In demokratischen Gesellschaften westlichen Zuschnitts kommt es vor, dass Politiker wegen vergleichsweise geringer Verfehlungen oder privater Affären ihre Posten verlieren, wirklich schwere politische Sünden bleiben dagegen meist ungeahndet. Die Medien, oft als vierte Gewalt im Staat bezeichnet, interessieren sich mehr für private Skandale öffentlicher Personen als für deren amtliche Handlungen. Dass die Öffentlichkeit dieses Spiel goutiert, hat zum einen natürlich mit der Macht der Medien zu tun, zum anderen aber auch mit dem Interesse der Menschen am privaten Leben der vom Schicksal vermeintlich Begünstigten. Präsident Clinton hatte nie auch nur den Hauch einer ernst zu nehmenden Kritik an seiner zuweilen kriegerischen Außenpolitik zu fürchten, die Affäre mit einer seiner Assistentinnen hätte ihm beinahe sein Amt gekostet. Manche meinen sogar, dass ihn erst die intensiven viertägigen Bombardierungen des Irak im Dezember 1998 vor dem Schlimmsten bewahrt hätten. Bundesverteidigungsminister Scharping blieb politisch unbehelligt, solange er die Bundeswehr unter Zuhilfenahme faustdicker Lügen in den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien führte, seine Streitkräfte in Richtung einer Interventionsarmee umbaute und mit der endgültigen Entscheidung für den sündhaft teuren Militär-Airbus die Bundesfinanzen stark belastete. Gehen musste er erst, nachdem bekannt wurde, dass er von einer geschäftstüchtigen PR-Firma einen satten »Vorschuss« für die Veröffentlichung seiner »Erinnerungen« erhalten hatte.
Kriegsbegründung: US-Außenminister Powell in seiner 75minütigen Rede vor der UNO am 5. Februar 2003: Bagdad betreibe weiterhin geheime Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. „Hier wird getäuscht, hier wird versteckt und verborgen.“ Bagdad verfüge über ausreichende Möglichkeiten, um Pockenviren und Milzbranderreger zur Nutzung in biologischen Waffen herzustellen. Der Irak habe Kanister für seine Jagdbomber umgebaut, um dadurch Nervengas oder bakteriologische Waffen ausbringen zu können. Saddam Hussein sei im Besitz von 100 bis 500 Tonnen biologischer und chemischer Kampfstoffe und versuche sein Atomprogramm voranzutreiben. Irakische Wissenschaftler entwickelten Raketen mit bis zu 1.200km Reichweite. Weiter sprach Powell von Verbindungen des Irak zum Terrornetzwerk Al Qaida. (FR 06.02.2003)
Der Krieg gegen den Irak lenkt davon ab, dass wir uns derzeit in einer Phase der Weltentwicklung befinden, in der jene Formen von Kriegen zum Auslaufmodell werden, für die durch das Völkerrecht im letzten Jahrhundert Regeln entwickelt wurden, um sie einzuhegen. Dies nicht etwa, weil ein weltweiter Trend zu weniger gewalttätiger Konfliktaustragung zu beobachten wäre. Meine Thesen lauten vielmehr, dass erstens die Vereinigten Staaten als unangefochtene militärische Hegemonialmacht ubiquitär und präventiv Gewaltmittel zur Durchsetzung ihrer Interessen im Rahmen des so genannten Krieges gegen den Terror einzusetzen beabsichtigen. Damit wird eine Politik installiert, die Krieg als abgrenzbare Kategorie aufhebt. Zweitens, auch die immanente Logik der viel zitierten »neuen Kriege«, die als ein Element der Schattenglobalisierung fungieren, spricht für eine Diffusion kriegerischer Gewalt in »regulative Gewalt« zur Steuerung (wirtschafts-)krimineller transnationaler Netzwerke, die als Spiegel des neoliberalen Globalismus sich zur wahrscheinlich dynamischsten Sphäre der globalen Ökonomie entwickelt haben. Im Ergebnis kommt es zu einer Deterritorialisierung der kriegerischen Gewaltlogik und damit zur Auflösung des klassischen Erscheinungsbildes Krieg. Gleichzeitig wird die Gewalt in den weltweit wachsenden Zonen sozialer Apartheid das dominante Mittel sozialer und wirtschaftlicher Regulation.
Im Weltbild unserer aufgeklärten Modernität erscheint Krieg als moralischer Störfall in einem global integrierten System, das mit internationaler Gemeinschaft oder Weltgesellschaft bezeichnet und als verantwortungsethische Einheit definiert wird. Daraus leitet sich ein moralischer Imperativ für die internationale Staatengemeinschaft ab, derartigen Störungen kollektiv zu begegnen. Da zwischenstaatliche Kriege inzwischen zur Ausnahme geworden sind und innergesellschaftliche bewaffnete Konflikte überwiegen, bedeutet dies nach dem Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen Aufhebung des »Dogmas« der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eine Ausweitung friedensschaffender und friedenserhaltender Einmischungen in innergesellschaftlich ausgetragene Konflikte. Es hat sich eine neue Abwägung der Rechtsgüter staatliche Souveränität und Menschenrechte durchgesetzt, die mit der Schaffung des internationalen Strafgerichts auch einen institutionellen Ausdruck gefunden hat.
Kriegsroboter wecken Assoziationen an Science Fiction – und scheinen damit weit entfernt oder fiktiv. Dieser Eindruck war Jahrzehnte lang richtig – trotz vielen Geldes und vieler Arbeit, die in militärische Roboterforschung und -entwicklung geflossen sind, wurden die Erwartungen auf schnellen Erfolg bisher nicht erfüllt. Inzwischen gibt es jedoch bei Werkstoffen und Energiespeichern, bei Sensoren und Aktoren, vor allem aber bei Elektronik, Rechnern und Software so große Fortschritte, dass Stationierung und Einsatz erster militärischer Roboter absehbar werden. Man versteht unter Robotern bewegliche Systeme mit Sensoren und Aktoren, die (mehr oder weniger) autonom die Umgebung erfassen und auf sie einwirken.1 Sie müssen nicht Menschen ähnliche Körper oder Arme mit Manipulatoren haben – auch autonome Fahrzeuge mit Wirkmechanismen fallen unter diese Definition. Einige Roboter-Vorformen sind schon beim Militär eingeführt: Minen, Marschflugkörper (die mit Geländehöhenvergleich oder Bilderkennung navigieren), zielsuchende Submunition. Der Angriff der USA auf ein Auto im Jemen mit einem von einer Predator-Drohne abgeschossenen Hellfire-Flugkörper, bei dem sechs mutmaßliche Al-Qaida-Terroristen getötet wurden, deutet an, was Kampfroboter bewirken können.2
Auf dem zivilen Markt gibt es schon Roboter zum Rasenmähen, und die ersten selbständigen Staubsauger werden gerade angeboten. Auch elektronische Spieltiere und -puppen sind erhältlich. Es wird sicher noch über zehn Jahre dauern, bis Serviceroboter komplizierte Aufgaben wie Geschirr spülen oder Bettwäsche wechseln erfüllen können. Wenn im zivilen Leben einfache Haushalts- u.a. Arbeiten in breitem Umfang durch Roboter erledigt werden, wird man den Streitkräften kaum verwehren können, sie auch beim Kasernenputzen oder zum Transport von Munitionskisten einzusetzen. Robotern aber wichtige Funktionen im Krieg zu übertragen oder sie gar für den Kampf einzusetzen, das wäre weit mehr als der »normale« technische Fortschritt bei den Gewaltmitteln. Das spüren auch Militärautoren, wenn sie z.B. schreiben: „Über technische Hindernisse hinaus stellt die Möglichkeit wirksamer Schlachtfeldroboter eine ganze Reihe strategischer, operativer und ethischer Probleme, insbesondere wenn oder sobald Roboter vom Tragen zum Töten übergehen. Die Vorstellung eines tötenden Systems ohne direkte menschliche Kontrolle ist erschreckend.“3 Auch das Rüstungskontrollproblem wird benannt: „Die Überwachung der Rüstungskontrollbezüge (von unbemannten Kampfflugzeugen – Unmanned Aerial Combat Vehicle – UCAV, J.A.) sollte auf der Prämisse basieren, dass der UCAV-Entwurf genügend fortgeschritten ist um zu schließen, dass sich diese Systeme für Rüstungskontrollzwecke an Kampfflugzeuge und nicht an Marschflugkörper anschließen. UCAVs mögen schließlich dem KSE-Vertrag unterliegen, sollten aber nicht unter den INF-Vertrag fallen. Ob UCAVs als Kampfflugzeuge oder als neue Waffenkategorie angesehen würden, ist noch nicht entschieden.“4 Auch die Exportkontrolle sowie die Einbindung in die Flugsicherung wurden als Probleme benannt.5
Informatik und Computertechnik gewannen seit dem Zweiten Weltkrieg für das Militär zunehmend an Bedeutung (vgl. Keil-Slawik 1985; Eurich 1991; Bernhardt & Ruhmann 1991). Der Fokus lag dabei zum einen auf der Waffenentwicklung (z.B. ballistische Berechnungen, Raketensteuerung, »intelligente« Landminen), zum anderen in der Verteilung und Verarbeitung von Informationen (z.B. Aufklärungssysteme, Frühwarn- und Entscheidungssysteme). Auch das auf den ersten Blick so zivil erscheinende Internet war nicht als zivile Einrichtung geplant, sondern entwickelte sich aus einem Projekt der 1957 auf Betreiben des US-Verteidigungsministeriums gegründeten »Advanced Research Projects Agency« (ARPA), welches das Ziel hatte, militärische Einrichtungen und rüstungsbezogene Forschungsinstitutionen zu vernetzen. Unter der Leitidee »Information Warfare« werden vielfältige Ansätze seit einem knappen Jahrzehnt zusammengefasst, intensiviert und erweitert. Recht unklar bleibt, welche Bedrohungen und Einsatzmöglichkeiten real und welche Fiktionen sind.
Anders als zu Beginn des »Informationszeitalters« ist das Militär zwar heute nicht mehr als der Protagonist der Informatik anzusehen, dennoch fließen noch immer erhebliche Mittel aus militärischen Quellen. Vor allem prüft das Militär informationstechnische Entwicklungen umgehend auf ihre Verwendbarkeit. Die Bedeutung der Informationstechnik für »moderne Kriege« ist in der militärischen Aufklärung sowie bei Planung, Koordination und Durchführung von Kampfeinsätzen immens gestiegen. Insofern richten sich strategische Planungen heute immer auch gegen die informationstechnische Infrastruktur des jeweiligen Gegners.
Von den Medien kaum beachtet, war der Golfkrieg 2003 ein Test für den militärischen Einsatz von Informationstechnik, die einen erheblichen Anteil an der technischen Überlegenheit der US-Truppen hatte. Soweit dies den Medienberichten zu entnehmen ist, spielten die dem IT-Einsatz zugeschriebenen militärischen Fähigkeiten auch eine große Rolle bei den politischen Überlegungen zur Durchführbarkeit im Vorfeld des Konflikts und den Schlussfolgerungen für den zukünftigen Einsatz militärischer Macht. Im folgenden sollen daher aus einer bewusst vorsichtigen Auswertung von Medienberichten einige Implikationen für die sicherheitspolitischen Konsequenzen des zurück liegenden Krieges abgeleitet werden.
Der Golfkrieg 1991 machte den Computer in »intelligenten« Waffensystemen zu einem der entscheidenden Teile militärischer Technik. Der Krieg wurde zu über 90% mit herkömmlichen Waffen geführt. Zur Demonstration alliierter Überlegenheit berichteten die Medien jedoch über jene 10% der Luftangriffe, die mit High-Tech-Waffen durchgeführt wurden. In der nach drei Wochen begonnenen, kurzen alliierten Bodenoffensive lieferten sich die dem irakischen Rückzug aus Kuwait nachsetzenden Alliierten mit den Irakern einige wenige größere Gefechte in einem Gelände, das für den Einsatz massiver Feuerkraft geeignet war. Bevor es zu langwierigen Bodenkämpfen kommen konnte, wurden die Kampfhandlungen beendet. Der Bodenkrieg und die Folgen blieben medial weitgehend unsichtbar.
Seit Ende des Kalten Krieges ist die europäische Rüstungsindustrie zu einem transnationalen Netzwerk aus Beteiligungen und Joint Ventures zusammengewachsen.1 Diese Strukturveränderung beeinflusst auch das Verhältnis zwischen nationalen Regierungen und der Industrie. Einerseits ist es nicht gelungen, das volle Potenzial der Internationalisierung für den Abbau von Überkapazitäten zu realisieren. Andererseits verschlechtert sie die Transparenz der Rüstungsproduktion, gibt den großen Rüstungskonzernen gesteigerte Marktmacht und könnte zu einer Aushöhlung der Exportkontrollpraxis führen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten die westeuropäischen Staaten ihre Rüstungsproduktion auf nationaler Ebene. Der Sektor war durch Artikel 223 der Verträge von Rom und später durch Artikel 296 der Amsterdamer Verträge von der Liberalisierung des Binnenhandels ausgeschlossen. Nach Ende des Kalten Krieges hinterfragten die europäischen Regierungen dieses System. Das hatte drei Gründe. Erstens verteuerte sich der Preis anspruchsvoller Militärtechnik immerfort. Staaten konnten es sich gar nicht mehr leisten, die gesamte Palette an Waffensystemen in Eigenregie herzustellen. Zweitens sanken die Beschaffungshaushalte, nachdem die Gefahr einer sowjetischen Invasion gebannt war. Regierungen bestellten immer geringere Stückzahlen der sich verteuernden Waffensysteme, was den Einzelpreis weiter in die Höhe trieb. Drittens hatte die liberale Wirtschaftspolitik der 80er Jahre ein Klima geschaffen, in dem die strikte Regulierung des Rüstungssektors zunehmend als anachronistisch angesehen wurde.
Ihr Geschäft ist der Krieg – Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge – alles in einer Hand. Private Militärfirmen tauchen immer häufiger in den Kriegen und Konflikten als Akteure auf, nicht unbedingt an vorderster Front.1 Fast jede größere militärische Operation im letzten Jahrzehnt hat ein stets wachsendes Engagement privater Militärfirmen hervorgebracht. Manche Armee kommt ohne die privaten Militärfirmen nicht mehr aus. Zwar unterliegt der Sicherheitsbereich in vielen Ländern demokratischen Kontrollen, doch die Kommerzialisierung und die Internationalisierung der Sicherheit rüttelt an der Effektivität dieser Kontrollen.
Die Ursachen für diesen, seit einigen Jahren zu beobachtenden neuen Trend sind vielfältig. Mindestens fünf Gründe spielen eine zentrale Rolle:2
Der Einfluss von Reformnetzwerken und Elitenkartellen
Die Rio-Konferenz von 1992 dürfte als Einschnitt in die Geschichte der Weltpolitik eingehen. Hier bezog eine von den Staaten getragene Institution ganz offen private Akteure in den politischen Prozess ein. Private Unternehmen, zusammengeschlossen im »Business Council on Sustainable Development«, propagierten in Rio erfolgreich marktwirtschaftliche Lösungen für ökologische Probleme, während ein buntes Bündnis gemeinnütziger Nichtregierungsorganisationen (non-governmental organizations, NGOs) nachhaltige Entwicklung mit der breiten Mobilisierung der Gesellschaften im Rahmen der Agenda 21 verknüpfen konnte. Einen der größten friedenspolitischen Erfolge erzielten private Netzwerke einige Jahre später, als sie im Verbund mit reformwilligen Staaten die Konvention zum Verbot der Anti-Personen-Minen durchsetzen konnten. Doch der Einfluss privater Akteure wird kontrovers beurteilt. Auf der einen Seite steht das Argument, dass durch Vernetzung und Partnerschaft staatlicher und nichtstaatlicher Akteure die Handlungsmöglichkeiten der Politik jenseits der Nationalstaaten erweitert werden. Auf der anderen Seite wird befürchtet, dass sich private Akteure ohne demokratische Legitimation – und möglicherweise zum eigenen Nutzen – in Weltpolitik einmischen und durch public-private partnership die staatlichen Akteure allzu leicht aus ihrer Verantwortlichkeit entlassen werden. Die hier vertretene These lautet, dass privates Engagement in der Weltpolitik eines öffentlichen Rahmens bedarf, damit die Beteiligung privater Akteure zu einer fairen und gerechten Weltpolitik führen kann. Da dieser Rahmen aber weitgehend fehlt, sind private Netzwerke in der Weltpolitik derzeit eher als neokorporatistische Elitenkartelle zu betrachten.
Es ist offenkundig, dass Weltpolitik längst nicht mehr nur eine Sache der durch Regierungen und internationale Organisationen vertretenen Staaten ist (Brühl et al. 2001). Private Akteure partizipieren an globalen Entscheidungsprozessen und an der Umsetzung von Weltpolitik auch dann, wenn es um Krieg und Frieden und damit um den Kernbereich staatlicher Souveränität geht. Bereits einer der Pioniere der privaten Weltpolitik, das »Internationale Komitee vom Roten Kreuz«, ein privater Schweizer Verein, engagierte sich für den Frieden, indem er sich für das humanitäre Kriegsvölkerrecht einsetzte. Heutzutage drängen miteinander vernetzte NGOs die Staaten dazu, globale Standards nicht nur durch die Ächtung von Anti-Personen-Minen zu setzen, sondern auch durch die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs oder die internationale Kontrolle von Kleinwaffen. Privatwirtschaftliche Akteure setzen jenseits staatlicher Politik selbst Standards, wenn sich z.B. Unternehmen durch Verhaltenskodizes zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards verpflichten oder sich Konsumenten an »ethischen Produkten« orientieren. Auch an der Umsetzung der Weltpolitik beteiligen sich private Akteure, indem Privatpersonen Friedensschlüsse vermitteln, NGOs die Einhaltung der Menschenrechte überwachen und die Durchführung demokratischer Wahlen beobachten oder private Träger eine immer größere Verantwortung bei der Durchführung der Entwicklungs- und Nothilfe übernehmen.
Beim Irakfeldzug vergaß Blair wichtige Lehren aus Nordirland
In vielerlei Hinsicht mag ein Vergleich der Abrüstungsstrategien in Nordirland und gegenüber dem Irak als unangemessen erscheinen, da Wesen und Ausmaße beider Konflikte sehr verschieden sind: Zum Glück war und ist Gerry Adams nicht Saddam Hussein, Semtex ist nicht Anthrax oder VX, und Nordirland ist ein wesentlich unbedeutenderer Fleck (kolonialer Geschichte) als der Irak in der heutigen Welt globaler Interessen.
Betrachtet man die Politik und die Methoden der britischen Regierung in diesen beiden Konflikten genauer, so fällt auf, dass Tony Blair in seinem höchst kontroversen Kurs der Unterstützung des Irak-Krieges, der zu einer schweren Vertrauenskrise innerhalb seiner eigenen Partei führte, einen Weg eingeschlagen hat, der erheblich von den strategischen Entscheidungen abweicht, welche in Nordirland in den neunziger Jahren getroffen wurden.
Überwog nach der Auflösung des »Warschauer Paktes« die Hoffnung auf eine weitgehende und umfassende Entspannungspolitik, so scheint seit dem 11. September 2001 die Welt für die Geostrategen wieder in Ordnung zu sein. Der »Kampf gegen den Terror« weitete sich aus zum »Kampf von Gut gegen Böse«, und die dominierende Supermacht USA entwickelte eigene Vorstellungen von Hegemonie. Das Neue an der Doktrin, die gegen den internationalen Terrorismus gerichtet sein soll, ist, dass der Zeitrahmen, die Ziele und der Aktionsradius offen sind. Neben den völkerrechtlich umstrittenen Fragen dieses Konzeptes, welches aus der Mottenkiste des imperialistischen Zeitalters zu entstammen scheint, finden Methoden Anwendung, die eine Abkehr vom Rechtssystems – sowohl in den USA, als auch in Europa – bedeuten. Da die Attentäter des 11. Septembers keine Christen waren, sondern der islamischen Glaubensgemeinschaft angehörten, geriet eine ganze Weltreligion und Religionsgemeinschaft in Verruf. Nach dem verloren gegangenen Feindbild des internationalen Kommunismus, wurde der Islam zum willkommenen Ersatz. Dies obwohl gerade islamistische Hilfstruppen nach 1945 den US-Amerikanern im Kampfe gegen den Kommunismus willkommene Partner waren und oft genug als 5. Kolonne hilfreiche Dienste leisteten. An Afghanistan, einem Musterbeispiel für »zerfallene Staaten«, können die Entwicklung und die Konsequenzen dieser Form der Terrorbekämpfung punktuell nachgezeichnet werden. Vergegenwärtigt man sich den Verlauf des »ersten Feldzuges gegen den Terror« (enduring freedom), so ist die Bilanz nach 18-monatigem Wiederaufbau und Staatsbildungsprozess aber ernüchternd.
Die Worte des US-Präsidenten Bush, nach den schockierenden Bildern der brennenden und einstürzenden Twin-Tower, „wir befinden uns im Krieg“, wurden schnell in die Tat umgesetzt. Die ersten Vermutungen über die Urheber führten in den Nahen und Mittleren Osten, auf Osama bin Ladin und seine Basis al-qa’ida. Als aus den Vermutungen Gewissheit wurde, beschlossen die USA und die NATO den Verteidigungsfall. Es fand sich eine breite »Allianz gegen den Terror«, die im Krieg gegen Afghanistan das geeignete Mittel der Terrorismusbekämpfung sah.
In den Augen der neokonservativen Hardliner um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney, den wirklich mächtigen Männern im Weißen Haus, ist der völkerrechtswidrige Angriffkrieg gegen den Irak nur eine Zwischenstation in einem groß angelegten Feldzug zur Absicherung der globalen US-Hegemonie. Allerdings geriet dieser Feldzug bereits im Vorfeld des Angriffs auf Bagdad erheblich ins Stocken. Die Begründungen für ein militärisches Eingreifen – irakische Verbindungen zu Terrornetzwerken und der Besitz von Massenvernichtungsmitteln – waren wenig glaubwürdig und damit innenpolitisch nur schwer und international überhaupt nicht vermittelbar. Die angeblich vom Irak ausgehende, akute Bedrohung der Vereinigten Staaten vermochte kaum jemand zu erkennen. Das gilt auch für die anderen in der Diskussion befindlichen Kriegsziele, von Nordkorea über Syrien bis zum Iran. Die Hardliner laufen damit Gefahr, dass durch die Anschläge des 11. September entstandene Momentum für ihre Kriegspolitik einzubüßen. Vor diesem Hintergrund sieht Jürgen Wagner in der gegenwärtigen Debatte über »Liberalen Imperialismus« den Versuch zur geschickteren Legitimation US-amerikanischer Kriegspolitik.
Max Boot, einer der einflussreichsten neokonservativen Ideologen, brachte es auf den Punkt: „Ein anderer Begriff, für dass was wir tun ist übrigens liberaler Imperialismus.“1 Dieser Schwenk zum »Liberalen Imperialismus« ist für die Neokonservativen aus mehreren Gründen überaus attraktiv: Erstens reaktiviert er das traditionell starke amerikanische Sendungsbewusstsein und verleiht somit der augenblicklichen imperialen Kriegspolitik den dringend benötigten moralischen Deckmantel. Zweitens findet er sowohl bei Konservativen als auch bei Liberalen Unterstützung. Und drittens legitimiert er ein zeitlich wie räumlich nahezu unbegrenztes militärisches Engagement zur Wahrung der US-Vorherrschaft, wie es von Neokonservativen seit Jahren gefordert wird.
Der Irak besitze und produziere Massenvernichtungswaffen, behauptete die Bush-Regierung, und in der möglichen Weitergabe an Terroristen sah sie eine Gefahr für die gesamte »zivilisierte Welt«. Eine Kriegsbegründung, für die von den UN-Inspekteuren keine Beweise vorgelegt werden konnten. Die Suche nach ABC-Waffen im Irak verläuft auch weiterhin erfolglos, gleichzeitig gibt es aber aus den USA neue Nachrichten über eine aktive Biowaffenforschung und die Patentierung einer Granate, die auch für den Einsatz biologischer Kampfstoffe geeignet ist und damit gegen das Biowaffen-Übereinkommen verstößt.
Während wir aufgrund der Arbeit der UN-Inspektoren in den 1990er Jahren heute mit Sicherheit wissen, dass der Irak bis 1991 ein aktives Programm zur Entwicklung und Produktion von atomaren, chemischen und biologischen Waffen betrieben hat, lässt sich nach wie vor nicht sagen, ob diese Programme nach 1991 weitergeführt worden sind. Der Irak hat dies immer bestritten, der Überläufer Hussein Kamal, ein Schwiegersohn Saddam Husseins, hat nach seiner Flucht aus dem Irak 1995 den Waffeninspektoren versichert, dass die Programme alle 1991 auf Befehl von ganz oben eingestampft worden seien, und auch die jetzt von der US-Armee gefangen genommenen irakischen Waffenspezialisten scheinen unisono zu versichern, dass es dort nichts mehr zu finden gibt. Bislang jedenfalls haben die US-Suchtrupps keine signifikanten Ergebnisse vorgelegt.
Die zeitliche Abfolge der Ereignisse ab dem 19. Mai 2003 war wohl eher Zufall, trotzdem macht es Sinn, sie politisch zusammen zu bewerten: Am 19. Mai 2003 hielt Johannes Rau seine »Berliner Rede«, diesmal eine außenpolitische Grundsatzrede, ebenfalls am 19. Mai wurde die neue EU-Interventionstruppe für teilweise einsatzfähig erklärt, am 21. Mai stellte Verteidigungsminister Peter Struck die schon länger erwarteten neuen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« vor, am gleichen Tag einigten sich SPD und CDU/CSU auf die Grundlinien eines so genannten Bundeswehr-Entsendegesetzes und ebenfalls am 21. Mai genehmigte der Bundestags-Haushaltsausschuss mit den Stimmen aller Fraktionen den Kauf von 60 Militär-Airbussen 400 M für insgesamt 8,3 Milliarden Euro. Eine wahrhaft militärisch dominierte Woche. Politisch zentral war die Vorlage der neuen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« (VPR).
Mit den Worten „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“ kündigte Peter Struck im Bundestag am 05.12.2002 neue »Verteidigungspolitische Richtlinien« (VPR) für Frühjahr 2003 an. Wegen des Irakkrieges wurde die Vorlage verschoben. Am 25.04.2003 veröffentlichten die Tageszeitungen »Die Welt« und »Süddeutsche Zeitung« jeweils Auszüge aus einem Entwurf der »Verteidigungspolitischen Richtlinien«. Am meisten Schlagzeilen machte dabei der im Entwurf formulierte geplante Einsatz der Bundeswehr im Innern.
Anfang Februar 2003, zwei Tage nach dem Absturz des Space Shuttle Columbia, zeigten die Nachrichten in den USA eine gespenstisch anmutende Szene: Spezialisten in Schutzanzügen, Gasmasken vor dem Gesicht und Sauerstoffgeräte auf dem Rücken, überprüften mit Geigerzählern Anwohner auf radioaktive Verstrahlung, die zuvor mit Trümmerstücken der Raumfähre in Kontakt gekommen waren. Die US-Weltraumbehörde NASA (National Aeronautics and Space Administration) hatte die lokalen Suchtrupps angewiesen, potentiell radioaktiveÜberbleibsel des Unglücks mit höchster Priorität aufzuspüren. Die Bilder schienen zu bestätigen, was Sheriff Thomas Kerss von Nacogdoches, Texas, am Tag zuvor im National Public Radio bekannt gegeben hatte: „An Bord des Raumschiffs war radioaktives Material.“ Auf Nachfragen alarmierter Journalisten und verängstigter Anwohner versuchte die NASA später das Problem herunterzuspielen. Wenige Gramm Americium seien in Rauchmeldern enthalten, das Problem vernachlässigbar klein. Der Aufwand zur Messung von Radioaktivität spricht allerdings gegen diese Variante.1
Radioaktive Verseuchung als Folgeschäden von Weltraummissionen, ein solches Szenario wird seit langem von kritischen Wissenschaftlern, Friedensgruppen und Umweltexperten befürchtet. Schließlich umkreisen nicht nur mehrere hundert Kilogramm Plutonium und fast eine Tonne Uran die Erde als Erblast aus Weltraumissionen der Vergangenheit, der US-Haushalt hält auch mehrere Milliarden Dollar bereit für nukleare Weltraumtechnologien der Zukunft.
Rebecca Johnson, langjährige Beobachterin der diplomatischen Verhandlungen in Genf, beschrieb die Arbeit der Diplomaten einmal als ein „rearranging deckchairs on the Titanic“. Ein Bild, dass zur Tagung des Vorbereitungskomitees zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (NPT PrepCom, Genf, 28. April bis 9. Mai 2003) passt: Außer einem verbalen Schlagabtausch zwischen USA und Iran dominierte diplomatische Gelassenheit, so als ob niemand zur Kenntnis nehmen will, dass der Atomwaffensperrvertrag langsam aber sicher auf seinen Untergang zusteuert. Nordkoreas Kündigung ist hier nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Durch die US-Strategie des präventiven Krieges, die Aufhebung der Sicherheitsgarantien, die Entwicklung neuer Atomwaffen und die Nichterfüllung der Verpflichtung der A-Waffen besitzenden Staaten abzurüsten, droht dem Vertrag das endgültige Aus.
In W&F 2-2003 berichtete Dieter Bricke über einen Kongress der Petra-Kelly-Stiftung (6. und 7. Februar 2003 in München) zum UN-Konzept der menschlichen Sicherheit. Die Veranstalter gingen davon aus, dass es – angesichts der Rechtfertigung von Präventivkriegen durch Sicherheitspolitiker – erstrebenswert sei, den für den Normalbürger zentralen Begriff der Sicherheit mit neuen Impulsen zu füllen. Unsere Autorin hat sich auf dem Kongress mit einer kritischen Position in diese Debatte eingemischt. Wir dokumentieren hier ihren Beitrag.
Was tun wir eigentlich, wenn wir grundlegende und völlig verschiedene Aspekte menschlichen Lebens wie Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung, Armut oder Verletzung von Menschenrechten in einen Sicherheitszusammenhang stellen? Was tun wir, wenn wir das Wort Sicherheit benutzen? Wer oder was macht einen Sachverhalt zu einer Sicherheitsfrage? Welche Konsequenzen sind damit verbunden, wenn ganz unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche in einen Sicherheitskontext gestellt werden? Welche Absichten sind damit verbunden? Und welche politische Wirkung entfaltet ein solchermaßen erweiterter Sicherheitsbegriff? Der Beantwortung dieser Fragen werde ich mich in vier Thesen nähern: