Friedensarbeit braucht Begleitung

Friedensarbeit braucht Begleitung

oder „How to face the mess we’re in without going crazy?!“1

von Daniela Pastoors

Nicht nur Friedensarbeit braucht Begleitung, sondern auch Friedensfachkräfte – und letztlich wir alle. Was hilft uns dabei, uns den Krisen der Menschheit zu stellen? Wie können wir mit den Gefühlen umgehen, die dabei entstehen? Daniela Pastoors forscht dazu, wie Fachkräfte im ­Zivilen Friedensdienst psychosozial begleitet werden, und überträgt ihre Erkenntnisse in diesem Essay auf weitere gesellschaftliche Bereiche.

Wenn wir uns die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaften und als Menschheit stehen, tatsächlich vor Augen führen – statt die Augen vor ihnen zu verschließen –, dann können wir davon überwältigt werden. Wir erkennen, wie riesig, wie umfassend und wie existentiell die Krisen sind, in denen wir uns befinden und mit welcher Geradlinigkeit wir auf den Abgrund zusteuern. Das Zulassen dieser Erkenntnisse macht uns fassungslos. Und das kann uns alle betreffen:

  • die Klimaaktivistin, die mitansehen muss, wie der lebendige Wald um sie herum abgeholzt wird;
  • den Sozialarbeiter, der täglich feststellt, wie massiv Armut auch in Deutschland die Lebenschancen von Menschen beeinträchtigt;
  • die Forscherin, die sich über Jahrzehnte damit auseinandersetzt, wie viele Arten auf dem Planeten für immer aussterben;
  • den Bürgerrechtler, der nach Jahrhunderten von Sklaverei weiter miterleben muss, dass Schwarze Leben nicht zählen und einfach ausgelöscht werden;
  • die Pflegerin, die unter der Last der Arbeit und dem Nie-genug-tun-Können zusammenbricht;
  • den Großvater, der insgeheim daran zweifelt, ob seine Enkel überhaupt noch eine lebenswerte Zukunft haben werden;
  • die ZFD-Fachkraft, die angesichts von gewaltsamen Konflikten die Hoffnung verliert…

… diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Wenn wir der Bedrohung und Zerstörung ins Auge blicken, rollen Schmerz, Ohnmacht und Verzweiflung über uns hinweg. Wir haben Angst davor, selbst in den Abgrund zu stürzen. Genau deshalb verschließen wir uns sehr häufig vor diesen Gefühlen, verdrängen sie – und damit auch die Erkenntnisse über die Tragweite der Herausforderungen. Wir stecken den Kopf in den Sand, weil wir es nicht ertragen können. Weil die Probleme riesig und unüberwindbar erscheinen. Weil wir glauben, nicht mit dieser enormen Last umgehen zu können. Weil wir Angst haben, daran zu zerbrechen.

Was braucht es also dafür, dass wir uns trauen, den Kopf aus dem Sand zu ziehen, der Realität ins Gesicht zu schauen und uns einzugestehen, was passiert? Was brauchen wir, um trotz, wegen und aus der Existentialität der Situation heraus zu handeln – uns der Bedrohung und Zerstörung entgegenzustellen und uns trotz aller Widrigkeiten weiter für das Leben einzusetzen? Vermutlich beantworten wir diese Fragen alle unterschiedlich. So verschieden unsere Strategien sein mögen, so ist doch eines klar: Langfristig geht es nicht allein. Deshalb ist meine These, dass wir Begleitung brauchen. Jede und jeder einzelne von uns.

Psychosoziale Begleitung in der Friedensarbeit

Das Handlungsfeld, mit dem ich mich in meiner Forschung beschäftigt habe, ist der Zivile Friedensdienst (ZFD). Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst haben die Aufgabe, Friedensprozesse zu begleiten (vgl. Pastoors 2021). Nicht sie selbst sind die »Macher*innen des Friedens«, sondern ihr Fokus liegt darauf, lokale Friedensakteur*innen in verschiedenen Ländern der Welt dabei zu unterstützen, Konflikte nachhaltig und gewaltfrei zu transformieren.2 So einfach sich diese beschreibenden Sätze lesen, so wenig trivial ist doch das Grundverständnis, das darin zum Ausdruck kommt. Wenn Frieden nicht als ferner Zustand sondern als alltäglicher Prozess begriffen wird, zu dem Konflikte dazugehören und diese wiederum sowohl Risiken als auch Chancen in sich tragen, hat das Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Konflikttransformation unterstützt werden kann. Das Vertrauen in den Prozess selbst und besonders in die Akteur*innen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten, die Konflikttransformation selbst zu gestalten, bildet die Basis für einen externen Beitrag, der keine Techniken anwendet, »Rezepte« verordnet und Lösungen liefert, sondern in Beziehung geht, einen Rahmen gestaltet und vorhandenes Wissen hervorlockt. In diesem Sinne sind ZFD-Fachkräfte in erster Linie Begleiter*innen.

Dieses transformative Paradigma der Konfliktbearbeitung, das mit einer elizitiven3 Haltung einhergeht, stellt gleichzeitig spezifische Anforderungen an Fachkräfte, die Wandlungsprozesse auf diese Weise unterstützen wollen. Der Blick auf Friedensarbeit als Beziehungsarbeit verdeutlicht, dass Friedensfachkräfte nicht nur viele Kompetenzen brauchen, um diese Beziehungen zu gestalten, sondern, dass Reflexionsräume notwendigerweise zur professionellen Friedenspraxis dazugehören müssen. Nicht nur Friedensarbeit braucht Begleitung, sondern auch Friedensarbeiter*innen. Aufgrund der komplexen Herausforderungen ihrer Tätigkeiten und ihrer vielschichtigen Rollen brauchen sie neben speziellen Fähigkeiten, fundiertem Wissen und einer ausgeprägten Haltung auch Möglichkeiten, um diese zu erwerben, anzuwenden und zu reflektieren. Zugleich gilt es, die anspruchsvolle Kunst der Friedensarbeit zu meistern, ohne sich selbst dabei aus dem Blick zu verlieren. Unterschiedliche Elemente der psychosozialen4 Personalbegleitung bieten ihnen dafür Gelegenheit.

Die Forschung hat sich diesem Themenbereich bisher wenig gewidmet. Entweder beschränkte sie sich auf Fragen der Personalgewinnung, Qualifizierung und Vorbereitung (vgl. Schüssler und Thiele 2012, Schweitzer 2009, Sell 2006), oder es standen Aspekte des Sicherheits- und Krisenmanagements und die gesundheitlichen Risiken und psychischen Folgen von Auslandseinsätzen im Fokus.5 Zudem bewegte sich der Diskurs oftmals im Kontext der »Duty of Care«, der Fürsorgepflicht der Organisationen für ihre Mitarbeitenden in Auslandsprojekten, sodass primär Haftungsfragen diskutiert wurden (z. B. Merkelbach 2017). Auch wenn immer wieder auf die Bedeutung von Unterstützungsmaßnahmen für das Auslandspersonal verwiesen wurde, legen nur sehr wenige Studien den Fokus darauf. Die Praxis der »Staff Care« (organisationale Fürsorge für Mitarbeitende) ist bisher nur in wenigen Bereichen der internationalen Zusammenarbeit untersucht.6

In meiner Dissertation habe ich daher den Fokus auf die Frage gelegt, wie Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst unterstützt und psychosozial begleitet werden. Dafür habe ich eine Bestandsaufnahme der Personalbegleitung im ZFD durchgeführt und untersucht, durch welche Begleitelemente Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst vor, während und nach der Dienstzeit unterstützt werden. In meiner Erhebung habe ich die Gesamtheit aller ZFD-Organisationen in den Blick genommen und sowohl die Perspektiven von (ehemaligen) ZFD-Fachkräften selbst, als auch die von Mitarbeitenden der Geschäftsstellen und von begleitenden Coaches bzw. Supervisor*innen mit einbezogen.

Neben den Elementen und Angeboten der Personalbegleitung, die im Zentrum meiner Forschung standen, habe ich auch die Anliegen und Herausforderungen beleuchtet, die diese notwendig machen. Zudem habe ich Empfehlungen und Wünsche der Akteur*innen für die Weiterentwicklung der Personalbegleitung zusammengetragen und analysiert, welche Bedürfnisse dahinter stehen und welche Spannungsfelder sich in diesem Kontext zeigen. Um den Transfer in die Praxis zu ermöglichen, habe ich die Erkenntnisse der Forschung als »Lessons Learned« zusammengefasst und aufbereitet.

Insgesamt habe ich eine Vielzahl an Begleitpraktiken zu Tage gefördert: angefangen bei der Erstellung von Begleitkonzepten im Vorfeld, über Supervision und kollegiale Beratung während der gesamten Zeit bis hin zu Rückkehrseminaren für alle. Die Organisationen begleiten die Fachkräfte dabei einerseits selbst und mit Hilfe von Dritten (z. B. Trainer*innen), andererseits sind die Fachkräfte sich gegenseitig eine Stütze und organisieren manche Unterstützung selbst. Die vorhandene Fülle und Vielfalt der Begleitelemente offenzulegen und die Sichtweisen verschiedener Beteiligter darauf zu berücksichtigen, ist ein wesentlicher Beitrag meiner Forschung.7 Gleichzeitig ist nicht nur von Bedeutung, was angeboten und genutzt wird, sondern das Hauptaugenmerk liegt darauf, wie die Begleitung konzipiert, ausgestaltet und gelebt wird: im besten Falle bedürfnisorientiert, barrierearm, emanzipatorisch, ganzheitlich und elizitiv – so wie wir uns auch Friedensarbeit wünschen.

Darin zeigt sich auch, dass es nicht nur um die Implementierung einzelner Maßnahmen, sondern um einen Kulturwandel geht – von einer »Duty of Care«, die Fürsorge als Pflicht zur rechtlichen Absicherung begreift, hin zu einer »Culture of Care«, die eine umfassende Kultur und eine Haltung der individuellen und gemeinschaftlichen Fürsorge wachsen lässt. Mit dem Blick der »Culture of Care« wird deutlich, dass persönliches, kollektives und globales Wohlergehen Hand in Hand gehen. Denn eine »Culture of Care« ist zugleich Teil einer »Culture of Peace«8 und (Personal-)Begleitung trägt zu einer Kultur des Friedens bei.

Kultur der Fürsorge für alle?

Doch wie lassen sich diese Erkenntnisse auf uns alle übertragen? Meine Forschung im ZFD zeigt, dass die vielfältigen Begleit­elemente und Unterstützungsangebote nicht nur in schweren Krisen, sondern auch bei der alltäglichen Reflexion der Arbeit hilfreich sind und die Friedensarbeiter*innen davor bewahren können, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie können durch die Begleitung den Mut behalten, sich weiterhin den Bedrohungen und Zerstörungen entgegenzustellen – und statt auszubrennen, können sie sich selbst, die Menschen in ihrem Umfeld und schließlich auch ihre Arbeit stärken. Hierin liegen wichtige Anreize für viele weitere Bereiche der Gesellschaft und die Erkenntnisse lassen sich auf unterschiedlichste Handlungsfelder übertragen.9

Kommen wir also zurück zu uns und zu den eingangs genannten Personenkreisen. Wie könnte Begleitung in diesen Kontexten aussehen? Stellen wir es uns konkret vor.

  • (Klima-)Aktivist*innen ermutigen sich durch individuelle und kollektive Resilienzstrategien gegenseitig und sorgen dafür, dass ihre Bewegungen wirksamer und nachhaltiger werden, weil sie aus den Gefühlen Kraft schöpfen können.
  • Sozialarbeiter*innen vernetzten sich, erkämpfen mit Hilfe von Interessenvertretung und Gewerkschaft bessere Arbeitsbedingungen und schaffen sich auf politischer Ebene Gehör, um auch die Wurzeln sozialer Problemlagen angehen zu können.
  • Wissenschaftler*innen führen Forschungssupervision ein, so dass sie endlich Räume für den Umgang mit den Nebenwirkungen haben, die ihre oftmals erschreckenden Forschungsergebnisse auf sie selbst haben.
  • Bürgerrechtler*innen weltweit gestalten öffentliche Trauerrituale, damit nicht nur die Wut ihren Ausdruck findet, sondern auch die Verzweiflung – und ermöglichen sich und anderen auf diese Weise, den Schmerz gemeinsam zu bewältigen und Raum für Würdigung zu schaffen.
  • Pflegepersonal regt Studien zum psychosozialen Wohlergehen von Mitarbeitenden und Patient*innen an und konzipiert auf dieser Basis ein Gesundheitssystem, das die Lebensqualität aller verbessert.
  • Großeltern gründen Gesprächskreise, in denen sie über ihre Zukunftsängste sprechen und schließlich den Mut finden, gemeinsam mit ihren Enkeln auf die Straße zu gehen…

Auch diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Zum Glück. Denn so groß, wie die Herausforderungen sind, denen wir uns als Menschheit zu stellen haben, können wir jede Unterstützung gebrauchen. Wir alle können Rückhalt gebrauchen und zugleich kann jede*r von uns auch andere Menschen begleiten, unterstützen und stärken. Dabei ist die Fürsorge für sich und andere immer miteinander verbunden – innere und äußere Friedensarbeit gehen Hand in Hand. So ist eine Kultur der Fürsorge existentieller Teil einer Kultur des Friedens.

Anmerkungen

1) Dieser Essay ist inspiriert durch Joana Macy, die Begründerin der »Work, that reconnects«. Das Zitat ist der Untertitel ihres Buches »Active Hope« (Macy und Johnstone 2012).

2) Umfassende Informationen und weiterführende Literatur zum ZFD sind hier zu finden: ziviler-friedensdienst.org.

3) Der Begriff geht auf John Paul Lederach zurück, der elizitive und präskriptive Zugänge zu Training und Konflikttransformation unterscheidet (siehe u.a. Lederach 1995).

4) Als psychosozial zeichnet sich die Personalbegleitung aus, wenn dabei zugleich innere und äußere Aspekte und deren Wechselwirkungen berücksichtigt werden (Pastoors 2021).

5) Der Großteil der Studien bezieht sich auf den Bereich der humanitären Hilfe, siehe bspw. Antares Foundation (2012), Blanchetière (2006).

6) Siehe bspw. Becker et. al. (2018), Behboud (2009), Porter und Emmens (2009). Ein praktisches Handbuch macht die Erkenntnisse der Forschung für Fachkräfte in der internationalen Zusammenarbeit nutzbar (Pigni 2016).

7) Eine knappe und praxisorientierte Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse meiner Forschung ist im »Lessons Learned« Kapitel meiner Dissertation und in diesem Artikel nachzulesen: (Pastoors 2019).

8) In Elise Bouldings (2000) Definition der »Culture of Peace wird diese Verbindung zur »Culture of Care« besonders deutlich.

9) Exemplarisch möchte ich hier auf den Nachhaltigen Aktivismus verweisen, der sich mit Resilienzstrukturen für politische Aktivist*innen befasst (siehe hierzu Luthmann 2021).

Literatur

Antares Foundation (2012): Managing stress in humanitarian workers. Guidelines for good practice. Amsterdam: Antares Foundation.

Behboud, S. (2009): Die Begleitung von pbi-Freiwilligen in der internationalen Friedensarbeit – Vorbereitung, Betreuung und Nachbereitung von Freiwilligeneinsätzen. Hamburg: peace brigades international (pbi) – Deutscher Zweig e.V.

Becker, D. et al. (2018): What helps the helpers? Research Report 2016-2018. Berlin.

Blanchetière, P. (2006): Resilience of humanitarian workers. o.O.

Boulding, E. (2000): Cultures of peace. The hidden side of history. Syracuse, N.Y.: Syracuse University Press.

Lederach, J. P. (1995): Preparing for peace. Conflict transformation across cultures. Syracuse, N.Y.: Syracuse University Press.

Luthmann, T. (2021): Politisch aktiv sein und bleiben. Handbuch Nachhaltiger Aktivismus. Münster: Unrast Verlag.

Macy, J.; Johnstone, Ch. (2012): Active hope: How to face the mess we’re in without going crazy. Novato: New World Library.

Merkelbach, M. (2017): Voluntary guidelines on the duty of care to seconded civilian personnel. Swiss Federal Department of Foreign Affairs (FDFA); Stabilisation Unit (SU); Bern u.a.: Center for International Peace Operations (ZIF).

Pastoors, D. (2021): Von der Duty of Care zur Culture of Care – Psychosoziale Personalbegleitung für Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes. Hamburg: tredition.

Pastoors, D. (2019): Risiken vermeiden und Potenziale entfalten. Zur Doppelwirkung psychosozialer Begleitung. Transfer 01/2019. Bonn: Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste.

Pigni, A. (2016): The idealist’s survival kit. 75 simple ways to avoid burnout. Berkeley: Parallax Press.

Porter, B.; Emmens, B. (2009): Approaches to staff care in international NGOs. People in Aid: InterHealth.

Sell, S. (2006): Qualifizierung zu Zivilem Friedensdienst / Ziviler Konfliktbearbeitung – Bedarfserhebung unter den ZFD-Trägerorganisationen und Akteuren benachbarter Arbeitsfelder. Bonn: Akademie für Konflikttransformation im forumZFD.

Schüßler, M.; Thiele, U. (2012): Evaluationsbericht. Grundqualifizierung für den Zivilen Friedensdienst/ Zivile Konfliktbearbeitung. Akademie für Konflikttransformation im forumZFD. Universität Oldenburg.

Schweitzer, Ch. (2009): Rekrutierung und Qualifizierung von Personal im Zivilen Friedensdienst. Bonn: Akademie für Konflikttransformation im forumZFD.

Dr. Daniela Pastoors hat zum Thema psychosoziale Personalbegleitung im Zivilen Friedensdienst promoviert, während sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Marburg tätig war und im Beratungsbereich gelehrt hat.

Rot, gelb oder grün für Frieden?


Rot, gelb oder grün für Frieden?

von Ginger Schmitz

Als Mitte Oktober die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP begannen, waren die Erwartungen hoch. Nach Jahren gefühlter friedenspolitischer Stagnation erhofften sich viele, dass Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung nun endlich wieder aus ihrem Nischendasein herausgeholt werden würden. Besonders die am Aufbau der heutigen friedenspolitischen Infrastruktur beteiligten Parteien der rot-grünen Bundesregierung von 1998 standen dabei unter Beobachtung, bezeichnen sie sich doch selbst, im Fall der SPD, als Friedenspartei oder haben, im Fall der Grünen, das friedenspolitisch weitreichendste Programm vorgelegt. In beiden Wahlkampfprogrammen finden sich mit der Entwicklung Ziviler Planziele für die Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« und mit der Einführung einer »Friedensverträglichkeitsprüfung« Vorschläge, die grundlegendere friedenspolitische Veränderungen ermöglichen könnten.

Gleichzeitig konnte man nach Veröffentlichung des Sondierungspapiers eine gewisse Ernüchterung feststellen. Zivile Konfliktbearbeitung, Krisenprävention, Frieden, werden allesamt kaum berücksichtigt. Es bestätigte sich wieder einmal der Eindruck, dass friedenspolitische Themen im öffentlichen Diskurs wie auch in den Sondierungen keine Rolle spielten. Das verwundert zwar nicht, ernüchtert aber nichtsdestotrotz.

Wir sind nicht alleine auf der Welt. Der Klimawandel, Fragen der globalen Gesundheit und Digitalisierung betreffen uns alle. Das hat sich in diesem Wahlkampf wieder mit voller, disruptiver Wucht gezeigt. Die zukünftige Bundesregierung muss Antworten darauf finden, wie sich dadurch ausgelöste Transformationsprozesse konstruktiv, ausgleichend und im Sinne eines friedlichen Miteinanders gestalten lassen können. Und das nicht aus ministerialer Zuständigkeitslogik heraus, sondern kohärent. Das vorhandene Instrumentarium der Zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung muss zu diesem Zweck zukunfts­orientiert ausgebaut und gefördert, aber auch die Rahmenbedingungen verbessert und Grundlagen geschaffen werden.

Deutsche Außenpolitik im Verständnis von nach außen gerichteter und nach außen wirksamer Politik wird sich unter einer rot-grün-gelben Regierung verändern. Die Frage ist nur, wie sie dann aussehen wird. An welchen Werten richtet sich Außenpolitik zukünftig aus? Welchen Stellenwert werden zivile Konfliktbearbeitung und Frieden einnehmen? Frieden muss in dieser bestenfalls zukunftsorientierten und lernenden Außenpolitik ein Fixpunkt sein.

Die 2017 verabschiedeten Leitlinien bilden hierfür eigentlich die strategische Grundlage. In den Wahlprogrammen der Koalitionär*innen werden sie aber nur partiell erwähnt. In der letzten Legislaturperiode des Bundestages haben sie über den engagierten, aber kleinen Unterausschuss Zivile Krisenprävention hinaus keine wahrnehmbare Rolle gespielt. Der im Frühjahr 2021 veröffentlichte Umsetzungsbericht zu den Leitlinien wurde im Parlament noch nicht einmal debattiert. Das muss sich ändern! Friedenspolitik muss von der künftigen Bundesregierung aber auch vom Parlament breit getragen werden. Das Parlament muss seiner Verantwortung gerecht werden.

Diese Verantwortung kann sich nicht darauf beschränken, lediglich über Mandatsverlängerungen zu debattieren. Wir brauchen vielmehr jährliche frie­dens­politi­sche Grundsatzdebatten über die Gestaltung der »Verantwortung Deutschlands« in der Welt.

Im Sondierungspapier wurde ein neues Grundlagendokument angekündigt: eine »Nationale Sicherheitsstrategie«. Bevor neue Strukturen und neue Strategien geschaffen werden, sollten aber zunächst die Leitlinien konsequent umgesetzt werden. Ein Umsetzungsplan mit konkreten Planzielen sowie die Einführung einer Friedensverträglichkeitsprüfung könnte die Leitlinien aus ihrer Wahrnehmungs­lücke herausführen. Statt mehr Papier und mehr Strategiedokumenten braucht es eine neue Form außenpolitischer Zusammenarbeit, die Etablierung einer konstruktiven Fehlerkultur, offenen Dialog und gemeinsames Lernen.

Zu Beginn der Sondierungen war viel die Rede davon, dass die beteiligten Parteien nicht das Trennende sondern das Verbindende in den Mittelpunkt der Gespräche stellen und in den Sondierungen eine gemeinsame Erzählung entwickeln wollten.

Diese Erzählung, dieses gemeinsame Narrativ sollte Frieden sein. Und eine friedenspolitisch kohärent gestaltete Zukunftspolitik könnte letztlich das verbindende Element sein. Für Wirtschaft, Klima, soziale Gerechtigkeit. Für alle Farben der Ampel – und für grünes Licht für Frieden.

Ginger Schmitz ist Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Mitglied des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung.

Israel /Palästina


Israel /Palästina

Zur Kampagne gegen Friedenskräfte im israelisch-palästinensischen Konflikt

von Wilhelm Kempf

Fünfzig Jahre nach dem Sechstagekrieg besteht dringender Bedarf an einem offenen Diskurs, der die Rechte von Israelis und Palästinensern anerkennt und um einen Ausgleich zwischen den beiden Gesellschaften bemüht ist. Dieser Diskurs wird jedoch durch den Widerspruch zwischen Werten belastet, die aus guten Gründen für die meisten Juden sehr wichtig sind: dem Wert des Zionismus, d.h. Israel als jüdischer Staat, und den Werten der Menschenrechte, der Gleichheit und der Demokratie. „Dieser Widerspruch“, sagt der israelische Philosoph Omri Boehm (2015), „bedeutet eine Tragödie. Denn er führt uns zu einer Lebensform, die Dingen widerspricht, an die wir wirklich glauben.“

Bei einer Belastung durch widersprüchliche Werte kann der resultierende Verlust an Selbstwertgefühl vermieden werden, indem das konkrete Handeln von den moralischen Standards abgekoppelt wird (Bandura 1999). Im Falle der israelischen Occupartheid1 ist es aber nicht nur der drohende Selbstwertverlust, der zur moralischen Ablösung zwingt, sondern auch die Angst vor einer Renaissance des Antisemitismus, der sich gegen Israel als »den Juden unter den Staaten« wendet.

Diese Befürchtung ist nicht unbegründet, zumal laut Ergebnissen des ASCI-Surveys (Kempf 2015) ein Viertel der Deutschen als antisemitische Israelkritiker einzustufen sind, deren (scheinbare) Parteinahme für die Palästinenser*innen letztlich nur als Mittel dient, »das wahre Gesicht der Juden« zu entlarven, und ein weiteres Zehntel jede Positionierung zur israelischen Politik vermeidet, »weil man ja nicht sagen darf, was man über die Juden wirklich denkt«.

Immerhin vier von zehn Deutschen kritisierten die israelische Politik jedoch deshalb, weil sie für die Universalität der Menschenrechte eintreten, Antisemitismus und Islamophobie gleichermaßen ablehnen und eine Politik verurteilen, die nicht nur den Palästinenser*innen Unrecht antut, sondern auch Israel von innen heraus zu zerstören droht (Keret 2013).

Seit Israel 2001 auf der UN-Konferenz von Durban der Apartheid bezichtigt wurde und mehr noch seit die – auch von vielen Juden unterstützte – »Boycott, Divestment & Sanctions«-Bewegung (BDS) einige Erfolge zu verzeichnen hat, setzen die Befürworter der Occupartheid jedoch alles daran, die Angst vor einem antiisraelischen Antisemitismus noch weiter zu schüren und die Occupartheid-Gegner als Antisemiten abzustempeln.

Antisemitismus bedeutet Feindschaft gegen Juden als Juden. D.h. der entscheidende Grund für die Ablehnung ist die angebliche oder tatsächliche jüdische Herkunft eines Individuums, einer Gruppe oder auch Israels, als jüdischem Staat (Demirel et al. 2011). Bei BDS ist dies nicht der Fall. BDS ist eine gewaltfreie Bewegung, die auf Israel Druck auszuüben versucht, seine Palästinapolitik zu ändern und die Occupartheid zu beenden. Und BDS ist eine Bewegung, die den israelisch-palästinensischen Konflikt verändern könnte „wenn der Diskurs von Begriffen wie Stärke und Widerstandsfähigkeit auf die Ebene von Rechten und Werten wechselt“ (Burg 2014).

Kompetitive Fehlwahrnehmungen und gesellschaftliche Grundüberzeugungen

Die Trennlinie im israelisch-palästinensischen Konflikt verläuft aber nicht mehr zwischen Juden und Arabern, sondern zwischen all jenen, die in Frieden leben wollen, und jenen, die ideologisch und emotional auf Gewalt setzen (Grossmann 2014). Selbst unter amerikanischen Juden finden sich nur ca. 8 % bedingungslose Unterstützer von Netanjahus Politik (Ben-Ami 2011), und 60 % der Juden in der Diaspora glauben nicht, dass sich Netanjahus Regierung um Frieden mit den Palästinensern bemüht (Goldmann 2015).

Um diesem Zustimmungsverlust entgegenzuwirken, hat der Vorsitzende der Jewish Agency, Natan Sharansky, den so genannten Drei-D-Test erfunden, mittels dessen sich antisemitische Israelkritik identifizieren lassen soll: Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelmoral als Alleinstellungsmerkmale für antiisraelischen Antisemitismus.

So plausibel dieser Test auch scheinen mag, kann er jedoch höchstens einen Anfangsverdacht begründen. Wie jeder eskalierte Konflikt geht auch der israelisch-palästinensische mit kompetitiven Fehlwahrnehmungen (Deutsch 2000) einher, die sich in lang andauernden Konflikten zu gesellschaftlichen Grundüberzeugungen verdichten. Diese sind u.a. durch den Glauben an die Gerechtigkeit der eigenen Sache und an die eigene Opferrolle sowie durch den Glauben an die Aufrechterhaltung von persönlicher und nationaler Sicherheit durch eine Politik der Stärke geprägt (Bar-Tal 1998). Dies findet – völlig spiegelbildlich – auf beiden Seiten statt: Woran die eine Seite glaubt, wird von der anderen strikt zurückgewiesen (Kempf 2015) und als Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelmoral empfunden.

Indem Natan Sharansky die drei Ds aber mit dem Label des Antisemitismus versehen hat, tritt zu ihnen ein viertes D hinzu: die Denunziation derer, die für eine Friedenslösung in Israel/Palästina eintreten. Eine Denunziation, die jegliche – auch noch so kleine – Abweichung von den eigenen Glaubenssätzen als antisemitisch brandmarkt, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einschränkt und eine kritische Auseinandersetzung mit der israelischen Palästinapolitik zu verhindern sucht.

Schon seit geraumer Zeit hat diese Denunziationskampagne auch auf Deutschland übergegriffen, wo sie nicht nur in den Medien, sondern zunehmend auch an den Universitäten geführt wird. Welcher Mittel sie sich bedient und wogegen sie sich richtet, soll im Folgenden anhand von fünf Vorfällen während der zweiten Jahreshälfte 2016 untersucht werden:

1. Kündigung des Bankkontos des Vereins »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« durch die Bank für Sozialwirtschaft;

2. studentische Aktivitäten gegen einen Vortrag von Rolf Verleger über das von ihm mitbegründete »Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung« an der Universität Marburg;

3. vom »Tagesspiegel« losgetretene Pressekampagne gegen das aus öffentlichen Geldern finanzierte palästinensische Kulturfestival »After the Last Sky« im Berliner Ballhaus Naunynstraße;

4. Verbot einer Ausstellung von Kinderzeichnungen aus Trauma-Rehabilitationszentren in Gaza und den besetzen Gebieten im Foyer des Heidelberger Rathauses und

5. studentische Aktivitäten gegen einen Vortrag von Rolf Verleger über Ergebnisse des Surveys »Anti-Semitism and the Criticism of Israel« (ASCI) an der Universität Freiburg.

Rufmord, Verleumdung und Unterstellungen

Die Auswahl dieser fünf Vorfälle ist zwar beliebig, jedoch repräsentativ für das Spektrum an Themen, die aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden müssen, wenn Netanjahus Politik nicht weiter an Unterstützung verlieren soll.

Allen fünf Vorfällen ist gemeinsam, dass sie darauf abzielen, den Occupartheid-Gegnern die Handlungsfähigkeit zu entziehen: von der Kündigung des Bankkontos der »Jüdischen Stimme« und dem Verbot der Ausstellung im Heidelberger Rathaus über die Forderung nach Verhinderung des Vortrags an der Uni Marburg und Schließung des »Cafe Palestine« an der Uni Freiburg bis zur Druckausübung auf den Berliner Senat, die Mittelvergabe im Kulturbereich auf den Prüfstand zu stellen. Ebenso gemeinsam ist ihnen die rechtliche Bedenklichkeit der Mittel: von anonymer Hetze über die Verletzung journalistischer Normen und des Presserechts bis zu Vertragsbruch und mutmaßlicher Verletzung des Bankgeheimnisses.

Das Spektrum der Personen und Institutionen, die offen des Antisemitismus bezichtigt werden, ist (fast) flächendeckend und umfasst die »Jüdische Stimme« und die BDS-Bewegung ebenso wie das frühere Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland, Rolf Verleger, und das von ihm mitbegründete »Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung«, den Fachbereich Friedens- und Konfliktforschung an der Uni Marburg sowie die Kuratorinnen des palästinensischen Kulturfestivals. Nur das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft kommt bei seiner Intervention gegen die Ausstellung »Kinder in Palästina« ohne Rufmord aus und verweist stattdessen auf die Neutralitätspflicht der Stadt Heidelberg.

Auffallend ist die neue Sprachregelung. Während man jüdische Kritiker*innen der israelischen Palästinapolitik bisher als »self-hating Jews« zu verunglimpfen pflegte, spricht man nun von jüdischem Antisemitismus. Wurden bislang die »self-hating Jews« zwar als von Selbsthass getrieben, aber dennoch in erster Linie als Juden gezeichnet, so scheint die Entwicklung nun dahin zu gehen, die Unterstützung der Occupartheid zum Definitionsmerkmal dafür zu machen, wer sich zu Recht jüdisch nennen darf. Zumindest aber geht sie in die Richtung, den Zionismus in seiner heutigen Form an die oberste Stelle der Wertehierarchie zu rücken. Dafür spricht auch, dass Antizionismus vor allem den jüdischen Occupartheid-Kritiker*innen zum Vorwurf gemacht wird, nicht aber jenen Leuten, von denen es sich – aufgrund ihrer Nähe zu den Palästinensern – am ehesten erwarten ließe.

Dabei sind es aber nicht nur Etiketten wie Antisemitismus oder Antizionismus, mittels derer man Rufmord an den Occupartheit-Kritiker*innen begeht, sondern handfeste Verleumdungen, mittels derer sie mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden und/oder ihnen unterstellt wird, auf die Vernichtung Israels aus zu sein.

Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelmoral

Um Kritik an der israelischen Occupartheid abzuwehren, bedienen sich ihre Unterstützer*innen (fast) des gesamten Spektrums der von Bandura (1999) identifizierten Mechanismen der moralischen Ablösung: Rechtfertigung durch höhere moralische Ziele, wie die Sicherheit Israels als Schutzraum vor dem globalen Antisemitismus; palliative Vergleiche, die auf Israel als einzige Demokratie im Nahen Osten abheben; euphemistische Begrifflichkeit, die z.B. Neutralitätspflicht als Chiffre für Unterdrückung des Sichtbarwerdens von für Israel ungünstigen Tatsachen verwendet; Leugnung, Ignorieren und Missdeutung der Folgen der Occupartheid, z.B. als Täter-Opfer-Umkehr; Dehumanisierung der Palästinenser*innen durch Unsichtbarmachen der palästinensischen Bevölkerung, Geschichte und Kultur; Schuldzuweisungen, z.B. gegen die Hamas, aber auch gegen die palästinensische Autonomiebehörde, die Kuratorinnen des Kulturfestivals und den Berliner Senat; Abwälzen der Verantwortung für die zivilen Opfer im Gaza-Krieg (2014) auf die Hamas und/oder für die Occupartheid auf den globalen Antisemitismus.

Die Abkoppelung der Occupartheid von moralischen Prinzipien bildet schließlich die Grundlage, auf welcher die drei Ds Plausibilität gewinnen.

Explizit der Doppelmoral bezichtigt werden u.a. der UN-Menschenrechtsrat und die Kuratorinnen des palästinensischen Kulturfestivals, wobei die Themen, die mittels der drei D aus dem Diskurs ausgeschlossen werden sollen, von der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Besatzung bis zu jener nach der Opferrolle (auch) der Palästinenser*innen reicht. Man sieht darin eine Dämonisierung des jüdischen Staates als »illegitimes rassistisches Regime«.

Ob »ethnische Säuberung«, »Siedler-Kolonialismus« oder »Apartheid« angemessene Begriffe sind, um die Realität der Occupartheid zu beschreiben, ließe sich sachlich diskutieren. Indem unterstellt wird, dass sie bewusst verwendet werden, um Israel schlimmstmöglicher Verbrechen zu beschuldigen, werden aber nicht nur diese Begriffe zurückgewiesen, sondern jeglicher Diskurs über die Sachverhalte, die sie (wenn auch unzureichend) zu benennen versuchen.

Der Vorwurf der Delegitimierung Israels richtet sich dabei nicht nur gegen diese Begrifflichkeit als solche, sondern ad personam gegen die Occupartheid-Gegner*innen, und findet ihr Spiegelbild in der Delegitimierung von Menschrechtspositionen schlechthin, wobei Delegitimierung und Dämonisierung Hand in Hand gehen und die Vorwürfe von Verharmlosung palästinensischer Gewalt und des Antisemitismus über Hetze gegen den Judenstaat bis zur Befürwortung der Zerstörung Israels reichen.

Die Doppelmoral, derer sich die Unterstützer*innen der Occupartheit dabei ihrerseits bedienen, tritt in der Gleichzeitigkeit von Dämonisierung und Dämonisierungsvorwurf bzw. Delegitimierung und Delegitimierungsvorwurf deutlich zu Tage. Nur im Zusammenhang mit dem Ausstellungsverbot äußert sie sich in einer gleichsam »eleganteren« Form: in der »Neutralitätspflicht»«, welche die Ausstellung von Kinderzeichnungen aus Trauma-Rehabilitationszentren als »hochpolitisch«, verbietet, während eine Ausstellung über den Jewish National Fond und dessen Aktivitäten (u.a. in den besetzten Gebieten) ohne Proteste gezeigt werden konnte.

Schluss

Man kann sich zu BDS so oder so verhalten. Man kann sich der Bewegung anschließen oder sich davon fernhalten. Man kann sich auch dagegen wehren. Wenn z.B. der Verein »Jüdische Stimme« zum Boykott des Jewish National Fond auffordert und dessen Präsidentin daraufhin Druck auf die Bank für Sozialwirtschaft ausübt, ihre geschäftliche Verbindung mit der »Jüdischen Stimme« zu beenden, dann wird damit zunächst nur Gleiches mit Gleichem vergolten.

Aber könnte man den Meinungsstreit über die israelische Palästinapolitik nicht auch mit fairen Mitteln austragen? Noch vor einem Dutzend Jahren konnte man sich sogar in Israel trefflich streiten. Heute ist dies selbst in Deutschland kaum noch möglich, und die hier untersuchten Vorfälle sind noch nicht einmal der Höhepunkt der laufenden Kampagne gegen die Meinungsfreiheit. Anfang 2017 wurden sie mit der Nichtverlängerung des Lehrauftrages von Eleonora Roldán Mendivil am Otto-Suhr-Insti­tut (OSI) der FU Berlin und durch einen Hackerangriff auf die Website des »Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung« noch einmal getoppt.

Der Vorfall am OSI ist aus mehreren Gründen besonders brisant: Erstens ging es dabei nicht um Inhalte der Lehrveranstaltung, sondern um einen (im Internet inzwischen gelöschten) Blog der Lehrbeauftragten. Zweitens wurde die Nichtverlängerung des Lehrauftrages bereits verfügt, bevor die Vorwürfe überprüft waren und das Gutachten des damit betrauten Antisemitismusforschers Wolfgang Benz vorlag. Und drittens hat das OSI für den Fall vorgesorgt, dass das Gutachten die Lehrbeauftragte entlasten könnte: Künftig soll ein BA für die Vergabe von Lehraufträgen nicht mehr ausreichen, sondern mindestens ein MA gefordert werden, über den Frau Roldán Mendivil (noch) nicht verfügt. Man hätte es auch gleich so formulieren können: Am OSI darf nur lehren, wer sich vorbehaltlos zur Occupartheid bekennt.

Anmerkung

1) Definiert als Diskriminierung zwischen Bevölkerungsgruppen auf Grundlage der ethnischen Herkunft als Ergebnis einer dauerhaften Besatzung (Bar-Tal 2015).

Literatur

Bandura, A. (1999): Moral disengagement in the perpetration of inhumanities. Personality and Social Psychology Review, Vol. 3, No. 3 (Special Issue on Evil and Violence), S. 193-209.

Bar-Tal, D. (1998): Societal beliefs in times of intractable conflict – The Israeli case. The International Journal of Conflict Management, Vol. 9, No. 1, S. 22-50.

Bar-Tal, D. (2015): “Love your neighbor as yourself”. Documentation of an open letter by Prof. Daniel Bar-Tal, Tel Aviv University, Israel. conflict & communication online 14/1.

Ben-Ami, J. (2011): A new voice for Israel – Fighting for the survival of the Jewish nation. New York: palgrave macmillan.

Boehm, O. (2015): Jüdischer Ungehorsam. Interview im Deutschlandfunk, gesendet 8.2.2015, 9:30 Uhr.

Burg, A. (2014): Was ist falsch an Boykotten und Sanktionen? Der Standard, 17.2.2014.

Demirel, A.: Farschid, O.; Gryglewski, E.; Heil, J.; Longerich, P.; Pfahl-Traughber, A.; Salm, M.; Schoeps, J. H.; Wahdat-Hagh, W.; Wetzel, J. (2011): Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/7700.

Deutsch, M. (2000): Cooperation and competi­tion. In: Deutsch, M. and Coleman, P. T. (eds.): The handbook of conflict resolution – Theory and practice. San Francisco: Jossey-Bass, S. 21-40.

Goldmann, A. (2015): Diaspora unzufrieden mit Israel – Mehrheit der Juden bezweifelt, dass Jerusalem sich ausreichend um Frieden mit Palästinensern bemüht. Jüdische Allgemeine, 3.8.2015.

Grossmann, D. (2014): Erinnern wir uns an die Zukunft. TagesAnzeiger, 4.8.2014.

Kempf, W. (2015): Israelkritik zwischen Antisemitismus und Menschenrechtsidee – Eine Spurensuche. Berlin: verlag irena regener.

Keret, E. (2013): Die Besatzung frisst unsere Seele. Frankfurter Rundschau, 16.2.2013.

Prof. Dr. Wilhelm Kempf ist emeritierter Professor für Psychologische Methodenlehre und Friedensforschung an der Universität Konstanz und Herausgeber des »open access«-Journals »conflict & communication online« (cco.regener-online.de).

Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbständigkeit?


Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbständigkeit?

Jahrestagung 2016 der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Evang. Akademie Loccum, 15.-17. April 2016

von Christiane Lammers

In welchem Verhältnis stehen Zivilgesellschaft und Staat im Bereich ziviler Konfliktbearbeitung? Welche Rolle(n) spielen Nichtregierungsorganisationen (NRO) bei der Friedensförderung im In- und Ausland? Welchen Einfluss können und dürfen sie auf staatliche Prozesse nehmen, und wo liegen die gewollten und ungewollten Grenzen staatlich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit? Rund 60 Teilhabende der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Interessierte kamen im April 2016 in Loccum zusammen, um unter dem Titel »Im staatlichen Auftrag oder in politischer Selbstständigkeit? Unter welchen Bedingungen wollen und sollen zivilgesellschaftliche Akteure der Konfliktbearbeitung künftig arbeiten?« diese und weitere Fragen zu diskutieren.

In seinem Einführungsvortrag skizzierte Eckhard Priller (Maecanata-Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft), was Zivilgesellschaft im Allgemeinen und »gute« Zivilgesellschaft im Speziellen ausmacht. Im Selbstverständnis von NRO stehe die Gemeinwohlorientierung an oberster Stelle. Zivilgesellschaft stelle Leistungen und Güter bereit, die nicht vom Staat bereitgestellt werden, sei es, weil eine diesbezügliche Verantwortungsteilung zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft historisch so gewachsen ist, sei es, weil der Staat bestimmte Aufgaben aktuell nicht wahrnehmen will/kann. »Gute« Zivilgesellschaft sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie transparent arbeite und finanziell unabhängig sei, möglichst auch vom Staat.

Die Frage der finanziellen und strukturellen Abhängigkeit wurde im Laufe der Tagung immer wieder aufgeworfen. Das Ringen um die Bewilligung von Projektanträgen, fehlende Basisförderung, zu kurze Förderzeiträume, zu hohe Berichtsanforderungen oder zu enge Förderrichtlinien prägen den Arbeitsalltag vieler NRO. Martina Fischer (Brot für die Welt) mahnte jedoch, den Diskurs um Krisenprävention und Friedensförderung nicht immer technokratischer werden zu lassen. Aufgabe von NRO sei es, friedensethische und friedenslogische Fragen aufzuwerfen und in den Diskurs einzubringen. Der Staat als Geldgeber, der die Zügel in der Hand hält, und die NROs als gefügige Ausführungsorganisationen? Der Tenor in der Diskussion: Auch und gerade wenn Zivilgesellschaft staatliches Geld annehme, solle sie keine Scheu haben, selbstbewusst aufzutreten und Kritik klar zu äußern. Diese Haltung werde von staatlicher Seite durchaus akzeptiert, manchmal sogar eingefordert. Um innerhalb der Exekutive Veränderungen anzustoßen, Strukturen aufzubrechen und neue Themen aufzugreifen, brauche es den Rückhalt und die Initiative der Zivilgesellschaft. Dies zeigte sich auch in den Ausführungen von Wolfram von Heynitz, Leiter des Referats S06 in der neu geschaffenen Abteilung S, »Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge«, im Auswärtigen Amt (AA), unter anderem für die Vernetzung mit der Zivilgesellschaft zuständig. So solle zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Beirat Zivile Krisenprävention ausgebaut und verbessert werden.

Der Wert von Zivilgesellschaft beweist sich oft erst da, wo sie fehlt, wie sich in den vielen Praxisbeispielen ziviler Konfliktbearbeitung im In- und Ausland zeigte, die Tagungsteilnehmende präsentierten. Ob Peace Brigades International mit der Begleitung von MenschenrechtsverteidigerInnen in Konfliktgebieten, das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation (IKM) mit seiner Integrationsarbeit in Hamburger Stadtteilen, Adopt a Revolution mit seiner Unterstützung lokaler Initiativen in Syrien, der Friedenskreis Halle mit seinen Gewaltpräventionsprojekten oder viele lokale Flüchtlingsinitiativen: Zivilgesellschaft wird häufig da tätig, wo staatliche Strukturen nicht vorhanden oder überfordert sind. Oft, aber nicht immer, wird sie dabei finanziell durch den Staat unterstützt. Vorsicht sei an den Stellen geboten, so Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, wo der Staat eigene Verantwortlichkeiten leichthin der Zivilgesellschaft übergebe. Hier müsse staatliches Handeln konsequent eingefordert werden.

Im »Open Space« am Samstagnachmittag hatten die TeilnehmerInnen Gelegenheit, das Tagungsthema unter selbst gewählten Fragestellungen in Kleingruppen zu diskutieren. Dabei ging es zum einen um strategische Überlegungen zur künftigen politischen Advocacy-Arbeit der Plattform, insbesondere im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017, zum anderen um grundlegendere Aspekte, wie ein der Friedenslogik folgendes Verständnis von Zivilgesellschaft, oder die Frage danach, wie wir als zivilgesellschaftliche AkteurInnen der Zivilen Konfliktbearbeitung der Politik und der Öffentlichkeit vermitteln können, was wir tun – mit der Voraussetzung, wir sind uns selbst darüber im Klaren.

Ein vorsichtiger Wandel des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft zeichnet sich derzeit in unterschiedlichen, die Außenpolitik betreffenden Prozessen ab: neben dem Prozess »Zukunftscharta EINEWELT – unsere Verantwortung« des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dem »Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken« des Auswärtigen Amtes und dem Weißbuch-Prozess des Bundesverteidigungsministeriums auch in der Entwicklung der »Agenda 2030« (Sustainable Development Goals) und der Erarbeitung der neuen »Leitlinien ziviles Krisenengagement« im Auswärtigen Amt. Alle Initiativen wurden – im Gegensatz zu früheren staatlichen Prozessen – zumindest mit dem Anspruch versehen, partizipativ und nach außen transparent zu sein. Die beiden letzteren wurden auch in Loccum umfassend diskutiert. Christoph Bongard (forumZFD) beschrieb den internationalen Prozess für die »2030 Agenda for Sustainable Development« als beispielhaft im Hinblick auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Nun müsse es für die deutsche Zivilgesellschaft darum gehen, auch auf die Umsetzung der Agenda in deutsche Politik aktiv Einfluss zu nehmen. Das Zeitfenster hierzu sei jedoch begrenzt; noch in diesem Sommer solle der Prozess weitgehend abgeschlossen sein. Angemahnt wurde zu dieser Fülle an »Partizipationsprozessen«, dass hiermit Ressourcen der Zivilgesellschaft gebunden werden und genau abzuwägen sei, welche relevanten Wirkungen durch ein solches Engagement tatsächlich erzielt werden könnten.

Im Abschlussplenum skizzierten die Bundestagsabgeordneten Franziska Brandtner (Bündnis90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Die Linke) den Stand des Leitlinien-Prozesses im Auswärtigen Amt. Das neue Dokument solle den Aktionsplan Zivile Krisenprävention ablösen und kompakter werden. Die Zivilgesellschaft solle unter anderem über themenspezifische Workshops und durch Zuarbeit des Beirats Zivile Krisenprävention in die Diskussion eingebunden werden. Wie intensiv diese Einbindung angesichts des knappen Zeithorizonts sein kann – der partizipative Prozess begann offiziell Ende Mai und soll bereits im September enden –, bleibt zweifelhaft. Das Plenum äußerte ein klares Votum dafür, Forderungen der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung für das Leitlinien-Dokument zu formulieren und diese offensiv in den Prozess einzubringen. Die Stellungnahme wurde zur Öffentlichen Anhörung des Bundestags-Unterausschusses Zivile Krisenprävention veröffentlicht und ist auf S. 46ff. in dieser Ausgabe von W&F dokumentiert. Alle Stellungnahmen sind auch auf der Plattform-Webseite verfügbar.

Neben der fachlichen Diskussion standen am Samstagabend bei der Mitgliederversammlung auch Wahlen für die Gremien der Plattform an. Angela Mickley, Wolfgang Heinrich, Björn Kunter, Christoph Bongard und Volker Kasch bilden den neuen SprecherInnenrat, die beiden Erstgenannten in der Funktion der Vorsitzenden. In den Trägerverein wurden Kees Wiebering, Marcus Schaper, Sven Reuter, Dorothee Lepperhoff und Barbara Kemper gewählt.

Christiane Lammers

Friedenslogik als Leitmotiv


Friedenslogik als Leitmotiv

von Plattform Zivile Konfliktbearbeitung

Nachfolgend dokumentiert W&F die Stellungnahme »Friedenslogik – Leitmotiv des Krisenengagements deutscher Politik im globalen Kontext«, die der SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung für die öffentlichen Anhörung des Bundestags-Unterausschusses »Zivile Krisenprävention»« zu den neuen Leitlinien für das Krisen­engagement der Bundesregierung am 29. Mai 2016 abgab.

Das Auswärtige Amt entwickelt Leitlinien des Krisenengagements der Bundesregierung. Damit soll das deutsche Handeln im heutigen, und soweit voraussehbar zukünftigen, globalen Konfliktgeschehen ausgerichtet werden. Die angekündigten Leitlinien stehen im Kontext der Umstrukturierung des Auswärtigen Amtes, sollen sich jedoch nicht allein darauf beschränken, sondern auch den »Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« von 2004 ersetzen.

Mit der vorliegenden Stellungnahme benennen wir zu Beginn des Prozesses Werte, Prinzipien und besondere Herausforderungen, die aus Sicht der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung für das zivile Krisenengagement Deutschlands leitend sein sollen.

Krisenengagement benötigt eine Orientierung am »Frieden«

Der im Grundgesetz formulierte Auftrag „[…] dem Frieden in der Welt zu dienen“ ist für das Engagement in Krisen keine Leerformel: Friedensförderung ist die Messlatte für staatliches Handeln im globalen Kontext. Dieser Wertorientierung zu folgen, verlangt eine Ausrichtung am globalen Gemeinwohl. Auch die Wahrnehmung deutscher Sicherheitsinteressen muss sich daran orientieren. Ohne diese Zielorientierung unterliegt ziviles Krisen­engagement der Gefahr, in die Fallen einer kurzfristigen Sicherheitslogik zu geraten: Selbstbezüglichkeit, Angst-Entgrenzungen und Eskalation im Handeln könnten bestimmend werden.

Konkretisiert heißt dies, staatliches Handeln findet auf folgende Fragen konstruktive Antworten:

  • Dient das Handeln den Zielen eines gerechten Friedens:

– Vermeidung von Gewaltanwendung,

– Förderung von Freiheit zu einem Leben in Würde,

– Förderung kultureller Vielfalt,

– Abbau von Not durch Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit?

  • Fördert es die Umsetzung der unteilbaren Menschenrechte in ihren personalen, sozialen und kulturellen Dimensionen?
  • Trägt es zur Humanisierung von Gesellschaften und staatlichem Handeln bei und erhöht es die »menschliche Sicherheit« ?
  • Werden Gewaltdynamiken unterbrochen und wird gewaltfreies Handeln aller Beteiligten gestärkt?

Friedenslogische Handlungsprinzipien ermöglichen wirkungsvolles Krisenengagement

Ziviles Krisenengagement ist dann wirksam, wenn es Handlungsprinzipien folgt, die Widersprüche zwischen Mitteln und Zielen verhindern. Dazu sollte es folgende Prinzipien berücksichtigen:

Frühzeitiges Handeln im Sinne der Gewaltprävention

Engagement ist dann gefordert, wenn Gewalt gegenüber Menschen droht, unabhängig davon, wer sie für welchen Zweck ausüben wird. Das ausschlaggebende Kriterium für die Notwendigkeit, aktiv zu werden, kann nicht sein, dass das Durchsetzen eigener Interessen behindert wird. Frühzeitiges Handeln kann Gewalt verhindern, sodass die Gewaltspirale nicht erst in Gang kommt. Friedenslogische Politik ist sensibel für Konfliktdynamiken, um vorausschauend deeskalierend zu wirken.

Problemkontexte erkennen und Konflikte transformieren

In der Regel handelt es sich bei gewaltförmigen Konflikten um komplexe Konstellationen mit unterschiedlichen Beteiligten. Friedenslogische Politik nutzt Konfliktanalysen, um Konfliktursachen zu erkennen, Möglichkeiten der Konflikttransformation zu identifizieren und die Beteiligten zu unterstützen, den Konflikt konstruktiv auszutragen. In dem Wissen, dass es für jeden Akteur aussichtsreicher ist, sein eigenes Konfliktverhalten zu verändern als das Anderer, gilt es zu Beginn, den eigenen Anteil am Konflikt zu identifizieren und zu korrigieren.

Interaktions- und Prozessorientierung leiten die Konfliktbearbeitung

Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten ist auf den Aufbau von Interaktionsstrukturen zwischen den Beteiligten angewiesen. Die Prinzipien Interaktions- und Prozessorientierung sind umso wirksamer, je zahlreicher konstruktive Interaktionen, z.B. Dialoge, stattfinden. Die Partizipation vielfältiger Akteure und die Aufklärungsarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene erhöhen die Chancen für Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Rückhalt in komplexen politischen Transformationsprozessen.

Das Prinzip der Einhaltung universaler Normen

In der friedenslogisch orientierten Gewaltprävention und Friedensförderung wird die Legitimität von Interessen, des Konfliktverhaltens und der Mittel der Problembearbeitung auf der Grundlage universaler Normen geprüft. Auch wenn Normenbildung strittig und auch nie abgeschlossen ist, so existieren doch konkret anwendbare Maßstäbe einer globalen Ethik. Diese gilt es zu benennen und das eigene Verhalten auch im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit daran zu messen.

Reflexivität ermöglicht Handeln nach dem »Do no harm«-Prinzip

Menschliches, auch politisches Handeln birgt immer die Möglichkeit von Fehler und Irrtum. Die Reflexion eigenen Scheiterns, der Wahl falscher Mittel, von Fehleinschätzungen oder Selbstüberschätzung eröffnet Chancen der Veränderung, der Entwicklung von Alternativen, auch von Neuanfängen. Hierzu bedarf es begleitender Instrumentarien, die Kritik »organisieren« und die Institutionen des Krisenengagements und der Friedensförderung zu lernenden Organisationseinheiten werden lassen.

Herausforderungen an Instrumente der Krisenpräven­tion und Friedensförderung

Deutsche Politik verfügt heute über zahlreiche Instrumente und Handlungsräume, die helfen können, krisenhafte Entwicklungen und Gewalteskalation zu vermeiden und zu unterbrechen. Diese gilt es im Kontext von Friedensförderung auszubauen und auch interministeriell aufeinander abzustimmen.

1. Angesichts der Tendenzen zu Renationalisierung und einzelstaatlicher Interessenspolitik ist die Stärkung der Vereinten Nationen und von Regionalorganisationen, z.B. der OSZE, wesentlich. Nur auf der Basis gegenseitiger Anerkennung kann gemeinsam präventiv gehandelt werden, und nur in multilateraler Kooperation können Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung auf der zwischenstaatlichen Ebene verankert werden.

2. Internationales staatliches Handeln wirkt nur tiefgreifend und nachhaltig, wenn die Gesellschaften Friedensprozesse tragen und gestalten. Zwischen politischen und gesellschaftlichen Realitäten besteht eine unmittelbare Wechselwirkung. Sie erfordert die Unterstützung lokaler zivilgesellschaftlicher Akteure zur Krisenprävention und Friedensförderung. Mit dem Zivilen Friedensdienst, dem zivik-Programm und der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung wurden Instrumente bzw. Strukturen geschaffen, die sich bewährt haben, aber deren Umfang und Ausrichtung das Potential bei Weitem nicht ausschöpfen. Deutsche zivilgesellschaftliche Organisationen haben über langjährige und auf Vertrauen beruhender Partnerschaftsarbeit eine hohe Kompetenz und weitreichendes Engagement für Krisenprävention und Friedensförderung entwickelt. Um diese partnerschaftliche Arbeit zu pflegen und auszubauen, sind sowohl weitere Programmlinien erforderlich wie auch neue Strukturen für Kommunikation und Austausch zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, jenseits des unmittelbaren ministeriellen Beratungsbedarfs. Dies gilt gerade auch für die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure aus den von Krisen betroffenen Ländern selbst.

3. Die »Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung« setzt Politikfelder explizit in einen Zusammenhang. Lebensbedrohende Zustände und gravierende soziale Ungleichheit, die es weltweit, regional und innerhalb von Gesellschaften gibt, werden als wesentliche Konfliktursachen benannt. Auch für Deutschland gilt es hier, internationale Verantwortung zu übernehmen, die sich auch im innerstaatlichen Handeln widerspiegelt. Eine wesentliche Herausforderung ist es, die eigenen Beiträge zu Ursachen und Dynamiken von Konflikten, seien es politische, wirtschaftliche oder kulturelle, zu reflektieren. Deutschland ist als »globaler Player« oder Bündnispartner oftmals kein »neutraler« Dritter, sondern indirekt oder direkt auch Konfliktbeteiligter. Dies zu erkennen, eröffnet Handlungsspielräume zur Friedensförderung und Gewaltprävention.

4. Um frühzeitig gewaltpräventiv handeln zu können, bedarf es der Implementierung von Frühwarnprozessen. Strukturen des Wissenstransfers zwischen internationalen, staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren sind notwendig; Kommunikationswege zu Entscheidungsstrukturen sollten systematisiert und transparent gemacht werden. Aus der Menschenrechtsarbeit wissen wir, wie wichtig es ist, solche Prozesse so zu gestalten, dass hierdurch niemand gefährdet wird und das Wissen nicht zu anderen als den vereinbarten Zwecken genutzt wird.

5. Konfliktanalysen und die Systematisierung von Frühwarnprozessen werden wenig bewirken, wenn es an angemessenen Entscheidungsstrukturen mangelt und die Fähigkeiten oder Ressourcen zur frühzeitigen Aktion fehlen. Dies ist gegenwärtig der Fall. Innerhalb des staatlichen Kontextes geht es um die interministeriellen Entscheidungsstrukturen, um die personellen und fachlichen Kapazitäten in den einzelnen Ressorts, auch jenseits des Auswärtigen Amtes. Um Kohärenz herzustellen, bedarf es eines Instrumentariums, um Entscheidungen in der Wirtschafts-, Entwicklungs- und Migrationspolitik wie auch der Umwelt- und Ressourcenpolitik auf Einklang mit den Leitlinien für ziviles Krisenengagement zu prüfen.

6. Die Entwicklung der letzten Jahre hin zu international vereinbarten Dokumenten, die nationale Selbstverpflichtungen nach sich ziehen, halten wir für einen guten Weg zur Umsteuerung. Diese Dokumente, wie z.B. der »Aktionsplan 1325« oder die »Agenda 2030«, basieren auf intensiven Aushandlungsprozessen zwischen den Staaten und mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Wesentliche Fortentwicklungen stellen dabei die Formulierung klarer Zielsetzungen, die Festlegung von Indikatoren und eine turnusmäßige Überprüfung der Handlungsschritte und Wirkungen dar. Diese Prozessgestaltung halten wir auch für vorbildhaft für das Politikfeld Konfliktprävention, Krisenengagement und Friedensförderung.

7. Jedes Engagement wird scheitern, wenn nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Dazu ist eine stärkere quantitative Erfassung des sich aus den Zielen, Prozessen und Instrumenten ergebenden Bedarfs notwendig, so wie es auch in anderen Politikfeldern Usus ist. Langfristige Planungen sind ebenso nötig wie eine stetige Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Eckdaten. Die haushaltspolitischen Kennziffern sind daraus abzuleiten.

8. Hindernisse für zivilgesellschaftliches Engagement sind neben der Höhe der Haushaltstitel andere in diesem Politikfeld angelegte Verwaltungsregularien. Kurzfristige Laufzeiten, Inflexibilitäten und Planungsunsicherheit behindern nachhaltiges Handeln. Unseres Erachtens muss im Rahmen des Leitlinienprozesses darüber nachgedacht werden, wie die im Aktionsplan schon vorgesehene Abstimmung von Maßnahmen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Trägern erfolgen kann. Das Konsortium Ziviler Friedensdienst könnte hier Modellcharakter haben. Übertragen auf andere Bereiche zivilgesellschaftlicher Friedensarbeit könnte dieses Modell dahingehend weiter entwickelt werden, dass zivilgesellschaftliche Träger direkt an der Programmentwicklung beteiligt werden. Dies kann zur Etablierung gemeinsamer Strukturen der Mittelvergabe führen, wie es in Bereichen der Wissenschaftsförderung oder der Jugendhilfe durchaus üblich ist. Uns erscheint dies als ein geeigneter Ansatz, um den originären fachlichen Kompetenzen zu entsprechen und die Eigenständigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure zu erhalten, die wir vor allem international zunehmend als gefährdet ansehen.

9. Gewaltfreies und deeskalierendes Handeln sollte als Handlungsmaxime im öffentlichen Raum dargestellt und deutlicher wahrnehmbar werden. Das Sichtbarmachen von gewaltfreien Handlungsmöglichkeiten ist entscheidend, um den politischen und gesellschaftlichen Rückhalt für Entscheidungen, z.B. bei der Mittelverteilung zugunsten der zivilen Krisenprävention und des Engagements für Friedensförderung, zu erreichen. Vorbehalten gegenüber der Wirksamkeit zivilen Engagements muss aktiv begegnet werden. Hierfür bedarf es neuer Instrumente und eigens ausgewiesener Ressourcen. Gerade angesichts der »Krisen«-Verunsicherung innerhalb unserer Gesellschaft ist eine intensive und kontinuierliche Aufklärung über die Chancen und die Wirksamkeit gewaltfreier Konflikttransformation notwendig, die über die Fachkreise ­hinausreicht.

Beratungsprozess sollte Startpunkt sein

Aus der Sicht eines zivilgesellschaftli­chen Netzwerkes von in der zivilen Konfliktbearbeitung engagierten Organisationen und Personen begrüßen wir den vom Auswärtigen Amt begonnenen Leitlinien-Beratungsprozess. Wir hoffen, dass damit eine Debatte in Gang gesetzt wird, die nicht mit der Verabschiedung dieser Leitlinien für Krisenengagement endet. Es sollte der Startpunkt sein, um in Politik und Gesellschaft die friedenspolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, offen zu reflektieren und anzugehen. Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Entwicklung und Umsetzung eines umfassenden friedenspolitischen Leitbildes.

Für den Frieden lernen

Für den Frieden lernen

Arbeit mit Ex-Kombattanten in Nepal

von Heidi Gutsche

In W&F 2-2011 wurde die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes in Nepal vorgestellt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit trägt jedoch mit wesentlich mehr Projekten und Initiativen zum Friedensprozess in diesem Land bei.1 So finanziert das BMZ beispielsweise seit 2007 ein Vorhaben mit Fokus auf Aus- und Fortbildung, das von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt wird. Dieses Projekt steht im Mittelpunkt dieses Artikels.

Bereits während des bewaffneten Konflikts in Nepal wurde in den beiden maoistisch kontrollierten Distrikten Rukum und Rolpa ein Vorhaben zur Ernährungssicherung durchgeführt, das nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens durch ein Reintegrationsvorhaben ergänzt wurde. Diese Vorhaben der »Entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe« förderten die soziale und ökonomische Reintegration von Ex-Kombattantinnen und -kombattanten sowie von Rückkehrenden in die jeweiligen Gemeinden. Eine Replikation dieses Konzepts in der »Far West Development Region« strebt die Verbesserung der Lebensverhältnisse an und schafft einen sozialen und ökonomischen Ausgleich in den ländlichen Gebieten.

Die Wurzeln für den gewaltsamen Konflikt waren Armut sowie die Diskriminierung von Kasten, ethnischen Gruppen und Frauen. Nach dem zehnjährigen Krieg, der von den maoistischen Rebellen (People’s Liberation Army, PLA) begonnen wurde, folgte 2006 die Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen den Maoisten und den sieben im Parlament vertretenen Parteien. Das Friedensabkommen sah die Einrichtung eines modernen Rechtsstaates mit einer parlamentarischen Demokratie vor. Außerdem wurde vereinbart, dass die durch die United Nations Mission in Nepal (UNMIN) verifizierten maoistischen Kämpfer in Internierungslagern (Cantonments) zusammengefasst werden. Sobald die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen geschaffen wären, sollte ein Teil der Ex-Kombattanten in die Sicherheitskräfte (Armee und Polizei) übernommen werden. Die verbleibenden Ex-Kämpfer sollten in die Zivilgesellschaft reintegriert werden.

Es wurde davon ausgegangen, dass die ca. 19.000 Ex-Kombattanten, die diesen Status von UNMIN erhalten haben, und die ca. 4.000 Jugendlichen bzw. spät rekrutierten Kämpfer, denen dieser Status als Ex-Kämpfer nicht zugesprochen wurde, für sechs bis zwölf Monate in den Internierungslagern verbleiben würden. Bis dahin, so wurde angenommen, würde eine politische Lösung die Auflösung der Lager erlauben. In der Folge hat sich diese Erwartung allerdings nicht erfüllt.

Die Internierungslager sind über den gesamten Terai (Grenzgebiet zu Indien) vom äußersten Westen bis zum äußersten Osten verstreut und liegen zum Teil in entlegenen Gegenden. Sie sind in sieben Divisionen mit je einem Haupt- und drei Satelliten-Cantonments organisiert. Die Cantonments und die Waffen, die in der Nähe der Cantonments in Containern gelagert sind, wurden von der Errichtung der Cantonments bis zum 15. Januar 2011 von UNMIN überwacht. Seitdem hat, wie im Friedensabkommen vorgesehen, die Regierung diese Aufgabe übernommen. Die Cantonments wurden von der Regierung errichtet. Dafür wurden Zugangsstraßen angelegt und Unterkünfte, Gesundheitsposten, Stromversorgungs- und Wasseranlagen sowie notdürftige Sanitäranlagen gebaut. Vor allem die Wasserversorgungsinstallationen und die Sanitäranlagen waren lediglich für eine Übergangszeit ausgelegt.

Nachdem absehbar wurde, dass die Ex-Kombattanten für eine längere Zeit in den Cantonments bleiben müssen, weil sich eine politische Lösung nicht so schnell abzeichnen würde, traten die Maoisten im Mai 2007 mit der Bitte um Unterstützung an den Landesdirektor der damaligen GTZ heran. Sie wurden darauf hingewiesen, dass dafür ein Antrag der nepalesischen Regierung an die deutsche Regierung notwendig ist. Überraschenderweise wandte sich die nepalesische Regierung innerhalb kurzer Zeit an die deutsche Botschaft mit der Bitte um Unterstützung in den Bereichen Trinkwasserversorgung, Gesundheitsdienste und berufliche Bildung. Das BMZ erklärte sich bereit, eine direkte Unterstützung für die Cantonments und gleichzeitig für die umliegenden Dörfer zu finanzieren. Hier wurde von Anfang an der entwicklungspolitische Ansatz von »Do no harm« angewendet. Wären nur die Ex-Kombattanten unterstützt worden, hätten sich neue Spannungen oder Konflikte zwischen den Ex-Kombattanten und der Bevölkerung der umliegenden Gemeinden ergeben können. Dies sollte von vornherein verhindert werden.

Das Vorhaben, das beim nepalesischen Ministerium für Frieden und Wiederaufbau angesiedelt wurde, bekam den Projekttitel »Unterstützung von Maßnahmen zur Stärkung des Friedensprozesses«, kurz STPP, abgeleitet von der englischen Bezeichung »Support of Measures to Strengthen the Peace Process«. STPP nahm im August 2007 seine Arbeit auf.

Von Nothilfemaßnahmen zum Lernprogramm

Das Instrument der Direktfinanzierung und Direktimplementierung hat sehr schnell gegriffen und konnte in einer Zeit, in der es wichtig war zu verhindern, dass die Cantonments in Katmandu zum politischen Dauerthema werden, mit ersten Maßnahmen sichtbare Erfolge aufzeigen. Die Maßnahmen wurden zwischen den maoistischen Militärführern und den Mitarbeiter/innen von STPP ausgehandelt und zielten darauf ab, die wichtigsten Dinge zuerst anzugehen: die Verbesserung der Wasserversorgung, der Gesundheitsdienste und der Sanitäreinrichtungen. Zusätzlich wurde damit begonnen, die Kriegsverwundeten zu behandeln. Dafür wurden mobile Operationscamps eingerichtet und Ambulanzen zur Verfügung gestellt.

Die Gesundheitsposten in den Cantonments wurden von der Regierung als Primärgesundheitsversorgungseinrichtungen klassifiziert. Diese sollten auch den umliegenden Gemeinden zugänglich gemacht werden, da dort eine hinreichende Gesundheitsversorgung fehlte. Dafür wurden drei der Gesundheitsposten renoviert und zwei neu gebaut. Als es Ausbrüche von Hepatitis und Cholera gab, wurden schnell Medikamente für Epidemien zur Verfügung gestellt. Auch wurden Impfungen zur Immunisierung vorgenommen. Regelmäßige Untersuchungen fanden in den Gesundheitsposten statt. Fälle, die dort nicht behandelt werden konnten, wurden an die nächst gelegenen Krankenhäuser überwiesen. Darüber hinaus wurden auch Moskitonetze zur Vorbeugung von Malariaerkrankungen, Decken und Schuhe gegen die Kälte im Winter verteilt.

Die Aktivitäten hatten den Charakter von Nothilfemaßnahmen, wurden jedoch kombiniert mit entwicklungsorientierten Maßnahmen wie Aus- und Fortbildungen.

Zu Beginn des Vorhabens waren die Maoisten eher misstrauisch, als die GTZ-Mitarbeiter in die Cantonments kamen. Durch die ersten vertrauensbildenden Maßnahmen im Bereich Infrastruktur und durch die Behandlung von Kriegsverwundeten konnte im Laufe der Zeit aber ein Vertrauensberhältnis aufgebaut werden. Hier hat ein Lernprozess für alle Beteiligten stattgefunden. Weitergehende Aktivitäten wurden möglich. Denn obwohl vorgesehen war, dass die Ex-Kombattanten auch eine berufliche Bildung erhalten sollten, wollten die maoistischen Militärführer zunächst nichts davon wissen. Erst durch wiederholte Gespräche konnte erreicht werden, dass Ausbildungsprogramme in bestimmten Bereichen stattfinden konnten. Zunächst wurden die bereits vorhandenen Kenntnisse und der Bildungsstand der Ex-Kombattanten ermittelt, dann der Ausbildungsbedarf. Auf der Basis dieser Informationen wurden mit professionellen Trainingsinstituten die Lerncurricula für die spezielle Zielgruppe angepasst. Da die Ex-Kombattanten die Lager nicht verlassen durften, kamen die Trainingsinstitute in die Cantonments und unterrichteten dort. Die ersten Ausbildungsmaßnahmen waren Englisch-, Computer- und Alphabetisierungskurse, die es ihnen ermöglichten, an weiteren Ausbildungsmaßnahmen teilzunehmen.

Es gab bereits Ex-Kombattanten, die im Gesundheitsbereich ausgebildet waren, bevor sie sich der PLA angeschlossen hatten. Sie hatten auch während des Krieges die Verwundeten notdürftig versorgt. Damit die Gesundheitsdienste dem Bedarf der Patienten aus den Cantonments und den Gemeinden entsprechen, hat STPP nach und nach Ex-Kombattanten in der Anwendung von Medikamenten, im Gesundheitsmanagement, in der Familienplanung, bei Röntgenanwendungen, Hals-Nasen-Ohren-Behandlungen etc. geschult. Insgesamt haben bisher 1.900 Ex-Kombattanten an diesen und später auch längerfristigen Ausbildungen im Gesundheitsbereich teilgenommen.

Berufliche Bildung wurde im Infrastrukturbereich begonnen. Erste kurze Ausbildungen für Maurer, Klempner, Schreiner und Elektriker wurden durchgeführt, um eine minimale Qualifizierung zu erreichen. Nach bestandener staatlicher Prüfung erhalten die Trainingsabsolventen ein Zertifikat, das nationalen und internationalen Standards entspricht.

Ex-Kombattanten und Gemeindemitglieder wurden ausgebildet und befähigt, Probleme bei der Wasserversorgung – wie z.B. tropfende Wasserhähne, schlechte Wasserqualität während der Monsunzeit, nicht funktionierende Wasserpumpen der Bohrlöcher, undichte Wassertanks sowie defekte Wasserleitungen – zu identifizieren und Abhilfe zu schaffen. Dies gilt auch für die Elektrik in den Cantonments. Die qualifizierten Ex-Kombattanten und Gemeindemitglieder wurden in Instandhaltungs- und Wartungsgruppen organisiert und erhielten auch eine Schulung in der Organisation dieser Arbeiten. Dadurch sind die Cantonments nicht mehr auf Handwerker von außen angewiesen.

Gleichzeitig wurden in 25 Gemeinden für benachteiligte Frauen aus unterschiedlichen niedrigen Kasten partizipative Lernzentren, so genannte »Participatory Learning Center« (PLC) eingerichtet, um auch für die Bevölkerung in den an die Lager angrenzenden Gemeinden verbesserte Lebensbedingungen zu schaffen. In diesen lernen Frauen alltagsbezogene und gesundheitsrelevante Maßnahmen selbst zu identifizieren und umzusetzen. Ein Ergebnis war, dass alle 25 Gruppen ein Mikrosparsystem eingeführt haben, in dem die Frauen sich gegenseitig Kredite für einkommensfördernde Investitionen gewähren. Die PLCs in den Gemeinden werden nun bei der Gründung oder dem Anschluss an bestehende Kooperativen nachhaltig unterstützt. Eine Vernetzung mit nationalen Dachverbänden in diesem Bereich, die die Gruppen weiterhin begleiten sollen, wurde bereits eingeleitet. Bisher wurden neun neue Kooperativen gegründet, drei haben sich bestehenden Kooperativen angeschlossen. Diejenigen, die sich nicht dazu entschlossen haben, sich einer Kooperative anzuschließen oder eine neue zu gründen, weil die Ersparnisse dafür nicht ausreichen, werden als Selbsthilfegruppen weiterhin gefördert. Wichtig ist, dass die Gruppen und Kooperativen einkommensschaffende Maßnahmen – z.B. Gemüseanbau und Tierzüchtung – selbst planen und umsetzen können, um so ihre Einkommensverhältnisse zu verbessern. Hier ist der Lerneffekt besonders ausgeprägt. Die Gründe, die die Maoisten veranlasst haben, den bewaffneten Kampf aufzunehmen und immer mehr benachteiligte Menschen überzeugt haben, sich ihnen anzuschließen, sind auf mangelnde Ausbildung, Ausbeutung, Armut und Kastenwesen zurückzuführen. Insbesondere Frauen waren davon betroffen. Daher verwundert es auch nicht, dass der Anteil der Frauen innerhalb der PLA bei nahezu 40% lag. Die Anzahl der in den Cantonments lebenden Frauen wurde von UNMIN mit 20% angegeben.

Auch in den Gemeinden wurden berufliche Ausbildungen mit abschließendem Zertifikat durchgeführt. Hier gibt es andere Nachfragen, wie z.B. Ausbildungen für Schneider, Gesundheitsarbeiter im Veterinärbereich, aber auch nach den klassischen Berufen wie Schreiner und Elektriker. Insgesamt wurden in dem Projekt beinahe 11.000 Ex-Kombattanten und ca. 2.000 Gemeindemitglieder aus- und fortgebildet.

Gemeinsam lernen für die Zukunft

Alle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen werden als Vorbereitung auf die zukünftige Situation der Ex-Kombattanten angesehen und sollen ihnen später bei der Reintegration ins zivile Leben helfen.

Die Nachfrage nach weiteren Trainingsmaßnahmen hat gezeigt, dass die Ex-Kombattanten am Lernen interessiert sind. Dies wird auch immer wieder von den Ausbildungsinstituten bestätigt. Die maoistischen Ex-Kombattanten werden als lern- und wissbegierig, zuverlässig und diszipliniert beschrieben. So wurden Fortgeschrittenen-Kurse für Computer und Englisch nachgefragt. Auch wollten die Ex-Kombattanten diese Kenntnisse selbst weiter vermitteln. Trainingskurse für Trainer für Englisch- und Computerkurse wurden daher ins Ausbildungsprogramm aufgenommen. Weiter bestand auch Bedarf an Computer-Hardwareausbildung zur Wartung der durch das Projekt bereitgestellten Computer.

Den Ex-Kombattanten wird immer mehr bewusst, dass sie bestimmte Ausbildungen nur machen können, wenn sie auch die entsprechenden Voraussetzungen, d.h. Schulabschluss, dafür mitbringen. Viele hatten keinen Zugang zu Bildung. Dies war eine der Gründe für den bewaffneten Kampf. Diejenigen jungen Leute, die sich der PLA anschlossen, konnten, wenn sie überhaupt zur Schule gingen, keinen Abschluss machen. STPP wurde nun gebeten, die Ex-Kombattanten beim Realschulabschluss zu unterstützen. Dies geschah zwischenzeitlich für mehr als 3.000 Ex-Kombattanten. Auch wurden längerfristige Ausbildungen im Gesundheitsbereich nachgefragt. Ca. 300 Ex-Kombattanten nehmen jetzt an 15-monatigen bzw. dreijährigen Ausbildungen für z. B. medizinisch-technische Assistenten, Laborassistenten etc. teil.

Vor dem Hintergrund, dass Nepal Erdbeben gefährdet ist und es während des Monsuns zahlreiche Überflutungen und Erdrutsche gibt, sind die Ex-Kombattanten hinsichtlich der Ausbildungen sehr innovativ. Ihre Ideen haben dazu beigetragen, das Trainingsangebot immer wieder zu erweitern. Katastrophenhilfe war z.B. eine der Nachfragen. Die maoistischen Ex-Kombattanten wollen bei Naturkatastrophen darauf vorbereitet sein, den Dörfern zu helfen. Hierfür wurden spezielle Ausbildungen konzipiert und durchgeführt.

Auch werden mehr und mehr Interaktionen zwischen den Cantonments und den anliegenden Gemeinden gewünscht. Diese werden zwar vom Vorhaben unterstützt und gefördert, jedoch von den beiden Zielgruppen selbst geplant und durchgeführt. Hier sind der Weltfrauentag, der Welt HIV/AIDS-Tag oder Sport- und Kulturveranstaltungen zu nennen. Auch hier findet ein Lernprozess statt, der auf das spätere Zusammenleben einen positiven Einfluss haben wird.

Friedensbildende Maßnahmen werden hauptsächlich durch konfliktsensitive Ansätze möglich. Bei den Gemeinden ist dies leichter zu bewerkstelligen als bei den maoistischen Ex-Kombattanten.

Wenn man in die Zukunft blickt, weiß man, dass alle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen mit der Wirtschaft verknüpft sein müssen. Dies ist bei den Gemeinden durchaus möglich, für die Ex-Kombattanten stellt das jedoch eine größere Herausforderung dar. Unternehmensförderung oder Schulungen zur Vorbereitung auf eine selbstständige Tätigkeit bzw. Gründung eines Unternehmens werden von der Parteiführung der Maoisten bislang abgelehnt und sind daher bisher nicht möglich. Es gibt jedoch einen regelmäßigen Austausch zu diesem Ansatz. Wohl wissend, dass die erworbenen Kenntnisse später nur angewendet werden können, wenn auch unternehmerische Voraussetzungen bzw. Managementkapazitäten vorhanden sind, denken die Maoisten darüber nach, wie sie ihre Ideologie beibehalten und die doch die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen können. Eine Idee ist, dass die Maoisten in Kooperativen gleiche Interessen verfolgen und Einkommen sichern können.

Blick nach vorn

Das Rehabilitierungsprogramm sollte an den Wünschen und Bedürfnissen der maoistischen Ex-Kombattanten anknüpfen, gleichzeitig aber nachfrageorientiert angelegt sein. Letzteres allerdings ist ein Problem: Der Arbeitsmarkt in Nepal hat lediglich begrenzte Möglichkeiten für diese Zielgruppe. Eine erste Marktuntersuchung hat ergeben, dass es zwar Chancen für maoistische Ex-Kombattanten gibt, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Es wurde aber auch klar, dass weitergehende Aus- und Fortbildungen durchgeführt werden müssen, um das Niveau für offene Stellen auf dem Arbeitsmarkt mit den damit verbundenen Lohnforderungen erreichen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass in Unternehmen Befürchtungen bestehen, die Beschäftigung von Ex-Kombattanten könnte die Arbeitsatmosphäre vergiften und Unruhe in die Unternehmen bringen. Auch wird eine Stärkung der maoistischen Gewerkschaften befürchtet. Trotz aller Bedenken gibt es – zumindest in den Wirtschaftsverbänden – ein großes Interesse, am Friedensprozess aktiv mitzuwirken. Und auch einzelne Unternehmer signalisieren trotz aller Vorbehalte die Bereitschaft, maoistische Ex-Kombattanten in ihr Unternehmen aufzunehmen. Der Bedarf in einigen Sektoren wie z.B. Infrastruktur, Gesundheit und Sozialarbeit, Tourismus und verarbeitende Landwirtschaft ist groß. Dennoch wiegen die Befürchtungen seitens der Unternehmer schwer.

Alle bisher durchgeführten Maßnahmen waren nur möglich durch fortwährende Verhandlungen. Flexibles Vorgehen und ständiges Anpassen sind die Grundvoraussetzungen, damit Angebot und Nachfrage nach Lernen und Qualifikation den größtmöglichen Nutzen erzielen. »Lessons learnt« und gute Praktiken helfen dabei. So konnten auch weitere Akteure für den Friedensprozess gewonnen werden wie z.B. die Privatwirtschaft oder weitere Geber.

Bildung und berufliche Ausbildung dienen der Vorbereitung und besseren Qualifizierung der Ex-Kombattanten auf ein Zivilleben. Dies wird auch von den Gebern und der Regierung so verstanden. Ein Vorhaben wie STPP kann die große Nachfrage nach Bildung und Ausbildung nicht abdecken. Deshalb ist es wünschenswert, dass sich weitere Geber und Organisationen im Friedensprozess engagieren und alle Ansätze gut koordiniert werden.

Der Friedensprozess kommt nur sehr langsam voran. Nepal befindet sich in einer Phase, in der die Parteien mit ihren eigenen Schwierigkeiten beschäftigt sind. Nach der Wahl des neuen Premierministers im Februar 2011 bilden CPN-UML (Communist Party of Nepal – Unified Marxist Leninist) zusammen mit den Maoisten eine Regierungskoalition. Ursprünglich war beabsichtigt, eine Konsensregierung zu bilden, in der alle wichtigen Parteien vertreten sind. Diese kam jedoch nicht zustande, weil die Differenzen hinsichtlich der Forderungen zu Integration und Rehabilitierung und der Inhalte der zu verabschiedenden Verfassung unüberwindbar scheinen.

Das Schicksal der Ex-Kombattanten ist direkt mit der zu verabschiedenden Verfassung verknüpft. Deshalb schauen alle darauf, wie sich die Parteien in diesen Punkten einigen werden.

Wenn man rückblickend betrachtet, wie es zum bewaffneten Konflikt gekommen ist und welche Schlüsselfaktoren dafür verantwortlich waren, wird jedem klar, dass ohne aktive und gezielte Einflussnahme der Regierung auf den Friedensprozess dieser ständig gefährdet wäre. Die Aussicht, dass junge Menschen ohne Chance auf Arbeit und ein Einkommen wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, könnte zu Gewalt und Instabilität führen. Deshalb muss der Teufelskreis von Armut, Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit durchbrochen werden. Lernen und Qualifikation gibt den Menschen eine Chance, ihr Leben zu meistern und ein eigenes Einkommen zu erzielen.

Anmerkungen

1) Die Bundesrepublik Deutschland leistet über das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen personellen und finanziellen Beitrag zum nationalen Friedensfonds Nepals (NPTF). Der NPTF erhält Mittel von der nepalesischen Regierung, hauptsächlich aber von europäischen bilateralen Gebern. Projekte, die zum Friedensprozess beitragen sollen, werden hieraus finanziert. Darüber hinaus gibt es auch einen Friedensfonds der Vereinten Nationen sowie weitere Unterstützungsleistungen anderer multilateraler und bilateraler Geber.

Heidi Gutsche arbeitet für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und leitet das Vorhaben »Unterstützung von Maßnahmen zur Stärkung des Friedensprozesses« seit Januar 2010. Der Artikel gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder.

Friedensdienst als Menschenwerk

Friedensdienst als Menschenwerk

Der Zivile Friedensdienst in Nepal

von Carola Becker

Der Zivile Friedensdienst (ZFD) ist ein ungewöhnliches Instrument. Zumindest finden dies manche der bestehenden oder potentiellen Partnerorganisationen in Nepal. Eher bekannt und weiter verbreitet ist finanzielle Unterstützung verschiedener Geber zu bestimmten Themen mit spezifischen Anforderungen, wobei die Partner als Durchführer oder Dienstleister ausgesucht werden. Personelle Zusammenarbeit, außer vielleicht in Form von zeitlich begrenzten Consultant-Einsätzen, ist eher unbekannt. Die Vorstellung, »ausländische Fremdkörper« in die eigene Mitte aufzunehmen, scheint vielen – insbesondere staatlichen Partnern – nicht nur auf den ersten Blick seltsam, fast bedrohlich. Die Organisationen, die sich trotz aller anfänglichen Zweifel auf diese Zusammenarbeit eingelassen haben, sind später in der Mehrheit positiv überrascht. Lerneffekte gibt es viele – für alle Beteiligten.

Der Zivile Friedensdienst

Ins Leben gerufen vor allem als gewaltfreie Alternative zu Militäreinsätzen, besteht der Zivile Friedensdienst (ZFD) als Instrument offiziell seit 1999. Alle Projekte des ZFD werden vom Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geprüft und nach Genehmigung finanziert. Projekte beantragen können acht anerkannte Trägerorganisationen:

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)

Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH)

Christliche Fachkräfte International (CFI)

Deutscher Entwicklungsdienst (DED), seit dem 1. Januar 2011 aufgegangen in der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)

EIRENE – Internationaler Christlicher Friedensdienst

Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD)

Weltfriedensdienst (WFD)

Manche dieser Träger kooperieren wiederum mit anderen Organisationen, wodurch das Netz noch erweitert wird. Zusammengehalten und organisiert sind die verschiedenen Träger über das Konsortium Ziviler Friedensdienst.

Ziel des ZFD ist es dazu beizutragen, Konflikte gewaltfrei zu behandeln, Gewalt zu reduzieren oder ganz zu verhindern und positiven Frieden zu fördern. Kern des ZFD ist die Entsendung von Friedensfachkräften. Diese arbeiten im Land oft eng mit einheimischen Fachkräften zusammen, die auch über das jeweilige ZFD-Projekt finanziert werden.

Der ZFD arbeitet im Rahmen von sieben Handlungsfeldern:

Aufbau von Kooperations- und Dialogstrukturen über Konfliktlinien hinweg (einschließlich Stärkung traditioneller Schlichtungsinstanzen)

Schaffung von Anlaufstellen und gesicherten Räumen für Unterstützung und Begegnung von Konfliktparteien

Stärkung von Informations- und Kommunikationsstrukturen zum Thema »Ursachen und Auswirkungen gewaltsamer Konflikte« (u.a. Friedensjournalismus, Vernetzung, Monitoring von Konfliktverläufen)

Reintegration und Rehabilitation der von Gewalt besonders betroffenen Gruppen (einschließlich Maßnahmen der psychosozialen Unterstützung/Traumabearbeitung)

Beratung und Trainingsmaßnahmen zu Instrumenten und Konzepten ziviler Konfliktbearbeitung sowie beim Aufbau von Strukturen

Friedenspädagogik (einschließlich Bildungsmaßnahmen zum Abbau von Feindbildern)

Stärkung der lokalen Rechtssicherheit (Beobachtung der Menschenrechtssituation, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, Aufbau und Stärkung lokaler Institutionen)

Pro Land sind im Schnitt zehn Fachkräfte im Einsatz (plus zehn Einheimische Fachkräfte). Natürlich ist es schwierig, mit so einer kleinen Zahl an Personal und auch nur begrenzten Projektmitteln weit reichende Wirkungen zu erzielen und dazu auch noch schnell sichtbar und möglichst messbar. Dennoch hat sich der ZFD in den letzten elf Jahren bewährt und wird zunehmend von Partnern nachgefragt. Die Veröffentlichung einer umfassenden Evaluierung des Instruments steht in den nächsten Monaten an.

Ausführlichere Informationen finden Sie auf www.giz.de/zfd und www.ziviler-friedensdienst.org.

Carola Becker

In Nepal gibt es viele Gründe für einen Einsatz des ZFD: Ein Jahrhunderte altes diskriminierendes Kastensystem, das laut Gesetz nicht mehr bestehen soll, das aber weiterhin als Tradition überlebt; knapp hundert verschiedene ethnische Gruppen mit vielen eigenen Sprachen; extreme Benachteiligung großer Teile der Bevölkerung (Frauen, ethnische Gruppen, niederen Kasten angehörende oder kastenlose Personen); das Fortwirken von feudalistischen Strukturen und Privilegien, wirtschaftliche Rückständigkeit und Abhängigkeit; ein zehnjähriger maoistischer Aufstand, der 2006 mit einem Friedensabkommen beendet wurde, das allerdings bisher in vielen Punkten nicht umgesetzt wurde. Eine neue demokratische und föderale Republik ist im Aufbau. Gerade bei letzterem wirken alte (Kasten) und neue Antagonismen (ethnischer Föderalismus) als sich gegenseitig bestärkende Hemmnisse. Nach dem Bürgerkrieg konnte bislang keine stabile Regierung gebildet werden, die Verabschiedung der Verfassung bleibt ungewiss. Das Konsensgebot der provisorischen Verfassung verhindert bislang die Aushandlung tragfähiger politischer Kompromisse, jeder scheint jeden blockieren zu wollen. Die Ursachen des gewalttätigen Konfliktes werden in der Politik meist ausgeblendet. Dazu kommen Straflosigkeit und Patronage, verbunden mit sich in zivilem Ungehorsam übenden Gruppierungen polit-krimineller Natur, die das schon arme Land wirtschaftlich und sozial beschädigen. Insgesamt also schier unbegrenzte Ansatzmöglichkeiten für Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung.

Der ZFD soll in jedem Land in nicht mehr als zwei Handlungsfeldern agieren. Keine leichte Entscheidung bei so viel Bedarf – wo ansetzen: an der Aufarbeitung der Vergangenheit, an der Vermeidung weiterer Konflikte, an den nach wie vor bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten? Am besten scheint eine geschickte Kombination, um konzentriert zu agieren und umfassende Wirkungen zu erzielen. Die in Nepal festgelegten Handlungsfelder sind »Beratung und Trainingsmaßnahmen zu Instrumenten und Konzepten ziviler Konfliktbearbeitung sowie beim Aufbau von Strukturen« und »Stärkung der lokalen Rechtssicherheit (Beobachtung der Menschenrechtssituation, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, Aufbau und Stärkung lokaler Institutionen)«. Beide haben sich bisher gut bewährt.

Das ZFD Programm in Nepal mit dem Titel »Systematische Stärkung und Vernetzung lokaler und nationaler Friedenspotenziale in der Post-Kriegsphase« läuft seit 2008. Allgemein beabsichtigt der ZFD Veränderungen von Verhalten, Strukturen und Prozessen. Das ZFD-Programm der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Nepal will durch seine Maßnahmen zur Verringerung von struktureller Gewalt und Diskriminierungen beitragen: Individuelle, soziale und politische Konflikte sollen in Zukunft zunehmend auf konstruktive und transformative Weise bearbeitet werden. Der Zugang zu einem funktionierenden Rechtssystem soll sich verbessern. Zielgruppe ist die gesamte nepalische Bevölkerung, insbesondere diskriminierte und marginalisierte Gruppen.

Maßnahmen des ZFD in Nepal

Momentan arbeiten sieben internationale und drei nationale Fachkräfte beim ZFD der GIZ in Nepal. Eine weitere Fachkraft ist von der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) geschickt, zwei Stellen sind über die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) in Kooperation mit der Kurve Wustrow und drei weitere mit Peace Brigades International (PBI) im Land. Die Stellen über die Kurve Wustrow sind im Bereich der Beratung in Ziviler Konfliktbearbeitung angelegt, während PBI sich auf die Begleitung von Menschenrechtsaktivisten/innen spezialisiert.

Die Fachkräfte der GIZ konzentrieren sich auf die Stärkung der Kapazitäten in Ziviler Konfliktbearbeitung und die Unterstützung beim Zugang zu Recht. Sie tragen damit im weitesten Sinne zur Stärkung der Menschenrechte und dem Wunsch der bislang Ausgeschlossenen nach einer gerechteren Gesellschaft bei.

Im ersten Bereich kooperieren ZFD-Fachkräfte mit nepalesischen Partnerorganisationen, die selbst im Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung aktiv sind. Es geht hier vor allem um das Training von bestimmten Methoden und Kapazitäten, wie zum Beispiel Mediation, Konfliktanalyse, Konflikttransformation oder Konfliktsensibilität, kombiniert mit einem gewissen (je nach Partner unterschiedlich starken) Anteil an Organisationsentwicklung. So wird sichergestellt, dass nicht nur die inhaltlichen Fähigkeiten unterstützt werden, sondern auch die administrativen und organisatorischen, die dringend notwendig sind, um Personal und andere Ressourcen effektiv und sinnvoll zu nutzen.

Seit 2008 unterstützen beispielsweise eine Friedensfachkraft und eine Einheimische Fachkraft das Forum for the Protection of People’s Rights Nepal (PPR). PPR ist eine Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Katmandu, die sich in den Bereichen Friedensförderung, Menschenrechte und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit engagiert. Als erste Partnerorganisation im ZFD sah sich PPR zunächst als Ausführer des Programms. So waren sie es von verschiedensten ausländischen Institutionen gewöhnt, mit denen sie bis dahin zu tun hatten. Trotz ausführlicher Vorgespräche kam die Botschaft, in ihrer Mitte und gemeinsam mit ihnen werde eine Fachkraft arbeiten, nicht an. Und da war nun plötzlich der junge Mann Anfang 30 mit einer großen Portion Enthusiasmus, Hintergrund in der Friedensforschung und vorheriger Nepalerfahrung. Wohin mit ihm? Wie ihn vorstellen? Was mit ihm besprechen? Will er uns kontrollieren? Wollen wir ihn überhaupt? Was kann er denn anbieten? Mit diesen und ähnlichen Fragen überhäuften der Direktor der Partnerorganisation und sein Stellvertreter den damaligen ZFD-Koordinator. Der wiederum wunderte sich: „Das hatten wir doch alles im Detail besprochen.“ Es war klar, theoretische Vorgespräche sind eines, die Realität dann doch wieder ganz anders, die Erwartungen auf allen Seiten unterschiedlich, aber, wie sich nach ersten Monaten der vorsichtigen Annäherung herausstellte, keineswegs unvereinbar.

Unter anderem nutzte PPR die ZFD-Unterstützung für seinen Strategiebildungsprozess, gefolgt von einem einjährigen modularen Mediationstraining für PPR-Mitarbeiter/innen und eine Gruppe von 20 Mediator/innen aus ganz Nepal.

Traditionell war und ist in Nepal Schlichtung als Konfliktbearbeitungsmethode verbreitet. Wie in anderen Ländern auch, üben die Dorfältesten eine Art von Richterrolle aus. Oft funktioniert diese Methode gut und wird von allen Beteiligten akzeptiert. Dennoch wird in den letzten Jahren der Ansatz von Mediation zunehmend bekannt. Vor allem Frauen und Angehörige niedriger Kasten sehen ihre Interessen besser vertreten von Mediator/innen, die sie selbst auswählen können. Allerdings verwechseln viele Mediator/innen ihre Rolle mit der von Schlichtern. Die Idee, Konfliktparteien so anzuleiten, dass sie selbst zu annehmbaren Lösungen kommen, ist noch relativ neu. Hier liegt ein starker Fokus der angebotenen Trainings. Wichtig ist auch, über den eigenen Status als Mediator/in zu reflektieren. Aufgrund des überall präsenten Kastensystems ist es sehr schwierig, sich von Vorurteilen gegenüber niedrigeren (und auch höheren Kasten) freizumachen. Diese müssen von den Mediator/innen zuerst erkannt, dann akzeptiert und verändert werden. Dies ist ein langwieriger Prozess, der weit über den Mediationsansatz hinausgeht. Hier wird als Nebeneffekt an eingefahrenen Strukturen gearbeitet. Allein schon ein gemeinsames Training in einem Raum ist für viele neu und gewöhnungsbedürftig.

Ein relativ neuer Partner des ZFD-Programms ist die Organisation Forum for Protection of Public Interest (ProPublic). ProPublic ist eine renommierte Nichtregierungsorganisation mit Fokus auf »gute Regierungsführung«, Umweltthemen und Konfliktbearbeitung. Die Friedensfachkraft soll gemeinsam mit der einheimischen Fachkraft ab Mitte 2011 das Mediationsprogramm von ProPublic in verschiedenen Distrikten Nepals planen und durchführen. Ob die vielen Gespräche und die gemeinsame Prüfung der geplanten Zusammenarbeit (viele Vorbereitungstreffen, die in einem umfassenden Prüfbericht alle Aspekte der Kooperation festhalten) ausreichen, um Missverständnissen vorzubeugen, muss sich noch zeigen.

Eine weitere Maßnahme im ZFD-Programm ist die »Regionale Konfliktbearbeitung« für Multiplikator/innen im Konfliktbereich, zum Beispiel Mediator/innen, Menschenrechts- oder Frauenaktivist/innen und Mitglieder der lokalen Friedenskomitees. Die Trainings werden in Kooperation mit verschiedenen Partnerorganisationen im ganzen Land angeboten und durchgeführt. Hier ist die Situation anders – nicht eine feste Partnerorganisation, sondern viele, meist sehr kleine an abgelegenen Orten. Dennoch gibt es auch hier genug Raum für Missverständnisse und auseinander klaffende Erwartungen. Selbst an die von der Hauptstadt weit entfernten Orte (oft nur in zwei Reisetagen zu erreichen) ist die Erwartung der uneingeschränkten finanziellen Unterstützung vorgedrungen. Auch hier kommt immer wieder Verwunderung auf, wenn die Fachkräfte eine Zusammenarbeit vorschlagen.

Zwei Friedensfachkräfte und eine einheimische Fachkraft sind in dieser Maßnahme tätig. Nach der Auswahl von Organisationen zur Zusammenarbeit werden Reihen von unterschiedlichen Trainings gemeinsam geplant und durchgeführt. Die Trainings sind alle partizipativ ausgerichtet und integrieren die persönlichen und beruflichen Erfahrungen der jeweiligen Teilnehmer/innen. Ausgesucht werden letztere von den Partnerorganisationen, aber zuerst werden Auswahlkriterien gemeinsam mit den Fachkräften festgelegt. Inklusion ist hier ein wichtiges Schlagwort. Das bedeutet, Frauen sollen an den Trainings teilnehmen. Das ist an vielen Orten noch immer sehr ungewöhnlich. Auch die gemeinsame Teilnahme von Angehörigen unterschiedlicher Kasten ist oft sehr schwierig und für alle Beteiligten eine neue Erfahrung. Der Fokus der Trainings liegt auf der Stärkung von konstruktiven Rollen in lokalen und übergreifenden Konflikten und auf der Verbreitung gewaltfreier Konfliktbearbeitung, um so zu sozialem Wandel in den jeweiligen Heimatregionen der Teilnehmer/innen beizutragen.

Je nach den Interessen und Hintergründen der Zielgruppen werden Mediationstrainings oder andere, vielfältige und angepasste Methoden angeboten, um Raum zur kritischen Reflektion über Gewalt und Frieden zu geben. Unter anderem dient auch das Forumtheater als Werkzeug zum Anstoß von öffentlichem Dialog über Konfliktsituationen. Laienschauspieler/innen spielen auf einer Bühne im Ort Konflikte unterschiedlichster Art, von häuslicher Gewalt über problematische Landrechte bis zu politischen Interessenskonflikten. Kurz vor der Eskalation des Konflikts wird das Stück angehalten und das Publikum befragt, wie die Situation weitergehen sollte oder könnte. Verschiedene Vorschläge werden von den Zuschauer/innen eingebracht und dann auf der Bühne umgesetzt. Verschiedene Entwicklungen einer Konfliktsituation werden so ausprobiert und diskutiert. Angeleitet werden die Einbeziehung des Publikums und der weitere Verlauf des Stücks von einer oder einem der Schauspieler/innen, dem so genannten Joker. Vorbereitet wird das Stück in einem mehrtägigen Workshop, angeleitet von der Friedensfachkraft. Welche Konflikte gespielt werden sollen, entscheiden die Teilnehmer/innen, sie stellen auch den Joker.

Die meisten der Trainings sind als längere Prozesse angelegt. Es soll immer ausreichend Raum und Zeit gegeben sein zur Selbstreflexion sowie zur kritischen Betrachtung von existierenden sozialen Normen und Werten, von Vorurteilen und Diskriminierungsmechanismen im alltäglichen Leben. Die Selbstreflexion ist gleichzeitig einer der schwierigsten, jedoch auch wichtigsten Aspekte der Trainings. Nur wenn sich an den Denkstrukturen etwas ändert, kann das Verhalten beeinflusst werden, und nur so können sich langfristig eingefahrene Strukturen wandeln.

Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte

Ein anderer, nicht weniger wichtiger Bereich des ZFD ist die Förderung von Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten. Straffreiheit ist ein ernstes Thema in Nepal. Verantwortliche für schwere Menschenrechtsvergehen während der Zeit des bewaffneten Konflikts haben bisher weitestgehend Straffreiheit genossen. Bis Anfang 2011 wurden keine Täter für Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Gleichzeitig gibt es noch immer mehr als 1.300 Vermisste und Tausende seelisch und körperlich Verletzte. Alle haben das Recht auf Wissen, auf Wiedergutmachung und letztlich auf Versöhnung.

Noch steht die lange geplante Gründung einer »Truth and Reconciliation Commission« aus und geht in allgemeinen politischen Querelen unter. Eine ZFD-Maßnahme unterstützt aber die Untersuchungen massiver Menschenrechtsverletzungen. Ein Experte arbeitet im Rahmen des ZFD-Programms mit der National Human Rights Commission Nepal (NHRC) und fördert die Mitarbeiter/innen im Bereich der forensisch-anthropologischen Untersuchungen sowie bei der Aufklärung von außergerichtlichen Tötungen und den Schicksalen von Vermissten.

Hier war die Lage anders als bei den übrigen Maßnahmen. Es war für die Partner von Anfang an eindeutig, warum sie die Fachkraft brauchen, was sie erreichen möchten, welcher Bedarf ansteht. Dennoch fehlte es auch hier nicht an unterschiedlichen Erwartungen. Die Menschenrechtskommission erwartete zwar keine finanzielle Förderung, sah sich auch nicht als Durchführer des ZFD-Programms in Nepal, betrachtete aber die Mitarbeit der Fachkraft mit einer großen Portion Skepsis: Ist dies ein Spion? Will er unsere Bücher kontrollieren? Spricht er etwa für alle ausländischen Geldgeber? Hier half nur die außerordentliche Expertise der ZFD-Fachkraft. Er bringt langjährige Erfahrung aus anderen Ländern mit und kann Fachwissen anbieten, das es in Nepal nicht gibt, das aber dringend gebraucht wird. Plagen muss sich die Fachkraft jetzt »nur« mit politisch bedingten Verzögerungen in den Aufklärungsarbeiten.

Konkrete Wirkungen können alle ZFD-Maßnahmen vorweisen. Vor allem der partizipative Ansatz, auch das Bestehen auf inklusiver Zusammenarbeit und natürlich das Vermitteln kreativer Methoden und spezifischen Fachwissens stärken lokale Kapazitäten, verändern Denkansätze, Verhalten und, ganz langsam und ansatzweise, auch Strukturen.

Kooperation mit GIZ-Programmen

Seit einigen Monaten hat der ZFD Nepal eine Fachkraft für Konfliktsensibilität zur Beratung der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit, ein sehr spannendes und wichtiges Feld, wenn auch nicht typisch für den ZFD und nicht wirklich Teil des Instruments. Der ZFD arbeitet an Konflikten (working on conflict), der Ansatz der Konfliktsensibilität bezieht sich auf Vorhaben in Konfliktgebieten (working in conflict). Ob Teil des Instruments oder nicht, der Ansatz der Konfliktsensibilität ist extrem wichtig und sinnvoll. Hier zeigt sich ganz klar, dass es anfängliche Unsicherheiten oder Bedenken auch zwischen deutschen Vorhaben geben kann. „Sollen wir nun kontrolliert werden, das haben wir doch schon alles im Blick, wir kennen unsere Wirkungen und Einflüsse.“ Solche und ähnliche Reaktionen gibt es manchmal anfangs, wenn es darum geht, die einzelnen Programme, Projekte, Maßnahmen oder Vorhaben konfliktsensibel (oder konfliktsensibler) auszurichten. Letztendlich geht es vor allem um Reflexion der Arbeit über die geplante und beabsichtigte Arbeit selbst hinaus. Da hilft es gelegentlich, anzuhalten und kritisch zu überprüfen, mit Hilfe eines Blicks von außen, ob nicht vielleicht ungewollte und unbeabsichtigte Wirkungen entstehen.

Bewährt hat sich in Nepal auch der enge Austausch und teils die direkte Kooperation mit anderen Programmen der Entwicklungszusammenarbeit. Ein Beispiel hierfür ist Support to the Peace Process (STPP), ein großes Programm der früheren GTZ in den so genannten »Cantonments« (Internierungslager oder groß angelegte Wartezentren für die ehemaligen maoistischen Kämpfer/innen). Mitarbeiter/innen in neu angelegten Bildungszentren werden in Konflikttransformation ausgebildet. Neu angewendet wird jetzt auch hier die Methode des Forumtheaters, das bisher extrem gut angenommen wird.

Ausblick

In Zukunft ist geplant, die Zusammenarbeit mit den anderen GIZ-Programmen zu verstärken, auch um mehr Friedensfachkräfte in abgelegenen Regionen anzusiedeln. Mehr Fokus auf Versöhnungsarbeit steht in den nächsten Jahren an und wird vom nepalesischen Ministerium für Frieden und Wiederaufbau angefragt. Unentschieden sind zwar die politische Situation und der weitere Konfliktverlauf, klar hingegen ist der starke Bedarf an Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung, wie der ZFD sie anbietet. Mit einer größeren Anzahl Fachkräfte und einer vermehrten engen Zusammenarbeit aller Vorhaben, werden sich auch die angestrebten Wirkungen noch besser erzielen lassen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mit der richtigen Herangehensweise, einer intensiven Vorbereitung aller Beteiligten und genug gutem Willen von allen Seiten die Erfahrungen im ZFD außerordentlich positiv sind. Festgefahrene Strukturen können in Frage gestellt oder aufgeweicht werden. Sowohl Mitarbeiter/innen der lokalen Partnerorganisation als auch die Fachkräfte können von der Zusammenarbeit immens profitieren. Dies dauert manchmal etwas, es braucht eine gewisse Gewöhnungsphase, Geduld und Empathie. Für beide Seiten mag diese höchst intensive Art der personellen Zusammenarbeit neu und ungewohnt sein, aber wenn genug Offenheit und Neugier vorhanden ist, klappt das in den meisten Fällen. Natürlich werden alle Beteiligten »vorgewarnt«: die Partner in langwierigen, ausführlichen und detaillierten Prüfungen, die Fachkräfte in Auswahlverfahren und umfassenden Vorbereitungen. Dennoch ist die Realität letztendlich immer wieder ganz anders. So bleibt es spannend. So wird aus einem Instrument Menschenwerk.

Carola Becker ist Politologin und seit 2005 beim ZFD tätig. Von 2005 bis 2008 unterstützte sie als Friedensfachkraft eine palästinensische Organisation in Bethlehem. Von 2008 bis 2010 arbeitete sie als ZFD-Koordinatorin beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Ramallah. Seit April 2010 ist Carola Becker ZFD-Koordinatorin in Nepal. Vor ihrer Zeit beim ZFD arbeitete sie für eine US-amerikanische Organisation in Projekten der Friedensförderung im Nahen Osten.

Frieden durch zivile Konfliktbearbeitung?

Frieden durch zivile Konfliktbearbeitung?

Herausforderungen für Evaluierung und Wirkungsanalyse

von Martin Quack

Egal wie Konflikte zivil bearbeitet werden – dies reicht von Traumaarbeit mit Gewaltopfern bis hin zu Gewaltprävention durch Gemeinwesenarbeit – irgendwann stellt sich die Frage, inwieweit es gelingt, Frieden tatsächlich zu fördern. In anderen Politikbereichen gibt es schon längere Erfahrungen mit Evaluation, von denen zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) lernen kann, und die um spezifische Aspekte der ZKB erweitert werden müssen.

Funktionen von Evaluationen

Funktionen von Evaluationen

Evaluationen können aus vielen Gründen hilfreich sein, nicht allein wirtschaftliche Effizienzgründe müssen sich dahinter verbergen: Die Beteiligten lernen viel über die eigene Arbeit und können herausfinden, ob sie ihre Ziele wirklich erreichen. Evaluationen können dazu dienen, Rechenschaft gegenüber den Betroffenen, aber auch den politisch Verantwortlichen abzulegen. Außerdem können mit Hilfe von Evaluationen laufende Projekte und Programme verbessert werden – sie können wirkungsvoller ausgestaltet werden. (Funktionen von Evaluationen siehe Kasten)

In der Praxis haben Evaluationen oft auch taktische Funktionen, die Evaluationen in Misskredit bringen. Um Missbrauch von Evaluationen zu verhindern, müssen die allgemein anerkannten Standards für Evaluationen ernst genommen werden, nach denen Evaluationen vier grundlegende Eigenschaften aufweisen sollen: Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit. Diese Eigenschaften werden in 25 Einzelstandards genauer gefasst (DeGEval 2008).

Herausforderung Evaluation

Für die Beurteilung von Interventionen der ZKB stellen sich eine Reihe von Herausforderungen, insbesondere wenn Wirkungen analysiert werden.

Zunächst sind sehr unterschiedliche Wirkungsverständnisse in Gebrauch: Von der Erreichung eines Projektziels über eine langfristige Veränderung der Lebensverhältnisse der Zielgruppen bis zu einem kontrafaktischen Verständnis, nach dem als Wirkung jedes Geschehen gilt, das ohne ein anderes Geschehen, die Ursache, nicht stattfände. Häufig werden bereits durch ein enges Wirkungsverständnis unbeabsichtigte Wirkungen (positive wie negative) und erhaltende Wirkungen (die nicht als Veränderungen sichtbar werden) übersehen.

Zivile Konfliktbearbeitung soll auf Konflikte wirken, die häufig ganze Staaten oder Regionen prägen. Bei den Interventionen der zivilen Konfliktbearbeitung handelt es sich aber in der Regel gemessen an personellem und finanziellem Umfang um sehr kleine Interventionen, die nur einen winzigen Bruchteil anderer wirtschaftlicher und politischer Interventionen ausmachen.

Die zivile Konfliktbearbeitung hat kurz-, mittel und langfristige Wirkungen. Es lassen sich aber immer nur die Wirkungen bis zum Zeitpunkt der Analyse untersuchen, über mögliche spätere Wirkungen kann nur mehr oder weniger gut begründet spekuliert werden.

Ein großes Problem bei der Zuordnung von Wirkungen zu bestimmten Ursachen sind konkurrierende unabhängige Variablen (andere mögliche Ursachen), die nur selten konstant bleiben: endogener Wandel (z.B. interne Veränderungen von Organisationen), exogener Wandel (z.B. wirtschaftlicher Wandel) oder Ereignisse (z.B. Infrastrukturmaßnahmen). Haben die Teilnehmer eines bestimmten Projekts ihr Verhalten wegen des Projekts verändert oder gibt es dafür ganz andere Gründe?

Um solche Wirkungen nachzuweisen werden in den Naturwissenschaften und in der Medizin häufig Experimente oder Untersuchungen mit Kontrollgruppen (z.B. der Vergleich von Menschen, die an einem bestimmten Projekt teilgenommen haben mit anderen, die nicht teilgenommen haben) durchgeführt. Solche Untersuchungen sind in der Konfliktbearbeitung häufig aus praktischen und/oder ethischen Gründen nicht möglich. Stattdessen sind Wirkungsanalysen häufig auf die Messung von Veränderungen im Zeitverlauf und auf die Wirkungsüberzeugungen beteiligter Akteure angewiesen.

Bisher gibt es keine allgemein anerkannten Indikatoren für die Wirkungsweise der ZKB. Ob eine Wirkung in einem Konflikt als friedensfördernd angesehen wird, hängt u.a. auch vom politischen Standpunkt und der damit verbundenen Vorstellung von Frieden ab. Umso wichtiger ist es, die normativen Kriterien der Bewertung von Wirkungen offenzulegen.1 Die Perspektiven und Schlussfolgerungen der Betroffenen sind u.U. ganz andere als die der »Intervenierenden« und Evaluierenden. Partizipation soll hier integrierend wirken, ein Prinzip, das oftmals aber eher vage bleibt.

Zu vielen ZKB-Interventionen gibt es nur unvollständige Dokumentationen und Daten. Diese sind zudem häufig subjektiv und/oder vertraulich. Die Methoden, mit denen sie erhoben wurden, sind oft unklar, Evaluationen oft nicht extern zugänglich. Die Arbeitsweise in der ZKB erschwert einfache Messungen und Datendokumentation, forschungstechnische Probleme wie notwendiges multidisziplinäres Fachwissen, Regional- und Sprachkenntnisse kommen hinzu.

Verfahren

In einer Evaluation können niemals alle Aspekte untersucht, alle Wirkungen analysiert werden. Deshalb sind Modelle notwendig, die den Blick auf das Wesentliche lenken. Die Modelle basieren zumeist auf Wirkungsketten, zunehmend werden auch Elemente »systemischer« Konzepte integriert. Ein Beispiel hierfür ist eine Evaluation eines Projekts des Zivilen Friedensdienstes zur Stärkung der südafrikanischen Friedensorganisation »Sinani« durch die Berghof Foundation for Peace Support: „[Es] wurde eine Methode für die Evaluierung entwickelt, die auf systemischem Denken und systemischen Konzepten basiert, da diese gut mit Grundkomponenten afrikanischer Kultur harmonieren und zudem auch einen wesentlichen Bestandteil des konzeptionellen Ansatzes von Sinani darstellen. Die Evaluierung versteht sich als ein zyklischer und organischer Prozess von Aktion und Reflektion, in dem gemeinsames Lernen im Vordergrund steht. Ein Hauptziel dieser Methode ist es, die Kapazität von Sinani zu fördern, selbst die eigenen Stärken und Schwächen zu identifizieren und zu verstehen und Ideen für die weitere Entwicklung zu generieren“ (Körppen et al 2008: V).

Den oben genannten Herausforderungen stehen verschiedene etablierte, teilweise spezifisch für die Konflikttransformation entwickelte Verfahren zur Evaluation und Wirkungsanalyse gegenüber. Einige davon – mit jeweils unterschiedlichen Zielen – werden im Folgenden beispielhaft vorgestellt.

Do No Harm

Das inzwischen weit verbreitete Verfahren »Do No Harm« (DNH) soll dazu dienen, die negativen Wirkungen von Interventionen auf gewaltträchtige Konflikte zu minimieren: Jede Intervention in einem Konfliktkontext wirkt sich auf den Konflikt selbst aus, sie wird Teil des Konflikt-Kontextes. Diese Wirkungen sind oft ungeplant und unbedacht. Mit Hilfe des Verfahrens werden beispielsweise die Auswirkungen von Ressourcentransfers oder der impliziten ethischen Botschaften der Intervention analysiert. Sowohl die Wirkungen auf die »dividing factors« und die »sources of tension« in einem Konflikt als auch die »connecting factors« und die »local capacities of peace« werden untersucht. Durch die Eröffnung von Handlungsoptionen sollen negative Wirkungen minimiert und positive verstärkt werden. Maßgeblich für die Identifizierung von Wirkungszusammenhängen ist dabei die subjektive Einschätzung der Akteure.

Peace and Conflict Assessment

»Peace and Conflict Assessment« (PCA) ist ein Verfahren, das den Anspruch erhebt, einen umfassenden Rahmen zur Planung und Evaluation von Interventionen in Konfliktgebieten zu liefern. Die Wirkungsanalyse ist ein Anwendungsgebiet des Verfahrens. Im Vordergrund stehen Wirkungen auf den gesellschaftlichen Meso- und Makroebenen. Prinzipiell sollen alle relevanten Wirkungen erfasst werden: geplante und ungeplante, direkte und indirekte. PCA setzt sowohl auf (mehr oder weniger) objektive Monitoringdaten als auf subjektive Einschätzungen derjenigen Akteure, die an dem Verfahren beteiligt sind (partizipative Wirkungsbeobachtung). Das Verfahren ist in sich geschlossen, ermöglicht aber die Integration anderer Elemente, z.B. von »Do No Harm«. Idealerweise sollte PCA in den Projektzyklus integriert werden. Aufgrund seines Umfangs ist es für kleinere Interventionen weniger geeignet.

Reflecting on Peace Practice

Seit 1999 arbeiten über 100 internationale und lokale Friedensorganisationen und -initiativen im Projekt »Reflecting on Peace Practice« (RPP) zusammen. Die darin erarbeiteten Effektivitätskriterien sollen Wirksamkeit auf der Makroebene (Peace Writ Large) belegen. RPP liefert weitere Erkenntnisse, die für die Untersuchung von ZKB wichtig sind: Prinzipien zu Partnerschaften zwischen Insidern und Outsidern, zur Verortung von Interventionen und speziell zu Dialogen und Trainings als besonders weit verbreitete Methoden. Die fünf Kriterien zur Analyse der Wirkungen auf »Peace Writ Large« sind folgende: Das erste Kriterium: Leistet das Projekt einen Beitrag, um Schlüsselfaktoren des Konflikts zu stoppen? Es bezieht sich auf Menschen, Themen oder Dynamiken, die als »key contributors« des Konflikts identifiziert wurden. Das zweite Kriterium: Werden lokale Akteure in eigenen Friedensinitiativen aufgrund einer ZKB-Intervention selbst tätig? Es bezieht sich also auf die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten von Menschen in Konflikten. Das dritte Kriterium: Kommt es zu institutionellen Reformen? Gemeint sind Institutionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die Einfluss auf diejenigen Ungerechtigkeiten und Missstände haben, die den Konflikt verursacht haben oder anheizen. Das vierte Kriterium, Widerstand gegen Provokationen, bezieht sich auf Akteure, die dazu ermächtigt werden sollen, Manipulationen und Provokationen besser zu widerstehen. Hierbei geht es sowohl um verbesserte Analysefähigkeiten und neue Handlungsoptionen als auch um veränderte Wertemuster und Einstellungen. Das fünfte Kriterium ist eine verbesserte Sicherheitslage: Wenn Bedrohungen stärker wahrgenommen werden als »objektiv« gerechtfertigt, dann ist bereits eine subjektiv empfundene verbesserte Sicherheitslage ein Erfolg; ist die Bedrohung real, so muss sich die Sicherheitslage auch objektiv verbessern. Die Kriterien des Verfahrens sind additiv zu verstehen, d.h. umso mehr davon erfüllt werden, umso höher die Wirksamkeit der Intervention.

Evaluationskultur

Eine Evaluation, die mit klaren Zielen, einem schlüssigen Konzept und nach den anerkannten Qualitätsstandards durchgeführt und entsprechend genutzt wird, kann sehr nützlich für alle Beteiligten sein. Eine Evaluation, die dem Gegenstand und der Fragestellung nicht angemessen ist, kann jedoch mehr Schaden als Nutzen stiften. Unrealistische Ansprüche an Wirkungsnachweise sollten selbstbewusst zurückgewiesen und nicht durch »zurechtgebogene« Evaluationen scheinbar erfüllt werden.

In vielen Evaluationsberichten – und vermutlich auch in vielen Evaluationsprozessen – fehlt ein wichtiger Schritt: Es bleibt offen, wie die Verantwortlichen die Evaluationen zur Verbesserung ihrer Arbeit nutzen.2 Um die Nützlichkeit von Evaluationen zu gewährleisten muss dieser Schritt von Anfang an eingeplant werden.

Da die meisten Evaluationen auch zum Lernen von Dritten dienen können und Evaluationen in der Friedensförderung noch wenig verbreitet sind, ist es besonders wünschenswert, dass Evaluationsberichte veröffentlicht werden.3 Nur dann ist gemeinsames Lernen möglich. Dazu gehört auch, dass bei allen Beteiligten, auch bei den Geldgebern, das Lernen aus Fehlern stärker gewürdigt wird, so dass nicht nur Berichte über besonders erfolgreiche Interventionen zugänglich gemacht werden.

Eine Evaluation der gesamten Friedensförderung in Kosovo im Jahr 2006 (CDA/CARE International Kosovo 2006) etwa hat untersucht, weshalb es bei den Unruhen im März 2004 in Kosovo in manchen Gebieten zu weniger Gewalt kam als in anderen. Diese Evaluation hat ergeben, dass die internationalen Bemühungen zum Zusammenbringen verfeindeter Gruppen nicht die erwünschten Wirkungen hatten. Einige Organisationen in Kosovo haben deshalb ihre Friedensarbeit in Kosovo verändert.

Literatur

Anderson, Mary B. (1999): Do No Harm: how aid can support peace – or war. Boulder/London: Lynne Rienner.

Anderson, Mary B./Olson, Lara (2003): Confronting war: critical lessons for peace practitioners (www.cdainc.com/cdawww/pdf/book/confrontingwar_Pdf1.pdf).

Calließ, Jörg (Hg.) (2006): Evaluation in der zivilen Konfliktbearbeitung, Rehburg-Loccum: Evangelische Akademie Loccum (www.konfliktbearbeitung.net/?info=docs&pres=detail&uid=686).

Caspari, Alexandra (2004): Evaluation der Nachhaltigkeit von Entwicklungszusammenarbeit, Wiesbaden: VS Verlag.

CDA/CARE International Kosovo (2006): What difference has peacebuilding made? A study of the effectiveness of peacebuilding in preventing violence: lessons learned from the March 2004 riots in Kosovo (www.careks.org/pub3.pdf).

DeGEval (2008): Standards für Evaluation (www.degeval.de/calimero/tools/proxy.php?id=19074).

DeGEval, Arbeitskreis Entwicklungspolitik (2009): Verfahren der Wirkungsanalyse – eine Landkarte für die entwicklungspolitische Praxis (www.degeval.de/index.php?class=Calimero_Webpage&id=9037).

GTZ (2007): Peace and Conflict Assessment (PCA): Ein methodischer Rahmen zur konflikt- und friedensbezogenen Ausrichtung von EZ-Maßnahmen. Eschborn (www2.gtz.de/dokumente/bib/07-1526.pdf).

Körppen, Daniela/Mkhize, Nhlanhla/Schell-Faucon, Stephanie (2008): Evaluation Report: Peace Building Programme of Sinani (www.berghof-peacesupport.org/publications/sinani_final_report.pdf).

KwaZulu-Natal Programme for Survivors of Violence

OECD DAC (2008): Guidance on evaluating conflict prevention and peacebuilding activities: working draft for application period (www.oecd.org/secure/pdfDocument/0,2834,en_21571361_34047972_39774574_1_1_1_1,00.pdf).

Rossi, Peter H./ Lipsey, Mark W./ Freeman, Howard E. (2004): Evaluation – a systematic approach, Thousand Oaks, Canada: Sage.

Quack, Martin (2009): Ziviler Friedensdienst: Exemplarische Wirkungsanalysen. Wiesbaden: VS Verlag.

Zupan, Natascha (2005): Methoden der Evaluation im Konfliktkontext (FriEnt Briefing Nr. 3/2005) (www.frient.de/materialien/detaildoc.asp?id=1).

Anmerkungen

1) Vor allem in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit spielen die Evaluationskriterien des Entwicklungshilfeausschusses der OECD (DAC) eine wichtige Rolle: Relevanz, Effektivität, Wirkung (impact), Nachhaltigkeit und Effizienz (OECD DAC 2008: 39-45).

2) In einigen Organisationen ist inzwischen die „management response“ integraler Teil des Evaluationsberichts, s. z.B. UNDP http://erc.undp.org/evaluationadmin/manageresponse/view.html?evaluationid=2314 (14.4.2010).

3) Im Rahmen der Arbeit des Berghof Forschungszentrums wurden mehrere Evaluationsberichte veröffentlicht: www.berghof-peacesupport.org/publications/sinani_final_report.pdf www.nenasilje.org/publikacije/evaluation_e. html Auch von staatlichen Akteuren und Geldgebern gibt es eine Reihe von Berichten: www.bmz.de/de/service/infothek/evaluierung/index.html www.ifa.de/foerderprogramme/zivik/projektmonitoring-und-evaluation/projektevaluation

Dr. Martin Quack ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung. Er hat die Wirkungen von Interventionen des Zivilen Friedensdienstes in Serbien, Kosovo und Palästina & Israel untersucht. Seit 2008 arbeitet er für das Forum Ziviler Friedensdienst in Kosovo.

Zehn Jahre Ziviler Friedensdienst (ZFD)

Zehn Jahre Ziviler Friedensdienst (ZFD)

Ein Erfolgsmodell mit Wachstumsschwierigkeiten

von Sabine Korstian

„Job oder Dienst?“ – mit dieser Frage leitete Christine Schweitzer die Vorstellung der Ergebnisse ihrer Studie zur »Rekrutierung und Qualifizierung von Personal im Zivilen Friedensdienst« auf einem Studientag, zu dem die Akademie für Konflikttransformation geladen hatte, ein. Die Akademie hatte die Studie angesichts eines dringender werdenden Problems in Auftrag gegeben, und zwar dem Mangel an qualifizierten Friedensfachkräften (FFK), die sich für eine Entsendung im Rahmen des ZFD eignen. Dass die Mittel für den ZFD im Jahre 2009 um 50% erhöht wurden, ist zwar eine gute Nachricht, kann aber zum Problem werden, wenn Stellen nicht besetzt werden können oder nur mit überforderten MitarbeiterInnen. Schließlich kann das Wachstum kein Ziel an sich sein, Maßstab bleibt vielmehr, inwiefern Friedensfachkräfte bei ihrem Einsatz vor Ort ihrem voraussetzungsvollen Anspruch, als Außenstehende positiv in einen sich anbahnenden oder schon ausgebrochenen Konflikt eingreifen zu können oder Friedenskonsolidierung unterstützen zu können, gerecht werden.

Die Eingangsfrage bezieht sich auf einen in der Studie festgestellten Widerspruch zwischen der Eigenwahrnehmung des ZFD und seiner Wahrnehmung von außen: „Während andere EZ [Entwicklungszusammenarbeit]-Organisationen und Berufsanfänger/-innen dazu tendieren, den ZFD als möglichen Einstieg in eine internationale Karriere zu betrachten, sehen die ZFD-Entsendeorganisationen ihn vorrangig als eine Aufgabe für berufserfahrene und reifere Personen, die auf keinen Fall am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen sollten.“ Der ZFD, der im Rahmen des Entwicklungshelfer-Gesetzes erfolgt, versteht sich als »Dienst« und nicht als berufliche Erwerbsarbeit oder Karrieresprungbrett für den Nachwuchs. Doch wenn »Dienst« bedeutet, er muss nur für Menschen attraktiv sein, die es sich leisten können Idealisten zu sein, weil ihre berufliche Existenz schon gesichert ist, wird sich in Zukunft das Rekrutierungsproblem weiter verstärken. Karriereplanung und Idealismus sind nicht notwendigerweise ein Widerspruch; so steht auch für den Nachwuchs sehr wohl das Bestreben nach einer sinnvollen Tätigkeit im Vordergrund, wie die Befragung im Rahmen der Studie von Studierenden der Friedens- und Konfliktforschung, von denen viele am ZFD interessiert sind, ergab. Was ihnen indes tatsächlich fehlt sind sowohl die Berufs- und Auslandserfahrung, die gefordert wird, als auch die Möglichkeiten diese zu sammeln, wie in den Diskussionen des Studientages festgestellt wurde. Folgerichtig wurde unter anderem über Maßnahmen der Nachwuchsförderung beratschlagt, die auch in der Studie als einer von sieben Bereichen, in denen die Situation verbessert werden kann, thematisiert worden war.

Fünf weitere waren eine verbesserte Qualifizierung bzw. eine Ausweitung der Angebote zur Qualifizierung im Allgemeinen, die Bildung von Personal-Reservepools, die Ausweitung der Reichweite von Rekrutierungsanstrengungen (etwa EU weit), die verstärkte Bewerbung bestimmter Zielgruppen (zum Beispiel auch SeniorInnen, RückkehrerInnen und die heterogene Gruppe möglicher Quereinsteiger) sowie eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit. Letztere nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Kontrastes zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung, der auch auf eine mangelnde Profilbildung des ZFD zurück geführt werden kann. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehört ferner mehr Transparenz hinsichtlich der geforderten Qualifikationen und konkreten Stellenanforderungen sowie von Seiten der Entsendeorganisationen eine verbesserte Darstellung der Leistungen, die sie ihren Mitarbeitern schon jetzt bieten können, bzw. die Steigerung von derlei Angeboten, wie etwa die Möglichkeiten zur Weiterqualifikation. Dies ist ein wichtiger Aspekt, denn die Studie macht darauf aufmerksam, „dass langfristigen Personalentwicklungskonzepten im ZFD eine strukturelle Grenze gesetzt ist: Da es sich beim ZFD um einen Dienst auf befristete Zeit handelt, bietet er auch nur einer Minderheit Möglichkeiten des beruflichen Weiterkommens innerhalb der Entsendeorganisation, nämlich denjenigen, die anschließend Stellen in den Geschäftsstellen der Organisationen besetzen. Für die meisten FFK bedeutet berufliche Weiterentwicklung die Suche nach Arbeitsstellen andernorts, wobei in der EZ und teilweise auch bei anderen internationalen Organisationen Rückkehrer/-innen aus dem ZFD als interessante Bewerber/-innen geschätzt werden.“

Der siebte Bereich betrifft die Steigerung der Attraktivität des Dienstes, wozu neben den schon genannten Punkten eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gehören kann. Schweitzer betont in diesem Zusammenhang, dass die Gründe für den Fachpersonalmangel „nur teilweise ZFD-spezifisch“ sind, da sie „angesichts einer beschränkten Verfügbarkeit geeigneter Fachkräfte und eines kompetitiven Arbeitsmarktes vorrangig im Bereich der Arbeits- und Rahmenbedingungen (Bezahlung, Familienfreundlichkeit, Sicherheitsrisiko, Einsatzländer)“ liegen. Die Studie hält fest: „Sowohl andere Sektoren bei den Entwicklungsdiensten als auch andere Organisationen, die Personal für längerfristige Einsätze im Bereich der Konfliktbearbeitung entsenden, berichten von Problemen, geeignetes Fachpersonal für längerfristige Einsätze zu finden.“ Beim Studientag herrschte daher weitgehend Einigkeit darüber, dass eine gesteigerte Kooperation zwischen den betreffenden Organisationen und eine gemeinsam zu entwickelnde Strategie notwendig werden wird, um die Bedingungen, auf deren Veränderung überhaupt Einfluss genommen werden kann, zu verbessern.

Die komplette Studie mit vielen interessanten Informationen für Leute, die einen Einsatz im Rahmen des ZFD in Betracht ziehen, ist hier als Download erhältlich: http://www.forumzfd-akademie.de/de/node/2882

Sabine Korstian

»Empowerment« in Bosnien-Hercegovina

»Empowerment« in Bosnien-Hercegovina

Friedensfachdienste in Krisenregionen

von Martina Fischer

Schon mit Beginn und im Verlauf der Kriege im zerfallenden Jugoslawien begannen Friedensgruppen und Bürgerrechtsverbände, die bundesweit, europaweit oder international organisiert waren, friedensorientierte Initiativen in der Region zu unterstützen. Ihre Arbeit umfaßte die Herstellung von »Gegenöffentlichkeit« zur nationalistischen Propaganda und Aufklärung auf internationaler Ebene, die Unterstützung der Kriegsopfer und Flüchtlinge durch materielle, humanitäre, medizinische oder psychosoziale Hilfe sowie die Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern. Es entstanden Initiativen zur Dokumentation von Kriegsverbrechen und zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen, zur Aufrechterhaltung von Kommunikation zwischen Menschen verfeindeter Lager, zur Konfliktvermittlung und zum Aufbau einer zivilen Gesellschaft (vgl. dazu Large, 1997). Zwar haben diese Organisationen nicht die Kampfhandlungen beenden können, aber sie haben erheblich zur Bearbeitung der Kriegsfolgen beigetragen und Grundsteine für eine Verständigung gelegt, auf die eine notwendige Versöhnungsarbeit langfristig aufbauen kann. In folgendem Beitrag werden zwei unterschiedliche in Bosnien-Hercegovina praktizierte Ansätze skizziert. Dann wird den Fragen nachgegangen: Welche Voraussetzungen sind für eine langfristig erfolgreiche Friedensarbeit erforderlich, welche Anforderungen werden an die ProtagonistInnen gestellt und was bedeutet das für ihre Vorbereitung? Abschließend geht es um die politischen Rahmenbedingungen und Perspektiven für Friedensfachdienste in der Bundesrepublik.

Mitunter bereitet es Probleme zu bewerten, inwiefern die Angebote der sogenannten NGOs, also der vielen „(halb-) professionell und transnational arbeitenden Organisationen“, die unabhängig von staatlichen Strukturen in unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und politischen Bereichen tätig sind bzw. der „Arbeitsgruppen innerhalb strukturierter oder halb-spontaner Bewegungen“ (Merkel, 1993: 41), die sich für Frieden, Menschenrechte oder auch für Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, friedenspolitisch effektiv sind. Manchen wird nachgesagt, sie verfolgten eigene kommerzielle Interessen. Anderen wird vorgeworfen, sie etablierten durch ihre Intervention Abhängigkeiten. Tatsächlich stehen Verfahren »freiwilliger Selbstkontrolle«, wie sie von in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO-Plattformen etabliert oder angedacht wurden, für die in der südslawischen Region tätigen humanitären und friedenspolitischen Initiativen noch aus. Dafür müßten Netzwerke gebildet werden, die eine bessere Abstimmung der Aktivitäten gewährleisten und Kriterien zur Überprüfbarkeit der eigenen Arbeit entwickeln könnten. Die Entwicklung vorbildlicher Standards bildet einen zentralen Bestandteil in der Debatte um die Professionalisierung von Friedensarbeit.

In der Bundesrepublik setzen sich seit einigen Jahren verschiedene im Forum ziviler Friedensdienst zusammengeschlossene Gruppen und Einzelpersonen für eine staatlich geförderte Entsendung von Personen ein, die (auf freiwilliger Basis) Friedensarbeit in Konfliktregionen leisten sollen. Dachverbände, wie die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), bemühen sich vor allem um die Weiterentwicklung bisheriger Auslandsdienste (sozialer Lerndienste und qualifizierter Freiwilligendienste) zu »Friedensfachdiensten«, die sie in weitestgehender Unabhängigkeit von der staatlichen Ebene durchgeführt sehen wollen. Allen geht es um die Verbesserung der materiellen und politischen Voraussetzungen für die Entsendung und die Ausbildung von Freiwilligen, die von gesellschaftlichen Trägern in Konfliktregionen vermittelt werden.

Einige der Mitgliedsorganisationen aus dem unabhängigen und aus dem christlichen Spektrum haben in der südslawischen Region in den vergangenen Jahren Friedensprojekte etabliert, denen eines gemeinsam ist: Sie wurden auf Anfrage und/oder in enger Kooperation mit lokalen Partnern entwickelt und haben zum Ziel, Foren der Begegnung und des Dialogs zu schaffen, Kommunikation zu befördern, soziales Lernen zu ermöglichen, Flüchtlingen bei der Rückkehr in ihre Herkunftsregionen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen oder auch »empowerment« für friedenspolitische Initiativen (z. B. das Recht auf Kriegsdienstverweigerung) zu gewährleisten. Pax Christi, die Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste, der Versöhnungsbund, das Deutsche Mennonitische Friedenskomitee, IPAK und die Bildungs- und Begegnungsstätte »Kurve Wustrow« wurden in Bosnien-Hercegovina aktiv, Ohne Rüstung Leben in Kroatien (Ostslawonien) und in der BR Jugoslawien (Voijvodina); auch das vom Bund für soziale Verteidigung und zehn weiteren internationalen und europäischen Organisationen getragene Balkan Peace Team verfügt über mehrjährige Erfahrung in der Friedensarbeit in Kroatien und Jugoslawien (Kosovo). Gleiches gilt für das bundesweit aktive Netzwerk von Schüler helfen Leben oder für Initiativen, die sich der psychosozialen Arbeit mit weiblichen Flüchtlingen widmen, wie etwa die Freiburger Gruppe Amica.

Voraussetzungen für erfolgreiche Arbeit

In den Berichten von Friedensfachkräften wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie die Projekte anzulegen sind, damit sie dem erklärten Ziel der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen gerecht werden. Vielen ist bewußt, daß sich die Qualität ihrer Arbeit daran bemißt, daß sie sich möglichst rasch überflüssig machen. Die Mitarbeiter des Sarajevoer CNA-Projekts haben sich dafür das Prinzip »Train the Trainers« zu eigen gemacht: Man will verstärkt Workshops durchführen, in denen zukünftige TrainerInnen gewonnen und fortgebildet werden können. Außerdem sollen einheimische AktivistInnen den CNA-„Staff« perspektivisch verstärken. Auch Jörg Heidig kommt als Koordinator in Begov Han zu dem Schluß, daß im dörflichen Begegnungszentrum „vorwiegend Einheimische beschäftigt werden sollen und nicht mehr wie bisher vor allem Ausländer. Lokalen Angestellten ist es viel besser möglich, den Gedanken des Projektes zu vermitteln. Sie sprechen die Sprache, sind in dem Land aufgewachsen und werden von den Dorfbewohnern ernst genommen.“ Immer wieder stellt sich für Fachkräfte und ProjektkoordinatorInnen die Frage: Wie lassen sich Wissensvorsprünge abbauen und Strukturen so aufbauen, daß sie rasch in lokale Hände überführt werden können? Soll man sich als örtliche Organisation mit überwiegend einheimischen Mitarbeitern fortentwickeln, oder soll man sich perspektivisch überhaupt zurückziehen und die Arbeit ganz auf Partnerorganisationen übertragen?

Auch in der transnationalen Friedensarbeit gilt das Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe« bzw. der Förderung eigenständiger Initiativen im Zielland als Erfolgskriterium. Wie dieser theoretisch von den meisten nachvollziehbare Anspruch faktisch in der Konzeption der eigenen Arbeit umgesetzt und mit dem Projektalltag in Übereinstimmung gebracht werden kann, ist die entscheidende Frage, die im Vorfeld thematisiert werden muß, wenn der Herausbildung von Dominanzstrukturen in Projekten entgegengewirkt werden soll.

Das Anforderungsprofil von Friedensfachkräften erweist sich also in mancher Hinsicht als vergleichbar mit dem von Fachkräften in der Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Würtele, 1997: 63). Sie müssen einerseits hohe Motivation, also Belastungsfähigkeit und Selbstausbeutungsbereitschaft mitbringen, dürfen sich aber andererseits nicht für unentbehrlich halten und sich selbst nicht zu wichtig nehmen. Es kommt in Projekten zu Spannungen, wenn AktivistInnen nicht gelernt haben, Verantwortung zu delegieren, oder das, was sie in mühevoller Arbeit mit aufgebaut haben, »loszulassen«, das heißt: anderen zu überantworten.

Eine intensive Motivationsklärung sollte zum zentralen Bestandteil von Vorbereitungsmaßnahmen gemacht werden. Von zentraler Bedeutung dabei erweisen sich die Fragen: Was will ich geben? Was will ich nehmen? und vor allem: Was mache ich danach, welchen Stellenwert hat der Friedenseinsatz in meiner Lebensplanung? In der Erfahrung von Entsendeorganisationen zeigt sich immer wieder, daß Personen, die diese Frage nicht beantworten können, dem Prinzip des »capacity-building« für einheimische Initiativen in Konfliktregionen kaum gerecht werden können. Wenn die Hilfe für andere zum Selbstzweck und Lebensinhalt der Helfer wird, fällt es schwer, sich selbst »überflüssig« zu machen.

Von prinzipieller Relevanz für erfolgreiche Friedensarbeit erweist sich weiterhin interkulturelle Kompetenz. Sie wird – neben einer allgemeinen sozialen Kompetenz – von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit seit langem als erforderlich für den Auslandsdienst erachtet. Das Training interkultureller Kommunikationsfähigkeit ist fester Bestandteil der Vorbereitung von Fachkräften der Entwicklungsdienste (vgl. DED, 1998: 9ff.). Es erweist sich erst recht für den Friedensdienst als unabdingbar: „Wer in Konflikt- oder Kriegsregionen arbeitet, muß besonders sensibel die interkulturellen Barrieren wahrnehmen, die zu Mißverständnissen führen und Kommunikationsprozesse blockieren können. Grundlegende Voraussetzung sind hinreichende Kenntnisse der Umgangssprache im Gastland und der dortigen Umgangsformen.“ (Freise, 1997: 78).

Personen im Auslandsdienst müssen sich in Menschen anderer Kulturen hineinversetzen können, sie in ihrem Denk- und Wertehorizont respektieren anstatt sie vom eigenen Verstehenshorizont her zu beurteilen oder gar zu verurteilen.1 Diese Personen müssen außerdem die eigene Identität darstellen können. Den Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit zufolge ist bei der Ausbildung einer Beschäftigung mit der fremden Kultur die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur voranzustellen.2 Man geht davon aus, daß Menschen erst dann, wenn sie die eigenen Prägungen durch Geschichte und Kultur erkannt haben, kulturelle Unterschiede im Gastland wahrnehmen, verstehen und kritisch akzeptieren können (vgl. DED, 1998: 9).

Friedensfachkräfte müssen schon deshalb in der Lage sein, ihre eigene Identität zu finden und darzustellen, um entscheiden können, in welchen Konfliktsituationen sie eine neutrale Position einnehmen und beide Seiten verstehen müssen, weil dies für die Bearbeitung des Konflikts am ehesten Erfolg verspricht. Sie müssen gleichzeitig ein Gespür dafür entwickeln, in welchen Situationen ein Machtgefälle zwischen Unterdrückten und Unterdrückern gegeben ist, in dem Neutralität schädlich und unglaubwürdig wäre, wo es also um »empowerment« für die unterlegene Seite geht (vgl. Freise, 1997: 78).

Das Lernziel interkultureller Kompetenz wird zudem immer auch im Zusammenhang mit der Vermeidung eines »Kulturschocks« diskutiert. Die Frage: Wie weit muß ich mich anpassen (ohne eine Überanpassung zu vollziehen)? Wie weit ist Abgrenzung nötig? beschäftigt viele AktivistInnen.

Für zahlreiche Fachkräfte erweisen sich überdies noch weitergehende Qualifikationen als unabdingbar: Projektentwicklung, Management-Fähigkeiten und Kenntnisse in »fundraising«. Befragungen von AktivistInnen und ProjektkoordinatorInnen ergaben, daß sich die Tätigkeitsbereiche aus einer Kombination vielfältiger Aufgaben zusammensetzen. Häufig handelt es sich um eine Mischung aus Sozialarbeit (psychosoziale Unterstützung, Gemeinwesen- oder Kulturarbeit), Führungsaufgaben (manche Fachkräfte arbeiten in Strukturen, in denen sie andere MitarbeiterInnen oder internationale Freiwillige anleiten können müssen) sowie Aufgaben der Akquisition von Geldern zur Weiterentwicklung der Projektzusammenhänge. Gerade in den südslawischen Nachkriegsregionen haben zahlreiche internationale Organisationen (z.B. EU, UNHCR, OSZE) Fonds zur Unterstützung von NGOs eingerichtet, weil sie auf zivilgesellschaftliches Engagement für die Friedenssicherung angewiesen sind. Um diese Quellen zu erschließen, muß man vor Ort Kontakte mit Ansprechpartnern in den entsprechenden Organisationen pflegen.

An viele Friedensfachkräfte wird nicht nur der Anspruch gestellt, daß sie im Team arbeiten können, sondern auch, daß sie eigenverantwortlich in den genannten Feldern agieren können. Für das Anforderungsprofil gilt, was auch Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit für ihre Fachkräfte schon seit einiger Zeit feststellen: „Die Aufgaben (…) sind anspruchsvoller und komplexer geworden. Zunehmend gehen sie mit höherer Verantwortung und Entscheidungskompetenz einher. Heute ist immer weniger der praktisch Mitarbeitende verlangt, vielmehr jedoch der Berater für entwicklungspolitische Prozesse und Organisationsentwicklung, der Ausbilder von Multiplikatoren, der Vermittler (von Kontakten) und der Berater für Planung, Prüfung, Begleitung und Finanzfragen, Moderator, Koordinator etc.“ (Würtele, 1997: 65).

Perspektiven für Friedensfachdienste

Immer wieder stellen sich für die vor Ort meist an der gesellschaftlichen Basis tätigen Fachkräfte Fragen nach der Einordnung ihrer Arbeit in den politischen Gesamtzusammenhang. Zweifel am Sinn der eigenen Arbeit und der Reichweite der zivilgesellschaftlichen Akteure entstehen dann, wenn auf dem internationalen Parkett politische Entscheidungen getroffen werden, die Prozessen des »peace-building« zuwiderlaufen. Wenn z.B. auf staatlicher Ebene die Abschiebung von Flüchtlingen verfügt wird, obwohl deren Rückkehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts des Mangels an Wohnraum und Erwerbsmöglichkeiten die vorhandenen Konfliktlinien noch verschärft.

Friedenskonsolidierung in Bosnien-Hercegovina hängt nach Einschätzung zahlreicher NGO-MitarbeiterInnen überdies vor allem davon ab, ob das krasse Mißverhältnis in der Mittelvergabe – für die militärische Komponente SFOR wird nach wie vor etwa das zehnfache an Ressourcen aufgewandt wie für den zivilen Aufbau3 – zugunsten eines umfassenden wirtschaftlichen Förderprogramms zur Ankurbelung des Produktionssektors und zur Schaffung von Arbeitsplätzen überwunden wird. Außerdem müßten die staatlichen Initiativen viel besser mit den gesellschaftlichen Ansätzen verzahnt werden. Das Gros der Aufgaben der NGOs und Friedensgruppen, die sich seit Ende der Kämpfe am Wiederaufbau demokratischer Gemeinwesen, Minderheitenrechte, Begleitung und Beratung von Flüchtlingen und Rückkehrern beteiligen und damit eine unverzichtbare Unterstützung für die Umsetzung des Friedensschlusses bilden, wird bislang von Freiwilligen oder Halbprofessionellen verrichtet und großenteils mit Hilfe von privatem Spendenaufkommen finanziert. Letzteres ist nach Abschluß des Dayton-Abkommens jedoch nahezu zum Erliegen gekommen. Staatenorganisationen wie die OSZE bzw. die Europäische Union halten zwar diverse Fonds für NGO-Arbeit in Bosnien bereit. Vor allem die im PHARE-Programm4 für den Zeitraum 1996 bis 1999 in Aussicht gestellte 1 Mrd. ECU bildete zunächst Hoffnungsschimmer. Aber immer wieder machen Gruppen die Erfahrung, daß sie durch schwerfällige Bürokratien hingehalten werden und dann nach mehr als zwölfmonatigen Bearbeitungsfristen doch noch leer ausgehen. So erging es aktuell dem im Kosovo tätigen Balkan Peace-Team.

Von StaatenvertreterInnen wird der Beitrag der gesellschaftlichen Akteure zum »peace-building« in Konfliktregionen zwar gern in Anspruch genommen und vordergründig anerkannt, aber weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung und Auswertung erfährt deren Arbeit bislang durch diese Ebene die gebührende Unterstützung. Die gesellschaftlichen Träger leiden aufgrund der knappen finanziellen Ausstattung chronisch unter Personalmangel und Arbeitsüberlastung. Viele arbeiten trotzdem mit einer erstaunlichen Professionalität. Ihre Arbeit wird jedoch durch die wechselvolle Entwicklung des privaten Spendenaufkommens häufig in ihrer langfristigen Planbarkeit eingeschränkt und auf kurzfristige Nothilfe reduziert. Wenn auch das Fundament transnationaler Friedensarbeit weiterhin durch die Zivilgesellschaft zu errichten sein wird, so könnte eine großzügige Co-Finanzierung aus öffentlichen Mitteln die Situation doch entschärfen. Es wäre an der Zeit, daß Bund, Länder und Gemeinden Möglichkeiten der Förderung für dezentrale Friedensfachdienste prüfen: Eine Unterstützung für die Personal- und Betriebskosten von Projekten, die von freien gesellschaftlichen Trägern aus Deutschland und aus Konfliktregionen gemeinsam entwickelt und durchgeführt werden, sowie für die Evaluation von Projekten, um die zur Konfliktbearbeitung eingesetzten Instrumentarien auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen (vgl. Müller, 1998: 12ff)5. Auch an der Bereitstellung einer qualifizierten Ausbildung könnten sie sich beteiligen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit der Etablierung des Ausbildungskurses »Zivile Konfliktbearbeitung« im Jahre 1997 dafür einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Errichtung einer bundesweiten Einrichtung harrt weiter der Realisierung.

Es bedarf kreativer Konzepte dafür, die materielle Basis für Maßnahmen zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Konfliktgebieten zu fördern und die dafür tätigen Frauen und Männer finanziell, rechtlich und sozial in einer Weise abzusichern, die ihren verantwortungsvollen und teilweise nicht ungefährlichen Aufgaben angemessen ist. Dafür schlagen einige Trägerorganisationen unter anderem ein Freiwilligendienstgesetz (vgl. Frey, 1992) sowie ein Gesetz für die Regelung des Einsatzes von Friedensfachkräften analog zum Entwicklungshelferentsendegesetz vor. Wenn Regelungen wie die Sonderurlaubsverordnung für Beamte (Lehrer- und Parlamentarierfreistellung) auch auf die Friedensarbeit ausgeweitet würden, könnten sich auch Personen in fortgeschrittenen Berufsphasen für eine zeitlich begrenzte Friedensarbeit im Ausland entscheiden. Die politischen Mandats- und EntscheidungsträgerInnen sind weiterhin gefordert, sich für die erforderlichen gesetzlichen Regelungen und für den Aufbau einer umfassenden »Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung« (vgl. Calließ, 1996: 66ff, Merkel, 1994) einzusetzen. Sie könnten außerdem mit einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit und Würdigung der Friedensarbeit vor Ort, etwa durch Besuche von Projekten, zur Erhöhung der gesellschaftlichen Anerkennung beitragen. Nur wenn es gelingt, die praktischen Handlungsansätze sichtbar zu machen, kann die Einsicht dafür geschaffen werden, daß es sich lohnt, verstärkt in präventive und friedenskonsolidierende Maßnahmen zu investieren.

Literatur

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (Hrsg.) (1998): Friedensfachdienst ist nötig, Reihe Friedens- und Freiwilligendienste, Nr. 11, o.O., Februar 1998.

Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, AGdD (Hrsg.) (1997): Dem Frieden verpflichtet. Entwicklungsdienste für den Frieden, Reihe Basispädagogik der AGEH, Nr. 9, Köln.

Calließ, Jörg (1996): Die Aufgaben ziviler Konfliktbearbeitung und der Aufbau einer angemessenen Infrastruktur, in: Die Friedenswarte, Band 71, Heft 4, o.O.

Deutscher Entwicklungsdienst (DED, Abteilung Vorbereitung) (1998): Überregionales Lernprogramm, Berlin.

Fricke, Ekkehardt (1997): Friedensfachdienst im Entwicklungsdienst, in: Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, AGdD (Hrsg.), o.O., S. 30-44.

Heidig, Jörg (1998): Bericht über die Arbeit, Hrsg. Pax Christi, o.O., Mai 1998.

Large, Judith (1997): The War next Door. A study of second-track intervention during the war in ex-Yugoslavia, Gloucestershire.

Losche, Helga (1995): Interkulturelle Kommunikation, Alling.

Merkel, Christine M. (1993): Methoden ziviler Konfliktbewältigung: Fragen an eine krisengeschüttelte Welt, in: Birckenbach, Hanne u.a. (Hrsg.), Jahrbuch Frieden 1994, München, S. 35-48.

Müller, Harald (1998): Feststellung des Bedarfs für Friedensfachkräfte bei der AGDF, in: Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (Hrsg.), o.O., S. 4-23.

Ropers, Norbert (1996): Rollen und Funktionen Dritter Parteien bei der konstruktiven Bearbeitung ethnopolitischer Konflikte, in: Die Friedenswarte, Heft 4, o.O., S. 417-441.

Vukosavljevic, Nenad (1998): Zweiter öffentlicher Viermonatsbericht Dezember 1997 – April 1998 aus Bosnien-Hercegowina, Hrsg. »Kurve Wustrow«, o.O.

Würtele, Werner (1997): Anforderungsprofile von Fachkräften in der personellen Zusammenarbeit, in: Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, o.O., S. 61-66.

Der Beitrag beruht auf Eindrücken bei Forschungsreisen durch Bosnien-Hercegovina, Kroatien und die BR Jugoslawien 1997 und 1998, die teilnehmende Beobachtung und Interviews mit MitarbeiterInnen friedensaktiver NGOs zum Gegenstand hatten.

Anmerkungen

1 Friesenhahn (1995: 199) beschreibt als Hauptmerkmale von »interkultureller Kompetenz«: „Empathie, (die) Fähigkeit, zeitlich parallel auftretende unterschiedliche Erwartungen auszuhalten (Ambiguitätstoleranz), Offenheit, Kommunikationsfähigkeit in unterschiedlichen Settings, Flexibilität im Umgang mit Rollen, Streßtoleranz. Konfliktfähigkeit, Kreativität bei Konfliktlösungsversuchen.“ Zurück

2 Die Frage nach der eigenen Sozialisation, den eigenen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen steht z. B. am Beginn des Abschnitts interkulturellen Lernens im Vorbereitungsprogramm des DED. Zurück

3 Mit 10 Mrd. DM wurden nach Dayton die Kosten für den Militäreinsatz für ein Jahr veranschlagt, 5 Mrd. sind für den zivilen Wiederaufbau für einen Zeitraum von fünf Jahren angesetzt worden. Zurück

4 Für 1998 wurden von der EU im Rahmen des PHARE-Programms 100 Mio. ECU für Wiederaufbauprojekte freigegeben. Nur 15% der für 1997 bereitgestellten Mittel wurden überhaupt abgerufen. Der Grund wird nicht in einem Mangel an Anträgen sondern in der schwerfälligen Bearbeitungspraxis ausgemacht. Zurück

5 Vor allem bezogen auf die Bearbeitung von Konflikten in ethnisch diversifizierten Gesellschaften wäre eine Aufarbeitung der Erfahrungen dringend geboten (vgl. Fricke 1997:41 und Ropers 1996:426). Zurück

Martina Fischer, Dr. phil., Politologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berghof-Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung.