Problematik der Weltraumbewaffnung zeichnet „Die militärische Eroberung des Weltraums“ aus und lädt zu weiterer Beschäftigung mit SDI ein. Fazit: Ein lesenswertes Buch für alle, die sich einen umfassenden Überblick über den Stand der SDI-Entwicklung und -diskussion verschaffen wollen.

 

SDI: The show goes on

SDI: The show goes on

von Christopher Cohen

Im März 1983 kündigte Ronald Reagan die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) als „Vision der Zukunft“ an und rief die „Gemeinschaft der Wissenschaftler“ auf, „uns die Mittel an die Hand zu geben, um diese Kernwaffen unwirksam und überflüssig zu machen“. (Cohen, S. 5) In den folgenden Jahren entwickelte sich das SDI-Programm zu einem der größten militärischen Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Geschichte der USA. Waren es im Haushaltsjahr 1984 noch etwa 1 Mrd. $, die für SDI aufgebracht wurden, steigerte sich der SDI-Etat bis 1986 schon auf mehr als 3 Mrd. $. (Vgl. Cohen, S. 72) Bekanntlich sah sich SDI breiter Kritik ausgesetzt. Im Mittelpunkt stand neben Fragen der technologischen und finanziellen Realisierbarkeit die rüstungskontrollpolitische Kritik: Statt ein Defensivsystem zur Abwehr strategischer Raketen der Sowjetunion zu entwickeln, sollten die USA sich mit der UdSSR auf eine Abrüstung eben dieser Waffen (und aller anderen Nuklearsysteme) einigen, um nukleare Offensiv- wie Defensivsysteme überflüssig zu machen.

I. Sieben Jahre SDI

Die massive Kritik an SDI führte zu beträchtlichen Kürzungen der beantragten Mittel. Von 1984 bis 1990 wurden statt der beantragten 29 Mrd. $ etwa 21 Mrd. $, rund 70%, bewilligt (berechnet nach Cohen, S. 72; SDI-Report 89, S. 8-4, AWST, 27.11.89, S. 21). Es gelang aber nicht, das SDI-Projekt zu stoppen oder ernstlich zu gefährden.

Im Gegenteil: aufgrund der vorgenommenen finanziellen Abstriche entschloß sich die US-Regierung im Herbst 1986 zu einer Umstrukturierung des SDI-Projekts zugunsten derjenigen Technologien, die am schnellsten zur Serienreife entwickelt werden können, um eine frühe Stationierung (»early deployment«) dieser Systeme zu ermöglichen. Zukunftstechnologien wie Laser- oder Teilchenstrahlenwaffen wurden demgegenüber als »Follow-On«-Technologien in der Prioritätenliste zurückgestuft und zeitlich gestreckt (vgl. Rilling, S.3). (Dies fiel um so leichter, als in diesen Programmen erwünschte Erfolge ausblieben)

Auf dieser Grundlage wurde 1987 die Phase I des »Strategic Defense System (SDS)« eingeleitet. Sechs der am weitest fortgeschrittenen Programme wurden auf Empfehlung des Defense Acquisition Board in die Demonstrations- und Validierungsphase (dem/val) übernommen (vgl. AWST, 10.8.87, S. 28f.). Im einzelnen betrifft es die Sensorprogramme BSTS, SSTS und GSTS, die Abfangraketenprogramme SBI und GBI (vormals ERIS) und das Programm zur Entwicklung eines Befehls- und Kommunikationssystems CC/SOIF (vormals BMC3).

Mit dem Übergang in die dem/val-Phase haben diese Programme eine wichtige Hürde (milestone) auf dem Weg zu einer Stationierungsentscheidung genommen. Im Rahmen des formellen Entscheidungsprozesses müssen sie nur noch zwei solcher Hürden, die Entscheidung zur Full Scale Development (Prototyp) und anschließend die Produktionsentscheidung passieren (Vgl. AWST, 10-7-87, Rilling, S. 4). Bis Mitte der neunziger Jahre sollen sie zur Produktionsreife entwickelt und anschließend produziert und stationiert werden, um ein erstes Defensivsystem zu bilden, das etappenweise um neue Technologien ergänzt und ausgebaut wird.

Auch die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR, die im INF-Vertrag ein erstes materielles Ergebnis fanden, änderten nichts am Festhalten am SDI-Projekt. 1988 wurden rund 4 Mrd. $ bewilligt und auch für das letzte von ihr zu verantwortende Haushaltsjahr 1989 gelang es der Reagan-Regierung, einen Etat von etwa 4 Mrd. $ durchzusetzen (vgl. SDI-Report 89, S. 8-4).

II. Ein Jahr Bush-Administration

Viele KritikerInnen glaubten mit der Ablösung des SDI-Protagonisten Ronald Reagan durch George Bush im Januar 1989 das Schicksal von SDI besiegelt zu sehen. Technologisch nicht zu verwirklichen, haushaltspolitisch nicht zu verantworten und angesichts der Abrüstungsverhandlungen überflüssig, würde SDI nach Reagan einen lautlosen Tod sterben. Offensichtlich verkannten sie die Wirkung, die 21 Mrd. $ Forschungsmittel im Geflecht von Regierungs- und Militärbürokratie, Rüstungsindustrie und Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen hinterlassen haben.

Ein Jahr Bush-Regierung hat das Gegenteil offenbart: die neue Regierung führt das SDI-Projekt zwar rhetorisch etwas zurückhaltender, aber nicht minder ernsthaft als die vergangene Regierung fort.

Vier wesentliche Positionen der Bush-Regierung lassen sich nach einem Jahr festhalten:

  1. Raketenabwehrsysteme sollen im Rahmen des SDI-Projekts weiterhin erforscht, entwickelt und stationiert werden. Dies ist die zentrale Aussage der von Bush erlassenen National Security Directive 14 „ICBM Modernization and Strategic Defense Initiative“ vom 14. Juni 1989, mit der Bush die Richtlinien seiner Regierung für die weitere Entwicklung von strategischen Offensiv- und Defensivsystemen bestimmte (vgl. MacDonald, S. 22, Kubbig, Teil II).
  2. Am Konzept der »Initial Deployment« (»Einstiegs-Stationierung«, hat den Begriff der »early deployment« ersetzt) wird festgehalten. Auch die Regierung Bush strebt eine frühzeitige Stationierung der ersten produktionsreifen Technologien an, wie sich an der aufrechterhaltenen und verstärkten Konzentration auf die Elemente der SDS Phase I feststellen läßt (vgl. MacDonald, S. 24f.; AWST, 26.6.89, S. 30f.).
  3. SDI steht in den Abrüstungsverhandlungen nicht zur Disposition.

Auch die Zurücknahme des sowjetischen Junktims, einer Halbierung der strategischen Nuklearsysteme nur bei vorausgegangener Einigung über die Einhaltung des ABM-Vertrags zuzustimmen, und ihr Vorschlag getrennter Verhandlungen haben die Position der USA nicht geändert (vgl. AWST, 2.10.89, Kubbig, Teil II). Verteidigungsminister Cheney erklärte: „Ich glaube, daß wir tatsächlich in der Lage sein werden, SDI zu stationieren. Ich denke, wir sollten das tun. Ich denke nicht, daß wir es zulassen sollten, daß sich die sowjetische Position hier durchsetzt und im Ergebnis unsere Möglichkeit zur Stationierung von SDI bestreitet.“ (AWST, 2.10.89, S.25)

  1. Die Regierung Bush tritt nicht mit dem Ziel an, ein SDI-System zum umfassenden Bevölkerungsschutz zu stationieren. Vielmehr hat sie – wie bereits bei der Reagan-Administration angelegt (vgl. Cohen, S. 7) – den Schutz von Raketensilos zum Ausbau der Abschreckungsfähigkeit zum eigentlichen Ziel ihrer SDI-Politik erklärt (vgl. MacDonald, S. 21f.).

Trotz – oder gerade wegen – des größeren Realismus in der SDI-Politik der neuen Administration hat sich die Kritik an SDI verstärkt. Mit der Herabstufung von SDI zu einem reinen Abschreckungsinstrument muß sie sich, abgesehen von der grundsätzlichen Kritik an neuen Abschreckungssystemen, nun auch in Konkurrenz mit anderen Abschreckungssystemen wie dem B2-Bomber oder den MX-Raketen durchsetzen (vgl. MacDonald, S. 22). Angesichts der von Bush und Gorbatschow öffentlich erklärten Beendigung des Kalten Krieges, eines nach wie vor horrenden Haushaltsdefizits der USA und der Nutzlosigkeit von SDI als einem »Verhandlungs-Joker« in den Abrüstungsverhandlungen, wächst der Druck auf die US-Regierung.

Konsequenterweise hat sie gegenüber den Plänen der Reagan-Administration für die weiteren SDI-Ausgaben eine deutliche Korrektur vorgenommen: Sie kürzte den Haushaltsansatz für SDI für 1990 bis 1994 von 40 Mrd. $ auf 33 Mrd. $ und versuchte, sich dadurch als gemäßigte SDI-Kraft zu profilieren (vgl. AWST, 22.5.89, S.22; MacDonald, S. 25f.).

Tab 1. SDI-Budget Haushaltsjahre 1984 – 1990 $ Mio.
beantragtes Budget Vorjahr bewilligtes Budget Veränderung Budget ggü.
1984 1.110 1.110
1985 1.777 1.607 + 45%
1986 3.722 3.035 + 89%
1987 4.802 3.650 + 20%
1988 5.915 3.966 + 9%
1989 6.690 4.046 + 2%
1990 ca. 4.600 3.790 – 6%
Summe ca. 28.616 21.204
zusammengestellt nach: Cohen, S. 73; SDI-Report 88, S. D-4; SDI-Report 89, S. 8-4; AWST, 27.11.89, S. 21
Tab 2. Verteilung des SDI-Budgets 1988 und 1989 auf die
Programmbereiche, $ Mio
1988 1989 Veränderung ggü. Vorjahr
SATKA 935 1.101 + 18%
KEW 773 773 0%
DEW 934 820 – 12%
SA/BM 461 506 + 10%
SLKT 430 406 – 6%
SDIO 20 21 + 5%
Military Construction 59 83 + 41%
DOE 352 336 – 5%
Summe 3.966 4.046 + 2%
zusammengestellt nach: SDI-Report 89, S. 8 – 4

Gleichwohl: 33 Mrd. $ in in den kommenden fünf Jahren würden eine wesentliche Steigerung des SDI-Etats bedeuten und den Druck für die Stationierung enorm ausbauen.

Für das erste von ihm zu verantwortende Haushaltsjahr 1990 beantragte Bush statt der von Reagan geplanten 5,6 Mrd. $ »nur« 4,6 Mrd. $. Repräsentantenhaus und Senat kürzten diesen Betrag noch einmal um rund 800 Mio. $ und bewilligten für 1990 3,79 Mrd. $ (vgl. AWST, 1.5.89, S. 29; AWST, 27.11.89, S. 21).

Hatten die jährlichen Steigerungsraten des SDI-Budgets auch spätestens seit Verabschiedung des 1988er Haushalts deutlich abgenommen, bedeutet dieser SDI-Etat für 1990 zum ersten Mal eine reale Kürzung der Mittel. Diese Kürzung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die bewilligte Summe für 1990 auch inflationsbereinigt immer noch den SDI-Ausgaben von 1986 entspricht, dem Haushalt, mit dem die neue Qualität der SDI-Ausgaben durchgesetzt werden konnte (vgl. Tab.1).

Für das kommenden Haushaltsjahr hat Präsident Bush 4,8 Mrd. $ für SDI beantragt (vgl. Der Spiegel, 6/90, S. 171).

III. Konzentration auf Phase I der SDS

Seit 1987 werden die bewilligten SDI-Mittel auf die für die Phase I wichtigen Programmbereiche konzentriert.

Ganz oben in der Prioritätenliste stehen Sensorsysteme, konventionelle Abfangraketen und die mit ihnen verbundenen Kommunikationssysteme, die in den Programmbereichen SATKA (Überwachung, Auswertung, Verfolgung und Einschätzung der Abwehrergebnisse), KEW (Kinetische Energie – »klassische« – Waffen) und SA/BM (Systemarchitektur, Kommando- und Kontrollsysteme) entwickelt werden. Die Mittel für SATKA und SA/BM stiegen 1989 gegenüber dem Vorjahr überproportional an: SATKA um 18%, SA/BM um 10% sowie Military Construction um 41% (Bau der Testanlage NTB). Die Mittel für KEW blieben stabil, während die Mittel für Programmbereiche, die eher Zukunftstechnologien abdecken, fielen: DEW um 12% (Laser- und Teilchenstrahlenwaffen), SLKT um 6% (Unterstützungstechnologien, v.a. Transport- und Energiesysteme) und DOE um 5% (Department of Energy, zuständig für Nuklearwaffenentwicklung) (berechnet nach SDI-Report 89, S. 8-4).

Trotz der recht hohen Steigerungen für die Haushaltsbereiche, unter denen die Projekte der SDS Phase I entwickelt werden, ist nach Angaben des neuen SDIO-Direktors George Monahan gegenwärtig von einem Zeitverzug von etwa zwei Jahren in der Entwicklung dieser Systeme auszugehen. Die meisten Elemente, die 1992 mit der Full Scale Development (FSD), also der Entwicklung von Prototypen, beginnen sollten, werden erst 1994 in diese Phase übergehen können. Eine Ausnahme bilden allerdings die Sensorsysteme. Sie werden teilweise schon 1990/91 mit der Prototyp-Entwicklung beginnen und sollen 1994 planmäßig produktionsreif sein.

Obwohl es zu Zeitverzögerungen der meisten Systeme gekommen ist, soll die Zeitplanung aufrechterhalten werden, nach der der Präsident und der Kongreß etwa 1994 eine Stationierungsentscheidung für diese Systeme treffen werden (vgl. AWST, 22.5.89, S. 22f.).

IV. Probleme mit den Abfangraketen

Die geplante Architektur eines Strategic Defense System (SDS) Phase I ist zahlreichen Veränderungen unterworfen worden. Eine völlige Klarheit, wie die erste Phase der Gesamtarchitektur aussehen soll, gibt es nicht.

Im Juni 1988 bestätigte das Defense Acquisition Board eine Architektur, die im wesentlichen rund 300 SBI-Satelliten mit jeweils etwa 10 Abfangraketen, eine große Zahl bodengestützter ERIS-Raketen und eine nicht genannte Anzahl von Sensorsatelliten und bodengestützten Sensoren vorsah. Die Kosten für diese erste SDS-Phase wurden auf rund 115 Mrd. $ geschätzt (vgl. SDI-Report 89, S. 4-1).

Der Beratungsausschuß des Weißen Hauses für SDI kritisierte im September 1988 dieses Herangehen der SDIO an die erste Phase der Stationierung als „technologich riskant“. Er warnte, daß diese Pläne „mehr Budget- und andere Ressourcen erforden würden, als vorhanden sein werden.“ (MacDonald, S. 23). Daraufhin legte die SDIO bereits im Oktober 1988 neue Pläne vor. Eine Überprüfung der SDS-Konzeption und angebliche Weiterentwicklungen der Technologien hätten eine Überarbeitung der Architektur ermöglicht, die die Kosten um 40% auf rund 69 Mrd. $ gesenkt hätten. Die Veränderungen betrafen im wesentlichen die SBI-Satelliten, deren Anzahl halbiert wurde, während die Anzahl der billigeren bodengestützten Abfangraketen um 70% erhöht wurde. Außerdem wurden bestimmte Sensor-Aufgaben, die die SBI-Satelliten eigenständig übernehmen sollten, den anderen Sensorsystemen zugeordnet (vgl. SDI-Report 89, S. 4-1ff.).

Tatsächlich blieb diese Veränderung der SDS-Architektur aber nicht die letzte:

Seit dem Frühjahr 1989 propagiert die SDIO eine völlig neue Konzeption für das Abfangraketenelement, die wiederum eine neue Architektur erfordert,: »Brilliant Pebbles« (vgl. AWST, 1.5.89, S. 29; AWST, 22.5.89, S. 20f.; SDI-Report 89, S. 5.3-3f.).

Brilliant Pebbles sollen extrem kleine und leichte Abfangraketen sein, die in niedrigen Umlaufbahnen im Weltrraum in großer Anzahl stationiert werden und im Falle eines Starts sowjetischer ICBM alle Funktionen, die zur Abwehr erforderlich sind, in sich vereinen. Sie würden die Satelliten-gestützten Abfangraketen der SBI ersetzen und weite Teile der Sensorsatelliten und Kommunikationssysteme überflüssig machen.

Diejenigen Pebbles, die in direkter Reichweite der gestarteten ICBM lägen, würden durch die Wärmestrahlung der ICBM-Brennflamme aktiviert und die ICBM durch Kollision zerstören. Obwohl jede Pebble mit eigenen Sensoren, einem Computer mit der Leistung eines Superrechners Cray-1 (!), einem eigenen Radar- und Kommunikationssystem sowie einem Feststoff-Antriebssystem vollgepfropft wäre, soll sie nur 88 Pfund wiegen und maximal nur 1 Mio. $ pro Stück kosten (vgl. MacDonald, S. 24f.).

Die Realisierbarkeit dieser Konzeption konnte noch nicht nachgewiesen werden. Und zahlreiche Fachleute bezweifeln, daß eine Rakete mit solchen technischen Fähigkeiten in einer solchen Größe zu einem solchen Preis verwirklichbar ist (vgl. AWST, 22.5.89, S. 20f; 14.8.89, S. 23f.; MacDonald, S. 24f.).

Trotzdem sind die Pebbles in kürzester Zeit zum Schwerpunkt der Entwicklung der Abfangraketen eines SDS Phase I-Systems geworden. Waren bis zum Sommer 1988 erst 18 Mio. $ für dieses neue Programm aufgebracht worden, erhielt es im Haushaltsjahr 1989 bereits 46 Mio. $. Zum Vergleich: die beiden Hauptauftragnehmer für das SBI-System Martin Marietta und Rockwell International erhielten jeweils ca. 30 Mio. $ für SBI in 1989 (vgl. AWST, 22.5.89, S. 20f.). Für 1990 planen SDIO-Verantwortliche eine Verdreifachung der Ausgaben für Brilliant Pebbles: 130 Mio. $ sollen im laufenden Haushaltsjahr investiert werden, während für SBI 50 Mio. $ vorgesehen sind (vgl. AWST, 27.11.89, S. 21).

Planmäßiger verläuft die Entwicklung der bodengestützten Abfangraketen (GBI). Dieser Teil der SDS baut auf dem ERIS-Projekt (Exoatmospheric Reentry-Vehicle Interceptor System) auf. 1986 erhielt Lockheed als Hauptvertragspartner den 5-Jahres Auftrag in Höhe von $ 468 Mio., im Rahmen des ERIS-Projekts eine Niedrigpreis-Abfangrakete zu entwickeln, die Wiedereintrittskörper in der späten Midcourse-Phase zerstören soll (vgl. AWST, 6.11.89, S. 27ff.). Gegenwärtig baut Lockheed drei Testraketen (Functional technology validation vehicle, FTV), die ab Frühjahr 1990 in einer Reihe von Flugtests die Fähigkeiten dieser Abfangtechnologien demonstrieren und auswerten sollen. Die Regierung erwägt zur Zeit, den ERIS-Vertrag von Lockheed um 130 $ Mio. zu erhöhen, um zusätzliche Flugtests bis 1992 durchzuführen (vgl. SDI-Report 89, S. 5.3-9ff.). Auf der Grundlage seiner ERIS-Arbeit gilt Lockheed als aussichtsreicher Kandidat für die nächste Phase des GBI. Demnächst sollen die Aufträge vergeben werden, bis 1992 eine Testrakete zu entwickeln. Um den Entwicklungsprozeß zu beschleunigen, sollen konkurrierende Konzepte von verschiedenen Auftragnehmern entwickelt werden (vgl. AWST, 6.11.89, S. 27ff.).

V. Entwicklung der Sensoren schreitet voran

Größte Aussicht auf eine schnelle Realisierung hat das BSTS (Boost Surveillance and Tracking System), das die ICBM in ihrer Startphase aufspüren und verfolgen soll und seit 1984 jährliche Mittel-Steigerungen von 35-70% aufweisen kann. Bis 1989 hat BSTS mehr als 680 Mio. $ vereinnahmt (vgl. Cohen, S. 31; SDI-Report 88, S. D-4; SDI-Report 89, S. 8-4). 1987 erhielten Lockheed und Grumman jeweils einen Auftrag in Höhe von 304 Mio. $, um die notwendigen Technologien und Subsysteme zu entwickeln und in bodengestützten Tests bis 1990 zu demonstrieren und auszuwerten (vgl. AWST, 24.4.89, S. 22). 1990 sollte mit der Auswahl eines verbleibenden Hauptauftragnehmers zum Bau eines voll-funktionstüchtigen Prototyp-Satelliten der Übergang in die Full-Scale Development (FSD) geschehen. Die SDIO kündigte in ihrem Report an den Kongreß von 1989 an, daß dieser Demonstrationssatellit „mindestens eine Frühwarnfunktion“ erfüllen werde (vgl. SDI-Report 89, S. 5.2-1). Die Kürzungen an den Budgetplänen haben zu einer Verschiebung des Einstiegs in die FSD um 6-12 Monate geführt (vgl. AWST, 1.5.89, S. 29).

SSTS (Space-Based Surveiuance and Tracking System) und GSTS(Ground-Based Surveillance and Tracking System) sollen die Raketen in der Midcourse Phase erfassen. Ihre Mission ist ungleich komplizierter als die der BSTS: erstens sind ihre Zielobjekte wesentlich kühler, weil sie keine Brennflamme mehr haben, daher schwerer zu erfassen sind, und zweitens müssen sie echte Raketen von möglichen Attrappen unterscheiden. Hinzu kommt, daß die SSTS-Satelliten bislang nicht gegen einen gegnerischen Angriff zu schützen sind (vgl. Cohen, S. 31ff, AWST, 22.5.89, S. 22f.).

1987 erhielten Lockheed und TRW als Hauptauftragnehmer konkurrierende Aufträge in Höhe von $ 33,6 Mio. zur Entwicklung und Demonstration der SSTS-Technologien (vgl. Rilling, S. 6). Auf der Grundlage der abschließenden bodengestützten Demonstrationen ihrer Systeme soll eines der beiden Konzepte ausgewählt und als Demonstrationssatellit gebaut werden. Bis 1989 sind mehr als 311 Mio. $ in dieses Projekt investiert worden (vgl. Cohen, S. 31; SDI-Report 88, S. D-4; SDI-Report 89, S. 8-4).

GSTS ist eine bodengestützte Sensorenplattform, die bei einem Angriff auf einer Trägerrakete in den Weltraum geschossen wird (vgl. Rilling, S. 7). Im Oktober 1988 wurde der Dem/Val-Auftrag für GSTS vergeben, wobei mehrere Konzepte parallel entwickelt werden. Auf der Grundlage von Experimenten mit wesentlichen Sensorelementen und Test-Bed Ergebnissen soll ein einzelnes Design zur Prototypentwicklung ausgewählt werden, das durch ein flugtaugliches Trägersystem ergänzt wird (vgl. SDI-Report 89, S. 5.2-6).

Obwohl die Phase I der SDS keine Abwehrsysteme für die Endanflugphase der gegnerischen Raketen beinhaltet, wird geprüft, ob das Ground-Based Radar (GBR) integriert werden soll. Das GBR, das auf dem ehemaligen Terminal Imaging Radar-Projekt aufbaut, soll in der Lage sein, neben den Aufgaben in der Endanflugphase auch SSTS und GSTS in der Midcourse Phase zu unterstützten (vgl. SDI-Report 89, S. 4-3, S. 5.2-7f.). Die SDIO hat ein Ground-Based Radar Experiment (GBR-X) eingeleitet, das die Basis für ein operationsfähiges GBR hervorbringen soll. Nach der Konzeptdefinition, die in diesem Jahr abgeschlossen werden soll, werden zwei Konzepte ausgewählt werden, die konkurrierend einen Ein-Jahres-Vertrag zur Entwicklung eines Einstiegssystems erhalten (vgl. SDI-Report 89, S. 5.2-7).

1987 ließ die SDIO eine Midcourse Sensor Study (MCSS) durchführen, in deren Ergebnis die verschiedenen Midcourse Sensors in einem koordinierten Projekt zusammengefaßt werden: SSTS soll seine Daten an GSTS zur Untersuchung ausgewählter Flugkorridore weitergeben. GSTS seinerseits instruiert GBR, Objekte zu verfolgen, die eine weitere Unterscheidung zwischen Sprengkopf und Attrappe notwendig machen (vgl. SDI-Report 89, S. 5.2-7).

Mit dem für 1990/91 vorgesehenen Übergang von BSTS in die Full Scale Development-Phase wird der erste Sensor-Satellit milestone II erreichen. Die anderen Systeme (SSTS und GSTS, evtl. GBR) sollen zügig folgen. Deshalb sollen 1990 keine Kürzungen an den Budgetansätzen für diese Programme vorgenommen werden (vgl. AWST, 27.11.89, S. 21).

VI. Follow-On-Projekte

Die Konzentration auf die fortgeschrittenen SDS-Technologien, zu denen neben den Sensorelementen und Abfangraketen auch die Kommando- und Kontrollelemente (CC/SOIF) gehören, hat zu einer Streckung, aber nicht zu einer Aufgabe der »exotischen« Follow-On-Waffensysteme geführt. Wie sich aus dem SDI-Report 1989 ersehen läßt, sollen diese Technologien, während der Dem/Val Phase der Sensoren und konventionellen Abfangraketen ebenfalls in die Dem/Val-Phase und damit des „formellen Enstehungsgangs von Wehrmaterial“ (Rilling, S. 4) übergehen (vgl. SDI-Report 89, S. 3-2). 1989 wurden 820 Mio. $ für die Arbeit an Laser- und Teilchenstrahlenwaffen aufgebracht (vgl. SDI-Report 89, S. 8-4).

VII. Wie weiter?

Mit dem Übergang der ersten Einzelprojekte in die Phase der Prototyp-Entwicklung rückt die anvisierte Stationierungsentscheidung trotz aller bisherigen Rückschläge näher. (Das sagt allerdings nichts über die Leistungsfähigkeit eines solchen »Einstiegs«-Systems aus)

Als mögliches Szenario zeichnet sich ab: Mitte der neunziger Jahre könnten die Sensorsysteme produktionsreif sein. Eine Stationierungsentscheidung für diese Systeme könnte sich durchsetzen, sind sie doch »reine Aufklärungsysysteme«, die keine Waffen tragen. Außerdem können sie auch als ein SDI-unabhängiges Mittel der Früh- und Fernaufklärung – wie in den letzten beiden SDI-Reports angelegt – verkauft werden. Selbst der Einsatz als Überwachungssatellit für eventuelle Abrüstungs-Verträge ist schon in der Diskussion (vgl. SDIM, 17.10.88, S. 238).

Der erwartete Erfolg der Satellitensensoren wird eine Dynamik für die Stationierung der ersten Abfangraketensysteme freisetzen. Mit dem Hinweis, wie einfach und kostengünstig es doch jetzt wäre, die Sensorensysteme um neuartige Abfangraketen zu einem Defensivsystem mit begrenztem Schutz auszubauen, wird die Administration versucht sein, deren Produktion und Stationierung durchzusetzen.

Auf ein solches Vorgehen deuten auch die Vorschläge der USA gegenüber der UdSSR zum weiteren Umgang mit dem ABM-Vertrag hin: Beide Parteien sollen weltraumgestützte Tests von maximal 15 gekennzeichneten Versuchssatelliten aus durchführen dürfen. Weltraumgestützte Sensoren sollen keinerlei Einschränkungen unterworfen sein (!). Nach einer zu vereinbarenden Phase sollen alle Beschränkungen aufgehoben werden (vgl. Kubbig, Teil II).

Natürlich bleibt diese Stationierungsstrategie abhängig von innen- und außenpolitischen Kräfteverhältnissen. Zweifelhafte technologische Reife der Programme, die für die Einstiegs-Stationierung vorgesehen sind, verstärken die SDI-Kritik. Die erste reale Kürzung des SDI-Budgets 1990 ist Ausdruck der wachsenden SDI-Kritik. Die Kräfteverhältnisse könnten sich angesichts des wachsenden haushalts- und abrüstungspolitischen Drucks weiter zu Lasten von SDI verschieben.

Es sollte aber nicht unterschätzt werden, in welchem Maß die jährlich 4 Mrd. $ für SDI-Forschung und Entwicklung den Druck zur Produktion und Stationierung dieses Systems erhöhen. SDI geht trotz aller Kritik momentan noch den vorgesehen Weg. Die Befassung mit SDI bleibt für die Friedensbewegung notwendig.

Literatur

Aviation Week & Space Technology (AWST), verschiedene Ausgaben
Cohen, Christopher, Zur Ökonomie der »Strategischen Verteidigungsinitiative« (SDI), Marburg 1988
Department of Defense (Hrsg.), 1988 Report To The Congress On The Strategic Defense Initiative, Washington, D.C., April 1988
Department of Defense (Hrsg.), 1989 Report To The Congress On The Strategic Defense Initiative, Washington, D.C., März, 1989
Kubbig, Bernd W., „Die militärische Eroberung des Weltraums geht weiter…“, in : Frankfurter Rundschau, 17. 1. 90, S. 16 (Teil I), 18. 1. 90, S. 22 (Teil II)
MacDonald, „Lost in Space: SDI Struggles Through Its Sixth Year“, in: Arms Control Today, September 1989, S. 21ff.
Rilling, Rainer, „Die Vision im Eimer – das Projekt geht weiter“, in: Infodienst Wissenschaft & Frieden, 2/88, S. 3ff.
SDI-Monitor (SDIM), verschiedene Ausgaben

Christopher Cohen ist Soziologe und lebt in Hamburg.

Nationale Teststätte für SDI

Nationale Teststätte für SDI

von Friedens- und KonfliktforscherInnen

Der 23. März dieses Jahres markiert den fünften Jahrestag der Strategischen Verteidigungsinitiative, die der Nation von Präsident Reagan 1983 über das Fernsehen verkündet worden war. Heute sind die grundsätzlichen Probleme des Baus einer zuverlässigen weltraumgestützten Verteidigung gegen ballistische Raketen einer Lösung keinen Schritt näher als damals. Die „Organisation für die strategische Verteidigungsinitiative“ (SDIO) hat einen rapiden Fortschritt in einer Reihe von Schlüsseltechnologien verkündet, und einige Technologien, die für die Strategische Verteidigung entwickelt werden sollen, weisen tatsächlich schnellere Fortschritte auf als erwartet.

Aber die Technologie, die SDIO-Direktor Leutnant General James Abrahamson „den langen Pfahl im Zelt“ genannt hat, ist immer noch das prinzipielle und letztendlich unlösbare technologische Hindernis bei einer Verteidigung gegen ballistische Raketen – das Problem, zuverlässige Computer-Software zu entwickeln, die gleich bei der ersten Anwendung im kompletten SDI-System unter realistischen Bedingungen funktioniert. Es gibt eine ausschlaggebende Besonderheit von SDI, die jedes Vertrauen an die Zuverlässigkeit der System-Software ausschließt. SDI soll in einem Umfeld operieren, mit dem wir bisher keinerlei Erfahrung haben, dem eines Nuklearkrieges. Die Leistungsspezifikationen von SDI können nicht durch eine Überprüfung an realen Daten, die aus früheren Erfahrungen abgeleitet sind, eingeschätzt werden. Das gesamte Bild von SDI wird größtenteils das Ergebnis von Vermutungen sein. Ein einfaches Beispiel: Wir kennen die Reaktion eines Computer-kontrollierten Kommunikationsnetzes nicht, dessen Knoten und Verbindungen teilweise durch einen nuklearen Angriff beschädigt worden sind und wir können keinen Test machen, um das herauszufinden. Wir müssen die Daten für dieses Ereignis raten, und die Chance, daß wir falsch raten, ist groß. Weiterhin kann SDI nicht unter Gebrauchsbedingungen getestet werden, nicht einmal in einem Umfeld, daß die Gebrauchsbedingungen angemessen repräsentiert. Wir können keinen globalen Nuklearkrieg mit tausenden von Sprengköpfen auf dem Weg ins Ziel durchführen, um SDI zu testen. Und wir können die Umstände eines solchen Konflikts nicht realistisch simulieren, weil wir nicht genug darüber wissen, was in einem Nuklearkrieg passieren wird und weil wir keinen Zugang zu detaillierten Informationen darüber haben, was unsere Gegner entwickelt haben oder entwickeln werden, um die Effektivität ihrer Waffen sicherzustellen. Zuviele relevante Variablen eines Nuklearkriegs sind unbekannt und werden es bleiben. Darüberhinaus ist es sicher, daß viele der besonders kritischen Variablen sich ständig ändern, und zwar auf Arten, die schwer oder unmöglich herauszufinden sind. Gerade weil SDI die Pläne eines Gegners durchkreuzen soll, wird der Gegner alles tun, um sicherzustellen, daß es einen Weg gibt, die Kapazitäten des Systems zu umgehen. Kadetten in West Point lernen sehr früh in ihrer militärischen Ausbildung , „ Kein Schlachtplan überlebt den Kontakt mit dem Feind“. In den wenigen Fällen, wo die Aufmerksamkeit der Presse sich auf das Problem der SDI-Software konzentrierte, beschäftigte man sich mit Irrtümern oder Fehlern in der Software, die für das Befehls- und Kontrollsystem vorgesehen ist. Im Moment sind sich alle Computerwissenschaftler einig, daß die SDI-Software Fehler haben wird. Die Eastport-Gruppe, der Ausschuß aus Computerfachleuten, der von der SDIO eingesetzt wurde, um die Computer-Anforderungen von SDI einzuschätzen, berichtete: „Alleine wegen ihrer unvermeidlichen Größe wird die Software, die in der Lage ist, die Aufgabe des Battle Management zu erfüllen, Irrtümer enthalten“. Es gibt mindestens zwei Ebenen der Software-Entwicklung und auf jeder gibt es verschiedene Arten von Irrtümern. Irrtümer kommen sowohl in der frühen Phase des Entwurfs vor als auch in der Phase, in der die Instruktionen kodiert werden. Die Presse hat sich hauptsächlich auf den zweiten Fehlertyp konzentriert und dabei oft den Eindruck erweckt, daß ein solcher Fehler nur einen kleinen Teil des Systems beträfe. Die Erfahrung zeigt aber, daß sogar ein einziger kleiner Kodierungsfehler das komplette Versagen eines komplexen Systems bewirken kann. Die verengte Sichtweise führt zu einer Verdeckung des zusätzlichen Problems der Entwurf-Fehler, in denen Software-Spezifikationen unkorrekt geschrieben werden. Auch perfektes Kodieren kann einen durch Entwicklungsfehler bedingtes Problem nicht beseitigen. Die SDIO hat das Mißverhältnis der Behandlung der Software-Ergebnisse verstärkt, indem sie unterstellt, daß es in der Lage ist, das System richtig zu entwerfen, obwohl der Prozeß der Fehlerbeseitigung anzweifelbar ist. Doch die SDIO hat keine glaubhafte Methode angeboten, wie Software-Spezifikationen zu schreiben seien, wenn niemand weiß, was SDI abverlangt wird, um uns vor einem nuklearen Angriff zu schützen.

Die Nationale Teststätte (National Test Bed/NTB)

Eins der größten Einzelprojekte im gesamten SDI-Budget ist ein weites Netzwerk von Computer-Einrichtungen und Simulationszentren. Im Januar erhielt Martin Marietta die erste Hälfte von vermutlich einer Milliarde DM, um mit der Entwicklung der Nationalen Teststätte (NTB) in Colorado Springs zu beginnen. Der Zweck der Anlage ist es, moderne Computersimulationen zur Entwicklung des SDI-Designs durchzuführen und die Arbeit an der Befehls- und Kontroll-Software für die Abwehr von ballistischen Raketen zu beginnen. Das NTB wird – falls es jemals fertig wird – das größte Simulations-Netzwerk der Welt sein, über die ganze USA und evtl. sogar in Übersee verteilt. Es soll das Umfeld konstruieren und simulieren, in dem das stationierte SDI funktionieren soll, die Arten von Angriffen, auf die SDI reagieren muß und die Waffen sowie die Gesamtstruktur, die für die Abwehr ballistischer Raketen am effektivsten ist. Der Zweck des NTB ist einzuschätzen, ob eine weltweite Raketenabwehr durchführbar ist oder nicht, und wenn ja, wie sie auszusehen hat. Die Testanlage wird zunächst aus acht verteilt gelegenen Einrichtungen bestehen, die die Computerressourcen der Nationalen Test Einrichtung (NTF) in der Falkon Air Force Station in Colorado Springs benutzen. Die Testbed-Sektionen, die bereits ausgewählt wurden, sind die SDIO-Büros im Pentagon; das Forschungszentrum der US-Army in Huntsville, Alabama; das Marineforschungslabor in Washington; das Weltraumzentrum der Air Force in Los Angeles; das Weltraumtechnologie-Zentrum der Air Force in Albuquerque, New Mexico; das Zentrum für Elektronische Systeme der Air Force in der Hanscomb Air-Force-Basis in Massachusetts; das Los Alamos Nationallaboratorium in New Mexico; und das Lawrence Livermore-Nationallaboratorium in Kalifornien. Die Planung schließt die Raketenstützpunkte in White Sands New Mexico; und das Kwajalein Atoll im Südpazifik, und Einrichtungen von größeren Unternehmen, die für das SDI-Programm arbeiten, ein.

Martin Marietta bekam einen Vertrag über 508 Millionen US $, um die Entwicklung des NTB anhand näherer Angaben der Air Force-Abteilung für Elektronische Systeme und der MITRE Corporation zu beginnen. Der Kongreß hat im Haushaltsjahr 1988 35 Mio $ für die Errichtung der nationalen Testeinrichtung veranschlagt, ein Zentrum, das bis zur Fertigstellung 100 Mio $ kosten wird und das möglicherweise ca.250 von 33.000 Quadratmetern Büroraum einnehmen wird. Die nationale Test-Einrichtung wird mit einem Cray 2, einem Cray XPM/48, zwei IBM 3090 mainframes arbeiten sowie mit einigen ähnlichen Maschinen, einschließlich eines experimentellen IBM RP3, der von IBM und der »Defense Advanced Research Projects Agency« entwickelt wird. Arbeitsstationen der »Sun and Digital Equipment Corporation« werden benutzt.

Der Ausschreibungstext für die Nationale Teststätte, gibt Auskunft darüber,„daß das Programm für die Nationale Teststätte ein abgestuftes Hardware-,Software- und Einrichtungsprogramm ist, dessen Ziel es ist, eine umfangreiche Kapazität bereitzustellen für den Test, die Einschätzung und den Vergleich von alternativen Bauplänen für die strategische Verteidigung gegen ballistische Raketen, für das Battle Management sowie die Befehls-, Kontroll- und Kommunikationsstruktur… Das NTB wird die Armee, die Marine, die Luftwaffe, das Energieministerium und andere nationale Test- und Demonstrationseinrichtungen, eingeschlossen vorhandene Flächen, Labors und Unternehmens-Einrichtungen, zu einer einzigen, auf verschiedene Orte verteilten, Ressource zur Steuerung und Kontrolle der vielen SDI-Simulationen,-Demonstrationen und -Experimente verknüpfen.“ Die Nationale Testeinrichtung wird laut Ausschreibung der zentrale Angelpunkt des NTB und soll möglicherweise als Einrichtung in Regierungseigentum, aber von Unternehmen betrieben, operieren, ähnlich wie die Los Alamos und die Lawrence Livermore Labors. Das Kernprogramm der Nationalen Teststätte wird folgendermaßen aussehen:

  • Schnelle Prototypenentwicklung von Hardware und Software
  • Software-Entwicklung
  • Entwicklung von Simulationssystemen
  • Integration von Simulation und Experimenten
  • Unterstützung von Simulation und Experimenten
  • Unterstützung von Studien und Analysen

Die SDIO hat 1992 als das Jahr angegeben, in dem eine Entscheidung über die Stationierung einer Phase 1 – Version einer weltraumgestützten Raketenabwehr getroffen werden kann.

Leistung und Grenzen der Computer-Simulation

Der Anspruch, daß das NTB uns sagen kann, ob SDI funktioniert oder nicht, basiert auf einem fundamentalen Mißverständnis des Wertes von Computer-Simulation. Computersimulationen sind oft sehr hilfreiche Werkzeuge in der Analyse vorgesehener Systeme. Simulationen können z.B. viele unbrauchbare Entwürfe eines geplanten Systems aussortieren, bevor sie zu Prototypen entwickelt werden –das spart eine Menge Zeit und Geld. Simulationen können als Möglichkeit zur Einschätzung von »Was wäre wenn«- Szenarios benutzt werden; das ist wesentlich billiger und normalerweise schneller als Tests mit dem System, nachdem es gebaut und in Gebrauch genommen wurde. Simulationen können »beinahe«-Experimente liefern für Situationen, die nicht reproduziert werden können oder die zu gefährlich für einen Test sind, z.B. das Verhalten einer Flugzeugkonstruktion unter extremen Wetterbedingungen. Simulationen können ebenso sinnvoll sein im Training von Menschen. Der Wert von Flugsimulatoren beim Training von Piloten an sehr komplexen Flugzeugen ist bedeutend. Im allgemeinen sind Simulationen nützlich in der Analyse sehr komplexer Systeme, weil sie ein Werkzeug bereitstellen, mit dem die Leistung eines hypothetischen Systems zerlegt wird in Teile und Zeitrahmen, die handhabbar sind und untersucht werden können. Die Grenzen der Simulation sind ebenfalls gut bekannt. Die grundlegendste Beschränkung ist die, daß eine Simulation nur so gut sein kann, wie die Annahmen, mit denen das Simulationsmodell gebaut worden ist. Je angemessener diese Annahmen die reale Welt wiederspiegeln, desto angemessener und nützlicher wird die Simulation sein. Das setzt natürlich voraus, daß die Realität tatsächlich bekannt, verstanden und handhabbar ist. »Simulation« von Situationen, für die es keine angemessenen, realen Daten gibt, sind eigentlich gar keine Simulationen;– sie sind eher hypothetische Präsentationen, die gewissen Ereignisketten in der Realität ähnlich sind. Aber angemessen repräsentieren sie lediglich die fiktionale Welt, wie sie die Planer der Simulation geschaffen haben. In der Computer Simulation besteht die Gefahr, daß Annahmen, die zum Bau eines Modells gemacht werden, so »echt« scheinen, daß sie scheinbar plausibel sind. In Wirklichkeit sind die Annahmen gerade ungenau genug, um eine Simulation zu erzeugen, die verzerrt, was in der Realität passiert oder passieren wird. Entwickler von Simulationen validieren ihre Modelle dadurch, daß sie ihre Voraussagen mit den realen Ereignissen vergleichen. Während Simulationen dabei behilflich sein können, unbrauchbare Modelle auszusortieren, bevor sie gebaut werden, können sie typischerweise nicht dafür genutzt werden, einen Entwurf zu finden, der ohne weitere Tests voll funktionsfähig ist. Das trifft besonders für sehr komplexe Systeme zu. Ingenieure führen heute zahllose, sehr teure Simulationen von komplexen Waffen und Flugsystemen durch, doch es treten immer noch Probleme auf, wenn die Waffen oder Flugzeuge gebaut und benutzt werden. Der B 1 Bomber z.B., das teuerste Flugzeug der Welt, war Gegenstand endloser Computer-Simulationen. Sie haben vermutlich gezeigt, daß der B-1 Bomber in der Lage ist, seine grundsätzliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich die sowjetische Luftabwehr zu durchdringen und Atombomben abzuwerfen. Tests mit dem B 1 haben dagegen gezeigt, daß er einen Zusammenstoß mit einem Pelikan nicht übersteht, ein Ereignis, das zweifellos aus der Simulation ausgeschlossen war.

Selbst Pentagon-Repräsentanten haben betont, daß Computer-Simulation inadäquat für die Einschätzung der Zuverlässigkeit und Effektivität von Nuklearwaffen ist. Erfahrene Fachleute haben immer wieder ausgeführt, daß nur der unterirdische Test von Atomwaffen die »Qualität« des nuklearen Arsenals des Landes verläßlich prüft. Das ist das grundlegende Argument der Reagan-Administration gegen die Beteiligung an einem Atomtest-Moratorium oder einem umfassenden Teststopp-Abkommen. Ed Badolato, Deputy Assistant Secretary of Energy for Security Affairs sagte, sich gegen einen umfasssenden Teststopp-Vertrag aussprechend:„Kein anderer Bestandteil der militärischen Ausrüstung darf benutzt werden ohne grundsätzliche vorherige Tests. Panzer. Flugzeuge. Sogar Stiefel. Wir alle kennen die Horrorgeschichten über konventionelle Waffen, die ins Inventar gelangen ohne angemessen getestet zu sein und wir alle haben genug gehört über Waffen, die nicht richtig funktionieren, nachdem sie entwickelt wurden. Aber eine Atomrakete ist die komplexeste Waffe, die wir haben. Wir müssen sie testen wie sie gebraucht werden sollen, vor und nach der Entwicklung … Würden Sie mit einem Flugzeug fliegen, das nur in einer Computer-Simulation getestet worden ist?“

Die Technologie nuklearer Gefechtsköpfe ist gut erforscht und wurde in vielen Jahren angemessen simuliert. Wenn immer noch Tests nötig sind, um die Systemzuverlässigkeit sicherzustellen, werden sie sicher noch wichtiger sein für den Entwurf, den Test und die Einschätzung einer weltraumgestützten strategischen Verteidigung, die noch kaum erforscht ist (und die wenig Aussicht darauf hat, gut erforscht zu werden) und die wesentlich komplexer und anspruchsvoller sein wird als ein nuklearer Sprengkopf. Wie auch immer – vollständige »end-to-end« -Tests eines strategischen Verteidigungssystems in einem Umfeld, das die Anwendungsbedingungen angemessen spiegelt, können nicht durchgeführt werden.

Computer-Simulation einer Raketenabwehr

Genaue Computer-Simulation eines nuklearen Angriffs und eines Gegenschlages um ein System adäquat zu konstruieren, wird aus einer Reihe von Gründen nie möglich sein. Erstens gibt es, wie oben ausgeführt, zu viele entscheidende Variablen in einem solchen Ereignis, die unbekannt sind und es bleiben werden. Ohne jede Erfahrung mit einem atomaren Weltkrieg wird jede Atomkriegs-Simulation eine sehr teure Vermutung und deshalb von Natur aus unsicher bleiben. Es gibt keine Möglichkeit, die Modelle, die von den Simulations-Computern in der Nationalen Teststätte benutzt werden, für gültig zu erklären. Ganz offensichtlich sind viele der entscheidenden Variablen des Modells nicht verifizierbar.

Das soll nicht heißen, daß die Forscher im NTB kein Atomkriegs-Modell entwickeln können. Sie können und werden Dutzende entwickeln. Alle arbeiten mit unterschiedlichen Annahmen und werden unterschiedliche Ergebnisse produzieren. Es gibt gute Gründe anzunehmen, daß die Forscher in der Lage sind, ein Modell zu konstruieren, in dem jede simulierte sowjetische Rakete vom simulierten Verteidigungssystem der USA zerstört wird, bevor sie ihr simuliertes Ziel erreicht. Es bleibt aber unmöglich zu beweisen, daß dieses Modell angemessen das repräsentiert, was bei einem wirklichen nuklearen Angriff passiert. Die Gefahr dieser Herangehensweise liegt in der Autorität, die einer visuell blendenden und systematisch überzeugenden Simulation zugesprochen wird, ungeachtet dessen, ob die Simulation das spiegelt, was zu einem künftigen Zeitpunkt wirklich passieren wird. Die Nationale Teststätte besitzt »Demonstrationsgelände«, auf denen solche Simulationen entwickelt und Fortschritte im Programm demonstriert werden können. Es dürfte schwierig sein, zu unterscheiden, ob die Simulationen zu Werbezwecken oder zur Einschätzung der Durchführbarkeit von SDI gemacht werden.

Zusammenfassung

Die Nationale Teststätte soll zur Beantwortung der Frage »Wird SDI funktionieren« gebaut werden. Doch die Anlage kann diese Frage nicht beantworten. Die Atomkriegsmodelle, die es benutzen wird, um die Durchführbarkeit und das Aussehen von SDI festzustellen, können nicht bewiesen werden. Die Software, die für NTB-Simulationen benutzt wird, wird zweifelhaft bleiben durch die Menge an unvorhersehbaren Irrtümern, heimlichen Computer »Viren«, das große Potential an Sicherheitsgefährdungen bei einem übers ganze Land ausgebreiteten Kommunikationsnetz und durch die Software-Probleme, die jedem komplexen Programm innewohnen. Jede »Antwort«, die das NTB gibt, wird eine sehr teure Vermutung sein – eine Vermutung, die die verführerische Autorität der wissenschaftlichen Analyse und hochspezialisierter Daten trägt. Die Software-Probleme von SDI sind schwer zu bändigen. Das ist kein Versagen der Technik, noch ist es etwas, was durch technischen Fortschritt zu heilen ist. Es ist einfach das Ergebnis der Unfähigkeit des Menschen, die Zukunft angemessen und in einer Detailliertheit vorauszusagen, wie der Computer es verlangt. Wenn die Simulations-Forscher im NTB ehrlich sind, werden sie zugeben, daß eine zuverlässige Verteidigung gegen ballistische Raketen nicht gebaut werden kann. An diesem Punkt sollten wir uns selbst in den Hintern treten, eine Milliarde $ auszugeben, um herauszufinden, was wir schon wissen.

Computer Professionals for Social Responsibility, INC. POB 717 – Plato Alto, CA 94301 – (415) 322-3778

Die Vision im Eimer – das Projekt geht weiter

Die Vision im Eimer – das Projekt geht weiter

Nach fünf Jahren- das SDI Programm am Ende oder auf dem Weg zum „Initial Deployment“?

von Rainer Rilling

I. Zur Bewertung des SDI-Programms

Was SDI sein könnte, hat – gerade die wissenschaftliche – Offentlichkeit von Beginn an fasziniert. Heftig diskutiert wurden die militärischen Optionen, die durch den Aufbau eines Raketenabwehrsystems einst eröffnet werden könnten; die Möglichkeiten ökonomischer Sekundäreffekte (Spin-Off) des Großprojekts spielten – vielleicht bei der Motivation, sicher aber bei der Legitimation -einer bundesdeutschen Beteiligung an dem Vorhaben eine große Rolle. Auch die Kritik des Projekts konzentrierte sich auf die Fragen der technischen (Un-) Möglichkeit. Zur möglichen finanziellen Belastung durch das SDI-Projekt wurden Abschätzungen vorgelegt. Der Bezugspunkt all dieser Diskussionen war in der Regel die von der Regierung vorgebrachte SDI-Programmatik.

Derlei Diskussionen haben natürlich ihren guten Sinn: die Abschätzung von Möglichkeiten ist ein zentraler Bestandteil von Technologiefolgenbewertung. Oft haben sie freilich zwei Eigenheiten: wo es sich über Zukünfte trefflich spekulieren läßt, können die Diskurse endlos sein. Und wo, wie im Falle SDI, Kritiker glauben, die Unmöglichkeit der technischen oder militärischen Realisierbarkeit des Programms nachgewiesen zu haben, verlagert sich das Problem in den politischen Bereich. Gefragt wird nur noch, warum eine Regierung ein nichtrealisierbares Projekt verfolgt.

Beides führt dazu, die Befassung mit der wirklichen Entwicklung zu vernachlässigen -zumal diese oft weit weniger eindeutig ist als die fein elaborierten Modelle möglicher Zukünfte.

Die gegenwärtige, offenbare Beurteilungsunsicherheit in Sachen SDI-Programm hat mit der hier skizzierten Anlage des SDI-Diskurses zu tun, ein Diskurs über Programmatik und bloße Möglichkeiten zu sein. Doch, wie der amerikanische Präsident jüngst (am 13.4.88) sagte: „SDI ist keine Phantasie.“ Der Verlauf dieses Diskurses zeigt aber auch, daß er ganz einfach Bestandteil der allgemeineren Einschätzung des „Reaganismus“ selbst ist.

Nachdem bis 1984 von einem weitreichenden „Realignment“, einer grundlegenden Wende in der Geschichte der USA dieses Jahrhunderts ausgegangen worden war und 1985/6 nur von einer „Krise“ des konservativen Vorhabens die Rede war, mehren sich seit 1987 die Stimmen, die vom „Ende des Reaganismus“ oder gar davon sprechen, daß es ihn als wirkungsvolles, langjährige Trends der Gesellschafts- und Politikentwicklung veränderndes Projekt gar nicht gegeben habe.

Und während Analysen der Rüstungs- und Militärpolitik der USA noch 1985/6 sogar einen Übergang zum Kriegskapitalismus diagnostizierten, wird mittlerweile vom Ende eines „Military Build-Up“ der Regierung R. Reagan gesprochen, das nicht imstande gewesen sei, den seit Anfang der 50er Jahre wirkenden Einflußverlust des Militärsektors aufzuhalten.

Die Bewertung des SDI-Projekts reflektiert diesen allgemeinen Einschätzungswandel, war es doch von Beginn an als – womöglich gar einsame – Idee des Präsidenten verstanden worden, deren Karriere eng und unlösbar mit dem Schicksal der Regierung verbunden sei. Galt SDI 1984/85 als gleichsam unaufhaltbares „Teflon“-Projekt eines „Teflon-“Präsidenten, so wird es heute vielfach als ein Programm dargestellt, das militärisch (umstrittene Zielsetzung), fiskalisch-ökonomisch (Haushaltsdefizit), technisch (geringer Wirkungsgrad) wie (rüstungskontroll-)politisch (ABM; Rücktritt Weinbergers, Perles und Gaffneys; Ablehnung SDl's durch die Demokraten) in einer tiefen Krise stecke. Verfechter wie Kritiker prognostizieren daher, daß mit dem Übergang zu einer neuen Administration entweder das Ende oder die massive Reduzierung des „Lieblings“-Projekts R. Reagans anstehe.

Befördert wird diese Einschätzung durch die mehrfache Herausnahme des SDI-Projekts aus der politischen Öffentlichkeit, seine Entthematisierung: sei's durch die Bundesregierung (die sich zu SDI seit Abschluß des SDI-MoU,mit den USA- also schon fast seit zwei Jahren – kaum noch geäußert hat), sei's durch die sowjetische Regierung, die ihr früheres SDI-Junktim aufgegeben hat.

SDI also: kein Projekt mit Aussicht kein Abrüstungshindernis, kein Thema für; die Friedensbewegung?

II. „Initial deployment“

Bekanntlich versuchte die amerikanische Regierung im Herbst 1986, durch eine Umstrukturierung des SDI-Programms den Einstieg in eine frühzeitige Stationierung („early deployment“) zu erreichen.

Im Budget 1987 wurden die Mittel verlagert weg von den „exotischen“ (Strahlen-)Waffen hin zu „reiferen“ (nichtnuklearen) kinetischen Waffen. Zum Etatentwurf für die Folgeperiode 1988/89 vermerkt ein Geheimpapier der SDIO, daß sie „die Priorität nur auf solche Systeme gelegt habe, welche die reinste Technologie haben, um so eine Entscheidung für eine frühzeitige Aufstellung besser unterstützen zu können.“ (SDI-Monitor [SDIM]20.4.1987). Der Anteil der Mittel für Tests und Demonstrationen wurde zu Lasten der Ausgaben für Grundlagenforschung und Angewandte Forschung gesteigert.

Die Diskussion um die „weite“ oder „enge“ Auslegung des ABM-Vertrages setzte ein und dauerte bis Mitte 1987 an. Daß sich der Kongreß dann mit einer „engen“ Interpretation des ABM-Vertrages gegen die Regierung durchsetzte, ist in der liberalen Öffentlichkeit nicht nur der USA als entscheidende Grenzziehung der SDI-Politik der Regierung interpretiert und – vor allem – als Scheitern der Politik des „early deployment“ verstanden worden.

Tatsächlich spricht die US-Regierung nicht mehr von „early deployment“. Ihr Begriff ist jetzt „initial deployment“.

Vieles spricht dafür, daß die Regierung das Gefecht um die Auslegung des ABM-Vertrages vorläufig verloren hat. Die weit wichtigere Schlacht um das Recht, eine Serie weitreichender SDI-Tests durchführen zu dürfen, hat sie jedoch gewonnen.

Als die Reagan-Administration im Juni 1987 versprach, sich mindestens ein Jahr an die „enge“ Interpretation des ABM-Vertrages zu halten, hat sie wenig zugestanden. ABM-Technologien, die auf „anderen physikalischen Prinzipien“ beruhen und deren Tests eine „weite“ Interpretation des ABM-Vertrages erfordern würden, sind noch Jahre von der Testphase entfernt.. Laser sollen in der ersten Phase nur für Kommunikation und Zielerfassung genutzt werden; in einer zweiten Phase sollen sie zusätzlich Aufgaben der Diskriminierung (Zielunterscheidung) übernehmen; boden- und raumgestützte Laser bzw. Teilchenstrahlen sollen erst in einer dritten Phase als Waffen eingesetzt werden. Eine „weite“ Interpretation, welche das unkontrollierte Testen „exotischer“ Technologien erlaubt hätte, ist andererseits für die Tests der „reifen“ kinetischen Waffen, deren Aufstellung die Administration verfolgt, nicht notwendig.

Als der Kongreß im Spätherbst 1987 das Budget 1988/89 verabschiedete, bestätigte er die Konzeption der Regierung, indem er sich explizit auf den SDI-Regierungsbericht an den Kongreß vom April 1987 bezog, der 17 Tests nennt, welche die Regierung im Laufe der nächsten Jahre durchzuführen beabsichtige. Mindestens zwölf dieser Tests sind äußerst problematisch oder verletzen offensichtlich den ABM-Vertrag. Ein Beispiel ist das Design zweier Experimente des ALPHA Lasers: ein Test – LISE – könne nur unter einer „weiten“ Interpretation des ABM-Vertrages durchgeführt werden; der andere Test – ZENITH STAR – dagegen sei mit der „traditionellen“ Interpretation des ABM-Vertrags vereinbar. Beide Tests benutzen dieselbe Hardware. Der einzige Unterschied zwischen ihnen: LISE ist gegen eine Rakete gerichtet, ZENITH STAR gegen einen Satelliten.

1988 wird die SDI-Organisation (SDIO) zahlreiche Tests durchführen. Es sind großenteils solche, die für einen raschen Einstieg in eine Stationierung einzelner Elemente eines ABM-Systems notwendig sind. Im Zusammenhang mit der Gesamtkonfiguration eines rudimentären Einstiegssystems, das für ein „initial deployment“ geeignet ist, werden vom DoD für die nächsten fünf Jahre 20 große SDI-Tests angestrebt.

Insgesamt konzentrierte sich die SDI-Politik der Administration letztes und auch dieses Jahr auf fünf Schwerpunkte: Einstiegssystem SDS, Energieversorqung, Trägersysteme, Nationale Teststätte, Systemintegration.

III. Das Strategic Defense System

a) Der Einstieg

Anfang August 1987 hat das „Defense Acquisition Board“ des DoD empfohlen, mit sechs SDI-Projekten in die Demonstrations- und Validations- (dem/vel) Phase überzugehen. Innerhalb des formellen „Entstehungsgangs von Wehrmaterial“ haben die Promoteure des SDI-Programms damit eine wesentliche Hürde genommen (sog. „Milestone 1“). Begleitet ist dieser Ubergang von der Ausarbeitung einer operationalen Konzeptarchitektur, die vom Generalstab gebilligt wird (das „Strategic Defense System“). Die „Milestone 2“-Entscheidung gilt dann der „Full-scale Development“ der Systeme, an die sich die Produktionsphase („Milestone 3“) anschließt. Diese Pentagon-Entscheidung, die hierzulande kaum beachtet wurde, ist von großer Bedeutung.

Der Aufbau des SDI-Programms seit 1984 hat sich bis 1987 weitgehend außerhalb der traditionellen Forschungsbürokratie des Pentagon vollzogen. Die Bildung der SDIO als forschungssteuernder Behörde mit über 200 Beschäftigten bedeutete die erste große Veränderung der Forschungsorganisation des Pentagon seit 1958, als (in Reaktion auf den Sputnik) innerhalb des DoD die High-tech-Behörde DARPA (damals noch ARPA) und das Office of Defense, Research and Engineering (DDR&E) geschaffen und die Forschungsverwaltung dadurch straff zentralisiert wurde. Mit SDIO entstand erstmals seit 30 Jahren eine zweite Forschungsbürokratie im DoD. Da die SDIO von den Teilstreitkräften und dem DDR&E unabhängig war, standen ihre Projekte nicht in direkter Konkurrenz zu anderen Forschungsprogrammen; bis 1987 konnte die SDIO verhindern, daß der Kongreß die Finanzierung der einzelnen SDI-Projekte beeinflußte – beides sicherte das exorbitante Wachstum des SDI-Budgets in den Anfangsjahren. Für die weitere (heutige) Entwicklung wichtig war auch, daß bei der Gründung der SDIO die zahlreichen von ihr übernommenen Forschungsprojekte neu klassifiziert wurden als – relativ weit vorangeschrittene – „advanced development projects“ und damit ihre Chancen gesteigert wurden, frühzeitig in die Demonstrations- und Testphase übernommen zu werden. Erst 1987 – nachdem SDI zum größten Einzelprojekt des US-Rüstungsetats geworden war und die SDIO rund ein Fünftel des Etats der Teilstreitkräfte unter Kontrolle gebracht hatte – wurde das SDI-Programm in den formellen Entstehungsgang von Wehrmaterial (DSARC-Prozeß) überführt. Die SDI-Organisation war mittlerweile so stark geworden, daß die von ihr ausgewählten Projekte den „Milestone 1“ passieren konnten.

Das SDS-Profil, dem nach „Defense Daily“ (2Z2.1987) eine „Early SDI Deployment Architecture“ zugrundeliegt, ist wohlausbalanciert: nach Teilstreitkräften, Programmelementen und Standort. Dadurch soll eine breite Basis im SDI-lnteressenklientel gesichert werden:

Bei den Projekten handelt es sich um 3 Programme der Air Force, 2 der Army und ein Programm, das unmittelbar von der SDIO verwaltet wird. Entwickelt werden sollen zwei Waffensysteme (ERIS, SBI), drei Sensorprogramme und ein Battle-Management-Programm. Die Systeme sind boden bzw. raumgestützt. Eng mit diesen Projekten verknüpft sind zwei weitere Sensor(AOS, TIR) und Waffenprojekte (ERINT, HEDI), deren Entwicklung weit vorangeschritten ist und die in das Modell leicht eingebaut werden können. Ihr Einsatzfeld ist die Midcourse- und Terminalphase. Die angestrebten Tests eines Teils dieser Systeme (AOS, SBI, BSTS, SSTS sowie NPB und FEL [s.u.]) verletzen den ABM-Vertrag (vgl. Arms Control Today, April 1988, S.11 -19).

b) Die Kosten

Fast die Hälfte des SDI-Budgets 1988/89 soll auf die Entwicklung dieser Systeme konzentriert werden. (Eine genaue Analyse kann aufgrund der fehlenden Haushalts- und Planungsdaten noch nicht vorgenommen werden; das SDIO ist gehalten, in diesem Frühjahr eine SDI-Finanzplanung vorzulegen.)

Bei der Präsentation dieses Einstiegsmodells (ein „Strohmann-Modell“, das 3000 Raketen auf 300 Satelliten vorsah) vor dem Unterausschuß des US-Senats für Beschaffung hatte der Leiter der SDI-Organisation Abrahamson seine Kosten mit 40-60 Mrd. Dollar angegeben. Diese Kostenangabe soll der Entscheidung des Defense Acquisition Board zugrunde gelegen haben. Freilich: „ln den frühen Morgenstunden des 30. Juli 1987“, berichtet Military Space (MilS) vom 31.8.1987„,stiegen die Kosten der Aufstellung eines Einstiegssystems strategischer Verteidigung um fast das Doppelte. In den ,Nightwatch-Nachrichten' von CBS um drei Uhr morgens gab der Direktor der SDIO Generalleutnant James Abrahamson eine neue Kostenschätzung für die schnelle Aufstellung eines antiballistischen Systems: ,Wir haben Schätzungen für ein erstes, nur teilweise effektives, aber sehr beeindruckendes System, die irgendwo zwischen 70 Mrd. $ und beträchtlich über 100 Mrd. $ liegen', sagte Abrahamson.“ Der (sicherlich gut informierte) Kommandierende General des U.S. Space Command John Piotrowski ging zur selben Zeit von rund 200 Mrd. $ aus- „Sogar wenn es 500 Mrd. $ kosten würde, wäre es seinen Preis wert“ (MilS 14.9.1987). Für die nächsten Jahre sieht der Planungsdirektor des U.S. Space Command General Wayne Knudson SDI-Ausgaben in Höhe von 25-30 Mrd. $ (MilS 6.7.87). Allein die Produktionskosten der sechs SDS-Projekte hat die Zeitschrift „High Technology Business“ (HTB) auf rund 100 Mrd. $ geschätzt (Dezember 1987, S. 22 f.). Wenn man davon ausgeht, daß die Forschungs-und Entwicklungskosten bei Projekten vergleichbaren Zuschnitts rund 'ks betragen (so auch der Vizepräsident von Martin Marietta zu SDI, Vfgl. SDIM v. 19.10.1987) und das SDI-Budget bis 1998 den jetzt erreichten Stand (4 Mrd. $) nicht überschreiten würde (eine äußerst unwahrscheinliche Annahme), dann lägen die Gesamtkosten eines SDS weit über 260 Mrd. Dollar.

Will man die weitere Entwicklung des Programms abschätzen, muß man von den drei großen Verschiebungen ausgehen, die mit der Politik der US-Administration in den 80er Jahren verbunden waren:

a) In den 80er Jahren sind die Mittel der USA für weltraumbezogene Aktivitäten verdrei- bis vervierfacht worden. In den zwei Arntszeiten R. Reagans sind über 80 Mrd. $ für militärische Weltraumaktivitäten ausgegeben worden. Anfang der 80er Jahre waren die NASA/DoD-Ausgaben noch ungefähr gleich hoch; 1986 standen Z3 Mrd. Ausgaben der NASA 15.8 Mrd. Ausgaben des DoD für weltraumbezogene Aktivitäten gegenüber (Bulletin of the Atomic Scientists, November 1987; SDIM 6.4.1987). Von den rund 30 Mrd. $, welche die US-Regierung 1987 für weltraumbezogene Aktivitäten ausgegeben hat, kommen nahezu zwei Drittel aus dem DoD-Budget (Spacewatch Fortnightly [SF] v. 2.11.1987). Die Anfang 1988 vorgelegten Planungen der amerikanischen Regierung, die NASA weitgehend auf ihre Forschungsfunktion zu reduzieren und der (militarisierten) Raumfahrtindustrie eine noch stärkere Rolle zu geben, wird eine über drei Jahrzehnte gewachsene Institution und damit auch die zivile Seite der amerikanischen Weltraumpolitik vollends bedeutungslos werden lassen.

b) Eine jüngst veröffentlichte Studie des amerikanischen Bundesrechnungshofes ergab, daß zwischen 1975 und 1983 die Gewinne (vor Steuem) von 75 Hauptauftragnehmern des DoD mehr als doppelt so hoch waren (Defense Daily 13.10.1987), mit Schwerpunkt im Bereich der Luftfahrt und Raketen/Weltraum-Produktion. Eine zweite Studie der RRG Associates, die Mitte 1987 publiziert wurde, und 33 Großunternehmen die 52 % der DoD-Mittel an Rüstungsunternehmen auf sich zogen, kam für das Jahr 1985 auf dasselbe Ergebnis: einem Gewinn von 22,4 % auf militärische Auftragsproduktion stand ein Gewinn von 10,1 % auf kommerzielle Produkte gegenüber, für die ähnliche Herstellungstechniken verwandt wurden. „Jedes Jahr seit 1981, als Präsident Reagan sein Amt antrat, waren die Rüstungsprofite mindestens doppelt so hoch wie die Gewinne aus dem zivilen Geschäft. Am Gipfel Reagan'schen Aufrüstung – 1983 – waren die Rüstungsprofite 3.3 mal so hoch. Während der vier Jahre der Carter-Administration waren die Rüstungsprofite zwischen 1.7 und 1.9 mal so hoch wie die Gewinne aus zivilen Umsätzen.“ (Defense Industry Report v.1.6.1987, S. 235; Defense Week v.18.5.87).

In der Luft- und Raumfahrtindustrie, in der SDI gemeinsam mit der Elektronikindustrie seine Basis hat, stagnierte zwischen 1972/ 1987 der Umsatz mit Raketen, wogegen der Umsatz in der SparteWeltraum sich verdoppelte (Defense Daily 19.12.1986).

Zwischen den günstigen Bedingungen der Profitentwicklung im Rüstungssektor und dem Bedeutungszuwachs des militärischen Weltraummarktes gibt es offenbar einen Zusammenhang. Beides hat das SDIlnteressenmassiv gestärkt.

c) Die Gesamtausgaben der USA für militärische Forschung werden 1988 erstmals an die 50 Mrd. Dollar Grenze herankommen (40.5 Mrd. $ Staatsausgaben, ca. 9.5-10 Mrd. $ Ausgaben für „lndependent R&D“, vgl. Armed Forces Journal Juni 1987, S.102 ff.; Defense Daily v.27.10.1986). Auch dieses Umfeld der militärischen Forschung ist weiter expansiv, wenn auch abgeschwächt.

Insgesamt läßt sich weder aus der Entwicklung des SDI-Budgets selbst noch aus der gesamten DoD-Haushaltsentwicklung schließen, daß die SDI-Ausgaben in den nächsten Jahren entscheidend reduziert werden.

Zwar hat sich das Wachstum des SDI-Haushalts stark verlangsamt und der Zeitplan für zahlreiche Projekte mußte gestreckt werden. Dennoch bleibt SDI das wichtigste und offenbar auch das expansivste militärische Forschungsprojekt des DoD.

In den fünf Haushaltsjahren 1984-1988 sind für SDI rund 13.2 Mrd. $ ausgegeben worden – nicht, wie der amerikanische Präsident am 13.4.1988 behauptete, „weniger als“ 13 Mrd. $; dabei sind hier die zahlreichen SDI-bezogenen Ausgaben außerhalb des Budgets der SDIO nicht einberechnet (das betrifft vor allem die Milliardenbeträge für Lastentransport, die 1985/6 initiierte „Air Defense Initiative“ und Projekte im Command, Control and Communication-Bereich wie DARPA-Projekte' die aus dem Multiple Satellite System-Programm herauskommen und auf SDI zugeschnitten wurden).

Das SDI-Budget (in Mio $)
1984 1985 1986 1987 1988 1989
1110 1607 3035 3638 3905 4948
1984-1986 Ist; 1987 Schätzung; 1988-1989 Regierungsentwurf vom Februar 1987;
Spacewatch Fortnightly v. 22.2.1988 S.7

Für die nächsten Jahre sind vom erreichten Plateau von etwa 4 Mrd. $ aus Stagnation oder bestenfalls langsame Zuwächse (bis zu 500 Mio. $) wahrscheinlich. 60 % von 135 Ende 1987 befragten Unternehmen, deren SDI-Umsatz über 100.000 $ liegt, halten eine solche Entwicklung „nach Reagan“ für wahrscheinlich; 15,6 % nehmen eine dramatische, 25,9 % eine leichte Abnahme des Budgets an (HTB Dezember 1987' S. 25). Während das Wachstum des DoD-Budgets sich seit 1986 rapide verlangsamt hat und in Stagnation übergegangen ist (die nach allen Einschätzungen andauern wird), sind die Budgets für Weltraum, Forschung und Entwicklung sowie die Elektronikkomponenten trotz stagnierenden „Budgetumfelds“ weiter expansiv. (Diese Budgets fallen zum Teil zusammen: zwischen 50 und 60 % des Weltraum- und 40-50 % des R%D-Budgets gehen nach Angaben der Electronic Industries Association in die Elektronik.)

Eine langandauernde Gegenläufigkeit dieser Entwicklung kann es freilich nicht geben.

c) Die Projekte

1. SBI

Beim SBKKV- Space-Based Interceptor (SBI) Kinetic Kill Vehicle handelt es sich um Waffensatelliten im Niedrigorbit, deren „smarte“ Raketen (die „SBI's“J auf gegnerische Flugkörper in der Startphase (Boost- und Post-Boost-Phase) geschossen werden. Die SBKKV's wiegen momentan rund 800 Pfund und sind 6 Fuß lang. Sie sollen noch um 200 Pfund leichter gemacht werden. Die einzelnen SBl's sollen 10 km/sec zurücklegen und doch nur 10 Pfund wiegen. Jeder Waffensatellit soll bis zu 10 Raketen tragen. Geplant sind „Flotten dieser Fahrzeuge“ (DoD) – zunächst 250350 SBl's (abhängig von der Projektilgeschwindigkeit). Verschiedene Modelle (Livermore, Marshall-lnstitut) gehen von 10.000-40.000 Raketen aus. Im Haushaltsjahr 1984-1987 wurden 264 Mio. $ in das Programm investiert, die jetzt vergebenen Hauptkontrakte liegen bei ca. 600 Mio. $, das potentielle Gesamtauftragsvolumen liegt bei 40 Mrd. $. Die zwei Hauptkontraktoren sind Martin Marietta (238.6 Mio.) und Rockwell (358 Mio.) (Subs: GE [Sucher], LTV [Avionik, Litton Industries [Laser und United Technologies [Projektile). Bisherige Hauptauftragnehmer waren Rockwell, TRW, General Motors, United Technologies, General Dynamics und Gencorp. Das Programm hat die Air Force als Träger. Erste Flugtests sind für 1989 vorgesehen – allerdings kann die Wirksamkeit des Waffensatelliten durch schnell brennende Träger stark gemindert werden.

2. ERIS

Bei ERIS (Exoatmospheric Reentry Vehicle Interceptor System) handelt es sich um „smarte“, gut 1 m große selbstzielsuchende Abfangraketen mit Hitzesuchköpfen; die vom Boden aus gestartet werden um kinetisch (mit Bewegungsenergie) außerhalb der Atmosphäre Objekte abzufangen (midcourse / late midcourse intercept); der Kopf soll 5-10 kg schwer und 5-6 km/sec schnell sein, die Reichweite liegt bei einigen Tausend km. Das ERIS-Projekt baut auf dem Homing Overlay Experiment auf (Zerstörung einer Sprengkopfattrappe bei 22.000 km/h), das auf einen Auftrag an Lockheed aus dem Jahr 1978 für eine „konventionelle“ Abfangrakete zurückgeht. Im Haushaltsjahr 1984-1987 wurden 187 Mio. $ aufgewandt, der 1986 vergebene Hauptkontrakt in Höhe von 468 Mio. $ ging an Lockheed (Subkontrakte: Singer; Honeywell, Texas Instruments, TRW). Das DoD hat sich darauf festgelegt, daß der Stückpreis der Rakete nicht über 1 Mio. $ liegen darf. Der Kontrakt läuft auf 5 Jahre, obwohl das Programm noch in der Testphase ist sind für 1990/91 erste Flugtests geplant. Bisherige Hauptkontraktoren waren Lockheed, General Motors, TRW, Rockwell, Sparta, Boeing, LTV und Martin Marietta. Das potentielle Gesamtauftragsvolumen des von der Army verwalteten Programms wird auf 15 Mrd. $ geschätzt.

3. BSTS

Das Boost Surveillance and Tracking System (BSTS) ist ein Frühwarnsatellit, dessen gekühlter Infrarotsensor (MWIR) ICBM's in der Startphase aufspüren und verfolgen kann. BSTS ist ein Follow-On-Projekt des Satelliten-Programms des Defense Support Programms.282 Mio. $ wurden für ihn zwischen 1984-1987 aufgewandt, die Aufträge für den Bau eines Demonstrationssatelliten in Höhe von 608 Mio. $ wurden 1987 vergeben; das Gesamtauftragsvolumen des bei der Air Force angesiedelten Programms wird auf 16 Mrd. $ geschätzt. Die zwei Hauptauftragnehmer sind Lockheed (im Team mit McDonnell Douglas, Perkin-Elmer, SAI, Honeywell, Hughes Aircraft und IBM; die Subkontraktoren sollen rund 2/3 des Lockheed-Kontrakts – 304 Mio. – bekommen) sowie Grumman (mit Rockwell, Raytheon, Ford, Litton Itek, Amber Engineering, Computer Systems, GTE, Honeywell, Jaycor, Photon Research Associates, Sparta sowie Tracor). Bisherige Hauptauftragnehmer waren Lockheed, TRW, Flow General, General Motors, Rockwell und Ford. Für 1990 sind erste Bodentests, für 1993 der erste Flugtest vorgesehen. Im übrigen soll das BSTS-Projekt im Haushaltsjahr 1989 aus dem SDI-Budget herausgenommen und Bestandteil des allgemeinen Etats der Air Force werden.

4. SSTS

SSTS, das Space Surveillance and Tracking System, ist ein 1000 bis 3000 kg schwerer Sensorsatellit, der in ca. 8000 km Höhe mittels langwelliger Infrarotsensoren Raketen in der Post-Boost- und Midcourse-Phase erfassen und von Täuschkörpern unterscheiden soll. Da in dieser Phase die Objekte kühl sind, ist die Infrarotstrahlung weit schwerer zu erfassen. Je nach Systemarchitektur sind 20-100 Satelliten nötig. Das SSTS ist ein Follow-On des SBSS-Systems im Rahmen der ASAT-Forschungen. 176 Mio. $ wurden von 1984-1987 für das SSTS im SDI-Budget ausgegeben, 1987 wurde Phase Il-Kontrakt in Höhe von 65.7 Mio. $ vergeben; die Experimentalgesamtkosten werden auf 2.2 Mrd. $, das potentielle Gesamtauftragsvolumen auf 20 Mrd. $ geschätzt. Um den Bau eines Demonstrationssatelliten konkurrieren TRW und Lookheed. Subkontraktoren sind Hughes Aircraft, Applications International, Photon Research Associates (TRW-Team) und Aerojet, Raytheon, Honeywell, Optical Research Associates sowie Breault Research Organization (Lockheed). Bisherige Hauptkontraktoren: TRW, Lockheed, Rockwell, Flow General, Burroughs, McDonnell Douglas, SAI, Sperry. Beide Teams erhielten 1987 von der Air Force konkurrierende Kontrakte in Höhe von 33.6 Mio. Dollar. 1994 ist der erste Flugtest vorgesehen.

5. GSTS

Beim GSTS (Ground-based Surveillance and Tracking System) („Probe“) handelt es sich um eine bodengestützte (d.h. launch on-warning) Sensorenplattform, die einen langwelligen Infrarotsensor (LWIR) mit einem Teleskop und Tausenden von Detektoren zur Identifizierung aufliegender Objekte im midcourse-Bereich hat. Der Entwicklungskontrakt für das GSTS-System liegt bei 7-800 Mio. $, das potentielle Gesamtauftragsvolumen bei 4 Mrd. $. Der Hauptauftragnehmer ist McDonnell Douglas (Subkontraktoren: Boeing, Hughes, Lockheed, LTV, Martin Marietta, SAI, Sperry). Die Army plant für Ende 1989 erste Flugtests. Der Sensor (LWIR) wird auch im AOS-Programm benutzt, sein erster Test war 1986. Auch das GSTS ist ein Follow-On des (SDI-) „Braduskill-Programms“ bzw. des Forward Acquisition Sensor Programms (vor SDI).

6. BMC3

Die Stichworte für das bei der SDIO selbst liegende Projekt des Battle Management/ C31-Systems für die Systeme des „initial deployment“ sind Integration, Software engineering, Netzwerkstruktur (SDI-net), Kommunikation, Mensch-Maschine-System. Für die Phase II des Vorhabens erging schon 1986 ein 7.5-Mio. $-Kontrakt an Ford, IBM und McDonnell Douglas (bisherige Hauptauftragnehmer [Phase I] waren Ford, Harris, Hughes Aircraft, IBM, McDonnell Douglas, TRW). Das potentielle Gesamtauftragsvolumen liegt bei 5 Mrd. Dollar. Für 1988 sind erste Experimente vorgesehen.

IV. Sicherung der Energieversorgung

Ein SDI-System gleich welcher Konfiguration ist äußerst energieintensiv. Von Beginn an ging man davon aus, daß eine Großzahl von Atomreaktoren zur Sicherung der Energieversorgung eingesetzt werden müßten. Man hat in den 60er und 70er Jahren rund 1.4 Mrd. $ für die Entwicklung eines Weltraumreaktors ausgegeben.1973 stellte man die Entwicklung ein, 1983 wurde das Entwicklungsprogramm des SP-100-Weltraumreaktors wiederaufgenommen. Beim Aufbau des Programms raumgestützter militärischer Energieversorgung ging man 1983/4 davon aus, daß z.B. ein Skylab nur 25 kw benötigt und die zukünftige Raumstation 50-100 kw; der ständige Bedarf der SDI-Systeme liege dagegen bei 300-900 kw, in Aktion („Burst Power“) sogar bei 20100 Megawatt innerhalb weniger Sekunden. Bis Ende 1986 konzentrierte man sich daher fast nur auf die Linie des SP-100-Reaktors (Leistung 25 kw bis 1 MW). Die zweite Entwicklungslinie eines Multimegawatt-Reaktors (MWW) für (z.T. weit) höhere Leistungen wird für Strahlenwaffen gebraucht. Das MWW-Programm ist noch in der Konzeptphase. Ende 1986 wurde dann das gesamte Programm umorientiert: der für eine frühzeitige Stationierung relativ unwichtige MWW wurde zurückgestuft und die Entwicklung des „Dynamic Isotope Power System“ (DIPS) für die niedrigeren Leistungsanforderungen (5-10 kw) forciert, die für ein Einstiegssytem wesentlich sind. 148.7 Mio. $ waren hier für die Haushaltsjahre 1984-1987 vorgesehen. Der 1986 an General Electric vergebene SP-100-Kontrakt belief sich auf 175 Mio. $; Schätzungen zu den Gesamtkosten liegen nicht vor.

Ein großer Teil des Programms wird außerhalb des SDI-Budgets finanziert (DOE NASA, Air Force). Die ersten Bodentests des SP-100 sind für 1991, der erste Raumtests für 1993 vorgesehen.

Erwähnenswert ist die immense Leichtfertigkeit, mit der mit dem Problem der Folgen und Konsequenzen der Stationierung einer Großzahl von Atomreaktoren im All umgegangen wird: „We can't dump one of these reactors in and spew radioactive material all over the place – we need to bring it in intact.

The public wouid not stand for it being dispersed. (…) (But) … what are you going to do when on of these things comes in, and we're talking of 100s of tons, and completely wipes out the Pan Am buliding in New York? That's acceptable?“ (John Dearien, SDIO-Projektoffice MWW-Programm, 1987, vgl. SDI-Monitor Z9.1987).

Entsprechend vermerkt die einschlägige Fachzeitschrift „Military Space“: „How to ensure that such a large nuclear reactor wouid not cause disaster if it could not be boosted and ended up returning to earth is a major question.“ (Military Space 31.1.1987, S.6).

V. Sicherung der Trägerkapazität für ein „Initial deployment“

Schon lange vor dem Challenger-Desaster orientierte das DoD seine Trägerpolitik um. Bis Mitte der 90er Jahre greift das Pentagon auf vorhandene Raketen (Titan, Delta) bzw. die Shuttles zurück. Ihre Kapazität reicht jedoch nur für die Durchführung der geplanten SDIO-Tests, nicht aber für eine Stationierung aus. Zur Sicherung der dafür nötigen Trägerkapazität hat das DoD (mit der SDIO an führender Stelle) zwei Programme (ALS – Advanced Launch System und NASP – National Aerospace Plane) initiiert deren Kosten heute noch nicht absehbar sind. Sie hängen entscheidend von der Architektur des Systems ab. Mit dem Kauf zahlreicher Delta und der Vergabe der zentralen Kontrakte für das NASP an Rockwell, Pratt & Whitney, General Dynamics und McDonnell Douglas ist eine wesentliche Vorentscheidung für der Einstieg in den Aufbau einer riesigen Trägerkapazität (die nur bei einem umfangreichen militärischen Nachfragemarkt Sinn macht) gefallen. Die Entscheidung über die Produktion des NASP soll 1990 fallen, erste Testflüge sind für 1993 geplant. Martin Marietta, McDonnell Douglas und Rockwell verdienen in den nächsten Jahren Hunderte von Millionen für die Entwicklung bzw. den Bau der Delta-bzw. Titan-Raketen und den Bau eines neuen Shuttle. Um die Schlüsselkontrakte für die Schwerlastrakete ALS konkurrieren noch sieben Unternehmen. Hier soll die Produktionsentscheidung schon 1989 fallen; einsatzbereit soll die ALS jedoch erst Ende der 90er sein. Sowohl das NASP wie die ALS und das neue Shuttle werden großenteils außerhalb des SDI-Budgets finanziert.

VI. Das National Test Bed

Da SDI nicht praktisch erprobt werden kann, soll es simuliert werden. Das NTB soll a) die Konzepte des SDI-Systems (System architekturen) simulieren, b) die Codes (Software) der Battle Management Systeme validieren, c) die SDI-Tests der Einzelsysteme koordinieren und damit unmittelbar Produktionsentscheidungen vorbereiten. Rund 300 Experimente sind geplant, etwa 200 Einrichtungen sind Bestandteil des NTB-Gesamtsystems, dessen zentraler Standort in Falcon AFS (Colorado) ist (hier auch das AF Space Command). 1991 soll die volle Funktionsfähigkeit des National Test Bed erreicht werden. Im Januar 1988 erhielt Martin Marietta den Hauptkontrakt in Höhe von 508 Mio. $ (Subkontrakte: Hughes Aircraft [General Motors], IBM, Logicon, Link, Geodynamics, Computer Technology Associates, Parsons, Abel Image Research).

VII. Die Systemintegration

1988 soll der zentrale Kontrakt zur Systems Engineering und Integration von SDI vergeben werden. Er ist 900 Mio. bis 1.2 Mrd. $ wert – der bislang größte einzelne SDI-Auftrag. Dabei geht es um die Vernetzung der einzelnen Systembestandteile und die Umsetzung des Konzepts in ein detailliertes Systemdesign. Integration des SDS. Die Zeitschrift Defense News vom 24.8.1987 vermerkte, daß der Hauptauftragnehmer „will he in a Position to influence the final design of the System“. Gegenwärtig konkurrieren Rockwell (Sub: Hughes Aircraft, IBM, Logicon, Singer-Link, Nichols Research) und Martin Marietta (Sub: General Electric, Titan, Ford), die 1986 Designkontrakte bekamen. Beide Großkonzerne gehören mit TRW, Sparta und Science Applications International zu den fünf Unternehmen, welche an der „SDI-Systemarchitektur“ arbeiten.

VIII. Energiewaffen

Durch die Vergabe der Schlüsselkontrakte Er die skizzierten Schwerpunktvorhaben seit Ende 1986 ist ein zentrales Element der Stabilität in das SDI-Programm einbezogen worden, das allein schon sein Überleben über die Amtszeit der Regierung R. Reagan hinaus sichert. Aber auch für Forschungsarbeiten und Tests der zwei wichtigsten Projekte im Programmbereich der „Directed Energy Weapons“ sind im letzten Jahr durch die Vergabe von – zum Teil riesigen – Kontrakte vorentscheidende Schritte getan worden. Sie sollen Tests Anfang der 90er Jahre ermöglichen, ohne die ein Ubergang das SDS in die nächste Entwicklungs- bzw. die Produktionsphase nicht möglich ist.

McDonnell Douglas bekam 480.6 Mio. $ für das „Space-based Neutral Particle Beam Integrated Experiment“, d.h. den Bau eines Teilchenstrahlbeschleunigers sowie von Ziel- bzw. Detektorsatelliten für Raumtests in den frühen 90er Jahren. Zweck des Experiments ist es, in der midcourse-Phase Spreng- und Täuschkörper zu unterscheiden. Der Kontrakt läuft bis 1991. Es ist der größte Kontrakt, den McDonnell Douglas bisher von der SDIO erhalten hat; die Unteraufträge erhielten Boeing und TRW.

Für das in der ersten Phase 1.7 Mrd. $ schwere Programm des „Freien Elektronen Lasers“ (FEL) werden 5 Hauptkontrakte ausgeschrieben. Drei sind bisher vergeben: der Systems-Engineering-lntegration-Kontrakt an TRW(170 Mio. $) mit Unteraufträgen an BDM, Lockheed, Ralph M. Parsons; W. J. Schafer Associates; Bechtel erhielt den Auftrag für den Entwurf, Fluor den Auftrag (197.6 Mio. $) für den Bau der Anlage (in den frühen 1990ern soll es einen Folgekontrakt geben in Höhe von 450 Mio. $). Das Projekt ist der größte Militärkontrakt an Fluor. Den vierten Hauptkontrakt wird voraussichtlich 1988 Lockheed für die Optik erhalten, welche den Laserstrahl kontrollieren soll (Unteraufträge an United Technologies, North East Research Ass. und Perkin-Elmer). Er ist 500-600 Mio. $ wert und wird bis 1992 laufen. Der fünfte Großkontrakt zum Bau des Lasers selbst (ca. 700 Mio. $) soll ebenfalls 1988 noch vergeben werden; er wird entweder an Boeing (mit LANL) oder an TRW (mit LLNL) fallen. Da im Dezember 1987 der Budgetansatz für den FEL jedoch um 59 % gekürzt wurde, ist mit einer Verzögerung der Experimente zu rechen.

IX. SDI als Industriepolitik?

Schon Mitte 1986 hatte die Business Communications Company (BCC) eine Studie publiziert mit dem Titel „The Strategic Defense Initiative: Business Opportunities and Technological Potential“, die prognostizierte, daß die gesamten Umsätze aus den SDI-Technologien 5-20 Billionen $ betragen würden. „Das riesige Potential aus entwickelter SDI-Technologien könnte die USA an die Spitze der Welttechnologie bringen.“ (vgl. DS&E 6/1986, S.79).

Derlei Enthusiasmus ist nur noch selten zu hören. Tatsächlich sind die wirklichen Spin-Off-Aktivitäten der SDIO minimal. Erst 3 Jahre nach Gründung der Organisation (1987) wurde für 800.000 $ die „Technology Applications Information System“ (TAIS) Datenbasis der SDIO eingerichtet. Sie enthält 200 Beschreibungen von SDI-Technologien und bezieht sich auf die Gebiete Biomedizin, Energie, Elektronik und Materialforschung.3.325 Kontrakte wurden von vier Panels auf ihre Verwendbarkeit untersucht. Seine Benutzung ist begrenzt: „Obwohl es in der Datenbank keine Informationen gibt, die im Privatbesitz sind oder als militärisch kritisch bzw. geheim klassifiziert wurden, haben nur solche Unternehmer und Wissenschaftler zu ihr Zugang, die als eine spezielle Genehmigung (Militarily Critical Technology Agreement) des DoD haben … die Einschränkungen sind notwendig um zu sichern, daß die Informationen nur für US-amerikanische und nicht für ausländische Firmen zugänglich sind.“ (SDIM v. 19.10.1987). Die Nutzer werden von der DoD-Behörde Defense Logistics Agency überprüft. Die Nutzerliste ist begrenzt, die Nutzungszeit beträgt 15 Minuten. Während die SDI-Forschungsergebnisse ausländischer Firmen Bestandteil der Datenbank sind, dürfen sie selbst die Datenbank nicht nutzen (SDIM v. 15.6.1987; Defense News 2.11.87). Daneben gibt es noch eine klassifizierte Datenbasis.

Nur in der Laserforschung wurden umfangreichere Projekte in Höhe von rund 10 Mio. $ (!) aufgelegt, um medizinische Anwendungen zu ermitteln. Das SDI-Projekt braucht man dazu freilich nicht. Brody resümiert in seinem Beitrag in „High Technology Business“ (Dezember 1987, S.29): „Bislang jedoch ist aus SDI wenig kommerziell Wichtiges herausgekommen. Die verfolgten Technologien führen weitaus überwiegend nicht von alleine zur Nutzung im industriellen oder häuslichen Bereich. Mehr noch: viele SDI-Arbeit ist klassifiziert und viele Forschung, die jetzt für die öffentliche Diskussion offen ist, wird sekretiert werden, sobald sie nützliche Technologie produziert.“

Das Fehlen eines wirkungsvollen Mechanismus zum Transfer und zur Diffusion von Technologien, die im SDI-Programm erarbeitet werden, lassen es als äußerst unwahrscheinlich erscheinen, daß die SDIO (auch sekundäre) industriepolitische Zwecksetzungen relevanten Umfangs verfolgt.

Das schließt nicht aus, daß es vor allem in einer Hinsicht ein ins Gewicht fallendes Spin-Off-Potential im SDI-Programm geben kann: nach verschiedenen Einschätzungen liegt der Elektronikanteil im SDI-Programm bei ca. 60 % (MilS 27.10.1986; Defense Electronics Nov. 1986, S. 107 ff.), so daß – ungeachtet des hohen Anteils eng spezifizierter Technologien im SDI-Programm – sich objektive Voraussetzungen für ein Diffusionspotential des Programms entwickeln könnten. Genauere Untersuchungen hierzu stehen noch aus.

X. Schlußbemerkung

Gegenüber der ursprünglichen Zeitplanung für ein „early deployment“ ist die Industrie offenbar skeptisch. Nach Ansicht der EIA sind 1997 noch die meisten SDI-Programme in der Entwicklung, BSTS und SSTS sowie bodengestützte Laser könnten allerdings bis dahin stationiert sein. Die Befragung der 135 SDI-Auftragnehmer erbrachte, daß 14,1 % 1990 als Stationierungsbeginn, 23,7 % Mitte der 90er Jahre und 13,4 % das Ende des Jahrzehnts angaben. Die gegenwärtig vorliegende Zeitplanung des Programms sieht wesentliche Tests im Laufe der nächsten Jahre vor. Sie zielt darauf ab, 1993, spätestens Mitte der 90er Jahre mit einer Stationierung erster Elemente beginnen zu können.

Insgesamt kann es kaum Zweifel daran geben, daß sich die Politik der Bewaffnung des Weltraums auch nach dem Ablauf der Amtszeit der gegenwärtigen US-Administration fortsetzen wird.

Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie und Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

SDI-Kosten und Aufträge

Neues aus den USA

SDI-Kosten und Aufträge

von Redaktion

Eine Studie des Forschungsdienstes des Kongresses (Congressional Research Service) schätzt die SDI-Gesamtkosten auf 7 Mrd. bis 1 Billion je nach Komplexität des Systems. Die Transportkosten für ein „dünnes“ ABM-System, das Mitte der 90er Jahre aufgestellt würde, werden mit 7-32 Mrd. $ angesetzt; 1997-2000 dann 20-254 Mrd. $, für ein komplexes System, dessen Aufstellung erst nach dem Jahr 2000 erfolgen könnte, werden Kosten von mehr als 1 Bio. $ geschätzt. Variablen sind die Fähigkeiten zur Bekämpfung sowjetischer Raketen schon in der Startphase, zur Entdeckung von Täuschkörpern und die Kosten der Trägersysteme.

Nach dem Auftragswert steht im Haushaltsjahr 1987 Lockheed unter den SDI-Auftragnehmern mit 199 Mio. $ an erster Stelle, gefolgt von Boeing (149 Mio. $), McDonnell Douglas (106 Mio. $), TRW (94 Mio. $), LLL (95 Mio.), Rockwell (83 Mio.), MIT (Lincoln Laboratory, 79 Mio.), LANL (77 Mio.), Teledyne (53 Mio.) und Grumman (49 Mio.).

Am Ende des Finanzjahres 1987 wurden 79 Aufträge im Gesamtwert von 96,781 Mio. $ ins Ausland vergeben; die BRD hat am meisten SDI

Cash erhalten: 19 Aufträge im Werte von 45,9 Mio. $; die Angaben für die anderen Länder lauten: England 24/29,9 Mio. $; Israel 10/11,4 Mio. $; Italien 13/5,0 Mio. $; Japan 0/0; Frankreich 4/3,4 Mio. $; Kanada 4/0,9 Mio. $; Belgien 1/0,09 Mio. $; Holland 1/0,04 Mio. $ (Defense Daily 12.11.1987).

Profitratenentwicklung

Eine neue Untersuchung des amerikanischen Bundesrechnungshofs (General Accounting Office) ergab, daß die durchschnittlichen Gewinne vor Steuern in der US-Rüstungsindustrie im Zeitraum 1975-1983 bei 22,6 % lagen (zivile Industrie: 12,9 %), wobei der Zuwachs unter der Regierung Reagan bemerkenswert ist: 1970

1979 waren die Gewinne 19,4 % (zivil: 14,4 %), 1980-1983 23,3 % (10,6 %). Das GAO lieferte auch erstmals eine Aufgliederung der Gewinnentwicklung nach Zweigen (1980-83): Luftfahrzeuge / Triebwerke 28 %, Raketen / Weltraum 24 %, Waffen / Munition und Fahrzeuge 23 %, Elektronik 20 %, andere Ausrüstungen 10 %, Dienstleistungen 28 % (Defense Daily 13.10.1987).

Weltraumforschung

Nach einer neuen Studie des GAO sind die Ausgaben des DoD für Weltraumaktivitäten von 4,8 Mrd. $ (1981) auf 12,7 Mrd. $ (1985) gestiegen, während die Mittel der NASA nur von 4,9 Mrd. $ auf 6,9 Mrd. $ anstiegen (Science & Government Report 15.3.1987).

Supraleiter und Militärforschung

Die zahlreichen Berichte der letzten Monate zu dem spektakulären Durchbruch auf dem Gebiet der Supraleitung erwähnten nicht das mindestens ebenso atemberaubende Tempo, mit dem das Pentagon in die Supraleiterforschung einsteigt. Zu der im Juli 1987 von Reagan präsentierten „Supraleitungs-Initiative“ der amerikanischen Regierung gehören Ausgaben für militärische Forschung auf dem Gebiet der Supraleiter von mindestens 150 Mio. $ (in den drei Jahren bis 1990). Der augenblicklich diskutierte gesetzliche Rahmen für die „Initiative“ gibt „dem Pentagon eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des Plans und den Löwenanteil der Finanzmittel“ („Defense News“ v. 19.10.1987). Eine Fünfjahresplanung für die militärische Supraleitungsforschung ist fast fertiggestellt, die Einrichtung eines „DoD Office of Superconductivitiy“, welches die gesamten Arbeiten koordinieren soll, ist geplant. Der Vorstandsvorsitzende der „National Science Foundation“ R. W. Schmitt erklärte im August 1987, „daß die wichtigsten zusätzlichen Anwendungsgebiete vermutlich in der Luftfahrt und Verteidigung“ liegen würden und die – mit der DFG vergleichbare – NSF kein Problem mit der prominenten Rolle des DoD in der Supraleiterforschung habe. Das DoD hat 1987 seine Ausgaben für militärische Grundlagenforschung im Bereich der Supraleiter von 5 Mio. $ auf 12,5 Mio. $ angehoben; weitere 10,5 Mio. $ werden vom DoD für angewandte Forschung und Entwicklung ausgegeben. DARPA, die High-Tech-Behörde des DoD, wird weitere 20-40 Mio. $ ausgeben; sie hat in den letzten Wochen 10 neue Projekte initiiert und bearbeitet 203 Projektvorschläge, die Projekte sollen unklassifiziert sein. Im SDI-Bereich geht es um Radar und Sensoren zur Überwachung und Zielermittlung (u.a. 6 Supraleitungsprojekte im Rahmen des SDI-Terahertz Technology Programms des Rome Air Development Center der Air Force für 6 Mio. $), Anti-U-Bootkriegsführung, Kommunikation und Datenverarbeitung. Außerdem geht es um ein Energieversorgungssystem für bodengestützte Laser, dessen Prototyp zwischen 100 und 300 Mio. $ kosten soll. Ein Konsortium, das von der Universität von Alabama-Huntsville geführt wird, erhält für Supraleiterforschungen 2 Mio. $; das SDI-Büro für Grundlagenforschung (IS&T) gab an, seit 3 Jahren Aufträge im Werte von „einigen Millionen $“ für die Anwendung von Niedrigtemperaturkomponenten für Infrarotsensoren zu vergeben. 1987 stieg das IS&T mit 600.000 $ in die Erforschung von Supraleitern im Bereich höherer Temperaturen ein. Supraleitung ist auch das einzige Gebiet, das im Kontraktprogramm der SDIO für kleine und mittlere Unternehmen (SBIR) für 1988 neu ausgeschrieben wurde. Die jährlichen staatlichen Gesamtausgaben für Supraleiterforschung in den USA liegen momentan bei 30 Mio. $ (Washington Post 29/7/1987; SDIM 15.5.1987; 277.1986; 24.8.1987; 19.10.1987; Science & Government Report 1.9.1987).

„Euro-SDI“

„Euro-SDI“

von Ulrich Broßies

Infolge des US-amerikanischen SDI-Programms kam es auch in westeuropäischen Staaten zu Diskussionen über Fragen einer Raketenabwehr und über eine Beteiligung an der militärischen Nutzung des Weltraums. Kritische Analysen hierzu haben vielfach darauf hingewiesen, daß beide Aspekte eine faktische Unterordnung westeuropäischer Sicherheitspolitiken unter die „Star-Wars“-Pläne der Reagan-Administration darstellen.1

Im Folgenden soll demgegenüber auf den Doppelcharakter beider Debatten, nämlich Integration unter das SDI-Programm einerseits und Freisetzung eigenständiger Dynamiken im Bereich der europäischen Rüstung andererseits, verwiesen werden. Ausgangspunkt hierfür ist die immens widersprüchliche Haltung westeuropäischer Staaten – und hier besonders der BRD – gegenüber SDI.

Die Haltung der Bundesregierung zu SDI

Unmittelbar nach der Bekanntgabe des SDI-Projekts durch den amerikanischen Präsidenten kam es unter den NATO-Verbündeten zu heftiger Kritik. Nach eigenen Angaben machte sich Bundesverteidigungsminister Wörner im Rahmen einer Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der NATO in Cesme (Türkei) am 3./4. April 1984 zum „Wortführer der europäischen Bedenken gegen den Aufbau solcher Raketenabwehrsysteme“.2 Bereits im Vorfeld der Tagung hatte er klar Stellung bezogen: die europäischen Verbündeten seien bezüglich SDI nicht konsultiert worden und es sei zu befürchten, daß SDI den Zusammenhalt des Bündnisses gefährde, da SDI zwei Klassen von Mitgliedern schaffen könne, „solche, die unter dem Schutz der Raketenabwehr ständen, und solche, die draußen bleiben, also die USA und Kanada einerseits und die europäischen Länder andererseits.“3 Der Generalinspekteur der Bundeswehr Altenburg prägte in diesem Zusammenhang den Begriff, SDI schaffe „Zonen ungleicher Sicherheit.3a der in der Debatte häufig benutzt wurde und wird.

In der Folgezeit wurde diese Position unter maßgeblicher Beteiligung Wörners Schritt für Schritt aufgegeben. Mit Blick auf vorgebliche technologische Entwicklungsmöglichkeiten und daraus resultierenden Kapitalverwertungsmöglichkeiten entbrannte zunächst innerhalb der Bundesregierung eine Auseinandersetzung zwischen der „Achse Kanzleramt-Verteidigungsministerium“ und „Achse Außenministerium-Forschungsministerium“ über eine technologie- und wirtschaftspolitisch begründete SDI-Beteiligung oder einer zivilen Alternative, wie sie in dem von der französischen Regierung vorangetriebenen Eureka-Projekt („European Research Coordination Agency“) gesehen wurde.4 Die SDI-Befürworter konnten diese Auseinandersetzung gewinnen und so den Boden für eine Beteiligung an dem amerikanischen Projekt ebnen.

Auch in der Auseinandersetzung um die konkrete Beteiligungsform an SDI verhielt sich die Bundesregierung indifferent und gab stückweise die eigene Position auf. Sollte noch im Dezember 1985 von einer Delegation der Bundesregierung unter Beteiligung von Industrievertretern gegenüber amerikanischen Gesprächspartnern ein Forderungskatalog durchgesetzt werden, der neben Aspekten der Einhaltung bestehender Rüstungskontrollabkommen die Forderung nach „faire(r) Partnerschaft“, Freie(m) Austausch der Erkenntnisse“ und „Einfluß auf das Gesamtprojekt“ in den Vordergrund stellte,5 so läßt sich in der letztndlich ausgehandelten Rahmenvereinbarung keine dieser Forderungen wiederfinden. Stattdessen wurde den Vereinigten Staaten eine Verschärfung der Handhabung der Cocom-Bestimmungen und eine weitgehende Kontrolle über SDI relevante Forschung in der BRD zugesichert.6 Da sich auch die hochgesteckten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der bundesdeutschen SDI-Befürworter nicht realisieren ließen, wurde so aus der anfänglichen Ablehnung des Programms letztendlich die politische Unterstützung. Aus diesem Prozeß resultieren veränderte Bedingungen, die ihren Niederschlag in dem äußerst widersprüchlichen Entscheidungsprozeß für europäische Raketenabwehrsysteme und Diskussionen über Weltraumprojekte finden.

Die Entscheidung für „Euro-SDI“

Bereits unmittelbar nach dem NATO-Beschluß zur Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles in Europa vom Dezember 1979 wurde in den Vereinigten Staaten über Möglichkeiten diskutiert, beide Waffensysteme durch eine (antitaktische) Raketenabwehr zu schützen. Auf einem Hearing des Verteidigungsausschusses des Senats kündigte der damalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Wade im Frühjahr 1980 die Entwicklung eines derartigen Systems an.7 Ebenfalls vor dem Verteidigungsausschuß des Senats legte 1983 der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs General Merryman detaillierte Planungen vor. Danach sollen Hawk- und Patriot-Raketen für eine ATM- (Anti-tactical-missile) Fähigkeit umgerüstet werden. In den Haushaltsansätzen für 1984-88 sind hierfür insgesamt 715,6 Millionen Dollar vorgesehen.8

Bei der Durchsetzung dieses ATM-Programms wurden die Vereinigten Staaten zunächst mit Akzeptanzproblemen ihrer europäischen Verbündeten konfrontiert. Im Herbst 1980 bereiste David S. Yost, ein Wissenschaftler der US-Naval Postgraduate School in Monterey, westeuropäische Schlüsselländer (BRD, Frankreich, Großbritannien) und unterhielt sich in unverbindlicher Weise über die Fragen einer Raketenabwehr in Europa.“9 In einem Abschlußbericht seiner Reise, der unter dem Titel „Taktische Raketenabwehr und politische Empfindlichkeiten in NATO-Europa“ vom Hudson Institut veröffentlicht wurde, weist Yost ATM zunächst die Funktion zu, ein „sinnvolles Mittel zum Schutz der neuen Mittelstreckenraketen (LRTNF) ebenso wie zum Schutz anderer wichtiger fester Ziele wie Flughäfen, Atomwaffenlager und Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren“ zu sein.10 In seinen Gesprächen hierzu stieß Yost in Europa auf Ablehnung. Bezogen auf die BRD kommt er zu dem Ergebnis: „Politisch ausgedrückt: Wenn die USA wirklich daran interessiert sind, ein Raketenabwehrsystem zum Schutz der neuen Mittelstreckenraketen und anderer fester Ziele zu stationieren, sollten sie am besten nichts davon erwähnen, bis die Entscheidung vom Dezember 1979 zur Stationierung von LRTNF in ihrer Durchführung gesichert ist. Es ist nun mal so, daß die SPD-Linke alles tun wird, um solche Stationierungen zu verhindern. ATM klingt zu sehr wie „Kriegsführung“, um durch die SPD-Linke akzeptiert zu werden, (…) oder sogar von der derzeitigen Regierung (Schmidt – Genscher). Die Erklärung, daß die LRTNF eine ATM zu ihrem Schutz erfordern, würde die aktuelle LRTNF-Diskussion weitaus schwieriger machen.“11 Yost macht einige Vorschläge, um ATM dennoch gegenüber den europäischen Verbündeten durchsetzen zu können 12, aber die ATM-Diskussion wurde erst später unter dem Vorzeichen von SDI erneut forciert.

Diesmal wurde die Debatte allerdings im Unterschied zu der früheren SDI-Diskussion von BRD-Politikern initiiert. Im April 1985, also fast zeitgleich mit dem Abrücken großer Teile der Bundesregierung von einer SDI-kritischen Haltung und dem Beginn der Diskussion über eine alternative Beteiligung an SDI oder Eureka, forderten Franz Josef Strauß und Alfred Dregger eine „europäische strategische Verteidigungsinitiative“ als „Ergänzung zu SDI“ (Strauß) und als Abwehr gegen alle Bedrohungen, die durch SDI nicht abgedeckt würden (Dregger).13 In der Folgezeit wurde dieser Vorschlag auch von anderen CDU/CSU-Politikern (darunter Wimmer, Todenhöfer, Wörner und Rühl) aufgegriffen, und es wurden eine Reihe unterschiedlicher Begründungen für ein europäisches ATM-System konstruiert. So argumentiert eine Gruppe um den ehemaligen BRD-Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel, die sich in Anlehnung an den „High Frontier“-Bericht des ehemaligen US-Generals Daniel O. Graham 14 „High Frontier Europe“ nennt, daß durch eine „Europäische Verteidigungsinitiative“ die europäische Sicherheit an SDI angekoppelt werde und daß durch ATM die Strategie nuklearer Abschreckung durch eine „Strategy of Dissuation“ ersetzt werden könne.15 Ähnlich argumentiert auch BRD-Verteidigungsstaatssekretär Rühl in einem Beitrag für die FAZ: Rühl geht davon aus, daß die Glaubwürdigkeit des Einsatzes strategischer Nuklearwaffen in einem auf Europa begrenzten Krieg durch die nuklearstrategische Parität zwischen USA und UdSSR „prinzipiell in Frage“ stehe. Deshalb sei es notwendig, einen Flugkörperangriff gegen Nordamerika zu vereiteln, um „die Wirklichkeit der Abschreckung“ wiederherzustellen. Aus diesem Erfordernis und der Notwendigkeit der Ankoppelung Europas zur Wahrung der „Einheit des Bündnisgebietes“ ergibt sich für Rühl geradezu zwangsläufig die Notwendigkeit einer eigenständigen europäischen Raketenabwehr.16

Auch aus US-amerikanischer Sicht wird ATM nun in Relation zum SDI-Projekt gesetzt. So wird ein derartiges System in einem Bericht einer Expertengruppe, die vom amerikanischen Präsidenten zum SDI-Programm eingesetzt wurde, als ein Experimentierfeld für SDI-Planungen betrachtet: „Deployment of an anti-tactical missile (ATM) System is an intermediate Option that might be available relatively early. The system might combine some advanced midcource and terminal components, though developed initially in an ATM mode, might later play a role in Continental United States (CONUS) defense. Such an Option dresses the pressing military need to protect allied forces as well as own (…) from either non-nuclear or nuclear attack.“17 Ein europäisches Raketenabwehrsystem wird also sowohl aus europäischer Sicht (High Frontier Europe, Rühl) als auch aus amerikanischer Sicht in Relation zu SDI gesetzt. interessanterweise gehen dabei sowohl „High Frontier Europe“ als auch Rühl erstens – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – in ihren Analysen von der Notwendigkeit des SDI-Programms aus, was zumindest dem Beitrag von Rühl eine pikante Note verleiht, da die Bundesregierung, der er als Staatssekretär angehört, bisher jede Äußerung zu vermeiden suchte, die die unmittelbare politische Unterstützung des SDI-Programms beinhalten würde, und in diesem Zusammenhang Auch versuchte, dementsprechende Diskussionen über das SDI-Rahmenabkommen herunterzuspielen. Zweitens setzen sowohl Rühl als auch „High Frontier Europe“ mit ihrer Forderung nach einer „Europäischen Verteidigungsinitiative“ an einem Punkt an, mit dem in der Vergangenheit die Ablehnung von SDI begründet wurde: wurde 1984 noch behauptet, SDI schaffe „Zonen ungleicher Sicherheit“ (Altenburg) bzw. „zwei Klassen von (NATO) Mitgliedern“ (Wörner), so heißt es nun im Umkehrschluß desselben Arguments, eine „Europäische Verteidigungsinitiative“ sei zur „Ankoppelung“ bzw. zur Wahrung der „Einheit des Bündnisgebietes“ notwendig. Wird einmal vom moralischen Impetus der „High Frontier Europe“-Studie abgesehen, wie er sich in Hinblick auf die Formulierung des Ziels der Ablösung der Strategie der Abschreckung darstellt, so wird insbesondere im Falle von Rühls Argumentationskette aus der Absage an strategische Parität, der Akzeptanz von SDI als Instrument hierfür und der Flankierung durch ATM das Ziels deutlich: strategische Überlegenheit der USA mit westeuropäischer Unterstützung und unter Einbeziehung westeuropäischer Streitkräfte.

„Euro-SDI und die Europäisierungsdebatte“

Andere Überlegungen zur ATM-Problematik haben Bundesverteidigungsminister Wörner und der Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, Konrad Seitz, angestellt. Wörner fordert im Rahmen der ATM-Debatte eine „erweiterte Luftabwehr“, wobei er die Formel einer „Europäischen Verteidigungsinitiative“ vermeidet, wie seine Kameraden von der „Welt“ meinen, „weil sie die Verbindung zu SDI suggeriert.“18 Wörner begründet das Erfordernis einer „erweiterten Luftabwehr“ dann auch nicht mit der Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen, die sowohl bei den US-Planungen zum Schutz der „Nach“rüstungswaffen als auch bei der „Ankoppelung“ an SDI mit im Zentrum der Überlegungen stand, sondern er verweist auf gesteigerte Bedrohung durch Kurzstreckenraketen der UdSSR und auf eine „neue konventionelle Option“ der Sowjetunion, „die das militärische Kräfteverhältnis in Europa drastisch beeinflussen könnte.“19

Mit ähnlicher Zielsetzung hat auch der Militärausschuß der NATO eine Studie der „Advisory Group for Aerospace Research and Developement“ (AGARD) in Auftrag gegeben. Zielsetzung der Studie ist die Untersuchung militärtechnischer Möglichkeiten zur Abwehr sowjetischer Kurzstreckenraketen bis zum Jahr 2000, wobei drei Vorgaben verfügt wurden:

„- Untersuchung aktiver Bekämpfungsmöglichkeiten

– Eingrenzung auf nichtnukleare Raketenabwehr

– Beschränkung auf die Abwehr ballistischer Raketen mit Reichweite unter 1.000 km, das heißt nicht gegen SS 20.“20

Wesentliche Teile der Studie wurden, obwohl der Geheimhaltung unterlegen, in einer Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung zitiert. Dort heißt es u.a.: „Dem auffälligen Engagement des SACEUR für eine ATM-Verteidigung in seinem Befehlsbereich dürfte die Erkenntnis zugrunde liegen, daß das FOFA-Konzept ohne eine solche Verteidigung nicht implementierbar ist.(…) ATM ist sicherlich nicht die einzige, aber doch eine unerläßliche Voraussetzung für das Funktionieren des FOFA-Konzepts.“21

FOFA, also die Einführung des konventionellen „Air-Land-Battle“-Segments („deep Strike“) im NATO-Rahmen, markiert in diesem Zusammenhang allerdings nur einen weiteren Bezugspunkt für die Einführung von ATM-Systemen. Wörner selbst relativierte seine Äußerungen, die er in dem bereits zitierten Artikel zur „erweiterten Luftabwehr“ getätigt hatte: im Bundestag antwortete er auf die Frage, gegen welche Waffensysteme sich ein derartiges System richten solle, neben anderen mit dem Verweis auf die SS 20.22 Deshalb muß davon ausgegangen werden, daß die strikte Trennung von ATM, „Europäischer Verteidigungsinitiative“ und „erweiteter Luftabwehr“ ausschließlich propagandistischen Zwecken dient und ATM-Systeme eine Vielzahl von Funktionen erfüllen sollen und de facto eine Verbindung von Pershing II- und Cruise Missiles-Stationierung, SDI und der „Konventionalisierung“ in Europa darstellen, wie sie in FOFA und Air-Land-Battle vorgesehen ist.

Wesentlich programmatischer als andere zitierte Autoren ist die Betrachtungsweise von Konrad Seitz in Zusammenhang mit „Euro-SDI“. Im Gegensatz zu anderen ist seine Argumentation weniger durch eine militärische Herangehensweise geprägt. Seitz stellt technologiepolitische Überlegungen in das Zentrum seiner Gedanken.23 Seitz geht davon aus, daß „die moderne Rüstungsforschung ein Motor des technischen Fortschritts“24 ist. Insbesondere SDI könne dazu „beitragen, jenen Technologieschub auszulösen, der die amerikanische Wirtschaft in das 21. Jahrhundert vorantreibt – und Europa endgültig abhängt.“25 Um entgegenzusteuern, erwägt Seitz eine Reihe von Maßnahmen (SDI-Beteiligung, Eureka, etc.). U.a. fordert Seitz auch eine „Europäische Verteidungsinitiative“: „Es (ein integriertes Luftabwehrsystem, d. Verf.) bedeutet eine Stärkung der geltenden NATO-Abschreckungsstrategie, nicht eine strategische Revolution. Technologisch aber bestehen viele Überlappungen mit dem SDI-Forschungsprogramm, die für einen umfaßenden Technologieaustausch genutzt werden könnten.

– Entwicklung „intelligenter Waffen“, die ihre Ziele selbst suchen, und Entwicklung der Aufklärungs- und Trägersysteme für das Konzept des Follow-on-Forces-Attack (FOFA) der NATO zur weitreichenden Abwehr gegen die zweite gegnerische Staffel.“

– Entwicklung eines europäischen Multisensor-Beobachtungssatelliten, die gegenwärtig zwischen Frankreich und der Bundesrepublik diskutiert wird. Ein Beobachtungssatellitensystem könnte gleichzeitig auch für wichtige zivile Aufgaben genutzt werden: Umweltschutz und ganz allgemein Erderkundung, Navigation.“26

Die von Seitz vertretene Linie läßt sich auch zumindest ansatzweise in der Waffensystemplanung nachvollziehen: basierten die ursprünglichen (amerikanischen) ATM-Pläne noch auf raketenabwehrfähigen Patriot- und Hawk-Raketen, also amerikanischen Systemen, so wird dies nun anscheinend noch als Zwischenlösung bis zum Einsatz europäischer Systeme angesehen.27

Z.Zt. entwickelt sowohl ein Konsortium unter der Systemführerschaft von MBB das MFS-System (Mittleres-Fla-Rak-System), das preiswert sein soll und in Stückzahlen bis zu 20.000 stationiert werden soll. Ein französisches Konsortium unter der Systemführerschaft vori Thomson CF entwickelt dazu ein ähnliches System (SA-90).28

So ist es auch kein Wunder, daß sich führende Vertreter des europäischen militärisch-industriellen Komplexes für die Realisierung derartiger Planungen stark machen. So heißt es in einem für die Friedrich-Ebert-Stiftung angefertigten Bericht über eine Konferenz zur Strategische Verteidigungsinitiative in Coronado im Mai 1986 über die Position des stellvertretenen Direktors von Thomson, Francois Heisbourg: „Heisbourg geht davon aus, daß bis Ende des Jahrhunderts die Zielgenauigkeit von Raketen so zugenommen hat, daß ein sowjetischer Angriff westeuropäische Verteidigungszentren enthaupten, minimale Zerstörungen auerhalb der militärischen Zivlbereiche anrichte und die Heranführung von amerikanischen Reserven verunmöglichen würde. Daher müsse die Anti-Raketen-Luftverteidigung (Extended Air Defense for Europe) ausgebaut und die strategische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der BRD ausgebaut werden, d.h. Modernisierung der bestehenden Luftverteidigung, Entwicklung einer Boden-Luft-Rakete im Rahmen des „sol-air-future“ Programmes.“29 In diesen westeuropäischen Beiträgen zu „Euro-SDI“ sind alle „Strukturelemente“ enthalten, die in den Diskussionen zur Europäisierung der NATO eine herausragende Rolle einnehmen: die gestiegene Bedrohung aus dem Osten, der technologische Handlungszwang als Folge von SDI und die Forderung nach westeuropäischer Rüstungskooperation. Es ist zu befürchten, daß diese Tendenzen gerade nach einem Abkommen über die Mittelstreckenwaffen die ATM-Diskussion beherrschen werden und dadurch die „Selbstbehauptung Europas“ von konservativen Kräften im militärischen Sinn weiter in die Öffentlichkeit getragen wird. Es ist dabei auch zu bezweifeln, daß die eher entspannungsfreundliche FDP- und die Kapitalkreise, die diese Partei tragen, diesen Prozeß aufhalten werden. In der Frage um konkrete Rüstungsprojekte immer noch in einer eher marginalisierten Position, macht sich Außenminister Genscher im globalen politischen Rahmen auch für eine Stärkung der militärischen Zusammenarbeit (etwa im Rahmen der WEU) und Rüstungskooperation stark. „Euro-SDI“ bedarf ebenso wie alle anderen Europäisierungstendenzen (Rüstungskooperation, „nukleare Teilhabe der BRD“, FOFA etc.) der Aufmerksamkeit der parlamentarischer wie der außerparlamentarischen Opposition.

Westeuropas Beitrag zur Militarisierung des Weltraums

Die Weltraumpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung schließt nahtlos an derartige Überlegungen an. Zur zivilen Variante dieser Politik führt Seitz in dem bereits zitierten Aufsatz aus: „Im Zentrum all dieser Forschungsprogramme sollte ein übergreifendes Großprojekt stehen, das den Aufbruch zu einem hochtechnologischen Europa für die Bürger sichtbar macht und symbolisiert und das Jugend und Forscher zur Anspannung ihrer Kräfte mobilisiert. Am nächsten liegt, daran zu denken, daß gegenwärtige europäische Weltraumprogramm zu einem wirklich umfassenden Programm auszubauen und ihm das Ziel einer unbemannten oder sogar bemannten Raumstation zu geben.“30

Neben der angesprochenen Symbolkraft für Jugend und Forscher verbindet Seitz mit einem solchen Vorhaben Erwartungen an positive Effekte für die Bereiche Informations- und Kommunikationstechnik, Robotik und Materialtechnik. Ein solches Vorhaben wird dabei nicht als Alternativoption zu „Euro-SDI“ angesehen, sondern beide Projekte sollen sich ergänzen.31 Mit ihrer Entscheidung für Ariane V, Hermes und Columbus im November 1987 stellte die Bundesregierung die Weichen für eine derartige Politik.

Ob sie letztendlich einen zivilen Charakter behalten wird, ist ungewiß. Zum einen ist hierfür die Tatsache verantwortlich, daß die industrielle Seite des Luft- und Raumfahrtkomplexes in der BRD eng mit dem militärisch-industriellen Komplex verwoben ist und Unternehmen, die eine herausragende Stellung in der Luft- und Raumfahrt einnehmen, zentrale Funktionen im MIK einnehmen (MBB, Dornier). Dieser Trend kann sich noch verstärken, wenn, wie die „Süddeutsche Zeitung gemeldet hat, Daimler Benz (Mitbesitzer von Dornier) Aktien von MBB übernehmen wird und somit auch bei MBB mitbestimmen wird.32

Auf der anderen Seite besitzt der Luft- und Raumfahrt-Komplex sehr gute Kontakte in den politischen Bereich hinein (s. z.B. Airbus), so daß auch an Schnittstellen zwischen Staat und industrieller Seite des Luft- und Raumfahrt-Komplexes wie der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (DFVLR) keine wesentliche Kontrollfunktion ausgeübt wird.33 Mit einem Gesamtumsatz dieser Branche, der bereits 1982 etwa 12,7 Mrd. DM betrug 34, nimmt der Luft- und Raumfahrt-Komplex eine Machtposition ein. Wesentlich für die Grundentscheidung über zivile und militärische Weltraumnutzung wird das Verhalten dieses Komplexes sein. angesichts der Erfahrungen mit dem MIK hinsichtlich der Kontrolle derartiger Komplexe und bei den offensichtlichen parallelen industriellen Strukturen von MIK und Luft- und Raumfahrt-Komplex scheint eine zivile Variante relativ unwahrscheinlich.35

Zweitens ist auch im politischen Bereich bisher keine endgültige Entscheidung über den zivilen Charakter von Raumfahrt gefallen. Die politische Diskussion läuft in die andere Richtung. Als einer der ersten forderte der französische Präsident Mitterrand wenige Tage nach Reagans „Star-Wars“-Rede die Einrichtung einer Europäischen Weltraumgemeinschaft als „die beste Antwort auf die militärischen Realitäten von morgen.“36 Offenkundiges Ziel ist es hierbei, bei der Festlegung einer neuen „Rangordnung“ unter den Nationen mitentscheiden, mitbestimmen zu können. Aus westeuropäischer Sicht soll dabei die westeuropäische Union (WEU), die seit Jahren keine entscheidende politische Rolle eingenommen hat, das zentrale Element im Bereich militärischer Weltraumpolitik darstellen. In einer Empfehlung der WEU-Versammlung wird festgestellt, daß „das Weltraumpotential ein zentraler Entscheidungsfaktor in der zukünftigen Kriegsführung sein wird, daß in militärischen Begriffen der Unterschied im Potential zwischen weltraumfähigen Ländern und den anderen fast so groß sein wird wie der gegenwärtige Machtunterschied zwischen den nuklearen und den nicht-nuklearen Ländern und daß Europa diese Tatsache nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern daraufhin etwas tun soll.“37

Der im Zusammenhang mit der Empfehlung veröffentlichte „Wilkinson-Report“38 zeigt dann auch einige konkrete Eckpunkte für den Weg Westeuropas zur „Weltraumfähigkeit“ auf. ein europäisches „Raumfahrtprogramm für Verteidigungszwecke“ soll danach vier Komponenten besitzen:

1. ein militärisches Kommunikationssystem,

2. ein Aufklärungssystem,

3. ein Satelliten-Navigationssystem,

4. ein Killersatellit.

Eine Prioritätensetzung soll danach zunächst zugunsten der ersten beiden Komponenten vorgenommen werden.

Derartige Projekte sollen – im Gegensatz zur zivilen ESA – von der WEU realisiert werden. Die WEU-Versammlung zeigt sich in der bereits zitierten Resolution „zuversichtlich, daß die WEU dein wertvolles Forum bieten kann für die Diskussion über und Analyse der Konsequenzen für die Verteidigung Westeuropas, der jüngsten militärischen Weltraumtechnologien wie auch einen von den Beschränkungen der ESA-Konvention unbehinderten Rahmen für die Einleitung eines defensiven europäischen militärischen Weltraumprogramms durch die wesentlichen weltraumfähigen Länder Westeuropas.“39

Im Zentrum derartiger Überlegungen dürfte dabei die Einrichtung eines militärischen Aufklärungssatelliten stehen. Dieser kann zum einem durch Die Verbesserung der Zielplanung bei dem Ausbau der französischen Nuklearstreitkräften eine herausragende Funktion einnehmen. Zweitens kann er auch im Rahmen eines „Euro-SDI“-Systems notwendig werden. In einem Memorandum einer Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, das ebenfalls die Notwendigkeit von „Weltraumfähigkeit“ für die „Selbstbehauptung Europas“ herausstreicht, heißt es hierzu: „In Zukunft dürfte auch der Einsatz weltraumgestützter Sensoren für die Abwehr gegen taktische Raketen und Marschflugkörper (ATM) für Westeuropa und insbesondere die Bundesrepublik an Bedeutung gewinnen.“40 Die Verkaufsstrategie hierfür hatte schon Konrad Seitz aufgezeigt: „Umweltschutz und ganz allgemein Erderkundung, Navigation.“ Es muß davon ausgegangen werden, daß neben derartigen WEU-Diskussionen auch in der BRD Debatten über eigenständige militärische Rüstungsprogramme initiiert werden. Ein Anzeichen hierfür liefert ein Artikel von Wolfgang Schreiber, Oberst a.D. und Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Schreiber, der Kriegführungsfähigkeit als politisches Postulat vertritt, schließt mit der Bemerkung: „Den Platz im Weltraumklub muß sich die Bundesrepublik sichern, zumal sie aus politischen Gründen kein Mitglied des „Atomclubs“ ist und sein kann.“

Anmerkungen

1 Vgl. z.B.: Katrin Fuchs, Europäische Verteidigungsinitiative, in: S+F 4/1986; Wolfgang Zellner, Bundesregierung plant Euro-SDI, in: „Informationsdienst Wissenschaft und Frieden“ 2/1986Zurück

2 Spannungen zwischen Washington und Bonn wegen der amerikanischen Weltraumpläne, in: GRAZ v. 14.4.1984Zurück

3 Bonn besorgt über US-Weltraumstrategie, in: SZ v. 29.3.1984 Zurück

3a Wolfgang Altenburg, Stärkung der konventionellen Verteidigungsfähigkeit, in: Wehrtechnik 7/1984. S. 22 Zurück

4 Vgl. Gunter Hoffmann, In der Zwickmühle der Zukunftstechnologie, Bonn wägt ab zwischen Reagans Weltraumforschung und Mitterrands Eureka Vorhaben Zurück

5 zit. n. Hans Jörg Sottorf, Satellit und Radar sollen im All als Abfangjäger eingesetzt werden, in: Handelsblatt v. 10.9.1985 Zurück

6 Vgl. Wortlaut des Rahmenabkommens in: Express (Köln) v. 18.4.1986 Zurück

7 Vgl. Senate Armed Services Committee (SASC), Departement of Defense Authorization for Appropriations Fiscal Year 1981, Washington D.C. 1980, S. 3014 Zurück

8 Vgl. SASC, DoD, Authorization for Appropriations Fiscal Year 1984, Washington D.C. 1983, S. 273 f. Zurück

9 Wolfgang Biermann, EVI – die neueste Geliebte Manfred Wörners, in: Vorwärts v. 7.12.1985 Zurück

10 zit. n. ebd.Zurück

11 ebd.Zurück

12 Vgl. auch David S. Yost, Ballistic Missile Defense and the Atiantic Alliance, in: International Security, Autumn 1982, insbes. S. 143 Zurück

13 H. Strauß fordert europäische SDI, in: GRAZ v. 23.4.1985, Abwehrsystem gegen Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper gefordert, in: FAZ v. 23.4.1985 Zurück

14 High Frontier Europe Defense Initiative. A European Program in Coordination with the Strategie Defense Initiative of the United States, Bonn 1985 Zurück

15 ebd.Zurück

16 Lothar Rühl, Eine Raketenabwehr auch in Europa, in: FAZ v. 17.1.1986 Zurück

17 Fred S. Hoffmann, Ballistic Missiles Defense and U.S. National Security, Summary Report prep. for the Future Security Strategy Study, Washington D.C. 1983 Zurück

18 Rüdiger Moniac, Wörner schlägt neues Verteidigungssystem vor, in: Die Welt v. 13.2.1986 Zurück

19 Manfred Wörner, Europa braucht Raketenabwehr, in: Die Zeit v. 28.2.1986; Vgl. ders., A Missile Defense for NATO-Europe, in: Strategic Review Winter 1986 Zurück

20 zit. n. Thomas Enders, Raketenabwehr als Teil einer erweiterten NATO-Luftverteidigung (hrsg. v. Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Konrad Adenauer Stiftung), Sankt Augustin 1986, S.55 Zurück

21 ebd.; vergl. auch: Erwin Horn, Es ist nur ein europäi scher Ableger des SDI-Projekts, in: FR v. 5.4.1986 Zurück

22 Vergl. BT-Protokoll v. 20.3.86 Zurück

23 Konrad Seitz, SDI – die technologische Herausforderung für Europa, in: EA 13/1985 Zurück

24 ebd., S. 384 Zurück

25 ebd., S. 381 Zurück

26 ebd., S. 389 Zurück

27 Vergl. zur Patriot- und Hawkproblematik: Thomas Enders, a.a.O. (Anm.20) Zurück

28 Vergl. Enders, a.a.O., S. 75 ff.; Erhard Heckmann, Flugabwehr durch Hochenergielaser. Demonstration von MBB und Diehl, in: Wehrtechnik 12/1985 (Hier werden noch weiterführende Perspektiven für die ATM dargestellt) Zurück

29 Peter W. Schulz: Bericht über die Konferenz über die strategische Verteidigungsinitiative und Westeuropa in Coronado (Kalifornien) im Mai 1986, in: Frieden und Abrüstung. Informationen und Dokumente aus der internationalen Friedensdiskussion (hrsg. v. der Initiative für Frieden, internationalen Ausgleich und Sicherheit) 3-4/1986, S. 59 Zurück

30 Seitz, a.a.O. (Anm. 23), S. 388 Zurück

31 Vgl. ebd.Zurück

32 Vgl. SZ v. 10.11.1987 Zurück

33 Vergl. zum Luft- und Raumfahrtkomplex in der BRD: Juri Jergenewitsch Blagow, Der Luft- und Raumfahrtkomplex in der BRD und seine Rolle bei der Realisierung westeuropäischer Luft- und Raumfahrtprogramme, in: Institut für Marxistische Studien und Forschung (Hrsg.), Staatsmonopolistische Komplexe in der Bundesrepublik, Köln 1986, S. 7591 Zurück

34 Vgl. AWST 19/1984, S. 52 Zurück

35 Vergl. zum MIK in der BRD: Jörg Huffschmid u.a., Neue Rüstung – Neue Armut, Köln 1986, insbes. S. 83ff. Zurück

36 Rede Mitterrands vor der niederländischen Regierung in Den Haag am 7.2.1984; Wortlaut in: EA 7/ 1984, S. D195 Zurück

37 Empfehlung der WEU-Versammlung vom Juni 1984 über die militärische Nutzung des Weltraums, Wortlaut in: Blätter 10/1984, S. 1272 ff.Zurück

38 WEU Empfehlung a.a.O.Zurück

39 Deutsche Weltraumpolitik an der Jahrhundertschwelle, Bericht einer Expertengruppe unter dem Vorsitz von Karl Kaiser, Bonn 1986, S.32 Zurück

40 Wolfgang Schreiber, Die Bedeutung der Erforschung und Nutzung des Weltraums für die militärische Sicherheit, in: EA 21/1986, S. 638.Zurück

41 Beides, die Planungen für „Euro-SDI“ und die Weltraumplanungen, müssen genauestens beobachtet werden, damit nicht gerade nach dem Zustandekommen eines Mittelstreckenabkommens und sich daraufhin entwickelnder Abrüstungsperspektiven westeuropäische Planungen zur Verkomplizierung der Situation beitragen und sich letzten Ende destabilisierend auf die ohnehin hochkomplexe internationale Situation auswirken. Die Friedensbewegung und die parlamentarische Opposition müssen sich in die Debatte um „Euro-SDI“ und militärische Weltraumtechnologie einmischen. Langfristig wird es darauf ankommen, auch dem MIK und dem Luft- und Raumfahrtkomplex alternative technologische Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die das Produktivkraftsystem in der BRD und international positiv weiterentwickeln. Dies kann unter Umständen nur ein strikt ziviles Programm leisten, das in Zusammenarbeit mit sozialistischen Staaten und Entwicklungsländern realisiert werden muß. Einen Ansatz hierzu könnte Eureka liefern. Zurück

Ulrich Broßies ist Soziologe in Bielefeld.

Offener Brief an die Bundesregierung und an den ESA Rat

Betr.:Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der US-amerikanischen Weltraumstation und am Bau der westeuropäischen Raumfähre HERMES

Offener Brief an die Bundesregierung und an den ESA Rat

von Friedens- und KonfliktforscherInnen

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Herbst dieses Jahres haben die Bundesrepublik und die ESA mehrere schwerwiegende Entscheidungen über die Inangriffnahme bzw. die Beteiligung an Großprojekten bemannter Raumfahrt zu treffen. Im Winter 1984 hatte der US-amerikanische Präsident Reagan die westeuropäischen Staaten eingeladen, sich an Bau und Betrieb einer bemannten Weltraumstation zu beteiligen. Grundlage sollte der Gedanke gleichberechtigter internationaler Partnerschaft sein. Zudem drängt seit längerem Frankreich dazu, einen eigenen westeuropäischen Raumgleiter HERMES zu bauen, um in der Weltraumfahrt langfristig eine westeuropäische Eigenständigkeit realisieren zu können.

Beide Projekte beinhalten Weichenstellungen von außerordentlichem wirtschafts-, technologie-, friedens- und außenpolitischen Gewicht. Sie binden über Jahre hinweg staatliche und industrielle Ausgaben, hinter denen andere forschungspolitische und ökonomische Aufgaben zurückstehen müssen. Ihre Größenordnung (mit jeweils zweistelligen Milliardensummen) verlangt eine besonders sorgfältige Abwägung.

Die Unterzeichner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften sind über Sinn oder Unsinn bemannter Raumfahrt durchaus unterschiedlicher Auffassung. Sie eint allerdings die Erkenntnis, daß gegenwärtig weder die US-amerikanische Raumstation mit ihrem westeuropäischen Modul COLUMBUS noch die westeuropäische Raumfähre HERMES befürwortet werden kann. Nach der Challenger-Katastrophe im Januar 1986 sind für uns die Argumente gewichtiger geworden, großtechnologische Projekte nicht nur nach dem Aspekt der Machbarkeit zu beurteilen, sondern auch nach ihrer Verantwortbarkelt, ihrem erkennbaren sozialen und gesellschaftlichen Nutzen und ihren vielleicht ungewollten Nebenfolgen für andere politische Aufgaben.

Gegen die US-amerikanische Weltraumstation bzw. die westeuropäische Beteiligung mit COLUMBUS sprechen folgende Gesichtspunkte:

  1. In allen bisherigen Verhandlungen haben die USA klar zu erkennen gegeben, daß sie die Raumstation (auch) für militärische Zwecke nutzen wollen. Wie die Fletcher-Kommission ausgeführt hat, spielen die Erfahrungen mit dem Aufbau der Raumstation eine wichtige Rolle für das SDI-Programm, da für den Bau und die Wartung raumgestützter Waffen ähnliche Werkstätten wie in der Raumstation benötigt werden. Nach der Challenger-Katastrophe besteht zudem verstärktes Interesse, SDI-Experimente, die ursprünglich mit den Space Shuttles gemacht werden sollten, nun auf der Raumstation auszuführen. Die Vereinbarung der ESA mit der NASA zur Nutzung der Raumstation („Nutzung für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit internationalem Recht“) ist vollkommen unzureichend. Im Anhang wird sogar ausdrücklich festgelegt: „Such utilization may include national security use.“ Das heißt im Klartext: Auch militärische Experimente sind erlaubt, wie zum Beispiel der Test von Zielortungs- und Zielverfolgungssystemen. Wir möchten daran erinnern, daß mit einer ähnlichen Formulierung das Pentagon westeuropäische Raumtechnologie (IPS, Spacelab, SPAS) für SDI-Experimente eingesetzt hat oder dies beabsichtigt. Eine westeuropäische Beteiligung an der Raumstation ohne striktes Verbot jeglicher militärischer Experimente stellt eine Unterstützung des SDI-Programms dar und ist unserer Meinung nach unvereinbar mit der Satzung der ESA, die der friedlichen Weltraumfahrt verpflichtet ist.
  2. Die bisherigen Diskussionen und die Details der Weltraumstation werfen erhebliche Zweifel daran auf, ob diese tatsächlich ein Projekt gleichberechtigter internationaler Partnerschaft werden kann. Diese Zweifel werden nicht nur durch die Erfahrungen mit dem Spacelab und der D-1-Mission gestützt, sondern auch durch die unterschiedlichen, ja zum Teil gegensätzlichen Interessen zwischen den USA einerseits und den anderen beteiligten Staaten hinsichtlich der Aufteilung der Betriebskosten, der Energieversorqung, der Rechtsgrundlagen, der Auswertung der Patente und der unterschiedlichen Nutzungsinteressen in den verschiedenen Elementen der Weltraumstation.
  3. Das Großprojekt Raumstation droht finanziell zu einem Faß ohne Boden zu werden. Waren 1984 acht Milliarden Dollar angegeben worden, wird heute offiziell mit Kosten in der Höhe von ca. 16 Milliarden gerechnet. Andere Berechnungen liegen weit darüber. Der National Research Council der USA hat 32,5 Mrd. Dollar veranschlagt.

Auch beim Bau einer westeuropäischen Weltraumfähre HERMES ist gegenwärtig nur eines klar, nämlich daß diese zum Zeitpunkt ihrer Indienststellung Ende der neunziger Jahre technologisch veraltet sein wird. Die für HERMES vorgebrachten Motive beruhen entweder auf ungesicherten Spekulationen wie der Hoffnung auf ökonomische Vorteile bemannter Weltraumfahrt oder aber zielen ab auf die westeuropäische Weltraummacht, die erst durch eine entsprechende Autonomie das Ansehen in der Welt genieße, das bislang den anderen Weltraumgroßmächten vorbehalten sei. Bei näherem Hinsehen finden sich hinter diesen „außen- und sicherheitspolitischen“ Begründungen unverhohlen militärische Hintergedanken, die von Überwachungs- und Kommunikationssatelliten bis zur Erprobung von neuen Technologien für ein europäisches SDI reichen. Sie laufen damit über kurz oder lang auf eine Beteiligung an der Bewaffnung des Weltraums hinaus.

Einer derart gestalteten westeuropäischen Autonomie in der bemannten Weltraumfahrt können wir jedoch nichts abgewinnen.

Finanzieller und ökonomischer Aufwand, gegenwärtig absehbarer forschungs- und technologiepolitischer Ertrag sowie der drohende militärische Mißbrauch von Projekten einer solchen Größenordnung weisen vielmehr auf die Notwendigkeit hin, in der gesamten Weltraumforschung zu einer die existierenden Militär- und Wirtschaftsblöcke übergreifenden Kooperation zu kommen.

Schließlich sehen wir bei den Großprojekten COLUMBUS und HERMES eine Kostenlawine auf die bundesdeutschen und westeuropäischen SteuerzahlerInnen zukommen, die unweigerlich eine Prioritätensetzung für fragwürdige Großprogramme und gegen andere wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben auf der Erde bei der Gestaltung humaner Lebens- und Umweltbedingungen, aber auch bei den wissenschaftlichen Weltraumprogrammen (Ulysses, Galileo) zur Folge haben wird. Allein die Kostensteigerungen in den Vorbereitungsprogrammen für ARIANE V, COLUMBUS, HERMES von 247 Millionen DM (1986) auf 502 Mio. DM (1987) sprechen eine deutliche Sprache.

Alternativ zum Bau der Weltraumfähre HERMES sollte sich Westeuropa auf Projekte der unbemannten Raumfahrt konzentrieren und sich in der bemannten Raumfahrt auf eine Kooperation mit den USA und der Sowjetunion beschränken. Insbesondere die Möglichkeiten einer Beteiligung an dem sowjetischen bemannten Raumfahrtprogramm sind bisher in keiner Weise ausgelotet worden. Westeuropa sollte nicht die Konkurrenz im Weltraum verstärken, sondern eine Vorreiterrolle bei internationalen Projekten spielen, deren Prinzip die Kooperation ist.

Wir fordern Sie daher eindringlich auf, den Weltraumprojekten COLUMBUS und HERMES jetzt ihre Zustimmung zu versagen.

Erstunterzeichner:

Dr. Georg Ahrweiler, Wissenschaftssoziologie, Univ. Münster
Dr. Jürgen Altmann, Physik/Friedensforschung, Düsseldorf
Josef Asdonk, Univ. Bielefeld
Dipl. Ök. Wolfgang Bruchmann, Fraktionsmitarbeiter der GRÜNEN im Bundestag
Dr. Christoph Butterwegge, Soziologie, Univ. Bremen/Duisburg
Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Physik, München
Dr. Joachim Eisbach, Wirtschaftswissenschaften, Univ. Bielefeld
Dr. Dieter Engels, Astronomie, Sternwarte Hamburg
Prof. Dr. Reinhold Franck Informatik, Univ. Bremen
Dipl.-Biol. W. Friedrich, Biologie, Univ. Bielefeld
Gerd Greune (DFG/VK)
Prof. Dr. Hans-Jürgen Kreowski, Informatik, Univ. Bremen
M. Munstermann, Univ. Bielefeld
Dieter Rinke, Biologie, Univ. Bielefeld
Dipl.-Phys. Jürgen Scheffran, Univ. Marburg
Dr. Henning Schierholz, Jugendbildung an der Ev. Akademie Loccum
Dr. Friedemann Schmithals, Univ. Bielefeld
Prof. Dr. R. Sossinka, Biologie, Univ. Bielefeld
Ernst-Christoph Stoiper (Deutsche Jungdemokraten)
Dr. Guido Tolksdorf, Soziologie, Univ. Bielefeld
Dietrich Wetzel, MdB Die Grünen, Bonn
Dr. Johannes Weyer, Soziologie, Univ. Bielefeld
Gregor Witt (DFG/VK)
Andreas Zumach (Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste)

Budgetentwicklung des SDI-Programms

Budgetentwicklung des SDI-Programms

von Christopher Cohen

In der Analyse der SDI-Budgetentwicklung von Fiskaljahr (FJ) 1984 bis FJ 1987 lassen sich vier Haupttendenzen feststellen

1. Steigende Ausgaben für SDI

Die Ausgaben für SDI sind seit Beginn des Programms im FJ 1984 kontinuierlich, aber mit unterschiedlichen Steigerungsraten gestiegen. In den vier Haushaltsjahren sind insgesamt $ 9,3 Mrd. aus staatlichen Mitteln für SDI aufgebracht worden, $ 8,4 Mrd. im SDI-Budget des Verteidigungsministeriums (DoD) und $ 0,9 Mrd. aus Mitteln des Energieministeriums (DoE).

Die Steigerungsraten von 45 % im FJ 1985, 89 % im FJ 1986 und 16 % im FJ 1987 haben eine Verdreifachung des Budgets gegenüber FJ 1984 bewirkt.

Mit der Erhöhung des SDI-Budgets um 89 % im FJ 1986 – fast eine Verdoppelung gegenüber FJ 1985 – hat das SDI-Projekt im Vergleich zu früheren ABM- und Laserforschungsprogrammen einen qualitativen Sprung gemacht.

SDI ist mit jährlich weit über die Inflationsrate steigenden Budgets, Gesamtausgaben innerhalb von vier Jahren von mehr als $ 9 Mrd. und einem wachsenden Anteil an staatlich finanzierter Forschung nicht nur zum wichtigsten Forschungs- und Entwicklungsprojekt, sondern auch zum größten Rüstungsprogramm der USA avanciert.

Tabelle 1: SDI-Budget Fiskaljahr 1984-1987 in Mio. $
Bereich 1984 1985 1986 1987 Total
SATKA 367 546 847 911 2.671
DEW 323 376 803 844 2.346
KEW 196 256 596 730 1.778
SA/BM 83 99 212 387 781
SLKT 24 112 217 338 691
SDIO 1 8 13 20 42
Mil. Constr. 3 10 13
DoE an DoD* 62 62
Shuttle** 14 14
DoD-Total 993 1.397 2.753 3.253 8.396
DoE 117 210 282 317 926
Total 1.110 1.607 3.035 3.570 9.322
(Rundungsabweichungen möglich); * 1986 überließ das DoD dem DoE 62 Mio. $ seiner SDI-Mittel zur zusätzlichen Finanzierung der Entwicklung des Röntgenlasers.** 1987 werden 14 Mio. $ im SDI-Budget für die technische Überholung des Space Shuttle aufgebraucht. Zusammengestellt nach: Department of Defense (Hrsg.), Report to the Congress on the Strategic Defense Initiative. 1885, Washington D.C., 1985, S. 29 ff.; Department of Defense (Hrsg.), Report to the Congress on the Strategic Defense Initiative 1987, Washington D.C., 1987, S. F-1 ff.; „SDI Budget Reques“ in: Aviation Week & Space Technology, 9.März 1987, S. 38 f.

2. Steigende Kürzungen der Budgetansätze

Parallel zu den insgesamt steigenden SDI-Budgets läßt sich eine gegenläufige Tendenz wachsender Kürzungen an den Budgetanstzen des Pentagon erkennen.

Im FJ 1985 strich der Kongreß 19 % ($ 380 Mio.), im FJ 1986 24 % ($ 969 Mio.) und im FJ 1987 34 % ($ 1.837 Mio.) der beantragten Mittel für SDI. Insgesamt wurden von FJ 1985 bis FJ 1987 $ 3,186 Mrd. (28 %) aus den Budgetansätzen für SDI nicht bewilligt. Durch die Kürzung der Budgetansätze um mehr als ein Viertel hat der Kongreß erreicht, daß das ursprüngliche Ziel, bis FJ 1990 $ 33 Mrd. für SDI aufzubringen, nicht mehr erreichbar ist und das SDI-Projekt verändert werden muß.

Tabelle 2: SDI-Budgetforderungen und -kürzungen, Fiskaljahr 1985-1987
in Mio. $
Jahr Budget- forderung DoD Budget- forderung DoE Congress- kürzung DoD Congress- kürzungDoE Congress- kürzung Total bewilligt Total
1985 1.777 210 380 380 1.607
1986 3.722 282 969 969 3.035
1987 4.802 605 1.549 288 1.837 3.507
Total 10.301 1.097 2.898 288 3.186 8.212
Eigene Berechnungen

3. Veränderung der Anteile der fünf Hauptprogrammbereiche

Die SDI-Organisation hat aufgrund der Kürzungen der Budgetansätze und der teilweise unbefriedigenden technologischen Ergebnisse im Verlauf des SDI-Programms zwei gravierende Verlagerungen der Schwerpunkte zwischen den Programmbereichen vorgenommen.

Die erste Umstellung erfolgte nach den Kürzungen am Budgetansatz für FJ 1986. Der Programmbereich SATKA erfuhr eine starke Streichung seiner Ansätze. Die sich hier in der Entwicklung befindenden Technologien zur Überwachung, Zielortung und -verfolgung, die notwendige Grundvoraussetzung eines funktionierenden Gesamt-Raketenabwehrsystems sind, erhielten eine niedrigere Priorität.

Demgegenüber wurden die Programmbereiche DEW und KEW zur Entwicklung der Waffentechnologien in ihrer Bedeutung heraufgestuft. Insbesondere der Anteil der Laser- und Teilchenstrahlentechnologien, die große Fortschritte erwarten ließen, wurde ausgebaut.

Die Höhergewichtung der konkreten Waffentechnologien und die Zurückstufung der Sensortechnologien markieren den ersten Wandel des SDI-Projekts, der eine stärkere Konzentration auf einzelne, kurzfristig verfügbare Technologien und das Ziel einer frühzeitigen Stationierung erster SDI-Einzelkomponenten andeutete.

Die zweite Umstellung der SDI-Programme ist nach den Kürzungen am SDI-Budgetansatz FJ 1987 erfolgt und soll in den kommenden beiden Haushaltsjahren ihre Fortsetzung finden.

Der für ein umfassendes Raketenabwehrsystem wichtige Programmbereich SATKA verliert weiterhin an relativem Gewicht. Darber hinaus wird der Anteil des Laser- und Teilchenstrahlenbereichs DEW gekürzt, während der Anteil der „konventionellen“ Waffentechnologien (KEW) nahezu konstant bleibt.

Die Anteile der Programmbereiche SA/BM und SLKT, in denen im Verlaufe des SDI-Programms bislang unterschätzte Probleme aufgetreten sind, erfahren hohe Steigerungen ihrer relativen Anteile an den SDI-Gesamtausgaben.

Im Bereich SA/BM bereitet die Entwicklung der Befehls-, Kontroll- und Kommunikationssysteme, insbesondere deren Computersoftware, mehr Schwierigkeiten als erwartet. Im Bereich SLKT gewinnen die Programme zur Entwicklung geeigneter Energie- und Transportsysteme eine immer höhere Bedeutung.

Die zweite Umstellung des SDI-Projekts läßt längerfristige Optionen in den Bereichen SATKA und DEW gegenüber möglicherweise kurzfristig zu stationierenden SDI-Komponenten und Unterstützungstechnologien aus den Bereichen KEW, SA/BM und SLKT in den Hintergrund treten.

4. Steigende Anteile der Demonstrations- und Testprogramme

Deutlicher als bei der Verteilung der SDI-Mittel auf die Programmbereiche wird der Drang zu frühzeitigen Stationierungsoptionen in der Analyse der Verteilung der SDI-Mittel auf die verschiedenen Forschungsstadien sichtbar.

Die Tendenz ist eindeutig: während im FJ 1984 noch 29 % der SDI-Mittel in Grundlagenprogramme und 42 % in Programme der fortgeschrittenen Entwicklung flossen, waren es im FJ 1986 nur 18 % bzw.33 %.

Demgegenüber stieg der Anteil der Demonstrations- und Testprogramme von 29 % im FJ 1984 auf 49 % im FJ 1986. Diese Tendenz hat sich im FJ 1987 noch verstärkt und soll sich in den kommenden Fiskaljahren fortsetzen. Es manifestiert sich die Entscheidung des Pentagon, an dem ursprünglich angestrebten Zeitplan trotz Kürzungen der Budgetansätze festzuhalten. Die Grundlagen- und fortgeschrittenen Entwicklungsprogramme werden stärker von den Streichungen im Budgetansatz betroffen als die Demonstrations- und Testprogramme. Diese sollen fahrplanmäßig in den frühen neunziger Jahren zu Ende gebracht werden, um die Grundlage für die Produktions- und Stationierungsentscheidung zu bilden.

Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß die Reife einzelner Komponenten eines SDI-Raketenabwehrsystems und nicht die Realisierbarkeit des Gesamtsystems dieser Entscheidung zugrunde liegen wird.

Abkürzungen

SATKA – Surveillance, Acquisition, Tracking and Kill Assessment (Überwachung, Datenerfassung und -verarbeitung, Bahnverfolgung und Bewertung der Abfangergebnisse)

DEW – Directed Energy Weapons (Laser- und Teilchenstrahlenwaffen)

KEW – Kinetic Energy Weapons (Kinetische Energie „konventionelle“ Waffen)

SA/BM – Systems Analysis/Battle Management (Systemanalyse und Gefechtsfühnung)

SLKT – Survivability, Lethality and Key Technologies (Überlebensfahigkeit, Zerstörungsfähigkeit und Schlüsseltechnologien)

DoE – SDI-Budget des Energieministeriums

Christopher Cohen ist Politikwissenschaftler in Hamburg.

Die Grenzen der Physik.

Die Grenzen der Physik.

Zur SDI-Studie der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft

von Jürgen Scheffran

Endlich liegt er vor, der SDI-Bericht der American Physical Society (APS). Nach langwierigen Sicherheitsüberprüfungen durch das Pentagon hat es die Standesorganisation der amerikanischen Physiker geschafft, zu einem Thema fundiert Stellung zu beziehen, das die Gemüter der Naturwissenschaftler seit Jahren erhitzt. Die Studie „science and technology of directed energy weapons“ versucht, „objektiv aufzuzeigen, was nötig ist, um die Vorstellungen von Präsident Reagan zu verwirklichen, und dem gegenüberzustellen, was bereits heute technisch machbar ist.“1 Auf über 400 Seiten belegt die APS-Studiengruppe detailliert, daß die dafür erforderlichen Technologien im Bereich der Strahlenwaffen um mehrere Größenordnungen von dem Ziel entfernt sind, Atomwaffen unwirksam zu machen. An die Stationierung einer substantiellen Abwehr-Komponente mit Strahlenwaffen ist nicht vor dem Jahr 2000 zu denken.

Zur Vorgeschichte

Mitten in die Frühjahrstagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft in Chrystal City (Virginia) am 23. April 1987 platzte die vielleicht „bedeutendste APS-Studie, die je angefertigt wurde“.2 Bereits im November 1983 hatte der APS-Council eine Studie über die Technologie der gerichteten Strahlenwaffen (directed energy weapons, DEW) autorisiert, die bis Herbst 1985 fertig sein sollte. Unterstützt wurde dies von dem damaligen Under Secretary of Defense for Research and Engineering, Richard DeLauer, der sich durch die Studie einer „angesehenen professionellen Organisation“ wie der APS eine „Vereinigung de wissenschaftlichen Meinung in Erfüllung des Ziels des Präsidenten“ erhoffte.3

Im November 1984 wurde eine Studiengruppe unter Vorsitz von Nicolaas Bloem bergen (Harvard), Nobelpreisträger vor 1981 zur Laserspektroskopie, und Kuma Patel, Direktor bei AT&T und Miterfinder des CO2 Lasers, gegründet, die von einen Überprüfungskomitee ergänzt wurde. Nach Aussagen Bloembergens sollten nur gute Wissenschaftler teilnehmen, die nicht durch politische Stellungnahmen zu SDI hervorgetreten waren. Der derart eingeengte Kreis von 15 Experten aus Universitäten, Rüstungsforschung und -industrie er hielt offiziell Zugang zu geheimer SDI-Forschung. Gefördert wurde die Studie mit 660.000 $ durch die McArthur-Foundation die Carnegie-Corporation und die APS.

Im Juni 1986 legte die Studiengruppe einer ersten Entwurf vor, der auf Rat des Überprüfungskomitees überarbeitet wurde, und im Prozeß der Sicherheitsüberprüfungen besser bestehen zu können. Dennoch beabsichtigte die SDI-Organisation (SDIO nach Fertigstellung des 800 Seiten Manuskripts am 25.9.1986, die Hälfte des Texte für geheim zu erklären. Selbst nachdem in einem gemeinsamen Treffen mit SDI-Offiziellen der Bericht Absatz für Absatz durch gegangen und modifiziert worden war wurde der Text erneut von Geheimhaltungsbürokraten der SDIO, des Außenministeriums, des Energieministeriums, von Armee, Marine, Luftwaffe und des Verteidigungsministeriums durchforstet. Erst am 21. März 1987 erhielt die Studiengruppe eine gereinigte und für sie unakzeptable Fassung zurück, in der entscheidende Ab schnitte fehlten. Nach einigem hin und her und weiteren Veränderungen „in letzter Sekunde“ wurde seitens der SDIO am 10. April endgültig grünes Licht für die Freigabe erteilt, und innerhalb von nur 13 Tagen gelang es, den Bericht bis zur APS-Tagung gedruckt vorzulegen, nach eigenen Angabe ohne wesentliche Abstriche. Die wichtigsten Ereignisse wurden von N. Bloembergen am 25. Juni auf einem Seminar de Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bad Honnef vorgestellt.

Die Fertigstellung des APS-Berichts ist ein Lehrstück in Sachen Wissenschaft und Geheimhaltung. Beide Seiten können sich letztlich als Sieger fühlen: die APS, weil es ihr gelungen war, trotz erheblicher Widerstände der Sicherheitsbürokratie überhaupt einen substantiellen und offiziell ab gesegneten Bericht zu SDI-Technologien vorzulegen. Aber auch die SDIO, weil sie mit dieser langwierigen Prozedur die für sie unangenehmen Ergebnisse so lange verzögern konnte, bis die ursprünglich werbewirksamen Laserwaffen (das langfristige SDI 1) aus dem Zentrum der öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt waren und durch die Diskussion über konventionelle SDI Technologien und eine frühe Stationierung von SDI (das kurzfristige SDI 2) verdeckt wurden. Es war dann auch nicht schwierig für die SDI-Befürworter, der Studie mangelnde Aktualität vorzuwerfen.

Die Ergebnisse: Noch weit vom Ziel entfernt

Ungeachtet solcher Wermutstropfen ist die APS-Studie von großem Wert für alle, die in der zukünftigen SDI-Diskussion sachlich begründete Aussagen treffen wollen, was angesichts der zum Teil abenteuerlichen Behauptungen von SDI-Anhängern schon sehr viel ist. Die Stärke der Studie liegt darin, daß alle verfügbaren Erkenntnisse zum Bereich Strahlenwaffen (andere Technologien wurden nicht untersucht) in einheitlicher Form zusammengetragen werden und damit nun eine offizielle Basis für eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten von SDI existiert, was für eine öffentliche Diskussion und spätere Entscheidungen unabdingbar ist.

Die umfangreiche und für Nicht-Physiker schwer lesbare Studie untersucht in einzelnen Kapiteln folgende Bereiche: die zu bekämpfenden Raketen, Laser (chemische, Excimer-, Freie-Elektronen-, Röntgen-Laser), Teilchenstrahlen, Strahlausbreitung und Spiegel, Wechselwirkung der Strahlung mit Raketenoberflächen, Zielerkennung und Zielverfolgung, Leistungsversorgung, Überlebensfähigkeit der Weltraumplattformen, Gegenmaßnahmen, Satelliten-Konstellationen.

Die wesentlichen Ergebnisse und Schlußfolgerungen werden zu Beginn der Studie zusammengefaßt: trotz „substantieller Fortschritte“ bei DEW-Technologien existieren „signifikante Lücken“ zu ihrem wissenschaftlich-technischen Verständnis, so daß Entscheidungen wegen „ungenügender Information“ in naher Zukunft nicht getroffen werden können.4 Die gegenwärtig vorhandenen technischen Fähigkeiten bleiben um mehrere Größenordnungen hinter den Anforderungen für ein effektives und überlebensfähiges Raketenabwehrsystem zurück, so daß selbst „unter besten Umständen mehr als zehn Jahre intensiver Forschung“ für eine informierte Entscheidung erforderlich seien. Im einzelnen werden Einschätzungen zu den verschiedenen Problembereichen abgegeben, die in folgender Tabelle zusammengefaßt werden.

Die Zusammenstellung macht deutlich, daß gegenwärtig wirksame Strahlenwaffen zur Raketenabwehr in fast allen Komponenten und Anforderungen um mehrere Größenordnungen hinter dem Ziel zurückliegen, woran selbst gewaltige Anstrengungen der USA nichts ändern werden. Die Studie bestätigt eine Entwicklung, die von der SDIO bereits vollzogen wurde: die Verschiebung von den bereits fortgeschrittenen chemischen Lasern (HF/DF), die wegen der langen Wellenlängen und anderer technischer Eigenschaften weniger attraktiv für die Raketenabwehr erscheinen, zu den kurzwelligeren, aber weniger erprobten Freie-Elektronen-Laser (FEL) und Excimer-Lasern, bei denen noch mehrere Probleme zu überwinden sind. In noch stärkerem Maße gilt dies für den nuklearen Röntgenlaser, der sich noch im Forschungsstadium befindet. Der Stand des Programms ist allerdings streng geheim, so daß die Studie keine konkreten Angaben dazu machen kann. Neutrale Teilchenstrahlen (NPB) als Abwehrwaffen können nicht recht überzeugen, u.a. wegen der Ionisation in der Atmosphäre, was ihren Einsatz auf den Bereich oberhalb 120 km beschränkt. Denkbar wäre ihre Verwendung im Weltraum, um Gefechtsköpfe von Attrappen zu unterscheiden (interactive discrimination), doch wären hierfür die gleichen Bestrahlungsleistungen erforderlich bei deutlich geringerer Bestrahlungszeit und rascher Wiederholung.

Tab.: Einzelergebnisse der APS-Studie
(GO: Zahl der Größenordnungen, die der angegebene Parameter mindestens
unter den Anforderungen für eine Raketenabwehr liegt)
Chemischer HF/DF-Laser: Leistung 1 GO; Jod-Laser: Leistung 5 GO
Excimer: Pulsenergie 4 GO; wiederholtes Pulsieren schwierig
FEL: Nachweis verschiedener physikalischer Konzepte
Röntgenlaser: Nachweis verschiedener physikalischer Konzepte
Neutrale Teilchenstrahlen: Spannung 2 GO; Einsatz im Weltraum;
Attrappen-Identifizierung: Bestrahlungszeit 2 GO
Elektronenstrahlen in laserinduzierten Plasmakanälen: Beschleunigerspannung 1 GO;
Pulsdauer 2 GO, Leistung 3 GO; für aktive Diskrimination: Pulsdauer 2 GO, Leistung 2 GO;
Ausbreitungsentfernung mehrere Größenordnungen
Phasenkorrektor für Diffraktionsbegrenzung und Phasenkontrolle für kohärente
Kombination verschiedener Lasermodule: Leistung viele GO
Dynamische Phasenanpassung von Teleskopfeldern fr optische Systeme mit großer
Öffnung: Zahl der Korrekturelemente > 2 GO
Optische Schichten großer Weltraumspiegel: besonders verwundbar
Kleine sekundäre Spiegel: geringe Absorption, Kühlung
Bodenlaser: geographische Verteilung wegen ungünstigen Wetters
Korrektur atmosphärischer Ausbreitungverzerrungen für Bodenlaser: Auflösung > 2
GO; Phasenkorrektur bei hohen Leistungen
Bodenlaser: Atmosphärische Übertragungsverluste
Weltraumlaser: atmosphärische Untergrenze (80 km) für Einsatz
Entdeckung und Erfassung von Raketenstarts: hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit und
geringe Fehleralarmrate notwendig
Infrarot-Tracking des Raketenschweifs: Zielgenauigkeit Mikrorad nur zusammen mit
anderen Mitteln (optische und Mikrowellenradars)
Zielverfolgung im Weltraum: aktives Sensor System notwendig
Interaktive Diskrimination: Konzeptions- und Experimentierstadium
Effektive Startphasenabwehr: unverzichtbar
Stationserhaltung: Nuklearreaktoren erforderlich
Leistungsanforderungen im Einsatz: signifikante technische Probleme
Überlebensfähigkeit von Weltraumsystemen: wesentlich, aber hoch fragwürdig,
besonders während Stationierung; Systemansatz mit Härtung, aktiver Verteidigung,
operationeller Taktik
Überlebensfähigkeit von Bodenanlagen: ernstes Problem
Bekämpfung von Weltraum-Stationen durch DEW: leichter als Abwehr von Raketen
Nukleare Röntgenlaser: besondere Bedrohung für Weltraum-Sensoren, Elektronik und
Optik
Offensive Gegenmaßnahmen: zahlreiche Optionen und viel Zeit

Darüber hinaus trifft der Bericht einige weitere bemerkenswerte Bewertungen:

  • DEW-Technologien werden „keine besondere Rolle in der Endphase der Flugbahn ballistischer Raketen spielen“.
  • Selbst im Normalbetrieb in „Friedenszeiten“ würden die großen Laserstationen einen so hohen Leistungsbedarf haben, daß sie nur durch Kernreaktoren betrieben werden können.
  • Röntgenlaser können leichter aus höheren Schichten der Atmosphäre in den Weltraum schießen als umgekehrt. Damit wären Röntgenlaser, die vom Boden hochgeschossen werden (Pop-up), effektive Anti-SDI-Waffen gegen jede Art von Weltraumsystemen. Solche Röntgenlaser hätten zudem eine höhere Überlebensfähigkeit als Weltraumsysteme.
  • Kein Abwehrsystem könnte einen unbegrenzten Angriff überleben.“ (S. 383) „Strahlenwaffen mit geringeren Fähigkeiten als für die Raketenabwehr erforderlich, können Weltraumkomponenten eines Abwehrsystems bedrohen.“ (S. 392) „Da eine lange Zeit erforderlich ist, um eine effektive Raketenabwehr zu entwickeln und zu stationieren, steht eine beachtliche Zeit für Antworten der Offensive zur Verfügung.“ (S. 13)

Selbstbeschränkungen

Auf verschiedene Fragen geht der APS-Bericht nicht ein: Am offensichtlichsten ist die bewußte Beschränkung auf DEW-Technologien, während die Schwerpunkte des SDI-Programms sich inzwischen auf die früher verfügbaren konventionellen „kinetic energy weapons“ (KEW) verlagert haben.

  • Nur am Rande geht die Studie auf die Kosten einer umfassenden Raketenabwehr ein und das Verhältnis zu den Kosten der offensiven Gegenmaßnahmen (Kosteneffektivität).
  • Nicht behandelt wird die Frage, ob die Hochskalierung der Parameter um mehrere Größenordnungen möglich ist, ohne daß nichtlineare Effekte das Systemverhalten qualitativ ändern.
  • Der Bericht behandelt nicht die komplexen Probleme von Computern, Battle-Management und C3I, einschließlich Testbarkeit und Zuverlässigkeit der Software.
  • Endphasenabwehr spielt keine Rolle.
  • Eine ausführliche Diskussion möglicher Gegenmaßnahmen fiel den Geheimhaltungsbestimmungen zum Opfer.
  • Mögliche offensive Anwendungen der untersuchten Technologien, z.B. gegen Satelliten oder gegen Bodenziele, werden nicht oder nur am Rande erwähnt.
  • Generell wird auf alle mehr politischen Fragen verzichtet wie die „Machbarkeit“ von SDI, die strategische Stabilität, die Rüstungskontrolle und die Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen.

Das letzte Wort der Physik?

Zur Frage der „Machbarkeit“ von SDI, die in Studien etwa der Union of Concerned Scientists oder des Office of Technology Assessment eine Rolle gespielt hat, äußerte Bloembergen: „Viele SDI-Studien und Publikationen, die es schon gibt, haben den Mangel, daß sie politische Position beziehen – genau das wollen wir ausklammern.“5 Sein Kollege Patel begründete dies mit der unsicheren Zielstellung von SDI: „Wir haben nicht gesagt, ob es machbar ist, weil wir nicht wissen, was „es“ ist und was „machbar“ bedeutet.“6

Daß der APS-Bericht keine Gesamtaussage über die Machbarkeit von SDI trifft besagt nicht, daß frühere Analysen ihre Gültigkeit verlieren. Im Gegenteil werden die wesentlichen dort getroffenen Detailaussagen bestätigt. Die Machbarkeit von SDI wurde ohnehin nicht aus rein technischen Gründen in Frage gestellt, sondern v.a. wegen der möglichen sowjetischen Reaktionen, die politisch entschieden werden und damit physikalisch unbestimmbar sind. Selbst wenn die geplanten Technologien realisierbar sind, was nur im Rahmen der durch den APS-Bericht abgesteckten physikalischen Grenzen möglich ist, wird ausschlaggebend für eine Entscheidung sein, ob SDI aus strategischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen überhaupt wünschenswert ist. Damit werden die Grenzen einer rein physikalischen Bewertung von SDI erkennbar.

Es stellt sich die Frage, ob der APS-Bericht das letzte Wort der Physiker zu SDI sein soll oder ob sie weiterhin zu allen anderen SDI-relevanten Fragen Stellung nehmen, auch wenn dies nicht mit der gleichen fachlichen Autorität geschehen kann. Diese Frage spielte eine Rolle, als der Vorstandsrat der APS mit nur einer Stimme Mehrheit eine öffentliche Erklärung beschloß, die deutlicher als der Report gegen SDI Stellung bezog, was von einigen Mitgliedern der Studiengruppe als unzulässig kritisiert wurde. Wenn Physiker nicht auf reine Experten reduziert werden wollen, sollten sie auch in Zukunft nicht davor zurückschrecken, ihr Fachwissen mit einer politischen und moralischen Wertung zu verbinden und sich aktiv in politische Auseinandersetzungen einschalten. Ansonsten besteht die Gefahr des Mißbrauchs der erzielten Ergebnisse durch andere. Dieses Schicksal könnte auch die APS-Studie erleiden, wenn die SDIO daraus einen Katalog der Probleme ableitet, die mit Unterstützung der Physiker noch gelöst werden müssen.

Stellungnahmen und Reaktionen

Trotz der Beschränkung auf technische Fragen und des Verzichts auf politische Wertungen war die Reaktion der SDI-Anhänger zurückhaltend bis ablehnend. Die SDIO bezeichnete die Schlußfolgerungen des APS-Reports als „zu pessimistisch“, da „signifikante Durchbrüche der letzten sechs Monate“ nicht berücksichtigt worden seien. Ein auf die wissenschaftliche Integrität der Kommission zielende Stellungnahme von den Rüstungsforschern Lowell Wood (Livermore) und Gregory Canavan (Los Alamos) warf der Studie unbegründete Beurteilungen vor, sowie Inkonsistenzen, unrealistische Annahmen und Fehler. Einen solchen konnten sie sogleich präsentieren: der Bericht habe sich bei den chemischen Lasern um eine Größenordnung geirrt, da der gegenwärtig leistungsfähigste Laser dieser Art statt der angegebenen 200 kW mehr als ein Megawatt erzeugt hätte. Tatsächlich ist der letzte Wert korrekt, doch Canavan/Wood vergaßen zu erwähnen, daß die ursprünglich richtige Angabe aus Geheimhaltungsgründen auf Druck der SDIO durch die falsche ersetzt wurde.7

Welches Verständnis einige SDI-Protagonisten von wissenschaftlicher Objektivität besitzen, zeigte der Bericht des privaten Marshall-Instituts, der im Dezember 1986 und in einer zweiten Fassung im Februar 1987 veröffentlicht wurde.8 Hier wird vorgeschlagen, für „nur“ 121 Mrd. $ innerhalb von sieben Jahren ein dreischichtiges Abwehrsystem zu installieren, bestehend aus konventionellen Bodenraketen für die Endphasenabwehr innerhalb (HEDI) und außerhalb (ERIS) der Atmosphäre sowie aus 2000 Kampfstationen im Weltraum mit je fünf kleinen KEW-Abfangraketen. Der Zweck, ein rascher und für die beteiligten Firmen gewinnbringender Einstieg in die SDI-Stationierung, heiligt hier die Mittel. Weder gibt das offensichtlich eilig verfaßte Papier eine konkrete und nachvollziehbare Darstellung, wie die angeblich bereits verfügbaren Raketentechnologien die versprochene Abwehreffektivität von mehr als 93 % erreichen sollen, noch wird begründet, wie die erstaunlich niedrigen Kostenschätzungen zustande kommen. Sowjetische Gegenmaßnahmen werden überwiegend ignoriert. Der Daumen dürfte hier der geeignete Maßstab gewesen sein. Die Anklänge an die 1982 veröffentlichte und inzwischen neubearbeitete High-Frontier-Studie sind unverkennbar. Nach dieser hätte eine Abfangrakete 53 Sekunden vor dem Start einer sowjetischen Rakete starten müssen, um diese noch zu erreichen.

Obwohl der Vorschlag des Marshall-Instituts von SDI-Kritikern geradezu verrissen wurde, hatte er eine große politische Wirkung. Das Pentagon benutzte die Studie im US-Kongreß, um eine Verschiebung der SDI-Mittel in KEW-Technologien und den Ausbau der Trägerkapazitäten zu rechtfertigen, sowie durch einen frühzeitigen Stationierungsbeginn Fakten zu schaffen, die das Ende des ABM-Vertrages bedeuten würden. Somit ist die Marshall-Studie das Gegenteil der APS-Studie: während die erste wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, dafür aber kurzfristig politische Wirkung zeigte, steht die zweite auf einem wissenschaftlich hohem Niveau bei geringer Öffentlichkeitswirksamkeit. Daß die Verfechter der Marshall-Studie in der physikalischen Gemeinde auf verlassenem Posten stehen, demonstrierte Frederic Seitz, einer der Mitverfasser, als er die Art der Veröffentlichung der Konkurrenzstudie in dem offiziellen Organ der APS attackierte, da seine eigenen Ansichten nicht berücksichtigt wurden.

Anmerkungen

1 Science and Technology of Directed Energy Weapons, Report of the American Physical Society Study Group, April 1987; Abdruck in: „Reviews of Modern Physics“, Juni 1987; Kurzfassung in: „Physics Today“, Mai 1987.Zurück

2 Bemerkung von APS-Exekutivsekretär W. W. Havens; s. „Physics Today“, Mai 1987.Zurück

3 „Physics Today“, Mai 1987.Zurück

4 APS-Bericht, S. 2.Zurück

5 Interview mit N. Bloembergen, „Physikalische Blätter“, (1987) Nr. 4, S. 103.Zurück

6 „Physics Today“, Mai 1987.Zurück

7 Mitteilung von N. Bloembergen beim DPG-Seminar in Bad Honnef.Zurück

8 George C. Marshall-Institute, Missile Defense in the 1990s, December 1986,2nd Edition February 1987; Pro-SDI Panel Forecasts $ 121 Billion Antimissile Costs, Excluding Rescarch, „Aviation Week & Space Technology“/February 9, 1987, p. 133-134; zur Kritik s.: M. Bunn, Deploying a Desaster, „Arms Control Today“, März 1987, S. 21; G. Marsh Dangers of Limited SDI, „Bulletin of the Atomic Scientists“ März 1987, S. 13-14 R. Garwin Comments on the Marshall-Study, Paper of January 18, 1987.Zurück

Jürgen Scheffran ist Physiker; Forschungsstipendiat der VW-Stiftung.

Risikoproblematik moderner Waffensysteme – Modellfall SDI

Risikoproblematik moderner Waffensysteme – Modellfall SDI

von Josef Nietzsch

Trägt man über einer Zeitskala den qualitativen Zuwachs an Waffenarten auf, so stellt man fest, daß für die vergangenen 20.000 Jahre der Menschheitsgeschichte folgende Tendenz zu beobachten ist. Bis zur Einführung der ersten Fernwaffen, wie Pfeil und Bogen bzw. Speer, waren Tausende von Jahren vergangen, ohne eine qualitative Waffenweiterentwicklung. Mit diesen Waffen erhöhte sich ihr Einsatzeffekt und erhielt eine neue qualitative Dimension, als es gelang, mehr physikalische Prinzipien beim Bau von Waffen zu verwenden, etwa unter Beachtung der Hebelgesetze (etwa um 1000 v.u.Z.). Mit der Einführung der Feuerwaffen, ca. 2000 Jahre nach der vollen Entfaltung der klassischen Belagerungstechnik, fand die erste Revolution des Militärwesens statt, verbunden mit einer enormen Steigerung der Zerstörungskraft von Waffen. Nur ca. 500 Jahre später führte der erste Weltkrieg, unter drastischer Einbeziehung von Dynamit, Maschinenwaffen, Panzern und Flugzeugen, der Menschheit vor Augen, welche gewaltige Potenzierung an Vernichtungskraft durch die Waffenentwicklung erreicht wurde. Und nur weniger als 30 Jahre nach jenem denkwürdigen Friedensschluß von Versailles wurde im gleißenden Lichtblitz der ersten Atombombe über Hiroshima erstmals ein apokalyptisches Schicksal der Menschheit überdeutlich sichtbar, als Konsequenz eines erneut großen qualitativen Sprunges in der Waffentechnik. Seitdem kann man, in einem etwa 10-jährigen Rhythmus, eine vollständige und kontinuierliche Erneuerung der gesamten Waffentechnik beobachten, und manches spricht dafür, daß dieser Effekt noch intensiver wird, nur begrenzt durch z.T. enorme Entwicklungszeiten für moderne Waffensysteme, wenn es nicht gelingt, diesem von Menschen initiierten Wahnsinn in die Arme zu fallen.

Mit SDI ist von den USA ein erneut qualitativ wesentlicher Schritt beim Aufbau neuer Waffensysteme vollzogen worden. Konnte man bisher durch eine Fülle von Maßnahmen – dem sogenannten Krisenmanagement – oft in letzter Minute, wie noch auszuführen sein wird, ein atomares Inferno verhindern, so würde sich mit SDI die gesamte Menschheit auf Gedeih und Verderb an einige Kilogramm Halbleitermasse, an Software-Pakete und eine Fülle „glücklicher Zufälle" binden und trotzdem stets ihren eigenen Untergang vor Augen haben. Denn mit SDI tritt uns erstmals das Problem des Accidental War entgegen als einem Produkt der erneuten qualitativen Veränderung in der Waffenentwicklung und deren Einsatz.

Das SDI-Informationssystem und die Unmöglichkeit seiner Schaffung

1. Die SDI-Software

Mit SDI müßten ca. (10-100) x 103 Objekte verfolgt und bekämpft werden, durch ein Graphensystem mit (10-50) x 106 Zweigen, wobei in einigen Knoten und Zweigen Hochgeschwindigkeitsrechner zu installieren wären mit etwa 1012 Gleitkommaoperationen pro Sekunde (vereinfacht gesprochen sind mindestens 1 Billion ja/nein Entscheidungen pro Sekunde zu treffen). Das SDI-Software-System muß die Wirkung aller dargestellter Teilkomponenten steuern, koordinieren und gezielt einsetzen. Dabei sind Softwarekomponenten sowohl auf der Erde, in Flugzeugen und auf Schiffen als auch in Orbits disloziert und müssen hierarchisch und folgerichtig in jedem Zeitpunkt zusammenwirken, und dies unter allen Bedingungen. Dies ist in echtem Real-Time-Verhalten zu sichern, um stets den wirklichen und aktuellen Stand der Arbeit sowohl aller technischen Hardwarekomponenten zu gewährleisten, als auch die richtige Programmabfolge zu realisieren. Auf Grund der räumlichen Ausdehnung von SDI und der Einbeziehung des erdnahen Kosmos sind darüber hinaus Tausende von Kilometern an Informationskanälen zu überbrücken. Dies bedeutet, daß Rechner in den Kampfeinheiten, wie Laserwaffenstationen, den EM-Guns und den Kleinraketenplattformen, zu installieren sind, deren Position sich im Rhythmus des Orbitdurchlaufs ändert. Mehrere Kommandozentralen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, ähnlich den SAC-Einheiten der US-Air Force, in diesem Graphen sollen das Eingreifen des Menschen in das System ermöglichen, wobei durch die eingangs genannten Parameter eine fast völlige Automatisierung der Softwareabarbeitung zwingend nahe gelegt wird und auch vorgesehen ist. Mit diesen einführenden Anmerkungen dürfte dem Leser die Meinung der Experten verständlich sein, daß die SDI-Software das größte Softwaresystem darstellt, das je geschaffen wurde. Hierfür sind ca. 20 x 1012 $ veranschlagt. Gleichzeitig dürfte sich auch das Gefühl ausbreiten, der technischen Hybris gegenüberzustehen.

2. Systemanforderungen und Realisierbarkeit

Folgende Situation ist leicht denkbar: Nach einer Angriffswarnung sind gleichzeitig, d.h. parallel, folgende Aktionen auszuführen:

  • Bekämpfung von feindlichen Raketen in der Boostphase,
  • Blendung des gegnerischen C3I Systems,
  • Aktivierung der anderen Weltraumwaffen, zwecks späterem Einsatz,
  • Aktivierung der eigenen Angriffseinheiten global.
  1. Damit ist von vornherein auf die Vektorstruktur der zu installierenden Rechner orientiert, bei denen ein Höchstmaß an Parallelbetrieb möglich wird. Auf Grund von 2. werden aber erstmals im gesamten System Komponenten aktiviert, die bis dahin nicht gearbeitet haben. Somit ist bereits in der ersten Phase des Betriebes des Systems mit einer relativ hohen Fehlerrate der Software zu rechnen, da verborgene Fehler mit den Fehlern der erstmals aktivierten Komponenten einen Fehlerverstärkungseffekt erzielen werden. Aus der Praxis der Programmierung ist aber folgender Effekt bekannt. Komplexe Softwaresysteme lassen nur sehr schwer Fehlerkorrekturen zu. Oft treten nach der Korrektur und einer zeitweiligen korrekten Arbeit genau an der gleichen Stelle erneut Fehler auf, die nur nach umfangreichen Testungen gefunden und gleichfalls nur unvollständig berichtigt werden können. Für das SDI-System ist somit a priori kein zuverlässiges Softwaresystem erstellbar, aus prinzipiellen innermathematischen Gründen.
  2. Bei der Auffassung des Softwaresystems als Graph ist man weiterhin konfrontiert mit dem Problem, daß Verzweigungspunkte in Graphen abhängig sind von Eingabedaten bzw. von anderem Datenmaterial, das erst im Verlauf der Systemabarbeitung erstellt wird. Damit ist aus innerbetrieblichen Gründen eine hinreichende umfangreiche Testung vor Inbetriebnahme nicht möglich.
  3. Auf Grund der Komplexität des Systems ist das SDI-System dasjenige Softwaresystem mit den meisten Interfaces. Die Zunahme an Interfaces bedeutet aber eine Zunahme von Fehlerquellen in einer nichtelementaren Form. Dieser Aspekt des zu schaffenden Softwarepaketes dürfte eines der schwerwiegendsten Probleme darstellen.
  4. Das System muß extrem robust und extrem schnell sein. Ein explizites Vorhersagen dieser Größen ist nicht möglich. Versuche, durch redundantes Auslegen von Systemkomponenten dieses Ziel zu erreichen, führt zusätzliche Graphenteile ein und wirkt somit ebenfalls in Richtung versteckter Fehler und in Richtung einer Arbeitsgeschwindigkeitsreduktion, da zusätzliche innere Testungen vorgenommen werden müssen. Die Robustheit meint, daß äußere Einflüsse, außer denen der Sensoren und eigenen Steuereinheiten, nahezu vollständig auszuschließen sind. Es wird sich zeigen, daß dies unter Kampfbedingungen, dem eigentlichen Ereignis, bei dem das volle System aktiviert wird, unmöglich ist.
  5. Die Inkorporation großer Teilsysteme in das SDI-Softwaresystem, die sich in ihrer Struktur über Jahre verändern, ist eine wesentliche Fehlerquelle und die periodische Implementierung neuer Subsysteme mit dem Außerdienststellen der alten Einheiten verkompliziert das beschriebene Bild weiterhin. Damit ist folgendes angedeutet. In SDI müssen „Supersysteme“ als Unterprogrammroutinen eingefügt werden, z.B. Start-, Bahn- und Landeprogramme der herkömmlichen Raketentechnik, die selbst bereits eine sehr hohe Komplexität besitzen und ständig weiterentwickelt werden. Somit entsteht das bisher nur unvollständig beherrschte Problem der dynamischen Programmierung, d.h. des über längere Zeit stark variablen Softwaresystems mit allen Fehlerproblemen.
  6. Das SDI-System muß eingebettet sein in ein Selbstkontrollsystem, das z.B. regelmäßig und in kurzen Abständen evtl. auftretende „Dead-Lines“ im System bemerkt. Bei voller Aktivierung kann

    • dieser Suchprozeß nicht abgeschlossen sein,
    • können Dead-Lines erkannt worden sein, die nicht mehr ausgeglichen werden können, womit die Funktion des Systems fragwürdig wird und fehlerhaft arbeitet.
  7. Auf Grund der hohen Informationsdichte, die es zu verarbeiten gilt, ist dieses System nahezu autonom zu gestalten, menschliche Eingriffe können bei den angestrebten Geschwindigkeiten höchstens am Anfang der Arbeit dieses Systems stehen. Damit ist, nach voller Aktivierung des Systems, der Mensch auf Gedeih und Verderb seinem von vornherein fehlerhaften Produkt ausgeliefert. Dabei muß man sich vor Augen führen, daß das teuerste und komplexeste Computersystem für die Arbeitsdauer von 30-90 Min. ausgelegt ist, der Dauer aktiver interkontinentaler thermonuklearer Handlungen. Diese Automatisierung stellt ein großes Fragezeichen. Für automatisierte Systeme sind deren Betriebsgrenzen anzugeben, innerhalb derer das System automatisch zu arbeiten hat. SDI ist aber ausgelegt für einen Fall, der in seinem Ausmaß absolut unbekannt ist. Damit sind wesentliche Anforderungen an automatisierte Systeme unerfüllbar.
  8. Innerhalb von SDI gibt es das Problem der Schaffung einer dynamischen globalen Datenbank. Zum einen müssen alle Systemkomponenten auf diese, im wesentlichen erst nach voller Aktivierung des Systems geschaffene, Datenbank Zugriff haben. Zum anderen müssen spezielle Daten (z.B. bestimmte Flugtrajektorien, ermittelte Ziele, Trefferraten etc.) gesondert gekennzeichnet und zwecks augenblicklicher Verfügung herausgehoben werden. Es ist sehr zu bezweifeln, daß bei der Größe der Dislozierung von SDI-Komponenten ein solches Datenbanksystem überhaupt erstellbar ist. Unvollständige Kenntnis aktueller Datenstrukturen aber führt zu einer falschen Wirkung der SDI-Software. Insbesondere ist diese Datenbank zur Kontrolle der Wirkung des SDI-Systems unerläßlich. Eine den Einsatzanforderungen nicht genügende Datenbank für SDI aber kann im schlimmsten Fall das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielen (z.B. Unterdrückung der Waffenauslösung, da ein „falscher Alarm“ ausgelöst worden ist!).
  9. Eine weitere wesentliche Fehlerquelle liegt in den Prozessoren der untersten Systemebene und deren Fehlerraten, da diese an das gesamte System weitergegeben werden und so unüberschaubar werden. Dies ist eine weitere schwerwiegende Quelle für falschen Einsatz von SDI-Komponenten.

Auf Grund der sehr kurzen „Arbeitszeit“ des SDI-Softwaresystems sind Hardwarefehler oder gar Ausfälle von Komponenten niemals ausgleichbar, d.h. es gibt für SDI unter Operationsbedingungen keine Möglichkeit einer Reparatur. Hieraus folgert man, daß aus einem zusammenhängenden Netzgraphen ein zerrissenes Netz wird, mit unüberschaubaren Konsequenzen und Reaktionen.

Schließlich entsteht im SDI-Computernetz das Problem der Desynchronisation und der Totzeit. Die geschilderte Parallelarbeit muß wirklich parallel und kausal im Sinne der Systemphilosophie sein. Auf Grund einer hohen relativen Eigenständigkeit von Teilsystemen wird mit Sicherheit folgende Situation zu erwarten sein. Eine zu erstellende Information von Komponente A wird in B benötigt, jedoch ist in B die Entscheidung schneller zu fällen, als A die notwendige Grundlage hierfür liefert. Situationen dieser Art können zu chaotischen Reaktionen des Systems führen bis hin zum vollständigen Zusammenbruch des gesamten Systems mit gleichfalls unvorhersehbaren Konsequenzen.

Schließlich tritt uns mit SDI erstmals drastisch das Problem der Endlichkeit von Signalausbreitungen entgegen. Die Höchstgeschwindigkeit für die Ausbreitung elektromagnetischer Strahlung ist die Lichtgeschwindigkeit. Diese setzt allen Informationssystemen eine absolute obere Übertragungsgeschwindigkeit. Bei der Überbrückung von Signalentfernungen von mehreren tausend Kilometern wird dieses Problem bedeutsam und verstärkt wesentlich das Synchronisationsproblem durch die Produktion von Totzeit. Die unter 1)-11) aufgelisteten Probleme sind reine Probleme des „hochkomplexen Betriebssystem“. Zu diesen Unsicherheiten treten weitere Fragwürdigkeiten der SDI-Installation.

3. Die Rolle des Menschen innerhalb von SDI

Wie in 2. dargestellt, ist innerhalb von SDI der Mensch weitgehend substituiert und spielt die Rolle eines „gleichberechtigten“ Startelements (denn die Selbstaktivierung in einem „Extremfall“ ist natürlich vorgesehen, hierzu noch einiges mehr später).

Bei Eintreffen einer Angriffswarnung und Aktivierung des Systems durch Menschen bedeutet dies, daß in den ersten Sekunden bis 1,5 Minuten nach einem Plan verfahren werden muß, der wesentliche Momente gegnerischen Handelns als Ausgangspunkt enthält. Von vornherein aber ist im Fall einer Warnung ein Waffeneinsatz (z.B. nukleargepumpter LASER) zur Ausnutzung der Boost-Phase vorgesehen, d.h. bei Aktivierung des Systems ist ein Krisenmanagement, z.B. durch die Informationslinie Weißes Haus/Kreml ausgeschlossen. Da nach Aktivierung des Systems aber ein nahezu automatisches Wirken von SDI vorgesehen ist, bleibt für menschliche Eingriffe kein Spielraum, so daß eine evtl. Auswertung zweifelhafter Signale, das Erkennen fehlerhafter Informationen oder Geschehnisse aus speziellen physikalischen Situationen heraus (z.B. gesichtete Meteoritenschwärme) unmöglich wird und somit nach voller Aktivierung des Systems eine zwanghafte Ereignisabfolge eintritt. Es ist unmöglich, für ein derart hochkomplexes automatisiertes System sichere Wirkgrenzen zu definieren. Man muß somit innerhalb von SDI Bedrohungssituationen automatisch, ohne menschliche Beteiligung, analysieren und hieraus automatisch weitreichende Konsequenzen ableiten, bis hin zum thermonuklearen Weltkrieg.

4. Das Problem des Systembaus und dessen Testung

Technisch beherrschbar ist

  • die hardwaremäßige Konstruktion der Waffensysteme, der Sensoreinheiten und der Rechner,
  • die Dislozierung der Systeme,
  • die Austestung einer großen Menge von Teilsystemen für sich allein.

Eine gewisse Zuverlässigkeit von Teilkomponenten erreicht man auch durch Inkorporation bewährter Expertensysteme innerhalb von SDI (z.B. spezielle Dopplerradareinheiten und Rechner zur automatischen Verfolgung und Vernichtung gegnerischer Flugobjekte). Mit diesen realisierbaren Möglichkeiten aber ist man noch meilenweit von dem entfernt, was unter .2. angedeutet wurde. Mit der Zusammenschaltung aller Teile zu einem Komplex beginnen alle geschilderten Probleme.

Als Ausweg werden Computersimulationen, künstliche Intelligenz und die Programmverifikation angeboten. Ohne auf Detailfragen einzugehen, kann man folgendes feststellen:

Durch die Inkorporation von Expertensystemen in SDI ist die Möglichkeit der Verwendung künstlich intelligenter Einheiten ausgeschöpft, eine wesentliche Verbesserung der vorhandenen Situation ist vorläufig kaum zu erwarten. Die Verifikation eines Programms, d.h. der Test auf Korrektheit und Konsistenz löst keine der genannten Probleme, da Verifikation über Spezifizierungen, die unerläßlich für das korrekte Arbeiten sind, nichts aussagt (z.B. ist ein Programm zur Berechnung einer Satellitenbewegung ebenso korrekt im Sinne der Mathematik, wenn dieses die Bewegung des Satelliten mit oder ohne Erdbewegung um die Sonne enthält, wohl aber kaum im Sinne der Physik!). Schließlich dürfte es sehr schwierig sein, das höchstkomplexeste Computersystem auf einem weniger komplexen System zu simulieren. Dies ist aber nicht das Hauptproblem. Denn eine sachgemäße Simulation erfordert die Beherrschung des Simulationsobjekts, und dies ist niemals gegeben, wie gleich gezeigt wird. Somit sind alle Hoffnungen auf eine sachgemäße Testung illusorisch. Eine sachgemäße Testung. wäre ein Test unter vollen Operationsbedingungen, bei denen alle Systemkomponenten aktiviert sind, also im Fall eines thermonuklearen Krieges. Die hier auftretenden realistischen Bedingungen und Daten sind als Simulationsparameter unerläßlich, womit das Simulationsargument gegenstandslos wird. In einem solchen „vollen“ Testfall würden auch inhärente Fehler gemäß 2. sichtbar und man kommt zu dem SDI Widersinn, daß das SDI-System überhaupt studierbar wird erst unter vollen Operationsbedingungen, diese Bedingungen aber a priori die absolut korrekte und zuverlässige Arbeit des Systems voraussetzen, was prinzipiell unmöglich ist. Noch schwerwiegender wird dieses Problem unter dem Aspekt wirklicher Kampfhandlungen.

5. SDI-Systeme unter Kampfbedingungen und das Problem positiver Rückkopplung

Es soll hier nicht die gesamte Palette von Gegenmaßnahmen erörtert werden, sondern es wird lediglich untersucht, ob das Eintreten von realistischen Operationsbedingungen nicht bereits SDI überfordert.

Innerhalb von SDI muß über Jahre, ja für die gesamte Dauer seiner Stationierung und seines Betriebes stets die aktuelle Feindeinschätzung ausgetauscht und eingespeist werden (ökonomische Potenzen, militärische Potenzen, Angriffsverhalten, Angriffsevolution usw.), wobei es sich in vielen Fällen um hypothetische Größen handelt. Die Konfrontation, bei Aktivierung, von SDI mit einer unvorhergesehenen Kampfbedingung setzt, zumindest zeitweilig, die Effektivität dieses Systems beträchtlich herab (es wird ein „Lernzyklus“ nötig mit allen Folgen von 2.2.).

Seit der Indienststellung der MIRV-Technologie ist es relativ leicht möglich, bei Aufklärungseinheiten (Sensoren und Rechnern) einen Sättigungseffekt zu erzielen. Beide eben genannten Effekte werden noch dramatisch verschärft durch die Forderung der Real-Time-Arbeit des Systems, auch bei Verwendung einer neuen Computergeneration.

Weiterhin sind Sensoren hochempfindliche Einrichtungen, die durchaus für falsch codierte Informationen (Irritation durch den Gegner) aufnahmefähig und empfindlich gegen äußere Einwirkungen sind (Blendung). Ein derart gestörtes SDI-System ist in seinen Reaktionen auf keinen Fall prognostizierbar und dürfte dann chaotisch reagieren.

Schließlich ist eine direkte Zerstörung von SDI-Komponenten ein irreparables Ereignis, mit gleichfalls unüberschaubaren Konsequenzen. Die sehr ausgedehnten SDI-Computer und -Waffenstände im All aber sind durch Schwärme von sogenannten Weltraumminen sehr leicht entscheidend zu verletzen, wodurch aus einem zusammenhängenden Graphen ein zerrissener wird, mit den beschriebenen Folgen.

In diesem Zusammenhang bleibt noch ein besonders bedrückendes Problem innerhalb der SDI-Situation übrig, das der Selbst-Aktivierung durch zufällige Einflüsse a) bzw. durch positive Rückkopplung mit dem gegnerischen C3I-System b).

a) Eine innere Störung, ein Computerfehler, die Deutung einer Situation als Angriff (Meteorite – das gab es schon mehrmals bei NORAD), ein defekter Chip, menschliches Fehlverhalten, können zur Gesamtaktivierung des Systems führen und so den atomaren Holocaust bewirken.

b) Es gibt aber noch einen viel bemerkenswerteren Sachverhalt, die unbeabsichtigte Kopplung der C3I-Systeme beider Weltmächte. Dieser Vorgang kann wie folgt beschrieben werden. Im US-amerikanischen System wird eine Alarmmeldung empfangen und an SDI weitergegeben, diese bewirkt gewisse Maßnahmen innerhalb von SDI der beschriebenen Art. Die bleibt dem sowjetischen System nicht verborgen mit gleichzeitiger Einleitung entsprechender Aktivitäten im Sinne des eingangs beschriebenen strategischen Spiels. Hierauf reagiert, als Bestätigung seiner Teilaktivierung, das amerikanische System, usw., das „Zugende“ dieser Wechselwirkung ist bekannt, da der Mensch in diesem System substituiert ist – accidental war. Eine Beherrschung dieses Effektes ist bisher nicht in Sicht. Mit diesen Ausführungen sind die wesentlichen Probleme umrissen, die mit dem Aufbau eines weltraumgestützten ABM-Systems verbunden sind. Das Szenarium ist bedrückend genug, der Aufruf, diesem Wahnsinn aus technischer Überheblichkeit und geistiger Uneinsichtigkeit Einhalt zu gebieten, unübersehbar.

Literatur:

1) D. Engels, J. Scheffran, E. Sieker: Die Front im All; Pahl-Rugenstein, 1984
2) Wehrpolitische Information, München, Jahrgang 86
3) Wehrtechnik, Bonn, Jahrgänge 85/86
4) Das Billionen Dollar Projekt, Bild d. Wiss., 5/86
5) Europäische Wehrkunde, Jahrgänge 85/86
6) The Soviet Military Power, US-Government, 3/86
7) Zeitschriften der Luft- und Raumfahrt:
(a) US-Air Force-magazine, Jahrgänge 85/86
(b) Aviation Week and space technology, Jahrgang 86
(c) Fliegerrevue, Jahrgänge 85/86 (d) Interavia, Jahrgänge 85/86
(e) Kosmonawtika: Aviazia, Jahrgänge 85/87
8) Tageszeitungen: ND, Prawda, Roter Stern, FAZ, Frankfurter Rundschau, Times, Washington Post
9) EVI, EUREKA, SDI, Analyse und Kritik; Die Friedensliste, März, 1986, Frankfurt/M., v. Altmann, Bruckmann u.a.
10) D. L. Parnas: The SDI-Software-Problem, Comm. ACM
11) D. Nellson, R. Reddell:The star-wars-computer-system, ABACUS, Winter 1986

Prof. Dr. sc. nat. Josef Nietzsch ist Hochschullehrer für Mathematik an der Humboldt-Universität zu Berlin.