Das Bessere als Feind des Guten

Das Bessere als Feind des Guten

Eine Kritik der Kritik »ziviler« Friedensdienste

von Roland Vogt

Die Betrachtungen Wolf-Dieter Narrs (WDN) in seinem Beitrag zu »Ziviler« Friedensdienst – »militärischer« Friedensdienst (W&F 3/97, S. 45 ff) sind wie ein Feuerwerk angelegt, das mit dreifachem Knalleffekt ausklingt: „Der Anspruch ist falsch; der Name ist falsch; die Sache ist falsch.“ Die drei Donnerschläge, so laut, daß das Tal erzittert, zeigen unmißverständlich das Ende der Veranstaltung an. War's das also? Übertragen wir, bevor wir betrübt nach Hause gehen, das Narr-typisch brilliante Sprachfeuerwerk in Klartext. Schauen wir dann, was es damit auf sich hat und wie zu handeln ist.

Substrat eines Sprachfeuerwerkes

Es gibt ein Projekt der Friedensbewegung namens »Ziviler Friedensdienst«.

  • Ziviler Friedensdienst ist kein Militär-Ersatz; in seinen bisher bekannten Vorformen wie etwa den Friedensdiensten der Aktion Sühnezeichen war er dies ganz unstreitig nicht.
  • Besteht aber nicht doch die Gefahr, die Tendenz, die Absicht, daß später einmal die „neue Großorganisation namens Ziviler Friedensdienst“, zu einem funktionalen Äquivalent für die Großorganisation Militär wird oder in deren Schlepptau gerät?
  • Wenn zum Aufbau der neuen Großorganisation das große Geld in Anspruch genommen und „mit staatlichen, staatlich internationalen, kapitalistisch multi- bzw. transnationalen Institutionen zusammengearbeitet“ wird, stellt sich die Frage: wer wen?

Vergleiche Greenpeace. Wer formt da wen? Aus welcher der beiden Welten werden die Erfolgsmaßstäbe gewonnen?

  • Gewisse Leute haben am 22. Februar 1997 eine »Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst« abgegeben. Der Aufruf schließt mit der eindringlichen (für WDN eher aufdringlichen?) Formel: „Die Zeit ist reif, sich neuen Formen der nationalen und internationalen Verantwortung für Frieden und Völkerverständigung zu stellen.“
  • Die Berliner Erklärung basiert „in jedem Fall“ auf dem Fundament von Auslassungen und unkritisch gefährlichen Annahmen. „Der Auslassung der bestehend staatlich-kapitalistischglobalen Wirklichkeit. Der Annahme, als sei es friedenspolitisch zulässig, das heißt friedensstiftend fruchtbar, von Bundestag und Bundesregierung höchst offiziell einen Friedensdienst »neben« und »zusätzlich« zum Militär zu verlangen.“
  • Den Initiatoren der Berliner Erklärung geht es um vordergründigen Erfolg und um Geld, einen Haushaltsposten »ziviler Friedensdienst« im Bundesetat von 40 Millionen DM pro Jahr. Das ist zwar schiefgegangen (ha, ha), aber der Run auf die Staatsknete hat die Jungs und Mädels doch tatsächlich dazu verleitet, mit Leuten wie Geißler zu kooperieren, der immer noch nicht die ungeheuerliche Aussage widerrufen hat, der Pazifismus sei an Auschwitz schuld!
  • Unvermittelt aber unmittelbar nach der soeben berichteten Ungeheuerlichkeit kommt dann der dreifache, eingangs erwähnte Donnerknall.
  • Der Berichterstatter muß sich korrigieren: Es hört dann doch nicht wirklich auf wie am Ende eines Feuerwerks, sondern wie bei einem sich in die Seitentäler verlierenden Donnergrollen:

Der Name ist, so erfahren wir im abziehenden Donner, deshalb falsch, weil er den Gegenschluß zuläßt, es gäbe einen »kriegerischen« Friedensdienst. Besser wäre nach WDN: „zivile Konfliktbearbeitung“ (In der inkriminierten Berliner Erklärung wird übrigens neben »Ziviler Friedensdienst« der Begriff „gewaltfreie Konfliktbearbeitung“ verwendet, R.V.).

Das Handlungskonzept, so wird alsdann ohne Begründung oder Quellenangabe befunden, sei „unausgereift und gleicherweise die Art der Ausbildung“.

Warum »die Sache« falsch ist, wird uns nicht anvertraut. Allenfalls die Einsicht, weshalb der »Anspruch« falsch sei, wird den Leserinnen und Lesern an anderer Stelle (vor dem Donner) in sokratisch fragender Art vermittelt: „Werden »Friedensfachkräfte«, die diese Aufgabe erfüllen sollen, nicht überfordert?“ Diese Aufgabe umschreibt WDN, weit über den Inhalt der Berliner Erklärung hinausgehend, wie folgt: „Der Schrecken ohne Ende des XX. Jahrhunderts kann im XXI. nur abgeflacht und beendet werden, wenn Krieg und kollektive Gewalt nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.“

Die Quintessenz bei WDN heißt schließlich: „Das, was von den Leuten und Institutionen rund um die Berliner Erklärung jedenfalls gewollt wird, ist, so leid mir diese Feststellung tut, so nicht akzeptabel.“

Nicht akzeptable Fehldeutungen

Soweit der Bericht, der Übersetzungsversuch. Selbst auf die Gefahr hin, daß es wie eine Retourkutsche wirkt: was WDN mit seinen Anmerkungen zum Zivilen Friedensdienst in seiner Eigenschaft als Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie getan hat, ist »so nicht akzeptabel«. Warum? Weil er

  • das Konzept des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) unglaublich verzerrt darstellt, indem er Befürchtungen als Tatsachen, als erwiesene Defekte des ZFD, ausgibt,
  • überwiegend mit Unterstellungen arbeitet,
  • insbesondere in unzulässiger Weise unterstellt, die Initiatoren würden dem Zivilen Friedensdienst Lasten aufbürden, die von der zivilen Gesellschaft als ganzer zu schultern sind.

Es ist nachweisbar falsch zu behaupten, die InitiatorInnen des Konzepts des ZFD hätten übersehen bzw. die Erkenntnis »ausgelassen«, daß weiterhin hart daran gearbeitet werden muß, innen-, außen- und wirtschaftspolitisch die Voraussetzungen für radikale Abrüstung zu schaffen. In der ersten, 1994 veröffentlichten Darstellung des ZFD durch den Bund für Soziale Verteidigung (BSV, dessen Vorsitzender ich damals war) wird ausdrücklich – wenn auch vielleicht etwas ungeschickt in der Wortwahl – festgestellt, daß der ZFD „kein Ersatz für eine an Gerechtigkeit orientierte Friedens-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik (ist). Aber er ist ein wichtiges Instrument, das diese Politik unterstützt, indem er Konfliktursachen bearbeiten hilft und so den Ausbruch offener Gewalt zu verhindern sucht“.(BSV 1994)

Der BSV hat mit der Entscheidung, den ZFD als Konzept entwickeln zu helfen, freilich auch zu erkennen gegeben, daß er die Projekte »Kritik der Waffen und gesellschaftskritische Kriegsursachenbekämpfung« einerseits und »Aufbau von konstruktiven Alternativen zum gewaltsamen Konfliktaustrag« andererseits als gleichzeitig und parallel zu bearbeitende Aufgaben betrachtet und sich keine zeitliche Reihenfolge auferlegt oder auferlegen läßt, wonach mit dem systematischen Aufbau von Konzepten des gewaltfreien Konfliktaustrags erst begonnen werden dürfe, wenn die tieferliegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konfliktursachen aufgedeckt und überwunden seien.

WDN scheint da anderer Meinung zu sein, indem er – zumindest in W&F – die Frage aufwirft, ob nicht „zu allererst darauf gedrängt werden muß, die …. Voraussetzungen für Abrüstung zu schaffen“ und davor warnt, „friedensgesinnt zu früh und überschätzerisch Möglichkeiten eines Friedensdienstes“ vorzustellen.

Seine Vorgehens und Argumentationsweise in W & F ist um so unverständlicher, als er selbst am 10. Juni 1997 zusammen mit seinem Vorstandskollegen im Komitee für Grundrechte und Demokratie, Roland Roth, eine bemerkenswert trennscharfe Beschreibung der Aufgaben der Friedensbewegung vorgelegt hat

Da wird konstatiert, für die Friedensbewegung habe sich „im Laufe weniger Jahre »neben« (Heraushebung R.V.) der Kritik von Rüstung und militärischer Formierung der Außenpolitik, der verschärften kapitalistisch bedingten Produktion von Ungleichheit und darin enthaltener Aggression die Entfaltung von Konzept und Ansätzen ziviler Konfliktbearbeitung als »zweite große Aufgabe« (Hervorhebung R.V.) hinzugesellt“.(Komitee für Grundrechte 1997).

In dem Dokument wird sodann etwas festgestellt, was die InitiatorInnen des ZFD nach meiner Kenntnis der Entwicklungsgeschichte des Konzepts ganz entscheidend motiviert hat: nämlich, daß es „quer durch die kriegerischen Jahrhunderte gelungen (ist), allein die Kraft der meisten Bürgerinnen und Bürger zu blockieren, sich eine Welt voller Konflikte jedoch mit Formen strikt friedlicher Konfliktentspannung und Konfliktlösung auch nur vorzustellen.“

In der Stellungnahme des Komitee-Vorstands vom 10. Juni 1997 zum Zivilen Friedensdienst kommt m. E. die Sorge nachvollziehbarer zum Ausdruck, die WDN nun in seinem Beitrag in W & F zu seinem Rundumschlag veranlaßt haben könnte: Gerade weil die Blockade der Phantasie „zum schlimmsten Erbe einer in diversen Kriegsstadien befindlichen Welt“ gehöre, so wird gesagt, sei es notwendig, „daß Konzepte und Ansätze friedlicher Konfliktbearbeitung nach ihrer eigenen pazifistischen Logik entwickelt werden. Ihre Vertreterinnen und Vertreter dürfen sich um der Friedenssache und der dafür neuen Denk und Handlungsformen willen nicht auch nur in die irgend verwechselbare Nähe zu militärisch gesicherten Herrschaftswirklichkeiten begeben.“

Hier scheint sich also des Pudels Kern zu den nach Unterstellung klingenden Befürchtungen WDNs in seiner Feuerwerksprosa zu offenbaren. In einer Phase, in der der ZFD aus dem geschützten Gehege der Friedensbewegung in die freie politische Wildbahn entlassen wird, können solche Anfragen und Mahnungen wertvolle Orientierungshilfe geben. Zugleich muß gefragt werden, wie anders als bisher geschehen vorzugehen gewesen wäre.

Die Entwicklung des Konzepts Ziviler Friedensdienst

Rekapitulieren wir: Nach der Wiedervereinigung und der damit möglichen Neukonstituierung der »Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg« nutzt das Mitglied der Kirchenleitung Prof. Dr. Theodor Ebert, der Lehrstuhlinhaber am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin und damit Kollege von WDN ist, die günstige Gelegenheit der „historisch einmaligen Konzentration von Friedensaktivisten und Friedensforschern in der Evangelischen Kirche West-Berlins und gewaltfreier Bürgerrechtler in der Kirche Ost-Berlins und Brandenburgs,“ (Ebert 1997: 25) um die Initiative für einen Zivilen Friedensdienst zu ergreifen.

Theodor Ebert ist zu diesem Zeitpunkt (zusammen mit Petra Kelly) auch Vorsitzender des am 12.03.1989 in Minden gegründeten Bundes für Soziale Verteidigung (BSV). Der BSV ist nach seinem in der »Mindener Erklärung« von 1989 festgehaltenen Selbstverständnis ein Zusammenschluß von Menschen, „die sich darin einig sind, daß es an der Zeit ist, gewaltfreie Formen und Methoden der Konfliktbewältigung durchzusetzen, Gewaltverhältnisse abzuschaffen und eine entmilitarisierte, ökologisch verantwortbare und gerechte Gesellschaft aufzubauen.“ (BSV 1990: 9f)

Eberts Initiative in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg führte über eine kirchliche Arbeitsgruppe Ziviler Friedensdienst und nach längeren Beratungen in den Gremien zunächst (15.10.1991) zu einer Stellungnahme und später (23.10.1992) zu einem Beschluß der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, in denen sich die regionale »Kirchenregierung« zum Konzept des Zivilen Friedensdienstes bekennt.

„Der springende Punkt dieses Konzeptes ist“ laut Ebert , „daß es zwar vorsichtig formuliert, aber tendenziell eindeutig an die Stelle der allgemeinen militärischen Dienstpflicht für junge Männer die allgemeine Aphabetisierung in gewaltfreier Konfliktaustragung und eine darauf aufbauende Grundausbildung für möglichst viele Männer und Frauen setzt.“ (Ebert 1997: 26)

Seit 1991 wird die Idee des Zivilen Friedensdienstes auch in den Gremien des BSV diskutiert. Sehr bald bilden sich zwei Positionen zum ZFD heraus, die der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg (EKiBB) und die des BSV.

Übereinstimmung besteht in folgendem:

Der ZFD soll in den innerstaatlichen und internationalen Konflikten eingesetzt werden. Dazu soll er beratend, unterstützend, vermittelnd und versöhnend wirken, internationale Präsenz gewährleisten, deeskalierend und gewaltbeendend eingreifen und die Fähigkeit zum gewaltfreien Widerstehen vermitteln. Diese Grundintention ist beiden Konzepten gleich.

Die Unterschiede zeigen sich vor allem in den Fragen des Aufbaus und der Institutionalisierung, aber auch der Zielsetzung.

Während der BSV auf die längerfristige Ablösung des Militärs durch den ZFD setzt, betont die EKiBB die Entlastung der Polizei und der Justiz. Die EKiBB verfolgt den Aufbau des ZFD im Rahmen der Wehrpflicht. Sie erhofft sich dadurch eine schnelle Verbreiterung des ZFD und hält die Durchsetzungschancen für größer.

Das Konzept des BSV lehnt dagegen den Aufbau über die Wehrpflicht ab und stellt die Freiwilligkeit des Dienstes in den Vordergrund. Der BSV sieht den Aufbau des ZFD vor allem als eine Aufgabe gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen. Diese sollen später auch den Kern des ZFD bilden. Eine qualifizierte Ausbildung und Vorbereitung der MitarbeiterInnen ist ein wesentlicher Eckstein in beiden Konzepten (Büttner 1997: 135f).

Der BSV und weitere den Vorschlag eines ZFD unterstützende Gruppen gründen 1995 das »Forum ZFD«, um der Konzeptentwicklung und der politischen Umsetzung einen Rahmen zu geben.

Im Herbst 1995 nutzen das Forum ZFD und andere Unterstützer die Aufgeschlossenheit von Abgeordneten aus den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, um im Bundestag eine fraktionsübergreifende Initiative aufzubauen mit dem Ziel, mit einer »Startphase Ziviler Freidensdienst« einen Beitrag zur Stabilisierung des Waffenstillstandes, zur gewaltfreien Konfliktaustragung und Versöhnung in Bosnien zu leisten. Geplant ist, innerhalb von zwei Jahren mit ca. 200 Freiwilligen Projekte durchzuführen. Die Startphase ZFD scheitert am Widerspruch des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Das Forum ZFD und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit überlegen, gemeinsam ein Konsortium zu bilden, um ein Pilotprojekt zu verwirklichen.

In einigen Bundesländern werden Gespräche geführt, welchen Beitrag sie zur Stärkung gewaltfreier Konfliktaustragung leisten können. Das Bundesland NRW erklärt sich zu einer ersten Pilotausbildung für Fachkräfte in gewaltfreier Konfliktbearbeitung bereit. Diese wird vom Bund für Soziale Verteidigung, der Arbeitsgemeinschaft Dienste für den Frieden und dem Forum ZFD 1997 gemeinsam durchgeführt.

Die EKiBB arbeitet darauf hin, die Ausbildung an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Potsdam zu verankern.

Am 22. Februar 1997 wird die »Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst« abgegeben, unterschrieben von prominenten KirchenvertreterInnen (der Ev. Kirche), von GRÜNEN, von leitenden Mitgliedern des Forums Ziviler Friedensdienst, von Hans Koschnik, Hildegard Neubrand (Pax Christi), Helmut Simon, Ellis Huber (Präsident der Ärztekammer Berlin) u.a.(Narr 1997).

In der Folgezeit wird die Erklärung, die im wesentlichen die politische Basis für die Initiative ZFD verbreitern will, von weiteren Prominenten unterzeichnet, so von Johan Galtung und Rita Süßmuth.

Den vom Land NRW unterstützten Ausbildungsgang in Ziviler Konfliktbearbeitung können Ende Juli 1997 fünfzehn der ursprünglich sechzehn TeilnehmerInnen abschließen. Ihre Projekteinsätze leisten die Friedensfachkräfte überwiegend im ehemaligen Jugoslawien.

Zu Beginn des Bundestagswahljahres 1998 erklären SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN in Programmentwürfen bzw. Grundsatzpapieren, daß sie sich für die Einführung eines Zivilen Friedensdienstes einsetzen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlagen darüber hinaus die Einrichtung eines »Bundesamtes für Abrüstung, Konversion und Zivile Konfliktbearbeitung« vor.

Eine Institution im Wachsen

Werdegang und aktueller Entwicklungsstand zeigen m.E. eindrucksvoll, daß es sich beim Zivilen Friedensdienst mit Galtung gesprochen um eine „gesellschaftliche Institution im Wachsen“ handelt.

WDN läßt in seinen Betrachtungen durchblicken, daß er von der »Idee« konstruktiver pazifistischer Alternativen fasziniert sei: Im Lichte der Stellungnahme des Komiteevorstandes vom 10. Juni 1997 erscheinen die Sorgen, die er uns in W&F anvertraut, nachvollziehbar, soweit sie zum Ausdruck bringen, daß der Zivile Friedensdienst, staatlich vereinnahmt, unter die Räder kommen, zum Appendix von Militäreinsätzen verkümmern und als Feigenblatt für staatliches Handeln mißbraucht werden könnte, das nach wie vor einem militärgestützten Friedensbegriff folgt.

In seiner Stellungnahme vom 10. Juni 1997 wendet sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie strikt gegen die Integration des ZFD in die traditionellen Mittel staatlicher Konfliktbearbeitung. „Am Anfang der Eskalationsleiter von Konflikten“, so beschreiben Narr und Roth ihren Alptraum, „sind zivile Mittel einzusetzen, während am Ende das »letzte Mittel«, nämlich die militärische Gewalt, zur Durchsetzung der angestrebten Ziele zu stehen hätte? Bei der Kriegsschadensbeseitigung wären dann wieder die Zivilen dran.“

Ich verstehe die Bitterkeit, die einen leidenschaftlichen Zivilisten beschleicht, wenn er sich mit den Folgen des militärischen Prinzips befaßt und mit der Rolle, die den ZivilistInnen von ihm zugewiesen wird, sehr gut, weil ich mich seit mehr als sieben Jahren hauptberuflich im schönen Land Brandenburg mit den weniger schönen Hinterlassenschaften der ehemals sowjetischen Streitkräfte, der NVA und der sonstigen bewaffneten Organe beschäftige, eine Aufgabenstellung, die mit dem Wort Konversion vergleichsweise aseptisch umschrieben wird.

In diesem Zusammenhang stößt uns täglich auf, wie frustrierend es ist, daß Nationalstaaten zwar in der Lage sind, Menschen und Landschaften unglaubliche Wunden zuzufügen, in Friedenszeiten aber herzlich wenig Engagement zeigen, die Folgen militärstaatlichen Tuns zu beseitigen.

Diese Erfahrung ist einer der Gründe, warum wir seit Jahren unter Nutzung aller einem Staatsbürger zugänglichen Handlungsebenen sowohl finanzielle als auch institutionelle Verantwortung der bundesstaatlichen Ebene einfordern und konkrete Vorschläge für eine angemessene Bearbeitung des Aktionsfeldes Konversion machen.

Beim Zivilen Friedensdienst ist die Ausgangslage noch komplizierter, weil die Handlungsnotwendigkeiten nicht ganz so offensichtlich sind, wie im Fall militärischer Hinterlassenschaften in Gestalt von Geisterstädten oder munitions- und altlastenbehafteter Landschaften.

Es hat sich aber herumgesprochen, bis hin zur höchsten militärischen Kommandoebene, daß „militärische Einsätze keine Konflikte lösen und keinen dauerhaften Frieden schaffen.“

Narr und Roth zitieren diese Erkenntnis des Kommandeurs des Zentrums Innere Führung, Hans-Christian Beck, zwar. Sie tun das aber nicht, um zu zeigen, daß es zwischen einigen intelligenten Offizieren und kreativen Zivilisten immerhin eine Teilmenge übereinstimmender Einsichten gibt, sondern um ihre Sorge um den Mißbrauch des ZFD mit Zitaten zu untermauern. Denn Beck sagte – was sollte man von einem Berufssoldaten auch anderes erwarten – : „Aber ich denke sie [die militärischen Einsätze, R.V.] können nötig werden, wenn andere friedliche Mittel der Streitbeilegung erschöpft sind.“

Was belegen solche Zitate, die man serienweise auch bei Politikern größerer (und inzwischen auch kleinerer) Volksparteien einsammeln kann? Daß es bei Befürwortern eines Zivilen Friedensdienstes unterschiedliche Sichtweisen von dessen Einordnung und Aufgabe gibt, wie Narr und Roth herausgefunden haben. Was sonst?

Wir sollten trotz aller sich aufdrängenden Bedenken und Sorgen um das weitere Schicksal des Zivilen Friedensdienstes in der Lage sein zu erkennen, daß die Erweiterung des Spektrums der Befürworter nicht nur Risiken enthält sondern auch Chancen bietet. Eine Erkenntnis, die sehr unterschiedlichen Befürwortern des ZFD gemeinsam sein dürfte, ist doch folgende: Solange ein Staat nur über militärische Kräfte verfügt, wird er in internationalen Konflikten immer wieder auf das Kommandierbare zurückgeworfen.

Auch den Vereinten Nationen geht es nicht besser: nach ihrer Charta ist friedliche Konfliktbeilegung der Entscheidung über militärische Intervention vorzuschalten. Solange aber ihre Mitgliedsländer ihnen für ihre Maßnahmen kein ausgebildetes, für friedliche Konfliktbearbeitung qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen, haben sie im Konfliktfall nur die Wahl zwischen Nichtstun und Rückgriff auf das reichlich vorhandene militärische Personal.

In der Bundesrepublik Deutschland besteht möglicherweise nach der nächsten Bundestagswahl erstmalig und vielleicht einmalig die Chance, Ressourcen für den Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes in nennenswertem Umfang aufzubauen. Sollen wir davor zurückschrecken, weil es zugleich noch die Bundeswehr gibt und in einer künftigen rot-grünen Regierung die Befürworter des »Mix« verglichen mit den Anhängern des zivilen »Pur« höchstwahrscheinlich in der Überzahl sind? Sollen wir die gegebene Chance fahren lassen, weil wir mit den objektiven Problemen des Übergangs von der Militärstaatlichkeit in die wirkliche Zivildemokratie überfordert uns ausschließlich dem Reinheitsgebot unserer pazifistischen Grundüberzeugung verpflichtet fühlen?

Wenn die Kundigen sich hier verweigern, wird ein weiteres Mal das Bessere zum Feind des Guten. Der Staat würde bleiben wie er ist, und wir hätten durch Unterlassen eine sich selbst erfüllende Prophezeihung befördert.

Literatur

BSV/Bund für Soziale Verteidigung (1990): Ohne Waffen – aber nicht wehrlos! Der Bund für Soziale Verteidigung stellt sich vor. Minden.

BSV/Bund für Soziale Verteidigung (1994): Ziviler Friedensdienst. Ein Konzept des Bundes für Soziale Verteidigung. Minden.

Büttner, Christian W. (1997): in C. W. Büttner/Gernot Jochheim/Nadja Luer/Torsten Schramm (Hg): Politik von unten, Berlin 1997, S. 135 f

Ebert, Theodor (1997): Ziviler Friedensdienst. Alternative zum Militär. Grundausbildung im gewaltfreien Handeln. Münster.

Komitee für Grundrechte (1997): Ziviler Friedensdienst am Scheideweg? – Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fragt nach der pazifistischen Orientierung. Köln.

Narr, Wolf Dieter (1997): »Ziviler« Friedensdienst – »militärischer« Friedensdienst, in W&F 3/97, S. 45-47. Bonn.

Roland Vogt war Vorsitzender des Bundes für soziale Verteidigung und ist Leiter des Referats Konversion im Ministerium für Wirtschaft des Landes Brandenburg.

»Ziviler« Friedensdienst – »militärischer« Friedensdienst

»Ziviler« Friedensdienst – »militärischer« Friedensdienst

Konkurrierende oder sich ausschließende Gegensätze?

von Wolf-Dieter Narr

Friedensbewegung positiv. 1989/1990, das Ende des Kalten Krieges infolge des inneren Zerfalls der Sowjetunion und ihrer Trabanten, markierte unvermeidlicherweise auch einen Richtungswandel in dem, was zuvor allzu einheitlich als »die« Friedensbewegung wahrgenommen worden war. Vor diesem Zeitkatarakt, so scheint es dem entdifferenzierenden Rückblick, gab es nur eine herrschende Nato- und RGO- Welt der wechselseitigen Wettrüster. Daraus entstand das, was der verstorbene große englische Historiker und Pazifist, E.P Thompson, den »exterminism«, die vor allem atomare Vernichtungsdynamik genannt hat. Und gegen diese zweigeteilte, waffenstarrend etablierte Welt wendete sich »die« Friedensbewegung. Ab-, statt Aufrüstung lautete deren Devise samt dem Abbau totalisierender Feindbilder.

Nach dem weltgeschichtlichen Katarakt etablierte sich zwar keine neue Weltordnung. Im Gegenteil: Mörderische innen- und zwischenstaatliche Konflikte haben eher zugenommen. Die sogenannte Friedensdividende wurde auch west- und »sieg«-wärts nicht in systematischer Abrüstung verwirklicht. Die weltweite »Konfliktlage« komplizierte sich. Sie stimulierte innerhalb dessen, was sich im Rahmen der Friedensbewegung mehr oder minder randständig institutionalisiert hat, die Suche nach einer »Strategie« von der Negation der Aufrüstungsspirale zur »Position« eigener Friedenspolitik mit entsprechend friedlichen Mitteln. Das hauptsächliche Stichwort dieser Suche lautet: Ziviler Friedensdienst.

Frieden erfordert friedliche Mittel

Das homöopathisch verkehrte lateinische Sprichwort stimmt: Wenn du Frieden willst, bereite den Boden des Friedens mit friedlichen Mitteln. Diese uralte, erfahrungssatte pazifistische Devise wurde vor allem durch den Krieg in Exjugoslawien seit 1991 gerade unter solchen strittig, die sich im Kalten Krieg einig gewesen waren, indem sie der Aufrüstungsspirale opponierten (die erheblichen Differenzen und gegenseitigen Vorwürfe hatten schon im 2. Golfkrieg begonnen). Der Krieg vor allem in Bosnien, der sich durch seine von den diversen Herrschaftsgangs genutzte ethnozentrische Mobilisierung unter Verwandten besonders grausam entwickelte, hat zu so etwas geführt wie einer »moralischen Verwahrlosung« innerhalb der Gruppen, die friedenspolitisch zuvor am selben Strang zu ziehen schienen. Alle möglichen und unmöglichen pazifistischen Prozentuierungen entstanden. Die halb-, dreiviertel und Voll-Pazifisten – je nach dem, in welchem Ausmaß die Gruppen den wiederentdeckten »gerechten (Nato-)Krieg« als eine notwendige Voraussetzung des Friedensprozeßes verlangten und akzeptierten. Seitdem der herbeigebombte Frieden von Dayton und die Truppen, die ihn überwachen, einen Teil der ex-jugoslawischen Szene beherrschen, ist vor allem in diesem Zusammenhang die Debatte um Zivile Friedensdienste stark aufgeflackert. Der zunächst negative Frieden soll durch zivile Aktivitäten zum positiven Dauerfrieden werden.

Was heißt ziviler Friedensdienst?

Was aber heißt Ziviler Friedensdienst? Aktivitäten, die sich als solche einordnen lassen, hat es nach dem 2. Weltkrieg schon gegeben. Das, was Aktion Sühnezeichen bis heute tut, läßt sich darunter verbuchen (spezifisch auf die nationalsozialistisch verursachten Greuel und Zerstörungen bezogen). Oder auch die Initiativen von Eirene (vgl. den Überblick von Eva Senghaas-Knobloch und Uli Jäger im Jahrbuch Frieden 1996; hier zitiert nach der Dokumentation in der FR vom 12. 7. 1996). Hierbei haben Eva Senghaas-Knobloch und Uli Jäger mit gutem Grund auf die „eigene Logik“ aufmerksam gemacht, der solche „konstruktive Konfliktbearbeitung“ folgen müsse. „Die Betrachtung der Aktivitäten als ziviles Äquivalent oder als Ersatz für militärische Einsätze führt daher in die Irre.“ Demgemäß folgern beide, Autorin und Autor, am Ende: „Es geht beim Ausbau der Friedensdienste zunächst nicht um einen Ersatz für die Großorganisation Militär, sondern um das politische Feld.“

Darüber indes, was das zarte Wörtchen „zunächst“ bedeutet und der nachfolgende letzte Satz des Überblicks – unter dem von der FR gegebenen Titel – „Eine neue Großorganisation namens Friedensdienst?“ streiten sich diejenigen, die von der »Idee« konstruktiver pazifistischer Alternativen fasziniert sind. Auch dieser Artikel, dessen Autor »Partei« in diesem Streit ist. „Dieses Feld“, so also Senghaas-Knobloch/Jäger, „ist hochkomplex und sensibel, gerade deswegen ist ein Verhältnis kritischer Kooperation zwischen staatlichen Vertretern und eigenständigen Aktiven in NGO ein Gebot der Stunde.“ Was heißt hier: „Verhältnis kritischer Kooperation“?

Übereinstimmung besteht in folgenden Merkmalen eines wie immer gearteten ZFD:

  • seiner Gewaltfreiheit;
  • seiner Tätigkeit nur im Konsens mit den Gruppen, Regionen, Ländern, in denen er – in der Regel von dort gerufen – tätig wird;
  • seine strikte Subsidiarität in dem Sinne, daß von Gruppen des ZFD nur Aktivitäten unternommen werden dürfen, die den Menschen am Ort des Konflikts so unter die Arme greifen, daß deren Arme gestärkt werden und keinerlei Stellvertreterpolitik betrieben wird;
  • daß die ZFD-Gruppen landes-, problem- und sprachenkundig, in diesem Sinne also hochkompetent und entsprechend spezifisch vorbereitet sein müssen;
  • daß sich eine altersgemischte Zusammensetzung empfiehlt;
  • daß je nach Konfliktsituation mediative, informativ zusammenlehr-lernende und/oder beim Aufbau aller Arten helfende Arbeiten angezeigt sind.

Schmutziges Geld für eine gute Sache?

Frei nach Gretchen: Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch schließlich alles.

Die achtziger und vor allem die neunziger Jahre können in gewisser Weise als Jahrzehnte der NGOs bezeichnet werden. Diese tummeln sich, in der Zwischenzeit offiziell/semioffiziell anerkannt, auf den vielen Gipfeln, die in der Welt zusammenwipfeln. Sie sind weltweit politisch aufklärerisch und mobilisierend tätig. Sie leisten im Zusammenhang von Ökologie und Entwicklung wichtige regional-lokale Vermittlungsarbeit. Letztere wird in der Zwischenzeit von Institutionen wie der Weltbank anerkannt und gefördert.

Die NGOs sind in Größe, Zielen und organisatorisch-fiskalischen Eigenarten sehr verschieden. Dort, wo sie vergleichsweise erfolgreich sind, zahlen sie allerdings in der Regel einen beträchtlichen Preis. Dieser ist dann skrupulös zu verbuchen, sofern diese NGOs beanspruchen eine andere, nämlich menschenrechtlich demokratische Politik – abständig zur kapitalistisch durchdrungenen herrschenden Politik und der ihr eigenen Gewalt – zu betreiben. Besteht nicht die Gefahr, das, was als »Erfolg« qualifiziert wird, an etablierten Indizien, vor allem am Medienspektakel abzulesen? Werden um solchen »Erfolgs« willen, die eigenen Aktionen entsprechend geformt? Wie wird dem wachsenden Geldbedarf genügt? In welcher Weise wird mit staatlichen, mit staatlich internationalen und mit kapitalistisch multi- bzw. transnationalen Institutionen zusammengearbeitet? Wer kooptiert wen; wer schlägt den Takt beim »Marsch durch die Institutionen« und welche institutionell habituellen Prägungen »siegen«? (vgl. am extremen Beispiel Greenpeace den trefflichen Überblick von Roland Roth: Greenpeace – eine neue Form menschenrechtlich-demokratisch angemessenen Populismus?, in: Jahrbuch des Komitees für Grundrechte und Demokratie 1995/96, S. 265-308).

Ziviler Friedensdienst – Auf- oder Abschwung?

Ziviler Friedensdienst vor dem erfolgreichen Auf- oder Abschwung? Am 22. Februar 1997 wurde eine »Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst« abgegeben, unterschrieben von prominenten Kirchenvertreterinnen und -vertretern (der Prot. Kirche), von Grünen, von leitenden Mitgliedern des Forums Ziviler Friedensdienst, von Hans Koschnick, Hildegard Neubrand (Pax Christi), Helmut Simon, Ellis Huber (Präsident der Ärztekammer Berlin) u.a. In der Erklärung heißt es: „Ziviler Friedensdienst meint einen Friedens-Fachdienst, der in nationalen und internationalen Konflikten mit den Methoden der gewaltfreien Konfliktaustragung tätig wird. Sein Ziel ist es, in qualifizierter Form dazu beizutragen, den Ausbruch von Gewalt zu verhindern oder zu beenden oder nach gewaltsamen Konflikten Prozesse der Versöhnung in Gang zu setzen. Die MitarbeiterInnen, Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, sollen durch eine mehrmonatige Ausbildung zu gewaltfreien Einsätzen befähigt werden. Sie sollen nach dem Prinzip der Subsidiarität in pluraler zivilgesellschaftlicher Trägerschaft arbeiten. Der Staat muß für die Trägerorganisationen und MitarbeiterInnen die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen.“ „Die Zeit ist reif“, so schließt der kurze Aufruf, „sich neuen Formen der nationalen und internationalen Verantwortung für Frieden und Völkerverständigung zu stellen.“

Wofür ist „die Zeit… reif“? Längst sind nichtkriegerisch gewaltfreie Formen der Konfliktlösung überfällig. Der Schrecken ohne Ende des XX. Jahrhunderts kann im XXI. nur abgeflacht und beendet werden, wenn Krieg und kollektive Gewalt nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sind und zuvor und danach Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist.

Indes: werden »Friedensfachkräfte«, die diese Aufgabe erfüllen sollen, nicht schlechterdings überfordert? Muß nicht zu allererst darauf gedrängt und daran mitgewirkt werden, endlich die innen-, außen- und – wohlgemerkt – die wirtschaftspolitischen Voraussetzungen für radikale Abrüstung zu schaffen? Und zwar an erster Stelle in den ökonomisch und militärisch überlegenen Ländern? Besteht nicht die Gefahr, daß man friedensgesinnt zu früh und überschätzerisch Möglichkeiten eines Friedensdienstes vorstellt und darob zum einen »die Kritik der Waffen« des Staates, hier der Nato-Staaten samt der Bundesrepublik, unterläßt und zum anderen, wenn auch unausgesprochen – das ist in diesem Falle aber pazifistisch gesprochen schlimmer –, das Militär seine »Aufgaben« erfüllen läßt in der vag-schalen Hoffnung, dasselbe allmählich friedensdienstlich ersetzen zu können?

Wofür ist „die Zeit… reif“? Erneut sei's gefragt. Daß „der Staat… die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen“ schaffe? Einfach so, aus dem Stand heraus sozusagen? Weil der „deutsche Bundestag und die Bundesregierung“ nur noch daran „erinnert“ werden müssen, „daß die Einsicht in die Notwendigkeit gewaltfreier und zivilgesellschaftlicher Handlungsinstrumente zur Sicherung und Förderung des Friedens längst vorhanden ist“ (so im vorletzten Absatz der Berliner Erklärung)? Ist diese Hofferei edel oder ist sie eitel – das ist die Frage. In jedem Fall basiert sie auf dem Fundament von Auslassungen und unkritisch gefährlichen Annahmen. Der Auslassung der bestehend staatlich-kapitalistisch-globalen Wirklichkeit. Der Annahme, als sei es friedenspolitisch zulässig, das heißt friedensstiftend fruchtbar, von Bundestag und Bundesregierung höchst offiziell einen Friedensdienst »neben« und »zusätzlich« zum Militär zu verlangen. Dieser, in der Erklärung listiger-, aber unredlicherweise verborgene »Kern des Pudels« wird einsichtig, liest man den Antrag einer Reihe von Abgeordneten, die mit Gert Weiskirchen anhebt und der Fraktion der SPD endet vom 22.11. 1996 (Bundestagsdrucksache 13/6204). Diesen Antrag »Ziviler Friedensdienst -Expertendienst für zivile Friedensarbeit« soll der Bundestag „beschließen“, damit „die traditionellen Elemente der Friedenssicherung, die die internationale Staatengemeinschaft einsetzt“, also weniger geschraubt: damit die kriegerischen Mittel „ergänzt werden durch einen Zivilen Friedensdienst…“ (Hervorgehoben durch WDN) In einer Werbebroschüre des Forum ZFD von 1996, die von den werbend Überzeugten zu einem Teil als Brief an Dr. Wolfgang Schäuble verschickt werden sollte, damit sich letzterer für das in der Zwischenzeit etwas verblichene Projekt »Startphase Ziviler Friedensdienst im ehemaligen Jugoslawien« stark mache, heißt es analog zum Entschließungsantrag der SPD: „Das Daytoner Friedensabkommen hat nur dann eine Chance, wenn es auch zivil umgesetzt wird“ (Hervorgehoben durch WDN).

Wofür ist „die Zeit… reif“? Zum dritten Mal kräht der Hahn der Frage. Folgt man Äußerungen rund um die diesbezüglichen Aktivitäten der Kirche Berlin-Brandenburg, des Bundes für soziale Verteidigung und des Forums Ziviler Friedienst, dann ist „die Zeit… reif“ für einen Haushaltsposten »Ziviler Friedensdienst« im Bundesetat. Daß die 40 Millionen, über die im Frühjahr 1996 hoffnungstrunken spekuliert worden ist – eine Reihe von Abgeordneten quer durch die Fraktionen hatten die Hoffnung genährt –, noch weniger gedeckt waren als viele Börsenspekulationen, lag »nur« an den beteiligten Ministerien (Außen- und Entwicklungsministerium), nicht an den drängenden Gruppen und Personen vom Berlin-Brandenburger Bischof Wolfgang Huber bis zu den Vertreterinnen der Gruppen, die im FZFD vereint sind. Nur im Sinne der beherzigenswerten Einsicht von Kurt Schumacher, daß „Demokratie eine Sache des guten Gedächtnisses“ sei, sei angemerkt, daß der Friedensdienst auch von Heiner Geißler, CDU, lernfähig unterstützt worden ist (und möglicherweise wird), einem Politiker immerhin, der sein ungeheuerliches öffentliches Wort als CDU-Generalsekretär im Kampf um die »Formeln der Macht« noch nicht widerrufen hat: Der Pazifismus sei an Auschwitz schuld.

Der Kontext muß stimmen

Der Anspruch ist falsch; der Name ist falsch; die Sache ist falsch. Wie immer kommt es darauf an, was man will. Dann ist man auch im Wie, in den Mitteln gebunden. Wenn man friedenspolitische Arbeit ohne Wenn und Aber leisten will, muß man selbstredend individuell und kollektiv alles tun, um innen- und außenpolitisch im weitesten Sinne Konfliktursachen abzubauen, Konflikte friedlich zu lösen und Frieden in den angemessen sozialen Bedingungen zu sichern. Obwohl, ja gerade weil diese Aufgabe riesig groß, existentiell wichtig und täglich einzulösen ist, muß man sich in der schwierigen Kunst wappnen, durchzuhalten, dauernd aktiv zu sein, ohne ungeduldig schnell Vieles erreichen zu wollen. Es sei denn, die Bedingungen, viel erreichen zu können, seien pazifistisch angemessen. Dann muß der Kontext stimmen, in dem friedenspolitisch gehandelt wird; dann muß das Geld stimmen, mit dessen Hilfe friedenspolitische Arbeit geleistet wird; dann muß selbstredend auch das Handlungskonzept stimmen und müssen geeignete Leute da sein, selbiges umzusetzen. All diese und andere Bedingungen sind rund um das gegenwärtige Konzept ZFD und seine versuchte Verwirklichung in Bosnien nicht gegeben. Der Kontext wird von den Nato-Mächten bestimmt; das Geld stinkt (oder stänke, wenn es denn gegeben würde), weil es nicht ohne jede Auflage zu haben ist; das Handlungskonzept ist unausgereift und gleicherweise die Art der Ausbildung (über die möglicherweise beteiligten Personen kann ich, selbstredend, nichts sagen). Kurzum: das, was von den Leuten und Institutionen rund um die Berliner Erklärung jedenfalls gewollt wird, ist, so leid mir diese Feststellung tut, so nicht akzeptabel. Schon der Name »Ziviler Friedensdienst« ist verräterisch, als gäbe es einen »kriegerischen«. Mit diesem militärisch etatistischen Ammenmärchen sollten Theologen zuletzt hausieren gehen. In diesem Sinne wäre der von Ulrich Frey vorgeschlagene Begriff »Zivile Konfliktbearbeitung« in jedem Fall vorzuziehen.

Wer der Sache des Friedens verbunden sein will, muß um die enormen Schwierigkeiten wissen. Gewaltlosigkeit versteht sich bekanntlich selbst im bürgerlichen Umgang alles andere als von selbst. Sie bedarf großer dauernder Anstrengungen. Die Niederlagen sind geradezu programmiert. Dennoch lohnt jede Anstrengung. Dieselbe ist aber nur dann pazifistisch sinnvoll, wenn sie nicht um den vordergründigen Erfolgs und des Geldes willen Bündnisse eingeht, die jedenfalls friedenspolitisch Bündnisse mit »tödlichem Ausgang« sind. Die „kritische Kooperation zwischen staatlichen Vertretern und eigenständigen Aktionen der NGO“, von der Eva Senghaas-Knobloch und Uli Jäger sprechen, darf deshalb allenfalls äußerlichen Abstimmungen u.ä. gelten. In der Sache muß sie auf eine gewaltfreie Non-Cooperation hinauslaufen. Pazifismus kann klüger und einfältiger sein. Er ist jedoch nicht in Prozenten zu haben. Ein Viertel Krieg, Dreiviertel Frieden oder andere Mischungen – das geht nicht; das ist schlechte Illusion.

Prof. Dr. Wolf Dieter Narr ist Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie

Zivile Kriegsfolgenbearbeitung in Bosnien

Zivile Kriegsfolgenbearbeitung in Bosnien

von Christine Schweitzer

Die Zahlen sind niederschmetternd: Mehr als die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung von Bosnien-Herzegowina sind Vertriebene oder Flüchtlinge (2,5 Mio insgesamt, von denen sich 1,2 Mio als Flüchtlinge außerhalb der Landesgrenzen aufhalten.). Im Bereich der bosnischen Föderation waren zumindest im letzten Winter noch 80<0> <>% der Menschen abhängig von Lebensmittelhilfe. Die Industrieproduktion war 1994 auf 5<0> <>% des Standes von 1990 abgesackt. 30<0> <>% der Straßen und 40<0> <>% der Brücken waren zerstört.1 Die Arbeitslosigkeit liegt bei 90<0> <>%. 300.000 Soldaten werden demobilisiert und müssen ins Privatleben zurückgeführt werden.2 Die Weltbank schätzt, daß sich die Kosten für den Wiederaufbau auf 7,15 Milliarden DM belaufen werden, 5,18 Mrd für die kroatisch-muslimische Föderation und 2,16 Mrd für die Serbische Republik.3

Das Daytoner Abkommen regelt in umfassender Weise verschiedene Aspekte des Wiederaufbaus.4 Am besten in der internationalen Öffentlichkeit bekannt und auch am weitesten fortgeschritten in ihrer Durchführung ist die militärische Seite des Abkommens (Rückzug der Kriegsparteien hinter eine 4 km Grenze, Demobilisierung und Rüstungsbeschränkungen, Aufstellung der IFOR-Truppe zur Implementierung und Überwachung des Waffenstillstandes).

Weniger bekannt und auch in der Umsetzung viel problematischer sind die ebenfalls im Daytoner Vertrag geregelten zivilen Wiederaufbaumaßnahmen.5 Mit ihrer Koordinierung wurde der schwedische Konservative Carl Bildt beauftragt, dem – gemessen an der Aufgabe – ein lächerlich kleiner Stab zur Seite steht.

Der in Bosnien-Herzegowina notwendige zivile Wiederaufbau steht vor großen Problemen bei der Beschaffung von Wohnraum und Arbeit, beim Aufbau der Verwaltung kann nur beschränkt auf die Vorkriegsstrukturen zurückgegriffen werden und ein demokratisches, ziviles Leben muß völlig neu entwickelt werden. Bosnien-Herzegowina war vor dem Krieg eine ethnisch extrem gemischte Republik – die »jugoslawischste« Republik Jugoslawiens, wurde sie von manchen genannt, weil in den meisten Ortschaften zumindest zwei der Volksgruppen friedlich zusammenlebten. Eine zivile Gesellschaft existierte dort genauso wenig wie in den anderen Teilen Jugoslawien. Heute ist Bosnien-Herzegowina in drei mehr oder weniger ethnisch homogene Teile zerfallen und die meisten Ortschaften und Städte erlebten einen Austausch eines nennenswerten Prozentsatzes der Bevölkerung.

Die Situation in Bosnien-Herzegowina

Die Verfassung Bosnien-Herzegowinas, die Teil des Daytoner Abkommens ist, definiert Bosnien-Herzegowina als einen zweigeteilten Staat mit drei verfassungsmäßigen Völkern: Kroaten und Bosniaken (Muslime) in der »Föderation Bosnien-Herzegowina« und Serben in der »Serbischen Republik«, alle mit einer doppelten Staatsbürgerschaft des Staates und des jeweiligen Teiles (Föderation oder Serbische Republik).

Schon hier zeigt sich deutlich eines der Hauptprobleme. Die Schreiber der Verfassung versuchten zwei eigentlich unvereinbare Prinzipien unter einen Hut zu bringen: Das Prinzip des bürgerlichen Staates, in dem jede/r BürgerIn unabhängig von der Volkszugehörigkeit Freizügigkeit genießt und das Prinzip des »ein Volk – ein Staat«. Letzteres war bekanntlich eines der Leitmotive des Krieges.

So wird zwar im Daytoner Abkommen Freizügigkeit der Bewegung, Verbot jeglicher interner Grenzkontrollen und Recht auf Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre Heimatgebiete festgeschrieben. Aber die politische Repräsentanz basiert im wesentlichen auf ethnischer Zugehörigkeit. Das Parlament besteht aus zwei Kammern. Das »Haus der Völker« setzt sich aus serbischen Vertretern aus der Serbischen Republik und kroatisch/bosniakischen (muslimischen) Vertretern aus der Föderation zusammen. Kein serbischer Abgeordneter aus dem Gebiet der »Föderation« kann in das »Haus der Völker« gewählt werden – obgleich weiterhin etliche Zehntausende Serben vor allem in Sarajevo leben. Das gleiche gilt umgekehrt für Muslime und Kroaten in der »Serbischen Republik«. Genauso bildet sich das aus drei Personen gebildete Staatspräsidium. Nur bei der zweiten Kammer, dem »Repräsentantenhaus«, das 42 Mitglieder haben soll, wäre eine Repräsentanz der jeweiligen ethnischen Minderheiten zumindest theoretisch möglich.

Eine der wichtigsten Maßnahmen im zivilen Bereich ist die Vorbereitung der Wahlen, die dem Daytoner Abkommen gemäß bis spätestens September 1996 stattgefunden haben müssen. Doch gehen die Wahlvorbereitungen nur schleppend voran, und ohne die MitarbeiterInnen der OSZE, die eigentlich die Vorbereitungen und die Wahl nur beobachten sollen, kämen die Wahlen wohl gar nicht zustande.

Die meisten Politiker/innen in Bosnien sehen diese Wahlen ohnehin als verfrüht an. In vielen Landstrichen ist das zivile Leben noch nicht so weit wiederhergestellt, daß eine Basis auch nur für die Erstellung eines Wählerverzeichnis geschaffen wäre. Fast die Hälfte der Wählerschaft fristet ihr Dasein noch als Flüchtlinge oder Vertriebene irgendwo zwischen Lagern in Bosnien, Kroatien, Serbien oder Schweden, Deutschland und den Niederlanden. Für den Beginn eines breiten politischen Diskurses bleibt keine Zeit.

Die starke Betonung, die die »internationale Gemeinschaft« auf das Thema Wahlen legt, erinnert an die Politik gegenüber vielen Ländern des Südens, wo ebenfalls die erfolgreiche Abhaltung von formal demokratischen Wahlen zur Bedingung von Wirtschaftshilfe gemacht wird. Hierzu kommt in Bosnien-Herzegowina noch das Motiv, die IFOR/NATO-Truppen wie geplant nach einem Jahr zurückziehen zu können.

Dennoch gibt es ein recht breites Spektrum an Parteien. Neben den national ausgerichteten Vorkriegsparteien – HDZ (kroatisch), SDA (bosniakisch-muslimisch) und SDS (serbisch) – besteht eine Reihe kleiner, oppositioneller Parteien. Einige von ihnen sind nur noch extremere Nationalisten. Andere aber treten für ein geeinigtes, multinationales Bosnien ein. Zwischen ihnen gibt es sogar über die Grenzen hinweg Kontakte.6 Sie haben sich nach mehreren im Ausland abgehaltenen Treffen zu einer »Demokratischen Alternative« zusammengeschlossen und einen Forderungskatalog veröffentlicht, in dem u.a. die Verfolgung aller Kriegsverbrecher und internationale Garantie für die sichere Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre Ausgangsgebiete gefordert wird.

Ein Thema, das auch hier in Deutschland die Medien beschäftigt, ist die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge. Dem Daytoner Abkommen gemäß haben alle Flüchtlinge und Vertriebene (Vertriebene sind Flüchtlinge, die innerhalb der Staatsgrenzen verblieben) das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat oder ersatzweise auf finanzielle Entschädigung. Die Bundesregierung nahm das als Signal, sofort die euphemistisch »Rückführung« genannte Abschiebung der bosnischen Kriegsflüchtlinge zu planen. Mit der Ausnahme Schwedens, das all seinen Flüchtlingen das Bleiben gestattet, reagierten die anderen Gastländer ähnlich. Sie ignorieren dabei, daß in Bosnien-Herzegowina die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Reintegration der Rückkehrenden noch nicht geschaffen worden.

Die mit der Flüchtlingsrückkehr verbundenen Probleme sind gut bekannt. Eine unter den in Deutschland lebenden FLüchtlingen durchgeführte Umfrage7 ergab, daß derzeit nur ein Viertel bereit ist, zurückzukehren. Zu groß sind die Zweifel an der Dauerhaftigkeit des Friedens, den zwei von drei Flüchtlingen als Bedingung für ihre Rückkehr bezeichneten. Bei 35<0> <>% der Nicht-Rückkehrwilligen ist der Grund der, daß der Heimatort in der „falschen“ ethnischen Zone liegt. Allgemein, auch für das Gebiet der Föderation gilt, daß eine Rückkehr von Menschen der »falschen« Volkszugehörigkeit unerwünscht ist. In jetzt kroatische Gemeinden werden Kroaten zurückgesiedelt, in bosniakische Muslime, in serbische Serben. Den Übersichten der UNHCR zufolge, die sich um eine Dokumentation der Lage in allen größeren Gemeinden bemüht, um Flüchtlingen eine Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, sind bislang nur kleine Zahlen der jeweils anderen Nationen in ihre Heimat zurückgegangen8.

Arbeit und Wohnung – dies sind die beiden anderen großen Fragezeichen für die rückkehrenden Flüchtlinge, wenngleich in der erwähnten Umfrage nur 4<0> <>% bzw 8<0> <>% diese beiden Punkte als Entscheidungskriterium benannten. Wenn hier nicht eine behutsame Politik betrieben wird, entsteht ein ungeheures Pulverfaß. Denn in den von den Flüchtlingen aufgegebenen Häusern und Wohnungen leben heute oftmals andere, die ihrerseits als Vertriebene eine Unterkunft brauchten. Ohne Ersatzwohnraum können sie nicht einfach vor die Tür gesetzt werden, selbst wenn die Behörden bereit zu einem solchen Vorgehen wären. Was bleibt, ist die Drohung von Selbsthilfe, gewaltsamem Widerstand gegen die Vertreibung aus der Wohnung und späteren Racheakten. Die Methoden, die kroatische Soldaten in Kroatien anwenden, um sich mit Unterstützung der Behörden eine Wohnung zu beschaffen,9 geben hier nur ein schwaches Abbild von dem, was in Bosnien-Herzegowina zu befürchten wäre.

Die Schaffung von genügend neuem Wohnraum könnte hier zur Entspannung der Lage beitragen. Dies steht auch auf dem Programm der UN an oberster Stelle, nur getan wird anscheinend sehr wenig, was mit unklaren Eigentumsverhältnissen begründet wird.10

Im Bereich der Arbeitsplatzschaffung könnten neben der Überwindung der oben skizzierten Probleme Programme der Berufsbildung und Weiterbildung von Nutzen sein. Z.B. gibt es in mehreren Städten Einrichtungen, wo Menschen kostenlos bestimmte Berufe erlernen, Computerfähigkeiten erwerben oder Fremdsprachen studieren können. Initiativen dieser Art, die gewöhnlich auf internationales Engament durch NROs zurückgehen, könnten wesentlich ausgebaut werden.

Notwendig: ein Klima der Toleranz

Ein Wohnbauprogramm und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen allein lösen aber die Probleme nicht, wenngleich sie durchaus als Maßnahmen der Konfliktprävention betrachtet werden dürfen. Ergänzend wäre die Schaffung eines öffentlichen Klimas der Toleranz gegenüber den jeweils anderen beiden Volksgruppen und der Aufbau von Demokratie erforderlich. Ein solches Klima ist allein noch in Tuzla und – mit Einschränkungen – in Sarajevo zu finden. Hierzu könnten verschiedene Gruppierungen beitragen: die öffentlichen Medien durch eine ausgleichende Berichterstattung; die internationale Gemeinschaft und die Regierungen in Bosnien durch finanzielle Unterstützung und Schaffung der gesetzlichen Bedingungen für eine unabhängige Presse; die Religionsgemeinschaften, denen von ihrem Charakter her moralische Argumentationen am leichtesten fallen sollte sowie unabhängige Vereine und Assoziationen durch Versöhnungsarbeit, Entwicklung von friedenspädagogischen Programmen etc.

Ein Beispiel könnten die Nachbarländer liefern: In Kroatien und Serbien haben sich verschiedene Nichtregierungsoganisationen11 pädagogischen Fragen angenommen und z.B. Arbeitskreise für die Weiterbildung von LehrerInnen eingerichtet. Solche Maßnahmen sind notwendig, weil die Schulen in der Nachkriegszeit mit bislang unbekannten Problemen konfrontiert sind: Kinder, die u.a. mehrere Jahre als Flüchtlinge lebten, interethnische Konflikte; Trauer und Traumata; stark gestiegene Gewaltbereitschaft etc.

Aufbau von Demokratie ist ein Bereich, in dem Nichtregierungsorganisationen eine Schlüsselrolle spielen (müssen). Vorbilder aus Serbien und Kroatien demonstrieren, welche Aufgaben sie wahrnehmen können: Menschenrechtsarbeit; unabhängige Medien (Zeitungen, Rundfunk); Unterstützung bei Kommunikation und Austausch über Grenzen hinweg (durch E-mail, Austausch von Briefen, Austausch von Zeitungen; Organisation internationaler Treffen; Einrichtung von für alle zugängliche Begegnungszentren wie in Mohacz/Ungarn; Förderung von Begegnungen und Runden Tischen; interreligiöser Dialog; Netzwerke Oppositioneller Parteien).

Menschenrechte und Gerechtigkeit

Im Daytoner Abkommen wird dem Thema der Menschenrechte ein großes Gewicht eingeräumt. Die Verfassung Bosnien-Herzegowinas erkennt alle einschlägigen Menschenrechtskonventionen an, und diese werden durch einen eigenen Annex zum Thema nochmals bestärkt. Außerdem wurde eine Menschenrechtskommission mit der Institution eines Ombudsmanns, der für Beschwerden der Bevölkerung zur Verfügung steht und eine Menschenrechtskammer aus sechs bosnischen und acht internationalen (aus Ländern des Europarats zu bestimmenden) Mitgliedern geschaffen. Was bislang fehlt, ist ein Amnestiegesetz für Deserteure – wie Kroatien es erlassen hat – und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Solange es beides nicht gibt, müssen zurückkehrende Männer im wehrpflichtigen Alter damit rechnen, umgehend zur Armee eingezogen zu weden.

Es gibt in Bosnien-Herzegowina eine Reihe von Menschenrechtsorganisationen. Sie befassen sich allerdings in erster Linie mit der Frage von Kriegsverbrechen, und dieses ist wiederum immer hauptsächlich die Frage, was die andere Seite der eigenen angetan hat. Es hat auch während des Krieges mehrere Nichtregierungsorganisationen gegeben (z.B. das International Peace Center in Sarajevo), die Kriegsverbrechen dokumentiert und publiziert haben. Allerdings sind sie alle sehr zurückhaltend, wenn es um nicht-kriegsbedingte Menschenrechts-Fragen geht.

Die Erfahrungen aus anderen Krisen- und Kriegsgebieten lehren, welch wichtige Rolle die Verfolgung von Kriegsverbrechern, Folterern und der politisch Verantwortlichen für die Bewältigung der Vergangenheit spielt. Die Entschädigung der Opfer, die in Bosnien-Herzegowina noch überhaupt nicht angegangen wurde, wäre eine ergänzende Maßnahme, die vielleicht da Gerechtigkeit wiederherstellen könnte, wo eine Verfolgung von Schuldigen unmöglich ist.

Wie könnte der deutsche Beitrag aussehen?

Eine der Hauptsorgen der Bundesregierung war von Anfang an die Zuwanderung von Flüchtlingen aus der Region nach Deutschland und das Problem, wie man diese wieder los wird. Entgegen dem allgemeinen Eindruck in der Öffentlichkeit ist auch gegenwärtig noch ungeklärt, ob es ab 1. Juli 1996 zur Abschiebung von bosnischen Kriegsflüchtlingen kommen wird oder nicht. Von den Ausländerbehörden erhalten inzwischen immer mehr Flüchtlinge den Bescheid, daß sie zum 1.7. das Land zu verlassen hätten.

Unter Berufung auf die für Flüchtlinge ausgegebene Summe (rund 17 Mrd. DM) weigert sich die Bundesregierung auch, über die der EU zur Verfügung gestellten Gelder für den Wiederaufbau (1,8 Mrd DM) hinaus weitere, eigene Gelder zum Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen.

Die Unwilligkeit, im zivilen Bereich Initiative zu ergreifen, zeigte sich auch beim Umgang der Bundesregierung mit der von einem breiten Spektrum von Kirchen und Friedensorganisationen getragenen Initiative, einen Zivilen Friedensdienst für Bosnien ins Leben zu rufen. Das Konzept sah vor, internationale Fachkräfte zu finanzieren, die mit lokalen Organisationen in den Aufgabenfeldern der Konfliktbearbeitung und Versöhnungsarbeit zusammenarbeiten sollten. Die Erfahrung in Kroatien und der Republik Jugoslawien hatte gelehrt, daß bei bestimmten Aufgaben, etwa aktivem Eingreifen bei Menschenrechtsverletzungen oder bei der Abhaltung von Seminaren in gewaltfreier Konfliktaustragung Ausländer/innen eine wesentliche Rolle spielen können, weil sie eine unabhängere Position bekleiden. Die Gespräche mit der Bundesregierung sind noch nicht beendet, doch deutet alles darauf hin, daß bestenfalls ein sehr stark reduziertes Programm Chancen auf Realisierung finden wird12.

Initiativen in der Bundesrepublik sind unterstützend in verschiedenen Bereichen des Wiederaufbaus in Bosnien tätig. Sie finanzieren und fördern bosnische NROs; organisieren humanitäre Hilfe; helfen FLüchtlingen in Deutschland und arbeiten politisch gegen deren zwangsweise Rückführung; leisten Solidaritätsarbeit mit Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren; haben verschiedene psychosoziale Betreuungsprojekte für Kriegsopfer aufgebaut und vieles mehr.

Eine zivile Kriegsfolgenbearbeitung ruht im wesentlichen auf den Schultern von Bürgerinnen und Bürgern und ihrer Zusammenschlüsse (Nichtregierungsorganisationen). Aber sie allein werden es nicht schaffen, eine tragfähige und zukunftsfähige Entwicklung in Gang zu setzen. Staatliche und internationale Programme sind notwendig und geben vielfach wohl erst den Rahmen, in dem solches ziviles Engagement Aussichten auf Erfolg hat. Bosnien-Herzegowina hat aber nur dann eine Chance den Krieg zu überwinden, wenn wesentlich mehr in die zivile Konfliktfolgenbearbeitung investiert wird. Andernfalls muß gefürchtet werden, daß der Vertrag von Dayton nicht das Ende der Segmentierung Bosnien-Herzegowinas bedeutet. Auch ein neuer Krieg nach Abzug der NATO wäre dann nicht ausgeschlossen.

Viele der hier für Bosnien-Herzegowina skizzierten Maßnahmen und Probleme sind nicht nur auch anwendbar auf andere Regionen Ex-Jugoslawiens (wie z.B. die ehemals unter serbischer Kontrolle stehenden Teile Kroatiens sowie Serbien und Montenegro incl. des Kosovo), sondern es besteht geradezu eine Notwendigkeit, sie auf diese Regionen auszuweiten. Nur so kann die Eskalation neuer Konflikte verhindert werden, zumal sich in den beiden Nachbarländern Bosniens, in Kroatien und der Republik Jugoslawien, eine Tendenz zur weiteren Entdemokratisierung bzw. Neuverfestigung totalitärer Strukturen verstärkt. Tudjman und Milosevic sind beide während des Krieges weniger gegen ihre politischen Gegner vorgegangen als heute, was sich in der Übernahme unabhängiger Medien und der Unterdrückung oppositioneller Parteien äußert, selbst wenn diese, wie in der Stadt Zagreb geschehen, die regierende Partei bei den Kommunalwahlen schlagen.

Anmerkungen

1) Alle zahlen nach: Wochenpost, 30.11.1995. Zurück

2) Die Zeit 10.Mai 1996. Zurück

3) FR 13.4.1996. Zurück

4) Daytoner Vertrag, Wright Patterson Air Force Base, Dayton, Ohio Nov 1-21, 1995. Zurück

5) Als Anhänge enthält der Daytoner Vertrag folgende Abkommen: Grenzziehung zwischen den Völkern Bosniens, Verfassung Bosnien-Herzegowinas, Bereitschaft zu Schiedsgerichtbarkeit bei Konflikten, Menschenrechte, Flüchtlinge und Vertriebene, Schutz von Kulturdenkmälern, Öffentliche Einrichtungen, zivile Implementierung und internationale Polizei. Zurück

6) Zoran Arbutina in Friedensforum 5/95. Zurück

7) Untersuchung des Saarbrücker Instituts für Entwicklungsforschung, durchgeführt im Auftrag der UNHCR. Nach: Handelsblatt vom 9.4.1996. Zurück

8) Diese Berichte sind bei den UNHCR-Büros zu beziehen. Zurück

9) Siehe Berichte von Otvorene Oci, dem kroatischen Team des Balkan Peace Teams. Zu beziehen bei: BPT, Marienwall 9, 32423 Minden. Zurück

10) Die Zeit 11.Mai 1996. Zurück

11) Eine Adressenliste von Friedens-, Frauen- und Menschenrechtsgruppen im ehemaligen Jugoslawien kann bezogen werden beim Bund für Soziale Verteidigung, Marienwall 9, 32423 Minden. Zurück

12) Rundbrief des Forums Ziviler Friedensdienst. Zurück

Christine Schweitzer, Ethnologin, Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung

Ausbildungsprogramm für internationale Friedenseinsätze

Ausbildungsprogramm für internationale Friedenseinsätze

Eine weltweit einzigartige Initiative

von Arno Truger

Vom 13. September bis 9. Oktober 1993 organisierte das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) gemeinsam mit dem European University Center for Peace Studies (EPU) in Stadtschlaining (Burgenland/ Österreich) einen vierwöchigen Pilot-Grundkurs im Rahmen des von ihnen entwickelten »International Civilian Peace-Keeping and Peace-Building Training Program« (IPT). Im folgenden werden die Intention, die Struktur und eine erste Auswertung des Ausbildungsprogrammes beschrieben.

IPT ist das weltweit erste Programm, mit dem Fachleute, die einen unterschiedlichen beruflichen und organisatorischen Background haben, eine grundlegende Ausbildung erhalten, welche vorerst unabhängig davon ist, für welchen spezifischen Träger und welche spezifische Mission sie schließlich tätig werden; ein Programm, mit dem ein personelles Reservoir aus geschulten zivilen Fachleuten geschaffen wird, die für zivile Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten unterschiedlicher Organisationen wie den Vereinten Nationen, der KSZE und internationaler und nationaler Non Governmental Organisations zur Verfügung stehen.

Der wesentliche unmittelbare Auslöser für die Erstellung des Programms durch die beiden Schlaininger Institute war einerseits das Bemühen der Österreichischen Bundesregierung, die friedenserhaltenden Operationen der UNO zu unterstützen und andererseits das Manko an ausgebildeten zivilen Fachkräften, die Österreich der UNO für zivile Aktivitäten zur Verfügung stellen kann.

Für die Trägerschaft durch ÖSFK und EPU sprach die Erfahrung dieser Institute mit internationalen Studien- und Konfliktlösungsveranstaltungen. Das englischsprachige postgraduate Programm der EPU in Peacestudies und die Veranstaltungen, die das ÖSFK zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien durchgeführt hatte, waren eine gute Basis für die Entwicklung eines solchen Programms. Dazu kommt, daß diese Institute in Stadtschlaining über eine Infrastruktur mit Hotel-, Konferenz- und Seminarräumlichkeiten sowie eine gut bestückte Bibliothek mit englischsprachigen Publikationen verfügen, welche der Organisation eines englischsprachigen internationalen Programms zugute kommt.

Nach Vorlage eines Rohkonzeptes erteilte die Österreichische Bundesregierung den beiden Instituten den Auftrag für die Entwicklung eines Ausbildungsprogramms und unterstützt es finanziell.

Für den Pilot-Grundkurs wurden aus 53 Bewerbungen 24 TeilnehmerInnen aus 9 unterschiedlichen Ländern Europas, Afrikas, Nord- und Südamerikas ausgewählt. Zum Teil hatten sie bereits Erfahrungen in zivilen Peace-Keeping und Peace-Building-Aktivitäten. Zirka die Hälfte der TeilnehmerInnen waren Frauen. Am Kurs nahmen Beamte und Angehörige von NGO's sowie Diplomaten, Militärangehörige und auch einige Privatpersonen teil. Drei österreichische TeilnehmerInnen planten einen Einsatz in der UNPROFOR-Zone, den sie in Österreich als Zivildienst anerkennen lassen wollen.

Als Referenten und Trainer wurden international anerkannte Fachleute eingeladen; unter ihnen hochrangige Repräsentanten der UNO und der KSZE sowie von internationalen NGOs.

An der Evaluation des Pilot-Grundkurses nahmen auch Beobachter teil. Sie evaluierten gemeinsam mit den TeilnehmerInnen, ReferentInnen und Programmgestaltern während und am Ende des Kurses die Brauchbarkeit des Programms. Bei diesen Auswertungen wurden im wesentlichen seine Relevanz und seine Inhalte bestätigt und auch wichtige Ergebnisse hinsichtlich seiner künftigen Strukturierung erzielt. Im folgenden sollen die wesentlichsten Erkenntnisse zusammengefaßt werden.

Die Relevanz von „Peace-Building“-Einsätzen

Die Relevanz des Programms hängt wesentlich von der Bedeutung der Einsätze ab, für die das Programm ausbildet. Bei den Einsätzen handelt es sich um kollektive internationale Bemühungen zur Verhinderung gewaltförmiger Eskalation von Konflikten bzw. zu deren Transformation auf eine Ebene geringeren Gewaltpotentials. Diese Bemühungen werden vor allem aus zwei Gründen immer bedeutender:

Erstens: Die politischen Veränderungen in Ost(mittel)europa reduzierten zwar einerseits die Gefahr einer militärischen Ost-West-Konfrontation; sie ermöglichten aber andererseits eine gewaltförmige Eskalation von vor allem inner- und zwischenstaatlichen Konflikten. So sind z.B. die militärischen Auseinandersetzungen in der ehemaligen Sowjetunion, im ehemaligen Jugoslawien, aber auch zwischen Irak und Kuwait Ausdruck dieser Entwicklung. Besonders für die zunehmenden innerstaatlichen Konflikte tiefgespaltener Gesellschaften werden internationale Konfliktlösungsbemühungen, die von gleichsam neutralen Außenstehenden kommen, immer notwendiger.

Zweitens: Die sich ausweitenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen internationalen Abhängigkeiten führen dazu, daß auch regionale Konflikte zunehmend weltweit Auswirkungen haben und daher auch kollektive internationale Konfliktlösungsbemühungen in immer größerem Ausmaß hervorrufen. Die Konfliktlösungskompetenz internationaler Organisationen wie der UNO, der KSZE, aber auch von NGOs wird immer stärker gefordert und wahrgenommen.

Die Erfolge des zunehmenden internationalen Engagements zur Konfliktlösung sind allerdings mehr als bescheiden. Allgemein anerkannte Gründe dafür, welche auch in der „Agenda for Peace“ des UN-Generalsekretärs Boutros Ghali hervorgehoben werden, sind:

  • das zu späte Eingreifen erst dann, wenn es bereits zu einer gewaltförmigen Eskalation der Konflikte gekommen ist,
  • die Dominanz militärischer Konfliktlösungsstrategien über eine politische Schwerpunktsetzung,
  • die ungenügende Berücksichtigung jener persönlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen, welche für die Eskalation von Konflikten verantwortlich sind bzw. zu deren Deeskalation beitragen können,
  • die fehlende Ausbildung der an zivilen Konfliktlösungs-Einsätzen Beteiligten.

Aus dieser Kritik ergibt sich die Notwendigkeit einer international koordinierten, gewaltfreien, flexiblen, praxisbezogenen Friedensarbeit, welche möglichst frühzeitig einer gewaltförmigen Eskalation von Konflikten begegnet. Eine solche Friedensarbeit kann unter dem Begriff „Peace-Building“ zusammengefaßt werden.

Diese Begriffsbildung erfolgt in Anlehnung und Weiterentwicklung der Definitionen, welche Boutros Ghali in der „Agenda for Peace“ vorgenommen hat. Er unterscheidet „Preventive Diplomacy“ (diplomatische Bemühungen, welche den Ausbruch von militärisch ausgetragenen Konflikten verhindern sollen), „Peace Making“ (diplomatische und militärische Bemühungen, welche militärisch ausgetragene Konflikte beenden sollen), „Peace-Keeping“ (militärische und zivile Bemühungen, welche im Konsens mit den Konfliktparteien vor oder nach einer militärischen Austragung von Konflikten deren militärischen (Wieder)ausbruch verhindern helfen sollen), und schließlich „Postconflict Peace-Building“ (zivile Bemühungen, welche auf die Rekonstruktion der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zielen).

Bemühungen, möglichst frühzeitig einer militärischen Eskalation von Konflikten vorzubeugen, dürfen sich freilich nicht nur auf diplomatische Aktivitäten beschränken, wie sie Boutros Ghali in der „Agenda for Peace“ unter dem Begriff „Preventive-Diplomacy“ zusammenfaßt. Vielmehr ist es erforderlich, Aktivitäten, welche er unter dem Begriff „Postconflict Peace-Building“ nennt, bereits in einem frühen Stadium der Konflikteskalation zu setzen. Es erscheint daher sinnvoll, „Peace-Building“ gleichsam als Überbegriff für Friedensarbeit zu verwenden, die vor einer militärischen Austragung eines Konfliktes (“Preventive Peace-Building“) oder nach ihrer Beendigung (“Postconflict Peace-Building“) stattfindet. Findet eine solche Peace-Building-Arbeit in Zusammenhang mit Peace-Keeping-Operationen statt, kann von zivilen Peace-Keeping-Aktivitäten gesprochen werden. Während des Peace-Making (diplomatische und militärische Aktivitäten zur Beendigung von militärisch ausgetragenen Konflikten) ist Peace-Building nicht möglich.

Konkrete Beispiele für zivile Peace-Keeping und Peace-Building-Aktivitäten sind: vermittelnde und vertrauensstiftende Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien, humanitäre Hilfe (einschließlich medizinischer Versorgung, Flüchtlingsbetreuung und -rückführung etc.), Hilfe beim Wiederaufbau, Stabilisierung der wirtschaftlichen Strukturen (einschließlich dem Herstellen von Wirtschaftskontakten), Beobachtung und Förderung der Menschenrechts- und Demokratiesituation (einschließlich Wahlbeobachtung und -hilfe), interimistische Übernahme von Verwaltungsaufgaben zur kurzfristigen Erhöhung der Stabilität, Aufbau von Bildungsstrukturen sowie von Bildungsprogrammen, die auf den Abbau von Vorurteilen und Feindbildern zielen. Im Zusammenhang mit dem Pilot-Grundkurs wurde insbesondere die Bedeutung der Bekanntmachung und Erklärung der zivilen Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten gegenüber den Konfliktparteien und der Bevölkerung durch umfangreiche gezielte Informationsbemühungen deutlich.

Voraussetzung für den Erfolg dieser Aktivitäten ist allerdings eine gute Vorbereitung der daran Beteiligten auf diese Aufgaben und auf die allgemeinen Bedingungen ihres Einsatzes in Konfliktgebieten; d.h. auf akute Konfliktsituationen, mangelnde Infrastruktur, akute und vielfach krasse Vorurteile und Feindbilder, Gesundheits-, Versorgungs- und Flüchtlingsprobleme etc. Neben einem fundierten Wissen über Konfliktlösung benötigen die Beteiligten aber auch konkrete Informationen über die Voraussetzungen und Bedingungen der spezifischen Konflikte, zu deren Lösung sie beitragen sollen, sowie über die Organisationen, welche darin involviert sind.

Die Zunahme der beschriebenen zivilen Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten und der Mangel an dafür geschulten Fachkräften erfordern Ausbildungsprogramme wie das IPT, das für sehr vielfältige zivile Aufgaben konzipiert ist und das von Personen mit sehr unterschiedlichem Background im Rahmen von Operationen von sehr unterschiedlichen Organisationen wahrgenommen wird.

Hinsichtlich der Relevanz des Programms zeigte sich bereits in seiner Vorbereitungsphase – während eines Vorbereitungsworkshops, aber auch bei der Rekrutierung der TeilnehmerInnen und ReferentInnen – ein hohes Maß an Interesse und Zustimmung. Tenor der Reaktionen: Endlich werde ein Ausbildungsprogramm angeboten, in dem praxisorientiert für Friedensarbeit ausgebildet wird.

Bei der Evaluation des Kurses bestätigte sich dieser Eindruck. Aus den Erfahrungen der ReferentInnen und jener TeilnehmerInnen, die über praktische Erfahrungen verfügten, aber auch aus den bearbeiteten Fallstudien ging eindeutig die Notwendigkeit einer Ausbildung hervor, die zivil- und praxisorientiert ist. Österreichische Landes- und Bundesbeamte betonten außerdem, daß der Kurs zur Herausbildung einer Identität beitrage, die nicht national beschränkt, sondern international ist. TeilnehmerInnen aus der „Dritten Welt“ bescheinigten dem Kurs auch eine Nützlichkeit für TeilnehmerInnen aus Entwicklungsländern sowie für Konflikte, die dort stattfinden. Das bedeutet freilich nicht, daß der Aufbau solcher Programme in der „Dritten Welt“ obsolet wäre. Ein brasilianischer Teilnehmer plant ein solches Programm in seinem Land.

TeilnehmerInnen

Entsprechend der unterschiedlichen Aufgabenstellungen von zivilen Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten kommt ein breites Spektrum an Fachkräften für die Ausbildung in Frage: Entwicklungshelfer, Friedensaktivisten, Zivildienstleistende, Verwaltungsbeamte, Lehrer, Gesundheitsfachleute, Techniker, Medienfachleute, Wissenschaftler etc. Hinsichtlich ihres Einsatzes in Gebieten mit anderen kulturellen Bedingungen (Bräuchen, Sprachen etc.) und in einem meist internationalen Team ist es aber auch sinnvoll und wichtig, daß interkulturelles Lernen durch eine internationale Zusammensetzung der TeilnehmerInnen bereits in die Ausbildung integriert wird.

Die der Zielsetzung des Ausbildungsprogramms entsprechende heterogene TeilnehmerInnenstruktur des Grundkurses hat sich als besonders positiv herausgestellt. Sie führte zu einem gegenseitig befruchtenden interkulturellen Lernprozeß. Auch Vorurteile zwischen Militärangehörigen und Zivildienern wurden während des Kurses abgebaut und ein besseres Verständnis für die jeweilige Haltung und Sichtweise erzielt, was für eine Kooperation in Einsätzen äußerst wichtig ist. Es kam zur Herausbildung einer „Wir-Atmosphäre“, die insbesondere für Übungen, Plan- und Rollenspiele förderlich war, aber sich auch auf den gesamten Kurs, der hohe Anforderungen an die TeilnehmerInnen stellte, positiv auswirkte.

Voraussetzung für die Teilnahme an der Ausbildung sind fachliche Grundlagen für die diversen zivilen Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten, gute Gesundheit, gute Englischkenntnisse, eine gültige Fahrerlaubnis sowie die prinzipielle Bereitschaft, für eine Mission verfügbar zu sein.

Letzteres bedeutet, daß sich das Ausbildungsangebot nur an jene wendet, die wirklich vorhaben, sich für zivile Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. Eine Garantie dafür, daß sie einen solchen Einsatz leisten können, kann allerdings nicht gegeben werden. Es liegt am Interesse einer Einsatzorganisation bzw. am Engagement der TeilnehmerInnen, ob eine Beteiligung an einem Einsatz zustandekommt. Das ÖSFK hat allerdings das Ziel, daß es nicht nur durch die Ausbildung, sondern auch durch Vermittlung unterstützend wirken kann. Es wird am Erfolg und am Bekanntheitsgrad des Programms liegen, in welchem Maße sich Einsatzorganisationen zur Rekrutierung ihres Personals der Vermittlung durch das ÖSFK wenden.

Die Nützlichkeit des Programms zeigte sich bereits dadurch, daß, obwohl es sich um einen Pilotkurs handelte, im Anschluß daran bereits 6 TeilnehmerInnen an Einsätzen in Krisenregionen teilnahmen. Darüber hinaus wurde das ÖSFK bereits vom Österreichischen Außenministerium angefragt, welche TeilnehmerInnen des Pilot-Grundkurses gegebenenfalls für vermittelnde und vertrauensstiftende Maßnahmen und für Wahlbeobachtung im Rahmen einer UNO-Mission in Südafrika in Frage kämen.

Struktur

Das entwickelte Ausbildungsprogramm sieht folgende Schwerpunkte vor:

  • einen Grundkurs, der die Grundzüge von zivilen Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten und der darin involvierten Organisationen anhand von Fallstudien und Übungen behandelt. Ebenso die Aufgaben und die Beziehungen der TeilnehmerInnen an solchen Aktivitäten gegenüber den Konfliktparteien (Vermittlung, Vertrauensbildung, interkulturelles Verständnis, etc.), gegenüber den Partnern (Kommunikation, Team-Arbeit, Kooperation mit anderen Einsatz-Organisationen wie z.B. NGO's, UN-CIVPOL) und gegenüber sich selbst (z.B.: Umgang mit Angst).
  • Funktionsspezifische Kurse, die eine Vertiefung der Ausbildung in den Bereichen zum Gegenstand haben, in denen die TeilnehmerInnen ihre Aufgaben wahrnehmen werden (z.B. Wahlhilfe, Humanitäre Hilfe, Menschenrechtsbeobachtung, Wiederaufbau, etc.).
  • Missionsorientierte Kurse, die vor einer Mission die TeilnehmerInnen einerseits mit der spezifischen Situation am Ort (rechtlich, politisch, kulturell, etc.) und andererseits mit dem spezifischen Mandat der jeweiligen Trägerorganisation vertraut machen.

Des weiteren sind »Feed-back«-Seminare sowie eine begleitende wissenschaftliche Untersuchung der Ausbildung und der Praxis von Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten geplant. Durch sie sollen sowohl die Ausbildung als auch die Praxis verbessert werden.

In der Pilotphase wurden für den Grundkurs vier Wochen und für die funktions- und missionsorientierten Kurse jeweils eine Woche vorgesehen. Der Pilot-Grundkurs wurde in zwei zweiwöchigen Modulen konzipiert. Während der ersten beiden Wochen konzentrierte sich das Programm auf die eher theoretische Vermittlung von Grundlagenwissen, in der dritten und vierten Woche auf die Behandlung und Einübung der Praxis. Damit sollte getestet werden, ob es in Zukunft möglich sein wird, daß TeilnehmerInnen, die nicht vier Wochen in einem Stück Zeit haben, den Grundkurs zeitlich versetzt in zwei Teilen konsumieren können.

Diese Modulbildung wird in Zukunft zugunsten einer Verschränkung von Theorie und Praxis während der gesamten Laufzeit des Kurses aufgehoben, wobei ein noch stärkerer Bezug zur Praxis von zivilen Peace-Keeping- und Peace-Building-Aktivitäten hergestellt wird. Eine Mischung von Vorträgen am Vormittag und von Übungen am Nachmittag und eine stärkere Orientierung auf Fallstudien wird es den TeilnehmerInnen erleichtern, dem englischsprachigen Unterricht zu folgen. Außerdem findet durch die Abkehr vom Modulsystem kein TeilnehmerInnenwechsel statt, was eine gruppendynamisch günstigere Gestaltung des Kurses ermöglicht.

Eine weitere Anregung betraf Teile des Unterrichtsstoffes, welche Basisinformationen über Organisationen, Organisationsstrukturen und Abkürzungen beinhalten. Die Übermittlung dieser Unterlagen in schriftlicher Form soll den Unterricht davon entlasten, sie zu referieren.

Aufgrund dieser Veränderungen kann die Struktur des Programms effektiver, praxisbezogener und gruppendynamischer gestaltet werden. Der Grundkurs wird künftig dreiwöchig in Verbindung mit einem einwöchigen funktionsorientiertem Spezialisierungskurs angeboten werden. D.h., mittels eines vierwöchigen Kurses kann eine abgeschlossene Qualifikation für die Wahrnehmung einer spezifischen Funktion in einer Mission (z.B. Wahlhilfe, Humanitäre Hilfe, etc.) erworben werden. Vor einem Einsatz ist dann nur mehr eine missionsspezifische Vorbereitung erforderlich. 1994 sind im Juni und im September jeweis zwei vierwöchige Kurse geplant.

Arno Truger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) und Leiter des IPT.

ZFD goes Europe

ZFD goes Europe

Das »European Network for Civil Peace Services« (EN.CPS)

von Jochen Schmidt

In deutschen Fachkreisen ist der Zivile Friedensdienst (ZFD) als professioneller Entsendedienst zur Arbeit an Konflikten inzwischen weitestgehend bekannt (siehe auch W&F 2-2006, Dossier 52). Was aber geschieht eigentlich im europäischen Ausland und auf der EU-Ebene?

Bereits in den frühen 1990er Jahren hatten sich Friedensorganisationen aus diversen Ländern an dem Freiwilligenprojekt »Balkan Peace Team« beteiligt (Müller 2004). Ebenfalls als Reaktion auf den Bosnienkrieg wurde auf Initiative des Südtiroler Grünen-Abgeordneten Alexander Langer ab 1994 im Europäischen Parlament die Einrichtung eines »European Civilian Peace Corps« diskutiert. Dieser Vorschlag ist zwar in seiner ursprünglichen Form durch die Fortentwicklung des EU-Krisenmanagements überholt, aber er zeigt, dass es in Europa bereits vor der Einrichtung des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten ZFD-Programms ähnliche Initiativen und Vorschläge gab. Eine umfassende Forschungsarbeit insbesondere zu den Entwicklungen in verschiedenen europäischen Ländern steht bislang aus. Ansätze finden sich bei Poort van-Eeden (2000) und Wallis & Junge (2001, Kap. 5).

Für die europäische Vernetzung zivilgesellschaftlicher Initiativen für eine konstruktive Konfliktbearbeitung in Krisenregionen engagieren sich in Deutschland vor allem das »Forum Ziviler Friedensdienst« (forumZFD / http://www.forumZFD.de) und der »Bund für Soziale Verteidigung« (BSV / http://www.soziale-verteidigung.de). Nach vorbereitenden Treffen kam es 1999 während des Haager Friedenskongresses zur Gründung des »European Network for Civil Peace Services« (EN.CPS). Bei seinem Jahrestreffen im Jahr 2000 in Berlin waren 16 TeilnehmerInnen aus sechs Ländern zugegen; dabei ging es vor allem um gegenseitiges Kennenlernen und Erfahrungsaustausch. In den Folgejahren stieg die Teilnehmerschaft stetig auf 19 Mitgliedsorganisationen aus 14 Ländern. Bei den Jahrestreffen 2001 bis 2003 in der Schweiz, in Italien und in Österreich wurden ein gemeinsames »Mission Statement« verabschiedet und Pläne für ein multinationales »Civil Peace Service« (CPS)-Projekt auf Zypern besprochen. Letztgenanntes Vorhaben kam trotz erheblicher Vorarbeiten nicht zustande, da nach dem Scheitern des Annan-Plans zur Lösung des Zypern-Problems die erhofften EU-Fördermittel zurückgestellt wurden. Bei weiteren EN.CPS Jahrestreffen 2004 bis 2006 in Schottland, Rumänien und Spanien wurden dennoch gemeinsame Leitprinzipien für CPS-Einsätze sowie vorläufige europäische Trainingsstandards beschlossen (http://www.en-cps.org).

Dieser Bestand an professionellem Know-how und an Vernetzung floss 2003 mit ein in die Gründung der weltweiten »Nonviolent Peaceforce« (NP), die sich größere Projekte gewaltfreier Drittpartei-Intervention zum Ziel setzt (http://www.nonviolentpeaceforce.org). Aufgrund der hohen Deckungsgleichheit zwischen den Akteuren von EN.CPS und den europäischen Mitgliedern von NP finden die Jahrestreffen seitdem zeitgleich als Doppeltreffen beider Organisationen statt. Ziel des EN.CPS ist weiterhin die „Förderung Ziviler Friedensdienste als Instrument gewaltfreier Konflikttransformation auf der nationalen Ebene wie auch in Europa“. Als loser Verbund ohne bezahlte Koordinatorenstelle dient das EN.CPS vor allem dem Informationsaustausch, der gegenseitigen Unterstützung und als »Partnerbörse« für gemeinsame Projekte. Beim letzten Jahrestreffen im April 2007 in Berlin wurden zudem ein internes Regelwerk verabschiedet und ein fünfköpfiger Lenkungsausschuss gewählt (vgl. Brües 2007). Das nächste Jahrestreffen soll im Frühjahr 2008 in der Slowakei stattfinden.

Gegenüber den EU-Institutionen in Brüssel vertritt das EN.CPS sein Anliegen für eine stärkere Anerkennung und Förderung von zivilen Friedensdiensten durch seine Mitgliedschaft beim »European Peacebuilding Liaison Office« (EPLO / http://www.eplo.org). Mitarbeiter und Ehrenamtliche aus verschiedenen EN.CPS-Organisationen beteiligen sich aktiv in EPLO-Arbeitsgruppen, wirken an der Erarbeitung von Lobby-Papieren mit und nehmen an europäischen Konferenzen teil. Um allerdings konkreter auf die Einführung eines ZFD/CPS-Programms im Rahmen der EU-Außenbeziehungen hinzuarbeiten, reichen die momentan zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht aus.

Erfreulich ist, dass durch die Initiative von EN.CPS-Mitgliedsorganisationen inzwischen auch in anderen europäischen Ländern die Einführung eines ZFD ernsthaft in Erwägung gezogen wird. So will die österreichische »Agentur für Entwicklungszusammenarbeit« (ADA) in Kooperation mit NGOs bis 2009 ein ZFD-Programm einrichten. In Spanien und Frankreich wurden Gesetzesentwürfe im Parlament eingebracht, die u.a. die Einrichtung von zivilgesellschaftlichen Friedensfachdiensten fordern. In Italien hat die Abteilung für Entwicklungszusammenarbeit des Außenministeriums eine Kommission mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie zum Thema »Corpi Civili di Pace« beauftragt und für 2008 sind erste Pilotprojekte geplant. Diese Entwicklungen sind nicht zuletzt deswegen begrüßenswert, weil dadurch auch bei deutschen Verantwortlichen für Friedensentwicklung und Krisenprävention die Möglichkeiten eines ZFD/CPS auf der europäischen Ebene an Bedeutung gewinnen werden.

Literatur

Brües, Stephan (2007): Vorfahrt für Zivil. Wissenschaft und Frieden, 25 (3), S.48.

Müller, Barbara (2004): Balkan Peace Team 1994-2001. Mit Freiwilligen-Teams im gewaltfreiem Einsatz in Krisenregionen. Braunschweig: Arbeit und Leben.

Poort van-Eeden, Janne (2000): Internationale Zusammenarbeit für Gewaltfreiheit. In Tilman Evers (Hrsg.), Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S.165-172). Opladen: Leske + Budrich.

Wallis, Tim / Junge, Mareike (2002): Enhancing UK capacity for handling conflict (http://www.peaceworkers.org.uk/index.php?option=com_content&task=view&id=149&Itemid=165#enhancing) [14. September 2007]

Jochen Schmidt arbeitet für die Akademie für Konflikttransformation in Bonn und ist als Mitglied des forumZFD für das EN.CPS engagiert

Ziviler Friedensdienst – »Frieden schaffen ohne Waffen!«

Ziviler Friedensdienst – »Frieden schaffen ohne Waffen!«

von Dieter Bricke, Tilman Evers, Martin Quack, Andreas Rosen und Lutz Schrader

Herausgegeben von Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit dem Forum Ziviler Friedensdienst, dem Bund für Soziale Verteidigung, dem Förderverein Willy-Brandt-Zentrum, Ohne Rüstung Leben und Pax Christi (Deutsche Sektion, Aachen und Rottenburg-Stuttgart)

zum Anfang | Einleitung

Vor zehn Jahren wurde das Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) gegründet. Damals entsandte die Bundesregierung 4.000 Bundeswehrsoldaten in einen NATO-Einsatz nach Bosnien. Parallel dazu versuchte das forumZFD 200 Friedensfachkräfte in die Region zu entsenden. Dies scheiterte an der Regierung, aber für die Karriere eines spannenden Projektes war damit der Anfang gemacht. Das forumZFD hat seither mit 31 Friedensfachkräften Projekte in Südosteuropa und in Palästina und Israel durchgeführt. Insgesamt wurden von allen Trägern bis Dezember 2005 236 Friedensfachkräfte entsandt. Die Akademie für Konflikttransformation des forumZFD bildet solche Fachkräfte aus, darunter immer mehr Menschen aus den Konfliktregionen selbst. Seit 1997 absolvierten 220 Personen den Qualifikationskurs. Ausstellungen, Friedensläufe und Vorträge stellen Öffentlichkeit für den Zivilen Friedensdienst her. Dieses neue Instrument der Konfliktbearbeitung wird umso wirksamer, je mehr in es investiert wird: konzeptionell, personell, finanziell. Deshalb setzt sich das forumZFD für einen höheren Stellenwert der Zivilen Konfliktbearbeitung in Staat und Gesellschaft ein.

Das Jubiläum des forumZFD ist Anlass für die Veröffentlichung des vorliegenden Dossiers. Es zieht Bilanz, führt Diskussionen fort und eröffnet hoffentlich neue Perspektiven.

Zunächst gibt Tilman Evers einen umfassenden Überblick über den Zivilen Friedensdienst, seine Entstehung und Implementierung, seine Entwicklung in den sechs Jahren seither und die aktuellen Herausforderungen. In den weiteren Beiträgen werden besondere Aspekte erörtert. Andreas Rosen konkretisiert den Zivilen Friedensdienst in Form eines Berichts über seine persönlichen Erfahrungen mit Friedens- und Versöhnungsarbeit in Südafrika als Friedensfachkraft des Weltfriedensdienstes. Martin Quack stellt die beiden Prinzipien der Allparteilichkeit und der lokalen »ownership« vor und diskutiert das Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Die daraus resultierenden Unterschiede in der Partnerorientierung kommen im Konsortium Ziviler Friedensdienst immer wieder zur Sprache. Dieter Bricke setzt sich mit dem Verhältnis von Zivilem Friedensdienst und Militär auseinander. Die Langversion dieser Stellungnahme wurde im Beirat des Forum Ziviler Friedensdienst diskutiert und traf auf große Zustimmung der Mitgliederversammlung 2004. Sie ist eine Grundlage für die weitere Diskussion dieses Themas. Schließlich erörtert Lutz Schrader Identität, Legitimität und Handlungsfähigkeit des Zivilen Friedensdienstes und zeigt, wie sie erhöht werden können.

Martin Quack

zum Anfang | Arbeit an Konflikten

Der Zivile Friedensdienst nach sechs Jahren

von Tilman Evers

Der Zivile Friedensdienst (ZFD) ist alt und neu zugleich: Alt insofern, als er auf jahrzehntelangen Traditionen der nichtstaatlichen Friedensarbeit aufbaut. Zugleich aber neu, weil er einen nächsten Schritt der Professionalisierung hinzufügt und in der jetzigen Form eines Gemeinschaftswerks von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren erst seit 1999 existiert. Träger des ZFD sind nichtstaatliche Friedensverbünde und Entwicklungsdienste, unter Einschluss des halbstaatlichen Deutschen Entwicklungsdienstes (DED). Sie bilden lebens- und berufserfahrene Männer und Frauen in konstruktiver Konfliktbearbeitung aus und entsenden sie als Friedensfachkräfte (FFK) für mindestens zwei Jahre in Spannungsgebiete, wo sie mit friedenswilligen Partnern vor Ort für Gewaltvermeidung, Friedensförderung und zivilgesellschaftliche Teilhabe eintreten. Finanziert werden diese Projekte mit öffentlichen Mitteln insbesondere des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Die ersten Projekte begannen ihre Arbeit im Jahr 1999. Seitdem sind insgesamt ca. 230 FFK zu ihren Einsätzen in insgesamt ca. 40 Ländern ausgereist. 130 davon befanden sich Mitte 2005 aktuell unter Vertrag. In den vergangenen sechs Jahren sind einige der Projekte bereits beendet bzw. in lokale Hände übergeben worden. Manche der FFK sind zurückgekehrt und mit ihren Auslandskenntnissen inzwischen in anderen Aufgaben der Friedens-, der Entwicklungs- oder Bildungsarbeit in Deutschland oder anderswo tätig. Zusammen akkumulieren sie derzeit etwa 550 Jahre »in-project«-Erfahrung im Zivilen Friedensdienst.

Ein guter Anfang – nicht weniger, nicht mehr. Eine frühe Evaluierung des BMZ aus dem Jahr 2001/2002 bescheinigte dem neugeschaffenen Instrument einen „politischen Gestaltungserfolg“ (BMZ, 2002, S. 4). Und die Bundesregierung schreibt in ihrem „Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung““ vom 12. Mai 2004: „Das wichtigste friedenspolitische Instrument zur Förderung von Friedenspotenzialen der Zivilgesellschaft ist der Zivile Friedensdienst“ (Bundesregierung, 2004, S. 68). Wer am Aufbau des ZFD mitgewirkt hat, hört das Lob gerne. Ein Stück weit lobte sich die rot-grüne Bundesregierung auch selbst. Zu Recht insoweit, als kein anderes Land der Welt eine so weitreichende Anfangserfahrung mit einem Zivilen Friedensdienst besitzt und auch der Aktionsplan mit seiner integrativen Sicht von Konfliktursachen, von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren modellbildend ist. Zu Unrecht jedoch insoweit, als zu einem ZFD als effektivem Instrument der Gewaltprävention noch vieles fehlt. Von seiner Größenordnung, seiner konzeptionellen Selbst- und Außenwahrnehmung und seiner Mittelausstattung ist der ZFD sechs Jahre nach seinem Start noch immer ein Pilotprojekt. Den vielversprechenden Anfängen müsste ein entschlossener Ausbau zumindest auf die fünffache Zahl von Projekten über die nächsten Jahre folgen.

Die folgenden Seiten wollen Grundinformationen zum Zivilen Friedensdienst nach sechs Jahren seines Bestehens bieten und anhand ausgewählter Beispiele illustrieren. Die Schwierigkeit besteht natürlich in der Fülle des Stoffes. Die Auswahl muss daher ebenso »gegriffen« bleiben wie die Gliederung in fünf Abschnitte: Der erste beschreibt die Entstehung und den Aufbau des ZFD; der zweite seine Einbettung in das Geflecht von Akteuren und Institutionen der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB), im staatlichen wie nichtstaatlichen Bereich sowie auf nationaler wie internationaler Ebene; der dritte gibt Einblicke in die konkreten Handlungsfelder von ZFD-Projekten; der vierte in deren beobachtbare Wirkungen und ihre Nachhaltigkeit; der fünfte schließlich bietet eine vorläufige Einschätzung der Erfolge und Grenzen nach sechs Jahren ZFD sowie einen Ausblick auf die sich daraus ergebenden politischen Aufgaben der nächstfolgenden Jahre.

Entstehung und Aufbau

Den entscheidenden Anstoß für die Schaffung des ZFD gaben die Kriege im zerfallenden Jugoslawien: Was waren das für Gewaltkonflikte, bei denen die Instrumente der Frühwarnung, die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mittel zu ihrer Eindämmung, ja selbst die Begriffe zu deren Verständnis versagten? Wie konnte es geschehen, dass die europäische Öffentlichkeit dem Gemetzel über Jahre handlungsunfähig zusehen musste? Gefordert war offenbar zweierlei: Veränderte Kategorien der Wahrnehmung solcher ethno-politischen Konflikte als neuem Typus von Globalisierungs-Kämpfen mit einer bislang unbekannten Komplexität von Ursachen, Akteuren und Verläufen1 und eine nicht minder komplexe Ausweitung der Instrumente zu ihrer Bearbeitung. Für die Friedensgruppen in Deutschland bedeutete dies, jenseits der militärkritischen Bewusstseinsarbeit zusätzliche Bereiche einer konstruktiven Friedensarbeit auszubauen und zu professionalisieren.

Einem ersten Anstoß aus der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg folgend bildete sich ein lockerer Gesprächskreis mehrerer Friedensgruppen und Organisationen, der ab 1994 regelmäßig als Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) tagte. Die informelle Federführung hatte der Bund für Soziale Verteidigung (BSV).2 Bereits 1995/96 legten fachkundige Vertreter mehrerer Organisationen das erste ZFD-Curriculum für eine einjährige Ausbildung vor, das Vorbild für Trainings-Curricula in anderen europäischen Ländern wurde.

Das anfängliche, maßgeblich von dem Berliner Friedenswissenschaftler Theo Ebert inspirierte Konzept eines ZFD als dritte Alternative neben Militär- und Zivildienst (also nur für junge männliche Wehrpflichtige) fand in den Diskussionen des Jahres 1995 keine Unterstützung. Stattdessen entwickelte sich ein neues Konzept in Richtung auf einen staatlich geförderten, professionellen Entsendedienst für berufserfahrene Männer und Frauen in pluraler zivilgesellschaftlicher Trägerschaft, nicht unähnlich den Entwicklungsdiensten. Noch im selben Jahr begann das forumZFD eine intensive politische Werbung für dieses Konzept, in Form von Broschüren, Veranstaltungen und regelmäßigen Gesprächen mit maßgebenden Vertretern der beiden großen Konfessionen sowie der Bundestagsparteien. Zur Stärkung seiner politischen Handlungsfähigkeit gründete sich das forumZFD Anfang 1996 unter bisherigem Namen als e.V., mit institutioneller wie individueller Mitgliedschaft. Wichtige Zwischenergebnisse dieser Werbung waren im Jahr 1997 die sog. Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst mit der Unterschrift von zahlreichen Persönlichkeiten und Institutionen des öffentlichen Lebens (abgedruckt in Evers, 2000a, S. 349 ff.) sowie die Verleihung des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises an das forumZFD.

Unvermeidlich rief diese Entwicklung auch Spannungen hervor: Einmal zu denjenigen Teilen der Friedensbewegung, die am Antimilitarismus als zentraler Aufgabe festhalten wollten, und/oder die den Weg in die Professionalisierung, gar mit staatlicher Förderung, nicht mitgehen wollten oder konnten. Zum anderen mit den Entwicklungsdiensten, bei denen das Emporkommen eines neuen Entsendedienstes zu dem Nachbar-Thema »Frieden« ambivalente Reaktionen auslöste. Dass es gelang, diese Konkurrenz konstruktiv in ein Verhältnis gegenseitiger Ergänzung und Zusammenarbeit einzubetten, ist maßgeblich dem damaligen Geschäftsführer des DED, Willi Erl, zu verdanken. Auf seine Initiative entstand das Konsortium Ziviler Friedensdienst, zunächst als Gesprächsrahmen aller potentiellen Trägerorganisationen und ab 1999 im Zuge der Umsetzung als deren gemeinsame Handlungsplattform.

Noch im Jahr 1997 erhielt die Idee des ZFD erstmals öffentliche Förderung: Maßgeblich unterstützt vom Ministerpräsidenten Johannes Rau, bewilligte das Land NRW Mittel für eine Modell-Ausbildung zur Friedensfachkraft in gemeinsamer Trägerschaft des forumZFD sowie der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), einer Dachorganisation von evangelisch-ökumenischen Friedensgruppen. Die damals gefundene Form der viermonatigen Kompaktkurse wird seitdem weiterentwickelt und bis heute zweimal jährlich durchgeführt – inzwischen überwiegend mit Bundesmitteln und in alleiniger Trägerschaft des forumZFD.

Der entscheidende Schritt von der Vision zur Wirklichkeit kam mit dem Regierungswechsel von 1998. Die Konzepte und institutionellen Ansätze standen bereit, hinzu kam die politische Entscheidung der Koalitionsparteien sowie das persönliche Engagement der neuen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. In wenigen Monaten erarbeitete das BMZ nach Anhörung des Konsortiums (s. Konsortium ZFD, 2000) ein »Rahmenkonzept« für einen ZFD als neues Element der Entwicklungszusammenarbeit (BMZ, 2000). In ihm werden die im Konsortium zusammenwirkenden Organisationen förmlich als Durchführungsorganisationen des neuen Programms benannt. Es sind dies die sechs anerkannten Entwicklungsdienste: DED, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH – katholisch), Eirene (christlich-ökumenisch), der aus der politischen Solidaritätsarbeit erwachsene Weltfriedensdienst (WFD) und die evangelikalen Christliche(n) Führungskräfte International (CFI) sowie die beiden Friedens-Verbünde AGDF und forumZFD. Noch im Jahr 1999 reisten die ersten FFK in ihre Projektgebiete aus. Ende 2000 waren bereits über 60 FFK »vor Ort«. Im selben Jahr erschien auch der bislang umfassendste Sammelband über Konzeption, erste Erfahrungen und Perspektiven des ZFD, wiederum unter Mitarbeit aller Konsorten (Evers, 2000a).

Bis zum Jahr 2005 war die Zahl der insgesamt bewilligten FFK auf 236 gewachsen. Sie teilten sich folgendermaßen auf die Trägerorganisationen auf (siehe Tab. 1)

Tab. 1: Friedensfachkräfte nach Trägern 1999 – 2005a
Trägerorganisationen Friedensfachkräfte
1999 – 2005 Bewilligungen 2005 unter Vertrag
abs. % abs. %
Deutscher Entwicklungsdienst 94 40 58 45
Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe 48 20 25 19
Evangelischer Entwicklungsdienst 23 10 8 6
Forum Ziviler Friedensdienst 22 9 12 9
Weltfriedensdienst 18 8 8 6
Eirene 11 5 6 5
Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden
Peace Brigades International Germany (PBI)
Kurve Wustrowb
Friedenskreis Halle

9
7
2
4
3
1
5
7
0
4
5
0
Christliche Führungskräfte International 2 1 1 1
Gesamt 236 100 130 100
a) Daten dieser und folgender Tabellen:
ZFD-Sekretariat. Abweichungen in 2005 gegenüber den Gesamtzahlen 1999–2005 (auch in folgenden Tabellen) ergeben sich meist aus Schwankungen im mehrjährigen Verlauf der Projekte und können daher nicht als veränderter Trend gedeutet werden.
b) Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion Kurve Wustrow

Eine ähnliche Verteilung zeigt sich bei der Aufteilung der Fördersummen. Insgesamt hat das BMZ von 1999 bis 2005 für das ZFD-Programm knapp 50 Mio. Euro aufgewendet (siehe Tab. 2).

Tab. 2: Fördermittel nach Trägern 1999 – 2005a
Trägerorganisationen BewilligteFördermittel
1999 – 2005 2005
Euro % Euro %
Deutscher Entwicklungsdienst 18.195.298 38 5.597.340 41
Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe 11.588.220 24 2.383.274 17
Forum Ziviler Friedensdienst 5.522.435 12 1.213.848 9
Weltfriedensdienst 4.797.888 10 1.628.913 12
Evangelischer Entwicklungsdienst 2.150.328 5 788.406 6
Eirene 1.783.357 4 631.230 5
Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden
Kurve Wustrow
Peace Brigades International Germany
2.864.388
676.599
6
1
916.351
382.060
7
3
ZFD-Sekretariatb 126.273 < 1 126.273 1
Gesamt 47.712.600 100 13.675.539 100
a Zahlen ohne CFI und Friedenskreis Halle (zusammen ca. 1 %).
b Das ZFD-Sekretariat als Clearing-Stelle zwischen BMZ und Konsortium ist erst seit 2005 operativ.

So positiv die rasche Umsetzung war, so unvermeidlich brachte sie auch Probleme mit sich. Anfangs diktierten bisweilen zufällige Kenntnisse und Kontakte die Auswahl der Projektplätze, auf Kosten des sich herausbildenden Profils des ZFD. Manche Entwicklungsdienste hatten anfangs Mühe, das konzeptionell Neue am ZFD zu erkennen, waren doch »Frieden« und »Konflikt« schon immer zentrale Themen in ihrer Projektarbeit gewesen. Indem die FFK nach den erprobten Regeln des Entwicklungshelfergesetzes (EhfG) entsandt wurden, standen einerseits erprobte Regelungen in rechtlicher, administrativer und finanzieller Hinsicht bereit – die andererseits so nicht nahtlos auf alle Organisationen, alle FFK und alle Konfliktländer passten.

Die Unterschiede wurden auch deutlich bei der Frage, wie die künftigen FFK für ihre schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe qualifiziert werden sollen. Bis heute stehen sich in diesem Feld zwei »Philosophien« gegenüber: Ein normativ-prozessorientierter Ansatz der Friedensbewegungen und eine mehr pragmatisch-ergebnisorientierte Sicht der großen Entwicklungsdienste. Für die im forumZFD zusammenwirkenden Friedensgruppen beruhen die Erfolgsaussichten einer Friedensarbeit neben sachbezogenen Kompetenzen vor allem auch auf persönlichen Qualitäten wie Selbstreflexion, Flexibilität, Belastbarkeit, Empathie, Erfahrung im Umgang mit Angst und Bedrohung. Diese persönlichkeitsbildenden Anteile werden am ehesten in einem längeren Gruppenprozess erfahren und verinnerlicht. Deshalb bildet das forumZFD seine FFK in geschlossenen Kompaktkursen über vier Monate aus.3 Auch die großen Entwicklungsdienste bejahen die Wichtigkeit dieser persönlichen Qualitäten. Sie müssten aber von den Bewerbern bereits mitgebracht werden. Entsprechend gilt die diesbezügliche Vorbereitung als je individuelle Zusatz-Qualifizierung zu den bislang fehlenden Kenntnissen und Fertigkeiten.

Ein entscheidender Schritt der Verständigung zwischen den Trägern war die Verabschiedung von »Standards für den Zivilen Friedensdienst« im März 2005 als gemeinsame, auch mit dem BMZ abgesprochene Grundlage bei der Entwicklung von Projekten (Konsortium ZFD, 2005).4 Darin wird der ZFD so definiert: „Ziel des ZFD ist, Form und Dynamik einer Konfliktaustragung mit gewaltfreien Mitteln dahin zu beeinflussen, dass Gewalt vermieden oder beendet oder zumindest gemindert wird (»working on conflict«). Dies gilt für alle drei Phasen eines Konfliktes: vor Ausbruch von Gewalt, während Gewalthandlungen als auch nach deren Beendigung für die Konfliktnachsorge. Der ZFD unterscheidet sich dadurch von der allgemeinen konfliktsensiblen Entwicklungszusammenarbeit, die einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von strukturellen Ursachen der Gewaltkonflikte leistet (»working in conflict«). Der ZFD arbeitet grundsätzlich mit lokalen Partnerorganisationen in Projekten zusammen, um zivilgesellschaftliche Friedenspotentiale zu identifizieren und die lokalen Kräfte für eine gewaltfreie Regelung von Konflikten zu stärken. Dabei wird auch eine Einflussnahme auf Gewaltakteure angestrebt.“ (a.a.O., S. 2)

Im Weiteren benennen die Standards die angestrebten Wirkungen des ZFD, seine typischen Handlungsfelder, die nötigen Kompetenzen der FFK, Kriterien der Vernetzung sowie zur Auswahl von Partnerorganisationen. Dabei wird anerkannt, dass die Art der Beziehung zu diesen Partnerorganisationen unterschiedlich sein kann. So achtet das forumZFD darauf, dass seine FFK nicht mit einer einzelnen Partnerorganisation identifiziert werden, um so im Sinne der Allparteilichkeit die Glaubwürdigkeit und Handlungsfreiheit des Konflikt-Externen zu wahren. Die konfessionellen Entwicklungsdienste AGEH und EED sowie der WFD mit seinem Herkommen aus der Dritte-Welt-Solidarität gehen den umgekehrten Weg: Im Sinne des »empowerment« werden ihre FFK oftmals bei einem örtlichen Partner angestellt und dessen politischer Leitung unterstellt. Das starke Argument dafür ist das der »ownership« und damit der Nachhaltigkeit. Allerdings zeigt das forumZFD mit der schrittweisen Übergabe seiner Projekte im ehemaligen Jugoslawien an lokale Kräfte, dass Strukturen der Nachhaltigkeit auch aus anfangs externer »ownership« aufgebaut werden können. Mit längerer Erfahrung wird sich zeigen, dass die Vorteile der einen oder anderen Option sich nicht abstrakt entscheiden lassen, sondern wie so vieles von der konkreten Konfliktlage und -phase »vor Ort« abhängen.

Geflecht der Institutionen

Seit Beginn der Umsetzung hat sich der ZFD so weit ausdifferenziert, dass er nur noch als Sammelbegriff zu verstehen ist. Im Grunde war er das von Anfang an, stand »Ziviler Friedensdienst« doch sowohl für

  • eine friedenspolitische Vision,
  • ein neues Instrument der Gewaltprävention mitsamt seinen grundsätzlichen Aktionsformen und -ebenen,
  • die dafür verfügbaren konkreten Kenntnisse, Ressourcen und Methoden,
  • die Summe der Träger und Akteure und ihrer Organisationsformen,
  • die Summe ihrer Projekte in den Einsatzregionen und
  • das Programm des BMZ »Ziviler Friedensdienst in der Entwicklungszusammenarbeit« mitsamt den entsprechenden Fördermitteln.

Das BMZ und seine größeren Durchführungsorganisationen tendieren dazu, diesem letztgenannten institutionellen Verständnis alle inhaltlichen Bedeutungen unter- und einzuordnen. Das Konzept ist jedoch älter als seine Umsetzung und es wäre im Sinne der politischen Unabhängigkeit, der Innovationskraft und der Nachhaltigkeit wünschenswert, wenn weitaus mehr Projekte des Zivilen Friedensdienstes aus Eigenmitteln finanzierbar wären. Für das forumZFD steht jedenfalls das Instrument (zweiter Spiegelstrich) an der Spitze der Bedeutungen. Auch wer den ZFD nicht mehr mit dem »Zivildienst« von Wehrpflichtigen verwechselt, muss aber mit dieser Bedeutungsvielfalt Schwierigkeiten haben. Dass das Forum Ziviler Friedensdienst den Ausdruck im Namen trägt und auch die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden sowie der Weltfriedensdienst ähnlich heißen, macht die Sache nicht einfacher.

Dazu kommt, dass die beiden friedenspolitischen Verbünde unter den Konsorten, forumZFD und AGDF, Zusammenschlüsse sind, deren teilweise sehr aktive Mitgliedsorganisationen einzelne ZFD-Projekte in weitgehend eigener inhaltlicher Regie über ihren jeweiligen Zusammenschluss abwickeln, so z.B. die Kurve Wustrow und Peace Brigades International über die AGDF oder Ohne Rüstung Leben, Pax Christi und der Förderverein des Willy-Brandt-Zentrums in Jerusalem über das forumZFD.

Sehr bewährt haben sich die regelmäßigen Treffen des Konsortiums als tragende Plattform für den Austausch von Erfahrungen, die Abstimmung von professionellen Standards und Verwaltungsroutinen sowie die Aushandlung von Finanzfragen. Vertreten durch zwei rotierende Sprecher, fungiert das Konsortium damit auch als Dialog- und Kooperations-Partner des BMZ. Ihm zugeordnet ist ein kleines, ebenfalls aus BMZ-Mitteln finanziertes (und in den DED ausgelagertes) Sekretariat, das die administrative Vorklärung aller Projektanträge und Mittelflüsse regelt. Im BMZ verbleibt dadurch nur ein relativ kleines Referat mit im Wesentlichen politischen Funktionen. Zur Sensibilisierung der EZ für mögliche konfliktive Faktoren ihrer Projektarbeit wurde eine Arbeitsgemeinschaft Friedensentwicklung in der Entwicklungszusammenarbeit gegründet, an der das Konsortium mit einem Vertreter beteiligt ist (s. http://www.FriEnt.de).

Über seine Bewilligungen könnte das BMZ durchaus einen politischen Einfluss auf Inhalt und Ausgestaltung der ZFD-Projekte nehmen. Der guten Praxis in der jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit entwicklungspolitischen Gruppen unterschiedlichster Couleur folgend, nimmt es diesen Einfluss jedoch zurückhaltend wahr. Gelegentliche Differenzen konnten im Dialog mit dem Konsortium bereinigt werden. Sensibler ist die politische Mitsprache des Auswärtigen Amts (AA): Jeder Projektantrag wird vom BMZ dem AA vorgelegt und von der jeweiligen Botschaft sowie dem zuständigen Länderreferat geprüft. Hier hat es vereinzelt Widerstände gegen beantragte Projekte gegeben. Von einer Einflussnahme in laufende Projekte durch eines der beiden Ministerien wurde bislang nicht berichtet.

Neben dieser Genehmigungs-Routine entspinnt sich mit dem AA zunehmend auch ein Geflecht direkter praktischer Zusammenarbeit. Wie das BMZ hat auch das AA sich seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün im Jahr 1998 aktiv dem Themenfeld der zivilen Krisenprävention zugewandt. Wichtigste Neuerung ist die Gründung eines Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) zur Ausbildung und Entsendung von Personal für zwischenstaatliche Missionen. Für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen wurde im Referat Globale Fragen 02 ein neuer Finanztitel »Friedenserhaltende Maßnahmen« (FEM) geschaffen, über den von 2000 bis 2005 Vorhaben der Erkundung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der internationalen Krisenprävention und Konfliktbewältigung im Umfang von knapp 30 Mio. Euro gefördert wurden. Zur Abwicklung hat das weitgehend im Auftrag des AA tätige Institut für Auslandsbeziehungen eine Projektstelle »zivik« mit mehreren MitarbeiterInnen in Berlin eingerichtet, die sich inzwischen zu einer nützlichen Schnittstelle zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren entwickelt hat (s. http://www.ifa.de/zivik).

Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung wird der Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung inzwischen auch innerhalb der Ministerien institutionell ausgebaut. Das AA ernannte einen Botschafter zum »Beauftragten für Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung«. Er führt den Vorsitz im neu geschaffenen interministeriellen Ressortkreis unter Beteiligung von AA, BMZ und Verteidigungsministerium. Ihm ist ein Beirat aus zivilgesellschaftlichen Kräften zugeordnet. In diesem Beirat ist allerdings kein Mitglied des Konsortiums ZFD vertreten – ein Widerspruch zur Aussage des Aktionsplans, wonach der ZFD das wichtigste neue Instrument der zivilgesellschaftlichen Konfliktbearbeitung ist. 5

Welche Veränderungen sind mit dem Wechsel zur Großen Koalition seit 2005 zu erwarten? Die Koalitionsvereinbarungen sagen so gut wie nichts zum Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung. Die politischen Präferenzen der Regierungsparteien lassen keine gravierenden Veränderungen erwarten, also auch nicht zum Positiven. Gerade für den ZFD stehen die Zeichen auf Kontinuität, da die Leitung des zuständigen Entwicklungsministeriums nicht gewechselt hat.

Es würde zu weit führen, hier die weitere »Umgebung« von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen im Umkreis des ZFD aufzuführen. Viele von ihnen sind zusammengeschlossen in der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, in der auch mehrere Träger des ZFD aktiv mitwirken (s. http://konfliktbearbeitung.de).

Zumindest erwähnt werden muss jedoch die rasante Entwicklung im internationalen Rahmen. Auf Initiative des forumZFD trafen sich seit 1997 mehrfach ähnliche Friedensinitiativen aus anderen europäischen Ländern zum Erfahrungsaustausch und zur gegenseitigen politischen Unterstützung. Daraus ging 1999 das European Network for Civil Peace Services (EN.CPS) hervor, das sich seitdem jährlich trifft und inzwischen über dreißig teilhabende Organisationen von Barcelona bis Moskau, von Oslo bis Rom zählt (s. http://www.en-cps.org). Parallel dazu wurde weltweit die Organisation Nonviolent Peaceforce (NP) gegründet, die sich in globaler Zusammenarbeit größer angelegte Projekte der praktischen Friedensarbeit zum Ziel gesetzt hat und derzeit 28 FFK in Sri Lanka nach einem Konzept im Einsatz hat, in dem mehrere Elemente des ZFD enthalten sind. Zwischen dem europäischen Regionalverbund von NP einerseits und dem EN.CPS andererseits gibt es zahlreiche Doppelmitgliedschaften, so dass beide Organisationen ihre Jahrestreffen nunmehr gemeinsam abhalten.

Beide Organisationen sind außerdem aktiv beteiligt am European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) in Brüssel. Das Büro wurde 2001 von mehreren europäischen Organisationen und Institutionen aus dem nicht- und halbstaatlichen Bereich der ZKB gegründet als gemeinsame Plattform für Information und Lobbying gegenüber den Institutionen der EU (s. http://www.eplo.org). Dort findet auf suprastaatlicher Ebene ein rasanter Ausbau von militärischen wie zivilen Fähigkeiten des Krisenmanagements statt, ausgelöst vom Debakel des Kosovo-Kriegs. EPLO informiert seine Mitglieder über diese Entwicklungen (nebenbei auch über Fördermöglichkeiten) und dient seinerseits als friedenspolitischer »watch-dog« und Gesprächspartner gegenüber den EU-Institutionen, u.a. bei einer gemeinsamen Konferenz mit der luxemburgischen Ratspräsidentschaft im März 2005.

Bei alledem ist der ZFD in Deutschland natürlich nur ein Mosaik-Stein. Jedoch: Es gibt weltweit bislang kein größeres Vorhaben zur Ausbildung und Entsendung von Fachleuten für zivilgesellschaftliche Friedensarbeit. Insofern taucht in allen internationalen Diskussionen der ZFD in Deutschland immer wieder als wichtige Anregung und Erfahrung auf.

Handlungsfelder

Wo wird der ZFD tätig? In welchen Regionen, anhand welcher Aufgaben? Jeder Konflikt ist anders, somit auch jedes Projekt – und ebenso verschieden sind die Menschen, die mit ihren Fähigkeiten und Grenzen vor Ort als FFK tätig sind. Eine allgemein gültige, gar vollständige Antwort kann es daher nicht geben, wohl aber einige Erfahrungswerte und illustrierende Beispiele. Einen ersten Überblick bietet die Statistik (siehe Tab. 3).

Tab. 3: ZFD-Fachkräfte nach Weltregionen 1999 – 2005
Regionen Fachkräfte
1999 – 2005
Bewilligungen
2005
unter Vertrag
abs. % abs. %
Afrika (südlich der Sahara) 99 42 42 32
Lateinamerika 48 20 34 26
Asien 41 17 29 22
Südosteuropa 30 13 13 10
Nahost 18 8 12 9
Gesamt 236 100 130 100

Dabei haben die Konsorten unterschiedliche regionale Schwerpunkte: EED, WFD und AGEH sind überwiegend in Afrika tätig. Der DED arbeitet in allen drei klassischen EZ-Regionen Afrika, Lateinamerika und Asien; das forumZFD spiegelbildlich dazu nur in Südosteuropa und Israel/Palästina.

Aufschlussreich sind auch die beruflichen Herkünfte der FFK (Mai 2004): Pädagogen 34%, Sozialwissenschaftler 24%, Psychologen 13%, Juristen 6%, Geographen 4% und Sonstige 13%.

Vielleicht hängt es mit dieser beruflichen Herkunft der meisten FFK aus sozialkommunikativen Mittelschicht-Berufen zusammen, dass der ZFD bislang häufig mit ebensolchen Partnern vor Ort arbeitet und mit ihnen Projekte »an der Basis« der Gesellschaften durchführt. Das ist nützlich und entspricht dem »Ort« des ZFD als einem zivilgesellschaftlichen Instrument im Mehrebenensystem – wenn dabei grundsätzlich ein benennbarer Bezug zur gesamtgesellschaftlichen Konfliktsituation besteht (dazu unten mehr). Der ZFD kann und will nicht Akteur auf der obersten, staatlichen Ebene sein; die bleibt der Diplomatie zwischen Regierungen, internationalen Organisationen und anderen »global players«vorbehalten. Demgegenüber suchen sich ZFD-Projekte ihre lokalen Partner meist auf der mittleren Ebene und unter regionalen Führungskräften und unterstützen diese bei deren Arbeit mit Zielgruppen auf der sog. Graswurzel-Ebene der Gesellschaften.

Entsprechend sind auch die Themenfelder der ZFD-Projekte stark im sozialkommunikativen Bereich angesiedelt (Mai 2004): Beratung der Partnerorganisationen 24%, Training in Methoden der ZKB 20%, Entwicklung von Curricula/Manuals 15%, Beobachtung/Dokumentation/Analyse 12%, Öffentlichkeitsarbeit/Vernetzung 11%, Trauma-Arbeit 9% und Aufbau von Dialogstrukturen 9%.

Ein wichtiges Arbeitsfeld ist die Vermittlung von Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung – oft als »training of trainers« -, bei der die Teilnehmenden das Gelernte dann weiterverbreiten. Zwar gibt es in allen Gesellschaften traditionelle Formen der Streitschlichtung; sie sind aber oftmals überfordert, wenn im Prozess der Globalisierung neue Konfliktlagen auftauchen und die traditionellen Normen insgesamt ihre unbezweifelte Geltung verlieren. Hier kann der Austausch zwischen FFK und Partnern zu einem gegenseitigen Lernen führen, in dem moderne Methoden der Konfliktbearbeitung sich fruchtbar mit alten Formen der Streitschlichtung verbinden (s. auch Borries, 2005, S. 6 f.).

Ein besonderer Bereich ist die Arbeit mit Traumatisierten – zu denen oftmals auch Täter gehören, die z.T. schon als Kinder zum Töten gezwungen wurden. Die therapeutischen Ansätze und Erfahrungen sind vorhanden; die besondere Aufgabe einer FFK kann darin bestehen, das Thema inmitten einer männerdominierten, in Begriffen von Kampf und Ehre denkenden Gesellschaft aus seinem Tabu zu lösen. Ein Projekt des forumZFD bestand darin, Beratungszentren für kriegstraumatisierte Ex-Soldaten in Serbien zu unterstützen. Die praktische Beratungsarbeit leisteten lokale ÄrztInnen, TherapeutInnen und SozialarbeiterInnen. Aber ohne die Anwesenheit der einen Fachkraft hätten sie, wie sie selber rückblickend bei der Übergabe des Projekts sagten, nicht die Kraft gehabt, über das anfängliche Misstrauen im nationalistisch geprägten Umfeld hinweg zugehen.

Bisweilen wird die Arbeit des ZFD in der deutschen Öffentlichkeit so verstanden, als handele es sich gewissermaßen um einen Mediator, der zwischen gewaltbereite Gruppen tritt, deren Streit schlichtet und so den Ausbruch von Gewalt verhindert. Der Arbeitsalltag einer FFK sieht meist anders aus. Aber tatsächlich kommt auch diese Situation des Mediators manchmal vor, wie mit Beispielen aus verschiedenen Konfliktregionen eindrucksvoll zu belegen wäre.

Wirkungsmöglichkeiten und Nachhaltigkeit

Eine im Kern sozialpädagogische Arbeit wie die des ZFD setzt auf einen Wandel der Mentalitäten. Außerdem setzt sie auf den Schneeball-Effekt, dass über relativ kleine »peace constituencies« schrittweise eine kritische Masse der Gesamtbevölkerung erreicht wird. Beides benötigt Zeit – viel Zeit.

Wie können derart langfristige und vermittelte Effekte geplant, gemessen und beurteilt werden? Erst jetzt, nach der stürmischen Aufbauphase, finden die Träger Zeit und Kraft, sich Fragen der Wirkungserhebung gründlicher zuzuwenden. Dabei zeigt sich: Relativ belastbar ist bislang nur der Katalog der Negativ-Kriterien nach dem »do-no-harm«-Ansatz; der positiven Wirkungserhebung nach dem Peace and Conflict Assessment fehlt es bislang noch an trennscharfen Indikatoren. 6

Noch leben Aussagen über die Wirkung des ZFD weitgehend von subjektiven Einschätzungen der Projektverantwortlichen und ihrer Partner sowie von illustrierenden Beispielen. Als wichtige Wirkkraft wird dabei in den Berichten oft die relative Handlungsoffenheit genannt, die konfliktexterne Dritte in einem ansonsten von starren Zuschreibungen gelähmten Umfeld genießen: Die FFK besitzen Handlungsmöglichkeiten, die kein Einheimischer hätte – an die sich viele aber bereitwillig anschließen. Auf diese Weise kann die Arbeit weniger FFK direkt und indirekt auf Hunderte, ja Tausende von Menschen ausstrahlen. In Makedonien beispielsweise regte ein deutsches Lehrerehepaar einen Malwettbewerb an. In der großen Schule in Skopje wurde dasselbe Schulgebäude vormittags von den slawisch-makedonischen und nachmittags von den albanischen Kindern benutzt; jede Begegnung zwischen Lehren, Schülern und Eltern wurde vermieden. Der Malwettbewerb »Mal dir ein Bild vom Frieden« überwand diese unsichtbare Mauer: Am Ende beteiligten sich über tausend Schulkinder beider Ethnien, Hunderte Elternpaare, Dutzende Lehrer. Viele von ihnen haben sich eine solche Gemeinaktion gewünscht und sie begeistert aufgegriffen. Aber selber initiativ werden ohne externen Mittler konnten sie aus ihrer ethnischen Zuschreibung heraus nicht.

Zu dieser Rollenfreiheit von Externen gehört auch, sich zwischen den gesellschaftlichen Ebenen hin und her bewegen und mit dem Nimbus des Internationalen gelegentlich auch politisch brisante Themen anpacken zu können. So ist z.B. eines der Projekte des DED in Kambodscha dem Problem der zahllosen Kleinwaffen gewidmet. Sie rangieren als viertgrößte Ursache von Verletzungen und Todesfällen, noch vor Landminen. Eine zivilgesellschaftliche Initiative Working Group on Weapons Reduction (WGWR) bemüht sich um Reduzierung und Kontrolle. Die beiden FFK organisierten mit WGWR eine Medienkampagne, die erstmals das Problem zu einem öffentlichen Thema machte. Aufgrund dieses Drucks haben inzwischen Kommissionen auf Landes- und Provinzebene über 100.000 Kleinwaffen einsammeln und vernichten können – ein guter Anfang (nach Konsortium ZFD, i.E.).

Zieht man die Vielfalt der Erfahrungen zusammen, so werden wiederkehrende Muster sichtbar. Die Wirkmöglichkeiten von FFK gründen demnach auf einer Kombination folgender Vorteile.7

Sie können Ressourcen einbringen, die vor Ort nicht oder nicht in gleichem Maße vorhanden sind:

  • Sie besitzen spezifische Qualifikationen (z.B. in Methoden der Zivilen Konfliktbearbeitung, der Traumabehandlung), besondere Kenntnisse (z.B. partizipative Verfahren, Moderation) und bestimmte Erfahrungen (z.B. konfliktsensible Planung, Organisationsentwicklung, Team-Arbeit).
  • Sie können finanzielle Ressourcen mobilisieren für die Ausbildung und Beschäftigung lokaler Fachkräfte sowie für die Ausstattung und Arbeit der Partnerorganisationen.
  • Sie können für die Partner Kontakte zu internationalen Fachorganisationen sowie zu ähnlich arbeitenden Initiativen in anderen Weltteilen erschließen.
  • Sie haben Kenntnisse über die Logik und das Vorgehen internationaler Hilfs- und Geberorganisationen.
  • Gegenüber manchem anderem internationalen Personal haben sie den Vorteil der langfristigen Anwesenheit, damit der Prozessbegleitung und (in Grenzen) der Sprach-, Landes- und Kulturkenntnis.

Sie können den Status als Externe nutzen:

  • Als Externe werden sie von den Konfliktparteien als unparteiisch und unbelastet gesehen; sie können daher Kristallisationspunkt für Kontakte zwischen den Konfliktparteien sein.
  • Sie können den Parteien neue Perspektiven und Lösungsansätze vermitteln.
  • Sie erscheinen als Repräsentanten der Weltöffentlichkeit mit symbolisch-moralischer Macht. Damit einher gehen Zuschreibungen von politischer und wirtschaftlicher Macht (die trotz minimaler Ressourcen real sein kann, im Verhältnis zu einem danieder liegenden Umfeld).
  • Sie können aufgrund dieser symbolischen und realen Machtmittel den politischen Anliegen benachteiligter Gruppen ein höheres politisches Gewicht verleihen.
  • Sie können Personen und Gruppen einen gewissen Schutz bieten.
  • Sie haben den Status von Mittlern, die Kontakte knüpfen, Verhandlungen befördern, die lokale (gelegentlich sogar die nationale) Öffentlichkeit ansprechen und Anliegen von unteren in höhere Gesellschaftsschichten sowie in die internationale Gemeinschaft transportieren können.
  • Sie genießen Achtung und Wirksamkeit aufgrund ihrer extern erworbenen Fachkenntnisse.

Sie können ihre Persönlichkeit einbringen:

  • Sie bringen ihre je persönlichen Eigenschaften als Werte ein (Ausgeglichenheit, Einfühlungsvermögen, Gesprächsoffenheit, Zuhören können, … ).
  • Sie repräsentieren einen kulturell anders geprägten Arbeitsstil (Arbeitsorganisation, Planung, Team-Orientierung, … ).
  • Sie bieten Vorbilder anderer Denkweisen, Lebensstile und Gender-Rollen. Zugleich bringen sie aus ihrer Ausbildung auch ein Bewusstsein für die Ambivalenzen solcher importierten Modelle mit (oder sollten es tun) – und evozieren so im interkulturellen Austausch einen wechselseitigen Lernprozess der Selbstreflexion.
  • Ihre Unterstützung für Partnerorganisationen wird über die objektive Hilfestellung hinaus als solidarisch empfunden und wirkt emotional motivierend und stärkend.
  • Sie bieten das Bild einer nicht traumatisierten, lebenstüchtigen und zukunftsoffenen Persönlichkeit – und wirken damit in Situationen extremer Zerstörung als projektive Hoffnungsboten.

Mit diesen großen Wirkmöglichkeiten von externen FFK gehen allerdings auch Probleme einher: Wie können dann ZFD-Projekte jemals in lokale Hände übergehen, ohne dieses Potenzial zu verlieren? Natürlich haben lokale Fachkräfte andere Vorteile, aber haben sie z.B. auch dasselbe Standing? Dieselbe Allparteilichkeit? Steht die Wirksamkeit des ZFD also in einem Spannungsverhältnis zu seiner Nachhaltigkeit?

Auch hier gibt es keine allgemeinen, geschweige denn fertigen Antworten: Bislang wurden nur wenige Dutzend ZFD-Projekte beendet, und jeder Fall lag anders. Ein Erprobungsfeld sind die Projekte des forumZFD im ehemaligen Jugoslawien: Dort sind nur noch zwei von sieben Fachkräften Deutsche, die fünf anderen stammen aus der jeweiligen Region. Dieser Übergang wurde vorbereitet: Viele der jetzigen Verantwortlichen waren zuvor als Ortskräfte angestellt und haben so die Arbeit bereits über Jahre mit getragen. Einige haben die Vier-Monats-Ausbildung des forumZFD in Deutschland durchlaufen. Die Zielgruppen aus anderen Ethnien kennen und respektieren sie inzwischen als Menschen, die sich um Allparteilichkeit bemühen. Die freigewordenen Stellen im lokalen Team wurden erneut interethnisch besetzt. Inzwischen entwickeln sie auch weiterführende Handlungsmöglichkeiten, die nur sie als Einheimische haben.

Eine Variante zu all diesen Arbeitsformen zeichnet sich in den größeren Durchführungsorganisation der EZ, beispielsweise im DED ab: Dort sollen einzelne FFK nicht selber Projekte durchführen, sondern sie werden einer Mehrzahl von laufenden Entwicklungsprojekten als Konfliktberater zugeordnet, die je nach Bedarf zur konfliktsensiblen Projektgestaltung beitragen. Diese Beiordnung eines »K-Faktors« mag zur Konflikt-Sensibilisierung der Entwicklungsarbeit durchaus sinnvoll sein; sie hebt aber die konzeptionelle Gleichrangigkeit der Themen »Entwicklung« und »Frieden« wieder auf.

Erfolge und Grenzen

Insgesamt kann gut 10 Jahre nach Gründung des forumZFD und nach sechs Jahren der Projektpraxis eine positive Bilanz gezogen werden. In erstaunlich kurzer Zeit ist ein neues Instrument der Friedenspolitik konzipiert, politisch kommuniziert und praktisch umgesetzt worden. Nicht alle institutionellen Lösungen erscheinen schon »fertig«, aber keine ist manifest misslungen. Die Kooperation der staatlichen und nichtstaatlichen »stake holders«in dem Gemeinschaftsunternehmen klappt ohne größere Reibungen. Und vor allem: Die Projekte des ZFD laufen in der Summe erstaunlich professionell und erfolgreich. Natürlich konnte nicht alles und besonders nicht sofort gelingen. Dafür haben sich die FFK sowie die Projektverantwortlichen in den jeweiligen Geschäftsstellen als unaufhörlich Lernende erwiesen. Die meisten Berichte zeugen von illusionsloser und dennoch engagierter Arbeit, gutem Einvernehmen mit lokalen Partnern, bereitwilliger Aufnahme in der Bevölkerung und respektablen Zwischenergebnissen. Nicht wenige Projekte haben weit mehr an Wirkung und Ausstrahlung erreicht als zu hoffen war.

In der deutschen Öffentlichkeit trifft »Ziviler Friedensdienst« überall auf positive Reaktionen. Aber – und damit fangen die Fragen an – es bleibt meist bei freundlicher Zustimmung. Viel zu wenige Menschen unterstützen den ZFD konkret durch Mitarbeit und Spenden. Ist das Thema »Frieden« zu allgemein, so dass sich niemand speziell angesprochen fühlt? Oder ist es zupositiv, so dass ihm die Betroffenheitswirkung von Gewalt und Elend fehlt?

Die Fragen gehen weiter: Wie steht das Erreichte zu dem ursprünglichen Anspruch, ein wirkungsvolles Instrument der Gewaltprävention zu sein? Im nahen Umfeld der Projekte lässt sich diese Wirkung anhand von Beobachtungen vermuten – kaum aber im weiteren gesellschaftlichen Konfliktgeschehen messen. Wie auch, wenn bisher in manche Konfliktregionen nur eine einzige FFK entsandt werden konnte, die notwendige Team-Entsendung also an den Mitteln scheitert? Abgesehen von dem Sonderfall Israel/Palästina mit insgesamt 11 FFK, waren im Jahr 2005 in keinem Land mehr als vier FFK tätig. Wenn Skeptiker daher fordern, der ZFD müsse erst seine Wirksamkeit nachweisen, bevor er weiter ausgebaut werden könne, dann muss dem entgegen gehalten werden: Nur der Ausbau kann seine Wirksamkeit erweisen. Das Pilotprojekt der Nonviolent Peaceforce in Sri Lanka hat derzeit 28 Kräfte im Einsatz und will sie schrittweise auf bis zu 50 steigern.

Das Problem ist eher, dass manche Akteure des ZFD selber sich damit einzurichten scheinen, die jetzige Pilotphase schon bald als den Endausbau zu nehmen und ihre Ambition entsprechend zu drosseln, vor allem wirkliche Konfliktparteien außen vor zu lassen. Die enge Verzahnung mit der Entwicklungszusammenarbeit hat hier möglicherweise ihre Kehrseiten: Könnte es sein, dass ZFD-Projekte unwillkürlich mit ähnlichen Vorstellungen von Größe, Zielgruppe und Wirkweise konzipiert werden wie Projekte der EZ? Das mögen oft, aber eben nicht immer die richtigen Kriterien sein. So kann es bei »working on conflict« entscheidend darauf ankommen, rasch mit einer kritischen Masse an Akteuren in allen Teilen der Konfliktregion gleichzeitig präsent zu sein. Man denke an die OSZE-Beobachter im Kosovo 1998/99, deren Einsatz u.a. daran scheiterte, dass die benötigte Zahl von 2.000 Beobachtern nie erreicht wurde. Eine Friedensarbeit, die allzu klein und allzu bedächtig beginnt, kann von einer gegenläufigen Gewaltdynamik bald wieder überrollt werden. Als zivilgesellschaftliches Instrument kann der ZFD für sich genommen nie »Frieden machen«; aber er könnte erheblich mehr dazu beitragen, wenn er breitere Einsätze durchführen könnte.

Erst dann würde auch für den ZFD relevant, was die sog. Utstein-Studie (zusammenfassende Bewertung: Smith, 2004) an der zivilgesellschaftlichen Konfliktbearbeitung insgesamt bemängelt: Bei aller Unabhängigkeit sollten die nichtstaatlichen Akteure ihre Projekte besser untereinander sowie mit den staatlichen und internationalen Friedensbemühungen abstimmen. Diese Kritik darf sich allerdings nicht nur an die nichtstaatliche Ebene wenden, so als müsse diese sich einseitig an die staatliche anpassen. Auch staatliche Akteure können – wie im Aktionsplan der Bundesregierung angelegt – ihre Arbeit durch bewusste Arbeitsteilung untereinander sowie mit zivilgesellschaftlichen Initiativen verbessern.

Diesen Standards zufolge strebt der ZFD auch eine Einflussnahme auf die Gewaltakteure an. Das bedeutet, dass ZFD-Projekte sich nicht nur an die »Guten« oder die Opfer wenden dürfen. Aus verständlichen Gründen scheuen manche Projektverantwortliche davor zurück, den Dialog auch mit den »Tätern« zu suchen. Die Schwierigkeiten liegen auf der Hand – sie fangen schon bei den umstrittenen Selbst- und Fremddefinitionen an: Wer ist Aggressor und wer »verteidigt sich bloß«? Wenn Allparteilichkeit nicht heißen soll, auf alle Fragen nach Schuld und Gerechtigkeit zu verzichten und krasse Machtasymmetrien hinzunehmen, dann sind Prinzipien gefordert, nach denen berechtigte von unberechtigten Zielen, förderliche von schädlichen Mitteln unterschieden werden – auch im offenen Gespräch mit den Partnern. Nicht alle FFK verfügen über eine derart hohe Kompetenz an Urteilskraft, an persönlicher und politischer Standfestigkeit, an Angstbewältigung in der Bedrohung. Auch die institutionell und konzeptionell Verantwortlichen sind gefordert: Besitzt der ZFD bereits das dafür nötige Maß an innerer Klarheit und äußerer Festigkeit? Wenn nein, hat er den Willen, sich dorthin zu entwickeln?

Allparteilich gegenüber Gruppen, dabei aber parteilich für Prinzipien – so könnte sich der ZFD auch in asymmetrischen Konflikten und gegenüber »war constituencies« positionieren (und tut dies punktuell bereits mit Erfolg). Was wären das für Prinzipien? Ein Maßstab sind die weltweit anerkannten Menschen- und Sozialrechte. Allein schon danach lässt sich das Mittel der Gewalt in fast allen Fällen als unerlaubte Verletzung von Menschenrechten zurückweisen. Ein anderer Maßstab könnte die Goldene Regel sein: Alle ethno-politischen Gruppen haben das Recht auf kulturelle Identität, auf politische Selbstorganisation und auf wirtschaftliche Entfaltung – aber nicht auf Kosten der gleichen Rechte anderer Gruppen. Faktisch treten die FFK bereits heute im Namen solcher Grundsätze auf – und werden auch von Gewaltakteuren zumindest fallweise darin verstanden!

Solange der ZFD sich die Einwirkung auf die »war constituencies« nicht ebenso zutraut wie auf die »peace constituencies«,muss die Kritik an der Entsendung von Militär zu Friedenseinsätzen leiser ausfallen. Dass Friedens- und Entwicklungsprojekte nicht in Strategien der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit »eingebettet« werden dürfen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit bewahren wollen, liegt auf der Hand. Nötig wäre umgekehrt, die militärischen Anteile wären ihrerseits in eine umfassende zivile Friedenskonzeption für die jeweilige Konfliktregion »eingebettet«.

Allerdings: Wie soll das geschehen, solange die Ressourcen so radikal ungleich zwischen militärischer und ziviler Krisenbewältigung verteilt sind?

So muss erneut von Finanzen gesprochen werden, weil sie Ausdruck politischer Prioritäten sind. Prävention mit zivilen Mitteln habe Vorrang, so heißt es im Aktionsplan der Bundesregierung. Die Finanzausstattung spricht noch eine andere Sprache. Zählt man zusammen, was die rot-grüne Bundesregierung in den Jahren 1999 bis 2005 für den ZFD, für die »Friedenserhaltenden Maßnahmen« des AA, für das ZIF sowie an sonstigen Beiträgen für zivile Anteile an internationalen Friedensmissionen aufgewendet hat, dann kommt man auf etwas über 100 Mio. Euro für Zivile Konfliktbearbeitung insgesamt. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, Bosnien, im Kosovo und am Horn von Afrika kosten 880 Mio. Euro – jährlich! (Süddeutsche Zeitung, 10./11.09.05). Dabei sind die Kosten des deutschen Kampfeinsatzes im Krieg gegen Jugoslawien 1999 nicht gerechnet, von den Grundkosten der Bundeswehr ganz zu schweigen. Wie immer man es wendet: Diese Zahlen belegen, dass nichtmilitärische Konfliktbearbeitung bislang noch Beiwerk, nicht Grundlage der deutschen Friedenspolitik ist.

Sie belegen auch, dass der Ausbau des ZFD ausschließlich eine Frage des politischen Willens, nicht der vorhandenen Mittel ist. Die wichtigen Schritte im Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung während der letzten Jahre sollen durchaus gewürdigt, vor allem aber fortgesetzt werden. Auf die bisherige Pilotphase muss eine Phase des Ausbaus zunächst um das Fünffache folgen, wie ihn alle Träger im Konsortium gemeinsam fordern. Das böte den Einstieg in eine Größenordnung, in der eine aussagekräftige Wirkungskontrolle überhaupt erst möglich wird.

An dieser Stelle muss auch über das Verhältnis des ZFD zur EZ grundsätzlicher nachgedacht werden. Der Völkermord in Ruanda brachte es schmerzlich in Erinnerung: Entwicklung braucht Frieden – Frieden braucht Entwicklung. Beide Aufgaben sind gleichrangig, und sie beziehen sich auch nicht nur auf Entwicklungsländer. Diese Einsicht stand schon bei der Gründung der deutschen EZ-Organisationen in den 50er und 60er Jahren Pate. Einige von ihnen tragen den ursprünglichen Friedensimpuls noch im Namen (Weltfriedensdienst, Eirene). Entsprechend offen wurde die Rückbesinnung auf Friedensthemen angesichts der Globalisierungskriege in den 90er Jahren von ihnen aufgegriffen und mitgetragen. Nun aber scheint das Thema »Frieden« in manchen Köpfen bereits wieder erledigt zu sein: Die entsprechenden Leitfäden sind geschrieben, die Konfliktberater angestellt, das »mainstreaming« der Konfliktsensibilität damit erfolgreich abgeschlossen. All diese Maßnahmen sind zweifellos sinnvoll, nur dürfen sie nicht dazu führen, dass das Globalziel des Friedens damit als K-Faktor zum bloßen Additiv der altvertrauten Entwicklungszusammenarbeit wird. Es stimmt, dass die Konflikte der Globalisierung in den nicht-westlichen, den weniger auf Wirtschaftswachstum getrimmten Gesellschaften des Südens schärfer zutage treten – nicht zuletzt, weil sie von den Zentren dorthin exportiert und abgewälzt werden. Falsch war nicht, mit dem ZFD dort zu beginnen – falsch wäre, dort auch schon wieder aufzuhören. Es gibt diese Konflikte durchaus auch »bei uns« in den Zentren, und sie werden zunehmen. Warum sollten ZFD-Projekte mit indigenen Völkern in Guatemala sinnvoll sein, aber nicht in Kanada und Australien? Was ist mit den alten innereuropäischen Konflikten in Nordirland, im Baskenland, in Zypern? Und gibt es gewaltträchtige Globalisierungskonflikte z.B. im Umkreis von Immigranten-Ghettos nicht auch in Frankreich, in England, in Deutschland?

„Die Stärkung von Sicherheit und Frieden kann … nur als ressortübergreifende und international koordinierte Aufgabe geschultert werden.“ Das schreibt das BMZ in seinem »Konzept zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung« vom Juni 2005 (S. 5). Vielleicht bietet die Schaffung des interministeriellen Ressortkreises sowie künftig eines ressortübergreifenden Budget-Pools nach britischem Vorbild die Chance, das Potenzial des ZFD als Element der deutschen Friedenspolitik in Zukunft umfassender zu nutzen.

Dazu wird die Zivilgesellschaft erneut wesentliche Teile der konzeptionellen Vorarbeit und der politischen Werbung leisten müssen. Und: Sie kann die Politik nur beeinflussen, wenn sie zuvor die Öffentlichkeit erreicht. Das Gemeinschaftswerk »Ziviler Friedensdienst« wird über seine guten Anfänge nur dann hinaus gelangen, wenn es gelingt, noch größere Teile der deutschen Öffentlichkeit noch klarer von der Notwendigkeit und dem Nutzen weltweiter zivilgesellschaftlicher Friedensarbeit zu überzeugen.

Literatur

Bongard, Christoph (2004): Ich habe die Kraft etwas zu verändern. Peacebuilding in Nachkriegsgesellschaften. Evaluation eines Friedensprojekts in Kroatien. Diplomarbeit im Studiengang Kulturwissenschaften der Europa Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).

Borries, Bodo von (2005): Vielfalt oder Profilierung? Schlaglichter aus fünf Jahren Ziviler Friedensdienst. Eirene Rundbrief, Nr. 3, S. 6 f.

Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2000): Ziviler Friedensdienst – ein neues Element der Entwicklungszusammenarbeit (Rahmenkonzept), 9.6.1999. In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 358-360). Leske + Budrich, Opladen.

Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2002): Evaluierung der Aufbauphase des Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Abschluss und Synthesebericht. Verfügbar unter: http://www.ziviler-friedensdienst.org [15.02.06].

Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2005): Übersektorales Konzept für Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Verfügbar unter: http://www.bmz.de/de/themen/dokumente/krisenpraevention.pdf [15.02.06]

Die Bundesregierung (2004): Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung«. Verfügbar unter: http://www.auswaertigesamt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/aktionsplan_html [15.02.06].

Evers, Tilman (Hrsg.) (2000a): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden. Leske + Budrich, Opladen.

Evers, Tilman (2000b): Friedenshandeln in der Weltgesellschaft. Der geschichtliche Kontext des Zivilen Friedensdienstes. In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 97-115). Leske + Budrich, Opladen

Evers, Tilman (2001): Wenn ihr aufhören könnt zu siegen… – Kulturen des Friedens in der Einen Welt. In Helga Egner (Hrsg.): Neue Lust auf Werte – Herausforderung durch Globalisierung. Dokumentation der Jahrestagung 2000 der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie e.V. (S 81-106). Walter, Düsseldorf.

Konsortium Ziviler Friedensdienst (2000): Gemeinsames Konzept für einen »Friedensfachdienst in der Entwicklungszusammenarbeit«, 7.4.1999. In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 353-357). Leske + Budrich, Opladen.

Konsortium Ziviler Friedensdienst (2005): Standards für den Zivilen Friedensdienst. Gemeinsame Grundlage des Konsortiums Ziviler Friedensdienst bei der Entwicklung von Projekten. Verfügbar unter: http://ww.ziviler-friedensdienst.org/docs/ZFD-Standards_Endversion.pdf [15.02.06]

Konsortium Ziviler Friedensdienst (Hrsg.) (i.E.): Ziviler Friedensdienst wirkt. Bonn.

Reimann, Cordula und Ropers, Norbert (2005): Discourses on Peace Practices: Learning to Change by Learning from Change? In Paul van Tongeren et al. (Eds.): People Building Peace II: Successful Stories of Civil Society (pp. 29-44). Lynne Rienner, Boulder.

Smith, Dan (2004): Towards a Strategic Framework for Peacebuilding: Getting Their Act Together. Overview Report of the Joint Utstein Study of Peacebuilding, Evaluation Report 1. Verfügbar unter: http://ww.prio.no/files/file44563_rapport_1.04_webutgave.pdf [15.02.06]

van Tongeren, Paul, et al. (Eds.) (2005): People Building Peace II: Successful Stories of Civil Society. Lynne Rienner, Boulder.

Anmerkungen

1) Zur Deutung der ethno-politischen Konflikte als typische Konfliktform einer westlich-ökonomistisch geprägten Globalisierung siehe Evers (2000b, 2001).

2) Zu den geschichtlichen Hintergründen und geistigen Traditionen siehe die entsprechenden Beiträge in Evers (2000a).

3) Aus ähnlichen Überlegungen führt auch der Ökumenische Dienst seine Kurse im Rahmen des Schalom-Diakonats in Form konstanter Gruppen über längere Zeit durch. Sie sind christlich-ökumenisch inspiriert und nicht primär auf Auslandseinsätze gerichtet (s. http://www.schalomdiakonat.de).

4) Diese »Standards« sind nicht zu verwechseln mit einem gemeinsamen Ethik-Code, der bislang im Konsortium nicht erarbeitet wurde. Das forumZFD orientierte sich früh am entsprechenden Code der englischen Organisation International Alert (s. http://www.international-alert.org/about_alert/code_of_conduct.php?page=about) und legte dazu gemeinsam mit dem BSV eine deutsche Übersetzung vor. Die Teilhabenden des European Network for Civil Peace Services haben sich bei ihrem Jahrestreffen 2005 auf gemeinsame Guiding Principles verständigt (s. http://www.en-cps.org). Nonviolent Peaceforce hat für sein Pilotprojekt einen vorläufigen Code vorgelegt (s. http://nvpf.org/np/research/code.pdf).

5) Zu Zusammensetzung und Aufgabe s. http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/beirat_html.

6) Früher auch Peace and Conflict Impact Assessment. Die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung widmete ihr Jahrestreffen 2005 der Sichtung vorhandener Instrumente der Evaluierung – mit ernüchterndem Ergebnis. Die frühe Aufbau-Evaluierung des BMZ (2002) prüfte lediglich die organisatorischen Maßnahmen, ausdrücklich nicht die friedensfördernden Wirkungen. Auch die Evaluierung eines ZFD-Projekts in Kroatien von Bongard (2004) ist im Wesen eine beschreibende Einschätzung anhand politischer Kriterien.

7) Für die nachfolgende Liste gebührt Bodo von Borries die Mit-Autorschaft – und zugleich Dank für den fruchtbaren Austausch.

Dr. jur. Tilman Evers, Privatdozent für Politikwissenschaft, war 1973 bis 1981 Assistenzprofessor am Lateinamerika-Institut der FU Berlin, 1985 bis 1992 Studienleiter für Recht und Politik an der Evangelischen Akademie Hofgeismar, danach bis 2002 Referent für Politische Bildung beim Dachverband DEAE der Evangelischen Erwachsenenbildung.
Er ist Mitbegründer und seit 2004 Vorsitzender des Forum Ziviler Friedensdienst.
Der vorliegende Artikel ist die gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des Beitrags »Working on Conflict« in Ansgar Klein und Silke Roth (Hrsg.): NGOs im Spannungsfeld von Krisenprävention und Sicherheitspolitik. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden (i. E.). Für Materialien, nützliche Hinweise und Korrekturen zum Entwurf dieses Aufsatzes dankt der Autor Bodo von Borries, Carsten Montag, Jan Nicolai, Jochen Petzschmann, Katharina Reifenrath, Matthias Riess, Reiner Steinweg, Helga Tempel, Konrad Tempel, Heinz Wagner sowie mehreren Friedensfachkräften des forumZFD. Die Redaktion dankt Autor, HerausgeberInnen und Verlag für die Abdruckgenehmigung.

zum Anfang | Menschlich bleiben – und ein bisschen unversöhnt!

Erfahrungen aus der Friedens- und Versöhnungsarbeit in Südafrika

von Andreas Rosen

Kontexte von Friedensarbeit sind wohl sehr verschieden – nicht nur in Hinblick auf Konfliktgenese, Qualität und Quantität von Gewalt sowie Nachkonfliktssituation. Auch prägen und emotionalisieren geschichtliche oder gegenwärtige Macht- und Herrschaftsbeziehungen die Begegnung mit den »Zielgruppen«, Partnern, Konfliktparteien. So ist z.B. für mich eine deutsche Friedensfachkraft in Israel immer noch schwer vorstellbar.

In Südafrika muss in der Friedensarbeit und in der Begegnung mit den Menschen der Partnergemeinden stets die Konsequenz von 350 Jahren Kolonialismus und Rassismus mit bedacht werden! Ich hatte zumindest in diesen zwei Jahren keine Begegnung, in der das historische Herrschafts- und Gewaltverhältnis von »Schwarz & Weiß« nicht irgendwo eine Rolle gespielt hat – offen oder versteckt!

Bei der Beerdigung eines Kollegen waren wir vier Weiße neben vierhundert Schwarzen. Während der mehrstündigen Trauerfeier erfuhren wir immer wieder eine Sonderbehandlung: Obwohl viele alte Menschen standen, sollten wir uns auf Stühle setzen; im Dauerregen am Grab bekamen wir Schirme gereicht, während die anderen im Regen standen und als alle nach Hause gehen durften, fiel natürlich negativ auf, dass auch wir gingen, denn wir sollten – obwohl wir nicht zum engeren Familienkreis zählten – noch ins Haus des Toten.

Ein kleines, alltägliches Beispiel, das durch viele andere ersetzbar wäre und das vom „kolonisierten Bewusstsein“ (Frantz Fanon) bzw. von offenen oder subtilen Hierarchien erzählt. Beginnt man mit der Friedensarbeit oder auch der Entwicklungszusammenarbeit, so sollte man sich dieser banalen aber machtvollen Kräfte bewusst sein – sonst kann es durchaus sein, dass man daran scheitert!

Menschlich sein und bleiben

In einem Kontext fortgesetzter Gewalterfahrung, Entmenschlichung und Erniedrigung scheint es mir notwendig zu sein, sich die Fähigkeit zu erhalten, menschlich zu sein und vor allem zu bleiben. Gemeint ist hier nicht die Empathie mit den Opfern und Überlebenden oder ein Verständnis für alle Seiten. Es geht vielmehr um die konsequente Beibehaltung der kleinen Gesten auf der zwischenmenschlichen Ebene jenseits aller Instrumentarien und Manuale der Zivilen Konfliktbearbeitung.

Eine ländliche Gemeinde nördlich von Durban hatte uns Hunderte von schriftlichen Aussagen zukommen lassen: Geschichten von Gewalt, Mord, Zerstörung und Vertreibung, verbunden mit der Forderung nach Entschädigung für erfahrenes Unrecht während der Apartheid bzw. des Bürgerkriegs in KwaZulu-Natal. Offensichtlich war an dieser Gemeinde der gesamte Prozess der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission vorbeigerauscht. Ohne dass sie bemerkten, dass die Kommission schon längst ihre Arbeit beendet hat, sammelten sie die »Statements über Menschenrechtsverletzungen« in ihrer Gemeinde und übergaben sie SINANI (s. Kasten). Sie dachten, wir seien Teil der staatlichen Wahrheitskommission. Nun hatten wir die undankbare Aufgabe, diese Menschen darüber zu informieren, dass ihre Eingaben zwar sehr berechtigt seinen, dass sie aber leider viel zu spät kämen. Zu diesem Zweck luden wir Vertreter der Gemeinde in unser Büro in Durban. Nach einem in der Sache sehr deprimierenden mehrstündigen Gespräch stand ein älterer »community leader« auf und sagte: „Okay, Ihr habt schlechte Nachrichten für mich. Aber Ihr habt mich freundlich empfangen, mir Tee und Kekse serviert und mir lange zugehört – heute, nach all den Jahrzehnten, fühle ich mich zum ersten Mal als Mensch behandelt.“

Was hatten wir denn schon gemacht? Nicht viel, aber immerhin haben wir diese kurze Begegnung mit der Gemeinde in einer solchen respektvollen, menschlichen Weise (empfangen, servieren, zuhören!) gestaltet, die der alte Mann bis dato nicht kannte An diesen oder ähnlichen Punkten, wo ein Stück weit – und sei es auch nur für den Moment – die trennenden Welten und Kräfte (siehe Einleitung) aufgehoben oder durchbrochen werden, entstehen meiner Ansicht nach wesentliche Voraussetzungen für so etwas wie wirkliche Begegnung zwischen Friedensfachkraft und Partnern bzw. für vertrauensbildende Friedensarbeit.

Begegnung durch Sich-trauen

Vertrauen als Basis der Begegnung zwischen der Friedensfachkraft und den Menschen aus den Partner-Gemeinden erfordert vom »Professionellen« oder »Experten« aber auch die Bereitschaft, gegebenenfalls die schützenden Hüllen fallen zu lassen und sich zu trauen, sich auch einmal selbst zu erschließen.

Mit einer Gruppe von Jugendlichen, die aus politisch verfeindeten Lagern kamen, haben wir einen kreativen Schreib-Workshop zum Thema »Gewalterfahrungen und Friedenssehnsüchte« durchgeführt. Zur Mobilisierung möglicher Geschichten der Jugendlichen stellten wir den »tree of life« vor – eine Visualisierung der eigenen Biographie mit positiven wie negativen Strängen. Natürlich bin ich da mit meiner Darstellung einer typischen westdeutschen »Mittelschicht-Eiche« im Gegensatz zu den dramatischen Zeichnungen der Jugendlichen völlig raus gefallen. Aber, was zählte, war der Umstand, dass ich da mit- und eben auch aufgemacht habe. Die Tatsache, dass ich in meiner Rolle und Funktion den Jugendlichen von meinen zarten Jugendproblemen erzählte, hat – so meine Vermutung – dazu beigetragen, in der weiteren Zusammenarbeit Hierarchien zu verflachen bzw. unbegründeten Respekt abzubauen.

Ich glaube allerdings auch, dass es Grenzen der Annäherung gibt: Meine KollegInnen von SINANI haben immer wieder betont, dass die Organisation nicht mehrtägige Stress-und-Trauma-Workshops durchführen kann, bei denen die Teilnehmenden ihr Innerstes nach Außen kehren und von ihren horrenden Gewalterfahrungen berichten, ohne dass die moderierenden SINANI-MitarbeiterInnen auch etwas von sich und ihren eigenen Verletzungen preisgeben. An dem Punkt war für mich jedoch klar: Ich kann und will an den Stress- und Trauma-Workshops nicht teilnehmen. Denn verglichen mit den gewaltsamen Erfahrungen und schweren Traumata der Teilnehmenden habe ich nichts beizutragen, was nicht lächerlich oder verhöhnend wirken würde neben diesen massiven Gewaltgeschichten.

Den Menschen und an die Menschen glauben

In der unmittelbaren oder mittelbaren Begegnung und Arbeit mit Überlebenden von Gewaltverhältnissen habe ich mich immer wieder dabei ertappt, dass ich auf ihre Geschichten kausale, logische und Details rekonstruierende Blaupausen gelegt habe: Stimmt das? Geht das so? Kann das denn so gewesen sein?

Ich erinnere mich, dass ich die handgeschriebene Geschichte einer jungen Frau las, die sich entschlossen hatte, ihre extrem gewalttätige Lebensgeschichte öffentlich zu machen, um so anderen jungen Frauen zu zeigen, sie seien nicht alleine und es gebe Hoffnung. Ich stolperte über Widersprüchlichkeiten in ihrer Darstellung: Einmal schrieb sie, sie sei HIV-positiv und später sagte sie, sie sei negativ. Doch dann wurde mir klar, dass die Frau wollte, dass wir »ihre Mission« unterstützen, die Geschichte in eines der »Mädchen-Magazine« lancieren, die viele junge schwarze Frauen lesen. Sicherlich erwartete sie nicht, dass wir detektivisch die Geschichte auseinander nehmen, kritisch oder skeptisch nachfragen – das hätte jegliche Vertrauensbasis zerstört.

Die Menschen, die mit ihren traumatischen Geschichten zu SINANI kommen (und selbst jene, die vielleicht ihr Trauma herbei reden, weil sie Aufmerksamkeit oder Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen brauchen), haben ein Recht darauf, dass ihnen erst einmal vorbehaltlos geglaubt wird. Dies ist umso wichtiger in einer Gesellschaft, in der ihnen über Jahrhunderte nie geglaubt wurde, in der sie immer als Lügner bezeichnet wurden. Die Arbeit, die wir machen, ist keine juristische, journalistische oder polizeiliche, sondern eine, in der es darum geht, letztlich die Menschen wieder an sich selbst glauben zu lassen. Sie auf diesem Wege zu unterstützen heißt eben auch, ihnen deutlich zu vermitteln: Wir glauben euch!

Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zum »Wir glauben an Euch!« Dies auszustrahlen – auch als Friedensfachkraft – ist in der Arbeit mit Menschen, die gebrochen oder erniedrigt wurden, die betrogen oder belogen wurden, auf die keiner mehr setzt und die sich selbst nicht mehr all zu viel zutrauen, extrem wichtig. Es geht nicht nur um den Rahmen, dass man z.B. einen alten traditionellen Führer eine eigene Radiosendung machen lässt oder einer weisen Frau eine ganze Zeitungsseite als Anzeige kauft, damit sie darauf für »Respekt zwischen den Generationen« wirbt. Und es geht auch nicht nur darum, dass man die beiden dabei realistisch unterstützt und »empowert«, damit sie an diesen Punkt kommen und dort auch bestehen können. Es geht vielmehr um die permanente Rückkopplung in diesen oft sehr langwierigen Prozessen der Zusammenarbeit, es geht darum, den Menschen immer wieder zu vermitteln: Du schaffst das!

Mein Kollege Dumisani und ich haben z.B. daran geglaubt, dass die Jugendlichen, die eigentlich zu einem zeitlich begrenzten Projekt zusammen kamen, um aus unterschiedlicher politischer Perspektive über den Soweto-Aufstand von 1976 zu schreiben, trotz ihrer abgebrochenen Schulausbildung Artikel verfassen können. Aus dem Projekt wurde ein regelmäßiger Newsletter, aus dem zusammengewürfelten Haufen einstiger Feinde eine feste Redaktionsgruppe mit deutlichen sozialen Bezügen und aus den »drop-outs« wurden Jugendliche, die Ausbildungen begannen oder sogar temporäre Jobs fanden. Über die anderthalb Jahre haben die Jugendlichen nicht nur gelernt, wie man Interviews führt, recherchiert oder Photos schießt. Jeden einzelnen Workshop haben wir sie auf die ein oder andere Art auch wissen lassen: Ihr könnt das; übernehmt ein bisschen mehr Verantwortung; was ihr macht, ist wichtig; ihr schafft das!

Tatsächlich denke ich, dass die eigene Ausstrahlung, positives Denken und Begeisterungsfähigkeit helfen, um in der Begegnung mit den Menschen aus den Zielgruppen kleine Schritte der Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und anderen Vorschub zu leisten, zur Versöhnung mit sich selbst oder zur Überwindung der »bösen Geister der Vergangenheit« beizutragen.

Sich selbst immer wieder misstrauen

Wenn ich zu Anfang gesagt habe, man muss sich eine konsequente Menschlichkeit erhalten, so gilt andererseits auch, sich selbst gegenüber in seinen Werturteilen, Schlüssen und Annahmen stets skeptisch zu bleiben. In den zwei Jahren Gemeinwesen- und Friedensarbeit mit »communities«, die in einer fortgesetzten Gewalt- und Mangelsituation leben, ist es in der direkten Begegnung auch immer wieder zu persönlichen Enttäuschungen, Frustrationen und Verletzungen gekommen. Da gab es Situationen, wo ich das Gefühl hatte, ich werde belogen, ausgenutzt, instrumentalisiert oder missachtet. Da sind Wertgegenstände verschwunden oder es wurde erbittert um materielle Ressourcen gekämpft. Natürlich muss sich eine Organisation hierzu verhalten, Grenzen ziehen und auch mal unbequeme Entscheidungen treffen, um weiterhin anerkannt und respektiert diese Arbeit machen zu können. Natürlich hat man ein Recht darauf, sich zu ärgern, sauer zu sein und sich Luft zu machen. Ich hatte das Glück, eine zweite vom Weltfriedensdienst (WFD) entsandte Kollegin zu haben, mit der ich mich vorbehaltlos austauschen konnte; ich hatte einen Projektverantwortlichen in Berlin, bei dem ich diese Erfahrungen geschützt abladen konnte.

Als Friedensfachkraft sollte man solche Situationen aber nicht »persönlich nehmen« und auch nicht aus diesen einzelnen Situationen oder der Summe solcher Erfahrungen vermeintliche Wahrheiten oder Grundsätze ableiten. Sonst steht man an der Türschwelle zum Chauvinismus und Rassismus. Mir hat geholfen, dass ich mir in solchen Situationen (oder besser gesagt danach!) immer wieder die schlechte Lebenssituation dieser Menschen vergegenwärtigt habe, wo ich dann begriffen habe, dass ihr Verhalten durchaus normal ist und ich in ihrer Situation wohl ähnlich reagieren würde. Letztendlich hat die Enttäuschung und Frustration auch ganz viel mit eigenen Romantisierungen und »politisch sozialisierten« Bildern zu tun, wonach der »arme Mensch« nicht schlecht sein kann (darf) und die Menschen »dort unten« ja immer zusammenhalten sollten. Dass dies aber nicht zwangsläufig so ist, fällt einem ebenso schwer zu akzeptieren, wie der Umstand, dass auch Opfer von Gewalt – gleichzeitig oder später – zu Tätern werden können.

Zwei Klassen im »Schmerz«

Meine letzte Bemerkung betrifft den Umgang mit potenziellen Belastungssituationen bzw. die Arbeit und das Leben in einer Atmosphäre alltäglicher Gewalt. Diese erfährt man zumeist nur indirekt, von KollegInnen, vom Hörensagen oder Zeitung lesen. Aber als Friedensfachkraft war ich eigentlich selten – obwohl die Bedrohung durchaus real ist – selbst betroffen. Was m.E. in der Friedensarbeit bislang nicht wirklich ein Thema ist und auch in der Vorbereitung nicht so deutlich angesprochen wird, sind die extrem ungleichen Erfahrungswelten von Schmerz, Leid und Gewalt zwischen meinen KollegInnen, den Menschen der Partnergemeinden, und mir als Friedensfachkraft. Auch hier wirken Geschichte, Klasse und Status in trennender Weise. Denn Gewalterfahrungen verteilen sich nicht per Zufallsgenerator auf alle Menschen gleichermaßen. Vor rund 95% aller potenziellen Quellen für Gefahr, Leid und schmerzvollem Verlust bin ich qua Herkunft, Status und Ressourcen geschützt. Keine Woche aber, in der meine KollegInnen auf der Mitarbeiterbesprechung nicht von irgendwelchen substanziellen Dramen in ihrem persönlichen Umfeld berichteten: dem Tod eines nahen Familienmitglieds, Mini-Taxi-Unfällen oder Raubüberfällen. Kein Wochenende, an dem sie nicht – in Zeiten von HIV/Aids – der »Freizeitbeschäftigung Nummer eins« unter schwarzen Südafrikanern nachgehen und ihre Freunde oder Familienmitglieder beerdigen. Klar, man ist empathisch und solidarisch, bekundet Beileid, spendet Trost und geht kondolieren. Aber irgendwie ist diese »Schicksalsdifferenz« da, und allen Beteiligten ist sie auch unausgesprochen bewusst.

Bei mir hat dieses Wissen auch zu einem diffusen Schuldgefühl geführt, was letztlich bewirkte, dass ich mich mit meinen eigenen und den »geborgten« Erfahrungen weiter zurücknahm und immer weniger die Notwendigkeit bzw. Chance von Supervision oder »debriefing« sah. Einmal, spät abends, war ich mit zwei KollegInnen unterwegs und wir entgingen knapp einem versuchten »car-hijacking«. Nicht selten laufen diese Überfälle aus dem Ruder und enden tödlich. Ich fuhr nach Hause, trank ein Bier, freute mich über Bayer Leverkusens gutes Spiel in der Champions League und ging schlafen. Erst als ich am nächsten Tag feststellte, dass meine KollegInnen den Vorfall weitererzählten, war dies für mich auch ein Zeichen, dass ich mit Freunden darüber reden konnte. Ich brauchte allerdings erst von meinen KollegInnen die Bestätigung, dass der Vorfall berichtenswert sei.

Mit den Verhältnissen unversöhnt

Ich weiß nicht, ob ich in den zwei Jahren sehr konstruktiv mit dieser »herkunftsgeleiteten« und schichtenspezifischen Spaltung von persönlichem Leid und Wahrscheinlichkeit von Schmerzen umgegangen bin. Ich hatte sie zwar antizipiert, und sicherlich haben mich auch die vielen »Gewalterfahrungen dritten Grades« in dieser Zeit geprägt, ohne dass ich genau sagen kann, wie und wo. Interessant ist jedoch, dass es genau die oben genannten Erfahrungen sind, die mich – als Mitarbeiter einer Organisation der Versöhnungsarbeit – unversöhnlicher gegenüber den ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen werden ließen. Es mag etwas widersprüchlich klingen, aber diese Unversöhnlichkeit und Wut gehören für mich zu den produktivsten und nachhaltigsten Ergebnissen meiner zweijährigen Friedensarbeit.

Andreas Rosen, Diplom-Politologe, war acht Jahre lang beim Weltfriedensdienst e.V. (WFD) als Referent für Inlandsarbeit tätig. Von Ende 2001 bis Mitte 2004 arbeitete er als Friedensfachkraft des WFD in KwaZulu-Natal, Südafrika, und unterstützte die Organisation SINANI/KwaZulu-Natal Programme for Survivors of Violence bei ihrer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Gegenwärtig arbeitet er als entwicklungspolitischer Referent bei der Stiftung Nord-Süd-Brücken in Berlin

zum Anfang | Zwischen Allparteilichkeit und »ownership«

von Martin Quack

Konfliktexterne »Dritte Parteien« haben Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung, über die lokale Akteure nicht verfügen. Sie können jedoch auch konfliktverschärfend wirken, wenn sie eine der Konfliktparteien begünstigen oder zu begünstigen scheinen. Wie aber können Externe »unparteilich« sein beispielsweise angesichts von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen? Ist es überhaupt möglich, sich politisch abstinent zu verhalten? Bringen »Dritte« nicht unweigerlich Sichtweisen ein, die durch ihre Herkunftsgesellschaft geprägt sind? Der Versuch, mit diesen Fragen umzugehen, hat dazu geführt, dass heute eher von »Allparteilichkeit« als von »Unparteilichkeit« gesprochen wird. Andererseits können letztlich nur die Konfliktparteien selbst ihre Interessen definieren und ausgleichen; darauf bezieht sich der Begriff der »ownership«. Beide Prinzipien haben ihre Berechtigung – aber sind sie miteinander vereinbar? Das Dilemma stellt sich u.a. in laufenden Projekten des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) und wird dort kontrovers diskutiert. Der vorliegende Beitrag will eine erste Verortung des Problems anbieten.

Begriffe

Der Begriff der Allparteilichkeit stammt aus der Familientherapie und meint, sich aktiv in die Position eines jeden Familienmitglieds einzufühlen. Allparteilichkeit soll es ermöglichen, die legitimen Bedürfnisse jedes Familienmitglieds zu erkennen und für sie einzutreten. Wachstumspotenziale, positive Kräfte und Ressourcen sollen hervorgehoben werden. Wenn heute Allparteilichkeit auch in der Zivilen Konfliktbearbeitung gefordert wird, dann bezeichnet das entsprechend die Wahrnehmung der berechtigten Anliegen aller politisch relevanten Akteure. Für ZFD-Projekte ist Allparteilichkeit besonders schwierig bei einer starken Bindung an lokale Partnerorganisationen, und wenn Projekte räumlich und institutionell klar auf einer Seite angesiedelt sind. So nehmen Friedensfachkräfte (FFK) in Palästina die israelische Seite in erster Linie als SoldatInnen wahr; dadurch liegt eine Solidarisierung mit einer Seite nahe. Wenn Allparteilichkeit trotzdem erreicht werden soll, muss sie institutionalisiert werden, z. B. durch regelmäßige Supervision der FFK (vgl. Weltfriedensdienst, 2005).

»Ownership« bedeutet »Eigentümerschaft«. Damit wird in der Entwicklungspolitik die Identifikation lokaler Partnerorganisationen und Zielgruppen mit einem Vorhaben sowie die Eigenverantwortung für Veränderungsprozesse bezeichnet. »Ownership« mahnt die Subsidiarität von Außenunterstützung an und gilt als wichtige Bedingung für eine nachhaltige Arbeit. Erforderliche Veränderungen können nur von den Akteuren in der Region erreicht werden, deshalb müssen sie Einfluss ausüben und Verantwortung übernehmen. Immer häufiger wird nicht mehr von unseren Projekten gesprochen sondern von den Projekten der Partner. »Ownership« ist auch für Friedensförderung wichtig. „Der ZFD arbeitet grundsätzlich mit lokalen Partnerorganisationen in Projekten zusammen, um zivilgesellschaftliche Friedenspotenziale zu identifizieren und die lokalen Kräfte für eine gewaltfreie Regelung von Konflikten zu stärken.“ (Konsortium ZFD, 2005, S. 1). Über das »empowerment« einzelner Gruppen sollen „Strukturen gestärkt werden, innerhalb derer Interessen gewaltfrei vertreten und mit den Interessen anderer zum Ausgleich gebracht werden können“ (DED, 2003, S. 4). Für die Bundesregierung bedeutet »ownership« die Teilhabe und Miteinbeziehung der lokalen Partner des ZFD (BMZ, 2002, S. 85f.). Das steht allerdings in einer Spannung zur Entwicklung von Länderstrategien im ZFD, die gerade die Handlungskompetenz und Kohärenz der externen Akteure stärken sollen.

Entwicklungen seit 1999

Das Spannungsverhältnis zwischen Allparteilichkeit und »ownership« zieht sich durch die bisherige Entwicklung des ZFD. Bereits im Rahmenkonzept für den ZFD von 1999 werden als Aufgaben des ZFD u.a. vertrauensstiftende Maßnahmen, der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern, die Vermittlung bei Konflikten und Beiträge zur Versöhnung genannt – Aufgaben, die Allparteilichkeit nahe legen. Andererseits sollen alle Aktivitäten auf der Grundlage entwicklungspolitischer Prinzipien wie Subsidiarität und Hilfe zur Selbsthilfe erfolgen. Zusammenarbeit mit und Akzeptanz durch lokale Akteure seien im Interesse von Nachhaltigkeit durch Partizipation unabdingbar. Der ZFD arbeite deshalb im Rahmen der mit den jeweiligen Partnerorganisationen getroffenen Vereinbarungen (BMZ, 2000).

Die Evaluation des ZFD (BMZ, 2002, passim) machte darauf aufmerksam, dass es für FFK problematisch sein könne, ihre Neutralität mit ihrer Loyalität gegenüber der Partnerorganisation in Einklang zu halten. Besonders deutlich werde dieses Dilemma, wenn FFK ihre Verträge mit den Partnerorganisationen schließen. Ob dieses Verfahren im ZFD immer angemessen sei, sei eine offene Frage. Sollten Partnerorganisationen als Konfliktpartei wahrgenommen werden, werde Neutralität vermutlich ein höherer Wert sein als die Loyalität. Die Zufriedenheit der Schlüsselakteure mit den ZFD-Projekten hänge wesentlich von der Herstellung von lokaler »ownership« ab. ZFD-Projekte sollten deshalb einen partizipativen Charakter aufweisen. Konkret könne dies bedeuten, Partnerorganisationen stärker an der Vorbereitung zu beteiligen. In Situationen, in denen unüberbrückbare »ownership«-Konflikte mit lokalen Partnern auftreten, sollte das Projekt nicht an eine feste Partnerstruktur gebunden werden.

Die »Standards« des Konsortiums ZFD (2005) legen fest, dass der ZFD grundsätzlich mit lokalen Partnerorganisationen zusammenarbeitet. Zusammen mit ihnen soll er zivilgesellschaftliche Friedenspotentiale identifizieren und die lokalen Kräfte für eine gewaltfreie Konfliktregelung stärken. Im Sinne der Nachhaltigkeit sei die Beschäftigung lokaler Friedensfachkräfte ein wichtiger Bestandteil von ZFD-Projekten. Andererseits soll sich die FFK auch um Akzeptanz bei den verschiedenen Konfliktparteien bemühen. Situationen, in denen potentielle Partner selber Akteure des Konflikts sind oder tragfähige zivilgesellschaftliche Strukturen noch nicht existieren, erfordern eine besonders sensible Form der Zusammenarbeit. Im Sinne der Nachhaltigkeit sei dabei eine umfassende Einbindung lokaler Fachkräfte und der Aufbau einer eigenständigen Trägerstruktur unerlässlich.

Allparteilichkeit und »ownership« in der Praxis

Die Träger des ZFD gehen unterschiedlich mit der Spannung zwischen Allparteilichkeit und »ownership« um (vgl. Evers, 2005 und in diesem Dossier; Montag & Smidoda, 2005; Smidoda, 2005). Die Frage stellt sich vor allem in der Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen. Einige ZFD-Projekte insbesondere der Entwicklungsdienste legen den Schwerpunkt auf »ownership«.Die FFK werden bei einem lokalen Partner angestellt und dessen politischer Leitung unterstellt. Auch in solchen Projekten gibt es Spielraum: So kann eine FFK z.B. eine Partnerorganisation unterstützen, sich aber nicht an eindeutig parteilichen Arbeitsbereichen und entsprechenden öffentlichen Äußerungen beteiligen.

Bei anderen ZFD-Projekten steht die Allparteilichkeit im Vordergrund. Das forumZFD achtet darauf, dass seine FFK nicht mit einer einzelnen Partnerorganisation identifiziert werden, um ihnen möglichst viel Glaubwürdigkeit und Handlungsfreiheit zu erhalten. Das ZFD-Projekt ist dann eine dritte Partei mit eigener Parteilichkeit für ihre Grundprinzipien, eigenem Budget, eigenem Büro und eigenem Personal. Sie arbeitet i.d.R. mit mehreren Partnergruppen verschiedener Konfliktparteien zusammen, die für diese Zusammenarbeit jeweils die »ownership« haben sollten. Die internationalen FFK übernehmen eine sehr aktive Rolle: Sie identifizieren Partner und legen Regeln der Zusammenarbeit fest. Eine klare eigene Identität hilft Allparteilichkeit zu verteidigen. Dazu kommen institutionelle Vorkehrungen: Besonders deutlich wird dies beispielsweise im Projekt Willy Brandt-Zentrum in Jerusalem. Dort sind politische Jugendorganisationen beider Seiten institutionell und durch eigenes Personal vertreten. Auch bei den anderen Trägern des ZFD in Palästina und Israel wird die Notwendigkeit von Allparteilichkeit betont (vgl. Weltfriedensdienst, 2005)

Es gibt auch die Möglichkeit, über »ownership« zu Allparteilichkeit zu kommen. In diese Richtung geht z.B. das Engagement des forumZFD zu Traumabearbeitung in Südosteuropa. Für die Arbeit mit traumatisierten Soldaten in Serbien wurde in Kooperation mit Ohne Rüstung Leben bis 2004 ein serbisches Beratungsnetzwerk unterstützt. Inzwischen ist dieses Netzwerk auch in albanischen Regionen Serbiens etabliert und ein weiteres Projekt zur Traumabearbeitung in Kroatien ist geplant. Dieser Umgang mit den u.U. widersprüchlichen Prinzipien wird erleichtert, wenn er im Rahmen einer allgemeinen Deeskalation des Konflikts stattfindet.

Der umgekehrte Weg über Allparteilichkeit zu »ownership« ist für das forumZFD interessant, weil viele Projekte allparteilich beginnen. In vielen Konfliktgebieten müssen allparteiliche Strukturen erst mühsam geschaffen, Akteure aufgebaut werden. Die Verantwortung für diese Arbeit kann schrittweise auf diese neu entstehenden lokalen Strukturen übergehen, soweit sie Allparteilichkeit gewährleisten können. Alle Projekte des forumZFD im ehemaligen Jugoslawien wurden 2005 von FFK übernommen, die aus der Region stammen (bis auf die Regionalkoordination). Zur Rolle einer lokalen FFK meint Nehari Sharri, FFK im Kosovo: „Ich bin nicht neutral. Ich gehöre einer Volksgruppe an. Niemand ist neutral. Neutralität haben auch die Internationalen nicht. … Was ich versuche, ist, allparteilich zu sein, die Interessen beider Seiten zu berücksichtigen.“ (zit. nach Montag & Smidoda, 2005, S. 3). Zu Beginn der Projektarbeit war internationale Präsenz wichtiger, da die lokalen Akteure keine Kontakte zur anderen Seite hatten und keine eigenen Initiativen entwickelten. Inzwischen ist nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe entscheidend, sondern das Vertrauen vor Ort. Hier haben lokale Fachkräfte zunehmend Vorteile gegenüber internationalen Akteuren. Sie können leichter beide Seiten verstehen. Persönliche Eigenschaften spielen eine wichtige Rolle, z. B. die Zugehörigkeit zu einer respektierten Familie, die persönliche Integrität und Dialogfähigkeit.

Fazit

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, im Rahmen des ZFD mit Allparteilichkeit und »ownership« umzugehen. Beide Prinzipien sollten beachtet, können jedoch nicht zur gleichen Zeit im gleichen Maß verwirklicht werden. Die Entscheidung für das eine oder andere Vorgehen hängt von den bisherigen Erfahrungen und von vielen weiteren Faktoren ab. Es lassen sich folgende Kriterien angeben für eine Schwerpunktsetzung (siehe Tabelle).

Zum ZFD gehört das Partner-Prinzip, nicht aber zwingend die Bindung an einen Partner. Die Vorentscheidung, sich an bereits vorhandene lokale Partner zu binden, muss genau so begründet werden wie der Aufbau eigener Strukturen. Wichtigste Kriterien sind die Konfliktsituation vor Ort und die angestrebte Wirkung einer Intervention. Angesichts der großen Vielfalt von Konfliktlagen können verschiedene Formate oder Typen von ZFD-Projekten entwickelt werden, die mit einer unterschiedlichen Gewichtung zwischen beiden Herangehensweisen beginnen. Die notwendige Balance zwischen beiden muss dann im Verlauf des Projekts erarbeitet werden. Das hebt die Spannung zwischen ihnen nicht auf, relativiert sie aber zu Unterschieden mehr der Abfolge als des Inhalts.

Kriterien für eine Schwerpunktsetzung
auf Allparteilichkeit auf »ownership«
  • Die Parteien befinden sich in einer eskalierten Konfliktphase mit starker Polarisierung.
  • Angestrebte Ziele können nur durch Arbeit mit beiden Konfliktparteien gelöst werden.
  • Es sind keine lokalen Partner identifizierbar, die mittelfristig für eine allparteiliche Arbeit gewonnen werden können.
  • Es gibt eine Strategie zur Erreichung von »ownership«.
  • Der Konflikt ist weniger stark eskaliert.
  • Die angestrebten Ziele können innerhalb einer Konfliktpartei erreicht werden.
  • Es existieren anerkannte, friedenswillige Kräfte.
  • Auf eine erfolgreiche Arbeit mit lokalen Partnern (einer Seite) kann aufgebaut werden.
  • Eine Konfliktpartei ist strukturell schwächer und soll dazu ermächtigt werden, die eigenen Interessen zu vertreten
  • Es gibt eine Strategie zur Erreichung von Allparteilichkeit.

Literatur

(Zugriff auf alle Internetquellen am 13.01.06)

Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2000): Ziviler Friedensdienst – ein neues Element der Entwicklungszusammenarbeit (Rahmenkonzept), 9.6.1999. In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 358-360). Leske + Budrich, Opladen.

Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2002): Evaluierung der Aufbauphase des Zivilen Friedensdienstes (ZFD). Abschluss und Synthesebericht. Verfügbar unter: http://www.ziviler-friedensdienst.org/docs/ZFD-Evaluierung.doc.

Deutscher Entwicklungsdienst (DED) (2003): Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung: Das Engagement des DED im Zivilen Friedensdienst. Verfügbar unter: http://www.ded.de/cipp/ded/lib/all/lob/ return_download,ticket,g_u_e_s_t/bid,136/no_mime_type,0/~/fachheft_zfd.pdf.

Evers, Tilman (2005): Ein erster Schritt: Fünf Jahre Ziviler Friedensdienst. Querbrief, Nr. 3, S. 4-5. Verfügbar unter: http://www.wfd.de/wfd/pdf/Quer3_2005.pdf.

Konsortium Ziviler Friedensdienst (2005): Standards für den Zivilen Friedensdienst. Gemeinsame Grundlage des Konsortiums Ziviler Friedensdienst bei der Entwicklung von Projekten. Verfügbar unter: http://www.ziviler-friedensdienst.org/docs/ZFD-Standards_Endversion.pdf.

Montag, Carsten / Smidoda, Iris (2005): Die dritte Seite des Dreiecks: Die Frage der Allparteilichkeit bei der Projektübergabe an lokale Fachkräfte. Frieden braucht Fachleute, Nr. 4, S. 3.

Smidoda, Iris (2005): Gutes bewirken – nicht alles, was nicht schießt, ist zivile Konfliktbearbeitung. In Konrad Tempel (Hrsg.): Instrumente für den Zivilen Friedensdienst: Gewaltfreie Intervention durch eine Drittpartei (ZFD impuls Bd. 2, S. 26-29). Forum Ziviler Friedensdienst, Bonn.

Weltfriedensdienst (2005): Dokumentation des Symposiums »Konflikttransformation in Palästina und Israel – Beiträge des Zivilen Friedensdienstes«.Verfügbar unter: http://www.ziviler-friedensdienst.org/docs/palaestina.pdf.

Martin Quack, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Internationale Politik und Außenpolitikanalyse der Universität zu Köln. Er arbeitet an einem Projekt zu Wirkungen des Zivilen Friedensdienstes. Von 2003 bis 2005 war er Assistent der Geschäftsleitung des Forum Ziviler Friedensdienst.

zum Anfang | Ziviler Friedensdienst und Militär »im Einsatz«

von Dieter Bricke

In den letzten Jahren haben im Rahmen von Interventionen in gewaltsame Konflikte pragmatische Kontakte zwischen Militär und Nichtregierungsorganisationen zugenommen. Seit Ende der 90er Jahre versuchen Bundeswehr und NATO in einer wachsenden Zahl von Publikationen und Veranstaltungen die Begriffe Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) bzw. Civil Military Cooperation (CIMIC) mit Inhalten aus der Sicht und Interessenlage des Militärs zu besetzen (vgl. Braunstein, 2000; Braunstein et al., 2001; NATO International Military Staff, 2002). Parallel hierzu haben zivilgesellschaftliche Akteure damit begonnen, ihre eigenen Konzepte und Strategien im Licht der internationalen Entwicklungen zu überprüfen. Sie stellen sich dabei i.B. auch der Frage, welche Grenzen bei der Zusammenarbeit zu beachten sind (vgl. Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2003).

Es ist nicht zu übersehen, dass das Gesamtkonzept der Bundesregierung »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« und ihr Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« (Bundesregierung, 2000; 2004) zwar politische, ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen für einen »erweiterten Sicherheitsbegriff« ansprechen, dass aber hinsichtlich der sicherheitspolitischen Praxis militärische Konfliktbearbeitungs-Instrumente sowohl konzeptionell als auch finanziell im Vordergrund stehen.

Solange es kein friedenspolitisches Gesamtkonzept von Gesellschaft und Staat gibt, das den Akzent auf Minderung und Beendigung von Gewalt legt, müssen weitere Verständigungen zwischen zivilen und staatlichen Akteuren über unterschiedliche inhaltliche Grundmuster – z.B. über das Ziel, militärische Gewalt als Mittel der Konfliktintervention zu überwinden – herbeigeführt werden, bevor von einem gemeinsamen Verständnis von Zivil-Militärischer Zusammenarbeit ausgegangen werden kann. Andernfalls ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass die Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) und als Teil von ihr auch der Zivile Friedensdienst (ZFD) nur als Feigenblatt für die Verfolgung unterschiedlicher staatlicher Interessen benutzt werden. Damit aber würde die Arbeitsgrundlage des ZFD, seine Glaubwürdigkeit als gewaltfreier Mediator zwischen den Konfliktparteien, zerstört (vgl. Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2003, S. 75 ff.).

So lange es keine funktionierende Weltinnenpolitik auf Basis der UN mit dazu gehörigen funktionierenden UN-Polizeitruppen und einer kohärenten Konzeption der gewaltfreien Konflikttransformation gibt, die gemeinsam von internationalen Nichtregierungsorganisationen und UN-Organisationen erarbeitet wurde, kann die Zweckmäßigkeit jeglicher Zusammenarbeit zwischen Nichtregierungsorganisationen und militärischen Einheiten nur punktuell anhand konkret vorliegender Bedingungen im Einzelfall beurteilt werden.

Grundposition des ZFD zur Zusammenarbeit mit dem Militär

Die gemeinsame Zielrichtung der Gründer des ZFD ist trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft die Weiterentwicklung einer bislang auf Wirtschaftsmacht und Militär gestützten nationalstaatlichen Außen- und Sicherheitspolitik zu einer überwölbenden Weltinnenpolitik, die die zivilgesellschaftliche Handlungsebene weltweit stärken will (vgl. Evers, 2000). Die Berliner Erklärung von 1997, die maßgeblich vom Friedensverständnis der beiden großen Kirchen in Deutschland mit bestimmt wurde, definiert den ZFD ausdrücklich als „einen Friedensfachdienst, der in nationalen und internationalen Konflikten mit den Methoden der gewaltfreien Konfliktaustragung tätig wird.“ (Berliner Erklärung, 2000, S. 349).

Alle Verantwortlichen des ZFD waren sich aber auch stets darüber im Klaren, dass gerade der Aspekt der politischen Wirksamkeit des ZFD verlangt, dass er aus der bisherigen gesellschaftlichen Nische heraus in die Mitte der Gesellschaft geführt wird. Dies sei ohne subsidiäre finanzielle Unterstützung durch den Staat nicht möglich (vgl. Rissmann, 1997). Allerdings sind bei der Zusammenarbeit zwischen Staat und ZFD im Hinblick auf die wesentliche Ressource der Glaubwürdigkeit des ZFD die Interessen des Staates und die Interessen des ZFD scharf voneinander abzugrenzen. Bei allem Pragmatismus liegt die Grenze der Zusammenarbeit mit dem Staat für den ZFD:

  • Erstens, bei der Einbindung in ein militärisches Konzept. Der ZFD ist nicht das komplementäre Instrument zur militärischen Friedenserzwingung. Diese kann bestenfalls Interimslösungen erwirken, aber nicht dauerhaft Frieden schaffen.
  • Zweitens, bei der direkten Einflussnahme des Staates auf Inhalte und Struktur des ZFD. Wo durch Restriktionen oder Richtlinien der gewaltfreie Ansatz und die Orientierung am Gleichheitsgrundsatz und an den Menschenrechten beeinträchtigt würden, könnte der ZFD keine Kompromissbereitschaft entwickeln (vgl. Wagner 2003, S. 95).

Diese, vom Forum Ziviler Friedensdienst gezogenen Grenzen stimmen überein mit den »Friedenspolitischen Richtlinien« der Kooperation für den Frieden von 2003.

Grundposition des Militärs zur Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen

Das Militär ist weltweit geprägt durch die Wahrnehmung nationalstaatlicher Interessen auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam und nach der Maxime, dass zur Überwindung von Gewalt massive Gewaltanwendung erlaubt sei, soweit anders der Wille des Gegners nicht zu brechen ist (vgl. Buro, 2000). Diese Aussage gilt auch für militärische »Friedensmissionen«.

Die Verteidigungspolitischen Richtlinien stellen aufgrund vieler Fehlschläge gewaltsamer Operationen fest: „Sicherheit kann weder vorrangig noch allein durch militärische Maßnahmen gewährleistet werden» (BMVg, 2003, Rdnr. 36). Das Militär ist daher zur Kooperation mit zivilen Kräften bereit. Die Frage ist nur, ob diese Kooperation in Anbetracht des traditionellen Übergewichts des Militärischen gegenüber dem Zivilen in der Außen- und Sicherheitspolitik – man vergleiche z. B. das Verhältnis von 1:1.000 im Hinblick auf die Finanzierung – zwangsläufig zur Einordnung von ZFD-Tätigkeiten in die Palette militärisch-ziviler Handlungsoptionen führt, wie es u.a. beispielsweise Brand-Jacobsen & Jacobsen (2003) befürchten.

Aus der Sicht des Militärs gilt ZMZ »als Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Bundeswehr im Grundbetrieb und Einsätzen«; bedeutet „die Nutzbarmachung des gesamten Spektrums ziviler Ressourcen im Einsatzraum für die eigene Truppe“ – i. B. zur »Steigerung der Akzeptanz des Einsatzes insgesamt“ und damit „…ganz wesentlich zur Sicherheit der Truppe.“ Hinzu kommt, „dass Mittel aus dem Verteidigungshaushalt für diese Projekte nicht zur Verfügung stehen … Die Maßnahmen sind nur möglich durch Mittel sog. Donatoren wie AA, EU und verschiedener Hilfsorganisationen.“ (Echterling, 2003, S. 3 ff.; ähnlich Braunstein et al., 2001).

Dementsprechend behaupten die Vertreter der Bundeswehr, es gebe eine »Komplementarität« zwischen Zivilem Friedensdienst und Militär im Interesse der Menschen. Die Kooperation für den Frieden, der über 30 Organisationen der Friedensbewegung angehören, bestreitet das ausdrücklich.

Orientierungshilfen für das Verhältnis zum Militär »im Einsatz«

Die nachfolgenden Vorschläge sollen dem ZFD dazu dienen, gegenüber dem Militär im jeweiligen Einsatzgebiet die notwendige Distanz zu wahren.

  • Die Arbeit im ZFD richtet sich nach den Prinzipien der Menschlichkeit, der Unparteilichkeit, der Neutralität und der Unabhängigkeit. Er verfolgt den Ansatz, Konflikte ohne militärische Gewalt und Gewaltandrohung so zu bearbeiten, dass sich die Konfliktparteien in ihrem kooperativen Verhalten gestärkt fühlen und Versöhnung zwischen ihnen möglich wird.
  • Akteure des ZFD sind ohne Berührungsängste für Gespräche mit allen Konfliktparteien offen. Dies betrifft auch das Militär im Einsatzgebiet von Friedensfachkräften, sofern eine klare Abgrenzung zwischen Aufgaben und Mitarbeitern des Militärs und Aufgaben und Mitarbeitern des ZFD jederzeit vorhanden und nach außen sichtbar ist.
  • Der Zusammenarbeit mit militärischen Einheiten von Konfliktparteien ist grundsätzlich mit größter Zurückhaltung zur Vermeidung der Vermischung ziviler mit militärischer Aufgabenwahrnehmung und der damit verbundenen Gefahr des Verlustes der Unparteilichkeit zu begegnen. Dies gilt auch, wenn Streitkräfte die Funktion einer Besatzungsmacht in Nachsorgesituationen wahrnehmen.
  • Von einer Zusammenarbeit ist grundsätzlich abzusehen, wenn das Militär unter einem UN-Mandat nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen oder mit einem NATO-Auftrag zur Anwendung militärischer Gewalt ermächtigt ist (»peace-enforcement«).
  • Sofern militärische Kräfte von dazu legitimierten internationalen Gremien zur Anwendung bewaffneter Gewalt zum Zweck der Selbstverteidigung bzw. zur Mandatsverteidigung ermächtigt wurden (»peace-keeping«), ist von einer Zusammenarbeit abzusehen, wenn die Gefahr einer Vermischung von »peace-keeping«- und »peace-enforcement«-Maßnahmen nicht sicher auszuschließen ist. Die Zusammenarbeit von Friedensfachkräften mit betroffenen Streitkräften ist sofort zu beenden, wenn »peace-keeping«-Einheiten in Kampfhandlungen verwickelt werden.
  • Bei der Frage, ob militärischer Schutz bzw. Unterstützung von »peace-keeping«-Einheiten für eigene Operationen des ZFD in Anspruch genommen werden sollen, ist äußerste Zurückhaltung zu üben, da in solchen Fällen immer die Grundsätze der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit berührt sind.
  • In seltenen Einzelfällen, wenn sich zivile Fachkräfte oder zivile Gewaltopfer in unmittelbarer Gefahr für Leben oder Gesundheit befinden und die militärische Unterstützung die einzige Möglichkeit humanitärer Hilfeleistung darstellt, kann nach sorgfältiger Einzelfallabwägung vorübergehend militärischer Schutz in Anspruch genommen werden.

Das Forum Ziviler Friedensdienst wird mit Bundesregierung und internationalen Organisationen Dialoge führen, die zum Ziel haben, seine zivilen und gewaltfreien Konfliktlösungsvorstellungen als Bausteine einer Weltkultur des Friedens überzeugend darzustellen und zu verbreiten.

Literatur

Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst in Deutschland, 22.2.1997 (2000). In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 349-352). Leske + Budrich, Opladen.

Brand-Jacobsen, Kai F. / Jacobsen, Carl G. (2003): Zu Theorie und Praxis von Frieden mit friedlichen Mitteln. In Johan Galtung / Carl. G. Jacobsen / Kai F. Brand-Jacobsen: Neue Wege zum Frieden. Konflikte aus 45 Jahren: Diagnose, Prognose, Therapie (S. 63 ff.). Bund für Soziale Verteidigung, Minden.

Braunstein, Peter (2000): CIMIC – Civil Military Cooperation, ZMZ – Zivil-militärische Zusammenarbeit. Truppenpraxis / Wehrausbildung, Nr. 1, S. 23.

Braunstein, Peter / Meyer, Christian Wilhelm / Vogt, Marcus Jurij (2001): Zivil-Militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr im Balkan-Einsatz. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20, S. 37-46.

Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) (Hrsg.) (2003): Verteidigungspolitische Richtlinien. Berlin.

Die Bundesregierung (2000): Gesamtkonzept der Bundesregierung »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung«. Verfügbar unter: http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/konfliktpraev_html. [24.02.06]

Die Bundesregierung (2004): Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung«. Verfügbar unter: http://www.auswaertigesamt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/aktionsplan_html. [15.02.06]

Buro, Andreas (2000): Ziviler Friedensdienst im Verhältnis zu Staat, militärgestützter Politik und Militär. In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 116-126). Leske + Budrich, Opladen.

Echterling, Jobst (2003): CIMIC/Zivil-Militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr. Europäische Sicherheit, Jg. 52 (10), S. 34.

Evers, Tilman (2000b): Friedenshandeln in der Weltgesellschaft. Der geschichtliche Kontext des Zivilen Friedensdienstes. In Tilman Evers (Hrsg.): Ziviler Friedensdienst – Fachleute für den Frieden (S. 97-115). Leske + Budrich, Opladen.

Kooperation für den Frieden (2003): Friedenspolitische Richtlinien. Friedens-Forum, Nr. 5-6, Beilage.

NATO-International Military Staff (2002): MC 411/1, NATO-Military Policy on Civil-Military Cooperation. Verfügbar unter: http://www.nato.int/ims/docu/mc411-1-e.htm. [20.02.06]

Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (Hrsg.) (2003): Frieden braucht Gesellschaft! Gesellschaftliche Ansätze in der Zivilen Konfliktbearbeitung – Eine Bestandsaufnahme. Wahlenau. Verfügbar unter: http://www.konfliktbearbeitung.net/downloads/file285.pdf. [20.02.06]

Rissmann, Ursula (1997). In die Mitte der Gesellschaft oder zurück in die Nische: Wie staatsnah darf der Zivile Friedensdienst sein? Eine Kontroverse. Publik-Forum, Nr. 19, S. 22.

Wagner, Heinz (2003): Der Zivile Friedensdienst als Projekt der Zivilgesellschaft. In Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik und Petra-Kelly-Stiftung (Hrsg.): Zivil Macht Europa (S. 93 ff.). München (Kongressdokumentation).

Dr. Dieter Bricke, Vortragender Legationsrat I. Klasse i.R., ist externer Autor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Mitglied des Stiftungsrats der Petra Kelly-Stiftung und des Beirats des Forum Ziviler Friedensdienst.

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Überlegungen zur Zukunft des Zivilen Friedensdienstes

von Lutz Schrader

Die Gründung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) verdankt sich sowohl der Initiative und dem langem Atem von Aktivisten aus der Friedensbewegung als auch dem reformerischen Selbstverständnis der Sozialdemokraten und Grünen. Die Verbindung zwischen beiden Impulsen haben engagierte und fachlich spezialisierte Politiker der SPD und der GRÜNEN hergestellt, die ihre politische Sozialisation in den neuen sozialen Bewegungen und insbesondere in der Friedensbewegung erfahren haben. Von Anfang an ging es nicht um viel Geld. Deshalb fiel es der rot-grünen Koalition wohl auch nicht schwer, die Entscheidungen über die Einrichtung und Finanzierung des Zivilen Friedensdienstes im Haushaltsausschuss des Bundestages durchzubringen.

Neue Qualität zivilgesellschaftlichen Engagements

Was als typische sozialdemokratische und grün-alternative Klientelpolitik begonnen hat, von der in den vergangenen zwei Legislaturperioden unter anderem auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Frauen, Lesben, Schwule und Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien profitieren konnten, ist inzwischen zu einer ernst zu nehmenden Einrichtung geworden, der auch jenseits unserer Grenzen, z.B. in der britischen Regierung, große Aufmerksamkeit zuteil wird. Mit dem ZFD ist eine innovative Form institutionalisierter zivilgesellschaftlicher Außenpolitik entstanden. Diese geht weit über das bisher gekannte Maß an eigenständigem Engagement transnational agierender Nichtregierungsorganisationen in den Politikfeldern Umwelt, Menschenrechte, Entwicklung und Friedensarbeit einerseits und der Beratung von Regierungen und internationalen Organisationen durch zivilgesellschaftliche Akteure andererseits hinaus.

Die neue Qualität des Zivilen Friedensdienstes beschränkt sich nicht nur auf einen Budgettitel innerhalb des BMZ und die politische und finanzielle Unterstützung seitens des Auswärtigen Amtes. Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung vom Mai 2004 wurde der Zivile Friedensdienst in der deutschen Politik auf dem Gebiet der Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung auch konzeptionell verankert. Das Friedens- und Konfliktthema hat nachhaltig Eingang in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit gefunden und ist zur Richtschnur für die Planung und Durchführung ihrer Vorhaben geworden. Im Zuge der Anpassung der Entsendeorganisationen an die neuen Erfordernisse und der Schaffung strukturierter Ausbildungsangebote hat der ZFD ein hohes Niveau der Professionalisierung erreicht. Unter anderem ist ein Pool qualifizierter Fachleute für Konfliktbearbeitung und Friedensförderung entstanden. Bemerkenswert ist nicht zuletzt der Schub, der von seiner Gründung für die Weiterentwicklung von Ansätzen der zivilen Konfliktbearbeitung ausgegangen ist. Entwicklung und Themen des ZFD sind Gegenstand einer wachsenden Anzahl von Forschungsprojekten, Diplomarbeiten und Dissertationen, deren Ergebnisse wiederum den Friedensprojekten zugute kommen.

Die Entstehung des Zivilen Friedensdienstes ist ein beredtes Beispiel dafür, wie mit einer vergleichsweise geringen Startfinanzierung – in diesem Fall seitens des Staates – ein komplexes soziales und professionelles Feld neu strukturiert, ja zu großen Teilen erst geschaffen werden kann. Den entscheidenden Part haben dabei zweifellos die den ZFD tragenden Friedensverbünde, entwicklungspolitischen NGOs und halbstaatlichen Entwicklungsorganisationen gespielt. Dank ihres Engagements wurde ein effizientes Netzwerk selbstorganisierter Strukturen der Entscheidungsfindung, Abstimmung, Öffentlichkeitsarbeit und des Lobbying sowie der Projektplanung, Ausbildung und internationalen Kooperation geschaffen. Mit der Friedensfachkraft ist ein neues Berufsbild entstanden. Der ZFD wäre nicht zu dem geworden, was er heute ist, wenn er sich nicht auf eine breite Unterstützung in weiten gesellschaftlichen Bereichen stützen könnte. Seine wichtigste Gestaltungsressource war und ist das durch Kooperation, Vernetzung, Vertrauen und Know-how generierte soziale Kapital.

Identität, Legitimität und Handlungsfähigkeit

Wie geht es weiter? Qualifizierung und Effizienzsteigerung des ZFD sind keine Frage der bloßen Zahl. Um welchen Faktor sich die zur Verfügung gestellten Budgetmittel erhöhen werden, ist letztlich von zweitrangiger Bedeutung. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage nach der Identität und damit nach der Legitimität und der Handlungsfähigkeit des Zivilen Friedensdienstes in den kommenden Jahren. Wie lange kann der ZFD den Spagat zwischen staatlicher Alimentierung und Patronage auf der einen Seite und zivilgesellschaftlicher Einbettung und Orientierung auf der anderen Seite aushalten? Es steht eine Entscheidung darüber an, ob er sich stärker zu einer staatlichen Agentur der Krisenprävention und Friedensförderung – zu einer friedenspolitischen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit – entwickeln möchte oder ob er sich auf den Weg der vollen Erschließung bzw. Rückgewinnung seines zivilgesellschaftlichen Handlungspotenzials begibt. Dazu würde auch die Wieder- und Neuentdeckung seiner in die neuen sozialen Bewegungen zurückreichenden Wurzeln gehören.

Anders als dies vielleicht auf den ersten Blick erscheint, ist das keine Frage des Entweder-oder. Es geht nicht darum, alte Gräben und Frontstellungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft aufzureißen. Doch ebenso wenig darf staatliche Vereinnahmung mit Kooperation zwischen gleichberechtigten Partnern verwechselt werden, die jeweils von gefestigten Identitäten aufeinander zugehen können müssen. Nur so ist es möglich, dass sich die jeweiligen Stärken und Vorteile in einer gemeinsamen Arbeit zu einem synergetischen Mehrwert ergänzen, der von einer Seite allein nicht zu erbringen wäre. Demokratische Staaten brauchen das kritische und konstruktive Gegenüber der Zivilgesellschaft. Moderne Gesellschaften im Norden wie im Süden sind durch staatliche Verwaltungen allein nicht mehr zu steuern. Voraussetzung für politische Mitverantwortung zivilgesellschaftlicher Akteure ist ein ausreichend verlässlicher Raum für Kritik und eigenständige Initiativen. Kritik an staatlichen Institutionen ist kaum glaubwürdig, wenn z.B. die ZFD-Organisationen finanziell und ordnungspolitisch von diesen abhängig sind.

Der ZFD kann und darf sich nicht darauf verlassen, dass die Aufgeschlossenheit und das Wohlwollen zumindest von Teilen der politischen Klasse unverändert und für alle Zeit erhalten bleiben. Mit der Veränderung der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse nach den Bundestagswahlen im vergangenen Herbst hat die Generation von rot-grünen Politikern, die die Idee des Zivilen Friedensdienstes maßgeblich mit materialisiert hat und auch weiterhin unterstützt, an politischem Einfluss verloren. Unter der großen Koalition ist eine Neubewertung des ZFD zu erwarten. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird ein stärker staatszentriertes Verständnis von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik Platz greifen. Zudem ist absehbar, dass der Zivile Friedensdienst noch mehr als in den vergangenen Jahren nach Effizienzkriterien beurteilt und gefördert werden wird. Die einschlägigen Festlegungen im Koalitionsvertrag (2005) beschränken sich auf die Ankündigung, den Aktionsplan der Bundesregierung zur Zivilen Krisenprävention umsetzen zu wollen (a.a.O., S. 154).

Wird dieser Übergang nicht aktiv gestaltet, könnten sich die Geburtsfehler im Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und ZFD eher noch verstärken. Naturgemäß gab es von Anfang an innerhalb der ministerialen Verwaltungen nur ein begrenztes Verständnis für die Spezifik des ZFD. Der zivilgesellschaftliche Diskurs ist zwar in aller Munde, doch was dies an Herausforderungen für den strukturellen Umbau der deutschen Politik und den mentalen Sinneswandel jedes einzelnen Referatsleiters und Referenten bedeutet, wurde erst nur ansatzweise verinnerlicht. Vor Ort, in den Krisengebieten, werden die ZFD-Projekte von den Vertretern der Botschaften, der GTZ und der Parteienstiftungen in aller Regel nicht als Teil eines koordinierten politischen »Auftritts« staatlicher, parteipolitischer, zivilgesellschaftlicher und anderer Akteure wahrgenommen. Es gibt noch zu wenig Abstimmung, geschweige denn Vernetzung und Kooperation. Das indifferente Nebeneinander, das für die Aktivitäten deutscher Stellen und Organisationen im Ausland so charakteristisch ist, gilt auch für das Verhältnis zu den Projekten des ZFD.

Auf der Seite des ZFD wird das Gefühl der Inferiorität gegenüber staatlichen Stellen noch zu oft verinnerlicht. Nicht wenige in den Organisationen und Projekten nehmen es hin, nur ein kleines Beiboot der staatlichen Außen- und Entwicklungspolitik zu sein. Aufwendige Antrags- und Berichtsverfahren tun das Übrige. Unter dem Bürokratisierungs- und Professionalisierungsdruck laufen die Entsendeorganisationen Gefahr, sich von ihrer natürlichen sozialen Basis zu entfremden. Basisgruppen üben Kritik oder wenden sich ab, weil ihnen die Nähe zu den Ministerien zu groß erscheint. In den Krisengebieten agieren ZFD-Projekte hauptsächlich auf der Graswurzelebene ohne ausreichende Verknüpfung zu anderen Akteuren und Vorhaben. Es ist noch immer nicht selbstverständlich, selbstbewusst auf Botschaften und andere deutsche und internationale Vertreter zuzugehen und Informationen nachzufragen und Abstimmung einzufordern.

Schlussfolgerungen

Die Empfehlung kann aber deshalb nicht lauten, künftig kein Geld mehr vom Staat anzunehmen. Im Gegenteil, für eine mittelfristige Zeitspanne besteht ein deutlich höherer Bedarf. Der Staat muss das, was er begonnen hat, zu einem guten Ende bringen. Ein solches gutes Ende könnte z.B. in einer unabhängigen Stiftung bestehen, die – sinnvollerweise unter Einbeziehung von Vertretern des BMZ und des AA – in zivilgesellschaftlicher Eigenregie zu verwalten wäre. Darüber hinaus müssten natürlich zusätzliche Finanzquellen aufgetan werden. Überhaupt führt der Weg hin zu einer eindeutiger konturierten zivilgesellschaftlichen Identität nicht über strikte Abgrenzung gegenüber Staat und Wirtschaft, sondern eher über die Bestätigung der spezifischen Handlungsvorteile im Vergleich zu anderen Akteuren. Diese unter den veränderten Bedingungen noch einmal genau zu definieren, dazu kann die Entwicklung von Regional- und Länderstrategien, die derzeit innerhalb des ZFD im Gang ist, einen wichtigen Beitrag leisten.

Am Beispiel der Regional- und Länderstrategien ließe sich demonstrieren, in welche Richtung diese Überlegungen gehen könnten. Eigene Strategien setzen eine eigene Konfliktanalyse voraus. Die Formulierung der Strategie verlangt wiederum Festlegungen, wie und mit welchen spezifischen Zielen sich die Projekte des ZFD in die Akteurskonstellation einpassen wollen, die sich zur Bearbeitung des jeweiligen Konfliktes formiert hat. Nicht zuletzt wäre stärker das Besondere der eigenen Rolle im Konfliktkontext zu reflektieren und zu definieren. Hier wird von den Friedensfachkräften vor Ort ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Kompetenz verlangt, wollen sie neben ihren Projektaufgaben z.B. auch die Funktion des »watch dog« wahrnehmen, der gemeinsam mit anderen internationalen und lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Gesamtentwicklung des Konflikts im Auge behält, auf die Einhaltung der durch die verschiedenen Seiten eingegangenen Verpflichtungen achtet sowie auf Transparenz in den Beziehungen zwischen den internationalen Akteure dringt.

In dem Maße, wie die spezifische zivilgesellschaftliche Identität und die Handlungsressourcen des ZFD entfaltet werden, wächst auch seine Legitimität gegenüber den staatlichen Stellen zu Hause und gegenüber den Zielgruppen. Mehr noch als Projekte der Entwicklungszusammenarbeit sind Friedensprojekte auf die Akzeptanz seitens der angesprochenen Konfliktparteien und ihrer jeweiligen sozialen Umgebung angewiesen. Da kann es sich unter Umständen nachteilig auswirken, wenn sich die Projekte zu sehr auf eine vom Staat geliehene Legitimität stützen. Zu einem glaubwürdigen Status der Überparteilichkeit müssen auch einige materielle Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehört sicherlich eine unabhängige Finanzierung, aber auch und vor allem ein überzeugendes und selbstbewusstes Standing als Repräsentant der deutschen und europäischen Zivilgesellschaft.

Literatur

Die Bundesregierung (2004): Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung«. Verfügbar unter: http://www.auswaertigesamt.de/www/de/aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/aktionsplan_html. [15.02.06]

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2005). Voltmedia, Paderborn – Verfügbar unter: http://www.spd.de/servlet/PB/show/1589444/111105_Koalitionsvertrag.pdf. [06.03.06]

Dr. rer. pol. Lutz Schrader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator im Weiterbildungsstudium Master of Peace Studies am Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität Hagen. Sein Forschungsschwerpunkt umfasst insbesondere die Theorie des demokratischen Friedens und das Handeln zivilgesellschaftlicher Akteure in gewaltsamen Konflikten. Seit 2003 ist er Koordinator von Transcend Deutschland.

Einer muss den Frieden beginnen

Einer muss den Frieden beginnen

von Tilman Evers

Dem Forum Ziviler Friedensdienst wurde am 5. März der Göttinger Friedenspreis 2005 verliehen für seine „außerordentlichen Verdienste bei der konkreten Entwicklung, Einrichtung und Organisation gewaltfreier Ansätze der Konfliktbearbeitung“ (siehe auch Göttinger Friedenspreis 2005 auf Seite 54 dieser W&F Ausgabe). Zivile Konfliktbearbeitung: Wie bewährt sie sich in der Praxis, welchen Stellenwert hat sie in der »großen« Politik? In seiner Antwort auf Laudatio und Preisverleihung vermittelte der Vorsitzende des Forums ZFD, Tilman Evers, einen Eindruck von der Arbeit der »Friedensfachleute«, die wir hier leicht gekürzt wiedergeben.

Ich danke… für die zugesprochene Auszeichnung. Warum sie uns kostbar ist, mag eine kleine Geschichte erhellen: „In einem chinesischen Dorf wohnte ein weitberühmter Arzt, zu dem strömten die Patienten von nah und fern, denn er hatte schon viele von ihnen den Klauen des Todes entrissen. – Im selben Dorf wohnte ein zweiter Arzt, den kannte kaum jemand, ja manche bezweifelten, ob er überhaupt ein Arzt sei, denn seine Patienten wurden niemals ernstlich krank…“

Wir denken, Ihre Preisverleihung hilft dazu, die Arbeit dieses »zweiten Arztes« zu würdigen, indem sie den Vorrang der Gewaltvermeidung vor der Nachsorge, der zivilen vor den militärischen Antworten auf Konflikte ins öffentliche Bewusstsein rückt. Sie ehren damit… alle staatlichen wie nicht-staatlichen Akteure des Zivilen Friedensdienstes, einschließlich unserer Partnergruppen in den Projektgebieten.

Das Forum Ziviler Friedensdienst… (hat) die Diskussion um den Zivilen Friedensdienst in den 90er Jahren mit eröffnet, die konzeptionelle Entwicklung wesentlich vorangetragen und die politische Werbung geschultert… Vielleicht kann daher gesagt werden, dass es den Zivilen Friedensdienst ohne uns nicht gäbe.

Dasselbe gilt aber zweifellos auch für das BMZ, dessen heutige Leitung den Schritt von der Vision zur Wirklichkeit ermöglicht hat… und für das Auswärtige Amt, das ebenfalls nach dem Regierungswechsel 1998 Mittel für friedenserhaltende Maßnahmen nicht-staatlicher Träger bereit stellte.

In die Freude über die neuen Möglichkeiten mischt sich allerdings der Schmerz über die Gewaltkonflikte in vielen Teilen der Welt, die den Anlass zu diesen Innovationen bieten. Der klassische Staatenkrieg ist dabei zur seltenen Ausnahme geworden. Die Kontrolle über den Beginn und die Beendigung von Feindseligkeiten müssen Regierungen sich heute mit einer Vielzahl von Akteuren im In- und Ausland teilen. Die Konflikte erscheinen oft als innerstaatliche Bürgerkriege, aber das trifft nur halb. In Wahrheit liegen die Ursachen heutiger Gewaltausbrüche weder nur im Inneren noch nur im Äußeren von Gesellschaften, sondern gerade in den Spannungen zwischen Innen und Außen. In ihnen kommen die gegensätzlichen Tendenzen der Globalisierung zum Ausdruck. Die rasante Expansion westlicher Gesellschaftsmodelle und Dominanzansprüche stellen überkommene Lebensweisen und Machtverhältnisse in Frage. Im Strudel der Umbrüche greifen Menschen oft auf die scheinbar unverbrüchlichen Sicherheiten der ethnischen, der kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit zurück…

Der Zivile Friedensdienst ist natürlich keine deutsche Erfindung, auch wenn er hier bislang am weitesten verwirklicht und damit eine wichtige Anregung für Andere ist. Ähnliche Initiativen gibt es heute in fast allen westeuropäischen Ländern; viele davon sind im »European Network for Civil Peace Services« (EN.CPS) zusammengeschlossen, das wir 1999 mit begründeten. Auch in Kanada soll nun ein Ziviler Friedensdienst nach deutschem Modell entstehen. Und weltweit haben sich ganz unterschiedliche Friedensgruppen zusammengeschlossen zur »Nonviolent Peaceforce«, deren erstes Modellprojekt in Sri Lanka unseren Überlegungen sehr nahe kommt.

Die Arbeit vor Ort

Das Wichtigste an unserer Arbeit ist zunächst schlicht die langfristige Präsenz vor Ort, die Kenntnis der Sprache und Konfliktursachen, die Vertrautheit mit den Menschen und ihren Nöten. In einem Projektbericht aus Makedonien heißt es: „Immer wieder bekommen wir die Rückmeldung von den lokalen NGOs, dass wir als Internationale sehr wichtig sind und gebraucht werden. Wir sind nun mal von Außen und nicht in den Konflikt verwickelt. Lokale Aktivisten gehören normalerweise einer der Konfliktparteien an. Damit ist es für sie bei weitem schwieriger, die Anerkennung der anderen ethnischen Gruppe zu erhalten. Auch können wir etwas Sicherheit vermitteln. Unsere Partner in Tetovo wohnen genau da, wo 2001 die Frontlinie verlief. Auch heute werden oft noch Schüsse auf diese Straße abgefeuert, wenn auch ´nur so´. Durch Kontakt zu uns Internationalen empfinden sie zumindest emotional etwas Rückendeckung.“

Die Wirkungen der Projekte können manchmal ganz leise, fast unbemerkt – eben in der Art des »zweiten Arztes« – sein. Im selben Projektbericht heißt es über einen Malwettbewerb an makedonischen Schulen: „Bei der Ausstellungseröffnung in Gostivar kamen etwa 150 Gäste. Es war ein herrlich buntes Treiben, Romas, Albaner, Mazedonier, Türken, Arme und Reiche, Direktoren und Erstklässler, und und und… Nach der offiziellen Eröffnung hatten alle Gäste Zeit, die Bilder zu bestaunen. Es gab 100 Bilder, ganz gemischt aus allen Ethnien. Die Bilder waren mit Name, Schule und Stadt versehen. Am Namen erkennen die Menschen hier sofort, wer welcher Ethnie angehört. In einem Gemenge von Menschen trete ich zufällig neben einen älteren Mann, etwa 65 Jahre alt. Er steht kopfschüttelnd vor einem Bild von einem mazedonischen Kind und murmelt vor sich hin: ‚Ich begreif’s nicht, mazedonische Kinder können auch malen’. Als dieser Mann gehen wollte, bat ich ihn, auf unserer ‚Wand der Bemerkungen’ doch etwas hinzuschreiben. Er stellte sich davor, überlegte, drehte den Stift in der Hand und schrieb dann: ‚Unsere Stadt braucht mehr solche Treffen wie ich es heute erlebt habe’.“

Natürlich kann eine einzelne Friedensfachkraft, auch ein Team nicht allein Frieden schaffen. Aber in jedem Konfliktgeschehen gibt es friedenswillige Einzelne und Gruppen, denen die bloße Anwesenheit eines externen Friedensmittlers Rückhalt und den Mut gibt, sich an die friedenswilligen Anteile im Denken und Fühlen ihrer Landsleute zu wenden. So können tatsächlich von einem einzigen Projektplatz aus Hunderte, ja Tausende von Mentalitäten direkt oder indirekt berührt werden. Das Ehepaar Harms in Makedonien beispielsweise hat mit dem erwähnten Malwettbewerb »Mal dir ein Bild vom Frieden« über tausend Schulkinder der verschiedenen Ethnien, Hunderte Elternpaare, Dutzende Lehrer erreicht. Viele von ihnen haben sich eine solche Gemeinaktion gewünscht und sie begeistert aufgegriffen. Aber selber initiativ werden ohne externen Mittler konnten sie aus ihrer ethnischen Zuschreibung nicht.

Eine ähnliche Strahlkraft hat das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem entfaltet. Darüber heißt es in einem Bericht: „Das Zentrum ist inzwischen nicht nur in Israel und Palästina eine bekannte Institution. Es hat sich zum festen Bestandteil der Besuchs- und Veranstaltungsprogramme von PolitikerInnen entwickelt; WissenschaftlerInnen, DiplomatInnen, StiftungsvertreterInnen, Fachleute von NGOs und MedienvertreterInnen geben sich im Zentrum inzwischen die Klinke in die Hand. Durch die vielen Besuche wird das Konzept des Zivilen Friedensdienst in andere Länder der Region exportiert.“

Welche Aufgaben konkret im Alltag auftauchen, ist nur begrenzt vorhersehbar. Ein Beispiel aus der Anfangszeit unserer Projektarbeit im Kosovo: Eine internationale Hilfsorganisation hatte in Prizren den Familien aus der Minderheit der Goran Brennholz für den Winter geliefert. Sie hatte dabei nicht bedacht, dass in der Nachbar-Straße die nicht minder diskriminierte Minderheit der Roma lebte, die die Hälfte des Brennholzes für sich beanspruchte und ihren Goran-Nachbarn vorwarf, diese Hälfte gestohlen zu haben. Fast wären sie tätlich geworden, hätte unsere Friedensfachkraft Silke Maier-Witt nicht einen Runden Tisch zustande gebracht, bei dem am Ende Regeln für die künftige Verteilung solcher Hilfsgüter vereinbart wurden.

Dabei besteht die große Herausforderung der Arbeit vor Ort darin, gleichzeitig ganz präsent zu sein und sich dennoch zurückzunehmen, um Raum für die Eigeninitiative der Betroffenen zu lassen. Andere Herausforderungen sind die kaum eingrenzbaren Arbeitszeiten und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, die oft unbequemen Lebensbedingungen, vor allem aber auch die seelische Belastung durch die alltägliche Konfrontation mit Not und Leid. Eines unserer Projekte bestand darin, Beratungszentren für kriegstraumatisierte Menschen in Serbien, insbesondere für ehemalige Soldaten zu unterstützen. Wiederum: Die praktische Beratungsarbeit haben lokale Ärztinnen und Ärzte, Therapeuten und Sozialarbeiterinnen – meist ehrenamtlich – geleistet. Aber ohne die Anwesenheit der einen Fachkraft Ursula Renner hätten sie, wie sie selber rückblickend bei der Übergabe des Projekts sagten, nicht die Kraft gehabt, über das anfängliche Misstrauen im nationalistisch geprägten Umfeld hinwegzugehen. In einem Bericht aus dieser Arbeit lese ich: „Die seelischen Wunden äußerten sich nicht nur in Aggression. Viele Ex-Soldaten igeln sich ein und nehmen nicht mehr teil am öffentlichen Leben. Ein junger LKW-Fahrer, der im Krieg als Heckenschütze eingesetzt worden war‚ hatte einen feindlichen Heckenschützen im Visier seiner Waffe, aber er konnte ihn nicht töten. Kurze Zeit später wurde sein bester Freund von gegnerischen Heckenschützen erschossen. Seitdem peinigten den jungen Mann Gefühle der Schuld. Immer wieder erschien ihm das zerschossene Gesicht seines Freundes und das Bild des Soldaten, den er im Visier gehabt hatte. Nach dem Krieg konnte er keine Arbeit lange halten. Er zog sich in sich zurück und wurde schließlich in die psychiatrische Klinik eingeliefert. Dort verwies man ihn an die Beratungsstelle. Die Beratung half ihm, wieder Arbeit als Traktorfahrer annehmen zu können. Inzwischen hat er eine Familie gegründet.“

Sie ahnen, welche Kraft es kostet, solche und schlimmere Geschichten wieder und wieder zu hören. Die menschliche und professionelle Befähigung dazu müssen unsere Bewerber teils mitbringen, teils aber auch lernen. Eine intensive Vorbereitung gehört für uns unverzichtbar zum Zivilen Friedensdienst dazu. So wenig sie den Erfolg garantieren kann, so wenig möchten wir Menschen ohne die bestmögliche Qualifizierung in Spannungsgebiete entsenden. Seit 1997 führen wir zweimal jährlich je viermonatige Kurse durch, anfangs gefördert vom Land Nordrhein-Westfalen, jetzt vor allem vom BMZ…

Verhältnis Konfliktnachsorge und Prävention

So wichtig die Arbeit mit traumatisierten Menschen, die Rücksiedlung von Flüchtlingen, die Wiederherstellung zerstörter Sozialbezüge ist: Besser, es gäbe keine Traumatisierten, keine Flüchtlinge, keine Zerstörungen. Noch immer sind Projekte in der Konfliktnachsorge in der großen Überzahl gegenüber solchen in der Prävention. Das trägt unserer Arbeit den Beigeschmack ein, die »good guys« im Gefolge der »bad guys« zu sein, die im Nachgang von Militäraktionen die Wunden verbinden und die Trümmer wegräumen. Die Traumatisierten in Südserbien können ihre seelischen Wunden auch durch Bomben aus deutschen Tornados erlitten haben.

In unserem Verständnis sind militärische und zivile Mittel nicht »komplementär«, so als ließen sie sich nach Belieben mixen. Erst recht stehen wir nicht bereit für eine »Zivil-Militärische Zusammenarbeit«, die sich als Erweiterung des militärischen Auftrags definiert. Die Logik militärischer Macht, gegnerischen Willen zu brechen, ist im Ansatz konträr zu dem Bemühen, mit dem Willen der Betroffenen nach konstruktiven Lösungen im bestmöglichen Interesse aller Beteiligten zu suchen. Es kann tragisch notwendig sein, einer Gewaltaktion durch Gegengewalt Einhalt zu gebieten. Das aber ist im Kern eine polizeiliche Aufgabe, die zudem jenseits der Landesgrenzen nur mit völkerrechtlichem Mandat gerechtfertigt sein kann.

Tragfähige Friedensstrukturen bedürfen der Beteiligung, ja des Eigen-Willens aller Betroffenen. Hierzu können Friedensmittler nötig sein, auf der Ebene 1 der klassischen Diplomatie ebenso wie auf den Ebenen 2 und 3 der mittleren Führungen und der gesellschaftlichen Graswurzeln. Eine solche Arbeit kostet Zeit, Geduld und auch Geld. Aber all dies wiegt gering, wenn es nicht gelingt – in der Weise des »zweiten Arztes« – die Zeichen des Konfliktes früh zu erkennen und zu einem Ausgleich zu bringen. Ist die Schwelle zur Gewalt erst einmal überschritten, dann sind die Kosten um ein Vielfaches höher, die Folgewirkungen ungleich langwieriger.

Diese Einsicht hat mit erfreulicher Klarheit Ausdruck gefunden in dem Aktionsplan zur Zivilen Konfliktlösung, den die Bundesregierung als Querschnittaufgabe aller beteiligten Ressorts vor einem Jahr vorgelegt hat. In ihm bekennt sie sich zum Vorrang der Prävention, in multinationaler Verantwortung und im Zusammenwirken mit nicht-staatlichen Akteuren. Der Zivile Friedensdienst wird darin als „das wichtigste friedenspolitische Instrument zur Förderung von Friedenspotenzialen der Zivilgesellschaft“ bezeichnet. Wir begrüßen diesen Aktionsplan und wollen unseren Teil zu seiner Umsetzung beitragen.

Dazu gehört aber auch der Hinweis auf Widersprüche. Manche wirtschaftlichen, politischen und militärischen Aspekte deutscher Realpolitik laufen den Zielen dieses Papiers zuwider. Geringer Trost, dass andere Industrieländer noch unbedenklicher die Globalisierung von Konfliktpotenzialen vorantreiben. Hinzuweisen bleibt auf das skandalöse Missverhältnis in der finanziellen Ausstattung der angeblich vorrangigen zivilen gegenüber den militärischen Mitteln. Wenn der Zivile Friedensdienst als wichtigstes zivilgesellschaftliches Instrument der Friedensförderung bislang mit 14 Mio. Euro pro Jahr bewertet wird, dann kann es mit dem Vorrang für Prävention noch nicht weit her sein. Denn diese Summe kostet der deutsche Militäreinsatz unter »Enduring Freedom« fast wöchentlich, von allen übrigen Militärausgaben ganz abgesehen.

500 Projektplätze für ZFD

Bislang sind insgesamt knapp 200 Frauen und Männer in Projekte des Zivilen Friedensdienstes entsandt worden; aktuell befinden sich davon ca. 120 im Einsatz. Das ist ein Anfang, nicht mehr. Die kritische Menge, die Aufschluss über seine Leistungskraft gäbe, ist noch lange nicht erreicht. Der nächste Schritt, den alle Träger des Zivilen Friedensdienstes gemeinsam fordern, ist eine Aufstockung auf 500 Projektplätze. Damit könnte zumindest in ausgewählten Einsatzländern eine landesweite Wirkung erzielt werden. Das ist auch eine Forderung an uns selber zu größerer politischer Mitverantwortung.

Realistisch müssen wir uns eingestehen, dass das entscheidende Umdenken noch nicht stattgefunden hat. Zivile Konfliktbearbeitung wird mehrheitlich noch immer als Beiwerk, nicht als Grundlage von Friedenspolitik begriffen. Dabei ist doch im Kleinen des Zivilen Friedensdienstes wie im Großen der Weltpolitik ein anderer Weg als der des Dialogs, der Anerkennung, des Interessenausgleichs schlicht widersinnig und unweise. Ja, Gewaltfreiheit in der Tradition von Gandhi und Martin Luther King hat eine geistige, eine spirituelle Dimension. Doch sie ist deswegen nicht unrealistisch, im Gegenteil: Die Erfahrung zeigt, dass nur gewaltfreie Mittel tragfähige Auswege aus dem Kreislauf der Gewalt bieten. Wie soll ein »Krieg gegen den Terrorismus« gewonnen werden, der selbst mit Mitteln des Terrors arbeitet und täglich neuen Hass gebiert? Es könnte doch sein – so fragte an dieser Stelle Hans Küng (Träger des Göttinger Friedenspreises 2002), dass die aussichtsreichere Eindämmung des Terrorismus darin bestünde, die Dollarmilliarden für die Verbesserung der sozialen Lage der Globalisierungsverlierer in aller Welt statt für militärische Zwecke aufzuwenden und im Dialog mit der muslimischen Welt die Ursachen des Ressentiments gegenüber dem Westen zu ergründen…

Ich möchte mit den Worten des Stifters des Göttinger Friedenspreises, Roland Röhl, schließen: „Statt Kriegsführungsstrategien brauchen wir Friedensführungskonzepte, statt Militär brauchen wir Institutionen zur Konfliktverhinderung. Darüber hinaus brauchen wir eine Friedenserziehung, die zum Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein führt.“1

Anmerkungen

1) Roland Röhl: Wehrlos durch Waffen – Wozu brauchen wir noch Militär?, in den Beiträgen der Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Frieden und Abrüstung, Nov. 1990

Dr. Tilman Evers, Vorsitzender des Forums Ziviler Friedensdienst

Gewaltfrei erfolgreicher als bewaffneter Kampf

Gewaltfrei erfolgreicher als bewaffneter Kampf

Neue Bedingungen für zivilen Widerstand

von Jørgen Johansen

Wenn über gewaltfreie Aktionen diskutiert wird, spielt die Lehre Gandhis eine herausragende Rolle. Auch Jørgen Johansen betont die Rolle Gandhis bei der Herausbildung der Theorie des zivilen Widerstands. Zugleich legt er aber großen Wert auf die Beachtung der Weiterbildung der Theorie. Er kommt zu der Feststellung, dass es längst nicht mehr notwendig ist alle Argumente auf Gandhi und andere Ereignisse aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg zu stützen. Er geht ein auf zahlreiche Fälle von zivilen Widerstand in verschiedenen Ländern und Kultur in den letzten 30 Jahren, die für die gegenwärtige Debatte relevanter sind: Beispiele zivilen Widerstands, die zusammengefasst erfolgreicher waren als der bewaffnete Kampf um gesellschaftliche Veränderungen.

Als Gandhi in seinem Artikel »The Benefits of Passive Resistance«1 1907 das Konzept des passiven Widerstandes erstmalig verwendete, war ihm sicherlich nicht klar, wie sich dieses Konzept über die Jahre hinweg entwickeln würde. Gandhi war natürlich nicht der Erste, der die Methoden oder eine Begrifflichkeit für gewaltfreie Aktionen verwendete, aber seine Entwicklung von Vokabular und Methoden hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten. Wer nach einem kurzen Überblick über die Geschichte von Gewaltfreiheit und zivilem Widerstand sucht, dem seien die Arbeiten von Randle (1994), Sharp (1973) und Powers (1997) empfohlen.

Der Inhalt wie auch der Kontext organisierter Anwendung gewaltfreier Mittel in sozialen Auseinandersetzungen hat sich über die Zeit verändert. In einem Artikel in »Indian Opinion« verwendete Gandhi das Beispiel von Sinn Fein in Irland als Beispiel einer Bewegung, die dabei sei, von gewaltsamen zu gewaltlosen Mitteln überzugehen. Gandhis Kampf in Südafrika suchte nach inspirierenden Beispielen und Gandhi schaute sich nach empirischen Fällen um, auf die er seine kommenden »Experimente« stützen konnte. Später hat Gandhi das Konzept des passiven Widerstandes wegen dem negativen und in die Irre führenden ersten Teil des Begriffes aufgegeben. Um sich von dem Eindruck der Passivität zu distanzieren, führte er den Begriff der Satyagraha ein, der eine Verbindung der beiden Sanskrit Wörter Wahrheit und Kraft (force) ist. Leute wie Martin Luther King sprachen oft von »militant nonviolence« (militanter Gewaltfreiheit) und »nonviolent resistance« (gewaltfreiem Widerstand) (Riches 1997). In den meisten dieser Fälle wurden diese Konzepte von AktivistInnen in Bewegungen für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte benutzt. Diese Bewegungen richteten sich vor allem gegen die eigene Regierung, für Reformen in den eigenen Staaten. In den späten sechziger Jahren diskutierten mehr und mehr Menschen die Verwendung gewaltfreier Mittel als Alternative zu Militarismus und staatlicher Verteidigung. Diese Ideen waren nicht neu, aber sie gewannen angesichts des nuklearen Wettrüsten zwischen Ost und West neue Energie. Es wuchs der Teil der Bewegung, der die Tradition gewaltfreier Methoden modernisieren und ausweiten wollten.

Verschiedene Kontexte

Auch heute finden sich gewaltfreie Mittel in vielen verschiedenen Kontexten und Situationen, und die Terminologie verändert sich von Fall zu Fall, von Land zu Land, von Kultur zu Kultur. »Civil resistance« bedeutete bei den britischen PazifistInnen in der Mitte der siebziger Jahre etwas anders als die »resistencia civil« (beides »ziviler Widerstand«) in Kolumbien 2004. Ich kann darauf hier nicht näher eingehen, das Beispiel weist aber darauf hin, dass es viele verschiedene Ansichten darüber gibt, was ziviler Widerstand ist. Ziel dieses Artikels ist es auch nicht, zivilen Widerstand in einem bestimmten nationalen oder regionalen Kontext zu diskutieren. Es geht vielmehr darum, einige allgemeine Beobachtungen aus verschiedenen Teilen der Welt darzustellen und dabei der Frage nachzugehen, wie der zivile Widerstand insgesamt gefördert oder weiterentwickelt werden kann. Einige Punkte sind für manche Weltgegenden relevanter als für andere, aber sie alle haben einige allgemeine Implikationen.

Landesverteidigung

Die Militärs haben heute einiges mit denjenigen gemeinsam, die zivilen Widerstand als Ersatz (oder in einigen Fällen als Ergänzung) zur Landesverteidigung propagieren. Viele Verteidigungsministerien sehen sich in jüngster Zeit größeren Schwierigkeiten als je zuvor gegenüber, ihren Haushalt zu rechtfertigen. Seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und dem damit verbundenen Wandel – weg von internationalen Kriegen hin zu innerstaatlichen Kriegen – ist es in einer Anzahl von Staaten immer schwieriger geworden, riesige Verteidigungsetats zu begründen. Auf lange Sicht hin braucht man dafür einen realistischen Feind. Um ihre Existenz zu rechtfertigen setzen deshalb immer mehr Militärs gegenwärtig auf internationale friedenserhaltende oder -erzwingende Aufgaben. (Siehe dazu auch: Woodhouse 1991; Woodhouse and Ramsbotham 2000, Holzgrefe and Keohane 2003 und Rauchhaus 2001).

Zur gleichen Zeit sehen wir, wie sich ein vergleichbares Problem jenen stellt, die gewaltfreie Alternativen zu militärischer Verteidigung befürworten. Wenn es keine Feinde gibt, wozu brauchen wir dann eine Verteidigung? Einige der ersten, die frühe Modelle gewaltfreier Alternativen vorstellten, sind Roberts (1965; 1967 und 1969), Ebert (1981), Galtung (1959; 1975), King Hall und Boserup/Mack (1974). Der bekannteste und »nachhaltigste« unter den Vertretern dieser Alternativen ist Gene Sharp. Er hat den Begriff der »Civilian-based Defence« (CBD) (im Deutschen »Soziale Verteidigung«) eingeführt und über eine Zahl von Büchern hin sowohl das Modell wie Ideen entwickelt, wie und warum Soziale Verteidigung eingeführt werden könnte. (Sharp 1985; Sharp and Jenkins 1990). Trotz der Tatsache, dass dieses Modell kostengünstiger ist als das militärische (Sharp and Jenkins 1992), steht es unter Rechtfertigungsbedarf. Sharp war gelegentlich darin erfolgreich, seine Ideen auf staatlicher Ebene darstellen zu dürfen. Verteidigungsminister in den Baltischen Staaten und Zentral-Ost-Europa zeigten Interesse, aber auf längere Sicht wurde wenig oder gar nichts umgesetzt. Adam Roberts machte ähnliche Erfahrungen im Schweden der siebziger Jahre. (Roberts 1972; Roberts 1976; Roberts and Gripstad 1976). Heute besteht geringes Interesse an Landesverteidigung im Allgemeinen, egal welche Mittel wir diskutieren. Diese Tendenz ist offensichtlich in Europa, von einigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich aber um einen globalen Trend. Deshalb ist es auch schwer, auf die Landesverteidigung bezogen Interesse zu wecken für die verschiedenen Modellen von zivilem Widerstand und sozialer Verteidigung.

Ausnahme Palästina

Die einzige Ausnahme, die mir bewusst ist, ist Palästina. Dort gibt es im Moment zwei relative große Projekte, die eine gewaltfreie Intifada zu befördern suchen. Eines von ihnen ist im Moment mitten in der Phase praktischen Trainings. Der Grund, warum diese Ideen im Nahen Osten wachsen, ist wahrscheinlich eine Kombination der wachsenden Einsicht bei Palästinensern, dass Sharon von den gewaltsamen Aktionen (Selbstmordattentätern) abhängig ist, um die massive Gewaltanwendung der Israelischen Streitkräfte zu rechtfertigen. Ohne »Terroristen« würde die Welt vermutlich noch heftiger gegen die israelische Gewalt in diesem extrem asymmetrischen Konflikt reagieren. Eine der aktivsten Gruppen in diesen Projekten ist die Middle East Nonviolence & Democracy (MEND).2

Revolutionäre Bewegungen

Auf weltweiter Ebene hat es in den letzten fünfundzwanzig Jahren eine recht eindrucksvolle Zahl von sozialen/politischen Bewegungen gegeben, die erfolgreich gewaltfreie Mittel angewendet haben. Nur wenige von ihnen benutzen allerdings selbst den Begriff des zivilen Widerstandes. Was ich im folgenden als revolutionäre Bewegungen bezeichne, war vor allem seit Ende der siebziger Jahre erfolgreich.

Ein paar Worte zu der Terminologie: Unter Revolution verstehe ich einen nicht verfassungskonformen Regimewechsel von unten. Diese Definition schließt alle Wandelprozesse aus, in denen die Regeln der Verfassung befolgt wurden, und auch alle Formen von Staatsstreichen durch Eliten. Sie sagt nichts darüber aus, was einem Regimewechsel folgt oder ob diejenigen, die die Revolution durchführten, erreichten, was sie wollten und erwarteten. Diese Konflikte sind natürlich extrem komplex. Die Zahl der Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen, ist hoch. Manche Faktoren und Akteure sind externe, andere sind intern. Manche Faktoren sind notwendig für das Ergebnis, andere nicht so sehr. Wahrscheinlich ist keiner von ihnen alleine hinreichend für den Wandel. Die Diskussion verschiedener Faktoren und ihrer Bedeutung wird von Grix in dem Buch »The Role of the masses in the collapse of the GDR« (Grix 2000) vorgenommen und seine Analysen des Falles Ostdeutschlands hat eine allgemeinere Relevanz für ähnliche Fälle. Die Anwendung massiver Gewaltfreiheit ist sicherlich ein Aspekt, der eine wichtige Rolle in diesen Fällen spielt. Vielleicht ist es der einzige Faktor, der in manchen Fällen ausreichte, um einen Regimewechsel zu realisieren. Aber die anderen Dinge, die für Revolutionen wichtig sind, sind ökonomische Bedingungen, internationale Diplomatie, kulturelles Erbe, religiöse Faktoren, und die Möglichkeit für verschiedene soziopolitische Klassen, sich zusammenzuschließen.

Was akademische Studien angeht, so scheinen diese revolutionären Bewegungen zu einem gewissen Grad zwischen zwei Stühle zu fallen. Sie stehen nicht im Mittelpunkt des Interesses derjenigen, die Revolutionen studieren und sie werden von denjenigen, die soziale Bewegungen studieren, nicht ernst genommen. Die erste Kategorie hat die Tendenz, sich nur jene Fälle anzusehen, bei denen gewaltsame Mittel dominierten. Die anderen haben sich auf Bewegungen mit weniger revolutionären Zielen konzentriert. Die neuen globalisierungskritischen Bewegungen sind typische Fälle für diese Studien. Ich komme später auf diese Bewegungen zurück.

Hier ist nicht der Platz, eine komplette Liste und tiefreichende Analysen dieser Fälle anzustellen, aber ich möchte ein paar Beispiele aufführen, um zu zeigen, wo ziviler Widerstand in jüngerer Zeit erfolgreich war. Dies ist auch ein Feld, auf dem ich große Möglichkeiten für zivilen Widerstand in den kommenden Jahren sehe.

Gewaltfreie Revolutionen

Im Iran 1979 war der Schah gezwungen, nach einem Volksaufstand zurückzutreten. Es war das Jahr nach dem Beginn der Solidarnosc Bewegung in Polen. Sieben Jahre später brach dort das kommunistische Regime zusammen und Lech Walesa wurde zum Präsidenten gewählt. 1982 musste die Militärdiktatur in Bolivien nach einem Generalstreik und massiven Protesten in vielen Teilen des Landes zurücktreten. In den Philippinen sahen wir das Entstehen von »People Power«, als Corazon Aquino Präsident Markos nach einer Wahl damit konfrontierte, dass es Wahlfälschungen gegeben habe, um ihn an der Macht zu halten. 1989 beseitigte die »Samtene Revolution« in der Tschechoslowakei das kommunistische Regime und frühere Aktivisten der Charta 77 bildeten eine neue Regierung. Die Berliner Mauer fiel und Ostdeutschland war für kurze Zeit ein unabhängiger Staat. Die »Welle« unbewaffneter Aufstände schloss Ungarn und Bulgarien ein. 1991 war das Jahr, als die Sowjetunion in 16 neue Staaten zerfiel. In den drei baltischen Staaten setzten große Volksbewegungen eine Zahl verschiedener gewaltloser Techniken und Strategien ein, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Südafrika befreite sich 1993-94 von dem Apartheitregime nach Jahren vorrangig gewaltlosem Kampfes. 1998/99 musste Suharto seine Diktatur in Indonesien nach Monaten unbewaffneter Aufstände vor allem in den großen Städten aufgeben. Der NATO gelang es nicht, Milosevic durch massive Bombardierungen zu stürzen, aber massive Proteste zwangen ihn am 5. Oktober 2000, seine Macht aufzugeben. Dies war ein Jahr, nachdem wir eine weitere friedliche Revolutionen in den Philippinen beobachten konnten, die als die »SMS-Revolution« bezeichnet wurde. Sie bekam ihren Namen aufgrund der Verwendung von Handys bei der Mobilisierung für Demonstrationen. 2002 sah einen unbewaffneten Regimewechsel in Madagaskar. Und im November 2003 wurde Georgien das jüngste Beispiel eines Regimewechsels nach massiven Demonstrationen auf den Straßen Tbilisis.

Dies Fälle können als Beispiele zivilen Widerstandes oder vielleicht sogar gewaltfreier Revolutionen klassifiziert werden. (Zum Begriff »Ziviler Widerstand« siehe u.a.: Gregg and Temple 1960; Dellinger 1971; Merton and Zahn 1980; Muller 1981; Fahey and Armstrong 1987; Holmes 1990; Bleiker 1993; Sâemelin 1993; Ackerman and Kruegler 1994; Burrowes 1996; Ackerman and DuVall 2000; Randle 2002; Zinn 2002; Martin and Varney 2003).

Dies ist eine beeindruckende Liste von Fällen, in denen gewaltlose Mittel eingesetzt wurden, um Regime zu beseitigen. Wie oben gesagt, will ich nicht auf die komplexe Frage des »Was dann geschah« eingehen, aber ich möchte festhalten, dass ohne jeden Zweifel in den letzten drei Jahrzehnten die Verwendung gewaltfreier Mittel erfolgreicher war als bewaffnete Versuche, Regime zu stürzen. Es scheint heute recht gute Bedingungen für zivilen Widerstand zu geben und es gibt keinen Grund, warum diese Bedingungen sich in der Zukunft verschlechtern sollten. Im Gegenteil, ich habe ein starkes und weiter anwachsendes Interesse am zivilen Widerstand beobachten können, selbst bei Vertretern von Bewegungen, die bislang bewaffnete Mittel in ihrem Kampf einsetzen. Ich erlebe viele Menschen, die mehr darüber wissen wollen, wie es in den oben erwähnten Beispielen gelang, das alte System zu entfernen, die Fragen stellen nach der Organisation, nach Vorbereitung und Training

Bei der Propagierung des zivilern Widerstands ist es nicht länger notwendig, alle Argumente auf Gandhi und andere Fälle aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg zu stützen. Moderne Fälle sind relevanter, kommen aus verschiedenen Ländern und Kulturen und sie sind derzeitig die erfolgreichsten.

Die neuen globalen Bewegungen

Die Bewegungen, die Elementen im sogenannten Globalisierungsprozess kritisch gegenüberstehen, wachsen. Das »Sozialforums«-Konzept weitet sich aus und greift mehr und mehr Themen auf. Die Foren haben einen sehr klaren Grundsatz gegen die Anwendung von Gewalt in ihrem Kampf, aber sie sind sehr vage in Bezug auf die Frage, wie gearbeitet werden soll (Sen, Anand et al. 2004). Es gibt eine Tendenz, frühere Erfolge zu kopieren oder zumindest das »Wie« weniger ernst zu nehmen als das »Was«. Viele von ihnen haben relativ unreflektierte Vorstellungen über traditionelle politische Arbeit, die sich darauf konzentriert, im öffentlichen Raum sichtbar zu sein. Mehr Wissen über die Geschichte zivilen Widerstandes und der Gewaltfreiheit könnte das strategische Denken in diesen Bewegungen positiv beeinflussen.

In den Sozialforen kann man leicht einige der Gandhianischen Elemente gewaltfreien Kampfes identifizieren. Die traditionellen Mittel der Nicht-Zusammenarbeit werden verbunden mit dem, was Gandhi »konstruktive Arbeit« nannte. Zusätzlich zum Protest gegen das, was sie ablehnen, konzentrieren sie sich auf ihre eigenen Alternativen. Die Weltsozialforen finden seit vier Jahren statt. Sie begannen als Alternative zu dem Weltwirtschaftsforum, das jeden Januar in Davos abgehalten wird. Nachdem die Medien die Proteste in Seattle fälschlich als »hauptsächlich Steine werfende Massen« beschrieben, beschlossen die Initiatoren der Sozialforen, ihre Treffen zeitlich parallel zu den Weltwirtschaftsforen abzuhalten, aber auf der anderen Seite der Erdkugel. Sie ersetzten »wirtschaftlich« durch »sozial« und schafften es auf diesem Wege, Konfrontationen zu vermeiden und den Fokus von der Frage des Geldes auf die der sozialen Folgen des neoliberalen Wirtschaftssystems zu lenken.

Die Weltsozialforen erleben in diesen Tagen wichtige Diskussionen über ihren Zweck, die Strategie und das Organisationsmodell. Viele wollen von Worten zur Aktion übergehen, während andere die Hauptaufgabe in einem Treffpunkt oder »Schmelztiegel« für Ideen und Inspiration sehen. Diese wichtigen Diskussionen im Weltsozialforum (und anderen lokalen und regionalen Sozialforen) würden von einem ernsthaften Element gewaltfreier Strategien profitieren. Mit anderen Worten: Hier wachsen die Möglichkeiten für ein neues Interesse an zivilen Widerstand. Sie sind recht gut bei der Mobilisierung, wie wir am 15. Februar 2003 sahen, aber schwach bei der Organisation. Diesen relativ neuen Bewegungen fehlt es an Wissen, wie frühere erfolgreiche gewaltfreie Bewegungen gearbeitet und sich selbst organisiert haben. Der Kampf gegen die Sklaverei hatte nicht nur deshalb Erfolg, weil er Massen mobilisierte. Die Arbeiterbewegung hätte nie Erfolg gehabt, wenn sie nur Demonstrationszüge am 1. Mai durchgeführt hätte. Die Frauenbewegung arbeitete hart zwischen den Demos zum 8. März. Hier möchte ich argumentieren, dass ziviler Widerstand, der gut organisiert und vorbereitet wird, eine große Wirkung haben kann.

Literatur

Ackerman, P. and J. DuVall (2000): A force more powerful: a century of nonviolent conflict. New York, St. Martin‘s Press.

Ackerman, P. and C. Kruegler (1994): Strategic nonviolent conflict: the dynamics of people power in the twentieth century. Westport, Conn., Praeger.

Bleiker, R. (1993): Nonviolent struggle and the revolution in East Germany. Cambridge, MA, Albert Einstein Institution.

Boserup, A. and A. Mack (1974): War without weapons: non-violence in national defence. London, Francis Pinter (Publishers) Ltd.

Burrowes, R. J. (1996): The strategy of nonviolent defense: a Gandhian approach. Albany, State University of New York Press.

Darby, J. and R. Mac Ginty (Eds.) (2003): Contemporary peacemaking: conflict, violence, and peace processes. Houndmills, Basingstoke, Hampshire; New York, Palgrave Macmillan.

Dellinger, D. (1971): Revolutionary nonviolence: essays. Garden City, N.Y.

Ebert, T. (1981): Soziale Verteidigung. Waldkirch, Waldkircher Vlg.

Fahey, J. and R. Armstrong (1987): A Peace reader: essential readings on war, justice, non-violence, and world order. New York, Paulist Press.

Galtung, J. (1959): Forsvar uten militærvesen.: Et pasifistisk grunnsyn.Utg.av Folkereisning mot krig. Oslo.

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Gregg, R. B. and M. M. Temple (1960): The power of nonviolence. Lusaka, N. Rhodesia,, M. M. Temple.

Grix, J. (2000): The role of the masses in the collapse of the GDR. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York, Macmillan Press; St. Martin‘s Press.

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Holzgrefe, J. L. and R. O. Keohane (2003): Humanitarian intervention: ethical, legal, and political dilemmas. Cambridge; New York, Cambridge University Press.

Martin, B. and W. Varney (2003): Nonviolence speaks: communicating against repression. Cresskill, N.J., Hampton Press.

Merton, T. and G. C. Zahn (1980): The nonviolent alternative. New York, N.Y., Farrar Straus & Giroux.

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Woodhouse, T. (1991): Peacemaking in a troubled world. New York, Berg: Distributed exclusively in the US and Canada by St. Martin‘s Press.

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Zinn, H. (2002): The power of nonviolence: writings by advocates of peace. Boston, Mass., Beacon Press.

Anmerkungen

1) Übersetzt: Die Vorteile passiven Widerstands. Siehe: The Collected Works of Mahatma Gandhi Volume VII page 183

2) Informationen über MEND finden sich unter: http://www.mend-pal.org/

Jørgen Johansen ist langjähriger Aktivist in den gewaltfreien Bewegungen und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Centre for Peace Studies, University of Tromsoe ( CPS), des Peace and Development Institute, Gothenburg University (PADRIGU), der Transcend Peace University (TPU) und der Transnational Foundation for Peace and Future Research (TFF). Er lebt in Schweden und Norwegen.
Übersetzung Christine Schweitzer

Chancen einer transnationalen Zusammenarbeit?

Chancen einer transnationalen Zusammenarbeit?

Das Balkan Peace Team und andere Projekte der zivilen Konfliktbearbeitung

von Barbara Müller

Eine sich verdichtende Struktur von transnationaler Zusammenarbeit bei der Konfliktbearbeitung – was ist damit gemeint? Konkret geht es um Veränderungen von Beziehungen zwischen Friedensgruppen, um gemeinsame oder in Kooperation durchgeführte Projekte, um eine wachsende Anzahl von auswärtigen (meist westeuropäischen) und inländischen qualifizierten AktivistInnen der Friedensarbeit, deren Wege sich zunehmend kreuzen. Welches Potenzial steckt in dieser Struktur, mit welchen Entwicklungsproblemen kämpft sie und wie sieht sie eigentlich genauer aus? Eine Einschränkung sei hier gleich am Anfang gemacht: Bei dieser Momentaufnahme handelt es sich nur um die Spitze eines Eisbergs, die bei einer ad hoc-Recherche zu diesem Aufsatz bei verschiedenen Friedensprojekten sichtbar wurde.1 Waren die Erfahrungen des Balkan Peace Team der Ausgangspunkt zu diesem Artikel, so drängte sich doch sofort die Frage nach den inzwischen entstandenen Projekten anderer Träger auf.2 Dieser Bericht ist daher mehr ein Problemaufriss als die Darstellung gesicherter Erkenntnisse. Er möchte dazu anregen, diesen wichtigen neuen Bereich von qualifizierter internationaler Friedensarbeit verstärkt zu reflektieren und das in ihm steckende Potenzial zu nutzen

Das »Balkan Peace Team International« ist ein Koalitionsprojekt von elf Friedensorganisationen und -Netzwerken aus Europa und den USA. Es arbeitete seit 1994 mit einem bzw. zwei Teams in Kroatien und in Serbien/Kosovo. Das Kroatien-Team hat seine Arbeit Ende des Jahres 1999 eingestellt, als eine interne Evaluation und Rücksprachen mit den PartnerInnen zu dem Ergebnis führten, dass es für die vom Team angebotene Unterstützung keinen wesentlichen Bedarf mehr gab. Die Mission ist also beendet. Das Team in Serbien/Kosovo ist, nach einer Unterbrechung während der Kriegsmonate 1999, auf derzeit (August 2000) vier Freiwillige angewachsen und teilt seine Zeit zwischen Prishtina und einem kleinen Ort in Süd-Ost-Kosovo (Dragash) auf. In der Regel bestanden die recht kleinen Teams aus zwei bis drei Freiwilligen. Die anfängliche Mindest-Einsatzzeit von sechs Monaten hat sich auf ein bis zwei Jahre verlängert.

Die praktische Arbeit der Teams wird von einem breit formulierten Mandat eingerahmt, dessen Schwerpunkte als »Förderung von Dialog«, »Förderung der Zivilgesellschaft«, »gewaltfreie Konfliktbearbeitung«, »Förderung der Menschenrechte« u.ä. etikettiert sind. Wie die Teamarbeit konkret aussieht, entwickeln die Teammitglieder in den Diskussionen mit ihren lokalen PartnerInnen und mit den Mitgliedern des Koordinierungskomitees, das die Programmentwürfe der Teams billigen muss. In diesen Abstimmungsprozessen stehen immer wieder die Prinzipien des Projektes auf dem Prüfstand, die die Projektarbeit nicht unwesentlich steuern. Eines der wichtigsten ist, dass mit der eigenen Arbeit keine Abhängigkeiten geschaffen werden sollen und alles unterbleibt, was andere tun können. Ein anderer, wichtiger Grundsatz ist, durchaus Initiative zu ergreifen, aber dann neu entstehende Strukturen so bald wie möglich in die Verantwortung einheimischer PartnerInnen zu legen.

Zwischen 1994 und 1998 haben 18 Frauen und 19 Männer aus 11 Ländern die Arbeit in den Teams sehr individuell gestaltet. Der persönliche Faktor spielt eine ausschlaggebende Rolle für das, was im Team möglich ist oder auch nicht. So wird nachvollziehbar, wie viele subtile und offene, innere und äußere Faktoren zu dem Gesamtbild »Teamarbeit des Balkan Peace Team« beitragen. Es sind neben den individuellen Fähigkeiten und Vorlieben auch

  • die Zwänge eines finanziell eng begrenzten Projekts,
  • das von einem zurückhaltend agierenden Koordinierungskomitee gelenkt wird,
  • das sich zu den dramatischen äußeren Entwicklungen wie der gewaltsamen Rückeroberung der Krajina und Westslavoniens (in Kroatien) und zum Krieg im Kosovo verhalten musste und
  • das mit Erwartungen und Anforderungen seiner einheimischen Partnerorganisationen konfrontiert wurde, die gerne mehr direkte Unterstützung, mehr direkte Mitarbeit, mehr Eigeninitiative und eine eigenständigere Rolle gesehen hätten, als das Koordinierungskomitee seinen Freiwilligen zu gestatten bereit war.

Konfliktlinien in Hülle und Fülle also.

Das Balkan Peace Team hat die Gratwanderung unternommen, eigenständige Teams mit einem starken Partnerbezug zu verbinden. Konkret hieß dies, dass die Freiwilligen nicht in lokalen Organisationen mitarbeiten sollten, um die Unabhängigkeit nicht zu verlieren. Andererseits sollte das Team auf einen festgestellten Bedarf reagieren, Defizite ausgleichen, Unterstützung dort geben, wo einheimische AkteurInnen an ihre Grenzen stießen und wo die Fähigkeiten der Teammitglieder diese Grenzen überwinden helfen konnten. Den Bedarf zu erkunden gehörte somit zu den Kernaufgaben der praktischen Projektentwicklung der Teams.

Kriterien und Bewertungen von Friedensprojekten:
Das Leistungsprofil des BPT

Bei Friedensprojekten in Krisengebieten stellt sich sofort die Frage, welchen Beitrag sie denn zu welchem »Frieden« leisten? Beim Balkan Peace Team machte es die Vagheit von Zielen und Mandaten und das Fehlen von Konkretisierungen der Zielbereiche zunächst unmöglich, irgendwelche konkreten Beiträge zu bestimmen. Auch andere Projekte, wie die des Österreichischen Friedensdienstes, stehen vor diesem Problem einer recht allgemeinen und zu wenig konkretisierten Zieldefinition. Wichtig aber sind Fragen wie: Welche Art von Zivilgesellschaft soll in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien gefördert werden? Warum werden welche lokalen Gruppen zu PartnerInnen und welche nicht? Warum werden Schwerpunkte im Menschenrechtsbereich und nicht in der Frauenförderung gesetzt?

Für das Balkan Peace Team half schließlich eine Binnen- und eine Fremdbewertung. Die Einschätzung der Teammitglieder wurde gezielt mit der Frage nach ihren jeweils »besten« Aktivitäten eingeholt. Eine solche Selbstbewertung basiert auf der intimen Kenntnis der eigenen Aktionszyklen, die oft erst nachträglich in ihren verschiedenen Dimensionen sichtbar werden.3 Das Ergebnis ist in Tabelle 1 zusammengestellt.

1994 – Schwerpunktmäßig: Begleitung lokaler AktivistInnen zu Hausausweisungen
1995 – Beobachtung der Menschenrechtssituation in den wiedereroberten Gebieten Westslawoniens und der Krajina (Kroatien)
– Vernetzung von Gruppen (Kroatien)
– Einzelfall: Ermutigung für Aktivistin und die von ihr gegründete Gruppe (Kosovo)
1996 – Einzelfall: Veröffentlichung über Übergriff gegen einen Kriegsdienstverweigerer,, internationale Aufmerksamkeit (Kroatien)
1997 – Ermutigung für einheimische TeilnehmerInnen internationaler Dialogseminare (Kosovo)
– Anbahnung und Vorbereitung von direkten Gesprächen zwischen verschiedenen serbischen und kosovo-albanischen Gruppen (Kosovo)
– Berichterstattung über den Rückkehrprozeß in der Krajina (Kroatien)
Tabelle 1: Die besten Aktivitäten des BPT aus der Binnensicht

Der zweite Ansatzpunkt waren Einschätzungen von PartnerInnen im Land, die in den Interviews von sich aus einzelne Aktivitäten ansprachen. Für die Arbeit des Teams in Serbien/Kosovo ließ sich eine solche Analyse nicht durchführen, weil hier zu wenig AktivistInnen befragt werden konnten. Die einheimischen AktivistInnen beschrieben hauptsächlich Rollen, die sie bei Teammitgliedern hilfreich fanden oder erzählten Episoden gemeinsamer Aktivitäten.

Nach diesen Schilderungen stärkte das Team in Kroatien die internen Partner, vor allem Menschenrechtsgruppen, direkt, indem es

  • deren eigene Kräfte verstärkte (z.B. durch gemeinsame Präsenz bei Hausausweisungen)
  • sie durch Nähe ermutigte (gemeinsames Erleben und Erleiden kritischer Situationen, auch Ohnmachtserfahrungen),
  • als fremde Kraft Brücken bilden konnte (zu den internationalen Organisationen, zu einheimischen Behörden, zu einer internationaleren Öffentlichkeit).

Das Team stärkte die Partner indirekt, indem es

  • relevante Informationen sammelte, aufbereitete und damit sowohl für interne, aber auch potentiell für auswärtige AkteurInnen eine Grundvoraussetzung für eine kompetente Konfliktbearbeitung lieferte,
  • weitere äußere Kräfte zur Konfliktbearbeitung mobilisierte, sowohl im Land selber auf der Ebene von Basisorganisationen bis Botschaften und internationalen Organisationen, wie auch auf der Ebene internationaler Netzwerke von NGOs.

Strukturelle Problembereiche bei Friedensprojekten

Lässt sich so der Platz des Balkan Peace Team in der Friedensarbeit sowohl im Einsatzgebiet in Kroatien als auch in den internationalen Dimensionen einigermaßen erfassen, steht derartiges für die meisten anderen Friedensprojekte noch aus. Damit lässt sich aber auch weiterhin die Frage nicht beantworten, was denn die strategischen Orientierungen solcher Projekte sind, wie sie sich vielleicht gegenseitig in ihren Wirkungen verstärken können, wie die Partnerorganisationen gestärkt werden können und wie eine Infrastruktur entstehen kann, die eine zivile Konfliktbearbeitung auf Dauer in der Region verankert? Neben solchen Fragen, die sich auf die Wirkung im Konfliktfeld beziehen, muß auch in den Blick genommen werden, wie denn solche Projekte befähigt werden, ihre Rolle zu spielen? Für das Balkan Peace Team waren insbesondere die folgenden Bereiche kritisch, die Begrenzungen, negative Erfahrungen, Reibungsflächen beinhalteten, für die es keine einfachen Lösungen oder keine dauerhaft tragfähigen gab:

  • Finanzierung
  • Programmentwicklung im Einsatzgebiet
  • Verhältnis zu den lokalen Partnern
  • Begleitung /Betreuung der Freiwilligen

Vielfalt in der internationalen Zusammenarbeit und in der Entwicklung von Friedensprojekten

Eine erste kurze Rundfrage bei anderen Projektträgern bestätigte die Relevanz dieser Bereiche auch für sie und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Reflexion der unterschiedlichen Erfahrungen. Das Balkan Peace Team ist diese Bereiche auf eine spezifische Art und Weise angegangen – andere Projekte haben dieselben Fragen völlig anders gelöst. Auf welche Vielfalt muss man sich einstellen?

  • Die größte praktische Erfahrung mit Friedensprojekten im ehemaligen Jugoslawien und der Begleitung seiner Freiwilligen hat sicherlich der Österreichische Friedensdienst (seit 1993 etwa 80 FriedensdienerInnen in 17 verschiedenen Projekten). Von den Aufgabenstellungen mischen sich hier Projekte, in denen das soziale Lernen der Freiwilligen im Vordergrund steht, mit stärker konfliktbezogenen Projekten, die eine spezielle Expertise erfordern, und mit Projekten mit einem spezialisierten berufsbezogenen Bedarf.
  • Für Pax Christi war die seit 1996 erstmals angebotene Möglichkeit einer mehrmonatigen Qualifizierung in Friedensarbeit ein starker Anstoß, in die Projektarbeit in Bosnien mit »eigenem Personal« einzusteigen und gleichzeitig die Arbeit in Kroatien nach der Hilfe für Flüchtlingslager in Dalmatien in Projekte mit aktuellen Fragestellungen zu verändern. Angebunden an unterschiedliche Pax Christi-Organisationsebenen, kann man sechs verschiedene Projekte in Kroatien, Bosnien und Serbien/Kosovo ausmachen, in denen mittlerweile seit 1996 rund 20 AktivistInnen, einheimische und auswärtige, tätig waren und sind.4
  • Auch Ohne Rüstung Leben hat sich durch die Finanzierung von acht TeilnehmerInnen an den Ausbildungsgängen immer weiter in die praktische Friedensarbeit im ehemaligen Jugoslawien hineingearbeitet, aber weniger, indem es eigene Projekte entwickelt hat, als vielmehr dadurch, dass es den drei auswärtigen und fünf einheimischen AktivistInnen die Ausbildung ermöglicht hat und die Weiterarbeit in ihren bisherigen Projekten bzw. beim Aufbau von neuen Projekten unterstützt.
  • In ähnlicher Weise unterstützt die Kurve Wustrow ein einheimisches Projekt in Sarajewo durch die Qualifizierung des lokalen Mitarbeiters und die Finanzierung seiner Arbeit (während sie seit November 1999 in der Türkei ein eigenes Projekt mit zwei Freiwilligen betreibt).
  • Der Oekumenische Dienst hat seinen Schwerpunkt in einem eigenen Ausbildungsgang, der nochmals andere Akzente setzt als das staatlich geförderte Programm. Von den ca. 100 »AbsolventInnen« der verschiedenen Kurse seit 1996 sind einige im ehemaligen Jugoslawien tätig, dort in ganz unterschiedlichen lokalen oder internationalen Projekten.5 Indem der OeD fachliche und persönliche Begleitung und Betreuung bei der Arbeit anbietet, ist er mit der Konfliktarbeit in den unterschiedlichen Ländern konfrontiert. BetreuerInnen mit der erforderlichen fachlichen Kompetenz lassen sich nicht in dem Maße finden, wie sie von den Ausgebildeten nachgefragt werden.
  • Ein eigenes Projekt hat sich für den Friedenskreis Halle aus seinem Einstieg in die Flüchtlingsbetreuung im Jahr 1993 entwickelt. Das zentrale Anliegen ist ein Jugendzentrum in Jajce, das mit Spendenaktionen in Deutschland, mit Workcamps in Bosnien und seit Ende 1997 mit Freiwilligen in Jajce/Bosnien vorangetrieben wird, bis es in einheimische Hände übergeben werden kann.6
  • Seit Frühjahr 2000 ist das Forum ZFD mit drei Fachkräften in zwei eigenen Projekten in Kosovo und Serbien tätig. Mit Pax Christi und Ohne Rüstung Leben ist im »Südbalkanprojekt« erstmalig eine intensive Kooperation zwischen Organisationen entstanden, die bei der Betreuung einiger Projekte auch den Oekumenischen Dienst einschließt. Für den Herbst ist erstmalig ein regionales Projekttreffen vorgesehen.

Was auf den ersten Blick aussieht wie Wildwuchs, folgt möglicherweise einer gewissen Regelmäßigkeit. Auffallend ist die Kontakttreue der Projekte und der sich entwickelnden Kooperationen. Bei manchen Projekten reichen die persönlichen Erstkontakte bis in den Anfang der 90er Jahre; der Aufruf der kroatischen Friedensorganisation Suncokret (Sonnenblume) in die europäischen eMail-Netze und Friedensorganisationen hat bleibende Spuren hinterlassen. Allein das Engagement von Pax Christi und des Friedenskreis Halle gehen auf diese Initiative zurück. Von den angefragten Projekten ist keines eine »Entsendung« in einen unbekannten Kontext. Vielmehr werden entweder Einheimische qualifiziert und ihre Weiterarbeit in ihrem Heimatprojekt finanziell unterstützt oder auswärtige Freiwillige entwickeln aus einem Umfeld von einheimischen Organisationen, auf die sie sich beziehen, und aufgrund spezieller Bedarfserhebungen ihr aktuelles Profil. Schließlich gibt es auch eine Reihe von auswärtigen ExpertInnen, die inzwischen seit Jahren in unterschiedlichen Projekten für unterschiedliche Organisationen in der Region arbeiten und mit ihrer Person für ihr Engagement stehen und denen die Qualifizierung und Projektarbeit finanziert werden.

Was könnte daraus werden, wenn diese gesammelte Expertise gezielt zusammengeführt würde? Welche Forderungen an Konfliktbearbeitung – gerade auch für deutsche Politik – würden aus einer solchen Perspektive formuliert werden? Wie würden Programme, wie der Stabilitätspakt für Südosteuropa aus einer solchen Perspektive bewertet werden, aus der man einschätzen kann, was von den hochfliegenden Plänen wirklich »unten« ankommt? Welche Anfragen an das Verhältnis »Europas« zum »Balkan« würden sich aus einer Perspektive stellen, die der einheimischen Sichtweise einen Platz und eine Stimme geben würde? Was könnte für die Konfliktbearbeitung in Sachen Rassismus und Nationalismus in Deutschland aus den Erfahrungen der Balkanländer gelernt werden? Noch erscheint Friedensarbeit weit entfernt von wirklicher Internationalität, einem gleichrangigen Geben und Nehmen. Aber in der Struktur von Kooperation und Projektentwicklungen zeichnen sich Ansätze ab, die auf solche Möglichkeiten hindeuten.

Was aber ist notwendig an interner Struktur und Strukturbildung in den vier genannten Bereichen, damit solche Projekte sich überhaupt angemessen und flexibel entwickeln und durchhalten lassen? Ein Einstieg in einen Austausch über diese Themen scheint überfällig.

Anmerkungen

1) Dieser Artikel basiert auf der Begleitstudie zum Balkan Peace Team, die die Autorin zusammen mit Christian Büttner unter der Projektleitung von Prof. Dr. Peter R. Gleichmann im Rahmen des Projektverbundes Friedens- und Konfliktforschung Niedersachsen von März 1997 bis Oktober 1998 durchführte.

2) Konkret wurden abgefragt: Eirene International, Forum ZFD, Friedenskreis Halle, Kurve Wustrow, Österreichischer Friedensdienst, Ohne Rüstung Leben, Pax Christi, Peace Brigades International. Der Blick bleibt hier auch weitestgehend eingeengt auf Projekte aus Deutschland. Er soll auch nur als Problemaufriss dienen. Gesicherte Erkenntnisse müssten den europäisch-nordamerikanischen Kontext einerseits und den der einheimischen Projekte in der Region andererseits einfangen.

3) Lederach, John Paul, Sustainable Reconciliation in Divided Societies, Washington 1997, 144.

4) Banja Luka, Senica und Begov Han als Bosnien-Projekte der Deutschen Sektion, Benkovac als Kroatienprojekt von 6 Bistumsstellen und der Luxemburgischen Sektion, die Unterstützung für ein Aktivistenehepaar in Zagreb als Projekt des Bistums Freiburg und die Qualifizierung und Finanzierung einer serbischen Aktivistin in Prizren als Projekt von Pax Christi Rottenburg-Stuttgart.

5) Die Mehrzahl der AbsolventInnen der Qualifizierungskurse des Oekumenischen Dienstes arbeitet im Inland, ca. 10-15 in Auslandsprojekten.

6) Von humanitärer Hilfe zum zivilen Friedensdienst. FK-spezial, herausgegeben vom Friedenskreis Halle, Halle 1999.

Dr. Barbara Müller, Mitarbeiterin im Institut für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung, Sekretariat »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung«

Schützende Begleitung in Krisen- und Konfliktgebieten

Schützende Begleitung in Krisen- und Konfliktgebieten

von Christoph Klotz

Der Gedanke, gewaltfrei durch internationale »Peace Brigades« in Konfliktgebieten zu intervenieren geht auf Gandhi und andere Persönlichkeiten der indischen gewaltfreien Bewegung zurück. Gandhi beschrieb diese Idee erstmals 1938 im Zusammenhang mit Straßenunruhen in Bombay. Die Peace Brigades sollten zwischen die Fronten treten und durch eine gewaltfreie Arbeit deeskalierend wirken. Mit der sogenannten »Shanti Sena«, der Friedensarmee, die 1957 von Vinoba Bhave gegründet wurde und in den 60er Jahren bei Unruhen zwischen Hindus und Moslems zum Einsatz kam, wurde Gandhis Idee erstmals in die Tat umgesetzt. Die mehrere tausend Personen starke Organisation übernahm Vermittlungsfunktionen, wirkte mit einer unabhängigen und verlässlichen Informationspolitik Gerüchten entgegen und half bei Wiederaufbau- und Versöhnungsprojekten.

Die Shanti Sena war wiederum Vorbild für spätere internationale gewaltfreie Organisationen, so etwa für die »World Peace Brigades«, die 1962 in Beirut von den »War Resisters International« und dem »Internationalen Versöhnungsbund« mitbegründeten wurden. Diese hatten einige beachtliche Erfolge vorzuweisen. So gelang es ihnen in 1964, einen Waffenstillstand in Nagaland (Nord-Indien) zwischen Aufständischen und der Zentralregierung auszuhandeln und zu überwachen. In 1972/73 begleitete eine Freiwilligengruppe während der Zypernkrise die Wiederansiedlung türkisch-zypriotischer Flüchtlinge.

Als 1981 auf Grindstone Island (Kanada) FriedensaktivistInnen aus vier Kontinenten zusammen kamen, um mit den Peace Brigades International den erneuten Versuch zu unternehmen, eine dauerhafte internationale Organisation aufzubauen, da waren mehrere Mitbegründer der World Peace Brigades wieder dabei.

Damals stand die Idee am Anfang, friedensstiftende, friedenserhaltende und friedensschaffende Initiativen auf der Grundlage aktiver Gewaltfreiheit und humanitärer Einsatzbereitschaft zu ergreifen. Diese Arbeit sollte geleitet sein von den Prinzipien der Gewaltfreiheit, der Nichtparteinahme (unabhängige Position), der Nichteinmischung (weder ihre Präsenz noch Lösungen irgendeiner Art aufzudrängen und nur auf Anfrage tätig zu werden), der Basisdemokratie und des Konsensprinzips im Inneren, der Internationalität der Einsätze und der finanziellen und politischen Unabhängigkeit der Friedensarbeit. Damals verfügte die Organisation noch über keine eigenen Erfahrungen. Dennoch lässt sich heute sagen, dass diese Prinzipien unverändert ihre Gültigkeit und sich bewährt haben – sowohl für die Bestimmung der inhaltlichen Arbeit als auch in der Beständigkeit der Organisation.

Der Aufgabenbereich der Peace Brigades wurde damals sehr breit angelegt: Er umfasst die schützende Begleitung und Präsenz internationaler Freiwilligen-Teams in Krisen- und Kriegsgebieten, die Augenzeugen- und Informationsfunktion zur Verbreitung verlässlicher Informationen durch unabhängige BeobachterInnen vor Ort, die Friedenserziehung und Vermittlung gewaltfreier Methoden der Konfliktbearbeitung, die Vermittlung und Unterstützung von Verhandlungen sowie die Unterstützung von Versöhnungsarbeit.

In der Folge waren PBI-Freiwilligen-Teams in Guatemala (1983-1999), El Salvador (1987-1992), Sri Lanka (1989-1998), Nordamerika (1991-1999) sowie zu Kurzeinsätzen in Nord-Nicaragua und beim World Uranium Hearing in Salzburg. Aktuell ist PBI mit Projekten in Kolumbien, Haiti, Mexiko, Ost-Timor/Indonesien sowie im Rahmen von zwei Friedenskoalitionen im Kosovo (Balkan Peace Team) und in Chiapas/Mexico (SIPAZ) engagiert.

Heute, nach nahezu 20 Jahren hat sich die Organisation natürlich verändert, es gibt bestimmte Akzente und Schwerpunkte. In einigen Bereichen verfügt die Organisation über bedeutende Erfahrungen, andere wurden kaum praktiziert und weiterentwickelt. Als ein Resümee lässt sich vielleicht festhalten, dass die bedeutendste Arbeit von PBI darin liegt, gewaltfreie Methoden im Bereich von Sicherheitsfragen und dem Schutz bedrohter Personen und Opfergruppen, die von politischer Gewalt betroffen sind, praktisch umgesetzt zu haben.

PBI-Freiwilligen-Teams beschützen durch ihren persönlichen Einsatz Menschen, die von politisch motivierter Gewalt, Entführung, Folter, Ermordung oder Massakern bedroht sind. Das können engagierte MenschenrechtlerInnen sein, Flüchtlinge oder interne Kriegsvertriebene. Dazu gehören aber auch Mitglieder von Bauernverbänden und Gewerkschaften, Frauenorganisationen und Indigenagemeinschaften, die für soziale, politische und ökonomische Rechte gewaltfrei eintreten.

Indem PBI sie physisch begleitet, erfahren sie zugleich eine Ermutigung, selbst gewaltfreie Lösungen für die Probleme zu entwickeln. In diesen Bemühungen werden sie von PBI unterstützt. Dies kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen: durch eine 24 Stunden-Präsenz bei bedrohten Personen und ihren Familien-Angehörigen, durch einen zeitweisen Eskortendienst z.B. wenn eine Augenzeugin vor Gericht aussagen möchte oder bei der Rückkehr einer Flüchtlingsgemeinschaft, durch kontinuierliche Besuche in den Büros der betroffenen Organisationen oder in den Wiederansiedlungen und Flüchtlingsherbergen zu wechselnden Zeiten, durch die Anwesenheit bei Kundgebungen und Demonstrationen oder in der Menschenrechts- und Gemeinwesenarbeit.

Das von PBI entwickelte Konzept einer schützenden Begleitung der lokalen Zivilbevölkerung leistet einen unmittelbaren Beitrag zur Gewaltprävention und trägt langfristig zur Stärkung ziviler Konfliktlösungsmöglichkeiten bei. PBI hat sich deshalb das Motto »Making space for peace« gegeben.

Darüber hinaus spielen als zweiter Bereich die Bildungsarbeit und die Weitervermittlung von Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung an lokale Menschenrechtsorganisationen und Basis-Initiativen eine große Rolle. Abhängig von Anfragen und insoweit leistbar, veranstaltet PBI auch Seminare und Trainings in der Traumarbeit und vermittelt Techniken zum Schutz gegen Repression (Kolumbien) sowie in der Friedenserziehung und Ausbildung von MultiplikatorInnen in gewaltfreier Konfliktbearbeitung (Haiti und Ost-Timor/West-Timor/Indonesien).

Auch Dialog-Initiativen und eine generelle Informationsarbeit gegenüber den Konfliktparteien können eine Rolle spielen, so z.B. im interreligiösen Dialog im SIPAZ-Projekt in Chiapas, Mexiko. PBI ist an der Friedenskoalition im Trainingskomitee beteiligt und eine PBI-Freiwillige ist vor Ort.

Die interkulturelle Jugendbegegnungsarbeit des Balkan-Peace-Teams im Kosovo ist eine andere Form, um zur Deeskalation und Prävention gewaltförmiger Konflikte beizutragen. PBI unterstützt diese Arbeit mit Informationsarbeit in der Bundesrepublik und international.

Wohin die Zukunft geht, ist eine offene Frage. So wird zum Beispiel derzeit bei PBI diskutiert, ob die Organisation sich auf Sicherheitsfragen und schützende Begleitung weiter spezialisieren oder eher einen breiten Ansatz vertreten sollte. Eine andere Frage ist, wie lassen sich schützende Begleitung und Friedenserziehung kombinieren. Das Ost-Timor/Indonesien-Projekt von PBI arbeitet in dieser Richtung.

Ganz besonders leben die Praxis und Relevanz von PBI von den internationalen Freiwilligen. Mehr als 1.000 Freiwillige sind seit 1983, dem ersten Projekt in Guatemala, mit PBI in einem mehrmonatigen bis zu zweijährigen Einsatz gewesen. Sie waren als internationale BeobachterInnen und AugenzeugInnen in Krisen- und Konfliktgebieten in Lateinamerika, Asien, Nordamerika und auf dem Balkan. Sie nahmen dabei erhebliche Risiken auf sich – und doch ist das Risiko der Freiwilligen ungleich geringer, verglichen mit dem Risiko jener Menschen, die sie tagtäglich in ihrer engagierten Arbeit begleiten (siehe dazu auch den Erfahrungsbericht von Annette Finqscheidt im Kasten).

Ansichten einer Rückkehrerin
von Annette Finqscheidt

Ist die Arbeit einer PBI-Freiwilligen gefährlich, so aufregend wie der Gang durch eine fremde Stadt, in der man nicht weiß, was einen an der nächsten Ecke erwartet oder wird sie irgendwann einmal wie fast jede Tätigkeit zur Routine? Nach einem Jahr im tropischen Urabá, unter armen Flüchtlingen und reichen Geschäftsleuten, Soldaten und BürokratInnen, AnalphabetInnen und Intellektuellen, in Urwalddörfern ohne Weg und Steg und in einem mit moderner Technologie ausgestattetem Büro sowie in einem aus sehr verschiedenen Menschen zusammengesetzten Team würde ich sagen, es ist beides. Begleiten in Urabá bedeutet unzählige Dinge tun. In Turbo, ein nicht gerade idyllisches Hafenstädtchen, in dem unser Büro und Wohnhaus liegt, leben etwa 3.500 Vertriebene, die von PBI begleitet werden. Das bedeutet mehrmals täglich mit dem Fahrrad oder Auto und mit einem T-Shirt bekleidet, das deutlich aussagt, dass man zu PBI gehört, die sogenannte Runde zu machen, die Sporthalle von Turbo und zwei Herbergen, in denen die Flüchtlinge provisorisch untergebracht sind, zu besuchen. Es ist wichtig, dass sie uns dort sehen, damit sie die Flüchtlinge in Ruhe lassen. »Sie«, das sind Polizisten und Soldaten, aber auch Zivile, die auf Motorrädern oder in Autos ohne Nummernschild herumfahren, oft mit einer Waffe unter dem Hemd, und wehrlose Menschen bedrohen. Manchmal, wenn die Situation gespannt ist, müssen diese »Runden« auch nachts gedreht wwerden, dann im Auto, zu zweit und mit Telefon. Das gehört dazu: Sicherheit geht vor; wir müssen uns von überall und zu jeder Zeit mit den KameradInnen im Büro verständigen können.

Begleiten bedeutet, um 6 Uhr morgens verschlafen am Hafen von Turbo zu stehen und die Abfahrt eines Bootes abzuwarten, mit dem einige Vertriebene und die MitarbeiterInnen einer sie beratenden Menschenrechtsorganisation ins Flussgebiet Cacarica begleitet werden möchten. Schon im Hafen wird klar, dass man beobachtet wird. Manchmal versucht jemand die Vertriebenen auszufragen, wohin sie fahren, wie viele sie sind, warum sie Lebensmittel mitnehmen. Begleiten bedeutet, an einem Kontrollposten der Marine vorbeizufahren, oft stundenlang auf dem Fluss unterwegs zu sein, das Boot mühsam durch viel zu flaches Wasser zu schieben, in Gummistiefeln durch matschiges Gelände zu waten und tage- oder gar wochenlang in einem kleinen, abgelegenen Dorf zu leben, in dem es weder Strom noch fließendes Wasser oder Zufahrtswege gibt. Das Satellitentelefon ist die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Begleiten bedeutet, das einzige gute Kleid anzuziehen, um in der Militärgarnison in Carepa dem Kommandanten unsere Besorgnis um die Sicherheit der Vertriebenengemeinden in Urabá mitzuteilen, ihn daran zu erinnern, dass wir innerhalb seines Zuständigkeitsgebietes arbeiten. Es bedeutet, ihm die Hand zu schütteln und freundlich zu lächeln, obwohl man weiß, dass er an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist oder sie zumindest mit seinem Einverständnis begangen werden.

Begleiten bedeutet aber auch stunden- oder tagelange Büroarbeit, das Schreiben von Berichten und Informationen, das Lesen der Berichte aus Bogotá, Barrancabermeja und Medellín (die anderen drei Teams in Kolumbien), Teamsitzungen von bis zu 12 Stunden, in denen die Arbeit geplant und über die allgemeine politische Situation gesprochen wird, Sitzungen mit kolumbianischen oder anderen internationalen Organisationen, das Bedienen des fast pausenlos klingelnden Telefons.

Wir sind immer froh, wenn unsere KameradInnen, die gerade unterwegs sind, anrufen: Alles in Ordnung? Im Ernstfall ist unser kleines Haus in Turbo das Zentrum aller Operationen. Von hier unternehmen wir die nötigen Schritte, um den Schutz der von uns begleiteten Menschen und auch der eigenen Teammitglieder zu verstärken. Deshalb sind die zwei Telefone und die Computer ständig besetzt: Kommunikation und Information sind einige der wichtigsten Bestandteile der Arbeit.

Wie gesagt, Begleitarbeit in Urabá kann vieles bedeuten und kein Tag sieht aus wie der andere, Freizeit gibt es selten, dafür oft zu wenig Schlaf. Doch man gewöhnt sich an die Hektik, die Unvorhersehbarkeit der Lage und an die unglaublich vielen und verschiedenen Menschen, die man kennen lernt. Die Ausnahmesituation wird zum Alltag, das tägliche Risiko fast zur Routine. Im Nachhinein habe ich noch nicht einmal das Gefühl, etwas Außergewöhnliches getan zu haben.

Annette Finqscheidt, gelernte Sozialanthropologin aus Wuppertal, war mit PBI ein Jahr lang in der Region Urabá im Nordosten Kolumbiens im Einsatz.

Peace Brigades International

PBI ist eine internationale Friedensorganisation, die 1981 gegründet wurde und seither in mehreren Projekten erfolgreich tätig war, u.a. in Guatemala, Sri Lanka und El Salvador. Derzeit sind PBI-Teams in Kolumbien, Mexiko, Haiti und Indonesien im Einsatz. PBI entsendet internationale BeobachterInnen als AugenzeugInnen in Krisen- und Konfliktgebiete. PBI-Freiwilligen-Teams beschützen durch ihren persönlichen Einsatz Menschen, die von politisch motivierter Gewalt, Entführung und Ermordung bedroht sind. Dabei setzt PBI direkter und struktureller Gewaltausübung die Mittel der Gewaltfreiheit entgegen. PBI ist als internationale Nichtregierungsorganisation bei den Vereinten Nationen akkreditiert und hat dort Beobachterstatus inne. Bis dato gehören ihr 12 voll anerkannte Ländersektionen und 5 assoziierte Ländergruppen aus Europa und Nordamerika sowie Australien und Neuseeland an. Die deutsche Sektion PBI – Deutscher Zweig e.V. besteht seit 1986 und ist seit 1991 ein gemeinnützig anerkannter Verein mit Sitz in Hamburg. Sitz des Internationalen Sekretariates ist London.

Christoph Klotz ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit bei PBI – Deutscher Zweig
PBI – Deutscher Zweig e.V., Hohenesch 72, D-22765 Hamburg, www.igc.org/pbi