Zur Situation nach dem Gazakrieg

Zur Situation nach dem Gazakrieg

Stimmen zur Diskussion

von Daniel Bar-Tal und Amr Hamzawy

Der jüngste Gazakrieg hat die Gewaltspirale im israelisch-palästinensischen Konflikt erneut gesteigert; die Aussichten auf eine friedliche Konfliktbearbeitung scheinen weiter entfernt denn je. Als Beitrag zur Diskussion druckt W&F die folgenden beiden Beiträge ab: Der offene Brief des israelischen Sozialpsychologen Daniel Bar-Tal basiert auf einem Brief des Autors nach dem Ende des jüngsten Gazakriegs u.a. an Kollegen vom Forum Friedenspsychologie. Bar-Tal verbindet den Ausdruck persönlicher Betroffenheit und eines fast verzweifelten Friedensengagements mit einer scharfsichtigen Auseinandersetzung mit der fatalen Entwicklung. Der Beitrag von Amr Hamzawy, einem Forscher am Carnegie Endowment for International Peace, erschien Mitte Februar in der wöchentlichen Online-Ausgabe der ägyptischen Zeitung Al-Ahram. Darin befasst sich der Politikwissenschaftler mit der Mitverantwortung der Hamas für die Konflikteskalation. Die Zwischenüberschriften wurden jeweils von der Redaktion eingefügt.

Offener Brief – aus Vernunft und Gefühl

von Daniel Bar-Tal

Liebe Freunde, dies ist wahrscheinlich die schwierigste Zeit in meinem politischen Leben als Jude im Staate Israel. Das Kriegsgeschehen in Gaza hat die Grundfesten meiner Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern in naher Zukunft schwer getroffen. Das Gefühl von Verzweiflung wird verstärkt durch die Ergebnisse der jüngsten Wahlen, bei denen die Mehrheit der jüdischen Gesellschaft in Israel für rechte Parteien gestimmt hat, die sich dem Gedanken widersetzen, das Land zwischen beiden Nationen aufzuteilen.

Auch wird mein Glaube an die menschliche Natur erschüttert, wenn ich sehe, mit welcher Leichtigkeit sich Menschen zum Kriegführen zusammenschließen, blindem Patriotismus aufsitzen, Rachebedürfnisse zum Ausdruck bringen, den Gegner delegitimieren und Abgestumpftheit für menschliches Leben entwickeln, Verantwortung verweigern, Selbstgerechtigkeit und moralische Selbstermächtigung zur Schau tragen. Das alles im Gegensatz zu den großen Schwierigkeiten, Menschen für den Frieden zu mobilisieren. Wir sehen immer wieder, dass es Jahre dauert und viel Anstrengung erfordert, Leute vom Frieden zu überzeugen, während sie außerordentlich rasch von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen sind und es noch viel schwieriger ist, moralischen Überlegungen Geltung zu verschaffen.

Ich habe mich wochenlang mit der Frage gequält, ob ich einen offenen Brief schreiben sollte. Ich konnte mich nicht zum Schreiben aufraffen, fühlte mich hilflos. Nur das Gefühl, verantwortlich dafür zu sein, dass eine Gegenstimme gegen die offiziell vertretene und von den meisten israelischen Juden mit getragene Sicht der Dinge erhoben wird, brachte mich dazu, diesen Brief zu schreiben. Man sollte wissen, dass es nur eine kleine Minderheit unter uns Juden in Israel gibt, die überhaupt moralische Probleme sehen und die sich diesem Krieg widersetzt haben. Doch mehr von uns haben für Parteien gestimmt, die den israelisch-palästinensischen Konflikt friedlich lösen möchten.

Was zu sagen bleibt

Was soll man sagen, wenn man weiß, dass etwa 1.300 Palästinenser umkamen – zumindest die Hälfte davon unschuldige Zivilisten, Kinder, Frauen und alte Leute –, dass mehr als 4.000 Personen verletzt wurden, Tausende Wohnungen zerstört sind und Zigtausende Menschen obdachlos? Und dass auf israelischer Seite 13 Personen getötet wurden, darunter drei Zivilisten, Hunderte verwundet wurden und Tausende vor den Hunderten Raketen flüchten mussten, die auf Israel niedergingen?

Ich könnte die Argumente der israelischen Regierung wiederholen: Dass über die Jahre viele Hundert Raketen auf israelisches Gebiet um Gaza abgefeuert wurden, auch auf dicht bevölkerte Siedlungen. Dass keine Regierung es hinnehmen kann, dass ihre Bürger verletzt und geschädigt werden. Dass „Israel nach acht Jahren der Zurückhaltung beschlossen hat, etwas gegen die Terrorattacken aus dem Gaza-Streifen zu unternehmen“ und dass „Israels Zurückhaltung von der Hamas und von Vertretern der Iran-geführten vertikalen Achse des Extremismus als Schwäche missverstanden wurde …“. Dass „Israel in gegenseitigem Einvernehmen erreicht hatte, dem Frieden eine entscheidende Chance zu geben, als es im Juni 2008 dem von Ägypten vermittelten Waffenstillstandsabkommen zustimmte, dessen Bedingungen jedoch wiederholt von der Hamas verletzt wurden.“ Schließlich ist es doch nur natürlich, dass Leute, die Soldaten in einen Krieg schicken, diesen Krieg verteidigen und rationalisieren – ein sehr menschliches Verhaltensmuster.

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Selbst wenn man den komplexen Hintergrund außer Betracht lässt, erklären diese Argumente der Israelis nicht das ganze Ausmaß ziviler Verluste und Zerstörungen auf palästinensischer Seite. Brutalität und Umfang der israelischen Maßnahmen lassen tiefere, in dunklen Bereichen des Menschen wurzelnde Ursachen erkennen. Darin kommt der Wunsch zum Ausdruck, das Versagensgefühl während des Zweiten Libanonkriegs im Sommer 2006 auszutilgen. Sie spiegeln ein tief sitzendes kollektives Opferbewussteins wider angesichts des anhaltenden Raketenbeschusses auf zivile Niederlassungen im Süden durch den militärischen Flügel der Hamas – und dieses Opferbewusstsein führte zu einem Bedürfnis nach Rache und Vergeltung für den zugefügten Schaden und nach Vorbeugung gegen weiteren Beschuss. Hinzu kommt die fortgesetzte Entmenschlichung der Hamas und ihrer Unterstützer als homogene terroristische Größe. Und schließlich liegt die Überzeugung zugrunde, dass Israel sich 2005 aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen hat, um die Palästinenser ihr Leben leben zu lassen, während diese sich daran machten, israelische Zivilisten durch Raketenbeschuss zu terrorisieren.

Doch die Wirklichkeit ist viel komplexer als die vom politischen und militärischen Establishment fortgesponnene Geschichte, die das öffentliche Bewusstsein der israelischen Juden so erfolgreich in Beschlag genommen hat. Es ist schon eine Ironie, da eins der Kriegsziele darin bestand, das Bewusstsein der Palästinenser zu »formen«, so dass sie den Schaden erkennen würden, den die Hamas ihrer eigenen Sache und ihrem Leben zufügte. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Ganz im Gegenteil, der Krieg hat den wechselseitigen Hass und das Misstrauen zwischen beiden Völkern intensiviert, die Falken-Mentalität auf beiden Seiten bestärkt und den Friedensprozess letztendlich noch mehr beschädigt. Es ist zudem kaum möglich, irgendeinen politischen Nutzen für Israel als Ergebnis dieses Krieges zu erkennen. Wir stehen – nach furchtbaren Verlusten und Zerstörungen – an den gleichen Frontlinien, an denen wir vor dem Krieg standen.

Situationsanalyse

Die psychologische Analyse der Situation belegt die selektive, voreingenommene und verzerrte Informationsübermittlung und -verbreitung durch die israelischen Medien, die auf palästinensischer Seite wahrscheinlich nicht anders abläuft. Das besagt nicht, dass es keine Gegeninformation in Israel gibt; doch nur sehr wenige interessieren sich dafür, was wirklich geschieht. Die meisten israelischen Juden wissen daher nicht, was Israel in den Jahrzehnten der Besetzung Gazas angerichtet hat. Sie wissen nicht, dass die Hamas ursprünglich von israelischen Behörden gegründet wurde als Alternative zur PLO. Sie wissen auch nicht, dass die Hamas eine religiös-fundamentalistische Bewegung ist, die auch Wohlfahrts-, Gesundheits- und Erziehungs-Dienstleistungen für die Palästinenser erbringt. Die meisten Israelis haben vergessen, dass die Hamas auf demokratische Weise (auf Drängen der US-Regierung) dazu gewählt wurde, die Führung der Palästinenser-Regierung zu übernehmen – angesichts der Korruption der Fatah und vor allem, weil die fruchtlosen Verhandlungen mit Israel zu keiner politischen Konfliktlösung führten. Die meisten israelischen Juden erinnern sich auch nicht, dass die Politik des »Kein Partner auf palästinensischer Seite« des früheren Premier Ariel Sharon zum einseitigen, mit der Palästinenser-Regierung nicht ausgehandelten Abzug aus Gaza geführt hat – zwecks Delegitimierung der Palästinenserbehörde und im Versuch, die Kontrolle über die Westbank aufrechtzuerhalten. Um die jetzige Situation zu verstehen, muss man wissen, dass dieser Abzug Gaza nicht befreit hat; vielmehr hat Israel eine Belagerung über Gaza verhängt und das Land in ein großes Gefängnis verwandelt. Israel kontrolliert den Zugang zu Gaza und alle Lebensbereiche in dem Gebiet. Man wollte die Unterstützung für die Hamas durch eine Belagerung schwächen, die Leben nur auf niedrigstem Niveau erlaubt und Gaza in eine ökonomische Katastrophe geführt hat. Fast jeder israelische Jude weiß, dass die Hamas auch nach dem Abzug immer wieder Raketen auf ziviles israelisches Siedlungsgebiet abgefeuert hat, aber nur wenige wissen, dass von 2005 bis 2008 Hunderte Palästinenser von den israelischen Streitkräften getötet wurden. Wenige wissen auch, dass die Tunnels in der Hauptsache gebaut wurden, um zivile Güter einzuschmuggeln, die nicht anders nach Gaza geschafft werden konnten – und keineswegs nur Waffen, wie die meisten glauben. Sehr wenige wissen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen israelischer und palästinensischer Gewalt. Man hält letztere für irrational, fanatisch und unmoralisch, während israelische Gewalt als defensiv, moralisch und gerechtfertigt gilt.

Wenig israelische Juden erkennen an, dass Israel zwei Jahre lang wenigstens zwei Strategien zur Verfügung standen, um eine weitere Eskalation zu verhindern: Man konnte, was durchaus möglich ist, mit der Hamas reden und einen Waffenstillstand für eine längere Zeit aushandeln. Oder man konnte – z.B. indem man die Lebensbedingungen der Palästinenser erleichterte durch Aufhebung vieler Kontrollpunkte und durch Räumung illegaler Siedlungen entsprechend den Zusagen, die man den Vereinigten Staaten gemacht hatte – entschieden im Sinne des Friedens gegenüber Präsident Mahmud Abbas und der Palästinenserbehörde handeln, um den Palästinensern zu zeigen, dass der Friedensprozess greifbar Früchte trägt, zu Wohlstand und Sicherheit führt.

Selbst wenn wir uns nur auf die Zeit unmittelbar vor dem Krieg beziehen, wissen die meisten israelischen Juden nicht, dass es durchaus möglich war, eine Fortsetzung des Waffenstillstands auszuhandeln. Sie haben vergessen, dass Israel den Waffenstillstand am 4. November 2008 durch Töten von 6 Palästinensern gebrochen hat. Die Hamas – als fundamentalistische religiöse Organisation, die auch Terror praktiziert – ist nicht mein Geschmack. Sie ist aber auch eine soziale Bewegung mit breiter Unterstützung in der palästinensischen Gesellschaft, da sie eine Alternative bietet für die gedemütigte nationale Identität der Palästinenser. Diese Bewegung ist zudem keineswegs homogen und es ist möglich, unterschiedliche Stimmen herauszuhören, auch solche, die Verhandlungen mit Israel und die Zwei-Staaten-Lösung befürworten.

Konfliktkultur und Verantwortung

Alle diese Versäumnisse sind nicht wirklich überraschend in Anbetracht der Tatsache, dass beide Parteien tief verstrickt sind in eine Kultur des Konflikts. Man versucht ganz systematisch, das Meinungsklima der jeweiligen Gesellschaft zu prägen, indem man die eigene Gesellschaft als moralisch, friedliebend und gemäßigt hinstellt und die konkurrierende als unmoralisch, unversöhnlich, gewalttätig, irrational oder extrem. Hinzu kommt, dass jede Seite sich selbst als Opfer dieses Konflikts betrachtet. Dieser Prozess läuft seit Jahrzehnten ab. Nur während der wenigen Jahre von Yitzhak Rabin sah es so aus, als ob der Friedensprozess Schwung bekommen könnte. Aber seit 2000, als der damalige Premier Ehud Barak sich zur »Kein-Partner«-Politik entschloss, siecht er dahin.

Gewiss, die Palästinenser haben ihren Anteil am Scheitern des Oslo-Prozesses, aber die ungeheuere Machtasymmetrie lädt der israelischen Seite die Hauptverantwortung auf für die Fortdauer des Konflikts. Israel hält fast alle Karten zur Lösung in den Händen: Es hat das Land in Besitz genommen, verfügt über Ost-Jerusalem, kontrolliert das Leben der Palästinenser, kontrolliert die Ressourcen der Westbank, weitet die jüdischen Siedlungen immer tiefer in die Westbank aus, praktiziert nach eigenem Gutdünken Präventions- und Straf-Gewalt und genießt – zumindest bis jetzt – die fast bedingungslose Unterstützung der Supermacht.

Die Konturen einer möglichen Regelung des Konflikts sind mehr oder weniger klar. Wenn es dazu kommt, dann in Übereinstimmung mit den unter Clinton erarbeiteten Kriterien, entsprechend der Vereinbarung von Taba, gemäß der Genfer Initiative und gemäß der Arabischen Friedensinitiative. Israel wird sich zu den Grenzen von 1967 zurückziehen müssen, mit dem einen oder anderen Landtausch, um die bevölkerungsreichsten jüdischen Siedlungen jenseits der Grünen Linie halten zu können. Jerusalem wird geteilt werden. Die meisten jüdischen Siedlungen innerhalb der besetzten Gebiete sind aufzugeben. Das Flüchtlingsproblem muss auf dem Vertragsweg gelöst werden, durch Kompensation und Wiederansiedlung, vor allem innerhalb des zukünftigen palästinensischen Staates.

Der scheidende Ministerpräsident Ehud Olmert hat diese Grundsätze der israelischen Öffentlichkeit dargelegt, allerdings hat er keinerlei konkrete Maßnahmen zu ihrer Umsetzung eingeleitet. Obwohl man in der israelischen Öffentlichkeit die Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung sieht – aus Sorge wegen der demografischen Entwicklung – widersetzt man sich den besagten Prinzipien: Die meisten israelischen Juden erheben Einwände gegen die Teilung Jerusalems, gegen einen Rückzug auf die Grenzen von 1967 und gegen die Auflösung der meisten jüdischen Siedlungen in der Westbank. Ich muss zugeben: Ich kann mir keine israelische Regierung vorstellen, die etwa 60.000 jüdische Siedler aus der Westbank evakuieren würde. Seit dem Verfall des Friedenslagers im Jahr 2000 treibt die israelische jüdische Öffentlichkeit ununterbrochen in eine aggressiv-nationalistische Bewusstseinlage. Der jüngste Krieg hat dem Friedenslager einen weiteren Schlag versetzt, wie die Wahlergebnisse belegen.

Hoffen auf ein Wunder?

Diese Wahlergebnisse geben einmal mehr Aufschluss über die Situation des Friedenslagers. Die große Mehrheit der israelischen Juden glaubt, dass der Konflikt nicht zu lösen ist und wir demnach mit dem Schwert leben müssen. Die Schuld daran sieht man offensichtlich auf palästinensischer Seite.

Meine Hoffnungslosigkeit speist sich aus der enormen Kluft zwischen den kollektiven Überzeugungen der israelischen Juden und der Wirklichkeit. Die große Mehrheit glaubt, dass die israelischen Juden sehr human sind, dass die israelische Armee die moralischste Armee weltweit ist und die israelische Demokratie eine der stärksten Demokratien. Unter diesen Bedingungen ist kaum anzunehmen, dass typische israelische Juden sich dafür einsetzen werden, die Situation zu verändern. Sie üben sich stattdessen in Verleugnung, Projektion, Rationalisierung und so fort. Wie viele Juden in Israel wollen wirklich wissen, dass – gleich um die Straßenecke – Israel die kollektive Misshandlung eines Volkes im Rahmen einer lang anhaltenden Besatzung praktiziert? Wie viele wollen wirklich etwas wissen über die institutionalisierte Diskriminierung, die im Staat Israel gegen arabische Bürger dieses Staates praktiziert wird? So ist nicht verwunderlich, dass wir viel lieber über unsere eigene Opferrolle reden und vor allem über den Holocaust und über die zwei tausend Jahre Misshandlung durch die »Goyim« zu Zeiten der Diaspora, und dass wir jede Kritik an der Politik Israels als Ausdruck von Antisemitismus anklagen. Wie Mitglieder anderer Nationen sind israelische Juden hoch sensibel gegenüber Menschenrechtsverletzungen in anderen und durch andere Gesellschaften und verehren die, die sie zur Sprache bringen, haben aber große Schwierigkeiten, selbst in den Spiegel zu schauen und sich mit den eigenen Untaten auseinanderzusetzen. Das ist sicher charakteristisch für viele Nationen, aber zum Ende des 20sten und am Beginn des 21sten Jahrhunderts ist kaum eine zweite Nation zu finden, die sich für aufgeklärt hält und doch über mehr als 40 Jahre eine Besatzung aufrechterhält.

Der Rest wird in den Geschichtsbüchern stehen… Indes ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass dieser Krieg nicht unvermittelt ausbrach, sondern im Voraus geplant wurde – auch was Ausmaß, Art der Waffen usw. betrifft. Die Ergebnisse sind tragisch für beide Nationen. Wurden damit doch beiden Seiten eindeutige Belege dafür geliefert, dass die andere Seite böse und unmoralisch ist und man eine friedliche Lösung des Konflikts nicht erreichen kann. Demnach unterstützen israelische Juden wie Palästinenser kompromisslose politische Kräfte. Zur Zeit können hier und da einige von uns nur die Tragödie abschätzen, die Ereignisse erklären und entweder für ein Wunder beten, dass Kräfte von außen ins Spiel kommen und uns vor unseren schlimmsten Trieben bewahren, oder aber sich jenen anschließen, die sich um beide Gesellschaften große Sorge machen und den überaus schwierigen Kampf um eine friedliche und gedeihliche Zukunft fortsetzen. Ich wähle die zweite Alternative.

Ihr Daniel Bar-Tal

Daniel Bar-Tal ist Branco Weiss Professor of Research in Child Development and Education an der School of Education, Tel Aviv University; er war Präsident der International Society of Political Psychology und von 2001 bis 2005 Mit-Herausgeber des Palestine-Israel Journal.

Übersetzung: Albert Fuchs

Abweichende Meinungen zum Schweigen bringen

von Amr Hamzawy

Immer wenn sich eine arabische Stimme zu Wort meldet, die eine kritische Bewertung der taktischen Entscheidungen und des Vorgehens der Hamas sowie eine Untersuchung des Ausmaßes ihrer Verantwortung für den Tod und die Zerstörung einfordert, die während der israelischen Offensive auf Gaza niedergingen, wird diese erstickt durch Schreie der Entrüstung seitens der Produzenten der Erzählungen von Widerstand und Verweigerung und verdrängt durch ein Sperrfeuer von Andeutungen bezüglich Loyalität und Motiven. So unterschiedlich diese Antworten in der Tonlage, die von ruhig und besonnen bis hin zu hysterisch reicht, und in der inhaltlichen Substanz sind, die simplifizierende und richtig-gegen-falsch und gut-gegen-schlecht verabsolutierende Argumente sowie komplexere Diskurse umfasst, die auf sorgfältig ausgesuchte Belegstellen gestützt sind, um zu zeigen, dass die Hamas immer recht hat, so teilen sie doch drei grundsätzliche Meinungen, die zerlegt werden müssen, um zu verstehen wie sie hinsichtlich des Widerstandsnarrativs funktionieren und um in der Lage zu sein, sich mit ihren Produzenten an einer logische Debatte zu beteiligen.

Dogmatische Lesarten

Die erste bedingt die Delegitimierung jeden Argwohns, dass die Strategie und die Praxis der Hamas zu einer Dynamik beigetragen haben könnte, die zu dem Ansturm führte, der solch massive Zerstörung gebracht hat. Diese Einstellung gründet sich auf der unmissverständlichen Beharrlichkeit, nach der Israel als brutale Besatzungsmacht alleinverantwortlich ist. Diese Vorannahme hat zwei wichtige Folgen. Die erste entlastet die Hamas von jedem Verdacht, dass sie Tel Aviv einen Vorwand zur Kriegführung geliefert hat, nachdem sich die islamistische Bewegung geweigert hat, die Waffenruhe zu verlängern, und ein Sperrfeuer an Raketen nach Südisrael feuerte. Die Zionisten wären um Rechtfertigungen für ihre Aggressionsakte nie verlegen gewesen, lautet das Argument. Und es wird hinzugefügt, dass dieser Krieg bereits seit langem am Reißbrett vorbereitet worden sei und zu seinen Zielen gehört habe, die Hamas zu demontieren, weil diese ein Hindernis für jedes Siedlungsprojekt sei, dass die Rechte der Palästinenser schädige, die Abschreckungskraft Israels wiederzubeleben, die durch den Krieg im Libanon im Sommer 2006 unterminiert worden sei, und das öffentliche Ansehen der Kadima-Arbeiterpartei-Koalition im Vorfeld der Knessetwahlen zu fördern. Die logische Aussage ist, dass die Hamas recht daran getan hat, den Waffenstillstand angesichts seiner Verletzungen durch Israel und der grausamen und unerbittlichen Wirtschaftsblockade gegen die Bevölkerung in Gaza zu beenden.

Es geht mir nicht um Rechtfertigungen für Israels grausamen Krieg in Gaza. Ich habe keine Zweifel, dass die oben genannten Rechtfertigungen größtenteils stichhaltig sind. Dennoch verdeutlichen sie das Problem eines geschlossenen Paradigmas, das jedes eigenständige Element in der Interpretation politischer Ereignisse ausschließt und eine monolitische und tatsächliche a posteriori Lesart aufnötigt, die engstirnig gegenüber kontrafaktischen Belegen und gegenwärtigen Realitäten ist, die ein anderes Licht auf die Ereignisse, wie sie sich darstellen, werfen könnten. Der Krieg in Gaza, so diktiert es das Paradigma, war ein Beispiel für die Art der lange vorbereiteten Pläne, die Israel immer bereit hat, und jede behauptete Beziehung zwischen diesem Plan und dem Ende der Waffenruhe oder Tel Avivs Wahrnehmung einer Sicherheitsbedrohung durch Raketen auf Städte in Israels Süden ist nicht mehr als ein Vorwand. Die Zustimmung der Olmert-Regierung zum Waffenstillstand im Jahr 2008 war demnach lediglich ein taktischer Schritt zur Vorbereitung des Krieges, während sie auf einen geeigneten Moment zum Start des Angriffs wartete, der durch das politische Vakuum aufgrund des Übergangs einer abtretenden und einer neu kommenden Administration in den USA gegeben war. Dass Olmert einer Waffenruhe zustimmte, wird zum Beispiel nicht als Auftakt zu einem pragmatischen Versuch gelesen, zu einer minimalen Übereinkunft mit einer anstrengenden Widerstandsbewegung über ein Stück Land zu kommen, das Israel weder halten kann noch will. Dieser Sichtweise zufolge hätte der Krieg gegen die Hamas ohnehin stattgefunden und alle taktischen Wahlmöglichkeiten und Aktionen – die Wertung ihrer eigenen Interessen im Rahmen der Rivalität mit der Fatah und ihr Streben nach Machtkonsolidierung im Gaza-Streifen – spielten keine Rolle. So bleibt die Hamas über jeden Verdacht erhaben.

Lesart des Verrats

Die zweite Aussage, die die umfassende Entlastung der Hamas seitens der Produzenten des Widerstands-Narrativs unterstützt, verlangt, dass jeder außerhalb ihres Kreises jeden rationalen Gedanken und Argumentationsweise ablegt, wenn es um den Weg in den Krieg und seine tragischen Rückwirkungen geht. Sie machen sich über jede Kritik an der Hamas lustig, derzufolge diese nichts für eine Abwendung eines Krieges getan hat, von dem ihre Anführer wussten, dass Zivilisten einen enormen Preis würden zahlen müssen. Um solche Kritik abzuwehren, argumentieren sie, dass sie versäumt anzuerkennen, dass der Krieg unausweichlich war angesichts der Legitimtät der Widerstandsaktion gegen die Besatzer – und zwar jenseits möglicher Konsequenzen. Letzteres stellt eine radikale Abweichung von der politischen Rhetorik der Hizbollah dar, die die Planung, die Organisation, das Training und die Beschaffung von Waffen betont, um einen „bewussten, intelligenten Widerstand“ zu entwickeln. Jeder, der es wagt anzumerken, dass die Machtübernahme in Gaza, die Trennung von der Westbank und die Ausschaltung der Palestinänsischen Autonomiebehörde für ein starkes Desaster hinsichtlich der Führung des palästinensischen Kampfes um nationale Befreiung gesorgt hat, das ideale Bedingungen für Israel hervorgebracht hat, um den Westen davon zu überzeugen, dass Gaza nun ein Gebiet von Abtrünningen und Gesetzlosen ist, wird mit einem Hagel Spott begrüßt und – nicht selten – mit dem Bericht in »Vanity Fair« über die Dahlan-Verschwörung in Verbindung gebracht sowie der Geschichte wie Hamas seiner eigenen Ausschaltung dadurch zuvorkam, dass sie ihre Widersacher zuerst ausschaltete.

Und jeder, der es wagte anzumerken, dass Hamas die möglichen Verluste der Zivilbevölkerung und die materiellen Schäden nicht einkalkuliert hat oder darauf verwieß, dass die Rhetorik der Bewegung wärend des Krieges dies zum Ausdruck brachte und den Menschen in Gaza keine andere Wahl ließ als als das »Widerständige Volk« in einen Topf geworfen zu werden, wird als Kollaborateur und Entschuldiger Israels gezeichnet, den Scharfrichter mit dem Opfer verwechselnd, nur weil derjenige nahegelegt hat, dass Hamas in gewisser Weise für Tod und Zerstörung in Gaza verantwortlich war.

Zum Schweigen bringen

Die dritte Position ist möglicherweise die heimtückischste. Seine Vertreter ziehen sich den Mantel der Rationalität an, wenn sie jede Kritik an Hamas damit verurteilen, dass diese Kritik eine schädliche Abweichung vom religiösen und nationalen Konsens sei und im besten Falle als intellektuelle Spielerei zu bewerten sei, die auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben sei. Die Gefahr dieser Sichtweise ist, dass sie totalitäre Implikationen hat, indem sie jede Verwendung des Intellekts und jede freie Äußerung von Überzeugungen verbietet soweit es die Hamas und ihre Aktivitäten betrifft. Die Araber haben die Auswirkungen dieser Art des Schweigens lange erlitten. Nach dem Ausstellen eines Zertifikats, das Hamas von jeder Verantwortung für den Krieg in Gaza freispricht und die rationale Untersuchung der Handlungsmöglichkeiten und Aktivitäten der Bewegung suspendiert, insistieren die Produzenten der Widerstands-Erzählung auf einem anderen Typ von Ausnahme – die Freiheit der Gedanken und das Recht zur Differenzierung unterminierend.

Dr. Amr Hamzawy ist als Politikwissenschaftler an Universitäten in Kairo und Berlin tätig gewesen. Sein Interesse gilt der Dynamik politischer Partizipation in der arabischen Welt und der Rolle der islamistischen Bewegungen in der arabischen Politik. Er schreibt regelmäßig in den Tageszeitungen Al-Hayat und Al-Masry al Youm.
Übersetzung. Fabian Virchow

Ist der Feind friedlich entfeindbar?

Ist der Feind friedlich entfeindbar?

von Jaroslav Krejcí

Die naive fanatische Spaltung der Menschheit in Freunde und Feinde wurde bisher so leicht durchgeführt wie das Sortieren von Obst in gute und verdorbene Früchte. Der Freund war Träger des absoluten Humanismus, der Feind Träger der entarteten Grausamkeit und Unmenschlichkeit. Keine ewig rein guten oder absolut bösen Konstanten sind dem absolut menschlichen Freund noch dem vollkommen unmenschlichen Feind ein für allemal eigen. Freund wie Feind stellen bewegliche Tatsachen dar.

Die Auswirkungen der Feindschaft auf das Menschengeschlecht, auf die Staaten, die Nationen und auf die Psyche des Einzelnen sind in der Geschichte und in der Gegenwart ungleichartig interpretiert. In der Geschichte des menschlichen Denkens finden wir verschiedene Verteidiger der Feindschaft, die der Meinung sind, dass die Verfeindungsprozesse notwendig oder zweckmäßig sind und die in der Feindschaft zwischen den Menschen eine pädagogische, politische, wirtschaftliche und psychologische Funktion sehen. Die Freund-Feind-Polarisierung und Orientierung betrachten auch einige Philosophen und Denker als notwendiges, ja sogar als ewiges Phänomen. „Nie wird der Feind zum Freund, selbst im Tode nicht“, heißt es in der »Antigone« des Sophokles. Wir finden nicht nur solche Konzeptionen, die den Feind immer auf den Todfeind reduzieren und die Feindschaft als eine nekrophile kriegerische »Lebensweisheit« betrachten, sondern auch solche Modelle des Feindes, in denen dieser als ein Teil der echten Gemeinschaft charakterisiert ist. Feindschaft und Hass waren und sind auch zum Teil eine humane Empörung aus der Menschenwürde (E. Bloch). Beide entspringen auch aus der verwundeten Menschenliebe, aus Zorn über Unrecht, Grausamkeit und Missbrauch der Macht.

Alle Modelle der Feindschaft, die eine negative und destruktive Beziehung zum Feind ablehnen, ermöglichen heute, Bestandteile der Verfeindungs- und Entfeindungsprozesse innerhalb des Menschengeschlechts neu aufzufassen. In dieser Hinsicht erweist es sich als notwendig und aktuell, eine Feind-Feind-Unterscheidung in Betracht zu ziehen.

Feind-Feind-Unterscheidung in europäischen und deutschen Sprichwörtern über Feind und Feindschaft

Die Sprichwörter über die Feindschaft stellen nicht nur eine wichtige historische Quelle der Informationen über die Feindschaft dar. Sie geben auch heute noch Aufschluss über den Umgang mit Feind und Feindschaft.

In dem umfangreichen »Deutschen Sprichwörter-Lexikon« von Karl Wander finden wir 304 Sprichwörter über den Feind und die Feindschaft.1 Die meisten davon betreffen dieKompliziertheit. Die Verwicklung der Feindschaft lässt sich z. B. aus folgenden Sprichwörtern entnehmen: „Der Feind meines Freundes ist oft mein bester Freund“ (Sprichwort Nr. 241), „Der beste Freund wird oft der größte Feind“ (Nr. 65), „Freund der Person, der Sache Feind“ (Nr. 224).

Feinde sind so notwendig wie Freunde

Zu den ältesten Verteidigern der Feindschaft gehört der antike Denker Plutarch (50-120), der die Notwendigkeit der Feindschaft philosophisch, ethisch und pädagogisch begründete: Der Feind hat vor allem erzieherische Funktion. In zwei Abhandlungen »Über die Bändigung des Zornes« und »Über den aus den Feinden zu gewinnenden Nutzen« hat er sein Modell der Feindschaft formuliert. Das Wichtigste ist, die wachsame Aufmerksamkeit darauf zu richten, das Schädlichste in der Feindschaft in den größten Nutzen umzuwandeln. In diesen Ansichten ähnelt Plutarch Diogenes, dem folgender Satz zugeschrieben wird: „Selbstbesserung sei die beste Rache am Feinde.“2 Diese Worte des Diogenes auf die Frage: „Wie räche ich meinen Feind?“ bewertet Plutarch als die beste staatsmännische und philosophische Antwort.

Den Feind benötigen wir nach Plutarch aus vier Gründen: Erstens ist es vorteilhaft, von den Feinden unsere Fehler zu erfahren; zweitens geraten wir ohne Feind in Streit mit den Freunden, der Feind zieht unsere Böswilligkeit auf sich; drittens zwingt uns der Feind, mit Umsicht und anständig zu leben, uns um Vervollkommnung und Untadeligkeit zu bemühen; und viertens bessert der Feind uns durch Tadel, zwingt uns, eigene Schwächen zu untersuchen. Plutarch schweigt sich aber darüber aus, dass der Feind uns auch tötet. Bei Plutarch geht es also eher um einen Gegner als um einen Feind.

Johann Gottlieb Fichte: Der Feind als der künftige Freund

Fichte (1762-1814) untersuchte, wen wir mit vollem Recht eigentlich einen Feind nennen können. Er problematisiert den alltäglichen Begriff »Feind«. Wir nennen alle diejenigen unsere Feinde, die uns an der Ausführung unserer Unternehmungen hinderlich sind. Unser Vorhaben kann aber auch anderen zuwider sein, weil es auch vielmals ungerecht ist. In diesem Fall hat sich »der Feind« der Ungerechtigkeit mutig entgegengestellt, ihm ist die Sache des Rechts teurer als unsere Freundschaft.

Wir sollen Pflichten gegen Feinde haben. Die erste Regel der Sittenlehre hebt hervor, dass wir uns sorgfältig und unparteiisch prüfen müssen, ob und wodurch wir Anlass zu Hass und Feindschaft gegeben haben. Unsere eigene Unklugheit, Ungerechtigkeit und unser Hass sind zu prüfen. Finden wir an uns keine Schuld, so tritt unsere erste Pflicht ein: dem Unrecht zu widerstehen, soweit wir können. Dem Feinde Böses zuzufügen, ist kein Zweck; man soll der Sache Feind und der Person Freund sein.

Gegen Feinde gibt es aber noch eine besondere Pflicht: sie zu bessern und zu unseren Freunden zu machen.

Fichte betrachtet den Gegensatz zwischen Freund und Feind als nicht absolut. Es gibt die Gefahr, dass die Menschen den wahren Wohltäter als Feind nennen können, wenn sie nicht prüfen, ob sie selber nicht Feindschaft und Hass hervorrufen. Wahre Feinde müssen wir mit Recht nennen. Fichte unterscheidet zwischen den Gegnern (Widersachern) und Feinden, um besser den Ausweg aus der Feindschaft zu finden. Die Überwindung der Feindschaft beginnt durch die Prüfung der eigenen Ursachen der Feindschaft, der Kausalität von innen, was sich als sehr vorteilhaft zeigt. Die Regeln der Sittenlehre über die Feinde betonen, dass alle allgemeinen Pflichten, die wir gegen alle Menschen haben, auch gegen den Feind zu erhalten und zu wahren sind.

Friedrich Nietzsche:
Eine neue Schöpfung hat Feinde nötiger als Freunde

Xenophon und andere Philosophen sind der Meinung, dass die Menschen von Natur aus nicht nur zur Freundschaft, sondern auch zur Feindschaft neigen. Bei Nietzsche geht es um eine Gewöhnung, um ein Bedürfnis, Feinde zu haben: „Feinde zu haben, ist die älteste Gewöhnung des Menschen und folglich das stärkste Bedürfnis.“3 Das Bedürfnis fasst aber Nietzsche nicht nur als die Ursache der Entstehung auf, sondern es ist für ihn oft nur die Wirkung des Entstandenen. Der Feind ist nötiger als der Freund. Warum ist die Feindschaft das stärkste Bedürfnis der Menschen, warum hat eine neue Schöpfung nach Nietzsche Feinde nötiger als Freunde? Erstens fühlt man sich im Gegensatz schöpferisch: „Man ist nur fruchtbar um den Preis, an Gegensätzen reich zu sein.“4 Zweitens sieht Nietzsche, dass für manche Menschen »offene Feinde« unentbehrlich sind, falls sie sich zu ihrer Tugend, Männlichkeit und Heiterkeit erheben sollen. Jeder schuf nun seinen eigenen Gott und verwandelte seine ebenbürtigen Feinde in Götter, um sich selbst zu heben und zu verwandeln. Drittens haben die Menschen sehr wenig Phantasie für das Leid, das sie anderen antun.Viertens gibt es im Hasse Eifersucht, wir wollen unseren Feind für uns allein haben: „Wer davon lebt, einen Feind zu bekämpfen, hat ein Interesse daran, dass er am Leben bleibt.“5 Der Mensch ist also dadurch charakterisiert, dass „man sich überall Feinde zu schaffen weiß, schlimmstenfalls noch aus sich selbst.“6

Feindschaft als kriegerische Weisheit

Friedrich Nietzsche, der niemals den Tod des Feindes verlangte, wurde in der faschistischen Ideologie zum „kühnsten Denker unserer Rasse“ deformiert, der „die kriegerischen Gedanken“ zu Ende gedacht habe.7 Feindschaft gehört zur „kriegerischen Lebensweisheit“, die kein Mitleid empfindet weil jedes sich entfaltende Wachstum im Grunde das Zerstörerische hat. Nur die Kräfte der Feindschaft sind schöpferisch, nur die Fähigkeit zur Feindschaft entwickelt aufbauende, gestaltende, ordnende und gesetzgebende Kräfte. Nur Kampf entfaltet das Wesen des Menschen, das Glück liegt im Angriff, das Wagnis ist alles. Feind sein zu können ist ein Ziel der Mobilisation des Willens, »du oder ich« ist die uralte Parole der Feindschaft. Die faschistische Ideologie sah auch im Hass „eine Willensäußerung unserer Seele“. Ohne Hass ist die unerschrockene kriegerische Haltung nicht möglich. Der Hass und die Feindschaft machen gerade im Nationalsozialismus die „Größe des Kriegertums“ aus.

Carl Schmitt:
Der öffentliche Feind und der Feind als Verbrecher

Feind ist nur der öffentliche Feind, betonte Carl Schmitt. In vielen Sprachen ist der Feind als der öffentliche Feind auch dadurch abgeschwächt, dass zwischen dem privaten und dem politischen Feind nicht unterschieden wird. Das Wort Feind besitzt eine Vieldeutigkeit, die den Begriff unbrauchbar und unanwendbar macht. Eine terminologische und sachliche Klärung, die so zweckmäßig und aktuell ist, ist nicht leicht. Was moralisch böse, ästhetisch hässlich oder ökonomisch schädlich ist, braucht deshalb noch nicht Feind zu sein:

Der politische Feind ist dadurch charakterisiert, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist und dass mit ihm die extremen Konflikte möglich sind. Zum politischen Begriff des Feindes gehört die reale Eventualität des Kampfes; dabei gilt, dass Krieg nur bewaffneter Kampf ist. Das Wesentliche an dem Begriff der Waffe ist, dass es sich um ein Mittel physischer Tötung von Menschen handelt.8

Schmitt hat im Vorwort zur Neuausgabe seines Werkes (»Der Begriff des Politischen«) im Jahre 1963 hervorgehoben, dass die neuen Arten und Methoden des Krieges eine Besinnung auf das Phänomen Feindschaft erzwingen. Erstens verbindet der heutige Partisanenkrieg zwei verschiedene Arten des Krieges und der Feindschaft. Zweitens liegt auch in der anderen Art des heutigen Krieges, im sog. Kalten Krieg, ein Grund, neuerlich die Feindschaft zu betrachten. Nach Schmitt bricht der Kalte Krieg alle Begriffsachsen: „Der Kalte Krieg spottet aller klassischen Unterscheidungen von Krieg und Frieden und Neutralität, von Politik und Wirtschaft, Militär und Zivil, Kombattanten und Nicht-Kombattanten, nur nicht der Unterscheidung von Freund und Feind, deren Folgerichtigkeit seinen Ursprung und sein Wesen ausmacht.“9

Drittens ist über die Unterscheidung von Freund und Feind oder über die Relativierung der Feindschaft im Zeitalter der nuklearen Vernichtungsmittel zu reflektieren weil die Unterscheidung von Krieg und Frieden verwischt wurde. Schmitts Hervorhebung, dass es das große Problem ist, die Kriege heute zu begrenzen und die Feindschaft zu relativieren, bleibt aktuell. Jede Begrenzung des Krieges enthält eine Relativierung der Feindschaft, jede solche Relativierung ist ein großer Fortschritt im Sinne der Humanität. „Den Menschen fällt es aber schwer, ihren Feind nicht für einen Verbrecher zu halten. Der Begriff des Politischen stellt aber heute die Frage nach dem wirklichen Feind und einem neuen Nomos der Erde. Hier müssen die Analysen erst beginnen, die die Frage beantworten: Wer war und warum wessen wirklicher Feind? Schon in seinen Reflexionen von 1932 wendet sich Schmitt gegen eine Herabsetzung des Feindes und gegen eine Ideologisierung des Krieges. Es gibt keine Rationalität und Legitimität, die rechtfertigen könnten, dass Menschen sich gegenseitig töten. Schmitt zeigt auch, dass die Nicht-Diskriminierung des Feindes erreichbar ist wenn erkannt wird, dass die Sphäre der Politik die Sphäre von Freunden und Feinden ist; der Krieg ist nicht der Normalfall, vielmehr stellt er die Grenzmöglichkeit dar. Carl Schmitt ist der Überzeugung, dass man mit ethischen, juristischen oder ökonomischen Normen keinen Krieg begründen kann. Kein Ideal und keine Zweckhaftigkeit verleiht ein Verfügungsrecht über das physische Leben anderer Menschen: „Von den Menschen im Ernst zu fordern, dass sie Menschen töten und bereit sind zu sterben, damit Handel und Industrie der Überlebenden blühe oder die Konsumkraft der Enkel gedeihe, ist grauenhaft und verrückt. Den Krieg als Menschenmord verfluchen und dann von den Menschen zu verlangen, dass sie Krieg führen und im Kriege töten und sich töten lassen, damit es »nie wieder Krieg gebe«, ist ein manifester Betrug.“10

Schmitt setzt keinen befriedeten Erdball voraus, die Idee eines ewigen Friedens wurde bei ihm nicht hervorgehoben. Die Politik beruht bei ihm auf Verfeindung, das Politische hat keine eigene Substanz, Politik und Feindschaft verschmelzen. Der Feind bei Carl Schmitt „wird gesucht, weil er für den Seelenhaushalt der eigenen Gesellschaft eine Ventil- und Steuerungsfunktion wahrnimmt.“11

Die Ansichten über Feindschaft bei Carl Schmitt wurden oftmals kritisiert, weil er die Feindschaft als den Schlüsselbegriff zur Interpretation der politischen Situation auffasst. Obwohl er darauf hingewiesen hat, dass die historisch konkrete Freund-Feind-Gruppierung nicht unaufhörlich und unauslöschlich ist, meint er aber, diese Gruppierung sei als solche ewig. Die Entfeindungsprozesse im Menschengeschlecht sind praktisch nicht möglich. Die Freundschaft ist nach Schmitt nur gegen gemeinsame Feinde möglich. Er hat darauf aufmerksam gemacht, welcher Absolutierung menschliche Feindbegriffe fähig sind.

Der tabuisierte Feind.
Die Apologie der Feindschaft bei den »Rechtsintellektuellen«

Nach einigen Autoren reagieren die Menschen falsch, wenn sie den Begriff Feindschaft vermeiden oder verdammen. Ohne die Kategorie der Feindschaft misslingt es, die Realität exakt zu interpretieren. Die zunehmende Feindunfähigkeit stellt im Bereich des Erkennens und auch im Bereich des politischen Handelns eine große Gefahr dar.

Nach Gerd-Klaus Kaltenbrunner verbindet sich der Widerwille, das Faktum Feindschaft zur Kenntnis zu nehmen, mit vielen Denkfehlern. Erstens hängen die Feindblindheit und Feindunfähigkeit eng mit dem Pathos allmenschheitlicher Brüderlichkeit und Geschwisterlichkeit zusammen. Die Utopien einer künftigen Brüder-Gesellschaft (Jakobinertum der Französischen Revolution; Marx, der Prophet eines Reiches klassenloser Brüderlichkeit usw.) haben im Namen der künftigen Brüderlichkeit gegen »den Menschheitsfeind« gnadenlos gekämpft: „Diese revolutionäre Aktion ist jedoch ein Krieg, und zwar der einzige Krieg, der eine dreifache Legitimation beanspruchen kann: er ist absolut gerecht, geschichtlich notwendig und überdies der »letzte Krieg«. Er nimmt deshalb apokalyptische Dimensionen an. Er wird gegen einen Feind geführt, dem kein Anspruch auf irgendwelche Formen der Ritterlichkeit, der Humanität oder sonstiger Kampfbeschränkung zusteht. Seine Vernichtung ist ein Akt militanter Menschlichkeit.“12

Zweitens verweist Kaltenbrunner darauf, dass der Liberalismus unfähig ist, sich an der Freund-Feind-Unterscheidung zu orientieren. Der Liberale fasst den Feind auf der wirtschaftlichen Seite als Konkurrenten und auf der geistig-moralischen als Diskussionspartner auf. Die Vorstellung permanenter Konkurrenz und Diskussion verleitet dazu, auch in den Situationen noch Verhandlungen und Dialoge zu führen, in denen fast keine Voraussetzungen vernünftiger Argumentation und verbindlicher Spielregeln vorhanden sind.

Der dritte Denkfehler beruht „auf einem Mangel an historisch fundierter Anthropologie.“

Es gibt Vorurteile, dass auch der Feind im Grunde „nicht anders ist als wir.“ Wir können den Feind nicht nur dämonisieren, sondern auch unterschätzen. Diese Gefahr hält Kaltenbrunner heute für erheblich größer als den umgekehrten Denkfehler, der den Feind dämonisiert.

Der Mensch ist nicht nur homo sapiens; zur Eigenart des Menschen gehört der Exzess und die verzehrende Lust an der Raserei. Der Mensch ist auch homo demens, ein riskantes und gefährliches Wesen: Viel des Furchtbaren gibt es, doch nichts ist furchtbarer als der Mensch (Sophokles). Viertens scheint es einigen Autoren, dass auch die Sprache zur Feindblindheit beigetragen hat weil eine bestimmte Wortkosmetik betrieben wird, die den Feind und den Gegner zum Partner hochstilisiert. Heute hat die Sprache den Feind verschwiegen. Zur Gefälligkeitsdemokratie gesellt sich, schrieb Walter Hildebrandt, die Gefälligkeitssprache. Die Sprache ignoriert den mündigen Bürger, der Begütigungswortschatz schirmt den Menschen von der Ambivalenz der Wirklichkeit ab.

Der atomare Feind

In der Geschichte erschien der Feind als ein konkretes Phänomen. In der atomaren Gesellschaft finden wir den atomaren Feind, der neue Charakterzüge hat. Die atomare Globalität der Feindschaft im Zeitalter der Nuklearwaffen zeigt, dass der Krieg als ultima ratio keine „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ mehr sein kann. Atomwaffen haben auch den Begriff »Überlegenheit« und »Verteidigung« bedeutungslos gemacht. Übertötungskapazitäten schaffen keine zusätzliche Überlegenheit. Es scheint, wenn die Abschreckung den Krieg als politische Chance eliminiert, dass die Rationalität der Abschreckung uns zwingen müsse, den Gegner nicht mehr als Feind zu verstehen. Die Gemeinsamkeit der atomaren Gefahr könnte eine bestimmte Form der Feindlosigkeit bringen, da in der universalen atomaren Drohung die Menschen kontrastlos sind; »Könige und Bettler«, »Ausbeuter und Ausgebeutete« sind vor der atomaren Drohung gleich, daraus ergibt sich eine diabolische Friedlichkeit.

Friedensforscher benennen andere Merkmale der atomaren Feindschaft: Erstens stützt sich der absolute atomare Feind auf eine absolute atomare Waffe, die durch die bipolare Produktion der Übertötungskapazität erzeugt ist. Zweitens begründet der totale atomare Feind durch moralische Heiligung die Produktion von Übertötungskapazitäten und beruhigt das Gewissen. Drittens stellt der atomare absolute Feind eine unkorrigierbare Krankheit dar, nämlich Verfolgungswahn, entstanden aus der perspektivlosen symmetrischen Overkill-Rüstung. Viertens ist der Mensch als der atomare Feind ein identitätsloser Mensch, der in sich selbst unversöhnliche Verteufelungskampagnen und Feindbilder stimuliert. Horst Eberhard Richter fasst die Entwicklung der atomaren Feindschaft als die Entwicklung eines bipolaren Wahns auf. Wegen der Sicherheit produziert man „die Übertötungs-Kapazitäten“, eine absolute Waffe, die verhängnisvolle Auswirkungen zur Folge hat.

Die »atomare Feindschaft« hat eine andere Qualität im Vergleich mit voratomaren Formen der Feindschaft. Der atomare Feind kann nicht die Flucht ergreifen, den atomaren Feind kann niemand in eine Flucht schlagen. Atomare Feinde können sich nicht schlagen weil der Schlag mit Übertötungskapazitäten zugleich die Selbstvernichtung bedeutet. „Die totalen Waffen erfordern letztlich den totalen Feind. Die Totalität der Feindschaft stellt die Folge des Abschreckungssystems dar. Der Feind aller Menschen ist die atomare Situation, die universale atomare Gefahr.

Der Mensch als Apokalypse-Feind

Das Modell der Apokalypse-Feinde beruht auf dem Gedanken, dass die Menschheit einen globalen Feind hat – den Genozid des Menschengeschlechts, die Ausrottung der Menschen.

Nach Günther Anders sind die Menschen im atomaren Zeitalter Apokalyptiker, sie wissen, dass sie modo negativo allmächtig sind, jeden Ort der Erde in ein Hiroshima zu verwandeln. Die Endzeit kann in Zeitenende umschlagen, der Mensch als Apokalypse-Feind hat dafür zu sorgen, dass die Endzeit endlos werde, er muss die von Menschen gemachte Apokalypse bekämpfen. Diesen Typ der Apokalypse-Feindschaft hat es zuvor nicht gegeben. Der Apokalypse-Feind bildet Hemmungsmechanismen gegen die Herstellung der Apokalypse. Er kämpft gegen die Verharmlosung und gegen die Unfähigkeit zur Angst, er postuliert eine furchtlose, belebende und liebende Angst, die wachsam gegen die atomare Bedrohung macht. Der Apokalypse-Feind hat es abgelehnt, als ein »invertierter Utopist« zu existieren weil dieser sich nicht vorstellen kann, was er produziert hat. Der Mensch darf nicht der Meinung sein, dass nur die Spezialisten, die »Herren der Apokalypse«, die Verantwortung für das Schicksal aller tragen. Gegenüber den »Herren der Apokalypse« ist Argwohn zu hegen weil alle Menschen moralisch kompetent sind, sich gegen die Apokalypse als Bürger einzumischen. Für den Apokalypse-Feind ist keine Arbeit moralisch neutral, sondern alles Arbeiten ist Handeln; er weiß, dass die ABC-Waffen »inkarnierte Handlungen« sind.

Plädoyer:
Der Feind als realer Partner

Diese Konzeption finden wir z. B. bei Dilthey und Saint-Exupéry: Der Feind ist ein notwendiger Partner, ohne ihn ist die menschliche Welt unvorstellbar. In dieser Sicht hat Dilthey mit Recht betont, dass der Mensch mit der Neigung zur Einseitigkeit, d. h. in einsamer Selbstbeobachtung der »ursprünglichen Natur« des Menschen, nicht die Wirklichkeit in ihrer Fülle wahrnehmen kann. Nur die Konzeption einer »Mannigfaltigkeit der Willenseinheiten« entspricht in historischem Raum dem Menschen. „Durch Widerstand eröffnen die Menschen, wie alles Feindliche, ihren Zugang zur Realität.“13

Viele Denker, die oft grausame Kämpfe um Vorrang durchdachten, fassten ihr Denken zu beachtenswerten Schlüssen zusammen. Diogenes antwortete auf die Frage, wie man sich an seinem Feinde rächen könne: „Wenn ich selbst Vollkommenheit erreiche!“14 Jean Jacques Rousseau gelangte zu dem Schluss, dass die Menschlichkeit dort anfange, wo man über andere nicht siegen will. Der tschechische Philosoph Ladislav Klima schrieb: „Ein hoher Geist schämt sich jedes Hasses!“15 Seine Erwägungen über Stärke und Schwäche brachten eine Analyse der paradoxen Konsequenzen der Siege, weil durch die »Siege« niemals alles erreicht wird, und weil sie oft chaotisch, beschränkt, unrein und blind bleiben: „…wie der flüchtende Soldat seine Beute und seine Waffen wegwirft, ebenso gibt es eine Panik des Sieges.“16

Martin Buber sieht in dem Feind ebenfalls wie Kant die Grundgefahr des wechselseitigen Vertrauens. „Der Feind verursacht die Krisis des Vertrauens“, die die »Wesensumkehr« der Menschen durch ein echtes Wort zwischen den Lagern nicht ermöglicht. Der Mensch vertraut dem Gespräch nicht mehr seine Sache an. Der Feind ist homo antihumanus, „der Nutznießer der Völkertrennung, das Widermenschliche, welches das Untermenschliche ist…“17 Der Feind »produziert« das aktuellste Problem der Pathologie unserer Zeit – die Völker können kein echtes Gespräch miteinander führen. So wird die globale kriegsverursachende Situation hervorgerufen.

Alle »bellogenen Faktoren«, z. B. der sog. territoriale Imperativ, der beschränkte Ethnozentrismus als Gruppendenken im Sinne einer eingeschränkten Wahrnehmung, das Projizieren von Hassgefühlen auf die Fremden, das Denken nach dem Entweder-Oder-Schema sowie sog. Sozialisationsagenturen, die kriegsverursachende Verhaltensweisen bedingen (Andersartigkeit, expansive Machtgruppierung als Abwehrkraft usw.) sind nie isoliert, sondern stehen stets im Verein mit der Feindschaft. In dieser drücken sich die Gruppenaggressivität und die moralische Blindheit der »Kulturmenschen« gegenüber dem Tod des Feindes aus: „Kein Raubtier erreicht die Stufe der Bestialität, der Ruchlosigkeit und der zynischen oder tückischen Wut, mit der der Mensch im Namen der Zivilisation zu morden, zu vernichten, auszurotten, zu unterdrücken, zu erpressen, zu knechten und auszubeuten versteht.“18

Die Lösung der Feindschaft ist nicht weiterhin mit dem Tod des Feindes zu verbinden, sie hängt in erheblichem Maße davon ab, ob das Recht zum Leben als das Grundrecht des Menschen auch dem Feind zuerkannt wird.

Es gehört zum neuen Wissen, dem Feind in die künftige Geschichte einzureihen, d. h. den Feind als ein Mitglied des Menschengeschlechts anzuerkennen. Wer die Gültigkeit der Strategie der Menschlichkeit gegenüber dem Feind bestreitet, der urteilt, dass die Steigerung der Feindschaft einen einzig richtigen Weg zur Lösung des Konflikts mit dem Feinde darstellt.

Ohne Sorge um ein positives Schicksal des Feindes in der Geschichte hat sich die Menschheit der Endlichkeit des Menschengeschlechts ausgesetzt.

Anmerkungen

1) Karl Wander (Hg.). Deutsches Sprichwörter-Lexikon. O. O. 1964, Bd.I, S. 996-975 u. S. 1171-1205.

2) Plutarch. Jak nám mohou byt naši neprátelé prospešni (dt.: Über den aus den Feinden zu gewinnenden Nutzen). Plutarch. Prátelé a pochlebníci (dt.: Die Freunde und die Schmeichler). Prag 1970, S. 130.

3) Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Bd. X. Stuttgart 1965, S. 280.

4) Götzen-Dämmerung. Ebd., Bd. VIII, 1964, S. 103.

5) Menschliches, Allzumenschliches. Ebd., Bd. III, 1964, S. 320.

6) Der Wille zur Macht. Ebd., Bd. IX., 1964, S. 633

7) Kurt Eggers. Von der Feindschaft. Deutsche Gedanken. Dortmund 1941, S. 4.

8) Ebd., S. 33.

9) Ebd., S. 18.

10) Ebd., S. 49-50.

11) Sven Papcke. Der gewollte Feind. Zum Feindbild bei Carl Schmitt. Anton-Andreas Guha, Sven Papcke (Hg.). Der Feind, den wir brauchen. Königstein/Ts. 1985, S. 113.

12) Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Ratlos vor dem Feinde. Ders. (Hg.). Illusionen der Brüderlichkeit. Die Notwendigkeit Feinde zu haben. Freiburg, Basel, Wien 1980, S. 14.

13) Wilhelm Dilthey. Gesammelte Schriften 6. Stuttgart 1969, 105, 134, S. 135.

14) Plutarch, S. 130.

15) Ladislav Klima. Traktáty a diktáty (dt.: Traktate und Diktate). Prag 1922, S. 65.

16) Ebd., S. 53.

17) Martin Buber. Das echte Gespräch und die Möglichkeit des Friedens. Heidelberg 1953, S. 14.

18) Georg Pick. Mut zur Utopie. Die großen Zukunftsaufgaben. München 1969, S. 142.

Wir danken dem Osnabrücker Jahrbuch für Frieden und Wissenschaft für die Genehmigung zum Nachdruck des Beitrages von Dr. Jaroslav Kreicjí aus Tschechien. Er wurde für W&F mit Genehmigung des Autors stark gekürzt.

Enmifikation

Enmifikation

Zu den Ursachen des Prozesses der Feindbildproduktion

von John F. Hunt

Enmifikation ist der Prozeß der Produktion von Feindbildern. Ein Feind ist „die Person, der man kein soziales Gefühl entgegenbringt“ (Rieber & Kelly, 1991, S.8). In diesem Artikel wird vorgeschlagen, Enmifikation als Teil eines wesentlich komplexereren Vorgangs anzusehen. Es ist mehr als der Wunsch, eine dritte Person geistig zu befähigen zu töten oder dem Töten eines anderen Menschen zuzustimmen. Die Tatsache, daß Enmifikation überhaupt möglich ist, ist ein Hinweis auf die Voraussetzung von Menschen sich so beeinflussen, manipulieren oder überreden zu lassen, daß sie entgegen ihrer natürlichen Art (wenn sie nicht der Beeinflussung, Manipulation oder Überredung einer dritten Partei ausgesetzt gewesen wären) handeln oder denken.

Der Artikel will untersuchen, was im Individuum zuläßt, daß es geistig entgegen dem beeinflußt wird, was unter normalen Umständen sein Wille wäre. Aus diesem Grund sollen Propaganda und andere Methoden der Beeinflussung von Entscheidungsfindung untersucht werden. Die andere Seite der Enmifikation ist die Person, welche das Feindbild produziert: wie und warum kommt er oder sie zu dem Bedürfnis, diesen Prozeß in Gang zu setzen und welche – bewußten oder unbewußten – Charakteristika wurden beobachtet. Anhand aktueller, praktischer Beispiele wird gezeigt, wie durch Manipulationen Anfälligkeit für den Enmifikations-Prozeß erreicht wird. Schließlich werden Antworten auf die Frage betrachtet, wie man dem Bedürfnis, andere zu enmifizieren, entgehen und die Anfälligkeit für Enmifikation vermeiden kann. Im folgenden Aufsatz werden sowohl praktische als auch theoretische Probleme angesprochen, auf die dann der in dieser Einleitung zusammengefaßte Ansatz bezogen wird.

In seinem Buch „Faces of the Enemy“ räumt Sam Keen (1991) der Darstellung von Beispielen für Enmifikation sehr viel Platz ein: die meisten haben mit Kriegen zu tun sowie mit der Polarisation der Gefühle von Liebe und Haß. Dies ist verständlich, da die augenfälligste Form der Enmifikation darauf abzielt, Menschen dazu zu bringen, sich in Kriegen gegenseitig umzubringen. Der Prozeß der Enmifikation führt zu einer derartigen Dehumanisierung, daß von der oder dem Betroffenen im Geiste des Betrachters ein Bild entsteht, das jene/n der normalen Gefühle eines menschlichen Wesens für unwürdig oder unfähig erscheinen läßt. Deshalb sollte Enmifikation in einem wesentlich weiteren Rahmen als dem des Krieges untersucht werden, obwohl Krieg einer der klarsten und dramatischsten Vertreter dieser menschlichen Tendenz bleibt. Sam Keen gibt zahlreiche Beispiele für Enmifikation im Krieg, um die Existenz dieses Phänomens zu beweisen. Ich werde nun mit der Untersuchung der Implikationen und Ursprünge dieses Prozesses fortfahren.

Kognitive Dissonanz und Enmifikation

Obwohl es viele psychologische Ursprünge für das Bedürfnis zu enmifizieren oder für die Anfälligkeit für diesen Prozeß gibt, dürfte die Konsistenz-Theorie eine der fundamentalsten Motivationen des Individuums erfassen, d.h. den Drang nach Konsistenz als Motiv für Verhalten und Einstellungen. Diese Theorie wird später in diesem Aufsatz wieder auftauchen, im Zusammenhang mit Persuasion und Manipulation, bei denen die gleichen psychologischen Methoden Verwendung finden wie bei der Enmifikation. Tatsächlich haben die Überredungstechniken der modernen Medienwerbung vieles gemeinsam mit dem Prozeß der Enmifikation. Oft liegt der einzige Unterschied in dem erwünschten Ergebnis des Prozesses.

Eine Forschungsgruppe an der Yale University (USA) untersuchte nach dem 2. Weltkrieg viele Aspekte der Überredung. Eine der wichtigsten einstellungsbeeinflussenden Konstellationen, die sie entdeckten, wurde als „Konsistenz-Theorie“ bekannt. „Kognitive Konsistenz ist die Übereinstimmung zwischen den Vorstellungen einer Person über ein Objekt oder Ereignis. Die grundlegende Annahme ist, daß, wenn neue Informationen widersprüchlich oder inkonsistent zu den Einstellungen einer Person sind, dies zu Konfusion und einem Spannungszustand führt. Dieser Spannungszustand motiviert die Person, ihre Verhaltensweisen zu verändern oder anzupassen.“ (Jowett & O'Donnel, 1992, S.133). Die menschliche Neigung zur Homöostase bedeutet, daß ein Mensch alles Erforderliche tut, um das Gleichgewicht seines Weltbildes – wie irrational es einem externen Beobachter auch erscheinen mag – wieder herzustellen. Die Theorie der Kognitiven Dissonanz von Leon Festinger (1957) entstand aus der Theorie der „Social Amplification“. Diese besagt, daß ein Mensch das „Bedürfnis zu wissen“ und das Bedürfnis nach konsistentem Wissen hat (Deutsch & Krauss, 1965, S.68). Wenn es inkonsistent ist, gibt es einen Druck, diese Dissonanz zu reduzieren: durch Veränderung der Kognition, durch Veränderung des Verhaltens oder durch das Ausfindigmachen von neuen Informationen und Meinungen, die mit der eigenen Sichtweise konsistent sind. Propaganda verzerrt Kommunikation oft in einer Art und Weise, die deren Empfänger zu einem Versuch der Disonanzreduktion veranlaßt, was wiederum den Propagandisten begünstigt. Den Unterschied zwischen informativer Kommunikation und Propaganda drücken Jowett und O'Donnell (1992, S.20) wie folgt aus: „Der Zweck der Propaganda ist es, eine Angelegenheit der eigenen oder der Gegenpartei ganz im Interesse des Propagandisten zu fördern, aber nicht notwendigerweise im Interesse des Empfängers“.

Einfache Botschaft

Dieses Konzept der Vereinfachung von Informationen ist fundamental für jegliche Diskussion im Zusammenhang mit Feindschaft und wenn es darum geht, wie Menschen von einer neuen Meinung oder Verhaltensweise überzeugt werden. Eine Gemeinsamkeit aller persuasiver Medien ist die Kürze der Aussage und das Vermeiden von komplexen Gedankengängen auf seiten des Empfängers der Information. Darauf wird später im Kontext von Werbung noch ausführlicher zurückzukommen sein. Für den Augenblick soll es als Charakteristik erwähnt sein, die dem Mechanismus der Enmifikation ermöglicht, den Kopf eines Menschen in den Griff zu bekommen. Nach der Meinung von Walter Lippmann (1929) sind Menschen nicht in der Lage „mit so viel Feinheit, so viel Verschiedenheit, so vielen Permutationen und Kombinationen umzugehen“. Er sagt, sie müßten es in ihren Köpfen einfacher rekonstruieren. Oder anders ausgedrückt, sie müßten sich mit einer Landkarte versehen, mit der sie sich in der Welt zurechtfinden können.

Warum scheinen wir diese Vereinfachung der Welt zu wollen? Haben wir Angst vor dem, was wir finden könnten, wenn wir uns die Welt zu genau betrachten würden? Oder haben wir vielleicht Angst vor dem, was Keen „homo hostilis“ nennt, und verdecken es deshalb mit einfachen, heuristischen Techniken oder projizieren die Teile unseres Selbst, die wir hassen und verleugnen, auf andere? Haben weiterhin diese „Schatten“ von uns selbst (Jungs Definition von „Schatten“ folgt später) derart Bestand über die Epochen hinweg, wie Keen argumentiert, daß sie Archetypen des Feindes bilden? Müssen wir tatsächlich, wenn keine natürlichen Feinde existieren, welche kreieren, um ein angeborenes menschliches Bedürfnis zu befriedigen? Die Antwort auf all diese Fragen muß „ja“ lauten, wenn wir die vergangenen Erfahrungen der menschlichen Spezies und die zahlreichen Verhaltensbeispiele, die von Sam Keen zitiert werden, betrachten. Zur Natur der Enmifikation gehört Dehumanisation. Dies kann vom menschlichen Verstand nicht ohne die Vereinfachung und Stereotypisierung der Vorstellung eines Feindes vollbracht werden. Bevor gedankenloses Töten stattfinden kann, müssen die Gedanken »reduziert« werden. Dies wird – wenigstens im Krieg – durch die ausgedehnte Propaganda-Maschinerie erreicht, die von den kriegführenden Nationen geschaffen wurde.

Ein Teil des Vereinfachungsprozesses besteht darin, die Protagonisten in leicht zu identifizierende Modelle für Liebe oder Haß zu polarisieren, die dann in den Köpfen der Empfänger grundsätzlich mühelos durch den Propagandisten für seine Motive zu manipulieren sind. Den eher augenfälligen Motiven liegt das zentrale Motiv zugrunde, die Gruppe oder Gesellschaft (sehr ähnlich dem »Granfalloon« Prozeß, auf den ich mich später noch beziehen werde) von allen »anderen« abzusondern. Das klassische Beispiel wurde von George Orwell in seinem Buch „1984“ sehr gut dargestellt. Er schrieb von einer hoffnungslos totalitären Gesellschaft, die durch die Oligarchie zusammengehalten wurde, welche sich der Mittel von Zensur und Gewalt bediente. Sie wurden „vom Staat in täglichen »zwei Minuten Haß«-Übungen gegen einen angenommenen, nationalen Feind, mit dem sie in einen endlosen aber wenig erfolgreichen Krieg verwickelt waren, indoktriniert“. (Deutsch, 1970, S.390).

Bei der Untersuchung des Phänomens, wie Inividuen durch den Prozeß von Enmifikation und Propaganda beeinflußt werden, ist es wesentlich, sich auch den Effekt auf eine große Menge von Menschen als Ganzes innerhalb einer Gesellschaft anzusehen. Es ist vielleicht einfacher, die Anfälligkeit eines Individuums für Propaganda und Enmifikation durch die Aussage zu erklären, sie entstünde aus dysfunktionalem oder neurotischem Verhalten oder wegen eines unerfüllten Bedürfnisses dieses Individuums. Aber gibt es eine andere Erklärung, wenn ganze Gesellschaften erfolgreich propagandistisch beeinflußt werden? Rieber und Kelly (1991, S.8) sagen, daß Neurotiker leicht Feinde erwerben, da ihnen soziales Empfinden fehlte. Nationen erwürben Feinde auf einer ganz ähnlichen Basis. Was gebraucht werde, um beides, Krieg und Neurose, zu heilen, sei beidesmal dasselbe. Wenn das wahr ist, wie werden dann die normalen menschlichen Gefühle, die eine Gesellschaft zusammenhalten und ihr ermöglichen, mit Individuen und Gesellschaften außerhalb in Verbindung zu treten, reduziert?

Die Experimente von Milgram (1974) haben gezeigt, daß es wahrscheinlich ist, daß Menschen anderen Menschen in einer Laborsituation übermäßige Schmerzen durch elektrische Schocks zufügen, nur um sich der »Norm« der wissenschaftlichen Umgebung – oder vielleicht deren Ideologie – zu fügen. Es gibt viele psychologische Mechanismen, die diese Art irrationalen Verhaltens zwischen verschiedenen Teilen der Menschheit erklären sollen. Dazu gehören: Psychische Abstumpfung (»psychic numbing«), Brutalisation (des »Feindes«) und die oben erwähnte Konsistenz-Theorie. Von dem neurotischen Verhalten des »Doubling« spricht man, wenn eine Person in einem solchen Ausmaß zerfällt, daß ein anderes »Selbst« entsteht, z.B. eines, das die »Logik« der nuklear-technologischen Überlegenheit eher akzeptiert als einem Selbst, das Mitgefühl mit anderen Menschen hat. Dies kann auch gleichgesetzt werden mit Jungs Idee der »Persona«, d.h. der Summe der gesellschaftsfähigen Eigenschaften einer Person und ihres »Schattens«, der gebildet wird aus dem, was nicht mit dem Bild übereinstimmt, das er/sie von sich selbst hat, und deshalb unterdrückt wird. Jung sagt, der Schatten sei die »negative« Seite der Persönlichkeit, die Summe all dieser unangenehmen Qualitäten, die wir, zusammen mit den unzulänglich entwickelten Funktionen und dem Inhalt des persönlichen Unterbewußtseins, verstecken wollen.

Die Frage, wie und warum diese Abspaltungsmechanismen eine Population beeinflussen bzw. sich in dieser ausbreiten, ist schwierig zu beantworten, aber wurde von Menschen wie Freud, Jung, Reich und Trotter gestellt. Sam Keen (1991, S.19) sagt, daß »Konsensuelle Paranoia« die Basis aller Gesellschaften ist, in denen Kriege gerechtfertigt werden. Ohne sie könnte das Bild eines Feindes nicht existieren. Jung argumentiert, daß emotionale Übertragung für kollektive Enmifikation verantwortlich sei. Andere Psychologen dieser Zeit nahmen an, daß dies der Menschheit angeboren ist, und Wilfred Trotter erweiterte 1916 die Theorie in seinem Werk über den Herdeninstinkt in Kriegs- und Friedenszeiten. (Rieber & Kelly, 1991, S.10). Freud setzte die Gedanken zu emotionaler Übertragung fort, indem er sie (inter alia) als Identifizierung des Führers der Propagandaideologie als Vater-Figur mit der pervertierten Aggression des Ödipus-Komlexes, die auf Außenstehende gerichtet ist, beschrieb. Wilhelm Reich (1934) sprach von einer »emotionalen Seuche«, die er als „Gesamtsumme aller irrationalen Funktionen im Leben des menschlichen Tieres“ definierte, welche die ganze Gesellschaft durchdringe. Weiterhin sagt er, daß es eine zentrale Funktion dieser emotionalen Seuche im sozialen Leben sei, den Schwierigkeiten der Verantwortlichkeit und den Gegebenheiten des täglichen Lebens und Arbeitens zu entkommen, und Zuflucht in Ideologie, Illusion, Mystik, Brutalität oder einer politischen Partei zu finden. (Reich, 1950). Hitler wußte dies, wie aus seinen Handlungen und seinen Ausführungen in »Mein Kampf« ersichtlich wird, nur zu gut und hat all dies bewußt manipuliert. Reich (1934) betont die Verbindung zwischen persönlichem Verhalten per se und persönlichem Verhalten als Teil des gesellschaftlichen Handelns, indem er darauf hinweist, daß die emotionale Seuche, die auf der Charakterstruktur der Subjekte basiert, in interpersonellen, also sozialen Beziehungen spürbar und in korrespondierenden Institutionen organisiert wird.

Rieber und Kelly (1991, S.20) sagen, daß „Enmifikation mit einem Virus verglichen werden kann; einem Virus, der sich von einer Gesellschaft zur anderen durch Kontakt verbreitet“. Vielleicht ist die medizinische Metapher, nach der in all diesen Beispielen die ideologische Propaganda und Enmifikation als »Krankheit« beschrieben werden, mehr als nur eine Metahper. Es kann gut sein, daß es in der Natur der psychologischen Grundlagen von Propaganda liegt, daß sie, einmal in der sozialen Psyche aktiviert, sich über Kommunikation verstärkt und ausbreitet.

Ich möchte noch, bevor wir die Betrachtung der Ursachen von Enmifikation abschließen, eine andere Perspektive berücksichtigen. Und zwar die, welche von Pratkanis und Aronson (1991, S.167-174) vorgelegt wurde. Sie ist die logische Grundlage einer weiteren Persuasions-Technik, die auf die kollektiven Emotionen einer Population abzielt, und ist bekannt als »Minimum Group Paradigma« – ursprünglich entdeckt von Henri Tajfel (1981). Seine Experimente zeigten, daß sich eine Gruppe aus den bedeutungslosesten und trivialsten Gründen bilden kann und Menschen sich aus geringstem Anlaß –„at drop of a hat“ – als Gruppenmitglieder identifizieren. Pratkanis und Aronson erwähnen, daß der Novelist Kurt Vonnegut den Begriff »Grandfalloons« für eine „stolze und bedeutungslose Verbindung von Menschen“ geprägt hat und verwenden diesen Titel im folgenden ihr ganzes Buch hindurch.

Diese Information wird regelmäßig für Werbung verwendet – z.B.: „Wir sind die reiche, moderne Gruppe, weil wir Mobiltelefone besitzen“ –, aber es gibt auch eine viel bedrohlichere Seite davon. Wie Pratkanis und Aronson (1991, S.168) hervorheben, werden nicht nur die Gemeinsamkeiten einer Gruppe betont, sondern auch die Unterschiede überbewertet. Daraus folgt die Bezeichnung der »Außenseiter« als »Krouts«, »Japs«, »Gooks«, »Nigger«, »Wogs« etc. Das Abstrakte ist leichter zu töten, und gleichzeitig fühlt sich die Gruppe sicherer, mehr in der Lage, sich selbst zu verteidigen, und verhilft sich zu einem wachsenden Selbstbewußtsein. Diese Tendenz findet sich nicht nur in der modernen Gesellschaft, sondern auch in vielen Stammessystemen. Der Stamm der Mandrakas in Brasilien zum Beispiel macht eine Unterscheidung zwischen sich selbst als »Menschen« und allen anderen, die sie als nicht-menschlich oder tierisch ansehen und »Paraquot« nennen. Es gibt viele andere Beispiele eines natürlichen Dehumanisationsprozesses in primitiven Kulturen. Sehr oft werden die »anderen« einer umso gößeren Dehumanisation unterzogen, je weiter sie von dem Stamm oder der lokalen Gesellschaft entfernt sind. Wieder einmal ist Hitler das extreme Beispiel für bewußtes und effizientes Generieren der Meinung einer Masse über »den anderen«. Und tatsächlich nannte er all diejenigen, die er als Außenseiter klassifizierte – so die Juden, Kommunisten, Polen, Zigeuner, Slawen und Homosexuelle – »Untermenschen«. Die Menschen innerhalb der »Gruppe« waren für diesen Enmifikationsprozeß anfällig, da sie, beginnend mit dem ersten Weltkrieg, ihre eigene Identität verloren hatten. Wie Lifton und Markusen (1990, S.52) sagen, war die Niederlage mehr als nur eine militärische Niederlage. „Sie war verbunden mit einem Gefühl der nationalen Demütigung, des ökonomischen Chaos aufgrund der katastrophalen Inflation und des nahenden Bürgerkrieges. (…) Für die einzelnen Deutschen zerbrach eine Welt. Sie erfuhren ein Gefühl der personellen Desintegration und verzweifelten an ihrer indviduellen und kollektiven Zukunft.“

Bisher wurde in diesem Artikel der psychologische Prozeß betrachtet, der bei der Enmifikation von Massen beteiligt ist, und es wurde aufgezeigt, wie Propaganda dieselben Prozesse – so die Vereinfachung des Denkens, die Polarisation und das Bedürfnis, zu Gruppen zu gehören – für ihren manipulativen Zweck verwendet. Es wurden einige der erfolgreichen Methoden der Massenpropaganda untersucht und ihre Ähnlichkeit mit dem spezifischeren Prozeß der Enmifikation hervorgehoben.

Der »Feind« in Waco

Im folgenden werde ich ein aktuelles Beispiel untersuchen, in dem vom Anfang bis zum Ende eine verwickelte Ausbreitung von Enmifikations- und Propagandaprozessen wirksam war. Dies war der Fall bei der Davidianischen Sekte in Waco (Texas), wo eine Kultgemeinschaft sich vor der Welt verbarrikadierte und nach dem Eingreifen des FBI Suizid beging.

Eillen Barker, Autorin des „British Home Office Guide to New Religion movements“ sagt, daß es drei Hauptelemente gibt, die eine Sekte ausmachen, nämlich: soziale Isolation, verantwortungsfreie und absolute Führung und das Verbot, Fragen zu stellen (zit. n. Sydney Morning Herald vom 5. März 1993). Wir werden sehen, daß diese drei Charakteristika Voraussetzungen für das sind, was ich vorher als stark vereinfachtes Denken beschrieben habe, wobei die Menschen beeinflußt oder gezwungen werden, nicht selbst nachzudenken und, bewußt oder anderweitig, die in ihren kognitiven Prozeß »geladene« Information zu akzeptieren, die dann ihr Verhalten beeinflußt. Obwohl im Fall von Enmifikation nicht immer alle drei Elemente gleichzeitig gegenwärtig sind, ist – wenn sie, wie im Falle von Sekten, gemeinsam auftreten – der Enmifikationsprozeß fast eine ontologische Gewißheit.

Um einen »Anhänger« dazu zu bringen, daß er die obigen drei Charakteristika akzeptiert, muß er/sie vermutlich auf einen klassischen Enmifikationsprozeß zurückgreifen. Im Falle von religiösen Sekten, und ganz bestimmt im Fall Waco, erscheint der Feind zuerst in der Philosophie des Führers (in Waco: David Koresh), in der der Teufel zum Feind gemacht wird. Dann expandierte der Feind, um alle einzuschließen, die gegen den Davidianischen Orden waren um schließlich all diejenigen zu umfassen, die dem Orden nicht angehörten. Die mystisch-religiöse Qualität der Leidenschaft, die Hitler in den Menschen entfachte, ist eine Notwendigkeit für jeden religiösen Kult. Üblicherweise eine Empfindung der Losgelöstheit von der natürlichen Welt, ein Gefühl des Nichtverstandenwerdens und der Wille, dem Führer und der Philosophie ihre Ergebenheit zu beweisen, machen sie zu auserlesenen Vollstreckern von Selbstaufopferung.

Das FBI hätte in Koreshs Augen kein besserer Feind sein können, da es die Regierung und damit den Feind – die Welt außerhalb des Hauptquartiers der Sekte auf Ranch Apocalypse – repräsentierte. An diesem Fall kann man sehen, wie der Feind als nicht-natürliches Etwas entstand und immer konkreter im realen Leben repräsentiert wurde, bis schließlich jeder außerhalb des Ranch-Geländes zum Feind wurde, der von ihrer Sicht der Welt aus genügend dehumanisiert war, um ungestraft getötet werden zu können. Dies ging noch einen Schritt weiter, bis die Dehumanisation sich auf ihre eigene Körper bezog und sie Suizid begingen. Man kann sich fragen, ob dieser letzte Schritt Enmifikation als solche ist, aber es ist sicherlich eine Konsequenz davon. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, wo Massenmörder in der Folge der Dehumanisation von anderen Menschen sich selbst das Leben genommen haben. Georg Simmel (1955) macht es eher noch überzeugender deutlich, wenn er von Konflikt als dem Versuch spricht, divergierende Dualismen zu lösen. Danach ist Konflikt ein „Weg um eine Art Einheit zu erreichen, selbst wenn dies durch die Vernichtung einer der Konfliktparteien geschieht“. Dies steht in Verbindung mit der Kognitiven Dissonanz-Theorie von L. Festinger, auf die ich mich weiter oben bezogen habe. Die »Einheit« in diesem Fall wird nicht durch die antizipierte Vernichtung der Welt außerhalb erreicht, sondern durch die geplante vollzogene Vernichtung ihrer eigenen Welt. Ein weniger dramatischer Fall wird von Lifton und Markusen (1990) aufgeführt, in dem eine Frau in San Francisco das Ende der Welt für einen bestimmten Tag vorhergesagt hatte. Als dies nicht eintraf, wurde die kognitive Dissonanz bei ihr und ihren Anhängern durch die Aussage reduziert, daß ihre Vorbereitungen und die Vorhersage des fatalen Tages sein Auftreten verhindert hätten.

John Mayer (zit. n. Sydney Morning Herald vom 5. März 1993) hat eine Entdeckung gemacht, die er „das gefährliche Führungssyndrom“ nennt und dessen Charakteristika genau die gleichen sind wie bei Enmifikation. Dies sind:

  • Gleichgültigkeit gegenüber Leiden und Abwertung von anderen;
  • Verbot von Kritik und Kontrolle der Information und
  • ein ausgeprägter Sinn für einen Führungsanspruch, der sich oft in dem Glauben manifestiert, sie wären von Gott oder dem Messias ausgesandt.

Es sollte angemerkt werden, daß es viele »seltsame« Religionen oder Gruppen auf der Welt gibt, die oft Sekten genannt werden, aber nicht allen dieser drei Charakteristika entsprechen. Es ist zum Beispiel nicht ausreichend, sonderbare Überzeugungen zu haben. Die Bhagwan Rajneesh Organisation wird oft als die klassische Sekte angesehen. Aber trotz all ihrer unüblichen Überzeugungen und Aktivitäten hat ihr Führer seinen Anhängern keine rigide Denkweise auferlegt und hat den Informationsfluß und das Fragen nicht eingeschränkt. In der Tat stellt Eillen Barker (zit. n. Sydney Morning Herald vom 5. März 1993) heraus: „Ernsthafte Forschung legt nahe, daß viele der Prozesse, die involviert sind, wenn jemand Mitglied in einer neuen religiösen Bewegung wird, sich nur wenig, wenn überhaupt, von den Prozessen unterscheiden, die in der Familie, der Schule, der Armee oder traditionellen Religionen vorkommen.“

Auf der anderen Seite des »Zauns« im Fall Waco stand das FBI, das wohlbekannte Propagandamethoden anwendete, um die Menschen von der Ranch zu vertreiben. Bei der gegebenen Fortdauer des Enmifikationsprozesses auf beiden Seiten und des Gefühls, daß etwas geschehen müsse (im Gegensatz zur Möglichkeit der Untersuchung tief verwurzelter Bedürfnisse), war das Ergebnis nicht inkonsistent mit den Aktionen des FBI.

Schlußfolgerung

Im letzten Teil dieses Artikels habe ich ein aktuelles Beispiel des Enmifikationsprozesses aufgeführt und versucht, einige Lehren aus der Geschichte herauszustellen und einige weniger offensichtliche Implikationen des modernen alltäglichen Propagandaprozesses zu verdeutlichen. Es ist klar, daß wir für die Bedingungen der Enmifikation anfällig sind. Wenn wir diese Tatsache einmal erkannt haben, können wir durch Selbst-Analyse und bewußte Umstellung unserer Denkprozesse der Akzeptanz vereinfachter Meinungen und einfacher, »primitiver« Lösungen des Konflikts, mit dem wir konfrontiert sind, entgegenwirken. Wir müssen mit dem Prozeß der Analyse und des Hinterfragens anfangen, bevor Kriege beginnen oder Konflikte eskalieren und dürfen instinktiven Verteidigungsmechanismen nicht erlauben, uns zu beherrschen, und nicht zulassen, daß Angst- und Haßgefühle sich vervielfachen, bis sie auf einen Feind projiziert werden.

Wenn wir bei der Lösung eines Konflikts den eskalatorischen – zu Sündenböcken abstempelnden – Enmifikationsprozeß verhindern wollen, werden wir eine fundamentale Veränderung der Einstellungen und der Denkrichtung erreichen müssen. Ein Paradigmenwechsel ist nötig; weg von den exponentiellen Streßkurven der derzeitigen Entscheidungsfindungsmechanismen, die nur die nicht aufhaltbaren, reaktiven Szenarien fördern, welche zu Krieg führen. Die Zeiten, in denen wir über den Luxus verfügten, den Feind als einen nicht mit uns verwandten Fremden wahrzunehmen, sind vorbei. Wie Paul Pillar (1990) sagt: „Der Feind muß jetzt, da er nicht länger nur ein Objekt des Hasses oder Ziel militärischer Operationen ist, als Partner bei der schwierigen Suche nach einer akzeptablen und funktionierenden Schlichtung gesehen werden. Damit diese Suche erfolgreich sein kann, müssen die Ziele und Empfindlichkeiten des Feindes mehr beachtet – und muß ihnen mehr Berechtigung zugesprochen – werden.“ Die vergangenen Wahlen in Südafrika machen dieses Land zu einem lebensechten Laboratorium, um Pillars Prämisse zu überprüfen. Wenn ein solcher Paradigmenwechsel erreicht werden kann, können vielleicht die Worte eines anonymen Spiritual-Dichters Trost bringen: „The holiest place on earth is where an ancient hatred becomes a present love“ – Der heiligste Platz auf Erden ist da, wo ein vormals verhaßter Mensch zum Geliebten wird.

Literatur

Deutsch, K. W., 1970. Politics and Government. Boston: Houghton Mifflin.

Deutsch, M., Krauss, R. M., 1965. Theories in Social Psychology. London: Basic Books.

Festinger, L., 1957. A Theory of Cognitive Dissonance. Stanford, CA.: Stanford University Press.

Jowett, G. S., O'Donnell, V., 1992. Propaganda and Persuasion. London: Sage.

Keen, S., 1991. Faces of the Enemy. San Francisco: Harper.

Lifton, R. J., Markusen, E., 1990. Genocidal Mentality. London: Macmillan.

Lippmann, W., 1929. Public Opinion Around the World. New York: Macmillan.

Milgram, S., 1974. Das Milgram-Experiment. Reinbek: Rowohlt.

Pillar, P. L., 1990. Ending Limited War: The Psychological Dynamics of the Termination Process, in: Glad, B. (Ed.). The Psychological Dimensions of War. London: Sage.

Pratkanis, A., Aronson, E., 1991. Age of Propaganda: The Everyday Use and Abuse of Persuasion. New York: W. H. Freeman.

Reich, W., 1934. Die Massenpsychologie des Faschismus. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1971.

Reich, W., 1950. Character Analysis. London: Vision Press.

Rieber, R. W., Kelly, R. J., 1991. Substance and Shadow: Images of the Enemy, in: Rieber, R. W. (Ed.). The Psychology of War and Peace. New York: Plenum Press.

Tajfel, H., 1981. Human Groups and Social Categories. Cambridge, UK.: Cambridge University Press.

John F. Hunt, geb. 1948, war Rechtsanwalt (Solicitor) mit eigener Praxis in London (U.K.), die er im August 1991 aufgab um auf Weltreisen zu gehen. 1992/93 absolvierte er ein Postgraduiertenstudium in »Conflict Resolution« an der Macquarie University in Sydney (Australien), wo er heute lebt.

Ghaddafi bombardiert Washington. Die Produktion von Feindbildern am Beispiel Libyen

Ghaddafi bombardiert Washington. Die Produktion von Feindbildern am Beispiel Libyen

von Karl-Günther Theobald

Der Angriff der USA auf Tripolis und Bengasi sollte auch mit Blick auf seine propagandistische Vorbereitung und Kommentierung untersucht werden. Dieser „Fall“ belegt exemplarisch die Produktion von Feindbildern und deren Funktionalität für machtpolitische Interessen.

Das es bei der Auseinandersetzung zwischen Libyen und den USA am wenigsten um das Problem des Terrorismus geht bzw. gehen kann, wird dabei deutlich werden. So ist bekannt, das Ghaddafi zu einem Anschlag auf die Amerikaner angestachelt werden sollte und daß in der US-Administration die Sorge bestand, Ghaddafi könne durch Zurückhaltung die Angriffspläne durchkreuzen.

Wörterbuch der freien Welt

Bei der Analyse des Feindbildes „Sozialisrnus“ (THEOBALD, 1985) wurden verschiedene Faktoren herausgearbeitet, die für den Aufbau von Feindbildern wesentlich sind: Es finden Vereinfachungen in Gegensatzpaare (gut-böse, Zivilisation-Terror) statt, wobei der Feind als negativer Gegenpol zur bürgerlichen „Wertegemeinschaft“ dargestellt wird, mit dem Appell an ein den „Zivilisierten“ gemeinsames Normensystem also schon diskreditiert wird.

Weiterhin fällt eine Betrachtungsweise auf, die historische Bezüge vernachlässigt, die Bewertung relativ unabhängig von Ereignissen, aber hochgradig abhängig von dem zu bewertenden Akteur vornimmt, wobei dieser undifferenziert betrachtet wird. Hieraus entstehen – neben dem „Gegenpol“ zwei weitere Strukturmerkmale, die sich nur vordergründig widersprechen: Der Feind gilt einerseits als brutal und tyrannisch, also stark („Tiger“), andererseits als minderwertig und fast lächerlich, also schwach („Papiertiger“).

Diese drei Strukturmerkmale dienen nicht nur zur Diskriminierung des Gegners, sondern auch zur Rechtfertigung der gegen ihn gerichteten Aggression. Sie treten in der antilibyschen Kampagne in einer Klarheit zutage, die eine Kommentierung beinahe als überflüssig erscheinen läßt.

Zu 1. – Gegenpol: Daß an dieser Stelle die Gleichsetzung von antilibyschen und antikommunistischen Kampagnen (auf deren Resultate, die Verankerung des Antikommunismus in der Bevölkerung, hier eindeutig zurückgegriffen wird) so leicht gelingt, beruht sicher nicht auf Zufall. Das libysche „Reich des Terrors“ (REAGAN, 16.4.) kann schließlich nicht mehr sein als eine Filiale des umfassenderen „Reich des Bösen“ (REAGAN über die UdSSR, Blätter, 6/83, S. 772). Und deshalb verwundert es niemanden, daß der Anlaß, nämlich der Bombenanschlag auf eine Diskothek,, in Berlin stattfand, wo „amerikanische Soldaten Schulter an Schulter (s.o.) mit ihren Verbündeten zur Wahrung der … Freiheit und des Friedens“ stehen (WÖRNER, 7.4.). Logischerweise kamen die Attentäter über Ost-Berlin, wo die (Vernachlässigbar: libyschen) Drahtzieher sitzen. Eine Diskothek (sowas hieß vor 15 Jahren noch Lasterhöhle und Teufelswerk) wird also zum Repräsentanten für das „Gefüge der ganzen zivilisierten Welt“ (BURT, 7.4.), gegen das der Anschlag gerichtet gewesen sei.

Zu 2. – „Tiger“: Die Brutalität dieses Anschlages gehört schon zur Charakterisierung des „Tigers“, der im Falle Libyen durch den „tollwütigen Hund“ Ghaddafi und dessen „kriminelles Tun“ (REAGAN, 15. bzw. 16.4.) idealtypisch personalisiert wird. Seine kriminelle Energie richtet sich nicht nur gegen die „freie Welt“, sondern auch „durch Subversion und Aggression gegen die Nachbarstaaten in Afrika“ und gegen die eigenen Landsleute, die sich „schämen“ und „davor ekeln“, daß dieser „Tyrann“ sie, ein „anständiges Volk“, in Verruf bringt. (Diese Trennung in unterjochten Volk und diktatorische Herrscher findet sich bei Feindbildern sehr häufig. In Tripolis und Bengasi waren die meisten Opfer Zivilisten!) Er betreibt eine „rücksichtslose Politik der Einschüchterung“ des Westens (Ghaddafi bombardiert Washington?) und setzt seinen „unerbittlichen Terror“ fort (alle Zitate von REAGAN, 16.4.).

Zu 3. – „Papiertiger“: Zur Entmenschlichung des inzwischen fein säuberlich von seinem Volk getrennten Ghaddafi bedarf es noch des Nachweises seiner Minderwertigkeit. Man will schließlich dem „Wüstensohn“ einen „Denkzettel“ verpassen (Konkret 5/86, S. 10), der Unmensch braucht Nachhilfen. Die zivilisierte Welt ist sich einig, daß dieser „unerfreuliche Zeitgenosse“ (FR-Kommentar, 10.4.), dessen „schreierische Ankündigungen“ für unsere Ohren „unerträglich“ klingen, kein „Unschuldslamm“ sein kann (FR-Kommentar, 14.4.). Dies wird konstatiert, nicht etwa begründet. Schließlich handelt es sich nicht nur um einen tollwütigen, sondern auch um einen „verrückten Hund“ (REAGAN, 11.4.), der, nimmt man seinen Anspruch ernst, nicht Hund, sondern Mensch zu sein, „genug auf dem Kerbholz“ hat, um einen Angriff gegen ihn zu legitimieren. Damit muß man „nicht bis zur Beweisvorlage zögern.“ (KISSINGER, 11.4.)

Wie nun mit diesem Monstrum umgehen?

Führt man die verwendeten Metaphern konsequent weiter, so muß man den „tollwütigen Hund“ erschlagen, die „Geißel des Terrorismus“ (REAGAN, 17.4.) wie einst die Pest austilgen und der „Hydra des Terrorismus“ (KOHL, Konkret 5/86, S. 10) die Köpfe abschlagen (sind hier schon die anderen Köpfe in Syrien, Iran, Kuba, Nicaragua antizipiert oder ergeben sie sich eher zufällig aus dem Bild?). Nach Reagans Interpretation (11.4.) hat Ghaddafi den USA den Krieg erklärte), folglich müssen diese „zurückschlagen“ (REAGAN, 11.4.), denn „Selbstverteidigung ist nicht nur unser Recht, sie ist unsere Pflicht“ (REAGAN, 16.4.). Zudem handelt es sich bei dem Angriff auf Libyen um eine „vorbeugende Aktion“ (16.4.), da nie vorgelegte – Beweise für weitere geplante Anschlägen vorlagen.

Durch die zögerliche Haltung Europas fühlen sich die USA natürlich „alleingelassen“ (KISSINGER, 11.4.), und US-Botschafter R. BURT nennt es eine „engherzige Haltung“ (10.4.), die, wie sich dann herausstellt Planung eines Angriffs (auf die Bevölkerung zweier Städte) nicht vorbehaltlos zu unterstützen.

Daß diese emotionalisierende und im Grunde faktenverschleiernde Sprache bei den Rezipienten eine Wirkung zeitigen kann, läßt sich sehr verkürzt durch drei Punkte begründen:

– Erstens bieten die gesellschaftlichen Normen, auf die immer wieder eingegangen wurde, dem Einzelnen Sicherheit für sein soziales Handeln, sie ermöglichen es, die Folgen des eigenen Tuns einzuschätzen und sind daher hochgradig konsensfähig.

– Zweitens bietet die Entschlossenheit gegen einen, der „es verdient“ (Tiger) und „nichts wert ist“ (Papiertiger) die Möglichkeit zur Identifikation und damit zur Ableitung von Aggressionen, die auf ganz anderem Felde, nämlich im eigenen sozialen Gefüge, begründet liegen (wobei die Angst vor Vergeltung diese Identifikation abschwächt: Die Zustimmung zum US-Angriff steigt mit der Entfernung vom Kriegsschauplatz).

Schließlich ist die Öffentlichkeit bei außenpolitischen Ereignissen, die ja nicht erlebt werden, in sehr hohem Maße angewiesen auf die Vorgabe von Interpretationsmustern durch „Experten“, um die Ereignisse überhaupt einschätzen zu können.

Logik der veröffentlichten Meinung

Vor allem diese Abhängigkeit von Interpretationsmustern ermöglicht nun, auf der Grundlage des oben gezeigten Sprachgebrauchs (der ja auch schon Interpretation ist), die Manipulation der Öffentlichkeit durch die scheinlogische Verknüpfung nicht zusammengehörender Themen und durch Konzentration auf Nebenfragen zu betreiben Ich möchte hier drei Punkte herausgreifen.

Kurz vor und erst recht nach dem Anschlag auf die Berliner Diskothek wurde „Terrorismus“ zum alles bestimmenden Thema in den Medien und bei Politikern, was nicht durch vermehrte Anschläge o. ä. zu begründen ist. Die selbstverständliche Distanzierung vom Terrorismus und dessen Ablehnung wurde dabei immer mit Berichten und Kommentaren verknüpft, in denen es auch um Libyen und Ghaddafi ging. Genau auf diese Weise werden Assoziationen produziert. Ziemlich bald war der Punkt erreicht, an dem die Distanzierung bzw. Ablehnung die Person Ghaddafis betraf. Selbst in der Friedensbewegung besteht weitgehend Konsens, daß Ghaddafi nicht ganz zurechnungsfähig, unerfreulich, en Störenfried ist. Warum, mit welcher Begründung? Richtig ist, daß er Befreiungsbewegungen von El Salvador bis Palästina unterstützt, daß er die Jugend in den arabischen Ländern zum Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht ihrer Staaten agitiert. Ein Terroranschlag wurde ihm allerdings nie nachgewiesen, höchstens nach REAGANs Logik: Er ist für jeden Anschlag gegen amerikanische Bürger verantwortlich(16.4.).

In Berlin wird ein Amerikaner getötet. Er wird mit militärischen Ehren beigesetzt. Der FR-Kommentator äußert Verständnis 1985 starben 23 US-Bürger durch Attentate, die Zahl der durch Schußwaffen in den USA Getöteten geht in die Tausende; man möge nicht mir das als Zynismus auslegen – für die „blinde Wut“ der USA auf Libyen, obwohl ein Zusammenhang nicht nachgewiesen ist (14.4.). Höchstens ein impliziter Beweis wird geliefert: Weil die USA am 24.3., bei einem Manöver, das der „Freiheit der Meere“ diente, Libyen provoziert und bombardiert haben, scheint es angeblich logisch, daß dies ein Akt der Vergeltung war.

Selbst wenn dies stimmte, gäbe es nur einen Grund, die unverhältnismäßige Aggression zu verstehen: Die USA werden als Weltpolizist akzeptiert. Sie dürfen in dieser Rolle eigenständig überall in der Welt das Seerecht durchsetzen und aus beliebigem Anlaß jedes Land angreifen. Unabhängig davon, daß sich Libyen nach der „Bestrafung“ gar nicht mehr als unschuldig herausstellen darf, impliziert die Teilnahme an der Diskussion über die Schuld Libyens in diesen Tagen leider notwendigerweise eine Rechtfertigung des US-Angriffs für den Fall, daß Libyen tatsächlich an dem Anschlag beteiligt gewesen wäre.

Schließlich wäre noch auf die Nachbereitung des US-Angriffes einzugehen. Während er in den USA – mediengerecht für 19 Uhr Ortszeit getimt – eine Welle des Patriotismus auslöste, nicht über die Zustimmung zur Contra-Hilfe bewirkte, wurde das Ziel des offenen westlichen Schulterschlusses verfehlt, nicht zuletzt aufgrund massiver Demonstrationen der Friedensbewegung.

Erreicht wurde aber eine weitere Gewöhnung an das militärische Denken: Große Karten mit dem Angriffsplan wurden erläutert und diskutiert, die militärischen Möglichkeiten „schlauer Bomben“ und „chirurgischer Schläge“ kühl und sachlich erwogen (FAZ, 18.4.), die geplante Ermordung eines Staatsoberhaupts zum „Ziel“ beim „Präventivschlag“ heruntergespielt (ebd.) und auf einen innenpolitischen Putsch spekuliert (SHULTZ, 19.4.). Zu dieser Gewöhnung gehört auch, daß die Inhalte wohldosiert dargereicht werden: So suggeriert der Begriff „chirurgische Schläge“ die Begrenzbarkeit militärischer Operationen, ihre Kleinheit und Normalität. Dazu passen die Aussagen führender Politiker, daß eine Kriegsgefahr nie bestanden habe (die Aktivierung der Pershing II – s.u. – wurde dabei natürlich nicht erwähnt).

Geißel oder Geisel der „zivilisierten“ Menschheit

Gegen Ghaddafi wurde vorgegangen wie gegen eine Geißel – mit dem Ziel der Ausrottung. Daß dies für die USA nur ein Anfang war (REAGAN, 17.4.) zeigt allerdings, daß das Wort Geisel besser paßt. Diese wird mißhandelt, sobald es nötig ist. Nötig ist vor allem eine Ablenkung: von einer neuen Runde des Wettrüstens, diesmal im Weltraum; von der Torpedierung des „Geistes von Genf“ durch die USA; von den sowjetischen Abrüstungsinitiativen.

P. S. Da hier offensichtlich „Terrorismus“ nur als Vorwand diente, habe ich bewußt darauf verzichtet, den Begriff zu definieren und dazu Stellung zu beziehen. Deswegen unterbleibt auch die (diskussionswürdige) Qualifizierung der US-Aggression als „Staatsterrorismus“, ebenso die Erkundung von „Ursachen des Terrorismus“. Die Terrorismusproblematik sollte einer gesonderten Erörterung vorbehalten bleiben.

Anmerkungen

(1) Es sei der Phantasie jedes Einzelnen überlassen, ob er sich auf die Spekulation über einen vorgetäuschten Anschlag – etwa als Parallele zum Tomkin-Zwischenfall, der dann als Anlaß zur US-Aggression gegen Nord-Vietnam diente – einläßt.

(2) Man fühlt sich hier erschreckend oft an das Vokabular aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ erinnert.

(3) Wenn es stimmt, daß das Etikett „Terrorismus“ nur an Vergleichbares verliehen wird, dann bleibt festzustellen, daß sich REAGAN hier auf einen Argumentationsstrang einläßt, den die BRD im Zusammenhang mit der RAF, die für sich den Status des Kriegsgefangenenstatus forderte, immer strikt ablehnte.

Literatur

FR – Frankfurter Rundschau, überregionale Tageszeitung. Alle Zitate, die nur mit Datum angegeben sind stammen aus der entsprechenden Ausgabe der FR von 1986.
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die WELT – überregionale Tageszeitung Newsweek – Wochenzeitschrift, USA
Konkret – Monatszeitschrift für Politik und Kultur
Blätter für deutsche und internationale Politik – Monatszeitschrift
Militärpolitik Dokumentation – Vierteljahreszeitschrift
Theobald, K.-G. – Autoritarismus – ein Hirngespinst für Friedensengagement? Unveröff. Diplomarbeit, Marburg, 1985

Karl Günther Theobald ist Diplompsychologe und arbeitet in dem Forschungsprojekt „Weltraumrüstung – naturwissenschaftlich-technische und sozialwissenschaftliche Aspekte, Teilprojekt Feindbilder“ des. Arbeitskreises Marburger Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung.

Warblogs:

Warblogs:

Mehrwert für die Nutzer oder individuelle Propaganda?

von Julia Sommerhäuser

Als das US-Magazin »Time« den einfachen Internetnutzer zum Menschen des Jahre 2006 kürte, würdigte die Zeitschrift damit die Bedeutung von sozialen Netzwerken im Internet. Geehrt wurden Betreiber von Webseiten, auf denen Nutzer eigene Inhalte generieren und sich miteinander vernetzen können. Bekannteste Vertreter solcher Seiten sind Weblogs: Diese einfach strukturierten Internet-Tagebücher kann grundsätzlich jeder erstellen, weil kaum technische Vorkenntnisse erforderlich sind. Beiträge werden online geschrieben und direkt veröffentlicht.

Viele Weblogs erfüllen keinen besonderen Anspruch; sie erzeugen nach Ansicht mancher Experten lediglich Datenmüll. Dennoch können sie in bestimmten Situationen neue Sichtweisen darstellen. In militärischen Konflikten beispielsweise eröffnen die als »Warblogs« bezeichneten Kriegstagebücher Einblicke in den vom Militär geprägten Alltag. Vor allem im Irakkrieg 2003 haben sich Warblogs zu einem öffentlich beachteten Format entwickelt. Für Krempl waren sie sogar die »Gewinner des Medienkriegs« (Krempl 2004, S.190). Bei den Lesern hinterließ ihr authentischer Stil einen anhaltenden Eindruck. Eine Alternative zur regierungstreuen Kriegsberichterstattung vieler US-Massenmedien schien gefunden. Doch welchen Mehrwert bieten die Online-Kriegstagebücher den Nutzern überhaupt?

Besonderheiten des Kriegsjournalismus

Militärische Auseinandersetzungen entwickeln sich immer mehr zu Informationskriegen. Neben Boden, See und Luft wird eine vierte Front eröffnet: die Informationsfront. An ihr wird nicht um den Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern um »die Manipulation seiner medialen Repräsentation« (Bendrath 1999) gekämpft: »Den traditionellen Kriegsjournalismus gibt es [demzufolge] nicht mehr« (Foggensteiner 1993, S.31).

Durch das »Embedding-System«, das erstmals im Irakkrieg 2003 praktiziert wurde, veränderten sich die Arbeitsweisen der Kriegsreporter. Als eingebettete Kriegsteilnehmer erhielten Journalisten die Gelegenheit, die Soldaten zu begleiten. Dieses »Menscheln in den Schützengräben« eröffnete der Berichterstattung neue Perspektiven. Die Nähe zum Geschehen und die Chance auf exklusive Augenzeugenberichte bedeuteten einen Prestigegewinn für die Medien.

Andererseits verloren viele Reporter die für eine ausgewogene Kriegsberichterstattung nötige Distanz, weil sie vom persönlichen Verhältnis zu den Soldaten abhängig waren. Sie zeigten vielfach »erkennbare Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als neutrale Beobachter« (Fleischhauer 2003, S.199). Von ihnen konnten kaum kritische Töne erwartet werden, denn wer fürs eigene Überleben auf die ihn umgebenden Soldaten angewiesen ist, »wird ihnen wohl kaum einen Beitrag später Mikrofon oder Bleistift in den Rücken rammen« (Bendrath 1999: 17).

Unter diesen Bedingungen erscheint es für professionelle Kriegsreporter schwierig, die politische Öffentlichkeit unabhängig zu informieren. Viele Nutzer sehen deswegen das Internet als Hoffnungsträger an. Dort finden neben professionellen auch partizipative Vermittler den Weg in die Öffentlichkeit.

Professionelle und partizipative Vermittler im Netz

Der Kriegsjournalismus im Internet ist durch ein Nebeneinander von traditionellen und innovativen Strukturen gekennzeichnet. Zum einen vermitteln professionelle Journalisten Nachrichten zum Kriegsverlauf. Die Online-Seiten traditioneller Medien entsprechen weitgehend den herkömmlichen Vorstellungen vom Journalismus. Sie sind für ein Massenpublikum gestaltet und basieren überwiegend auf einseitiger Kommunikation. Die Nutzer haben kaum Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Produziert werden diese Angebote von Online-Journalisten, deren Arbeit in Redaktionsabläufe integriert ist. Online-Nachrichtenseiten verzeichnen in Kriegszeiten einen hohen Zulauf: Während des Irakkrieges etwa lasen 56% der amerikanischen Internetuser Medien-Webseiten (vgl. Rainie/Fox/Fallows 2004). Grund für diese hohen Zahlen könnte die Unübersichtlichkeit der übrigen Webangebote sein. Die Nutzer sind damit überfordert und wenden sich lieber den vertrauten Onlinequellen bekannter Medienmarken zu. Diese bieten auch internationale Nachrichten, was die inhaltliche Bandbreite entscheidend erweitert.

Zum anderen prägen Laien die öffentliche Internet-Kommunikation im Krieg. Hier haben sich vor allem die Warblogger einen Namen gemacht. Warblogs sind Ausdruck eines Phänomens, das als »partizipatorischer Journalismus« bezeichnet wird (vgl. Bowmann/Willis 2003). Neuberger grenzt diese Art Journalismus von der professionellen Vermittlung ab (vgl. Neuberger 2006). So ist der Grad der Professionalisierung bei partizipativen Angeboten niedriger. Das Gros der Seiten wird von Laienkommunikatoren geführt. Neuberger hält darüber hinaus die Art der inhaltlichen Qualitätssicherung für different: Die Einhaltung journalistischer Standards wird bei Presse und Rundfunk auch online durch Redaktionen geregelt – eine Prüfung der Beiträge findet vor ihrer Veröffentlichung statt. Im partizipatorischen Journalismus gilt hingegen gilt: Informationen und Meinungen werden erst veröffentlicht, Korrekturen können anschließend hinzugefügt werden.

Diese Strukturen stellen die Routinen der Kriegsberichterstattung zweifellos in Frage. Ein journalistischer Vermittler ist nicht mehr zwingend vonnöten, da die Nutzer seine Aufgaben übernehmen können. Es entsteht gewissermaßen eine Kriegsberichterstattung »von unten«. Diese Aufwertung der Nutzeraktivitäten veranlasst Wissenschaftler dazu, Warblogs als Format einer »bewusste[n] Gegenöffentlichkeit« (Bendrath 1999: 86) anzusehen. Nach Scholl und Bobbenkamp (1993, S.233ff.) müssen dafür folgende Kriterien erfüllt sein:

  • die Angebote sollten unabhängig sein,
  • unterdrückte Nachrichten veröffentlichen,
  • Kommunikation mit den Rezipienten herstellen,
  • über die Betroffenen berichten,
  • versteckte Missstände aufdecken,
  • den Rezipienten Handlungsmöglichkeiten anbieten,
  • eine verständliche Sprache gebrauchen und
  • neue Arbeitsformen entwickeln.

Gerade in Krisenzeiten sind solche Angebote gefragt, weil sich die Betroffenen äußern. Ihr Ziel ist es, Themen außerhalb der medialen Agenda anzusprechen. Häufig stellen sie aber auch einfach ihre Sicht der Dinge dar, die ebenso propagandistisch gefärbt sein kann wie die Berichterstattung der traditionellen Medien.

Warblogs im Irakkrieg 2003

Warblogs gab es vereinzelt bereits im Kosovokrieg 1999, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht als eigenes Genre identifiziert wurden. Der Mönch Sava Janjíc etwa verbreitete seine Berichte aus einem Kloster an der albanischen Grenze. Vor allem nach dem 11. September 2001 entwickelten sich Warblogs zu einem öffentlichen Medienphänomen. Grund dafür war eine Politisierung der Weblogs nach den Anschlägen. Viele Weblogger diskutierten online über ihre Ängste und Sorgen. Die Gruppe der Onlinetagebücher, die sich mit Krieg und Terror auseinander setzten, wurde von da an als »war-related weblogs«, kurz Warblogs, bezeichnet. Die Terroranschläge in Amerika waren damit eine wichtige Zäsur in der Entwicklung des Angebotstyps.

Ein weiterer Einschnitt war der Irakkrieg 2003, der das Format einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte. Beliebtestes Beispiel war das Onlinetagebuch »Dear Raed« (www.dear-raed.blogspot.com/), in dem ein irakischer Architekt unter dem Pseudonym Salam Pax seine Kriegseindrücke beschrieb. Die Webseite erlangte internationalen Ruhm – Salam Pax arbeitete zeitweise als Kolumnist beim britischen »Guardian« und veröffentliche sein Kriegstagebuch bei einem Verlag.

Der freie Journalist Christopher Allbritton sammelte in seinem Warblog Back to Iraq (www.back-to-iraq.com) Anfang 2003 Spendengelder für eine Reise in den Irak. Fast 14.000 US-Dollar kamen zusammen. Mit einem geliehenen Laptop trat Allbritton die Reise an; die Leser bewerteten während dieser Zeit seine Arbeit. Dieses Beispiel eines von Lesern finanzierten Individualjournalisten, der keiner Redaktion Rechenschaft schuldet, bezeichnete Allbritton (2003) als »genesis of a new form of journalism«.

Autor des Warblogs Live from the sandbox (http://lt-smash.us/) war L.T. Smash, angeblich ein amerikanischer Reserveoffizier. Er stellte das US-Militär als Befreier des unterdrückten irakischen Volkes dar und trat für den Krieg ein. Seine Authentizität wurde jedoch häufig angezweifelt. Die wenigen Beispiele zeigen, dass Warblogs verschiedene inhaltliche Schwerpunkte haben. Einige Autoren fokussieren auf persönliche Erlebnisse, andere diskutieren militärische oder politische Entscheidungen. Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung gibt es gemeinsame Merkmale: Warblogs thematisieren den Krieg im weitesten Sinne und betonen subjektive Stellungnahmen; sie werden regelmäßig aktualisiert und sind umgekehrt chronologisch geordnet. In den meisten Fällen können Nutzer Kommentare hinterlassen.

Stärken und Schwächen

Was die Kriegstagebücher beliebt macht, ist ihre persönliche Sichtweise. Auch die Augenzeugenberichte sind gefragt, weil sie Glaubwürdigkeit vermitteln und den Nutzern eine erweiterte Datenlage anbieten. Der Reiz dabei ist, dass die Leser das Gefühl haben, ins Geschehen involviert zu sein. Sie erhalten die Informationen nicht mehr medien-, sondern »1:1«-vermittelt. In Kriegssituationen hat dieses Konzept umso mehr Erfolg, da die Medienvermittlung propagandistisch beeinflusst erscheint.

Andererseits können die Nutzer niemals sicher sein, ob nicht auch Warblog-Berichte manipuliert sind. Über die Verfasser ist wenig bekannt, so dass ihre Authentizität kaum einzuschätzen ist. Die veröffentlichten Informationen sind selten geprüft und damit ein latenter Unsicherheitsfaktor. Zur Verunsicherung trägt auch die schiere Masse an Warblogs bei. Eine Orientierung fällt schwer und der Nutzer verliert schnell den Überblick. Deswegen werden Warblogs bislang eher verhalten rezipiert und haben wenig öffentliche Relevanz: Während des Irakkrieges nutzten nur vier Prozent der Amerikaner Warblogs (vgl. Bowmann/Willis 2003). Das mag daran liegen, dass auch Warblogger nicht vor »Korpsgeist und regierungs-amtliche[m] Konsens« (Prümm 1999, S.9) gefeit sind.

Angebot der Gegenöffentlichkeit?

Warblogs können also kein Allheilmittel für die unzureichende Herstellung von Öffentlichkeit in den Massenmedien sein. Sie können jedoch die Bildung von Gegenöffentlichkeit fördern (vgl. Blood 2000, S.16). Die von Scholl und Bobbenkamp genannten Kriterien werden augenscheinlich erfüllt: Die Unabhängigkeit von jeglichen Institutionen ist bei einem Großteil der Warblogs gewährleistet, da es überwiegend private Angebote sind. Die Veröffentlichung unterdrückter oder übersehener Nachrichten ergibt sich aus dem persönlichen Sichtfeld der Warblogger als Augenzeugen. Sie haben einen direkten Zugang zum Geschehen und sind – bestenfalls – nicht der Propaganda ausgesetzt. Im Gegensatz zu den traditionellen Medien stellen Warblogs eine Öffentlichkeit her, in der die Kommunikation mit den Rezipienten dauerhaft gewährleistet ist. In den meisten Fällen geschieht dies über Kommentare. Auch berücksichtigen Warblogs die Erlebnisse der Betroffenen und schreiben darüber. So finden sich in vielen Tagebüchern Augenzeugenberichte. Teilweise gelingt es den Warbloggern, Missstände zu enthüllen: Salam Pax beispielsweise prangerte die Bombardierung ziviler Ziele an.

Handlungsmöglichkeiten für die Rezipienten bieten Warblogs nur indirekt. Manchmal werden Möglichkeiten vorgestellt, wie die Nutzer aktiv werden können. Darüber hinaus können sich die Nutzer in ihren Kommentaren gegenseitig Hinweise geben. Dass die Tagebuch-Schreiber eine für den Laien verständliche Sprache gebrauchen, ist in den meisten Fällen Tatsache, da Warblogger selbst überwiegend Amateure ohne entsprechende Ausbildung sind. Ihnen liegt vor allem daran, ihre Eindrücke durch Stilmittel wie Ironie oder Zynismus zu vermitteln. Warblogs entwickeln außerdem neue Arbeitsformen. Sie sind – obwohl jedes einzelne zunächst ein selbstverwaltetes Angebot darstellt – in die Gemeinschaft der Blogosphäre integriert. Sie verweisen aufeinander, lesen die Angebote anderer Anbieter und überprüfen sich gegenseitig. Diese Netzwerkbildung geschieht bei professionellen Medien-Webseiten nicht.

Warblogs erfüllen also – zumindest theoretisch – die Bedingungen eines Angebotes der Gegenöffentlichkeit. Dennoch stellt sich die Frage, welchen Mehrwert sie in der Praxis bieten.

Fallstudien: Warblogs im Kosovo und Libanon – ein Mehrwert für die Nutzer?

Die Besonderheiten der Online-Formate treten vor allem im direkten Vergleich zu Tage. Deswegen werden die Berichte zweier Kriegstagebücher den Nachrichten von CNN gegenübergestellt. Aufgrund der geringen Fallzahl wurde ein qualitatives Analyseverfahren gewählt. Um die zeitliche Entwicklung zu berücksichtigen, werden Kosovo- und Libanonkrieg untersucht. Beide Konflikte sind bedeutsam, weil der Kosovokrieg als erste Auseinandersetzung gilt, in der Warblogs eine Rolle spielten. Der Libanonkonflikt ist dem gegenüber das aktuellste Beispiel, an dem man das Wirken der Warblogs festmachen kann.

Der Kosovokonflikt 1999

Am 27. März 1999 wurde über Belgrad ein Tarnkappenbomber abgeschossen. Der Pilot konnte von US-Spezialeinheiten gerettet werden. Am 27. und 28. März 1999 berichtete ein 21-jähriger Programmierer aus Belgrad in seinem Kriegstagebuch »Members Tripod« (http://members.tripod.com/CodeMage/top.htm) über das Geschehen. Auch CNN griff die Ereignisse auf.

Bei der Berichterstattung über den Abschuss zeigt sich, dass CNN das Ereignis detaillierter darstellt. Einem Warblog-Beitrag stehen mehrere CNN-Berichte gegenüber. Die Journalisten berichten zeitnah über den Ort des Abschusses, den Verlauf der Rettungsaktion und das Befinden des Piloten. Außerdem liefern sie in zwei Reportagen über die US-Rettungseinheiten und die verschiedenen Flugzeugtypen zusätzliche Informationen. Auch die Reaktionen von Politikern und Militär-Experten werden dargestellt. So erfährt der Leser von Spekulationen, dass der vermeintliche Abschuss unter Umständen nur ein Absturz war, der auf einen technischen Defekt zurückzuführen ist. Diese Informationsfülle bei CNN bedeutet jedoch nicht, dass der Warblog-Bericht nicht aussagekräftig ist.

Im Gegenteil: der Warblogger vermittelt viele Emotionen und bezieht deutlich Stellung. Zunächst schreibt er über das Stimmungsklima vor Ort; er stellt den Tag als frühlingshaft und sonnig dar. Der Duft der Pflaumenblüte macht ihn glücklich, auch wenn die Menschen in seiner Umgebung ihm eher depressiv erscheinen. Dieser positiven Stimmung am Tag stellt er die Probleme während der Nacht gegenüber. Der Sirenenlärm hält ihn vom Schlafen ab und zermürbt seine Geduld1. Als er vom Abschuss der US-Maschine hört, mutmaßt er, dass die Bombardierungen aufgrund des verletzten Stolzes der NATO-Verbündeten von nun an verschärft werden. Bei CNN ist hingegen zu lesen, dass die zusätzlichen Attacken Teil einer bereits festgelegten Strategie der NATO seien.

Der Warblogger nimmt in diesem Zusammenhang klar Stellung gegen die NATO, die er für Angriffe auf nicht-militärische Ziele verantwortlich macht. Konsequent bezeichnet er die Einwohner des Kriegsgebiet als »we« und grenzt sie so von den NATO-Verantwortlichen ab2. Bei CNN überwiegt hingegen ein neutraler Stil, dem es vor allem um die Beantwortung der journalistischen W-Fragen und weniger um Meinungsdarstellung geht. CNN verlinkt in den Beiträgen ausschließlich auf eigene Nachrichtenseiten und bietet keine Verweise auf andere Onlinemedien an. Der Warblogger hingegen verlinkt auch externe Seiten, um dem Leser weitere Sichtweisen anzubieten.

Der Libanonkonflikt 2006

Beim Luftangriff auf die Ortschaft Kana sollen am 30. Juli 2006 circa 54 Menschen getötet worden sein, darunter auch Kinder. Das Bombardement war am 30. und 31. Juli 2006 Thema im Warblog »Anecdotes from a Banana Republic«3, in dem eine Bewohnerin aus Beirut regelmäßig über ihre Eindrücke berichtete. Auch CNN meldete das Ereignis auf seinen Onlineseiten. Das Warblog liefert über Kana einen eindringlichen Augenzeugenbericht. Die Autorin schildert ihre Eindrücke auf dem Weg zum Ort des Geschehens. Aufgrund der vielen zerstörten Straßen benötigt sie für eine Strecke von 70 Kilometern rund sechs Stunden und kommt erst nach den internationalen Pressevertretern in Kana an. Dort hört sie sich die Schicksale einzelner Überlebender an, etwa eines jungen Mannes, der seine kleinen Kusinen in den Trümmern verloren hat.

Die Bilder, die sich ihr beim Anblick des zerstörten Hauses bieten, schildert sie emotional: »Amidst the concrete remains of the house were (…) baby photos, teddybears«4. Besonders betroffen zeigt sie sich von umherfliegenden Zetteln mit Hausaufgaben, die die getöteten Kinder gemacht haben. Sie findet »one essay which was neatly transcribed into a school notebook tackled the issue if women and men are capable of performing the same jobs«5. Die Berichte von CNN beschränken sich hingegen meist auf die Wiedergabe von Fakten: Opferzahlen, Ursachen, Verlauf. Vor allem die politischen Reaktionen im In- und Ausland nehmen einen hohen Stellenwert ein. Daran angeschlossen sind Berichte über die nach Kana verstärkten Friedensbemühungen sowie ein Überblick über die mögliche Gestaltung eines Friedensvertrags.

Stimmungen werden auch bei CNN vermittelt, wenn auch auf weniger eindringliche Art. Durch Zitate von Betroffenen oder Politikern erfährt der Leser mehr über das Meinungsklima. So vertritt beispielsweise ein Botschafter den Standpunkt, dass die Bomben auf Kana US-Fabrikat seien – eine Technik, die in diesem Falle nicht »laser-guided«, sondern »hatred-guided«6 funktioniert habe.

Insgesamt sind die Warblog-Berichte emotionaler gestaltet. Vor allem negative Gefühle werden beschrieben. Einige Nutzer bezeichnen Israels Vorgehen in Kana als »cold blooded murder«7 und vergleichen es mit der Nazi-Diktatur in Deutschland. Diese Parallele zum NS-Regime wird in den Warblog-Kommentaren häufig gezogen. Auch ausländische Warblogger melden sich zu Wort. Ein Israeli entschuldigt sich für den Angriff; andere Nutzer bewerten die Auseinandersetzung neutral8. Die Beiträge der Leser zeichnen ein facettenreiches Bild.

Hinsichtlich der Verlinkungen setzt CNN erneut auf interne Links. In den Warblog-Postings werden keine Verlinkungen angeboten; die Nutzer verweisen aber in einigen ihrer Kommentare auf externe Nachrichten- und Bilderquellen zum Vorfall in Kana.

Fazit

Wie die Analyse zeigt, ist die Berichterstattung in Warblogs durch einen eigenen Stil geprägt. Die wichtigsten Ergebnisse werden nun vereinfacht dargestellt:

  • Oszillations- versus Inselmedium: Warblogs bieten Links zu externen Webseiten an, um dem Leser zusätzliche Informationen bereitzustellen. Durch das Setzen von Hyperlinks machen sie ihre Beiträge zu »Textformen, die tatsächlich keinen Rand mehr« (Eigner 2003, S.121) haben. Eigner bezeichnet diese Angebote als Oszillationsmedien, weil sie zwischen dem in sich geschlossenen Beitrag und den nach außen offenen Hyperlinks oszillieren. Dem entgegen stellt er Internetseiten, die über keine Links nach außen verfügen und in sich eine kompakte Einheit darstellen. Da diese »Sites zu Inseln geworden« sind, bezeichnet Eigner sie als Inselmedien. CNN stellt hier ein klassisches Beispiel für ein Inselmedium dar.
  • Stimmungen versus Sachlichkeit: Bei CNN überwiegt die nüchterne Berichterstattung; Stimmungen werden selten vermittelt; allenfalls in Zitaten werden Meinungen und Emotionen erkennbar. Ansonsten beschränkt sich die Berichterstattung von CNN auf die vom professionellen Journalismus erwartete Sachlichkeit. Anders bei Warblogs: Die Autoren verwenden zahlreiche wertende Adjektive, um ihre Eindrücke zu übermitteln. Sie sind weniger auf die Wiedergabe von Informationen bedacht als auf die Darstellung eines Standpunktes. Ob der Leser damit übereinstimmt, spielt keine Rolle, da er sich ggf. mit einer abweichenden Meinung selbst zu Wort melden kann.
  • Eindrücke versus Detailinformationen: Beide Angebotsformen unterscheiden sich weniger in ihrem Informationsgehalt als in der Art der angebotenen Auskünfte. Während Onlinemedien zahlreiche Fakten und Details nennen, liegt das Augenmerk der Warblogger auf der Schilderung von Eindrücken. Sie liefern weniger Sachinformationen, beschreiben dafür aber scheinbare Nichtigkeiten wie das Wetter oder die Stimmung vor Ort ausführlich. Auch das kann für den Leser sehr informativ sein.
  • Erwähnung versus Einbettung: Besonders auffällig ist bei CNN die Einbettung der Informationen in einen größeren Kontext. Im konkreten Fall wurde die Vorgeschichte des Angriffs auf Kana bis zum eigentlichen Kriegsbeginn noch einmal reflektiert. Dieser Kontext wird in Warblogs selten gegeben. Hier wird das konkrete Ereignis erwähnt, Reflexionen finden jedoch kaum statt. Das aktuelle Geschehen wird vielmehr als Anlass genommen, um eine eigene Einschätzung der Lage zu geben.

Ob diese Besonderheiten der Warblogs einen Mehrwert für den Nutzer darstellen, hängt von seinen Bedürfnissen ab. Es kommt darauf an, ob er sich sachlich informieren oder Eindrücke sammeln möchte. Warblogs legen den Schwerpunkt auf persönliche Sichtweisen und stellen in diesem Sinne durchaus zusätzliche Informationen zur Verfügung. Solange sich der Nutzer dieser Subjektivität bewusst ist, kann er dort auf relevante, öffentlich kaum berücksichtigte Standpunkte stoßen. Den größten Mehrwert werden Nutzer wohl erzielen, wenn sie traditionelle (Online-)Medien und Warblogs lesen.

Literatur

Allbritton, C. (2003): Hearts and Minds. http://www.back-to-iraq.com/archives/Files/book_ proposal.pdf.

Bendrath, R. (1999): Der Kosovo-Krieg im Cyberspace. In: Telepolis, http://www.heise.de/bin/tp/issue/dl­artikel.cgi?artikelnr=6449&rub_ordner=special&mode=html

Blood, R. (2000): Weblogs: A History and Perspective. In: Rodzvilla, J. (2002) (Hrsg.): We‘ve got blog. Cambridge.

Bowmann, S./Willis, C. (2003): We Media. http://www.hypergene.net/wemedia/weblog.php.

Eigner, C. (2003): Wenn Medien zu oszillieren beginnen: (Dann macht es) BLOG! In: Ders. et al. (Hrsg.): Online-Communities, Weblogs und die soziale Rückeroberung des Netzes. Graz

Fleischhauer, J. (2003): Reporter in Kampfmontur. In: Der Spiegel, 57. Jg., Nr. 14

Foggensteiner, A. (1993): Reporter im Krieg. Wien

Krempl, S. (2004): Krieg und Internet: Ausweg aus der Propaganda? Hannover

Neuberger, Christoph (2006): Weblogs=Journalismus? Kritik einer populären These. In: Diemand, Vanessa/Mangold, Michael/Weibel, Peter (Hrsg.): Weblogs, Podcasting und Videojournalismus. Heidelberg: dpunkt.verlag, S.107-137.

Prümm, K. (1999): Wo ist die Wahrheit? In: epd medien, Nr. 72

Rainie, L./ Fox, S./ Fallows, D. (2004): The Internet and the Iraq War. In: PEW Internet & American Life Project, http://www.pewinternet.org/reports/pdfs/PIP_Iraq_War_Report.pdf

Scholl, A./ Bobbenkamp, C. (1993): Gibt es einen Dritten Weg? In: Löffelholz, M. (Hrsg.): Krieg als Medienereignis. Opladen

Anmerkungen

1) vgl. http://members.tripod.com/CodeMage/day4.htm

2) vgl. http://members.tripod.com/CodeMage/day5.htm

3) http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/

4) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/2006/07/to-qana-and-back.html

5) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic. blogspot.com/2006/07/to-qana-and-back.html

6) vgl. http://www.cnn.com/2006/WORLD/ meast/07/30/mideast.un/index.html

7) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic.blogspot.com/2006/07/qana-mathematics-of-war.html# c115435868160209850

8) vgl. http://anecdotesfromabananarepublic.blogspot.com/2006/07/qana-mathematics-of-war.html# c115432422084604997

Julia Sommerhäuser ist Doktorandin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Zur Relevanz von Feindbildern – am Beispiel des Golfkrieges / Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg

Zur Relevanz von Feindbildern – am Beispiel des Golfkrieges /
Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg

von Gert Sommer, Wilhelm Kempf

Politisches Bewußtsein und Handeln sind stark vom Feind-Freund-Denken beeinflußt, also von den Bildern , die sich Politiker und die Bevölkerung von politisch relevanten Personen und Ereignissen machen. Feindbilder sind eine Untergruppe von Vorurteilen. Insbesondere Sozialpsychologen haben herausgearbeitet, daß Vorurteile wichtige individuelle und soziale Ursachen haben, die eng miteinander verwoben sind.

zum Anfang | Zur Relevanz von Feindbildern – am Beispiel des Golfkrieges

von Gert Sommer

I. Zur Psychologie von Feindbildern

Zunächst zu den individuellen Bedingungen für Vorurteile: Menschen machen sich Bilder, Vorstellungen von sich selbst und ihrer Umwelt. Die Realität ist so komplex, daß ein Individuum nicht alle Informationen wahrnehmen und verarbeiten kann. Subjektiv Wichtiges ist von Unwichtigem zu trennen, sonst würde das Individuum in einem Chaos von unendlich vielen Informationen untergehen, handlungsunfähig werden. Die direkt vorhandenen und die prinzipiell verfügbaren Informationen müssen also reduziert werden. Dies kann durch die Bildung von Kategorien oder Klassen geschehen, zu denen auch Vorurteile gehören. Kategorien bringen Übersichtlichkeit und Ordnung in die hochkomplexe Welt, sie erleichtern die Identifikation und Bewertung von Objekten. Damit wird eine subjektive Realität konstruiert, die für das Individuum Sinn ergibt und ihm Handlungsfähigkeit ermöglicht. Solche Kategorien sind zum Beispiel Stuhl, Tisch, Haus, Geschlecht, Alter, Religion, Beruf, Hautfarbe, Nationalität, politische Überzeugung. Die jahrzehntelang in der Bundesrepublik vermutlich wichtigste Kategorie internationaler Politik war »West« gegenüber »Ost« (und z.B. nicht eine ebenso denkbare Kategorie »Unterstützung von Diktaturen«). Handlungsfähigkeit mithilfe von Kategorienbildung erfordert auch, daß die Kategorien möglichst stabil und widerspruchsfrei sind; denn andernfalls müßten sie mit großem intellektuellem und emotionalem Aufwand häufig verändert und den neuen Bedingungen angepaßt werden. Um dies zu vermeiden, werden Informationen bevorzugt danach aufgesucht und auch verarbeitet, daß sie mit den bestehenden Kategorien konsistent sind und diese stabilisieren (Konsistenz-Prinzip). Dies geschieht auch dadurch, daß solche Personen und Gruppen bevorzugt werden, die entsprechende Informationen bereitstellen oder bestätigen.

Kategorienbildung und Konsistenzprinzip implizieren immer einen Informationsverlust; dies kann zu unangemessenen und vorläufigen, aber relativ leicht korrigierbaren Vor-Urteilen führen, jedoch auch zu groben Informationsverzerrungen, die schwer veränderbar sein können. Letzeres geschieht insbesondere dann, wenn realitäts-unangemessene Kategorien verwendet werden, wenn relevante Informationen systematisch (d.h. auch motivbedingt) unberücksichtigt bleiben und wenn diese Kategorien zusätzlich stark mit Emotionen besetzt sind. Dies ist typisch für Feindbilder mit ihren intensiven negativen Emotionen. Während die Bildung von Kategorien grundsätzlich eine kognitive Notwendigkeit zur individuellen Orientierung ist, bedeutet ihre Ausgestaltung in Form von Feindbildern eine starke Realitätsverzerrung, ein »pathologisches Extrem« (Spillmann & Spillmann).

Zu den sozialen Bedingungen für Vorurteile: Menschen streben als soziale Wesen nach sozialer Zugehörigkeit, sozialer Identität. Dazu suchen sie Anschluß an Personen und Gruppen, die sie schätzen und denen sie ähnlich sein wollen. Durch den engen Kontakt können Handlungs-, Denk-, Motiv- und Wertemuster in hohem Ausmaß übernommen werden. Dies geschieht insbesondere durch die psychologischen Prinzipien des Modell-Lernens und der sozialen Belohnung und Bestrafung.

Psychologisch erleichternd und notwendig erscheint es, auch eine Gruppe der anderen, Un-Ähnlichen zu konstruieren, von der Menschen sich abgrenzen und gegenüber denen sie Nicht-Zugehörigkeit demonstrieren können. Beispiele für solche Abgrenzungen von Wir- bzw. Innengruppen einerseits und Außengruppen andrerseits sind Männer gegenüber Frauen, Schul- gegenüber Kindergartenkindern, Studenten gegenüber Dozenten, Arbeiter gegenüber Angestellten, evangelische gegenüber katholischen Christen, Christen gegenüber Nicht-Christen, Weiße gegenüber Schwarzen, Konservative gegenüber Sozialisten. Entsprechende Gruppenbildungen mit dem dazugehörigen »Wir«-Gefühl sind grundsätzlich wichtig für die persönliche Identität und für die Identität von Gruppen. Bei Feindbildern sind solche Gruppenbildungen rigide und mit starken Emotionen besetzt: positive Gefühle bezüglich der Wirgruppe, negative Gefühle gegenüber der Außengruppe.

In seinen bekannten Ferienlager-Experimenten konnte der Sozialpsychologe Mustafer Sherif (Sherif & Sherif, 1969) aufzeigen, daß männliche Jugendliche im Rahmen eines Ferienlagers – insbesonder durch die Aufteilung auf verschiedene räumliche Einheiten – Gruppen bildeten mit eigenen Regeln und Rollenaufteilungen, die schnell zu einem Wir-Gefühl und auch entsprechender Abgrenzung zu anderen Grupen führten. Durch die experimentelle Herstellung einer Wettbewerbssituation und die entsprechenden Gewinner- und Verlierer-Erlebnisse – es wurde ein Spiele-Turnier organisiert und die Ergebnisse wurden ausgehängt – festigten sich sowohl der innere Zusammenhalt der Gruppen als auch die Abgrenzung zwischen den Gruppen erheblich, es kam schließlich zu tätlichen Auseinandersetzungen.

II. Vom Vorurteil zum Feindbild

Insbesondere bei Spannungen, Konflikten und Krisen kann es zu einem Eskalationsprozeß kommen, in dem im inner- und zwischengesellschaftlichen Bereich die Gruppe der anderen zunehmend negativ beurteilt wird mit den vorherrschenden Assoziationen falsch, schlecht, minderwertig, gefährlich und böse. Dies kann zum Teil realistisch sein (wenn z.B. eine Gruppe die andere diskriminiert, unterdrückt, ausbeutet oder gar physisch vernichtet), zum Teil kann dies auch – bei nur geringer realistischer Grundlage – durch entsprechende Propaganda von einflußreichen Meinungsbildnern hergestellt werden, zumindest sofern die Adressaten für diese Propaganda auch empfänglich sind.

Die Distanz zum positiven Selbstbild und damit die Un-Ähnlichkeit wird im Verlauf des Eskalationsprozesses immer größer. Allein die Nennung des Feind-Namens führt zu einem Bündel negativer Bewertungen und Gefühle. Das Bild vom anderen enthält dann (fast) auschließlich negative Attribute. Der andere wird als brutal, kriegerisch, gefährlich und moralisch minderwertig bewertet. Im Extrem wird ihm die Menschlichkeit abgesprochen, er wird zum Unter-Menschen und Un-Menschen. Nach unserer Definition sind Feindbilder Deutungsmuster für gesellschaftlich-politisches Geschehen; sie sind negative, hoch emotionale, schwer veränderbare Vorurteile, die reichen können bis hin zur fantasierten oder gar realen Vernichtung des Gegners. Feindbilder können sich richten gegen einzelne Menschen, Gruppen, Völker, Staaten oder Ideologien.

Typisch für ein ausgeprägtes Feindbild ist also, daß es im anderen nur oder hauptsächlich das Negative, Böse sieht (vgl. z.B. die Kennzeichnung der Sowjetunion als »Reich des Bösen« durch US-Präsident Reagan). Dies geschieht psychologisch u.a. dadurch, daß der gesamte Prozeß der Informationsaufnahme und -verarbeitung in den Dienst der Aufrechterhaltung dieses Bildes gestellt wird und daß dem Feind primär negative Motive zugeschrieben werden. Dieses negative Bild kann in Teilbereichen realitätsangemessen sein, häufig aber ist dies in den anderen hineinfantasiert, projiziert. Die negative Realität kann im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zum Teil durch das Feindbild selbst produziert werden: Der andere verhält sich so negativ, wie wir es von ihm erwarten und ihm durch unsere eigenen Aktionen nahelegen.

Typisch für ein Feindbild ist zudem, daß es durch sachliche Informationen kaum zu verändern ist. Dies unterscheidet es von vorläufigen Urteilen, die hauptsächlich durch mangelnde Erfahrungen zustande kommen und erheblich leichter zu revidieren sind.

Verzerrte Vorstellungen vom anderen im Sinne von Feindbildern können sich in einem eskalierenden Prozeß wechselseitig entwickeln: Die an diesem Prozeß beteiligten Gruppierungen nehmen sich gegenseitig zunehmend negativ wahr (vgl. z.B. Frei, 1985, bezogen auf die USA bzw. die UdSSR). Dieses Phänomen wird auch als Spiegelbild von Feindbildern bezeichnet. Bei dieser Begriffsverwendung besteht allerdings die Gefahr, daß reale Unterschiede zwischen Gruppen in dem Ausmaß und bei den Thematiken ihrer Verzerrungen leicht übersehen werden.

Der Begriff Feindbild wird in den letzten Jahren inflationär verwendet. Nach der bisherigen Aufzählung von Attributen des Feindbildes grenzen wir den Begriff daher im folgenden von benachbarten Sachverhalten ab. (1) Nach unserem Verständnis reichen Kritik oder sachliche Gegnerschaft nicht aus, von »Feindbild« zu sprechen. (2) Zudem ist es psychologisch und politisch bedeutsam, zwischen groben Verzerrungen, Vorurteilen im Sinne eines Feindbildes einerseits und realen Gegnern und Feinden andrerseits zu unterscheiden. Reale Feinde existieren und sie sind lebensgefährlich; als historisches Beispiel sei an Hitler-Deutschland erinnert, das Grausamkeiten und millionenfachen Tod brachte. Es ist daher bei der Bewertung der »anderen« eine fortwährende und nie endende Aufgabe, zwischen Vorurteilen einerseits und sachlich fundierten Urteilen andrerseits zu unterscheiden.

Mit dieser Aussage heben wir uns von einem anderen Feindbild-Verständnis ab, bei dem z.B. auch die negative Darstellung von SS-Mördern als Feindbild bezeichnet wird (z.B. Keen, 1987); dabei wird der Begriff Feindbild verstanden als negative Bewertung einer anderen Gruppe, unabhängig davon, wie realistisch dieses Bild ist, also unabhängig davon, ob es sich um ein negatives Vorurteil handelt.

Den oben erwähnten Eskalationsprozeß bei der Entwicklung von Feindbildern haben Spillmann & Spillmann (1990) anhand umfangreicher Literaturanalysen detailliert beschrieben. Da er von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung von Feindbildern und die Diagnostik des Feindbilddenkens ist, stellen wir ihn im folgenden ausführlich vor. Zusammengefaßt konzeptualisieren die Autoren die eskalierende Entwicklung von Feindbildern – und zwar sowohl bei individuellen als auch bei Gruppen-Beziehungen – als progrediente emotionale und kognitive Regression.

„Interessengegensätze, Meinungsunterschiede, Angst oder Mißverständnisse können zu intensiven Konflikten und bedrohlichen Auseinandersetzungen führen. Ein solcher Eskalationsprozeß verläuft aber nicht chaotisch, sondern stufenweise und in auffallender Weise reziprok zu den Stufen der emotionalen und kognitiven Entwicklung.“ (S. 272).

Eskalationsstufe 1 meint alltägliche Konflikte, die bei beidseitigem Bemühen und gegenseitiger Empathie konsensual und gerecht, d.h. unter Berücksichtigung der Interessen beider Seiten, gelöst werden können.

Auf Eskalationsstufe 2 gewinnen die eigenen Anliegen – bei Vernachlässigung gemeinsamer Interessen – deutlich an Gewicht, die Informationsaufnahme wird weniger differenziert, Streitfragen werden erweitert und die Gegenseite wird kompetitiv zu überzeugen versucht.Auf Eskalationsstufe 3 wird die rein verbale Ebene verlassen und damit – zumindest kurzfristig – die eigene Spannung reduziert. „Dabei sind die Erwartungen der Parteien paradox: Beide erwarten, durch Druck und Entschlossenheit die Gegenpartei zum Nachgeben zu bringen, sind selber aber nicht bereit, nachzugeben. Damit entsteht der für die Eskalation bezeichnende Widerspruch, daß die beabsichtigte Wirkung einer Maßnahme von der Gegenpartei als Signal zur Eskalation und nicht zur Deeskalation verstanden wird.“ (S. 273) Sachfragen treten allmählich in den Hintergrund, die Gegenseite wird mit kollektiven negativen Stereotypen (z.B. »Rechte« und »Linke«) charakterisiert, die Empathiebereitschaft schwindet zunehmend. Entsprechend beginnt innerhalb der eigenen Gruppe der Konformitätsdruck, „eines der ersten sichtbaren Warnsignale einer sich intensivierenden Eskalation. Abweichende Meinungen, das heißt, unterschiedliche Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen des Konfliktverlaufs, werden immer weniger geduldet. Das bringt viele, die eigentlich anderer Meinung sind, zum Schweigen und macht sie zu Mitläufern.“ (S. 273) Drohender Ausschluß aus der Gruppe evoziert „tiefliegende Verlassenheits- und Verlustängste“, die durch den Gruppendruck erzwungene Vereinheitlichung von Meinungen (Janis, 1972; spricht negativ vom „Gruppendenken“) führt zu eingeengter, verzerrter Sicht der Realität, die für den Problemlösungsprozeß erforderliche Denkvielfalt wird drastisch reduziert.

Auf Eskalationsstufe 4 schwindet die Empathiebereitschaft. „Man weiß zwar um die andere Perspektive, aber man ist nicht mehr fähig oder bereit, die Gedanken, Gefühle und die Situation des anderen zu erschließen und für das eigene Verhalten zu berücksichtigen.“ (S. 274) Der emotionale Abstand zwischen den Gruppen nimmt weiter zu, „alles, was 'nicht-ich', bzw. 'nicht-wir' ist, ist bedrohlich und böse und wird abgelehnt. … Gleichzeitig nehmen die gegenseitigen Projektionen zu: Was in den Parteien lebt, aber nicht als zum eigenen Bild gehörig anerkannt wird, wird in die Außenwelt bzw. auf die Gegenpartei projiziert.“ (S. 274) Die Bilder, die sich jede Partei von sich selbst und den anderen macht, beherrschen Denken, Handeln und Gefühle. „Der Druck auf indifferente Personen oder Gruppen nimmt weiter zu. Wer mit beiden Seiten Kontakt pflegt, macht sich verdächtig.“ (S.274)

Zur letzten Eskalationsstufe 5 kommt es, wenn „eine Seite eine Handlung begeht oder zu begehen droht, die von der Gegenseite als Kränkung, als »Gesichtsverlust« erlebt wird, auf den sie sich entsprechend zu reagieren gezwungen fühlt.“ (S. 275) Die Konflikte werden umfassend ideologisiert, das gesamte Selbst- und Weltbild einbezogen. „…Informationen (werden) wieder auf die frühkindlich-elementare Einordnung in die Gegensatzpaare Fremd/Eigen, Bedrohlich/Sicher, bzw. Böse/Gut reduziert“. Die Gegnerschaft wird als total erlebt, „die Wahrnehmung der Gegenseite erstarrt zum Feindbild“ (S.275) „Es geht um 'Heilige Werte'…und übergeordnete moralische Verpflichtungen. Diese entbinden den einzelnen von der schweren Bürde persönlicher Verantwortung.“ (275) Gewalt wird unpersönlich, Drohungen und schließlich auch Gewaltakte nehmen zu, „um glaubwürdig zu bleiben und den Feind von einem Gewaltakt abzuhalten. … Dies wiederum beweist dem Bedrohten die Aggressivität des Drohenden und provoziert Gegengewalt und damit weitere Eskalation, die bis zur totalen Vernichtung und Selbstvernichtung führen kann. Der Feind wird zum 'Sachobjekt' entwertet und völlig dehumanisiert. Damit schwindet jede Gemeinsamkeit, damit schwinden auch alle menschlichen Normen und Skrupel. Der Abbau und die Demontage der emotionalen und kognitiven Ordnungsmuster, die dem Menschen Empathie und Differenzierung ermöglichen, ist auf diesen Eskalationsstufen in bezug auf den Umgang mit dem Feind umfassend. Im Umgang mit der eigenen Gruppe hingegen ist es den gleichen Menschen – aufgrund der wiederbelebten frühkindlichen Spaltungsvorgänge von »Gut« und »Böse« – möglich, innerhalb ihrer eigenen (»guten«) Gruppe scheinbar normal und menschlich zu funktionieren. Dies macht es dem unerfahrenen oder unwissenden Beobachter schwer, mit ihrer effektiv tief regredierten Selbst- und Fremdwahrnehmung zu rechnen und diese bei allfälligen Konfliktlösungsbemühungen auch bewußt in Betracht zu ziehen.“ (275f)

Das Modell von Spillmann & Spillmann (1990) stellt die Entwicklung von Feindbildern dar als Umgekehrung des Prozesses der emotionalen und kognitiven Entwicklung. Mit dem zunehmenden Verlust an kognitiver und emotionaler Differenziertheit, also mit zunehmender Regression, verfestigt sich Schwarz-Weiß-Denken; Empathie – sich Hineinversetzen in die Welt des anderen – als eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches soziales Problemlösen geht verloren. Die im Modell vorgestellten fünf Eskalationsstufen beschreiben wichtige Merkmale der Feindbildentwicklung, sind aber nach unserer Meinung weniger klar voneinander zu trennen; zudem können sie sich nicht nur auf den »Feind« als Gesamtes beziehen, sondern sie können begrenzt sein auf wichtige Teilbereiche (z.B. Gesellschaftsstruktur, nicht aber Kultur).

III. Auswirkungen von Feindbildern

Etablierte Feindbilder haben vielfältige Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, sie sind ein wichtiger und »nützlicher« Faktor in Politik und psychischer Hygiene (Sommer et al., 1989). Einige dieser Auswirkungen fassen wir im folgenden knapp zusammen. Diese können als einzelne in den Vordergrund treten, sie können aber auch bei entsprechender politischer Eskalation gemeinsam erscheinen.

Individuelle Auswirkungen

  1. Positives Selbstbild: Ein Individuum erfährt durch Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gruppe(n) individuelle und soziale Identität. Dabei entwickelt es bei vorhandenem Feindbild durch Identifikation mit den »Guten« und durch Abgrenzung von den »Bösen« einen erhöhten Selbstwert, ein positive(re)s und idealisiertes Selbstbild.
  2. Simples Weltbild: Politische Informationen werden in einer stark vereinfachten »Gut- vs. Schlecht-« Kategorie verarbeitet. Kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Informationssuche, Aufmerksamkeit, Interpretation, Ursachenzuschreibung, Gedächtnis und Erinnerung werden aktiv so organisiert, daß sie das positive Selbstbild und das negative Feindbild stützen. Negative Ereignisse oder Verhaltensweisen beim Gegner bestätigen das Feindbild, während sie bei der eigenen Seite durch spezifische Umstände bedingt sind und eine Ausnahme darstellen (Umgekehrtes gilt für positive Ereignisse). Positiv erscheinendes Verhalten des Feindes (z.B. ein Angebot zur Abrüstung) wird als belanglos oder unzureichend oder nicht Ernst gemeint bewertet oder aber es verbirgt eine negative Absicht, z.B. soll damit nur das eigene Bündnis gespalten werden. Da diese Prozesse u.a. durch das bedeutsame Motiv zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes gespeist werden, können nicht-kompatible Informationen negiert (»selektive Wahrnehmung«), uminterpretiert oder auch aggressiv abgewehrt werden. Ereignisse werden eher anhand des Akteurs und weniger anhand des Ereignisses selbst bewertet. Vergleichbare Ereignisse (z.B. Rüstung, Krieg) können somit völlig unterschiedlich beurteilt werden (»doppelter Standard«). Dieses psychische Gesamtgeschehen hat für ein Individuum – zumindest kurzfristig – positive Auswirkungen: Auch hoch komplexe gesellschaftliche Vorkommnisse können ohne großen intellektuellen und emotionalen Aufwand in ein griffiges, einfaches Schema verarbeitet werden. Langfristig kann dies selbstverständlich auch negative Auswirkungen haben: Wenn gesellschaftliches Geschehen inadäquat bewertet und auf dieser Grundlage gehandelt wird, kann dies zu negativen Folgen für das Individuum (zur Rechenschaft gezogen werden), die Gemeinde und sogar die Menschheit führen (z.B. Folgen von Rüstung, Industrialisierung und Wohlstand für Ökologie und Dritte Welt).
  3. Ängste erklären und Aggressionen ausleben: Ängste unterschiedlichsten Ursprungs (intrapsychisch, interpersonell, gesellschaftlich) können benannt, mit der Existenz eines bösen Feindes »erklärt« und damit reduziert werden. Eigene Passivität beim Wahrnehmen von Unrecht – motiviert etwa durch Angstvermeidung – kann vor sich selbst und anderen damit »begründet« werden, daß das Opfer (der Feind) letztlich selbst verantwortlich ist: Schlechte Gewissen werden beruhigt. Aggressionen unterschiedlichster Herkunft können auf den »bösen Feind« gelenkt werden. Aggressives Handeln – tatsächlich oder in der Phantasie –, Foltern und andere Grausamkeiten, Töten bzw. Morden sind erlaubt, »gerechtfertigt« und sogar gefordert. Sie werden von der Gruppe und/oder den Herrschenden belohnt: mit hohem Ansehen, mit Orden und der Auszeichnung »Held«, mit Geld oder anderen Reichtümern. Dies geschieht insbesondere, nachdem es gelungen ist, den »Feind« zu entmenschlichen; dazu dienen Begriffe wie z.B. Schwein, Ungeziefer, Ratte, Wanze.
  4. Psychischen Aufwand vermeiden: Wenn in der politischen Sozialisation und in dem gesellschaftlichen Klima Feindbilder verfestigt sind, bedeutet es einen großen psychischen Aufwand, diese zu überwinden: Denkgewohnheiten und emotionale Schemata müssen verändert, soziale Bestrafung muß ertragen werden, im Extremfall sind psychische Integrität und physische Existenz gefährdet. Diese Gefährdungen und die psychischen Anstrengungen können vermieden werden, solange ein Individuum sich an die gesellschaftliche Realität mit dem herrschenden Feindbild anpaßt bzw. sich ihr unterwirft.

Gesellschaftliche Auswirkungen

  1. Meinungen manipulieren: Politische Informationen über den »Feind« sind häufig unabhängig von jeglichen persönlichen Erfahrungen. Die Öffentlichkeit ist somit abhängig von Informationen, wie sie u.a. von Massenmedien und Politikern vermittelt werden: Obwohl mit Neuigkeiten überfüttert, ist sie häufig uninformiert. Um ein Feindbild zu etablieren, können u.a. folgende Strategien der Propaganda eingesetzt werden: unerwünschte Informationen unterschlagen; erwünschte Informationen wiederholen; Ereignisse fälschen; Interpretationen im Sinne des Feindbildes mitliefern, u.a. durch Wortwahl, Bilder oder explizite Kommentare; über Ereignisse berichten ohne den relevanten geschichtlichen oder gesellschaftlichen Hintergrund zu reflektieren. Diese gezielte (Des-)Informationspolitik kann durch direkte Zensur der Medien erreicht werden; sie ist aber in Krisensituationen auch immer wieder in Ländern mit »freiem« Pressewesen zu beobachten; dabei sind die Rollen von »Täter« und »Opfer« oft schwer auseinanderzuhalten (vgl. Golfkrieg).
  2. Militär stärken: Ein starkes Feindbild trägt dazu bei, die Bedeutung des Militärs in einer Gesellschaft zu erhöhen. Militärische Aktionen, Vernichtung, Völkermord werden legitimiert als notwendige Handlungen, um das Böse in der Welt zu bekämpfen und dem Guten (der eigenen Seite) zum Sieg zu verhelfen.
  3. Rüstung erhöhen: Eigene miltärische Ausgaben sind notwendig, eigene Waffensysteme sind gut und defensiv, dagegen sind Rüstung, Waffen, Miltärdoktrinen des »Feindes« aggressiv und schlecht. Dies spiegelt sich auch in Namensgebungen wieder, wenn z.B. die eigenen »Massen“vernichtungswaffen Kose- oder Friedensnamen erhalten (»little big man«, »peacekeeper«).
  4. Nullsummendenken: Politische und miltärische Aktionen werden nach dem einfachen Schema bewertet, daß für die eigene Seite all das schlecht ist, was dem Feind nutzt und umgekehrt: Was dem Feind schadet, nutzt uns. Entsprechend ist des Feindes Freund unser Feind und des Feindes Feind unser Freund, mögen wir letzterem früher auch noch so negative Eigenschaften zugeschrieben haben. Gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden werden nicht mehr wahrgenommen. Dies führt z.B. dazu, daß der gesellschaftliche Schaden, der aus Militärausgaben folgt, nicht angemessen berücksichtigt wird oder daß lange Zeit davon ausgegangen wurde, daß ein Atomkrieg »gewonnen« und ein Land mit atomaren oder chemischen Waffen »verteidigt« werden kann.
  5. Gesellschaft stabilisieren: Der Verweis auf die Bedrohung durch einen »Feind« erleichtert es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von relevanten Problemen in der eigenen Gesellschaft (z.B. Arbeitslosigkeit, Armut, Zensur, Unterdrückung) abzulenken und/oder die Bewertung und den Stellenwert dieser Probleme zu mindern. Zudem wird durch die Bekämpfung des »Bösen« das Selbstbild der eigenen Gruppe, Gesellschaft und Nation erhöht.
    Innergesellschaftlich bedingte Unzufriedenheit und Aggressionen können gegen den »Feind« kanalisiert werden. Somit schaffen Feindbilder Einigkeit nach innen und dienen der Herrschaftssicherung. Wegen der großen Bedrohung erscheint es auch legitim, die innergesellschaftliche Opposition zu diffamieren, zu unterdrücken, zu verfolgen und zu vernichten.
  6. Internationale Probleme vereinfachen: Internationale Probleme und Konflikte unterschiedlichster Art werden in das Feind-Freund-Denken hineingepreßt. Damit wird es überflüssig, sich sachgerecht mit ihnen auseinanderzusetzen, eine angemessene Problemsicht wird verhindert. Beispiele dafür sind allgemeine Menschheitsprobleme wie z.B. Militärausgaben, Binden von intellektuellen Ressourcen durch Militärforschung, atomare, biologische und chemische »Massen“vernichtungsmittel (Overkill), Arbeitslosigkeit, Hunger, Unterernährung, Energie, Ökologie. Weitere Beispiele sind die Bewertung von Konflikten in anderen Gesellschaften und die entsprechende politische, finanzielle und militärische Unterstützung einzelner Konfliktparteien.

IV. Feindbilder am Beispiel des Golfkrieges 1990/91

Beim Golfkrieg 1990/91 und seiner Vorbereitung sind mindestens zwei Feindbild-Themen relevant: (1) Saddam Hussein, der zum Feind der Welt aufgebaut wurde und somit einen Krieg scheinbar erforderlich machte; (2) Anti-Amerikanismus und -Israelismus: Der Vorwurf gegenüber Gegnern des Krieges, ein Feindbild USA und/oder ein Feindbild Israel zu haben. Diese beiden Feindbild-Themen – das eine außenpolitisch, das andere innenpolitisch – ergänzen sich.

Feindbild Saddam Hussein?

Der irakische Diktator Saddam Hussein wurde – insbesondere in den führenden westlichen Ländern – nach der Annektion Kuwaits im August 1990 innerhalb kurzer Zeit zum Feind Nummer Eins der Welt, der Völkergemeinschaft, der Menschheit erklärt (er avancierte „gleichsam über Nacht vom hofierten Partner zum neuen Hitler“, Krell, 1991,135). Dies wurde insbesondere mit der Metapher »Hitler von Bagdad« (oder auch »Irrer von Bagdad«) prägnant verdeutlicht. Dem Irak wurde zudem eine riesige Militärmacht zugeschrieben, die viele Nachbarländer bedrohe. Dies führte zusammengefaßt zu folgendem Bild, das – wie wir sehen werden – die komplexe Realität extrem vereinfacht und verzerrt:

Ein Diktator hat einen wehrlosen Nachbarstaat brutal überfallen. Dafür muß er in einem gerechten Krieg bestraft werden. Somit wird das Völkerrecht verwirklicht, der Grundstein für eine neue friedliche und gerechte Weltordnung (nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes) wird gelegt. Ursache für den Krieg ist allein dieser Diktator.

Bei unserer Argumentation versuchen wir, einige Hauptlinien der Diskussion in der BRD und den USA aufzuzeigen. Unsere Überlegungen beruhen auf einer (eher unsystematischen) Analyse von Medien und auf Erfahrungen bei zahlreichen Gesprächen und Vorträgen.

Zunächst zu der Frage, ob es angemessen ist, von einem »Feindbild« Hussein zu sprechen. Dies muß in der Tat eingeschränkt werden, denn an der negativen Sicht des Hussein ist – nach den uns bekannten Informationen – vieles realistisch: Er hat sein Land in hohem Maße aufgerüstet, u.a. mit chemischen Waffen; er hat nicht nur Kuwait überfallen, sondern früher bereits einen Krieg gegen den Nachbarn Iran begonnen; er hat die Opposition im eigenen Land sowie Minderheiten – Kurden und Assyrer – verfolgt und getötet; dabei hat er auch das völkerrechtlich geächtete Giftgas eingesetzt. Hussein ist also ein realer Feind z.B. für irakische Oppositionsgruppen, Kurden und benachbarte Staaten. Trotz dieser Kumulation negativer Attribute erscheint es mir doch gerechtfertigt, das Konzept Feindbild zu verwenden. Denn viele systematische Verzerrungen sind zu beobachten, wenn der Irakkrieg auf das Phänomen »Böser Hussein« reduziert wird: Relevante Daten und Ereignisse werden negiert (u.a. westlicher Kolonialismus; systematische Aufrüstung des Irak durch das Ausland; Waffenherstellung und -export; Energieverschwendung), zudem herrschen problematische Werte und Bewertungen vor, wenn z.B. tote Irakis und ökologische Katastrophen wenig bedeuten. Wir werden dies im folgenden an einigen Aspekten illustrieren.

(1) Geschichtlicher Hintergrund und Kriegsbeginn

Die durch das Feindbild geprägte Meinung lautet: Allein Hussein ist für den Krieg verantwortlich, da er Kuwait annektiert hat.

Die Annektion Kuwaits war ein Bruch des Völkerrechts, der entsprechend mit den Mitteln der Vereinten Nationen zu sanktionieren und zu revidieren war. Zu einer angemessenen Bewertung der Ereignisse sind aber u.a. der historische Hintergrund sowie die Angemessenheit und Verhältnismäßigkewit des Mittels Krieg zu diskutieren.

Seit der Unabhängigkeit Kuwaits im Jahre 1961 gibt es Grenzstreitigkeiten zwischen Irak und Kuwait, insbesondere auch bezüglich der kuwaitischen Ausbeutung der dortigen Erdölfelder. Die Grenzen selbst sind zum Teil willkürlich durch die Kolonialmächte festgelegt worden. Der norwegische Friedensforscher Galtung erinnerte daran, daß Engländer bereits 1920 Iraker und Kurden mit Giftgas getötet hätten (FR, 4.3.91). Die westliche Kolonialherrschaft und die Verfügung westlicher Firmen über den Rohstoff Öl führten in den arabischen Ländern zu einer weit verbreiteten negativen Einstellung gegenüber dem Westen, die von Hussein geschickt genutzt wurde. Somit erscheint der Krieg auch als eine späte Folge westlichen Kolonialismus.

Während des vom Irak begonnenen Kriegs gegen Iran wurde der Irak von der Sowjetunion, aber auch vom Westen politisch, militärisch und technologisch unterstützt. Hussein war anscheinend – trotz Unterdrückung der irakischen Bevölkerung, trotz Beginn eines Krieges mit über einer Million Toten und trotz Einsatz von Giftgas – ein akzeptabler Partner auch des Westens, und zwar, solange er ein »Schutzschild« gegen den fundamentalistischen Iran war, solange er den »richtigen« Krieg führte.

„Wir wußten, daß Saddam ein Hurensohn war, aber er war eben damals unser Hurensohn, den wir gegen die schlimmere Bedrohung des Ayatollah Khomeini einsetzen wollten“. (G. Kemp, Chef der Nahost-Abteilung im Sicherheitsrat der USA unter Präsident Reagan. Stern 6/91.) Das gleiche Muster des Umgangs zeigt sich gegenüber dem früheren Militärmachthaber Panamas, Noriega, der – u.a. als Waffen- und Geldlieferant für die nicaraguanischen Contras – bis unmittelbar vor seiner Entmachtung durch das US-Militär eng mit dem US-Geheimdienst CIA zusammenarbeitete und erhebliche finanzielle Zuwendungen erhielt. (FR, 17.5.91).

Erst dann wurde er zum Feind erklärt, als er mit der Annektion Kuwaits auch die langfristigen westlichen Interessen gefährdete, insbesondere die Kontrolle der Verfügbarkeit über Öl und dessen Preispolitik. Der später insbesondere von westlichen Ländern beklagte – und als Kriegsgrund aufgeführte – hohe Rüstungsstand des Irak ist also zusätzlich zur UdSSR wesentlich von westlichen Länder mitproduziert worden.

Allgemeiner: Die Länder des Nahen Ostens haben zwischen 1974 und 1988 Waffen im Wert von 214 Mrd US$ gekauft, größter Abnehmer war der Irak. Drei Viertel dieser Waffen wurden von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Weltsicherheitsrats geliefert, also jenen, die den Krieg gegen den Irak beschlossen. FR, 7.3.91.

Damit wird auch das grundlegende Problem von Waffenproduktion und Waffenexport thematisiert, die direkt (Exportgewinne) und indirekt (Sicherung von Herrschaftsstrukturen, die eine den westlichen Kapitalinteressen entgegenkommende Politik betreiben) zum Reichtum westlicher Länder beitragen. Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge westlichen Lebensstandards und westlicher (Rüstungs-)Politik, die auch mit Diktaturen eng zusammenarbeitet, sofern sie den westlichen Wirtschaftsinteressen entgegenkommen.

Der durch den Irankrieg hoch verschuldete Irak (etwa 70 Milliarden US$) wünschte insbesondere von seinen Nachbarländern Kuwait und Saudi-Arabien zunächst Schuldenerlaß, später eine Anhebung des Erdölpreises (der 1990 zeitweise unter 14 US$ gefallen war) durch Drosselung der Produktion. Als dies nicht erreicht wurde, und als Kuwait auch bei der umstrittenen Ölförderung unterhalb der irakisch-kuwaitischen Grenze nicht kompromißbereit erschien, annektierte Irak den Nachbarstaat – nachdem von der Botschafterin der USA signalisiert wurde, daß US-Interessen nicht berührt seien (vgl. Karsh & Rautsi, 1991). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge unterschiedlicher Interessen bei der Festsetzung des Erdölpreises, bei denen der Westen wesentlich beteiligt ist.

Die Verfügbarkeit von immer mehr Staaten über atomare und chemische Waffen ist auch eine Folge der Rüstungspolitik der Großmächte, insbesondere der USA, die in den letzten Jahren sowohl ein Atomteststopp-Abkommen (als Ergänzung des Nonproliferations-Vertrages) als auch die Unterzeichnung einer erweiterten C-Waffen-Konvention blockierten (Naturwissenschaftler-Rundbrief Verantwortung für den Frieden,3/1990).

Nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak verabschiedete der UNO-Weltsicherheitsrat – insbesondere auf Betreiben der USA – eine Reihe von Resolutionen mit dem hauptsächlichen Ziel, die Souveränität des Kuwait wiederherzustellen. Dazu gehörten u.a. Forderung nach bedingungslosem Rückzug aus Kuwait (2. August 1990), Verhängung eines Handelsembargos (6. August), dessen Durchsetzung auch mit militärischen Mitteln (25. August) und schließlich – als der Irak unzureichend reagierte – mit der Resolution 678 (29. November) die Ankündigung, bei Ablauf des Ultimatums am 15.1.1991 die Souveränität Kuwaits mit „allen erforderlichen Mitteln“, also notfalls auch mit militärischer Gewalt wiederherzustellen. Insbesondere die Resolution 678 führte zu intensiven politischen Diskussionen. Für die Befürworter des Krieges war damit die Legitimation durch die »Weltgemeinschaft« gegeben, die Verantwortung für einen möglichen Krieg wurde dem Irak zugeschrieben, da er Völkerrecht verletzt habe und die Resolutionen des Weltsicherheitsrates nicht anerkenne. Gegner des zu erwartenden Krieges führten u.a. die folgenden Argumente auf. (1) Das Embargo wirken lassen: Die Wirtschaft des Irak sei nahezu vollständig auf Einnahmen durch den Export von Erdöl angewiesen; die moderne Armee des Irak sei zur Aufrechterhaltung ihrer Einsatzfähigkeit weitgehend abhängig von importierter Technologie. Somit sei ein Erfolg des Embargos im Sinne der Durchsetzung von UNO-Resolutionen wahrscheinlich (vgl. Dembinski & Kubbig, 1991). (2) Verhältnismäßigkeit der Mittel: Es sei unverhältnismäßig, ein großes Unrecht (die Annektion Kuwaits) durch ein noch größeres Unrecht (einen Krieg) zu bekämpfen; bei jedem Krieg leide hauptsächlich die Zivilbevölkerung, das gelte es zu verhindern; es bestehe die Wahrscheinlichkeit, daß chemische und atomare Waffen eingesetzt werden mit ihren verheerenden Folgen für alles Leben; die ökologischen, aber auch die wirtschaftlichen und politischen Folgen eines Krieges seien für die Region und die Welt kaum absehbar; die UNO dürfe sich nicht zum Erfüllungsgehilfen des Weltpolizisten USA machen lassen (die Wende hin zu einem Krieg kam spätestens am 8. November – also zeitlich vor der Resolution 678 –, als US-Präsident Bush eine Verdoppelung der US-Truppen auf über 400.000 Soldaten verkündete und von einer „offensiven militärischen Option“ sprach; Spiegel, 49/1990); es gelte schließlich, unterschiedliche Standards zu vermeiden: So habe der UNO-Sicherheitsrat nicht oder erheblich weniger konsequent gehandelt, als andere Länder Völkerrecht brachen, z.B. Syrien mit der Besetzung des Libanon, die Türkei mit der Verfolgung der Kurden und der Besetzung Nordzyperns, Marokko mit der Besetzung der Westsahara, Israel mit der Annektion der Westbank und der Golanhöhen, die USA mit ihren Militäreinsätzen z.B. gegen Grenada (1983), Libyen (1986), Nicaragua (dafür verurteilt vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag) und Panama (1989). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge zielgerichteter US-Politk, die es u.a. erreichte, den Weltsicherheitsrat für diese Politik zu gewinnen oder zu instrumentalisieren (vgl. Ruf, 1991). Dieses Argument wird noch dadurch unterstützt, daß die US-Regierung durch ihre ultimativen Forderungen und durch Ablehnen jeglicher Verhandlungen es Hussein unmöglich machte, bei einem Rückzug sein Gesicht zu wahren.

Zu den bisherigen Ausführungen einige Zitate und Hinweise:

Brzezinski (von 1977-81 nationaler Sicherheitsberater der USA; Spiegel 4/1991): „Meiner Meinung nach hätte ein Embargo langfristig zum Erfolg geführt…Sanktionen (hätten) sich besser mit einer neuen internationalen Weltordnung der Sicherheit und Zusammenarbeit vertragen.- Ein Krieg hätte verhindert werden können, wenn der Sicherheitsrat einen größeren Verhandlungsspielraum gelassen hätte… wenn die amerikanische Politik sich stärker um eine diplomatische Lösung bemüht hätte … und … wenn (die Europäer) nicht mit neuen Initiativen bis zum letzten Augenblick gewartet hätten.“

Crowe (bis Oktober 1989 höchster US-Offizier als Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs): Bush solle zunächst die Wirkung der Wirtschaftsblockade abwarten, auch wenn das „12 bis 18“ Monate dauere; geduldiges Ausharren sei allemal beser als Krieg mit den zu erwartenden Opfern und Risiken. (Spiegel 49/1990). Entsprechend äußerte der zur Zeit der Krise tätige Chef des US-Generalstabs Powell „ernsthafte Zweifel“ an einer militärischen Lösung (FR, 3.5.1991).

General Schwarzkopf (Oberbefehlshaber am Golf, Einsätze im Vietnamkrieg, bei Grenada und Panama): „…die Sanktionen sind erst seit ein paar Monaten in Kraft. Warum sollten wir jetzt, wo sie zu schmerzen beginnen, plötzlich sagen: Okay, das war nichts, laßt uns die Sache hinter uns bringen und viele Menschen umbringen? Das ist doch verrückt.“ (Spiegel, 49/1990)

Ein erheblicher Teil der US-Politiker im US-Kongreß, wenn auch nicht die Mehrheit, lehnten die Option der Gewaltanwendung ab (Senat 47:52; Repräsentantenhaus 183:250).

Der französische Verteidigungsminister Chevenement, der wegen des Kriegs zurücktrat, bezeichnete ihn später als „amerikanische Expedition wie zur Kolonialzeit“ (FR, 23.4.91).

Powell räumte ein, daß die USA seit mehreren Jahren Pläne für eine Truppenstationierung in der Region hatten: „Wir wollten seit geraumer Zeit gerne ein vorgeschobenes Hauptquartier in der Region, und nun besteht eine gute Gelegenheit“. (FR, 25.3. und 20.2.1991)

Die Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« z.B. hatte bereits im Dezember 1988 den Bundesaußenminister Genscher in einem Brief gebeten, Klage gegen den Irak vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erheben, und zwar aus zwei Gründen: (1) wegen der Giftgaseinsätze gegen den Iran (Verstoß gegen die Genfer Konvention von 1925, die den Einsatz chemischer Waffen ächtet); (2) wegen der Giftgaseinsätze gegen die irakischen Kurden (Verstoß gegen die UNO-Konvention von 1948 über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes). Eine Klage aber wurde weder von der Bundesrepublik noch von einem anderen Staat erhoben.

Mohssen Massarrat; Professor für Politische Wissenschaften in Osnabrück (FR, 22.2.91): „Der Krieg erst macht ihn (Saddam Hussein) zum Helden und Fürsprecher der Gedemütigten der Dritten Welt. – Die jahrhundertelang unterlegene morgenländische Kultur sieht ihre Zeit gekommen, jene Bedeutung, die sie einst in der Geschichte hatte, zurückzugewinnen und die islamische Identität wiederherzustellen.- Es geht um die Vernichtung Saddam Husseins als Symbol eines selbständig handelnden Repräsentanten einer Welt, die seit langem nach kultureller und ökonomischer Autonomie strebt, aber bisher scheiterte und eine Niederlage nach der anderen hat hinnehmen müsen. Anmaßende Überlegenheitsgefühle im Westen bestimmen das Denken und Handeln im gegenwärtigen Konflikt. Der kulturelle Konsens zwischen Politikern, Massenmedien und dem Mann auf der Straße, das feindliche Symbol Saddam Hussein im Krieg besiegen und vernichten zu wollen, läßt keinen Raum für friedliche Lösungsstrategien.“

Der irakische Philosoph Sadiq Galal al-Azm, Gastprofessor in den USA und der BRD, führte zum Feindbild Husseins aus (FR, 6.4.91): „Saddam Hussein ist ein brutaler Diktator von übelster Statur. Aber das Bild, das man in Westen von ihm zeichnet, läuft auf eine Dämonisierung hinaus, als sei er die Inkarnation alles nur erdenklich Bösen. Wenn die Amerikaner und der Westen mit dieser Dämonisierung fortfahren, dann laufen sie Gefahr, arabische Realität falsch zu deuten. Denn die Sympathien, die Saddam Hussein in der arabischen Welt genießt, gelten nicht dem Diktator, sondern dem Mann, der sich westlichen Machtansprüchen widersetzt hat. Bei uns besteht allgemein der Eindruck, daß arabische Ressourcen und Bodenschätze, insbesondere das Erdöl, nicht von Arabern kontrolliert werden, sondern vom Westen. Und dieses Gefühl ist mit Ende des Golfkrieges wahrhaftig nicht geringer geworden. Wenn die westliche Vorherrschaft über die arabische Welt – in militärischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht – sich fortsetzt, ist die nächste Explosion nur eine Frage der Zeit.“

Zusammengefaßt spricht für die Relevanz des Feindbildkonzeptes, daß die komplexe politische und militärische Situation durch Verweis auf die Person Hussein stark vereinfacht wurde. Durch die Bekämpfung dieses bösen Feindes wurde das Selbstbild erhöht, erhebliche Anteile des Westens an der Entstehung dieser Situation (u.a. Kolonialismus, Aufrüstung des Irak, Bedarf an billigem Öl, unzureichende Versuche nicht-militärischer Konfliktlösungen, gezieltes Hinwirken auf eine militärische Auseinandersetzung) konnten bewußtseinsmäßig in den Hintergrund gedrängt werden. Die Dämonisierung Husseins etablierte Denkverbote und trug bei zu einer Schuldentlastung der mit diesem System Verstrickten. Dies alles wurde erheblich erleichtert durch viele Handlungen der irakischen Seite, u.a. Geiselnahme, Folterungen, militärische Drohungen u.a. gegen Israel, zögerliches Eingehen auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.

Energieverbrauch (in kg Öleinheiten) pro Kopf der Bevölkerung:

USA: 7193
Bundesrepublik: 4719
Frankreich: 3673
Großbritannien: 3603
Argentinien: 1427
Indien: 208

(2) Ursachen des Krieges

Vermutlich hatte die US-Regierung im wesentlichen wirtschaftliche Gründe für ihren militärischen Einsatz, auch wenn Präsident Bush neben dem Interesse am Öl und der Absicherung des »american way of life« weitere Gründe nannte, z.B. die Befreiung der Geiseln und des Kuwait (hinzukommen mögen: außenpolitisch Festigung des politischen und militärischen Führungsanspruches weltweit; innenpolitisch Demonstration der Führungskraft des Präsidenten, Ablenken von großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen). Der Rohstoff Öl aber ist in den letzten Jahrzehnten ein wesentlicher Faktor des Reichtums der westlichen Industriestaaten geworden: Neun Industriestaaten (etwa ein Viertel der Menschheit) verbrauchen drei Viertel der Energie und 80% der Rohstoffe (das Pendant: Nach dem Armutsbericht der Weltbank verfügen drei Viertel der Erdbevölkerung über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von weniger als 2.000 US$, davon nahezu drei Mrd. Menschen von weniger als 500 US$). Allein die USA (mit ca. 4% der Weltbevölkerung) verbrauchen nahezu ein Viertel der Weltenergie, im wesentlichen Erdöl (davon wiederum werden ungefähr 60% für den Verkehrssektor verwendet; zum Vergleich: In der Bundesrepublik waren dies etwa 40%). Diese Daten können noch illustriert werden mit dem durchschnittlichen Energieverbrauch einiger Länder für das Jahr 1986 (Fischer Weltalmanach, 1990):

Somit sind insbesondere für die westlichen Industriestaaten der ungestörte Zugang zum Rohstoff Öl und ein (möglichst) niedriger Preis von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Nach einer aktuellen Regierungsvorlage soll auch die künftige Energiepolitik der USA weitgehend auf Energieeinsparungen und Nutzung regenerativer Energien verzichten (FR, 13.2.191). Die Kontrolle über den Ölpreis aber war durch die große Konzentration der Welt-Ölreserven beim Irak (nach der Annektion Kuwaits) und dessen Interesse an einem erheblich höheren Preis in ernster Gefahr.

Für das Feindbildkonzept bedeutet dies zusammengefaßt: Die Bekämpfung eines bösen Feindes läßt sich innen- und außenpolitisch leichter durchsetzen (zudem ist es für das Selbstbild erheblich günstiger!) als eine Politik, die wesentlich die Sicherung des Wohlstandes eines kleinen Teils der Erdbevölkerung zum Ziel hat. Der Verweis auf den Feind macht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen dieser Politik, z.B. mit Energievergeudung, Umweltverschmutzung und Armut in der Welt scheinbar weniger dringlich.

(3) Kriegsverlauf und -ende

Die Bevölkerung in unserem Land – eingeschlossen wohl auch die meisten Politiker, Journalisten und Wissenschaftler – war in ihrem Informationsstand weitestgehend abhängig von der Berichterstattung in den Massenmedien. Der Philosoph Günter Anders schrieb bereits 1956 zu Bildern und damit auch zu Massenmedien u.a. die folgenden allgemeinen Erkenntnisse: „… statt Welt zu erfahren kann man sich mit Weltphantomen abspeisen lassen…“ (S.1.) „Wenn es erst in seiner Reproduktionsform, also als Bild sozial wichtig wird, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit und Bild aufgehoben.“ (S.111) „Was dem Betrachter geboten wird, ist also primär die Perspektive, unter der er die Ware »in Betracht ziehen« soll; diese ist festgelegt und, noch ehe die Ware selbst geliefert ist, bereits vorgeliefert.“ (S.162)

Wegen der strengen Zensur bei allen Kriegsbeteiligten führte dies zu einem geringen, extrem verzerrten Wissen über den Krieg. Auch nach Kriegsende wurde Zensur ausgeübt: So ordnete die US-Regierung Wissenschaftler an, der Öffentlichkeit keine Auskünfte über die ökologischen Folgen des Golfriegs zu geben (FAZ, 11.4.91). Das grundlegende demokratische Recht auf Informationszugang wurde systematisch und in großem Umfang verletzt. Die Proteste gegen die Zensur waren insgesamt erstaunlich gering – demokratische Grundprinzipien können nach dieser Erfahrung auch in unserer politischen Kultur relativ leicht außer Kraft gesetzt werden.

Schon vor Kriegsbeginn waren in den deutschen Medien Berichte und Diskussionen über Rüstungsstand und militärische Optionen vorherrschend. Sie nahmen erheblich mehr Raum ein als Überlegungen zu nicht-militärischen Konfliktlösungen und Antizipationen wahrscheinlicher Kriegsfolgen.

Nach Kriegsbeginn wurde die brutale Realität des Krieges transformiert in ein Video-Kriegsspiel: Schöne Bilder zeigten den erfolgreichen Einsatz westlicher Technik gegen Militäreinrichtungen. Die Zuschauer saßen wie bei einer Sportreportage in der ersten Reihe. Suggeriert wurde ein sauberer Krieg, in dem es keine Verwundeten und Toten, kein Leid und Elend, keine Grausamkeiten und Verwüstungen gab – zumindest auf seiten der Alliierten. Einzelne Raketenangriffe auf Israel mit ihren Zerstörungen wurden detailliert mit Bildern gezeigt und kommentiert; die Auswirkungen tausender Angriffe der Alliierten auch auf die Zivilbevölkerung des Irak wurden nicht gezeigt und kaum erwähnt. Sendungen aus Washington in der abendlichen Tagesschau hatten eher den Charakter eines Hofberichts als einer reflektierten politischen Information. Insgesamt wurden somit „die westlichen Medien … während des Golf-Krieges zur Waffe gegen Iraks Staatschef Saddam Husein“ (FR, 4.3.1991), und es ist wohl zu ergänzen, auch zu einer Waffe gegen die eigene Bevölkerung, die sich kein realitätsangemessenes Bild von diesem Krieg machen konnte. Von den Medien und führenden Politikern wurden kurz nach Kriegsbeginn die zahlreichen Kriegsgegner nicht nur argumentativ kritisiert, sondern aggressiv verbal bekämpft bis zur Diffamierung. Mit Verlauf des Krieges befürwortete – nach den veröffentlichten Umfrageergebnisssen – die Mehrheit der Bevölkerung in der BRD und anderen westlichen Staaten den Krieg. Die politische Führung insbesondere in Großbritannien und den USA gewann erheblich an Popularität; die Zustimmung der US-Bevölkerung zur Politik ihres Präsidenten erreichte Rekordhöhen (dies ist ein weiterer Beleg dafür, daß Kriege von innenpolitischen Problemen ablenken sollen und dies auch häufig erfolgreich tun).

Dies stellt sich für einige arabische Staaten völlig anders dar – deren Bevölkerung sah in Hussein anscheinend hauptsächlich ein Symbol für neue Hoffnungen und forderte daher eine militärische Unterstützung des Irak. Der deutsche Botschafter in Marokko, W. Hofmann, sagte zu diesem für viele überraschenden Phänomen: „Der Westen neigt generell dazu, die Traumatisierung zu verkennen, welche die arabische Psyche als Folge der Kolonialisierung und des Absturzes in die Unterentwicklung belastet“. (FR, 15.2.1991) An diesem Beispiel wird deutlich, daß »Feindbild« immer eine Perspektive beinhaltet: Es kommt auf den Beobachter und Beurteiler an. Für die verarmte Bevölkerung vieler arabischer Staaten wurde Hussein als Held wahrgenommen, der sich endlich gegen die westliche Vorherrschaft wehrt und eine bessere arabische Zukunft erhoffen läßt. Wie (un)realistisch diese Bewertung der Person Hussein auch immer sein mag: Ernst zu nehmen sind die zugrundeliegenden Motive, insbesondere Hoffnung darauf, wieder stolz sein zu können, ein Araber zu sein, und Hoffnung auch auf bessere Lebensbedingungen.

Da es darum ging, Hussein zu »bestrafen«, spielten im politischen Bewußtsein die schrecklichen Kriegsfolgen auch für die Zivilbevölkerung nur eine geringe Rolle: Zehntausende Tote und Verletzte, hunderttausende Flüchtlinge, verwüstete Länder waren (politisch) weniger wichtig als die Genugtuung, einen Diktator zu bestrafen. Auch die ökologische Katastrophe und die Gefährdung Israels wurden in Kauf genommen; denn sie waren von Hussein angedroht worden und somit vorhersehbar.Verschiedene Waffen wurden von den USA erstmals militärisch eingesetzt (Tomahawk-Marschflugkörper, lasergesteuerte Bomben, fuel-air explosives, cluster bomb units; FR, 10.6.91), die mit ihrer Präzision und ihrem Vernichtungsausmaß eine weitere Eskalation grausamer Kriegsführung darstellen. Dagegen hat die US-Abwehrrakete »Patriot« – die im Krieg als Retter Israels galt und Anlaß für eine modifizierte Weiterführung des SDI-Programms gab – in Israel vermutlich mehr Schaden angerichtet als verhindert (FAZ, 15.5.91).

Am Beispiel des Landkrieges läßt sich wiederum die Dominanz der US-Politik (und nicht der UNO) demonstrieren. Der Landkrieg wurde begonnen trotz irakischer Bereitschaft zum Rückzug aus Kuwait und trotz intensiver, erfolgversprechender diplomatischer Bemühungen der UdSSR, den Krieg zu beenden. Für die Öffentlichkeit wurde die Landoffensive von den USA begründet mit neuesten Ölbränden sowie Grausamkeiten der irakischen Truppen an der kuwaitischen Bevölkerung. Dies wird vermutlich auch in Erinnerung bleiben und weniger die Tatsache, daß die Bodenoffensive bereits mindestens zwei Wochen vorher von den USA beschlossen war.

Der US-Regierungssprecher Fitzwater erwähnte, „die sowjetischen Friedensbemühungen hätten keinen Einfluß auf den Termin der Bodenoffensive gehabt. Auch sei er nicht dadurch bestimmt worden, daß die Iraker Ölfelder in Brand gesteckt hätten“ (Oberhessische Presse, 25.2.1991).

Zusammengefaßt ergibt sich für das Feindbildkonzept, daß die Bekämpfung und möglichst auch Vernichtung des Feindes Denken und Handeln beherrschten; dabei wurden die Brutalität des Krieges und die schrecklichen Folgen für Mensch und Umwelt in Kauf genommen, zum Teil auch eigene Aggressivität (stellvertretend) ausgelebt. Denken in militärischen Kategorien dominierte, Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösungen wurden nicht berücksichtigt und umfassende Zensur akzeptiert (es sei nur daran erinnert, mit welcher Heftigkeit und Ausdauer früher von unseren Politikern und Medien die zensierten Informationen z.B. der DDR kritisiert wurden). Herrschaft wurde gesichert und das individuelle und kollektive Selbstbild positiv überhöht. Somit wurden insgesamt viele Merkmale des Feindbildkonzeptes politisch relevant.

(4) Auswirkungen des Krieges

Das zu »befreiende« Kuwait ist weitgehend verwüstet. Die für die irakische Bevölkerung lebenswichtige Infrastruktur (Lebensmittel-, Wasser-, Strom-, medizinische Versorgung) ist weitestgehend zerstört. Mindestens zweihunderttausend Menschen wurden getötet, mindestens fünf Millionen Menschen verloren ihre Wohnung oder ihre Arbeit (Admiral a.D. Elmar Schmähling: „Moderner Krieg ist somit zwangsläufig ein Verbrechen gegen das Völkerrecht und die Menschlichkeit.“). Der Krieg hat zu einer verheerenden ökologischen Katastrophe geführt, insbesondere durch das irakische Entzünden der Ölfelder und das Einleiten von Öl ins Meer, aber auch durch die Kriegshandlungen der Alliierten. Beide kriegsführenden Seiten haben schwere Verstöße gegen den »Umweltkriegsverbots-Vertrag« und das »Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen« begangen (Krusewitz, im vorigen Infoheft).

Minderheiten im Irak wurden blutig unterdrückt bis hin zum Völkermord an den Kurden, nachdem die US-Regierung zum Aufstand ermutigt hatte. Die vielfältigen Probleme des Nahen Ostens sind nicht gelöst. Durch die Verschwendung von Geld und anderen Ressourcen (allein die USA hat ein Kriegstag zwischen 500 Millionen und einer Milliarde US$ gekostet) fehlen diese zur Bekämpfung weltweiter Probleme wie Armut, Hunger, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Energievergeudung und Umweltzerstörung. Die Gesamtkosten des Krieges werden auf 500 Milliarden US$ geschätzt (Herwig u.a., im vorigen Infoheft); ein Betrag, mit dem die Lebensbedingungen der Armen dieser Welt in erheblichem Ausmaß hätten verbessert werden können.

Zwei Beispiele: Programme, die laut UNICEF ungefähr 40 Millionen Kindern pro Jahr das Leben retten könnten (insbesondere Impfungen gegen Masern, Keuchhusten und Tetanus; Antibiotika gegen Lungenentzündung; Zucker-Salz-Lösungen bei Durchfall) würden pro Jahr 2,4 Mrd US$ kosten, doch dafür fehlt bislang das Geld. Dringend erforderliche humanitäre Hilfen für die Flüchtlinge am Persischen Golf (eine Folge des Krieges!) kostet etwa 450 Millionen US$, dafür eingegangen sind bei der UNO aber nur 134 Mill. $ (OP, 13.6.91).Das Selbstverständnis der US-Politik hat sich mit dem Irakkrieg stark verändert, das »Vietnam-Trauma« erscheint überwunden. An der größten Militärparade der USA nach dem zweiten Weltkrieg zur Feier des Sieges Mitte Juni 1991 in New York (US-Präsident Bush: „Das ist gut für Amerika“) nahmen zwei Millionen Menschen teil (in Washington gab es zuvor 800 000 Teilnehmer; FR, 10.&11.6.91)). Die derzeitige US-Regierung sieht sich nun wieder in der Rolle der allein führenden Weltmacht. Neue Rüstungsprogramme mit hohen Kosten sind vorgesehen (z.B. modifiziertes SDI; 10 Mrd US$ für ein neues »Tarnkappenflugzeug«; FR, 15.4.1991).

„Als Amerikaner (müssen wir) Verantwortung übernehmen, die Welt aus dem dunklen Chaos der Diktatoren … zu führen. …

(Jeder unserer Soldaten) führt einen mutigen Kampf, um für die Vereinigten Staaten, die Welt und zukünftige Generationen einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erlangen… Wir wollen ein SDI-Programm verfolgen, das jeder zukünftigen Bedrohung der Vereinigten Staaten, unserer Streitkräfte in Übersee und unserer Freunde und Verbündeten gewachsen ist… Unter den Ländern der Welt verfügen lediglich die Vereinigten Staaten über die moralische Standfestigkeit und die Mittel zu ihrer (einer neuen Weltordnung G.S.) Durchsetzung. – Wir wissen eins: Unsere Sache ist gerecht. Unsere Sache ist moralisch, und unsere Sache ist richtig. … Der Wind des Wandels weht aus unserer Richtung. Die Kräfte der Freiheit sind vereint. Wir treten zuversichtlicher als je zuvor in das nächste Jahrhundert ein, daß wir im In- und Ausland über den Willen verfügen, das zu leisten, was geleistet werden muß – harte Arbeit für die Freiheit.“ (FR, 5.2.91 „begleitet vom starken Applaus der versammelten Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der USA“)

Die USA nach Kriegsende: „Stehende Ovationen, Jubel und strahlende Gesichter beherrschten … die Kammer des US-Repräsentantenhauses, wo sich die beiden Häuser des Kongresses, das Kabinett, der Generalstab und das diplomatische Korps Washingtons versammelt hatten, um den Sieg am Golf zu feiern… Freude und Erleichterung, Stolz und noch einmal Stolz auf das US-Militär … und auf die politische Führung, die mit fester und kundiger Hand den Weg gewiesen hatte.“ (FR, 8.3.1991)

Liberation aus Paris kommentiert den Kriegsbeginn: George Bush „ist der Führer der Koalition des Rechts: Er ist es, der sie im Laufe der Wochen errichtet und der sie in die Schlacht geführt hat. Er verwirklicht den amerikanischen Traum, die Welt zu moralisieren, wenn nötig mit Gewalt.“ (Oberhessische Presse, 18.1.1991)

Und die liberale Frankfurter Rundschau (4.3.91) kommentiert entsprechend: „Seit dem Kriegsende 1945 und der Mondlandung 1969 waren das Ansehen der USA in der Welt und das Selbstwertgefühl (hervorgehoben von G.S.) zu Hause nicht mehr so groß.“„ …die Kombination aus entschlossener Führung und intensiver Konsultation und Kooperation mit anderen Staaten über ideologische und kulturelle Grenzen hinweg, ist ein erster gut gegründeter Pfeiler (einer »neuen Weltordnung«)“.

Der Chefredakteur der Zeitschrift Merkur (März 91, S. 257f) schreibt zu Krieg und psychischer Gesundheit: „Nur noch bei den Angelsachsen findet sich ein selbstverständlicher Umgang mit dem Horrorszenario (der ihnen schon 1944 erlaubte, Dresden und später Hiroshima fast ohne moralische Skrupel auszulöschen). Als Herren der Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sie kein Schmerz- und Schuldbewußtsein entwickelt, ebensowenig wie der subjektiv gesund sich Fühlende zum Psychiater geht.“

Die USA konnten zudem mit dem Irakkrieg ein Exempel statuieren für andere Länder, die sich den weltweiten Interessen der Industrieländer zu widersetzen gedachten (US-Verteidigungsminister „Cheney will ausgefeiltere Raketen zum Schutz gegen Dritte Welt“, FR, 3.4.1991).

In den Regierungen der NATO-Länder erhält die militärische Konfliktlösung hohe Priorität. »Mobile Einsatzverbände« sollen gebildet werden, um die weltweiten Probleme auch militärisch unterdrücken zu können. Die bisher verlautbarte Aufgabe der NATO, Schutz der Mitgliedsländer vor einem militärischen Angriff, wird somit erheblich gewandelt in eine Option zur militärischen Kontrolle weltweiter Probleme.

Dazu ist in Heft 1/91 von Europäische Sicherheit u.a. folgendes zu lesen. NATO-Generalsekretär Wörner:„ (Die Golfkrise) ist … symptomatisch für das Ausmaß ungelöster Nord-Süd-Probleme und die globalen Aufgabenstellungen, die auch die Allianz in ihre künftigen Sicherheitsüberlegungen einbeziehen muß: das Problem der Ressourcenverteilung, der Energieversorgung und des Bevölkerungswachstums, die vielfältigen Auswirkungen ethnischer Konflikte und religiöser Spannungen, die Folgen großflächiger Umweltschäden, die Ausbreitung der Raketentechnologie sowie der nuklearen und chemischen Waffen, der internationale Terrorismus und das Drogenproblem …“ „Die Spannungen werden nicht nur durch Machtgelüste von Tyrannen … geschürt, sondern auch durch explosives Bevölkerungswachstum, Ressourcenprobleme, Unterentwicklung…“.

Und General v. Sandrart: „… gibt es ein neues Sicherheitsbedürfnis: den Schutz gegen Bedrohungen von außerhalb Europas. …hohes Bevölkerungswachstum, Armut verbunden mit Neid … Politisch gesteuertes Krisenmanagement bedarf dann auch abgestufter militärischer Optionen … auch Optionen für den Einsatz sofort verfügbarer, multinationaler Eingreiftruppen. … “Rapid Reaction Forces« … sind in besonderem Maße Kräfte des Krisenmanagements.“

Der Golfkrieg hat somit auch zur Konsequenz, bei Politikern Denken in militärischen Kategorien zu stärken und bei Konfliktlösungen verstärkt militärische Mittel einzusetzen: Krieg ist wieder ein akzeptables Mittel der Politik geworden.

Dies bedeutet zusammengefaßt für das Feindbildkonzept: Die scheinbar erfolgreiche Bekämpfung des »Feindes« dominiert politisches Denken, der errungene »Sieg« erhöht das Selbstbild. Die schrecklichen Auswirkungen des Krieges für Millionen Menschen und die Natur werden aus dem (politischen) Bewußtsein gedrängt, ebenso die Tatsache, daß auch dieser Krieg mehr Probleme geschaffen als gelöst hat. Die Mitverantwortung unserer Politiker und unsere Mitschuld erleben wir als gering, da dem »bösen Feind« die alleinige Schuld zugeschrieben wird. Wesentliche Probleme der gesamten Menschheit (Hunger, Unterentwicklung und Armut, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend, Umweltzerstörung) werden in ihrer Bedeutung vernachlässigt oder aber militärisch unter Kontrolle zu halten versucht.

Anti-Amerikanismus und Anti-Israelismus oder Feindbild Friedensbewegung?

Mit Beginn der Kriegshandlungen der Alliierten gab es in Fernsehen, Rundfunk und Printmedien eine breite und heftige Kampagne gegen die Friedensbewegung. Ihr wurde vorgeworfen, anti-amerikanisch und anti-israelitisch zu sein; damit wurde implizit oder auch explizit unterstellt, die Friedensbewegung unterstütze Hussein und sei letztlich an dem Krieg schuld (dazu wurde folgende Frage ständig wiederholt: Wann hat die Friedensbewegung für … – oder gegen … – demonstriert?). Inhaltlich entsprach diese Argumentation der Meinung des damaligen CDU-Generalsekretärs Geißler, der Pazifismus sei für die nationalsozialistischen Verbrechen wesentlich mitverantwortlich. Strukturell wird dabei nicht gesehen, daß Aktivitäten der Friedensbewegung sehr aufwendig zu organisieren sind und daß die Friedensbewegung besonders dann aktiv wird, wenn die eigenen Regierungen versagen. Zur Auseinandersetzung mit dieser Kampagne sei an die Argumente der Friedensbewegung erinnert.

Lange vor Beginn des Golfkrieges haben große Teile der Friedensbewegung u.a. folgende Forderungen erhoben: Rückzug des Irak aus Kuwait, Ende der Kriegsvorbereitungen, Durchsetzung der UN-Resolutionen mit einem Wirtschaftsembargo; eine Konferenz über Sicherheit im Nahen Osten, in der die vielfältigen Probleme dieser Region (u.a. Rüstung, Herschaftsstrukturen, Unterentwicklung, Armut vs. Reichtum, Sicherheit Israels, gesicherte Heimat für Pälästinenser und Kurden) verhandelt werden können. Nach Beginn des Krieges war dann eine zusätzliche zentrale Forderung, insbesondere an die US-Regierung, diesen Krieg schnellstmöglich mit einem Waffenstillstand zu unterbrechen, um mit allen beteiligten und betroffenen Staaten politische Lösungen zu erarbeiten und durchzusetzen.

Mit dem Vorwurf des Anti-Amerikanismus und -israelismus sollte offensichtlich ein Feindbild »Friedensbewegung« aufgebaut werden, um die Akzeptanz des Krieges zu erhöhen und um von den eigentlichen Problemen abzulenken: dem Export von Waffen und militärisch relevanter Technologie in den Irak, solange dieser den »richtigen« Krieg gegen den Iran geführt hatte; und dem Versagen von Politikern.

Die Friedensbewegung wandte sich nicht gegen »die Amerikaner«, sondern gegen die konkrete Politik der Regierung der USA, die – nach der Annexion Kuwaits – durch ihre unnachgiebige Position und durch den zunehmenden militärischen Aufmarsch – auf einen Krieg in der Golfregion hingearbeitet hat. Gegen den Krieg wandten sich auch mehrere hunderttausend US-Bürger sowie führende Theologen in Lateinamerika und den USA. Mit einer wesentlichen Forderung der Friedensbewegung, das Embargo längere Zeit wirken zu lassen, stimmten auch ein erheblicher Teil der Politiker im US-Senat und selbst höchste US-Militärs überein (vgl. oben). All diesen müßte daher auch der absurde Vorwurf des »Antiamerikanismus« gemacht werden.

Erinnert sei an den Vietnamkrieg, der wesentlich durch die weltweiten Demonstrationen, auch in den USA, beendet wurde. Die gleichen Politiker, die damals von »Antiamerikanismus« redeten, bezeichnen inzwischen den Vietnamkrieg als großen Fehler.

Die Friedensbewegung wendet sich zudem grundsätzlich gegen Krieg. Denn Krieg löst keine Probleme, er bedeutet vielmehr Leid, Tod, Grausamkeit, Verwüstung und Entmenschlichung. Das hat auch der Golfkrieg wieder erwiesen. Zudem wurde mit dem Golfkrieg ein Unrecht, die Annexion Kuwaits, mit einem viel größeren Unrecht geahndet – es wird also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mitteln grob mißachtet. Die Friedensbewegung setzt sich dafür ein, daß Konflikte friedlich gelöst werden und daß die menschlichen, finanziellen und technischen Möglichkeiten der Menschheit endlich eingesetzt werden zur Lösung der mannigfachen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Erde.

Gegnern des Krieges wurden von vielen Seiten – u.a. Medien und Politikern, Israelis und Kriegsbefürwortern in der Bevölkerung – heftige Vorwürfe gemacht, die darin gipfelten, die Vernichtung Israels würde billigend in Kauf genommen. Manche dieser Äußerungen klangen so, als habe die Friedensbewegung Hussein politisch hervorgebracht und militärisch aufgerüstet – eine extreme Verzerrung der Realität. Ein Beispiel von vielen möge dies belegen (Resümee eines längeren Artikels, Der Spiegel, 18/1991):

„Ich meine nicht, daß sich die Mehrheit der Deutschen die Vernichtung Israels wünscht. Ich meine, daß in einem quantitativ wie qualitativ erheblichen Teil der Friedensbewegung der unbewußte, aber durchaus heftige Wunsch am Werke war, Saddam Hussein möge die historische Chance nutzen und den Job vollenden, den die Nazis nicht zu Ende bringen konnten.“

Das Anliegen der Kriegsgegner wurde somit ins Gegenteil verkehrt. Viele Organisationen aus der Friedens- und Ökologiebewegung hatten sich gegen einen Krieg und nach dessen Beginn für seine sofortige Beendigung eingesetzt. Dabei war die Grundüberlegung leitend, daß auch dieser Krieg die bereits vorhandenen Probleme nicht lösen und zusätzlich neue hervorbringen werde. Gefordert wurde daher eine Friedenskonferenz, in der die vielen Probleme der Region zu verhandeln sind, u.a. die Sicherheit Israels und eine gesicherte Heimat auch für Palästinenser und Kurden. Zu einer friedlichen Lösung, bei der die verschiedensten Interessen zu berücksichtigen sind, gebe es langfristig keine Alternative; denn die Sicherheit Israels sei auf Dauer nicht durch Waffen, Gewalt und Krieg zu sichern.

Daß es gelingen konnte, die Friedensbewegung im politischen Bewußtsein zum Hauptfeind Israels zu machen, verweist auf die Relevanz des Feindbildkonzepts: Wer sich nicht eindeutig für einen Krieg gegen Hussein bekannte, machte sich verdächtig, dessen Freund zu sein. Der Druck zum einheitlichen »Gruppendenken« war erheblich, Abweichungen im Sinne einer differenzierten politischen Herangehensweise wurden sozial und moralisch verurteilt. Das Schüren intensiver Emotionen – mit besonderem Verweis auf die Geschichte der Juden in Deutschland – lenkte zum einen Aggressionen gegen die Friedensbewegung (statt gegen diejenigen, die durch ihr Verhalten Hussein politisch und militärisch aufgerüstet haben), und führte zum anderen zu einer moralischen Entlastung oder gar Erhöhung der Kriegsbefürworter (der Krieg wird nicht wegen des Öls geführt, sondern um hohe moralische Ziele zu erreichen, wie die Rettung Israels, Befreiung der Geiseln und des Kuwait). Die emotionale Intensität der Vorwürfe und die intellektuelle Entdifferenzierung der Argumentation verweisen auf die Relevanz des Feindbildes.

Schlußbemerkungen

Feindbilder können von Herrschenden – wider besseres Wissen – gezielt hergestellt werden, um eigene politische Interpretationen sowie wirtschaftliche und militärische Handlungen durchzusetzen – und zwar gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Ausland.

Verzerrte Informationen im Sinne von Feindbildern können aber auch als wahr angenommen werden. Das politisch Bedeutsame an diesen Interpretationen ist, daß sie als Grundlage der Politik dienen, auch wenn sie völlig realitätsfern sind.

Auch wenn einer Person, politischen Gruppierung oder Bevölkerung realitätsangemessen viele negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden, kann es doch lohnend sein, auf die Wirkung von Feindbildern zu achten: Kein Objekt besteht nur aus negativen Attributen und das Auffinden und Berücksichtigen positiver Merkmale kann wichtig sein für eine friedliche Konfliktlösung.

Feindbilder sind nach unserer Auffassung nicht Ursachen von Spannungen, Rüstung und Krieg. Ursachen sind vielmehr reale Konflikte, Interessengegensätze, das Streben nach besseren Lebensbedingungen, nach Reichtum und Macht, nach Einflußgebieten, Rohstoffen, Märkten und billigen Arbeitskräften. Bei der Durchsetzung einseitiger Interessen aber kommt Feindbildern eine wesentliche psychologische Mittlerunktion zu, sie sind die ideologische Hauptwaffe.

Für eine friedlichere Welt kommt dementsprechend dem Abbau von Feindbildern eine wichtige Funktion zu. Mindestens ebenso wichtig aber sind Entwickeln und Einsetzen von Konfliktstrategien, bei denen gewaltfrei Lösungen angestrebt werden unter Berücksichtigung der kurz- und langfristigen Interessen aller Betroffenen und Beteiligten. Als Zielperspektiven können dabei die bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte dienen.

Die fehlgeschlagenen Versuche, einen Krieg zu verhindern, verweisen auf fehlende demokratische Kompetenzen in der Bevölkerung und auf unzureichende demokratische Strukturen bei politischen Entscheidungen. Denn vor Kriegsbeginn gab es in den westlichen Ländern eine deutliche Mehrheit gegen den Krieg, die sich aber politisch nicht durchsetzen konnte.

Literatur

Fetscher, I. (Hrsg.). Feindbilder. Psychosozial, 40, 19-36.

Frei, D. (1985). Feindbilder und Abrüstung. München: Beck.

Keen, S. (1987). Bilder des Bösen. Weinheim: Beltz.

Krell, G. & Kubbig, B.W. (Hrsg.) (1991). Krieg und Frieden am Golf. Frankfurt: Fischer.

Ruf, W. (Hrsg.)(1991). Vom kalten Krieg zur heißen Ordnung? Münster: Lit.

Sherif, M. & Sherif, C. (1969). Social Psychology. New York: Harper & Row.

Sommer, G., Becker, J.M., Rehbein, K. & Zimmermann, R. (Hrsg.)(1988). Feindbilder im Dienste der Aufrüstung. Marburg: Schriftenreihe des Arbeitskreis Marburger Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung.

Spillmann, K.R. & Spillmann, K. (1990). Feindbilder: Entstehung, Funktion und Möglichkeiten ihres Abbaus. Internationale Schulbuchforschung, 12, 253-284.

(Teile dieses Aufsatzes werden mit dem Titel »Zur Psychologie von Feindbildern« erscheinen in Voit, H. (Hrsg.) (1991). Geschichte ohne Feindbild? Erlanger Forschungen.)

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Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg*

von Prof. Dr. Wilhelm Kempf

Die ganzen 80er-Jahre hindurch sind die USA für ihre Kriege in der Dritten Welt von der Militärdoktrin des low-intensity conflict ausgegangen: von Kriegsführung »niedriger Intensität«, einer Strategie integrierter militärischer, ökonomischer und psychologischer Maßnahmen, die im Gegensatz zu herkömmlichen Kriegen nicht auf territoriale Eroberungen, sondern auf eine gewünschte Verhaltensänderung in der Bevölkerung abzielt.

Musterbeispiel hierfür ist der konterrevolutionäre Krieg der USA gegen Nicaragua, der nach fast 10 Jahren mit der Wahlniederlage der FSLN im Februar 1990 zu Ende ging.

Der Golfkrieg leitete demgegenüber die Anwendung einer neuen Militärdoktrin ein. Kernstück dieser Doktrin der Kriege »mittlerer Intensität« (mid-intensity conflict) ist die Überzeugung, daß die USA ihren Supermachtstatus nur erhalten können, wenn sie die Fähigkeit besitzen, jede beliebige Macht herauszufordern und zu besiegen, die den Zugang der USA zu kritischen Interessenzonen bedroht:

mid-intensity-warfare und psychologische Kriegsführung

„Unser politischer und militärischer Status als Supermacht hängt ab von unserer Fähigkeit, im Wettbewerb auf den existierenden und auf sich entwickelnden Märkten mitzuhalten, sowie von unserem ungehinderten Zugang (…) zu den für unsere Industrieproduktion benötigten Ressourcen. “ Um diesen sicherzustellen, „brauchen wir im Rahmen unserer einsatzbereiten Streitkräftestruktur ein glaubwürdiges Potential militärischer Machtprojektion, das flexibel genug ist, auf Auseinandersetzungen jeder Art im weltweiten Spektrum gewaltsamer Konflikte zu antworten “.1

Während die Modelle der Aufstandsbekämpfung und der Kriegsführung »niedriger Intensität« von leichtbewaffneten Guerillas oder schwachen Militärkräften als Kriegsgegnern der USA ausgegangen waren, wurde von US-Militärstrategen bereits Ende der 80er-Jahre das Aufkommen gutgerüsteter Regionalmächte in der Dritten Welt als Hauptbedrohung der US-amerikanischen Sicherheit wahrgenommen, der durch eine Verstärkung der Fähigkeit zu abgestufter nichtatomarer Gewaltanwendung begegnet werden müsse. Dies erfordere eine bedeutende Ausweitung der Kapazitäten für High-Tech-Kriege in nicht zum NATO-Bereich gehörenden Regionen der Dritten Welt.2

Dieser intensivste Einsatz modernster Waffen unterscheidet den Krieg »mittlerer Intensität« vom Konzept der Kriegsführung »niedriger Intensität«, bei welcher der direkte Einsatz US-amerikanischer Truppen nur kurzfristig und in Ausnahmesituationen vorgesehen ist.3

Maßnahmen der psychologischen Kriegsführung, wie sie z.B. im Krieg gegen Nicaragua zeitweise einen Anteil von bis zu 80% erreicht hatten,4 bleiben jedoch nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Im Krieg »mittlerer Intensität« ist der Anteil der psychologischen Kriegsführung zwar angesichts des massiven Militäreinsatzes relativ geringer. Indem praktisch die gesamten Medien der westlichen Welt in den Dienst der Kriegsführung gestellt wurden, muß das absolute Ausmaß der psychologischen Kriegsführung, wie es etwa im Golfkrieg zum Einsatz kam, jedoch noch um ein vielfaches höher angesetzt werden.

Manipulation der Medien

Wie der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Schwarzkopf, nach Beginn des Waffenstillstandes darlegte,5 waren die Medien gezielt manipuliert worden, um Bagdad über die wahren militärischen Absichten der USA und ihrer Verbündeten zu täuschen und zu falschen strategischen Schlüssen zu verleiten: vor allem bei der Vorbereitung der Landoffensive konnte durch gezielte Desinformation der Eindruck erweckt werden, daß ein amphibisches Landemanöver an der kuwaitischen Golfküste bevorstünde, während die alliierten Verbände sich tatsächlich an der westlichen Flanke der irakischen Armee formierten. Da Iraks Luftwaffe ausgeschaltet und die irakischen Fernmeldeeinrichtungen zerstört waren, konnten sich die Iraker nur über Rundfunkberichte ein Bild von den alliierten Aufmarschvorbereitungen machen und das Täuschungsmanöver nicht rechtzeitig erkennen.

„Sorgfältig von den militärischen Informanten an die Kette gelegt halfen die Medien den Irak zu täuschen und die öffentliche Zustimmung zu diesem Krieg zu stärken “ beurteilte das Wall Street Journal6 die Rolle der Medien im Golfkrieg.

Um der Politik der US-Administration zur Durchsetzung zu verhelfen, kommen Propaganda und psychologischer Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit bereits bei der Kriegsführung »niedriger Intensität« eine besondere Bedeutung zu, welche die westliche Öffentlichkeit zu einem der Hauptziele der psychologischen Kriegsführung werden läßt.

Im Golfkrieg wurde das Kriegsziel dieser psychologischen Kriegsführung von US-Präsident Bush in seiner ersten Fernsehansprache nach Beginn der Luftangriffe klar benannt:

„Ich habe dem amerikanischen Volk vorher gesagt, daß dies kein weiteres Vietnam werden wird. Und ich wiederhole dies hier heute abend. Unsere Truppen werden die bestmöglichste Unterstützung in der ganzen Welt haben. Und man wird nicht von ihnen verlangen, mit einer auf den Rücken gebundenen Hand zu kämpfen“.7

Hauptelemente der psychologischen Kriegsführung, mittels derer dies erreicht werden sollte, bestanden in Desinformation bzw. Informationsverweigerung, in Maßnahmen der psychologischen Destabilisierung, sowie in Maßnahmen zur Polarisierung der Bevölkerung.

Die Erzeugung eines Feindbildes

Dabei setzten Desinformation und Informationsverweigerung nicht erst in Gestalt der Militärzensur nach Beginn der Kriegshandlungen ein, sondern schon lange im Vorfeld des Krieges findet sich in der Berichterstattung der Massenmedien eine weitestgehende Vorenthaltung aller Sachinformationen über Konfliktursachen und Konfliktgenese, die zur Besetzung Kuwaits durch den Irak geführt haben. Nur so kann das Bild entstehen: „Der Krieg beginnt – gleichsam aus heiterem Himmel – durch den „Überfall “ eines „Irren “ auf ein Nachbarland“.

Andere Informationen die von den meisten Medien bisher – d.h. solange Saddam Hussein als Verbündeter des Westens gelten konnte – „nicht dramatisiert “ wurden, wie Waffenlieferungen an den Irak oder die irakischen Giftgaseinsätze gegen die kurdische Bevölkerung nach Ende des Iran-Irakischen (Golf-)Krieges werden für die Medien jetzt zum Thema. So entsteht das Bild: „Der Irre besitzt Massenvernichtungswaffen und ist bereit, diese auch einzusetzen“. Und die logische Folgerung: „Er muß gestoppt werden, bevor die ganze Welt in Flammen steht“.

Durch selektive Informationsvorgaben, wird so innerhalb kürzester Zeit ein Feindbild geschaffen, mit den grundlegenden Strukturmerkmalen der gleichzeitigen Minderwertigkeit und Gefährlichkeit des Gegners.

Die Strukturübereinstimmung dieses neuen Feindbildes mit allen anderen, schon bekannten und vertrauten Feindbildern kommt dem Bedürfnis des Alltagsbewußtseins8 entgegen, jede qualitative Umformung des Bewußtseinshorizontes zu vermeiden, indem es Unbekanntes auf (scheinbar) Bekanntes reduziert, und die Desiderate alter Erfahrungen auf neue Situationen überträgt. Diese naturwüchsigen Übertragungsvorgänge werden durch publizierte Übertragungsangebote verstärkt und gesteuert. Hierher gehört die Gleichsetzung Saddam Husseins mit Hitler durch Politpoeten wie Wolf Biermann (in der Zeit) und Hans Magnus Enzensberger (im Spiegel) ebenso, wie die (historisch falsche9) Gleichsetzung von Pazifismus mit Appeasement-Politik, die dann womöglich noch mit einer Warnung vor „Einäugigkeit und ahistorische(r) Betrachtungsweise “ verbunden wird, durch welche „das berechtigte, ja notwendige Infragestellen des Kriegs, die Forderung nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker (…) nicht entwertet “ werden dürfe.10

Gerade der Diskurs um die Frage, ob im konkreten Fall des Golfkonfliktes ein militärischer Konfliktaustrag unvermeidbar bzw. gerechtfertigt ist, wird dadurch de facto nicht geführt. In den Auseinandersetzungen über diese Frage kommt der Golfkonflikt gar nicht vor, da er durch Bilder wie die oben genannten aus dem Diskurs verdrängt wird, die als Ersatz für die Realitätswahrnehmung ergriffen werden.

Kriegsberichterstattung

Mit Beginn der Kriegshandlungen setzt dann eine reine Kriegsberichterstattung ein, die nicht nur Kriegsursachen und Kriegsziele weiterhin im Dunklen läßt, sondern auch so gut wie keine Informationen über Kriegsverlauf und Kriegsopfer bietet, während zugleich der Eindruck vermittelt wird, als könnte Mensch den Krieg am Fernsehschirm live miterleben.

Meldungen wie die, daß die Alliierten bereits während der ersten drei Stunden des Angriffes auf den Irak 18 000 Tonnen Bomben abgeworfen hätten, werden rein »technisch« abgehandelt: um Vertrauen in die Kriegsmaschinerie zu wecken. Die damit angerichteten Verheerungen kommen nicht ins Bild. Lediglich ein Video, welches die Präzision demonstrieren soll, mit welcher die alliierten Kampfflugzeuge ihre Ziele treffen, wird wieder und wieder gezeigt.

Kontrolliert wird die Kriegsberichterstattung durch einen Katalog von »Grundregeln«, die nach längeren Verhandlungen mit Medienvertretern vom US-Verteidigungsministerium festgelegt und mit Datum vom 14. Januar veröffentlicht wurden11 und strenge Zensurvorschriften und Sprachregelungen enthalten, durch welche die zulässigen Informationen vage und inhaltsleer werden. Aus der Berichterstattung ausgeschlossen wurden dadurch u.a. Informationen über:

  • Truppenstärke, Waffensysteme und Ausrüstung etc. der alliierten Streitkräfte,
  • geplante, aufgeschobene oder abgeblasene Operationen der alliierten Streitkräfte,
  • den Standort der alliierten Streitkräfte,
  • Details der Einsatzpläne,
  • Geheimdienstaktivitäten einschließlich ihrer Ziele, Methoden und Ergebnisse,
  • Truppenbewegungen der alliierten Truppen (mit Ausnahme solcher Informationen die von der Zensurbehörde freigegeben wurden),12
  • Identifikation der Ausgangsbasen, von denen aus Luftangriffe geflogen wurden,
  • Effektivität oder Ineffektivität der Tarnung, Täuschung, Zielsicherheit,13 direkten und indirekten Beschusses, Informationsbeschaffung und Sicherheitsmaßnahmen.
  • spezifische Angaben über vermißte oder abgeschossene bzw. versenkte Flugzeuge und Schiffe, solange noch Such- oder Rettungsaktionen in Gang sind,
  • Methoden, Ausrüstung und Taktik von Spezialeinheiten, etc.

Außerdem wurden Richtlinien für die Nachrichtenmedien erlassen,14 wonach Journalisten die kämpfende Truppe nicht ohne Militäreskorte begleiten dürfen15 und sich mit »Pool-Berichten« begnügen müssen: zur Berichterstattung zugelassen sind nur wenige – fast ausschließlich US-amerikanische – Journalisten, deren Beiträge – nachdem sie von der Zensurbehörde genehmigt wurden – allgemein zur Verfügung gestellt werden.

Dadurch werden authentische Berichte verhindert, wie sie im Vietnamkrieg die öffentliche Meinung maßgebend beeinflußt hatten, als Journalisten auf eigene Faust über das Grauen des Krieges berichtet hatten. Stattdessen werden »schöne« Bilder erfolgreicher Bombardements gezeigt, die den Eindruck eines »sauberen« Krieges gegen Militäreinrichtungen vermitteln, „von dem die Bevölkerung ausgenommen ist “.16

Umgekehrt werden vergleichsweise geringe Schäden vereinzelter Raketenangriffe des Irak auf Israel als Terrorangriffe ins Bild gerückt: z.B. die Bombenschäden an der Turnhalle einer Schule in Tel Aviv.

Zweifel am Realitätsgehalt dieser Berichterstattung können sich allenfalls daran festmachen, daß immer wieder dieselben Bilder gezeigt werden, die aber (angeblich) jedesmal etwas anderes darstellen sollen.

Zweifel und Informationsmangel zusammen verunsichern Öffentlichkeit wie Journalisten und versetzen sie in eine contraproduktive Double-Bind-Situation: gerade weil Mensch merkt, daß er angelogen wird, daß ihm Informationen vorenthalten werden, er sich kein Urteil bilden kann, ist er gezwungen denen zu glauben, die ihn anlügen und die ihm Informationen vorenthalten, ja ggf. noch deren Lügen weiter zu verteidigen, wo Zweifel aufkommen.

Das Phänomen der »Doppel-Bindung«

In der klinischen Psychologie wurde man auf solche »Doppel-Bindungen« zuerst als Ursache für die Entwicklung schizophrener Denkstörungen aufmerksam.17 Definitionsmerkmale der Doppelbindung sind: 1. Eine so intensive Beziehung zu einer anderen Person oder Institution, daß es besonders wichtig wird, deren Mitteilungen genau zu verstehen, um angemessen darauf reagieren zu können.18 (2) Diese Person oder Institution übermittelt mit ihrer Äußerung zwei widersprüchliche Botschaften.19 (3) Die betroffene Person kann zu den einander entgegengesetzten Botschaften weder Stellung beziehen,20 noch sich aus der Situation zurückziehen.

Eine traurige Berühmtheit erlangte der systematische Einsatz von Doppel-Bindungen im Rahmen psychologischer Foltermethoden, wobei es entweder eine Arbeitsteilung zwischen zwei oder mehr Folterern geben kann, von denen der eine die Rolle des verständnisvollen, väterlichen und freundlichen Befragers spielt, während die übrigen sich feindselig und aggressiv geben, sodaß dem Opfer entgegengesetzte Informationen über das zwischen ihm und der Institution bestehende Verhältnis, deren Absichten und seine Aussichten davonzukommen übermittelt werden. Oder ein und derselbe Folterer vereinigt die widersprüchlichen Haltungen in ein und derselben Person. Z.B. verhält er sich handlungsmäßig aggressiv, verbal aber freundlich. Oder er zeigt ein ständiges Hin und Her zwischen Sadismus und Gefälligkeit, wodurch ebenfalls erreicht wird, daß der Gefangene über seine Situation im Unklaren ist und deshalb keine angemessenen Abwehrstrategien entwickeln kann.21

Als langfristiges Resultat bleiben nicht wenige Folteropfer in ihrem Denken und ihren Wahrnehmungen dauerhaft von der Manipulation durch andere abhängig. Psychosoziale Traumata wie die – auch im Medienkrieg betriebene – Zerstörung der Bezugssysteme durch Doppel-Bindungen führen in einen Prozeß der Dehumanisierung,22 dessen Symptome im Rahmen der psychologischen Kriegsführung durchaus als beabsichtigt gelten können: selektive Unaufmerksamkeit und Festklammern an Vorurteilen, Absolutheitsansprüche und Idealisierungen, ausweichender Skeptizismus und paranoide Abwehrhaltungen welche u.a. die Fähigkeit klar zu denken beeinträchtigen und für das Leid anderer unempfänglich machen.

Integraler Bestandteil der psychischen Destabilisierung durch Doppel-Bindungen sind auch die vertrauensbildenden Maßnahmen, mittels welcher die angebliche Objektivität der Berichterstattunmg inszeniert wird. So überträgt der US-amerikanische Nachrichtensender CNN (und mit ihm unzählige andere Fernsehsender – wie z.B. das schweizerische Fernsehen DRS – die das CNN-Programm an diesem Morgen live übernommen haben) wenige Stunden nach Kriegsbeginn eine Pressekonferenz Fidel Castros, in der dieser bemängelt, daß die Möglichkeiten einer nichtmilitärischen Konfliktbeilegung nicht ausgeschöpft worden seien und auf die verheerenden Auswirkungen hinweist, welche der Krieg für die Länder der Dritten Welt nach sich ziehen wird.

Was auf den ersten Blick als beeindruckendes Beispiel einer objektiven und differenzierten Berichterstattung erscheint, die selbst den Erzfeind der USA zu Wort kommen läßt, gewinnt bei genauerer Betrachtung noch eine andere Bedeutung: daß nämlich für die Antikriegsbewegung zentrale Argumente dadurch diskreditiert werden, daß es ausgerechnet Castro ist, mit dem diese assoziiert werden.

Wichtig ist der »Sender« der Botschaft

Wie experimentalpsychologische Studien bereits Anfang der 50er-Jahre gezeigt haben, erweisen sich dieselben Argumente für die Änderung von Einstellungen als wirkungsamer, wenn sie von einem positiv bewerteten (glaubwürdigen) »Sender« kommen:23 Schon von daher gesehen, war es für die öffentliche Zustimmung zum Krieg durchaus funktional, zentrale (und ohnedies nicht verhinderbare) Argumente der Kriegsgegner zuerst durch Fidel Castro an die nordamerikanische Öffentlichkeit kommen zu lassen, zumal es bei einem negativ bewerteten (unglaubwürdigen) Sender zu einer Art Bumerangeffekt24 kommen kann: je stärker die Einstellungsänderung ist, die er verlangt, desto weniger erreicht er. Einem Sender dieser Art gelingen höchstens kleine Einstellungsänderungen, sodaß wohl kaum die Gefahr bestand, Fidel Castro könnte die Bevölkerung der USA gegen den Krieg am Golf einnehmen. Daß die Argumente der Kriegsgegner (durch Fidel Castro) öffentlich vorgebracht wurden dürfte stattdessen dazu beigetragen haben, die Zustimmung der Öffentlichkeit zu dem Krieg für die Argumentation der Anti-Kriegsbewegung weniger empfindlich zu machen: nach gut gesicherten experimentalpsychologischen Ergebnissen25 sind auf »zweiseitigen Mitteilungen« basierende Einstellungen (bei deren Ausbildung die Gegenargumente schon vorweggenommen wurden) gegenüber späterer »Gegenpropaganda« widerstandsfähiger als »einseitige Mitteilungen«, die nur die Pro-Argumente enthalten.

Während die Fähigkeit zu einer eigenständigen Urteilsbildung durch Informationsmangel und psychische Destabilisierung bereits geschädigt ist, wird zugleich die Polarisierung der Öffentlichkeit betrieben, indem die Anti-Kriegsbewegung als Anti-USA-Bewegung, als Anti-Israel-Bewegung oder gar als Pro-Saddam-Bewegung denunziert wird.

So sah sich die Bundesregierung veranlaßt, im Zusammenhang mit den anhaltenden Demonstrationen gegen den Golfkrieg vor einer neuen Welle des Antiamerikanismus in Deutschland zu warnen. Es sei der Sache am Golf „absolut nicht angemessen “, daß die Verantwortung für die Entwicklung am Golf von den Demonstranten den Amerikanern zugeschrieben werde,26 und der Präsident des außenpolitischen Ausschusses der israelischen Knesset warf den deutschen Friedensdemonstranten vor, Saddam Hussein zu unterstützen.27

Marginalisierung der Kriegsopposition

Verbunden ist diese Polarisierung mit einer klaren Marginalisierungsdrohung: wer sich nicht hinter den Krieg stellt, läuft Gefahr, sich am Rande der Gesellschaft wiederzufinden. Und zwar sowohl individuell, als auch kollektiv. So formuliert z.B. Gerd Appenzeller in einem Leitartikel des Südkurier vom 19.1.1991 die Verheißung an die Deutschen, bei einer Kriegsbeteiligung endlich aus ihrem angeblichen Abseits herauszukommen – bzw. die Drohung in solch ein Abseits zu geraten, wenn nicht:

„Die Deutschen werden ohnedies, wie auch immer, die Folgen des Golfkrieges noch in Punkten zu spüren bekommen, die schmerzen. Gegen die Annexion Kuwaits kämpfen inzwischen Briten, Franzosen, Niederländer, Italiener, Kanadier, Amerikaner. Deutschland steht, verfassungsbedingt korrekt, abseits. Aber wenn der Krieg (hoffentlich erfolgreich) vorbei ist, werden sich die, die ihn gegen den Aggressor gewannen, gegenseitig auf die Schultern klopfen, und auf jene herabschauen, die sich nicht engagierten “.

Als ein wichtiges Mittel dieser Polarisierung dient dabei auch der Versuch, den Krieg als einen Krieg »der Vereinten Nationen« darzustellen, oder zumindest als einen Krieg, den die USA »im Auftrag der Vereinten Nationen« führen, während Äußerungen des UN-Generalsekretärs, die diese Darstellung zurückweisen, von den meisten Medien ebensowenig thematisiert werden, wie die berechtigten Zweifel, ob die inzwischen verfolgten Kriegsziele überhaupt noch mit den UN-Resolutionen vereinbar sind.

Selbst jene politischen Gruppierungen, die gegen die Kriegspolitik aufzutreten scheinen, vermögen in dieser Situation weder Sicherheit noch Rückhalt zu bieten. Teilweise, weil sie eh zu schwach sind, und andernteils, wie im Falle der SPD, weil sich gleichzeitig führende Identifikationsfiguren – wie etwa Willy Brandt – in Zeitungsanzeigen hinter den Krieg stellen.

Der Krieg »mittlerer Intensität«, wie er von den USA am Golf geführt wurde, erweist sich derart schon innerhalb der ersten Kriegstage als ein totaler Krieg gegen das Entstehen einer kritischen Öffentlichkeit und damit gegen die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Psychologische Kriegsführung, als Krieg um die Köpfe und Herzen der Menschen, gerät im Zuge der Kriegsführung »mittlerer Intensität« endgültig zum psychologischen Krieg gegen die Menschen im eigenen Land und gegen ihre Fähigkeit der Urteilsbildung ebenso wie gegen ihre Fähigkeit der Anteilnahme.

Literatur

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Klare, M.T., 1991a. Krieg den Aufsteigern. Die neue US-Doktrin der »Konflikte mittlerer Intensität« (MIC). Blätter für deutsche und internationale Politik, 3'91, S.320-326.

Klare, M.T., 1991b. Der Golf – Versuchsfeld der Kriege von morgen. Die neue Militärstrategie der USA – Middle-Intensity-Conflict. Prowo Nr. 12.

Klare, M.T., Kornbluh, P., 1988. Low Intensity Warfare. New York.

Leithäuser, Th., Volmerg, B., 1977. Die Entwicklung einer empirischen Forschungsperspektive aus der Theorie des Alltagsbewußtseins, in: Leithäuser, Th., Volmerg, B., Salje, G., Volmerg, U., Wutka, B., Entwurf zu einer Empirie des Alltagsbewußtseins. Frankfurt/M.

Lumsdaine, A.A., Janis, I.L., 1953. Resistance to »counter-propaganda« produced by one-sided and two-sided »propaganda« presentations. Public Opinion Quarterly, 17, 311-318.

Martin-Baro, I., 1988. Die psychischen Wunden der Gewalt, in: Kempf, W., (Hrsg.), Kriegsführung »niedriger Intensität«, Menschenrechte und psychosoziale Situation in Zentralamerika. Hamburg, 1991 (im Druck).

Niedhart, G., 1991. Appeasement ist kein Pazifismus und Krieg ist nicht gleich Krieg. Frankfurter Rundschau vom 26.2.1991, S.9.

Samoyoa, J., 1987. Guerra y deshumanización. Una perspectiva psicosocial. Estudios Centroamericanos (ECA), No. 461, S.213-225.

Auszugsweiser Nachdruck eines Aufsatzes, der unter dem Titel »Verdeckte Gewalt. Herausforderungen an Friedens- und Solidaritätsbewegung zu Beginn der 90er Jahre« in dem von W. Kempf herausgegebenen Buch Verdeckte Gewalt – Psychosoziale Folgen der Kriegsführung niedriger Intensität in Zentralamerika im Argument-Verlag, Hamburg, erschienen ist.

Schulkinder als Fußsoldaten

Schulkinder als Fußsoldaten

Der lange Marsch zum Frieden

von Corinna Hauswedell

Herbstanfang, Schulbeginn – Zeit zum Aufbruch aus der Sommerpause, um Neues zu erleben und zu lernen. Für einige nordirische Kinder wurde die erste Septemberwoche zum Horrortrip. Ihr Schulweg geriet zu einer bitteren Lektion des Hasses, als sie unter wüsten Beschimpfungen, Steinwürfen, und Nagelbomben ihrer protestantischen Nachbarn durch ein Spalier hochgerüsteter Polizei und Soldaten und im Schutz ihrer Eltern zu der katholischen Grundschule in Ardoyne gehen mussten.

Die entsetzten Gesichter der drei- bis sechsjährigen Mädchen aus Nord-Belfast, viele zum ersten Mal auf dem Weg zur Schule, sind um die Welt gegangen. Sie berühren uns – auf andere Weise als die Meldungen über die Selbstmordattentäter in Jerusalem oder die Straßenkämpfe in anderen Kriegs- und Krisenregionen der Welt. Der Kontrast zwischen der »Unschuld« der Opfer und der unverzeihlichen Gewaltbereitschaft der Täter erscheint besonders groß. Aber es gibt keine einfache Moral von der Geschicht’. Zerrbilder eines uralten und zugleich heutigen Konfliktes werden hier sichtbar – in einer europäischen Region, in der politische Akteure aller Kaliber seit Jahren an der Umsetzung eines viel versprechenden Friedensabkommens arbeiten.

„Wir wollen keine Bürger zweiter Klasse mehr sein, unsere Kinder sollen durch den Haupteingang in ihre Schule gehen können,“ erklärt eine Mutter das Anliegen der katholischen Eltern von Ardoyne.

„Wir fühlen uns wie im Belagerungszustand,“ sagt Mark Coulter, der Sprecher der Protestanten, „wie weggehauen, Stück um Stück“. „Man kann schöne neue Häuser bauen, aber das wird die Kugeln nicht stoppen; wir müssen eine neue Mauer quer durch die Ardoyne Road errichten“, fügt Anne Bill vom loyalistischen Bürgerkomitee hinzu.

Die Wurzeln von Hass und Gewalt in dem Arbeiterghetto mit seinen schlechten Wohnverhältnissen, wenigen Jobs und geringen Aufstiegschancen liegen tief. Ardoyne war einer der ersten Siedepunkte der »Troubles«, in den späten 60er Jahren wurde hier die IRA wiedergegründet. Mehr und mehr Katholiken zogen in das vorwiegend protestantische Viertel. Nord-Belfast hat mehr als ein Fünftel aller Toten des Bürgerkrieges zu Grabe getragen. Weniger separat als in vielen anderen Teilen der Stadt und der Provinz leben Katholiken und Protestanten hier wie auf einem Flickenteppich zusammen, oft nur durch eine Straße, durch Gitter oder Mauern – so genannte »peace walls« – getrennt. Territorien werden mit Wandbildern, Flaggen und Pflastersteinen markiert und von den paramilitärischen Gruppen »verteidigt«. Man geht nicht in die Geschäfte, die Post, die Bücherei auf der anderen Seite. Angst ist ein ständiger Begleiter. Aber derartige Gewaltausbrüche gegen Kinder hatte es bisher nicht gegeben. Im Frühjahr sind neue protestantische Familien eingezogen; sie gehören der größten loyalistischen paramilitärischen Organisation UDA an und wurden im vergangenen Jahr im Zuge einer innerloyalistischen Fehde, einem Bandenkrieg um Drogen und Gebietsansprüche, von der protestantischen Lower Shankill Road vertrieben. Ihnen schreiben viele Katholiken die jüngste Eskalation der Gewalt zu.

Ardoyne ist nicht Nordirland, aber es ist auch kein untypischer Ort des »sectarianism«, der tiefen konfessionell-politischen Spaltung, die die nordirische Gesellschaft durchzieht. Integrierte Schulen, die von insgesamt nur etwa 3% der nordirischen Kinder besucht werden, gibt es hier nicht. Die allgemeinen Veränderungen, die der Friedensprozess in den 90er Jahren und das »Good Friday Agreement« von 1998 gebracht haben oder noch versprechen, werden in Ardoyne durch besonders parteiliche Brillen gesehen. Wandel ist hier entweder schwer wahrnehmbar oder nicht gewollt. Ein gewachsenes Selbstbewusstein der Katholiken, die nach jahrzehntelanger Diskriminierung u.a. einen besseren Zugang zu Ausbildung und Wohnungen erhalten, kontrastiert mit dem Gefühl vieler protestantischer Arbeiterfamilien, die Verlierer des Friedensprozesses zu sein.

Vom Versagen der Politik ist jetzt die Rede. Das Vakuum, das seit dem Sommer durch das Einfrieren der nordirischen Regierungsinstitutionen entstanden ist, so der irische Premier Bertie Ahern, sei Schuld am Aufflammen der Gewalt auf den Straßen. George Mitchell, der ehemalige US-Senator und Vermittler im nordirischen Friedensprozess, hat nach Ardoyne einen dringenden Appell für »political leadership« gestartet. Auch nach über einem Jahr gemeinsamer Regierungstätigkeit in Belfast tun sich die Führer der nordirischen Parteien sehr schwer, ihren Anhängern die positiven Perspektiven des politischen Kompromisses aus dem Friedensabkommen zu vermitteln. Das Vertrauen der Konfliktparteien reicht nicht aus, um die Umsetzung der drängenden sicherheitspolitischen Reformen in Angriff zu nehmen.

Anfang Juli war der Erste Minister der Belfaster Koalition David Trimble, Vorsitzender der größten nordirischen protestantischen Partei UUP, zurückgetreten, weil die IRA nicht mit der Abrüstung ihrer Waffen (decommissioning) begann; die britische und irische Regierung sind seither intensiv um eine Lösung der nach den Wahlen im Juni akut gewordenen Krise bemüht. Den nordirischen Parteien wurde im August ein neues Vorschlagspaket zur Umsetzung der vier Hauptstreitpunkte des »Good Friday Agreement« vorgelegt: die Polizeireform, die Reduzierung der britischen Streitkräfte, die Stabilität der Regierungsinstitutionen und die Abrüstung der paramilitärischen Waffen. Die IRA hatte zwar ihre verbale Bereitschaft erneuert, ihre Waffen überprüfbar und vollständig aus dem Verkehr zu ziehen; die Methoden und der konkrete Zeitplan jedoch sollten mit der dafür im Abkommen vorgesehenen internationalen Abrüstungskommission IICD geklärt werden. Zuwenig für den Unionistenführer, der sich in seiner Partei gegen eine Fast-Mehrheit von Abkommensgegnern behaupten muss. Trimbles Zurückweisung führte dazu, dass die IRA ihr Angebot prompt zurückzog. Die Entdeckung der Connection dreier IRA-Mitglieder zur kolumbianischen FARC wirkte in der Folge nicht eben vertrauensbildend. Ein kurzer Lichtblick, die lang erwartete Zustimmung der gemäßigten katholischen SDLP zur Polizeireform, wurde schnell überschattet durch die Ablehnung seitens der beiden Hauptkontrahenten, Sinn Fein und UUP.

Der britische Nordirlandminister John Reid, angesichts des Dramas in Nord-Belfast jetzt um einen Dialog an der Basis bemüht, sieht sich, falls der »Nichtdialog« zu einer Ablehnung der Paketlösung führt, vor der schwierigen Entscheidung, Ende September entweder Neuwahlen auszuschreiben oder die von allen ungeliebte jahrzehntelange Direktherrschaft aus London wieder einzuführen.

Nach den Gewaltausbrüchen in Ardyone treten die Schwächen des nordirischen Friedensprozesses offener zu Tage: Ohne ein »decommissioning of mindsets«, die »Entwaffnung in den Köpfen und Herzen«, wird es mittelfristig weder eine Abrüstung der Waffen, noch eine allgemeinere Entmilitarisierung des Konfliktes und neue zivile Sicherheit für alle Bürger geben. Die vielen Krisen in der Umsetzung des Abkommens verweisen auf einen doppelten Konstruktionsmangel: Während vornehmlich »oben« in Regierungen und Parteien an den vornehmlich politischen und militärischen Seiten des Prozesses gearbeitet wurde, traten die Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung an der Basis und die Mobilisierung der zunächst vorhandenen zivilgesellschaftlichen Potenzen immer mehr in den Hintergrund. Solange politische Anleitungen und Mechanismen für Vertrauensbildung und Versöhnung – »oben« und »unten« – weit gehend fehlen, droht eine Zementierung des »sectarianism«, wird der Wunsch nach Einmauerung in zerbrochenen Identitäten den Willen zur Veränderung überwiegen.

Die (Wieder-)Aneignung des Friedensprozesses durch die nordirische Zivilgesellschaft ist überfällig. Kirchenleute haben in Ardoyne erste Zeichen für einen neuen Dialog zwischen den Fronten gesetzt. Die in Nordirland relativ kleine politische Mitte gemäßigter Protestanten und Katholiken muss mehr Verantwortung für die Absage an Gewalt, soziale Integration und den Aufbau überkonfessioneller Identitäten für beide nordirischen Kulturen übernehmen. Die politischen Führungen von UUP, SDLP und Sinn Fein, der inzwischen stärksten katholischen Partei, müssen sich der Verantwortung für die »weichen« und »harten« Seiten des Friedensprozesses in gleicher Weise stellen. Ein Nebeneinander ohne Angst, wo noch kein Miteinander möglich ist, erfordert gemeinsame Initiativen zur Aufarbeitung des Leidens der letzten Jahrzehnte, integrierte Lern- und Bildungsangebote und den überfälligen Beginn der Zusammenarbeit an einem neuen Verständnis von Sicherheit. Das bedeutet auch aktive Mitwirkung an einer Polizeistruktur, die beide Seiten in Zukunft in gleicher Weise repräsentieren und schützen soll. Und es erfordert neue Signale für ein »farewell to arms«, den Abschied von den Waffen.

Die Polizisten in Ardoyne haben einen schwierigen Einsatz erfolgreich gemeistert. Das verdient Anerkennung von katholisch-republikanischer wie protestantisch-loyalistischer Seite. Billy Hutchinson, der Führer der kleinen protestantischen PUP hat mit der Verurteilung der Gewalt und seinem Bekenntnis der Scham „ein Loyalist zu sein“ ein Beispiel für die Absage an den »hard-liner-sectarianism« gegeben.

Der lange Weg zum Frieden, nicht nur in Nordirland, braucht eine sensible neue Generation, die offen wird für die Sorgen und Interessen der Nachbarn auf der anderen Straßenseite – keine Mauern, keine Bomben, keine Kinder als Fußsoldaten.

Dr. Corinna Hauswedell ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bonner Konversionsinstitut (BICC) und begleitet in einem Forschungsprojekt den »Nordirischen Friedensprozess«.

Die Terroristen, das sind die anderen

Die Terroristen, das sind die anderen

von Sabine Korstian

Die israelische Tageszeitung Ha'aretz berichtete, dass am 19.12.2006 israelische Soldaten aus ca. 100 Meter Entfernung das Feuer auf zwei ihrer Meinung nach verdächtige Gestalten eröffneten, die sich dem »seperation fence« in der Nähe des Dorfes Faroun bei Tulkarem näherten. Die zwölfjährige Rasha Shalbi wurde leicht verletzt und die vierzehnjährige Da'ah Abed Al Qadr so schwer, dass sie noch im Rettungswagen starb. Die Soldaten wurden vorläufig vom Dienst suspendiert und eine Untersuchung eingeleitet. Die Mädchen waren auf dem Weg zu familieneigenem Land auf der anderen Seite gewesen.

Die »seperation barrier«, die Israel seit Juni 2002 baut, wird 703 km lang sein. Bei ihrer Fertigstellung werden 11,9% der Westbank auf der israelischen Seite der »barrier« (Quelle: b'tselem) liegen. Viele Palästinenser empfinden solche Vorfälle, den Bau der »barrier« und andere israelische Sicherheitsmaßnahmen als Staatsterror, der gegen sie gerichtet ist.

Die meisten Israelis wiederum befürworten den Bau und andere Sicherheitsmaßnahmen. Für sie sind sie notwendig zur Abwehr palästinensischer Terroranschläge. Tatsächlich hat die »barrier« zu einer deutlichen Reduktion der Anschläge innerhalb Israels geführt. Doch wurden meist vom Gazastreifen aus seit dem israelischen Rückzug im Sommer 2005 mehr als 1.500 Qassam Raketen abgefeuert, von denen über 1.200 auf israelischem Gebiet niedergingen. Eines der insgesamt mehr als 20 Opfer von Qassam Raketen war die 57jährige Muslima Fatima Sklutzker, die erst vor drei Jahren mit ihrem jüdischen Mann aus dem Kaukasus eingewandert war. Sie starb, als am 15. 11. 2006 Raketen in ein Wohngebiet in Sderot einschlugen (Quelle: Jerusalem Post). Für die Mehrheit der Israelis sind es die Palästinenser, von denen Terror ausgeht.

Ähnlich diametral entgegengesetzte Interpretationen der Ursachen politischer Gewalt sind auch aus anderen Konflikten bekannt. Genauer gesagt, Interpretationen über die Verursacher der Gewalt: Geht für die kolumbianische FARG die Gewalt vom Staatsapparat und den Todesschwadronen aus, so begründen diese ihrerseits ihr Morden mit der Existenz der Terrororganisation FARG. Für die kurdische PKK rechtfertigt die Gewalt des türkischen Staates gegen Kurden ihre Anschläge, während der Staat seine Gewalt mit dem Kampf gegen die PKK begründet. Die Tamil Tigers auf Sri Lanka wehren sich ihrer Meinung nach gegen den von Singhalesen dominierten Staat. Dieser sieht in den Tigers einen guten Grund, gewaltsam vorzugehen. Die Liste lässt sich fortsetzen bis hin zu Bushs »War on Terror« und Bin Ladens »Krieg gegen die Kreuzzügler«.

Aus den Auseinandersetzungen über all diese Konflikte ist der Begriff des Terrorismus nicht wegzudenken. Das liegt nicht an seinen besonderen deskriptiven oder analytischen Qualitäten, mit deren Hilfe sich ein erhellendes Licht auf komplexe Zusammenhänge werfen ließe. Eher im Gegenteil, gerade weil dies nicht der Fall ist, eignet er sich als Waffe in den Propagandaschlachten um die Legitimität politischer Gewalt. Sie richten sich nach der Logik, dass, wer Terror anwendet, im Unrecht ist und wer sich gegen ihn verteidigt, im Recht. Wer dabei wer ist, das richtet sich wiederum danach, für welche Seite Partei ergriffen wird: Die Terroristen, das sind die anderen und deshalb sind sie die Schuldigen, selbst wenn sie selber Opfer werden. Jeder, der den Begriff benutzt, muss damit rechnen, dass ihm Parteinahme unterstellt wird. Doch auch der Verzicht auf die Terrorismus-Zuweisung macht verdächtig, denn wer nicht für die eine Seite Partei ergreift, unterstützt wohl die andere. »Terrorismus« eignet sich sowohl als Etikett als auch als Mittel politischer Gewalt besonders gut Freund-Feind-Schemata zu (re-)produzieren und damit einen Konflikt zu perpetuieren.

Eine Lösung der Konflikte verlangt einen Ausstieg aus der Schuldzuweisung. Zum Beispiel zeigt das Ringen um den Frieden in Nordirland einerseits, wie schwierig dieser Ausstieg ist. Andererseits wird deutlich, dass – selbst wenn längst nicht alle Probleme gelöst sind – die Bereitschaft aller Konfliktparteien, einen Kompromiss zu finden, statt sich über Schuldzuweisungen zu legitimieren, der politischen Gewalt ein Ende setzen kann.

Erst wenn die Beteiligten der anscheinend verführerischen Kraft des Glaubens widerstehen, dass sowohl Überlegenheit als auch Unterlegenheit von der Verantwortung für einen tragfähigen Kompromiss befreien, wird es eine Chance auf eine friedliche Lösung geben. Wie immer im jeweiligen Fall ein Kompromiss aussehen mag: Des einen Sicherheitsmaßnahmen können dann nicht mehr des anderen Sicherheitsrisiko sein.

Ihre Sabine Korstian

Diskurse der Gewalt – Gewalt der Diskurse

Diskurse der Gewalt – Gewalt der Diskurse

Internationale Konferenz des Transdisziplinären Forums Magdeburg

von Julia Reuter und Matthias Wieser und Aram Ziai

Zum zweiten Mal luden junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität zur internationalen Konferenz (2.-4. Juli 2004) des Transdisziplinären Forums Magdeburg (TransForMa) ein. Der Name Trans-ForMa ist hierbei Programm: Die Magdeburger Konferenz ist eine grenzüberschreitende Veranstaltung, was sich nicht nur in der zweisprachigen Organisation (deutsch und englisch) widerspiegelt. Die über 150 TeilnehmerInnen kamen aus mehr als 15 Ländern. Neben PolitikwissenschaftlerInnen und SoziologInnen traf man auf PhilosophInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, MedienwissenschaftlerInnen oder EthnologInnen aus allen akademischen Gruppen. Die diesjährige Tagung stand unter dem Titel »Gewalt der Diskurse – Diskurse der Gewalt« und knüpfte damit thematisch an die letztjährige Auftaktveranstaltung »Reflexive Repräsentationen: Diskurs, Macht und Praxis im globalen Kapitalismus« an. Drei Tage lang wurde vor dem Hintergrund gegenwärtiger weltgesellschaftlicher Verhältnisse über die Verstrickung (physischer) Gewalt in Diskursen als auch über die Materialisierung der Diskurse in (physischer) Gewalt diskutiert. Wie im letzten Jahr standen auch dieses Mal vor allem neuere »radikale« Ansätze aus Diskurstheorie, Poststrukturalismus und Postkolonialismus im Vordergrund.

Den Auftakt zu einer sehr vielfältigen Bearbeitung des Themas Gewalt und Diskurs machte der international renommierte Politikwissenschaftler Rob B. J. Walker in seiner keynote address zu »Violence, Discourse and Sovereignty«. Am Beispiel der Übergabe der Regierungsgewalt von der US-Verwaltung an eine irakische Regierung verdeutlichte er, dass der unproblematische Gebrauch des gängigen Souveränitätsbegriffs der komplexen Problematik der Souveränität (die auch die diskursive Legitimation von Gewalt beinhaltet) in keiner Weise gerecht wird. Stattdessen gelte es die fortlaufende Herstellung unterschiedlicher Souveränitäten und ihre Funktionsweise genauer zu untersuchen und staatliche Souveränität nur als eine kontingente Antwort auf die Problematik zu verstehen. Die interessierten ZuhörerInnen wurden einer (hoffentlich) produktiven Verunsicherung ihrer sozialwissenschaftlichen Begrifflichkeiten ausgesetzt und mit vielen offenen Fragen zurückgelassen, aber fertige Antworten zu liefern entspricht eben (glücklicherweise) nicht Walkers Verständnis von kritischer Wissenschaft.

Auf der Podiumsdiskussion am zweiten Tag diskutierte Walker zusammen mit der indischen Literaturwissenschaftlerin Shaswati Mazumdar, der US-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin L.H.M. Ling und dem deutschen Philosophen Alfred Hirsch über die Möglichkeiten der politischen Partizipation, insbesondere nach dem Diskurs des »11. September«, die Beziehung zwischen dem linguistic turn und Gewalt und die Produktivität von Gewalt. Den spannendsten Beitrag lieferte Ling mit ihrer überzeugenden Kritik am Mainstream der Disziplin der Internationalen Beziehungen als einem bürgerlichen, kolonialen und patriarchalen Gebäude, das alternativen Ansätzen und Konzepten strukturell den Zugang verwehrt.

Auch wenn die Tagung von bereits etablierten Mitgliedern des Wissenschaftsbetriebs »gerahmt« wird, ist sie vor allem eine »innovative Denkbaustelle « für und von Postgraduierten, Graduierten und Studierenden, die gemeinsam über ihre Ideen und Forschungsarbeiten zum Thema in insgesamt 21 Panels auf gleicher Augenhöhe diskutieren. Dabei reichte das »gewaltvolle« Themenspektrum vom »Attentat in Erfurt« über linguistische Fragen zur »Sicherheit als Sprechakt« bis hin zur »neuen Ökonomie der Kriege«. Neben »typischen« Schauplätzen, wie Nordirland oder 9/11, rückten auch »Nebenschauplätze« der Gewalt in den Blick, angefangen von sehr plastischen Schilderungen des »Femizid in Nordmexiko 1993-2003« bis hin zur eher theoretischen Rekonstruktion »epistemischer Gewalt im biowissenschaftlichen Diskurs«. Methodologisch wechselten sich Makroanalysen beispielsweise zu »Hegemonie und Krieg« mit Mikroanalysen zu Identitätspolitiken in Alltag, Wissenschaft und Medien ab.

Trotz der thematischen Bandbreite gab es dennoch Parallelen: Wie keynote lecture und Podiumsdiskussion nicht ohne kritische Worte in Richtung Hardt und Negris Empire auskamen, gab es wohl kaum einen panel, in dem nicht der Name Michel Foucaults fiel. Verweise auf andere diskurstheoretische An- und Einsichten französischer Theoretiker, wie Lacan, Deleuze oder Laclau, die auf der ersten Magdeburger Konferenz noch dominierten, blieben aber eher Randnotizen. Etwas überraschend dagegen war die (nicht vollständige, aber weitgehende) »Leerstelle« im Hinblick auf Beiträge aus der Perspektive der neo-gramscianischen Internationalen Politischen Ökonomie und ihres Konzepts des »neuen Konstitutionalismus«, zu denen im call for papers angeregt worden war.

Insgesamt eröffnete die Tagung ein breites Spektrum an Zugängen und Dimensionen von Gewalt und konnte damit einige blinde Flecken des klassischen Gewaltbegriffs sichtbar machen. Allerdings drohte durch die Ausweitung des Phänomenbereichs stellenweise der Gewaltbegriff zu entgleiten, in dem in undifferenzierter Weise von Gewalt als Macht gesprochen wurde. Bis auf wenige Ausnahmen, etwa von Seiten des Arbeitskreises Gegenmacht, waren Widerstandsoptionen eher Randthemen. Nichtsdestotrotz schimmerte das kritische Selbstverständnis der TransForMa durch, die Konferenz war im Vergleich zum Vorjahr auch ein gutes Stück konkreter und politischer – den meisten Referierenden war an einer praktischen Diskursanalyse sehr viel gelegen.

Zwei Sammelbände, einer mit ausgewählten englischsprachigen Beiträgen und einer mit ausgewählten deutschen Beiträgen der Konferenz, sollen im nächsten Jahr erscheinen. Dann wird es wohl, wie jetzt schon zu hören war, eine dritte TransForMa geben (Infos unter www.transforma-online.de) – natürlich nur, wenn die Geldgeber nicht streiken oder hochschulpolitische Nützlichkeitsvorstellungen neoliberaler Prägung kritische Innovationen zugunsten technischer Innovationen einsparen!

Julia Reuter / Matthias Wieser / Aram Ziai (Aachen)