Bundesregierung plant Euro-SDI

Bundesregierung plant Euro-SDI

von Wolfgang Zellner

Vor einem Jahr forderten der CSU Vorsitzende Strauß und der Vorsitzende der CDU/ CSU Fraktion, Dregger, fast zeitgleich und mit den selben Worten eine „europäische strategische Verteidigungsinitiative“ (Strauß) zur „Ergänzung des SDI-Programms“.1 Die Bundesregierung hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch bedeckt und reagierte auf entsprechende Fragen im Parlament ausweichend.2 Ab Jahresanfang 1986 ist dies anders.

In zwei großen Artikeln propagierte Minister Wörner den Einstieg in die Euro-Raketenabwehr: „A missile defense for NATO Europe“, veröffentlicht in der Winterausgabe der renommierten US Zeitschrift „Strategic Review“ sollte die bundesdeutsche Raketenabwehrbereitschaft jenseits des Atlantiks signalisieren; „Europa braucht Raketenabwehr“, veröffentlicht in der „Zeit“ am 28.2.86, besorgte denselben Zweck beim hiesigen Publikum.

Im Januar 1986 veröffentlichte die Konrad Adenauer Stiftung eine Raketenabwehrstudie 3, in der Wörners Argumentation vorgezeichnet wird. Nach Aussagen des Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, Würzbach, ist auf der Hardthöhe eben eine Auftragsstudie zur Raketenabwehr abgeliefert worden, die im vergangenen Jahr in den USA bestellt worden war.4 Die NATO Advisory Group for Aerospace Research and Development (AGARD) arbeitet an einer geheimen Raketenabwehrstudie unter dem Titel AAS 20, die bis Mitte 86 abgeliefert werden soll.5

Wörner vermeidet es sorgfältig, von einer „Europäischen Verteidigungsinitiative„ zu sprechen, er bevorzugt den Begriff „erweiterte Luftverteidigung“. Dazu erläutert die Studie der KAS: „Dies sicherlich nicht nur aus sachlichen, sondern auch und vor allem aus bündnis- und innenpolitischen Erwägungen.“6

EVI und das amerikanische ATM-Programm

ATM (Anti Tactical Missile) bedeutet im amerikanischen Sprachgebrauch Abwehr gegen alle Flugkörper unterhalb der Schwelle der strategischen Flugkörper, d. h. gegen bemannte Flugzeuge, unbemannte Flugkörper mit aerodynamischer Flugbahn (Cruise Missiles) sowie alle Arten von ballistischen Flugkörpern wie den Mittelstreckenraketen. Der Begriff ATBM (Anti Tactical Ballistical Missile) bezieht sich auf die Abwehr ballistischer Flugkörper. Weil ATM der umfassendere Begriff ist und weil die einschlägigen amerikanischen Programme mit „ATM“ bezeichnet werden, wird im folgenden dieser Begriff benutzt. Wie zu zeigen sein wird, bezeichnet er denselben Sachverhalt wie die von Wörner so sorgfältig gemiedene „Europäische Verteidigungsinitiative“.

Über ATM wurde im amerikanischen Kongreß seit 1980 diskutiert 7, 1982 wurde ein ATM-Projektbüro eingerichtet 8, ab dem Haushaltsjahr 1982 finden sich für ATM regelmäßig Etatansätze, die sich inklusive des Haushaltsjahres 1986 auf 124,4 Mio $ addierend.9 Diese Summe bezieht sich ausschließlich auf F & E, nicht auf Produktion. Die relative geringe Höhe dieser Summe sollte nicht vorschnell beruhigen, denn zum einen verdoppelten sich die Ansätze in den vergangenen drei Jahren regelmäßig (von 17,2 Mio. über 32,2 Mio. auf 62,7 Mio $ in den Jahren 84, 85, 86), zum anderen bezeichnet diese Etatsumme den Einstieg in das ATM-Programm und bezieht sich vor allem auf die Umrüstung bereits in der Produktion befindlicher Systeme, deren Entwicklung schon Milliarden Dollar gekostet hat.

Nach Aussagen von Pentagon-Vertretern vor dem Kongreß besteht das „Programm aus einem kurzfristigen wie einem langfristigen Zugang und wird in zwei Phasen durchgeführt werden“.10 Kurzfristig sollen die vorhandenen Luftabwehrraketen PATRIOT und HAWK zur Raketenabwehr umgerüstet werden. Über die längerfristige Option schreibt Jonathan Stein in „Arms Control Today“: „Exotischere Pläne für ATBMs mit weitaus größerer Kapazität als die Luftverteidigungssysteme mit begrenzter Fähigkeit gegen taktische Raketen beziehen sich wesentlich auf die SDI-Forschung. Die Strategie Defense Initiative Organization (SDIO) glaubt, daß eine Vielzahl von Systemdemonstrationen mit ATBM-Anwendbarkeit bis 1990 oder kurz danach fertig sein kann. Dies schließt weltraum- und bodengestützte Laser und Sensoren, ein Experiment mit einem luftgestützten optischen System, das einen fortgeschrittenen Infrarotsensor zur Sprengkopfverfolgung und Täuschkörperunterscheidung benutzt, ebenso ein wie innerhalb der Atmosphäre arbeitende Hochgeschwindigkeits-Kinetische-Energie-Waffen.“11

Die laufende erste Programmstufe von „ATM“ sieht vor, daß der Patriot-Rakete die Fähigkeit verliehen wird, sowjetische Flugkörper vom Typ SS 21 und SS 23 (Reichweite 120 bzw. 500 km) abzufangen, während das Hawk ATM-Programm auf eine Abfangfähigkeit gegen sowjetische Cruise Missiles zielte.12 Die allererste Stufe ist dabei die sog. „Selbstverteidigungsfähigkeit“, d. h. Patriot sollen auf sie zielende SS 21/ SS 23 Angriffe abwehren können. Diese Abwehrfähigkeit soll dann sukzessive vergrößert werden. Würzbach geht davon aus, daß der Beginn der Einsatzbereitschaft der Patriot ATM noch in diesem Jahrzehnt erreichbar ist. Die Bundesregierung werde dann auch die Umrüstung der von der Bundesluftwaffe zu kaufenden Patriot-Systemen auf ATM Fähigkeit „positiv prüfen“.(12a) Nach Aussagen von US-General Wagner „zeigen vorläufige Studien jedoch, daß die Patriot mit größeren Veränderungen nachgerüstet werden kann, so daß sie eine signifikante Fähigkeit gegen die SS 22 (Reichweite ca.1000 km, d. V.) und die Advanced Cruise Missile Bedrohung erhält.13

Staatssekretär Würzbach erläuterte am 20. März im Bundestag, daß sich der Begriff „erweiterte Luftverteidigung„ von Wörner auf die Abwehr der SS 20, der SS 21/ 23 sowie von Cruise Missiles bezieht. Damit ist klar, daß die Begriffe „erweiterte Luftverteidigung“, „Europäische Verteidigungsinitiative“ und „ATM“ als synonym gebraucht werden können. Sie bezeichnen alle dasselbe: Abwehr gegen alle Flugkörper unterhalb der Schwelle der strategischen Flugkörper. Wörner und Würzbach versuchen zwar noch, diesen Tatbestand dadurch zu verbergen, daß sie behaupten, „erweiterte Luftverteidigung„ sei „konventionell„, weil mit konventionellen Waffen bestückte Raketen der UdSSR abgewehrt werden sollten; aber auch Wörner weiß: „Es ist nicht möglich, die „Qualität“ des Gefechtskopfes eines aufliegenden Flugkörpers zu identifizieren, das heißt zu erkennen, ob er einen nuklearen oder konventionellen Gefechtskopf trägt. Dies bedeutet nichts anderes, als daß der NATO in der Praxis mit dem Aufbau einer Flugkörperabwehr gegen konventionelle Ziele auch eine Verteidigungsfähigkeit gegen nukleare Systeme zuwachsen würde.“ (Zeit, 28.2.86)

Dieses Geständnis Wörners bedeutet aber nichts anderes, als daß der Minister mit dem Begriff „erweiterte Luftabwehr„ und der Betonung von „konventionell“ bei der Bevölkerung positive Assoziationen („Schutz“) wecken und negative Assoziationen („Atomwaffen“) verdrängen will; kurz: Es handelt sich um eine Verkaufslüge für EVI/ATM oder wie schon oben aus der KAS-Studie zitiert, um „innenpolitische Erwägungen“.

Als militärischen Zweck der „erweiterten Luftabwehr“ bezeichnete Wörner in seinem „Zeit“-Artikel die Verteidigung „militärischer Punktziele“. Um welche Militärziele es dabei geht, sagte der damalige Pentagon-Staatssekretär James Wade schon im Jahre 1980(!) vor dem Senate Armed Services Committee: „Wir prüfen die Frage einer aktiven Verteidigung für die atomaren Mittelstreckenwaffen sehr sorgfältig (…) Es ist aus gutem Grunde klar, daß ein solches Vorgehen Verdienste haben könnte (…)“14 Der US-Staatssekretär ging damit wenige Monate nach dem NATO-„Doppel“-Beschluß selbstverständlich davon aus, daß Pershing II und Cruise Missiles stationiert würden. Ebenfalls in einem Hearing vor dem Senate Armed Services Committee im Jahre 1983 bestätigte US-General Merryman, daß die Aufgabe von ATM darin liege, Pershing II zu schützen.15 Die Geschichte von ATM beweist damit, daß es immer das Ziel der US-Regierung gewesen war, Pershing II und Cruise Missiles zu stationieren und daß eine Verhandlungs- und Abrüstungslösung nie gewollt war und alles getan wurde, um sie zu torpedieren. Pershing II und Cruise Missiles sollten jene „Eskalationsdominanz„ oder Überlegenheit wieder herstellen helfen, die durch das Gleichziehen der UdSSR auf der nuklearstrategischen Ebene in den 70er Jahren nicht mehr gegeben war. Diese zentrale Stellung der Pershing II und Marschflugkörper in der globalen Zielstellung der US-Regierung, strategische Überlegenheit zu erlangen, würde daher mit der Realisierung des ATM-Programms fortgesetzt und befestigt.

Bisher wurde der Begriff ATM lediglich im Sinne aktiver Verteidigung, d.h. des Abfangens gegnerischer Raketen nach ihrem Start in der Luft, benutzt. Er umfaßt aber zusätzlich ein Counterstrike-Element, d. h. die Zerstörung der gegnerischen Raketen und Stellungen vor dem Start mittels eigener treffischerar Raketen. US-General Wickham hat dazu ausgeführt: „Die Army hat ein Counterforce-Programm entwickelt, (…), wobei die JTACMS A(rmy) als Trägerrakete benutzt wird (…) Zusammengefaßt scheinen Luftverteidigung und Deep Attack Techniken viel zur Lösung der Abwehr taktischer Raketen beizutragen.“16 Denselben Gedankengang wiederholte Wörner in „Strategic Review“: „Grundsätzlich kann eine Verteidigung gegen sowjetische Raketen auf mehreren Wegen erreicht werden: Durch passive Maßnahmen (…) Durch die Zerstörung sowjetischer Raketen vor ihrem Start. Durch das Abfangen der ankommenden Raketen, bevor sie ihre Ziele erreichen. Diese möglichen Maßnahmen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich eher und verstärken sich gegenseitig.“17 In Wörners „Zeit“-Aufsatz, bestimmt für das sensiblere bundesdeutsche Publikum, war von Counterstrike nichts zu lesen. Das Counterstrike Element von ATM ist nichts anderes als ein zentraler Bestandteil von FoFa, dem Rogers Plan. Die ESECS Studie in Zusammenarbeit mit dem NATO Oberkommando erstellt zeigt, wie man sich das praktisch vorzustellen hat. Dort wird vorgeschlagen, zur Zerstörung zentraler sowjetischer Militärziele ca. 800 Pershing II oder IA mit konventionellem Sprengkopf sowie weitere 1800 verbesserte LANGE ebenfalls mit konventionellem Sprengkopf einzusetzen.17a

Damit ist grundsätzlich EVI derselbe Zusammenhang gegeben wie bei SDI: Ein „befriedigendes„ Abfangergebnis ist nur dann zu erreichen, wenn ein großer Teil der sowjetischen Raketen schon vor dem Start am Boden zerstört wird. Das ist exakt dasselbe, was auf strategischer Ebene als Erstschlagsszenario bezeichnet ist. Am Counterstrike Element zeigt sich der aggressive Charakter von ATM/ EVI am klarsten.

EVI tot?

Das jüngste Treffen der Nuklearen Planungsgruppe der NATO Staaten in Würzburg hat einige Kommentatoren z.B. in der Frankfurter Rundschau zu der Annahme veranlaßt, die „Europäische Verteidigungsinitiative“ sei tot. In der Tat, die Verlautbarungen nach der Tagung waren bemerkenswert: Die Sicherheitsinteressen der europäischen Partner würden bei der SDI-Forschung mitberücksichtigt, erklärten die USA. Verteidigungsminister Wörner sagte, es sei deutlich, „daß das Drängen der Europäer und besonders der Bundesregierung
Erfolg gehabt hat.“ Bemerkenswert ist nun nicht die „Ausweitung“ von SDI
auf die taktische Raketenabwehr; Wolfgang Zellner zeigt, daß sie schon aus
„bündnispolitischen Erwägungen“ längst intendiert war. Bemerkenswert schon
eher, mit welcher Dreistigkeit ein Minister mit der Öffentlichkeit umgeht. Aber noch bemerkenswerter die mit der NPG-Tagung vollzogene widerspruchslose Unterordnung der europäischen NATO-Länder unter militär- und irtschaftspolitische Interessen der USA.Ob die Geschäftsinteressen bundesdeutscher Unternehmen, die wie MBB „heiß“ auf
ein separates EVI-Geschäft waren, bei dieser Regierung in besten Händen sind, selbst dies ist fraglich auch wenn wir uns deren Ambitionen wahrlich nicht zu eigen machen.

ATM/EVI und SDI

Minister Wörner behauptet: „Im übrigen aber ist das Projekt einer Flugkörperabwehr in Europa unabhängig von SDI.“ (Zeit 28.2.86) Diese Propagandathese widerlegt schon der US-regierungsamtliche Hoff-Report aus dem Jahre 1983. Dort heißt es: Die Stationierung eines Taktischen Raketenabwehrsystems (ATM) ist eine Übergangsoption, die relativ früh erreichbar sein könnte.(…) Die fortgeschrittenen Komponenten könnten, obwohl ursprünglich für ATM-Anwendung entwickelt, später eine Rolle in der kontinentalen Verteidigung der Vereinigten Staaten spielen. Eine solche Option begegnet der drängenden militärischen Notwendigkeit, die alliierten Streitkräfte auf den Operationsfeldern genauso wie unsere eigenen sowohl vor nichtnuklearen wie vor nuklearen Angriffen zu schützen. (…) Der Entschluß einer solchen Option in unser langfristiges F+E-Programm zur Abwehr ballistischer Raketen sollte Ängste bei den Verbündeten verringern (…)“. 18

Damit ist klar gesagt, daß ATM einerseits eine militärisch-technologische Funktion für SDI, andererseits eine unverzichtbare politische Funktion für die Durchsetzung von SDI in NATO-Europa hat. Zum ersten Aspekt äußerte der Direktor der US-Rüstungsforschungsbehörde DARPA, Cooper: „Wenn es uns gelingt, in größerem Maßstab eine Fähigkeit gegen IRBM (ballistische Mittelstreckenraketen, d.V.) herzustellen, ist es sehr wahrscheinlich, daß wir fähig sein werden, eine wesentliche Fähigkeit gegen ICBM und SLBM zu haben, indem wir lediglich dieselbe Technologie auf globale Ebene aufstocken.“19 EVI also als Test und Entwicklungsfeld für SDI. Umgekehrt hat Wörner keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, daß aus der „SDI-Forschung Erkenntnisse“ für seine „erweiterte Luftabwehr“ anfallen würden. Damit sind EVI/ATM und SDI schon auf der technischen Ebene untrennbar verbunden.20 Militärisch ist EVI/ATM vor allem über die Schutzfunktion für jene US-Waffen in Europa auf SDI und die zentralstrategische Ebene bezogen, die eine Rolle auf dieser Ebene spielen: Pershing II und Marschflugkörper. Eine Ebene darunter ist das Air Land Battle Ziel der Herstellung einer „integrierten“ (atomar chemisch konventionell) Kriegsführungsfähigkeit ohne ATM nicht einmal auf Pentagon Reißbrettern herstellbar.

Politisch ist ATM/EVI der Versuch, NATO-Europa die Illusion zu vermitteln, im Falle des Baus von SDI Anlagen nicht „abgekoppelt“ zu werden. Die „Zonen ungleicher Sicherheit“, die Wörner noch im April 1984 im Gefolge von SDI befürchtete, sollen dahingehend aufgelöst werden, daß auch NATO-Europa seinen „Schutz“ bekommt. Die politische Funktion von EVI zur Abstützung und Durchsetzung von SDI innerhalb der NATO dürfte zentral sein. Amerikanische Studien gehen für den Fall eines SDI-Systems ohne ATM-Systeme davon aus daß die NATO einem sichtbaren und rascheren Zerfallsprozeß ausgesetzt wäre. Deswegen gilt ATM in einer Reihe von US Studien als zentrale Voraussetzung zur Durchsetzung von SDI in der NATO.21

Abrüstungspolitische Konsequenzen von EVI/ATM

EVI/ATM liegt politisch, militärisch und technisch im Schnittpunkt dreier Fragen: Es soll Pershing II/ Cruise Missiles „schützen“, SDI technisch vorbereiten und politisch durchsetzen, und es ist ein zentraler Bestandteil von FoFa/Rogers Plan.

Auf diesen drei Ebenen liegen auch die abrüstungs- genauer aufrüstungspolitischen Konsequenzen:22

– Nullösung/Abzug aller amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenwaffen aus Europa: Was hier auf politischer Ebene die Weigerung darstellt, die britischen und französischen Atomwaffen miteinzubeziehen, sowie die Forderung an die UdSSR, alle in Asien stationierten SS 20 ebenfalls zu vernichten, stellt auf militärischer Ebene EVI/ATM dar. Beides läuft darauf hinaus, die atomaren Mittelstreckenwaffen zu behalten und ihren Abzug unmöglich zu machen. Wer EVI/ATM will, will auch Pershing und Marschflugkörper behalten.

– Zusammen und ergänzend zum SDI-Rahmenabkommen ist EVI/ATM der Einstieg NATO-Europas in SDI und gleichzeitig die wichtigste Hilfe für die US-Regierung, um SDI innerhalb der NATO und im Kongreß durchzusetzen und politisch abzusichern. Je mehr sich NATO-Europa in der EVI verstrickt, desto tiefer ist es in SDI verwickelt, desto schwieriger wird der Weg zurück.

– Rogers Plan/„konventionelle“ Rüstung: EVI ist dafür ein neuer Schub, ein beschleunigter Einstieg, ein Stimulans fast sämtlicher Kategorien neuester „konventioneller„ Waffen von weitreichenden Raketenträgern für „konventionelle“ Sprengköpfe über „intelligente“ Munition bis zum Aufbau einer auch weltraumgestützten Aufklärungsstruktur.

Zusammengenommen trägt das EVI/ATM-Programm Wesentliches dazu bei, um den bisher erreichten Aufrüstungsstand zu festigen und gegen Abrüstungsvorschläge zu immunisieren; zudem beinhaltet dieses Programm ein eigenständiges Aufrüstungspotential, das geeignet ist, eine qualitativ höhere Stufe der atomaren wie konventionellen Aufrüstung in Europa zu erreichen. Die Realisierung dieses Programms würde politische Perspektiven zu einer 2. Phase der Entspannungspolitik und der schrittweisen Herstellung einer Sicherheitspartnerschaft zwischen West und Ost wesentlich erschweren, wenn nicht durchkreuzen. Deswegen muß die Verhinderung dieses Schlüsselprogramms immer im Bezug zu SDI, Pershing und FoFa ein eigenständiger Schwerpunkt der Bemühungen der Friedensbewegung werden.

Literatur:

Hans Günter Brauch, Antitactical Missile Defense, Will the European Version of SDI undermine the ABM-Treaty? AFES Papier Nr.1
Institut für Politikwissenschaft, Universität Stuttgart Keplerstr, 17, 7000 Stuttgart
Katrin Fuchs, MdB, Chronik Europäische Verteidigungsinitiative

SDI/EVI

Hans Gunter Brauch, 30 Thesen und 10 Bewertungen zur Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) und zur Europäischen Verteidigungsinitiative (EVI), Forschungsinstitut für Friedenspolitik, Sternberg, Januar 1986
Hans Günter Brauch Militärische Komponenten einer Europäischen Verteidigungslnitiative (EVI), AFES Papier Nr.3, Stuttgart, Februar 1986
Hans Gunter Brauch, Rainer Fischbach, Military Use of Outer Space. A Research Bibliography, AFES Papier Nr.4, Stuttgart, Februar 1986

Diese drei Studien aus der von Hans Gunter Brauch geleiteten AG Friedensforschung und Europäische Sicherheitspolitik an der Univ. Stuttgart bieten eine Menge Informationen zur SDI und EVI-Diskussion. Die erste Arbeit wurde für das von Mechtersheimer geleitete Starnberger Institut erstellt und gibt in thesenartiger Form eine Einschätzung des Verhältnisses USA – Westeuropa zu SDI. Die zweite Studie gibt eine Zusammenstellung von Fakten, die belegen, daß die Idee und die Technologie zu einer Euro-Version von SDI frühzeitig in den USA entwickelt wurde, bevor überhaupt von SDI die Rede war. Besonders hilfreich kann die zum Thema Weltraumrüstung zusammengestellte Bibliographie sein, um im Dschungel der wachsenden SDI-Literatur noch den Überblick zu behalten.

Anmerkungen

1 FAZ, 23.4.85 Zurück

2 Deutscher Bundestag, Sitzungsprotokolle 10/63, 4458 C f. vom 4.4.84 Zurück

3 Thomas Enders, Raketenabwehr als Teil einer erweiterten NATO-Luftverteidigung; Sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut der Konrad Adenauer Stiftung (KAS); Januar 1986 Zurück

4 Deutscher Bundestag, 10/207, S. 15882 B f., 20.3.86 Zurück

5 Deutscher Bundestag, 10/207, S. 15883 C f., 20.3.86 Zurück

6 Thomas Enders, a.a.O., S. 22 Zurück

7 US-Staatssekretär vor dem Senate Armed Services Committee (SASC) Department of Defense Authorization for Approbriations Fiscal Year 1981, zitiert nach: Flight International, 18. Oktober 1980 S. 1496 Zurück

8 DoD-Sprecher, SASC, DoD Auth FY 84, Teil 4, S. 1882 Zurück

9 Hause Armes Services Committee (HASC), DoD Auth FY 85, Teil 2, S. 634 und: Jonathan Stein, Anti-Tactical Ballistical Missiles, Arms Control Today, October 1985, S. 10 Zurück

10 HASC, DoD Auth FY 85, Teil 2, S.634 Zurück

11 Jonathan Stein, a.a.O., S. 10 Zurück

12 SASC, DoD Auth FY 1986, Teil 4, S. 1789 Zurück

13 a.a.O. Zurück

14 wie (7) Zurück

15 SASC DoD Auth FY 84 Teil 4, S. 1909 Zurück

16 SASC DoD Auth FY 86 Teil 2, S. 776/792 Zurück

17 Manfred Wömer, A Missile Defense for NATO Europe, Strategie Review, Winter 1986, S. 17 Zurück

17a European Security Study (ESECS) II. Stärkung der konventionellen Abschreckung in Europa, Baden-Baden 1985, hier v.a. Kap. IV u. V Zurück

18 Fred S. Hoffmann, Ballistical Missile Defense and U.S. National Security, Summary Report, Prepared for the Future Security Strategy Study, October 83, S. 2 Zurück

19 Aerospace Daily, 3. Januar 1985 Zurück

20 M. Wörner, „Zeit“, 28.2.86 Zurück

21 Vgl. David S. Yost, Ballistical Missile Defense and the Atlantic Alliance, International Security, Herbst 1982 Zurück

22 Eine detaillierte Erörterung des Bezugs von EVI/ATM und des ABM-Vertrages ist hier nicht möglich.Zurück

Wolfgang Zellner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der SPD.

Verbot von Weltraumwaffen überprüfbar?

Verbot von Weltraumwaffen überprüfbar?

von Jürgen Scheffran

Ist es noch möglich, einen Rüstungswettlauf im Weltraum mit den Mitteln der Rüstungskontrolle zu stoppen, bevor durch die waffentechnische Entwicklung schwer umzukehrende Fakten geschaffen wurden? Diese Frage stand im Vordergrund der Forschungsarbeit von Jürgen Scheffran zum Thema „Risiken und Verifikationsmöglichkeiten bei Anti Satelliten-Waffen“.1 Bei dieser Kategorie von Weltraumwaffen ist die Entwicklung schon relativ weit fortgeschritten. Bereits in den sechziger und siebziger Jahren wurde an der Entwicklung von ASAT-Waffen gearbeitet, wobei verwunderlich ist, daß die sowjetischen Versuche bis in Einzelheiten bekannt geworden sind, während von der umfangreichen Testreihe der USA mit 30 Versuchen bis 1970 fast nichts bekannt war.

Der Erfolg dieser Versuche blieb jedoch sehr begrenzt: Gegenwärtig besitzt keine Seite ein effektives ASAT-System, das für die andere Seite eine ernstzunehmende Bedrohung darstellen würde.

Daher ist jetzt der geeignete Moment, die Entwicklung effektiver ASAT-Waffen zu verhindern. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, auf die die USA eingehen könnten. Insbesondere gilt nach wie vor das Moratorium der Sowjetunion, solange keine ASAT-Waffen weiterzuentwickeln, wie die USA dies nicht auch tun. Es gibt starke Bestrebungen im US-Kongreß für ein entsprechendes Moratorium der USA, doch läßt sich Reagan davon nicht sonderlich beeindrucken. Dies zeigt der überstürzt durchgeführte Test der neuen ASAT-Waffe der USA am 13. September letzten Jahres, bei dem ein noch funktionierender Satellit der USA im Weltraum zerstört wurde.2 Trotz dieses Versuchs hat die Sowjetunion ihr Moratorium offiziell nicht aufgekündigt, sondern ließ die Entscheidung offen. Gerade weil ASAT-Waffen bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreichen und noch durch kein Rüstungskontroll-Abkommen erfaßt werden, sind rasche Maßnahmen erforderlich, um eine wesentlich leistungsfähigere Generation dieser Waffen zu verhindern.

Im anderen Falle wären die Weltraumsysteme beider Seiten einem hohen Risiko ausgesetzt. Satelliten können stabilisierende und destabilisierende Funktionen haben: zur Sicherung der Abschreckung und zu ihrer Überwindung durch verbesserte Kriegführungsmöglichkeiten, zum Krisenmanagement und zur Überwachung von Rüstungskontrollabkommen. In jedem Falle haben Satelliten eine große strategische Bedeutung und ihre gezielte Zerstörung erhöht die Gefahr einer unkontrollierten Eskalation.

Bisher ist ein solches Risiko auf beiden Seiten noch sehr begrenzt und kann durch verschiedene passive Schutzmaßnahmen für Satelliten sowie durch einfache militärische Gegenmaßnahmen reduziert werden. Einige dieser Maßnahmen sind aber ambivalent, indem sie z.B. Verifikation erschweren oder zur Verbreitung von ASAT-Fähigkeiten beitragen. Ergänzt werden können Schutz- und Gegenmaßnahmen durch Verkehrsregeln im Weltraum (rules of the road), die Unfälle und Mißverständnisse vermeiden helfen.

Gegenüber effektiven ASAT-Waffen werden Satelliten mit Schutzmaßnahmen und Verkehrsregeln allein nicht mehr zu schützen sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die neue ASAT-Generation der USA einsatzbereit ist oder gar mit dem Aufbau eines Raketenabwehrsystems im Weltraum begonnen wird, das einereits gegen ASAT-Waffen verwundbar ist und andererseits die Fähigkeit zur raschen Zerstörung einer großen Zahl von Satelliten hat. Dies kann in einer Krise die Entscheidungsstruktur beider Seiten ernsthaft gefährden und höchst instabile Situationen heraufbeschwören, in denen die Tendenz zur vorbeugenden Zerstörung der gegnerischen ASAT-Kapazität (Zwang zur Präemption) gegeben ist.

Wirkungsvoll können effektive ASAT-Waffen nur durch vorbeugende Rüstungskontrolle, insbesondere ein vollständiges Verbot von Weltraumwaffen (in Ergänzung zum ABM-Vertrag), verhindert werden. Es gibt bereits konkrete Vorschläge für einen Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen von der UdSSR, von Wissenschaftlern der USA und der BRD. Der Göttinger Vertragsentwurf der Naturwissenschaftler versucht modellhaft mit völkerrechtlichen Mitteln die destabilisierende Weltraumrüstung zu verhindern, ohne eine friedliche Weltraumnutzung zu behindern.3

Grundfragen der Verifikation

Die Reagan-Administration wich der Forderung nach einem ASAT-Verbot immer wieder mit dem Vorwand aus, ein solches Verbot sei nicht effektiv verifizierbar.4 Demgegenüber gibt es maßgebliche Stimmen im US-Kongreß, wonach ein adäquat verifizierbares Verbot von ASAT-Waffen noch möglich sei, wenn ein Rest-Risiko akzeptiert werde.5

In der arms-control-Schule der USA gibt es wieder Bestrebungen, zu einem angemessenen Verifikationsbegriff zu kommen, der an die Erfahrungen des SALT-Prozesses anknüpft und Rüstungskontrolle nicht behindert, sondern fördert.6 Die allgemeinen Überlegungen zur Verifikation sollen der besseren Übersichtlichkeit wegen in folgenden fünf Prinzipien komprimiert und zusammengefaßt werden.

  1. Rüstungskontrolle soll die Stabilität erhöhen und das Risiko eines Rüstungswettlaufs reduzieren bzw. verhindern.
  2. Verifikation ist nicht nur ein technischer, sondern auch ein politischer, juristischer diplomatischer und militärischer Prozeß zu; Beurteilung der Einhaltung von Rüstungskontroll-Abkommen, der das Risiko von Vertragsverletzungen berechenbar macht und ausreichende Zeit für angemessene Gegenmaßnahmen läßt.
  3. Es soll ein ungefähres Gleichgewicht bestehen zwischen solchen Ereignissen, die nachgewiesen werden sollen (politische Akzeptanzschwelle), und den Ereignissen, die nachgewiesen werden können (technische Verifikationsschwelle).
  4. Die Anforderungen, der Aufwand und die Kosten der Verifikation sollen an die Bedeutung einer speziellen Vertragsbestimmung für Sicherheit und Stabilität und an das mit einem unentdeckten Verstoß verbundene Risiko angepaßt werden.
  5. Wegen der Unvollkommenheit existierender Verifikationsmittel muß grundsätzlich immer ein Rest-Risiko akzeptiert werden, das durch defensive und kooperative Maßnahmen weiter reduziert werden kann. Dieses Rest-Risiko sollte in Relation gesetzt werden zum Risiko eines unkontrollierten Rüstungswettlaufs.

Mittel und Möglichkeiten der Verifikation

Grundsätzlich muß bei den Verifikationssystemen zwischen „Nationalen Technischen Mitteln“ (NTM) und Internationalen Überwachungseinrichtungen (ITM) unterschieden werden. Nationale Technische Mittel haben bei der Verifikation bisheriger Abkommen zwischen den USA und der UdSSR die entscheidende Rolle gespielt, doch gibt es wachsende Bestrebungen anderer Staaten, an dem Verifikationsprozeß teilzunehmen und das Informationsmonopol der Großmächte zu durchbrechen. Für die Verifikation eines Weltraumwaffenverbots stehen grundsätzlich folgende technischen Überwachungsmittel zur Verfügung. 7

  1. Frühwarnsatelliten können Starts von Raketen aufgrund der Wärmestrahlung ihrer heißen Treibgase identifizieren. Durch Integration einer großen Zahl von Infrarotsensoren kann das Auflösungsvermögen so verbessert werden, daß eine Rakete nach dem Start noch weiterverfolgtwerden kann.
  2. Aufklärungssatelliten mit Radars, optischen Kameras, Infrarot- oder Mikrowellensensoren können vermutete ASAT-Einrichtungen am Boden, wie Startanlagen, Raketen oder Lasersysteme, mit guter Genauigkeit untersuchen. Radarbeobachtung ist wetter- und tageslichtunabhängig, Infrarotsensoren können aus dem zeitlichen Wärmebild von Apparaturen auf ihren Funktionszustand schließen. Mit geeigneten Detektoren können Tests von Laseranlagen in der Atmosphäre oder im Weltraum entdeckt werden.
  3. Elektronische Abhöreinrichtungen auf dem Boden, in der Luft oder im Weltraum (Ferret-Satelliten) können den Radarbetrieb und die Kommunikationssignale verdächtiger Anlagen empfangen, insbesondere die Telemetriesignale verbotener Tests. Daraus sind Rückschlüsse auf deren Betriebszustand und Einsatzbereitschaft möglich.
  4. Um die Ursache für den Ausfall eines Satelliten rasch festzustellen bzw. den Verlauf und die Art eines ASAT-Angriffs von dem angegriffenen Satelliten selbst zu bestimmen, könnten wichtige Satelliten verschiedene Bordsensoren tragen, die auf Druck, Wärme, Beschleunigung oder Beleuchtung sofort ansprechen und jede Veränderung des Zustandes sofort zur Bodenstation melden (Prinzip des Flugschreibers).
  5. Die wohl wichtigsten technischen Einrichtungen für den Weltraum sind die Anlagen zur Erfassung und Verfolgung von Satelliten (Tracking-Systeme). Diese können selbst zentimetergroße Objekte bis in große Höhen entdecken und aus den Bahnparametern die weitere Position ermitteln. Bereits jetzt haben die USA mit ihrem weltumspannenden „Space Detection and Tracking System„ (SPADATS) die Möglichkeit, Objekte der Sowjetunion im Weltraum zu entdecken und weiterzuverfolgen.
  6. Durch den Aufbau eines weltraumgestützten Frühwarn und Überwachungssystems mit zukünftiger Technologie können Angriffe und Tests sowohl auf der Erde als auch im Weltraum frühzeitig entdeckt werden. Dies würde die Integration aller neuen Sensortechnologien erfordern, wie sie auch mit SDI geplant sind.

Insbesondere der letzte Punkt zeigt die Ambivalenz technischer Überwachungs- und Beobachtungseinrichtungen: je nach Kontext können sie zur Verifikation oder zur Kriegführung verwendet werden. Ohne einen wirkungsvollen Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen kann die Forderung nach neuen Verifikationstechnologien kontraproduktiv werden.

Um das uneingeschränkte Funktionieren der technischen Überwachungssysteme sicherzustellen, muß ihre Bereitstellung ergänzt werden durch die Verpflichtung zur Nicht-Beeinflussung und ein Verbot vorsätzlicher Verheimlichung sowie ein Verbot der Verschlüsselung telemetrischer Informationen, die für die Verifikation relevant sind.

Sollten trog nationaler und internationaler Beobachtungssysteme Unklarheiten bleiben, können diese in vielen Fällen durch Inspektionen vor Ort gelöst werden, z.B. bei Startanlagen auf der Erde oder bei verdächtigen Weltraumobjekten mittels Inspektionssatelliten, die mit Hitze-, Bewegungs- oder Strahlungsdetektoren ausgestattet sind. Bei bemannten Raumschiffen und Raumstationen können internationale Beobachter vereinbart werden. Der Abbau und die Zerstörung verbotener Systeme können ebenfalls unter Überwachung durch erlaubte Beobachter durchgeführt werden. Eine weitere vertrauensbildende Maßnahme wären frühzeitige und detaillierte Vorankündigungen von Weltraumstarts und bestimmter Weltraumexperimente (z.B. mit Lasern) unter Angabe von Zeit, Ort, Flugbahn, Umfang, Ablauf und Funktion. Sollten strittige Fragen auftreten könnten diese in einer Ständigen Beratenden Kommission (SBK) verhandelt und gelöst werden.

Das Restrisiko ist gering

Mit den beschriebenen Mitteln ist es hinreichend gut möglich, den Göttinger Vertragsentwurf zu verifizieren und das Restrisiko akzeptabel zu machen. Dies kann überblicksartig für die verschiedenen denkbaren ASAT-Verfahren gezeigt werden.8

  1. Rendezvous mit manövrierbaren Weltraumobjekten: ASAT-Fähigkeit nicht völlig auszuschalten, weil Rendezvous zum Betrieb normaler Weltraumobjekte notwendig; Einsatz und Modifizierung für ASAT-Mission verifizierbar; Rest-Risiko ist gering und durch Gegenmaßnahmen (Manövrieren) begrenzbar
  2. Raumminen: Weltraumobjekt mit speziellem Zerstörungsmechanismus erfordert Tests, die durch Bahnverfolgungssysteme nachweisbar sind; Entdeckung versteckter Raumminen schwierig aber nicht unmöglich; Identifizierung durch Inspektion; Testverbot, Schutzmaßnahmen (Ausweichen) und Verkehrsregeln (Minimalabstand) verhindern effektive Raumminen
  3. Abfangen durch bodengestützte Nuklearraketen: ASAT-Fähigkeit nicht zu verhindern, solange Nuklearraketen existieren; Einsatz von Atomwaffen militärisch nicht wahrscheinlich, außer im Nuklearkrieg; Einsatz und Test sind einfach nachweisbar; gewisser Schutz durch Härtung der Satelliten
  4. Konventionelles Abfangen vom Boden: erste Versuche auf beiden Seiten aber kein effektives ASAT-System; sowjetische Interzeptor-Tests haben begrenzte ASAT-Kapazität ermöglicht, die aber nach Einsatzhöhe, Bahnneigung, Erfolgsrate, Zuverlässigkeit, Einsatzdauer, technischer Charakteristik sehr begrenzt ist; Einsam und Test mit ausreichender Vorwarnzeit zu verifizieren (Telemetriempfang, Bahnverfolgung); Möglichkeit zu Gegenmaßnahmen (Ausweichen, Täuschung); Rest-Risiko kann durch kontrollierten Abbau stark reduziert werden
  5. Konventionelles Abfangen aus der Luft: Minirakete vom Flugzeug aus; effektives, aber technisch anspruchsvolles Verfahren für niedrige Höhen; erfordert intensive Tests, die durch Beobachtung vieler Einzelfaktoren (z.B. Telemetrieempfang) feststellbar sind; Stationierung oder Abbau des einsatzbereiten Systems schwierig nachzuweisen wegen Doppelfunktion des F-15Flugzeuges und der Kleinheit der Rakete; Gegenmaßnahmen nahezu auszuschließen (außer Verlagerung der Satelliten in höhere Bahnen); ohne sofortigen Stopp der Weiterentwicklung entsteht hohes Risiko
  6. Strahlenwaffen: Waffen gerichteter Energie, insbesondere Laserwaffen, sind von großer Bedrohung für Satelliten, weil die Zerstörung über große Entfernungen in minimaler Zeit möglich erscheint; wegen operationeller Einschränkungen und großer technischer Probleme (Energie, Zielausrichtung) existieren bislang noch keine wirkungsvollen ASAT-Laserwaffen; Test- und Stationierungsverbot ist überprüfbar: Hochenergielaser sind große Objekte, deren Wechselwirkung mit dem Ziel (Rückstrahlung, Erwärmung) durch Sensoren beobachtet werden kann; Gegenmaßnahmen (Härtung) sind nur bei geringer Strahlintensität sinnvoll; Ankündigung von Lasertests wirkt vertrauensbildend; Rest-Risiko bei Stopp der Entwicklung gering.

Bei genauer Betrachtung wird deutlich, daß sich zu jedem Verifikationsproblem eine Antwort finden läßt. In einigen Fällen muß bei Vertragsabschluß ein Restrisiko akzeptiert werden. Dieses ist jedoch erheblich geringer, als das große Risiko durch hochentwickelte ASAT-Technologie, und es kann bei entsprechendem Aufwand weiter gesenkt werden. Durch das beeindruckende Arsenal an Überwachungseinrichtungen können die USA bereits jetzt alle wesentlichen Weltraumaktivitäten der Sowjetunion verfolgen. Die Verifikation eines Verbots von Weltraumwaffen ist in jedem Falle erheblich einfacher, weniger riskant und billiger als der Aufbau eines Schutzschirms gegen Atomraketen.

Jürgen Scheffran, Physiker, Arbeitsgebiet Rüstungskontrolle im Weltraum.

Anmerkungen

1 J. Scheffran, Rüstungskontrolle im Weltraum – Risiken und Verifikationsmöglichkeiten bei Anti-Satelliten-Waffen, Fachbereich Physik der Universität Marburg Oktober 1985 Zurück

2 J. Scheffran, Startbahn für den Weltraumkrieg? Der ASAT-Test und die Osterinsel, Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, 4/85 Zurück

3 Text des Vertragsentwurfs in: R. Labusch, E. Maus, W. Send (Hrsg.), Weltraum ohne Waffen, Bertelsmann Verlag, 1984 Zurück

4 Report to the Congress: US-Policy an ASAT Arms Control, March 31, 1984 Zurück

5 Anti-Satellite-Weapons, Countermeasures, and Arms Control, Office of Technology Assessment Report OTA-ISC-28, September 1985; Arms Control in Space OTA Workshop Proceadings, May 1984; s. auch Wiliam J. Durch, Verification of Limitations on Antisatellite Weapons, in. Wiliam C. Potter, Verification and Arms Control, Lexington Books, 1985, p. 81 Zurück

6 S. M. Meyer, Verification and Risk in Arms Control Internat. Secur., Spring 1984 (Vol. B, No.4), p. 111 Zurück

7 Jeffrey Richelson, Technical Collection and Arms Control, in: Potter, Verification and Arms Control, Lexington Books, 1985, p. 169 Zurück

8 Beschreibungen der ASAT-Technologien finden sich z. B. in: Union of Concemed Scientists, The Failacy of Star Wars, Vintage Books, 1984; John Pike, Space weapons race-stop ist now, F.A.S. Public Interest Report, November 1983; Eric Reiten, Kosta Tsipis, Conventional Antisatellite Weapons, Program in Science and Technology for International Security, MIT Cambridge, March 1984 Zurück

Die Arbeiten von J. Altmann und J. Scheffran sind Ergebnis einer einjährigen Forschungstätigkeit, die von der VW-Stiftung gefördert wurde.

Kein Schild, sondern ein Schwert. Laserwaffen im Weltraum und strategische Stabilität

Kein Schild, sondern ein Schwert. Laserwaffen im Weltraum und strategische Stabilität

von Jürgen Altmann

Seit der Entdeckung des Lasers 1960 wird in den großen Industrieländern an möglichen Waffenanwendungen der Laserstrahlung geforscht. In den 70er Jahren wurden z. B. in den USA Prototypen von Laserwaffen mit Strahlleistungen von einigen 10 bis einigen 100 Kilowatt in einen Panzer und in ein Flugzeug montiert. (Die unten stehende Tabelle gibt einige Vergleichswerte.) Für den atmosphärischen Einsatz ist dabei bisher noch keine militärisch einsetzbare Laserwaffe herausgekommen.

Mit dem SDI-Programm der USA haben Arbeiten an Laserwaffen eine ganz neue Dynamik bekommen, nun aber für den Weltraum; Entwicklungsprojekte konzipieren mittlere Strahlleistungen von einigen 10 Megawatt und Sendespiegel von über 10 Meter Durchmesser. Die Laser umkreisen dann entweder auf Satelliten die Erde, oder sie sind am Boden stationiert und richten ihre Zerstörungsenergie über Satellitenumlenkspiegel auf die anfliegenden Interkontinentalraketen. Es ist heute nicht klar, ob Laser dieser Leistung und Spiegel dieser Größe mit den anderen Systemen wie Sensoren und Steuercomputern überhaupt zu militärisch effizienten und kosteneffektiven Waffensystemen integriert werden können; es gibt jedoch kein physikalisches Gesetz, das die prinzipielle Unmöglichkeit solcher Laser oder Spiegel beinhaltet. Von daher ist es sinnvoll und notwendig, sich frühzeitig mit den möglichen Auswirkungen von Weltraum-Laserwaffen auf die strategische Situation und vor allem auf die Stabilität in der Krise auseinanderzusetzen.

Vergleichsdaten heutiger ziviler Lasersysteme und eventueller Laserwaffen. Typische Werte der Dauerleistung in Watt und des Strahlendurchmessers in Meter. Der stärkste in Bau befindliche experimentelle Waffenlaser (USA) hat etwa 5 Megawatt Strahlleistung.

Anwendung Strahlleistung Strahldurchmesser
Labor 10 Watt 0,01 Meter
Industrie 1 Kilowatt 0,1 Meter
taktische Laserwaffe 50 Kilowatt 1 Meter
Weltraum-Laserwaffe 25 Megawatt 10 Meter

Während Laserstrahlung in der Atmosphäre durch verschiedene Effekte geschwächt wird (bis zur totalen Absorption etwa bei Nebel oder in Wolken), würde im Weltraum nur die Strahlaufweitung mit der Entfernung zu einer Schwächung der sog. Bestrahlung führen (das ist der Quotient aus auftreffender Energie und Fläche; diese Größe ist für die Zerstörung von Material entscheidend). Weltraum-Laserwaffen müßten die Erde als Satelliten umkreisen (entweder die Laser selbst oder die Umlenkspiegel), sie wären pro Umlaufperiode von 1,5 bis 2 Stunden nur einige Minuten über den Startgebieten der Interkontinentalraketen der anderen Seite. Wer die Startgebiete jederzeit abdecken möchte, muß ein globales Netz von Weltraum-Laserwaffen stationieren. Das wären also Waffen neuer Qualität, die durch ihre Stationierungsart ständig weltweit präsent wären und momentan ausgelöst werden kannten

Reagan: „Defensive Systeme, die niemanden bedrohen“

Diese Aussage Präsident Reagans 1, läßt sich für Weltraum-Laserwaffen nicht aufrechterhalten. Laserwaffen sind wirklich Waffen; sie zerstören ihre Ziele entweder thermisch, durch langsames Aufheizen der Wandung bis zum Schmelzen bzw. Verdampfen, oder bei sehr kurzer Strahldauer (und entsprechend hoher momentaner Leistung) durch den mechanischen Rückstoß der explosionsartig abdampfenden obersten Schicht. Die Laserenergie, die ausgesandt werden muß, um Zerstörung zu bewirken, steigt mit der Entfernung und der Wellenlänge und fällt mit der Größe der Sendeoptik. Ziele, bei denen durch eine sammelnde Optik die einfallende Strahlung konzentriert und auf einen empfindlichen Detektor geleitet wird (Augen, Sensorsysteme) können schon mit heutigen Lasern (Energie in 10 Sekunden: einige Joule) geschädigt oder zerstört werden. Massive Objekte über Schlachtfeldentfernungen von einigen Kilometern zu zerstören, braucht ca. 100 Kilojoule, über Weltraumentfernungen (einige 1000 km) sind Energien um 100 Megajoule erforderlich – das letzte ist ca. einen Faktor 10 über den heutigen stärksten experimentellen Waffenlasern.

Weltraum-Laserwaffen können eingesetzt werden, um Sensoren auf Satelliten zu blenden oder zu unterdrücken. Sie können wichtige Aufklärungs-, Frühwarn-, Kommunikations- und Navigationssatelliten ausschalten, was die Fähigkeit zur koordinierten Kriegführung stark beeinträchtigen könnte. Wenn die Wellenlänge geeignet gewählt ist und keine Wolken im Wege sind, können Weltraum-Laserwaffen auch Ziele in der Luft oder am Boden zerstören. Das könnten militärisch wichtige Einrichtungen sein wie Weltraum-Antennen, Radaranlagen, fliegende Führungszentralen. Mit starken Weltraum-Laserwaffen könnten aber auch Öltanks in Brand gesetzt werden; es ist sogar vorstellbar, daß durch Erzeugen sehr vieler kleiner Zündbrände in kurzer Zeit Großbrände in städtischen Gebieten hervorgerufen werden könnten. Feuerstürme wie nach den Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs könnten solche Mengen von Rauch in die Atmosphäre transportieren, daß eine mehrmonatige Klimaverschiebung ähnlich wie beim „Nuklearen Winter“ entsteht.2 Starke Weltraum-Laserwaffen müssen demnach als potentielle Massenvernichtungswaffen eingestuft werden.

Angriff gegen Weltraum-Laserwaffen der anderen Seite

Weltraum-Laserwaffen wären sicher in gewissem Maße gegen feindliche Laserstrahlung gepanzert. Dennoch hätten sie verwundbare Stellen, etwa Sensoren oder Antennen. Eine besonders empfindliche Fläche ist der Sendespiegel: Er muß, schon um die Strahlung des eigenen Lasers auszuhalten, intensiv gekühlt werden. Gelingt es einem gegnerischen Laser, seine Strahlung auf eine deutlich kleinere Fläche des Spiegels zu bündeln, wird der dort überhitzt und schmilzt bzw. verdampft. Durch Ablagerungen steigt dann die Absorption auch auf den benachbarten Flächen; die eigene Strahlung kann den gesamten Spiegel zerstören, wenn sie nicht schnell abgeschaltet wird.

Aber auch an einer gepanzerten Wandung kann kein zuverlässiger Schutz gegen Durchbohren gewährleistet werden. Ein Angreifer kann sich die Stelle aussuchen, und der bestrahlte Fleck wird mit wachsender Spiegelgröße immer kleiner. Bei wachsender Stationsgröße müßte ein massiver Panzer nach Fläche und Dicke wachsen, so daß seine Masse viel schneller steigen würde als die zu seinem Durchbohren notwendige Masse an Lasertreibstoff.

Waffen mit großer Reichweite in geringem Abstand voneinander. Stationierungsmöglichkeiten zweier Flotten aus Weltraum-Laserwaffen

Die Wirksamkeit der Zerstörung steigt quadratisch, wenn die Entfernung geringer wird. Wenn eine Laserwaffe Raketen bis in typische Entfernungen von 3000 km zerstören kann, kann sie bei Objekten in nur 300 km Entfernung (in derselben Zeit) die hundertfache Bestrahlung aufbringen. Die gegenseitigen Zerstörungsmöglichkeiten der Weltraum-Laserwaffen von zwei Seiten hängen also drastisch davon ab, welche gegenseitigen Abstände sich während des Umlaufs ergeben. Wenn beide Seiten z.B. Kreisbahnen unterschiedlicher Bahnhöhen benutzen, kommen sich die Waffensatelliten nie näher als der Bahnhöhen-Unterschied. Weil die Wirksamkeit der Raketenbekämpfung aber mit wachsendem Abstand fällt, wäre die obere Seite benachteiligt. Mehr als z. B. 300 km Differenz (etwa bei 900 und 1200 km Höhe) wird nicht akzeptabel sein; das ergäbe schon um einen Faktor (1200/900)2 = 1,8 unterschiedliche Zerstörungswirksamkeit. Satelliten in unterschiedlichen Bahnhöhen haben aber unterschiedliche Geschwindigkeiten; auch die Präzession der Bahnebenen um die Erdachse erfolgt unterschiedlich schnell. Bei verschiedenen Bahnhöhen wird es also immer wieder passieren, daß die Satelliten beider Seiten fast gleichzeitig unter- bzw. übereinander hindurchlaufen und dann nur den niedrigen Bahnhöhenunterschied als Abstand haben (300 km im Beispiel). Sie könnten sich gegenseitig also mit hoher Wirksamkeit bekämpfen; dabei hätte die obere Seite einen taktischen Vorteil, weil sie ihre Strahlspiegel ständig zur Raketenbekämpfung nach unten gerichtet halten würde und die untere Seite also immer mit im Visier hätte. Die unteren Laserwaffen müßten dagegen ihre Strahlsysteme von der Richtung zum Erdboden weg – und nach oben hinschwenken, wenn sie die Stationen der anderen Seite (egal, ob als Angriff oder als Reaktion) bekämpfen wollten. Es ist bei nicht-kooperativer Stationierung in verschiedenen Höhen durchaus möglich, daß jede Seite versucht, eine weitere, noch höhere Strahlenwaffenhülle um die jeweils äußerste der anderen Seite zu legen. (Das setzt natürlich voraus, daß die schon vorhandenen Kampfschichten die Transporte durchlassen.)

Wollten beide Seiten kooperativ Weltraum-Laserwaffen stationieren, die sich möglichst wenig gegenseitig zerstören könnten, könnten gleiche Bahnhöhen und dieselbe Inklination (Neigungswinkel der Bahnebene gegen die Äquatorebene) gewählt werden.

Maximale gegenseitige Abstände gibt es bei gleichmäßig verteilten Bahnen und in ihnen gleichmäßig verteilten Satelliten. Abb. 3 zeigt ein Beispiel. Hier, mit „nur“ 112 Weltraum-Laserwaffen jeder Seite, finden pro Umlaufperiode von knapp 2 Stunden 1792 Begegnungen je einer Station beider Seiten statt, davon 1344 mit dem minimalen Abstand von 800 Kilometern. Eine Standard-Konzept-Laserwaffe mit chemischem Laser (25 Megawatt Lichtleistung, Spiegeldurchmesser 10 Meter, Wellenlänge 2,8 Mikrometer) könnte während solcher einige Minuten dauernden Begegnungen massive Panzer der anderen Station von z. B. einem halben Meter Aluminium durchbohren. „Fortgeschrittenere“ Waffenlaser mit zehnfach kleinerer Wellenlänge (z. B. Excimer- oder Freie-Elektronen-Laser) könnten hundertfach schneller und tiefer Material abtragen.

Die zur Raktetenabwehr notwendige Anzahl von Stationen richtet sich nach den Parametern des Lasersystems, besonders kritisch geht die Zeitdauer ein, die das System braucht, um von einem Ziel zum anderen zu schwenken. 3 Es können (bei den erwähnten Standard-Konzept-Laserwaffen) einige hundert bis über 1000 Laser werden. Versucht man, so viele Satelliten in gleiche Bahnhöhe zu stationieren, werden die Begegnungsabstände sehr klein (bei 500 Stationen gibt es schon Begegnungen mit Abständen um 100 km). Bei gleichmäßiger Verteilung so vieler Laserwaffen wäre dann die gegenseitige Zerstörung praktisch jederzeit möglich. Oberhalb einer bestimmten Zahl wird es dann – was den gegenseitigen Abstand angeht – wieder günstiger, verschiedene Bahnhöhen zu wählen, weil man dann einen festen Minimalabstand hätte. Das Grundproblem bliebe aber in jedem Fall bestehen: Beide Seiten hätten Waffen, die einige 1000 km Reichweite haben, in einigen 100 km Abstand voneinander stationiert.

Strategische Stabilität bei Weltraum-Laserwaffen?

Der Begriff „strategische Stabilität“, der auch im Genfer Kommunique von Reagan und Gorbatschow vorkommt, hat zwei Dimensionen, eine kurz- und eine langfristige. Die erste betrifft die Stabilität in der Krise; sie ist gegeben, wenn keine Seite in einer Krise durch Zuschlagen einen (entscheidenden oder relativen) Vorteil hätte, wenn also das Abwarten günstiger ist. Die zweite ist die Stabilität gegen Wettrüsten; sie liegt idealtypsich dann vor, wenn durch die Waffensysteme einer Seite kein Druck auf die andere Seite ausgeübt wird, ihre Waffen nach Art oder Anzahl zu verstärken. Bezüglich beider Dimensionen ist mit Weltraum-Laserwaffen starke Instabilität abzusehen.

Instabilität bezüglich Wettrüsten

Wenn eine Seite beginnt, Weltraum-Laserwaffen zu entwickeln, zu erproben und zu stationieren, wird die andere Seite einerseits versuchen, deren Wirksamkeit zu verringern, etwa durch passiven Schutz der eigenen Satelliten und Raketen, aber auch durch Entwicklung von Antisatellitenwaffen usw. Sollten sich Laserwaffen als militärisch effektiv herausstellen, wird sie aber andererseits auch eigene Laserwaffen für den Weltraum entwicklen und stationieren. Zum Schutz der eigenen Stationen gegen die verschiedenen Klassen von Weltraumwaffen werden verschiedene Klassen von Gegenwaffen entwickelt werden, es wird verschiedene Arten von Kampfsatelliten geben, die wieder Gegenmaßnahmen hervorrufen usw. Es ist schon spekuliert worden, daß eine sehr aufwendige Weltraum-Laserstation zu ihrem Schutz eine ähnliche gestaffelte Begleitflottille brauchen wird, wie Flugzeugträger auf dem Meer.

Es wird eine steigende Anzahl von Satelliten geben, einerseits, damit wichtige Funktionen auf viele redundante Satelliten verteilt werden, andererseits als Attrappen, von denen die andere Seite nicht weiß, ob sie wichtig sind.

Spezifisch bei Laserwaffen ist abzusehen, daß es ein Wettrennen geben wird, in dem vor allem größere Spiegel und kürzere Wellenlängen angestrebt werden. Die Seite, die als erste funktionierende Weltraum-Laserwaffen am Boden stationierte, hätte einen großen Vorteil, weil die Strahldauer nicht mehr durch den Energievorrat auf Satelliten begrenzt wäre. Beide Seiten würden versuchen, das so schnell wie möglich zu erreichen. Auch wer als erster große Kernreaktoren im Weltraum hätte, könnte einen strategischen Vorteil daraus ziehen.

Insgesamt ist abzusehen, daß mit dem Beginn einer Weltraum-Aufrüstung überhaupt – und besonders bei Einführung von Laserwaffen – eine längere Phase gegenseitigen massiven Aufschaukelns im Wettrüsten einsetzen würde. Es würde sehr schwierig werden, die Entwicklung aufzuhalten, geschweige denn, sie rückgängig zu machen.

Instabilität in der Krise

Es ist schwierig, beim heutigen Kenntnisstand genaue Aussagen über Mechanismen der Eskalation im Weltraum oder über die Einzelheiten möglicher Entwaffnungsangriffe zu machen. Man kann jedenfalls sicher davon ausgehen, daß die strategische Lage im Weltraum äußerst komplex sein wird; es wird Raketenabwehrwaffen verschiedener Arten geben, Antisatellitenwaffen verschiedener Arten, besondere Waffen gegen Weltraum-Raketenabwehrwaffen, besondere Waffen zum Blenden von Sensoren. Dazu kommen verschiedene Gegenmaßnahmen, z. B. viele zusätzliche Satelliten und Attrappen. Beide Seiten müssen sich auf die Möglichkeit einstellen, daß innerhalb von Sekunden Angriffe auf empfindliche Stellen im Weltraum oder am Boden erfolgen können. Wegen der kurzen Warn- und Reaktionszeiten müssen die Waffensysteme global durch Computerprogramme gesteuert werden. Es wird nicht möglich sein, sich nur auf passiven Schutz durch Panzerung oder durch Schutzverschlüsse zu verlassen – es wird nötig sein, genauso schnell zurückzuschießen, um nach Beginn eines Angriffs Schlimmeres zu verhindern. Vor dem Angriff ist Drohung mit ebenso schneller Vergeltung nötig. Dennoch kann es sein, daß ein intelligenter Angriff, der koordiniert erfolgt, mit einem deutlich stärkeren Verlust für den Angegriffenen endet. All dies würde einen ungeheuren Präemptionsdruck ergeben. Ein Konflikt könnte mit dem Bestrahlen der optischen Sensoren der anderen Seite beginnen, um sie zunächst vorübergehend zu unterdrücken. Das würde mindestens eine entsprechende Gegenreaktion auslösen; wahrscheinlicher ist aber, daß wegen des entscheidenden Vorteils, den derjenige bekäme, der als erster entschlossen die Weltraumwaffen der anderen Seite angreift, mit dem Beginn von Feindseligkeiten im Weltraum eine sehr schnelle, automatische Eskalation (in Sekunden oder Minuten) stattfinden würde, die die gesamte globale Weltraumwaffen-Kapazität beider Seiten einbeziehen würde.

Weil Weltraumsysteme für die strategische Lagebeurteilung und Kriegführung immer wichtiger werden und weil Weltraum-Laserwaffen auch Bodenziele angreifen können, ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß ein solcher Krieg auf den Weltraum beschränkt bliebe. Es sind verschiedene Mechanismen vorstellbar, wie es zur Auslösung von Kernwaffen gegen Ziele auf der Erde kommen könnte, etwa wenn schon Kernwaffen im Weltraum eingesetzt wurden oder wenn eine Seite Raketen mit Weltraumwaffen startet, die von der anderen Seite nicht von Atomraketen zu unterscheiden sind. Das Kapitel „Gefechtsführungssystem“ des Berichts der Fletcher-Kommission sieht die Freigabe von Kernwaffen ausdrücklich als Bestandteil der SDI-Computerprogramme vor.4

Sowohl während einer Aufbauphase als auch danach (ein stationärer „Endzustand„ ist äußerst unwahrscheinlich) können sich durch das Vorhandensein umfassender Weltraumwaffen-Systeme selbst Krisen ergeben. Das kann z.B. an Computer-Fehlern liegen; auch die wachsende Zahl schwächerer Laser, die zum Orten von Objekten gedacht sind, aber auch Sensoren unterdrücken können, kann unklare Ereignisse mit Überreaktionen der auf vielfältige Weise global gekoppelten Systeme beider Seiten produzieren. Ein weitere Möglichkeit sind Zusammenstöße mit Weltraummüll; jeder Test einer Stoßwaffe produziert Tausende von kleinen Splittern, die unkontrollierten Bahnen folgen. Bei den hohen Relativgeschwindigkeiten im Weltraum können schon kleine Splitter starke Schäden hervorrufen.

Einziger Ausweg: Rüstungsbegrenzung

Es ist eine Illusion zu glauben, mit der Erschließung des Weltraums für langreichweitige und sehr schnelle Waffen könne die Sicherheit vor Atomkrieg erhöht werden oder es sei damit möglich, Atomwaffen „unwirksam und überflüssig„ zu machen. Wer das wirklich möchte, der muß heute für ein Verbot aller Weltraumwaffen, für Bekräftigung des ABM-Vertrags und für einen vollständigen Atomteststopp eintreten. Um zu verhindern, daß die dann noch nicht erfaßten atmosphärischen Laserwaffen bis zu einer Kapazität gegen Weltraumobjekte vergrößert werden, sollten Laserwaffen generell verboten werden, unabhängig vom Einsatzort. Ein solches Verbot würde einige Beschränkungen für die sonstige militärische Lasernutzung und für zivile Laseraktivitäten (einschließlich von Forschung) erfordern, 5 ist aber – politischen Willen zur Rüstungsbegrenzung vorausgesetzt – adäquat verifizierbar und kann akzeptiert werden.

Anmerkungen

1 R. Reagan, Presidential Foreward, The President´s Strategie Defense Initiative, White Hause, Jan. 85 Zurück

2 s. auch: C. L. Herzenberg, Nuclear Winter and the Strategie Defense Initiative, Physics & Society, Vol. 15, No. 1, 2-5 Jan. 1986 Zurück

3 R. L. Garwin, How many orbiting lasers of boostphase intercept, Nature, Vol. 315, 286-290, 23 May 1985 Zurück

4 Report of the Study an Eliminating the Threat Posed by Nuclear Ballistic Missiles (U), J. Fletcher (Chairman), Vol. V, Battle Management, Communications and Data Processing (U), S. 15, Febr. 1984 Zurück

5 Das betrifft Hochenergielaser mit Strahlausbreitung im Freien. Es sind nur wenige zivile Anwendungen von Lasern mit Dauerleistungen im Megawattbereich und Strahl im Freien denkbar (etwa Sonnenenergieübertragung von Satelliten auf die Erde oder Flugzeugantrieb mit Weltraum-Lasern). Sonnenenergie aus dem Weltraum könnte mit anderen Techniken ebenfalls erschlossen werden, ohne daß eng gebündelte Strahlen verwendet werden müssen, die prinzipiell auch als Waffe benutzt werden könnten (etwa durch Mikrowellen mit wegen der längeren Wellenlänge erheblich größerer Strahlaufweitung.) Zurück

Dr. Jürgen Altmann, Physiker, Mitarbeiter d. Hess. Stiftung Friedens- u. Konfliktforschung

Weigerung

Weigerung

von Redaktion

Vor wenigen Monaten schrieben 350 Wissenschaftler und Techniker von Max- Planck- Instituten im Raum München einen Offenen Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl. Sie erklärten: „Wir lehnen die Mitarbeit am SDI-Projekt ab“. Sie orientierten sich dabei am Beispiel vieler amerikanischer Kollegen, die ebenfalls die Mitarbeit am SDI-Projekt verweigern. In den USA haben bisher fast 3000 Wissenschaftler eine Petition gegen die star wars- Forschung unterzeichnet. Darunter befanden sich mehr als 500 Forscher der Cornell- University in Ithaca, NY.

380 Berliner Wissenschaftler und Techniker haben diese Initiative aufgegriffen und sich ebenfalls an den Bundeskanzler gewandt. Die Unterzeichner des Briefes sind Mitarbeiter des Hahn- Meitner- Instituts, der naturwissenschaftlichen Fachbereiche an der Freien Universität und an der Technischen Universität sowie des Fritz- Haber-Instituts. 315 bei DESY Hamburg tätige Wissenschaftler haben sich gegen eine deutsche Beteiligung am SDI-Projekt ausgesprochen. Das Deutsche Elektronen Synchrotron ist ein Großforschungszentrum, in dem mit Beschleunigern und Speicherringen hochenergetische Teilchenstrahlen für Experimente zur Erforschung der Struktur der Materie erzeugt werden. Im DESY ist bislang keine militärische Forschung betrieben worden. 78 Angehörige der Bundeswehr- Hochschule in Hamburg wandten sich gegen eine bundesdeutsche Beteiligung an SDI. 20 Berliner Physiker und Chemiker haben, neben einem Appell an die verantwortlichen Politiker, eine Verpflichtungserklärung – in Analogie zum hippokratischen Eid der Ärzte – unterzeichnet, die folgenden Wortlaut hat:

„Ich anerkenne, daß mir aus meiner Vorbildung und Tätigkeit als Naturwissenschaftler, Ingenieur oder Techniker eine besondere Verantwortung gegenüber der menschlichen Gesellschaft und der Umwelt erwächst.

Ich werde – selbst unter Bedrohung – meine Kenntnisse nicht im Widerspruch zu den Gesetzen der Menschlichkeit anwenden.

Ich verpflichte mich, einer Nutzung naturwissenschaftlicher Ideen, Erkenntnisse und Entdeckungen, die zur Schädigung oder gar Vernichtung menschlichen Lebens oder zur lebensfeindlichen Störung natürlicher Gleichgewichte beitragen könnten, entgegenzuwirken. Insbesondere verpflichte ich mich, weder ab der Forschung und Entwicklung noch an der Herstellung, Erprobung und dem Einsatz nuklearer, biologischer, chemischer und anderer Massenvernichtungswaffen mitzuarbeiten.

Kollegen, die in Einhaltung dieser Verpflichtung in berufliche Schwierigkeiten geraten, werde ich über einen entsprechenden Hilfsfonds unterstützen.“

„Wir fanden nichts, wofür Sternenkrieg nützlich sein könnte…“

„Wir fanden nichts, wofür Sternenkrieg nützlich sein könnte…“

Auszüge eines Interviews mit Robert M. Bowman, Direktor des Institute for Space and Security Studies, Maryland (USA)

von Robert M. Bowman und Redaktion

Robert Bowman blickt auf eine zweiundzwanzigjährige Karriere in der US-Luftwaffe zurück. Zeitweilig Professor am Air Force Institute of Technology in Dayton, Ohio, leitete er schließlich die Raumforschungsprogramme der Luftwaffe und der DARPA (Defense Advance Research Programs Agency) zwischen 1976 und 1978. Wenn er über Weltraumwaffen spricht, weiß er, wovon er redet. Nach einem Intermezzo in der Industrie gründete Bowmann 1982 das ISSS, um wirkungsvoller gegen „star-wars“ auftreten zu können…

Mr. Bowmann, können Sie uns etwas über die Geschichte von Star-Wars sagen, die ja nicht mit der Reagan-Rede im Jan. 1983 beginnt?

Meine Aufmerksamkeit gegenüber den Star-Wars-Aktivitäten begann in der Zeit zwischen der Wahl Reagans und seinem Amtsantritt. Es gab in dieser Übergangsperiode Teams, die versuchen sollten, die Politik für die neue Administration zu entwickeln. Diese informellen Gruppen wurden durch den extrem rechten Flügel dominiert und es wurde nach einer Weile deutlich, daß moderate Positionen nicht akzeptiert wurden. Einbezogen in diese Teams war z. B. General Graham, der die „high-frontier-group“ vertrat Im Laufe des Jahres 1980 war klargeworden daß substantielle Änderungen in der Politik der Regierung vorgenommen werden sollten, Änderungen bezüglich der Rüstungskontrollpolitik, bezüglich kooperativer Programme mit der UdSSR usw. Wesentlich auch eine Wende in der Weltraumpolitik. Die Aktivitäten stiegen signifikant Zur Zeit der Reagan Rede sah der 5-Jahres-Plan bereits 15 Mrd. Dollar für die SDI-Forschung vor, Die Star- Wars- Rede bot ein anderes Bild, eine andere Begründung, aber sie bekräftigte nur den Drang nach militärischer Überlegenheit, die in der Wahlplattform der Republikaner 1980 versprochen worden war.

Wofür ist das Star-Wars-Programm gut?

Als ich Direktor der ABM-Forschungen war, fanden wir nichts, wofür es gut sein könnte. Mit einer Ausnahme: In den Händen eines Aggressors könnte ein solches System einen Schutz bieten gegenüber der dann reduzierten Vernichtungskapazität Ich selber glaube nicht, daß diese Möglichkeit wahrscheinlich ist aber sie reicht aus, um beide Seiten zu beunruhigen.

Der kurzfristige militärische Nutzen von Star Wars liegt in der Möglichkeit, Satelliten anzugreifen und auszuschalten, Interkontinentalraketen abzufangen, dürfte viel schwieriger sein…

Würde SDI die USA in die Lage versetzen, einen Erstschlag zu führen?

Nein. Die UdSSR hätte genug Gegenmittel. Aber entscheidend ist – ob es funktioniert oder nicht – daß ein Raketenabwehrsystem die Sowjetunion beunruhigt und von ihr als Bedrohung empfunden wird. Dies vor allem, weil die Fähigkeit, einen Zweitschlag abzuwehren, wesentlich glaubwürdiger ist als ein Schatz vor dem Erstschlag.

Ich habe Grund anzunehmen, daß Schutz vor einem massiven Erstschlag unmöglich ist; weniger unmöglich ist eine Abwehr eines Vergeltungszweitschlags; nicht fraglich und relativ leicht ist es, mit den angestrebten Systemen eine offensive Rolle im Weltraum zu spielen, diesen zu kontrollieren.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen dem Sternenkrieg- Konzept und den neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa?

Die Pershing II scheint geeignet, um gehärtete militärische Ziele, wie gegnerische Kommandozentralen zu vernichten; Ziele, die schnell ausgeschaltet werden müssen damit die Sowjetunion nicht mehr in de; Lage wäre, einen Vergeltungsschlag anzuordnen und durchzufahren. Ich bin mir nicht sicher, wie glaubhaft eine solche Drohung ist, aber sie hat die UdSSR außerordentlich beängstigt

Für einen Erstschlag wäre jedoch erforderlich eine Kombination von

  • erstens Interkontinentalraketen mit erheblicher Zerstörungskraft,
  • zweitens den Raketen mit kurzer Anflugzeit und der Fähigkeit, gehärtete Ziele zu vernichten („hard-target-killer“)
  • und drittens Anti- Satelliten- und Raketenabwehrsysteme.

Als Pakt können MX, Trident, Pershings und Star Wars der Sowjetunion gegenüber Erstschlagfähigkeit präsentieren. Ich kenne nicht viele Militärs, die glauben, daß die USA eine Erstschlagsstrategie haben sollten; aber es gibt Leute in den USA, die offen gesagt haben, daß wir die Möglichkeit einer solchen Drohung haben sollten. Die Konservativen sind nicht zufrieden mit dem nuklearen Patt, sie wollen militärische Überlegenheit, um dadurch das sowjetische Verhalten in der Weltpolitik ändern zu können.

„D 1“ – in friedlicher Mission?

„D 1“ – in friedlicher Mission?

von Forum Naturwissenschaftler für Abrüstung und Frieden

Am 30.10.85 startete die Raumfähre „Challenger“ mit dem Weltraumlabor SPACELAB zu ihrem als zivil deklarierten Raumflug. Während dieses Fluges setzten die USA einen Miltärsatelliten aus, und die europäischen Nutzlastspezialisten führten ein militärisch relevantes Navigationsexperiment durch. Die Experimente an Bord von SPACELAB unterlagen bundesdeutscher wissenschaftlicher Leitung („D 1“-Mission), so daß schon bei diesem ersten Raumflug unter Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland eine unübersehbare Verflechtung mit militärischen Interessen erfolgte. An dieser Mission, die unter rein zivilen Aspekten konzipiert und aus dem zivilen Forschungshaushalt finanziert wurde, verdeutlicht sich die Gefahr, daß durch die zunehmende Militarisierung des Weltraums die zivile Weltraumforschung Schritt für Schritt Rüstungsinteressen untergeordnet wird. Das Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung protestiert gegen diesen militärischen Mißbrauch und fordert die Bundesregierung auf, bei zukünftigen Raumflügen dafür Sorge zu tragen, daß der rein zivile Charakter solcher Missionen erhalten bleibt.

Die „D 1“-Mission ist wie folgt mit militärischen Aspekten verflochten.

Der Glomr-Satellit

Bei dem auszusetzenden Satelliten Glomr (Global low-orbiting message-relay satellite) handelt es sich um einen von der Defense Advanced Research Project Agency (DARPA) entwickelten Experimental-Relais-Satelliten, der u. a. zur U-Boot-Ortung eingesetzt werden soll. Dieser nur 70 kg schwere Satellit ist ein Prototyp einer neuen Generation leichtgewichtiger und extrem kleiner Nachrichtensatelliten, die Daten von bodengestützten Sensoren an Auswertezentralen übermitteln sollen. Ihr Durchmesser beträgt nur 40 cm. Sie werden in der Ladebucht der Space Shuttle in einem Spezialkanister mitgeführt und aus diesem mit Hilfe eines Springfeder-Mechanismus in den Weltraum ausgestoßen. 1/p>

Der erste Versuch, diesen Satelliten zu starten, mißlang während des „Challenger“-Fluges 51-B mit SPACELAB 3 Ende April 1985 wegen Schwierigkeiten mit dem Ausstoßmechanismus. 2 Das für den jetzigen Flug zunächst nicht vorgesehene Aussetzen des Glomr-Satelliten wurde deshalb unter Zustimmung der Bundesregierung nachträglich in den Aufgabenkatalog mit aufgenommen.

Mit dem Glomr-Satelliten soll gezeigt werden, daß man kleine Satelliten dazu nutzen kann, auf dem Ozeanboden ausgelegte Unterwasser-Mikrophone zur U-Boot-Ortung ein- und auszuschalten, sowie Daten solcher Mikrophone aufzunehmen und an US-Bodenstationen oder Schiffe zu übertragen. Der Satellit ist Teil eines Programms, sowjetische Raketen-U-Boote im arktischen Eismeer zu orten. 3

Raketen-U-Boote gelten bis heute als relativ schwer zu orten und zu bekämpfen und stellen deshalb den bisher am wenigsten verwundbaren Teil nuklearer Zweitschlagskapazität dar. Die US-amerikanischen Entwicklungsprogramme zur U-Boot-Abwehr sind darauf ausgerichtet, die Unverwundbarkeit sowjetischer Raketen-U-Boote aufzuheben. Zum Stand dieser Programme schrieb Spektrum der Wissenschaft schon 1981: „Während man im allgemeinen davon ausgeht, daß die amerikanischen Raketen-U-Boote vor einem russischen Präventivschlag … nichts zu befürchten haben, können sich ihre russischen Gegenspieler einer solchen Unverwundbarkeit nicht erfreuen. Mit anderen Worten, das amerikanische U-Bootbekämpfungssystem stellt für die russische Raketen-U-Boot-Flotte eine reale Gefahr dar … (Es) ist daher ein wirkungsvolles Mittel, um potentielle Zerstörungen auf dem Boden der USA in Grenzen zu halten und eine erfolgversprechende Strategie zu verfolgen, dem die Sowjetunion wahrscheinlich nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Diese Überlegenheit könnte im kommenden Jahrzehnt in dem Maße zunehmen, wie die Amerikaner neue strategische Waffen einführen, die die russischen Interkontinentalraketen (ICBM's) immer stärker bedrohen.“ 4

Das NAVEX-Experiment

Das unter bundesdeutscher Regie durchgeführte Experiment NAVEX soll im Hinblick auf die Nutzung des neuen US-amerikanischen Satellitensystems NAVSTAR Erfahrungen mit Satellitennavigation vermitteln.

Das NAVEX-Experiment wurde gemeinsam von der DFVLR und der Firma Standard Elektronik Lorenz (SEL) vorbereitet. SEL, eine Tochterfirma des ITT-Konzerns, baut einen Einkanal-Empfänger für NAVSTAR

Signale, der für zivile Zwecke eingesetzt werden soll. Nach Angaben von SEL kann der zivile Empfänger problemlos zu einem Mehrkanalempfänger ausgebaut werden, wie er für den militärischen Einsatz benötigt wird. 5 Die Ziele des NAVEX-Experiments sind u.a. der Test von präzisen Synchronisationstechniken für die Atomuhren in den Satelliten und Bodenstationen, sowie eine Entfernungsmessung und Positionsbestimmung mit einer Genauigkeit von 30 Metern oder weniger. 6 Die bei NAVEX anvisierten Zielwerte für die Uhrensynchronisation und der Bestimmungsgenauigkeit für Entfernungen sind weit besser, als sie für die alleinige Nutzung der zivilen des NAVSTAR-Systems im zivilen Bereich benötigt werden. 7 SEL hält sich somit die Option offen, bei entsprechender Nachfrage auch die militärischen Empfangsgeräte zu bauen, und dabei die durch das NAVEX-Experiment gewonnenen Erfahrungen zu verwerten.

Die militärischen Funktionen von NAVSTAR, das bis 1988 fertiggestellt werden soll, sind bedeutend. Eingesetzt werden soll es für die Navigation von zukünftigen Raketen-U-Booten (TRIDENT II), sowie für die Gewährleistung einer Schadensfeststellung im Atomkrieg. 8 Durch die Satellitennavigation werden U-Boot-Raketen erstmalig eine so hohe Zielgenauigkeit (kleiner als 100 m) erreichen, daß die Zerstörung von gehärteten Zielen, wie gegnerischen Befehlszentralen und Raketensilos, möglich wird. Da ca. 50 % der US-Nuklearsprengköpfe seegestützt sind, wird NAVSTAR die Counterforce-Möglichkeiten (Bekämpfungsmöglichkeiten für gehärtete militärische Ziele) der USA drastisch erhöhen.

Eine Überprüfung des Schadens, der durch einen Einsatz von Atomwaffen gegen Ziele in der Sowjetunion hervorgerufen würde, soll mit den auf den Satelliten mitgeführten Sensoren gewährleistet werden, die auf den Lichtblitz einer Nuklearexplosion im ultravioletten, optischen und infraroten Spektralbereich reagieren. Mit ihrer Hilfe kann der genaue Explosionsort eines Sprengkopfes lokalisiert werden. Sie ermöglichen damit eine Schadensfeststellung, die zur Ausführung von begrenzten und selektiven Atomwaffeneinsätzen benötigt wird, um gegebenenfalls bei Fehltreffern sofort nachschießen zu können. 9

Anmerkungen

1 Aviation Week and Space Technologe (AWST), 15.4.1985, S. 14 ff.Zurück

2 Amerika-Dienst, 8.5.1985 Zurück

3AWST, ebd. Zurück

4 Spektrum der Wissenschaft, April 1981, S. 58 ff. Zurück

5 Microwave Systems News, Mai 1985, S. 144 A ff. Zurück

6 Wissenschaftliche Ziele der Deutschen Spacelab Mission D1, hrg. im Auftrag des BMFT, 1985, S. 225 ff. Zurück

7 Microwave Systems News, ebd. Zurück

8 Vgl. T. Karas, The New High Ground, New York 1983. Zurück

9 Vgl. Spektrum der Wissenschaft, März 1985, S. 36 ff. Zurück

Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung e. V. Friedrich-Ebert-Str. 114 4400 Münster. Verantwortlich: Dr. Dieter Engels

1999: Ende der Atomwaffen?

1999: Ende der Atomwaffen?

von Redaktion

Niemand kann mit der ständig aktualisierten Angst vor der nuklearen Bedrohung leben: die Verdrängung hat ihr Recht. Doch dieser Stabilisierungsgewinn schließt ein das Sich-Einlassen auf gegebene Verhältnisse. Man muß der Skepsis gegenüber ihrer Veränderbarkeit Raum geben – und dies kann schnell unempfindlich machen gegenüber den Chancen und Perspektiven der (auch radikalen) Veränderung.

Vorschläge zur Schaffung einer von Nuklearwaffen freien Welt werden dann gleichermaßen als realitätsfremde Utopie wie als utopielose, die Aufrüstungsrealität bloß legitimierende Propaganda empfunden. Solch „kritisch-realistische“ Skepsis kommt natürlich auch aus der pessimistisch stimmenden Erfahrung des Scheiterns der Abrüstungsbemühungen der Vergangenheit – doch nicht allein, ihre Wurzel ist auch die eigene Unfähigkeit zum utopischen Denken und zielbewußtem Handeln. Vor allem: wo es um bloße Utopie und reine Propaganda geht, bedarf es keiner intellektuell-politischen Prüfung, auch keiner Probe der Praxis.

Nimmt man die verlautbarten weitreichenden Zielsetzungen der Führer der beiden Großmächte, so scheinen sie identisch.

Der Präsident der USA Reagan verkündete in seiner Rede vom März 1983 die Vision der Abschaffung der Atomwaffen. Der Weg dazu führte bei ihm über den Aufbau eines Raketenabwehrsystems. Es sollte Angriffswaffen obsolet machen. Das SDI-Konzept ist – wie kein anderes sicherheitspolitisches Konstrukt – seitdem geprüft worden. Die Übereinstimmung in der Einschätzung ist erstaunlich: die Utopie des Vorschlags ist die nukleare Kriegsführungsoption, nicht die Entnuklearisierung des Krieges – die Vision der friedlichen Welt ist Propaganda. Der Generalsekretär der KPdSU, Gorbatschow, hat jetzt einen Stufen-Plan vorgelegt, der die völlige Befreiung der Menschheit von Nuklearwaffen vorsieht: „Ende 1999 gibt es auf der Erde keine Kernwaffen mehr.“ Auch dieser Vorschlag wird ausführlich zu prüfen sein, man muß sich auf ihn einlassen.

Der hier vorgezeichnete Weg direkter Abrüstung scheint kaum „realistischer“, doch allemal plausibler und vernünftiger. Warum erst eine neue, gefährliche Runde des Wettrüstens einleiten, um evtl. die Waffen verschrotten zu lassen? Warum die unermeßliche Vergeudung von Ressourcen für bizarre neue Waffensysteme? Vor allem: hier wird nicht wie bei der Strategischen „Verteidigungs“-Initiative das Bild einer zukünftigen Welt gezeichnet, in der eine militärisch unverwundbar gewordene Seite im „Hegemonialrausch“ (Norbert Elias) seine Friedensversion der anderen, unterlegenen Seite diktiert. Das Vorhaben setzt nicht auf die Macht der Kriegstechnik, sondern auf die Rationalität der Politik. Es bedarf auch nicht der riesigen Mobilisierung der Wissenschaft für militärische Zwecke. Warum also kein grundsätzliches JA zum Abrüstungsplan der UdSSR?

Details und verdeckte Optionen müssen noch untersucht werden. Feststeht: es handelt sich um die bisher weitreichendste sowjetische Initiative. In einigen Fragen nimmt sie die Kritik der NATO-Staaten an früheren Vorschlägen auf. Dieses weitreichende Entgegenkommen – etwa in der Frage der Kontrolle der Abrüstung – wird von sowjetischer Seite als Konsequenz des heute notwendigen „Umdenkens“ interpretiert. Und in der Tat ist dieses Umdenken angesichts der Zerstörungspotentiale in Ost und West dringend geboten. Nur scheint man dies in Moskau eher begriffen zu haben.

Auch wenn der Bundesregierung im Vorwahljahr der offizielle (wenn auch etappenweise) Einstieg in SDI gelungen ist, so scheiterte sie bisher völlig in ihrem Bemühen, für die Politik der Weltraumbewaffnung eine politische Massenbasis zu bekommen. Sie ist weiter isoliert – und reagiert in doppelter Weise: denunzierend und demagogisch, auf jeden Fall mit der verstärkten Pflege des alten Feinbildes der FÜNFTEN KOLONNE MOSKAUS.

– Der CDU-Generalsekretär denunziert die IPPNW Die Ärzte würden sowjetische Vorstellungen übernehmen und propagieren, hieß es. Aber ein Teststopp für Kernwaffenversuche ist vernünftig und bleibt es, auch wenn die UdSSR ihn fordert.

– Der Bundesinnenminister bezeichnet die Unterschriftensammlung gegen eine bundesdeutsche SDI-Beteiligung als „kommunistisch gesteuert“. CDU-Anfragen im Landtag von NRW beschäftigen sich mit der Naturwissenschaftler-Initiative.

Denunzierung statt Dialog: die Fälle, in denen während der Friedenswoche Einladungen zu Podiumsdiskussionen oder Streitgespräche von Vertretern des Regierungslagers angenommen wurden, lassen sich – bei über 300 Veranstaltungen – an einer Hand abzählen!

Für die Friedensbewegung steht verstärkt die Aufgabe, sich kritisch und ohne Angst mit derlei Kampagnen, ihrer Funktion und ihrer Wirkungsmechanismen auseinanderzusetzen. Horst Eberhard Richters Betrachtungen zum Vorwurf des „Antiamerikanismus“ oder die jüngst neu aufgelegte Arbeit Werner Hofmanns zur „Soziologie des Antikommunismus“ können – ergänzend zu Carl Nedelmanns Darlegungen in diesem Heft – als Beispiel dienen.

Während noch weit in das Jahr 1985 über Resignation und mangelnde Mobilisierungsfähigkeit geklagt wurde, zeigte sich gegen Ende des Jahres eine fast unerwartete Aktivitätsbereitschaft. Die Naturwissenschaftler-Initiative hat daran großen Anteil: durch die Veröffentlichung des Aufrufs gegen eine bundesdeutsche Beteiligung an SDI und die Durchführung der Friedenswoche im November. Der Aufruf erfuhr eine große Zustimmung in der SPD, in den Gewerkschaften, in christlichen Kreisen etc. Hunderte von Wissenschaftlern und Ingenieuren in Großforschungseinrichtungen und Betrieben sprachen sich gegen SDI aus. An den Hochschulen wurden in der Friedenswoche über 35.000 Unterschriften gesammelt. In dieser Woche fanden Veranstaltungen an 52 Hochschulorten statt; zahlreiche Initiativen stabilisierten sich, neue wurden gegründet. Die Herausbildung eines aktiven Kerns, der sich auf langfristige Aufklärung eingestellt hat, ist für die Fortführung der Friedensarbeit von großer Bedeutung.

Für das Jahr 1986 sehen wir drei große Schwerpunkte der Friedensarbeit:

  • Große Kongresse der berufsbezogenen Friedensinitiativen, z.T. auf internationaler Ebene: Die Tagung der Kulturwissenschaftler im April in Tübingen, der nächste IPPNW-Weltkongreß, der im Juni in Köln stattfindet, und der Kongreß der Naturwissenschaftler im Spätherbst. Darüber hinaus werden internationale Konferenzen bzw. Fachtagungen der Pädagogen und der Informatiker stattfinden.
  • Im November wird es eine Friedenswoche der Wissenschaftler-Initiativen geben, die an allen Hochschulen stattfinden soll.
  • Wird die Unterschriftensammlung gegen SDI fortgesetzt werden, hinzu kommt noch die vom BdWi initiierte Resolution gegen den militärischen Mißbrauch der biologischen Forschung.

SDI-Budget 1986

SDI-Budget 1986

von Christopher Cohen, Karlheinz Müller

2 1/2 Jahre nach Initiierung der „Strategischen Verteidigungs Initiative“ durch US-Präsident Reagan in einer Fernsehansprache vor dem US-amerikanischen Volk 1 finden in den USA die Auseinandersetzungen um den Haushaltsansatz für SDI im Fiskaljahr 1986 statt. Das Ergebnis ist für die Weiterentwicklung des Konzeptes der strategischen Verteidigung auch über das kommende Haushaltsjahr hinaus von großer Bedeutung.

Der von Verteidigungsminister Weinberger vorgelegte Budgetplan für SDI sieht eine Steigerung des Volumens von 1,4 Mrd. $ 1985 auf 3,7 Mrd. $ 1986 vor.2 Das bedeutet einen Zuwachs von etwa 165 %!

Im Vergleich mit vorangegangenen Ausgabensteigerungen für die strategische Verteidigung (1984 auf 1985 um 40 %) wird deutlich, daß mit dem immensen Zuwachs im Haushalt 1986 die Aufwendungen für SDI ein qualitativ neues Niveau erreichen sollen, das in den kommenden Haushaltsjahren mit weit geringeren Steigerungsraten (z. B. 1986 auf 1987 um 16 % fortgeschrieben werden soll.3

In den Haushaltsjahren 84/ 85 hat die Konsolidierung der Struktur von SDI stattgefunden. Der Schwerpunkt lag dabei weniger in der Initiierung spektakulärer neuer Projekte als vielmehr in der Weiterführung von Programmen, die zum großen Teil schon vor 1983 eingeleitet wurden und jetzt im Rahmen der SDI in einem umfassenden Konzept zusammengefaßt worden sind.4

SDI ist in fünf Programmbereichen organisiert:5

  1. Ortung, Identifizierung, Verfolgung und Bedrohungseinschätzung (Surveillance, Aquisition, Tracking and Kill Assessment – SATKA)
  2. Laser- und Teilchenstrahlenwaffen (Directed Energy Weapons – DEW)
  3. „Konventionelle“ Waffensysteme (Kinetic Energy Weapons – KEW)
  4. Systemanalyse und Gefechtsführung (Systemanalysis and Battle Management)
  5. Unterstützungsprogramme (Support Programs)

Anknüpfend an die bisherigen Bemühungen im Bereich der strategischen Verteidigung sind die Technologien für die ballistische Flugphasen- und die Endphasenabwehr in der Entwicklung am weitesten fortgeschritten.6

Dieser hohe Entwicklungsstand begründet den Drang der involvierten Konzerne, baldmöglichst mit der Produktion zum Aufbau eines ersten Gürtels zur Siloverteidigung und zum Schutz militärischer Befehlszentralen zu beginnen.7

Mit den verfügbaren Technologien eines solchen ersten Gürtels ist aber weder das verkündbare Ziel eines umfassenden Bevölkerungsschutzes, noch eine effektive Raketenabwehr im Dienst der strategischen Erstschlagkonzeptionen der USA erreichbar. Die Effektivität eines Raketenabwehrsystems ist entscheidend von der Fähigkeit abhängig, ballistische Raketen der Sowjetunion in der Startphase oder direkt nach Beendigung der Startphase auszuschalten.8

Dazu sollen Waffen beruhend auf der Laser- und Teilchenstrahlentechnologie eingesetzt werden, die in ihrer Entwicklung noch weit hinter den Endphasensystemen zurückliegen.9

Die nun angestrebte überproportionale Ausweitung des SDI-Budgets soll sowohl den Übergang von bereits entwickelten Programmen in die konkrete Erprobungs- bzw. Demonstrationsphase als auch die Intensivierung sowohl der Entwicklungs- als auch Erprobungsphase noch zurückliegender Technologien gewährleisten.

Das wird bei einer eingehenderen Betrachtung der Budgetansätze für die einzelnen Programmbereiche deutliche.10

I. Ortung, Identifizierung, Verfolgung und Bedrohungseinschätzung:

Hier werden Programme durchgeführt, die der Entwicklung von Sensor-, optischen und Radarsystemen zur Erkennung, Lokalisierung und Verfolgung von ballistischen Raketen und deren Sprengköpfen dienen. In allen Abfangphasen bilden diese Technologien die Grundlage für den Einsatz der verschieden Waffensysteme, indem sie diese mit allen notwendigen Daten versorgen.

In diesem Bereich entfallen nur noch 19,7 % auf die Grundlagenforschung, während 41,4 % für Entwicklungsarbeiten zur Verfügung stehen und bereits 38,9 % in die konkrete Erprobung und Demonstration fielen. Die Projekte innerhalb dieses Bereiches gehören somit zu den am weitesten entwickelten, was nicht zuletzt daran deutlich wird, daß fünf der elf Projekte in die Test- und Demonstrationsphase eintreten sollen.

II. Laser- und Teilchenstrahlenwaffen

Im Bereich der Laser- und Teilchenstrahlenwaffen sind für Grundlagenforschung 8,8 %, für Entwicklung 45,5 % und 45,8 % für die Erprobung und Demonstration vorgesehen.

Während die prozentuale Verteilung ähnlich der im Bereich der Ortung, Identifizierung, Verfolgung und Bedrohungseinschätzung ist, läßt sich ein wichtiger Unterschied feststellen:

In jedem Projekt soll sowohl geforscht, als auch entwickelt und bereits getestet werden. Dies verdeutlicht, daß einerseits die Entwicklung in diesem Bereich noch zurückliegt, andererseits der Anschluß an die anderen Programme durch massive Aufwendungen erreicht werden soll. Offen bleibt, ob die Anpassung durch eine Konzentration von fast 50 % des Budgets auf Tests erzwungen werden kann, solange alle Projekte noch der Grundlagenforschung bedürfen.

III. „Konventionelle“ Waffensysteme

In diesem Bereich werden nichtnukleare Waffensysteme entwickelt, die vor allem die Vernichtung der nicht zerstörten Interkontinentalraketen in ihrer ballistischen Flugphase und Endanflugsphase zur Aufgabe haben.

Daß der Bereich der „Konventionellen“ Waffensysteme am weitesten entwickelt ist, ergibt sich schon aus der vorgegebenen Konzentration von 62,8 % der Mittel auf die Erprobung und Demonstration. Bereits bei fünf der elf Projekte sollen erste Tests stattfinden. Nur 9,4 % der Gelder entfallen auf die zwei Projekte in der Entwicklungsphase, während noch 27,9 % in die Grundlagenforschung investiert werden sollen.

IV. Systemanalyse und Gefechtsführung:

In diesem Programm werden zwei wesentliche Ziele verfolgt: erstens die Entwicklung von Technologien, die für ein zuverlässiges, überlebensfähiges und kosteneffektives Gefechtsführungssystem erforderlich sind, und zweitens die Einschätzung der technologischen Problemstellungen und Kosten eines solch komplexen Raketenabwehrsystems und daraus resultierend die Erstellung einer Gesamtkonzeption („Systemarchitektur“).

Auf das erste Projekt (Gefechtsführung) entfallen 59,6 % der vorgesehen Ausgaben in diesem Bereich. Dieses Projekt befindet sich in der Entwicklungsphase. Mit einem Anteil von 40,4 % wird die Grundlagenforschung im zweiten Projekt („Systemarchitektur) finanziert.

V. Unterstützungsprogramm

Unter dieses Programm fallen im wesentlichen vier wichtige Projekte: die Einschätzung der Verwundbarkeit US-amerikanischer Waffensysteme im Verhältnis zur Effektivität des Raketenabwehrsystems, die Entwicklung von Verteidigungsmechanismen für das Raketenabwehrsystem selbst, die Entwicklung von Transportsystemen und die Bereitstellung größerer Energieerzeuger für die verschiedenen Waffensysteme im All.

In diesem Bereich entfallen 55,3 % auf die Erprobung und Demonstration, 44,3 % auf Grundlagenforschung. Die Energie- und Transportprojekte sollen in die Erprobungsphase gehen, während die Verteidigung des Raketenabwehrsystems selbst sich noch ausschließlich in der Grundlagenforschung befindet.

Die ausgewerteten Budgetansätze für die einzelnen Programme werden in dieser Höhe nicht realisiert werden. In den Auseinandersetzungen um den Veiteidigungshaushalt 1986 im Kongreß zeichnet sich eine Korrektur des SDI-Budgets nach unten ab. Das Repräsentantenhaus hat einen Budgetansatz von 2,5 Mrd. $ vorgeschlagen, der Streitkräfteausschuß des Senats plädiert für einen Budgetansatz von 3 Mrd. $. 11 Der endgültige SDI-Haushalt 1986 dürfte sich zwischen diesen beiden Marken bewegen.

Einerseits bedeutet dies eine ca. 50 %ige Kürzung der von Verteidigungsminister Weinberger beantragten Steigerung des SDI-Budgets, andererseits beträgt der Zuwachs dieses Budgets trotzdem zwischen 75 und 100 %.

Damit wird die quantitative und qualitative Ausweitung des SDI-Programms lediglich behindert, nicht aber aufgehalten werden können. Allerdings werden die vorgesehenen Zeitpläne für SDI zusehends in Verzug geraten, was die SDI-Betreiber mit wachsender Besorgnis zur Kenntnis nehmen. So formulierte Verteidigungsminister Weinberger schon zu Beginn der Auseinandersetzungen um den Haushalt 86 scharfe Kritik an den Kürzungen seines Budgetansatzes für 1985, die im Vergleich zu den zu erwartenden Kürzungen als nicht so einschneidend zu bewerten sind.

In seinem 1985 vorgelegten SDI-Bericht an den Kongreß stellt er fest: „Die Kürzungen im Haushaltsjahr 1985 waren eindeutig schädlich.“ Weiter oben formuliert er: „Während das Verteidigungsministerium in der Verfolgung seiner allgemeinen Strategie insgesamt erfolgreich war, ist es noch wichtiger geworden, die angestrebten Ausgaben im Haushaltsjahr 1986 zu verwirklichen, wenn die Ziele, Zeitpläne und Anforderungen von SDI weiter verfolgt werden sollen.“ 12

Ortung, Identifizierung, Verfolgung und Bedrohungseinschätzung (in Mio $)
Projekt Grundlagenforschung Entwicklung Demonstration Summe
Radar-Unterscheidungs- („Discrimination“) -Technologie 74 74
Optische Unterscheidungs- („Discrimination“) -Technologie 198,70 198,70
Radar-Qualifizierungs- (Imaging) – Technologie 45,80 45,80
Laser-Qualifizierungs- („Imaging“) -Technologie 127,00 127,00
Infrarot-Sensoren- Technologie 151,40 151,40
Ortungs- und Verfolgungssystem für Antriebsphase (BSTS) 131,10 131,10
Ortungs- und Verfolgungssystem für ballistische Flugphase 136,00 136,00
Flugzeuggestütztes optisches Ortungs- und Verfolgungssystem für
Endanflugphase (AOS)
191,60 191,60
Bodengestütztes Radar (TIR) 74,60 74,60
Weltraumgestützte Qualifizierungs- („Imaging“)-Technologie 5,80 5,80
Allgemeine Technologie und Architektur 250,20 250,20
Summe 272,70 574,40 539,10 1386,20
Energie-Strahlen-Waffen
Projekt Grundlagen- forschung Entwicklung Demonstration Summe
Weltraumgestützte Laser-Systeme 27,60 84,50 259,80 371,90
Bodengestützte Laser-Systeme 30,70 251,60 149,20 431,50
Weltraumgestützte Teilchenstrahlen- waffen 16,80 103,00 13,60 133,40
Nuklear-Energie- Waffen 9,50 19,10 28,60
84,60 439,10 441,70 965,40
„Konventionelle“ Waffensysteme
Projekt Grundlagenforschung Entwicklung Demonstration Summe
Erforschung nichtnuklearer Abfangtechnologien zum Einsatz
innerhalb der Atmosphäre
100,60 100,60
Erforschung nichtnuklearer Abfangtechnologien zum Einsatz
außerhalb der Atmosphäre
109,70 109,70
Systemkonstruktion und Analyse 11,80 11,80
Elektromagnetische Hochgeschwindigkeits- kanone
– Entwicklung-
68,7 68,7
Neuartige Konzepte 29,50 29,50
Testprojekte für Abfangsystem zum Einsatz in oberer Atmosphäre
(HEDI)
101,90 101,90
Testprojekte für Sprengkopfabwehr außerhalb der Erdatmosphäre
(ERIS)
120,70 120,70
System zur Abwehr U-Boot-gestützter Interkontinentalraketen in
Startphase
Elektromagnetische Kanone 39,30 39,30
Weltraumgestützte Abwehrsysteme 147,70 147,70
Gesamtkonzeption der Endphasenabwehr 130,10 130,10
Summe 239,80 80,50 539,70 860,00
Systemanalyse und Gefechtsführung
Projekt Grundlagenforschung Entwicklung Demonstration Summe
Gefechtsführungs-, Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsprojekt 145,10 145,10
SDI-„Systemarchitektur“ 98,20 98,20
Summe 98,20 145,10 243,30
Unterstützungsprogramme
Projekt Grundlagen- forschung Entwicklung Demonstration Summe
Verteidigung des ABM-Systems 11,80 60,40 72,20
Härtungstechnologien zur Senkung der
Verwundbarkeit von US-Waffensystemen
103,50 103,50
Weltraumgestützte Energieerzeugung und
-übertragung
63,80 63,80
Weltraumlogistik 18,70 18,70
Summe 115,30 142,90 258,20

Anmerkungen

1 Fernsehansprache vom 23. 3. 1983, zit.: Blätter f. dt. u. int. Politik, 4/83 S. 636 f. Zurück

2 Siehe: Weinberge, Caspar: Report to the Congress an the STRATEGIC DEFENSE INITIATIVE Washington D.C., 1985; Pike, John The Strategic Defense Initiative. Areas Of Concern, Washington D. C., Juni 1985, S. 10; Hartung, William, DeGrasse, J. Robert, Nimrody, Rosy, Daggett, Stephan, Brugman, Jeff: The Strategie Defense Initiative: Costs Contractors & Consequences, New York, 1985, S. 59. Zurück

3 Pike, John: a.a.O.; Hartung, William u.a.: a.a.O. Zurück

4 Pike, John: a.a.O., S. 9; Hartung, William u.a.: a.a.O. Zurück

5 Die Beschreibung der SDI-Programmelemente basiert auf: U. General Abrahamson, James: Statement on the President´s Strategic Defense Initiative“, das vor dem Unterausschuß für Verteidigung des Bewilligungsausschusses des US- Repräsentantenhauses am 9. Mai 1984 gehalten wurde, zit. nach: Hartung, William u.a.: a.a.O., S.156 Zurück

6 Hartung, William u. a.: a.a.O., S. 159 ff. S. 173; Pike John: a.a.O. S. 9. Zurück

7 Hartung, William u.a.: a.a.O. S. 175. Zurück

8 ebd., S. 173. Zurück

9 ebd., S. 159 ff. Zurück

10 Alle folgenden Angaben sind entnommen aus: Weinberger, Caspar a.a.O.; Pike, John: a.a.O. S. 11. Zurück

11 Kaplan, Fred „Senate rejects „star wars“ cuts“, im Boston Globe, im Juni 1985. Zurück

12 Weinberger Caspar a.a.O., S. 5.Zurück

Christopher Cohen u. Karlheinz Müller arbeiten an einem Projekt „SDI und Rüstungsökonomie“ an der Universität Marburg.

Verteidigung im All – Angriff auf der Erde. Aspekte der militärpolitischen Instrumentierung der US-Globalstrategie

Verteidigung im All – Angriff auf der Erde. Aspekte der militärpolitischen Instrumentierung der US-Globalstrategie

von Christiane Rix

„Teilen Sie mit mir eine Vision der Zukunft, die Hoffnung bietet Sie besteht dann, daß wir ein Programm in die Wege leiten, um der schrecklichen sowjetischen Raketenbedrohung mit Maßnahmen zu begegnen, die defensiv sind. (…) Wie wäre es, wenn freie Menschen sicher leben könnten, in dem wissen, daß ihre Sicherheit nicht auf der amerikanischen Drohung einer sofortigen Vergeltung beruht, um vor einem sowjetischen Angriff abzuschrecken; daß wir strategische Raketen abfangen und vernichten könnten, bevor sie unseren Boden und den unserer Verbündeten erreichen?“

(Aus der Fernsehansprache Präsident Reagens vom 23.03.1983)

Die Worte Reagans, die er an das amerikanische Volk richtete, 1 haben – ob naiv oder berechnend – in der öffentlichen Debatte seither für Aufregung gesorgt. Die Vision des amerikanischen Präsidenten traf auf eine antinukleare Stimmung insbesondere in den Ländern der westlichen Allianz. Sie traf auf eine mobilisierte und mißtrauisch gewordenene Öffentlichkeit, deren Protest sich in den USA gegen atomare Aufrüstung, in Westeuropa zunächst schwerpunktmäßig gegen die Aufrüstung mit Pershing II und Cruise Missiles richtete.

Forderte die amerikanische Friedensbewegung noch ein Freeze, das Einfrieren der Nuklearrüstung – Präsident Reagans Vision geht darüber hinaus: er will die Nuklearwaffen gleich ganz abschaffen. Zeitpunkt und Gegenstand wurden äußerst geschickt gewählt und vermarktet. Zusätzlich zu dem von antiatomarer Stimmung fruchtbar gemachten Boden für Reagans „Krieg der Sterne“- Traum haben es Visionen an sich, den Zuschauer zu faszinieren. Sie wirken fesselnd. Man hält den Atem an und hört zu, wenn jemand – noch dazu mit missionarischem Impetus – herkömmliche Gedanken aufgreift, um sie dann auf den Kopf zu stellen. Der Traum Reagans vermag nicht nur in den USA mehr Menschen zu packen, als ein nüchterner, rein pragmatisch und funktional argumentierender Politiker, der – scheinbar frei von Träumen, Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen – auf der Grundlage von „objektiven“ Tatsachen Entscheidungen trifft oder zu Einschätzungen kommt.

Aber der Präsident hat nicht nur die Antiatomwaffen- Stimmung getroffen. Auch diejenigen, die sich wirklich subjektiv von der Sowjetunion bedroht fühlen, horchen auf angesichts einer Vision, die von der Möglichkeit eines perfekten Schutzes vor den sowjetischen Raketen spricht.

Ohne diese eher psychologischen Erklärungsversuche wäre es kaum begreiflich, warum der Anlaß, die Fernsehrede Präsident Reagans, soviel Furore gemacht hat.

Die Debatte über die Weltraumrüstung verläuft relativ isoliert von anderen Aspekten amerikanischer und/oder NATO-interner militärstrategischer Entwicklungen. Waren bis vor kurzem noch Themen wie Air-Land-Battle und der sogenannte Rogers-Plan Gegenstand friedens- und sicherheitspolitischer Erörterungen, scheinen diese Bereiche „irdischer“ Militärstrategie plötzlich vergessen oder zumindest ausgeklammert aus den neuen, von den Amerikanern offerierten Planungen.

Es ist deshalb höchste Zeit, sich darüber Klarheit zu verschaffen, welchen Zusammenhang es zwischen der Initiative für Strategische Verteidigung und anderen Bestrebungen der US-Administration gibt.

Defensive Weltraumabwehr und Offensivoptionen auf der Erde

Nicht nur die inneramerikanische Diskussion über eine offensive oder defensive Orientierung in der Verteidigungsplanung, und nicht nur die Überlegenheit der USA in waffentechnologischen Bereichen lassen die Behauptung der Befürworter des SDI-Projekts zweifelhaft erscheinen, ein weltraumgestütztes strategisches Abwehrsystem würde die Gefahr eines Ausbruchs eines Nuklearkrieges verringern können oder Nuklearwaffen gar vollständig überflüssig machen. Andere Aspekte amerikanischer oder NATO-interner militärstrategischer Diskussion lassen SDI eher als kontinuierliche Entwicklung amerikanischer Bemühungen um Kriegführungsoptionen denn als „Wende“ in der Verteidigungsplanung erscheinen.

Seit dem nuklearen Patt zwischen USA und UdSSR gehört zu den Bemühungen um eine glaubwürdige Abschreckung die Suche nach handhabbaren militärischen Optionen, die den Widerspruch zwischen dem Einsatz nuklearer Waffen und der Irrationalität des totalen nuklearen Schlagabtausches aufheben. Einsatzplanung und Strategiediskussionen in den USA seit den 50er Jahren drehten sich um die Frage und die Möglichkeiten eines abgestuften Gebrauchs von Nuklearwaffen.

Mit der Einführung taktischer Nuklearwaffen Ende der 50er Jahre wurde die Vorstellung eines Nuklearkrieges als eines einzigen großen Vernichtungsschlages auch offiziell endgültig verabschiedet. An deren Stelle trat die Strategie der flexiblen Reaktion; In seiner klassischen Studie über „Kernwaffen und auswärtige Politik“ schrieb Henry Kissinger in dieser Zeit, warum begrenzte (Nuklear-)Kriege möglich sein müßten:

„Je furchtbarer unsere Zerstörungsmöglichkeiten sind, desto weniger sicher ist es, daß sie tatsächlich zur Anwendung kommen. (…) Die Abschreckung ist dann am stärksten, wenn die militärische Stärke Hand in Hand mit der Bereitschaft geht, sie auch zu gebrauchen.“2

Auf der Basis entsprechender waffentechnologischer Entwicklungen, die durch die Einführung von Mehrfachsprengköpfen und zunehmender Schnelligkeit und Zielgenauigkeit immer mehr verfeinert werden, erhielten die Einsatzplanungen die Aufgabe, mittels selektiver Nuklearschläge einen möglichst großen Anteil der gegnerischen Potentiale und Streitkräfte auszuschalten. Sinn macht diese Option allerdings nur solange, wie die zu zerstörenden Systeme noch dort sind, wo man sie ausgemacht hat, in ihren Stellungen, auf den Flugplätzen, in den Silos usw. Selektive Schläge zur eigenen „Schadensbegrenzung“ müßten durchgeführt werden, bevor die gegnerische Seite zuschlagen kann.

Militärische Optionen dieser Art provozieren den präventiven Einsatz der Waffen. Dies gilt insbesondere angesichts immer kürzerer Vorwarnzeiten, die die Möglichkeit für eine politische Einschätzung der Lage und ggf. Klärung von Mißverständnissen, ausschließen. Vielmehr kann in einer internationalen Krisensituation nur noch die Frage „use it or lose it“ auftauchen.

Nuklearkriege werden so mit der Perfektionierung der technischen Möglichkeiten der Kriegsführung zu einer Angelegenheit von Sieg und Niederlage, und sie werden es in dem Maße mehr, in dem eine territoriale Unversehrtheit trotz eines begrenzten Atomkrieges woanders relativ sicher erscheint.

Entgegen der weitverbreiteten Auffassung, daß sich erst mit dem Ende der Entspannungspolitik in der zweiten Hälfte der Regierungszeit von Jimmy Carter die amerikanische Strategie in Richtung auf die Führbarkeit von (nuklearen) Kriegen entwickelte, charakterisiert die Suche nach plausiblen Szenarien abgestufter Kriegsführung die gesamte Entwicklung der Abschreckungspolitik, ohne die deren Dynamik gar nicht erklärbar wäre.3 Insbesondere die Bedingung wechselseitiger Zweitschlagsfähigkeiten, die eine „Enthauptung“ des Gegners mit einem Schlag unmöglich machen, heizte den Wettlauf nach technologisch machbaren Kriegführungsoptionen an.

Mit dem Aufstieg der Sowjetunion zur Nuklearmacht entwickelte sich in den USA eine Kontroverse um den Stellenwert der Nuklearwaffen für die Abschreckung. Das Ergebnis war ein Kompromiß: das nukleare „Grundpotential“, das für einen massiven Vergeltungsschlag vorgesehen war (counter-city und counter-value-optionen) wurde ergänzt um Nuklearpotentiale zum Zweck der Schadensminderung (counter-force). Schon 1962 erklärte der damalige Verteidigungsminister McNamara, daß vorrangige Ziele eines amerikanischen Kernwaffeneinsatzes sowjetische Raketenbasen, Radarstationen und militärische Befehls- und Kommunikationszentren seien.4

Die Strategie der „Schadensbegrenzung“ durch selektive Nuklearschläge ist offensichtlich identisch mit der Suche nach Kriegführungsoptionen. Aus der Sicht amerikanischer militärstrategischer Interessen war somit der Übergang von der Strategie der massiven Vergeltung zur flexiblen Reaktion eine Strategie der glaubwürdigen, das eigene Risiko minimierenden Androhung mit Krieg. Gleichzeitig blieb allerdings das „alte“ Konzept des massiven Nukleareinsatzes in der amerikanischen Rhetorik bestehen. Solange nämlich die Zweitschlagsfähigkeit der Sowjetunion nicht auszuschalten ist, bleibt auch bei einer Begrenzung von Nuklearkriegen im Sinne der counter-force-Doktrin die Gefahr der Eskalation auf die strategische Ebene und damit ein Selbstabschreckungseffekt bestehen. Solange aber im Falle eines Krieges zwischen Sowjetunion und USA die Gefahr der Zerstörung amerikanischen Territoriums sehr groß ist, sind auch die Möglichkeiten, das eigene Potential zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen (durch Erpressung beispielsweise) zu nutzen, nur eingeschränkt vorhanden.

Erst die Erstschlagsoption, d. h. die Ausschaltung des Zweitschlagpotentials des Gegners eröffnet schier unbegrenzte militärische und politische Handlungsspielräume.

Die Orientierung auf eine offensive und auf Sieg orientierte (begrenzte) Kriegsführung (wie in der Air-Land-Battle-Doktrin) macht nur Sinn, wenn man das eigene Risiko, sprich die möglichen Kriegsschäden im eigenen Land, in Grenzen halten kann. Dies kann auf zwei Arten geschehen:

  1. Die amerikanische Kapazität an offensiven Waffen wird so ausgeweitet und verbessert, daß die Zweitschlagfähigkeit der Sowjetunion in einen Präventivschlag so gut wie auf Null reduziert werden kann.
  2. Es wird ein Abwehrschirm gegen die sowjetischen Offensivraketen aufgebaut, der einen Zweitschlag der Sowjetunion seiner Wirkung und damit seines Abschreckungseffektes beraubt.

Zu 1.: Bisher ist eine „Enthauptung“ der Sowjetunion allein aus technischen Gründen nicht möglich.5 Aber der Trend zur Perfektionierung der Angriffssysteme geht klar in diese Richtung: Potentiale, die in einem solchen Szenario eine Rolle spielen sind MX, Trident, Cruise Missiles und Pershing II.

Zu 2.: Über die Machbarkeit eines Abwehrschirms im All ist bereits viel geschrieben und geredet worden. Als sicher kann nach dem gegenwärtigen Stand gelten, daß es einen lückenlosen Abwehrschirm, der das gesamte amerikanische Territorium vor angreifenden Raketen schützt, nicht geben kann. Allerdings ist ein begrenzter Schutzschild schon realistischer, ein Schutzschild nämlich, der beispielsweise bedeutende Raketenbasen und Befehlszentralen abschirmt. Die Folge wäre zwar kein perfekter Schutz des amerikanischen Territoriums, wohl aber eine Verbesserung der Glaubwürdigkeit der Kriegführungspotentiale der USA.

Die erklärte Absicht der amerikanischen Regierung, militärische Überlegenheit zu erringen und Kriegführungsfähigkeit zu erlangen, die Konkurrenzkämpfe der Teilstreitkräfte um die Prioritätensetzung und die eingeschränkten ökonomischen Spielräume – all das ist kein Grund zur Beruhigung: Als Konsequenz vorhersehbar ist eine Mischung aus Defensiv- und Offensivpotentialen. Schon in den 60er Jahren bei der Debatte um die Einführung von ABM-Systemen, zweifelte der damalige Verteidigungsminister McNamara an der Wirksamkeit eines Abwehrschirms gegen sowjetische Interkontinentairaketen. Aber er sagte selbst, daß es u. U. möglich wäre, ein Abwehrsystem zu entwickeln, daß begrenzt und gezielt ausschließlich das eigene Offensivpotential vor der Zerstörung durch feindliche Raketen schützt.6 Angesichts der SDI-Pläne erlangen diese Überlegungen eine geradezu gruselige Aktualität – insbesondere für die Europäer.

Für eine solche Mischung aus Offensiv- und Defensivpotentialen spricht noch ein weiterer Gesichtspunkt: Zwar belegen zahlreiche Zitate amerikanischer Politiker, daß der Einsatz militärischer Mittel für die Durchsetzung und Absicherung ihrer nationalen und internationalen Interessen eine denkbare, legitime und häufig auch naheliegende Methode der Konfliktbearbeitung darstellt.

Allerdings wäre es ein (weit verbreiteter) Fehler anzunehmen, es säßen in der US-Administration und im Pentagon Entscheidungsträger, die ein gemeinsames Ziel im Rahmen einer eindeutigen, einmal fixierten Strategie anstrebten. Stattdessen gibt es sehr unterschiedliche Blickwinkel, unter denen die verschiedenen Schritte betrachtet und beurteilt werden.7

Militärapparat und Politik

Die Neue Rechte und das multinationale Ostküstenkapital bilden die wesentliche Basis für Reagans politische Macht.8 Beide „Gruppen“ sind sich zwar einig über die Notwendigkeit der Aufrüstung und einer Politik der Stärke, jedoch nicht über die Gewichtung zwischen den Militärabteilungen und damit über die Prioritätensetzung bei den militärischen Optionen.

Die Bedeutung des gesamten Militärapparates für die amerikanische Sicherheitspolitik ist seit der Regierung Reagan gewachsen. Die militärischen Ausgaben im Gesamtetat Forschung und Entwicklung erfuhren in den vergangenen vier Jahren eine Verdopplung. Es ist naheliegend, daß der Kampf um Anteile bei den Teilstreitkräften zu großer Innovationstätigkeit führt. So gibt es bei der Gestaltung der offensiven Kriegsführung Auseinandersetzungen zwischen US-Army und US-Air-Force um die Gewichtung von Heer und Luftwaffe bei den Einsatzplanungen – ein Streit, der ein gemeinsames Programm für die Aufklärung und den Schlag in die Tiefe im Frühjahr 1984 zum Scheitern brachten.9

Diese Konkurrenz zwischen US-Army und US-Air-Force hat Tradition, gerade was die Kriegführungsdoktrin und ihre Umsetzung im Sinne einer Arbeits- und Aufgabenverteilung zwischen den Teilstreitkräften angeht.10 Die Air-Land-Battle-Doktrin ist z. B. ein Kriegsführungskonzept des Heeres und ist gleichzeitig Ausdruck einer massiven Konkurrenz auch in rüstungsindustriellem Bereich. Eine Doktrin ist noch nicht gleichzusetzen mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden oder in absehbarer Zukunft zu stehenden militärischen Fähigkeiten.

Ähnliches gilt für SDI. Ein Anlageberater meinte zu dem Forschungsprogramm: „Für die amerikanische Luftfahrtindustrie kann die Umorientierung des Wettbewerbs im strategischen Bereich auf die Verteidigung gar nicht früh genug kommen.11 Der Wettbewerb, der hier gemeint ist, bezieht sich auf eine heftige Konkurrenz zwischen den Teilstreitkräften um ihren jeweiligen Anteil am Kuchen des Rüstungsbudgets. Damit verbunden ist immer auch politischer Einfluß durch die Bedeutung der jeweiligen Teilstreitkräfte für die amerikanische Militärstrategie insgesamt.

Die unterschiedlichen Auffassungen von militärischen Prioritäten hinsichtlich Forschung und Entwicklung sowie Beschaffung und Einsatzplanung haben noch eine weitere Dimension, die vermutlich ohnehin den stärksten Hebel bei der Frage der letztendlichen Realisierung abgeben wird: Finanzierbarkeit.

Trotz beispielloser Erhöhung des Rüstungsetats in der Regierungszeit Reagans und breiter Zustimmung zu den Aufrüstungsprogrammen darf nicht übersehen werden, daß in Zeiten ökonomischer Krise den Handlungsspielräumen nach innen auch in diesem Bereich Grenzen gezogen sind. Der Kampf zwischen Teilstreitkräften und Rüstungsbranche um Anteile am Rüstungsbudget wird härter, je mehr Geld ein Programm verschlingt. Kaum beachtet; aber höchst aufschlußreich waren in diesem Zusammenhang Äußerungen von General Rogers in einem Zeitungsinterview.12

Rogers kritisierte in dem Interview kaum verhohlen die Priorität, die dem SDI-Programm mitsamt den immensen Kosten, die es bedeutet, beigemessen wurde, ohne daß man heute wisse, ob und was dabei rauskäme. Rogers eigentliche Sorge gilt der möglichen Vernachlässigung anderer nach seiner Auffassung unmittelbar erst Aufgaben: der Begegnung der vermeintlichen konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes durch eigene konventionelle Aufrüstung entsprechend seinem Plan („FOFA“). Aber auch die Modernisierung der nuklearen Offensivwaffen wie Trident MX und die B 1-Bomber könnte gefährdet sein, wenn zu viel Finanzpotential von SDI-Programmen aufgesogen würde.

Mit den heute in der Entwicklung befindlichen neuartigen Rüstungstechnologien für die 90er Jahre und darüber hinaus eröffnet sich für die US-Außenpolitik die Perspektive, nicht nur regionalisierbare, sondern auch gewinnbare Kriegführung in ihr globalstrategisches Konzept einzubeziehen. Wäre ein Abwehrschirm im All, wie im SDI-Projekt vorgesehen, realisierbar, würde der gewissermaßen das i-Tüpfelchen auf einer Außenpolitik sein, die militärische Mittel als legitime und erfolgversprechende Instrumente zur Durchsetzung US-amerikanischer Interessen auf der internationalen Ebene ansieht.

Ein europäischer Alptraum

Ein Mix aus Offensiv- und Defensivpotentialen läßt die Bedrohungswirkung amerikanischer Militärstrategien wachsen. Das Motto „use it or lose it“ würde für amerikanische Raketen nicht mehr gelten – es sei denn, sie sind in Westeuropa stationiert. Ein begrenztes Abwehrsystem gegen Raketen könnte in den 90er Jahren technologisch möglich sein. Bis dahin sollen auch die für FOFA vorgesehenen Systeme zumindest teilweise angeschafft werden. Deutlich hat Ministerialrat Helmut F. Drücker aus dem Auswärtigen Amt die Gefahren für Europa beschrieben:

„Die technologische Möglichkeit der Weltraumrüstung eröffnet die Perspektive einer nationalen Verteidigung dergestalt, daß die USA eines Tages zur Wahrung ihrer Sicherheit auf die Präsenz in Westeuropa nicht mehr angewiesen sind (…) Während sich die USA gegen einen sowjetischen Angriff absichern könnten, würde Westeuropa schutzlos den sowjetischen SS 20-Raketen ausgesetzt werden. Die USA könnten langfristig wohl kaum der Versuchung widerstehen, ihr nuklearstrategisches Potential von Westeuropa abzukoppeln.“13 Der Ministerialrat sieht aber noch mehr Probleme auf uns zukommen: „Unsere Lage muß vollends ausweglos erscheinen, wenn man berücksichtigt, daß die Sowjetunion mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein Defensivsystem aufbauen wird. Die Vereinigten Staaten könnten dann nicht länger mit Glaubwürdigkeit den Einsatz ihrer Interkontinentairaketen zur Verteidigung Westeuropas androhen.“14 In der Tat wäre dann die conditio sine qua non bundesdeutscher Sicherheitspolitik zerstört: die atomare Sicherheitsgarantie der USA. Mit SDI in Verbindung mit „irdischen“ Kriegsführungsoptionen wäre der schon im Zusammenhang mit der „Nach“rüstung von Seiten der Friedensbewegungen festgestellte Abkopplungsversuch der USA vom Kriegsrisiko in Europa ein Stück vervollkommnet.

SDI ist eine Ergänzung der Offensivstrategien, eine Perfektionierung des Strebens nach „Schadensminderung“ und Kriegführungsfähigkeit. Dieser Zusammenhang muß von daher das Feld friedenspolitischer Aufklärung und Protestes sein.

Anmerkungen

1 Fernsehansprache von Präsident Reagan in: Wireless Bulletin from Washington Nr. 57/ 83, United States Information Service Bonn (1983). In deutscher Sprache wurde diese Rede inzwischen in zahlreichen Publikationen und Periodika dokumentiert, so z. B. in Blätter für deutsche und internationale Politik 4/1983, S. 637 ff. Zurück

2 H. Kissinger, Kernwaffen und auswärtige Politik München/Wien 1974, S. 112. Zurück

3 Vgl., D. Senghaas, Rückblick und Ausblick auf Abschreckungspolitik, in: aus politik und zeitgeschichte, B 38/ 83, (24. Sept. 1983), S. 28 ff. hier S. 30. Zurück

4 Vgl. zur Position McNamaras z. B. L. Ruehl, Machtpolitik und Friedensstrategie, Hamburg 1974, S. 240 Zurück

5 Vgl. die aufschlußreichen Ausführungen von E. Müller, Rüstungspolitik und Rüstungsdynamik: Fall USA, Baden-Baden 1985, S. 99 ff. Zurück

6 R. S. McNamara, The Dynamics of Nuclear Strategy, Dept. of State Bulletin, Oct. 9, 1967, S. 443 ff. Zurück

7 Vgl. die sehr eindrucksvolle Schilderung der inneramerikanischen Entscheidungsprozesse v. M. H. Halperin, The Decision to deploy the ABM, in American Defense Policy, ed. by R. Head u. E. Rokke, Baltimore 1973, S. 466 ff. Zurück

8 M. Lucas, Die amerikanische Krise und der NATO-Doppelbeschluß, in: Spw 15/82, S. 121 ff., hier S. 124 f. Zurück

9 Vgl. im einzelnen: Die konventionelle Aufrüstung für die 90er Jahre. Aus den Schubladen des Bundesministeriums. Analysen und Dokumente hrsg. v. A. Borgmann u. a., Kassel 1984, S. 24 f. Zurück

10 Vgl. dazu am Beispiel der Air Land Battle- Doktrin die Analyse von R. Nikutta, Der Streit zwischen der US-Army und der US-Air-Force über die „Air-Land-Battle“-Doktrin. Arbeitspapiere aus dem Berliner Projektverbund der Berghofstiftung für Konfliktforschung, AP 13 August 1984. Zurück

11 G. Ball, Krieg um den Krieg der Sterne, New York Review of Books, dokumentiert in Vorwärts Nr. 20 vom 11. 05. 85, S. 15. Zurück

12 in Jane´s Defence Weekly, 27. April 1985, S. 719 ff., zu SDI: S. 725 Zurück

13 Ministerialrat H. F. Dräcker, Warum die Friedensbewegung scheitern mußte. Gedanken zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen 1980-1984, Heidelberg 1985, S. 142 f. Zurück

14 ebd. S.143 Zurück

Christiane Rix ist wiss. Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg

Startbahn für den Weltraumkrieg? Der ASAT-Test und die Osterinsel

Startbahn für den Weltraumkrieg? Der ASAT-Test und die Osterinsel

von Jürgen Scheffran

Die Diskussion um das SDI-Programm läßt manchmal den Eindruck entstehen, als seien die angestrebten Weltraumwaffen nicht realisierbar und damit auch nicht weiter gefährlich. Allenfalls gehe es um Rüstung, die erst in ferner Zukunft Auswirkungen auf die militärische Strategie und unser ganzes Leben habe.

Dies ist ein großer Irrtum. Zwar dürfte das von Reagan geforderte Endziel eines wasserdichten Schutzschirms gegen einen nuklearen Angriff nicht realisierbar sein und viele der genannten exotischen Waffensysteme werden vorläufig auch exotisch bleiben. Sehr wohl aber sind viele einzelne Komponenten technisch machbar, und zwar nicht erst um die Jahrtausendwende, sondern bereits in den nächsten Jahren. Dies wird bereits jetzt konkrete Auswirkungen haben, vor allem auf den Prozeß von Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Dies zeigt nichts deutlicher als der Test der neuen Anti-Satelliten-Waffe (ASAT) der USA am 14. September dieses Jahres, mit dem erstmals ein Satellit im Weltraum zerfetzt wurde. Bemerkenswerterweise gab es bereits 1959 einen ähnlichen Versuch als Bestandteil einer ganzen Testreihe, doch wurde der Zielsatellit dabei vermutlich nicht zerstört. Die danach auf beiden Seiten erfolgenden Versuche mit ASAT-Waffen blieben mehr oder weniger erfolglos und lieferten bis heute keine bedrohliche ASAT Kapazität. Dies dürfte sich nun dramatisch mit der neuen ASAT- Waffe der USA ändern, die formal nicht Bestandteil des SDI- Programms ist, weil sie bereits von Präsident Ford in Auftrag gegeben und von Carter zögerlich weitergetrieben wurde. Zuletzt gab es heftigen Widerstand im Kongreß, der versuchte, das weitere Testprogramm aufzuhalten oder zumindest zu verzögern, wohl aus der Befürchtung heraus, daß die Sowjetunion sich dann nicht mehr an ihr Moratorium vom August 1983 halten werde und eine ähnliche Waffe entwickele. Wie es scheint, paßt diese neue hocheffektive Weltraumwaffe aber zu sehr in das Weltraumkriegskonzept Reagans, als daß er sie zugunsten der Genfer Verhandlungen opfern würde.

Warum dies so ist, wird aus einer Rekonstruktion des ASAT-Tests deutlich. Dabei soll auf veröffentlichte Daten und physikalische Gesetzmäßigkeiten zurückgegriffen werden. Es bleiben zwar zwangsläufig einige Unsicherheiten über die Genauigkeit der Angaben, doch läßt sich ein gewisser Eindruck über den realen Sachverhalt vermitteln. Aus Platzgründen sind Berechnungen hier nicht möglich, sind aber beim Autor . erhältlich.

Der ASAT-Test

Bei dem Test stiegen zwei F-15-Kampfflugzeuge mit einer 5,5 Meter langen ASAT Rakete von der Edwards Air Force Base in Kalifornien auf und flogen gen Westen über den Pazifik. Ihre Reichweite beträgt etwa 2500 km, was durch Nachtanken in der Luft auf 7500 km ausgedehnt werden kann. Etwa gleichzeitig wurde von nordamerikanischen Radars ein ausgedienter Satellit der USA erfaßt und verfolgt. Die Daten wurden an die Befehlszentrale NORAD im Cheyenne- Mountain (Colorado) weitergeleitet, wo das voraussichtliche Einsatzgebiet genau eingegrenzt wurde. Eine der beiden F- 15 flog zu einem bestimmten Planquadrat, von dem aus die Satellitenbahn erreicht werden konnte, stieg auf in 12 km Höhe und klinkte die ASAT-Rakete aus, deren 1. Stufe, eine ALTAIR-Luft-Boden Rakete aus den siebziger Jahren mit Feststoffantrieb, sogleich zündete.

In senkrechtem Anstieg gewinnt die Rakete rasch an Höhe, bis nach 140 Sekunden in etwa 80 km Höhe bei einer Geschwindigkeit von 2 km/s die 1. Stufe ausgebrannt ist und abgestoßen wird. Danach beginnt sogleich die Zündung der 2. Stufe, die auf der 4. Stufe der Scout- Rakete aus den sechziger Jahren basiert und eine hohe Zuverlässigkeit bewiesen hat. Durch Trägheitslenkung wird die Rakete in eine schräge Bahn gebracht in Richtung auf den geplanten Kollisionspunkt mit dem Satelliten. Nach 32 Sekunden in etwa 170 km Höhe ist auch diese Stufe ausgebrannt und die Endanflugsstufe „Miniature Homing Vehicle“ (MHV) fliegt mit etwa 6,8 km/ s auf einer ballistischen Bahn weiter. Der Satellit nähert sich mit einer Bahngeschwindigkeit von etwa 7,6 km/ s dem voraussichtlichen Kollisionspunkt. Bei etwa 150-200 km Abstand zwischen Abfangflugkörper und Satellit beginnt der Infrarotsensor des MHV, vermutlich ein Detektor aus dotiertem Germanium im Wellenlängenbereich von vielleicht 8- 28 Mikrometern den etwa – 30° C kalten Satelliten aufgrund seiner Wärmestrahlung zu erfassen und zu verfolgen. Nach dieser Ortung können 56 Mini- Triebwerke senkrecht zur Blickrichtung des Sensors gezündet werden, um Bahnabweichungen zu korrigieren. Die Koordination dieser Aktivitäten, die durch die stabilisierende Rotation des Flugkörpers mit 20 Umdrehungen pro Sekunde erschwert wird, erfolgt durch einen Bordcomputer automatisch. Damit wird die extrem hohe Zielgenauigkeit von weniger als 1 Meter möglich, die für eine Kollision notwendig ist. In 550 km Höhe schließlich stießen beide Objekte irgendwo über dem Pazifik zusammen und wurden durch die hohe Aufprallenergie pulverisiert. Aus dieser nüchternen Darstellung des Ablaufs ergeben sich nun weitreichende strategische Konsequenzen. Denn wenn diese ASAT-Waffe im Ernstfall tatsächlich so funktionert, wie mit dem jüngsten Test gezeigt wurde, ist jeder sowjetische Satellit, bis auf die in sehr hohen Bahnen, in wenigen Minuten praktisch ohne Vorwarnzeit auszuschalten. Dies ist zum einen möglich durch eine maximale Flughöhe von etwa 2000 km bei senkrechtem Aufstieg, die aus den gegebenen Daten errechnet werden kann. Bei schrägem Aufstieg ist die maximale Höhe geringer, doch ist dann eine seitliche Reichweite von bis zu 1200 km möglich. Damit sind die Satelliten in niedrigen Bahnen unterhalb 1000 km in jedem Fall erreichbar. Zum zweiten ist die Leistungsfähigkeit bedingt durch die Beweglichkeit der F-15-Flugzeuge, die ja auch für andere Zwecke eingesetzt werden und praktisch auf jedem größeren Flugplatz stationiert und gestartet werden können. Bei einer geeigneten Verteilung der Flugzeuge rund um den Globus können so Satelliten auf fast allen Bahnen erreicht werden. Bislang ist eine Stationierung an der Ost- und Westküste der USA geplant, so daß etwa 4 Umläufe eines Satelliten abgewartet werden müßten, bis dieser wieder in Reichweite ist, wenn es dabei bliebe.

Die Rolle der Osterinsel

Es gibt aber einen Punkt auf der Erde, der für diese ASAT-Waffe von äußerster strategischer Bedeutung ist. Dieser liegt im Südpazifik, exakt auf der gegenüberliegenden Seite der Erde zum sowjetischen Startgebiet Tyuratam für Weltraumraketen. Die Bahnen aller Satelliten von diesem Startplatz müssen sich in der Nähe dieses Antipodenpunktes ihrem ersten Umlauf notwendig kreuzen, weil ihre Bahnebenen durch den Startplatz und den Erdmittelpunkt festgelegt sind.

Allerdings liegt dieser Ort mitten im Meer und die F-15-Flugzeuge sind auf feste Start- und Landebahnen angewiesen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß der nächste nutzbare Landpunkt die chilenische Osterinsel ist, in etwas über 2700 km Entfernung. Dies liegt etwas über der normalen Reichweite der F-15-Flugzeuge, nicht jedoch, wenn sie in der Luft nachgetankt werden. Tatsächlich gibt es auf der Osterinsel eine Startbahn, und es ist bekannt geworden, daß die USA von der chilenischen Militärjunta fordern, diese Flugbahn zur Notlandebahn für das Space Shuttle bauen zu dürfen.

In der Tat könnte die Osterinsel für ein Space Shuttle von dem neuen militärischen Startzentrum in Vandenberg (Kalifornien) kurz nach dem Start erreicht werden, doch fällt bei einer Betrachtung der Osterinsel auf, daß die Verlängerung der Bahn lediglich auf 3353 Meter begrenzt ist (wegen der Inselstruktur) und damit für eine Space- Shuttle- Landung eigentlich zu kurz ist. Da die bisherigen Landebahnen etwa 4,5 bis 5 km lang sind, bestünde die Gefahr, daß das Shuttle am Ende der Bahn ins Meer rutscht. In jedem Falle wird aber die technische Infrastruktur der Insel erheblich ausgebaut, wofür auch die Zahl der 500 Techniker spricht, die auf die Insel kommen sollen. Sollte es damit tatsächlich möglich sein, die Insel für den ASAT-Einsatz vorzubereiten, könnte sie im Kriegsfall leicht im Handstreich besetzt werden.

Sobald dann ein sowjetischer Raketenstart über die amerikanischen Frühwarnsatelliten gemeldet würde, könnte ein F-15-Flugzeug starten, das in 30 Minuten etwa 1500 km zurücklegen kann. Da sowjetische Satelliten etwa 20 Minuten nach ihrem Start die Satellitenbahnverfolgungsradars der USA im Pazifik überqueren, vor allem das auf dem Kwajalein Atoll, kann die Position recht genau bestimmt und über die Einsatzzentrale NORAD an das F-15-Flugzeug weitergeleitet werden, das daraufhin die Rakete in die geeignete Richtung losschießt. Diese fliegt dann nach Zündung der beiden Stufen nach 170 s unter einem Winkel von 45° auf den nächsten Punkt der Bahn zu. Nach etwa 340 s erreicht sie den bahnhöchsten Punkt in etwa 560 km Höhe in einer Entfernung von etwa 1200 km, wo der Zusammenstoß stattfinden kann. Die seitliche Reichweite beträgt damit innerhalb von etwa 40 Minuten rund 2700 km. Dies ist fast genau der Abstand von der Osterinsel zum Kreuzungspunkt sowjetischer Satellitenbahnen. Alle Satelliten in niedriger Höhe benötigen vom Start bis zu diesem Punkt etwa 45 Minuten, so daß sein Spielraum von 5 Minuten übrig bleibt.

Sollte diese Zeit zu kurz sein, wäre es möglich, die Flugzeuge beim Feststellen von Startvorbereitungen in der Sowjetunion bereits zu starten oder sogar ständig über dem Zielgebiet kreisen zu lassen. Dies käme vor allem dann in Betracht, wenn die Sowjetunion Satelliten von der anderen Startanlage in Plesetsk startet, die im Nordwesten von Tyuratam liegt. Der (durch die Erddrehung etwas verschobene) Antipode dazu ist von der Osterinsel etwa 5500 km entfernt, ist also mit Nachtanken in der Luft erreichbar.

Kriegsschauplatz Südpazifik?

Die angestellten Überlegungen sind natürlich kein Beweis für eine Absicht der USA, die Osterinsel zur Startbahn für den Weltraumkrieg zu machen, aber sie ergeben zusammen einen begründeten Verdacht würde die Osterinsel in eine Basis für die neue ASAT-Waffe der USA umfunktioniert, so könnte der Sowjetunion theoretisch wie mit einem Riegel der Zugang zum Weltraum versperrt werden. Dies würde ihr auch die Möglichkeit rauben, bereits abgeschossene Satelliten wieder zu ersetzen. Insbesondere sind von dort aus auch die bislang Unverlenklichen und sehr wichtigen sowjetischen Frühwarn- und Kommunikationssatelliten auf einer hochelliptischen Umlaufbahn erreichbar, die über der Südhalbkugel bis auf etwa 506 km an die Erde herankommen. Zudem könnte die Sowjetunion davon abgehalten werden, die USA beim Aufbau ihres Raketenabwehrsystems zu stören. Es ist anzunehmen, daß die Sowjetunion versuchen würde, dies durch Gegenmaßnahmen zu verhindern.

In einer Krise oder einem Krieg hat die Osterinsel also zwangsläufig eine große strategische Bedeutung, die sie und die umgebende Pazifikregion zum potentiellen Kriegsschauplatz macht. Vorsorglich hat Chiles Diktator Pinochet ein Gebiet von 200 km um die Osterinsel zu chilenischem Hoheitsgebiet erklärt. Dies alles dürfte kaum im Interesse der benachbarten Staaten liegen, die sich einer zunehmenden Militarisierung dieser Region gegenübersehen und um eine atomwaffenfreie Zone Südpazifik bemühen. Insbesondere die chilenische Militärregierung könnte zunehmende Schwierigkeiten bekommen, der eigenen Bevölkerung angesichts der wachsenden Probleme nun auch noch die Beteiligung am Weltraumkrieg der USA schmackhaft zu machen. Ohne eine Einbeziehung der gesamten Erdkugel, einschließlich des letzten Winkels der Welt, dürfte der „Krieg der Sterne“ aber nicht zu realisieren sein.

Jürgen Scheffran, Marburg, Diplomphysiker