Zonen ungleicher Sicherheit.

Zonen ungleicher Sicherheit.

Interview mit John Pike, Associate Director for Space Policy, Federation of American Scientists

von John Pike, J. Altmann und J. Scheffran

Bundeskanzler Kohl hat am 18. 4. 85 im Bundestag gesagt, daß der ABM-Vertrag von 1972 kurz- und mittelfristig aufrechterhalten werden müsse. In welchem Stadium des SDI-Projektes würde dieses Abkommen ihrer Meinung nach verletzt?

Beginnend 1988 mit dem Test des Airborne Optical System. Das ist die erste, unmittelbarste und offensichtlichste Demonstration im Rahmen von SDI, die unvereinbar mit dem Abkommen wäre. Darauf folgen eine Reihe von 1991 beginnenden Demonstrationen verschiedener weltraumgestützter Waffen und Sensoren, die ebenfalls mit dem Abkommen unvereinbar wären. All diese Tests würden lange vor einer Entscheidung, ob ein solches System stationiert werden sollte oder stationiert wird, stattfinden.

Jeder sagt, das SDI-Programm sei lediglich ein Forschungsprogramm. Ist das richtig?

Es ist ebenso Entwicklung, ebenso Test. Es gibt insbesondere in der Europäischen Debatte die Tendenz, zwischen Forschung, die nach dem ABM-Vertrag vollständig erlaubt ist und der Entwicklung, die verboten ist, zu trennen. In der Tat unterwirft der ABM-Vertrag während er Forschung zuläßt, Tests sehr strengen Beschränkungen. Aber gerade darum geht es vor allem in SDI, um Tests.

Bundeskanzler Kohl hat gesagt, daß Destabilisierungen beim Übergang zu einem defensiv orientierten System vermieden werden sollten. Welche Destabilisierungen könnten auftreten, wenn das SDI-Programm realisiert würde?

Die klassischen Destabilisierungen, die man nennen müßte, wären eine erhöhte Gefahr in Krisensituationen und ein weiterer Rüstungswettlauf. Die Regierung hat deutlich gemacht, daß sie wenig Hoffnung in die Verhinderung des Rüstungswettlaufs setzt. Der Hoffmann- Report hat gesagt, daß die wahrscheinlichste sowjetische Antwort auf eine SDI-Produktion ein Ausbau ihrer Offensivpotentiale wäre. Der Fletcher-Report hat gesagt, daß die UdSSR wahrscheinlich ihr Offensivarsenal auf bis zu 30.000 Sprengköpfe vervierfachen würde und der Regierungs- Report vom März an den Kongreß fahrt als erste Gegenmaßnahme, die die UdSSR ergreifen würde, einen Ausbau ihrer offensiven Systeme an. Also, ich denke, daß es eine generelle Übereinstimmung gibt, daß eine der Konsequenzen auf SDI eine Ankurbelung des Rüstungswettlaufs durch den Ausbau der sowjetischen Offensivsysteme wäre. Was die Gefahr in Krisensituationen betrifft, ist schon lange erkannt worden, daß nicht- perfekte Verteidigungssysteme die Gefahr erhöhen, weil ein undichter Schirm effektiver gegen einen Vergeltungs- als gegen einen umfassenden Erstschlag ist. Das ist auch die Erkenntnis, die die UdSSR gewonnen hat.

Wie ist das mit einem begrenzten Atomkrieg in Europa? Die Europäer fürchten, daß ein Atomkrieg auf Europa begrenzt werden könnte, weil die USA einen Schutzschirm hätte.

Es gäbe eine deutliche Abkopplung durch SDI weil schließlich eine der technologischen Prämissen von SDI eine mehrschichtige Verteidigung ist. Auch wenn jede Schicht nicht ganz dicht ist, wurden nur sehr wenig oder gar keine Sprengköpfe das Verteidigungssystem durchdringen, wenn genügend Schichten zwischen dem Angreifer und dem Verteidiger errichtet werden könnten. Diese Art 5- oder 6-schichtiger Verteidigung mag noch plausibel erscheinen, wenn man von der Verteidigung Nordamerikas spricht. Was aber die Verteidigung der Völker in Zentraleuorpa betrifft, gibt es einfach nicht genug Entfernung, um mehr als ein oder zwei Abschirmschichten zu installieren.

Sie meinen, es kann keinen Schirm oder Schutz für Europa geben?

Ich glaube wohl, daß es technologische Möglichkeiten für einige Typen von Ratetenabwehrsystemen für Europa gibt, aber ich glaube es wäre schwierig, die Schaffung von Zonen ungleicher Sicherheit zu verhindern. Das bedeutet, daß verschiedene Teile der Allianz sehr unterschiedliche Risikoanteile im Falle des Ausbruchs kriegerischer Handlungen hätten.

Das Interview führten J. Altmann und J. Scheffran für den Informationsdienst am 7. Mai 1985.

Die Wende in der Wissenschaft

Die Wende in der Wissenschaft

von Rainer Rilling

Die Forschungsprojekte zur Militarisierung des Weltraums – seien sie nun transatlantisch (SDI) oder europäisch (WEU/EUREKA) organisiert – stoßen in neue Dimensionen vor. Allein das Volumen der „Strategic Defense Initiative“ entspricht den jährlichen Gesamtausgaben für Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Die „strukturelle Neuordnung der europäischen Forschungspolitik“ (L. Späth) durch die Etablierung einer militärisch relevanten Hochtechnologie- und Weltraumforschung wird die forschungspolitische Landschaft der BRD tiefgreifend verändern. Die Wende in der Forschungspolitik steht an.

SDI und Forschungspolitik

Seit einem Jahrzehnt nimmt der Anteil der militärischen Forschung an den nationalen Wissenschaftsbudgets aller entwickelten westlichen Industriestaaten ununterbrochen zu. Allein in den USA haben sich zwischen 1980 und 1985 die Mittel für militärische Forschung real nahezu verdoppelt (+88 %), während sie im zivilen Bereich um über 30 % zurückgingen. Diese Verlagerung, deren neues Symbol das SDI-Projekt ist, markiert die Durchsetzung eines „neuen“ forschungspolitischen Entwicklungsmusters – das freilich so neu nicht ist. Schon in der Zeit zwischen Kriegsende und Mitte der 60er Jahre spielte die Rüstungsforschung in der staatlichen Forschungspolitik der westlichen Industriestaaten die dominierende Rolle (Frankreich, England, USA, zunehmend BRD). In einer zweiten Phase setzte sich dann eine Auffächerung des Spektrums forschungspolitischer Staatsintervention durch, in deren Zeichen die Förderung zivilindustrieller, infrastruktureller und – mit Abstand – auch sozialstaatlicher Bereiche an die Spitze der Forschungsprioritäten rückte. Diese Entwicklung – ausgeprägt vor allem in der Bundesrepublik – wurde in den USA durch den Vietnamkrieg abgeschwächt bzw. zeitlich verschoben und damit zugleich abgekürzt, denn schon Mitte der 70er Jahre (1974/76) setzte der Übergang zu einer dritten Phase ein. In den USA ist unter der Regierung Carter der reale Rückgang der Aufwendungen für militärische Forschung nach dem Ende des Vietnamkrieges gestoppt und in eine stete Aufwärtsentwicklung umgekehrt worden, die unter der Regierung Reagan dann außerordentlich beschleunigt wurde und zu Lasten der sozialstaatlichen, aber auch infrastrukturell bzw. zivilwirtschaftlich ausgerichteten Forschungsförderung geht.

Ursachen des Strategiewechsels

Die gegenwärtige forschungspolitische Auseinandersetzung geht in allen entwickelten westlichen Industriestaaten um diese „Trendwende“. Sie bildet auch zunehmend den Hintergrund der Reprioritierung der Forschungsmittel zugunsten der Hochtechnologieförderung und „Spitzentechnologie“.

Die „Wende“ in der Forschungspolitik, deren Beginn in den USA etwa 1975/ 76 anzusetzen ist, hat zwei Ursachen: zunächst die Neubewertung der militär- und außenpolitischen Strategie in den Elitegruppen der USA, die in eine Aufwertung der Rolle militärischer Optionen zur Verwirklichung jenes außenpolitischen Einflußpotentials einmündete, das aufzubauen die entspannungspolitische Variante der frühen 70er Jahre nach Ansicht dieser Gruppen nicht imstande war.

Die für die USA negative Veränderung der Weltmarktposition und der Verlust einst unbestritten hegemonialer Positionen im Weltwissenschafts- und Weltproduktionssystem war der zweite Ursachenkomplex, der zum forschungspolitischen Strategiewechsel in Richtung auf verstärkte Rüstungsforschung führte.

Zur Begründung der neuen forschungspolitischen Strategie

Die konzeptionellen Begründungen und Merkmale der nunmehr dominierenden forschungspolitischen Strategievariante sind in den USA früh entwickelt worden.

  1. Militärtechnologische Überlegenheit ist die Voraussetzung für die Realisierung verschiedener militärstrategischer Optionen. Die Verwissenschaftlichung der Kriegsführung hat eine neue Entwicklungsstufe erreicht – Militärtechnik und „High Tech“ werden immer mehr Synonyme. Hochtechnologiepolitik wird entscheidend für die Realisierung der militärstrategischen Optionen – und treibt deren Ausarbeitung zugleich voran. Darüber hinaus ist ein qualitativ neuer, ausgreifender Zugriff der militärischen Seite auf die Wissenschaft notwendig: Der militärische Innovationszyklus verkürze sich, die Spanne zwischen Grundlagenforschung und militärischer Anwendung schrumpfe, die Grundlagenforschung sei daher in ganz anderer Weise militärisch relevant als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten.
  2. Die neuen militärischen und zivilen Technologien konvertierten. Sie überlappten sich immer mehr. Die neue Technik sei multifunktional und daher für militärische wie zivile Verwendungszwecke geeignet („dual-use“). Diese Veränderung habe weitreichende forschungsstrategische Konsequenzen. Nicht nur bringe somit militärische Technologiepolitik in ganz anderer Weise als noch in den 50er und 60er Jahren einen zivilen „spin-off“ mit sich; auch bislang zivile Forschung und Technik werde jetzt militärisch nutzbar und damit relevant. Hier entsteht also eine bestimmte Vorstellung des Zusammenhangs von Technologie und militärischer Praxis: auf der einen Seite die ausschließlich oder vorwiegend zivile Forschung, auf der anderen Seite die eindeutig militärische Forschung und dazwischen ein wachsendes, mehr oder weniger breites Feld „sensitiver“, militärisch relevanter“ oder „kritischer" „Dual-Purpose-Technologie“. Diese Konzeption wurde bereits um die Mitte der 70er Jahre von der amerikanischen Militäradministration entwickelt. Anfang der 80er Jahre wurden von Seiten der CIA, der National Security Agency und auch des Handelsministeriums kurzweg Laser, Computer, Mikroelektronik, die gesamte Genforschung und die Luftfahrtforschung als militärische relevant bezeichnet.

Diese Einschätzungen führten zu forschungsstrategischen Konsequenzen, die sich in der Praxis militärischer Wissenschaftspolitik der USA zum Teil bereits seit Mitte der 70er Jahre beobachten lassen. Sie sind auch für die Entwicklung in der Bundesrepublik von Bedeutung.

Mehr Mittel für Rüstungsforschung

Vor allem seit 1980/81 wird der Anteil der Wissenschaftsressourcen in der Bundesrepublik, die für militärische Zwecke verwandt werden, rasch ausgedehnt. Das Gesamtbudget militärisch relevanter Forschung liegt in der BRD 1985 bei rund 6 Mrd DM. Die Bundeswehrplanung bzw. das neue FuE- Konzept des Bundesministeriums der Verteidigung sehen bereits heute für die nächsten Jahre beträchtliche Zuwachsraten vor.

Sollte sich die BRD auch nur mit einem Kostenanteil von 10 v. H. an der SDI-Forschung beteiligen, würden 1989 rund 52 v. H. der gesamten FuE-Ausgaben des Bundes für Weltraum- und Rüstungsforschung ausgegeben. Ganz offensichtlich würden auch nur Ansätze einer solchen Umverteilung von Forschungsmitteln den seit einigen Jahren sich vollziehenden Abbau solcher Forschungsbereiche außerordentlich beschleunigen die ein Potential zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung haben. In den USA ist dieser Prozeß seit 1981/82 in vollem Gange; auch in der Bundesrepublik wird der massive Ausbau der Rüstungsforschung über SDI die Lage der zivilen und insbesondere der sozial nützlichen Forschung rasch verschlechtern.

Bedeutungszuwachs der Hochtechnologiepolitik

Das Militär gibt der Förderung von Hochtechnologiebereichen ein zentrales Gewicht und ist in den USA innerhalb des staatlichen Förderungsapparats mittlerweile zur bei weitem wichtigsten Finanzierungs- und Planungsstelle der Hochtechnologiepolitik geworden. Zu den besonders Beförderten Gebieten zählen Biotechnologie, Elektronik, Lasertechnologie, Computer- und Robotertechnik sowie Weltraumforschung. Ähnliche Tendenzen vor allem auf dem Sektor der Informationstechnologien existieren auch in der Bundesrepublik.

Aufwertung der zivilindustriellen Funktion der militärischen Forschung

Die behauptete Konvergenz oder Koinzidenz militärischer und ziviler Technologie wird zum Anlaß einer offensiv gewendeten Argumentation: da das kommerzialisierbare Potential der Rüstungsforschung gegenüber der Situation noch vor einigen Jahrzehnten qualitativ gestiegen sei, müsse militärische Forschungsförderung als Industriepolitik konzipiert werden, d. h. als Versuch einer militärisch gesteuerten und kontrollierten Entwicklung solcher Hochtechnologiesektoren, die insbesondere in Japan, großenteils aber auch in der BRD gegenwärtig noch unter zivilindustriellen Vorzeichen gefördert werden. Wenn der Aspekt zivilindustrieller Kommerzialisierbarkeit der „dual-purpose“-Technologie in der militärischen Wissenschaftspolitik an Bedeutung gewinnt, dann geht es um direkte Industrieförderung. Das Rüstungskapital soll als Führungssektor auch zivil verwendbarer Technologie etabliert werden.

Allerdings scheint es fraglich zu sein, ob im SDI-Projektverbund der Aspekt einer Stärkung des zivilkommerziellen Potentials der amerikanischen Rüstungsindustrie eine so gewichtige Rolle spielt, wie etwa von der Bundesregierung behauptet wird.

Ausbau und militärische Kontrolle der zivilen Forschung

Wenn zivile und militärische Technologie sich funktionell zunehmend überlappen (dual-propose), kann der sichernde und steuernde Zugriff auf das zivile Forschungssystem militärisch entscheidend werden. So behauptet das DOD, daß der Bedeutungsverlust militärischer Forschung in den 70er Jahren begleitet gewesen sei von einer zunehmenden militärischen Relevanz der zivilen Forschung. Sie sei daher zu kontrollieren – daher die 1976 konzipierten, aber erst seit 1980 in der Realisierung begriffenen Versuche zur Ausdehnung der Geheimhaltung und Zensur über militärische FuE hinaus auf die „graue“ oder „sensitive“ zivile Forschung. Das DOD geht davon aus, daß aufgrund der wachsenden Verflechtung ziviler und militärischer Technologien wesentliche, militärisch relevante Innovationen im zivilen Sektor entstanden sind und weiter entstehen. Wenn nun – in weitaus ausgreifenderer Weise als bisher – der US-Militär-Industrie-Komplex auf eine Einbeziehung des westeuropäischen Rüstungskapitals in des SDI-Forschungsprogramm drängt, steht dahinter auch der Versuch der Aufschließung militärisch relevanter, auf dem zivilen Markt zugleich konkurrierender europäischer zivilindustrieller Technologien. Das bedeutet, daß auch in der Bundesrepublik bislang von – sekundärem – militärischem Verwertungsinteresse freie Sektoren der zivilen Forschung einem indirekten militärischen Nutzungsinteresse unterliegen werden.

Stärkung der militärischen Grundlagenforschung

Die Verteilung der Mittel für Rüstungsforschung nach Forschungsstufen zeigt zwar, daß in den USA der Anteil für militärische Grundlagenforschung am FuE- Budget des Pentagon rund 1/3 bis 1/4 niedriger liegt als der Anteil der Grundlagenforschung am nationalen FuE- Budget insgesamt. Auch geht die Verlagerung der Forschungsförderung auf den Rüstungssektor zunächst einher mit einer Benachteiligung der Grundlagenforschung. Das DOD gibt für Entwicklungsarbeiten den zehnfachen Betrag aus, als im zivilen Bereich dafür investiert wird. Rüstungsforschung schwächt die Grundlagenforschungsbasis, von der allein die Initiativen für grundlegende Basisinnovationen ausgehen können. Betrachtet man jedoch ausschließlich den Bereich der Grundlagenforschung, dann hat das DOD sein Engagement seit 1976/77 kontinuierlich verstärkt, da es davon ausgeht, daß mit der Verkürzung des militärischen Innovationszyklus zumindest einzelne Sektoren der Grundlagenforschung unmittelbar militärisch relevant werden. Die Mittel für militärische Grundlagenforschung sind von 305 Mio Dollar in 1975 auf 982 Mio Dollar „Soll“ in 1986 gestiegen. In der Bundesrepublik würde der Aufbau eines großen Programms militärischer Weltraumforschung zur Etablierung eines breiten Sektors militärischer Grundlagenforschung führen, den es bisher so noch nicht gibt.

Wachsende Einflußnahme auf die Hochschulen

Bereits 1980 stammte in den USA jeder dritte Dollar, der an den Hochschulen für Forschung ausgegeben wurde, vom Pentagon. Diese enge Verbindung der amerikanischen Hochschulen mit dem DOD ist nicht neu, sondern entstand im zweiten Weltkrieg und vertiefte sich in den 50er Jahren. Hochschulen und Colleges haben das Pentagon und die Welt mit einer endlosen und erschreckenden Serie von Diensten und Waffen versorgt, einschließlich Radar, Lenkwaffen (Raketen), Napalm, Atombomben. Innerhalb der Hochschulforschung steigt das Gewicht der Rüstungsforschung. Das „neue“ Interesse des Militärs an der Grundlagenforschung betrifft auch in der Bundesrepublik in erster Linie die Hochschulen, an den 70-80 % der gesamten Grundlagenforschung durchgeführt wird. Damit aber wird sich die Rolle der Hochschulen im System der Rüstungsforschung der BRD wesentlich ändern: die Zeit, in der für ihre Arbeit Forschung und Entwicklung für Militär- und Rüstungszwecke vergleichsweise irrelevant war, ginge dann zu Ende. Die über die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes verfolgte „Erleichterung“ der Drittmittelforschung an den Hochschulen und die sich damit vollende vollziehende Abkoppelung der Drittmittelforschung von inneruniversitärer öffentlicher Kontrolle sichert dann – ob beabsichtigt oder nicht – diese Veränderung ab. Rüstungsforschung wie militärisch relevante Forschung werden dann ein weit höheres Gewicht innerhalb der Hochschulforschung erhalten. Ausdehnung der Rüstungsforschung bedeutet auch Vordringen von Geheimhaltung.

In der Bundesrepublik hat der Konflikt um die technologie- und forschungspolitische Absicherung der Weltraumrüstung erst begonnen. Sie wird die wissenschafts- und wahrscheinlich zunehmend auch die hochschulpolitische Diskussion in den nächsten Jahren immer stärker prägen. Die Gegenkräfte zur avisierten „Neuordnung“ beginnen sich erst zu formieren. Ihre Chancen stehen angesichts des Gewichts der Friedensbewegung im Wissenschaftsbereich nicht schlecht.

Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Marburg und Geschäftsführer des BdWi.

SDI – das Geschäft des Jahrhunderts

SDI – das Geschäft des Jahrhunderts

von Christopher Cohen, Karlheinz Müller

In der Diskussion um die „Strategic Defense Initiative“ stehen bislang Fragen nach der militärstrategischen Tauglichkeit und der technischen Machbarkeit im Vordergrund. Also: dient die Militarisierung des Weltraums wirklich der Verteidigung oder ist sie in gefährlicher Weise destabilisierend? Ist es möglich, einen hundertprozentig wirkenden Schutzschild gegen Atomraketen aufzubauen? Wenn nicht, welchen Charakter hat ein solches Abwehrsystem im Rahmen offensiver Optionen? Seitdem sich herumgesprochen hat, daß SDI „das teuerste Forschungsprogramm (ist), das es je gegeben hat“ 1, geraten die Fragen der Ökonomie stärker ins Blickfeld. Dabei wird zumeist problematisiert, ob ein solches Raketenabwehrsystem Überhaupt finanzierbar sei. Vor allem die seitens der USA nunmehr betriebene Einbindung Westeuropas in SDI hat hierzulande die Frage aufkommen lassen, welche Belastungen der Bundeshaushalt dadurch erfahren würde. Zu wenig ist bis dato darüber geredet worden, daß mit SDI auch Geschäft gemacht wird. Wenn es realisiert würde, einträglicher als Rüstungsaufträge je zuvor!

Innerhalb von fünf Jahren soll die Rekordsumme von über 24,2 Mrd. $ unmittelbar von dieser Initiative verschlungen werden 1. Die Dimensionen werden in Vergleichen mit dem Apollo-Programm oder dem Manhattan-Projekt beschrieben. 2 Sollte die strategische Raketenabwehr in Produktion gehen, würde sie alle Rekorde bisheriger Rüstungsausgaben in de r Geschichte der Menschheit in den Schatten stellen.

Mit einem geschätzten Umfang von 500 Mrd bis zu 1,25 Billionen $ 3 wäre sie: DAS JAHRHUNDERTGESCHÄFT!

Ausgehend von dieser Erkenntnis ist es notwendig, den ökonomischen Rahmen der SDI genauer zu untersuchen und die mit der Errichtung einer strategischen Raketenabwehr verbundenen Interessen zu beleuchten, um die ökonomische Bedeutung der SDI adäquat bestimmen zu können.

Der Umstand, daß die Ausgaben des DoD (Department of Defense, Verteidigungsministerium) für SDI-R&D (Research and Development, Forschung und Entwicklung) erst einen relativ kleinen Anteil (1984 = 3,7 %) an den gesamten R&D Ausgaben des DoD ausmachen 4, verschleiert, daß schon mit den jetzigen, relativ geringen Ausgaben, entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt werden.

Tatsächlich lassen sich absolut betrachtet beträchtliche Ausgaben für SDI nachweisen, allein im Haushaltsjahr 1984 betrugen sie annähernd 1 Mrd $.5

Für SDI-R&D sind in der Planung des DoD-R&D-Budgets der nächsten Jahre überproportionale Steigerungen vorgesehen. Die Ausgaben im Budget 1986 werden ca. das 2,5-fache der Ausgaben für 1985 erreichen 6 und über 28 % der realen Steigerung der Gesamtausgaben für R&D in den USA vereinnahmen.7

1989 soll der SDI-Anteil am DoD-R&D-Budget 15,7 % betragen 8, das sind über 4,5 % der staatlichen und privaten Gesamtausgaben für R&D in den USA.9

Entsprechend dem frühen Stadium der Entwicklung sind für fast alle Projekte sowie das Gesamtsystem konzeptionelle Grundüberlegungen und Planungen eingeleitet worden, mit denen die Rüstungskonzerne durch entsprechende Verträge betraut worden sind.

Verwiesen sei insbesondere auf die „system architecture“- Verträge. Um diese 10 Aufträge (zu je 1 Mio $), Gesamtkonzeptionen für ein integriertes Abwehrsystem zu erstellen, bewarben sich über 240 Rüstungsfirmen. Im Dezember 1984 erhielten Mc Donnell Douglas, Lockheed, Teledyne, TRW, Rockwelt International, Martin Marietta, Hughes Aerospace, Sparta, General Research und Science Applications den Zuschlag. 10

Für Einzelprojektstudien wurden vom DoD ähnliche Verträge nur die Planung vergeben oder befinden sich in: der Ausschreibung.

Die frühe Beteiligung der Rüstungsfirmen an den SDI-Planungsprozessen mittels dieser Konzeptionsverträge sichert ihnen einen wichtigen Einfluß auf Entscheidungen über Produktionsbeginn und Ausgestaltung des ABM-Systems. In allen Teilbereichen der SDI ist die Rüstungsindustrie mit der Beurteilung der Durchführbarkeit und möglichen Ausgestaltung der Einzelprojekte beauftragt und somit in die wesentlichen Entscheidungsprozesse integriert. Es ist zu befürchten, daß die Grundentscheidung, ob eine weltraumgestützte BMD errichtet werden soll, dem parlamentarisch- politischen Prozess weitgehend entzogen ist und dessen Spielraum lediglich in der Frage der Ausgestaltung des Systems besteht.

Die Konzerne werden ihren Einfluß v. a. für einen baldigen Produktionsbeginn geltend machen, da in der Produktion höhere Renditen als in der Forschung und Entwicklung zu erwarten sind. So auch ein Repräsentant eines Rüstungskonzerns gegenüber der „Washington Post“: „Jeder weiß, daß man kein Geld mit technologischen Forschungsprogrammen macht. Wir brauchen die Produktion!“11

Der hohe Einfluß privatwirtschaftlicher Unternehmen auf die SDI- Planung und -Gestaltung macht sich auch anhand der jetzt schon zu verzeichnenden Konzentration auf wenige, große Firmen fest. Die 10 größten Vertragsnehmer im Haushaltsjahr 1983 und 1984 für SDI erhielten alleine 80 % der zu vergebenden Aufträge.12

Interessanterweise sind die meisten dieser Konzerne auch die führenden Vertragspartner in der Entwicklung und Produktion der neuen Offensivwaffensysteme:13

Boeing – MX- Rakete, B 1-Bomber, Cruise Missile
McDonnell Douglas – Cruise Missile
Lockheed – Cruise Missile, Trident
LTV Aerospace – B l-Bomber
TRW – MX-Rakete
Rockwell Int – MX-Rakete, B 1- Bomber
Martin Marietta – MX-Rakete, Pershing II
Hughes – Cruise Missile
Litton – Cruise Missile

Daß es keine moralischen Gründe sind die die Rüstungsunternehmen zur Arbeit an „defensiven“ Waffensystemen treiben, ist anzunehmen: „Hier ist eine kolossale Menge Geld drin, und an dieser Art Tätigkeit ist Boeing interessiert. Wenn wir etwas für die Regierung tun können, das in unseren Kräften liegt, und das Geld bringt, dann werden wir es tun. Wir sind keine Philantropen.“14

Neben einer Konzentration auf wenige Firmen kann auch eine geographische Konzentration festgestellt werden. Vier Bundesstaaten ragen mit den größten SDI-R&D-Anteilen heraus: Californien (49,3 %), Washington (22,5 %), Alabama (9,9 %) und Texas (6,4 %). 15

Aus dieser hohen geographischen Konzentration ergeben sich schwerwiegende Auswirkungen auf die. Entscheidungsprozesse in den Häusern des Kongresses. Die Senatoren und Abgeordneten dieser Bundesstaaten werden einem erhöhten Druck ausgesetzt, sich für die SDI und alle damit verbundenen Konsequenzen einzusetzen. Ca. 99 % der seit 1983 vergebenen Aufträge für die Entwicklung des strategischen Abwehrsystems flossen in solche Bundesstaaten oder Distrikte, deren Abgeordnete und Senatoren in den Schlüsselausschüssen Für militärpolitische Fragen vertreten sind.16

Ihren Einfluß auf die militärpolitischen Entscheidungen sichern sich rüstungsorientierte Firmen über Lobbyisten, Political Action Committees, die die Wahlkämpfe der Abgeordneten und Senatoren finanzieren, sowie durch direkte Beteiligung in Planungs- und Beratungsausschüssen des DoD.17

Das starke Drängen dieser Großunternehmen auf Verwirklichung der SDI in der Produktion gründet auf die riesigen, kaum abzuschätzenden finanziellen Ausmaße dieses Jahrhundertgeschäfts und der erhofften Gewinne.

Die US-amerikanische Union of Concerned Scientists geht in ihrer Studie über eine weltraumgestützte Raketenabwehr davon aus, daß „viele Hundert Milliarden Dollar“ zur Produktion aufgewendet werden müßten 18. Eine Realisierung des Projekts hätte ungeheure Auswirkungen auf die US-Ökonomie und insbesondere den Staatshaushalt. 1985.wird das Haushaltsdefizit der USA bereits 700 Mrd DM betragen, die USA werden erstmals in ihrer Geschichte zum Nettoschuldnerland werden. 1986 werden sie bereits das größte Schuldnerland der Erde sein. 19

Diese Prognosen in all ihrer Dramatik haben die Kosten für SDI noch nicht einbezogen. Ginge die SDI in Produktion, hätte das eine zusätzliche wesentliche Verschärfung dieses Defizits zur Folge.

Parabel dazu gäbe es eine weitere Umverteilung staatlicher Mittel aus bereits jetzt stagnierenden Industrien in die stark monopolisierte Rüstungs- und Elektronikindustrie, nicht zu vergessen einen noch massiveren Sozialabbau.

Das Rechtfertigungsargument zu erwartender Technologieentwicklungen, die für die gesamte US-Industrie, inklusive der zivilen, nutzbar gemacht werden könnten, – Hauptargument, um auch das europäische Kapital für das Vorhaben eines weltraumgestützten BMD-Systems zu gewinnen – vermag angesichts der skizzierten Gefahren kaum zu überzeugen.

In den Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung wird in Zukunft stärker darauf einzugehen sein, welche Interessen des „big business“ mit der SDI verbunden sind, welche Auswirkungen sie auf die US-amerikanische und europäische Ökonomie haben wird und welche Bündnispartner resultierend aus dieser Erkenntis für den Kampf gegen ein strategisches Raketenabwehrsystem gewonnen werden können und müssen.

Wachstum in den Ausgaben für SDI von Haushaltsjahr 1985 auf 1986 nach
Programmelementen
Programmelemente 1985 Budget in Mio.$ 1986 Forderung in Mio.$ Wachstum 85–86 in %
Ortung, Identifizierung und Verfolgung 546 1386 154
Laser- und Teilchenstrahlenwaffen 376 965 157
Konventionelle Waffen 256 860 236
Systemanalyse und Gefechtsführung 99 243 145
Unterstützungsprogramme 112 258 130
SDI Total 1389 3712 167
Strategic Defense – Haushalt (Planung) in Mio $
Programmelement 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1985–1989
Ortung, Identifizierung und Verfolgung 367 721 1491 1944 2656 3331 10143
Laser- und Teilchenstrahlenwaffen 323 498 1020 1222 1377 1437 5545
Konventionelle Waffen 196 356 870 1274 1514 1683 5697
Systemanalyse und Gefechtsführung 83 99 138 227 260 288 1012
Unterstützungprogramme 23 112 271 322 453 666 1824
SDI Total 992 1777 3790 4989 6260 7405 24221
Die Top 10 SDI-Vertragspartner
Konzern 83/84 Verträge in % der Gesamtausgaben
Höhe von (in Mio $) für SDI des DoD
Boeing 320,343 21,3
McDonnel Douglas* 237,76 15,9
Lockheed* 231,727 15,5
LTV Aerospace 90,989 6
Teledyne* 88,057 (Angaben 83 fehlen)
TRW* 70,064 4,7
Rockwell International* 55,097 3,7
Martin Marietta* 40,974 2,7
Hughes* 39,001 2,6
Litton 25,316 1,7
Total 1199,328 80
* Diese Konzerne erhielten einen „System
Architecture“-Vertrag
Quelle: CEP- Studie, S. 42

Anmerkungen

1 Council an Economic Priorities (CEP) (Hrsg.), „Star Wars: The Race of Contracts. A Draft Report by William Hartung and Rosy Nimroody.“, unv. Manuskript Jan. 1985, S. 14, im folgenden: CEP-Studie. Zurück

2 Robinson Jr. Clarence A., „Study Urges Exploiting of Technologies“, in: Aviation Weck & Space Technology v. 24. Okt. 1983, S. 50; DeLauer, Richard, DoD Unterstaatssekretär nur Forschung und Entwicklung, zit. in: Hartung, William/ Nimroody, Rosy, „What Price Strategie Defense?“, in: CEP-newsletter, Jan. 1985, S. 2. Zurück

3 Steinhaus, Kurt, „Wie stark sind die USA wirklich?“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/1984, S. 1097. Zurück

4 CEP-Studie, S. 15. Zurück

5 Aerospace Daily, 8. Feb. 1984, zit. nach Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a. O., S. 2. Zurück

6 CEP-Studie, S. 24. Zurück

7 Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a. O., S. 4. Zurück

8 CEP-Studie, S. 5 Zurück

9 Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a.O. S. 2.Zurück

10 CEP-Studie, S. 16, S. 42, S. 68.Zurück

11 Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a.O. S. 3.Zurück

12 CEP-Studie, S. 41.Zurück

13 ebd., S. 43; Murphy, Paul, Tobias, Kochelle, „Record Awards Mark Arms Buildup“, CEP-newsletter, Okt. 1983, S. 2Zurück

14 CEP-Studie, S. 52 f.Zurück

15 ebd., S. 47. Die prozentualen Angaben wurden von den Verfassern nachgerechnet und korrigiert.Zurück

16 ebd. Zurück

17 Vgl. Adams, Gordon, „The Iron Triangle. The Politics of Defense Contracting.“, New York 1981.Zurück

18 Union of Concerned Scientists (Hrsg.), „Space- Based Missile Defense“, Cambridge Mass., März 1984, S. 3.Zurück

19 Zellner, Wolfgang, „Wettlauf mit der Zeit“ in: DVZ v. 8.3. 1985, S. 10, zur Wirtschaftsentwicklung in den USA vgl. Steinhaus, Kurt, a.a.O., S. 1089 ff.; Will, Helga, „Wirtschaftsentwicklung in den USA“, in: IPW-Berichte, Nr. 6/1984, S. 39 ff.Zurück

Christopher Cohen und Karlheinz Müller arbeiten in einem Projekt „SDI und Rüstungswirtschaft“ an der Universität Marburg.

„SDI“ – Wird Europa totgeforscht?

„SDI“ – Wird Europa totgeforscht?

von Jürgen Scheffran

Abzusehen war, daß die USA eine Zustimmung ihrer europäischen NATO-Verbündeten zu ihrem „Star-Wars“-Programm neuerdings auch „Strategische Verteidigungsinitiative“ (SDI) genannt, einfordern würden. Überrascht hat jedoch viele in welchem Tempo und mit welcher Unverfrorenheit es geschah: In nur drei Monaten – von der Wehrkundetagung Anfang Februar bis zum Reagan- Besuch Anfang Mai – soll eine Entscheidung Westeuropas erzwungen werden. Die Öffentlichkeit soll vor vollendete Tatsachen gestellt werden, bevor die Friedensbewegung ihre Aufklärungsarbeit breit entfalten kann.

Der Wilkinson Report

Während sich die westeuropäischen Regierungen zunächst skeptisch bis kritisch äußerten, bastelten SDI-Enthusiasten hinter den Kulissen eifrig an einem Star-War-Programm für Europa. Dabei sollten vor allem die Bestrebungen zur Reaktivierung der Westeuropäischen Union und ihre Entwicklung zu einer Rüstungskoordinationsbebörde genutzt werden.

Der Engländer Wilkinson stellte seinen Report „The military use of space“ im Juni 1984 der WEU-Versammlung vor und empfahl ein militärisch orientiertes Raumfahrtprogramm der Europäer.1

Die zivile ESA sollte dabei von einbezogen werden: Was aus der NASA seit ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Pentagon wurde, ist bekannt (…)

Zum Aufbau einer Weltraummacht Westeuropa sollten eingeplant werden: eine bemannte Raumstation, die Ariane-Rakete, ein Mini-Shuttle („Hermes“), und verschiedene Satellitenprogramme. Zum „Schutz“ dieser Satelliten wurden Anti- Satelliten- Waffen gefordert. 2 Die in diesem Report ausgesprochene Unterstützung für das Programm Präsident Reagans wurde im Wilkinson-Report/Teil 2 im Dezember 1984 konkretisiert und der WEU vorgelegt.3 Doch in der damaligen Erklärung wurde auf Initiative Frankreichs noch ein Verbot von Waffensystemen im Weltraum unterstützt.

Nächste Station: Die Wehrkundetagung

Mittels einer großen, auf Publicity ausgerichteten Wehrkundetagung wollten die SDI-Befürworter am 9./10. Februar 1985 in München diese Schwierigkeiten aus dem Weg räumen.4 Bundeskanzler Kohl war die Rolle zugedacht, mit einer Grundsatzrede die Bundesrepublik zum Vorreiter zu machen. Kohl hob den „philosophisch- moralischen Ansatz“ der Initiative und das „zutiefst persönliche Engagement Präsident Reagans“ hervor. Er stellte fest: „SDI wird, unabhängig, ob die Forschungsarbeiten zu den beabsichtigten Zielen führen, einen erheblichen technologischen Innovationsschub in den Vereinigten Staaten bewirken. Ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik Deutschland und die übrigen europäischen Verbündeten dürfen nicht technologisch abgehängt werden.“

Es ist nicht unnütz, die Bedingungen Kohls für eine Unterstützung der SDI unter die Lupe zu nehmen:

  • Volle Berücksichtigung der strategischen Einheit des Bündnisses
  • Vermeidung strategischer Instabilitäten, insbesondere in einer Übergangsphase
  • Vermeidung einer Erstschlagsfähigkeit und Verzicht auf strategische Überlegenheit.
  • Bekräftigung des ABM-Vertrages
  • Drastische Reduzierungen und Begrenzungen der nuklearen Interkontinental und Mittelstreckenwaffen
  • Verhinderung eines Rüstungswettlaufs im Weltraum
  • Vor der Stationierung von Raketenabwehrsystemen Verhandlungen mit der Sowjetunion

Abgesehen davon, daß insbesondere die letzte Forderung an den NATO-„Doppelbeschluß

1979 erinnert, enthalten die anderen Punkte doch einiges von dem, was star- wars- Kritiker vorbringen. Der Widerspruch zwischen den Forderungen Kohls und der US- Weltraumrüstung ist alles andere als eine Garantie für eine Weigerung Bonns, mitzutun. Aber die Friedensbewegung sollte bei jeder Gelegenheit auf ihn hinweisen.5 Dies auch deshalb, weil es noch beträchtliche Widerstände gegen SDI innerhalb der NATO gibt. Der französische Verteidigungsminister forderte ein fünfjähriges Moratorium für Strahlenwaffen im Weltraum. Der britische Außenminister wiederholte seine grundsätzlichen Bedenken und Außenminister Genscher unterstützte ihn vorsichtig. Beide mußten sich herbe Schelte durch amerikanische Regierungsvertreter und rechtslastige Presse gefallen lassen.

Das Ultimatum

Zur Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der NATO Ende März in Luxemburg brachte US-Verteidigungsminister Weinberger einen Brief mit, in dem die NATO-Staaten, Australien, Japan und Israel aufgefordert wurden, binnen 60 Tagen ihr Verhältnis zur SDI zu klären. Dänemark und Australien lehnten sogleich ab. Die Bundesregierung zeigte sich zunächst etwas pikiert über die Form der Einladung, legte aber dann eine hektische Geschäftigkeit an den Tag.

Minister Wörner hatte sogleich einen Bericht parat, der eine mögliche Beteiligung der bundesdeutschen Industrie in 11 Technologiebereichen untersuchte. In fünf Bereichen (optische Sensoren, Spiegel oder Reflektoren, Hochfrequenztechnik und Signalverarbeitung, Systemkomponenten für extrem beschleunigende Hochgeschwindigkeitsraketen, Werkstofforschung) sei der Stand so gut, daß die USA auf deutsches know how nicht verzichten könnten. Im Rückstand befinde sich die Rüstungsforschung auf sechs Gebieten, darunter der Informationstechnik, der Miniaturisierung und bei Leichtbauweisen. 6

Rund 30 Firmen könnten sich „mit Aussicht auf Erfolg“ beteiligen, darunter AEG, Siemens, Zeiss, MBB, Nixdorf und Dornier. Die angesprochenen Firmen haben bereits großes Interesse signalisiert. „Sinnvoll wäre eine europäische oder deutsche Beteiligung nur, wenn wir in einem größeren Umfang Kenntnisse für uns gewinnen.“ hebt der Planungschef von Dornier, Holstein, einschränkend hervor, befürwortet aber im Prinzip die SDI-Beteiligung. 7 Es scheint danach nur noch darum zu gehen, ob sich die USA „zu fairen Bedingungen für eine Forschungspartnerschaft bereitfinden“.

Spitzentechnologie durch Weltraumrüstung?

Daß es den USA nicht nur um militärische Überlegenheit über die Sowjets geht, sondern auch um entscheidende Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt, beschreibt H. Gremliza in „konkret“ wie folgt: 8 „Wer soviel Staatsknete in ein Forschungsprojekt steckt, muß die technologische Konkurrenz aus dem Feld schlagen. Die Feinde werden totgerüstet, die Freunde totgeforscht.“ Die „Freunde“ scheinen jedoch nichts Eiligeres zu tun zu haben, als in diesen „Wettlauf“ einzusteigen. Besonders Baden- Württembergs Ministerpräsident Späth, der das Ländle zum Technologie- Eldorado der Nation ausbauen möchte, wie über die SDI- Beteiligung in ein neues technologisches Zeitalter vorstoßen.

„Die Initiative Präsident Reagans stellt die bislang umfangreichste und konsequenteste forschungspolitische Folgerung des Westens aus der Tatsache dar, daß moderne zivile und militärische Produkte auf weitgehend identischen Basistechnologien beruhen. Computer- und Sensortechnik, Laser-, Infrarot- und Röntgentechnologie, neue Werkstoffe und Verfahren bilden die Grundlage Für innovative Entwicklungen sowohl im zivilen wie im wehrtechnischen Unternehmensbereich.“ schreibt Späth im „SPIEGEL“.9 Etwas realistischer als Edward Teller, der von einem 90- prozentigen Transfer der SDI-Resultate in den zivilen Bereich ausgeht (!), 10 schätzt Späth den sog. „spin-off“ auf 50 Prozent. Damit ist zugleich gesagt, daß ein Anteil von 50 % des investierten „Geistkapitals“ zu militärischen Zwecken vergeudet worden ist. Warum es dann nicht einfacher und effizienter ist, die horrenden Summen direkt in die zivile Forschung fließen zu lassen, hat noch kein „spin-off“- Theoretiker plausibel begründen können. Dennoch wird weiter mit diesen Verheißungen gearbeitet. So verspricht ein Artikel in „International Herald Tribune“ eine „reiche Ernte von Spin- off- Entdeckungen und Zubehör, von denen viele den Fortschritt in Medizin, Industrie und Grundlagenforschung vorantreiben.“11 Dabei werden Wissenschaftler aus den Waffenlabors Lawrence Livermore und Los Alamos als Kronzeugen herangezogen, nach deren Auffassung ihre Forschung vielfältige Anwendungsmöglichkeiten biete. So könnten Röntgenlaser nicht nur zur Zerstörung von Raketen eingesetzt werden, sondern auch als Bestandteil eines „Supermikroskops“ zur Untersuchung des genetischen Kodes einer lebenden Zelle. Ein anderes Beispiel sei der Freie- Elektronen-Laser in Livermore, dessen Strahl geeignet sein soll, Obst und Gemüse haltbarer zu machen, indem die Parasiten durch hohe Energiezufuhr abgetastet würden. Warum in beiden Fällen Leistungen im Megawatt- Bereich oder unterirdische Nuklearexplosionen sowie eine bis auf Mikrorad feine Zielgenauigkeit notwendig sein sollen und was mit den derart bestrahlten Früchten und Zellen geschieht, bleibt unerfindlich. Gemeinsam ist den genannten Beispielen, daß die Waffentechnologien immer auf eine spezifische militärische Anwendung hin konzipiert wurden und werden. Direkten Nutzen für zivile Zwecke bringen sie in der Phase ihrer Endfertigung allemal nicht. Auch die Teilsysteme bei der Entwicklung müssen oft noch modifiziert werden, was natürlich zusätzliche Ausgaben erfordert.

Amerikanische Vorherrschaft in der Forschung?

Die Behauptung, die USA zögen mit dem SDI-Programm technologisch uneinholbar davon und daher sei westeuropäische Beteiligung geboten, ist vor diesem Hintergrund schlicht falsch. Das Beispiel Japans – dort werden bislang nicht mehr als 1 % des Etats Für militärische Zwecke eingesetzt – zeigt eher das Gegenteil: Nur wenn Westeuropa auf direkte Förderung nutzbringender ziviler Forschung setzte, könnte es mithalten. Die Integration des westeuropäischen Forschungspotentials in SDI würde das technologische know how der USA stärken und die ohnehin beschränkten Haushaltskapazitäten der Bündnispartner über alle Maßen strapazieren.

Es ist gut daran zu erinnern, daß der Technologie- und Wissenstransfer in der letzten Zeit besondere Einschränkungen erfährt:12

  • Durch verschärfte Sicherheitsbestimmungen des Koordinationskomitees für den Ost- West- Handel COCOM ist der Export hochwertiger Technologie zunehmend Beschränkungen unterworfen. Weinberger prägte den Satz, daß sogar elektronisches Kinderspielzeug auf die „schwarze Liste“ gehöre. Die Bundesrepublik gilt den USA als gewisses Sicherheitsrisiko, das strengen Kontrollen unterworfen werden muß.13
  • Zu wissenschaftlichen Konferenzen über bestimmte Technologien werden fast nur noch Staatsbürger der USA zugelassen.
  • Innerhalb der NATO setzen die USA bevorzugt ihre eigenen Systeme durch, auch wenn Andere „leistungsfähigere“ entwickelt haben – wie der Streit um das Freund- Feind- Flugerkennungssystem zeigt.
  • Im Raumfahrtsektor wird dies besonders deutlich: Das fast fertige bundesdeutsche Infrarotlabor GIRL wurde infolge der Beteiligung an der amerikanischen Raumstation gestrichen. Uneingeschränkter Zugang zu den Ergebnissen der Weltraumforschung wird bislang verweigert. Selbst Forschungsminister Riesenhuber fragt sich, wie die Kooperation dann erst bei der hochsensiblen SDI-Techologie aussehen soll.14

Angesichts der jüngsten Entwicklungen sollten die Europäer ihren Willen zu größerer Autonomie stärken. In diesem Sinne heißt es in einer Stellungnahme des SPD-Präsidiums vom 2.3.85.15

„Ein Wettlauf der Westeuropas um Beteiligung am Weltraumrüstungsprogramm in der Hoffnung auf technologische Teilhabe wäre politisch grotesk … Es ist eine Illusion anzunehmen, die Westeuropäer könnten an der technologischen Forschung dieses Programms teilnehmen, ohne die militärische Verantwortung, Konsequenzen und Lasten mittragen zu müssen. Technologiepolitisch wären die Westeuropäer besser beraten, ihre begrenzten Mittel im Bereich der europäischen Grundlagenforschung und der zivilen Weltraumfahrt einzusetzen, statt Milliardenbeträge in ein politisches und militärisches Programm zu investieren, dessen Nutzen für sie selbst fragwürdig ist.“

Anmerkungen

1 Wilkinson-Report, Military Use of Space vorgestellt auf der WEU-Versammlung Juni 1984, „Proceeding“ Assembly Documents Zurück

2 Wilkinson- Report, Military Use of Space, Part II, Assembly of Western European Union, „Proceedings“ December 1984 Star Wars- Koalition, „Bonner Energiereport“, 19. März 1985 Zurück

3 J. Scheffran, Die Europäische Weltraumgemeinschaft – Aufbruch in die Zukunft? „Blätter 2/85, S. 169 Zurück

4 Die für die Wehrkundetagung relevanten Dokumente, insbesondere die Reden von Kohl, Herne und Weinberger finden sich in: „Europa-Archiv“, Folge 6/1985 Zurück

5 Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der SDI-Befürworter findet Achim: E. Siecker, W. Zellner, „Strategic Defense Initiative“ – Aufbruch in die falsche Richtung, „Blätter“ 4/85, S. 490 Zurück

6 „Der Spiegel“, Nr. 14/1985, S. 21 Zurück

7 Dornier- Planungschef für Beteiligung an SDI-Forschungsprogramm, DDP 11.April 1985 Zurück

8 H. L. Gremliza, Stars and Stripes War „Konkret“, März 1985 Zurück

9 L. Späth, Wissen die Europäer was sie riskieren?, „Der Spiegel“, Nr. 1/1985, S. 128 Zurück

10 „Der Spiegel“, Nr. 15/1985, S. 21 Zurück

11 M. W. Browne, Star Wars Technology Promisses Host of Peaceful Inventions „International Herald Tribune“, 11. April 1985 Zurück

12 Siehe hierzu auch die Artikelserie von Rainer Rilling: Rüstung und Wissenschaftsfreiheit in den USA, „Informationsdienst“ 3/ 84, 4/ 84, 5/ 84 Zurück

13 COCOM: Boykott mit Folgen, „Wirtschaftswoche“, Nr. 9, 22.2.1985 Zurück

14 Auch das Forschungsministerium wünscht den „ungehinderten Technologietransfer“, „FAZ“ v. 12.4.1985 Zurück

15 Stellungnahme des SPD-Präsidiums zur strategischen Verteidigungsinitiative, „Vorwärts“, 2.3.85 Zurück

Jürgen Scheffran ist Dipl. Physiker und Stipendiat der VW-Stiftung.

Richtig angekoppelt? Militärische Interessen und die geplante US-Weltraumstation

Richtig angekoppelt? Militärische Interessen und die geplante US-Weltraumstation

von Dieter Engels, Ekkehard Sieker, Jürgen Scheffran

Am 25. Januar 1984 hat US- Präsident Reagen der NASA den Auftrag gegeben, innerhalb eines Jahrzehnts eine permanent bemannte Weltraumstation zu entwickeln. Die NASA hat u. a. den westeuropäischen Ländern angeboten, sich an dieser Entwicklung zu beteiligen. Der Nutzen der Raumstation für wissenschaftliche und kommerzielle Zwecke ist umstritten. Das Für und Wider einer solchen Unternehmung ist auch in der Bundesrepublik diskutiert worden. 1 Vollkommen ausgeblendet wird jedoch der militärische Nutzen, den die USA aus dem Bau dieser Station ziehen werden.

Die NASA selbst hat das Pentagon auf der Suche nach Finanzquellen heftig umworben. Ziel des NASA- Chefs James M. Beggs war es, eine Raumstation zu entwickeln, um eine „permanente zivile und militärische bemannte Präsenz der USA im Weltraum zu erreichen.“ 2 (Hervorhebung durch d. V.)

Nach seiner Ansicht könnte sich die Raumstation letztlich in einen Kommandoposten oder eine Operationszentrale des Verteidigungsministeriums (Department of Defense – DoD) entwickeln, ebenso wie in ein Lager und eine Basis, von der aus militärische Satelliten gewartet werden könnten. Vermutlich würde es später einmal zwei Raumstationen geben, eine in polaren Umlaufbahnen zur vornehmlichen Nutzung durch das Pentagon und eine in äquatornaher Umlaufbahn, hauptsächlich zur Nutzung für die NASA. 3 Das Pentagon reagierte zurückhaltend. Laut Richard DeLauer, dem Unterstaatssekretär für Forschung und Entwicklung im DoD, sieht sich das Pentagon nicht in der Lage, auch nur eine einzige militärische Aufgabe zu benennen, die man besser mit der Raumstation als durch einen unbemannten Raumflugkörper durchführen könnte. 4 Die Entscheidung der Reagen- Administration für den Bau der Raumstation wurde deshalb ausschließlich mit zivilen Zielen begründet. 5

Die Haltung des Pentagon erklärt sich die Wissenschaftszeitschrift Nature aus dessen Erfahrungen mit der Space- Shnttle Entwicklung: „Das DoD hatte gelernt, daß man, ohne sich an den Entwicklungskosten zu beteiligen, Zugang zu einem attraktiven Weltraumprojekt erhalten könne, in dem man sich uninteressiert gibt.“ 6 Aviation Week and Space Technology nennt weitere Gründe für die öffentliche Zurückhaltung des Pentagon: „Die Hauptbedenken des DoD sind, daß das Projekt die Finanzmittel für Entwicklung generell austrocknen würde und daß Mittel für wichtige Operationen das DoD mit dem Space- Shuttle eingeschränkt werden könnten. Im Weißen Haus wird angenommen, daß der starke Widerstand des DoD Präsident Reagan gelegen kam, um eine Entscheidung für die Station zu treffen, da der Rüstungshaushalt sowieso starker Kritik ausgesetzt war. Hätten DoD und Geheimdienste die Initiative stark unterstützt, hätte sich dies zuungunsten dieses Projekts auswirken können… So konnte das Weiße Haus sich für die friedliche Nutzung des Weltraums stark machen, obgleich die NASA ihre Verbindungen zum DoD während der ganzen Entwicklungsphase aufrecht erhalten wird.“ 7 Sowohl das Weltraumkommando der Luftwaffe als auch das der Marine haben einen Verbindungsoffizier in die NASA-Planungsgruppe entstand, um sicherzustellen, daß die Konzipierung der Raumstation eine mögliche zukünftige militärische Nutzung nicht vonvornherein ausschließt. 8

Trotz der öffentlichen Zurückhaltung des Pentagon existieren massive militärische Interessen am Bau permanent bemannter Raumstationen. Erste Forderungen wurden 1981 unmittelbar nach Reagans Amtsantritt laut. Amerikanische Militärs bedrängten Reagan, beim Kongreß Mittel anzufordern, um in einer ständigen Umlaufbahn um die Erde eine Kommandozentrale des Verteidigungsministeriums einzurichten. 9

Parallel dazu arbeiteten die NASA und das DoD eng zusammen, um die Anforderungen einer Raumstation zu definieren. Als mögliche militärische Missionen wurden unter anderem C3I-Funktionen (C3I = Kommando, Kontrolle Kommunikation und Aufklärung) und der Service von DoD- Satelliten genannt. Das Ausmaß der Beteiligung des Pentagon wollte man jedoch erst nach einer Kosten-Nutzen-Analyse festlegen. 10

Eine Mitte 1983 fertiggestellte Studie der drei US-Waffengattungen konnte eine Reihe neuer militärischer Aufgaben und Technologien identifizieren, die „die Teilnahme des DoD an einer bemannten nationalen Raumstation sinnvoll machen.“ 11 Dabei wird hauptsächlich an eine Nutzung der Raumstation als Forschungslabor gedacht; darüber hinausgehende kurzfristige Nutzungsmöglichkeiten würden ähnlich den zivilen sein: der Bau großer Antennenanlagen oder die Reparatur von Satelliten. 12 Weitere Einsatzmöglichkeiten sieht die Studie im Bereich der Frühwarnung, der Aufklärung und der strategischen Einsatzplanung. Die große Abhängigkeit von der Technik bei der Frühwarnung könnte durch Menschen im All verringert werden, die dann nämlich die Frühwarnmeldungen direkt überprüfen würden. Bestimmte Elemente im Kommando- und Kontrollbereich sowie der Aufklärung könnten besser mit einer bemannten Raumstation durchgeführt werden, und sinnvoll wäre es möglicherweise auch, die heute in Flugzeugen untergebrachten Funktionen des Strategischen Luftkommandos in den Weltraum zu verlegen (Kommandozentrale) 13

Zentrale Bedeutung werden bemannte Raumstationen für die Realisierung des „Star War“-Konzepts zur Raketenabwehr (ABM) bekommen. Die bemannte Raumstation könnte nach den Vorstellungen der Luftwaffe der USA für den Test z.B. der Ziel-, Ortungs- und Verfolgungssysteme für Laserwaffen als auch des Lasers selber genutzt werden. 14 Die gemeinsame Studie der drei US- Waffengattungen stellt heraus, daß die Einrichtungen, die im Weltraum für die Entwicklung von weltraumgestützten ABM-Systemen benötigt werden, ähnlich der Raumstationsinfrastruktur sind, wie sie die NASA in ihren Studien diskutiert. 15 Dies wird auch in dem Fletcher- Report zur Bewertung des Star Wars-Konzepts hervorgehoben. Ein weltraumgestütztes ABM- System würde möglicherweise permanent besetzte Raumstationen erfordern, um die benötigten Radargeräte, die Ziel- und Verfolgungseinrichtungen und die Strahlenwaffen zu bauen und zu warten. 16

Zusammenfassend lassen sich folgende militärische Nutzungsmöglichkeiten identifizieren:

  • Militärische Forschungseinrichtung z. B. zur Züchtung von Kristallen zum Bau EMP-gehärteter Halbleitermaterialien
  • Aufklärung, u. a. klassische Aufklärungsfunktionen, Überprüfungen von Frühwarnmeldungen, Ozeanüberwachung, Satellitenüberwachung
  • Kommandozentrale für strategische Zwecke
  • Werkstatt für den Bau von Antennen und zur Wartung von Satelliten
  • Startrampe für militärische Satelliten die in geostationäre Bahnen (Satellit hat gleiche Umlaufgeschwindigkeit wie die Erde) gebracht werden sollen
  • Testeinrichtung für Techniken zur Satelliten- und Raketenbekämpfung, einschließlich der Waffen.

Es ist unwahrscheinlich, daß die USA auf eine militärische Nutzung einer bemannten Raumstation verzichten werden, wenn vom Pentagon Anforderungen in diese Richtung formuliert werden. Derzeitige Strategie des Pentagons ist es, sich die Option offenzuhalten, zu einem späteren Zeitpunkt als Nutzer der geplanten Raumstation einzusteigen und gleichzeitig die bei dem Bau einer zivilen Raumstation gewonnenen Erfahrungen für den Bau möglicher eigener ausschließlich militärischer Stationen kostenlos zu nutzen. Um die Internationalität der jetzt geplanten Raumstation nicht zu gefährden, könnte sie in zivile und militärische Sektoren unterteilt werden, was durch den vorgesehenen modularen Aufbau der Station gefördert wird. Waffentests für das „Star Wars-Programm“ werden möglicherweise auch erst auf zukünftigen rein militärischen Raumstationen durchgeführt werden. Der Bau solcher Stationen erscheint wahrscheinlich 17 und könnte der Endpunkt einer Entwicklung werden wie sie durch das Space- Shuttle- Programm vorgezeichnet wurde. Das Raumfährenprogramm ist Anfang der 70er Jahre ebenfalls rein zivil begonnen worden und wird heute mindestens zur Hälfte durch das Pentagon genutzt. Im Januar dieses Jahres startete die Raumfähre Discovery erstmals mit einer rein militärischen Fracht. Schließlich wird das Pentagon mit der für 1986 erwarteten Fertigstellung da vierten und letzten Space Shuttle „Atlantiks“ erstmalig über ein eigenes bemanntes Raumschiff verfügen. Diese Raumfähre wird unter dem Kommando der US- Air Force stehen und rein militärische Aufgaben wahrnehmen.

Sollte sich die Bundesrepublik an der geplanten US-amerikanischen Raumstation beteiligen, kann sie in die Situation geraten, an einem militärisch genutzten Weltraumobjekt teilzuhaben, wenn dies vorher vertraglich nicht ausgeschlossen wird. Zu beachten ist auch, daß die westeuropäischen Länder durch eine Beteiligung das notwendige know how erwerben werden, um eventuell in Zukunft eine eigene militärische Raumstation zu bauen.

Anmerkungen

1 Vgl. Die bemannte Raumstation – pro und contra, in Phys. Blätter 40, (1984), Nr 11, S. 339 Zurück

2 C. Coveult, Consensus Nearing on Orbital Facilities, in AWST, 15.2.1982, S. 121 Zurück

3 Nature, 18.8.1983 Zurück

4 Ebd. Zurück

5 Nature, 2.2.1984 Zurück

6 Nature, 18.8.1983 Zurück

7 AWST, 30.11.1984, S. 16 Zurück

8 Ebd.Zurück

9 „Pentagon fordert militärische Kommandazentrale im Weltraum“, in Bonner General-Anzeiger, 9.4.1981 Zurück

10 Department of Defense Authorization for Appropriations for FY 1983, 10.3.1982, S. 4616 Zurück

11 C. Coveult, Defense Department Studies Aid Space Station, in AWST, 3.10.1983, S. 19 Zurück

12 Vgl. M. Wadrop, NASA wants Space Station, in Science, 10.9.1982, S. 1021 Zurück

13 AWST, 3.10.1983, S. 19 Zurück

14 Science, 10.9.1982, S. 1021 Zurück

15 AWST, 3.10.1983, S. 19 Zurück

16 Ebd. Zurück

17 Laut NASA-Manager John Hodge, in Defence Daily, 20.8.1984 Zurück

Die europäische Weltraumgemeinschaft – Aufbruch in die Zukunft?

Die europäische Weltraumgemeinschaft – Aufbruch in die Zukunft?

von Jürgen Scheffran

„Wenn man in einer Zukunft, die näher ist, als man glaubt, nicht ins Hintertreffen geraten will, muß man seinen Blick schon über die Atomwaffen hinausrichten. Ich nenne nur ein Beispiel: die Eroberung des Weltraums. Wenn Europa in der Lage ist, eine bemannte Station in den Weltraum zu bringen, die ihm erlaubt, jede mögliche Bedrohung zu beobachten, zu übermitteln und damit zu verhindern, dann wird es einen großen Schritt auf seine eigene Verteidigung hin getan haben. Nicht zu vergessen, die Fortschritte bei der elektronischen Datenverarbeitung und dem künstlichen Gedächtnis sowie die bereits bekannte Fähigkeit, Projektile abzufeuern, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Eine europäische Weltraumgemeinschaft wäre meiner Meinung nach die beste Antwort auf die militärischen Realitäten von morgen.“ 1

Mit dieser „Vision der Zukunft“ für Westeuropa gab der französische Staatspräsident Mitterand in seiner programmatischen Rede in Den Haag am 7. Februar 1984 eine Antwort auf die als Herausforderung verstandene „Star Wars“ Zukunftsvision Reagans. „Europa greift nach den Sternen“, um „das Pokerspiel um die Zukunft im Weltraum“ 2 nicht zu verlieren, so rauscht es im bundesdeutschen Blätterwald. „Das Geschäft im All“ und der „Markt der Zukunft“ müsse auch den Europäern offenstehen 3, da sonst die „technologische Zweitklassigkeit“ drohe. Daß es sich nicht nur um leere Worthülsen handelt, machten Kohl und Mitterand auf dem 44. deutsch-französischen Konsultativtreffen Ende Oktober in Bad Kreuznach deutlich 4. Gemeinsam beschlossen sie eine vertiefte Zusammenarbeit in der Raumfahrt, die sich in drei milliardenschweren Großprojekten manifestieren soll: in der Weiterentwicklung der Ariane Rakete, der Beteiligung an der amerikanischen Raumstation und in einem gemeinsamen militärischen Aufklärungssatelliten. Gerade die Bereitschaft, trotz der enormen Kosten (der Raumfahrtetat müßte um 50 % ansteigen) 5 eine solche Prioritätenverschiebung vorzunehmen, ist ein Zeichen für die Bedeutung, die dem Weltraum beigemessen wird: Dahinter verbirgt sich ein umfassendes Zukunftskonzept zur Lösung der Krise in der kapitalistischen westlichen Welt, das alle neuen Technologien (Mikrocomputer, Roboter, Sensortechnik, Laser, etc.) in geradezu „idealer“ Weise miteinander verbindet.

Die amerikanische Herausforderung

Die Entwicklung eines Weltraumkonzepts wurde in den USA durch verschiedene Studien vorbereitet (High Frontier, Air Force 2000) 6 und durch Reagan schrittweise in die Tat umgesetzt.

  1. Anläßlich der Landung der Raumfähre Columbia am amerikanischen Nationalfeiertag, dem 4. Juli 1982, verkündete Reagan ein Raumfahrtprogramm der nationalen Sicherheit, das die Entwicklung und Stationierung kosmischer Systeme zur Unterstützung der Streitkräfte vorsieht.
  2. In seiner „Star Wars“ Rede vom 23. März 1983 fordert Reagan eine „Zukunft frei von der Angst vor Atomwaffen“ durch ein umfassendes, v. a. weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem.
  3. Am 25. Januar 1984 gibt er der NASA den Auftrag zum Bau einer bemannten Raumstation der „freien westlichen Welt.“ 7
  4. Im August 1984 verkündet Reagan eine Neue Nationale Weltraumstrategie für zukünftige bemannte militärische Operationen im Weltraum, darunter die Entwicklung neuer Raumfahrzeuge und einer militärischen Raumstation, sowie Flüge zum Mond und zum Mars 8.

Der Weltraum war im US Wahlkampf Träger einer Ideologie, die Amerika „wie eine Rakete zu den Sternen emporheben“ soll, während das dunkle „Reich des Bösen“ von seiner eigenen Last zu Boden gedrückt wird. Und nach der Wahl: „Wie die Dinge zusammenpassen: Gleichzeitig mit der überwältigenden Wiederwahl Ronald Reagans wird im Raumfahrtzentrum von Cape Canaveral der Shuttle Challenger für seinen neuen Raumflug bereitgestellt. So hält der Zeitgeist den technologischen Zukunftsdrang Amerikas und seinen politischen Beharrungswillen wie in einem Gruppenfoto auf der Platte gefangen“ 9, meldete „DIE WELT“ anläßlich der Wahl überschwenglich und neidisch zugleich. Nicht zufällig forderte Weinberger in der vorhergehenden Ausgabe der WELT die Bundesregierung zur Beteiligung an den Forschungsarbeiten für den amerikanischen Weltraumschutzschirm auf 10. Er wird dabei auch von anderen amerikanischen Freunden unterstützt, so von dem amerikanischen Europaexperten David Yost 11 sowie auf subtilere Weise von Henry Kissinger im SPIEGEL („So unrecht hat Reagan nicht“) 12. Dabei scheint der verstärkte Hinweis auf eine angebliche sowjetische Vorrüstung auf dem Gebiet der Raketenabwehrsysteme (insbesondere auf die durch den ABM Vertrag erlaubten Galosch Systeme rund um Moskau) der Haupthebel zur Durchsetzung des „Star Wars“ Konzepts in Westeuropa zu werden, obwohl dies als Begründung in Reagans Rede gar nicht vorkommt.

Die (west-)europäische Antwort

Dies bleibt nicht ohne Wirkung. „In Bonn ist gegenüber diesem Programm Washingtons inzwischen nicht mehr nur einhellige Ablehnung zu registrieren“, meldet „DIE WELT“, und „Inzwischen sieht Wörner ein, daß die USA dieses Forschungsprogramm vorantreiben müssen, weil die Sowjetunion alles daransetzt, diesen Wettlauf mit Amerika zu gewinnen.“ 13 In Wirklichkeit handelt es sich wohl eher um einen Wettlauf der westeuropäischen mit der amerikanischen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie, um den Anschluß bei Weltraumtechnologie nicht zu verpassen:

„Die einzigartige Herausforderung, der sich Amerikas Technologen mit dem Auftrag gegenübersehen, die Weltraumverteidigung möglich zu machen, lenkt den Blick auf die ökonomischen Aspekte. Gelänge es, dann besäßen die USA in einer Reihe für die Gesamtwirtschaft höchstwertiger Technologiebereiche einen von keinem Land der Erde noch aufholbaren Vorsprung.“ (Daher) „müssen die Europäer zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit schleunigst ein ähnliches Programm auflegen. Das ist der Hintergrund der Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand an die Europäische Gemeinschaft (EG) – oder wenigstens an die Aktionswilligen unter ihren Mitgliedsstaaten. Europa schuldet seiner Wirtschaft Mitterrands europäische Raumstation.“ 14 Mitterrand scheint also die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Die französische „Eroberung des Weltraums“ in ihrer europäischen Ausgestaltung dient wohl ebenso der Sanierung der kränkelnden französischen Luft- und Raumfahrtindustrie wie das durch den Wechsel zu Fabius eingeleitete „Modernisierungs“ Programm insgesamt. Aus diesem Grund war Frankreich schon immer die stärkste Triebkraft in der europäischen Raumfahrt und hat mit der Entwicklung der Ariane-Rakete auch gleich aufs richtige Pferd gesetzt, nämlich die kommerzielle Nutzung des Weltraums. Aus eben dieser Rakete leitet sich heute (west-)europäisches Selbstbewußtsein ab. Das zeigen schon Schlagzeilen wie „Die europäische Rakete lehrt die Amerikaner das Fürchten“ 15 oder „Europas Super Ariane bricht Amerikas Vorherrschaft“ 16. Das für die Vermarktung der Ariane zuständige „erste kommerzielle Raumtransportunternehmen“ Arianespace (64 % Anteile Frankreich, 20 % BRD) preist in bunten Werbeanzeigen („ARIANE: Ihr Platz im Weltraum“) als Spezialität einen „Startservice auf Maß für den Abschuß in geosynchronen Orbit“, der ja gerade für die Nachrichtenübertragung besonders interessant ist. Mit dieser Spezialität hofft Arianespace in Zukunft das amerikanische Space Shuttle bei der Erschließung des vielversprechenden Satellitenmarktes ausstechen zu können, der in Zukunft gerade auch in der „Dritten Welt“ erwartet wird, und den eigenen Technologievorsprung gegenüber diesen Ländern gewinnbringend umsetzen zu können.

Solche Töne lösen bei der amerikanischen Industrie Unruhe und Gegenreaktionen aus, die auf europäischer Seite wiederum als Protektionismus gegeißelt werden. Dazu gehört z. B. das Landsat Gesetz, das MBB in den USA die Vermarktung des von ihr entwickelten elektronischen Bildsystems MOMS (Modularer Optoelektronischer Multispektraler Scanner) verbietet 17. Eine andere Möglichkeit, den europäischen Tatendrang in die geeigneten Bahnen zu lenken, nutzten die USA beim Spacelab aus: Sie ließen v. a. die Bundesrepublik das gesamte Raumlabor entwickeln, um es dann für einen einzigen kostenfreien Start mit dem Space Shuttle praktisch geschenkt zu übernehmen und anschließend sogar zu horrenden Preisen wieder zu vermieten. Die derart übers Ohr gehauenen Westeuropäer versuchen nun ihrerseits, durch eine Weiterentwicklung ihrer Trägerkapazitäten zur Ariane 5 eine vom Space Shuttle unabhängige Weltraummacht zu werden.18 Das geschickteste, was die USA in dieser Situation tun können, ist die Einbindung Westeuropas in ein gemeinsames Großprojekt, in dem die USA das Sagen haben und die anderen zahlen dürfen. Es ist daher kein Zufall, daß Reagan das von manchen schon abgeschriebene Raumstationsprojekt nur zwei Wochen vor Mitterrands Rede verkündet hat. Die freundlich formulierte Einladung Reagans kam den Weltraumunionisten in Europa ungelegen, denn die Pläne der Bundesrepublik und Italiens für eine gemeinsame Raumstation namens „Columbus“, die auf Spacelab Technologie beruhen soll, waren noch im Anfangsstadium 19. Eine 20 %ige Beteiligung an dem zunächst auf 8,1 Mrd. Dollar, später auf bis zu 20 Mrd. Dollar veranschlagten Großprojekt der USA könnte Kapazitäten binden, die für die vielleicht 6 – 8 Mrd. DM teure Ariane 5 Entwicklung vorgesehen sind. „Irgendeine substanzielle europäische Beteiligung an einem von den USA geführten Raumstationsprogramm würde soviel von dem Raumfahrtbudget absorbieren, daß Europa die Fähigkeit zum Aufbau ähnlicher aber unabhängiger Fähigkeiten verlieren würde“, so die Überlegung der Zeitschrift „Aerospace America“. 20 Aus diesem Grund war die Berichterstattung hierzulande meist mit unfreundlichen Kommentaren versehen, die überwiegend den wissenschaftlichen Wert der Raumstation in Zweifel zogen, was angesichts des Störfaktors Mensch bei vielen Experimenten wohl auch berechtigt ist. 21 Doch überzeugt die immer noch zahlreich vorhandenen „Atlantiker“ weniger die wissenschaftliche Argumentation als vielmehr die politische: man kann sich ihre Begeisterung angesichts der phantastischen Möglichkeiten vorstellen, die diskreditierte europäisch amerikanische Freundschaft durch eine „Wiederentdeckung“ Amerikas durch „Columbus“ 1992 im Weltraum wiederzubeleben. Um sowohl atlantischen als auch westeuropäischen Neigungen entgegenzukommen, wurden inzwischen verschiedene Studien erarbeitet, so die „Strategiestudie Raumfahrt“ der DFVLR, ein Memorandum des BDLI (Bundesverband der Deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Ausrüstungsindustrie) sowie die Studie „Horizont 2000“ der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA). Diese geben verschiedene Optionen und Szenarien für Extraterrestrische Forschung, Erdbeobachtung, Biowissenschaften, Werkstoffwissenschaften, Telekommunikation, Navigation, verschiedene Orbitalsysteme und Trägerraketen an, jeweils mit Kostenabschätzung und Zeitplanung. Das bevorzugte Kompromißmodell ist eine weitgehend autonome europäische Station vergleichbar Spacelab, die an die amerikanische Raumstation angekoppelt werden kann und kurzfristig mit dem Space Shuttle gestartet werden soll. Langfristig soll aber auch der Transport mit der fertiggestellten und vielleicht sogar auf bemannte Starts ausgerichteten Ariane 5 mit dem Euroshuttle „Hermes“ möglich sein. 22

Neben diesen als primär zivil etikettierten Programmen soll zusätzlich im Rahmen der wiederbelebten Westeuropäischen Union (WEU) erstmals offiziell auch die militärische Nutzung des Weltraums vorangetrieben werden. So vertrat die WEU Versammlung in einer Empfehlung Mitte Juni die Auffassung, „daß das Weltraumpotential ein zentraler Entscheidungsfaktor in der künftigen Kriegführung sein wird, daß in militärischen Begriffen der Unterschied im Potential zwischen den weltraumfähigen Ländern und den anderen fast genauso groß sein wird wie der gegenwärtige Machtunterschied zwischen den nuklearen und den nichtnuklearen Ländern und daß Europa diese Tatsache nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern daraufhin auch etwas tun soll.“ 23 Empfohlen wurde u. a. auch ein europäisches Überwachungs- und Aufklärungssatellitenprogramm, und der vorgeschlagene deutsch französische militärische Aufklärungssatellit dürfte bereits ein konkretes Ergebnis sein. Aus der angegebenen französichen Begründung für den Satelliten wird klar, daß er v. a. für die Zielbestimmung der Force de Frappe in der Sowjetunion dienen soll. 24 Der Bundesrepublik bietet sich damit die Möglichkeit der Mitbestimmung über die französische Nuklearstreitmacht. Zudem kann die dadurch gewonnene Information natürlich auch zur Vorbereitung von tiefen Schlägen ins gegnerische Hinterland von bundesdeutschem Boden aus dienen. Über diese Versuche hinaus, die v. a. zur Unterstützung der konventionellen und nuklearen Streitkräfte in Westeuropa dienen, wächst bei einigen auch die Akzeptanz zur Beteiligung am amerikanischen „Star Wars“ Programm. Wenn „DIE WELT“ eine beispiellose Werbekampagne unter dem Motto „Sieg der Sterne“ startet („In den Laboratorien der beiden mächtigsten Staaten der Erde tobt die größte technologische Schlacht der Weltgeschichte“) und schreibt: „Mit Ideen und Geld kann Europa die technologische Schlacht mitschlagen“ 25, dann ist damit die Schlacht um die Forschungsmittel im All gemeint, Um die rechte Begründung eines solch riesigen Forschungsprogramms bemüht sich z. B. der Assistent von Kurt Würzbach, Hubertus Hoffmann, der unumwunden „Eine Raketenabwehr für Westeuropa“ fordert, gerade um damit die zuvor vielbeschworene „Abkoppelung“ von den USA zu vermeiden 26: „Maßnahmen, die die Verwundbarkeit spürbar herabsetzen, erhöhen die amerikanische Flexibilität und kräftigen so auch die Glaubwürdigkeit der amerikanischen nuklearen Garantie für Westeuropa.“ Da damit natürlich auch die Flexibilität der USA in einem auf Europa begrenzten Atomkrieg erhöht wird, soll die Bevölkerung mit einem kurzfristig verfügbaren System gegen taktische Raketen (ATM: Anti Tactical Missiles), also gegen SS 21-23, beruhigt werden: „Als Raketenabwehrsystem in Europa käme einmal die verbesserte PATRIOT-(IMPROVED) in Betracht. Die Flugabwehrrakete, die in der bisherigen Ausstattung keine sowjetischen Raketen abfangen kann, könnte in ca. fünf Jahren mit verbesserter Elektronik, ausgestattet werden sind mit Hilfe eines neuen Radargerätes dann angreifende Raketen zerstören.“ Die amerikanische Firma Raytheon arbeitet nach der Zeitschrift „Aviation Week“ an einer Möglichkeit, bestehenden Patriot Systemen zur Luftabwehr durch Softwareänderungen in den Radarverfolgungsprogrammen eine Fähigkeit zur Raketenabwehr zu verleihen, so daß Umschaltungen zwischen beiden Zuständen nach außen unsichtbar durchgeführt werden können. 27 In diesem Zusammenhang gewinnt natürlich die Stationierung der Patriot Raketen in Westeuropa eine besondere Bedeutung.

Ein weiterer Vorstoß in dieser Richtung wurde vom CDU Abgeordneten Todenhöfer vorgenommen. Er sprach sich unumwunden „für eine Beteiligung der Europäer an den amerikanischen Forschungsarbeiten für den Aufbau eines Weltraumverteidigungssystems“ aus, koppelte dies jedoch mit der Forderung nach „unverzüglichen und umfassenden Rüstungskontrollverhandlungen über Weltraumwaffen.“ 28 Diese Doppelstrategie findet sich auch wieder in der tags darauf veröffentlichten Stellungnahme der CDU Fraktion vom 9. Oktober, wenn auch in gegenüber Todenhöfer abgeschwächter Form 29, die nicht explizit eine Eigenbeteiligung an der Abwehrforschung fordert, dafür aber die amerikanische Forschung begrüßt. Diese etwas schwammige Formulierung, die mit der schärferen Ablehnung ein halbes Jahr zuvor nicht zu vergleichen ist, beinhaltet einerseits die Möglichkeit, die Forschung an den entsprechenden Technologien auf verdeckte Weise dennoch durchzuführen z. B. auch durch Privatunternehmen wie MBB) 30, zeigt aber andererseits auch, dank ein offensives Vorgehen in dieser Frage sowohl in der eigenen Partei als auch gegenüber der ablehnenden Haltung der Öffentlichkeit (noch) nicht für ratsam erachtet wird.

Europäische Rüstungskontrolle?

Offensichtlich beansprucht Westeuropa in den wieder in Gang gekommenen Rüstungskontrolldialog ein größeres Mitspracherecht, wie es auch in der WEU Empfehlung formuliert ist. Darin werden die Mitgliedsländer aufgefordert, „alles in ihrer Macht liegende zu tun, um Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion herbeizuführen, damit die militärische Nutzung des Weltraums durch die Stationierung offensiver Weltraumwaffen verhindert wird, indem neue internationale Verträge und damit zusammenhängende Überprüfungsverfahren gefördert werden.“ 31 Defensive Weltraumwaffen, was auch immer das sein mag, sind demnach nicht verboten. Die französische Regierung unterscheidet in einer Stellungnahme zur Genfer Abrüstungskonferenz vom 12. Juni 1984 dagegen zwischen Systemen, die zur Stabilisierung der Abschreckung beitragen und destabilisierenden Systemen. 32 Zur ersten Gruppe dürfte wohl die anvisierte militärische Nutzung von Satelliten gehören, zur zweiten Gruppe v. a. Antisatelliten- und Raketenabwehrwaffen. Der französische Vorschlag siebt das verifizierbare Verbot destabilisierender Systeme vor sowie vertrauensbildende Maßnahmen (wie Satellitenregistrierung) und den Schutz auch militärischer Satelliten zur Beobachtung und Kommunikation, sofern sie zur Stabilität beitragen. Mit dieser Forderung setzt sich Frankreich eindeutig in Gegensatz zur amerikanischen Weltraumrüstung, ohne aber auf eigene Militärsatelliten verzichten zu wollen. Es entspricht französischer Logik, den Weltraum zur Verstärkung ihrer Nuklearstreitmacht einzusetzen und alles, was die damit ausgeübte Abschreckung untergräbt, zu verhindern, insbesondere also auch ASAT und BMD. Aus diesem Grund war Frankreich bisher ein energischer Befürworter des ABM Vertrages sowie von Rüstungskontrolle bei USA und UdSSR. Das französische Gesamtkonzept wird abgerundet durch den bereits 1978 der UNO vorgestellten Vorschlag, eine internationale Satellitenüberwachungsbehörde (ISMA) zur Verifikation von Rüstungskontrollabkommen zu errichten. Eine solche Einrichtung wird auch in der WEU Empfehlung unterstützt, wobei die Aufgabe auch im kleineren westeuropäischen Rahmen durchgeführt werden könnte.

Die mögliche Doppelfunktion von Aufklärungssatelliten für militärische Zwecke und zur Verifikation war auch eine strittige Frage in der Bundestagsdebatte über den von der SPD als Entschließungsantrag eingebrachten Göttinger Vertragsentwurf zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums 33.

Die unterschiedliche Einschätzung bei der Bewertung der einzelnen Bereiche der Weltraumrüstung beruht im wesentlichen auf verschiedenen Beurteilungen ihrer Bedeutung für die Abschreckung und die westeuropäische Sicherheitspolitik. Während die Weltraumrüstung der USA eine gemeinsame Ablehnungsfront gegen diese „Wahnsinnsprojekte“ und damit ein verstärktes „Zusammenrücken“ der Westeuropäer begünstigt, sind die geplanten westeuropäischen Weltraumprogramme gerade ein Ausdruck des gewachsenen „Selbstbewußtseins“ bei der Ausarbeitung einer westeuropäischen Wirtschafts- und Sicherheitskonzeption. Dagegen stellt sowohl die Raketenabwehr für Westeuropa als auch die geplante westliche Raumstation wieder eine Anbindung an die USA her.

Es ist allerdings nicht klar, ob mit der „Europäisierungsdebatte“ tatsächlich westeuropäische Interessen durchgesetzt werden sollen, oder ob es sich um ein Scheingefecht handelt, um den Zusammenhalt innerhalb der NATO zu festigen und Frankreich wieder stärker als bisher zu integrieren. Die Friedensbewegung jedenfalls sollte solche Entwicklungen verfolgen und analysieren.

Anmerkungen

1 Rede des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand vor der niederländischen Regierung in Den Haag am 7. Februar 1984, Europa-Archiv, Folge 7/1984, S.D 195 Zurück

2 C. Henninger, Das Pokerspiel um die Zukunft im Weltraum, FAZ vom 25.8.1984 Zurück

3 T. M. Loch, Europa drängt auf den Markt im All, Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nr. 45, 9.11.1984 Zurück

4 Bonn und Paris wollen Zusammenarbeit in der Raumfahrtpolitik vertiefen, Süddeutsche Zeitung v. 31.10./1.11.1984 Zurück

5 Bonn plant Weltraumpolitik. Im Herbst Vorlage eines langfristigen Konzepts, FAZ v. 8.8.1984 Zurück

6 H. G. Brauch, Angriff aus dem All, Dietz Nachf. Verlag, 1984 Zurück

7 C. Covault, President Orders Start on Space, Aviation Week & Space Technology (AWST), January 30, 1984, p. 1-6 Zurück

8 US adopts new space strategy, AWST Aug. 27, 1984 Zurück

9 T. Kielinger, Standfestigkeit und Zukunft, Die Welt v. 8.11.1984 Zurück

10 USA erwarten Bonner Beitrag zur Verteidigung im Weltraum, Die Welt v. 7.11.84 Zurück

11 D. S. Yost, Die Sorgen der Europäer gegenüber den amerikanischen Plänen für eine Raketenabwehr, Europa-Archiv, Folge 14/84, S. 427; s. auch: Les inquietudes europeennes face aux systemes de defense anti-missiles, Politique Etrangere.Zurück

12 H. Kissinger, Rüstungskontrolle in der Sackgasse, DER SPIEGEL, Nr. 39/84, S. 139 Zurück

13 Die Welt v. 7.11.1984, a.a.O. (10) Zurück

14 H. Bohle, Nur die USA können den Schutzschirm über Europa spannen, Flugrevue 7/1984, S. 6 Zurück

15 G. Paul, Die europäische Rakete lehrt die Amerikaner das Fürchten, FAZ v. 9.8.84 Zurück

16 Titelseite der Flugrevue 10/1984 Zurück

17 G. Paul, Geschäfte mit der Raumfahrt erschwert, FAZ v. 6.7.1984 Zurück

18 G. Wange, Aufsteiger: Europa ersetzen auf Super-Ariane, Flugrevue 10/1 984, S. 9 Zurück

19 J. M. Lenorowitz, Germany, Italy Propose Space Station, AWST, February 20, 1984, S. 55 Zurück

20 Space station poses dilemma for Europe, Aerospace America, February 1984, S. 26 Zurück

21 G. Paul, Kein Bedarf für die Raumstation, FAZ v. 29.8.1984; W.Brauer, Ist Amerikas Raumstation eine riesige Fehlplanung?, Frankfurter Rundschau v. 29.10.1984; M. Urban, Deutsche Astronauten im Weltall – sinnlos, Südd. Zeit. v. 9.10.1984; E. Keppler, Can Europe avoid the Space Station?, Nature Vol. 312, 1. November 1984, S. 11 Zurück

22 G. Wange, Zukunft der Raumfahrt, Flugrevue 10/1984, S. 30 Zurück

23 Empfehlung der WEU-Versammlung zur militärischen Nutzung des Weltraums, Blätter f. deutsche u. internat. Pol., 10/1984, S. 1272 Zurück

24 H. Rywelski, Bonns Eintritt in die Militarisierung des Weltraums, Blätter… 9/1984, S. 1057 Zurück

25 Sieg der Sterne, Serie in Die Welt ab 1.12.1984; A. Barwolf, Die strahlende Abwehr, Die Welt v. 9.10.1984 Zurück

26 H. Hoffmann, Eine Raketenabwehr für Europa, loyal 9/1984, S. 6; H. Hoffmann, A Missile Defense for Europe?, Strategic Review, Summer 1984, S. 45 Zurück

27 C. A. Robinson, U.S. Develops Antitactical Weapon for Europe Role, AWST, April 9, S. 46 Zurück

28 Todenhöfer für Beteiligung der Europäer an der Weltraumforschung Washingtons, FAZ v. 9.10.1984 Zurück

29 Stellungnahme der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 9.10.1984 Zurück

30 A. Johansen, Schwieriger Start für Laser Kampfstationen, VDI-Nachrichten v. 4.11.1984; MBB Presses Laser, Sensor Research, AWST May 21, 1984, S. 103 Zurück

31 a.a.O. (23) Zurück

32 French Statement to Conference on Disarmament, 12. June 1984, Survival Sept./Oct. 1984, S. 235 Zurück

33 Beratung des Antrages der Fraktion der SPD: Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums, Bundestagsdrucksache 10/2040, 8.11.1984 Zurück

Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker, z. Zt. Forschungsstipendiat, Marburg.

Weltraumtechnologie = Erstschlagstechnologie

Weltraumtechnologie = Erstschlagstechnologie

von Jürgen Scheffran

Die neuen Entwicklungen in der Waffentechnik, insbesondere für den Weltraum, lassen sich durch folgende Parameter beschreiben, die eng miteinander verknüpft sind:

  • Vergrößerung der räumlichen Ausdehnung (größere Reichweite, globale Überwachung und Kommunikation)
  • Verkürzung der Entscheidungszeit (Flugzeit, Vorwarnzeit, „launch on warning“)
  • Erhöhung der Zielgenauigkeit (CEP Faktor, Zerstörungswahrscheinlichkeit)
  • Verringerung der Zerstörungswirkung (geringere Sprengkraft, selektive Zielbekämpfung, begrenzter Atomkrieg)
  • Steigerung der zu verarbeitenden Informationen (Computerisierung und Automatisierung der Kriegsführung)
  • Zunahme von Komplexität und Anfälligkeit einzelner Waffen, sowie ihrer integrierten Koordination Fehlstarts, Krieg aus Zufall, C3I-System)
  • Wachsende „Intelligenz“ spezieller Waffen (Zielsuchsystem, künstliche Intelligenz, Musterkennung).

Durch solche Tendenzen rücken nun wieder bereits verdrängte Überlegungen in den Bereich des technisch Machbaren, so die in den sechziger Jahren diskutierte Fähigkeit zum Erstschlag und zur Abwehr von Interkontinentalraketen. Es ist auch kein Zufall, daß die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles zum Katalysator und Symbol der Kriegsgefahr für die Friedensbewegung wurde, erfüllen sie doch einige der obengenannten Eigenschaften.

Das Schlüsselwort, das in diesem Zusammenhang besonders häufig genannt wird, heißt Erstschlagfähigkeit. Während früher darunter im wesentlichen die Fähigkeit verstanden wurde, die gegnerischen Raketen in ihren Silos zu zerstören, zeichnen sich heute fünf Stufen der Erstschlagsfähigkeit ab, die sich gegenseitig ergänzen und (in Klammern ist der weltraumspezifische Beitrag genannt):

  1. Weitgehende Zerstörung des gegnerischen C3I-Systems und „Enthauptung“ der Kommandozentren (Zerstörung der Frühwarn-, Kommunikations und Navigationssatelliten durch ASAT)
  2. Vernichtung der landgestützten Zweitschlagskapazität in den Silos (Silobestimmung durch Überwachungssatelliten, Radarbilder für Radarendphasenlenksystem, Bodenerkundung über geodätische Satelliten für Cruise missiles, hohe Zielgenauigkeit durch Navigationssatelliten)
  3. Bekämpfung der Zweitschlagskapazität auf See (U-Boot-Ortung durch Überwachungssatelliten, koordinierte U-Boot-Verfolgung und Bekämpfung durch Kommunikations- und Überwachungssatelliten)
  4. Ausschalten der verbliebenen Rest-Raketen im Flug durch DreißSchicht ABM-System (konventionelle Abwehrsatelliten und Laserkampfstationen in der Umlaufbahn)
  5. Globale, integrierte, taktische Kriegsführung mit konventionellen, atomaren, chemischen und elektronischen Waffen (weltraumgestützte C3I-System, Navigation-, Kommunikationssatelliten)

Zu jedem dieser fünf Punkte sind zur Zeit Entwicklungen im Gange, gibt es Lösungsansätze, die gegen Ende der achtziger Jahre verwirklicht sein können. Allein das Vorhandensein dieser Systeme erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges, ob nun ein Erstschlag beabsichtigt ist oder nicht. Unabhängig davon, welche Seite eine solche Erstschlagskapazität besitzt, auch wenn beide Seiten sie haben: der Angreifer könnte sich einen solch großen Vorteil vom ersten Schlag versprechen, daß er sich zur Ausführung gezwungen sieht, wenn er vom Gegner etwas vergleichbares erwarten kann (etwa in einer Krisensituation). Dies wäre eine höchst instabile Situation. Die Militarisierung des Weltraums könnte in diesem Zusammenhang nicht nur eine Fortsetzung der Aufrüstung auf der Erde bedeuten, sondern darüberhinaus die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges erhöhen (Triggerfunktion).

Anand Srivastav  Ekkehard Sieker

Der Weltraum und die Erlangung der Erstschlagsfähigkeit

„Teilen Sie mit mir eine Vision der Zukunft, die Hoffnung bietet. Sie besteht darin, daß wir ein Programm in die Wege leiten, um der schrecklichen sowjetischen Raketenbedrohung mit Maßnahmen zu begegnen, die defensiv sind.“ (R.Reagan am 23.3.1 983 in seiner „Star-War“-Rede). Unter dem Vorwand der sowjetischen Raketenbedrohung wurde die „Strategic Defence Initiative“ eingeläutet. Es ist eine Initiative, die Technologien zur abgestuften Abwehr gegnerischer ballistischer Raketen (BMD) bereitstellen soll. Was auf den ersten Blick vernünftig, weil „defensiv“ erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als das genaue Gegenteil. Liest man Reagans Rede mit der militär-strategischen „Sachkompetenz“ eines Colin S. Gray, so kommt eine sehr präzise Einschätzung heraus: „it must be emphasized that President Reagan did not endorse a particular weapon technology on 23 March 1983, nor did he present a spezific programme: instead he offered a strategic vision“.1.

Also im Klartext: Es geht nicht in erster Linie um die Technologie, sondern um die Strategie. Nicht um BMD (Ballistic Missile Defence) isoliert geht es, sondern die Funktionsbestimmung von BMD im Rahmen dieser „strategischen Vision“. Gray sagt uns auch in dankenswerter Offenheit, welche Strategie gemeint ist: „Conceptually, should space be viewed as the „high ground“ of the future control or command, of which grants perhaps a war-winning advantage?“ 2

Gemeint ist also eine Strategie, deren Ziel inzwischen aus dem Pentagonpapier, dem Air-Land-Battle-Konzept und seiner konventionellen Variante, dem Rogers-Plan und natürlich aus den Veröffentlichungen von Gray bekannt ist: Sieg im Atomkrieg.

Erstschlag – Was ist das?

Mit dem Übergang von der Strategie der „massiven Vergeltung“ zur Strategie des „flexible Response“, versuchen die USA aus dem atomaren Patt auszubrechen. Die Folge war ein Rüstungswettlauf, der die atomaren Optionen zwar auffächert, jedoch das nukleare Patt auf immer neuen, gefährlichen Stufen wiederherstellt. Auf Grund der technologischen Möglichkeiten glaubt die jetzige US-Administration, aus dem „Dilemma“ des nuklearen Gleichgewichtes herauskommen zu können. Trotz des Fehlens vieler wesentlicher Technologien (z.B. Weltraumrüstung) sind die Strategie und damit verbundene Anforderungen an die Technologie genauestens determiniert. Der Schlüssel, die Methode mit der der Sieg über die UdSSR erreicht werden soll, ist die Enthauptung („Decapitation“ nach Pentagonpapieren), d.h. die Ausschaltung der gegnerischen C3I Struktur, Doch die Enthauptung allein reicht nicht aus, Die kriegsentscheidende Zerstörung des gegnerischen strategischen Potentials (Zweitschlagskapazität), d.h. die Entwaffnung, muß ebenso sicher erfolgen wie der Abfang des nach der Entwaffnung gestarteten Nuklearpotentials des Gegners. Hinzukommen muß natürlich ein für die Kriegsführung geeignetes eigenes C3I-System.

Umfassender Erstschlag erfordert also eine kriegsentscheidende Schwächung der gegnerischen Zweitschlagskapazität durch eine integrierte Enthauptung, Entwaffnung, BMD. Demzufolge unterteilen wir die Gesamtheit der Technologien, die für den Erstschlag gebraucht werden (Erstschlagstechnologien), in Enthauptungs-, Entwaffnung- und Abfangtechnologien. Im folgenden werden wir untersuchen, inwieweit der Weltraum für die Bereitstellung der oben genannten Technologien genutzt werden muß, und inwieweit mit den schon vorhandenen Technologien die strategischen Ziele Enthauptung, Entwaffnung und Abfang erreicht werden können.

Erstschlagstechnologie

Die Ausschaltung der gegnerischen C3I Struktur erfolgt im wesentlichen im Weltraum durch Zerstörung/Blendung der gegnerischen Satelliten (ASAT) und durch die Zerstörung der erdgebundenen, verbunkerten C3I-Systeme. Bevor wir auf die Enthauptung der erdgebundenen Systeme eingehen, geben wir eine kurze Erläuterung der Begriffes „Erstschlagsfähigkeit einer Waffe“. Dieser Begriff, der die wesentlichen technologischen Fähigkeiten eines Nuklearsystems sprachlich bündelt, wird z.T. bewußt falsch gebraucht, um die Funktion erstschlagsfähiger Waffen zu verschleiern.

Die Erstschlagfähigkeit einer Waffe ist allein auf Grund ihrer technischen Eigenschaften

a. über 90 % Vernichtungswahrscheinlichkeit

b. geringe Randzerstörungen, also geringe Sprengkraft

bestimmt. Die Zielgenauigkeit ist das entscheidende Maß für die Erstschlagsfähigkeit einer Waffe. Demzufolge sind Pershing II-Raketen Erstschlagswaffen, die SS-20 aber nicht.

Da der Enthauptungsschlag gegen die erdgebundenen Systeme nur mit dem Risiko weniger Minuten Vorwarnzeit erfolgen kann, ist derzeit allein Pershing II schnell und zielgenau genug, um als Enthauptungstechnologie identifiziert zu werden, ihre Reichweite und die vorgesehene Anzahl von über 300 Raketen macht sie zur „idealen“ Enthauptungswaffe: mit einer Reichweite von 1800-2300 km kann die Pershing II alle wesentlichen C3I-Zentralen der UdSSR, die nach Angaben des ehemaligen Vorsitzenden des Vereinigten Stabschef der USA, General S. Brown, aus dem Jahre 1977, innerhalb eines Radius von 150 km um Moskau liegen, treffen. 3

Die Anzahl der Führungszentren der UdSSR wird von der Brookings Institution in Washington mit „60 National Command and Authority Centers“ angegeben. 4

Berücksichtigt man, daß 108 nachladbare Startgeräte für die Pershing II stationiert und über 300 Raketen bereitgestellt werden sollen, errechnet man eine mehr als 50 %ige Wahrscheinlichkeit, die oben genannten 60 Ziele zu zerstören.

Entwaffnungstechnologien

Entwaffnungstechnologien müssen die kriegsentscheidende Zerstörung/Schwächung der gegnerischen Zweitschlagskapazität gewährleisten. Sie müssen sowohl gegen SLBM als auch gegen ICBM wirksam sein. Die Anti-U-Boot-Kriegsführung (ASW) erfordert entsprechende Sensoren, Unterwasserraketen und Trägersysteme, von denen eine ganze Reihe schon bereitstehen. 5

Im Mittelpunkt der Anstrengungen seitens der USA steht der Aufbau des globalen Ortungs- und Zeitsystems NAVSTAR. 18 NAVSTAR-Satelliten sollen so in Umlaufbahnen gebracht werden, daß ein Flugobjekt (z.B. ballistische Rakete) in jedem Punkt seiner Flugbahn gleichzeitig Informationen von mindestens 4 Satelliten empfangen und entsprechende Kurskorrekturen vornehmen kann. Sollten nach den Minuteman II-Raketen sämtliche bis 1988 fertiggestellten 408 Raketen des Typs Trident I mit NAVSTAR-Leitsystemen ausgerüstet werden, würde nach Angaben von Robert C. Aldridge die Wahrscheinlichkeit, alle 1398 sowjetischen Raketensilos bei einem kombinierten Einsatz von Minuteman II und Trident I zu zerstören, auf 95% steigen. Die verbleibenden 70% landgestützten Raketen müßten mittels BMD aufgefangen werden.

Abfangtechnologien (BMD)

Die Abwehr ballistischer Raketen ist zur Zeit noch der wundeste Punkt im Erstschlagkonzept der USA. Entsprechend den verschiedenen Phasen des Fluges einer ballistischen Rakete gibt es verschiedene Abfangoptionen, die aber alle noch im Erprobungs- bzw. Forschungsstadium sind:

  1. Abwehrphase. Zerstörung in der Startphase durch satellitengestützte Vought Raketen (auch Strahlenwaffen sind denkbar)
  2. Abwehrphase: Zerstörung in der Phase des ballistischen Fluges durch Strahlenwaffen (Laser, Partikel, Mikrowellen, Plasma)
  3. Abwehrphase: Zerstörung der gegnerischen Sprengköpfe in Zielnähe mittels bodengestützter Systeme kurz vor dem Aufschlag.

Zusammenfassend kann man sagen, daß der Aufbau einer Erstschlagsfähigkeit eine qualitativ völlig neue Stufe der Weltraumrüstung erzwingt. In einem künftigen Atomkrieg wird der Weltraum gleichzeitig Schauplatz und Kontrollzentrum der Eskalation sein. Ein Erstschlag ist ohne die strategische Einbeziehung des Weltraums nicht denkbar.

Der Stopp der Weltraummilitarisierung würde den Erstschlagsstrategen eines ihrer wichtigsten Instrumente aus der Hand schlagen.

Anmerkungen

1 Gray, Cohn S., Space is not a Sanctuary, in: Survival, 9/10, 1983 Zurück

2 ·ebenda Zurück

3 ·IISS-London, Adelphi Paper Nr. 169/1981, S. 20 und S. 44 Zurück

4 The Brookings Institution, Washington D.C., Berman/Baker, Soviet Strategic Forces: Requirements and Reports 1982, S. 103 und S. 137 Zurück

5 Aldridge, Robert C., Das Instrumentarium für den „entwaffnenden Erstschlag“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3, 1983, S. 462 ff. Zurück

Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker in Marburg; Anand Srivastav (VDS-Projektbereich Frieden); Ekkehard Sieker (Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung e.V.)

US-Wissenschaftler zu Reagans Plan: „Zur Verteidigung ungeeignet“

US-Wissenschaftler zu Reagans Plan: „Zur Verteidigung ungeeignet“

von Redaktion

Unter dem Titel „Space-Based Missile Defense“ hat die Union of Concerned Scientists im März eine ausführliche Analyse der von Reagan vorgeschlagenen Pläne vorgelegt. Wir zitieren einige Passagen, aus denen hervorgeht, daß der Aufbau eines perfekten Schutzschildes gegen einen massiven sowjetischen Angriff technisch unmöglich ist. Dies zeigt: als Mittel der Verteidigung ist das geplante ABM-System untauglich.

„In der Beurteilung jedes BMD-Systems (Ballistic Missile Defense), nehmen wir zuerst an, daß es so gut funktionieren wird, wie es die Einschränkungen der naturwissenschaftlichen Gesetze zulassen daß die Ziele sofort entdeckt und perfekt anvisiert werden können, daß die Software für das Kriegs-Management fehlerfrei ist, daß alle Spiegel optisch perfekt sind, daß die Laser mit der geforderten Leistung verfügbar sind, usw. Außerdem, daß die sowjetischen Streitkräfte unverändert bleiben – daß die Sowjets nicht mehr Raketen bauen oder andere Gegenmittel installieren.

Selbst unter diesen utopischen Voraussetzungen, sind unsere Ergebnisse bezüglich des vorgeschlagenen BMD-Systems:

– chemische Laser-Kampfstationen in niederen Umlaufbahnen oder Weltraumschiffe, die Zerstörungsgeschosse mit sich führen, müßten zu Tausenden vorhanden sein, um eine ausreichende Überdeckung der sowjetischen Silofelder zu gewährleisten; allein der Transport dieser Stationen in die Umlaufbahn würde mehr als 70 Mrd. Dollar kosten.

– Excimer Laser auf der Erde, deren Strahlen von über tausend Spiegeln im Orbit auf die Raketentriebwerke reflektiert würde, erforderten Energiequellen, die allein um die 40 Mrd. Dollar kosten würden.

– Die Atmosphäre und das Magnetfeld der Erde zusammengenommen machen Teilchenstrahlwaffen völlig ungeeignet in absehbarer Zukunft.

Diese Kostenschätzungen beinhalten nicht Forschung und Entwicklung oder die Konstruktion von Weltraumplattformen, Lasern, Zerstörungsgeschossen, Spiegeln und Kommando- und Kontrolleinrichtungen. Vor allem der Forschungs- und Entwicklungsanteil dieses Programms würde nach Aussagen von Dr. Richard de Lauer, (Under Secretary of Defense for Research and Engineering) wenigstens acht Komponenten enthalten, von denen jede einzelne mindestens die Größe des Manhattan-Projekts hätte. Desweiteren würden alle Kosten rapide ansteigen, wenn die Spiegel nicht perfekt wären, die Zeit für das Zielen mehrere Sekunden überschreiten wurde, eine Redundanz nötig wäre. Die vollen Kosten können nicht abgeschätzt werden, weil die vorgesehenen Technologien noch zu wenig entwickelt sind, aber es ist klar, daß mehrere hundert Milliarden Dollar benötigt würden.

Der Vorschlag, durch Nuklearexplosionen gepumpte Röntgenlaser in dem Augenblick eines Angriffs zu starten, würde eine neue Flotte von Unterseebooten erfordern, da es keine geeigneten Landbasen gibt, die nahe genug an den sowjetischen Silos liegen, um rechtzeitiges Abfangen zu ermöglichen.

Die weichen Röntgenstrahlen der Laser können nicht die Atmosphäre durchdringen und sie bewirken nur einen ziemlich leichten Stoß, vor dem die Raketen recht einfach geschätzt werden können. Diese Tatsachen zusammen mit der Möglichkeit, die Startphase zu verkürzen so daß sie zu Ende ist, bevor die Raketen die Atmosphäre verlassen, bedeuten, daß die Röntgen-Laser keine sinnvolle BMD-Waffe sind.“

Desweiteren gehen die Wissenschaftler davon aus, daß die Annahme, die UdSSR würde stillhalten und rüstungstechnologisch stagnieren, nicht haltbar ist. Gegenmaßnahmen seien unausweichlich, zumal die Sowjetunion allen Grund habe, dieses Abwehrsystem zu fürchten als ein Versuch, sie zu entwaffnen.

Sowjetische Reaktionen könnten einschließen:

  • von U-Booten abzufeuernde cruise missiles, die vom Weltraum aus nicht gestört werden können
  • spezielle Härtung der Interkontinentalraketen oder Raketen mit solch hoher Energie, daß die Triebwerke innerhalb der Atmosphäre ausbrennen würden, getarnte Raketen ohne Sprengköpfe usw.

Diese sowjetischen Gegenmaßnahmen würden billiger und weit zuverlässiger sein. Die politischen Folgen der schier aussichtslosen Suche nach einem totalen Verteidigungssystem gegen Nuklearraketen seien schon heute sichtbar. So weigerten sich die USA, auf den sowjetischen Vorschlag zu Verhandlungen über die Anti-Satellitenwaffen (ASAT) einzugehen.

„Unsere Verbündeten in Europa wären nicht durch das amerikanische BMD-System geschützt und dies würde bestehende Befürchtungen nähren, daß die USA nukleare Operationen in Europa durchführen wollten, ohne sich selber zu gefährden.“

Im nuklearen Zeitalter gebe es nur eine realistische Schlußfolgerung:

„(…) wir können nicht Sicherheit bewahren, indem wir geschickt den dünnen, trockenen Ast absägen, auf dem die Sowjets sitzen, denn wir klammern uns an den selben Ast.“

„Berichte von der Front“ – Kriegsbilder im Science-Fiction-Film

„Berichte von der Front“ – Kriegsbilder im Science-Fiction-Film

von Brunhilde Janßen

Sei es der „Krieg der Welten“ H. G. Wells, 1898 oder der „Krieg der Sterne“ (1977) – in der Geschichte der SF spielt der Themenbereich Konflikte, Katastrophen und Krieg eine zentrale Rolle. Kriegerische Katastrophen haben sich entweder schon ereignet oder drohen, sich in nächster Zukunft abzuspielen, wenn sie nicht sogar selbst Thema von SF sind. Fast immer geht es dabei um die gewaltsame Eroberung des Alls und fremder Planeten oder aber ein in neuerer Zeit häufiger auftauchendes Bild – um die Verteidigung der menschlichen Rasse gegen aliens, die aus den Tiefen des Alls in unsere Galaxie vorgedrungen sind, um auch diese zu erobern und zu beherrschen.

Ein Krieg im Weltall, so suggeriert die SF, kann sehr schön sein und läßt den Betrachter seine womöglich realen Erfahrungen mit dem Krieg oder zumindest sein Problembewußtsein bezüglich der realen Kriege auf unserer Erde vergessen. Das All, an sich von einer endlosen und faszinierenden Weite und Anonymität, belebt sich mit Tötungsmaschinen unterschiedlicher Art: majestätische „Kampfschiffe“ schweben ebenso lautlos und leicht durch den Raum wie kleine und schnelle Angriffsfahrzeuge, die mit allen Wundern der Technik ausgestattet sind. Angereichert wird dieses Waffenpotential durch eine Vielzahl von Strahlenwaffen, atomaren Sprengköpfen oder auch seit es den Film „Krieg der Sterne“, Teil 1 gibt Licht- und Strahlenschwertern, die an archaische Formen des Kampfes erinnern.

Die technischen Wunderwerke erlangen ihre Ästhetik und Faszination durch ihr Schweben im unendlichen Raum. in dem sie für den Betrachter wie Sterne leuchten und strahlen, und diese Faszination nimmt auch nicht ab, wenn plötzlich eines dieser Gebilde vorn Bild verschwindet: abgeschossen und verglüht. Der Kampf der Raumschiffe soll Spannung und Nervenkitzel erzeugen. Doch letztlich bleibt der Krieg im Weltall schön und lautlos. Selbst die Explosion eines Raumfahrzeuges erzeugt noch ein ästhetisches Bild, das zum Staunen anregt und die Distanz, in der solches geschieht, enthebt den Zuschauer der unangenehmen Problematik, sich womöglich mit dem Tod von Menschen auseinandersetzen zu müssen. Die kriegerische Auseinandersetzung bleibt für den Betrachter prinzipiell folgenlos, Übrigens auch für die Hauptpersonen in einem solchen SF-Film. Der Tod erhält ein anonymes Gesicht, für den Zuschauer nicht mehr begreifbar als Leiden und Sterben, sondern vorwiegend als logisches Faktum: das getroffene Objekt verschwindet einfach, ohne Lärm, ohne Blut, ohne Leiche. Töten wird so zu einem selbstverständlichen Vorgang, der auch vom Zuschauer aufgrund seiner Distanzierung ohne weiteres akzeptiert werden kann, ja sogar von ihm am nächsten Computer-Spielautomaten selbst nachgeahmt werden kann. Natürlich findet der Krieg im Weltall nicht grundlos statt. Er erhält seine Legitimation aus zwei Quellen: zum einen handeln die Guten, also die Identifikationsfiguren, immer aus einer Notwendigkeit heraus, da sie bedroht oder von Fremden angegriffen werden, zum anderen aber kämpfen sie für das Gute an sich, für die gesamte menschliche Rasse. Ohne inhaltlich genauer definiert werden zu müssen, ist dieses Gute immer im Recht, denn es verteidigt uns, die Menschen.

Dem Guten, repräsentiert durch hübsche, mutige und ehrenwerte Personen, die mit Vorliebe weiß gekleidet sind, steht das Böse gegenüber: dunkel, maskiert, anonym und niederträchtig. Die Beweggründe der bösen Personen sind schnell genannt. Sie wollen Macht und Besitz, und was sich nicht beherrschen läßt, soll getötet, besser: vernichtet werden. So einfach die Handlungsmotive der bösen Protagonisten sind, so einfach hat auch die Reaktion darauf zu sein. Dein Zuschauer wird die Notwendigkeit vor Augen geführt, radikal und durchaus gewalttätig gegen das Böse vorzugehen, ohne etwa nach Hintergründen oder gar nach Verhandlungsmöglichkeiten zu fragen. Daß Böse muß ausgerottet werden, da es sonst uns, die Menschen, vernichtet.

Daher geht es um die Art und Weise, wie die SF der letzten Jahre das Thema Krieg behandelt. Dem Zuschauer oder Leser wird eine simple Schwarz-Weiß-Sicht der viel komplizierteren realen gesellschaftlichen und politischen Vorgänge angeboten, die ihm letztlich eine Einsicht in die Gründe, warum in unserer Gegenwart Kriege geplant und geführt werden, verstellt. Vor allem aber lernt er zu akzeptieren, daß es zur Vernichtung des Übels sogar notwendig sein kann, die eigene Zerstörung in Kauf zu nehmen, wenn nur irgendwelche, womöglich wertvollere Repräsentanten der menschlichen Rasse vor dem Untergang bewahrt werden.

Und noch etwas anderes wird in den meisten SF-Produktionen der jüngeren Vergangenheit als selbstverständlich vorausgesetzt: der 3. Weltkrieg hat auf der Erde bereits stattgefunden, der Planet Erde ist in den Weiten des Alls verglüht. Ein Gedanke, der uns im Jahre 1984 Angst macht, weil er im Bereich des Möglichen und Denkbaren liegt, wird uns zugleich als akzeptabel und prinzipiell fast folgenlos präsentiert. Die Erde existiert nicht mehr, aber die menschliche Rasse gibt es noch und sie kämpft in alter Manier für ihr Überleben.

Die Weltsicht, die hinter diesen Bildern steht, ist eindeutig: ein von den Menschen gefürchteter Atomkrieg ist gar nicht so gefährlich, denn man kann ihn überleben. Wer ihn aber nicht überlebt hat, der ist für die Vernichtung des Bösen gestorben. Denn – „es gibt Wichtigeres, als im Frieden zu leben“.

Nicht zufällig findet sich diese Anschauung besonders in amerikanischen SF-Produktionen. Ihre Wirkung ist bemerkenswert. Mehr als die durchschnittlichen deutschen SF-Film Zuschauer sind die amerikanischen Zuschauer bereit, die „Commies“ (= Kommunisten) als dunkle, gewalttätige Monster, als Vertreter einer undefinierbaren, jedenfalls aber bösen Macht zu betrachten. Die gedankliche Hemmschwelle, gegen den historischen Gegner in einem realen Krieg möglicherweise auch Atomwaffen einzusetzen, um sich „seiner (zu) entledigen“ (R. Reagan), ist dann auch sehr niedrig: ca. 40% von befragten amerikanischen Zuschauern wären dazu bereit.1

Die ideologische Aussage der SF in den letzten Jahren, die sich mit dem Motiv des Krieges thematisch beschäftigt, ist also nicht nur Widerspiegelung der Realität, sondern zugleich konkretes Mittel zur politischen Auseinandersetzung. Sie postuliert die Vorstellung und Akzeptanz des bisher Undenkbaren.

Zugleich impliziert eine solche Sichtweise des Krieges als einzig funktionierendes und deshalb durchaus legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung auch eine Reihe weiterer gesellschaftsbezogener Aussagen in der SF. Der Krieg, so erfährt der Zuschauer, macht es notwendig, daß alle Beteiligten gehorsam ihrem Oberhaupt, ihrem Führer, ihrem Vater, z. B. im „Krieg der Sterne“ auch versinnbildlicht im Darth Vader, dem Oberhaupt der „Bösen“, folgen. Eine Hierarchie, offenbar von Urzeiten an bestehend und von Prinzen, Prinzessinnen oder Herrschern repräsentiert, darf nun auch nicht hinterfragt werden, denn Unterordnung und Gehorsam sind wichtiger. Schließlich geht es um das Überleben des Imperiums oder der menschlichen Rasse selbst.

Bis in die Rollenstrukturen von Mann und Frau wirkt die permanente Krisensituation hinein: der Krieg in den Galaxien ist auch der Kampf der Geschlechter, ohne daß dies allerdings thematisiert würde. Schließlich mag es als selbst-verständlich erscheinen, daß der Kampf gegen mächtige und monströse Gestalten des bösen Reichs nur von mutigen, starken und tatkräftigen Männern geführt werden kann, während Frauen als Opfer oder namenlose Zuschauer zu fungieren haben. So ist es nur folgerichtig, daß das Imperium des Guten zwar grundsätzlich von schönen, kindlich-unschuldigen aber durchaus erotisch anziehenden Prinzessinnen repräsentiert, letztlich aber von starken Männern beherrscht und verteidigt wird. Nur ihnen kann die nötige Kaltblütigkeit und Tötungsbereitschaft zugetraut werden, nur sie – so wird dem Zuschauer suggeriert – verfügen über die Rationalität und notfalls gefühlsmäßige Kälte, um als Soldaten ihres Reichs zu kämpfen.

Frauen dagegen sind Garnitur oder sogar überhaupt anonyme Masse, zumindest aber sind sie immer potentielles Opfer des Geschehens. Handlungsfähigkeit kann ihnen abgesprochen werden und so werden sie vom Feind gejagt und gefangengenommen, als Sexualobjekt benutzt und von den guten Helden, für die sie im Grunde nichts anderes bedeuten, wieder befreit. Prinzessin Leia im „Krieg der Sterne“ bildet hierfür ein deutliches Beispiel.

Zwar gibt es auch böse Prinzessinnen („Buck Rogers“), die mit ihren niederträchtigen Beweggründen die Mächte des Bösen und Dunklen vertreten. Doch auch sie sind letztlich nur Objekte der Handlung, indem sie – zumeist mit großem Kostümaufwand als galaktische femmes fatales gekennzeichnet – gegen die wirklich bösen Männer in ihrem Rücken doch nicht antreten können. Selbst intellektuell zu schwach und auch nicht rücksichtslos genug, sind sie dem Untergang geweiht. Frauen sind also. in der SF zumeist schwach und unterlegen, gleichgültig ob gut oder böse, und auch der vereinzelte Kampf gegen die Vorherrschaft der Männer ändert nichts an ihrer Aufgabe, als Farbtupfer die männliche und von Soldaten geprägte Welt aufzuhellen.

Die waffenstarrende Symbolisierung der männlichen Vorherrschaft reicht bis in psychoanalytische Ebenen hinein. Nur zu leicht lassen sich die Strahlenwaffen, vor allem aber die Lichtschwerter, mit denen die Hauptakteure gegeneinander antreten, als Phallussymbole interpretieren. Strahlenwaffen sind utopisch wie archaisch zugleich: Laserstrahlen zeigen die Macht des technologischen Fortschritts, doch die Form des Schwerts steht für den männlichen Kampf in seiner „klassischen“ Gestalt: zwei Männer stehen sich mit dem Vorsatz gegenüber, einander zu töten.

Die moralische Vereinfachung, visuell gekennzeichnet durch das Gegenüber von Hell und Dunkel in der Kleidung der Protagonisten, findet ihre äußerliche Entsprechung in der monumentalen Aufteilung der Räume – im Innern der Raumschiffe wie im All. Figuren wie Ben Kenobi, Luke Skywalker oder – auf der anderen Seite Darth Vader im „Krieg der Sterne“ sind nicht nur Repräsentanten von gut und böse, sie sind vor allem Führer ganzer Raumschiff-Flotten und riesiger Heere von Raumsoldaten. Dem entsprechen die häufig auftauchenden Paraden und Begrüßungsszenerien, in denen weitläufige Hallen mit uniformierten und zumeist auch maskierten Soldaten angefüllt sind. Tausende von Soldaten stehen stramm, im Imperium des Guten ebenso wie im dunklen Reich des Bösen. Unterschiede lassen sich nur an Äußerlichkeiten festmachen: natürlich lassen sich die Soldaten des Guten noch als Menschen identifizieren, die ihre Pflicht tun, während die in Metall und Kunststoff verkleideten Kämpfer der dunklen Macht genausogut Maschinen sein können. Dies erleichtert zusätzlich die Legitimation ihrer Vernichtung. Das alles findet in monumentalen Räumen und Bauwerken statt, die die Wirkung einer normierten Masse von Lebewesen deutlicher hervorzuheben vermögen.

Daß einzelne Szenarios aus der SF an den NSDAP-Reichsparteitag im Jahre 1936 erinnern, ist kein Zufall. Die SF-Requisitenwelt versinnbildlicht die skizzierten ideologischen Hintergründe. Große Massen soldatischer Männer dienen als „Kanonenfutter“ in einem wahnsinnigen, aber notwendigen Krieg, während die Leitfiguren allein über Handeln und Strategie entscheiden. Dabei ist nicht nur die Masse der Menschen an sich wertlos (soweit es nicht um ihre Rolle innerhalb der Erhaltung der Rasse geht), sondern auch der Gegner bereits per definitionem minderwertig. Diesen faschistoiden Elementen entspricht die soldatische Härte der Personen, die die Autorität der Führer vorbehaltlos anerkennen und deren Befehle ohne Zögern befolgen, sei es auch mit der Konsequenz des eigenen Todes. Vorgeführt wird eine ethische Entmenschlichung des Individuums. Seit den 50er Jahren ist die Science Fiction nicht bloß bunter und phantastischer geworden. Der Zuschauer von 1984 soll lernen, seinen eigenen Untergang, der ihm so faszinierend vorgeführt wird, zu akzeptieren.

Brunhilde Janßen ist Lehrerin. Sie wohnt in Königswinter

Anmerkungen

1 Vgl. dazu einen Bericht in der Zeitschrift KONKRET, Nr.12, Dez. 1983, S. 47 Zurück

gekürzter Vorabdruck aus: Harald Kimpel/Gerhard Hallenberger (Hg.), Zukunftsträume. Bildwellen und Weltbilder der Science Fiction. ed. 8 1/2 (erscheint Ende April). Das Buch ist eine Begleitpublikation zu einer gleichnamigen Ausstellung, die vom 30.4.-17.6. in der Kasseler Orangerie gezeigt wird.

Laser

Laser

von Horst Kremmling

In nun etwa 25 Jahren ist der Laser von einem Labor-Prototyp zu einem Instrument gereift, das eine Reihe von Forschungsbereichen revolutioniert hat und inzwischen auch vielfältige Anwendungen in der Medizin, der Materialverarbeitung, der Meß- und Analysentechnik sowie in Informationssystemen erfährt. Die zukünftige Entwicklung ist zur Zeit nur unvollkommen abzuschätzen, aber sicher wird der Laser zu den bedeutendsten Entwicklungen dieses Jahrhunderts gezählt werden müssen. Die vielfältigen Anwendungen der Lasertechnik, die auch bereits kommerziell eingesetzt werden, bleiben natürlich nicht ohne Auswirkung auf die Militärtechnik.

Man kann annehmen, daß alle Länder, die über die entsprechende Technologie verfügen, bestrebt sind, den Laser für militärische Anwendungen mehr und mehr nutzbar zu machen. Daß in diesem Artikel im wesentlichen amerikanische Beispiele erwähnt werden liegt an der relativ offenen Informationspolitik der Regierung und der beteiligten Wirtschaft, bedeutet aber keinesfalls, daß z. B. die Sowjetunion nicht entsprechende Forschungsanstrengungen unternimmt. Ohne auf die prinzipielle Funktionsweise von Lasern einzugehen, sei hier an die wesentlichen Eigenschaften der Laserstrahlung erinnert. Ein Laser stellt eine nahezu punktförmige Lichtquelle dar, die ihre Lichtenergie in einem eng begrenzten, fast parallelen „Strahlenbündel“ aussendet. Im Gegensatz zu Glühbirnen oder Leuchtstoffröhren, die ihre Strahlung in alle Raumrichtungen emittieren, ist die Laserstrahlung gerichtet. Dabei erzeugt der Laser auch kein „weißes“ Licht, sondern arbeitet auf nur den jeweiligen Typ charakteristischen Wellenlängen („Farben“) der elektromagnetischen Strahlung. Heutzutage stellen weltweit etwa 200 Herstellerfirmen über 1500 verschiedene Lasertypen her, die auf dem Markt angeboten werden. Unterscheidet man nach den verschiedenen Lasermedien (Gasen und Lastkörpern etc.) sowie nach gepulsten oder kontinuierlich arbeitende Lasern, existieren etwa 50 auch technisch grundlegend verschiedene Laser, deren Anzahl sich ständig vergrößert. Hinzu kommen nicht spezielle, kommerziell leicht erhältliche Laser in der Forschung. Mit diesem großen Angebot an Lasern ist praktisch jede optische Wellenlänge zu erzeugen, vom Ultravioletten über den sichtbaren Spektralbereich bis hin zur Wärmestrahlung, dem Infrarot. Es existieren jedoch gewaltige Unterschiede bezüglich der abgestrahlten Lichtleistung, des Wirkungsgrades und der „Qualität“ des Strahles. Der Wirkungsgrad der Laser ist i.A. sehr schlecht. Nur etwa 0,01% bis maximal ca. 30% der aufgewendeten Energie wird in Lichtenergie umgewandelt. Hauptsächlich wird z.B. elektrische Energie benötigt, jedoch existieren auch Lasertypen, die die bei einer chemischen Reaktion freiwerdende Energie oder einen thermodynamischen Effekt benutzen.

Laser als Waffe

Diese Form militärischer Verwendung wurde im vergangenen Jahr am häufigsten in den Medien diskutiert und erinnerte oft an Vorstellungen, wie sie in Science-Fiction-Filmen häufig produziert werden. Im März 1983 kündigte der amerikanische Präsident Reagan die verstärkten Bemühungen an, mit Hilfe von „Laserkanonen“, evtl. im Weltraum stationiert, eine Abwehrmöglichkeit gegenüber Interkontinentalraketen zu schaffen. Im Juni wurde in den Zeitungen über den erfolgreichen Abschuß von Sidewinder-Raketen, im November 1983 von ferngesteuerten Flugzeugen durch das amerikanische Airborne Laser Laboratory (ALL) berichtet, einem thermodynamischen CO2-Laser der von einer militärischen Version der Boeing 707 aus betrieben wird. Für die militärische Anwendung der Laser als Zerstörungswaffe liegt der Vorteil gegenüber herkömmlicher Systeme auf der Hand. Licht pflanzt sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 300 000 km/sek. fort, es benötigt für eine Strecke von 1000 km nur etwa 0,003 sek. Ein Entrinnen des Zieles, selbst wenn es, wie moderne Raketen, mit Mach 10 (3 km/s) fliegt, ist unmöglich. Zudem ergibt sich der Vorteil, zumindest auf kürzeren Strecken bis einigen 100 km ohne Vorhalt direkt zielen zu können. Bei genügend Energievorrat ist auch kein umständliches Nachladen dieser Waffe nötig. Allerdings ergeben sich auch gewaltige technologische Anforderungen. So muß das Ziel direkt getroffen werden, es genügt nicht, wie bei mit Sprengköpfen bestückten Raketen, in die nähere Umgebung des Zieles zu gelangen. Bei der Größe von Raketen, Flugzeugen etc. und den durch das Licht zu überbrückenden Entfernungen erfordert dies eine exzellente Präszision der Zielerfassung und der Richtungseinstellung des Laserstrahls. Zum zweiten benötigt man eine hohe Lichtintensität, das Metall des Zieles soll. durch Licht geschmolzen werden. Bei der Bearbeitung von Metallen in der Produktion durch Laserlicht sind diese nötigen Lichtintensitäten zu erreichen, indem man den Laserstrahl durch eine Linse kurz über dem Werkstück auf dessen Oberfläche fokussiert. Mit den heute verfügbaren Hochenergielasern sind auf diese Weise Oberflächentemperaturen von einigen tausend Grad C und mehr zu erreichen, jedoch nur auf der kleinen Fläche des Brennpunktes. Für den Einsatz als Waffe jedoch ist es nicht möglich, diese kurzbrennwellige Fokussierung durchzuführen. Hier kann der Brennfleck nur an der Strahlungsquelle selbst eingestellt werden, über Linsen und Spiegel auf einen Raumpunkt festgelegt werden. Der Durchmesser des Brennflecks jedoch ist aus prinzipiellen physikalischen Gründen um so kleiner, je kürzer die Brennweite (die Entfernung zum Ziel) ist, und je größer das fokussierende Element (der Zielspiegel) ist. Für eine Laserwaffe benötigt man daher ein hochpräzises Zielerfassungssystem (auf Laserbasis), einen sehr intensitätsstarken Laser und eine groß dimensionierte Zieloptik (Spiegel), die extrem genau einstellbar ist. Hinzu kommt die Notwendigkeit eines genügend großen Energievorrates bzw. leistungsstarken Generators.

Zur Beurteilung der Realisierbarkeit solcher Systeme muß man unterscheiden nach dem Anwendungszweck

Gefechtsfeldwaffen: Das aus einer Entfernung von einigen tausend km angreifende Flugkörper mit Laserlicht zerstört werden können, ist im letzten Jahr demonstriert worden. Auf diese Entfernung ist die Abschwächung des Laserstrahls in der Atmosphäre nicht so bedeutend, der Brennfleck klein, die geforderte Genauigkeit der Strahlrichtung nicht so gravierend und die Größe der optischen Elemente kann in einem technisch gewohnten Rahmen gehalten werden. Laser der nötigen Intensität von einigen 10-100 kW/cm2 existieren im Prinzip und die Bereitstellung der zum Betrieb der Laser notwendigen Energie in Form von Elektrizität oder eines Vorrats an chemischen Reagenzien ist möglich.

Anti-Interkontinentalraketen (ABM)-Systeme: Diese, in der Öffentlichkeit häufig diskutierten Systeme auf Laserbasis, sind auch technisch sehr umstritten. Da Witterungseinflüsse und damit die Absorption von Laserlicht bis in etwa 15 km Höhe über der Erdoberfläche wirksam sind, sodaß nur ein Bruchteil der ausgestrahlten Energie den freien Raum erreicht, erscheint es sinnvoll, diese Systeme im Weltraum direkt zu stationieren.

Bei weltraumgestützten Laserwaffen ergeben sich vor allem folgende Probleme: 1.) Die weiten Entfernungen vom Laser zum Ziel, die den amerikanischen Plänen zufolge etwa 100-3000 km betragen sollen; 2.) die Energieversorgung des Lasers im Weltraum.

Die Entfernungen begründen, wie erwähnt, einen möglichst hohen Zielspiegel (in der Entwicklung ist ein Spiegel von 4m Durchmesser), eine schnelle und exakte Winkeleinstellung des Spiegels und einen sehr intensitätsstarken Laser, denn bei einer Entfernung von 1000 km ist der vom Spiegel bestimmte Brennfleck einige 1000 qcm groß. Im Gegensatz zu den Verhältnissen bei der Lasermaterialbearbeitung auf der Erde kann daher keine bedeutende Energiebündelung auf einen kleinen Fleck erfolgen, die Laser müssen mehr als 1000x stärker sein, als die heute verwendeten Materialbearbeitungslaser. Zur Zeit werden folgende Anforderungen für ein Weltraumsystem angenommen: Bei einem 4m-Spiegel, der auf besser als 1 rad (0,00005°) innerhalb von etwa 0,5 s. einstellbar ist, benötigt man einen Laser mit einer Energie pro Laserschuß von etwa 10-20 MWs (Millionen Joule). Während die genauen Justiereinrichtungen des Spiegels nach dem Stand der Technik heute gerade machbar sind, ist die Entwicklung eines derart großen Spiegels hoher optischer Qualität noch nicht gelungen und auch Laser der geforderten Stärke existieren nicht. Zu 2.): Das andere noch ungelöste Problem ist die Energieversorgung im All. Hier bieten sich sofort Lasertypen an, die keine oder nur geringe elektrische Energie benötigen, wie die chemischen Laser (HF, DF), die ihre Energie aus einer chemischen Reaktion beziehen. Hierbei müssen aber gewaltige Mengen der entsprechenden Reaktionsstoffe in den Weltraum gebracht und dort gelagert werden. Die Schätzungen der benötigten Energie sind von Randbedingungen abhängig und unterscheiden sich in den Veröffentlichungen gewaltig. Ohne genauer darauf einzugehen, muß festgestellt werden, daß die heutige Weltraumtechnologie in Form des „Space Shuttle“ für den Transport dieser Treibstoffmengen nicht geeignet ist. Selbst im günstigen Fall ergeben sich ungefähr 1000 Shuttle-Flüge allein, um den Brennstoff zu transportieren (10 Jahre lang 100 Flüge pro Jahr). Dieses Dilemma ist auch den Verantwortlichen offenbar bekannt. So werden Experimente durchgeführt, Lasern durch die Sonnenstrahlung die nötige Energie zuzuführen, jedoch sind diese Systeme noch weit von einer Realisierung entfernt.

Abwehrmöglichkeiten: Betrachtet man die ungeheuren technischen Schwierigkeiten, die der Realisierung der Weltraum-Laser-Systems entgegenstehen, so erscheinen die möglichen Abwehrmöglichkeiten gegenüber der Laserstrahlung gerade zu trivial. So ist eine Verspiegelung der angreifenden Raketen möglich und der Schutz der Außenhaut durch einergieabsorbierende Schichten wie z.B. bei den Apollo-Raumkapseln vielfach erprobt. Zu erwähnen sind hier auch die hochtemperaturfesten Keramikmaterialien, wie sie in Space Shuttle Programm verwendet werden. Neben dieser primären Abwehr ist ebenfalls relativ einfach eine sekundäre möglich. Durch Zerstörung der Station durch andere Satelliten oder Raketen, durch eine Zerstörung des Ortungssystems, wozu eine relativ schwache Laser genügen würde, durch Unterbrechung des notwendigen Kommunikationssystems oder einfach durch eine größere Anzahl stationierter Interkontinentalraketen, bzw. ununterscheidbare Attrappen. Diese letztere Maßnahme würde wiederum die notwendige Spezifikation des Lasersystems heraufsetzen, die notwendig sind, einen Angriff mit Interkontinentalraketen abzuwehren.

Die Laserforschung ist wohl die weitaus teuerste militärische Forschungsprojekt der Vereinigten Staaten. Insgesamt wurden seit 1973 über 2 Mrd. Dollar ausgegeben, 1984 sind insgesamt 700-800 Mill. Dollar hierfür vorgesehen, für 1985 rechnet man mit über 1 Mrd. Dollar. Allerdings fallen hierunter auch Forschungen, die andere Aufgaben mit Hilfe von Lasern ermöglichen sollen und keine eigentlichen Waffen sind. Das TRIAD-Programm der Defence Advanced Research Project Agency (DARPA), die mit der Entwicklung der Weltraumwaffen beauftragt ist, kostet 1984 insgesamt etwas mehr als 150 Mill. Dollar die aufgewendet werden zur Entwicklung eines Hochenergielasers, des Zielspiegels und des Zielerfassungssystems.

Laser in der konventionellen Rüstung

Weitgehend unbemerkt hat der Laser inzwischen im konventionellen militärischen Bereich an Bedeutung gewonnen. Neben den Möglichkeiten den Laser als Gefechtswaffe einzusetzen (gegen Menschen als Blendlaser) sind u.a. Anwendungen auf folgenden Gebieten festzustellen.

  • Als LIDAR-System (Light Detection And Ranging), eine dem herkömmlichen RADAR entsprechende Technik, die jedoch wesentlich präziser die Entfernung, den Ort, die Geschwindigkeit eines Zieles feststellen kann und in Verbindung mit moderner Elektronik eine Zielidentifizierung ermöglicht. Vor allem kleine, relativ einfache aber tragbare Geräte sind bereits heute entwickelt und einsatzbereit.
  • Die ungeheure Präzision des Lasers ermöglicht die Lenkung von Flugkörpern derart genau, daß für diese ein Sprengkopf entbehrlich wird. Das Ziel wird rein mechanisch zerstört. Diese Lenkung von Flugkörpern oder Bomben kann so erfolgen, daß das Ziel durch einen Laserstrahl markiert wird der Flugkörper folgt dann dem vom Ziel gestreuten Licht, oder aber er wird vom Laserstrahl direkt in das Ziel gelenkt. Es wird angenommen, daß solche Systeme kurz vor der Serienfertigung stehen.
  • Mit Lasern ist eine Gefechtsfeldbeleuchtung (Tomoskopie) möglich, die bei schlechten Sichtverhältnissen einen bestimmten Bereich des Geländes sichtbar machen und die Kampftätigkeit auch bei widrigen äußeren Umständen ermöglicht.
  • Ein IRS (Inertial Reference System) in Form des Lasergyrometers ersetzt zur Zeit den altbekannten Kreiselkompaß in Flugzeugen, auch in zivilen wie im neuen Airbus A320. Das Gyrometer erlaubt eine wesentlich präzisere Flugbahn, ist mechanisch robust und kann in Großserie recht billig hergestellt werden. Fluggesellschaften rechnen mit Treibstoffersparnissen bis zu 10% aufgrund der geringen Bahnabweichungen. Diese werden mit etwa 1km pro 1h Flugzeit angegeben, jedoch ist die Entwicklung noch nicht an ihre Grenzen gestoßen.
  • Das Laserlicht als Träger von Informationen ist im Bereich der Glasfasertechnologie bekannt. Eine militärisch besonders interessante Laserkommunikation betrifft getauchte U-Boote. Mit Lasern, die im blau-grünen Spektralbereich arbeiten, ist über Satelliten eine Kommunikation mit diesen möglich, da diese Wellenlängen von Wasser und der Atmosphäre nur wenig absorbiert werden. Dies ermöglicht nicht nur die Anbindung dieser U-Boote an die Befehlszentralen, sondern könnte auch die Ortsbestimmung der Boote verbessern, was für die Treffgenauigkeit ihrer Raketen von großer Bedeutung ist.

Auf weitere Anwendungen von Lasern im militärischen Bereich, wie die Isotopentrennung zur Herstellung von Spaltbrennstoffen soll in diesem Rahmen nicht weiter eingegangen werden. Sicher wird die moderne Lasertechnologie, wie im zivilen Bereich, auch die militärischen Möglichkeiten gewaltig verändern, ja in Einzelfällen revolutionieren. Ein Ende dieser Entwicklung ist heute nicht abzuschätzen. Neue Entwicklungen wie der Röntgenlaser, der „freie Elektronenlaser“ und Weiterentwicklung der bisherigen Typen könnte, vor allem in Verbindung mit modernster Elektronik, völlig neue militärische Anwendungen und Strategien ermöglichen.

Die Laserforschung ist wohl da weitaus teuerste militärische Forschungsprojekt der Vereinigten Staaten. Insgesamt wurden seit 1973 über 2 Mrd. Dollar ausgegeben, 1984 sind insgesamt 700-800 Mill. Dollar hierfür vorgesehen, für 1985 rechnet man mit über 1 Mrd. Dollar. Allerdings fallen hierunter auch Forschungen, die andere Aufgaben mit Hilfe von Lasern ermöglichen sollen und keine eigentlichen Waffen sind. Das TRIAD-Programm der Defence Advanced Research Project Agency (DARPA), die mit der Entwicklung der Weltraumwaffen beauftragt ist, kostet 1984 insgesamt etwas mehr als 150 Mill. Dollar, die aufgewendet werden zur Entwicklung eines Hochenergielasers, des Zielspiegels und des Zielerfassungssystems.

Literatur:

Forschungshaushalt:

Laser Focus 5/82 und 10/83, Laser and Applications 6/83

Weltraumlaser:

Physics Today 8/83; Programm in Science and Technology for International Security Report No. 6; Dept. of Physics, MIT, Cambridge, Mass. 02139, 1980; Laser and Applications 9/83, Laser Focus 2/81 und 1/82; Spektrum d. Wissenschaften 2/82; Laser and Applications 11/83; VDI-Nachrichten 4.11.83; Spiegel 9.1.84; Frankfurter Rundschau 4.4.84/20.7.83

Lasertypen:

Laser Focus Buyer's Guide 1984; Laser Focuss 1/82, 9/81, 1/83, 10/83; Photonics 7/83, Laser Handbook Vol. 3 ed M.L. Stitich, North Holland Publishing Company, 1979, Physik i. u. Zeit 6/73, 3/82, 2/80; Laser and Applications 9/82

Anwendungen:

Topics in applied physics Vol.14 Springer, Heidelberg, Berlin, New York 1976; Photonics 8/83, 1/83; Laser Focus 11/80 4/81, 6/81 8/ 82, 4/82, 11/83; Laser and Applications 9/81

Horst Kremmling ist Diplomphysiker in Mainz