Kriegsführung 3.0

Kriegsführung 3.0

von Regina Hagen

Die Angreifer hungern die Stadt nicht durch monate- oder jahrelange Belagerung aus, sondern bauen hölzernen Türme mit Rädern, schieben diese an die Stadtmauer heran und beschießen die Verteidiger von oben. Gleichzeitig setzen sie Rammböcke ein und schleudern mit Katapulten schwere Steine gegen den Verteidigungswall und in die Stadt hinein.

Mit dieser innovativen Kriegsführungsmethode erlangten die Karthager im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die militärische Überlegenheit und nahmen die Stadt Selinunt ein.

Die Angreifer schweben weit entfernt in einem »Apache«-Kampfhubschrauber und sind für die Zielpersonen unsichtbar. Sie verfolgen die Szenerie am Boden über die Einblendung auf ihrem Helmvisier, fordern den Schussbefehl an, steigen auf und erschießen unter zynischen Kommentaren zwölf »feindliche Kämpfer«. Anschließend stellt sich heraus, sie töteten unbewaffnete Zivilisten, darunter zwei irakische Journalisten von Reuters. Das geschah im Juni 2007 in Bagdad und wurde erst drei Jahre später durch die Videodokumentation »Collateral Murder« auf Wikileaks weltbekannt.

In Afghanistan schwebt ein Hubschrauber über Zivilisten. Da tritt ein Kämpfer aus der Ansammlung heraus, legt einen Raketenwerfer über die Schulter und feuert ihn ab. Die Waffe spürt mit Infrarotsensoren die Wärme des Hubschraubermotors auf und schießt das teure High-Tech-Gerät des US-Militärs zielsicher ab. Das ist in den letzten Jahren immer wieder geschehen.

Moderne Kriegsführung in Zeiten des asymmetrischen Krieges – ist das darunter zu verstehen?

Alvin und Heidi Toffler beschrieben in ihrem Buch »Überleben im 21. Jahrhundert« (die englischsprachige Ausgabe ist treffender mit »War and Anti-War« überschrieben), im Golfkrieg von 1991 sei die neue, zukünftige Art der Kriegsführung erkennbar geworden, „mit Waffen der Dritten Welle geführt, die auf absolute Treffgenauigkeit, »maßgeschneiderte« Zerstörung und minimale »Kollateralschäden« getrimmt waren. […] Die Konzepte des »erweiterten Gefechtsfelds« und der »Interdiktion« […] spielten von Anfang an eine große Rolle. Auch wurde dem Faktor Information und dem Einsatz intelligenter Waffen“ eine große Bedeutung zugestanden.

Moderne Kriegsführung, modernes Militär „mit Waffen der dritten Welle“ ist also das Gebot unserer Zeit? NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen scheint das genau so zu sehen. Im Oktober 2010 erläuterte er beim German Marshall Fund in Brüssel die „Evolution“ der NATO: „Jetzt ist die Zeit gekommen für NATO 3.0. Ein Bündnis, das die 900 Millionen Bürger der NATO-Länder schützt vor den Bedrohungen von heute und des kommenden Jahrzehnts.“ Und er ergänzt: „Das Strategische Konzept ist die Blaupause für diese neue NATO.“

3.0 klingt ziemlich modern, und die Überschrift des neuen Bündnis-Konzepts wird dem gerecht: „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“. Letzteres (um eigene Angriffskriege geht es in den NATO-Verlautbarungen niemals) scheint dringend vonnöten, denn „[i]n vielen Regionen und Ländern auf der ganzen Welt werden moderne substanzielle militärische Fähigkeiten beschafft“. „Angriffe auf Computernetze“, die „Entwicklung von Laserwaffen“, „elektronische Kriegsführung und Technologien, die den Zugang zum Weltraum verhindern“ – so beschreibt die NATO nicht etwa ihr eigenes Arsenal, das potentielle Gegner ihrerseits zur Aufrüstung treibt, sondern anstehende Bedrohungen, gegen die sich das Bündnis noch besser wappnen soll.

Waffentechnologische Konsequenz der transatlantischen Allianz: „Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten“ (wie modern ist denn das?), „robuste, mobile und dislozierbare konventionelle Kräfte“, „Raketenabwehr“ und sonstige „Fähigkeiten“ zur Verteidigung oder zum Schutz vor den oben genannten und vielen weiteren »Bedrohungen«. Nicht verwunderlich also, dass die NATO „gewährleisten [wird], dass das Bündnis bei der Bewertung der Auswirkungen neuer Technologien auf die Sicherheit eine Vorreiterrolle spielt“.

In einer 1997 erstellten Studie stellte das Fraunhofer Institut Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen fest, Streitkräfte und Rüstungsverantwortlichen reagierten auf die Gefahr »neuer Bedrohungen« „einerseits dadurch, dass sie eine einmal vorhandene Fähigkeit nur dann aufgeben, wenn jeder vernünftige Zweifel ausgeräumt ist, und andererseits durch breit angelegte vorhaltende Sicherung von wehrtechnischen Optionen.“

Und doch: Trotz High-Tech-Waffen stimmt wohl, was Martin van Creveld in »Zukunft des Krieges« (1991) prognostiziert: „Es wird ein Krieg der Abhörgeräte und der Autobomben sein, Männer werden sich aus nächster Nähe gegenseitig umbringen, und Frauen werden in ihren Handtaschen Sprengstoffe mit sich herumtragen mitsamt den nötigen Drogen, um sie zu bezahlen. Der Krieg wird langwierig, blutig und grauenvoll sein.“

Das klingt wie Afghanistan heute. Ist das modern?

Ihre Regina Hagen

Rüstung durch die Hintertür

Rüstung durch die Hintertür

Das EU-Sicherheitsforschungsprogramm

von Sabine Lösing und Jürgen Wagner

Im Jahr 2003 fällte die EU-Kommission die Entscheidung, künftig unter dem Dach des 7. Forschungsrahmenprogramms 2007-2013 (7FPR) einen eigenen Budgetposten für Sicherheitsforschung (ESRP) einzurichten. Die für diesen Zeitraum bereit gestellte Gesamtsumme umfasst 1.4 Mrd. Euro.1 Um die Ausgestaltung dieses Sicherheitsforschungsprogramms zu konkretisieren und erste Projekte auf den Weg zu bringen, wurde eine »Group of Personalities« (GoP) und ein weiteres Beratungsgremium (ESRAB) einberufen. Dies alles geschah ohne irgendeine Beteiligung des europäischen oder eines nationalen Parlaments, geschweige denn der Zivilgesellschaft. Im stillen Kämmerlein konnten sich somit Vertreter der Rüstungslobby sowie staatlicher Sicherheitsorgane daran machen, die künftige europäische Sicherheitsforschungsagenda auszutüfteln. Für die Ausarbeitung einer Zukunftsagenda wurde darüber hinaus im Jahr 2007 das ebenso unrepräsentativ und undemokratisch zusammengesetzte »European Security & Information Forum« (ESRIF) ins Leben gerufen, das im Dezember 2009 seinen 324-seitigen Forderungskatalog vorlegte.

Auch wenn dies sicherlich nicht für jede einzelne geförderte Maßnahme zutrifft, so ist die gesamte Ausrichtung des Sicherheitsforschungsprogramms überaus Besorgnis erregend. Trotz der Tatsache, dass sich dort mit nahezu jedem erdenklichen Aspekt von Sicherheit beschäftigt wird, sind die Lösungen nahezu immer dieselben, wie Ben Hayes von »Statewatch« kritisiert: „Für jeden dieser scheinbar unterschiedlichen Bereiche stellt sich heraus, dass dieselbe Antwort vorgeschlagen wird: Maximierung des Einsatzes von Sicherheitstechnologie; Verwendung von Risikoabwägungen und Modellen, um menschliches Verhalten vorherzusagen (und darauf Einfluss zu nehmen); die Gewährleistung schneller »Antworten auf Störungen«; und schließlich die Intervention, um die Gefahr zu neutralisieren, automatisch, sofern möglich. […] Was sich hinter der irritierenden Zahl an Aufträgen, Abkürzungen und EU-Politiken verbirgt, ist die rasche Entwicklung eines mächtigen neuen »interoperablen« europäischen Überwachungssystems, das für zivile, kommerzielle, polizeiliche, sicherheits- wie auch verteidigungsbezogene Zwecke eingesetzt werden wird.“ (Hayes 2009: 30)

Eine Forschungsagenda von Lobbyisten für Lobbyisten

Schon durch die Zusammensetzung der entscheidenden Gremien wurde sichergestellt, dass Konzerninteressen ausgiebig Berücksichtigung finden würden. Die Tradition, Firmenvertretern in der GoP und im ESRAB eine maßgebliche Rolle zuzugestehen, fand im ESRIF seine ungebrochene Fortsetzung. So setzen sich sowohl das 65 Personen umfassende Direktorium als auch seine 660 Berater etwa je zur Hälfte aus Industrievertretern (vorrangig von Rüstungsunternehmen) und aus Repräsentanten staatlicher Sicherheitsorgane zusammen.2 Weit und breit finden sich keine Vertreter der Bürgerrechts- oder der Friedensbewegung oder wenigstens der ein oder andere Datenschutzbeauftragte. Mit der Ausarbeitung der Forschungsagenda wurden also genau jene Konzerne und Organe betraut, die am meisten an einer ausufernden Sicherheitspolitik interessiert sind (Nagel 2009: 4).

Da im Sicherheitsbusiness einiges zu verdienen ist – das Auftragsvolumen beträgt weltweit etwa 140 Mrd. Dollar im Jahr 2009 -, besteht eines der Hauptziele der ESRIF-Agenda in der Herausbildung eines international wettbewerbsfähigen europäischen Sicherheitsindustriellen-Komplexes. Bislang verhindere der »fragmentierte Markt« innerhalb der Europäischen Union eine optimale Positionierung im internationalen Wettkampf. „Sollte dies behoben werden, würde dies die Tür für eine globale Führungsrolle auf dem Sicherheitsmarkt öffnen.“ (ESRIF 2009: 13) Folgerichtig will man nicht nur Investitionen der öffentlichen Hand anregen, sondern durch einen einheitlichen europäischen Sicherheitsmarkt das Auftragsvolumen und damit die Wettbewerbsfähigkeit vergrößern: „Durch seine Tätigkeit wird ESRIF dazu beitragen, einen europaweiten einheitlichen Markt für Sicherheitsequipment und Sicherheitsdienstleistungen zu fördern.“ (ESRIF 2009: 245)

Zivil-militärische Vermischung

Ein Hauptkritikpunkt am EU-Sicherheitsforschungsprogramm besteht darin, dass es munter die – sinnvollen und wichtigen – Grenzen zwischen »innerer« und »äußerer« Sicherheit sowie »ziviler« und »militärischer« Forschung verwischt, und zwar gezielt: „ESRIF befürwortet, dass die externe Dimension von Sicherheit auf der Agenda jeglicher künftigen Sicherheitsforschungs- und Innovationspolitik eine große Rolle spielen soll. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten sind Teil einer hochgradig komplexen und interdependenten Welt. Gescheiterte Staaten, Grenzstreitigkeiten, umweltbedingte Migration und Ressourcenkonflikte haben allesamt interkontinentale, wenn nicht globale Auswirkungen. Europa kann diese externen Risiken und Bedrohungen […] für seine innere Sicherheit nicht ignorieren. […] Aber dies erfordert auch eine neue Mentalität, um die Zusammenarbeit ziviler und militärischer Autoritäten auszubauen, die in vielen Fällen auf die gleichen Organisationen und Kapazitäten zurückgreifen.“ (ESRIF 2009: 10)

Hier wächst offensichtlich zusammen, was in den Augen derjenigen, die diese Forschungsagenda ausgearbeitet haben, schon lange zusammengehört. Von politischer Seite ist dies jedenfalls explizit gewollt. Auf dem EU-Ratstreffen Mitte November 2009 wurde in der Abschlusserklärung festgehalten: „Der Rat unterstreicht die Notwendigkeit, Synergien hinsichtlich verteidigungs- und sicherheitsforschungsbezogener Aktivitäten zu finden.“

Freier Strom der Güter, nicht der Menschen

In elf Arbeitsgruppen wurden im Rahmen des ESRIF Detailvorschläge für die künftige Sicherheitsforschungsagenda ausgearbeitet. Die größte dieser Arbeitsgruppen beschäftigte sich mit dem »Schutz kritischer Infrastrukturen«, wozu normalerweise sensitive Gebäude (Banken und Behörden), Bahnhöfe, die Energieversorgung, Informationssysteme u.ä. gezählt werden. Das ESRIF erweitert die Definition aber auch auf wichtige »natürliche Ressourcen« und, so sich diese im Ausland befinden, auch auf deren Zuleitungswege. Dabei handele es sich auch um eine „sicherheitspolitische Frage“, weshalb die Forschung einen Beitrag zur Sicherheit von Gütern von der „Farm bis zur Gabel“ leisten müsse. Als Begründung wird angegeben: „Europa ist extrem abhängig vom regionalen und globalen Fluss von Gütern und Menschen.“ (ESRIF 2009: 25)

Allerdings will man dabei nur, dass sich bestimmte – gewünschte – Personen frei bewegen können. Mit dem ganzen Rest beschäftigte sich die ESRIF-Arbeitsgruppe 3 (»Grenzsicherheit«): „Die Hauptaugenmerke im Bereich der Grenzsicherheit sind die effiziente und effektive Kontrolle des Flusses von Menschen und Gütern an Grenzübergängen und die Überwachung der Grenzregionen – zu Lande, zu Wasser und im Luftraum – jenseits dieser Grenzübergänge.“ (ESRIF 2009: 29) Wie ein Blick auf die bislang begonnen Projekte zeigt, zielen viele von ihnen tatsächlich auf eine Verbesserung der Überwachungskapazitäten an den EU-Außengrenzen ab (European Commission 2009).

Militärisches und paramilitärisches Krisenmanagement, die Bekämpfung von Symptomen statt Ursachen steht jedoch nicht nur im Migrationsbereich im Zentrum des Sicherheitsforschungsprogramms. Ein solches Vorgehen ist charakteristisch für eine »Sicherheitsgesellschaft« wie sie von Tobias Singelnstein und Peer Stolle (2008: 75) beschrieben wurde: „Der vormalige Anspruch, zugrunde liegende soziale Konflikte zu lösen, wird zugunsten einer reinen Verwaltung von Problemen durch dauernde Kontrolle aufgegeben.“

Bevölkerungskontrolle innen wie außen

Die ESRIF-Arbeitsgruppe 1 beschäftigte sich mit der »Sicherheit der Bürger«; bei genauerer Betrachtung drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass es hierbei eher um die Sicherheit vor den Bürgern geht. U.a. wurde dabei untersucht, wie der „Radikalisierung von Gruppen in der Bevölkerung“ begegnet werden kann. Dabei wird folgende Bedrohungsanalyse präsentiert: „In bestimmten Gruppen der Bevölkerung, die über bestimmte Charakteristika verfügen (zB ethnische Herkunft, Religion, Studenten, Armut) kann sich eine Stimmung von Entfremdung und Ausgrenzung breit machen. Sollten diese Gefühle ignoriert werden, besteht die Gefahr, dass ungewünschte Entwicklungen ausgelöst werden, die zu einer sich verschlimmernden Unzufriedenheit in organisierten Gruppen und Netzwerken führen. Das nächste Stadium könnte die Mobilisierung möglicher Akteure sein, um ihre Rechte zu verteidigen. Am Ende sind gewalttätige Handlungen möglich.“ (ESRIF 2009: 49)

Als ein Teil der künftigen Forschungsagenda soll deshalb die Bevölkerung über die „Grenzen des politischen Aktivismus“ aufgeklärt werden. „Wo befinden sich die so genannten roten Linien sozialer Proteste? Mehr Forschungsanstrengungen müssen darauf verwendet werden, wie weit politischer Aktivismus gehen kann und sollte.“ (ESFRIF 2009: 235) Überschreitet die Bevölkerung diese vom Sicherheitsforschungsprogramm gezogenen roten Linien, so sind bereits jetzt zahlreiche Programme zur Verbesserung der Bevölkerungskontrolle bei Demonstrationen und anderen Großveranstaltungen angelaufen. Ein Beispiel hierfür ist das Sicherheitsforschungsprogramm für die »Automatische Aufspürung abnormalen Verhaltens und von Bedrohungen in bevölkerten Räumen« (ADABTS): „ADABTS zielt auf den Schutz von EU-Bürgern, Eigentum und Infrastruktur gegen Gefahren des Terrorismus, Kriminalität und Unruhen durch das automatische Aufspüren abnormalen menschlichen Verhaltens ab.“ (European Commission 2009: 6f.) Es liegt auf der Hand, dass derlei Fähigkeiten sich auch zur Aufstandsbekämpfung im Ausland bestens eignen (Hayes 2009: 63f.). Nicht nur hier sind die Synergieeffekte zwischen »ziviler« und militärischer Anwendung ebenso offensichtlich wie erwünscht.

Verdeckte Rüstungsforschung

Ganz offen fordert das ESRIF (2009: 38), dass zivile Sicherheitsforschung auch für Militäreinsätze nutzbringend sein sollte: „Aufgrund der hohen Priorität der externen Sicherheitsdimension […] sollten Forschungs- und Innovationsprogramme Friedenseinsätze sowie humanitäre und Krisenmanagementaufgaben unterstützen.“ Dass man deshalb sogar von einem Etikettenschwindel sprechen kann, wird teils sogar offen eingestanden: „»Sicherheit« ist ein politisch akzeptablerer Weg etwas zu beschreiben, was früher traditionelle Verteidigung war“, so Tim Robinson, Vizepräsident der Sicherheitsabteilung von Thales, der als ehemaliger ESRAB-Vorsitzender maßgeblich an der Ausarbeitung der Forschungsagenda beteiligt war (Hayes 2009: 72).

Nachdem die EU-Verteidigungsminister im Mai 2009 die Verteidigungsagentur damit beauftragt haben, einen »Europäischen Kooperationsrahmen für Sicherheits- und Rüstungsforschung« auszuarbeiten, scheint endgültig klar, wohin die Reise wohl gehen wird. „Dieser neue Rahmen wird die übergreifende Struktur zur Maximierung von Komplementarität und Synergie zwischen Forschungsaktivitäten mit Verteidigungs- und zivilem Sicherheitsbezug bereitstellen.“ (European Defence Agency 2009)

Abschließend sollte noch betont werden, dass das bislang relativ geringe bereitgestellte Budget sich bald erhöhen dürfte. Schon jetzt fordert das ESRIF (2009: 37), die EU solle schnellstmöglich 1 Mrd. Euro jährlich bereitstellen, also den Etat verfünffachen. Grund genug also, diesem Forschungszweig künftig deutlich mehr Beachtung zu schenken, als dies bislang der Fall ist.

Literatur

European Commission (2009): Security Research Projects under the 7th Framework Programme for Research, Brüssel.

European Defence Agency (2009): EDA and Commission to Work Closely Together on Research, Press Release vom 18. Mai 2009.

ESRIF (2009): Final Report, December 2009, URL: http://www.esrif.eu/documents/esrif_final_report.pdf (18.12.2009).

Hayes, Ben (2009): Neoconopticon – The EU Security-Industrial Complex, Statewatch/Transnational Institute.

Nagel, Sarah (2009): Hochschulen forschen für den Krieg, in: Ausdruck – Das IMI-Magazin (Juni), S.1-6.

Singelnstein, Tobias & Stolle, Peter (20082): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, Wiesbaden.

Anmerkungen

1) Darüber hinaus sind im 7FPR noch 1.4 Mrd. für »zivile« Weltraumforschung eingestellt, mit denen direkt militärrelevante Forschung betrieben wird (Hayes 2009: 52ff.).

2) Hinzu kommt eine Handvoll Nichtregierungsorganisationen, die sich aber nahtlos, wie etwa die interventionistische Crisis Management Initiative, in diesen illustren Haufen einfügen.

Sabine Lösing ist Mitglied des Europäischen Parlaments, Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung und Redaktionsmitglied von »Wissenschaft & Frieden«.

Bomben, Chips und Algorithmen

Bomben, Chips und Algorithmen

Informationstechnik zwischen Krieg und Frieden

von Jürgen Altmann

Informationstechnik war seit ihrem Beginn durch Kriegsbedürfnisse geprägt. Das letzte Jahrhundert liefert wichtige Beispiele. Im Zweiten Weltkrieg gelang es Großbritannien, die mit der Enigma-Maschine verschlüsselten deutschen Funksprüche zu entschlüsseln, was entscheidend für die Schlacht im Atlantik und den Nachschub der Alliierten war. Nach 1945 wurden die ersten Großrechner für ballistische Rechnungen und die Modellierung der Prozesse in Kernwaffen entwickelt. Wie es im Computer-Archiv des US-Army Research Laboratory heißt: „The Purpose of This Archive: To help the public remember that it was the U. S. Army which initiated the computer revolution … all modern computers are descended from ENIAC, EDVAC, ORDVAC, and BRLESC – all of which were conceived of and built to address pressing Army needs.“ (ftp.arl.mil/~mike/comphist/).

Über Jahrzehnte war dann das Militär der Hauptfinanzier der Entwicklung von Computern, Software, Netzwerken usw. Die jeweils stärksten Supercomputer (in den USA ab 1948 UNIVAC, 1964 CDC 6600, 1977 Cray-1 usw.) wurden für Entwicklung neuer Atomwaffen eingesetzt, für Aerodynamik, Raketen und vieles andere mehr.1 Kleinere Rechner wurden für die Echtzeitsteuerung von Waffensystemen entwickelt. In den USA wurde Robotikforschung an Universitäten seit etwa 1960 vom Militär finanziert. Das ARPAnet wurde für die sichere Datenübertragung unter Atomkriegsbedingungen entwickelt und wurde dann zum Vorläufer des heutigen Internet. Integrierte Schaltkreise und Mikrocomputer wurden zwar im zivilen Bereich entwickelt, aber auf der Basis von vorangegangener intensiver militärischer Halbleiterforschung. Damit wurde der PC möglich, und ein Massenmarkt für Computer und Informationstechnik entwickelte sich, in dem dann mehr Geld in Forschung und Entwicklung floss, so dass sich nun im zivilen Bereich der technische Fortschritt schneller vollzog als im militärischen.

Aktuelle Entwicklungen und Trends

Auch wenn bei den Massenprodukten die technische Dynamik inzwischen vom zivilen Bereich ausgeht (und die Streitkräfte immer mehr zivile IT-Produkte einsetzen müssen), lässt das Militär weiterhin in sehr großem Umfang Forschung und Entwicklung für Aufnahme, Verarbeitung und Übertragung von Informationen betreiben – gegenwärtig heißt eines der zentralen Ziele Informationsdominanz. Da die USA am aktivsten sind, kommen die folgenden Beispiele von dort, aber andere Länder folgen in der Regel zügig nach.

Ein Bereich ist die stetige Erhöhung der Zielgenauigkeit. War es mit Hilfe der Trägheitsnavigation gelungen, die mittlere Zielabweichung bei Interkontinentalraketen bei 10.000 km Reichweite auf unter 100 m zu verringern, wurde zur Driftkorrektur bei Marschflugkörpern zunächst der Geländehöhen- und dann der Szenenvergleich entwickelt. Dann kamen die hochgenauen Satellitennavigationssysteme (GPS der USA, GLONASS der Sowjetunion/Russlands). Heute wird an automatischer Zielerkennung gearbeitet. Bei allen diesen Verfahren spielen digitale Daten und mathematische oder Mustererkennungs-Algorithmen eine zentrale Rolle.

Das aktuelle Leitbild moderner Streitkräfte heißt »Netzwerk-zentrierte Kriegführung«. Die eigene Truppe soll so vernetzt werden, dass aufgenommene Informationen breit verteilt werden bzw. abgerufen werden können. Dadurch soll sich ein gemeinsames Lagebewusstsein herausbilden, das durch Selbst-Synchronisierung erheblich stärkere Wirksamkeit im Kampf ergeben soll. Als zentrales System soll das »Global Information Grid« aufgebaut werden, das Netz, das alle Waffenplattformen, Sensoren und Führungszentren vereinigt, in gewisser Weise wie das öffentliche Internet. Allerdings ergeben sich hier erhebliche Probleme: Wie kann die notwendige Übertragungsbandbreite – etwa für Echtzeit-Videodaten von Aufklärungsdrohnen – zur Verfügung gestellt werden? Wie lässt sich eine sichere Übertragung gewährleisten, die auch noch gegen feindliches Mitlesen oder Stören geschützt ist? Wie lässt sich vermeiden, dass die beteiligten Menschen und Systeme nicht durch zu viel Information überlastet werden?

Mit der wachsenden Bedeutung von Rechnernetzen steigt das Interesse an Cyber-Kriegführung. Man möchte in gegnerischen Netzen spionieren, sie ggf. blockieren und infiltrieren. Dabei lässt sich – anders als bei den meisten Angriffen in der realen Welt – die Herkunft verschleiern, so dass der Verursacher seine Beteiligung abstreiten kann. Das eröffnet viele Möglichkeiten für Manipulation, wenn eine Macht z.B. zwei andere gegeneinander aufhetzen möchte. Weil militärische IT-Systeme erheblich besser gegen Fremdeinwirkung geschützt sind, ist abzusehen, dass Cyber-Kriegführung sich zum großen Teil gegen zivile Netze wenden wird.

Ein ganz anderer Bereich ist biologisch inspirierte Informationstechnik. Projekte in den USA widmen sich z.B. dem Nachbilden biologischer Sensoren, der Verarbeitung von Sinnesdaten ähnlich wie in den Nervensystemen von Lebewesen oder dem Lernen aus Erfahrungen

Ein Haupttrend der nächsten Jahrzehnte ist der zu besatzungslosen bzw. robotischen Kampfsystemen. Schon 2001 hat der US-Kongress beschlossen, die Streitkräfte sollen die Fernsteuerungstechnik so entwickeln, das 2010 ein Drittel der Angriffsflugzeuge und 2015 ein Drittel der Land-Kampffahrzeuge ohne Besatzung fliegen bzw. fahren. Aufbauend auf Jahrzehnten militärischer Roboterforschung und -entwicklung sowie Tausenden von Einsätzen von Aufklärungsdrohnen bemüht sich das US-Verteidigungsministerium nun um die Teilstreitkräfte übergreifende Vereinheitlichung; auch an besatzungslosen Land-, Überwasser- und Unterwasserfahrzeugen wird intensiv gearbeitet. Der Fahrplan sieht breite Nutzung vor, mit vielen Stufen wachsender Fähigkeiten.2 Die kompliziertesten Aufgaben – das verbundene Gefecht auf Land, die U-Boot-Bekämpfung auf und unter Wasser sowie der Luftkampf – sollen ab etwa 2020 möglich werden. Auch kleine Roboter werden erforscht; während sie schon heute zum Entschärfen von Sprengkörpern eingesetzt werden (aus einigen 10 m Abstand ferngesteuert), gibt es auch Ideen, sie große Entfernungen zurücklegen zu lassen, etwa beim US-Scorpion-Projekt, das beim deutschen Fraunhofer-Institut für Autonome Intelligente Systeme bearbeitet wurde. Kleinstflugzeuge sollen unbemerkt aufklären oder Zielpersonen bekämpfen – hier zeigen sich aber auch Grenzen bei der Höchstgeschwindigkeit (einige 10 km/h) und der Betriebsdauer (bisher einige 10 Minuten). Ein Spezialgebiet der Forschung ist die Schwarm-Intelligenz.

Die USA haben ihr besatzungsloses Aufklärungsflugzeug »Predator« (Länge 8 m) nachträglich mit Hellfire-Flugkörpern ausgestattet und im sog. Krieg gegen den Terrorismus seit 2002 eingesetzt. Inzwischen gibt es mit dem »Reaper« (Länge 11 m) ein besonders für den Kampf konstruiertes Flugzeug mit 1.100 kg Waffennutzlast. Diese Typen werden von einer Basisstation in den USA aus gesteuert. Insbesondere über den Waffeneinsatz muss immer noch ein menschlicher Bediener entscheiden. Angedacht wird aber auch die »autonome Entscheidung« durch die Computer an Bord; insbesondere wenn es zukünftig auch gegnerische besatzungslose Fahr- und Flugzeuge geben wird, wird es einen Druck geben, schneller zu entscheiden, als die Satellitenverbindung und menschliche Reaktionszeit am anderen Ende der Übertragungsstrecke es erlauben. Es gibt in der Robotik Forschungsprojekte zum Töten durch autonome Systeme – ein Forscher argumentiert, man könne robotischen Systemen die Regeln des Kriegsvölkerrechts (z.B. Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten) einprogrammieren, und sie würden sie sogar genauer einhalten, da Überreaktionen, wie bei menschlichen Soldaten, vermieden würden. Ein Konzept für ein »künstliches Gewissen« sieht sogar die Möglichkeit der Befehlsverweigerung vor, wenn ein dem Völkerrecht widersprechender Auftrag gegeben wird.3 Ob autonome Kampfsysteme tatsächlich mit dieser Fähigkeit ausgestattet würden, kann man bezweifeln. Wichtiger ist die Frage, ob die absehbare »Intelligenz« von KI-Systemen ausreicht, um eine Situationsbeurteilung und Aktionsentscheidung mindestens auf der Höhe menschlicher Fähigkeiten zu gewährleisten.

Wie schwierig die Umsetzung von Konzepten für netzwerkzentrierte Kriegführung mit besatzungslosen Fahrzeugen sein kann, zeigt das Future Combat System (FCS) der US Army. Seit 2000 wurde das Konzept entwickelt, 2002 wurden die Firmen Boeing und Sciende Applications International als führende Systemintegratoren verpflichtet, seit 2003 läuft die Systementwicklung. Neben Bodensensoren, einem Flugkörperstartsystem und »intelligenter Munition« sollte das FCS vier Klassen besatzungsloser Flugzeuge und drei Typen besatzungsloser Bodenfahrzeuge umfassen, neben fünf Arten mit Personen besetzter Fahrzeuge. Die 18 verschiedenen Systeme sollten mit einem Netzwerk verbunden werden. 2005 hat der Rechnungshof des US-Kongresses erhebliche Verzögerungen festgestellt, die Kosten waren von 80 auf 108 Milliarden US-$ gestiegen. Daraufhin verlangt der Kongress seit 2006 jährlich einen Bericht. Im Jahr 2007 wurden drei besatzungslose Systeme gestrichen, dadurch konnten die Kosten auf 161 Milliarden US-$ begrenzt werden. In seinen Berichten von 2008 stellte der Rechnungshof fest:

Nach fast fünf Jahren Entwicklung sei unklar, ob das Informationsnetzwerk, der Kern des FCS, entwickelt, gebaut und demonstriert werden kann.

Die in Entwicklung befindliche Software für Netzwerk und Plattformen umfasse 95 Millionen Kodezeilen, fast dreimal so viele wie 2003 vorgesehen und viermal so viele wie die nächsten beiden Software-intensiven Militärprogramme.

Es sei unklar, wann oder wie demonstriert werden könne, dass die FCS-Software funktioniert.

Die Army werde den Entscheidungsträgern 2013 wahrscheinlich ein teilweise entwickeltes und weitgehend nicht demonstriertes System zur Produktion präsentieren.

Der Meilenstein 2009 sei entscheidend, er könne die letzte Gelegenheit zur Kursändrung bieten.4

Auch das breite Feld von Nanotechnik und konvergenten Techniken soll intensiv militärisch genutzt werden.5 Bei Nanotechnik geht es um die Untersuchung und Gestaltung von Systemen auf der Ebene von Nanometern (10-9 m), mit Strukturgrößen etwa zwischen 0,1nm (Atom) und einigen 100nm (großes Molekül). Auf dieser Ebene verschwimmen die Grenzen zwischen den Disziplinen – Nanotechnik, Biotechnik, Informationstechnik, Kognitionswissenschaft und andere Felder konvergieren. Diese Techniken sollen die nächste industrielle Revolution bringen, mit weit reichenden Konsequenzen in allen Lebensbereichen. In den USA wird von einer „neuen Renaissance“ gesprochen, die „Weltfrieden, universellen Wohlstand, … einen höheren Grad von Mitgefühl und Erfüllung“ bringen werde. Im Bereich „nationale Sicherheit“ wird jedoch betont, dass „militärische Überlegenheit“ der USA unerlässlich sei.6

Nanotechnik soll dafür sorgen, dass das »Mooresche Gesetz« der exponentiell wachsenden Rechnerleistung auch dann noch weiter gilt, wenn die Lithographie auf Halbleiteroberflächen ihre Grenzen erreicht hat, etwa mittels Kohlenstoff-Nanoröhren oder Molekülen als Speicher- und Schaltelemente. Mutige KI-Forscher extrapolieren, dass 1.000-Dollar-Computer in 15 Jahren die rohe Rechenleistung des menschlichen Gehirns erreichen werden. Kleine und kleinste Rechner würden in alle militärischen Systeme integriert. Durch fähigere Steuerungen, festere Materialien usw. wird Nanotechnik neue kleine Waffen ermöglichen, etwa Flugkörper zur Flugabwehr, die vielleicht 30cm lang sind und 3kg Masse haben, somit viel leichtere Möglichkeiten für Terrorangriffe bieten als die bisherigen Schulter getragenen Flugabwehrsysteme (MANPADS) mit 1,5m und 30kg. Auch kleinste Satelliten zum Andocken und Manipulieren anderer werden möglich werden.

In der medizinischen Nanobiotechnik wird intensiv an Kapseln für den sicheren Einschluss und die verzögerte Abgabe von Agentien gearbeitet, mittels aktiver Gruppen sollen sie sich an spezifische Ziele in Organen und Zellen binden. Erforscht werden Mechanismen zum leichteren Eintritt in Körper oder Zellen, insbesondere durch die Blut-Hirn-Schranke, Mechanismen zur selektiven Reaktion mit speziellen Genmustern oder Eiweißen sowie zur Überwindung der Immunreaktion des Zielorganismus. Alles dies könnte auch für feindliche Zwecke verwendet werden, wobei man das Risiko durch Begrenzung der Haltbarkeit, programmierte Selbstzerstörung, Aktivierung oder Deaktivierung durch zweites Agens oder zuverlässige Impfung für die eigene Seite verringern könnte. Somit kann es möglich werden, die Wirkung auf besondere Gruppen oder gar ein einzelnes Individuum einzugrenzen. Nanotechnik wird aber auch schnellere, billigere, empfindlichere und selektivere Sensoren für chemische oder biologische Kampfstoffe erlauben, bessere Filtermaterialien und effektivere Dekontamination.

Damit Nanotechnik schneller in die Armee eingeführt werden kann, finanziert die US Army das »Institute for Soldier Nanotechnologies«, das 2002 am Massachusetts Institute of Technology gegründet wurde. Hier arbeiten über 170 Personen in fünf multidisziplinären Forschungsfeldern an einem schützenden Kampfanzug, Sensoren für den Körperzustand und medizinischen Techniken. Nach Bedarf sollen Wirkstoffe verabreicht und Wundkompressen gebildet werden.

Im Bereich Hirn-Maschine-Schnittstelle gelang es, mit Multielektroden auf der motorischen Hirnrinde eines Affen die Signale für Armbewegungen zu erkennen, so dass schließlich der Affe einen Roboterarm wie seinen eigenen steuern konnte. Andersherum konnte eine Ratte mittels implantierter Hirnelektroden über beliebige Kurse gesteuert werden.

In den USA ist die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) für weit in die Zukunft reichende Forschung zuständig.7 Sie hat fünf fachliche Abteilungen; Informationstechnik-Fragen werden vor allem im Information Processing Techniques Office bearbeitet. Dort gibt es sechs Schwerpunktbereiche; Tabelle 1 gibt einen Eindruck von den darin bearbeiteten Programmen.

Schwerpunktbereich Anzahl Programme Beispielprogramm
Cognitive Systems 15 Learning Applied to Ground Robots
Command & Control 8 Urban Leader Tactical Response, Awareness & Visualization
High Productivity Computing 3 Disruptive Manufacturing Technology, Software
Producibility
Language Processing 3 Spoken Language Communication and Translation System for
Tactical Use
Sensors & Processing 14 Camouflaged Long Endurance Nano Sensors
Emerging Technologies 3 Information Theory for Mobile Ad-Hoc Networks
Tabelle 1:
Schwerpunktbereiche des Information Processing Techniques Office der US-DARPA mit je einem willkürlich ausgewählten Programm
(Quelle: www.darpa.mil/ipto/thrust_areas/thrust_areas.asp)

Die DARPA hat, wie erwähnt, auch das Future Combat System mitkonzipiert, vielleicht wegen des Herangehens: „And please, please tell us that something simply cannot be done – it's science fiction. That is the challenge we cannot resist.“8

Zwei kurze Schlaglichter auf die EU und Deutschland sollen folgen. Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) der Europäischen Union hat ein Defence R&T Joint Investment Programme on Innovative Concepts and Emerging Technologies. Dort spielen Informationstechnik und Nanotechnik eine herausragende Rolle; Tabelle 2 zeigt die Themenbereiche der ersten beiden Ausschreibungen.

First Call Second Call
Non Linear Control Design Remote Detection of Hidden Items
Integrated Navigation Architecture Nanostructures – Electro-Optical and Other
Nanotechnologies Radar Technologies – Processing
Structural Health Monitoring Radar Technologies – Components
Tabelle 2
Themenbereiche der ersten zwei Projektausschreibungen der Europäischen Verteidigungsagentur für innovative Konzepte und aufkommende Technologien
(Quelle: www.eda.europa.eu/genericitem.aspx?id=368)

Für Deutschland wird zunächst auf das European Land-Robot Trial (ELROB) verwiesen, einen Wettbewerb für besatzungslose Landfahrzeuge, den die Bundeswehr – nach dem Muster der DARPA Grand Challenges – seit 2006 jährlich durchführt, im Wechsel militärisch und zivil. Von den 14 deutschen Teams, die am militärischen ELROB 2008 teilnahmen, kamen 4 aus Informatik-/Robotik-Gruppen deutscher ziviler Universitäten.9

Das zweite Beispiel betrifft die Entwicklung besatzungsloser Kampfflugzeuge (unmanned combat air vehicle, UCAV). EADS entwickelt das »Barracuda« mit 8m Länge, über 7m Spannweite und etwa 3t Startmasse. Es flog im April 2006 zum ersten Mal, stürzte dann aber weniger Monate später ins Meer.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt untersucht Technologien für die Entwicklung von besatzungslosen Kampfflugzeugen, für die ab 2020 ein möglicher Bedarf zur Bekämpfung mobiler Ziele zu Lande, in der Luft gesehen wird (siehe Tabelle 1).

Probleme und Auswege

Beim Nachdenken über Frieden und internationale Sicherheit muss ein Grundproblem berücksichtigt werden. Im gegenwärtigen internationalen System gibt es – anders als im Inneren von Staaten – keine übergeordnete Autorität mit einem Monopol legitimer Gewalt, die die Einhaltung von Regeln durchsetzen und vor allem Staaten vor Angriffen schützen kann. Jeder Staat versucht, die eigene Sicherheit durch die Drohung mit seinen Streitkräften zu gewährleisten. Dabei erhöht er aber gerade auch die Bedrohung für andere, so dass sich in der Summe die Sicherheit aller verringert.

Ein Ausweg aus diesem so genannten Sicherheitsdilemma ist die freiwillige wechselseitige Begrenzung der Streitkräfte, also Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung (allerdings gibt es Widersprüche mit dem Ziel des Sieges, sollte dennoch Krieg ausbrechen). Rüstungsbegrenzung ist nur verlässlich, wenn die Staaten überprüfen können, ob die Vertragspartner die Vereinbarungen auch einhalten. Diese Verifikation braucht eine ausgewogene Mischung zwischen Offenheit und Geheimhaltung und wird umso schwieriger, je kleiner, billiger oder häufiger die nachzuweisenden Objekte werden.

Für neue militärische Technologien ist präventive Rüstungskontrolle relevant – also ein Verbot oder eine Beschränkung einer militärisch nutzbaren Technologie oder von Waffensystemen, die wirken, bevor die neuen Systeme beschafft werden. Für solche vorbeugenden Beschränkungen gibt es eine Reihe von Präzedenzfällen. Die Teststoppverträge (partiell 1963, vollständig 1996) verbieten nukleare Testexplosionen. Der Raketenabwehrvertrag (1972-2002) verbot Abwehrsysteme, die luft-, see- und beweglich landgestützt sind. Sowohl das Biologische-Waffen-Übereinkommen (1972) als auch das Chemiewaffen-Übereinkommen (1993) verbieten nicht nur die Herstellung, sondern schon Entwicklung und Erprobung solcher Waffen.

Präventive Rüstungskontrolle braucht die folgenden Schritte: Zunächst müssen die technischen Eigenschaften und die mögliche militärische Nutzung vorausschauend analysiert werden. Die Ergebnisse müssen dann unter Kriterien bewertet werden. Schließlich sind dann mögliche Beschränkungen und Verifikationsmethoden zu entwerfen. Die Kriterien lassen sich in drei Gruppen einteilen. Bei der ersten geht es um die Einhaltung und Weiterentwicklung von Rüstungskontrolle, Abrüstung und Völkerrecht. Die zweite betrachtet die militärische Stabilität einschließlich der Weiterverbreitung. Die dritte Gruppe hat den Schutz von Mensch, Umwelt und Gesellschaft zum Inhalt.

Am Beispiel der Nanotechnik hat sich gezeigt, dass von 21 möglichen militärischen Anwendungen 8 besonders gefährlich sind und präventiv verboten werden sollten, darunter metallfreie Schusswaffen, kleine Flugkörper und kleine Roboter. U.a. damit die Verifikation nicht zu aufdringlich wird, sollten die Verbote nicht an der Verwendung von Nanotechnik festgemacht werden, sondern an militärischen Systemen oder Aufgaben, unabhängig von der im Innern verwendeten Technik. Die Regelungen sollten in die allgemeine Rüstungsbegrenzung und Abrüstung integriert werden, z.B. sollten kleine Satelliten als Antisatellitenwaffe im Rahmen eines allgemeinen Verbots von Weltraumwaffen erfasst werden. Neue biologisch-chemische Waffen sind schon verboten, aber das Biologische-Waffen-Übereinkommen sollte durch ein System für Einhaltung und Verifikation ergänzt werden, wie es beim Chemiewaffen-Übereinkommen schon existiert (siehe Tabellle 2).

Informationswissenschaft und -technik für Abrüstung und Frieden

Informationswissenschaft und -technik kann auf verschiedene Weise direkt für Abrüstung und Frieden eingesetzt werden. Eine Art ist die kritische Begleitung militärischer Forschung und Entwicklung. Können große militärische Softwaresysteme funktionieren, oder sind sie zu komplex, nicht durchschaubar, nicht verifizierbar und nicht validierbar? Zum Beispiel ist der Softwaretechnik-Pionier David Parnas 1985 aus dem »Panel on Computing in Support of Battle Management« des US-Raketenabwehrprogramms »Strategic Defense Initiative« ausgetreten, weil die Aufgaben der Gefechtsmanagement-Software nicht erfüllbar waren: Sie sollte feindliche Raketen erkennen ohne Wissen über deren genaue Eigenschaften. Sie werde – als auf viele Satelliten und andere Knoten verteiltes System – unzuverlässig arbeiten und könne die Echtzeitanforderungen nicht erfüllen.

Für die in Entwicklung befindlichen ferngesteuerten Waffensysteme sind folgende Fragen zu bearbeiten: Kann eine sichere Datenverbindung – auch unter Feindeinwirkung – gewährleistet werden? Ist die per Videokamera verfügbare Information ausreichend, um kriegsrechtskonforme Entscheidungen zu treffen, ob ein bestimmtes Ziel angegriffen werden darf? Ist die Bedienerschnittstelle für die tödliche Entscheidung angemessen gestaltet? Gibt es bei Fernsteuerung eine größere Enthemmung durch die extreme Trennung vom Ort des Kampfes, die Ähnlichkeit mit einem Videospiel?

Weitere wichtige Forschungsfragen sind:

Kann künstliche Intelligenz gewährleisten, dass autonome Kampfsysteme das Kriegsvölkerrecht einhalten?

Wenn Krieg immer mehr automatische Entscheidungen umfasst – welche Folgen wird das für den Frieden oder für die militärische Stabilität zwischen potentiellen Gegnern haben?

Welche Wechselwirkungen können sich ergeben zwischen Cyber-Angriffen durch Hacker und militärischen Aktionen und Reaktionen?

Kann man einen Schutz für kritische Informationsinfrastruktur im Kriegsvölkerrecht verankern?

Ist es möglich, Vorbereitungen auf den Cyber-Krieg durch Rüstungskontrolle zu beschränken?

Kann man die Informationstechnik, die für legitime UN-Einsätze gebraucht wird, von der für einen großen Krieg trennen?10

Im Bereich Verifikation ist Forschung nötig für die automatisierte Verarbeitung von Satelliten- oder Luftbildern sowie von Daten von Vor-Ort-Sensoren. Ein wenig problematisch und ambivalent ist die Frage, ob man mittels data mining Indikatoren für heimliche bzw. illegale Aktivitäten finden kann, etwa in Bezug auf die Weiterverbreitung beschränkter Technologien.

Verantwortung für Frieden in der Informationstechnik

Es gibt verschiedene Arten, wie man die Verantwortung, die man für die friedliche Nutzung der eigenen Wissenschaft/Technik hat, wahrnehmen kann. Einige wenige können die eigene Forschung oder Entwicklung direkt der Abrüstung widmen. Die vielen anderen, die »normale« zivile Forschungs- oder Softwareprojekte bearbeiten, können wachsam sein und militärische Forschung und Entwicklung im eigenen Feld verfolgen. Insbesondere in den USA, wo die Militärförderung von Universitäten eine starke Tradition hat, können die Computerwissenschaftler/innen überlegen, ob sie solche Finanzierung annehmen wollen.

Ein Beispiel für die bewusste Ablehnung gibt Benjamin Kuipers von der University of Texas, Austin.11 Problematische militärische Anwendungen können in der Fachgemeinschaft zur Diskussion und in Frage gestellt werden, wie es Noel Sharkey macht.

Ich denke, dass zur Wahrnehmung der Verantwortung für den Frieden auch Grundkenntnisse in Abrüstung gehören, einschließlich der entsprechenden Verträge sowie der Methoden, wie die Einhaltung überprüft wird. Auch elementares Wissen über das Völkerrecht sollte vorhanden sein. Verantwortung beginnt in der Lehre: Dort sollten Abrüstungsthemen mit Bezug zu Informationstechnik und Informatik einbezogen werden, z.B. bei Lehrveranstaltungen zu »Informatik und Gesellschaft«. Sehr hilfreich wäre die Entwicklung entsprechender Lehreinheiten, auch für die Schule. Zur Information der Öffentlichkeit kann man Vorträge halten oder Gespräche mit Medienvertretern führen.

Das »Forum Informatiker/innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« spielt für Initiativen in diese Richtung eine wichtige Rolle, daher sollte es gestärkt werden.

Quellen und Anmerkungen

Der Beitrag von Jürgen Altmann erschien erstmalig in der Zeitschrift FIfF-Kommunikation 1/2009. Das Themenheft dokumentiert die Beiträge der Tagung »Krieg und Frieden – digital« in Aachen und kann bestellt werden beim Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V., Goetheplatz 4, 28203 Bremen, fiff@fiff.de.

1) Vgl. z.B. Computer History Museum, www.computerhistory.org.

2) UMS Roadmap 2007-2032, Washington DC: US Department of Defense, 2007.

3) Arkin, R. C. (2007): Governing Lethal Behavior: Embedding Ethics in a Hybrid Deliberative/Reactive Robot Architecture, Technical Report GIT-GVU-07-11, College of Computing, Georgia Institute of Technology. www.cc.gatech.edu/ai/robot-lab/online-publications/formalizationv35.pdf

4) Government Accountability Office (2009): Is a Critical Juncture for the Army's Future Combat System, GAO-08-408, Washington DC: U.S. Government Printing Office, 2008, www.gao.gov/new.items/d08408.pdf; 2008: Defense Acquisitions – Significant Challenges Ahead in Developing and Demonstrating Future Combat System's Network and Software, GAO-08-409, 2008, www.gao.gov/new.items/d08409.pdf

5) J. Altmann (2006): Military Nanotechnology: Potential Applications and Preventive Arms Control, Abingdon/New York: Routledge. Vgl. auch www.bundesstiftung-friedensforschung.de/pdf-docs/berichtaltmann.pdf.

6) M. C. Roco, W. S. Bainbridge (eds.) (2003): Converging Technologies for Improving Human Performance – Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science, Boston MA: Kluwer. Vgl. auch in: www.wtec.org/ConvergingTechnologies/1/NBIC_report.pdf). Das europäische Konzept für konvergierende Techniken ist deutlich anders: Vgl. High Level Expert Group Foresighting the New Technology Wave (2004): Converging Technologies – Shaping the Future of European Societies, A. Nordmann (Rapporteur), Brussels: European Communities.

7) www.darpa.mil.

8) B. Giroir (2007): Ideas Begin Here, Teleprompter Script, presented at DARPATech, DARPA's 25th Systems and Technology Symposium, August 7, 2007, Anaheim CA, www.darpa.mil/DARPATech2007/proceedings/dt07-dso-giroir-ideas.pdf

9) Institute for Systems Engineering (ISE) Leibniz-Universität Hannover; FB 12, Universität Siegen; FB Informatik, Univ. Kaiserslautern; Jacobs University Bremen, www.elrob.org/Teams_Exhibitors.38.0.html

10) Wer interessiert ist, solche Forschung zu beginnen, kann sich gern an den Autor wenden.

11) B. Kuipers, Why don't I take military funding?, www.cs.utexas.edu/~kuipers/opinions/no-military-funding.html.

PD Dr. Jürgen Altmann ist Physiker und Friedensforscher. Seit 1985 macht er Abrüstungs-orientierte Forschung. Schwerpunkte sind kooperative Verifikation von Abrüstungs- und Friedensabkommen mit akustischen, seismischen und magnetischen Sensoren sowie Militär-Technikfolgenabschätzung und präventive Rüstungskontrolle. Er ist Mitgründer des Forschungsverbundes Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit FONAS und ein stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Physik und Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft DPG. (altmann@e3.physik.tu-dortmund.de)

Jenseits von Irak und Afghanistan

Jenseits von Irak und Afghanistan

Die Marinestrategie des Exportweltmeisters Deutschland reicht weit in die Zukunft hinein

von Hermannus Pfeiffer

Die internationale Fachmesse zur maritimen Sicherheit und Verteidigung MS&D war ein voller Erfolg. Bereits im ersten Anlauf hat sich diese ungewöhnliche und in Deutschland einmalige Militärmesse erfolgreich durchgesetzt. „Die MS&D war der erwartete Magnet für die internationale Fachwelt“, freut sich Veranstalter Bernd Aufderheide. Aufderheide führt die Hamburg Messe und Congress GmbH, die dieses neue »Produkt« zusammen mit einer Fachzeitschrift, Bundesverteidigungs- und Wirtschaftministerium aus der Taufe hob.

Deutschland ist längst wieder eine Seemacht. Eine Tatsache, die selbst an der Waterkant von Bremen, Hamburg oder Rostock kaum wahrgenommen wird. Dabei ist die deutsche Containerflotte die größte auf den Weltmeeren: Jeder dritte Frachter der Globalisierung gehört hiesigem Kapital. Der Hamburger Hafen hat längst London, Tokio und New York weit hinter sich gelassen, und in Duisburg pulsiert der weltweit gigantischste Binnenschiffhafen. Der Schiffbau, eine Hightech-Branche auf Augenhöhe mit der Luft- und Raumfahrtindustrie, liegt in Europa auf Platz eins. Schiffbau ist übrigens weit mehr als (kriselnde) Werften im Norden: Wichtige Zulieferer wie MAN, MMG oder Siemens produzieren in Süd- oder Ostdeutschland.

Den neuen Kurs für einen beispiellosen Wachstumsprozess hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000 mit seinen »Leitlinien zur Förderung der maritimen Wirtschaft« vorgegeben. Damit stellten sich Staat und Regierung an die Spitze des ehrgeizigen Projekts »Maritimer Komplex«, in das Unternehmen und Verbände, Maschinenbau- und Logistikindustrie, Zulieferfirmen, Banken, Dienstleister vom Reeder bis zum Makler, aber auch Hochschulen, Gewerkschaften und die Deutsche Marine eingebunden sind. Alle zwei Jahre feiert der Maritime Komplex sei Hochamt auf einer Nationalen Maritimen Konferenz, zuletzt im Frühjahr in Rostock mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Handel und Krieg hängen seit je eng zusammen. Und so könnte aus der merkantilen Seemacht bald eine militärische Seemacht auftauchen. Doch das bundesdeutsche Flottenprogramm und der damit einhergehende Rüstungsboom erregen bislang erstaunlich geringe Aufmerksamkeit. Dabei sind die neuen Hochtechnologie-Korvetten und Marathon-Fregatten die schlagkräftigsten und mit fünf Milliarden Euro teuersten Waffensysteme in der deutschen Geschichte. Die Kriegsmarine wird damit erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm um 1900 wieder ins Zentrum der Militärstrategie und der Außenpolitik gerückt. Damals endete der maritime Wahn im Weltkrieg.

Einblicke in aktuelle Strategiediskussionen erlaubte Anfang Oktober die erste internationale Konferenz und Fachmesse »Maritime Security & Defence« (MS&D) in Hamburg, die vom Bundesverteidigungs- und Wirtschaftministerium unterstützt wird. Ein Brennpunkt der Messe und einer parallel tagenden Expertenkonferenz war selbstverständlich die Piraterie. 2008 beliefen sich die Schäden für die Weltwirtschaft auf schätzungsweise elf Milliarden Euro und jede fünfte deutsche Reederei wurde bereits von Piraten-Angriffen getroffen. Mit dieser Warnung zeigt das Bundeswirtschaftsministerium jedoch gleichzeitig neue Chancen auf: „Angesichts der aktuellen Sicherheitslage hat unsere Industrie große Chancen zur Entwicklung von Abwehrsystemen in diesem Bereich“, eröffnete die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Dagmar Wöhrl, die Fachmesse.

Auf ihrem Rundgang sah die CSU-Politikerin, dass Industrie und Wissenschaft einiges zu bieten haben. So sollen sich Reeder mit Glitschgel und Schallkanonen gegen Attacken von Seeräubern bewaffnen. Bei einem Angriff kann die Schiffscrew dann durch ein Schlauchsystem grüne und rote Flüssigkeiten versprühen, auf denen die Piraten ausrutschen. Oder die Mannschaft kann mit Knallkanonen bei den Angreifern ein unangenehmes Schwindelgefühl erzeugen.

Kreuzfahrtschiffe und einige Dutzend Frachter sollen mittlerweile mit solchen neuen Systemen ausgerüstet worden sein. Dazu trug auch Druck aus der Versicherungsbranche bei, die weit höhere Prämien von den Schiffseignern für gefährdete Routen verlangt. Für Konteradmiral Heinrich Lange reichen Glitschgel und Knallkanonen allerdings nicht aus: „Man sollte immer noch ein As in der Hinterhand haben.“ Dieses As könnte die Deutsche Marine sein. Den deutschen Militärs wurde auf der erstmals stattfindenden MS&D einiges Neue geboten. Die Industrie zeigte, was sie zu bieten hat.

Ein Trend: Unbemannte Fluggeräte und maritime Drohnen, die vollautomatisch fliegen, aufklären und schießen. Der sensorbestückte Hubschrauber »CamCopter« von Diehl kann im Unterschied zu den bisherigen Drohnen über dem Landziel in der Luft stehen bleiben, wird von einer Kontrollstation an Bord gesteuert und kann auf einer Korvette problemlos landen, versichert der Hersteller. Das Fluggerät wurde bereits bei der Deutschen Marine erfolgreich getestet. Die Technische Universität Clausthal-Zellerfeld stellte eine kleinere Hubschrauberdrohne serienreif vor. Sie könne gegebenenfalls auch bewaffnet werden, um beispielsweise Piratenangriffe abzuwehren. Die Fluggeräte suchen sich dabei ihr Ziel selbsttätig über Thermokameras.

Der zweite Trend: Bis vor kurzem konnten deutsche Kriegschiffe nur See- und Luftziele beschießen. Jetzt rücken Landziele für die Marine immer näher und damit ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für eine weltweit operierende Krisenreaktionskraft. Lenkflugkörper von der Firma MBDA starten von U-Booten und Fregatten aus und weisen immer häufiger in Richtung Küste. MBDA, das zum Imperium des deutsch-französischen Flugzeugbauers EADS/Airbus gehört, sieht bei seinen Kunden denn auch einen „Trend zu Landzielen“. Und die neuesten See-Land-Raketen werden mit eigener Optik ausgerüstet. „Dann kann man dokumentieren, dass man keine Schule getroffen hat“, lobt ein Aussteller.

Der dritte Trend nimmt die Globalisierung beim militärischem Wort. Energie und Rohstoffe werden zukünftig immer häufiger im Meer gewonnen. Thyssen-Krupp Marine Systems hatte daher auf die Hamburg-Messe seine Modellstudien für 81 Meter lange Offshore-Korvetten mitgebracht. Deren Aufgabe könnte in naher Zukunft der militärische oder bundespolizeiliche Schutz von Ölplattformen im Atlantik oder von Windparks vor Rügen sein. Zu Thyssen-Krupp gehören die norddeutschen Werften Blohm+Voss, HDW und die Nordseewerke in Emden, in der zukünftig Offshore-Windkraftanlagen gebaut werden. Die Deutsche Marine sieht hier ein weiteres neues Betätigungsfeld heranwachsen.

Die multinationale Marine-Messe MS&D war zugleich eine internationale Verkaufsshow. Zu den Besuchern gehörten 22 Marinedelegationen von allen Kontinenten. „Die Partnerschaft zwischen Bundeswehr und Verteidigungsindustrie ist die Basis für ein erfolgreiches Exportgeschäft“, sagte Rüdiger Wolf, Staatsekretär von Bundesverteidigungsminister Jung. Und da die deutsche Werftindustrie gerade ökonomisch schwächelt, versichert die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Dagmar Wöhrl, ihre Unterstützung. Alle Ressorts wurden aufgefordert, der „Zukunftsbranche“ zu helfen.

Die Marine wird mit Reparaturaufträgen und kleineren Bauaufträgen die Hochtechnologieindustrie stützen. Vielleicht wird ein seit längerem angedachter neuer Korvettentyp gegenüber den ursprünglichen Planungen vorgezogen. Marine-Vizechef Lange will jedoch keine Schnellschüsse: Kriegsschiffe »leben« drei Jahrzehnte und länger. Und außerdem war die vergangene Legislaturperiode wohl die erfolgreichste in der Geschichte der Marinebeschaffung: zwei U-Boote, der dritte Einsatzgruppenversorger und vier neuartige Fregatten wurden für die kommenden Jahre bewilligt. Fünf neuartige Korvetten wurden außerdem zu Wasser gelassen.

Der alten, wie absehbar der neuen Bundesregierung geht es allerdings um mehr als um eine industriepolitische Hightech-Strategie, wie sie auch im Automobilbau oder der Luftfahrtindustrie angewandt wird. Es geht vor allem um Deutschlands künftige geopolitische Rolle in der Welt. Als „Exportweltmeister und rohstoffarmes Land, das von Importen abhängt“ sei das „Arteriensystem der Weltwirtschaft“ und damit die Marine von grundsätzlicher Bedeutung, versicherte Admiral Lange. So steckten in jedem Auto Teile, die in Dutzenden von Schiffstransporten nach Deutschland geliefert wurden, und am Ende wird das gebaute Auto wieder per Schiff aus Deutschland heraus transportiert. Vier der fünf Millionen hierzulande produzierten Automobile werden exportiert.

»Basis See«

Andere Betätigungsfelder hat die Marine längst für sich reklamiert. Inzwischen schafft die Marine Fakten für die künftige deutsche Außenpolitik. Anders als mancher Außen- und Sicherheitspolitiker in Berlin kämpft die Chefetage der Marine allerdings mit offenem Visier: Mit der Weiterentwicklung der Marine würden zwei Leitlinien verfolgt, heißt es aus dem Flottenkommando bei Flensburg.

Die internationale Krisenbewältigung werde zukünftig noch stärker auf gemeinsame Aktionen von Heer, Luftwaffe und Marine setzen. Und dabei soll die frei von Landesgrenzen und anderen Hemmnissen operierende Marine eine Schlüsselrolle spielen: Die See soll als Basis für zukünftige gemeinsame Operationen der Bundeswehr erschlossen werden. Der neue konzeptionelle Ansatz heißt darum »Basis See«. Gemeinsam mit den »Landratten« vom Heer arbeitet die Marineführung an ihrem Projekt »Führen von See«. Beispielsweise die Feuerunterstützung vom Meer aus gewinnt militärstrategisch dadurch zunehmende Bedeutung. Darum wird die Marine ihre Fähigkeiten ausbauen, so Admiral Nolting, „Kräfte an Land von See aus zu unterstützen“.1

Ihren zweiten Schwerpunkt sieht die Marine künftig im Schutz der Handelswege. Das klingt zunächst keineswegs originell. Aber fortan verteidigt die Marine nicht mehr allein den Ostseeraum und die Deutsche Bucht, sondern will die globalen Handelswege absichern. Da Deutschland hochgradig auf den Außenhandel und den Import von Rohstoffen angewiesen ist, befindet sich die Nation in einer „maritimen Abhängigkeit“, hebt Marineinspekteur Nolting hervor. Weltweit! Der oberste Marinesoldat kann sich auch in diesem Fall auf das »Weißbuch« der Bundesregiering stützen. Deutschland habe infolge der Globalisierung „besonderes Interesse an ungehindertem Warenaustausch“, und die sichere Energieversorgung sei von „strategischer Bedeutung“. Darum müsse die Marine „in großer Entfernung vor fremden Küsten“ operieren können, um Krisen und Konflikte „bereits am Ort ihres Entstehens einzudämmen und zu bewältigen“. Dazu soll sich die Marine im Zuge der Transformation der Bundeswehr zu einer »Expeditionary Navy« entwickeln – zu einer Expeditions-Marine.2

Zumindest assoziativ ist es da nicht mehr weit bis zur Kanonenboot-Politik vor dem Ersten Weltkrieg. Mit der Neuausrichtung wird eine deutsche Marine erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm vor einem Jahrhundert wieder ins Zentrum der Militärstrategie rücken. Und die Politik könnte noch tiefer ins Kielwasser von Marine und Industrie geraten, denn die neuen militärischen Möglichkeiten werden neue Begehrlichkeiten bei Politikern und NATO-Partnern wecken. Das Kreuzen vor fremden Küsten könnte zur Standardaufgabe der Bundeswehr werden. Eine weitreichende Globalisierung der deutschen Außenpolitik wäre Bedingung und Folge dieses Kurswechsels zugleich.

Was zunächst defensiv klingen mag, bedeutet, den Radius der Marine auszudehnen nach dem Motto des Hapag-Lloyd-Gründers Alfred Ballin: „Unser Feld ist die Welt“. Dabei sind die Weltmeere nicht so offen, wie sie mancher »Landratte« erscheinen mögen. Nicht allein am Horn von Afrika, sondern auch vor Gibraltar, Malakka oder im chinesischen Meer durchlaufen die blaue Meeresstraßen »Flaschenhälse«, die militärisch gesichert werden sollen.

Neue Kriegsschiffe

Auf der Konferenzmesse MS&D zeigten sich die Spitzenmilitärs zufrieden über technologische Entwicklungen für kommende Kriegsszenarien jenseits von Irak und Afghanistan: Unbemannte Hubschrauber, die selbständig entscheiden und auf jeder Korvette landen können, sehende Flugkörper, die vom U-Boot aus Landziele anpeilen und bahnbrechende Kriegsschiffe. Im kommenden Jahr werden die fünf neuen Korvetten K 130 einsatzbereit sein. Ursprünglich hatten sie bereits in diesem Herbst starten sollen, aber aufgrund technischer Probleme wurden sie zurück in die Werften von Thyssen-Krupp und Lürssen gerufen. Angeblich sollen sie nicht einmal die projektierte Geschwindigkeit erreicht haben, was den Werften kein gutes Zeugnis ausstellen würde. Wenn die Korvetten auf Vordermann gebracht sind, können sie global operieren und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg Landziele beschießen. Damit entsteht ein qualitativ neues Drohpotential, schließlich liegen acht von zehn der größten Städte auf der Erde am Meer.

Voll zur Entfaltung werden die neuartigen militärischen Möglichkeiten durch weitere U-Boote und vor allem durch vier noch größere Fregatten F 125 kommen, mit deren Bau im Mai 2011 auf den Thyssen-Krupp-Werften begonnen wird. Diese Marathon-Fregatten werden sich extrem lange im Einsatzgebiet aufhalten können, vierundzwanzig Monate statt sechs. Sie benötigen nur 110 Besatzungsmitglieder anstatt der sonst für Schiffe dieser Größe üblichen 220 bis 240 und dies erlaubt ein Zwei-Besatzungen-Konzept. Statt des Schiffes wird regelmäßig die Besatzung gegen eine zweite ausgetauscht. Und während die alten Fregatten oft noch für die U-Boot-Bekämpfung gebaut wurden, sind die neuen speziell zur Bekämpfung asymmetrischer Ziele und Bedrohungen ausgerüstet und für sogenannte Stabilisierungseinsätze vorbestimmt.

Die Marine wird mit den neuen Fregatten und Waffensystemen die technischen Mittel dafür bekommen. Mit ihrem neuen, nur in Teilen bekannten Konzept »Zielvorstellungen Marine 2025+« hat sie zudem das langfristige taktisch-strategische Rüstzeug dafür. Darin hat die Deutsche Marine ihre zukünftigen Aufgaben analysiert und daraus neue Zielvorstellungen abgeleitet, als Grundlage für marine-interne Planungen. Ein zukünftiges ehrgeiziges Ziel ist Modularität. Schiffe sollen nur noch als Plattform dienen, die je nach Einsatzanforderung mit diversen standardisierten Modulen komplettiert werden. Mit Blick auf die laufenden Beschaffungen und Planungen sowie auf den Verteidigungshaushalt wird die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele nur in kleinen Schritten, durch Festlegung von Prioritäten und Hinnahme von Kompromissen erfolgen können. Das weiß auch das Flottenkommando.

Politische Alternativen

Alle wesentlichen Wünsche der Marine wurden in der vergangenen Legislaturperiode erfüllt. Weißbuch, Korvetten, Fregatten und Waffensysteme für den Landbeschuss werden die Marine bald zu einem potentiellen Global-Player machen. Doch es ginge auch anders. Immer noch ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee.

In den aktuellen Koalitionsverhandlungen geht es zunächst nur darum, ob die Marine Polizeibefugnisse für die Seesicherheit erhält. Dazu wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Alternativ könnte jedoch eine aufzubauende Bundespolizei-See diese Militarisierung nach Innen stoppen.

Weit wichtiger, die globale Ausdehnung der Seemacht sollte das Parlament beenden. Kernaufgabe der Marine muss wieder der militärische Schutz der heimischen Küste werden. Die Sicherheit Deutschlands sollte weder am Hindukusch noch am Horn von Afrika oder im chinesischen Meer verteidigt werden.

Eine Fachillustrierte titelte auf der Messe: „Deutsche Marine: The Way Ahead“ – Deutsche Marine auf dem Weg vorwärts. Mit „zufriedenen Gesichtern“ – so die Veranstalter – verließen 1.300 Teilnehmer aus allen Kontinenten und mehr als 60 Aussteller nach drei Tagen Hamburg. Die MS&D werde künftig das Forum für internationale Marinen, Politik und Industrie sein, hofft die Messegesellschaft.

Anmerkungen

1) Nolting, Wolfgang E., Maritime Sicherheit im Fokus der konzeptionellen Überlegungen, in Marine-Forum 3-2008 (Internetausgabe).

2) Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006, Berlin 2006, S.131ff.

Dr. Hermannus Pfeiffer ist Soziologe und Wirtschaftwissenschaftler und spürt in seinem gleichnamigen Buch der »Seemacht Deutschland« über ein Jahrtausend nach – von der Hanse bis zum heutigen Maritimen Komplex (Ch. Links Verlag).

Hochschulen und Militärforschung

Hochschulen und Militärforschung

Friedenswerkstätten oder zivilmilitärische Forschungskomplexe

von Dietrich Schulze

Mit großem Aufwand wird in diesem Jahr das 60-jährige Jubiläum des Grundgesetzes gefeiert. Tatsächlich gibt es genügend gute Gründe zu trauern „angesichts seines schrecklichen Aussehens, nachdem es unter die Räuber gefallen ist.“ 1 Das gilt für die im Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft in Angriff genommene Privatisierung der Hochschulen genauso wie für die in der Verfassung verankerte Wissenschaftsfreiheit (Artikel 5.3 GG), die mehr und mehr in ein Freiheitsrecht für Militärforschung umgefälscht wird. Das alles zeigt sich prototypisch am Projekt »Karlsruhe Institute of Technology« (KIT), der geplanten Verschmelzung der Universität Karlsruhe (TH) mit dem Forschungszentrum Karlsruhe.

Das KIT soll eine Einrichtung international herausragender Forschung, Lehre und Innovation in den Natur- und Ingenieurwissenschaften werden. Beschäftigte, Studierende, Gewerkschaften und Parlamentarier fordern eine Zivilklausel für das KIT-Gesetz. Sie fordern, dass die Hochschulen als freie Bildungs- und Wissenschaftsträger ihrem gesellschaftlichen Auftrag gemäß in öffentlicher Verantwortung bleiben und dass sich Forschung und Lehre ausschließlich friedlichen, Völker verbindenden Zwecken widmen soll. Der 2007 begonnene KIT-Gründungsprozess soll nun mit einem baden-württembergischen Landesgesetz besiegelt werden. Für das Forschungszentrum gilt von Beginn an ein Militärforschungsverbot in Gestalt einer Zivilklausel: „Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke.“ Die Universität betreibt Militärforschung und soll das auch künftig tun. Spannende Frage: Was gilt für das KIT als verschmolzene Großeinrichtung mit 8.000 Beschäftigten und 18.000 Studierenden?

Landesgesetz mit zweigeteilter Zivilklausel?

Obwohl das KIT ein einheitlicher Rechtskörper werden soll, sieht der Ende März vorgelegte Anhörungsentwurf zum KIT-Gesetz nur eine Teilzivilklausel vor („zur Wahrnehmung der Großforschungsaufgabe betreibt das KIT im Interesse der Allgemeinheit Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken …“) gestützt auf das Konstrukt eines »Zwei-Aufgaben-Modells«, mit dem „der verfassungsrechtlichen Ausgangsposition Rechnung getragen werden soll“. Nach Landesrecht soll es demnach zwei Aufgaben geben, die einer Universität (Universitätsaufgabe) und die einer Großforschungseinrichtung nach Artikel 91b Abs. 1 GG (Großforschungsaufgabe) mit jeweils eigenem Finanzstrom und Personalkörper. Das kann offensichtlich nur eine juristische Interimslösung sein. Am Ende wird es entweder ein KIT mit einheitlichem Rechts- und Personalkörper geben oder kein KIT. Ver.di und GEW haben unisono mit dem gesamten Forschungszentrum von Beginn an eine einheitliche Zivilklausel gefordert und in das Anhörungsverfahren eingebracht. Aus der bemerkenswerten Kette von Gegenargumenten der Landes- und Bundesregierung und von Verantwortlichen der Universität nur eines vorab. Bei der Vorlage des Anhörungsentwurfs in der Landespressekonferenz am 31. März 2009 bedauerte Minister Frankenberg (CDU), dass die Zivilklausel im Großforschungsbereich „aufgrund der Intervention der Bundesseite“ erhalten bleibt. Sein expliziter Wunsch sei es, militärische Forschung betreiben zu können. In der Anhörung im Bundesforschungsausschuss am 27. Mai wurde er noch deutlicher „Die Beibehaltung für den ehemaligen Forschungszentrumsteil habe er sich vom Bund diktieren lassen. Grundsätzlich sei er aber der Meinung, ‚in einem demokratischen Rechtsstaat mit einer demokratischen Armee sei eine Zivilklausel nicht notwendig‘.“ 2

Das ergibt zusammen mit einer ver.di-Analyse3 und den Erkenntnissen einer Podiumsdiskussion, die am 8. Mai veröffentlicht wurden4, entgegen allen Vertuschungsversuchen ein klares Bild. Das KIT, als Einrichtung mit möglichst wenig Staat konzipiert, soll »Spitzenforschung« und Rüstungsforschung nach Maßgabe von Wirtschaft und Politik betreiben, wobei das privatisierte, mit Rüstungsmitteln finanzierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) (FAZ 22.11.2006) als Vorbild gesehen wird.5 Dieses Bild wird durch die Planung eines »Nationalen Zentrums für Wehr- und Sicherheitsforschung«6 unter dem Dach der Fraunhofer-Gesellschaft mit engen inhaltlichen und personellen Verflechtungen zur Universität und damit zum KIT abgerundet. Mit einer solchen Perspektive ist eine Zivilklausel offensichtlich nicht vereinbar.

Militärforschungsprogramm »SDR«

Dass an der Universität Karlsruhe mit militärischen Zielsetzungen geforscht wird, war bis Mitte letzten Jahres weitgehend unbekannt. Das kam erst durch eine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE. vom 21.8.2008 und eine Landtagsanfrage von MdL Stober (SPD) vom 21.10.2008 ans Licht der Öffentlichkeit. Der Rektor der Universität, Prof. Horst Hippler, musste zugeben, dass ein wehrtechnisches Forschungsprogramm am Institut für Nachrichtentechnik INT (Leitung Prof. Friedrich Jondral) mit dem Thema »Software Defined Radio« (SDR) durchgeführt wird. Wie die Informationsstelle Militarisierung (IMI e.V.), Tübingen heraus fand, geht es dabei um die rechnerunterstützte Koordination unterschiedlichster Datenquellen aus Funkkommandos, Bildauswertungen und Luftraumüberwachung.7 Diese neuartige digitalisierte Funkkommunikation wird besonders für Einsätze von multinationalen Kampftruppen wie der NATO Response Force und der EU Battle Group gebraucht. Forscher der Universität Karlsruhe arbeiten also im Gegensatz zum Verfassungsauftrag an der Technik für Interventionskriege.8

Wegen des Auftragsvolumens von 538.000 Euro (3 Jahre) im Vergleich mit einem jährlichen Uni-Etat von 80-90 Millionen Euro hält der Pro-Rektor für Forschung, Prof. Detlef Löhe, den Streit um die Zivilklausel für „öffentlichkeitswirksames Getöse“ (Badische Neueste Nachrichten 3.2.2009). Unterschlagen wird dabei die Einbettung der Universität in neue zivilmilitärische Regierungsprogramme und die vielfältigen personellen und organisatorischen Verflechtungen mit militärischer Forschung (UZ 30.1.2009).

Verschwiegene jahrzehntelange Rüstungszuarbeit

Wie während einer ver.di-Podiumsdiskussion am 10. Februar in der Universität bekannt wurde, pflegt das Institut für Nachrichtentechnik bereits seit 1964 eine stillschweigende Zusammenarbeit mit Wehrforschungsinstituten (ND 20.02.2009). Ende der 1980er Jahre war ein Kooperationsvertrag der Uni Tübingen mit einem Wehrforschungsinstitut in Ettlingen bei Karlsruhe aufgrund einer vom Senat geforderten Zivilklausel geplatzt. Just dieses Institut ist ein Vorläufer des jetzigen Wehrforschungsinstituts »Forschungsgesellschaft für angewandte Naturwissenschaften – Forschungsinstitut für Optronik und Mustererkennung« (FGAN-FOM) in der Rheinland-Kaserne in Ettlingen. In dessen Vorläufer wiederum war 1964 eine Forschungsgruppe des Instituts für Nachrichtentechnik ausgegliedert worden. Und hier schließt sich der Kreis. Der Chef des FGAN-FOM, Prof. Maurus Tacke, ist Lehrbeauftragter am Institut für Nachrichtentechnik. Generationen von Studierenden haben damit über Studien- und Diplomarbeiten der Wehrforschung zugearbeitet – in der Regel, ohne einen blassen Schimmer davon zu haben.

Nationales Zentrum für Wehr- und Sicherheitsforschung

Eben dieses Wehrforschungsinstitut FGAN-FOM soll im nächsten Jahr mit dem überwiegend zivil forschenden Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung FhG-IITB in Karlsruhe fusioniert werden. Das geht auf Pläne des Bundesverteidigungsministeriums zurück, die gegen den Protest der Betriebsräte und Gewerkschaften bereits seit 2003 verfolgt werden.9 Der Chef des FhG-IITB, Prof. Jürgen Beyerer, hat in Personalunion den Lehrstuhl für Interaktive Echtzeitsysteme IES an der Universität inne. Das FhG-IITB ist ebenso wie das Fraunhofer-Institut für Chemische Treibstoffe FhG-ICT bei Karlsruhe Teil des 2002 gegründeten zivilmilitärischen Fraunhoferverbunds VVS »Verteidigung und Sicherheit«. Der Verbund zielt nach eigener Aussage auf Sicherstellung der dual-use-Forschung und auf Anwendungen für Auslandsoperationen des deutschen Militärs. Karlsruhe ist Standort der VVS-Kommunikationsplattform »Future Security«. In der Konferenz 2006 erklärte Ministerin Schavan, dass eine „nationale Sicherheitsstrategie“ zu entwickeln sei, bei der neben naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen auch die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung über die Entstehung gesellschaftlicher Krisen im In- und Ausland einbezogen werden. Genau in diesem Sinne befasst sich der Verbund mit der Abwehr von Flüchtlingen (Grenzsicherung) und der Überwachung der eigenen Bevölkerung (Personen-Screening, Crowd-Control).

Regierungsprogramm »zivile« Sicherheitsforschung

Für die zivilmilitärische Fusion, die Schaffung eines »Nationalen Zentrums für Wehr- und Sicherheitsforschung« unter dem Dach der Fraunhofergesellschaft10, hatte der Wissenschaftsrat bereits Anfang 2007 grünes Licht gegeben mit der Maßgabe: „Für eine engere Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollen künftig die Leiter gemeinsam mit Universitäten berufen und das wissenschaftliche Personal stärker als bisher in die Hochschullehre eingebunden werden. Vor allem aber soll die Drittmittelforschung systematisch aufgebaut werden.“ Das Zentrum, für dessen Startschuss wohl nicht zufällig ein Termin nach der Beschlussfassung über das KIT-Gesetz gewählt wurde, hat mit dem KIT eine weitere gewichtige Schnittmenge, das Regierungsprogramm »Forschung für die zivile Sicherheit« vom Januar 2007. Mit diesem Programm wird der seit 2004 vollzogene Schwenk in der EU zur zivilmilitärischen Sicherheitsforschung nachgebildet. Mit einem Vertreter des Verteidigungsministeriums in der Programmlenkung kann die Bundeswehr direkt Einfluss auf forschungspolitische Entscheidungen nehmen. Der ver.di-Bundeskongress 2007 hat dies entschieden zurück gewiesen und bei Verweigerung der Mitarbeit an dual-use-Projekten rechtliche und öffentlichkeitswirksame Unterstützung zugesagt. Ganz allgemein ist die Vermengung von Zivilem und Militärischem zum Hebel und notfalls zur Brechstange für die Militarisierung aller Bereiche der Innen- und Außenpolitik entwickelt worden. Die eingangs zitierte ablehnende Haltung der Landesregierung zu einer KIT-Zivilklausel wurde Mitte letzten Jahres gegenüber den Betriebs- und Personalräten mit der Nichttrennbarkeit von ziviler und militärischer Sicherheit begründet.

In der grafischen Übersicht (Bild) sind Zusammenhänge dargestellt. Die Netzversion ist interaktiv gestaltet und enthält zahlreiche weblinks zu programmatischen Dokumenten und Äußerungen von Verantwortlichen.11 Dort sind auch Beispiele für die Herausbildung einer »Military Scientific Community«12 aufgeführt, die mehr Begeisterung an den Hochschulen für das Militärische wecken soll. So will der Celler Trialog (Commerzbank und Bundeswehr) aktiv darauf hinwirken, „dass der sicherheitspolitische Dialog auch in Forschung und Lehre, insbesondere an unseren Hochschulen, gestärkt wird, z.B. durch die Einrichtung von Stiftungsprofessuren und durch einen dauerhaften, praxisorientierten und wissenschaftlichen Austausch zwischen Wirtschaft und Bundeswehr.“ An solchem Austausch beteiligen sich alle o.g. Professoren sowie Prof. Werner Wiesbeck vom Institut für Höchstfrequenztechnik und Elektronik IHE (Erfahrungen in electronic warefare) seit Jahren als Referenten der zivilmilitärischen Carl-Cranz-Gesellschaft (CCG). Mitgestalter der CCG-Sicherheitsseminare: FGAN-FOM mit Warnsensorik, FhG-ICT mit Explosivstoffdetektion und FhG-IITB mit Videoüberwachung. Auch kein Zufall ist die schon mehrfach in Ettlingen bei Karlsruhe ausgerichtete Non-Lethal-Weapons-Konferenz, die letzte vom 11.-13. Mai 2009. Mit diesem Umfeld verfügen die Exzellenz-Uni Karlsruhe und das KIT über ideale Voraussetzungen zum Aufbau eines zivilmilitärischen Forschungskomplexes für neue Kriegsabenteuer.

68-er Proteste und wissen- schaftliche Mitbestimmung

Alles Demokratische ist dafür störend. Gebraucht wird ein wirtschaftsdominierter Aufsichtsrat. Studentische Mitsprache, wissenschaftliche und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung, wie bisher im Forschungszentrum praktiziert, sollen gestrichen werden. Die Leitlinien für die wissenschaftliche Mitbestimmung in den Großforschungseinrichtungen waren unter dem Druck der 68er Protestbewegung mit Willy Brandt’s Vision »Mehr Demokratie wagen« analog der Hochschuldemokratisierung eingeführt worden. Werden sich heute die Verteidiger der sozialen Demokratie als stark genug erweisen, diese Errungenschaften zu bewahren? Immerhin, es regt sich Widerstand.

Urabstimmung: Studierende votieren für Zivilklausel

In einer Urabstimmung Ende Januar stimmten 63 Prozent der Studierenden dafür, die einheitliche Zivilklausel in das KIT-Gesetz aufzunehmen (ND 26.01.2009). Diese Urabstimmung hat historischen Charakter. Ab Ende der 1980er Jahre gab es zwar an einigen Hochschulen Senatsbeschlüsse gegen Militärforschung (FR 23.05.1991), aber nirgends ein derartiges Votum. Die Gewerkschaftliche Studierendengruppe Karlsruhe, die die Urabstimmung mit einer Unterschriftensammlung eingeleitet hatte, sieht das Ergebnis als ein deutliches Signal an den Gesetzgeber, seine bisherige Haltung zu überprüfen und der Meinungsbildung der Studierenden Rechnung zu tragen.

Wiederherstellung der verfassten Studierendenschaft

Für das KIT werden von Uni-Senat und UStA die Wiederherstellung der Verfassten Studierendenschaft (AStA) eingefordert, die 1977 von Ministerpräsident Hans Filbinger abgeschafft worden waren (Verbot der politischen Meinungsäußerung, Verlust der Finanz- und Satzungsautonomie). Die Studierenden hatten den Maulkorb nicht akzeptiert und Unabhängige Studierendenvertretungen gebildet (an der Uni Karlsruhe den UStA). Die Landes-ASten-Konferenz Baden-Württemberg unterstützt die Forderung ebenso wie die nach der Zivilklausel.

Die Aktivitäten »Pro Zivilklausel / Contra Militärforschung« sind seit Mitte letzten Jahres von einer Initiative des ver.di-Bezirks Mittelbaden-Nordschwarzwald angestoßen und koordiniert und vom ver.di-Landesbezirk zu einem politischen Schwerpunkt 2009 erhoben worden.

Gutachten: Zivilklausel & Friedensfinalität der Verfassung

Das juristische Argument der Landesregierung, das zuerst im Uni-Senat kolportiert wurde: Eine Zivilklausel, die Militärforschung ausschließe, verstoße gegen den Verfassungsgrundsatz der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG). Politisch erinnert diese Argumentation an die »Haltet den Dieb«-Methode: Im Artikel 5 geht es um das Grundrecht der Bürger auf Meinungsfreiheit gegenüber staatlicher Gängelung oder Willkür. Tatsächlich ist es der Staat, der die Meinungsfreiheit der Forschenden einschränkt, indem er die Grundfinanzierung verknappt und mit Drittmitteln aus dem Verteidigungshaushalt lockt. In einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung hat der Verfassungsrechtler Prof. Erhard Denninger die Zulässigkeit der Zivilklausel untersucht.13 In einer Podiumsdiskussion mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten der SPD, der Grünen und der Linken am 4. Mai erklärte er die begutachtete Zulässigkeit der Zivilklausel mit einer Rückbesinnung auf die politischen Säulen des Grundgesetzes „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“. Er prägte dafür den Begriff der »Friedensfinalität« der Verfassung.

Tarifvertraglicher Schutz der Gewissenfreiheit

Weil der »friedliche Zweck« unterschiedlich ausgelegt werden kann bzw. ein strittiges dual-use-Projekt konträr zur Gewissensentscheidung eines Beschäftigten stehen kann, müssen – nach Auffassung von ver.di – öffentlich-rechtliche Institutionen die Möglichkeit der Wahrnehmung des Grundrechts auf Gewissensfreiheit durch Verweigerung einräumen, ohne dass das zu einer Benachteiligung führt. Ver.di hat die Landesregierung aufgefordert, dies tarifvertraglich festzuschreiben.

Erste Schritte zur gegenseitigen Information und Vernetzung von Aktivitäten gegen Militärforschung an Hochschulen sind getan worden, darunter ein IMI-Report.14 Aktuelle Proteste gibt es an TU Berlin / FU Berlin / Uni Potsdam (junge Welt 16.4.2009) und an der Uni Hannover. Und es gibt eine erste bemerkenswerte internationale Reaktion.

International Appeal: »Abandonment of military research & the civil clause«

Mehr als sechzig WissenschaftlerInnen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus 14 Staaten, darunter der Bürgermeister von Hiroshima, Tadatoshi Akiba (mayors of peace) und der Nobelpreisträger für Physik, Jack Steinberger, haben im Rahmen einer nuklearen Abrüstungskonferenz (NPT PrepCom 2009) Anfang Mai in New York einen internationalen Appell an den deutschen Gesetzgeber unterzeichnet, eine einheitliche Zivilklausel in das KIT-Gesetz aufzunehmen. Sie ermutigen den Gesetzgeber, mittels Verzicht auf Militärforschung im KIT zu einer friedlicheren Welt beizutragen.

In dem von INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility) veröffentlichten Appell15 wird zur Vermengung mittels einer Teilzivilklausel gefragt, ob sich das jemand vorstellen kann: „Deutsche Nuklearforschung und Waffenforschung unter einem Dach“. Das ist in der Tat unvorstellbar und muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass der deutsche Atomwaffenverzicht auf rechtlich schwachen Füßen steht. In allen zugrunde liegenden Regelungen (Adenauer-Erklärung 1954, Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag 1969, 2+4-Vertrag 1990) gibt es Einschränkungen oder Vorbehalte. Ist schon vergessen, was Ex-Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) vor drei Jahren erklärte? Im Zusammenhang mit einer nuklearen Schutzgarantie wollte er ernsthaft diskutiert wissen, „wie wir auf eine nukleare Bedrohung durch einen Terrorstaat angemessen, im Notfall also sogar mit eigenen Atomwaffen, reagieren können“ (BILD 26.01.2006).

Ausblick

Neoliberale wie konservative Politiker haben die prinzipielle Bedeutung der Hochschulen erkannt und forcieren einen für Demokratie und Frieden abschüssigen und gefährlichen Weg. Zu wünschen bleibt, dass die demokratische Öffentlichkeit, die Gewerkschaften und die Friedensbewegung sich in Verantwortung gegenüber der Geschichte bundesweit noch stärker einmischen. Auf die Tagesordnung gesetzt werden muss die Zusammenarbeit von Hochschulgruppen der Studierenden mit Gewerkschaften und Friedensbündnissen unter Einschluss von örtlichen antimilitaristischen Initiativen als Gegengewicht zu dem EU- und NATO-getriebenen immer dichter gewebten Rüstungsforschungs- und Kriegspropagandageflecht aus Politik, Militär, Wirtschaft, Banken und Medien.

Anmerkungen

1) Eckart Spoo: Gedenken ans Grundgesetz, Ossietzky 10/2009.

2) Ulrike Winkelmann: Karlsruher Superuni auf Kriegspfaden, taz 28.4.2009.

3) Dietrich Schulze: NEIN zur Elite-Universität Karlsruhe als Fundament eines zivilmilitärischen Forschungskomplexes – JA zur Zivilklausel! mit Begründung von ver.di-Forderungen zur Zivilklausel, 24.04.2009.

4) Ergebnisse der Podiumsdiskussion am 4. Mai im ver.di-Haus Karlsruhe a) Folien Einleitungsbeitrag 06.05.2009, b) Badische Neueste Nachrichten 06.05.2009 und c) Dietr, 08.05.2009.

5) Ralf Nestler: Kriegsspiele auf dem Campus, Tagesspiegel 06.04.2009.

6) Christian Schwägerl: Ausweitung der Sicherheitszone, FAZ 14.12.2005, Planung eines »Nationalen Zentrums für Wehr- und Sicherheitsforschung«.

7) Claudia Haydt und Christoph Marischka: IMI – Informationsstelle Militarisierung e.V. Tübingen, E-Mail und Recherche 02.12.2009.

8) Presseinfo ver.di: Kriegsforschung an der Uni Karlsruhe? High-Tech-Kommunikation für archaische Kämpfer. ver.di fordert Beschränkung auf Zivilforschung, 08.12.2008.

9) Dietrich Schulze: Neuordnung der deutschen Rüstungsforschung. Proteste der Beschäftigten, Wissenschaft & Frieden 1-2005.

10) Vgl. Fußnote 6.

11) Interaktive Grafik zu zivilmilitärischen Verflechtungen der Uni Karlsruhe, 23.05.2009: http://www.stattweb.de/files/civil/cimimix-2305.pdf.

12) »Military Scientific Community«, in: german-foreign-policy.com, 29.04./04.05.2009.

13) Erhard Denninger: Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zur Zulässigkeit der Zivilklausel, 11.03.2009.

14) Sarah Nagel: Hochschulen forschen für den Krieg, IMI-Studie Nr. 7/2009, 17.04.2009.

15) Appell INES: Abandonment of Military Research. Support the University of Karlsruhe / Germany / KIT to keep their Civil Clause, 30.04.2009.

Dr.-Ing. Dietrich Schulze ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit«. Er war von 1966-2005 wiss. Mitarbeiter und von 1984-2005 Betriebsratsvorsitzender des Forschungszentrums Karlsruhe.

Wo viel los ist, ist auch die Bundeswehr

Wo viel los ist, ist auch die Bundeswehr

Die Bundesregierung führt die Kategorie der Amtshilfeeinsätze ein

von Frank Brendle

Das Weißbuch der Bundeswehr fordert die „Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens“, um Inlandseinsätze der Bundeswehr zu ermöglichen. An der Verfassungsänderung biss sich die große Koalition jedoch die Zähne aus. Sie ging stattdessen dazu über, Inlandseinsätze am Grundgesetz vorbei zu etablieren.

Bis 1968 bestimmte Artikel 143 des Grundgesetzes: „Die Voraussetzungen, unter denen es zulässig wird, die Streitkräfte im Falle eines inneren Notstandes in Anspruch zu nehmen, können nur durch ein Gesetz geregelt werden, das die Erfordernisse des Artikel 79 erfüllt“, d.h. ein Gesetz, das seinerseits verfassungsändernd ist. Das beinhaltete die »Aussicht« einer entsprechenden Verfassungsänderung, stellte aber klar: Bis dahin waren jegliche Einsätze im Inneren untersagt, selbst im Rahmen der Katastrophenhilfe. Darin drückte sich die damals parteiübergreifende Skepsis gegenüber innenpolitischen Verwendungen des Militärs aus. Es galt zu gewährleisten, „dass die bewaffnete Macht nicht wieder zum Staat im Staate wird“ (SPD-MdB Wilhelm Mellies am 6. 3. 1955), dass „diese Streitkräfte nicht zu einer Belastung der demokratischen Entwicklung unseres Volkes werden“ (CDU-MdB Georg Kliesing am 12. 10. 1955)1.

Dennoch beauftragte der Hamburger Innensenator und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) während der Sturmflut im Jahr 1962 die Bundeswehr, gegen Plünderer vorzugehen und den Verkehr zu lenken. Schmidt erklärte später: „Wir waren damals durchaus in dem Bewusstsein, gegen Artikel 143 zu verstoßen“.2 Es ist bezeichnend für das Rechtsverständnis der damaligen Gesellschaft, das Schmidt bzw. der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß für diesen Verfassungsbruch nicht kritisiert wurden, sondern Schmidt den Nimbus des pragmatischen »Machers« erhielt. Erst 1968 wurde im Zuge der Notstandsgesetzgebung, also durch Verfassungsänderungen, die auf weitgreifende Einschränkungen der Freiheitsrechte zielten, auch die Grundlage für militärische Einsätze im Inland gelegt.

Zentral für die rechtlichen Regelungen ist seither Artikel 87a, II GG: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, sofern dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“. Solche Ausnahmefälle beschränken sich auf die Abwehr bewaffneter Erhebungen und die »Katastrophenhilfe«-Bestimmungen des Artikels 35 II, III.

Die »rot-grüne« Bundesregierung wollte aus diesem Artikel herauslesen, dass die Bundeswehr auch zur Abwehr eines mit einem Flugzeug durchgeführten Terroranschlags eingreifen könne. Ihr Luftsicherheitsgesetz wurde im Februar 2006 allerdings vom Bundesverfassungsgericht kassiert, weil Artikel 35 der Bundeswehr gerade nicht das Recht zur Anwendung typisch militärischer Waffen verleihe. Kampfflugzeuge, Panzer usw. bleiben ausgeschlossen.

Keine Ruhe an der Inlandsfront

Seither sind die – teilweise konkurrierenden – Vorstellungen der Regierungsparteien nach einer Verfassungsänderung allesamt gescheitert. Dennoch herrscht an der Inlandsfront keine Ruhe. Das wurde vor allem beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm deutlich, der wohl zu den größten Inlandseinsätzen der BRD-Geschichte gezählt werden muss. 1100 Soldaten agierten unter dem Label »Amtshilfe«, weitere 1350 nahmen militärische Überwachungsaufgaben und »Eigensicherung«-Maßnahmen wahr. In der Praxis gab es dabei jedoch starke Überschneidungen.3

Am meisten Aufsehen erregt hat zweifellos der Aufklärungsservice für die Polizei: 15 Mal sind Tornado-Flugzeuge gestartet. Offizieller Sinn des Amtshilfeersuchens: Das Aufspüren behaupteter unterirdischer Waffenlager. Nach jedem Flug durften sich Beamte des Polizeiführungsstabs (BAO KAVALA) die Bilder ansehen und mitnehmen, 101 Bilder wurden übermittelt. Die meisten von ihnen dokumentieren allerdings den Aufbau der Protestcamps und deren Bewohner; dazu gehören einzelne Personengruppen, die z. B. als BUND-Jugend identifiziert werden; Bilder mit Titeln wie »Ansammlung«; »Menschen«, »Camp Rostock«, »Camp Wichmannsdorf«, »Camp Reddelich«.

Der Auftrag der neun eingesetzten »Fennek«-Spähpanzer lautete, „zu beobachten und Wahrnehmungen an die Polizei weiterzumelden.“ Die Panzer wurden unter anderem an den Autobahnen eingesetzt und überwachten die als gefährdet eingeschätzte landwirtschaftliche Versuchsanstalt Sanitz. Die »Fennek« waren von je drei Polizisten begleitet, die sofort über die Beobachtungen informiert wurden. Nach offiziellen Angaben sind die einzelnen Meldungen nicht dokumentiert worden.

Chef der Gewerkschaft der Polizei, Werner Kuhlmann: „Die Gefahr steckt doch auch hier darin: Sobald es darum geht, Bundeswehreinheiten hoheitsrechtliche Aufgaben zu übertragen, taucht doch sofort die Frage der Bewaffnung auf […] Ich meine, wir sollten einen ganz klaren Trennstrich ziehen und dafür sorgen, dass in Fällen der Naturkatastrophen und bei schweren Unglücksfällen die Bundeswehr […] durchaus eingesetzt werden kann, aber nicht mit Waffen und ohne hoheitsrechtliche Aufgaben.“ Kuhlmann verwies auf die Gefahr der Gewöhnung. Je mehr Inlandseinsätze es gebe, desto größer werde die Missbrauchsmöglichkeit und die Gefahr, dass „unter dem Deckmantel der Legalität“ ein Staatsstreich unternommen werde. Deswegen müsse „jeder, auch jeder Soldat […] zweifelsfrei wissen, dass Bundeswehreinheiten, die in innere Angelegenheiten eingreifen, die Verfassung brechen.“ 1

Anmerkung

1) Kuhlmann: Protokoll des Notstandshearings im Rechtsausschuss des Bundestages, 30. 11. 1967.

Amtshilfe und Einsatz

Um den Vorgang zu bewerten, muss man begrifflich zwischen »Einsatz« im Sinne des Grundgesetzes (Art. 87a II) und einer schlichten Verwendung als Amtshilfe gemäß Artikel 35 I („Die Behörden des Bundes leisten sich gegenseitig Amtshilfe.“) unterscheiden. Als Einsatz sind solche Tätigkeiten der Bundeswehr zu verstehen, die in die Grundrechte eingreifen, also »obrigkeitlichen« Charakter haben. Wie erwähnt, haben sie nur Ausnahmecharakter und müssen im Grundgesetz selbst explizit genannt werden. Die Amtshilfe-Bestimmung entspricht diesem Bestimmtheitsgebot nicht und verleiht keine Einsatzbefugnis.

Dennoch wurde die Bundeswehr im Zuge der »Terrorbekämpfung« in den 1970er Jahren zu polizeilichen Strafverfolgungsmaßnahmen eingesetzt: So hatten sich Angehörige des Militärischen Abschirmdienstes an der Fahndung nach den Schleyer-Entführern beteiligt, und im Oktober 1977 führte die Bundesmarine außerdem einen »Antiterroreinsatz« durch. Beide Einsätze waren von Art. 87a Absatz 2 nicht gedeckt und somit verfassungswidrig.4

Grundrechterelevanz

Zu klären ist dennoch die Frage: Ab wann sind Tätigkeiten der Bundeswehr grundrechtsrelevant? In Bezug auf den G8-Gipfel springt die hohe Zahl der Feldjäger ins Auge, von denen 641 – mit Pistolen bzw. gar mit Sturmgewehren des Typs G36 bewaffnet – „mobil und anlassbezogen“ 5 durch die Gegend streiften. Auch wenn sie nicht unmittelbar gegen Demonstranten vorgehen sollten, so war ihr Auftreten doch geeignet, zumindest psychologische Zwangswirkung auszuüben. Denn wer immer demonstrieren wollte, wusste um das polizeilich verhängte Demonstrationsverbot und musste Feldjäger als gegen sich gerichtet verstehen. Man spricht hier von einem »show-of-force«-Einsatz.6

Zudem spielt es eine wesentliche Rolle, dass die Bundeswehr nicht erst im Einsatz ist, wenn sie selbst in BürgerInnenrechte eingreift, sondern bereits dann, wenn sie die Polizei in einer Form unterstützt, die es dieser erst möglich macht, »obrigkeitlich« zu handeln: „Das Machtpotential der Streitkräfte wird aber auch dann eingesetzt, wenn das Militär bei Auseinandersetzungen auch ohne Ausübung von Zwang Polizeikräfte unterstützt und damit auf das Kräfteverhältnis (zwischen DemonstrantInnen und der Polizei, F. B.) einwirkt.“ 7

Diese Einschätzung geht zurück auf das von Maunz/Düring8 postulierte Neutralitätsgebot: In innenpolitischen Angelegenheiten müssen die Streitkräfte einen neutrale Rolle einnehmen.

Das war früher auch in Bundeswehrkreisen bekannt. Als in den 1980er Jahren darüber diskutiert wurde, ob die Bundeswehr die bayerische Polizei beim Vorgehen gegen Demonstranten an der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf unterstützen dürfe, wurde dies in der Zeitschrift »Bundeswehrverwaltung« als verfassungswidrig eingeschätzt:

„Doch auch Unterstützungshandlungen der Bundeswehr, es kann sich dabei generell auch nur um solche technischer oder logistischer Art handeln, sind dann rechtlich zweifelhaft, wenn sich die Unterstützungen unmittelbar auf die Demonstranten auswirken können. In diesem Fall würde die Bundeswehr zum verlängerten Arm der Polizei […] Das gilt insbesondere für Unterstützungen durch militärtypische Mittel, wie z. B. Hubschrauber, Mannschaftswagen, Spezialfahrzeuge usw. […] Wird dagegen der Polizei eine Unterstützung geleistet, die im Grunde von jedem geleistet werden könnte, wie z. B. die Bereitstellung von Unterkünften in einer Kaserne, dann liegt keine spezifische militärische Hilfeleistung vor.“ 9

Die Völkerrechtler Ralf Jahn und Norbert K. Riedel hielten schon früh fest: „Eindeutig Einsatzqualität besitzt die Zurverfügungstellung von militärischem Gerät einschließlich der sie bedienenden Soldaten, wie z. B. Aufklärungsflüge von Bundeswehrhubschraubern bei Demonstrationen. Hier wird militärisches ‚know-how’ in Anspruch genommen, das seinem Zweck nach innenpolitisch nicht neutral ist.“ 10

Vor dem G8-Gipfel geschrieben, aber wie auf diesen gemünzt hat der Jurist Jan-Peter Fiebig in seiner Dissertation festgehalten, ein Einsatz sei „gegeben, wenn Soldaten Fahrzeuge, insbesondere Luftfahrzeuge, der Streitkräfte […] zur optischen Überwachung von Großveranstaltungen und deren Umgebung verwenden und etwaige Aufklärungsergebnisse an die für unmittelbar obrigkeitliches Vorgehen vorgesehenen“ Polizeistellen weitergeben.11

Setzt man hinzu, dass der G8-Gipfel wie auch das weiträumige Demonstrationsverbot in der Öffentlichkeit höchst kontrovers diskutiert worden waren, hat die Bundeswehr als Gipfel-Logistikerin und Repressionshelferin das innenpolitische Neutralitätsgebot verletzt. Zudem sind »Fennek«-Panzer und Tornados militärische Geräte, die nach dem »Luftsicherheitsurteil« nicht im Inland verwendet werden dürfen. Dabei ist es unerheblich, ob Raketen und Bordkanonen abmontiert sind, da die Waffensysteme und die elektronische Ausstattung „zur ‚Feindaufklärung‘ […] für den Einsatz im Krieg […] konzipiert“ und daher nicht als „polizeitypische Einsatzmittel“ zu betrachten seien, so der Berliner Staatsrechter Martin Kutscha.12

Zur Unschärfe der Amtshilfe-Bestimmungen gehört, dass das verfassungsrechtliche Gebot der Subsidiarität nicht ernsthaft geprüft wird. Die Frage, ob statt der Tornados nicht auch herkömmliche Polizeihubschrauber die – angebliche – Suche nach Waffendepots rund um Heiligendamm hätten leisten können, ob es statt der »Fennek« nicht auch ein paar Polizisten mit Ferngläsern getan hätten – wurde von der Bundesregierung nicht gestellt. „Die Prüfung ist eine Sache des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen der polizeilichen Gefahrenprognose“, hieß es.13

Amtshilfeexpansion

Aufgrund dieser Unschärfen lohnt sich ein genauerer Blick auf die Entwicklungen in diesem Bereich. Der ergibt schnell: Die Bundesregierung hat Amtshilfe-Maßnahmen in den letzten Jahren geradezu explosionsartig anwachsen lassen. Den Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Linksfraktion zufolge hat es in den Jahren 1996-1999 nur eine einzige Amtshilfemaßnahme pro Jahr gegeben. Pikanterweise bestanden diese aus der Unterstützung der Polizeieinsätze anlässlich der Castor-Transporte. Der Polizei wurden Unterkünfte und Verpflegung zur Verfügung gestellt. Wenn auch kaum behauptet werden kann, damit sei der Polizei erst das Vorgehen gegen Demonstranten ermöglicht worden, so wäre doch zu problematisieren, inwiefern das Militär mit dieser einseitigen Positionierung im Konflikt zwischen Atomlobby und Anti-Atom-Bewegung das Neutralitätsgebot verletzt hat.

Im Jahr 2008 waren die Amtshilfezahlen auf stolze 30 angewachsen. Dazu gehören wiederum sämtliche Castor-Transporte. Genauso bemerkenswert ist, dass die Bundeswehr heute bei praktisch jedem Großereignis mit dabei ist. Der katholische Weltjugendtag, der Papstbesuch, die beiden Bush-Besuche, die Fußball-WM, der G8-Gipfel, der Nato-Gipfel – all dies sind Anlässe, bei denen es früher keine – oder allenfalls in Ausnahmen – Amtshilfeeinsätze gab. Das legt nahe, dass eine politische Strategie verfolgt wird: Wo viele Menschen zusammenkommen, da soll auch die Bundeswehr sein. Zumindest bei Gipfeln und Staatsbesuchen ist auch mit Demonstrationen zu rechnen. Die neuen ZMZ-Kommandos der Bundeswehr waren sowohl in Heiligendamm als auch während des Nato-Gipfels 2009 in die polizeilichen Planungen eingebunden und haben als de-facto-Repressionsberater über die beim Militär vorhandenen Kapazitäten informiert.

Der Expansionstrend offenbart sich auch bei einem Blick auf Unterstützungsleistungen, die Privatvereinen bzw. Unternehmen zugute kommen. Auch diese haben rasant zugenommen: Lag ihr Mittel bis zum Jahr 2007 bei knapp über 20, so hat es im vorigen Jahr 74 gegeben. Zu den Profiteuren gehören auch die Rüstungsschmiede EADS und die Münchner Sicherheitskonferenz. Meist handelt es sich aber um scheinbar harmlose Tätigkeiten wie Dienstleistungen für gemeinnützige Vereine und Unterstützung von Sportveranstaltungen.

Doch solche Einsätze sind nicht nur eine wichtige PR-Maßnahme für die Bundeswehr, sondern bergen die Gefahr einer grundsätzlichen Gewöhnung an den Anblick uniformierter Soldaten, die sich – scheinbar als kompetente Helfer – in den Alltag einbringen.

Hausrechtseinsätze

Ordnungskompetenzen nehmen Soldaten bei Hausrechtsübernahmen wahr, einem kaum bekannten Aspekt der Inlandstätigkeit. Herausragendes Beispiel ist die Münchner Sicherheitskonferenz, an der bis zum Jahr 2008 eine stetig wachsende Zahl von Feldjägern den Wachschutz im Tagungshotel übernahm (worauf nach Protesten im Jahr 2009 verzichtet wurde).

924mal wurde zwischen Januar 2005 und Januar 2009 das Hausrecht von Feldjägern verteidigt.14 Anlass sind meist militärische Veranstaltungen, die zwecks Imagepflege in den öffentlichen Raum verlegt wurden. So wurden zur Feier einer Leutnantsbeförderung in Erfurt 25 Soldaten mit Pistolen im Rathaus aufgeboten; ein Festakt zum 150jährigen Marinejubiläum wurde von 12 Feldjägern in der Frankfurter Paulskirche bewacht. Einer der größten Einsätze galt der Sicherung des »Sommerbiwaks« im Stadtpark von Hannover, mit 102 bewaffneten Soldaten.

Die Aufgabe der Feldjäger ist es, „einen sicheren und ungestörten Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten und das eingesetzte Personal und Material der Bundeswehr vor Übergriffen zu schützen und Schaden von nicht bundeswehrangehörigen Gästen und sonstigen Anwesenden fern zu halten.“ 15 Nun mag sich die Bundeswehr in ihren eigenen Liegenschaften selbst schützen, aber wenn sie dies in öffentlichen Gebäuden bzw. im öffentlichen Raum tut, tangiert sie offenkundig Aufgaben der Polizei. Auch dies trägt zur Militarisierung des öffentlichen Raums bei. Wer gegen solche öffentlichen Auftritte des Militärs protestieren will, muss damit rechnen, von Feldjägern gemaßregelt zu werden. Und es sei erneut darauf hingewiesen, dass schon der Anblick einer Feldjägereinheit geeignet sein kann, auf AntimilitaristInnen abschreckend – und damit grundrechterelevant – einzuwirken (»show-of-force«).

Der Gewöhnungsaspekt, der solchen Auftritten in der Öffentlichkeit innewohnt, gilt auch für die Soldaten selbst: Je öfter sie im »zivilen Alltag« eingesetzt werden, desto weniger werden sie das als ungewöhnlich empfingen. Dies ist, angesichts der Forderungen aus den Regierungsparteien nach erweiterten Möglichkeiten für Inlandseinsätze, eine erhebliche Gefahr.

Anmerkungen

1) zit. nach Jan-Peter Fiebig (2004): Der Einsatz der Bundeswehr im Innern. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von innerstaatlichen Verwendungen der Streitkräfte bei Großveranstaltungen und terroristischen Bedrohungen, Berlin, S.84f.

2) Bundestagssitzung vom 16. 5 1968.

3) Eine Aufarbeitung des G8-Einsatzes hat die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke vorgelegt: http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=762

4) So der eher konservative Wolfgang Speth (1985): Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, München, S, 188.

5) Bericht des BMVg vom 2. Juli 2007; Verschlusssache, dokumentiert unter http://www.dfg-vk.de/thematisches/bw-inneren/2008/191.

6) Vgl. Fußnote 1, insb. S.177ff.

7) Wolfgang Grubert (1997): Verteidigungsfremde Verwendungen der Streitkräfte in Deutschland seit dem Kaiserreich außerhalb des inneren Notstandes, Frankfurt am Main, S.241.

8) Maunz/Dürig (2003): Grundgesetz-Kommentar Band 4, Rn 32ff

9) Erwin Beckert (1986): Bundeswehr und Polizei, in: Bundeswehrverwaltung, Juli 1986.

10) Die Öffentliche Verwaltung, November 1988.

11) Wie Fußnote 1, S.192.

12) Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2007.

13) BT-Drucksache 16/6046.

14) BT-Drucksache 16/12004.

15) Ebd.

Frank Brendle ist Journalist, Historiker und Landesgeschäftsführer der DFG-VK Berlin-Brandenburg.

Das Beispiel der Nanotechnik

Das Beispiel der Nanotechnik

Neue Militärtechnik und internationale Sicherheit

von Jürgen Altmann

Neue Militärtechnik hat schon immer die internationale Entwicklung beeinflusst. So brachte die Atombombe eine grundlegende Umwälzung. Heute wird von der Revolution in militärischen Angelegenheiten gesprochen, v.a. durch Computer und Vernetzung. Viele sehen die nächste technologische Revolution in der Nanotechnik. Welche Auswirkungen wird sie auf die internationale Lage, vor allem die Frage von Krieg oder Frieden haben?1

Militärtechnik- folgenabschätzung

Für die Abschätzung der Folgen militärischer Technik gilt ein anderer Bezugsrahmen als bei der »normalen«, zivilen Technik. Im Innern von Staaten gibt es Regeln für gefährliche Techniken: Missbrauch wird verhindert oder minimiert durch Gesetze und andere Regelungen. Das Monopol legitimer Gewalt liegt beim Staat. Der Staat hat die Macht und die Mittel, die Einhaltung der Regeln zu erzwingen. Regelbrecher werden verfolgt, vor Gericht gestellt, ins Gefängnis gebracht usw. Der Staat hat weitreichende Inspektionsrechte – beim Arbeits- und Umweltschutz, bei der Buchführung, beim Export usw. darf er in Betriebe hineingehen – für Routineüberprüfungen, für Stichproben, bei dringendem Verdacht auf Gesetzesbruch. Diese Rechte werden breit akzeptiert. Wenn neue Technik aufkommt, werden zur Eindämmung von deren Gefahren oft neue Regeln aufgestellt.

Ganz anders ist es bei der militärischen Nutzung neuer Technik: Hier ist das Ziel, das Potential für selektive oder massive Zerstörung möglichst schnell nutzbar zu machen. Forschung erkundet neue Möglichkeiten; wenn sich solche abzeichnen, werden neue militärische Systeme entwickelt. Diese Arbeiten werden vom Staat geschützt, durch seine Ressourcen finanziert und mit hohem Personalaufwand durchgeführt. Das wird durch die höchsten nationalen Interessen gerechtfertigt. Die Aufgabe von Streitkräften ist es, in einem bewaffneten Konflikt durch gezielte oder massive Zerstörung zu siegen, und ein Hauptmittel für den Sieg ist neue Technik. Diese Aufgabe der Streitkräfte bedingt eine Tendenz, zivile Grenzen zu überschreiten und wichtige Informationen geheim zu halten. Bei der Abschätzung der Folgen militärischer Technik liegen daher besondere Bedingungen vor, und alles ist mit dem Problem der internationalen Sicherheit verknüpft.

Sicherheitsdilemma, Rüstungskontrolle und Überprüfung

Im Grunde ist das internationale System weiterhin durch Anarchie gekennzeichnet – es gibt keine übergeordnete Autorität, die die Sicherheit der Staaten gewährleistet. Jeder Staat versucht, Sicherheit vor einem Angriff durch die Drohung mit seinen Streitkräften zu erlangen.2 Dabei erhöht er aber die Bedrohung für andere, und das Gesamtergebnis ist, dass sich die Sicherheit aller verschlechtert. Ein Ausweg aus diesem sogenannten Sicherheitsdilemma ist die freiwillige gegenseitige Beschränkung der Streitkräfte (Rüstungskontrolle).3 Aber bei der Begrenzung der eigenen militärischen Fähigkeiten ergibt sich ein Widerspruch zu dem Ziel des Sieges für den Fall, dass dennoch Krieg ausbricht. Die Kampfkraft der Streitkräfte darf nicht zu sehr eingeschränkt werden, und wichtige militärische Informationen müssen geheim bleiben.

Wenn potentielle Gegner ihre Militärmacht durch Vereinbarungen beschränken, könnte ein Partner die Regeln heimlich verletzen und einen anderen, vertragstreuen Akteur mit höherer Aussicht auf Erfolg angreifen. Sich nicht durch so etwas überraschen zu lassen, erzeugt auch bei ehrlichen Staaten ein Motiv zur heimlichen Umgehung. Die Lösung dieses Problems ist verlässliche Überprüfung, ob die Vereinbarungen eingehalten werden. Wenn man die Vertragsverletzung eines Partners rechtzeitig entdecken kann, können die anderen versuchen, ihn zu beeinflussen. Wenn das nicht hilft, können sie sich auf die Situation einstellen und Gegenmaßnahmen ergreifen, bis hin zur Kündigung des Vertrags und dem Aufbau militärischer Fähigkeiten, die den Vorteil des Vertragsbrechers kompensieren können. Diese Möglichkeit wirkt schon im Vorfeld abschreckend. Damit Rüstungskontrolle funktionieren kann, ist also normalerweise verlässliche Überprüfung nötig.

Hier gibt es aber nun ein Verifikationsdilemma: Für verlässliche Überprüfung ist Transparenz nötig, militärische Wirksamkeit im Krieg braucht aber in vieler Hinsicht Geheimhaltung (Stärken und Schwächen von Waffensystemen, strategische Planungen, Orte, Moral usw.). Der Ausweg ist eine ausgewogene Mischung aus Transparenz und Geheimhaltung. Im Kalten Krieg geschah das durch die sogenannten nationalen technischen Mittel der Verifikation (vor allem Satelliten), ab 1987 wurden zunehmend Vor-Ort-Inspektionen benutzt, mit genauen Regeln, was die Inspektor(inn)en sehen und welche Hilfsmittel sie benutzen dürfen.

Nanotechnik – die nächste technologische Revolution

In der Nanotechnik geht es um die Analyse und vor allem Gestaltung von Systemen mit Strukturen, die zwischen 0,1 und 100 nm groß sind. Das ist die Ebene von Atomen und Molekülen; hier verschwimmen die Grenzen zwischen Physik, Chemie und Biologie. Das grundsätzliche Ziel der Nanotechnik ist es, Atome und Moleküle frei zusammenbauen zu können und damit kleinste Strukturen zu erzeugen, die gewünschte Aufgaben erledigen: als Sensoren oder elektronische Elemente fungieren, Stoffe synthetisieren, mechanische Wirkung ausüben und vieles andere mehr. Versprochen werden rasante Steigerung der Computerleistung, hochfeste, dabei extrem leichte Materialien und individuelle Therapie auf der Zell- und Molekülebene. Gemäß der visionären Ausprägung (sog. »molekulare Nanotechnik«) soll die menschliche Intelligenz von der künstlichen übertroffen werden und mit letzterer verschmelzen; Nanoroboter erzeugen die Güter autonom, ohne menschliche Arbeit, Krankheit und Altern werden abgeschafft.4 Aber auch ohne diese – von vielen Wissenschaftlern nicht ernst genommenen – Visionen verspricht Nanotechnik revolutionäre Veränderungen nicht nur darin, wie wir leben und arbeiten, sondern sogar darin, was wir sind.5

Militärische Forschung und Entwicklung in Nanotechnik

Während die zivile Nanotechnik-Forschung und -Entwicklung (FuE) zwischen USA, Europa und Japan etwa gleich verteilt ist (die staatlichen Ausgaben liegen jeweils bei etwa 1 Mrd. $/Euro pro Jahr; der Rest der Welt zusammen gibt etwa denselben Betrag aus), gibt es bei militärischer Nanotechnik-FuE ein erhebliches Übergewicht der USA. Ein Viertel bis ein Drittel der Gelder für die National Nanotechnology Initiative gehen an das Verteidigungsministerium. Im Jahr 2006 waren das 424 Mio. $ von 1,35 Mrd. $. Militärische Projekte werden in Universitäten, den Laboratorien der Teilstreitkräfte und den nationalen Waffenlabors bearbeitet (siehe Tabelle 1). Vieles davon ist noch im Stadium von Grundlagenforschung.

Tabelle 1: Einige FuE-Projekte des US-Militärs in der Nanotechnik (2007)6
Defense Advanced Research Projects Agency, Thrusts Biology/Biological Warfare Defense
Human-Assisted Neural Devices

Restorative Injury Repair

Revolutionizing Prosthetics

Exoskeletons forHuman Performance Augmentation

Peak Soldier Performance
Preventing Sleep Deprivation

Biological Sensory Structure Emulation

Stealthy Sensors

Protein Design Processes

Control of Protein Conformations

Self Decontaminating Surfaces
Naval Research Laboratory, Institute for Nanoscience
Gold Nanocluster Electronics and Sensors

Carbon Nanotube Electronics from Flat Displays to Radar, Communications and Satellites
Carbon Nanotube Networks:A New Nanomaterial for DoD Applications

The Nanomaterials Pathway to Better Batteries
Army Research Laboratory
Materials Design: nano-electrical contacts,embedded nano-sized constituents for materialand performance health monitoring,

large-scale, large-quantity processingof nano-materials
Physical Behavior of Materials:nano-structuring of materials

Synthesis and Processing of Materials:predict and control materials structures fromatomic dimensions to macroscopic levels

Andere Länder sind ebenfalls aktiv in militärischer Nanotechnik-FuE, darunter Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Schweden und Israel – hier betragen die Etats aber nur einige Millionen $ oder Euro pro Jahr. In Deutschland gibt es (noch?) kein besonderes Nanotechnik-Programm des Verteidigungsministeriums. Über Russland und China ist nicht viel bekannt; offensichtlich ist, dass auch sie sich um militärische Nutzung der Nanotechnik kümmern, aber auch, dass sie erheblich weniger Mittel aufwenden als die USA. Beide Länder sind aber kompetente Nanotechnik-Akteure und könnten militärische Neuerungen der USA sicher in wenigen Jahren nachvollziehen.

Vorsichtig geschätzt geben die USA 80-90% der Weltaufwendungen für militärische Nanotechnik-FuE aus, vier bis zehn Mal so viel wie der gesamte Rest der Welt. Das ist deutlich über dem Verhältnis in militärischer FuE überhaupt, wo der US-Anteil bei 65% liegt, und wird sich wahrscheinlich in dem Maße ändern, wie andere Länder ihre militärische Nanotechnik-FuE hochfahren werden (siehe Tabelle 1).

Aus dem Bereich Gehirn-Maschine-Schnittstelle sind zwei Projekte zu nennen: Bei dem einen wurden einem Affen Multielektroden auf die motorische Hirnrinde implantiert und die Signale analysiert, wenn der Affe seinen Arm bewegt. Damit wurde dann ein Roboterarm gesteuert, den der Affe schließlich mit Willenskraft bewegen konnte. Beim zweiten Experiment wurden einer Ratte drei Reizelektroden ins Hirn implantiert: zwei dort, wo die Nerven von den rechten bzw. linken Schnurrbarthaaren einlaufen, die dritte in einem Zentrum, das intensives Wohlgefühl erzeugt. So konnte die Ratte schnell darauf trainiert werden, der vom Experimentator gewünschten Richtung zu folgen – sie wurde quasi ferngesteuert.

Damit Nanotechnik schneller zu militärischen Anwendungen führt, finanziert die US Army seit 2002 das Institute for Soldier Nanotechnologies des Massachusetts Institute of Technology. Dort arbeiten fünf multidisziplinäre Forschungsgruppen an Komponenten für das Leitbild eines multifunktionalen Kampfanzugs, der neben Computer und Kommunikationsgeräten auch Sensoren für die Körperfunktionen enthält, heizt oder kühlt, bei Bedarf Heilmittel appliziert, eine Kompresse oder Schiene bildet und Schutz gegen Geschosse oder biologische Kampfmittel bietet.

Mögliche militärische Anwendungen der Nanotechnik

Weil Nanotechnik ein extrem breites Feld ist, könnte sie im Militär in fast allen Bereichen genutzt werden.7 Elektronik, Computer und Kommunikationsgeräte werden viel kleiner und dabei viel schneller werden. Software wird erheblich leistungsfähiger werden und mehr autonome Entscheidungen durch Maschinen ermöglichen. Leichtere, dabei festere Materialien, effizientere Antriebe und energiereiche Sprengstoffe werden entwickelt werden. Kleinste Analysesysteme für chemische oder biologische Stoffe werden ebenso möglich werden wie variable Tarnung. Kleinste Sensorsysteme können so billig werden, dass sie zu Tausenden verstreut werden könnten. Bei Kugelwesten sowie leichter Panzerung wird Nanotechnik Verbesserungen erlauben.

Fahr- und Flugzeuge werden leichter, schneller und beweglicher werden. Munition und Flugkörper werden bei geschrumpfter Größe genauer treffen. Kleinsatelliten könnten mit Kleinraketen gestartet und zur Überwachung oder als Antisatellitenwaffe eingesetzt werden. Große und kleine Roboter, mit und ohne Waffen, werden möglich werden, einschließlich biologisch-technischer Hybride (gesteuerte Insekten oder Ratten). Soldatensysteme können den Körperzustand überwachen, der Körper könnte manipuliert werden, eine Schnittstelle kann Kommunikation zwischen Gehirn und Maschine erlauben.

Bei Kernwaffen sind auf absehbare Zeit keine qualitativen Veränderungen zu erwarten, aber Nanotechnik würde für die Sicherheits- und Zündsysteme eingesetzt. Bei chemischen oder biologischen Waffen muss man dagegen mit drastisch neuen Möglichkeiten rechnen, v.a. auf Grundlage der Nanotechnik-Entwicklungen in Pharmazie und Medizin. Dort werden Kapseln für den sicheren Einschluss und die verzögerte Abgabe von Agenzien entwickelt. Die Kleinheit und besondere Mechanismen sorgen dafür, dass sie leichter in den Körper oder in Zellen eindringen und z.B. die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Mittels aktiver Gruppen in den Oberflächen sollen sie sich an bestimmte Zielorgane oder -zellen binden. Die selektive Reaktion mit spezifischen Gen- oder Proteinmustern soll nur die kranken Zellen zerstören. Auch soll das Immunsystem gezielt beeinflusst werden. Alle solchen medizinischen und pharmazeutischen Fortschritte könnten auch für neue biochemische Waffen eingesetzt werden, die durch ausgefeilte Mechanismen nur in bestimmten Zielgruppen auf besondere Organe oder Hirnzentren wirken würden – im Extremfall würde trotz breiten Ausbringens nur eine spezielle Person verwirrt oder getötet. Nanotechnik wird aber auch empfindlichere Sensoren für chemische und biologische Agenzien erlauben sowie wirksamere Materialien für Filter und Dekontamination. Viele dieser Anwendungen sind zehn, manche zwanzig und mehr Jahre entfernt.

Beurteilung unter Kriterien der präventiven Rüstungskontrolle

Bei der Beurteilung möglicher neuer Militärtechnik sollten die Staaten über die eigene Kampfkraft hinaus schauen und die absehbaren Wechselwirkungen im internationalen System einbeziehen. Das Sicherheitsdilemma kann sich nämlich verschärfen. Ein Weg, dies zu verhindern, ist vorbeugende (präventive) Rüstungsbegrenzung. In der idealisierten Zeitfolge einer neuen militärischen Technik, von Forschung über Entwicklung und Erprobung zu Beschaffung, Nutzung und schließlich Ausmusterung, wirkt sie vor der Beschaffung. Bisherige Rüstungskontrolle hat meist Techniken oder militärische Systeme in der Zahl begrenzt – oder abgeschafft -, die schon eingeführt waren. Es gibt aber auch Präzedenzfälle für vorbeugende Begrenzungen: Die Atomteststoppverträge (partiell 1963, vollständig 1996) schlossen bestimmte Experimente mit Kernexplosionen aus. Der Raketenabwehr-(ABM-) Vertrag (1972-2002) verbot u.a. luft- und weltraumgestützte Abwehrsysteme, die es bei der Vertragsaushandlung nur als Konzepte gab. Im Bereich des Kriegsvölkerrechts ist das Verbot von Laserblendwaffen (1995) zu erwähnen, die es damals auch noch nicht gab.

Präventive Rüstungskontrolle geht in vier Schritten vor:

Vorausschauende naturwissenschaftlich-technische Analyse der jeweiligen Technik – welche Eigenschaften hätte die neue Waffe, wie würde sich die Wirkung ausbreiten, was wäre der Effekt im Ziel?

Vorausschauende Analyse der militärischen und Einsatz-Aspekte: Was wäre die wahrscheinliche Nutzung und gegen welche Ziele wäre sie gerichtet? Was wären ungewöhnliche Einsatzformen? Welche Kollateralwirkungen sind möglich?

Bewertung beider Ergebnisse unter den Kriterien der präventiven Rüstungskontrolle. Wenn die Bewertung zum Ergebnis führt, dass etwas geschehen sollte, müssen

mögliche Beschränkungen überlegt sowie Verfahren für die Überprüfung der Einhaltung analysiert werden.

Im Idealfall würden nach einer solchen Analyse die Staaten über die Vorschläge verhandeln und einen Vertrag abschließen.

Die Kriterien lassen sich in drei Gruppen zusammenstellen:8 Bei der ersten geht es um die Erhaltung bestehender Rüstungskontrolle und des Kriegsvölkerrechts sowie die Vermeidung von Massenvernichtungswaffen. Die zweite betrifft die militärische Stabilität zwischen potentiellen Gegnern; Rüstungswettläufe und Proliferation sollen vermieden werden. Die dritte Gruppe betrachtet Gefahren für Menschen, Umwelt und Gesellschaft, die sich schon zu Friedenszeiten ergeben können.

Wenn man die möglichen militärischen Nanotechnik-Anwendungen unter diesen Kriterien untersucht, findet man, dass v.a. die allgemeineren – wie Computer, Software, Materialien – wenige Probleme aufwerfen, auch sind sie zivilen Nutzungen so nahe, dass Beschränkungen beim Militär illusorisch wären. Ganz wenige Anwendungen können positive Auswirkungen haben, v.a. chemische oder biologische Sensoren, die zur Warnung vor Anschlägen oder für die Überprüfung von Abkommen dienen können. Eine Reihe von Anwendungen würde aber große Gefahren mit sich bringen (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Besonders gefährliche militärische Nanotechik-Anwendungen mit den betroffenen Kriteriengruppen
Bereich

Mögliche Anwendung

Rüstungskontrolle /Kriegsvölkerrecht /Massenvernichtungs-waffen Militärische Stabilität /Wettrüsten/ Proliferation Mensch / Umwelt /Gesellschaft /Infrastruktur
Verteilte kleine Sensoren   X X
Metall-freieSchusswaffen   X X
Kleine Flugkörper   X X
Implantate und andere Körpermanipulation   X X
Autonome Kampf-systeme X X  
Kleinroboter X X X
Kleine Satelliten und Raketen X X  
Neue chemische / biologische Waffen X X X

Entsprechend kommt man zu Empfehlungen für vorbeugende Begrenzungen bei diesen acht Anwendungen. Sie sollten sich in die vorhandenen oder geplanten Abkommen einordnen (z.B. Kleinsatelliten in ein allgemeines Verbot von Weltraumwaffen). Damit nicht bei der Überprüfung tief im Innern militärischer Systeme nachgeschaut werden muss und weil sonst sehr schwierige Definitionsfragen entstünden, sollten die Begrenzungen nicht an der Verwendung von Nanotechnik festgemacht werden, sondern an bestimmten militärischen Systemen oder Missionen, die bei Inspektionen möglichst weitgehend von außen erkannt werden können. Die gegenwärtig dringendsten Forderungen sind: Einhaltung des Chemiewaffen-Übereinkommens, Stärkung des Biologische-Waffen-Übereinkommens durch ein Einhaltungs- und Überprüfungsprotokoll und ein Verbot bewaffneter unbemannter Kampfsysteme (die in Form von pilotenlosen Kampfflugzeugen, noch weitgehend ohne Nanotechnik, gerade entwickelt und erprobt werden).9

Überlegungen zum internationalen System

Mit Nanotechnik und den anderen kommenden Technologien stellen sich grundsätzliche Fragen, wie die internationale Gemeinschaft mit revolutionärer Technik umgehen soll. Das Herangehen der USA, gekennzeichnet durch Aussagen wie „… die Wahrscheinlichkeit von Krieg durch überwältigende technologische US-Überlegenheit verringern … es ist grundlegend wichtig, möglichen Gegnern technologisch so weit wie möglich voraus zu sein“10, übersieht die internationalen Wechselwirkungen und zukünftige Gefahren für sich selbst durch terroristischen Einsatz von Nanotechnik-basierten Waffen. Für Frieden und internationale Sicherheit wäre es besser, vorbeugende Verbote gefährlicher Nanotechnik-Anwendungen zu vereinbaren; dazu sollte die militärische Nutzung in den internationalen Dialog über verantwortliche Entwicklung und Anwendung von Nanotechnik einbezogen werden.

Auf längere Sicht stellt sich die Frage, ob das gegenwärtige internationale System in der Lage ist, die Gefahren durch Nanotechnik zu beherrschen. Bei politischem Willen könnten die jetzt vorgeschlagenen vorbeugenden Begrenzungen noch weitgehend durch herkömmliche Inspektionen überprüft werden. Da zukünftig aber nanotechnische Systeme immer kleiner werden, während sie immer breiter verfügbar sein werden und mit relativ billiger Technik erzeugt und modifiziert werden können, kann sich in zehn oder zwanzig Jahren ein Problem ergeben. Begrenzung und Kontrolle von Missbrauch können so intensive Überprüfung erfordern, wie sie im Innern von Staaten üblich und auch allgemein akzeptiert ist, mit weitgehenden Inspektionsrechten von Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden. Wären die erforderlichen Inspektionsrechte – jederzeit, an jedem Ort, mit Gerät, das bis hinunter auf die Molekülebene analysiert – noch verträglich mit der Geheimhaltung, wie sie Streitkräfte für den wirksamen Kampf brauchen? Wenn das nicht so wäre, gäbe es zwei Alternativen:

Entweder den ungebremsten Rüstungswettlauf, mit vielen Arten von Instabilität: Mikroroboter, die heimlich in gegnerische Systeme eindringen und dort jederzeit zuschlagen und die Systeme lahm legen könnten; Kleinsatelliten, die wichtige zivile und militärische Satelliten der Gegenseite innerhalb kurzer Zeit zerstören können; Attentate auf Politiker/innen mit kleinen, zielsuchenden Flugkörpern, die aus Handtaschen hervorgezogen werden; »molekulare Hacker«, die selbst erzeugte ansteckende Erreger in der realen Welt verbreiten, nicht nur Computerviren in elektronischen Netzen.

Oder die Menschheit lernt, die globale Sicherheit auf andere Weise als durch Drohung mit einzelstaatlichen Streitkräften zu organisieren. Dazu bräuchte es, ähnlich wie im Innern von Staaten, ein Gewaltmonopol bei den (demokratisierten) Vereinten Nationen und ein internationales Strafrecht mit dem Recht, auch im Innern von Staaten tätig zu werden. Die (meisten) Staaten müssten freiwillig auf Teile ihrer Souveränität verzichten. Dorthin ist es ein sehr langer und beschwerlicher Weg. Aber alle Schritte in diese Richtung sollten unterstützt werden.

Anmerkungen

1) Dieser Artikel ist eine gekürzte und leicht modifizierte Version eines Kapitels in R.J. Busch (Hg.), Ethische Perspektiven zur Nanobiotechnologie, München 2008. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Weiterführend: J. Altmann, Nanotechnology and Preventive Arms Control, Forschung DSF No. 3, Osnabrück: Deutsche Stiftung Friedensforschung, 2005 (http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/pdf-docs/berichtaltmann.pdf); J. Altmann, Military Nanotechnology: Potential Applications and Preventive Arms Control, Abingdon/New York: Routledge, 2006. Diese Forschung wurde 2001-2003 durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung gefördert.

2) Auf dieser allgemeinen Ebene wird von anderen Motive für eigene Streitkräfte abgesehen.

3) Andere Auswege sind die defensive Umstrukturierung der Streitkräfte und die Lösung der zu Grunde liegenden politischen Probleme.

4) K.E. Drexler, Engines of Creation, New York NY: Anchor/Doubleday, 1986/1990.

5) Übersichtsdarstellungen zu technischen und gesellschaftlichen Aspekten sind z.B. N. Boeing, Alles Nano?! Die Technik des 21. Jahrhunderts, Reinbek: Rowohlt, 2006; A. Nordmann, J. Schummer, A. Schwarz (Hg.), Nanotechnologien im Kontext – philosophische, ethische und gesellschaftliche Perspektiven, Berlin: Akademische Verlagsgesellschaft, 2006.

6) http://www.darpa.mil/dso/thrusts/bio/index.htm (23. Juli 2007, http://www.nrl.navy.mil/nanoscience/nanoelectronics.html (11. Jan. 2008), http://www.arl.army.mil/www/default.cfm?Action=29&Page=201 (11. Jan. 2008).

7) Siehe auch: M. Grüne u.a., Grundlagen und militärische Anwendungen der Nanotechnologie, Frankfurt (M.): Report, 2006.

8) G. Neuneck und C. Mölling, Methoden, Kriterien und Konzepte für Präventive Rüstungskontrolle, Wissenschaft und Frieden, Dossier Nr. 38, 2001; J. Altmann, Military Nanotechnology: Potential Applications and Preventive Arms Control, Abingdon/New York: Routledge, 2006: Kapitel. 5.

9) Die USA haben schon das unbemannte Aufklärungsflugzeug Predator mit einer Hellfire-Rakete ausgerüstet und damit ferngesteuert Ziele im Jemen, in Afghanistan und Pakistan angegriffen, dabei auch unbeteiligte Zivilpersonen getötet, siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Predator_(Drohne) (9. Jan. 2008).

10) National Security Goals for NBIC, Section E, in: M.C. Roco and W.S. Bainbridge (eds.), Converging Technologies for Improving Human Performance – Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science, Boston etc.: Kluwer, 2003.

Dr. habil. Jürgen Altmann, Experimentelle Physik III, Universität Dortmund, arbeitet seit 1985 an naturwissenschaftlichen Fragen der Abrüstung. Stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Physik und Abrüstung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Mitglied im Vorstand von FONAS.

Kernwaffen runderneuert:

Kernwaffen runderneuert:

Effektiver, treffgenauer, einsatzfähiger

von Giorgio Franceschini

Bis vor etwa einem Jahrzehnt herrschte noch Aufbruchstimmung in der nuklearen Rüstungskontrolle. Viele hatten gehofft, dass mit dem Ende des Kalten Krieges auch jene Waffen verschwinden würden, mit denen sich die Supermächte ein halbes Jahrhundert lang der Fähigkeit zur »Mutual Assured Destruction« (MAD, gegenseitig gesicherte Zerstörung) versichert hatten, sollte es je zu einem nuklearen Schlagabtausch kommen.

Dass es zu keinem atomaren Armageddon kam, ist weniger den ausgeklügelten Abschreckungsdoktrinen zu verdanken, an die inzwischen immer weniger Experten glauben, sondern dem puren Zufall oder »Glück«, wie die jüngere Geschichtsschreibung zeigt. Es schien sich deshalb bereits vor dem Ende des Kalten Krieges die Erkenntnis durchzusetzen, dass Nuklearwaffen unabhängig von ihren Besitzern und den spezifischen Nuklearwaffen-Doktrinen eine Bedrohung für die Menschheit darstellen und dass dementsprechend nach Wegen gesucht werden müsste, sie vollständig abzuschaffen.

Die großen geopolitischen Umwälzungen nach dem Fall der Berliner Mauer schienen dabei erstmals ein »window of opportunity« zu öffnen, innerhalb dessen die weltweite Eliminierung der Kernwaffen in Angriff genommen werden konnte. Die Herausforderung war immens, da die Hinterlassenschaft des Kalten Krieges aus über 60.000 atomaren Sprengköpfen bestand, die die acht »offiziellen« und »inoffiziellen« Kernwaffenstaaten im Laufe von vier Jahrzehnten aufgehäuft hatten. Ein Großteil dieser Waffen befand sich allerdings in den Händen der beiden Supermächte USA und Sowjetunion bzw. Russlands, auf die sich folgerichtig die Abrüstungsbemühungen zu Beginn der 1990er Jahre konzentrierten.

Die Anfänge dieses Unterfangens waren dabei durchaus viel versprechend:

Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung des START I-Vertrags (1991) gelang es, die vollkommen überdimensionierten Arsenale der Vereinigten Staaten und Russlands binnen eines Jahrzehnts um etwa zwei Drittel zu reduzieren.

Auf amerikanische Initiative hin begannen erstmals Verhandlungen zu einem umfassenden Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT), der 1996 schließlich zur Unterzeichnung freigegeben wurde.

Auf der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (NVV) wurde 1995 dessen unbefristete Verlängerung beschlossen. Dabei verpflichteten sich die Kernwaffenstaaten, die Mitglieder des Vertrags sind, nochmals explizit zur vollständigen nuklearen Abrüstung.

Im Laufe der 1990er Jahre wandelte sich somit die Vision einer kernwaffenfreien Welt von einer rhetorischen Leerformel des Kalten Krieges zu einer realistischen Perspektive für das 21. Jahrhundert. Bis George W. Bush jun. kam.

Nuklearpolitisches Rollback

Es hatte zwar schon vor seinem Amtsantritt das eine oder andere Störfeuer gegeben1, doch hatten sich bis dahin zumindest formell alle amerikanischen Präsidenten seit 1945 zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt. Insbesondere Bill Clinton, Bushs Vorgänger, hatte mit der Unterzeichnung des CTBT und der Annahme der Abrüstungsagenda der 13 »practical steps« Meilensteine auf dem Weg der nuklearen Abrüstung gesetzt. In den 13 Schritten, vereinbart auf der NVV-Überprüfungskonferenz des Jahres 2000, verpflichteten sich neben den USA auch die vier weiteren »offiziellen« Kernwaffenländer zur vollständigen Eliminierung ihrer Arsenale.

Dieser Initiative hat die Bush-Regierung seit 2001, mit Amtsantritt, den Wind aus den Segeln genommen und damit auch den anderen Nuklearwaffenstaaten einen Vorwand geboten, ihre Abrüstungsverpflichtungen schnell wieder zu vergessen. Seitdem läuft das nukleare Rollback. Die Kernwaffenländer verkündeten in den letzten Jahren wieder öffentlich und ungeniert ihre Modernisierungspläne und machten sich schnell die amerikanische Rhetorik zu Eigen, seit dem 11. September 2001 sei eine neue geopolitische Realität entstanden, die alle vorhergehenden Verpflichtungen (insbesondere die der nuklearen Abrüstung) obsolet mache.

Die Zukunft sei zu ungewiss, als dass das Vereinigte Königreich jetzt auf Kernwaffen verzichten könnte. Mit dieser Argumentation verteidigte der scheidende britische Premier Tony Blair vor einem Jahr in einer seiner letzten Amtshandlungen die Entscheidung seiner Regierung, sich neue Trident-U-Boote für die heimische Nuklearflotte anzuschaffen. Worin diese spezifische Bedrohung bestehen soll, wurde zwar im entsprechenden »White Paper«2 nicht ausgeführt; dafür fand sich die Feststellung, die anderen Nuklearwaffenländer würden schließlich auch nicht abrüsten.

In diesem Klima der generalisierten Verantwortungslosigkeit verweisen die »kleinen« Atommächte auf die großen und letztere auf den internationalen Terrorismus, die so genannten Schurkenstaaten und die immer unübersichtlichere internationale Landschaft, um sich ihrer Abrüstungsverpflichtungen zu entledigen. In diesem Versteckspiel bleibt die meiste Kritik an den USA hängen, die aufgrund ihrer Machtfülle und ihrer militärischen Überlegenheit unweigerlich den Ton in der Rüstungskontrolle angeben. Washingtons Abwendung von bereits beschlossenen Abrüstungsplänen ist mithin besonders fatal.

Die Antwort ließ auch nicht lange auf sich warten. Aus Moskau meldete sich vor kurzem Präsident Vladimir Putin und verkündete seinem russischen Fernsehvolk „grandiose Atomrüstungspläne“, welche die gesamte Trägersystem-Triade des russischen strategischen Arsenals umfassen sollen, also Bomber sowie land- und U-Boot-gestützte Langstreckenraketen. Dieses Modernisierungsprogramm sei vor allem eine Antwort auf Washingtons fortwährende „Provokationen“ und habe nebenbei noch den Zweck, Russlands Großmachtambitionen für das 21. Jahrhundert zu unterstreichen.

Auch Frankreichs scheidender Präsident Chirac zeigte in seinen letzten Amtsjahren immer weniger Zurückhaltung, auf die Schlagkraft seiner »force de frappe« hinzuweisen, die Paris' Ansprüche einer Ordnungsmacht auch im 21. Jahrhundert absichern soll, und ließ es sich dabei nicht nehmen, dem Iran mit einem verheerenden Atomschlag zu drohen, sollte sich Teheran anmaßen, sich in den Club der Kernwaffenbesitzer einzureihen.

Umstrukturierung und Modernisierung der Arsenale

Der Trend ist heute in allen Nuklearwaffenländern derselbe. Die Zeit der Zurückhaltung – der faktischen wie der verbalen – ist vorbei; die Nuklearwaffenkomplexe (Forschung, Entwicklung, Produktion und Wartung) werden umstrukturiert und modernisiert und verschlingen wieder beachtliche Teile der Verteidigungsbudgets. Die Friedensdividende, die man mit dem Ende des Kalten Krieges verband, scheint somit auch schon wieder verbraucht.

Die Modernisierungsbestrebungen umfassen das gesamte Spektrum atomarer Waffen: Unterseeboote und deren Trägersysteme (Submarine Launched Ballistic Missiles, SLBM), landgestützte Interkontinentalraketen (Intercontinental Ballistic Missiles, ICBM), Marschflugkörper (cruise missiles) und strategische Bomber. Zusätzlich arbeiten wahrscheinlich alle Kernwaffenstaaten an neuen Sprengköpfen: Die USA, Frankreich und Russland tun dies offen, die restlichen Kernwaffenbesitzer heimlich. Die Motive hinter diesen Sprengkopfentwicklungen sind nicht immer einfach nachzuvollziehen, auch weil sie unter der Auflage erfolgen, dass die neuen Designs nicht getestet werden sollen und sich somit nicht zu stark von bereits existierender Hardware unterscheiden können.3

Warum also werden neue Sprengköpfe entwickelt? Ein Blick in die USA ist hier lohnenswert, wo seit zwei Jahren die Debatte um die so genannten »Reliable Replacement Warheads« (RRW) die Gemüter erregt. Die Befürworter dieser neuen Sprengköpfe verweisen auf (angebliche) technisch-ökonomische Vorteile eines Neustarts in der Nuklearwaffenentwicklung und halten den Ansatz der »Life Extension Programs« (LEP, Wartungsprogramme) für nicht nachhaltig. Letzterer sieht vor, die Erbmasse des Kalten Krieges (Sprengköpfe, aber auch Produktionsstätten und Wartungszentren) durch »lebensverlängernde Maßnahmen« solange wie möglich zu erhalten. Dieser konservative Ansatz scheint sich bewährt zu haben, wie inzwischen zahlreiche unabhängige Gutachten zeigen.

Dennoch sind die neuen Sprengköpfe damit noch nicht aus der Welt, da es in den Kernwaffenstaaten nach wie vor einflussreiche Lobbygruppen gibt, die versuchen, »replacement warheads« über immer neue Argumente im Gespräch zu halten. Die stärksten Befürworter dieser neuen Sprengköpfe kommen aus dem Umkreis der Waffenschmieden, der berüchtigten »weapon labs«. Diese riskieren schließlich im Kontext des Testmoratoriums und der konservativen Wartungsprogramme langfristig ihre Existenzberechtigung, denn der Teststopp erlaubt es ihnen nicht mehr, fundamentale Neuentwicklungen in Angriff zu nehmen4, und die »Life-Extension«-Programme sind intellektuell so anspruchslos, dass sie großteils vom Wartungspersonal in den Produktionsstätten übernommen werden können.

Da nützt den Waffenforschern auch ihr vollkommen überdimensioniertes Forschungsprogramm wenig, das ihnen als »Entschädigung« für den Teststopp zugesprochen wurde. Das kostspielige »Stockpile Stewardship Program« (US-Forschungsprogramm, Jahresbudget 2007: über 6 Milliarden $), aber auch seine britischen und französischen Pendants, werden es wohl kaum schaffen, »die besten Köpfe« aus Physik und Ingenieurswissenschaften langfristig an die »weapon labs« zu binden, wenn deren Aufgaben nicht klar umrissen sind. Junge und ehrgeizige Wissenschaftler werden nämlich wenig Freude daran haben, in überteuerten Versuchsanlagen und auf Supercomputern immer nur bereits existierende Nuklearwaffen zu simulieren, ohne jemals selbst ihre eigene Kreativität (z.B. im Zuge einer Neuentwicklung) entfalten zu können. In diesem Lichte erscheint das Trommelfeuer der Nuklearwaffenforscher für neue Sprengköpfe in einem vollkommen anderen Licht: Es geht darum, die Abwanderung von Spitzenkräften aus den »weapon labs« zu bremsen und dem »brain drain« Einhalt zu gebieten. Das russische Beispiel der 1990er Jahre hat nämlich gezeigt, wie schnell diese Erosion vonstatten gehen kann und wie schwierig es ist, sich danach wieder zu stabilisieren.

Momentan werden in den USA (aber auch in Großbritannien, Frankreich, Russland und möglicherweise in China) die traditionellen und die neuen Programme parallel gefahren, d.h. die alten und bereits getesteten Sprengköpfe der 1980er Jahre werden generalüberholt, während gleichzeitig an neuen Sprengköpfen geforscht wird, welche langfristig dann das Erbe des Kalten Krieges antreten sollen. Dieser Übergang von »alten« zu »neuen« Sprengköpfen variiert dabei von Land zu Land. Frankreich hat schon längst beschlossen, in den nächsten Jahren neue Sprengköpfe (Têtes Nucléaires Océaniques, TNO) auf seine Trägersysteme zu montieren, in deren Entwicklung u.a. die Daten der umstrittenen Tests auf den Mururoa-Inseln 1996 einflossen. Demgegenüber hält sich London noch bedeckt, ob die neue Trident-Flotte mit »High Surety Warheads« (der unbestätigte Name der britischen Ersatzsprengköpfe) oder mit dem bereits vorhandenen Sprengkopfdesign ausgestattet werden sollen.

In den USA schließlich scheinen erstmals drei Szenarien möglich. Erstens könnte die RRWs dasselbe Schicksal ereilen wie ihre Vorgänger, die »Mini Nukes« (Mini-Atomwaffen) und den »Bunker Buster« (bunkerbrechende Bombe mit nuklearem Sprengkopf), d.h. sie könnten nicht über das Stadium einiger Vorfeldstudien hinauskommen, wenn weiterhin so viele Unzulänglichkeiten zutage treten, wie sie von unabhängigen Gutachtern bereits moniert wurden.5 Ein zweites Szenario wäre eine partielle »Stockpile«-Transformation, d.h. von den neun Sprengkopfdesigns, die sich momentan in Washingtons Nukleararsenal befinden, würden einige mit RRWs ersetzt und andere über LEP konserviert. Dieser Ansatz würde es auch ermöglichen, einen Leistungsvergleich zwischen LEP- und RRW-Programmen für die Weiterentwicklung des USArsenals durchzuführen. In einem dritten Szenario hingegen kommt es zu einer vollständigen Transformation des Nuklearwaffenkomplexes (Complex 2030), an deren Ende ein Arsenal aus ausschließlich neuen Sprengkopfdesigns steht.6 Diese Aussicht lässt viele Beobachter um die Zukunft des Teststoppabkommens bangen, da es schwer vorstellbar ist, dass das »Strategic Command« der USA, dem die strategischen Kernwaffen anvertraut sind, seine Abschreckung auf Waffensysteme basieren wird, die niemals getestet wurden. Der Druck der Militärs, insbesondere bei einer geopolitischen Bedrohung, das Testmoratorium zu kippen und die Ersatzsprengköpfe zu testen, wäre für politische Entscheidungsträger in dieser Situation schwer auszuhalten.

Doch ein einziger Test würde wahrscheinlich genügen, um den letzten Bremsklotz in der vertikalen Proliferation7 aus dem Weg zu räumen und das letzte bisschen Zurückhaltung in der Kernwaffenmodernisierung zu beenden. Es ist nämlich ein offenes Geheimnis, dass Russland und China, und sicherlich auch Indien und Pakistan, höchstwahrscheinlich ihre Aktivitäten auf den jeweiligen Testgeländen wieder aufnehmen würden, sollte ihnen Washington die entsprechende Steilvorlage bieten. Ganz aufgegeben haben sie ihre Testaktivitäten nie, wie zahlreiche subkritische Tests nach Unterzeichnung des CTBT beweisen.8

Funktionswandel der Kernwaffen

Bei all der Kritik an den gegenwärtigen Modernisierungsprogrammen sollte man vorsichtig sein, sie mit den Rüstungswettläufen des Kalten Krieges gleichzusetzen. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten nuklearen Ära lässt sich nämlich sowohl quantitativ als auch qualitativ bestimmen. Während im Kalten Krieg, der ersten nuklearen Ära, Nuklearwaffen in erster Linie die Funktion der Abschreckung besaßen und als solche in hinreichend großen Mengen produziert wurden, um zu jeder Zeit »Zweitschlagsfähigkeit« zu garantieren, scheinen sie im 21. Jahrhundert, in der zweiten nuklearen Ära, eine vollkommen neue Funktion zu erhalten, die noch schwer greifbar ist.

Die neuen amerikanischen, französischen und russischen Doktrinen mögen insofern einen Vorgeschmack auf diesen Trend geben, als sie heute – anstelle der Abschreckung vor nuklearer Aggression – andere Einssatzszenarien in den Vordergrund stellen, den ungünstigen Kriegsverlauf auf dem Schlachtfeld etwa oder die »Sicherung der strategischen Versorgung« – also von Öl und Rohstoffen – oder eben die Abschreckung auch beschränkter konventioneller Bedrohungen. Allen Doktrinen gemeinsam ist die Herabsetzung der Schwelle eines Kernwaffeneinsatzes, obwohl dies von den jeweiligen Regierungen wenig überzeugend abgestritten wird. Somit ist die zweite nukleare Ära weniger von einem quantitativen Wettrüsten als von einer qualitativen Transformation der Nuklearwaffenarsenale bestimmt, wo im Ansatz bereits die neue Rolle der Kernwaffen im 21. Jahrhundert zum Ausdruck kommt. Diese sollen – auch im Hinblick auf die relativ spannungsfreie Koexistenz der Atomwaffenbesitzer – neuen Aufgaben zugeführt werden, die in den entsprechenden Doktrinen bereits angedeutet sind.

Um aber Nuklearwaffen für den konkreten Einsatz zu optimieren, sollten diese über Eigenschaften verfügen, die reine Abschreckungspotenziale nicht unbedingt aufweisen müssen: Sie sollten treffgenauer, zuverlässiger und flexibler sein. Diese Eigenschaften mussten reine Abschreckungswaffen nur zu einem gewissen Grad erfüllen, da sie eher eine politische als eine militärische Funktion zu erfüllen hatten: Sie mussten lediglich in hinreichender Zahl so über das Territorium (und die Ozeane) verteilt sein, dass sie nicht alle in einem atomaren Erstschlag vernichtet werden konnten.

Wie treffgenau, zuverlässig und flexibel sie waren, spielte bei dieser defensiven Aufstellung kaum eine Rolle. Es war für einen potentiellen Angreifer irrelevant, ob 70 oder 90 Prozent der Sprengköpfe des Gegners beim erwarteten Gegenschlag detonieren würden. Die schiere Zweitschlagsfähigkeit des Gegners mit eventuell Hunderten von Sprengköpfen sollte jegliche Angriffslust im Keim ersticken, unabhängig von der jeweiligen Zuverlässigkeit der atomaren Bestände.

Anders gestaltet sich eine offensivere Ausrichtung der Bestände. Hier werden Sprengköpfe einzelnen militärischen Zielen zugeordnet, die sie im Falle einer Konfrontation ausschalten und dementsprechend möglichst genau mit dem erwünschten Detonationswert treffen müssen. Daraus lassen sich die Optimierungsparameter der neuen »einsatzfähigeren« Kernwaffen ableiten: höhere Zuverlässigkeit, höhere Treffgenauigkeit und höhere Flexibilität. Diese Anforderungen bringen unweigerlich die Atomraketen ins Spiel, welche insbesondere bei der Zuverlässigkeit und Treffgenauigkeit noch reichlich Optimierungspotential haben.9 Dementsprechend konzentrieren sich in allen Kernwaffenländern die Modernisierungsprogramme neben den Sprengköpfen besonders auch auf die zugehörigen Trägersysteme, die nebenbei auch noch die zurzeit entstehenden Raketenabwehrsysteme überwinden sollen.

Ein Blick nach Moskau und Paris verdeutlicht diesen Trend. Das französische Raketenprogramm verschlingt seit einigen Jahren über die Hälfte des jährlichen Budgets der »force de frappe« (Jahresbudget 2006: 3 Milliarden Euro). Ab 2015 werden die vier strategischen U-Boote der Grande Nation mit jeweils 16 neuen Interkontinentalraketen des Typs M51 ausgestattet, an deren Spitze bis zu sechs neue Mehrfachsprengköpfe des Typs TNO montiert werden können. Die M51 soll wesentlich treffgenauer und zuverlässiger sein als das Vorgängermodell, die M45, und erlaubt in Kombination mit den neuen Sprengköpfen eine höhere Variabilität bei den Detonationswerten. So sollen für jeden Sprengkopf Werte bis zu 150 kt einstellbar sein, womit indirekt das potentielle Aufgabenspektrum dramatisch vergrößert wird.10

Das russische Pendant der M51 ist die »Bulava«, eine Neuentwicklung im Bereich der SLBM, die auf eine neue Generation strategischer U-Boote der sog. »Borej«-Klasse zum Einsatz kommen soll. Sie wird zu Wasser die ebenfalls neuen Interkontinentalraketen des Typs »Topol-M« ergänzen, welche zu Land die alten sowjetischen ICBM, die SS-18, SS-19 und SS-25, ersetzen sollen. Mit der Bereitstellung neuer strategischer Bomber (sog. »Blackjacks«) wird damit in einigen Jahren die gesamte russische Triade aus land-, see- und luftgestützten Systemen erneuert sein.

Dieser Modernisierungsschub sollte allerdings nicht davon ablenken, dass sich Moskaus Nukleararsenal in den kommenden Jahren wesentlich verkleinern wird, da die neuen Raketen vorerst nur in geringer Stückzahl stationiert werden und gleichzeitig große Bestände aus Zeiten des Kalten Krieges aus Altersgründen sukzessive abgebaut werden müssen. So werden in den nächsten Jahren über 250 SS-25, die als das Rückgrat des sowjetischen landgestützten Arsenals galten, ihren Einsatz beenden, gefolgt von weiteren Altlasten, den SS-18 und SS-19. Die Indienststellung neuer »Topol-M« kann diesen vorläufigen Rückgang stationierter ICBM dabei kaum aufhalten. Dasselbe gilt für Moskaus seegestützte Nuklearkapazität. Die U-Boot-Flotte wird vorerst verkleinert, indem man auf weniger, dafür aber schwerer aufzuspürende und besser bewaffnete U-Boote setzt. Auch hier wird die Zahl der SLBM erstmals drastisch sinken, auch weil die ersten Flugtests der neuen »Bulava« nicht die gewünschten Erfolge gebracht haben.

Dennoch kommen Moskau diese Unzulänglichkeiten nicht ganz ungelegen, da Russland noch bis 2012 einiger Restriktionen in der Anzahl der Raketen und der darauf stationierten Sprengköpfe unterliegt. Mit dem Auslaufen des START I-Vertrags im Jahre 2009 und des SORT-Vertrages11 drei Jahre danach entfallen aber für die russischen Nuklearstrategen sämtliche Auflagen, auf die man sich in den Abrüstungsverhandlungen seit Anfang der 1990er Jahre mit den USA geeinigt hatte. Dann wird sich das russische Arsenal wohl auf eine Größe einpendeln, die den Strategen im Kreml »strategische Parität« mit den Amerikanern garantiert. Man kann davon ausgehen, dass dieses rundum erneuerte Arsenal einige tausend Sprengköpfe umfassen, sich aber nicht mehr den exorbitanten Zahlen aus dem Kalten Krieg nähern wird (ca. 70.000 Sprengköpfe im Jahr 1986, zuletzt etwa 25.000).

Ähnliches könnte für Frankreich und Großbritannien gelten, die eine Gesamtzahl von einigen hundert Sprengköpfen anstreben, welche leicht unterhalb ihrer Arsenalgröße der letzten Jahrzehnte liegen sollte. Auch China (geschätzte Arsenalgröße: etwa 200 Sprengköpfe) scheint sich momentan eher um eine qualitative Optimierung seiner Nuklearflotte zu bemühen als diese quantitativ auszubauen. Dabei folgt Peking den Beispielen Londons und Paris' und ist im Begriff, einen Teil seiner strategischen Sprengköpfe auf neueste U-Boote der so genannten »Jin«-Klasse auszulagern. Einzig Indien und Pakistan setzen vorerst noch auf quantitatives Wachstum, bis ihre Sprengkopfanzahl ihren Vorstellungen einer »Minimalabschreckung« entspricht. Dieses Ziel könnte New Delhi mit indirekter Hilfe Washingtons in den nächsten Jahren erreichen, wenn der umstrittene Nukleardeal, den Bush und Singh im Jahre 2006 ausgehandelt hatten, zum Tragen kommt.

Fazit

Abschließend bleibt festzuhalten, dass seit etwa einem Jahrzehnt die Nuklearwaffenländer der Mut verlassen hat, den Weg in Richtung Kernwaffeneliminierung weiterzugehen, den sie nach dem Kalten Krieg zaghaft angetreten hatten. Wesentliche Verantwortung für diesen Stimmungswechsel tragen jene neokonservativen Berater der amerikanischen Regierung, denen es gelungen ist, Washington von den Prinzipien kooperativer Rüstungskontrolle abzubringen und in dessen Folge zentrale Pfeiler der globalen Sicherheitsarchitektur geschleift wurden (der Raketenabwehrvertrag, die START II- und START III-Verträge) und wesentliche Meilensteine auf der Abrüstungsagenda verschleppt wurden (beispielsweise das Umfassende Teststoppabkommen oder ein Vertrag über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterialien). Vor diesem Hintergrund »partieller Anarchie« haben sich die weiteren Kernwaffenbesitzer berechtigt gesehen, ihrerseits eine zweite nukleare Ära einzuläuten, die für die Zukunft der nuklearen Nichtverbreitung nichts Gutes bedeutet.

Anmerkungen

1) Der bedeutendste Rückschlag war sicherlich die Weigerung des US-Senats im Jahre 1999, den CTBT zu ratifizieren, den der damalige US-Präsident Bill Clinton drei Jahre zuvor feierlich unterzeichnet hatte.

2) »The Future of the United Kingdom's Nuclear Deterrent«, White Paper Presented to Parliament by the Secretary of State for Defense and the Secretary of State of Foreign and Commonwealth Affairs By Command of Her Majesty, Dezember 2006.

3) Der CTBT ist zwar nicht in Kraft, dennoch halten sich momentan alle Kernwaffenbesitzer an ein Testmoratorium. Aber ohne Tests können keine fundamentalen Neuentwicklungen in Angriff genommen werden.

4) Die RRWs sind demnach auch keine vollkommen neuen Sprengköpfe, sondern basieren auf bereits getesteten Designs, die mithilfe neuer technischer Merkmale besonders sicher, zuverlässig und »umweltverträglich« sein sollen – ohne dass sie jemals im Ensemble mit den neuen Features getestet wurden.

5) Siehe vor allem die neuesten JASON-Studien zum Thema der Sprengkopfalterung und der Zertifizierung von RRWs.

6) Vgl. Jacqueline Cabasso (2007): Complex 2030: US-Atomwaffen für das 21. Jahrhundert. Wissenschaft und Frieden, 25 (1), S.43-47.

7) Als »vertikale Proliferation« wird die qualitative Verbesserung des Arsenals bezeichnet, als »horizontale« die Verbreitung in neue Länder.

8) Subkritische Tests werden ohne kritische Menge an Spaltmaterialien durchgeführt, so dass auch keine sich selbst erhaltende Kettenreaktion entsteht. Sie sind nicht explizit verboten, führen aber immer wieder zu Irritationen und Missverständnissen.

9) Unabhängige Gutachter schätzen die Zuverlässigkeit der amerikanischen Sprengköpfe auf 98%, aber die ihrer Trägersysteme auf nur circa 85%. Siehe z.B. Robert Nelson (2006): If It Ain't Broke: The Already Reliable U.S. Nuclear Arsenal. Arms Control Today, 36 (3), S.18-24.

10) Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte einen Detonationswert von 13 kt.

11) Der »Strategic Offensive Reduction Treaty« (SORT) von 2002 definiert Obergrenzen für stationierte russische und amerikanische Sprengköpfe, enthält jedoch keinerlei Überprüfungsmaßnahmen. Der Vertrag läuft 2012 aus und wird nicht verlängert.

Giorgio Franceschini beschäftigt sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) mit nuklearer Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Information Warfare an der Grenze?

Information Warfare an der Grenze?

von Ingo Ruhmann

Wenn sich der Pulverdampf gelegt hat ist es Zeit für die Analyse, zugleich aber auch für die Verklärung von Erfolg und Misserfolg. Oft genug ist zwischen beiden nur schwer eine Trennlinie zu erkennen. Seit die Medienwirkung von Konflikten sich von der psychologischen Kriegführung abgesetzt hat und – runderneuert unter der für viele neue und technikgestützte Operationen genutzten Sammelbezeichnung »Information Warfare« – ihren Weg in militärische Operationshandbücher gefunden hat, gehört auch die mediale Nachbereitung von Kriegen in die Kategorie der Aufräumoperationen.
Während sich die Öffentlichkeit wieder weitgehend anderen Themen zugewandt hat, mühen sich die Militärexperten zu erklären, aus welchen Gründen der Kosovo-Krieg zwar durch einen Luftkrieg entschieden wurde, dieser zugleich aber die Grenzen überlegener Luftstreitkräfte mehr als deutlich vor Augen führte. Im Folgenden wird untersucht, welchen Stellenwert die zur Begründung für neue Rüstungsanstrengungen gern angeführte technologische, heute also meist informationstechnische Überlegenheit in diesem Konflikt hatte. Dabei geht es um Information Warfare zunächst in einem generellen Sinne, wobei militärischen Planungsszenarien der Kosovo-Krieg in seinem Ablauf gegenüber gestellt wird. Daran schließt sich eine Betrachtung der Einsätze von High Tech-Waffen an. Ebenso wird aber auch versucht, nach den Elementen von Information Warfare im engeren Sinne im Kosovo-Krieg zu fahnden, also nach dem Einsatz von Informationstechnik zur Erreichung militärischer Dominanz. Zentral ist bei dieser Betrachtung die Technik als Ausgangspunkt, politische und ethische Betrachtungsebenen stehen dahinter zurück.

Bevor der Versuch unternommen werden kann, die Rolle von High Tech und Information Warfare im Kosovo-Krieg zu beleuchten, sollte zur Vermeidung von Missverständnissen in Erinnerung gerufen werden, wie sich NATO-, vor allem aber US-Militärs den Ablauf eines solchen Konflikts unter Information Warfare-Prinzipien vorstellen:1 Begonnen würde mit einer massiven Aufstockung der Aufklärungskapazitäten für die operative Planung und um die Einheiten zur elektronischen Kampfführung operativ und technisch auf den erforderlichen Stand zu bringen. Folgen würde darauf die Einwirkung auf das Bild des Gegners von sich selbst, in den Medien allgemein und durch technisch abgestützte psychologische Kriegführung in Form von Eingriffen in Computernetze und Datenbanken. Die ersten konventionellen Kampfhandlungen bestünden aus der umfassenden Zerstörung der gegnerischen Luftabwehr, der sich dann eine Zerstörung strategischer und schließlich taktischer Ziele anschlösse. Reorganisationsversuche des Gegners wären durch das dauerhafte Niederhalten der Kommunikationsinfrastruktur im Ansatz zu verhindern. Am Ende derartiger Szenarien steht ein völlig desorganisierter Gegner, der aufgibt.

Analysiert man den Kosovo-Krieg entsprechend solcher Planungs-Blaupausen, so lässt sich leicht erkennen, dass der Ablauf der alliierten Kampfhandlungen diesen Vorgaben in einigem Umfang folgte. Nach dem Einlenken Milosevics ist aber – trotz oder gerade wegen teilweise deutlicher Kritik aus den Reihen der Militärs während des Kriegsverlaufs – die Bereitschaft der Akteure stark gesunken, sich mit dem Einsatz von Information Warfare-Elementen auseinanderzusetzen.

Doch auch ohne offizielle Analysen lassen sich mehrere auffallende Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit festhalten:

  • Zu keinem Zeitpunkt des Konflikts gelang es alliierten Luftstreitkräften, die jugoslawische Luftabwehr außer Gefecht zu setzen und damit die Vorbedingung für weitere auf Luftüberlegenheit beruhende Operationen zu erfüllen. Statt dessen wurden allein die B 1-Bomber im gesamten Verlauf der Kampfhandlungen mit über 30 Raketen beschossen.2 Ob die Entscheidung bewusst getroffen wurde, das integrierte Luftverteidigungssystem Jugoslawiens nicht zu zerstören3 oder ob die NATO mit den eingesetzten Mitteln dazu nicht in der Lage war, ist nicht auszumachen.
  • Die Unterdrückung der verbliebenen Luftabwehr wurde u.a. dadurch behindert, dass es an Electronic Warfare-Spezialisten mangelte4, die durch Restrukturierungen im Zuge der Entwicklung von Information Warfare in zentralen Einheiten zusammengelegt worden waren. Die Anpassung von Electronic Warfare-Systemen an neue Frequenzen dauerte deutlich länger als vor einigen Jahren.5 Eine Reihe spezialisierter Flugzeuge wurde zu Aufgaben genutzt, die nicht der Ausrüstung entsprachen: Flugzeuge zur Koordinierung von Bodentruppen und zur Luftraumüberwachung wurden zur Koordination der Luftoperationen eingesetzt.6 Da die Luftraumüberwachung auch durch die NATO-AWACS geleistet wurde, ist dies – trotz der höheren Anforderungen im dicht belegten Luftraum über der Adria – ein Indiz für Defizite bei der militärischen Luftraumüberwachung und der Koordination der Operationen. Auch dies ein eklatanter Widerspruch zu den Anforderungen von Information Warfare-Szenarien.
  • Die Zerstörungen am jugoslawischen Kommunikationsnetz erwiesen sich als nicht ausreichend, um die jugoslawische Kommando- und Kontrollstruktur aufzubrechen, was wiederum den Zielen eines Information Warfare widerspricht. Zwar lässt sich darüber streiten, ob die auf jugoslawischer Seite zur Vertreibung der KosovarInnen eingesetzten paramilitärischen Einheiten überhaupt in eine Kommandostruktur eingebunden waren, doch ist die halbwegs koordinierte Operationsfähigkeit der regulären jugoslawischen Verbände nicht mit den Zielen eines Information Warfare in Einklang zu bringen.
  • Selbst bei der in der Luftkriegführung nicht gerade neu erfundenen Zerstörung strategischer Ziele wurde durch mangelnde Aufklärung und vor allem durch die Erfordernis, außerhalb der Reichweite der Luftabwehr zu operieren, das Ziel einer »unblutigen« Kriegführung verfehlt. Statt dessen wurden Brücken beschossen, die gerade von Zügen und Bussen passiert wurden. Die Opfer derartiger Attacken führten unter dem Blickwinkel des Information Warfare zu einem Mediendebakel für die Alliierten, das noch durch den Beschuss von Botschaften und Krankenhäusern verstärkt wurde.
  • Die Überprüfung der alliierten Erfolgsmeldungen erwies sich für die NATO als wenig schmeichelhaft. Statt Panzern wurden von der »intelligenten« Munition oftmals Panzerattrappen getroffen, in denen Öfen eine Infrarotsignatur erzeugten. Das Problem aus der Sicht von Information Warfare ist dabei nicht die Treffgenauigkeit der Waffen, sondern das offensichtliche Defizit bei der Zielaufklärung.

Zusammengefasst bedeutet dies: Luftabwehr und Kommandonetz der jugoslawischen Armee blieben operationsfähig, die Unterdrückung der Luftabwehr durch Electronic Warfare erwies sich als so schwierig, dass sich Operationen in niedriger Höhe verboten. Die Folge war eine verminderte Treffergenauigkeit, die wiederum mediale Misserfolge produzierte. Im Vergleich zu allen Elementen der Information Warfare-Doktrin lassen sich also gravierende Defizite ausmachen.

Bei diesen Ergebnissen verwundert nicht, dass gerade Militärexperten Belgrad zum Sieger der ersten Kriegsphase erklärten.7 Nach zwei Monaten Krieg wurden zunächst Gründe für die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit gesucht.8 Angeführt wurde, dass die gut ausgebildete jugoslawische Armee den optimalen Nutzen aus ihren Fähigkeiten gezogen hatte. Am Ende waren dann US-Militärs mit dem Vorwurf schnell bei der Hand, dies sei „coalition warfare at its worst“9 gewesen, nur sei der Kosovo-Krieg als Fehler nicht groß genug gewesen, um daraus zu lernen. Diese auf die NATO-Alliierten gemünzten Schuldzuweisungen können kaum kaschieren, dass die Hauptprobleme keineswegs in der mangelnden Ausrüstung der europäischen Verbündeten lagen, sondern darin, dass das zentrale Konzept des informationstechnisch gestützten Krieges diesmal nicht so recht aufging. Zeigen lässt sich dies im Kleinen wie im Großen, also bei der gern bestaunten Waffenwirkung sogenannter Präzisionswaffen ebenso wie bei der eingehenden Betrachtung von Kernpunkten der Information Warfare-Operationen. Fraglich bleibt nur, ob hier die begrenzten Einsatzmöglichkeiten von Information Warfare sichtbar wurden, oder ob die Kampfhandlungen unter weitgehendem Verzicht auf Information Warfare-Elemente durchgeführt wurden.

Glaubenssätze: Präzision
und High Tech

Von Beginn an wurde der Kosovo-Krieg unter der zentralen Prämisse geführt, Bombardements mit Präzisionswaffen könnten einen militärischen Erfolg herbeiführen. Abgewichen wurde davon nicht als den Kommentatoren dämmerte, dass Kriege weder gewonnen werden wenn eine Seite den Ablauf ihrer Operationen ankündigt, noch dadurch dass die Technik Wunderdinge vollbringt; abgewichen davon wurde auch dann nicht als klar wurde, dass militärische Operationen gegen die Zivilbevölkerung nicht durch Luftschläge zu unterbinden sind.

Abgesehen von allen anderen Zumutungen erweist sich immer wieder der Glaube an die Möglichkeiten von mehr oder minder »intelligenten« Präzisionswaffen als Motor unverwüstlicher Erwartungen an »unblutige« und schnelle militärische Erfolge. Und ebenso wie Militärs nicht müde werden, die technischen Vorzüge ihrer Waffen zu preisen, so findet sich am anderen Ende des Spektrums derselbe Glauben an die Leistungsfähigkeit dieser Waffensysteme.

Vergessen wird dabei leider, dass der Terminus »Präzisionsbombardement« schon im Zweiten Weltkrieg regelmäßig zur Verharmlosung massiver Luftangriffe genutzt wurde. Präzise waren zu jener Zeit allenfalls Schläge wie das alliierte Bombardement der Gestapo-Zentrale in Kopenhagen. Steuerung per Video, GPS-Navigationssets und Lenkung der Bomben per Laserstrahl haben heute die Gefahr für die Piloten vermindert, aber die Wirkung und Genauigkeit von Bomben keineswegs ins Grenzenlose gesteigert oder die Gesetze der Physik aufgehoben.

Zum Glauben an die technischen Möglichkeiten und dessen Erzeugung gehört auch, alte Technik als neue Errungenschaft zu verkaufen. Im Vietnamkrieg wurden z.B. erstmals lasergesteuerte Bomben und videogelenkte Raketen eingesetzt; im Golfkrieg wurden sie zum Medienereignis. Auch im Kosovo-Krieg blieb unhinterfragt, was mittlerweile 30 Jahre alte Technik zum Ausweis von High Tech-Kriegen macht.

Die Suche nach technologischen Neuerungen im Kosovo-Krieg bleibt dagegen weitgehend ergebnislos. Auch die zum Kurzschluss des jugoslawischen Elektrizitätsnetzes genutzten Graphitfäden aus den Forschungslabors für nicht-lethale Waffensysteme wurden bereits im Golfkrieg eingesetzt. Von dort stammt auch die Erfahrung, dass zu kurze Fäden nicht mehr zu entfernen sind und zu unkontrollierbaren Zerstörungen der elektrischen Anlagen führen.10 Deshalb wurden diesmal längere Fäden eingesetzt, das war das Neue. Über den Einsatz nichtnuklearer EMP-Waffen wurde allenfalls spekuliert.11 So ging die Demonstration von High Tech-Waffen nicht über bekannte Technik hinaus.

Statt einer Analyse mutierten Waffentypen zum Gegenstand einer Auseinandersetzung vor allem um moralische Legitimation. Der Einsatz von Splitterbomben durch alliierte Bomber wurde zum Synonym moralischer Verwerflichkeit. Dem wurde entgegengehalten, Präzisionswaffen würden in solchem Umfang eingesetzt, dass die Arsenale fast leer seien. Die damit beabsichtigte Implikation einer präzisen Kriegführung ohne unschuldige Opfer wiederum wurde mit jedem Angriff auf Busse und Botschaften konterkariert. Doch blieb die technische Art und Weise der Kriegführung täglich neuer Anlass der Debatte. Damit argumentierten beide Seiten zwar auf derselben irrealen Ebene eines technisch vorgeblich möglichen unblutigen Krieges. Mit dieser Debatte waren die eigentlich wichtigen Fragen nach Ursachen und Zielen des Krieges, den eingesetzten Mitteln und den Perspektiven jenseits militärischer Operationen erfolgreich in den Hintergrund gedrängt – zumindest dies ein Erfolg an der medialen Front von Information Warfare.

Aus dem Blickfeld:
Information Warfare-Operationen

Im Golfkrieg wurde noch die Falschmeldung verbreitet, die Alliierten hätten mit Hilfe eingeschmuggelter Computerviren Zugang zur irakischen Luftabwehr gefunden. Derartige Meldungen sind ideale Werkzeuge der Information Warfare, weil sie den Gegner verunsichern und für die Medienberichterstattung eine hohe technologische Überlegenheit suggerieren. Im Kosovo-Krieg kam dagegen nur vereinzelt und aus unspezifizierten alliierten Quellen die Behauptung, die Computer der jugoslawischen Luftabwehr wären manipuliert worden. Statt dessen erklärte die NATO schon zu Beginn des Konflikts, dass ihr e-mail-Server Ziel von 2.000 Störmails pro Tag sei, die von Jugoslawien aus versandt würden. Damit wurde nun die NATO nicht mehr Ausgangspunkt, sondern Ziel von Information Warfare-Operationen.

Im Gegensatz zu »intelligenten« Mitteln zur Ausschaltung gegnerischer Medien – wie etwa die drei 1997 über Bosnien eingesetzten fliegenden Stör- und Radiosender EC 130-E »Commando Solo«, die regionale Radioprogramme durch Eigenproduktionen überlagern – bombardierte die NATO das Sendezentrum des jugoslawischen Fernsehens und wurde dessen Satellitenübertragung ausgesetzt, was auch dem Letzten die Rolle der Medien als Instrument der Kriegsparteien verdeutlichte. Als Indiz für eine alliierte Überlegenheit waren diese Aktionen jedoch untauglich.

Fazit

Zusammenfassend lassen sich einige Widersprüchlichkeiten aufklären, andere neu festhalten:

  • Schon eine kurze Analyse der Information Warfare-Elemente im Kosovo-Krieg liefert Hinweise darauf, dass dieser kaum vorbereitet und mangelhaft koordiniert wurde. Dies verweist ein ums andere Mal auf Versäumnisse der politischen Konfliktprävention.
  • Für Information Warfare im engeren Sinne bedeutsam ist die Erkenntnis, dass der Kosovo-Krieg zwar den Versuch einer Integration von Elementen in die herkömmliche Kriegführung erkennen lässt, dies jedoch wenig erfolgreich war. Wesentliche Teile sind nicht als Information Warfare zu klassifizieren oder laufen dem sogar prinzipiell zuwider. Hinzu kommt, dass zum einen erstmals die NATO und die USA in einem ernsthaften Sinn Ziel von Information Warfare-Operationen wurden, zum anderen einem möglichen Gegner Anhaltspunkte dafür geliefert wurden, wie eine relativ erfolgreiche Reaktion auf Prinzipien von Information Warfare-Operationen aussehen könnte. Damit lassen sich einige der Widersprüchlichkeiten erklären. Dies müsste zusammengenommen die Auseinandersetzung um die Tragfähigkeit der Ideen und Konzepte von Information Warfare herausfordern. Solange sich eine solche öffentliche Debatte aber weitgehend auf Waffentechnik beschränkt, behalten die Experten recht, die diesen Krieg für zu klein halten, um daraus Lehren zu ziehen.
  • Vor allem aber zeigte auch der Kosovo-Krieg, dass sich die Faszination der Öffentlichkeit von High Tech-Waffen unabhängig von deren Effektivität auch weiterhin dazu nutzen lässt, ein medial positiv konnotiertes Bild einer Kriegführung zu transportieren. Indem auch die Gegner nur auf derselben Ebene diskutieren, verstärken sie die Wirkung dieses Themas. Diese Debatte entlastet schließlich von deutlich unangenehmeren Fragen.

Anmerkungen

1) vgl. auch: Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann: Der digitale Feldherrnhügel. Military Systems: Informationstechnik für Führung und Kontrolle. in: Wissenschaft und Frieden, Heft 1/97, Dossier Nr. 24, S. 1-16

2) A Pilot's Best Friend; in: AW&ST, 31.5.99,S. 25

3) Robert Wall: Airspace Control Challenges Allies; in: AW&ST, 26.4.99,S. 30-31, S. 31

4) David Fulghum: NATO Unprepared for Electronic Combat; in: AW&ST, 10.5.99, S. 35-36

5) Electronic Atrophy; in: AW&ST, 7.6.99, S. 23

6) Robert Wall: E-2Cs Become Battle Managers With Reduce EW Role; in: AW&ST, 10.5.99, S. 38; ders.: New ABCCC Tactics Used in NATO Air Strikes; in: AW&ST, 26.4.99, S. 32

7) Paul Mann: Belgrad Called Victor in War's First Phase; in: AW&ST, 26.6.99, S. 28-30

8) John D. Morrocco: Kosovo Conflict Highlights Limits of Airpower and Capability Gaps; in: AW&ST, 17.5.99, S. 31-32

9) David Fulghum: Lessons Learned may be Flawed; in: AW&ST, 14.6.99, S. 64

10) David A. Fulghum: Electronic Bombs Darken Belgrade; in: AW&ST, 10.5.99, S, 35-36

11) David A. Fulghum: Microwave Weapons Await a Future War; in: AW&ST, 7.6.99, S, 30-31

Ingo Ruhmann ist Mitglied im Vorstand des FIfF e.V.

Atomwaffen für Regionalkonflikte?

Atomwaffen für Regionalkonflikte?

Modernisierung untergräbt bestehende Verträge

von Oliver Meier • Lutz Hager

In den ersten Jahren nach dem Ende der nuklearen Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Rußland schienen die Atomwaffen der Vereinigten Staaten langsam aber stetig an Bedeutung zu verlieren. Eine öffentliche Debatte um die Rolle von Atomwaffen in der Außen- und Sicherheitspolitik fand nicht statt. Die beiden strategischen Rüstungskontrollabkommen (START) aus den Jahren 1991/93 wurden vom amerikanischen Senat ratifiziert, und es wurde mit ihrer Umsetzung begonnen. Die Verlängerung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NPT) und der Abschluß der Verhandlungen über einen vollständigen Atomteststopp (CTBT) schrieben die nukleare Rüstungskontrolle fort.

Diese positiven Ansätze in der nuklearen Rüstungskontrolle drohen aber zunehmend durch den amerikanischen Atomwaffenkomplex konterkariert zu werden. Unbemerkt von der Öffentlichkeit sind in den vergangenen Jahren eine Reihe von nuklearen Modernisierungsprogrammen begonnen und zum Teil bereits erfolgreich abgeschlossen worden. Die wichtigsten land-, see- und luftgestützten Nuklearwaffen wurden und werden modernisiert. Wie üblich werden diese Programme mit dem Erhalt der Sicherheit und Einsatzfähigkeit der Kernwaffen begründet. Tatsächlich wird aber die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Waffen gesteigert, und es werden »neuartige« Waffen entwickelt. Offensichtlich geht es unter anderem darum, amerikanische Atomwaffen in regionalen Krisen einsetzbar zu machen. Vor dem Hintergrund der immer wieder neu beschworenen Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sollen Kernwaffen der Abschreckung von Regionalmächten dienen.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts beendeten die USA offiziell alle Forschungsprogramme, die die Entwicklung neuer Atomwaffen zum Ziel hatten. Damit verloren die amerikanischen Kernwaffenlaboratorien ihre Hauptaufgabe. Sie kamen aber bald wieder ins Geschäft, indem sie sich die Zustimmung zu einem »zero-yield test-ban«1 mit einem umfangreichen Forschungsprogramm abkaufen ließen. Präsident Clinton erklärte die Sicherung der Zuverlässigkeit der US-Kernwaffen zu einem „supreme national interest“ und versprach, daß die USA die technologischen und personellen Kapazitäten aufrecht erhalten würden, um die Entwicklung von Atomwaffen und auch Atomtests wieder aufzunehmen, falls die internationale Situation dies erforderlich mache (The White House 1995).

Stockpile Stewardship: Deckmantel für Atomwaffenmodernisierung

Auf dieser Grundlage konnten die Labors das Stockpile Stewardship and Management Program“ (SSMP) entwerfen.2 Für einen Preis von über vier Milliarden Dollar jährlich3 wird das für den Kernwaffenkomplex zuständige amerikanische Energieministerium (Department of Energy, DOE) weiterhin dem Präsidenten formell bestätigen, daß land-, luft- und seegestützte Atomwaffen auch in Zukunft mit derselben tödlichen Sicherheit funktionieren werden wie in der Atomtest-Ära.

Die hohen Kosten des Programms ergeben sich daraus, daß man sich nicht darauf beschränken will, bereits entwickelte Atomsprengköpfe nachzuproduzieren und so das Arsenal ständig zu erneuern, sondern, um die technische Basis zu erhalten, einen Forschungskomplex aufbaut, der in der Lage sein soll, die Funktionsweise von Atombomben anhand von Computermodellen zu simulieren (Science Based Stockpile Stewardship).4 Atomtests sollen durch dieses »virtual testing« ersetzt werden. Dadurch lassen sich, so das DOE, Designfehler und mögliche Alterungserscheinungen frühzeitig erkennen und ausschalten (Meier 1995). Abgesehen von dem enormen finanziellen Aufwand ergeben sich zwei politisch brisante Folgen:

  • Die US-Forschungsanstrengungen untergraben den Teststoppvertrag. Dies wird besonders deutlich im Fall der sogenannten »subcritical tests«, in denen das Verhalten von spaltbarem Material unter hohem Druck durch die Explosion von konventionellen Sprengstoffen untersucht werden kann. Da es dabei nicht zu einer nuklearen Kettenreaktion kommt, handelt es sich im Sinne des CTBT nicht um einen Atomtest. Andere Nationen sehen in diesen Beinahe-Atomtests allerdings den Versuch der USA, den Teststoppvertrag zu umgehen.5 Wenn aber der Testverzicht der USA in den Ländern des Südens als unglaubwürdig angesehen wird, kann kaum erwartet werden, daß der CTBT seiner Aufgabe als Instrument zur Verhütung von Kernwaffenproliferation gerecht wird.
  • Daran knüpft der zweite »Nebeneffekt« des Stockpile Stewardship-Programms an. Ein Ziel der Forschungsanstrengungen ist es, bestehende Atomsprengköpfe so zu verändern, daß sie sicherer und haltbarer werden. Kürzlich veröffentlichte Dokumente des amerikanischen Energieministeriums6 belegen, daß Stockpile Stewardship aber als Vorwand genutzt wird, die nuklearen Fähigkeiten der USA qualitativ zu verbessern. Die durch dieses Programm gewonnenen Forschungsergebnisse fließen in die in den gleichen Laboratorien betriebenen Modernisierungsprogramme ein. Darüber hinaus schaffen sie die wissenschaftliche Grundlage, um im Bedarfsfall komplett neue Atomwaffen zu entwickeln.7 Die Vereinigten Staaten werden besser als andere Staaten in der Lage sein, auch ohne Atomtests neuartige Atomwaffen zu entwickeln, zu produzieren und zu stationieren. Damit wird die neben der Verhinderung von Kernwaffenproliferation zweite wichtige Intention des CTBT – den qualitativen Rüstungswettlauf zu beenden – konterkariert, noch bevor der Vertrag in Kraft getreten ist.

Atomwaffenmodernisierung: Neue alte Waffen

Die USA erneuern ihr Atomwaffenarsenal grundlegend, alle drei Stützen der nuklearen Triade werden gegenwärtig aufwendig modernisiert. Gemeinsamer Nenner dieser vielfältigen Bemühungen ist eine Anpassung der atomaren Fähigkeiten an eine Welt, die vor allem von regionalen Konflikten geprägt ist.

Die auf U-Booten stationierten Trident-Raketen bilden auch in Zukunft die Hauptstütze der amerikanischen nuklearen Abschreckung. Die Trident II ist die modernste amerikanische Atomwaffe, trotzdem wird sie gegenwärtig modernisiert. Offiziell hat das »Navy SLBM Warhead Protection Program« (SWPP) das Ziel, sicherzustellen, daß auch nach der Einstellung von Atomtests Ersatz für alternde Sprengköpfe produziert werden kann. Kernsprengköpfe müssen aufgrund der in ihnen stattfindenden chemischen Reaktionen nach einem bestimmten Zeitraum ersetzt werden. (Das DOE spricht verharmlosend von der »Überarbeitung“/“remanufacturing« von Atomsprengköpfen). Da sich Produktionstechnologien und Materialien jedoch ständig verändern, behaupten die Kernwaffenlaboratorien, daß schon der »Nachbau« bereits vorhandener Nuklearsprengköpfe ein anspruchsvolles Forschungsprogramm notwendig mache.8

Das DOE sieht hier insbesondere beim W76-Sprengkopf der ersten (C4) Generation der Trident SLBM einen Bedarf. Dieser wurde bereits vor rund 20 Jahren erstmalig stationiert; mehr als tausend Stück werden auch künftig im US-Arsenal verbleiben.9 Für die Modernisierung wesentlicher Komponenten werden unter anderem Sicherheitsgründe angeführt. Aber nicht nur vergleichsweise alte Sprengköpfe werden erneuert. Der Gefechtskopf Mk5 des neuen W88-Sprengkopfes der neueren Trident D5 wird ebenfalls modifiziert. Ziel ist unter anderem zu beweisen, daß das Design von Atomsprengköpfen geändert werden kann, ohne daß ihre Funktionsfähigkeit in einem »echten« Atomtest demonstriert werden muß.10 Zugleich wird das Kommandosystem für die Trident so erneuert, daß die Rakete schneller ihre Zielkoordinaten ändern kann.11

Auch die an Land stationierten Interkontinentalraketen (ICBMs) werden weiter modernisiert. Nach der Umsetzung des START II-Vertrages wird die Minuteman III (MMIII) die einzige verbleibende amerikanische landgestützte Rakete sein. Die MMIII ist ein vergleichsweise altes System, sie ist (in der jetzigen Version mit dem W78 Sprengkopf) seit Ende der siebziger Jahre im Dienst. Im Rahmen von Stockpile Stewardship wird die MMIII, von der 500 Raketen stationiert bleiben sollen, grunderneuert. Am Ende des Programmes werden fast alle Komponenten der Rakete durch verbesserte ausgetauscht sein. Zunächst wird der Atomsprengkopf ersetzt. Da die MMIII als Folge von START II nur noch einen Sprengkopf besitzen darf, wird sie mit dem hochmodernen W87 Sprengkopf ausgestattet, der von der zur Verschrottung vorgesehenen MX-Rakete übernommen wird.

Bereits abgeschlossen ist eine Modernisierung des Steuerungssystems der MMI<0> <>II. Offiziell wurde das Programm mit dem Titel REACT (Rapid Execution and Combat Targeting) mit einer Verbesserung der Sicherheit der Atomrakete begründet. Da der neue Computer in Sekundenschnelle neu programmiert werden kann, ist es nun möglich, die MMIII »ungerichtet« zu stationieren und ihr erst im Ernstfall kurzfristig die Zielkoordinaten einzugeben. Das Programm hat aber noch einen ganz anderen Sinn. Es stammt aus der Zeit des Kalten Krieges und sollte es den Vereinigten Staaten ermöglichen, mobile sowjetische Interkontinentalraketen durch eine schnelle Umprogrammierung zu vernichten. Heute ermöglicht die schnelle Umprogrammierung, die ICBMs auch als Drohpotential in verschiedenen regionalen Krisen einzusetzen. Ob eine mobile SS-25 oder eine mobile Scud das Ziel ist, stellt schließlich keinen praktischen Unterschied dar (Arkin 1996 und Kristensen 1997).

Wahrscheinlich am deutlichsten wird die neue Rolle für amerikanische Atomwaffen an der B61 »mod 11«. Ohne öffentliche und parlamentarische Debatte ist es den Kernwaffenlaboratorien gelungen, eine neuartige Atomwaffe zu entwickeln, die mittlerweile schon produziert und stationiert ist.12 Die B61-11 ersetzt die alte B53, ein neun Megatonnen-Monster, das zudem erhebliche Sicherheitsprobleme aufweist. Die B61-11 soll eine militärische Lücke schließen, die nach Ansicht vieler amerikanischer Militärs besonders im Krieg gegen den Irak deutlich geworden ist: Trotz erheblicher Anstrengungen war die amerikanische Luftwaffe mit konventionellen Mitteln nicht in der Lage, das unterirdische irakische Kommandosystem zu zerstören. »Earth penetrating weapons«, d.h. Waffen, die auch tief in der Erde verbunkerte Ziele »unter Risiko« halten können, stehen daher seit langem auf der Wunschliste der amerikanischen Streitkräfte (Mello 1997).

Dies haben die Kernwaffenlaboratorien geschickt ausgenutzt. Offiziell ist die B61-11 keine neue Waffe, sondern lediglich eine Modifikation der in verschiedenen Versionen vorhandenen und auch in Europa stationierten Atombombe B61. Da der Sprengkopf unverändert geblieben sei und lediglich die Hülle der Bombe so verändert wurde, daß die Waffe vor der Explosion etwa drei bis sechs Meter in die Erde dringe, sei dies keine Neuentwicklung, argumentieren die Laboratorien (Fulghum 1997). Kritiker hingegen betonen, daß die B61-11 neuartige Eigenschaften besitze. Es sei unerheblich, ob dafür der eigentliche Sprengkopf verändert worden sei, entscheidend sei lediglich, daß die Vereinigten Staaten qualitative Verbesserungen an den vorhandenen Waffen vornähmen.

Von offizieller Seite wird immer wieder betont, daß die B61-11 als Waffe zum Einsatz gegen Kommandozentren anderer Nuklearwaffenstaaten entwickelt worden sei. Inzwischen mehren sich aber die Anzeichen, daß Atomwaffen auch in regionalen Krisen eine Rolle spielen sollen. So hat die Defense Special Weapons Agency des amerikanischen Verteidigungsministeriums die amerikanische Industrie aufgefordert, Vorschläge zur Entwicklung eines Planungsinstruments zur Erfassung und Zerstörung unterirdischer Tunnel einzureichen. Dieses Projekt soll zur Zielplanung für konventionelle und nukleare Waffen dienen (Janets Defense Weekly 1997). Die B61-11 ist zudem weltweit einsetzbar. Während ihr Vorgänger, die B53 zu schwer war, um von einem B-2 Bomber transportiert zu werden, kann die vergleichsweise kleine B61 problemlos von diesen Tarnkappenbombern global ins Ziel gebracht werden.

Strategie: »Schurkenstaaten« im Visier

Egal ob man der Meinung ist, daß hier eine neue Atomwaffe entwickelt worden ist oder »nur« eine alte leistungsgesteigert wurde, fest steht, daß sich Atomwaffenforschung in den USA nicht nur darauf beschränkt, die vorhandenen Waffen sicher und einsatzfähig zu halten. Leistungssteigerung, nicht der Erhalt und die Sicherung vorhandener Fähigkeiten ist das Ziel vieler dieser Forschungsprogramme. Die amerikanischen Atomwaffen sollen flexibler und zielgenauer einsetzbar sein und »Kollateralschäden« möglichst gering gehalten werden. Dies alles sind Anforderungen, die vor allem in regionalen Krisen, bei denen es um die Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen geht, gestellt werden.

In den USA droht gegenwärtig eine Entwicklung, die zu einem Bedeutungszuwachs für Atomwaffen führen könnte. Nach wie vor sind riesige Bürokratien in den Vereinigten Staaten und innerhalb der NATO damit beschäftigt, Ziel- und Einsatzplanungen für den Einsatz von Atomwaffen zu erstellen. Der Fokus dieser Planungen geht immer mehr in Richtung Entwicklungsländer. Sogenannte Schurkenstaaten (»rogue states«) rücken als Feindbild an die Stelle der Sowjetunion. In einer Vorschrift der Vereinigten Stabschefs der USA von 1995 für alle drei amerikanischen Teilstreitkräfte über den Einsatz taktischer Atomwaffen heißt es beispielsweise: „Die Abschreckung von Massenvernichtungswaffen sollte unsere erste Priorität sein. (…) Eine selektive Fähigkeit, (Atom-) Waffen kleinerer Sprengkraft zur Vergeltung einzusetzen, ohne den Konflikt zu destabilisieren, ist eine nützliche Entscheidungsalternative für den amerikanischen Präsidenten“ 13, dessen Zustimmung bei einem Atomwaffeneinsatz immer notwendig ist.

Ende des Winterschlafs?

Gegenwärtig scheint der amerikanische Atomwaffenkomplex langsam aus dem Winterschlaf zu erwachen, in den er nach dem Ende des Ost-West-Konflikts gefallen war. Die Kernwaffenlaboratorien versuchten sich zunächst auf eine Welt ohne neue Waffenprojekte einzustellen, das amerikanische Militär gab die knapperen Haushaltsmittel lieber für moderne konventionelle als für Atomwaffen aus (Meier 1996). Langsam aber sicher bahnt sich nun eine Rückorientierung an. Die Atomlabors, frustriert von erfolglosen Konversionsbemühungen, besinnen sich auf das, was sie schließlich am besten können, nämlich Atomwaffen konstruieren. Und einige Teile des US-Militärs, insbesondere die Luftwaffe, aber auch die U-Bootflotte, unterstützen die Forscher bei ihren Bemühungen. Der amerikanische Kongreß nimmt seine Kontrollfunktion hier nur unvollständig wahr (Weismann 1997).

Ein Atomwaffen-Comeback in den Vereinigten Staaten dürfte aber nicht nur den noch nicht einmal in Kraft getretenen Teststopp-Vertrag schwächen, eine solche Entwicklung würde das Nichtverbreitungs-Regime insgesamt ins Wanken bringen. Die Entwicklung und Stationierung neuer oder neuartiger Atomwaffen ist ein Schlag ins Gesicht der wachsenden Schar jener internationalen und nationalen Akteure, die eine vollständige Eliminierung von Atomwaffen fordern.

Literatur

Arkin, William M. (1996): The Six-Hundred Million Dollar Mouse, in: Bulletin of Atomic Scientists, November/ December, p. 68

CBO Papers 1997: Preserving the Nuclear Weapons Stockpile Under a Comprehensive Test Ban, Washington, D.C.: Congressional Budget Office, May 1997.

Fulghum, David A. (1997): Standoff, Penetrating Nuclear Bomb Seen for B-2, Aviation Week & Space Technology, April 7, p. 38.

Green Book (1996): Stockpile Stewardship and Management Plan, US Department of Energy, Office of Energy Programs, declassified version, Washington, DC, 29, Februar 1996.

Jane's Defense Weekly (1997): Use of nuclear arms still viable in some cases, says US agency, , 27 August, p. 3.

Kristensen, Hans M. (1997): Targets of Opportunity, in: Bulletin of Atomic Scientists, September/ October, pp. 22-28.

Mello, Greg (1997): New bomb, no mission, in: Bulletin of Atomic Scientists, May/ June, pp. 28-32.

Meier, Oliver (1995): Atomwaffenforschung ohne Tests? Die USA lehnen einen vollständigen Teststopp ab, in: Wissenschaft und Frieden, 1/1995, S. 14-18.

Meier, Oliver (1996): Die amerikanische Atomwaffenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts: Rüstungsdynamik ohne Systemkonfrontation?, Unveröffentlichte Dissertation am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin, Juli 1996.

Nassauer,Otfried / Oliver Meier/ Nicola Butler/ Stephen Young (1997): Amerikanische Atomwaffen in Europa 1996-97, Berlin, London, Washington: Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit/ British American Security Information Council (BASIC-BITS-Research Note 97.1), April 1997.

Nuclear Notebook (1997), in: Bulletin of Atomic Scientists, September/ October, p. 64.

Otto,Erdmute und Martin Kalinowski (1993): Los Alamos im Umbruch? Grenzen und Umgehungsversuche von Kernwaffenteststopp und Forschungskonversion in den USA, in: Wissenschaft & Frieden, 3/93, S. 65-70.

Paine, Christopher E. und Matthew G. McKinzie: End Run. The US Government's Plan for Designing Nuclear Weapons and Simulating Nuclear Explosions under the Comprehensive Test Ban Treaty, Washington, D.C.: NRDC (An Interim Report on the Department of Energy Stockpile Stewardship & Management Program) August 1997.

Weisman, Jonathan (1997): Who's minding the sto<0> <>re?, in: Bulletin of Atomic Scientists, July/ August, pp. 32-37.

<>The White House (1995): Office of the Press Secretary: Statement by the President: »Comprehensive Test Ban Treaty«, Washington, D.C., August 11.<>

Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und Lehrbeauftragter am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU Berlin. Lutz Hager ist studentischer Mitarbeiter am BITS und studiert Politische Wissenschaften an der FU Berlin.

Anmerkungen

1) Dies bedeutet, daß sämtliche Atomwaffenexplosionen, auch solche mit geringer Sprengkraft, unter den Vertrag fallen. Zurück

2) „In response to this directive [Inhalt von Clintons Erklärung vom 11. August 1995, d. Verfasser], the DOE initiated a process to develop a Stockpile Stewardship and Management Plan with the intent of ensuring high confidence in the safety, reliability, and performance of the stockpile without nuclear testing. Meeting this responsibility will not be quick or easy and will require a competent technical staff supported by scientific tools and facilities not presently available.“ (Green Book 1996: p III.) Zurück

3) Zwischen vier und fünf Milliarden US-Dollar sind bis 2010 jährlich für SSMP veranschlagt. Zahlen aus CBO Papers 1997 Zurück

4) „Computational modeling, once a tool to facilitate design and evaluation, must now serve as the integrating factor to link aboveground experiments, historical nuclear test data, and design experience into a nuclear predictive simulation capability.“ (Green Book 1996, p. IV 2). Zurück

5) So reagierte z.B. Indien mit einer Protestnote an die US-Regierung. Zurück

6) Es handelt sich um das bereits oben zitierte Green Book. Die Freigabe dieses Dokuments wurde vom Natural Resources Defense Council, einer in Washington ansässigen Nichtregierungsorganisation, erzwungen. Eine Zusammenfassung und Bewertung des Dokuments ist veröffentlicht in: Paine / McKinzie 1997 Zurück

7) „The nuclear design activities of this program [maintenance and refurbishment program, Teil des stockpile stewardship programs, d. Verfasser] will be broadly based and will provide present and future weapons scientists and engineers with the opportunity to exercise the complete set of skills required to design and develop a stockpile warhead“. (Green Book 1996, p. V 10). Zurück

8) Eine Produktionskapazität für ca. 50 Sprengköpfe pro Jahr wird gegenwärtig im Los Alamos National Laboratory aufgebaut. Siehe unter anderem Otto / Kalinowski 1993 Zurück

9) „Planned life extension modifications include a replacement gas transfer system and replacement neutron generators. The high explosives, pit, and secondary components need to be requalified or replaced as part of the life extension program.“ (Green Book 1996, pp. IV-13 – IV-14). Zurück

10) „One objective of the calculational program will be the development of a methodology to ensure demonstrably large design margins in critical performance measures.“ (Green Book 1996, p. IV-15). Zurück

11) „The Navy is installing a system to enable Trident submarines to 'quickly, accurately, and reliably retarget missiles' and 'allow timely and reliable processing of an increased number of targets.“ Kristensen 1997, p. 26 Zurück

12) 50 B61-11 sollen auf der B-2 Basis Whiteman AFB mittlerweile stationiert sein.(Nuclear Notebook 1997) Von einer Stationierung der B61-11 in Europa ist nichts bekannt, obwohl in Europa vermutlich noch rund 200 B61 älteren Typs stationiert sind und die B61-11 leicht genug sein soll um auch von F-16 Kampfbombern ins Ziel gebracht zu werden. (Nassauer u.a. 1997) Zurück

13) „WMD deterrence should be the first priority. (… A selective capability of being able to use lower-yield weapons in retaliation, without destabilizing the conflict, is a useful alternative for US National Command Authorities.“ Joint Chiefs of Staff: Doctrine for Joint Nuclear Operations, Joint Pub 3-12, 18 December 1995, p. I-3. Zurück

(Die Autoren danken der W. Alton Jones Foundation für ihre Unterstützung).