Die europäische Weltraumgemeinschaft – Aufbruch in die Zukunft?
von Jürgen Scheffran
„Wenn man in einer Zukunft, die näher ist, als man glaubt, nicht ins Hintertreffen geraten will, muß man seinen Blick schon über die Atomwaffen hinausrichten. Ich nenne nur ein Beispiel: die Eroberung des Weltraums. Wenn Europa in der Lage ist, eine bemannte Station in den Weltraum zu bringen, die ihm erlaubt, jede mögliche Bedrohung zu beobachten, zu übermitteln und damit zu verhindern, dann wird es einen großen Schritt auf seine eigene Verteidigung hin getan haben. Nicht zu vergessen, die Fortschritte bei der elektronischen Datenverarbeitung und dem künstlichen Gedächtnis sowie die bereits bekannte Fähigkeit, Projektile abzufeuern, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Eine europäische Weltraumgemeinschaft wäre meiner Meinung nach die beste Antwort auf die militärischen Realitäten von morgen.“ 1
Mit dieser „Vision der Zukunft“ für Westeuropa gab der französische Staatspräsident Mitterand in seiner programmatischen Rede in Den Haag am 7. Februar 1984 eine Antwort auf die als Herausforderung verstandene „Star Wars“ Zukunftsvision Reagans. „Europa greift nach den Sternen“, um „das Pokerspiel um die Zukunft im Weltraum“ 2 nicht zu verlieren, so rauscht es im bundesdeutschen Blätterwald. „Das Geschäft im All“ und der „Markt der Zukunft“ müsse auch den Europäern offenstehen 3, da sonst die „technologische Zweitklassigkeit“ drohe. Daß es sich nicht nur um leere Worthülsen handelt, machten Kohl und Mitterand auf dem 44. deutsch-französischen Konsultativtreffen Ende Oktober in Bad Kreuznach deutlich 4. Gemeinsam beschlossen sie eine vertiefte Zusammenarbeit in der Raumfahrt, die sich in drei milliardenschweren Großprojekten manifestieren soll: in der Weiterentwicklung der Ariane Rakete, der Beteiligung an der amerikanischen Raumstation und in einem gemeinsamen militärischen Aufklärungssatelliten. Gerade die Bereitschaft, trotz der enormen Kosten (der Raumfahrtetat müßte um 50 % ansteigen) 5 eine solche Prioritätenverschiebung vorzunehmen, ist ein Zeichen für die Bedeutung, die dem Weltraum beigemessen wird: Dahinter verbirgt sich ein umfassendes Zukunftskonzept zur Lösung der Krise in der kapitalistischen westlichen Welt, das alle neuen Technologien (Mikrocomputer, Roboter, Sensortechnik, Laser, etc.) in geradezu „idealer“ Weise miteinander verbindet.
Die amerikanische Herausforderung
Die Entwicklung eines Weltraumkonzepts wurde in den USA durch verschiedene Studien vorbereitet (High Frontier, Air Force 2000) 6 und durch Reagan schrittweise in die Tat umgesetzt.
- Anläßlich der Landung der Raumfähre Columbia am amerikanischen Nationalfeiertag, dem 4. Juli 1982, verkündete Reagan ein Raumfahrtprogramm der nationalen Sicherheit, das die Entwicklung und Stationierung kosmischer Systeme zur Unterstützung der Streitkräfte vorsieht.
- In seiner „Star Wars“ Rede vom 23. März 1983 fordert Reagan eine „Zukunft frei von der Angst vor Atomwaffen“ durch ein umfassendes, v. a. weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem.
- Am 25. Januar 1984 gibt er der NASA den Auftrag zum Bau einer bemannten Raumstation der „freien westlichen Welt.“ 7
- Im August 1984 verkündet Reagan eine Neue Nationale Weltraumstrategie für zukünftige bemannte militärische Operationen im Weltraum, darunter die Entwicklung neuer Raumfahrzeuge und einer militärischen Raumstation, sowie Flüge zum Mond und zum Mars 8.
Der Weltraum war im US Wahlkampf Träger einer Ideologie, die Amerika „wie eine Rakete zu den Sternen emporheben“ soll, während das dunkle „Reich des Bösen“ von seiner eigenen Last zu Boden gedrückt wird. Und nach der Wahl: „Wie die Dinge zusammenpassen: Gleichzeitig mit der überwältigenden Wiederwahl Ronald Reagans wird im Raumfahrtzentrum von Cape Canaveral der Shuttle Challenger für seinen neuen Raumflug bereitgestellt. So hält der Zeitgeist den technologischen Zukunftsdrang Amerikas und seinen politischen Beharrungswillen wie in einem Gruppenfoto auf der Platte gefangen“ 9, meldete „DIE WELT“ anläßlich der Wahl überschwenglich und neidisch zugleich. Nicht zufällig forderte Weinberger in der vorhergehenden Ausgabe der WELT die Bundesregierung zur Beteiligung an den Forschungsarbeiten für den amerikanischen Weltraumschutzschirm auf 10. Er wird dabei auch von anderen amerikanischen Freunden unterstützt, so von dem amerikanischen Europaexperten David Yost 11 sowie auf subtilere Weise von Henry Kissinger im SPIEGEL („So unrecht hat Reagan nicht“) 12. Dabei scheint der verstärkte Hinweis auf eine angebliche sowjetische Vorrüstung auf dem Gebiet der Raketenabwehrsysteme (insbesondere auf die durch den ABM Vertrag erlaubten Galosch Systeme rund um Moskau) der Haupthebel zur Durchsetzung des „Star Wars“ Konzepts in Westeuropa zu werden, obwohl dies als Begründung in Reagans Rede gar nicht vorkommt.
Die (west-)europäische Antwort
Dies bleibt nicht ohne Wirkung. „In Bonn ist gegenüber diesem Programm Washingtons inzwischen nicht mehr nur einhellige Ablehnung zu registrieren“, meldet „DIE WELT“, und „Inzwischen sieht Wörner ein, daß die USA dieses Forschungsprogramm vorantreiben müssen, weil die Sowjetunion alles daransetzt, diesen Wettlauf mit Amerika zu gewinnen.“ 13 In Wirklichkeit handelt es sich wohl eher um einen Wettlauf der westeuropäischen mit der amerikanischen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie, um den Anschluß bei Weltraumtechnologie nicht zu verpassen:
„Die einzigartige Herausforderung, der sich Amerikas Technologen mit dem Auftrag gegenübersehen, die Weltraumverteidigung möglich zu machen, lenkt den Blick auf die ökonomischen Aspekte. Gelänge es, dann besäßen die USA in einer Reihe für die Gesamtwirtschaft höchstwertiger Technologiebereiche einen von keinem Land der Erde noch aufholbaren Vorsprung.“ (Daher) „müssen die Europäer zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit schleunigst ein ähnliches Programm auflegen. Das ist der Hintergrund der Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand an die Europäische Gemeinschaft (EG) – oder wenigstens an die Aktionswilligen unter ihren Mitgliedsstaaten. Europa schuldet seiner Wirtschaft Mitterrands europäische Raumstation.“ 14 Mitterrand scheint also die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Die französische „Eroberung des Weltraums“ in ihrer europäischen Ausgestaltung dient wohl ebenso der Sanierung der kränkelnden französischen Luft- und Raumfahrtindustrie wie das durch den Wechsel zu Fabius eingeleitete „Modernisierungs“ Programm insgesamt. Aus diesem Grund war Frankreich schon immer die stärkste Triebkraft in der europäischen Raumfahrt und hat mit der Entwicklung der Ariane-Rakete auch gleich aufs richtige Pferd gesetzt, nämlich die kommerzielle Nutzung des Weltraums. Aus eben dieser Rakete leitet sich heute (west-)europäisches Selbstbewußtsein ab. Das zeigen schon Schlagzeilen wie „Die europäische Rakete lehrt die Amerikaner das Fürchten“ 15 oder „Europas Super Ariane bricht Amerikas Vorherrschaft“ 16. Das für die Vermarktung der Ariane zuständige „erste kommerzielle Raumtransportunternehmen“ Arianespace (64 % Anteile Frankreich, 20 % BRD) preist in bunten Werbeanzeigen („ARIANE: Ihr Platz im Weltraum“) als Spezialität einen „Startservice auf Maß für den Abschuß in geosynchronen Orbit“, der ja gerade für die Nachrichtenübertragung besonders interessant ist. Mit dieser Spezialität hofft Arianespace in Zukunft das amerikanische Space Shuttle bei der Erschließung des vielversprechenden Satellitenmarktes ausstechen zu können, der in Zukunft gerade auch in der „Dritten Welt“ erwartet wird, und den eigenen Technologievorsprung gegenüber diesen Ländern gewinnbringend umsetzen zu können.
Solche Töne lösen bei der amerikanischen Industrie Unruhe und Gegenreaktionen aus, die auf europäischer Seite wiederum als Protektionismus gegeißelt werden. Dazu gehört z. B. das Landsat Gesetz, das MBB in den USA die Vermarktung des von ihr entwickelten elektronischen Bildsystems MOMS (Modularer Optoelektronischer Multispektraler Scanner) verbietet 17. Eine andere Möglichkeit, den europäischen Tatendrang in die geeigneten Bahnen zu lenken, nutzten die USA beim Spacelab aus: Sie ließen v. a. die Bundesrepublik das gesamte Raumlabor entwickeln, um es dann für einen einzigen kostenfreien Start mit dem Space Shuttle praktisch geschenkt zu übernehmen und anschließend sogar zu horrenden Preisen wieder zu vermieten. Die derart übers Ohr gehauenen Westeuropäer versuchen nun ihrerseits, durch eine Weiterentwicklung ihrer Trägerkapazitäten zur Ariane 5 eine vom Space Shuttle unabhängige Weltraummacht zu werden.18 Das geschickteste, was die USA in dieser Situation tun können, ist die Einbindung Westeuropas in ein gemeinsames Großprojekt, in dem die USA das Sagen haben und die anderen zahlen dürfen. Es ist daher kein Zufall, daß Reagan das von manchen schon abgeschriebene Raumstationsprojekt nur zwei Wochen vor Mitterrands Rede verkündet hat. Die freundlich formulierte Einladung Reagans kam den Weltraumunionisten in Europa ungelegen, denn die Pläne der Bundesrepublik und Italiens für eine gemeinsame Raumstation namens „Columbus“, die auf Spacelab Technologie beruhen soll, waren noch im Anfangsstadium 19. Eine 20 %ige Beteiligung an dem zunächst auf 8,1 Mrd. Dollar, später auf bis zu 20 Mrd. Dollar veranschlagten Großprojekt der USA könnte Kapazitäten binden, die für die vielleicht 6 – 8 Mrd. DM teure Ariane 5 Entwicklung vorgesehen sind. „Irgendeine substanzielle europäische Beteiligung an einem von den USA geführten Raumstationsprogramm würde soviel von dem Raumfahrtbudget absorbieren, daß Europa die Fähigkeit zum Aufbau ähnlicher aber unabhängiger Fähigkeiten verlieren würde“, so die Überlegung der Zeitschrift „Aerospace America“. 20 Aus diesem Grund war die Berichterstattung hierzulande meist mit unfreundlichen Kommentaren versehen, die überwiegend den wissenschaftlichen Wert der Raumstation in Zweifel zogen, was angesichts des Störfaktors Mensch bei vielen Experimenten wohl auch berechtigt ist. 21 Doch überzeugt die immer noch zahlreich vorhandenen „Atlantiker“ weniger die wissenschaftliche Argumentation als vielmehr die politische: man kann sich ihre Begeisterung angesichts der phantastischen Möglichkeiten vorstellen, die diskreditierte europäisch amerikanische Freundschaft durch eine „Wiederentdeckung“ Amerikas durch „Columbus“ 1992 im Weltraum wiederzubeleben. Um sowohl atlantischen als auch westeuropäischen Neigungen entgegenzukommen, wurden inzwischen verschiedene Studien erarbeitet, so die „Strategiestudie Raumfahrt“ der DFVLR, ein Memorandum des BDLI (Bundesverband der Deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Ausrüstungsindustrie) sowie die Studie „Horizont 2000“ der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA). Diese geben verschiedene Optionen und Szenarien für Extraterrestrische Forschung, Erdbeobachtung, Biowissenschaften, Werkstoffwissenschaften, Telekommunikation, Navigation, verschiedene Orbitalsysteme und Trägerraketen an, jeweils mit Kostenabschätzung und Zeitplanung. Das bevorzugte Kompromißmodell ist eine weitgehend autonome europäische Station vergleichbar Spacelab, die an die amerikanische Raumstation angekoppelt werden kann und kurzfristig mit dem Space Shuttle gestartet werden soll. Langfristig soll aber auch der Transport mit der fertiggestellten und vielleicht sogar auf bemannte Starts ausgerichteten Ariane 5 mit dem Euroshuttle „Hermes“ möglich sein. 22
Neben diesen als primär zivil etikettierten Programmen soll zusätzlich im Rahmen der wiederbelebten Westeuropäischen Union (WEU) erstmals offiziell auch die militärische Nutzung des Weltraums vorangetrieben werden. So vertrat die WEU Versammlung in einer Empfehlung Mitte Juni die Auffassung, „daß das Weltraumpotential ein zentraler Entscheidungsfaktor in der künftigen Kriegführung sein wird, daß in militärischen Begriffen der Unterschied im Potential zwischen den weltraumfähigen Ländern und den anderen fast genauso groß sein wird wie der gegenwärtige Machtunterschied zwischen den nuklearen und den nichtnuklearen Ländern und daß Europa diese Tatsache nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern daraufhin auch etwas tun soll.“ 23 Empfohlen wurde u. a. auch ein europäisches Überwachungs- und Aufklärungssatellitenprogramm, und der vorgeschlagene deutsch französische militärische Aufklärungssatellit dürfte bereits ein konkretes Ergebnis sein. Aus der angegebenen französichen Begründung für den Satelliten wird klar, daß er v. a. für die Zielbestimmung der Force de Frappe in der Sowjetunion dienen soll. 24 Der Bundesrepublik bietet sich damit die Möglichkeit der Mitbestimmung über die französische Nuklearstreitmacht. Zudem kann die dadurch gewonnene Information natürlich auch zur Vorbereitung von tiefen Schlägen ins gegnerische Hinterland von bundesdeutschem Boden aus dienen. Über diese Versuche hinaus, die v. a. zur Unterstützung der konventionellen und nuklearen Streitkräfte in Westeuropa dienen, wächst bei einigen auch die Akzeptanz zur Beteiligung am amerikanischen „Star Wars“ Programm. Wenn „DIE WELT“ eine beispiellose Werbekampagne unter dem Motto „Sieg der Sterne“ startet („In den Laboratorien der beiden mächtigsten Staaten der Erde tobt die größte technologische Schlacht der Weltgeschichte“) und schreibt: „Mit Ideen und Geld kann Europa die technologische Schlacht mitschlagen“ 25, dann ist damit die Schlacht um die Forschungsmittel im All gemeint, Um die rechte Begründung eines solch riesigen Forschungsprogramms bemüht sich z. B. der Assistent von Kurt Würzbach, Hubertus Hoffmann, der unumwunden „Eine Raketenabwehr für Westeuropa“ fordert, gerade um damit die zuvor vielbeschworene „Abkoppelung“ von den USA zu vermeiden 26: „Maßnahmen, die die Verwundbarkeit spürbar herabsetzen, erhöhen die amerikanische Flexibilität und kräftigen so auch die Glaubwürdigkeit der amerikanischen nuklearen Garantie für Westeuropa.“ Da damit natürlich auch die Flexibilität der USA in einem auf Europa begrenzten Atomkrieg erhöht wird, soll die Bevölkerung mit einem kurzfristig verfügbaren System gegen taktische Raketen (ATM: Anti Tactical Missiles), also gegen SS 21-23, beruhigt werden: „Als Raketenabwehrsystem in Europa käme einmal die verbesserte PATRIOT-(IMPROVED) in Betracht. Die Flugabwehrrakete, die in der bisherigen Ausstattung keine sowjetischen Raketen abfangen kann, könnte in ca. fünf Jahren mit verbesserter Elektronik, ausgestattet werden sind mit Hilfe eines neuen Radargerätes dann angreifende Raketen zerstören.“ Die amerikanische Firma Raytheon arbeitet nach der Zeitschrift „Aviation Week“ an einer Möglichkeit, bestehenden Patriot Systemen zur Luftabwehr durch Softwareänderungen in den Radarverfolgungsprogrammen eine Fähigkeit zur Raketenabwehr zu verleihen, so daß Umschaltungen zwischen beiden Zuständen nach außen unsichtbar durchgeführt werden können. 27 In diesem Zusammenhang gewinnt natürlich die Stationierung der Patriot Raketen in Westeuropa eine besondere Bedeutung.
Ein weiterer Vorstoß in dieser Richtung wurde vom CDU Abgeordneten Todenhöfer vorgenommen. Er sprach sich unumwunden „für eine Beteiligung der Europäer an den amerikanischen Forschungsarbeiten für den Aufbau eines Weltraumverteidigungssystems“ aus, koppelte dies jedoch mit der Forderung nach „unverzüglichen und umfassenden Rüstungskontrollverhandlungen über Weltraumwaffen.“ 28 Diese Doppelstrategie findet sich auch wieder in der tags darauf veröffentlichten Stellungnahme der CDU Fraktion vom 9. Oktober, wenn auch in gegenüber Todenhöfer abgeschwächter Form 29, die nicht explizit eine Eigenbeteiligung an der Abwehrforschung fordert, dafür aber die amerikanische Forschung begrüßt. Diese etwas schwammige Formulierung, die mit der schärferen Ablehnung ein halbes Jahr zuvor nicht zu vergleichen ist, beinhaltet einerseits die Möglichkeit, die Forschung an den entsprechenden Technologien auf verdeckte Weise dennoch durchzuführen z. B. auch durch Privatunternehmen wie MBB) 30, zeigt aber andererseits auch, dank ein offensives Vorgehen in dieser Frage sowohl in der eigenen Partei als auch gegenüber der ablehnenden Haltung der Öffentlichkeit (noch) nicht für ratsam erachtet wird.
Europäische Rüstungskontrolle?
Offensichtlich beansprucht Westeuropa in den wieder in Gang gekommenen Rüstungskontrolldialog ein größeres Mitspracherecht, wie es auch in der WEU Empfehlung formuliert ist. Darin werden die Mitgliedsländer aufgefordert, „alles in ihrer Macht liegende zu tun, um Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion herbeizuführen, damit die militärische Nutzung des Weltraums durch die Stationierung offensiver Weltraumwaffen verhindert wird, indem neue internationale Verträge und damit zusammenhängende Überprüfungsverfahren gefördert werden.“ 31 Defensive Weltraumwaffen, was auch immer das sein mag, sind demnach nicht verboten. Die französische Regierung unterscheidet in einer Stellungnahme zur Genfer Abrüstungskonferenz vom 12. Juni 1984 dagegen zwischen Systemen, die zur Stabilisierung der Abschreckung beitragen und destabilisierenden Systemen. 32 Zur ersten Gruppe dürfte wohl die anvisierte militärische Nutzung von Satelliten gehören, zur zweiten Gruppe v. a. Antisatelliten- und Raketenabwehrwaffen. Der französische Vorschlag siebt das verifizierbare Verbot destabilisierender Systeme vor sowie vertrauensbildende Maßnahmen (wie Satellitenregistrierung) und den Schutz auch militärischer Satelliten zur Beobachtung und Kommunikation, sofern sie zur Stabilität beitragen. Mit dieser Forderung setzt sich Frankreich eindeutig in Gegensatz zur amerikanischen Weltraumrüstung, ohne aber auf eigene Militärsatelliten verzichten zu wollen. Es entspricht französischer Logik, den Weltraum zur Verstärkung ihrer Nuklearstreitmacht einzusetzen und alles, was die damit ausgeübte Abschreckung untergräbt, zu verhindern, insbesondere also auch ASAT und BMD. Aus diesem Grund war Frankreich bisher ein energischer Befürworter des ABM Vertrages sowie von Rüstungskontrolle bei USA und UdSSR. Das französische Gesamtkonzept wird abgerundet durch den bereits 1978 der UNO vorgestellten Vorschlag, eine internationale Satellitenüberwachungsbehörde (ISMA) zur Verifikation von Rüstungskontrollabkommen zu errichten. Eine solche Einrichtung wird auch in der WEU Empfehlung unterstützt, wobei die Aufgabe auch im kleineren westeuropäischen Rahmen durchgeführt werden könnte.
Die mögliche Doppelfunktion von Aufklärungssatelliten für militärische Zwecke und zur Verifikation war auch eine strittige Frage in der Bundestagsdebatte über den von der SPD als Entschließungsantrag eingebrachten Göttinger Vertragsentwurf zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums 33.
Die unterschiedliche Einschätzung bei der Bewertung der einzelnen Bereiche der Weltraumrüstung beruht im wesentlichen auf verschiedenen Beurteilungen ihrer Bedeutung für die Abschreckung und die westeuropäische Sicherheitspolitik. Während die Weltraumrüstung der USA eine gemeinsame Ablehnungsfront gegen diese „Wahnsinnsprojekte“ und damit ein verstärktes „Zusammenrücken“ der Westeuropäer begünstigt, sind die geplanten westeuropäischen Weltraumprogramme gerade ein Ausdruck des gewachsenen „Selbstbewußtseins“ bei der Ausarbeitung einer westeuropäischen Wirtschafts- und Sicherheitskonzeption. Dagegen stellt sowohl die Raketenabwehr für Westeuropa als auch die geplante westliche Raumstation wieder eine Anbindung an die USA her.
Es ist allerdings nicht klar, ob mit der „Europäisierungsdebatte“ tatsächlich westeuropäische Interessen durchgesetzt werden sollen, oder ob es sich um ein Scheingefecht handelt, um den Zusammenhalt innerhalb der NATO zu festigen und Frankreich wieder stärker als bisher zu integrieren. Die Friedensbewegung jedenfalls sollte solche Entwicklungen verfolgen und analysieren.
Anmerkungen
1 Rede des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand vor der niederländischen Regierung in Den Haag am 7. Februar 1984, Europa-Archiv, Folge 7/1984, S.D 195 Zurück
2 C. Henninger, Das Pokerspiel um die Zukunft im Weltraum, FAZ vom 25.8.1984 Zurück
3 T. M. Loch, Europa drängt auf den Markt im All, Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nr. 45, 9.11.1984 Zurück
4 Bonn und Paris wollen Zusammenarbeit in der Raumfahrtpolitik vertiefen, Süddeutsche Zeitung v. 31.10./1.11.1984 Zurück
5 Bonn plant Weltraumpolitik. Im Herbst Vorlage eines langfristigen Konzepts, FAZ v. 8.8.1984 Zurück
6 H. G. Brauch, Angriff aus dem All, Dietz Nachf. Verlag, 1984 Zurück
7 C. Covault, President Orders Start on Space, Aviation Week & Space Technology (AWST), January 30, 1984, p. 1-6 Zurück
8 US adopts new space strategy, AWST Aug. 27, 1984 Zurück
9 T. Kielinger, Standfestigkeit und Zukunft, Die Welt v. 8.11.1984 Zurück
10 USA erwarten Bonner Beitrag zur Verteidigung im Weltraum, Die Welt v. 7.11.84 Zurück
11 D. S. Yost, Die Sorgen der Europäer gegenüber den amerikanischen Plänen für eine Raketenabwehr, Europa-Archiv, Folge 14/84, S. 427; s. auch: Les inquietudes europeennes face aux systemes de defense anti-missiles, Politique Etrangere.Zurück
12 H. Kissinger, Rüstungskontrolle in der Sackgasse, DER SPIEGEL, Nr. 39/84, S. 139 Zurück
13 Die Welt v. 7.11.1984, a.a.O. (10) Zurück
14 H. Bohle, Nur die USA können den Schutzschirm über Europa spannen, Flugrevue 7/1984, S. 6 Zurück
15 G. Paul, Die europäische Rakete lehrt die Amerikaner das Fürchten, FAZ v. 9.8.84 Zurück
16 Titelseite der Flugrevue 10/1984 Zurück
17 G. Paul, Geschäfte mit der Raumfahrt erschwert, FAZ v. 6.7.1984 Zurück
18 G. Wange, Aufsteiger: Europa ersetzen auf Super-Ariane, Flugrevue 10/1 984, S. 9 Zurück
19 J. M. Lenorowitz, Germany, Italy Propose Space Station, AWST, February 20, 1984, S. 55 Zurück
20 Space station poses dilemma for Europe, Aerospace America, February 1984, S. 26 Zurück
21 G. Paul, Kein Bedarf für die Raumstation, FAZ v. 29.8.1984; W.Brauer, Ist Amerikas Raumstation eine riesige Fehlplanung?, Frankfurter Rundschau v. 29.10.1984; M. Urban, Deutsche Astronauten im Weltall – sinnlos, Südd. Zeit. v. 9.10.1984; E. Keppler, Can Europe avoid the Space Station?, Nature Vol. 312, 1. November 1984, S. 11 Zurück
22 G. Wange, Zukunft der Raumfahrt, Flugrevue 10/1984, S. 30 Zurück
23 Empfehlung der WEU-Versammlung zur militärischen Nutzung des Weltraums, Blätter f. deutsche u. internat. Pol., 10/1984, S. 1272 Zurück
24 H. Rywelski, Bonns Eintritt in die Militarisierung des Weltraums, Blätter… 9/1984, S. 1057 Zurück
25 Sieg der Sterne, Serie in Die Welt ab 1.12.1984; A. Barwolf, Die strahlende Abwehr, Die Welt v. 9.10.1984 Zurück
26 H. Hoffmann, Eine Raketenabwehr für Europa, loyal 9/1984, S. 6; H. Hoffmann, A Missile Defense for Europe?, Strategic Review, Summer 1984, S. 45 Zurück
27 C. A. Robinson, U.S. Develops Antitactical Weapon for Europe Role, AWST, April 9, S. 46 Zurück
28 Todenhöfer für Beteiligung der Europäer an der Weltraumforschung Washingtons, FAZ v. 9.10.1984 Zurück
29 Stellungnahme der CDU/CSU-Bundestagsfraktion v. 9.10.1984 Zurück
30 A. Johansen, Schwieriger Start für Laser Kampfstationen, VDI-Nachrichten v. 4.11.1984; MBB Presses Laser, Sensor Research, AWST May 21, 1984, S. 103 Zurück
31 a.a.O. (23) Zurück
32 French Statement to Conference on Disarmament, 12. June 1984, Survival Sept./Oct. 1984, S. 235 Zurück
33 Beratung des Antrages der Fraktion der SPD: Vertrag zur Begrenzung der militärischen Nutzung des Weltraums, Bundestagsdrucksache 10/2040, 8.11.1984 Zurück
Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker, z. Zt. Forschungsstipendiat, Marburg.