Neues aus den USA

Neues aus den USA

von Redaktion

Seit dem Juni 1985 haben fast 7000 Wissenschaftler und Ingenieure an US-amerikanischenUniversitäten erklärt, Star-Wars-Forschungsgelder nicht in Anspruch nehmen zu wollen.Damit wollen sie ihre Opposition gegen das SDI-Programm zum Ausdruck bringen. IhrenWiderstand begründeten die Unterzeichner in vier Punkten:

  1. eine Raketenabwehr mit ausreichender Zuverlässigkeit, die die Bevölkerung der USA vor einem sowjetischen Angriff schützen soll, ist technisch nicht machbar;
  2. ein System mit begrenzteren Möglichkeiten wird nur dazu dienen, das nukleare Wettrüsten zu eskalieren, indem es die Entwicklung der beidseitigen offensiven overkill-Kapazitäten begünstigt und einen umfassenden Wettlauf bei den Anti-Raketen-Waffen hervorruft;
  3. das Programm wird bestehende Rüstungskontroll-Abkommen aufs Spiel setzen und Verhandlungen noch schwieriger machen. Besonders der ABM-Vertrag würde bereits vor der Stationierungsentscheidung verletzt;
  4. das Programm ist ein Schritt zu solchen Waffenarten und Strategien, die einen nuklearen Holocaust auslösen können. Hierbei wird besonders die destabilisierende Rolle von Anti-Satelliten-Waffen erwähnt.

In der „Erklärung der Nichtteilnahme“ weisen die Wissenschaftler auch aufdie Gefahren für die akademische Freiheit durch militärische Geheimhaltungsvorschriftenhin.

Demgemäß heißt es in der Erklärung, „werden wir als Wissenschaftler undIngenieure weder um SDI-Mittel nachsuchen noch sie akzeptieren, und wir werden andereermutigen, sich unserer Weigerung anzuschließen.“

Bedingungen des Widerstandes

Die Unterschriftensammlung begann, nachdem die SDI-Behörde eine eigenständigeInstitution für die Einbeziehung der Universitäten – das sog. Office of InnovativeScience and Technology (IST) – im Frühjahr 1985 etabliert und erste Meldungen überVerträge mit MIT und Caltech lanciert hatte. Diese Nachrichten stellten sich als falschheraus; die Präsidenten beider Einrichtungen dementierten verärgert. Daraufhin bildetensich an den Physik-Fakultäten der Cornell-Universität und der Universität von Illinoiserste Initiativen gegen die drohende SDI-„Unterwanderung“. Die Boykottbewegunghatte mit einem Berg von Schwierigkeiten zu kämpfen: Erstens scheint die Zurückweisungder SDI-Mittel unter den Bedingungen der Reduzierung ziviler Wissenschaftsetats einerEinschränkung der Forschungsmöglichkeiten gleichzukommen. 1986 sollten dieUniversitäten 140 Millionen Dollar erhalten – ein Zehntel des gesamten Budgets derNational Science Foundation. Zweitens verbreiteten sich überall Gerüchte, daß andereFinanz agenturen des Department of Defense angewiesen seien, Forschern Mittel zuverweigern, die sich offen gegen SDI aussprechen würden. Donald Hicks, Undersecretary forResearch and Development, hatte diese Gerüchte indirekt bestätigt und in Sciencemagazine erklärt: „Sie haben die Freiheit, ihren Mund zu halten (…) Ich bingenauso frei, Geld zu geben (…)“ Drittens sind es Wissenschaftler und Ingenieurenicht gewohnt, in großer Zahl in die Öffentlichkeit zu gehen.

Andere Faktoren wiederum begünstigten die Ausbreitung der Boykottbewegung. Generellverbreitete sich Widerspruch gegen das Star-Wars-Programm. Viele Wissenschaftler warenempört über die unverhüllte Einlassung des IST-Managers Jonson, die Wissenschaftlerwürden gebraucht bei dem Versuch, das Programm dem Kongreß zu verkaufen. Für solchepolitischen Zwecke wollten sie sich nicht manipulieren lassen. Verärgert waren sie auchüber die falschen Ankündigungen über die Unterstützung des Programms durch dieWissenschaftlergemeinschaft. Jonson hatte ausgerufen: „Virtually everyone, on everyCampus, wants to get involved.“ Die Wissenschaftler fanden die Idee bizarr, es könneeinen absoluten Schutzschild für die amerikanische Bevölkerung geben. Nicht zuletztargwöhnten sie, auch unter dem Eindruck der Studie des Senators Proxmire, daß es bei denVerlautbarungen über wissenschaftlich-technische Durchbrüche eher um spektakuläreErfolge für die Öffentlichkeit als um wissenschaftliche Errungenschaften gehe.

Erfolgsbilanz

Das Ergebnis der Kampagne gegen SDI kann sich sehen lassen:

  1. In jedem der 109 Fachbereiche für physikalische und Ingenieurwissenschaften an 72 Universitäten haben mehr als 50% der Fakultätsmitglieder erklärt, nicht an Star-Wars-Forschung teilnehmen zu wollen. Das schließt ein 63 Physik-Fachbereiche und 46 Einrichtungen für Engineering und verwandte Gebiete.
  2. Die Erklärung wurde unterzeichnet von 57 % der Fakultätsmitglieder an den 20 Top-Einrichtungen des Landes. Die Liste wird angeführt von Harvard, Cornell, Caltech, Princeton, MIT, University of California-Berkeley und Stanford.
  3. Die Unterschriftensammlung hat landesweite Unterstützung gefunden: Professoren an über 110 Institutionen in 41 der 50 Bundesländer haben sich angeschlossen.
  4. Unterzeichnet haben über 3700 Professoren und „senior researchers“, fast 3000 Graduierte und „junior researchers“.
  5. Unter den Professoren sind viele der bestangesehensten Forscher des Landes. So haben 15 Nobelpreisträger unterschrieben.
  6. Eine erhebliche Zahl der Professoren, die ihre Mitarbeit an SDI verweigern wollen, akzeptieren andere Forschungsmittel der Militärs. An der Cornell-Universität zeigte die Befragung der 111 Fakultätsmitglieder, die unterzeichnet haben, daß 52 % entweder DoD-Mittel erhalten hatte, gegenwärtig erhält oder ständig damit arbeitet.

Ziele der Verweigerungskampagne

Die Initiatoren verweisen bei der Boykottkampagne auf das Beispiel der „Göttinger18“. Deren Erklärung half, die atomare Bewaffnung der Bundeswehr zu verhindern. Undangesichts der gängigen Zurückhaltung der scientific community bei öffentlichenErklärungen ist die bisherige Unterschriftenbilanz ein Faktor, den die US-Regierung nichteinfach ignorieren kann. Zu Recht weisen die SDI-Gegner auf die heftigen Bemühungen derSDI-Administration hin, mit der Einbindung der Wissenschaftler die Öffentlichkeit inihrem Sinne zu beeinflussen. Im Umkehrschluß heißt dies: Je größer die Ablehnung inden Universitäten, desto schlechtere politische Durchsetzungsbedingungen. Ein Resultatwird auch darin gesehen, daß durch den Entzug von wissenschaftlicher Kompetenz dieEntwicklung des Star-Wars-Projekts tatsächlich verlangsamt werden kann.

Fest steht schon heute: Reagan hat in seiner Rede vom März 1983 die Wissenschaftleraufgerufen, sich seiner SDI-Vision anzuschließen. Er hat eine Antwort bekommen.

SDI und Black Budget

SDI und Black Budget

von Rainer Rilling

Seitdem die Reagan Administration die Washingtoner Szene betrat, ist ein ständig wachsender Teil des Pentagon Budgets in streng geheime Programme umgelenkt worden in das sogenannte „schwarze Budget“.

Die geheimen Ausgaben sind seit 1981 (als es bereits 5,5 Mrd. $ waren) um 300 % gestiegen auf über 22 Mrd. $ (Planung 1987). Dabei gibt es explizit vom DoD als geheim ausgewiesene Programme, deren Umfang von 892 Mio. $ im Haushaltsjahr 1981 auf 8,6 Mrd. (1987) gestiegen ist; daneben werden weitere 14 Mrd. im Budget nur vage oder mit Decknamen ausgewiesen. Geheimhaltung konzentriert sich in den Forschungsprogrammen.

Bei der Luftwaffe, die den Löwenanteil der militärischen Weltraumforschung trägt, ist dieser Anteil von 3,8 % (1981) auf 11,5 % (1987) angestiegen (200 %). Das Forschungsbudget der Luftwaffe im strategischen Bereich enthält 8 schwarze Projekte im Wert von 2,6 Mrd. (1987), darunter ein schwarzes Raketenprogramm; die Forschungsausgaben für den „unsichtbaren“ Stealth Bomber werden ebenfalls geheimgehalten. Die Forschung und Entwicklung für die Advanced Cruise Missile, für den geheimen F19 Stealth Fighter und das Army AF Joint Tactical Cruise Missile, „entworfen in der Absicht, in einem europäischen Krieg Ziele in der Sowjetunion weit hinter den Grenzen anzugreifen“ (National Journal), ist „schwarz“ und wird geheimgehalten es sind mit die gefährlichsten und destabilisierendsten Systeme. Das Navy FuT-Budget enthält 15 schwarze Programme im Werte von mindestens 200 Mio. $. Daneben sind geheime Programme versteckt in „Operations and Management“ und im Personalbudget. Besonders ins Gewicht fällt hier das Satellitenprogramm zur Photoaufklärung, das zwischen 1962 und 1978 geheim war. Das „National Reconnaissance Office“, das die Satelliten und die Luftaufklärung/Erkennung organisiert, ist bis heute geheim, obwohl es ein Budget von 3 4 Mrd. $ hat. Ähnlich geheim ist die National Security Agency mit einem Budget von 5 bis 10 Mrd. $. Auch die ClA Budgets sind klassifiziert.

Nach Ansicht von Anthony R. Battista, dem Staff Director des Hause Armed Services Research and Development Subkommittee sind 20 % des Budgets für Rüstungsforschung geheim.1 Die bislang gründlichste Untersuchung im „National Journal“ schließt: „Zahl und Umfang der schwarzen Programme steigen phänomenal.“2 Insgesamt sind einer von fünf Beschaffungs- und zwei von fünf FuT Dollars „schwarz“.

Gebiet / Jahr 1981 1983 1985 1987
FuE des DoD 16.633 22.825 30.869 41.930
Schwarze FuE in Mrd $ 626 1.296 3.535 6.619
Schwarze FuE in % 3,8 5,7 11.5 15,8
Gesamtes Black Budget 892 2.046 4.346 8.612
Quelle: C. Morrison: Penatgon`s Top Secret "Black" Budget Has Skyrocketed During Reagan Years, in: National Journal 1.3.1986 S.494

Schwarze Programme fallen größtenteils nicht unter die zahlreichen Berichterstattungserfordernisse, welche der Kongreß dem DoD auferlegt hat. Zum Beispiel mußte das DoD dem Kongreß vierteljährlich über die Kostenentwicklung von 100 großen Waffenprogrammen berichten; das Pentagon informierte jedoch vor zwei Jahren das Appropriations-Subcommittee on Defence des Repräsentantenhauses, daß der Verteidigungsminister festgelegt habe, „daß bestimmte Programme aufgrund ihrer hochsensitiven Geheimhaltungsstufe von der Berichterstattung ausgenommen sind.“ Zu den Konsequenzen dieser Praxis kommentierte das liberale „National Journal“:

„Während einige Programme deswegen für geheim erklärt wurden, weil es um sie keine konkurrierende Bewerbung gab, funktioniert die Sache auch anders herum. Aus Gründen der Geheimhaltung gibt es keine öffentliche Ausschreibung für schwarze Projekte. Da folglich keine Konkurrenz stattfindet, stehen die Chancen der Regierung, den besten Preis zu bekommen, schlechter. Mehr noch: wenn eine Firma einen schwarzen Kontrakt einmal bekommen hat, reduziert eine weitreichende Informationsabschottung die Wahrscheinlichkeit, daß Techniker und Manager kreativ an den Programmen arbeiten können, da sie im allgemeinen nur ein winziges Stück des Puzzles kennenlernen. Schwarze Arbeit wird auch in speziell konstruierten Sicherheitseinrichtungen durchgeführt. Die dabei angewandten Techniken kommen aus der traditionellen Geheimdienstpraxis. Sicherheitseinrichtungen: das bedeutet dickere Wände, schwingungsloses Fensterglas, elektronische Schutzmaßnahmen. (…) Ein weiterer finanzieller Aufwand wird durch die Durchleuchtung des Personals und die Lügendetekoruntersuchungen notwendig, derer sich alle Arbeitnehmer unterwerfen müssen, bevor sie an schwarzen Projekten arbeiten können. Vor dem Armed Services Committee des Senats erklärte letzten Juni der Direktor für Informationssicherheit des Pentagon Snider, daß 145000 Personen eine „Clearence“ für die Arbeit an schwarzen Programmen erhalten hätten und weitere 8000 jedes Jahr hinzukommen würden. Detailuntersuchungen des persönlichen Hintergrunds für den Zeitraum der letzten fünfzehn Jahre kosten im Durchschnitt 1500 bis 2000 $. Das General Accounting Office (Bundesrechnungshof dem Governmental Affairs Committee letzten Mai, daß ein Rückstand an solchen Nachforschungen das Pentagon jährlich eine Mrd. $ kostet. 3

SDI und Geheimhaltung

Angesichts eines solchen Kontextes wäre jede Transparenz des SDI-Programms überraschend. Ende 1985 entwickelte sich in den USA eine öffentliche Diskussion über die „Showy Tests“ im Rahmen des Programms. Es war bekannt geworden, daß rund 10 Tests als öffentliche Spektakel inszeniert werden sollten, um die parlamentarische Unterstützung des SDI-Programms abzusichern. Zugleich sollte der Eindruck erweckt werden, daß SDI ein transparentes Programm sei. Auch sicherte die amerikanische Regierung mehrfach zu, daß die SDI-Grundlagenforschung an den Hochschulen keinen Publikationsbeschränkungen unterworfen werden solle. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre wird diese Zusicherung unter den Wissenschaftlern in den USA mit großer Skepsis betrachtet. Sie geht auch an der Realität vorbei, die freilich nicht leicht zu beurteilen ist: der Umfang der Geheimhaltung im SDI Projekt wird geheimgehalten.

a) Während das SDI Budget (wohl auch aufgrund der Herkunft aus vergleichsweise transparenten Programmen) 1984/85 noch einigermaßen durchsichtig war (und der erste Bericht des SDIO entsprechend informativ), hat sich dies 1985/86 geändert. Der SDI Report 1986 gibt über die Gliederung in die fünf obersten Programmelemente hinaus keinerlei Details; Terminologie und Zuordnungen im Budget wurden verändert, so daß die Entwicklung der Ressourcen auch nicht erfaßt werden kann. Faktisch ist das SDI Budget zu großen Teilen ein Black Budget.

b) Ähnliches gilt für die gesetzlichen Grundlagen. Die SDI-Verträge mit den Alliierten (England, BRD, Israel, Japan) sind geheim bzw. wie im Falle des „Memorandum of Understanding“ mit Großbritannien sogar „top secret“. Nicht nur die SDI Regierungsverträge, auch die einzelnen SDI Vertragsmuster werden geheim gehalten. Diese Verträge gewährleisten nicht, daß Ergebnisse der Grundlagenforschung publiziert werden können. Nach amerikanischem Recht ist zudem ein als Erstauftragnehmer auftretendes US-Unternehmen berechtigt, über 17 Jahre Sub-Auftragnehmern die Nutzung von Forschungsergebnissen zu untersagen, die im Zusammenhang mit SDI-Forschungen erzielt worden sind („Vordergrundforschung“). 4 Das SDI Verbindungsbüro beim englischen Verteidigungsministerium teilte mit, daß wissenschaftliche Papiere erst dann veröffentlicht werden dürften, wenn sie zuvor bei der SDIO eingereicht wurden. Der für die Hochschulen zuständige Verbindungsoffizier Daggitt wies schon im April 1986 darauf hin, daß Papiere, die „Operations- und Funktionsweise sich entwickelnder militärischer Systeme aufdecken“ würden, für geheim erklärt werden könnten. 5 Anfang 1986 besuchte eine Gruppe im Auftrag des DoD rund 30 Konzerne in Europa, um zu überprüfen, inwieweit sie sich bei der Durchführung von SDI – Aufträgen an die Klassifikationspraxis des DoD halten würden. John Pike von der Federation of American Scientists verwies in einer Analyse Anfang 1986 darauf, daß die „Military Critical Technology List“ des DoD „buchstäblich das gesamte SDI Programm enthalte“.6

c) Die Lektüre der Projektausschreibungen zeigt, daß nicht wenige dieser Vorhaben schon explizit als Geheimprojekte ausgeschrieben werden. Zum Beispiel forderte der Ausschreibungstext zu einem Projekt im Bereich der Angewandten Forschung/ Grundlagenforschung durch das Naval Research Laboratory zu den Effekten von Radioaktivität auf Materialien explizit, daß alle beteiligten Personen eine „Clearance“ für die Durchführung geheimer Projekte haben müßten.7 Das Kirkland Contracting Center der Air Force schrieb 1986 ein Projekt COMBES im Hochenergiebereich aus; es geht zurück auf ein klassifizierten Programm des Air Force Weapons Laboratory, weshalb auch das COMBES-Programm weder identifiziert noch beschrieben werden könne. Bewerbern werde ein „geheimer Leseraum“ („classified reading room“) zur Verfügung gestellt.

d) Auch die Spitze der SDIO hat die Notwendigkeit geheimer Projekte betont. Schon im Dezember 1985 wies ein hochrangiges Mitglied des Los Alamos Laboratoriums darauf hin, daß wichtige Fortschritte im SDI-Programm „vermutlich geheimgehalten würden“ 8. Der einstige Chefwissenschaftler von SDI G. Yonas erklärte 1986: „Eine Reihe SDI-bezogener Forschungsergebnisse müssen aus offensichtlichen Gründen klassifiziert werden.“9

Das betrifft etwa

  • die Forschungsplanung (innerhalb des Gesamtprogramms gibt es eine Liste der wichtigsten sechs Projekte. Die Liste ist klassifiziert)
  • die verschiedenen Systemarchitekturen (so führte das SDIO über 50 Kriegsspiele durch; „vieles was daraus gelernt wurde, ist geheim“) 10
  • die Projekte selbst: es gebe eine „hohe Geheimhaltung“ um das XRL

(Lasergramm des Energieministeriums; alle Berichte über die DoE-Forschung werden im Kongreß hinter verschlossenen Türen geben. Die Protokolle enthalten praktisch keine Hinweise auf das XRL-Programm. Berichte im „Science“ und der „New York Times“ führten zu DoE-Sicherheitsprüfungen.“ 11 Ein Bericht über Forschungen von DARPA im Jet Propulsion Laboratory der NASA bzw. LLL spricht von der „extremen Geheimhaltung, die viele zentrale fortgeschrittene US-Technologien auf dem Gebiet der Optik umgeben, die eine Schlüsselrolle in der Entwicklung geheimer Systeme zur Raumüberwachung spielen.“12

e) Häufig werden zumindest Teile wissenschaftlicher Konferenzen, die im Zusammenhang mit SDI stehen, unter Geheimhaltung durchgeführt. In Vandenberg führte die AIM eine geheime Konferenz über „Military Space Shuttle Operations“ durch. 13 Im Juli 1986 veranstalteten die American Astronautical Society (MS) im Außenministerium ein Treffen auf dem SECRET-Level „NOFORN“ (d.h. nicht für Ausländer) über „Military in Space: A lock into the future“.14 Ausländer waren nicht zugelassen bei dem „AIM Strategic/Tactical Missile and Space Science Meeting“ im September 1986.15 Auf dem 3. Symposium über „Space Nuclear Power“ am 13.–16.1.1986 ging es u.a. um Multimegawatt (MMW-Reaktoren. Auf der Konferenz gab es auch eine klassifizierte Sitzung zu MMW.16

f) 1986 richtete SDIO eine Transferabteilung ein, über welche die Ergebnisse der SDI-Forschungen in die zivile Wirtschaft transferiert werden sollten. Sogar hier wird die Wissensdiffusion eingeschränkt: eine entsprechende Datenbank ist nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich; es müssen qualifizierte US-Kontraktoren sein, die entsprechenden Personen oder Organisationen müssen ein MCT-Agreement unterschrieben haben, wonach die Informationen nicht ins Ausland gegeben werden dürfen. 17 Das Innovative Science Techno Büro der SDIO (IST) wolle an die Hochschulen „primär“18 unklassifizierte Forschungsaufträge vergeben. In einem Memorandum vom 8.8.1985 erklärte der IST-Leiter lonson, daß IST-geförderte Projekte an Hochschulen als offene Grundlagenforschung behandelt würden. Doch im selben Memorandum heißt es, daß eine „prepublication review“ Klausel in dem Forschungskontrakt enthalten sein könne, die dem DoD das Recht gebe, die Ergebnisberichte auf ihre Publikationsfähigkeit zu überprüfen. In solchen Fällen erhalte das IST das Recht, wissenschaftliche Resultate zu klassifizieren, „wenn es eine Wahrscheinlichkeit gibt daß Operationsweise und Funktionsmerkmale geplanter oder in Entwicklung befindlicher militärischer Systeme oder von Technologien, die für Verteidigungsprogramme relevant sind, bekannt werden.“19

Anders formuliert: „SDI ist frei“, schreibt „Nature“, „zu klassifizieren, was ihm paßt,..20

Tatsächlich zeigt der Fall des amerikanischen Hochenergiephysikers A. Sessler, daß erfolgreiche SDI-Forschungen leicht klassifiziert werden können. Seine Arbeiten zur Laserforschung, die größtenteils vom Energieministerium bezahlt wurden, waren Teil des zivilen Fusionsreaktorprogramms. Als die Hauptauftragnehmer zusätzliche Mittel von der SDIO akzeptierten, die eine Beschleunigung der FuE ermöglichten, war von Zensur keine Rede. Die Forschungen waren solange öffentlich, bis er im März 1985 neue Forschungsergebnisse erzielte. Unverzüglich klassifizierte die SDIO das gesamte Experiment und seine Ergebnisse, was Gefängnisstrafen bei Zuwiderhandlungen einschließt. Erst nach 13 Monaten wurden die Ergebnisse beklassifiziert, das Experiment selbst wird auch weiterhin geheim gehalten. Ein Vertreter des IST schloß denn auch eine nachträgliche Klassifikation ursprünglich offener Forschungen ausdrücklich nicht aus.21

Sind sich die Beteiligten einig, könnten natürlich Geheimhaltungsklauseln vereinbart werden, entsprechende Festlegungen seien auf jeden Fall von Vorteil.

Einige wenige Universitäten erlauben geheime Forschung und werden für ihre Kooperation bemerkenswert gewürdigt. So etwa das Georgia Institute of Technology, das denn auch 8 SDI-Kontrakte im Werte von 35 Mio. $ erhalten hat. Das Software Engineering Institute der Carnegie-Mellon University stimmte zu, potentiell sensitive Papiere dem DoD zur „Prepublication Review“ zuzusenden. Die Brown-University oder die Rutgers-University haben ihre einstige Ablehnung der Geheimforschung aufgegeben; die Rutgers-Universität verdreifachte ihre Pentagon Aufträge seit 1983.22

Anmerkungen

1 David C. Morrison: Pentagon's Top Secret „Black“ Budget Has Skyrecketed During Reagan Years, in: National Journal 1/1/1986, S.492.Zurück

2 Ebd., S.492.Zurück

3 Ebd., S.496.Zurück

4 Nature24.7.1986, S.301. Zurück

5 Ebd., S.300. Zurück

6 J. Pike: Barriers to European Participation in the SDI, in: Impact of Strategic Defense Initiative (SDI) on the U.S. Industrial Base. Hearing before the Subcommittee on Economic Stabilization of the Committee on Banking, Finance and Urban Affairs, House, 1. Sess., 10.12.1985, Washington 1986; in diesen Kontext gehört im übrigen auch die Meldung des SDI-Monitor 9/1986, S.111, wonach ein Barry Levin die Position des „Assistant Director for Strategic Information and Concepts“ bei SDIO bekommen solle. Levin komme von der CIA, seine Ernennung „werde sehr wahrscheinlich viel engere Verbindungen zwischen der SDI-Organisation und den Geheimdiensten schaffen“.Zurück

7 SDI-Monitor 4/1986, S.49.Zurück

8 SDI-Monitor 1/1986, S.3. Zurück

9 Gerald Yonas, Research and SDI, in: International Security 2/1986, S.188. Zurück

10 AWST v.10.3.1986, S.283, Lawrence Longerbeam, Direktor des Technologietransferprogramms bei DOEx LLL sagt, „fast die Halfte unseres Budgets von knapp einer Mrd. $ geht in klassifizierte Forschung; dies alles ist strikt zu und geht nicht aus dem Labor raus.“ Zurück

11 SDI-Monitor 1/1986, S. 7; das Bulletin of Atomic Scientifists 1/1986 weist darauf hin, daß die Befürworter des Röntgenlasers ständig geheime Informationen durchsickern ließen. Die Gegner aber bis November 1985 offenbar nie. Zurück

12 SDI-Monitor 7/1986, S.79. Zurück

13 SDI-Monitor 5/1986, S.71. Zurück

14 SDI-Monitor 11/1986, S.149. Zurück

15 SDI-Monitor 13/1986, S.174. Zurück

16 Vgl. SDI-Monitor a.a.O.; eine Ubensicht über die Interventionen des DoD in Zurück

17 Theresa M. Foley: SDI: Billion Dollar Opportunity. Commercial Space Spring 1986, S.20. Zurück

18 Hearings before a Subcommittee of the Commritee on Appropriations. House,99th Congr.,1. Sess., F't. 7, DoD Appropriations for 1986, Washington 1985 (7.5.1985), S.64. Zurück

19 Zit. nach Jonathan B. Tucker: Scientists and Star Wars, in: UCS: Empty Promise: The Growing Case against Star Wars, Boston 1986, S.42. Zurück

20 Nature,24.7.1986, S.300. Zurück

21 TheChronicle of HigherEducation v.11 6 1986 Zurück

22 NARMIC: Uncle Sam Goes to School, Philadelphia 1986, S.2. Zurück

Dr. Rainer Rilling, Privatdozent im Fach Soziologie, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Die sowjetische SDI-Junktimspolitik in Reykjavik.

Die sowjetische SDI-Junktimspolitik in Reykjavik.

Eine Beurteilung aus abschreckungskritischer Sicht

von Wolfgang Bruckmann

Vieles ist über den Gipfel von Reykjavik, der angeblich keiner war, gesagt und geschrieben worden. Analytisches fand sich darunter kaum. Im wesentlichen kreiste dabei die Debatte nach jenen denkwürdigen Tagen im Oktober 1986 um den Mittelstreckenbereich, will sagen um das sowjetische Junktim zu SDI und die sicherheitspolitische Bedeutung der „Null“-Lösung für die NATO. Während aus den unterschiedlichsten politischen Motiven Moskau aufgefordert wurde, das Junktim zwischen SDI und den INF-Waffen aufzugeben, wurde eine ähnliche Forderung für den Bereich der interkontinentalstrategischen nuklearen Offensivwaffen nicht erhoben. Bekanntlicherweise hat die Sowjetunion auch hier ein Junktim zu SDI hergestellt. Eine Problematisierung dieser Verhandlungsposition aus abschreckungskritischer Sicht ist mir jedenfalls nicht bekannt. Dieses Papier hat nun den Zweck, die Moskauer Junktimspolitik von Reykjavik distanziert zu betrachten und ihre militärstrategischen Hintergründe bloßzulegen.

Die politischen Schlußfolgerungen mögen für manche unbequem sein. Eine blockunabhängige Herangehensweise erfordert jedoch nicht nur eine Kritik an den amerikanischen Rüstungsplänen, wie etwa SDI -, sondern eben auch eine skeptische Beurteilung der sowjetischen Militärstrategie und -politik. Eine Auseinandersetzung mit dem „Krieg der Sterne“-Programm der USA ist an anderer Stelle nicht minder konsequent verfolgt worden.1

Strategische Raketenabwehr und interkontinentalstrategische Offensivwaffen

Der militärstrategische Zusammenhang zwischen SDI und den strategischen Atomwaffen – genauer: ballistische Raketen interkontinentaler Reichweite – besteht in der durchaus plausiblen Annahme, daß die Leistungsfähigkeit einer strategischen Raketenabwehr in dem Maße steigt, wie die Zahl der abzufangenden Raketen abnimmt. Die Sowjetunion fürchtet, daß im Falle einer Stationierung von Raketenabwehrsystemen die amerikanische Bereitschaft zu einem Erstschlag gegen das sowjetische Zweitschlagspotential zunehmen wird, da die in Folge beeinträchtigte sowjetische Vergeltungsfähigkeit durch die Wirkung einer strategischen Raketenabwehr auch noch so weit herabgesetzt werden könne, daß die Kriegsschäden in den USA als Folge des sowjetischen Zweitschlages gemessen am erreichten Kriegsziel (Beseitigung des Antagonisten) in der Wahrnehmung der amerikanischen Administration und der Militärs „akzeptabel“ werden könnten. Zumindest sei eine derartige Situation militärischer Überlegenheit zu politischen Erpressungsmanövern instrumentalisierbar.2

So richtig es ist, daß die Implementierung einer strategischen Raketenabwehr

  • verheerende Auswirkungen auf die strategische Stabilität entfalten könnte,
  • eine gigantische Verschwendung finanzieller, materieller und geistiger Ressourcen wäre,

also strikt abzulehnen ist, müssen doch die Prämissen des sowjetischen Szenarios und die angedrohten militärpolitischen Konsequenzen Moskaus – im wesentlichen die Erhöhung der Zahl strategischer Atomwaffen, um die gegnerische Abwehr zu saturieren 3 – kritisch hinterfragt werden:

a) Erstschlagszenarios sind in vieler Hinsicht als äußerst fragwürdig und auf falschen Prämissen beruhend kritisiert worden.4

Trotz aller technologischen Anstrengungen, die Vernichtungsfähigkeit gegen militärische Ziele – counter military potential (Command-, Control-, Communication- and Intelligence-Structures – C3I-, Raketenbasen, strategische Bomber, U-Boote) durch

  • die Erhöhung von Zielgenauigkeiten strategischer Atomwaffen (Circular Error Probability – CEP),
  • effektivere Atomsprengköpfe,
  • mehrfache Zielabdeckung (Redundanzen),
  • die Steigerung der Funktionstüchtigkeit, Einsatzbereitschaft und Durchdringungsfähigkeit von Atomwaffen,
  • Aufspüren gegnerischer U-Boote (Anti-Submarine-Warfare – ASW),- Effektivierung der C3I-Strukturen zu verbessern, steigen die Erfolgsaussichten eines „entwaffnenden Erstschlages“ in den Berechnungsmodellen der counterforce-Optionen zwar statistisch-theoretisch an, praktisch aber sind sie auf unabsehbare Zeit gering.5 Mehrere Gründe sind dafür ausschlaggebend:

    1. Alle Erstschlagszenarien sind Computersimulationen, deren empirische Relevanz nicht verifiziert werden kann – es sei denn unter den praktischen Bedingungen eines Atomkrieges! Testflüge von Trägersystemen sind nur bedingt aufschlußreich, da die Flugrouten aus naheliegenden politischen Gründen nicht über gegnerisches Territorium verlaufen 6; denn: die dort herrschenden, auf die Flugbahn einer ballistischen Rakete wirkenden besonderen geophysikalischen Bedingungen (Abnormalitäten im Gravitationsfeld der Erde, Beeinflussungen durch den Polmagnetismus) und klimatische Einflüsse (wechselnde Dichten höherer Atomsphären, wechselnde Windgeschwindigkeiten etc.) können nur durch Annäherungsverfahren in mathematischen Modellen und Kalkülen über die theoretische Flugbahn einer Rakete simuliert werden – Irrtümer inbegriffen.
    2. Auf Grund der mehrfachen Abdeckung militärischer Ziele – wie Raketensilos – können die von einer Atomexplosion ausgehenden Einflüsse (Hitze, Gesteinsregen, Druckwelle, starke elektromagnetische Strahlen) die zeitlich später eintreffenden Sprengköpfe vor ihrer Zielerreichung zerstören (fracticide effect), so daß wichtige Erstschlagziele möglicherweise unzerstört bleiben.
    3. Ein in umfassender Weise angelegter Erstschlag („disarming first Strike“) verlangt ein außerordentliches Maß an zeitlicher Koordination: Tausende von Sprengköpfen müssen zu exakt vorausberechneten Zeitpunkten ihr Ziel auch faktisch erreichen – trotz unterschiedlicher Flugbahnen, -zeiten, -geschwindigkeiten und -entfernungen. Möglichst alle gegnerische Atomwaffen befördernden U-Boote (SSBN) müssen unverzüglich aufgespürt und zerstört werden usw. usw. Niemand kann vorhersagen, ob die C3I-Systeme unter Krisenbedingungen dazu in der Lage sein werden.7
    4. Erstschlagsoptionen können durch Gegenmaßnahmen durchkreuzt werden (mobile ICBMs, Cruise Missiles, U-Boote in Binnengewässern etc.).
    5. Ein Zweitschlag kann bei ausreichenden Vorwarnzeiten (vor Eintreffen der „ersten Schläge“) vorweggenommen werden (launch-on-warning).
    6. Ob eine strategische Raketenabwehr einen – wenn auch ggf. geschwächten – sowjetischen Zweitschlag zuverlässig abfangen kann, muß ebenfalls bezweifelt werden 8 : Aufgrund der außerordentlichen Anforderungen an Hard- und Software, deren Erfüllung nur unter Kriegsbedingungen testbar wäre, gibt es systembezogene Leistungsgrenzen, die durch eine nicht vorhersehbare Zahl von Zielen (aufliegende Raketen oder Sprenköpfe) im Falle eines nur teilweise gelungenen amerikanischen Erstschlages überschritten würden, so daß der sowjetische Zweitschlag lediglich unvollkommen abgefangen werden könnte („Übersättigung“). Dies gilt in besonderer Weise dann, wenn der amerikanische Erstschlag aufgrund einer sowjetischen „launch-on-warning“-Strategie „ins Leere“ träfe.9 Aber selbst wenn aus amerikanischer Sicht alles optimal verliefe, bestünde für Moskau immer noch die Möglichkeit, die Abfangmanöver von SDI-Systemen durch Täuschungsmanöver zu durchkreuzen, nicht-ballistische Flugkörper oder solche mit gedrückten Flugbahnen zu verwenden oder die ABM-Systeme direkt zu attackieren.10
    7. In allen Erstschlagmodellen bleibt der Einsatz anderer, nichtnuklearer Massenvernichtungsmittel (B- und C-Waffen) außer Betracht.

Diese Argumente gelten im übrigen für alle Erstschlagszenarien, sowjetische amerikanische.

b) Strategische Stabilität ist jedoch nicht nur das Ergebnis materiell- rüstungstechnischer, sondern auch kognitiver Prozesse. Erstschlagszenarien mögen noch so unplausibel sein: solange innerhalb der Abschreckungsstruktur die waffentechnologische und strategisch-konzeptionelle Entwicklung von den jeweiligen „sicherheits“-politischen Eliten als Absicht des Gegners interpretiert wird, Erstschlagfähigkeit zu erlangen bzw. die zukünftige Qualität eines bestimmten Waffenpotentials als erstschlagfähig wahrgenommen wird, dann gewinnt dieser Umstand praktische Bedeutung und politische Relevanz – trotz falscher Prämissen.

Ist demnach das sowjetische Junktim, einer Reduzierung von strategischen Atomwaffen nur unter den Bedingungen zuzustimmen, daß die USA ihr SDI-Programm auf Forschung und Tests ausschließlich in Laboratorien beschränken, zwingend?

Diese Frage ist deshalb von enormer politischer Bedeutung, weil derzeit offenbar nur ein Verhandlungsansatz abrüstungsträchtig ist (d.h. eine Reduzierung und Abschaffung von strategischen und eurostrategischen Atomwaffen ermöglicht), der den Ausgleich zweier gegenläufiger Interessen bewirken würde, also:

  • die sowjetischen Erstschlagsbefürchtungen auszuräumen in der Lage ist,
  • das amerikanische SDI-Programm innerhalb der durch den ABM-Vertrag gesetzten Schranken unberührt läßt.

Mit anderen Worten: Es geht um die Suche nach einer weitestgehend abschreckungsimmanenten und pragmatischen Lösung des Problems.

Hier wird die Auffassung vertreten, daß der Schlüssel für einen Interessenausgleich in einer Abrüstungsmechanik läge, die – SDI vorerst außer Betracht lassend – vor allen Dingen die counterforce-Potentiale der Großmächte reduziert. D.h.: Eine 50%-Verringerung von strategischen Offensivwaffen innerhalb von 5 Jahren nach Abschluß eines Abkommens – wie von der Sowjetunion in Reykjavik vorgeschlagen 11 – müßte sich vor allen Dingen auf bestehende und geplante Systeme konzentrieren, die von der Sowjetunion in Kombination mit SDI als erstschlagsfähig eingestuft werden: Minuteman III, MX, Midgetman, Trident 2, Stealth-Bomber (ATB) und Cruise Missiles.12 Ausgeschlossen werden müßten ebenfalls technologische Entwicklungen, die aus den noch verbleibenden strategischen Offensivwaffen erstschlagsfähige Systeme machen würden. Dies bedeutet einen Verzicht der USA auf die satellitengestützte Lenkung ballistischer Raketen (NAVSTAR). Rüstungskontrollpolitisch unbedingt erfaßt werden müßten auch zweitschlagsbeeinträchtigende Entwicklungen im Bereich der Unterwasserkriegsführung (ASW).13

Es wird deutlich, daß der Sowjetunion nach einem erfolgten amerikanischen Erstschlag ohne MX weitaus mehr Sprenköpfe für einen Zweitschlag verblieben, als wenn es zu einem Einsatz der MX-Rakete käme.14

System Zielgenauigkeit (CEP) Sprengkraft (Y[kT]>) Zahl der Sprengköpfe(n) Zahl der
zerstörten Ziele; Wahrscheinlichkeit > 97 % [Summe nautical missiles/m]
Minuteman III Mk 12 0,120/220 170 kT 750 (3 MIRV) 150
Minuteman III Mk 12A 0,120/220 335 kT 900 (3 MIRV) 300
MX 0,054/100 300 kT 1000 (10 MIRV) 500
Trident II 0,075/130 475 kT 5184 (8-12 MIRV) 2376
Summe 3326
Quellen: eigene Berechnungen, Annahmen und Daten s. Fußnote 15

Ein mathematisch-statistisches Modell eines Erstschlagszenarios mit prädestinierten counterforce-Waffen (Minuteman III, MX, Trident II) kommt zu folgenden Ergebnissen:

Die Summe der mit hoher Wahrscheinlichkeit zerstörten Ziele (>97 %) gewinnt an Aussagekraft, vergleicht man sie mit der Zahl der für einen Erstschlag bedeutsamen sowjetischen counterforce-Ziele:

  • höchste militärische und politische Kommandozentralen: >100 16;
  • Silos von landgestützten Interkontinentalraketen: 1398 17;
  • Startbasen der sowjetischen Fernbomberflotte: 3 18
  • U-Boot-Basen: ca. 7 19.

Zusammen ergibt dies knapp 1500 erstrangige (Land-) Ziele. Selbst unter der Annahme, daß die Zahl der sowjetischen counterforce-Ziele in den nächsten Jahren zunähme, kann mit mathematisch-statistischer Plausibilität gesagt werden, daß alle in einem angenommenen „disarming first Strike“ anvisierten höchstrangigen Ziele mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 97 % zerstört werden könnten. Dabei sind nichtballistische, unbemannte (Cruise Missiles) und bemannte (strategische Bomber) Flugkörper mit dem in Zukunft radarrückstrahlungsminimierten Querschnitt („Stealth“) noch nicht einmal berücksichtigt. Auch diese werden Erstschlagsaufgaben übernehmen können.

Einschränkend muß jedoch gesagt werden, daß diese Betrachtung nur von zwei Komponenten der strategischen Triade handelt. Die theoretische Erfolgsträchtigkeit eines „disarming first Strike“ hängt allerdings auch davon ab, inwiefern es gelänge, die gegnerischen atomwaffenbefördernden U-Boote auszuschalten. Es können jedoch beunruhigende technologische Entwicklungen beobachtet werden, so daß eine theoretische first-strike-Fähigkeit mit Hilfe der rasant fortschreitenden Anti-Submarine-Warfare-Technologie (ASW) in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann.20

c) Welche Konsequenzen hätte der hier vorgeschlagene Verhandlungsansatz für die Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik? Zunächst ist festzuhalten, daß ein wesentliches Ergebnis darin bestünde, daß tiefere Einschnitte bei den strategischen Atomwaffen vorgenommen würden, anstatt – wie es bisher die Praxis von Rüstungskontrolle war – vereinbarte Obergrenzen festzulegen. Also: Atomare Abrüstung statt kontrolliertet Aufrüstung. Neben der Reduzierung von US-counterforce-Waffen käme es außerdem nicht nur zu einem Abbau der sowjetischen Pendants (SS-18, SS-19, SS-25)21; das amerikanische SDI-Programm könnte auf diese Weise politisch delegitimiert werden, da amerikanische Erstschlagsbefürchtungen („window of vulnerability“) – so unplausibel sie auch sein mögen – gegenstandslos würden. Hinzu kommt, daß der hier vorgeschlagene Ansatz die Abrüstungsdebatte auf jene Waffen fokussiert, deren Abschaffung bzw. Entwicklungsstop sofort möglich wäre und die durch die Reagan-Administration selbst moralisch disqualifiziert wurden. Die Kritik am Zukunftsprogramm „SDI“ sollte dabei keineswegs vernachlässigt werden; die politische Forderung sollte weiterhin sein, den ABM-Vertrag einzuhalten und sein Regime zu stärken. Worum es dennoch geht, ist der Verzicht auf das Junktim „SDI und strategische Offensivwaffen“, vorausgesetzt, die nukleare Abrüstung folgte einer die counterforce-Waffen vorwiegend betreffenden Reduzierungsmechanik. Ein gewichtiger Einwand sei in diesem Zusammenhang noch diskutiert: Sind die hier vorgeschlagenen Maßnahmen verifizierbar?

Während beim Entwicklungssektor zukünftiger strategischer Offensivwaffen (durch Satellitenaufklärung kontrollierten Flugtestverbot militärischer ballistischer und nichtballistischer Flugkörper) und bei der Verschrottung vorhandener strategischer Atomwaffen (Satellitenaufklärung, internationale Kontrollkommissionen) die Abrüstung relativ einfach zu kontrollieren ist, 22 wäre die Einhaltungsüberprüfung verbotener oder eingeschränkter U-Boot-Kriegsführung und Satellitenlenkung von ballistischen und nichtballistischen Flugkörpern (NAVSTAR) zwar komplizierter, aber dennoch die Probleme nicht unlösbar:

Durch bestimmte Frequenzverbote und zahlenmäßige Begrenzung von Navigationssatelliten könnte die weltraumgestützte Lenkung von Flugkörpern unterbunden, 23 durch Seesanktuarien, zahlenmäßigen Abbau von Jagd-U-Booten und Einrichtung spezieller Unterwasserdetektoren zur Einhaltungsüberprüfung eines vereinbarten Abbaus von Sonartripoden die ASW-Fähigkeit vermindert bis vereitelt werden.24

d) Es ist nicht zu verhehlen, daß trotz der hier diskutierten Argumente für einen sowjetischen Verzicht auf ein Junktim offene Fragen geklärt werden müssen 25:

  1. Wird nicht durch eine Aufgabe des Junktims „SDI/strategische Offensivwaffen“ nur unter der hier vorgeschlagenen Abrüstungsmechanik ein neues Junktim eingeführt?
  2. Führt nicht ein Einlassen auf die erwogene Ebene zu einer nimmer endenden und daher wenig erfolgsträchtigen Debatte darüber, was nun eigentlich erstschlagsfähige counterforce-Waffen sind und was nicht, welche Systeme für einen Abbau infrage kämen und wie ihr Abbau verifizierbar wäre?
  3. Da die vorgeschlagene Lösung vor dem Hintergrund verschiedener Schwerpunktsetzung der Großmächte bei den strategischen Atomwaffen eine asymmetrische Herangehensweise erfordern würde, ist es fraglich, ob ein Konsens über Struktur und Gewichtung erzielbar wäre.

Diese Probleme müssen diskutiert werden, um die Erfolgsaussichten des hier vorgeschlagenen Ansatzes abschließend beurteilen zu können.

Strategische Raketenabwehr und Mittelstreckenraketen

a) In der Zeit vor dem Gipfel von Reykjavik hat es wiederholt Stellungnahmen hoher sowjetischer Politiker und Militärs gegeben, die für die Genfer Verhandlungen eine von SDI separierte Lösung im INF-Bereich nicht ausschließen wollten.26 Erst in Reykjavik schnürte Gorbatschow ein Gesamtpaket und stellte damit auch ein Junktim zwischen SDI und den INF-Systemen her. Diese Verhandlungsstrategie wurde offenbar weder vom Genfer Chefunterhändler der Sowjetunion. Karpov. noch von ihrem Sonderbotschafter Lomejko geteilt.27 Es gilt, diesen Widerspruch aufzuklären.

b) Die vor Reykjavik unzutreffende Moskauer Bereitschaft, ein von Weltraum- und strategischen Atomwaffen getrenntes INF-Abkommen abschließen zu wollen und dabei

  • die forward-based-systems der USA
  • die französischen und britischen Atomwaffen unberücksichtigt zu lassen,

ist das späte Eingeständnis einer militärstrategischen Bedeutungslosigkeit der SS-20 28 ; denn: sowjetische interkontinentalstrategische Systeme entfalten ebenfalls kontinentalstrategische Abschreckungswirkung, da sie auch über mittlere, d.h. eurostrategische Reichweiten eingesetzt werden können. Ein umgekehrter Zusammenhang besteht nicht. Mit anderen Worten: Eine für den mittleren Operationsradius konzipierte Rakete, wie die SS-20, erlaubt keinen Einsatz über interkontinentale Reichweiten, d.h. sie erreicht amerikanisches Territorium nicht (s. Abb. 4). Ihre zahlenmäßige Aufstockung als eine gegen SDI gerichtete Maßnahme wäre daher sinnlos. Das von sojwetischer Seite gelegentlich vorgetragene Argument, durch SDI stiege die Bedeutung britischer und französischer Atomwaffen und daher benötige Moskau ein dagegen gerichtetes Abschreckungspotential, ist nicht nur wegen des oben genannten Sachverhaltes fragwürdig. Entgegenzuhalten ist auch, daß die französischen und britischen Potentiale eigenständige Bestandteile nationaler und nicht amerikanischer counterforce-Einsatzplanung sind. Eine flankierende Funktion im Rahmen eines amerikanischen Erstschlages ist daher nur schwer vorstellbar.

Wenn aber zwischen SDI und den INF kein militärstrategischer Zusammenhang besteht, warum dann das sowjetische Junktim? Die Antwort führt über die gegenwärtige Einschätzung der Pershing II durch die UdSSR; denn: Würde Moskau die Anfang der 80er Jahre getroffene Beurteilung der Pershing als strategische Enthauptungswaffe beibehalten haben, ist das Junktim nicht mehr plausibel, da

  • die Sowjetunion dann immer noch ein existentielles Interesse daran haben müßte, gerade diese Waffen wegzubekommen und
  • durch die gleichzeitige Abrüstung der SS-20 das gegen SDI gerichtete Zweitschlagspotential interkontinentalstrategischer Systeme davon unberührt blieben.

Das Junktim ist der offenkundige Beleg dafür, daß die Pershing II von der UdSSR heute nicht mehr als Enthauptungswaffe im Rahmen eines amerikanischen Erstschlags beurteilt wird. Die sowjetische Bereitschaft, vor Reykjavik zu einem getrennten INF-Abkommen zu gelangen, hatte m.E. vorwiegend politische Gründe:

Die sowjetische Politik zielte auf die schwächste Stelle der geltenden NATO-Strategie: das Glaubwürdigkeitsdilemma eines mit Eskalationsrisiken bedachten Atomwaffenersteinsatzes zur „Verteidigung“ westeuropäischer Nichtatomwaffenstaaten. Letztere betrachten die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles als Instrument der Ankopplung an amerikanische „Sicherheitsinteressen“. Da dieses militärstrategische Problem der westeuropäischen Öffentlichkeit kaum nahe gebracht werden konnte, wurde der Popanz östlicher Überlegenheit aufgebaut und die „Nach“-Rüstung erfunden. Durch das Eingehen Gorbatschows auf das westliche Verhandlungsangebot der „Null“-Lösung zwang er die NATO, Farbe zu bekennen – und entlarvte die westliche Legitimations- und Durchsetzungsstrategie der „Nach“-Rüstung als großangelegtes Täuschungsmanöver zur Kaschierung (vermeintlicher) militärstrategischer Dilemmata. Die FAZ brachte es auf den Punkt: „Das Angebot einer Null-Lösung war für die Öffentlichkeit gedacht und im Vertrauen ausgebrochen worden, daß Moskau nicht bereit wäre, seine Mittelstreckenraketen total zu beseitigen.“29

Welche Gründe mögen Gorbatschow nun veranlaßt haben, die „Null“-Lösung mit einem Junktim zu SDI zu verknüpfen und damit dem Westen dieses politische Problem zu erlassen? Offenbar hat das Junktim einen höheren politischen Stellenwert als die Bloßlegung westlicher Strategiedefizite.

Meine These: Während die sowjetische Bekräftigung, den ABM-Vertrag die nächsten zehn Jahre einhalten zu wollen und in Übereinstimmung damit den USA Laborforschung und -tests von ABM-Systemen zu gestatten, auf den amerikanischen Kongreß und die amerikanische Öffentlichkeit zielt, soll das Junktim im Mittelstreckenbereich bewirken, daß die Regierungen und die Öffentlichkeit in den Stationierungsländern politischen Druck auf die Reagan-Administration ausüben, das SDI-Programm einzuschränken (s.o.), um auf diese Weise den Weg für eine Abrüstung der INF-Systeme freizumachen.

Das Junktim hat also eine SDI-Verhinderungsfunktion; es ist Teil des sowjetischen Verhandlungspokers.

c) Diese Verhandlungsstrategie geht von der Annahme aus, die betroffenen westeuropäischen Regierungen wollten auf die amerikanischen Mittelstreckenwaffen tatsächlich verzichten. Dies mag für die Cruise-Aufnahmeländer noch richtig sein (mit Ausnahme der Briten); für die jetzige Bundesregierung ist es unzutreffend. Im Gegenteil: Das sowjetische Junktim „spielt“ dem Stahlhelmflügel in der CDU/CSU geradezu in die Hände. Nicht genug: Solange die Pershing II und die Cruise nicht abgezogen werden, wird der Warschauer Vertrag die Dislozierung operativ-taktischer Raketen (SS-21, SS-23) in der DDR und der CSSR, die auf die Stationierungsräume der genannten INF-Systeme zielen, nicht rückgängig machen. Dieser Umstand wiederum wird von der Regierung als Legitimationsvehikel herangezogen, um eine „Nach“-Rüstung bei den Kurzstreckenraketen und den Aufbau einer taktischen Raketenabwehr in Westeuropa zu begründen. Der Kreis schließt sich.

Fazit

a) Zum Junktim SDI/Strategische Atomwaffen:

  • Der militärstrategische Begründungszusammenhang ist auf Grund der irrationalen Prämissen von Erstschlagszenarien fragwürdig.

Bei einem Verhandlungsvorschlag der den USA das SDI-Programm beläßt ohne es politisch zu akzeptieren – und einer die erstschlagsfähigen counterforce-Waffen betreffenden Abrüstungsmechanik folgt, wäre das sowjetische Junktim verzichtbar.

Der hier vertretene Ansatz würde entweder eine substantielle Abrüstungsperspektive bei den strategischen Atomwaffen eröffnen, deren politische Sogwirkung auch das SDI-Programm delegitimieren könnte, oder – einmal mehr – die Abrüstungsunwilligkeit der US-Administration demonstrieren.

Zum Junktim SDI/INF

Das Junktim ist in erster Linie verhandlungspolitisch motiviert; ein militärstrategischer Begründungszusammenhang besteht nicht.

Die westeuropäischen Aufnahmeländer der INF-Systeme sind das Objekt verhandlungspolitischer Kalküle der Großmächte. Dies ist politisch nicht akzeptabel. Trotz unserer eindeutigen Kritik an SDI: Auch das sowjetische Junktim ist zurückzuweisen.

Nachwort

„Die Sache kommt nicht vom Fleck, seit vielen Jahren nicht.“ (Georgi Arbatow) 30

„Ich komme sogar immer mehr zu dem Schluß, daß es schädliche Verhandlungen gibt, Verhandlungen nämlich, die ein Teil des Wettrüstens sind.“ (Georgi Arbatow) 31

Abkürzungsverzeichnis:

ABM
Anti-Ballistic-Missile
ASW
Anti-Submarine-Warfare
ATB
Advanced Technology Bomber
CEP
Circular Error Probability
C3I
Command, Control, Communication, Intelligence
CMP
Counter Military Potential
d
delivery system
H
Hardness
ICBM
Intercontinental Ballistic Missile
INF
Intermediate Nuclear Forces
K
Lethality (Kill-Faktor)
kT
kilo-tons
MIRV
Multiple Independently Reentry Vehicle
MX
Missile Experimental
n
Zahl der Sprengköpfe
NAVSTAR
Navigation Sattellite Timing and Ranging
p
penetration

PK

Probability to Kill
r
reliability
SLBM
Sea-Launched-Ballistic-Missile
SS
Surface to Surface
SSBN
Ballistic Missile Carrying Nuclear Powered Submarine
SSKP
Single Shot Kill Capability
td
target destroyed
w
warhead
Y
Yield

Anmerkungen

1 Wolfgang Bruchmann: Krieg der Sterne. Reagans Himmelfahrtkommando und Kohls Gefolgschaftstreue. Zur strategischen Bedeutung von „SDI“ und „EVI“, ihre rüstungskontrollpolitischen Folgen und Konsequenzen für eine politische Strategie der Friedensbewegung; in: Statt Krieg der Sterne Abrüstung auf der Erde. Analysen und Dokumente aus der Arbeit der Grünen im Bundestag, Bonn 1985Zurück

2 o.A.V.: Sternenkriege. Illusionen und Gefahren; Moskau 1985, S. 30/31Zurück

3 Committee of Soviet Scientists for Peace, against Nuclear Threat: A space-based anti-missile-system with directed energy weapons; Strategic, legal and political Implications; Moscow 1984, p. 21 ff.Zurück

4 Bunn, Matthew/Tsipis, Kosta: Die Unsicherheiten eines nuklearen Präventivschlages; Spektrum der Wissenschaft, Januar 1984, S.20 ff.Zurück

5 Roßbach, Stefan: Überlegungen zur Methodologie militärischer Kräftevergleiche, Ebenhausen 1986, S. 43 ff.Zurück

6 ebenda, S. 49Zurück

7 Krell, Gert/Lutz, Dieter: Nuklearrüstung im Ost-West-Konflikt; Baden-Baden 1980, S. 144 ff.Zurück

8 Labusch, Reiner: Erstschlagstrategie und Erstschlagfähigkeit; in: Weltraum ohne Waffen, Hrsg. ders., Maus, E., Send, W.; München 1984, S. 122 ff.Zurück

9 Steinbrunner, John: Vergeltungsschlag bei nuklearem Angriff; in: Spektrum der Wissenschaft, März 1983, S. 54 ff.Zurück

10 s. Fußnote 3Zurück

11 Gorbatschow, Michail: Ergebnisse und Lehren von Reykjavik; Moskau 1986, S. 11, 32Zurück

12 o.A.V.: Von wem geht die Gefahr für den Frieden aus? Moskau 1984, S. 32 ff.Zurück

13 Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI): Yearbook 1979, London 1979, p.427 ff.Zurück

14 s. Fußnote 8, S. 134 f.Zurück

15 Systemdaten:- International Institute for Strategie Studies (IISS): Military Balance 86/87, London 1966, p. 200 – Norris, Robert: Counterforce at See; The Trident II Missile, in: Arms Control Today; Ed. by Arms Control Association,9/86, p. 5 ff. – Kemp, Geoffrey: Nuclear Forces for Medium Powers, Part l: Targets and Weapon Systems, in: Adelphi Papers No.106, p. 6 – SIPRI: Yearbook 1982, London 1982, p. 279 – Soule, Robert: Counterforce Issues for the U.S. Strategie Nuclear Forces; Congressional Budget Office; Washington 1978, p. 5. Weitere Ausführungen und Erklärungen: s. Wolfgang Bruckmann: Marschflugkörper – auf dem Wege zur „first Strike capability“? Eine Studie über technologische Entwicklung, strategische Bedeutung und rüstungskontrollpolitische Implikationen der Cruise Missiles; Bonn 1983 Zurück

16 Berman, R. P.; Baker, J. C.: Soviet Forces Requirements and Responses, Brooking-Institute, Washington D.C.1982, p. 103/137. Die Verfasser geben die Anzahl von 60 US-National-Command-Authority-Centers an. Für die Sowjetunion dürften ähnliche Bedingungen gelten. Zurück

17 s. Fußnote 7, S. 96 Zurück

18 Department of Defense (DOD): Soviet Military Power, Washington 1981, p. 6 f. Zurück

19 Lutz, Dieter: Die Rüstung der Sowjetunion, Baden-Baden 1979, S. 116 ff. Zurück

20 Wit, Joel S.: Neue Systeme zur U-Boot-Bekämpfung, in: Spektrum der Wissenschaft, April 1981 S. 58 ff. Zurück

21 I.I.S.S.: Military Balance 1986/87, a.a.O., p. 204 Zurück

22 Hafemeister, David: Advances in Verification Technology, in: Bulletin of the Atomic Scientists,1/85, p. 35 ff. Zurück

23 Garwin, Richard: Antisubmarine Warfare and National Security, in: Scientific American, Vol. 227, No.1, July 1972, p. 14 ff. Zurück

24 Bernard T. Feld/Kosta Tsipis, The Future of the seabased deterrent Mass., 1973, passim. Zurück

25 s. Fußnote 21, p.200 ff.Zurück

26 Die Zeit, Nr.44, 24.10.86 Zurück

27 ebenda Zurück

28 Bundesminister für Verteidigung: Weißbuch 1983. Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1983, S. 76 Zurück

29 FAZ 20.10.86 Zurück

30 s. Fußnote 26 Zurück

31 ebenda Zurück

Wolfgang Bruckmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundestagsfraktion der GRÜNEN

SDI-Software: Irrtum mit Todesfolge.

SDI-Software: Irrtum mit Todesfolge.

Das „Sternenkriegs“- Programm und die Möglichkeiten des unbeabsichtigten Beginns eines Kernwaffenkonflikts

von B. V. Rausenbach

Das von Präsident REAGAN als „Strategische Verteidigungsinitiative“ bezeichnete Programm rief sehr viele Einwände von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen hervor.

Bedeutend mehr Aufmerksamkeit als bisher muß der Analyse der Folgen des schnellen Verlaufs der vorgesehenen „Sternenschlachten“ gewidmet werden. Dieser schnelle Verlauf erfordert praktisch die volle. Automatisierung der gesamten Steuerung der sich gegenüberstehenden Kräfte, die im Kosmos und auf der Erde eingesetzt werden. Es entsteht ein „Computerkrieg“, und die politische Führung wird im günstigsten Fall von den Computern über den Verlauf der Kampfhandlungen informiert.

Die volle Automatisierung der Steuerung von Kampfhandlungen stellt äußerst hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit des gesamten Steuerungssystems. Ist dieses unzureichend, könnte es irrtümlich Kampfhandlungen in Friedenszeiten auslösen, was nicht wieder gut zu machende Folgen haben würde. Die Hauptursachen, die von der anderen Seite nicht provozierte Kampfhandlungen hervorrufen können, lassen sich wie folgt gruppieren:

  • Fehler in Elementen des Steuerungssystems,
  • Fehler in der Software,
  • nicht vorhandene Abstimmung der Software zwischen den sich gegenüberstehenden Seiten.

Bei Fehlern in Elementen des Steuerungssystems lassen sich die damit im Zusammenhang stehenden Probleme relativ einfach analysieren. Das System der Weltraumstationen die die materielle Basis des „Sternenkrieg“-Programms darstellen, wird aus vielen Millionen Elementen bestehen, von denen ein jedes funktionstüchtig werden kann. Bedingt durch die riesige Menge der zu solch einem komplizierten automatisierten Komplex von Weltraumkampfstationen gehörenden Elemente ist es möglich, daß eine ziemlich große Anzahl ausgefallener Elemente vorhanden ist.

Trotzdem kann die Möglichkeit ernster Ausfälle in den Steuerkreisen eines solch komplizierten Systems, wie es für „Sternenkriege“ notwendig ist, nicht ausgeschlossen werden.

Bedeutend gefährlicher sind Fehler in der Software. Die Möglichkeit zur Schaffung einer fehlerfreien Software für die Abwehr eines Angriffs interkontinentaler ballistischer Raketen auf kosmische Kampfstationen behandelte Herbert LIN. Die von ihm gezogene Schlußfolgerung, daß das völlig unmöglich ist, wird noch überzeugender hinsichtlich der Aufgabe der Lenkung der „Sternenkriege“.

Der Prozeß zur Schaffung der Software kann bedingt in 4 Etappen untergliedert werden: Planung, Entwicklung, Realisierung und Erprobung zwecks Überprüfung und Fehlerbeseitigung.

Die Planung besteht in der Zusammenstellung der detailliertesten Logik der Arbeit des Systems mit verbindlicher Berücksichtigung aller möglichen Varianten von Kampfhandlungen. Hier sind auch solche Handlungsvarianten der anderen Seite einzubeziehen, die keine Kampfhandlungen sind, auf die nicht geantwortet werden muß, die aber nach ihren formellen Anzeichen als Kampfhandlungen gewertet werden können. Die volle Beschreibung dieser Logik nimmt viele tausend Seiten ein, und in dieser Masse Material darf weder eine Lücke noch ein Fehler sein. Die Undurchführbarkeit dessen wird von LIN am Beispiel des 3000 Seiten umfassenden „Steuergesetzbuches der USA“ gezeigt.

In unserem Falle ist die Situation viel komplizierter als die von LIN untersuchte. Er betrachtete nur die Abwehr des Angriffs ballistischer Raketen, im gewissen Sinne einseitige Handlungen. Die gestarteten Raketen können zwar von Kosmoswaffen angegriffen werden, wirken aber selbst auf diese nicht ein. Alles, was mit der ballistischen Rakete nach ihrem Start geschieht, ist ausreichend bekannt.

Im Falle der Verwirklichung des „Sternenkrieg“-Programms wird die Situation im Prinzip komplizierter. Gegenüber den gleich artig fliegenden ballistischen Raketen sind hier die verschiedensten Varianten der Vernichtung von Raumflugkörpern der Raketenabwehr wie auch andere Handlungen gegen kosmische Objekte beider Seiten möglich, darunter Varianten, die beide Seiten sorgfältig voreinander geheimhalten werden. Unter diesen Bedingungen nimmt die Planung der Software Wahrscheinlichkeitscharakter an. Es müssen die möglichen Varianten der Gegenseite abhängig von den verschiedenen Varianten des Beginns der Kampfhandlungen und abhängig vom unterschiedlichen Charakter ihrer nachfolgenden Entwicklung angegeben werden.

Wenn beispielsweise das kosmische Kampfsystem aus 40 Satelliten besteht und es der gegnerischen Seite gelingt, bis zu 10 von ihnen zu vernichten, so müssen bei der Aufstellung der Software die verschiedenen Varianten der Kampfhandlungen in Abhängigkeit davon vorgesehen werden, wieviel und genau welche Satelliten des eigenen kosmischen Systems außer Gefecht gesetzt sind. Es ist leicht zu errechnen, daß in diesem Falle über 350 Mill. Varianten entstehen. Wenn nun bis zu 11 Satelliten außer Gefecht gesetzt werden können, überschreitet die Zahl der zu untersuchenden Varianten 1 Mrd.! Diese schwindelerregend wachsende Lawine von Varianten führt dazu, daß die Autoren der Software gezwungen werden, die Varianten zu bestimmten Gruppen zusammenzuführen, sie als zusammengefaßte Positionen weniger konkret als es dem Wesen nach notwendig wäre zu betrachten. Damit können nicht die entfernten Auswirkungen jeder Variante verfolgt werden. Die nicht bis zu Ende behandelte ausgewählte Variante der Kampfhandlungen kann solche entfernten Folgen beinhalten, die dem gefährlichsten Fehler gleichzusetzen sind.

Alles Dargelegte zeugt davon, daß im Unterschied zur Planung der Software der Raketenabwehr die analoge Planung der Kampfhandlungen der einander gegenüberstehenden kosmischen und Raketensysteme von Anfang an ungenau ist und eine Vielzahl prinzipieller Fehler enthalten wird.

Die nächste Etappe der Schaffung der Software besteht in ihrer Ausarbeitung nach detaillierter Logik, die während der Planung aufgestellt wurde. Hier kommen zu den prinzipiellen Fehlern der vorangegangenen Phase Fehler anderer Art hinzu. Die Software der notwendigen Klasse wird nach vorläufiger Einschätzung Dutzende Millionen von Kommandos enthalten, an denen tausende Programmierer viele Jahre arbeiten müssen. Unter diesen Bedingungen ist die völlige Fehlerlosigkeit einfach ausgeschlossen. Neben zufälligen Fehlern treten hier schwer auffindbare Fehler bei der Abstimmung der einzelnen Programmteile auf, die an verschiedenen Stellen zu unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlichen Ausführenden verursacht werden, sowie Fehler in Zusammenhang mit dem ungenauen Verstehen einzelner Feinheiten der geplanten Logik der Arbeit des Kampfsystems.

Als Beispiel eines zufälligen Fehlers des behandelten Typs läßt sich der im einfachen und kleinen Programm der Drehung des an Bord des mehrfach verwendbaren Raumschiffes installierten Spiegels ausführen, der bei einem Experiment im Rahmen des Forschungsprogramms zur strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) sichtbar wurde. Der Spiegel sollte den Strahl eines sich auf 10.023 Fuß über dem Meeresspiegel befindlichen Lasers reflektieren. Das Programm lenkte ihn aber so, als wenn sich der Laser auf einem Berg mit einer Höhe von 10.023 Meilen befinden würde. Und das wurde während des Experiments beim kosmischen Flug in dem Moment festgestellt, als das Experiment mit einem Mißerfolg endete, d.h. bei realer Erprobung. Die erste reale Erprobung des kosmischen „Sternenkrieg“-Systems werden aber die ausgebrochenen Kampfhandlungen sein.

In der dritten Etappe der Realisierung werden die erarbeiteten Algorithmen in die entsprechenden automatischen Systeme und Computer eingegeben. Auch hier sind Fehler möglich, die jedoch relativ leicht festzustellen und zu beseitigen sind.

Außerordentlich wichtig ist die letzte, die vierte Etappe – die Erprobung und Beseitigung von Fehlern. Es ist ziemlich offensichtlich daß die in der ersten Entwicklungsphase begangenen prinzipiellen Fehler durch einfache Erprobung des Systems nicht festgestellt werden können. Diese Fehler stehen im wesentlichen mit den falschen Vorstellungen über die Handlungen der anderen Seite im Zusammenhang. Daß sie aber falsch sind wissen die Autoren der Software nicht!

Wie jahrelange Erfahrungen gezeigt haben, deckt die Überprüfung und Vervollkommnung der Software eine riesige Zahl von Fehlern auf, die in der Software enthalten sind.

Die Ermittlung von Fehlern kann mit Hilfe anderer Computer durchgeführt werden. Diese Methode ist jedoch mit großen Schwierigkeiten verbunden.

Erstens wird das Überprüfungsprogramm seinem Umfang nach nicht kleiner als die zu überprüfende Software sein, da es die gesamte geplante Logik der Arbeit des kosmischen Raketen-Kampfsystems enthalten muß. Das bedeutet aber, daß das Überprüfungsprogramm auch eine Masse von Fehlern enthalten wird.

Zweitens, und das ist wesentlicher, ist es bei einer Korrektur der Kampfprogramme mit Hilfe von Computern nicht möglich, eine Reihe von Fehlern im Zusammenhang mit der Arbeit der realen Apparatur unter realen (natürlichen) Bedingungen festzustellen. Die Ermittlung dieser Fehler ist nur bei Durchführung natürlicher Erprobungen möglich. Diese Art von Erprobungen erfordern nicht nur das Einschalten des eigenen Systems, sondern auch die Imitation der Arbeit des Systems der anderen Seite, wobei die Imitierung nicht mathematisch, sondern real sein muß.

Nun zu einigen Schwierigkeiten technischer Art. Da an der Arbeit eine große Zahl verschiedener Aggregate und Computer, verbunden in komplizierten Schaltungen, beteiligt ist, wird auch die logische Reihenfolge der Signale, die ihre Funktion beschreiben, sehr schwierig. Bekanntlich hat die Schaltgeschwindigkeit der verschiedenartigen Anlagen und Aggregate eine natürliche Streuung und kann sich außerdem durch äußere Einflüsse (Temperatur, Druck u.ä.m.) ändern. Im Ergebnis solcher schwer prognostizierbarer Änderungen der Schaltgeschwindigkeiten und der Schwierigkeit der Synchronisierung der Arbeit der verschiedenen Teile des komplizierten Kampfsystems können Störungen der geplanten Reihenfolge der Signale auftreten, die von den Steuercomputern aufgenommen werden. Im Endergebnis wird ein Fehler in der Arbeit des Systems fixiert.

Die Beseitigung dieses Fehlers kann sich als außerordentlich Schwierig erweisen. Beim erneuten Einschalten des Systems zur Ermittlung der Störung muß sich der Fehler nicht wiederholen. Denn jetzt kann die gesamte Kette der zeitlichen Schaltwege der Elemente des Systems wieder normal sein, da die Schaltzeiten der einzelnen Elemente eine gewisse natürliche Streuung haben und bei jedem Einschalten anders sind. Jeder, der sich mit der Vervollkommnung automatischer Systeme befaßt hat, weiß, daß der schwierigste Fall die sogenannten „sich selbst beseitigenden Defekte" sind, die einmal bei je 20, 30 oder mehr Einschaltungen auftreten. Eine andere Ursache für Fehler dieser Art ist der Austausch einzelner Aggregate des Kampfsystems. Ein solcher Austausch ist ein völlig natürlicher Prozeß für ein System, das viele Jahre, eventuell Jahrzehnte funktionieren soll. Da sich die neuen Aggregate etwas von den auszutauschenden unterscheiden können, werden sie auch etwas veränderte Charakteristika haben, die die Schaltgeschwindigkeiten ihrer Elemente bestimmen. Das kann zu ernsten Ausfällen in der Arbeit des Systems führen.

Während des Einsatzes des kosmischen Kampfsystems ist nicht nur der Austausch einzelner Aggregate, sondern ganzer Satelliten unvermeidlich. Das erfordert die ständige Erneuerung der Software.

Aus der Schlußfolgerung der praktischen Unvermeidbarkeit von Fehlern in der Software der kosmischen Raketen-Kampfsysteme ergeben sich zwei Folgerungen:

Erstens. Wenn es sich um ein Programm handelt, dessen einziges Ziel in der Abwehr des Angriffs ballistischer Raketen besteht, führt das zur geringen Effektivität eines solchen Kampfsystems.

Zweitens. Wenn es sich um „Sternenkriege handelt, d.h. um Kampfhandlungen zweier sich gegenüberstehender kosmischer Raketen-Kampfsysteme, so wird die Situation wesentlich gefährlicher.

Um die weitere Betrachtung zu erleichtern, wird von der praktisch unwahrscheinlichen Annahme ausgegangen, daß die Software keine Entwicklungsfehler enthält. Die einzigen Fehler, die nunmehr berücksichtigt werden, sind Fehler im Zusammenhang mit unzuverlässigen Informationen über die Gegenseite. Die in den Kosmos gebrachten multifunktionellen Systeme stellen einen bestimmten Kampfkomplex dar. Um die notwendige Effektivität zu erhalten, wird ein solcher multifunktioneller Komplex danach streben, nicht überrascht zu werden.

Hat das kosmische System A festgestellt, daß das System B mit vorbereitenden Handlungen begonnen hat, dann muß es diese auch beginnen, darf aber keinen Kernwaffenkrieg entfesseln, da die Handlungen des Systems B einfach falsch gedeutet sein könnten. Erst bei Feststellung einer ausreichenden Gesamtheit alarmierender Anzeichen kann das System A sich zum Beginn von Kampfhandlungen gezwungen sehen, wobei nicht unbedingt sofort Kernwaffen in Bewegung zu setzen sind. Somit wird eine gewisse Stufenfolge des Reagierens auf die Handlungen der anderen Seite mit dem Ziel geschaffen, die Möglichkeit des zufälligen Entstehens eines Kernwaffenkonflikts auszuschließen.

Wie auch die realen Programme sein mögen, sie werden immer von den Forderungen eines allmählichen Anwachsens der Antworthandlungen ausgehen, damit letztere der potentiellen Bedrohung adäquat werden.

Die beschriebene Aufeinanderfolge der Handlungen – ihre Stufenfolge und Umkehrbarkeit – macht das System A „stabil“. Auf schwache Störungen (geringe Anzahl von Alarmsignalen) reagiert es „proportional“, erhöht oder verringert die Antwort-Vorbereitungsoperationen. Dabei sind keine Ursachen für die lawinenartige Entwicklung des Prozesses sichtbar, die zum Kernwaffenkonflikt ohne ausreichende Begründungen führen würden. Diese einfache „Proportionalität“ scheint das zufällige Entstehen eines Kernwaffenkonflikts auszuschließen.

Es ist offensichtlich, daß das System B sich unter Berücksichtigung analoger Forderungen aufbaut und auch „stabil“ ist. Die „Stabilität“ der Systeme A und B jedes für sich genommen, bedeutet jedoch keinesfalls, daß das Groß-System A+B stabil sein wird. Da die Systeme A und B sich bekämpfende Systeme sind, erfolgt die Vervollkommnung eines jeden unabhängig voneinander, mehr noch, völlig geheim voreinander. Ihre erste „Vereinigung“ in das Groß-System erfolgt dann, wenn es zur Gefechtsbereitschaft kommt.

Die moderne Steuertheorie spricht davon, daß die Vereinigung von zwei einzelnen stabilen Systemen in ein gemeinsames Groß-System nicht selten zur Instabilität des letzteren führt.

Nehmen wir an, beide Systeme sind in dem vorher beschriebenen Sinne „stabil“ und beide arbeiten ideal. Es sei weiter angenommen, daß ein absolut nicht mit der Arbeit des Systems B zusammenhängendes, sondern ein durch irgendeine seltene Naturerscheinung oder durch irgendein zufälliges Ereignis im Kosmos oder irgendetwas anderes verursachendes Signal d im System A eintrifft, das von System A als Alarmsignal interpretiert werden kann. Vorausgesetzt, dieses Signal ist nicht zu ernst und das System A beginnt nur die ersten Schritte zum Übergang in den Zustand der Gefechtsbereitschaft. Sobald die Information y über diese ersten Schritte in das System B gelangt, beginnt dieses gleichfalls mit analogen Schritten, und am „Eingang“ in das System A erscheinen schon zwei gleichzeitige Signale d und x, wobei das letztere im Zusammenhang mit den Handlungen des Systems B stehen wird. Das Auftreten von zwei Alarmsignalen anstelle von einem zwingt das System A den nächsten Schritt in Richtung der Annäherung zur Gefechtsbereitschaft zu tun, und das ändert sofort die Information y am Eingang in das System B, sie wird auch alarmierender. Die damit verbundene Umstellung des Funktionierens des Systems B ändert den Inhalt der Information x, die einen noch alarmierenderen Charakter erhält. Das System A reagiert sofort darauf, und so entsteht ein lawinenartiger Prozeß der Annäherung an Kampfhandlungen der Systeme, die in einen Kernwaffenkonflikt hinüberwachsen können. Dies ist ein typisches Beispiel des Beginns eines Krieges mit automatisierten Systemen ohne jegliche „Konsultation“ mit Militärs oder politischen Führern.

Als Ausweg aus dieser Lage kann sich die Einführung eines solchen Steuerungssystems erweisen, das einfach auf schwache Signale reagiert. Es reagiert aber sehr scharf, eventuell unter Anwendung von Kernwaffen, nur beim Beginn direkter Kampfhandlungen der anderen Seite. Vom Standpunkt der Steuerungstheorie bedeutet das den Übergang von Steuerungssystemen, die auf der Grundlage des proportionalen Reagierens basieren, zu Systemen des Relaistyps.

Das Problem, das entsteht, kann als Problem zur Festlegung des Schwellenwertes der Gesamtheit der Anzeichen formuliert werden, die vom Beginn der Kampfhandlungen zeugen und die ausreichend sind für den Beginn eigener (Antwort-) Kampfhandlungen. Da die behandelten Systeme sich feindlich gegenüberstehen, ist das System B auf keinen Fall an der Einschaltung des Systems A interessiert und wird deshalb alle möglichen Maßnahmen treffen, um die Arbeit des Systems A zu stören.

Nehmen wir an, das System B bereitet sich auf Kampfhandlungen vor. In der Absicht, daß die rechtzeitige Gegenwirkung des Systems A seine Effektivität verringern kann, bemühen sich die Schöpfer des Systems B, einen Komplex von Maßnahmen vorzusehen, der die normale Arbeit des Systems A behindert. Dieser Komplex kann zu zwei Hauptkategorien zusammengeführt werden, die bedingt als Tarnung und Start von Scheinzielen bezeichnet werden können.

Die im Begriff „Tarnung“ zusammengefaßten Maßnahmen können wie folgt erklärt werden: Angenommen, die Seite B führte z.B. den Start von interkontinentalen ballistischen Raketen durch. Der Start kann an einer Reihe von Anzeichen beurteilt werden. Alle derartigen Anzeichen können in der Gesamtheit zur festen Überzeugung über den Beginn von Kampfhandlungen durch die Seite B und über die Notwendigkeit unverzüglicher Gegenkampfmaßnahmen der Seite A führen. Die Unverzüglichkeit, die hier dem Wesen nach nötig ist, erfordert die volle Automatisierung der Antwort. Die Seite B wird sich infolge der Ansicht, daß die Handlungen der anderen Seite sich auf die Gesamtheit der beobachteten Anzeichen stützen, bemühen, diese Anzeichen zu verfälschen. Das wird eine „Tarnung“ sein. Welches könnten Handlungen der Seite A werden?

Angenommen, die Schöpfer des Systems A wissen, daß eine bestimmte Variante des Beginns der Kampfhandlungen der anderen Seite fehlerlos beim Auftreten der 5 bekannten Alarmanzeichen festgestellt werden kann. Unter Berücksichtigung der potentiellen Möglichkeiten der Tarnung werden sie vor einer schwierigen Aufgabe stehen – was ist, wenn die Geräte nur 3 oder 4 Alarmsignale von 5 registrieren? Sollten die Kampfhandlungen begonnen werden? Sie sind zu beginnen, wenn das Fehlen einer Reihe von Anzeichen einfach eine Folge einer „Kriegslist“ der angreifenden Seite ist. Kampfhandlungen dürfen auf keinen Fall begonnen werden, wenn das Fehlen einer Reihe von Anzeichen davon zeugt, daß überhaupt kein Angriff erfolgt, sondern etwas anderes beobachtet wird, da die Antworthandlungen der Seite A in diesem Falle den irrtümlichen Beginn der Kampfhandlungen bedeuten würden. Alles Dargelegte wird dadurch verstärkt, daß diese verantwortungsvolle Entscheidung in die Software des Systems A eingegeben werden muß, lange (eventuell einige Jahre) bevor sie in den Computern des Systems A tatsächlich aufgenommen wird. Somit kann die entstehende Ungewißheit der Anzeichen des Beginns von Kampfhandlungen entweder zum irrtümlichen Verzicht auf die Abwehr des Angriffs oder zum irrtümlichen Beginn der Kampfhandlungen führen. Die Schaffung einer absolut zuverlässigen Software des Systems A ist unter diesen Bedingungen einfach unmöglich. Selbstverständlich bezieht sich all das auch auf das System B

In der Software der Systeme A und B werden viele unterschiedliche Varianten des Beginns von Kampfhandlungen eingegeben sein. Jede mit ihrem System von Anzeichen, und wenigstens in einem Teil von ihnen wird gegen den Willen ihres Schöpfers die Möglichkeit des selbstmörderischen Beginns der Kampfhandlungen enthalten sein. Sie wird in der Software sozusagen vorgesehen nach falschen Vorstellungen über mögliche Handlungen der anderen Seite. Ein fataler Umstand dabei ist, daß nur der beginnende Krieg die Fehlerhaftigkeit solcher Programme aufdecken kann, keine andere vorherige einseitige Analyse (ohne Hinzuziehung der Gegenseite) kann sie feststellen.

Somit werden die unabhängig geschaffenen Systeme A und B durch das Leben selbst in das einheitliche System A+B vereinigt, das dann nach seinen eigenen inneren Gesetzen funktioniert, die sowohl den Autoren des Systems A wie auch den Autoren des Systems B unbekannt bleiben. Denn sowohl die eine wie auch die andere Seite hat ihren Teil des Programms erarbeitet, ohne die Daten der anderen Seite zu verwenden und hat sich nur auf das Erraten des wahrscheinlichen Charakters ihrer Handlungen gestützt. Diese Vermutungen werden sehr viele Ungenauigkeiten und direkte Fehler enthalten, da sich die feindlich gegenüberstehenden Seiten bemühen werden, einander zu täuschen. Auch ohne dies wird die schwierige, vor den Autoren der Software beider Seiten stehenden Aufgabe noch komplizierter durch die Möglichkeit des Starts von Scheinzielen. Hier wird die Scheinziele startende Seite sich bemühen, diese nicht zu tarnen, sondern die entsprechenden Anzeichen hervorzuheben, damit die Gegenseite sinnlos ihre Reserven an Vernichtungsmitteln für echte Ziele vergeudet. Somit werden die Schöpfer der Software zusätzliche Anzeichen suchen, die die Unterscheidung echter von Scheinzielen ermöglichen, oder sie stehen vor der fast unlösbaren Aufgabe, eine in dieser Situation optimale Strategie zu finden. Auf jeden Fall wächst die Ungewißheit bei der Auslegung der Handlungen im höchsten Grad, was zu einer zusätzlichen „Destabilisierung“ der gesamten Software führt, und folglich erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit inadäquater, gefährlicher Handlungen bis hin zum Einsatz von Kernwaffen.

Hier wurden zwei Grenzfälle behandelt, die proportionale und die Relaisreaktion auf Handlungen der anderen Seite. Die realen Systeme der Software werden sicherlich sowohl Elemente des einen wie auch des anderen Systems enthalten, was jedoch nicht im geringsten Grade die endgültigen Schlußfolgerungen ändern kann. Die Unvermeidbarkeit von Fehlern in der Software, wovon schon weiter vorn die Rede war, kann die Situation noch gefährlicher machen. Diese Fehler können nämlich dazu führen, daß völlig harmlose Ereignisse im Weltall irrtümlich als äußerst gefährliche und aggressive Handlungen der anderen Seite interpretiert werden. Das Vorhandensein von Fehlern dieser Art kann den Schwellwert der Summe der Anzeichen, gemäß denen Kampfhandlungen zu beginnen sind, sehr stark verringern. Hier ist wiederholt daran zu erinnern, daß die gefährlichsten Fehler erst durch die begonnenen Kampfhandlungen bemerkt werden, wenn ihre Beseitigung schon sinnlos wird. Sie vorher zu beseitigen ist nicht möglich. Somit verringern Fehler bei der Realisierung der Software nicht nur die Effektivität der Raketenabwehr, sondern können in starkem Maße die ohnehin vorhandene Instabilität der Gesamtheit der einander gegenüberstehenden kosmischen Raketenkomplexe mit den in den Kosmos gebrachten Angriffswaffen erhöhen.

Einer der möglichen Einwände gegen das hier gezeichnete Bild der fast unvermeidlichen Entfesselung eines militärischen Konflikts selbst ohne Softwarefehler oder Elementenausfall der sich feindlich gegenüberstehenden Systeme ist die geringe Wahrscheinlichkeit eines solchen fatalen Zusammentreffens von Umständen. Man darf jedoch nicht vergessen, daß die Wahrscheinlichkeitstheorie nicht für ein Einzelereignis anwendbar ist. Wenn jemand versucht, die Wahrscheinlichkeit dessen zu errechnen, daß gerade er in der Welt geboren ist und nicht seine potentiellen Brüder oder Schwestern, die Wahrscheinlichkeit der Geburt und des Zusammentreffens seiner Eltern, danach deren Eltern usw. berücksichtigt, dann wird er sich sofort davon überzeugen können, daß die Wahrscheinlichkeit seines Erscheinens auf der Welt praktisch gleich Null ist. Und trotzdem liest er diese Zeilen.

Die Tragödie des Raumschiffes „Challenger“ zeugt auch von der unerwartet großen Wahrscheinlichkeit des Versagens des „absolut zuverlässigen" (wie es genannt wurde) kosmischen Systems. Dabei muß man bedenken, daß die Software und konstruktive Kompliziertheit dieses Raumschiffes für Mehrfachverwendung nicht zu vergleichen sind mit der kompliziertesten Software des kosmischen Systems der „Sternenkriege“ und den kompliziertesten Konstruktionen kosmischer Kampfstationen mit Laser- und anderen Waffen. Folglich sind Havarien, Versagen, Explosionen von Objekten in der materiellen Basis des „Sternenkrieg“-Systems völlig wahrscheinlich, und es ist bei weitem nicht klar, wie die sich gegenüberstehenden Seiten A und B diese Havarien und Explosionen interpretieren werden. Der selbstmörderische Ausgang der gegenseitigen Beobachtung von zwei sich feindlich gegenüberstehenden Systemen kann bald nach dem Einschalten eintreten, kann nach ein paar Jahren passieren. Aber wenn dies erfolgt, braucht kaum ein zweiter solcher Fall abgewartet zu werden. Das Leben auf der Erde wird einfach vernichtet. Wenn die Menschheit den Rüstungswettlauf nicht aufgibt, erwartet sie eine apokalyptische Zukunft. Damit dies nicht passiert, müssen sich die Menschen auf der Grundlage der Abrüstung vereinen, sonst vereinen sich die von ihnen geschaffenen Automaten und vernichten die unvernünftigen Menschen.

Eureka réanimé?

Eureka réanimé?

von Johannes M. Becker

Es ist Bewegung gekommen in die European Research Coordination Agency. Was von vielen Politik-Beobachtern und Betreibern vornehmlich aus der Reagans SDI favorisierenden Szene im vergangenen Jahr noch als ein Sturm im Wasserglas notorischer „Europäer“ abgetan worden war, nahm im Verlaufe von 1986 mehr und mehr Kontur an.

„SDI-Aufträge nur für Amerikaner?“ fragte die FAZ am 11. August 1986 und zitierte den demokratischen Senator John Glenn: „Ich sage, es ist Zeit, daß wir uns selbst unterstützen. Das ist Forschung für Amerika.“ Glenn hatte die Regierung Reagan im übrigen, so die Zeitung an anderer Stelle („SDI-Verträge nur noch in Amerika“) des Opportunismus bezichtigt: „(…) die Regierung nutze das Lockmittel umfangreicher Forschungsaufträge im Ausland, um von ihren Alliierten Zustimmung für das kontroverse Programm zu erhalten.“

Diese Entwicklung war für die bundesdeutschen SDI-Protagonisten um so peinlicher, da nur wenige Wochen zuvor ein SDI-Auftrag an den Messerschmitt Bölkow Blohm Konzern mit einem Volumen von 8,8 Millionen DM mit großem publizistischem Aufwand als Bestätigung der Vertrags- und Bündnistreue der US-Regierung gefeiert worden war. Wobei mit dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, von Bülow, sich gleich ein Kritiker vor, SDI zu Wort gemeldet hatte: Es handele sich um einen „schlimmen Roßtäuschertrick“ (FAZ v. 16.7.86); schließlich mache das lächerliche Finanzvolumen des MBB-Auftrages gerade zwölf Prozent vom Werte eines Tornado-Kampfflugzeuges aus. Die in etwa zeitgleich verlaufende Belebung von EUREKA mag am deutlichsten am Wandel der bundesdeutschen Haltung aufzuzeigen sein: Hatte die Bundesregierung sich bis zum Sommer 1986 strikt geweigert, für das vornehmlich von Frankreich vorangetriebene Gesamtprojekt überhaupt Gelder zur Verfügung zu stellen (Minister Riesenhuber: „EUREKA darf kein neuer Subventionstopf werden“), so annoncierte sie anläßlich der dritten EUREKA-Konferenz im Juni/Juli in London staatliche Zuschüsse von immerhin knapp 500 Millionen DM für die kommenden acht Jahre, Frankreich war hier mit der Zahlung von 330 Millionen DM für die Jahre 1985 und 1986 vorangegangen. Des weiteren stimmte die Bundesregierung auch der Einrichtung eines EUREKA-Sekretariats in Brüssel zu, machte sich schließlich nach den beiden letzten Konferenzen (in Hannover und eben in London) zügig daran, bspw. über die Wissenschaftsminister der Länder für das Projekt zu werben.'

Überhaupt können sich die Ergebnisse der Londoner Konferenz sehen lassen: Zu den bereits in Hannover im November 1985 vereinbarten 10 Einzelprojekten wurden hier 62 weitere Forschungsvorhaben fixiert, „die Palette reicht von Sonnenblumensamen bis zum automatischen Operationssaal“, wie die FR (am 2.8.86) kommentierte. Die Bundesrepublik ist an 19 Einzelprojekten beteiligt, Frankreich an mehr als der Hälfte.

Die Zeitung verdeutlichte die Wirkung von EUREKA an verschiedenen Beispielen: So arbeiten Siemens, Porsche, Audi und Daimler-Benz in Kooperation mit italienischen, schwedischen und britischen Unternehmen an „Prometheus“, einer Computersteuerung des Individual-Verkehrs auf Europas Straßen – in den USA und Japan, so Industrievertreter, werde schon mit Hochdruck an einem derartigen System gearbeitet; das erforderliche Investitionsvolumen sei für ein einzelnes Land zu klein, und im übrigen handele es sich um ein klassisches Gemeinschaftsprojekt. Bei der Kooperation von MBB und Frankreichs Ölkonzern Total („Phototronics“, Solarzellen zur Energiegewinnung) habe EUREKA ebenfalls stimulierend gewirkt; die Hälfte der 120 Millionen DM fließt nun aus französischen und deutschen Subventionstöpfen. Die staatlichen Zuschüsse werden im übrigen von dem jeweiligen Geberland individuell einzelnen Projekten zugeteilt – je nach dem Wert, den man der Sache beimißt. Sie sollen jedoch 50 Prozent der Investitionssumme nicht überschreiten.

Die Kritiker EUREKAS weisen ihrerseits auf das mit knapp 5 Milliarden DM für die avisierten Projekte recht schwache Finanzvolumen hin; die US-Regierung investiert allein 1987 stark 7 Milliarden DM in bspw. das SDI-Projekt. Auch bewegen sich die nationalen Forschungsausgaben in anderen Dimensionen (BRD z.B. über 50 Milliarden DM allein 1986). Diese Kritiker verlieren jedoch nach meiner Einschätzung die dürftigen Ausmaße bisheriger ziviler europäischer Kooperation aus den Augen – zumal wenn es sich um Umweltschutzprojekte handelte, die sich in verschiedenen EUREKA-Projekten wiederfinden.

Die an dieser Stelle bereits problematisierte Gefahr der Militarisierung zumindest einzelner EUREKA-Vorhaben muß in der Diskussion bleiben. So ist weder von einer Einbeziehung einzelner Warschauer Vertrags Staaten bisher die Rede noch von einer Ausweitung der Projektpalette auf den geisteswissenschaftlichen Bereich. Im Gegenteil sind durch den Regierungswechsel vom März 1986 in Frankreich die Tendenzen in dieser Hinsicht gestärkt. Die in EUREKA involvierten Wissenschaftler sollten ihrerseits die zahlreichen Deklarationen über den strikt zivilen Charakter des Projektes beim Wort nehmen und die Planungen im konkreten Falle mit diesem Anspruch vergleichen und, da Geheimhaltungsvorschriften von untergeordneter Rolle sein dürften, die demokratische Öffentlichkeit in die Vorgänge einbeziehen.

Johannes M. Becker ist Politikwissenschaftler in Marburg

Editorial

Editorial

von Paul Schäfer

Die Amtszeit der neuen Regierung geht bis ins nächste Jahrzehnt. Was soll bis dahin verwirklicht sein? Die feste Verankerung der Rüstungsindustrie und einiger großer Forschungseinrichtungen im SDI-Programm; weitläufiger Aufbau eines EVI-Systems unter Führung der Bundesrepublik; offener Rüstungsexport in Kriegsgebiete; Einstieg in eine Reihe großer Rüstungsobjekte: Frauen in die Bundeswehr: Durchführung der Stationierung. Weitere Expansion des Rüstungsetats; verstärkte Militarisierung der Hochtechnologien.

Die Regierung Kohl hat bisher nicht nur Pershings und Cruise Missiles stationiert. Sie hat sich auf SDI eingelassen – erste Teilelemente sollen schon Anfang der 90er Jahre stationiert werden Sie hat die wehrtechnische Forschung kräftig aufgestockt. Nach Reykjavik hat sich die Regierung als Bremser weitreichender Abrüstungsschritte profiliert, ein Durchbruch bei den Verhandlungen ist nicht in Sicht. Diese Fakten genügen, um deutlich zu machen, daß die Arbeit der Friedensbewegung in den nächsten Jahren stabilisiert und ihr Einfluß vergrößert werden muß. Noch bleibt Zeit.

Seit Jahren ist es eine große Stärke der Wissenschaftler-Friedensbewegung, daß sie für Auswege argumentiert, Konzepte entwirft, Alternativen entwickelt – ob es um defensive Sicherheitspolitiken geht oder um den Weltraumvertrag, um C- Waffen oder – jetzt – um die „Hamburger Abrüstungsvorschläge“. Sie versammeln konsensfähige Forderungen, die auf längere Sicht die Richtschnur des Handelns bilden können.

Der Hamburger Naturwissenschaftler-Kongreß hat im übrigen eine neue Qualität der internationalen Zusammenarbeit hervorgebracht. Die Frage der organisatorischen Weiterentwicklung der Arbeit kann jetzt klarer angegangen werden. Damit wird die Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“ mehr und mehr zu einem wichtigen politischen Faktor. Die dümmlichen Ausfälle der „Welt“, „FAZ“ (und wie sie alle heißen) werden daran nichts ändern.

Die Herbeiführung politischer Kräftekonstellationen, die Abrüstung möglich machen, ist Leitgedanke der Friedensarbeit. Dem Mißbrauch moderner Wissenschaft und Technik ist letztlich nur durch eine solche politische Veränderung zu begegnen. Wenn es gelänge, die innige Verbindung von Wissenschaft und Militär aufzubrechen, könnte Sand ins Getriebe der Militärplaner geraten. Das Thema heißt also: Rüstungsforschung.

Daß sich Forscher bei SDI-Aufträgen anstellen, nur um Geld zu bekommen, ist moralisch unerträglich. Daß Forscher nur auf Effizienzsteigerung der Technik bedacht sind, ohne Gedanken über militärische und politische Konsequenzen anzustellen, ist unzumutbar geworden.

Es muß gelingen, solche Haltungen zu thematisieren und – zu diskreditieren. Ein öffentlicher Diskurs über Prioritäten und Ziele der Wissenschaftspolitik sollte in Gang gebracht werden.

  1. In der Bundesrepublik müssen die Forscher die Beteiligung an SDI-Projekten konsequent zurückweisen – in den Vereinigten Staaten nähert sich die Zahl der Unterzeichner der Anti-SDI-Petition den 10.000.
  2. Bislang kaum diskutierte Orientierungen wie die Bonner Weltraumpläne müssen kritisch hinterfragt werden.
  3. Eine unabhängige Grundlagenforschung ist zu stärken. Das geht nur über die Mobilisierung zusätzlicher, öffentlicher Mittel.
  4. Die Frage einer Umwandlung der Rüstungsforschung – in den USA längst Thema – muß gerade in den Großforschungseinrichtungen in Gang gebracht werden. Zur Konversion der Produktion gibt es entwickelte Vorstellungen, z.B. der Arbeitskreise „Alternative Fertigung“ in den Gewerkschaften.

Noch ein Wort in eigener Sache: Das Ziel, das wir uns Anfang 1986 gesetzt haben – nämlich die Zahl der Abonnenten auf über 1000 zu steigern -, haben wir erreicht. Wir freuen uns über alle Neubezieher des Dienstes und ihre Mitarbeit. Und: In den nächsten Monaten wird ein internationaler Beirat des „Informationsdienstes“ eingerichtet werden.

Ihr Paul Schäfer

„Nicht einmal Mrs. Thatcher steht voll und ganz dahinter“

„Nicht einmal Mrs. Thatcher steht voll und ganz dahinter“

Interview mit Dr. Anne-Christine Davis

von Dr. Anne-Christine Davis und Dr. Bernd Greiner

Am Rande des internationalen Naturwissenschaftler-Kongresses in Hamburg (14.-16.11.1986) sprach Dr. Bernd Greiner mit einer britischen Naturwissenschaftlerin, Dr. Anne-Christine Davis, über die Bewegung gegen SDI in Großbritannien. Frau Davis arbeitet am Institut für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik der Universität Cambridge.

Frage: Frau Davis, Sie nehmen an diesem Kongreß als Vertreterin der Initiative „Star-Wars-Research Boykott“ teil. Würden Sie uns diese Initiative bitte vorstellen?

Es begann damit, daß unser Verteidigungsminister eine Regierungsvereinbarung, ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ mit Vertretern der amerikanischen Administration unterzeichnete und damit grünes Licht für eine britische Beteiligung am Star-Wars-Programm gab. Umgehend wurde auch ein SDI-Büro im Verteidigungsministerium eingerichtet. Dieses Büro soll unter Naturwissenschafflern Star-Wars-Verträge einwerben. Einige meiner Kollegen und ich sagten uns, daß hier etwas unternommen werden müsse. Schließlich waren Wir ja der Meinung, daß SDI als Gesamtsystem nicht funktionieren kann und daß wir uns einer schwerwiegenden Destabilisierung gegenübersähen, würden auch nur einige wenige Teilkomponenten von „Star-Wars“ realisiert.

Frage: Was ist Ihr hauptsächliches Anliegen?

Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus London und Cambridge erarbeitete einen Aufruf, ein Gelöbnis, wenn Sie so wollen: wir wollen weder Star-Wars-Gelder einwerben noch akzeptieren. Eine ähnliche Forderung wird übrigens auch von amerikanischen Kollegen vertreten. Wir verbreiteten diesen Aufruf zunächst an unseren jeweiligen Heimatuniversitäten. Sehr bald verbreiterten wir die Arbeit und sprachen ein größeres Publikum an – zahlreiche Physikalische Institute sowie Informatik- und Mathematik-Fachbereiche. Augenblicklich zirkuliert der Aufruf an 23 Universitäten und 29 Instituten.

Frage: Können Sie eine Zwischenbilanz ziehen?

Über die Hälfte des angesprochenen Lehrpersonals hat den Aufruf unterschrieben sie alle wollten keine Star-Wars-Gelder akzeptieren. Unter ihnen sind drei Nobelpreisträger, 22 weitere Mitglieder der Königlichen Akademie der Wissenschaften und zehn Institutsdirektoren. Eine nennenswerte Gruppe wissenschaftlicher Eliten in rüstungspolitisch relevanten Fachgebieten weigert sich, SDI-Verträge anzunehmen.

Frage: Wie stark ist der akademische Mittelbau und Nachwuchs in Ihrer Initiative vertreten?

Leider noch zu wenig. Aus den Reihen der etablierten und renommierten Wissenschaftler ist augenblicklich die Unterstützung größer. Ein typisches Beispiel ist Cambridge: die Nobelpreisträger an dieser Universität, Prof. Hewish und Prof. Josephson, haben beide unterschrieben. Jüngere Forscher sind in vielen Fällen eher zögerlich.

Frage: Wie steht es mit der Forschung in Industriebetrieben? Haben Sie bereits Mittel und Wege gefunden, diese Kollegen anzusprechen?

Augenblicklich orientieren wir uns in erster Linie auf die Universitäten. Hier wird der größte Teil der wirklich kreativen Forschung geleistet, d.h. jener Arbeit, die für SDI entscheidend ist. „Star-Wars“ ist auf diese kreative Forschung angewiesen, wird also auf Zuarbeit der Universitäten nicht verzichten können.

Frage: Haben Sie Informationen darüber, in welchem Umfang bisher SDI-Aufträge an die britische Industrie vergeben wurden? Wir in der Bundesrepublik vermuten, daß sich diese Vergabe bislang noch in engen Grenzen hält.

Ich vermute Ähnliches für Großbritannien. Aber es ist unmöglich, eine präzise Antwort zu geben – wir wissen einfach zu wenig über diese Zusammenhänge. Sicher ist nur, daß ein Fachbereich einer Universität sich hat anwerben lassen. Der Verteidigungsminister behauptet, es lägen 40 Bewerbungen akademischer Institutionen und etliche Anfragen aus der Industrie vor. Aber es gibt keine verläßlichen Informationen, um wen es sich da handeln soll. Man kann aber unterstellen, daß die Zahl der Interessenten in Wirklichkeit viel geringer ist, einfach deshalb, weil die Vertragsbedingungen keineswegs vorteilhaft sind.

Frage: Vor wenigen Monaten berichtete unsere Presse über Fälle amerikanischer Industriespionage in der britischen Rüstungswirtschaft. Darüber sei es in der Regierung und der konservativen Partei zu heftigen Kontroversen gekommen. Bewegt sich denn tatsächlich etwas im Regierungslager?

Zweifellos war Mr. Robinson, der früher für „Aviation and Space Weekly“ schrieb, wegen der britisch-amerikanischen SDI-Übereinkunft in unserem Land. Und wenn man den Zeitungsberichten glauben darf, so war er in der Tat in Industriespionage verwickelt. Jedenfalls wurde er des Landes verwiesen. Dieser Vorfall sorgte für große Aufregung in der Presse und im Unterhaus. Prominente Politiker der konservativen Partei meldeten heftige Kritik an – die Gruppe der SDI-Gegner wird bei den Konservativen vom ehemaligen Premierminister Edward Heath angeführt. Das Kabinett schaltet sich aber in dieser Frage mittlerweile ab und unterstützt alles, was Frau Thatcher zu sagen hat. Aber ich habe den Eindruck, nicht einmal Mrs. Thatcher steht voll und ganz dahinter.

Frage: Während der Podiumsdiskussion gestern abend behauptete Lord Allan Chalfont, Mitglied des britischen Oberhauses, es gäbe in der Öffentlichkeit Ihres Landes keine Mehrheit gegen SDI. Gegner wie Befürworter seien ungefähr gleich stark. Was ist von dieser Aussage zu halten?

Ich habe bisher in zahlreichen Veranstaltungen über SDI gesprochen – bei Friedensinitiativen und kirchlichen Gruppen, mitunter auch vor sehr konservativen Zuhörern. Aber bis heute ist mir niemand in Großbritannien begegnet, der für SDI wäre. Ich kann nur annehmen, daß Lord Chalfont mit ganz anderen Gruppen als jenen spricht, die ich kenne. Ich glaube nicht, daß seine Aussage zutrifft.

Frage: Wie würde sich ein Regierungswechsel auf den Konflikt um SDI auswirken?

Die Auswirkungen in unserem Land wären enorm. SDI hat nicht die geringste Unterstützung innerhalb der Labour Party. Käme Labour an die Macht, so wäre ich sehr zuversichtlich, daß die britische Beteiligung an SDI aufgekündigt würde.

Frage: Auf welchen Traditionen kann Ihre Bewegung aufbauen? Gab es beispielsweise eine vergleichbare Opposition gegen die britische Atom- und Wasserstoffbombe?

Die jetzige Bewegung ist beispiellos in unserer Nachkriegsgeschichte. Sicherlich gab es Unzufriedenheit und Kritik in der Phase, als Großbritannien zur Atomwacht wurde. Aber die damaligen Initiativen blieben zahlenmäßig weit hinter den heutigen Erfolgen zurück. Heute haben wir es geschafft einen nur von Wissenschaftlern getragenen Boykott auf die Beine zu stellen. Wir halten uns ganz bewußt aus anderen politischen Gruppierungen heraus. Wir melden uns als Wissenschaftler zu Wort und nicht als Wissenschaftlergruppe irgendeiner politischen Richtung. Hier liegt unsere Stärke und das Geheimnis unseres Erfolges.

Frau Davis, wir danken für dieses Gespräch.

Anschrift: Dr. Anne-Christine Davis, Dept. Applied Mathematics and Theoretical Physics, Cambridge University, Silver Street, Cambridge, CB 3 9EW England

Neues von der Weltraumfront. Zur Ökonomie der „Strategischen Verteidigungsinitiative“

Neues von der Weltraumfront. Zur Ökonomie der „Strategischen Verteidigungsinitiative“

von Rainer Rilling

Bekanntlich durchlaufen die USA gegenwärtig ihre bisher größte Aufrüstungsphase in Friedenszeiten; die offiziell ausgewiesenen Militärausgaben („Defense Function“) in den zwölf Jahren zwischen 1980 und 1991 summieren sich auf rund 3,5 Billionen $, ihr Anteil am Bundesetat bzw. dem Bruttosozialprodukt soll von 23 % (5,0 %) auf 33 % (6,2 %) ansteigen (dank weiterer Militärausgaben in anderen Etats ist die tatsächliche Belastung etwa um 1/3 höher). Die gegenwärtige Aufrüstungsphase setzte 1979 ein und dauerte bis 1985; sie war damit mehr als doppelt so lang wie die zwei anderen Aufrüstungsphasen der amerikanischen Nachkriegszeit (1950-1953 Koreakrieg, 1965-68 Vietnamkrieg).

1986 gibt es einen Trendbruch: die Ausgaben des DOD sollen real um 5,9 % sinken. Es ist nicht anzunehmen, daß sie 1987 real steigen werden. Auch verlangsamt sich das avisierte Wachstum der Ausgaben: von 1980-1986 waren es 46,8 %, von 1987 bis 1991 soll es „nur“ noch einen Aufwuchs von 11,9 % geben. Angesichts dieser Krise der Rüstungsfinanzierung gewinnt das SDI-Projekt neben den Midgetman und Trident II Raketen einen zentralen Stellenwert: es soll das politische und ökonomische Potential für einen erneuten Übergang in eine zweite, dann allerdings noch unvorstellbar gigantischere Rüstungsphase in den 90er Jahren sichern.

I

Das SDI-Projekt hat sich verändert. Die ursprüngliche Planung des von Reagan eingesetzten „Defensive Technology Study Team“ („Fletcher-Panel“), auf dessen Arbeitsergebnissen im Januar 1984 das SDI-Programm aufbaute, sah vor, in den frühen 90ern eine Entscheidung über die Entwicklung zu fällen, Ende der 90er Jahre mit der Aufstellung zu beginnen und ungefähr 2005 das SDI-System in Dienst zu stellen. Angesichts der Budgetkürzungen haben die SDI-Manager nicht etwa das Programm verlangsamt, sondern neue Prioritäten gesetzt, um den Zeitplan weiter einzuhalten Prioritäten, die sich signifikant von denen des Fletcher-Panels bzw. des Haushaltsentwurfs 1986 unterscheiden. Rund die Hälfte der SDI-Projekte haben für 1986 neue Zielsetzungen bekommen oder wurden als Programme geringerer Dringlichkeit eingestuft.

Der Budgetentwurf für 1987 sieht vor, daß rund 1,6 Mrd. $ in das Strahlenwaffenprogramm gehen sollen, dessen Umfang gegenüber 1986 somit fast verdoppelt würde. Die Mittel für den nukleargepumpten Röntgenlaser machen schon ein Viertel dieses Teilprogramms aus. Ähnlich stark sollen nur die SDI-bezogenen Mittel des DOE zunehmen. Im Budgetvorschlag 1987 stehen 250 Mio. $ für unterirdische Kernwaffentests – hier verbirgt sich ein Hauptgrund für die amerikanische Ablehnung des sowjetischen Teststoppvorschlags. Während früher die Entwicklung neuer Nuklearwaffen etwa 6 Tests erforderte, sind nun 100-200 notwendig; jeder einzelne Test kostet gegenwärtig zwischen 10 und 30 Mio. $ (IHT 22.4.1986). Nach Thomas J. Price, Vizepräsident des American Nuclear Energy Council, legt der Budgetentwurf 1987 „die Grundlagen für die Eliminierung der zivilen Nuklearforschung des Energieministeriums“, da die Mittel für kleine nukleare Energiesysteme, die innerhalb von SDI genutzt werden sollen, um 51,4 Mio. $ auf 71,6 Mio. $ gesteigert werden sollen, die zivile Reaktorforschung dagegen um ein Drittel auf 222 Mio. $ gekürzt werden soll. Kurz: das SDI-Forschungsprogramm für eine atomwaffenfreie Welt wird zunehmend nuklearisiert; Kürzungen gab es bei zahlreichen Demonstrationsprojekten. Besonders auffällig: während Anfang 1985 die SDI-Organisation (SDIO) noch vorschlug, bis 1988 über 1 Mrd. $ für weltraumgestützte chemische Laser auszugeben, um in den frühen Deern ein großes Demonstrationsprogramm durchführen zu können, ist der Budgetansatz jetzt praktisch halbiert worden. Andere Projekte bekamen neue Ziele: insbesondere verfolgen die Forschungen zur Technologie der Teilchenstrahlen nun neben der Waffenentwicklung zunehmend das Ziel, eine „interactive discrimination“ zu ermöglichen – also eine aktive Unterscheidung feindlicher Flugkörper nach Täuschkörpern und Trägern. Projekte wie das SSTS, das auf einer passiven Diskriminierung beruht, wurden herabgestuft. Dagegen ist die bodengestützte, effizientere und kräftigere Freie Elektronen-Laserwaffe aufgewertet worden.

Ausgaben
für SDI in Mio $
SDIO
Programm FY 1985 FY 1986 FY 1987 FY 1988
Überwachung, Erfassung, Verfolgung und Zersörungs- bewertung 545 950 856 956 1 262
413
1 558 279
Laser- und Teilchenstrahl- waffen 377 599 844 401 1 614 955 1 582 037
"Konventionelle" Waffen ("Kinetische Energie") 255 950 595 802 991 214 1 217 226
Systemkonzepte / Kampfführung 100 280 227 339 462 206 563 998
Unterstützungsprogramme 108 400 221 602 454 367 523 654
Management SDIO 9 120 13 122 17 411 18 118
Summe 1 397 299 2 759 222 4 802 566 5 463 3121
Energieministerium (DOE)
SDI-bezogene Programme 224 288 603 ?
Nach: D. Waller u.a.: SDI: Progress and Challenges ("Proxmire-Report"), Washington
17.3.1986, S.15; andere Angaben sprechen von 6,3 Mrd $.
Gesamtbudget SDI
FY 84 FY 85 FY 86 FY 87 FY 88
1.109 1.621 3.047 5.406 6.3
Angaben 1984 Ist, 85
Schätzungh, 86 Haushalt, 87/8 Haushaltsentwurf FY 87; Ausgaben FY 85ff. einschliesslcih
SDI-Ausgaben DOE; gesamtausgaben FY 88 ohne DOE. In Mrd $

II

Eine Mitte März 1986 für einen Kongreßausschuß verfertigte Analyse („Proxmire-Studie“) wies darauf hin, daß die mit den Fragen der Logistik und das Transports verbundenen Kostenentwicklungen des Programms weiterhin völlig unübersehbar sind.

Die Studien zur Systemarchitektur sahen vor Hunderte weltraumgestützte Plattformen für die Ortung, Identifizierung und Verfolgung von ICBM's und ihren Sprengköpfen. Tausende von weltraumgestützten „konventionellen“ Kampfstationen, eine Vielzahl von Spiegeln, Gefechtsführungs-, Kommando-, Kontroll- und Kommunikationssatelliten im geostationären Orbit, Hunderte von landgestützten Radar- und Gefechtsführungsstationen sowie zehntausende landgestützter Abfangraketen. Die minimale Architektur schließt ein: massive Start- und Landeoperationen, einen industriellen Komplex, der die Waffen und Sensoren bauen soll, Maßnahmen zur Reparatur und Weiterentwicklung, Missionskontrolle und Operationsplanung, Aktivitäten im niedrigen und hohen Orbit, um weltraumgestützte Objekte unterzubringen, Operationen in den Orbit und in ihm, Kommunikationsstrukturen, um die Systeme einzurichten und aufrechtzuerhalten, und ein extensives Transportsystem am Boden. Das Transport-Unterstützungs-Logistik-System für SDI ist genauso komplex und beispiellos wie das Waffensystem selbst.

Gegenwärtig wird jeder amerikanische Satellit individuell gefertigt, als Einzelstück. Jedes Space Shuttle kostet 2 Mrd. $, jede MX-Rakete 67 Mio. $. Um Zehntausende von SDI-Raketen und -Satelliten zu produzieren, müsse man – so die SDI-Beamten – Henry Fords Methoden der Massen- und Fließbandproduktion einführen. „Die Luftfahrt- und Rüstungsindustrie müssen ihre Produktionsmethoden grundlegend verändern, so daß eine Rakete Hunderttausende statt Millionen $, ein Satellit Millionen statt Hunderte von Millionen $ kosten wird.“ (Proxmire-Studie, S. 53)

Gegenwärtig kostet es 1500 bis 3000 $, um ein Pfund Material in den Orbit zu senden. Die amerikanischen Trägersysteme transportieren gegenwärtig weniger als eine Million Pfund Last in den Weltraum; die Phase I Architekturen sagen voraus, daß in einem Zeitraum von rund 8 Jahren zwischen 20 und 200 Millionen Pfund Material in den Orbit gesandt werden müssen, was bedeute, daß 600 bis 5000 Flüge des Shuttle notwendig wären, die zwischen 30 und 600 Mrd. $ kosten werden.

Gegenwärtig ist das Space Shuttle zu klein für die SDI-Projekte; William Lucas, der Direktor des NASA Marshall Space Flight Center hat festgestellt, daß 166 der vorgeschlagenen SDI-Ladungen in den Laderaum des Space Shuttle nicht passen werden. Im Sommer 1985 erklärte Edward C. Aldridge, Unterstaatssekretär der Air Force, daß die für die neunziger Jahre geplanten Flüge des DOD und der NASA 19 – 24 Starts des Space Shuttle im Jahr erfordern würde; die gegenwärtig vorhandenen nur drei Shuttles können jährlich nicht mehr als 20 Flüge durchführen. Hier sind noch keine SDI-Flüge vorgesehen, keine zusätzlichen Flüge zu kommerziellen Zwecken oder in ausländischen Missionen! Daher müssen zusätzliche Systeme entwickelt werden. Bereits im Budgetvorschlag 1987 sind 200 Mio. $ für die Entwicklung eines „National Aerospace Plane“ (außerhalb des SDI-Budgets!) vorgesehen; dieser „Orient-Express“ (Reagan) soll nicht nur innerhalb von drei Stunden jeden Ort der Erde erreichen, sondern auch als SDI-Transporter fungieren; geschätzte Kosten: 8 Mrd. $.

III

Noch gibt es keine fordistische Revolution der Produktionstechnologie und -organisation in der Weltraum-Rüstungsindustrie. Doch innerhalb von nur zwei Jahren – 1984 bis 1986 – ist die industrielle Unterstützerbasis für SDI aufgebaut worden. Es hat sich ein SDI-Komplex gebildet.

1983 – 1985 vergab das DOD SDI-Aufträge im Wert von ca. 2,2 Mrd. $. Hauptauftragnehmer waren ausschließlich amerikanische Konzerne. Allein 1985 gingen an 260 Unternehmen und Laboratorien etwa 1000 Kontrakte im Wert von ca. 1 Mrd. $. Anfang 1986 hatten über 300 amerikanische Großfirmen SDI-Aufträge 80 % der Aufträge gingen an die „Top Ten“ der größten Auftragnehmer des DOD; jeder der zehn größten Auftragnehmer des DOD hat jetzt mindestens ein Großprojekt auf den Weg gebracht: SDI ist fest verankert in der amerikanischen Rüstungsindustrie. „Sie haben“, sagte jüngst ein Vertreter des DOD zur Position der Rüstungsindustrie, „jetzt die Aussicht, daß dies ihre Zukunft ist, daß dies eine Sache auf Leben oder Tod ist.“

Es handelt sich um Unternehmen, die traditionell zu den wichtigsten Auftragnehmern des DOD gehören und – selbstverständlich – eine Schlüsselrolle in der strategischen Rüstung der USA spielen. Der Anteil dieser Mittel für strategische Waffen am Militäretat wurde zwischen 1980 und 1986 von 6,7 % auf 12 % gesteigert (= 38,1 Mrd. $); 1986 soll erstmals mehr für strategische als für konventionelle bzw. taktische Waffen ausgegeben werden. Acht der zehn größten SDI-Kontraktoren sind – zum Teil als Hauptauftragnehmer – an entsprechenden Projekten beteiligt: Boeing (MX, B 1, CM), McDonnell Douglas (CM), Lockheed (CM, Trident), LTV (B 1), TRW (MX), Rockweil Int. (MX, B 1), Hughes (CM), Litton (CM). Da ein beträchtlicher Teil dieser Vorhaben im Verlauf der nächsten drei Jahre auslaufen oder zumindest schrumpfen wird (MX, Trident, B 1), ist für diese Firmen das SDI-Programm zugleich ein klassisches „Follow-on“-Unternehmen, das Anschlußaufträge zur Kapazitätsauslastung und Gewinnsicherung in den 90ern sichern soll. Ein Bericht der „International Herald Tribune“ vom 22.10.1985 vermeldet, daß die Rüstungsindustrie in SDI die „größten Profitaussichten, die es jemals gegeben hat“ sieht. Der SDI-Komplex wird im nächsten Jahrzehnt den Kern des Militär-Industrie-Komplexes der USA bilden.

IV

Das Jahr 1986 soll jetzt den Aufbau einer wissenschaftlichen Unterstützerbasis für das Projekt bringen. 1985 gab der amerikanische Staat rund 51 Mrd. $ für Forschung aus, davon gingen 34,5 Mrd. $ in die militärische, ganze 16,5 Mrd. $ in die zivile Forschung. Die Ausgaben für Rüstungsforschung dürften in den USA 1986 rund 50mal so hoch sein wie die sozialstaatliche, ökologische und friedensorientierte Forschung.

Ausgaben für FuE
Gebiet / Jahr 1985 1986 1987
Defense 31,1 33,5 41,8
Health & Human Serv. 5,4 5,5 5,4
DOE 4,9 4,8 4,9
NASA 3,2 3,6 4,0
NSF 1,3 1,3 1,5
EPA 0,3 0,3 0,3
Summe 49,5 52,0 60,8
1985 Schätzung, 1986 Haushalt, 1987 Entwurf

Die jetzige Wissenschaftsoffensive der SDI-Organisation kann auf der neuen Präsenz des Pentagon an den Hochschulen aufbauen. Seit 1980 hat das DOD seine Mittel für die Hochschulen von 495 Mrd. auf 930 Mrd. $ gesteigert (+89 %). Der Mittelzuwachs in diesem Jahr war der höchste seit zwanzig Jahren. Dagegen nahmen die Förderungsgelder der mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergleichbaren National Science Foundation (NSF) nur um 51 % zu. Berücksichtigt man die Gelder für die großen, den Hochschulen eng zugeordneten und von ihnen verwalteten Laboratorien, dann gibt das DOD jetzt erstmals seit Jahrzehnten wieder mehr für Hochschulforschung aus als die NSF. Die Hochschulen der USA sind wieder ebenso abhängig vom DOD wie zu Zeiten des Vietnam-Krieges. Über 250 Colleges und Universitäten werden durch das DOD gefördert, 9 Hochschulen gehören zur Gruppe der „Top Hundred“ aller Auftragnehmer des DOD.

In der Förderung der Hochschulchemie sowie der Erforschung des Meeres bzw. der Atmosphäre steht das DOD nach der NSF bereits an zweiter Stelle. Aber auch auf dem Gebiet der Sozial- und Erziehungswissenschaften ist das DOD mit rund 300 Mio. $ Forschungsmitteln im Jahr zum zweitgrößten Finanzier aufgestiegen. SDI beschleunigt massiv diesen Prozeß.

Die Mittel für SDI-Grundlagenforschung sollen mit rund 100 Mio. $ in 1986 gegenüber dem Vorjahr verdreifacht werden. Für 1988 werden rund 300 Mio. $ veranschlagt – ein Großteil dieser Mittel wird in die Hochschulen fließen. Bis zum heutigen Tage hat das für Grundlagenforschung zuständige „Innovative Science and Technology“-Büro (IST) der SDI-Organisation an sechs Forschungskonsortien, zu denen 20 Hochschulen in 16 Bundesstaaten der USA gehören, Aufträge im Wert von rund 62 Mio. $ vergeben. Im Rahmen des gesamten SDI-Forschungsprogramms erhielten 1984 amerikanische Hochschulen 34 Mio. $, 1985 bereits 84 Mio. $. Hinzu kommt jetzt das neue SDI-Forschungsprogramm des Energieministeriums, das zunächst auf 3-5 Mio. $ pro Jahr veranschlagt ist.

Zu den 31 Hochschulen, die letztes Jahr SDI-Aufträge durchführten, gehören eine ganze Reihe von Spitzenuniversitäten, die großenteils seit Jahren auf der Liste der „Top Twenty“ der Empfänger von Forschungsgeldern des DOD stehen – etwa die University of Texas, Georgia Tech, John Hopkins University, Stanford, Princeton, Carnegie-Mellon-University. Fast zwei Drittel dieser Mittel (59,7 Mio. $) flossen jedoch an eine einzige Hochschule: das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die nahegelegenen, vom MIT verwalteten Lincoln Laboratories.

Der Ökonom Robert Reich schätzt, daß das SDI-IST im Verlauf der nächsten vier Jahre rund 20 % des amerikanischen Forschungskapitals im Hochtechnologiebereich kontrollieren wird: „Das Problem ist“, stellt Reich fest, „daß wir niemals zuvor auf einem solchen Maßstab in so kurzer Zeit ein derartiges technologisches Potential in die Hände des Pentagon gelegt haben. Eine Handvoll von Pentagon-Bürokraten verfügt über Wissenschaftsressourcen und wählt die Gewinner und Verlierer des technologischen Wettrennens aus – beraten von großen Rüstungsauftragnehmern.“

Erläuterung der Abkürzungen

  1. BSTS: Booster Surveillance and Tracking System (Ortungs- und Verfolgungssystem für die Antriebsphase)
  2. SSTS: Space Surveillance Tracking System (Weltraumgestütztes Ortungs- und Verfolgungssystem für die ballistische Flugphase – langwellige Infrarot-Sensor Technologie)
  3. AOA: Airborne Optical Adjunct Program (Flugzeuggestütztes optisches Ortungs- und Verfolgungssystem für die Endanflugphase)
  4. TIR: Terminal Imaging Radar (Bodengestütztes Radar)
  5. IR: Infra Red Sensor Technology
  6. Signal Processing: Datenverarbeitung
  7. ATP: Acquisition, Tracking and Pointing (ATP) Task – Space-Based Laser (Zielortungs- und Verfolgungssystem eines weltraumgestützten chemischen Lasers)
  8. ERIS: Exoatmospheric Reentry Interceptor System (Außeratmosphärisches Abfangsystem in der Wiedereintrittsphase)
  9. Hedi: High Endoathmospheric Defense System (Abfangsystem in der oberen Atmosphäre)
  10. Elektromagnetische Hochgeschwindigkeitskanone
  11. Kampfführungs-, Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsprojekt
  12. Survivability: Verteidigung des ABM-Systems
  13. Lethality: Härtungstechnologien zur Senkung der Verwundbarkeit amerikanischer Waffensysteme
  14. Space Power: Weltraumgestützte Energieerzeugung und -übertragung
  15. Space Logistics: Weltraumlogistik
  16. GBL: Ground Based Laser System (Bodengestütztes Lasersystem)
  17. FEL: Free Electron Laser (Freier Elektronen Laser)
  18. NPB: Neutral Particie Beam (Teilchenstrahlenwaffen)
  19. X-Ray: Röntgenlaser
  20. SBKKV: Space-Based Kinetic Kill Vehicle (Weltraumgestütztes Abfangsystem)

Dr. Rainer Rilling, Soziologe, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

E = mc² (nur für den Dienstgebrauch)

E = mc² (nur für den Dienstgebrauch)

von Johannes Weyer

Am 27. März 1985 war es soweit: Der Vertrag über die bundesdeutsche Beteiligung an SDI wurde in Washington von Bundeswirtschaftsminister Bangemann und US-Verteidigungsminister Weinberger unterzeichnet.

Seit der Veröffentlichung das Wortlauts der Verträge im Kölner „Express“ kann nun jeder nachlesen, was Bangemann und Weinberger ausgehandelt haben; und es stellt sich die Frage: Was mußte da verheimlicht werden? Und: Wie sieht die Position bundesdeutscher Firmen und Forschungsinstitute innerhalb der SDI-Kooperation aus?

(Ost)Handelsbeschränkungen

Wichtig ist zunächst einmal: Es gibt zwei verschiedene Abkommen, ein Technologietransfer-Abkommen und den eigentlichen SDI-Vertrag. Ersteres wurde der Öffentlichkeit immer als ein bundesdeutscher Punktsieg verkauft.

Der Wortlaut des Abkommens straft solche Behauptungen jedoch Lügen. In dem Abkommen findet sich neben nichtssagenden Absichtserklärungen („Die Regierungen werden sich bemühen (…)“ keine bindende Regelung bezüglich des Transfers USABRD, dafür hingegen ein sehr präziser Katalog von Maßnahmen zur Beschränkung das bundesdeutschen Osthandels. So heißt es mit kaum zu überbietender Klarheit: Die Regierungen streben „eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Anwendung und Durchsetzung vereinbarter Beschränkungen betreffend der Ausfuhr sensitiver Technologien an verbotene Bestimmungsorte“ an. Auch die „Schutzmaßnahmen für sensitive Technologieunternehmungen“ sollen verstärkt werden. Da aus amerikanischer Sicht nahezu jede neue Technologie sensitiv ist, kann man sich leicht ausmalen, was eine solche Klausel bedeutet. So steht auch die vereinbarte Förderung des Güter-, Informations- und Technologieaustausches explizit unter der Einschränkung, daß die Regierungen „unter Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen“ agieren. Von einer Öffnung der deutsch-amerikanischen Achse kann hier folglich nur insofern die Rede sein, als amerikanische Stellen nunmehr einen direkten Zugriff auf die bundesdeutsche Technologie- und Handelspolitik erhalten. (Die im „Spiegel“ veröffentlichten Begleitbriefe räumen den USA sogar eine Art aufschiebendes Veto gegen bundesdeutsche Osthandelsaktivitäten ein.) Die restriktive US-Politik in Fragen des Technologietransfers soll also in Zukunft reibungsloser (und vor allem mit Amtshilfe aus Bonn!) in bundesdeutschen Firmen und Forschungsinstituten umgesetzt werden – eine Perspektive, die in jedem Fall eine Einengung der Spielräume bundesdeutscher Wirtschafts- und Forschungspolitik bedeutet.

Zwei Sorten von Wissen

Noch deutlicher – und präziser geregelt .wird diese Politik im SDI-Vertrag. Auch hier finden sich nichtssagende Absichtserklärungen und vor allem eine Reihe von Hintertürchen, die die Vereinbarungen für die US-Seite vollkommen unverbindlich machen.

So heißt es: Die amerikanische Regierung „will (…) alles in ihren Kräften stehende tun, um die Beteiligung zu erleichtern“ in welchem Maße, das steht völlig im Belieben der US-Regierung. „Deutsche Interessen“ (ein Schlagwort, das zu leicht vergessen macht, daß so manch einer gar nicht an SDI interessiert ist!) sind also in diesem Vertrag nicht berücksichtigt – ein Umstand, der der in Frage kommenden bundesdeutschen Industrie schnell aufgefallen ist.

Dafür finden sich wiederum eine Reihe von sehr präzisen Klauseln zur Kontrolle bundesdeutscher Forschung. (Ein gutes Drittel des Vertrages ist ausschließlich diesen Fragen gewidmet!) Um die Regelungen zu verstehen, muß ich allerdings kurz einige zentrale Definitionen des Vertrages erläutern:

  • Vordergrundinformationen nennt der Vertrag all jenes Wissen, das innerhalb eines SDI-Forschungsvorhabens erzeugt wird, „einschließlich jeder Erfindung, ob patentierbar oder nicht“, ferner solches Wissen, das „im Laufe der Arbeiten (…) erstmals entwickelt oder erstmals praktisch anwendbar gemacht worden“ ist. Ist diese Definition schon sehr weitreichend, so wird sie von der zweiten jedoch noch bei weitem übertroffen.
  • Hintergrundinformationen bestehen gemäß SDI-Vertrag aus dem Wissen, das „für ein konkretes Forschungsvorhaben notwendig oder nützlich“ ist, jedoch nicht innerhalb der SDI-Forschungen generiert wurde, sondern bereits „vor Beginn des Forschungsvorhabens“ existierte. Der Phantasie des Pentagon scheinen hiermit endgültig keine Grenzen mehr gesetzt zu sein; die Einsteinsche Relativitätstheorie wie auch das Zweite Newtonsche Gesetz dürften zweifellos wesentliche „Hintergrundinformationen“ jeglicher physikalischer Forschung sein.

Forschungskontrolle

Um unbefugten Technologietransfer zu verhindern, hat nun jede Regierung „die Einstufungsbefugnis für Hintergrundinformationen, die sie der anderen Regierung oder ihren Auftragnehmern … übermittelt“. Mit dieser Regelung steht es der US-Regierung also frei, „Informationen jeglicher Art“ (sie muß diese nur für SDI-relevant halten) zu klassifizieren, d. h. deren Weitergabe zu verbieten. Jegliche Nutzung solcher Hintergrundinformationen durch deutsche Firmen oder Institute bedarf einer Genehmigung; und die ausdrücklich erwähnten „Rechte am geistigen Eigentum“ werden durch die Verpflichtung, bei Weitergabe von Informationen „die Zustimmung desjenigen einzuholen, der die Information liefert“, in einer Weise verlebt, die bundesdeutschen SDI-Interessenten graue Haare wachsen lassen müßte. Zudem stellt sich natürlich die Frage, wie das Pentagon die Nicht-Weitergabe, aber auch die Nicht-Nutzung von allgemeinem physikalischen Wissen in bundesdeutschen Firmen kontrollieren will. Steht der Industrie der US-Geheimschutzbeauftrage ins Haus?

Vordergrundinformationen, d. h. genuine Ergebnisse der SDI-Forschung, werden natürlich (?) auch „geschützt“; hier hat allerdings das Pentagon das alleinige Sagen, d. h. alle Beiträge von bundesdeutscher Seite unterliegen automatisch der Verfügung der US-Regierung und der von ihr streng gehandhabten Geheimhaltungsvorschriften. Die Rede von der Technologiepumpe, die durch SDI installiert wird, scheint also volle Berechtigung zu haben.

Der Technologieschub, den die Befürworter einer bundesdeutschen SDI-Beteiligung erwarten, kann sich aufgrund solcher Regelungen jedenfalls kaum entfalten.. Ergebnisse von Auftragsforschung gehören nun einmal dem Auftraggeber, und der SDI-Vertrag formuliert mit großer Deutlichkeit, daß „die Regierung der Vereinigten Staaten … lizenzgebührenfreie Rechte (erhält), diese Informationen (…) für jeden Zweck zu nuten“. Der Auftragnehmer, sprich die bundesdeutsche Seite, ist hingegen bei der Nutzung der Forschungsergebnisse an die „geltenden Sicherheitsvorschriften“ gebunden.

Fazit

Das Fazit dieser knappen Analyse der SDI-Vereinbarungen lautet also: Der US-Seite ist es gelungen, ihre Vorstellungen vom Schutz Sensitiver Technologien in ganzer Breite in die Verträge einzubringen und den Geltungsbereich dieser restriktiven Forschungspolitik auf die Bundesrepublik auszuweiten. Die Bundesregierung verpflichtet sich per Vertrag, die Geheimhaltung von Forschungsergebnissen sowie Einschränkungen des Technologietransfers zu praktizieren. Zwar können diese – für die bundesdeutsche Forschungspolitik neuartigen Maßnahmen nur da greifen, wo eine SDI-Kooperation konkret vereinbart wird; doch die Unterordnung unter die neue wissenschafts- und technologiepolitische (wie auch global- und rüstungspolitische) Strategie der USA wird sich nach diesem Präzedenzfall vermutlich fortsehen. Die bundesdeutsche Wissenschaft verliert mit dieser Ausrichtung auf das US-Militär und dessen grenzenloser Gier nach Wissen und Technologie nicht nur an Knowhow (wenn nicht schon die Orientierung auf militärische Fragen Grund genug zur Sorge ist); auch alle Versuche zu einer eigenständigen Profilierung der bundesdeutschen Forschungspolitik, die notwendigerweise auf die Konkurrenz gegenüber den USA angewiesen ist, werden mit einer solchen Anbindung an das SDI-Projekt hinfällig.

Johannes Weyer ist Soziologe in Bielefeld.

Fernwaffen – Wunschträume. SDI und Science Fiction: einst und jetzt

Fernwaffen – Wunschträume. SDI und Science Fiction: einst und jetzt

von Karl Clausberg

Daß Defensive einen durchaus aggressiven Charakter haben kann, ist eine Binsenweisheit. Angriff als Verteidigung auszugeben, hat Tradition; in der Fiktion wie in der Realität. Es gibt Präzedenzfälle genug, um aus der Geschichte oder aus den Wunschträumen, aus den Geschichten der Science Fiction, die regelmäßig der Geschichte vorausgegangen sind, zu lernen.

Zum Einstieg in die Welt der Fernwaffen-Wunschträume eine Kurzgeschichte aus dem einschlägigen Genre der jüngeren Science Fiction: Ort des Vorspiels ist ein Atombomben-Testgelände im amerikanischen Westen, genauer gesagt the blockhouse, wie der Leit- und Beobachtungsbunker solcher Experimente seit 1945 auf gut amerikanisch heißt. Eine ungewöhnlich gemischte Gruppe von Zivilisten, Technikern und Militärs ist hier versammelt. Ein Physiker erläutert die Versuchsanordnung: draußen in der Wüste befindet sich eine Plutonium-Kugel, die zur Zündung mit technischen Methoden zu klein ist. Die auserwählte Zivilistenschar – alles PSI-begabte Sondertalente – soll versuchen, den Neutronen-Fluß mit vereinten Kräften zu stimulieren. Die Wissenschaftler sind äußerst skeptisch, aber das Experiment gelingt schneller und gründlicher als erwartet: Großmutter Wilkins läßt ihr Strickzeug sinken; ihre Augen richten sich in unsichtbare Ferne – und ein gleißender Lichtblitz durchdringt die massiven Schutzfilter des Bunkers.

So vorbereitet folgt das Hauptdrama – eine militärische Staatskrise: Die Russen haben dutzende von amerikanischen Großstädten mit Atombomben vermint und verlangen die Übergabe der Regierungsgewalt; andernfalls (…) Der Präsident greift zum letzten Mittel: Die erprobte kleine Schar der PSI-Talente wird angesetzt, nach Ablauf des Ultimatums die Kettenreaktionen der ausgelösten Bomben zu unterdrücken. Es beginnt ein verzweifelter Wettlauf der Bombensuch- und Entschärfkommandos mit den schwindenden PSI-Kräften. Nur Oma Wilkins zeigt keine Schwäche; sie übernimmt eine bedrohte Stadt nach der anderen von ihren erschöpften Kollegen. Die endgültige Rettung kommt mit Großmutter Smith; sie hat zwar keine besonderen Kräfte, aber extrasensorische Wahrnehmungsfähigkeiten: sie kann genau erkennen, wo die Bomben verborgen sind.

Am Ende der Geschichte bedankt sich der Präsident per Telekonferenzschaltung bei den Großmüttern im Namen der geretteten Nation

und natürlich wird nun der nukleare Spieß umgedreht: Oma Wilkins und Oma Smith begeben sich mit einer großen Kanne Kaffee in Klausur, um die Atombomben im fernen Rußland aufs Korn zu nehmen.

Diese short Story mit dem vieldeutigen Project Nightmare schrieb Robert Heinlein, einer der bekanntesten und umstrittensten amerikanischen Science Fiction Autoren; er ist mit Recht als Klassiker kalter Kriegsphantasien charakterisiert worden. Zum Beleg zwei seiner Romanthemen: Bewußtseinsparasiten, The Puppet Masters (1951), und Starship Troopers (1959), das Heldenepos einer Astronauten-Fallschirmtruppe, die gegen aggressive außerirdische Staatsinsekten einen erbarmungslosen und verlustreichen Ungeziefer-Vernichtungskrieg führen muß.

Die Werke Heinleins bieten – wie man sich denken kann – reichlich Stoff für die verschiedensten analytischen Schnittmuster zur literarisch-biographischen, soziologischen und ideologischen Enthüllung. Ich möchte die offensichtlicheren hier gar nicht erst ausbreiten, sondern nur auf einige formale Motive hinweisen, die in der eingangs referierten Kurzerzählung und den erwähnten Romanen besonders ins Auge springen.

In Stichworten: Die Geschichten nehmen häufig von Pearl Harbour-Situationen ihren erzählerischen Ausgang: nach anfänglichen Überraschungserfolgen muß der Feind entweder mit gleichen Waffen und überlegener Moral niedergerungen oder aber durch den Einsatz besonderer Kräfte besiegt werden. – In jedem Fall hängt die Entscheidung von ungewöhnlichen Anstrengungen ab, die jeweils weit über das vorhersehbar-notwendige Maß an Verteidigungsvorbereitungen hinausgehen müssen. In der zur Einführung zitierten short Story können nur noch die außerordentlichen Fähigkeiten der beiden US-amerikanischen Großmütter eine drohende militärische Niederlage abwenden.

Die Gegner sind meist ebenso unmenschlich wie anonym; eine Verständigung ist nicht möglich. Im Gegenteil: schon der Gedanke an Verhandlungen oder friedliche Koexistenz erscheint bei Heinlein regelmäßig als Illusion, als Schwäche, als Leichtsinn, die der Feind rücksichtslos ausnutzt. Noch schlimmer: in Gestalt von Bewußtseinsparasiten kann er sogar stärkste Persönlichkeiten unter seine Kontrolle bringen; und von den martialischen Staatsinsekten heißt es, daß sie die Ureinwohner eroberter Planeten restlos ausrotten.

Um so wichtiger erscheint die Strategie der präventiven Verteidigung, die in Heinleins Starship Trooper Roman unter anderem als blutige Abschreckungs- und Überzeugungsarbeit unter den Grenzland-Rassen praktiziert wird. Die mehr oder minder sanfte Überredung zum Defensivbündnis ist ein häufig wiederkehrendes Motiv nicht nur in Heinleins Erzählungen. In einem anderen typischen Roman dieser Art, in A. E. van Vogts War against the Rull (1959), liefert die aufopferungsvolle Überzeugungsarbeit an potentiell wertvollen Bündnispartnern sogar das zentrale Leitmotiv der aneinandergereihten Episoden.

Während Heinleins interstellare Kampftermiten ihre abstoßende Fremdartigkeit nicht verbergen, sind van Vogst Rull-Wesen Meister der Tarnung: diese intelligenten Würmer können mit ihren Körpern das gesamte elektromagnetische Spektrum manipulieren; sie sind in ihren angenommenen Erscheinungsformen weder mit normalen, noch in Infrarot- oder Röntgenaugen zu durchschauen; und auch ihre Gehirntätigkeit ist so fremd artig, daß sie von Telepathen nicht verstanden werden kann.

Gegen solche Eroberer, die in fast jeder Hinsicht überlegen sind, hat nur eine Allianz aller bedrohten Rassen der heimatlichen Galaxis Aussicht auf Erfolg. Und so liest sich van Vogts Krieg gegen die Ruft als eine Mischung von blutigen Freundschafts Schlüssen, Agentenjagden und interstellaren ciosk & dagger-Episoden vor dem Hintergrund einer generationenlangen SDI-Anstrengung: sie gipfelt in der Konstruktion eines buchstäblich berggroßen Raum-Schlachtschiffes, mit dem der Heimatplanet der Ruff angegriffen werden soll, um den feindlichen Expansionsdrang an der Wurm-Quelle zu stoppen.

Ein prominentes Merkmal dieser und ähnlicher Fiktionen ist die Verschränkung von Bündnispolitik und forciertem Technologiedurchbruch. Sogar in literarisch anspruchsvollen Werken des Genres – so etwa in den Romanen Doris Lessings – ist die charakteristische Mixtur von technischer „Entwicklungshilfe“ und vorbeugender Einmischung in die inneren Angelegenheiten alliierter Rassen anzutreffen. Und bezeichnend ist auch, daß solche Hegemonie-Attitüden häufig zwischen Allmacht- und Ohnmachtgefühlen oszillieren. – Es ist sicher nicht abwegig, in diesen fiktiven Symptomen Reflexe speziell US-amerikanischer Kriegserfahrungen und – Dispositionen sozusagen unterwegs von Pearl Harbour nach Vietnam – auszumachen.

Die technologische Basis der hier erwähnten Science Fiktionen ist in den meisten Fällen reichlich nebulös und an den naturwissenschaftlichen Haaren herbeigezogen; zumal, wenn sie mit parapsychologischen Phänomenen verschnitten wird. Dieser quantitative Befund sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Science Fiction sozusagen konstitutionell bedingt naturwissenschaftlich-technischen Entdeckungen und Entwicklungen vorauseilt: in vielen Fällen scheint sie regelrechte Schrittmacherdienste für Großprojekte geleistet zu haben. Und daß sie im Prinzip geradezu prädestiniert ist, auch einer strengen Naturwissenschaft spekulative Freiheiten einzuräumen, belegt eine illustrierte Reihe von Autoren im Fahrwasser von J. Veme und H. G. Wells: unter ihnen Arthur C. Clarke und Fred Hoyle oder Charles Sheffield und Robert L. Forward, um zwei jüngere Wissenschaftler-Stars dieses Genres zu nennen.

Der perennierende Rationalismus des 19. Jahrhunderts verstellt wohl immer noch die allgemeine Einsicht, daß in unserem Zeitalter kreatives Denken jeglicher Art

unter anderem auch das machtpolitische – buchstäblich von Kindesbeinen an von Elementen der Science Fiction durchsetzt ist. Besonders im Kulturbereich der beiden Supermächte ist dieser Sachverhalt an der Beliebtheit dieser Literaturgattung direkt abzulesen: korrespondierende Höhepunkte im Panorama der industrialisierten Massenphantasie markieren Stanley Kubriks Odysee in Space und Tarkowskis Solaris.

Es ist keineswegs überraschend, daß Science Fiction auch alle Denkmöglichkeiten kriegerischer Auseinandersetzungen vorstellbar gemacht hat: nicht nur die Alpträume und Ängste, etwa in Gestalt von Kubriks Dr. Seltsam, oder wie ich lemte, die Bombe zulieben, sondern auch die technologischen Wunschträume, die heutzutage ja sogar schon Gegenstand dubioser Regierungsabkommen sein können.

Gleichgültig, ob man SDI nun als grandiosen „bluff“ oder als durchaus erfolgversprechenden Anlauf zur Erringung waffentechnischer Überlegenheit einschätzt, man muß die Ideengeschichte der Motivationen sorgfältig von den technischen Realisierungsmöglichkeiten unterscheiden, obwohl sie mehr oder minder intensiv miteinander verflochten sind.

Sowohl hinsichtlich der technischen und politischen Konzeption wie auch von Seiten der psychologischen Analyse ist SDI mittlerweile heftiger Kritik ausgesetzt – auch von Seiten, die über den Verdacht erhaben sind, voreingenommen zu sein: Allen nicht total hartgesottenen Befürwortern müßte schon allein die regelmäßige Lektüre der renommierten Wissenschaftszeitschrift Scientific American genügen, um sehr nachdenklich zu werden.

Bevor ich zur SDI-Ideengeschichte zurückkehre, möchte ich hier nur zwei Hauptpunkte der Kritik kurz herausstellen; der erste ist elektronischer Natur: Jeder kleine Computer-Benutzer kann heute aus nächster Nähe miterleben, wie häufig auch noch millionenfach erprobte und benutzte Software unvorhergesehen abstürzt. Wie soll da ein gigantisches, vollkommen neu entwickeltes Programm-Paket, das im übrigen nur unter realistischen Einsatzbedingungen erprobt werden könnte, auf Anhieb wunschgemäß arbeiten. Systemanalytiker und Computer-Experten äußern begründete Zweifel, daß ein solches extrem komplexes Waffensteuerungssystem jemals fehlerfrei programmiert werden kann.

Angesichts so gravierender Unsicherheitsfaktoren springt um so mehr ins Auge, mit welch geradezu religiöser Inbrunst das SDI-Konzept propagiert und durchgesetzt wird; das ist der zweite Punkt, den ich hier hervorheben möchte: Wenn die in jüngster Zeit veröffentlichten Analysen richtig liegen, haben wir es buchstäblich mit staatlich organisierten Wahnvorstellungen, mit einer politischen Regression in paranoide Weltbilder zu tun, wie sie Popper und Gombrich am Beispiel des deutschen Nationalsozialismus und seinen geistesgeschichtlichen Wegbereitern aufgezeigt haben. – Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei gleich hinzugefügt, daß der Vergleich sich hier auf die analytischen Verfahren bezieht.

Anstelle von mehr oder minder bestreitbaren psychopathologischen und politischen Werturteilen über Notstandssehnsüchte und Kreuzugsmentalität möchte ich hier neben dem Motiv-Reservoir der Science Fiction einen historischen Präzedenzfall zur Erläuterung heranziehen: Nicht die fatale Geschichte der deutschen V-Waffen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges die drohende Niederlage durch Vergeltungsschläge verhindern sollten, sondern die massenpsychologischen und politischen Auswirkungen eines technologischen Durchbruchs zu Beginn unseres Jahrhunderts, der den Griff des Deutschen Kaiserreichs nach der Weltmacht seinerzeit eben so realistisch wie bedrohlich hat erscheinen lassen.

Ich meine jenen technischen Aufbruch in die Lüfte, der von Baden-Württemberg – genauer gesagt, von Friedrichshafen am Bodensee – seinen Ausgang nahm und zeitweise regelrechte Massenhysterien auslöste. Count von Zeppelin, King of the Earth, so lautete die suggestiv präsentierte Schlagzeile in einem amerikanischen Sonntagsmagazin nach den ersten Aufstiegen des deutschen Riesenluftschiffes. Die dramatischen Konsequenzen lasen sich in flankierenden Kolumnen so: „How the Man With the Only Airship That Really Flies Could Easiliy Control de Destinies of All the Nations“ und „He Could Make Rulers, Dictate Their Policies, Put an End to All Wars or Strikes and Terrorize the World“. Zur bildlichen Illustration dieser Möglichkeiten ließ das Luftschiff explodierende Dynamit-Ladungen auf das Weiße Haus herabfallen.

Wenige Jahre später, als die Zeppelin-Luftschiffe ihre damals ungewöhnliche Reichweite und Nutzlast tatsächlich unter Beweis gestellt hatten, kam es in England zu regelrechten UFO-Hysterien: es häuften sich Augenzeugenberichte, in denen von nächtlichen Landungen seltsam leuchtender Flugkörper die Rede war. – Die deutschen Patrioten auf der anderen Seite konnten sich gar nicht genug am Wunschbild des angstschlotternden Albion erbauen. Denn nachdem der Erbfeind Frankreich im Kriege von 1870/71 gedemütigt und in seine Schranken verwiesen worden war, schien nur noch die Seemacht Großbritannien der Vorherrschaft des Deutschen Kaiserreiches im Wege zu stehen.

Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnten kämpferisch gestimmte Bürger auf papierenen Seestücken den ersehnten Triumph vorwegnehmen: von einem Zeppelin aus ließ sich – mit Zigarre oder glühendem Streichholz, so die Anleitung – ein pyrotechnisch präparierter Feuerstoß auf ein feindliches Schlachtschiff abbrennen. Und nach derartiger Bezwingung des englischen Rivalen von der Luft aus sah man eine glänzende Zukunft heraufziehen – nicht nur an Stammtischen, sondern auch auf höherer Ebene.

Berlin-Bagdad. Das deutsche Weltreich im Zeitalter der Luftschiffahrt 1910–1931; so lautete der Titel eines Romans, den der Berliner Regierungsrat Rudolf Martin im Jahre 1907 veröffentlichte. Für diesen verbeamteten Propheten des Zeppelingedankens war Luftherrschaft sogar gleichbedeutend mit Kulturverbreitung: Das neue universelle Sendungsbewußtsein war der emotionale Ableger des nun errungenen Dauerflugvermögens: Einer wachsamen „Allgegenwart“ deutscher Schiffe im Luftmeer schien der alte Militarismus zu Lande und zu Wasser hoffnungslos unterlegen zu sein – und damit konnte die ungenierte Neuordnung der politischen und ökonomischen Einflußsphären unter dem globalen Schutzschild Germaniens beginnen.

Die hochfliegenden Hoffnungen, die das deutsche Volk an die mächtigen Erscheinungen der Zeppeline knüpfte, haben bekanntlich der rauhen Wirklichkeit des Kriegseinsatzes nicht standgehalten. Mit ihren explosiven Wasserstoffüllungen erwiesen sich die ohnehin sehr zerbrechlichen Luftschiffe als extrem beschußempfindlich; und dementsprechend hoch waren die Verluste. – Aber nicht diese mit Bedacht verdrängte technische Anfälligkeit soll hier als Vergleichsbasis für SDI an den Haaren herbeigezogen werden; das wäre auch wieder nur Wunschdenken, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Ich glaube vielmehr, daß in den Fernwaffenwunschträumen selbst und in ihren charakteristischen Motiven die historische Moral von der Zeppelingeschichte zu suchen ist.

Das rauschhafte Machtbewußtsein, das sich in der Zeppelinbegeisterung des wilhelminischen Kaiserreiches einen weitgehend illusorischen Eruptionskanal suchte, entlud sich buchstäblich auf einen imaginären Olympiergipfel. In derart erhabener Höhe glaubte man sich berechtigt und befähigt zu welthistorischen Entscheidungen von größter Tragweite. Denn der angemaßte souveräne Scharfblick und vermeintlich verfügbare Waffenblitz von Oben machten das alte militärische Gleichgewichtsdenken mehr oder minder überflüssig. Dieser massenhaft eingeübte Wandel im strategischen Denken hat jedoch keineswegs zur weiteren Befestigung der deutschen Position in Zentraleuropa geführt, sondern schon Jahre vor dem ersten Weltkrieg jene verheerenden Überlegenheitsgefühle heraufbeschworen, die den Weg in die Katastrophe vorbereiteten.

Es ist zu befürchten, daß auch von den SDI-Phantasien eine ähnlich destabilisierende Wirkung ausgehen wird – gleichgültig, ob sich die neue Waffentechnologie nun als politischer „bluff“ oder knallharter Durchbruch erweist. Es ist ein schwacher Trost, daß sich SDI so offensichtlich in bestimmte Traditionsstränge der Science Fiction und Massenbegeisterung einreihen läßt. Aber immerhin tritt an den Vorgeschichten der verhängnisvollen Illusionscharakter der Wunschvorstellungen deutlicher zutage und auch das kann schon für gegenwartsbezogene Einsichten nützlich sein.

Wenn Blicke töten könnten – die alten Mythen und neuen Märchen der Science Fiction sind angefüllt mit Bildern und Motiven dieser visuellen Spielart – vom versteinernden Gorgonenblick bis zu lähmenden, hypnotisierenden, tötenden Sehstrahlen aus übermenschlichen, teuflischen oder außerirdischen Augen. Nimmt man noch das zweite Gesicht und das dritte Auge, das Gedankenlesen und -übertragen hinzu, so scheint das okkult-phantastische Arsenal unerreichbarer Fernwaffen-Wunschträume komplett.

Aber es genügt ein kursorischer Blick in die einschlägige Literatur und allgemeinverständlich aufgemachte Fachzeitschriften zum Beispiel Scientific American -, um zu erkennen, daß Phantasie und Realität sich immer mehr vermischen und durchdringen. Heute, im anbrechenden Hochtechnologiezeitalter, beginnen sich neue mächtige Metaphern durchzusetzen: an die Stelle des homme maschine ist bereits der Computer getreten; und auch im Bereich des aktiven „Fernsehen“ – das war vor einem Jahrhundert noch ein Inbegriff okkulter Fähigkeiten – zeichnet sich ein neuer technologischer Sprung zu schier haarsträubenden Bildmöglichkeiten ab (gemeint sind die vieldiskutierten Möglichkeiten der „optischen Phasenkonjugation“).

Nicht nur computergesteuerte „Seh“- und Kampfstrahlen, sondern eine quasi Zeitumkehr, nämlich gleichzeitige Verstärkung und Reflexion von schwachen Bild-„Eindrücken“, das heißt die Möglichkeit, Photodetektoren zu trägheitslos reagierenden „Zielfernrohren“ und Lichtkanonen zu machen – das ist eine der neuen beängstigenden Entwicklungen der optischen Hochtechnologie. Kein Wunder, daß auch die SDI-Manager zuversichtlich strahlen. Da scheint es nur noch eine akademische Frage, ob die alten Mythen die Ideen zu neuen Waffensystemen hervorbringen oder ob die neuen Waffen nur alte Wunschträume von Allmacht und Unbesiegbarkeit hervorlocken. Doch gerade die Kulturgeschichte der Fernwaffen-Wunschträume ist geeignet, die hintergründigen menschlichen Motive aus den angeblichen Sachzwängen vergangener und gegenwärtiger Konfrontationen und „Verteidigungs“-Anstrengungen herauszulösen. Vielleicht läßt sich so ein zusätzliches Stück historisch gewachsener Vernunft bewahren, bevor einem endgültig himmelangst werden muß!

Karl Clausberg, geboren 1938, hat das Ende des Zweiten Weltkrieges miterlebt und überlebt; er besuchte das „Johanneum“ in Hamburg, studierte Ingenieurwissenschaften, fuhr zur See, studierte anschließend Kunstgeschichte in Hamburg und London, promovierte in Wien und begann dann seine verschiedenen Interessengebiete quer zu den üblichen Fachgrenzen zu verbinden und zu „beschreiben“, auch dieser Kongreßbeitrag ist als ein fast zwangsläufiges Zwischenergebnis seiner Beschäftigung mit faszinierenden oder wahnsinnigen Bildern und Mythen entstanden.

Der hier abgedruckte Text wurde auf dem „öffentlichen Kongreß zur Förderung der Friedenskultur“ in Tübingen im April 1986 als Vortrag gehalten.