High-Tech für den Krieg

High-Tech für den Krieg

USA bauen ihren Vorsprung weiter aus

von Ingo Ruhmann

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind militärpolitische Fragestellungen und Ziele in den USA untrennbar mit einer Politik technisch basierter militärischer Überlegenheit verbunden. Die unter dem Druck des Krieges erarbeiteten wissenschaftlichen Ergebnisse waren die Grundlage nicht nur für Wissenschaftszweige wie Operations Research, Informatik oder Kognitionswissenschaften. Die dabei gemachten Erfahrungen und entwickelten Organisationsformen waren Ausgangspunkt einer staatlichen Forschungspolitik und -förderung, die bis heute von der wechselseitigen Befruchtung und Fortentwicklung von Wissenschaft und Militärtechnologie lebt und dies auch in absehbarer Zukunft fortzuführen gewillt ist.

Die vor 1939 nur spärliche und vor allem wenig koordinierte staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung wurde im Krieg einem fundamentalen Wandel unterzogen. Zwar rührten die Erfolge vor allem aus „der Anwendung bestehenden Wissens auf die Probleme des Krieges“ (Bush 145: 4), doch zeigte sich, daß ohne aufwendige wissenschaftliche Forschungsprogramme kein konventioneller Krieg und erst recht nicht das heranbrechende Zeitalter atomarer Abschreckung zu bestehen war. Die sich entwickelnde staatliche Förderung der Wissenschaft kombinierte zivile Ziele wie den Kampf gegen Krankheiten und Arbeitslosigkeit mit denen staatlicher Sicherheit. Die „reconversion“ (Bush 1945: 22) wissenschaftlicher Expertisen aus der Kriegszeit für zivile Zwecke legte einen der Grundsteine für die wirtschaftlichen Erfolge der USA in den 50er Jahren. Grundkonsens war die Auffassung, allein die Grundlagenforschung schaffe die benötigten ökonomischen und sicherheitspolitischen Voraussetzungen für eine Hochtechnologienation (Bush 1945: 43). Einstellungen dieser Art wirkten sich bis heute und trotz deutlicher Brüche Mitte der 60er und Anfang der 80er Jahre prägend auf das Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft in den USA aus.

„Modern war requires the use of the most advanced scientific techniques.“

(Vannevar Bush)

Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, daß der US Director of Defense Research and Engineering noch 1992 erklärte: „Technologische Überlegenheit ist ein Schlüsselelement der Abschreckung im Frieden. In einer Krise liefert sie der Nationalen Kommandoautorität und den Stabschefs ein weites Spektrum von Optionen und Vertrauen für unsere Alliierten. Im Krieg verstärkt sie die Kampfeffektivität und vermindert den Verlust von Personal und Ausrüstung, wie die Leistung unserer Waffen und Unterstützungssysteme im Krieg gegen den Irak demonstrierte. Die Leistung unserer Militärtechnologie voranzutreiben, bleibt eine nationale Aufgabe.“ (DDR&E 1992: ES-1).

Erst zwei Jahre später fanden die geänderten politischen und technologischen Bedingungen Eingang in die Pläne des US Department of Defense (DoD). Nicht länger spielte Militärtechnologie darin die leitende Rolle, sondern die allgemeine technologische Überlegenheit der USA. Militärische Forschung – nicht unähnlich den erklärten Zielen in der Bundesrepublik (Kiper 199.) – sollte nur dort ansetzen, wo keine kommerziellen Angebote verfügbar sind (DDR&E 1994: Preface). Technischer Fortschritt wird in vielen Bereichen nicht länger vom militärischen sondern zivilen Bedarf vorangetrieben. Weiterhin ist „technologische Überlegenheit eine prinzipielle Charakteristik unseres militärischen Vorteils. … Jedoch suchen wir nicht nur reine technologische Überlegenheit. Statt dessen suchen wir eine Streitmacht, die in der Lage ist, jeden potentiellen Gegner über das gesamte Spektrum militärischer Operationen zu dominieren – Dominanz erlaubt uns, schnell, entschlossen und mit minimalen Verlusten zu gewinnen“ (DDR&E 1996: 1).

Seit 1994 ist es dabei das Ziel, den „Zugang der Militärs zu neuen technischen Möglichkeiten zu einem Bruchteil der Kosten“ zu ermöglichen (DDR&E 1994: 23). Über allem steht jedoch weiterhin, daß „technische Optionen … militärische Probleme lösen sollen“. Hohe militärische Anforderungen führen allerdings dazu, daß das DoD weiterhin in großem Umfang technologische Spitzenentwicklungen fördert. Um die vorhandenen Ressourcen ökonomisch nutzen zu können, ist es das Ziel des DoD, „dieselbe Technologie und dieselbe industrielle Basis wo immer möglich zu nutzen, um militärische und kommerzielle Produkte zu bauen“ (DDR&E 1994: 29). Die Verkopplung ziviler und militärischer Ziele in Dual-Use-Vorhaben ist seither technologiepolitisches Ziel des DoD, das den Unternehmen damit „verbesserte ökonomische Sicherheit“ (DDR&E 1994: 29) verspricht.

Politische Ziele militärischer High-Tech-Rüstung

Die technologischen Entwicklungen und Rüstungsanstrengungen der USA folgen expliziten militärpolitischen Zielen. Diese sind neben der Abwehr einer nuklearen Bedrohung der USA die globale »power projection« zur Durchsetzung nationaler Interessen. Als Mittel zu deren Umsetzung wird eine Ausrüstung der Truppe gesehen, die sie binnen Stunden an jedem Ort der Welt einsetzbar macht, ohne dabei auf eine politische Kontrolle solcher Einsätze zu verzichten. Neben der stärkeren Nutzung luftgestützter Angriffs- und Transportmittel bedeutet dies zusätzlich den Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur und weltraumgestützter Aufklärung sowie die generelle informationstechnische Aufrüstung der Streitkräfte. Informationstechnik wird jedoch nicht nur als Mittel zur Erreichung militärpolitischer Ziele gesehen: „Informationstechnik wird in zukünftigen Konflikten eine kritische Rolle bei der Erringung der Dominanz spielen, die wir anstreben“ (DDR&E 1996: 1). Unter dem Begriff »Full Spectrum Dominance« wird dabei in einem doppelten Sinne sowohl die volle Dominanz des elektromagnetischen Spektrums bei Information Warfare, vor allem aber die Dominanz des vollen Spektrums militärischer Aktivitäten in bewaffneten Konflikten verstanden (DDR&E 1996: 10). Ziel der Entwicklung und des Einsatzes von High-Tech soll ein revolutionärer Wandel militärischer Operationen sein.

High-Tech-Arsenale

Was die USA militärtechnologisch von anderen Nationen unterscheidet, ist kaum die Nutzung oder Beschaffung herkömmlicher Waffentechnologie. Im Gegensatz etwa zur russischen Armee steht bei der US Army derzeit nicht die Einführung eines neuen Kampfpanzers an. Trotz der kostspieligen Aufstockung von 14 auf 20 B-2 Bomber sind weiterhin B-<0> <>52 Bomber mit einem Durchschnittsalter von über 30 Jahren das Rückgrat der strategischen Bomberflotte der Air Force. Auch die Navy schließt derzeit die Beschaffung von konventionellen Schiffstypen ab, die für die aus 12 Carrier Battle Groups bestehende Seestreitmacht auf Kiel gelegt wurden und wird dafür weitere 19 Mrd. Dollar in den nächsten zehn Jahren ausgeben. Die Dimensionen der High-Tech-Rüstung der US-Streitkräfte erschließen sich nur bedingt in der Übersicht des mit 247,7 Mrd. US-Dollar um etwa 3,3 Mrd. angewachsenen Verteidigungshaushalts des DoD für das Haushaltsjahr 1998, sondern erst bei speziellen Beschaffungen, dem Blick ins Detail entsprechender Entwicklungsprogramme sowie auf die Manöver und Operationen von speziellen Einheiten.

Die auffallendste und gleichzeitig für die nukleare Abrüstung gefährlichste High-Tech-Aktivität stellt die Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke dar. Der im SDI-Programm gewählte Fokus auf ein System aus Raketenabwehr-Satelliten stellt sich nach zahlreichen grundlegenden Programmänderungen nun dar als eine deutlich ausdifferenzierte Nutzung des Weltraums, in die das ursprüngliche SDI-Konzept zerlegt wurde. Zum Schutz der USA vor einem Nuklearschlag werden Vorhaben verfolgt, die nuklearfähige Raketen bei ihrem Start aufspüren und vernichten oder die sich dem Ziel nähernde Raketen abfangen. Für die verschiedenen Raketenabwehrprogramme der Ballistic Missile Defense Organsiation (BMDO)1 sind nach derzeitigem Stand bis zum Jahr 2003 Ausgaben in Höhe von 16,142 Mrd. Dollar vorgesehen (Dornheim 1997a). In die Schlagzeilen kam vor wenigen Wochen der Versuch, mit einem bodengestützten Laser einen Satelliten zu erfassen (Süddeutsche Zeitung 22.10.97: 7). Weniger Aufmerksamkeit erregt derzeit ein Lasersystem der US Air Force, das von Bord eines Jumbojets aus Raketen in der Startphase zerstören soll.2 Vor allem dieses System, für das im Etat 1998 157 Mio. Dollar vorgesehen sind (Mann 1997), ist nicht nur für den Einsatz gegen Interkontinentalraketen sondern auch gegen Kurzstreckenraketen auf dem Schlachtfeld gedacht.

Operationsgrundlage derartiger Raketenabfangsysteme sind Daten, die von Aufklärungssystemen rund um die Uhr in Echtzeit geliefert werden. Hierbei spielt wiederum die qualitative Erweiterung der satellitengestützten Aufklärungssysteme eine herausragende Rolle. Der dazu stattfindende Wandel macht aus Satelliten – bisher Quellen hochsensitiver Daten für wenige Eingeweihte – nun durch die Installation von Satellitenempfangseinrichtungen in verschiedensten Systemen Mittel der taktischen Aufklärung und operativen Planung. In Lagezentren werden deren Daten mit denen anderer Quellen zu einem aktuellen Lagebild aufbereitet. So bereitet das Eagle Vision 2-System der US Army die Daten von militärischen und kommerziellen Daten zu Lagebildern auf (Scott 1997).

Neben dem Start eines neuen »Lacros<0><>se«-Radarsatelliten gilt der »Trumpet«-Signalaufklärungssatellit als neuer Meilenstein satellitenbasierter Aufklärungstechnologie. Mit einem Antennendurchmesser von einhundert Metern soll dieser dritte Satellit der »Trumpet«-Reihe Tausende von Kommunikationsquellen vor allem in den nördlichen Breiten Rußlands und Chinas simultan überwachen. Zivile Gegenstücke sind in der Lage, über eine 13-Meter-Antenne 16.000 Kommunikationsverbindungen abzuwickeln. Diese Kommunikationsüberwachung vervollständigt die Dominanz des elektromagnetischen Spektrums, die durch zwei »Lacrosse«-Radarsatelliten und die vier funktionsfähigen, im optischen und Infrarot-Bereich arbeitenden KH-11-Satelliten und weitere Orbitalspäher der USA sichergestellt wird (Covault 1997).

Die Weltraumaktivitäten der US-Militärs werden erweitert durch Studien zu einem unbemannten, wiederverwendbaren Mini-Raumgleiter, der Nutzlasten von 1.200 Pfund bis in einen geosynchronen Orbit befördern und dort bis zu einem Jahr verweilen kann (Dornheim 1997b). Damit soll der Weltraum als Aktionsradius und Aufmarschraum erschlossen werden. In der Diskussion ist auch ein »Orbital Combat Vehicle«, das von einem Trägerflugzeug aus einen niedrigen Orbit ansteuert, dort bis zu vier Abstandswaffen ausklinkt und binnen 2-4 Stunden wieder zur Ausgangsbasis zurückkehrt (Scott 1994). Derartige Trägersysteme mit globalem Aktionsradius ermöglichen politisch den Rückzug von vorgeschobenen Basen in verbündeten Nationen ohne Verzicht auf militärische Schläge in jeder Weltregion. Wie ähnliche Pläne schon nach dem Zweiten Weltkrieg, markieren solche Ideen die Kombination der in den USA vertretenen politischen Strömungen des Isolationismus einerseits mit dem Anspruch politischer und militärischer Weltgeltung andererseits. Diese Aktivitäten bergen jedoch die Gefahr einer schleichenden Militarisierung des Weltraums.

Auch die US Air Force setzt weiter auf technologische Überlegenheit als Ziel ihrer Entwicklungen und Beschaffungen. Mit den Tarnkappenbombern B-2 und F-117 eröffnete sie schon Ende der 70er Jahre ein neues Kapitel in der Luftfahrttechnik. In geheimen Programmen wurden verschiedene Entwicklungspfade der Stealth-Technologie erprobt (Fulghum 1996a), zu der aus anderen Staaten nichts Vergleichbares entwickelt wurde. Nun beschreiten die USA mit dem seit 1986 entwickelten F-22 Jagdbomber mit Stealth-Charakteristik, Schubvektorsteuerung, deutlich erhöhter Geschwindigkeit und Zuladung wiederum technologisch neues Terrain. In der Entwicklung sind mittlerweile Studien zu leitwerklosen, hochmanövrierfähigen Flugzeugen, unbemannte Jagdbomber (Fulghum 1996b), Abstandswaffen und die Mittel zur störungsfreien Kommunikation mit semiautonomen Flugrobotern (Fulghum 1995). Lediglich mit dem von Rockwell und der DASA entwickelten und erprobten X-31 Experimentalflugzeug werden auch außerhalb der USA einige wichtige Teilaspekte von US-Programmen erprobt (Avitation Week & Space Technologie 1994: 54f). Vergleiche dieser Entwicklungen mit europäischen Typen wie dem Eurofighter oder dem schwedischen Gripen, aber auch den russischen Mig 29, Su 27 und der geplanten Su 35 verdeutlichen den großen technologischen Abstand zwischen den US-Flugzeugen und anderen in absehbarer Zeit eingesetzten Typen. Dieser Abstand resultiert in einer weitgehenden Luftraumüberlegenheit der USA in jedem militärischen Krisengebiet.

Bei der US Navy wird der technologische Vorsprung mittlerweile kaum noch hinterfragt. Die atomare Unterseebootflotte war ihren (heute russischen) Gegenstücken schon länger einen Schritt voraus. Bei Überwasserschiffen läßt sich oft kaum noch ein Vergleich anstellen: Keine andere Flotte verfügt über technisch ähnlich ausgerüstete Flugzeugträger oder Lenkwaffenzerstörer wie etwa die Aegis-Klasse, von denen vier weitere Schiffe beschafft werden. Auch ohne den Bau eines Stealth-Schiffes ist die US Navy in der Lage, einerseits so gut wie jede andere Marine in deren Basen zu zwingen und andererseits als Instrument einer »power projection« militärische Schlagkraft in jedem Winkel der Weltmeere zu demonstrieren.

Die hohen Ausgaben für die Hochtechnologierüstung von Air Force und Navy sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die weit bedeutsameren technologischen Veränderungen bei der Army zu beobachten sind, ohne daß es dabei um die Beschaffung teurer Hardware ginge – im Gegenteil: Für die Army ist in den nächsten Jahren der geringste Teil der Rüstungsausgaben vorgesehen. Während die Luft- und Seeüberlegenheit amerikanischer Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut wurde, ließ sich technologische Leistungsfähigkeit lange Zeit weit weniger deutlich in militärische Überlegenheit auf dem konventionellen Schlachtfeld übersetzen. Der Vietnamkrieg zeigte den Militärs in den USA, daß zwischen dem Vertrauen auf Hochtechnologie und der Guerillataktik eines Volkskrieges wesentliche Differenzen bestehen. Getreu der Einsicht, daß Kriege am Boden gewonnen werden, hat die US Army mittlerweile erhebliche Mittel in die Erweiterung ihrer Fähigkeiten und die Nutzung von Hochtechnologie investiert.

Seit dem in der AirLand-Battle-Doktrin vollzogenen Schritt, das Vorgehen von Land- und Luftstreitmacht miteinander intensiv zu verzahnen, mutierte das Schlachtfeld zum Schlachtraum, in dem heute technologische Überlegenheit in ein hochgradig koordiniertes und wesentlich beschleunigtes Vorgehen mit taktisch massierter Kampfkraft übersetzt wird. Die hierbei genutzte Technik benötigt die im Vergleich zu anderen Teilstreitkräften komplexesten Systeme.

Während einige Zeit die Entwicklung nichtletaler Waffen durch die US-Militärs die Öffentlichkeit beschäftigte, sind diese Arbeiten derzeit wieder in den Hintergrund gerückt. Aktuell geht es der Army nicht um die Beschaffung neuer militärischer Großtechnik wie Kampfpanzer oder ähnliches, sondern um die Anbindung und Kopplung der Vielzahl einzelner Teilnehmer am Kampfgeschehen in einem integrierten Kommandonetz. Als entscheidend gilt nunmehr nicht mehr der Kampf einzelner Soldaten gegeneinander, der in der Vergangenheit in die Notwendigkeit zu Armeen in Millionenstärke umgemünzt wurde, sondern die militärische Überlegenheit durch die Nutzung des technologischen Vorsprungs in der Ausrüstung und Kampfdoktrin einer begrenzten Zahl von Soldaten. Die Schlüssel zu dieser Überlegenheit sind die konsequente Nutzung aller verfügbaren Informationsquellen und die umfassende Verarbeitung aller daraus anfallenden Daten. Die Mittel dazu stellt die Informationstechnik bereit, die damit von einem Hilfsmittel für Kommando und Kontrolle zu einem zentralen Instrument militärischer Machentfaltung mutiert.

Mit den operativen, technischen und strategischen Fragen dieses Wandels beschäftigen sich US-Militärs bereits seit den 80er Jahren. Ihre Bemühungen werden heute unter dem Begriff »Information Warfare« subsumiert. Dessen zentrales Ziel ist die Informations-Dominanz, die aufgefächert wird in die Forderungen

  • situational awareness,
  • top sight und vor allem
  • ein erheblich leistungsfähigeres Kommando- und Kontrollsystem.

Mit »situational awareness« wird dabei der intensive Austausch von Positions-, Zustands- und Videodaten beschrieben, wodurch dem Soldaten eine verbesserte Kenntnis seiner Lage im militärischen Kontext ermöglicht werden soll. »Top sight« beschreibt die genaue Übersicht über die Geschehnisse auf dem Schlachtfeld, die den Kommandeuren durch die Daten ihrer Einheiten vermittelt wird..> Diesem Modell entsprechend wurden in den USA bereits militärische Einheiten reorganisiert: Seit 1993 verfügt die U.S. Air Force über ein Air Force Information Warfare Center und das DoD über ein Joint Command and Control Warfare Center, das mit Aufgaben der psychologischen Kriegsführung, operativen Sicherheit und Destruktion von Kommunikationsnetzen und Kommandoeinrichtungen betraut ist.

Noch intensiver beschäftigt sich jedoch die Army mit der Adaption von Informationstechnik für ihre Zwecke, die das voll digitalisierte Schlachtfeld zu ihrem Ziel gemacht hat. Dazu treibt sie die Anbindung aller Einheiten an das taktische Kommando- und Kontrollnetz voran. So sollen in naher Zukunft vom »Battle Command Vehicle« über den Kampfpanzer bis zur »Manpack Tactical Workstation« alle Ebenen miteinander verbunden sein. Erprobt wird das Zusammenwirken verschiedener neuartiger Kommando- und Kontrollkomponenten bei gepanzerten Einheiten und Infanteristen, sowie die unter dem Titel Force XXI zusammengefaßten »Konzepte des 21. Jahrhunderts« durch eine besondere Experimentiereinheit (Experimental Force, EXFOR), in die 1994 die zweite gepanzerte Division in Fort Hood, Texas, umgewandelt wurde.> Die Division wurde restrukturiert und vollständig mit Computern ausgerüstet, um ein zwischen allen Ebenen interoperables Kommando- und Kontrollsystem in der realitätsnahen Manöverpraxis zu erproben (US Army News, Dec.6, 1994). Zusätzlich sollen verbesserte Mittel zur »power projection« und Waffen getestet werden, die zunächst kleineren Vorausabteilungen eine höhere Feuerkraft zur Verfügung stellen (Ackermann 1994). Wichtig ist für die Army außerdem der Ausbau von Telemetrie und Telemedizin, um zum einen die Vitaldaten der Soldaten telemetrisch zu verfolgen und zum anderen eine bessere und schnellere medizinische Versorgung für Verwundete zu gewährleisten (Ackermann 1994)3. Den Überblick über das digitalisierte Schlachtfeld hat der Kommandeur der Division in seinem »battle command vehicle«, dessen Daten aber auch an andere Kommandostellen übermittelt werden.

Funktionen der High-Tech-Rüstung

Die informationstechnische Kopplung von der Kommandozentrale bis hinunter zum einzelnen Soldaten dient nicht allein der Übersetzung eines technologischen in einen militärischen Vorsprung, sondern auch der besseren Steuerung bei der Übersetzung politischer Ziele in militärische Aktionen (vgl. Bernhardt/Ruhmann 1997). Die geschrumpfte Zahl von Gegnern und deren militärischer Ausrüstungsgrad verleiht der technisch gestützten militärischen Bereitschaft der USA Glaubwürdigkeit. Fehlschläge wie bei der UN-Mission in Somalia werden dabei gern ausgeblendet, Erfolge wie nach dem Golfkrieg oder auch beim Bosnieneinsatz hervorgehoben.

Als politische Funktion dieser Art von Glaubwürdigkeit entpuppt sich Information Warfare als neues Mittel, um potentiellen Aggressoren als zur Abschreckung taugliches Kriegsspiel zu dienen. Die Technik dafür kann als mindestens ähnlich glaubhaft angesehen werden wie die gleichfalls auf Berechnungen beruhende Abschreckung zu Beginn des nuklearen Zeitalters. Der Kommandeur des Joint Command and Control Warfare Centers sieht in der Abschreckung ebenso den Zweck von Information Warfare wie die jüngste Weiterentwicklung der AirLand-Battle-Doktrin (Tradoc 1997) .

Neben der militärischen Bedeutung einer Hochtechnologiearmee ist auch weitgehend unumstritten, daß die Förderung von Militärtechnologie durch die Regierung auch ein Mittel zur Stärkung der US-Industrie im zivilen Sektor ist. Neben der Luft- und Raumfahrtindustrie hat davon auch die Informationstechnik-Branche profitiert. Über die Nutzung verschiedener Technologielinien und die Ausgestaltung der für unterschiedliche Technologielinien notwendigen Organisationsstruktur herrscht allerdings keine Einigkeit. So wird kritisiert, das DoD verteidige mit seiner Technologienutzung lediglich den Status Quo und sei weder willens noch in der Lage, die aus neuen politischen Gegebenheiten erforderlichen militärischen Weichenstellungen auch militärtechnologisch umzusetzen (Odom 1997: 62). Wenn jedoch Truppenstruktur und militärtechnologischer Zuschnitt lediglich „Industrielobbies, lokale politische Interessen und Rivalitäten zwischen den Teilstreitkräften“ kennzeichnen (Odom 1997: 63), so ist der einzige eindeutige Zweck der Hochtechnologierüstung der US-Streitkräfte die in den Programmen des Forschungs- und Entwicklungsdirektors des DoD durchgehend betonte Förderung technologischer Überlegenheit gerade auch im Zivilsektor.

Dies und die Betonung von Dual Use, zugleich aber auch die Eigenschaften einer computergestützten Produktion lassen jedoch jenseits der Dispute über die »richtige« Militärtechnologie auch eine andere Deutung zu. Dabei ist zu bedenken, daß die USA gerade in Zeiten reduzierter Militärbudgets wie nach dem Vietnamkrieg wesentliche Neuerungen entwickelten, ohne diese auch notwendigerweise zu beschaffen. Die Multimilliardenbeträge, die das DoD in die Förderung der Forschung und Entwicklung von Informationstechnik steckt (APRA 1997), können danach auch der Erzeugung einer Optionenvielfalt in dem Sinne dienen, daß es hier nicht um Rüstungsprogramme großen Stils, sondern um die Machbarkeit einer Vielzahl von Entwicklungslinien und die Erprobung ihrer militärischen Nutzbarkeit geht. Resultat wäre daher eine von sichtbaren und politisch debattierten Rüstungsvorhaben abgekoppelte »immaterielle Rüstung«, deren Zweck es ist, qualitativ entscheidende Rüstungsgüter nicht mehr materiell bereitzuhalten, sondern als jederzeit abrufbare Design- und Produktionsdaten zum geeigneten Zeitpunkt und für spezifische Zwecke in den Herstellungsprozeß einbringen zu können.

Fazit

Mit der Qualität ihrer Hochtechnologierüstung haben sich die USA schon deutlich von der Ausstattung anderer Streitkräfte abgehoben. Dennoch setzt das DoD weiterhin auf umfangreiche Forschung und Entwicklung, deren Ergebnisse nur sporadisch in den militärischen Einsatzalltag gelangen. Konzeptionelle Defizite und Brüche in der Formulierung politischer und militärischer Ziele werden hier sichtbar. Die Demonstration technologischer Stärke wird aber auch eingesetzt, um einerseits der Abschreckung auf der Basis konventioneller Rüstung Nachdruck zu verleihen und andererseits die Grundlagen für eine immaterielle Rüstung zu legen, deren Anwendung als Potential offengehalten wird. Damit unterscheidet sich diese Herangehensweise kaum von den Grundsätzen einer Technologiepolitik, die Vannevar Bush schon nach dem Zweiten Weltkrieg skizzierte und die weiterhin auf technologische Dominanz setzt, bei der militärische mit ökonomischen Gründen verbunden werden.

Literatur

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APRA-Haushalt (1997): http://www.arpa.mil/documents/98_budget.htm.

Berharndt, Ute und Ingo Ruhmann (1997): Der digitale Feldherrenhügel. Military Systems: Informationstechnik für Führung und Kontrolle; in: Wissenschaft und Frieden, Dossier Nr. 24.

Bush, Vannevar (1945): Sciencce – the Endless Frontier, Washington.

Covault, Craig (1997): NRO Radar, Sigint Launches Readied; in: Aviation Week & Space Technology; Sept. 1, 1997, S. 22-24.

DDR&E (1992) (1994) (1996): Director of Defense Research and Engineering: Defense Science and Technology Strategy; Washington.

Dornheim, Michael A. (1997a): Missile Defense Sonn, But Will it Work? in: Aviation Week & Space Technology; Feb. 24, 1997, S. 38-41.

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Fulghum, David A. (1995): Long-Range Strike Needs Drive Black Programs; in: Aviation Week & Space Technology; Feb 6, 1995, S. 20-22.

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Kiper (199.): Große Anfrage des Abg. Dr. Manuel Kiper und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen: Förderung der Informationstechnik Bundestags-Drucksache 13/8636

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Odom, William E. (1997): Transforming the Military; in: Foreign Affairs, July/August 1997, S. 54-64.

Scott, William B. (1994): Cutbacks Foster Novel Military Space Concepts; in: Aviation Week & Space Technology; Sept. 5, 1994, S. 101-103.

Scott, William B. (1997): Army, navy Space Resources Focus on Tactical Support; in: Aviation Week & Space Technology; Sept. 1, 1997, S. 56-57.

Smith, Bruce L.R.(1990): American Science Policy since World War II; Washington.

Tradoc (1997): Tradoc 525-5, S. 12; http://204.7.227.75:443/force21/tradoc525/525-5toc.htm.

Anmerkungen

1) Dies sind die Programme: Kampfwertsteigerung Patriot und Hawk, Navy Area Defense, Theater High Altitude Air Defense (Thaad), Medium Extended Air Defense (MEADS), Navy Theater Wide Defense und National Missile Defense. Zurück

2) Zu einer ersten Studie: PhilipsLab Awards ABL Contracts; in: Aviation Week and Space Technology, May 23, 1994, S. 15; zur Prototypenbeschaffung: Boeing Team tapped to Build Laser Aircraft, Aviation Week and Space Technology, Nov. 16, 1996, S. 22-23. Zurück

3) Medizinische FuE wird beschrieben im: Director of Defense Research and Engineering: Defense Science and Technology Strategy, Springfield, VA, July,1992, S. II-56, S. 4-2f. Zurück

Ingo Ruhmann ist Diplom-Informatiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim forschungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen.

Eurofighter – Starterlaubnis verweigern!

Eurofighter – Starterlaubnis verweigern!

von Michael Brzoska

Im Frühjahr 1997 soll nun endgültig über die Beschaffung von 180 Eurofighter-Kampfflugzeugen für die Luftwaffe entschieden werden. So hat es Verteidigungsminister Rühe angekündigt. Nach vielen Verzögerungen und grünem Licht für eine Beschaffung in den drei anderen beteiligten Ländern Großbritannien, Italien und Spanien ist der Beschluß überfällig. Jedes weitere Hinausschieben einer Entscheidung kostet weitere Millionen.

Der Verteidigungsminister geht davon aus, eine Mehrheit für die Beschaffung im Bundestag zu haben, wenn auch möglicherweise nur unter Einrechnung von SPD-Fraktionsmitgliedern, die gegen die Parteilinie stimmen. Aber so richtig beliebt ist das Flugzeug bei den meisten Bonner Entscheidungsträgern nicht. Natürlich mit einigen wichtigen Ausnahmen: Schließlich dürfte bei einem Beschaffungsumsatz von mindestens 25 Milliarden DM eine gute Milliarde Gewinn für die Industrie abfallen, vor allem für den Hauptauftragnehmer Daimler Benz Aerospace AG (DASA). Auch die Masse der Arbeitsplätze, egal ob es nun 18.000 sind, wie von der Industrielobby behauptet, oder eher 12.000, wie von unabhängigen Experten errechnet, entsteht bei der DASA und zwar, um genau zu sein, in bayerischen Werken der DASA. Die DASA hat ihren Flugzeugbau weitgehend regional getrennt: Ziviles im Norden, militärisches im CSU-Land Bayern. Nicht umsonst soll das Finanzministerium, unter CSU-Chef Waigel, eine Milliarde für den Eurofighter aus eigenen Töpfen beisteuern.

Aber selbst die starke bayerische Militärflugzeuglobby kann eine solche Beschaffung nicht allein durchdrücken. Wenn der Eurofighter kommen sollte, so liegt das vor allem daran, daß in diesem Projekt vielfältige Interessen gebündelt sind und es eine starke Eigendynamik entfaltet. Wenn ein Riesenprojekt wie der Eurofighter – Gesamtbeschaffungsvolumen für die vier beteiligten Länder etwa 125 Milliarden DM – einmal begonnen worden ist, können es nur starke finanzielle oder politische Argumente stoppen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat beim Eurofighter nicht gereicht. Ob die akute Wirtschaftskrise und Haushaltsebbe reichen wird, ist fraglich.

Theoretisch könnte jetzt, wo die Entwicklung des Flugzeuges dem Ende zugeht und es um den Beginn der Produktion geht, noch einmal grundsätzlich über das Flugzeug diskutiert werden. Die Kosten der Beschaffung und des Betriebs der Flugzeuge durch die Bundesluftwaffe – nach Schätzung des Bundesrechnungshofs mehr als 100 Milliarden DM in den nächsten vier Jahrzehnten – könnten dem erwarteten Nutzen – Abschreckung möglicher Gegner im Osten und Süden der NATO, Einsatz bei Out-of-area-Einsätzen – gegenübergestellt werden. Bürger und Parlament könnten entscheiden, ob die absehbare Sicherheitslage wirklich erfordert, daß jeder deutsche Einkommenssteuerzahler im Durchschnitt fast 3.000 DM zum Kauf und Betrieb eines Jagdflugzeuges beisteuert, während gleichzeitig die Sozialbudgets zusammengestrichen werden.

Bei nüchterner Betrachtung stellt sich schnell heraus, daß die Argumente für den Eurofighter schwach sind. Beispiel Sicherheitspolitik: angesichts der jetzigen Sicherheitslage in Europa kann ein Jagdflugzeug keine Priorität haben – die NATO ist schon hoch überlegen und wird diese Überlegenheit auch ohne deutsche Eurofighter noch steigern. Darüber hinaus: In den neuen Kostenschätzungen für die NATO-Erweiterung wird davon ausgegangen, daß es in absehbarer Zeit keine Bedrohung aus dem Osten gibt. Beispiel Wirtschafts- und Technologiepolitik: Langfristig hat der eigenständige militärische Flugzeugbau in Deutschland keine Zukunft angesichts der Größenordnungen, die die Konkurrenz in den USA, aber auch in Großbritannien und Frankreich erreicht hat. Es ist offensichtlich, daß der zivile Flugzeugbau weitaus bessere Chancen hat. Mehr Arbeitsplätze könnten beschafft und zukunftsträchtigere Technologien entwickelt werden, wenn das Geld nicht für den Eurofighter, sondern etwa für ein neues Großraumflugzeug oder unweltschonende Flugzeugantriebe ausgegeben würde. Das gilt natürlich auch für andere Innovationsfelder, etwa die Solartechnologie.

Die vernünftige Lösung ist der Verzicht auf den Eurofighter. Die Haushaltslage verbietet die Festlegung von weit über 20 Milliarden DM für ein Jagdflugzeug. Das Geld kann anders sinnvoller eingesetzt werden, um Beschäftigung zu sichern. Die jetzt begonnenen Verhandlungen über eine Revision des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa erlauben es überdies, mit diesem Verzicht Abrüstungsschritte in anderen Staaten zu verbinden.

Soweit die Theorie. In der politischen Praxis hat die Vernunft es schwer gegen Lobbyisten, die die klare Sicht auf die Fakten vernebeln, und Argumente, die bei genauerem Hinsehen keine sind. Und sie hat es schwer, weil am Verfahren schon länger Beteiligte an ihren früheren Entscheidungen festhalten wollen. Denn sonst drohen denjenigen, die die frühere Fehlinvestition zu verantworten haben, unangenehme Fragen.

Um so wichtiger ist es, die Diskussion um den Eurofighter auf der Grundlage von Argumenten zu führen und nicht unter dem Zwang früherer Entscheidungen. Und sich nicht mit einer abermaligen Verschiebung abspeisen zu lassen, sondern auf dem Verzicht der Beschaffung zum jetzigen Zeitpunkt zu bestehen.

Michael Brzoska ist stellvertretender Leiter des Bonner Konversionsinstituts (BICC)

Atomwaffeneinsatz ist völkerrechtswidrig

Atomwaffeneinsatz ist völkerrechtswidrig

Der Internationale Gerichtshof bezieht Position

von Dieter Deiseroth

Am 8. Juli 1996 hat der Internationale Gerichtshof (IGH)1 in Den Haag in einem von der UN-Generalversammlung eingeleiteten Gutachten-Verfahren nach Art. 96 Abs. 2 der UN-Charta2 eine Entscheidung3 getroffen, die für die internationalen Beziehungen, insbesondere für die künftige Rolle von Atomwaffen, von großer Bedeutung sein kann. Die deutsche Tages- und Wochenpresse4 und die Fernsehanstalten haben darüber bislang kaum berichtet. Die Kernaussage des Richterspruches (»advisory opinion«) lautet: Die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen das Völkerrecht und im besonderen gegen die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.

Das »World-Court-Project«

Das Verfahren vor dem IGH, das mit dem Richterspruch des IGH vom 8. Juli 1996 endete, ist zu einem wesentlichen Teil Ergebnis eines erfolgreichen Zusammenwirkens von Nichtregierungsorganisationen (NROs) sowie von Diplomaten und Regierungsvertretern aus »atomwaffenkritischen« Staaten, vor allem aus der Bewegung der sog. Blockfreien.5 Ausgangspunkt war eine »Startveranstaltung« (»International Launch«) am 14. und 15. Mai 1992 in Genf. An jenem Wochenende schlossen im Genfer Hauptquartier der Vereinten Nationen drei weltweit tätige NROs, nämlich die Internationale Ärztevereinigung IPPNW (Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1985), die Juristenorganisation IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms) und das in Genf residierende IPB (International Peace Bureau, Friedensnobelpreisträger des Jahres 1910) ein Zweckbündnis6. Dieses Zweckbündnis setzte sich unter der Bezeichnung »World Court Project« (Projekt Internationaler Gerichtshof) das konkrete Ziel, über Anträge einer UN-Sonderorganisation und nach Möglichkeit der UN-Generalversammlung ein Gutachten-Verfahren nach Art. 96 der UN-Charta beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag einzuleiten, um einen Richterspruch zu der seit Jahrzehnten umstrittenen Frage herbeizuführen, ob ein Einsatz von Atomwaffen und die Androhung eines solchen mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar sind.

Nur ein Jahr später konnte die Kampagne einen Zwischenerfolg verbuchen. Die »World Health Assembly«, das Hauptorgan der Weltgesundheitsorganisation (WHO), beschloß – gegen den heftigen Widerstand der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten – am 14. Mai 1993 in Genf mit der Mehrheit von 73 Ja-Stimmen gegen 40 Nein-Stimmen, beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag nach Art. 96 Abs. 2 UN-Charta ein Rechtsgutachten (»advisory opinion«) zu der Frage einzuholen, ob angesichts der Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt die Anwendung von Nuklearwaffen durch einen Staat im Krieg oder in einem anderen bewaffneten Konflikt einen Bruch seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen einschließlich der WHO-Verfassung bedeuten würde (Resolution WHA 46.40). Diesem Votum der »Weltgesundheitsversammlung« war eine intensive Mobilisierungsarbeit der Trägerorganisationen des »World Court Projects« und zahlreicher Regierungsvertreter und Diplomaten insbesondere aus den sogenannten blockfreien Staaten vorausgegangen. Diese wurde dadurch erleichtert, daß in mehreren Delegationen von WHO-Mitgliedsstaaten engagierte Aktivisten der IPPNW vertreten waren, die im Vorfeld und während der Weltgesundheitsversammlung unmittelbar bei den anderen Delegierten für das Projekt werben konnten. Argumentativ unterstützt wurden sie durch völkerrechtliche Studien und Vorlagen, die von Juristen aus dem Bereich der IALANA erstellt worden waren und weltweit der Kampagne zur Verfügung standen.7

Trotz des großen politischen und auch finanziellen Drucks der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten ging die UN-Generalversammlung im Jahre 1994 sogar noch einen Schritt weiter als die WHO, nachdem ein ähnlicher Versuch im Vorjahre »steckengeblieben« war. Mit der Mehrheit von 78 Ja-Stimmen gegen 43 Nein-Stimmen (bei 38 Enthaltungen) verlangte die UN-Generalversammlung am 15. Dezember 1994 in ihrem Antrag vom IGH nicht nur die Prüfung der Völkerrechtsmäßigkeit des Einsatzes von Atomwaffen, sondern auch der Androhung eines Nuklearwaffen-Einsatzes (Resolution 49-75 K).

In der Zeit vom 30. Oktober bis 15. November 1995 hielt der IGH dann öffentliche Anhörungen ab, um allen Staaten, die zuvor fristgerecht schriftliche Stellungnahmen vorgelegt hatten, Gelegenheit zu geben, diese mündlich zu ergänzen, sowie um Fragen des Gerichts zu beantworten. Insgesamt gaben 22 Staatenvertreter mündliche Statements ab (Australien, Ägypten, Frankreich, Deutschland, Indonesien, Mexiko, Iran, Italien, Japan, Malysia, Neuseeland, Philippinen, Quatar, Rußland, San Marino, Samoa, Marshall Inseln,Solomon Inseln, Costa Rica, Vereinigtes Königreich, USA und Zimbabwe).

Aus dem Bereich des »World Court Projects« waren Entwürfe für Stellungnahmen gefertigt und interessierten Regierungen zur Verfügung gestellt worden.8 Außerdem sammelten die Trägerorganisationen weltweit Unterschriften für eine »Declaration of Conscience to the United Nations« und vor allem in Japan für den »Hiroshima und Nagasaki Appell«. Die »Unterstützerliste« umfaßte Hunderte von Organisationen (u.a. Greenpeace International, das International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility – INES – , eine Vielzahl von Kirchen, Gewerkschaften, und Bürgerrechtsgruppen) sowie zahlreiche prominente Einzelpersönlichkeiten, darunter der frühere Präsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow, der langjährige Ministerpräsident Neuseelands David Lange, der Dalai Lama, eine Vielzahl von Bischöfen sowie mehrere Nobelpreisträger. Die Repräsentanten des »WC-Projekts« konnten schließlich dem sichtlich beeindruckten Registrar (Kanzler) des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag die Listen mit ca. 145.000 (von insgesamt mehr als 100 Millionen) gesammelten Unterschriften übergeben.9

Der Richterspruch

Während der Gerichtshof10 das Gutachten-Begehren der WHO aus formellen Gründen für unzulässig hielt, bejahte er die Zulässigkeit des Gutachtenantrages der UN-Generalversammlung und faßte seinen Richterspruch in sechs Punkten zusammen (vgl. Kasten).

Die Kernaussage (E.) des Richterspruchs des IGH besteht darin, daß die Androhung und der Gebrauch von Atomwaffen generell (»generally«) gegen die Regeln des für bewaffnete Konflikte geltenden Völkerrechts verstoßen würden, im besonderen gegen die Prinzipien und Regeln des sogenannten humanitären (Kriegs-)Völkerrechts. Denn bei einem Einsatz von Atomwaffen würden die folgenden Regeln des sog. humanitären (Kriegs-)Völkerrechts gelten und zu beachten sein, die aber aufgrund der spezifischen Eigenschaften von Nuklearwaffen nicht eingehalten werden könnten: 1.) Jeder Einsatz von Waffen muß zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und der Zivilbevölkerung unterscheiden; 2.) unnötige Grausamkeiten und Leiden müssen vermieden werden; 3.) unbeteiligte und neutrale Staaten dürfen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Allerdings sah sich der Gerichtshof nicht in der Lage, positiv oder negativ definitiv festzustellen, ob der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen ausnahmsweise in einer für einen Staat existenzgefährdenden extremen Notwehrsituation rechtmäßig oder rechtswidrig wäre. Einstimmig haben die Richter darüber hinaus festgestellt (F.), daß bereits heute die verbindliche Rechtspflicht insbesondere der Atomwaffenstaaten aus Art. VI des Nichtweiterverbreitungsvertrages (sog. Atomwaffensperrvertrag) besteht, ernsthaft über die Abschaffung der Atomwaffen mit dem Ziel »Null« zu verhandeln und diese Verhandlungen zu einem Abschluß zu bringen.

Das Abstimmungsergebnis hinsichtlich der Kernaussage (E.) von 7 zu 7 Richterstimmen, wobei die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gab, war nur scheinbar knapp: Drei weitere Richter (Weeramantry aus Sri Lanka, Shahabuddeen aus Guyana und Koroma aus Sierra Leone) votierten nur deshalb gegen die »Präsidentenmehrheit«, weil es nach ihrer Auffassung nicht nur »generell«, sondern – weitergehend – ausnahmslos keine denkbare Rechtfertigung für einen Atomwaffeneinsatz geben könne; insofern ist die Sachentscheidung in dieser Frage mit einer Mehrheit von 10 zu 4 Richterstimmen ergangen. Die vier überstimmten Richter kommen aus den Atomwaffenstaaten USA, UK, Frankreich sowie aus Japan.11

Konsequenzen des Richterspruchs?

Die vom Internationalen Gerichtshof am 8. Juli d.J. verkündete Entscheidung hat zwar – wie sich aus Art. 96 der UN-Charta ergibt – »nur« die Rechtsqualität eines gerichtlichen Gutachtens, dem grundsätzlich keine unmittelbare Zwangswirkung zukommt. Dennoch haben auch solche Gutachten-Entscheidungen des IGH große Relevanz. Dies ergibt sich bereits aus der Stellung des Gerichtshofes. Im Gutachten-Verfahren wendet der Gerichtshof dieselben Rechtsquellen an wie in einem Klageverfahren; er prüft die ihm vorgelegten Fragen auf der Grundlage des nach Art. 38 Abs. 1 des IGH-Statuts anwendbaren Rechts.12 Die Gutachten ergehen in einem mit rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren nach Maßgabe des allseits anerkannten IGH-Statuts. Die UN-Charta geht davon aus, daß der Gerichtshof die geltende Rechtslage sorgfältig ermittelt und daß das von ihm dann erstellte Rechtsgutachten klarstellt, was rechtmäßig und was rechtswidrig ist. Als Expertisen des »Weltgerichtshofes« interpretieren die IGH-Gutachten das bestehende Völkerrecht und stellen insoweit sowohl für die Staatenpraxis als auch für die Rechtslehre eine bedeutsame »Sach-Autorität« dar, was gerade auch die große Relevanz der bisher vom IGH erstellten Rechtsgutachten belegt.13 Daran können namentlich diejenigen Staaten, die sich als Rechtsstaaten verstehen, nicht vorbeigehen. Dies hat auch innerstaatliche Rechtswirkungen.

In der Bundesrepublik Deutschland sind nach Art. 25 GG die »allgemeinen Regeln des Völkerrechts«, zu denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls das Völkergewohnheitsrecht14 und damit auch die vom IGH in seiner Entscheidung herangezogenen Grundsätze des sog. humanitären Kriegsvölkerrechts gehören, »Bestandteil des Bundesrechtes«, das vom Gesetzgeber, von der Regierung, der Verwaltung und den Gerichten strikt zu beachten ist (Art. 20 Abs. 3 GG); sie „gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“.

Für den Bereich der Bundeswehr ist darüberhinaus spezialgesetzlich in § 10 Abs. 4 des deutschen Soldatengesetzes bestimmt, daß Vorgesetzte „Befehle nur … unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen“ dürfen. Mit anderen Worten: In der Bundeswehr dürfen keine Befehle erteilt werden, die gegen geltendes Völkerrecht verstoßen. Von daher läßt sich feststellen: Was der Internationale Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 8. Juli 1996 als geltendes Völkerrecht festgestellt hat, darf jedenfalls im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland gerade auch von Verfassungs wegen nicht ignoriert werden. Geltendes Völkerrecht bindet nicht nur alle Verfassungsorgane und die Gerichte, sondern auch alle militärischen Vorgesetzten und alle Soldaten.

Daraus ergeben sich wichtige Fragen, die einer baldigen Antwort bedürfen und denen sich insbesondere auch der Deutsche Bundestag stellen muß:

  • Wenn nach dem vom Internationalen Gerichtshof festgestellten geltenden Völkerrecht die Anwendung von Atomwaffen, ja bereits die Androhung eines solchen Einsatzes generell völkerrechtswidrig sind, läßt sich dann die nach wie vor geltende NATO-Nuklearstrategie – jedenfalls aus rechtlichen Gründen – auch nur noch einen Tag länger aufrechterhalten?

Zu dieser Frage besteht Anlaß. Denn die deutsche Bundesregierung hat zur NATO-Nuklearstrategie noch am 21. April 1993 vor dem Deutschen Bundestag erklärt:

Die „eurogestützten Nuklearwaffen haben weiterhin eine wesentliche Rolle in der friedenssichernden Gesamtstrategie des Bündnisses, weil konventionelle Streitkräfte allein die Kriegsverhütung nicht gewährleisten können… Deshalb wird die Bundesregierung … nicht für einen Verzicht auf die Option der Allianz eintreten, ggf. Nuklearwaffen als erste einzusetzen. … Die Erklärung des Verzichts auf die Möglichkeit eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen durch das (NATO-)Bündnis würde die Kriegsverhütungsstrategie aushöhlen. Die Möglichkeit und Führbarkeit konventioneller Kriege würde zunehmen.“ 15

  • Wie sich aus der vom Bundesverteidigungsminister vorgelegten »Konzeptionellen Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr« vom 12.Juli 199416 ergibt, werden im Rahmen der »Krisenreaktionskräfte« der Bundeswehr u.a. „in der Luftwaffe 6 fliegende Staffeln (mit Tornado-Flugzeugen) für … nukleare Teilhabe“ bereitgehalten. Diese Tornadoflugzeuge sollen im Krisenfalle „als Trägersysteme dem Bündnis zur Verfügung“ gestellt werden. Mit anderen Worten: Die Einsatzplanung sieht vor, daß im Rahmen der »nuklearen Teilhabe« ggf. deutsche Tornadoflugzeuge mit (amerikanischen, britischen oder französischen) Atomwaffen beladen und von deutschen Piloten und Besatzungen zu Einsatzorten geflogen werden.

Damit stellt sich nicht nur die Frage, wie eine solche Einsatzplanung mit dem völkerrechtlich wirksamen Verzicht Deutschlands17 auf jede unmittelbare oder mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen vereinbar sein kann,18 der sich aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag (Atomwaffensperrvertrag) und dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag ergibt. Nach der IGH-Entscheidung vom 8. Juli d.J. ist darüber hinaus zu fragen, wie eine solche »nukleare Teilhabe« und darauf gerichtete Planungen und Übungen weiter aufrechterhalten werden können, wenn der Einsatz von Nuklearwaffen – wie nun festgestellt – generell völkerrechtswidrig ist.

  • Des weiteren stellt sich die Frage, ob die Entscheidung des IGH nicht auch Konsequenzen für die Stationierung und Lagerung von Atomwaffen haben muß. Nach der Greenpeace-Studie »The 520 Forgotten Bombs«19 sind in Europa nach wie vor mehrere Hundert atomare Sprengköpfe gelagert, davon ein Großteil in Deutschland an den Standorten Büchel, Spangdahlem, Ramstein, Memmingen und Brüggen. Wenn nach der IGH-Entscheidung die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell völkerrechtswidrig sind, dürfen dann weiterhin Atomwaffen an den Stationierungsorten für einen Einsatz bereitgehalten werden? Wird dadurch nicht einem Völkerrechtsbruch Vorschub geleistet?
  • Schließlich ist erkennbar, daß die IGH-Entscheidung vom 8. Juli d.J. auch unmittelbare Auswirkungen für die in Genf laufenden Verhandlungen über ein umfassendes Atomteststopp-Abkommen hat. Der Abschluß dieser Verhandlungen scheiterte bislang daran, daß sich namentlich Indien geweigert hat, einem solchen Abkommen zuzustimmen, solange die Atomwaffenstaaten nicht verbindlich zusagen20, daß sie binnen eines festen Zeitplanes gemäß Art. VI des NN-Vertrages zu Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung (mit dem Ziel »Null«) unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle bereit sind.

Der Internationale Gerichtshof hat in seinem Richterspruch deutlich gemacht, daß sich eine solche Pflicht der Atomwaffenstaaten bereits aus dem geltenden Völkerrecht ergibt. Mit anderen Worten: Alle Staaten, die – wie Indien – nach der bereits erreichten völkerrechtlichen Ächtung der biologischen21 und chemischen22 Massenvernichtungswaffen – auch ein ausdrückliches vertragliches Verbot aller Nuklearwaffen durch eine »A-Waffen-Konvention«23 verlangen, können sich auf geltendes Völkerrecht berufen.

Völkerrechtlich hat das »nach-nukleare Zeitalter« spätestens am 8. Juli 1996 begonnen.

Der Tenor des Richterspruchs des Internationalen Gerichtshofs (in deutscher Übersetzung):

  • A. Es gibt weder im Völkergewohnheitsrecht noch im
    Völkervertragsrecht eine spezifische Ermächtigung zur Androhung oder zum Einsatz von
    Atomwaffen. (einstimmig)
  • B. Weder im Völkergewohnheitsrecht noch im
    Völkervertragsrecht gibt es eine umfassende und weltweit geltende Rechtsnorm, die
    ausdrücklich die Androhung oder den Einsatz von Atomwaffen als solche verbietet.
    (Abstimmungsergebnis: 11 zu 3 Richterstimmen)
  • C. Ein Androhen oder ein Einsetzen von Atomwaffen, das gegen
    das Gewaltanwendungsverbot des Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta oder gegen die sich aus Art.
    51 der UN-Charta ergebenden Anforderungen verstoßen würde, wäre völkerrechtswidrig.
    (einstimmig)
  • D. Ein Androhen des Einsatzes oder ein Einsetzen von
    Atomwaffen müßte mit den Anforderungen vereinbar sein, die sich aus dem für bewaffnete
    Konflikte geltenden Völkerrecht, insbesondere aus den Prinzipien und Regeln des sog.
    humanitären (Kriegs-)Völkerrechts und aus den Verpflichtungen aus abgeschlossenen
    völkerrechtlichen Verträgen und anderen Übereinkünften ergeben, die speziell
    Atomwaffen betreffen. (einstimmig)
  • E.(1) Aus den oben (unter A. bis D.) erwähnten Anforderungen
    ergibt sich, daß die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen generell gegen diejenigen
    Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten,
    insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegs-Völkerrechts.
  • E.(2) Allerdings kann der Gerichtshof angesichts der
    gegenwärtigen Lage des Völkerrechts und angesichts des ihm zur Verfügung stehenden
    Faktenmaterials nicht definitiv die Frage entscheiden, ob die Androhung oder der Einsatz
    von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz eines
    Staates auf dem Spiele stünde, rechtmäßig oder rechtswidrig wäre.
    (Abstimmungsergebnis: 7 zu 7, wobei die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gab).
  • F. Es besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung, in
    redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluß zu bringen, die zu nuklearer
    Abrüstung (Entwaffnung) in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer
    internationaler Kontrolle führen.(einstimmig)

Anmerkungen

1) Der Internationale Gerichtshof („International Court of Justice“ ist – neben dem UN-Sicherheitsrat, der UN-Generalversammlung und dem UN-Wirtschafts- und Sozialrat – ein Hauptorgan der Vereinten Nationen.Er hat seinen Sitz im sog. Friedenspalast in Den Haag (Niederlande). Ihm gehören 15 Richter an, die in getrennten Wahlgängen vom UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung auf neun Jahre gewählt werden, wobei alle drei Jahre jeweils ein Drittel neu- oder wiedergewählt wird. Vor dem Internationalen Gerichtshof gibt es im wesentlichen zwei Verfahrensarten: das Klageverfahren nach Art. 40 des IGH-Statuts und das Gutachtenverfahren nach Art. 96 UN-Charta. Zurück

2) Art. 96 der UN-Charta lautet: (1) Die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat kann über jede Rechtsfrage ein Gutachten des Internationalen Gerichshofs anfordern. (2) Andere Organe der Vereinten Nationen und Sonderorganisationen können mit jeweiliger Ermächtigung durch die Generalversammlung ebenfalls Gutachten des Gerichtshofs über Rechtsfragen anfordern, die sich in ihrem Tätigkeitsbereich stellen. Zurück

3) Aktenzeichen: General List No. 95. Zurück

4) Im wesentlichen (Ausnahme: Kieler Nachrichten vom 9.7.1996) beschränkte sich die Berichterstattung auf „Einspalter“, vgl. u.a. Südd.Zeitung vom 9.7.1996, S. 2; FAZ vom 9.7.1996, S. 1 und 2; FR vom 9.7.1996, S. 1; Die Welt vom 9.7.1996, S. 1; TAZ vom 9.7.1996, S. 2; vgl. demgegenüber die relativ breite Berichterstattung in den britischen Zeitungen, u.a. Financial Times, Daily Telegraph, The Independent, Morning Star, jeweils vom 9.7.1996. Zurück

5) Vgl. dazu u.a. Manfred Mohr, Das „World Court Project“ – vom Erfolg einer NGO-Kampagne, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften (Hrsg. vom Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes, Heft 3/1995, S. 146 ff; Dieter Deiseroth, Chronologie einer erfolgreichen NRO-Aktion, in: Jahrbuch Frieden 1997 (i.E.), Hrsg.von Hanne-Margret Birckenbach/Uli Jäger/Christian Wellmann, München 1996; Vorabdruck in: Frankf.Rundschau vom 16.8.1996. Zurück

6) Vgl. dazu u.a. die Eröffnungsrede des Außenministers von Zimbabwe, Nathan Shamyurira, sowie die Beiträge des ehemaligen Präsidenten des Supreme Court von Indien, P.N. Bhagwati, und der Völkerrechtler Prof. Richard Falk (Princeton University, USA) und Prof. P.J.I.M. de Waart (Freie Universität Amsterdam), in: World Court Project. International Launch. Geneva, 14-15 May 1992. Hrsg. vom International Peace Bureau, Geneva, November 1992. Zurück

7) Vgl. u.a. The World Court Project On Nuclear Weapons And International Law. Legal Memorandum by Nicholas Grief. Northampton 1992 (in dt. Übers. unter dem Titel „Völkerrecht gegen Kernwaffen“, Marburg 1993); William Epstein/Allyn Ware/Peter Weiss, World Court Project – How might the Court rule? What effect will that have? New York 1993. Zurück

8) Michael Bothe, Nuclear Weapons and the International Court of Justice (engl. und dt.), Marburg 1994; Peter Weiss/Burns Weston/Richard Falk/Saul Mendlowitz, in: Transnational Law and Contemporary Problems, 1994, pp. 721 – 823; P. Weiss/M. Duncan, Model Response, Sept. 1995; The Japan Center of World Court Project (Ed.), Non-Gonvernmental Statement To Be Submitted To The International Court of Justice, 2nd Edition, May 1995. Zurück

9) Vgl. dazu u.a. IALANA-Newsletter No. 7, 1994, p. 1; Mohr, aaO, S. 149; vgl. zur neuen Rolle der NROs u.a. UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali, in: Der Spiegel Nr. 31/1996, S. 116 ff, 118: „Ich möchte versuchen, die Unterstützung neuer Mitspieler zu gewinnen, Zustimmung von unten zu bekommen, von den Graswurzelorganisationen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Begeisterung die Widerstände der Regierungen überwinden können…“. Zurück

10) In einer Mehrheitsentscheidung von 11 zu 3 Richterstimmen. Zurück

11) Der deutsche Richter Fleischhauer, der russische Richter Vereshchetin und Richter Shi aus China stimmten mit der Präsidentenmehrheit. Zurück

12) Vgl. dazu u.a. Mosler, in: Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, 1991, Art. 96 Rdnr. 31. Zurück

13) Vgl. u.a. die für die völkerrechtliche Entwicklung bedeutsamen IGH-Gutachten zu den Vorbehalten zu der Konvention über den Völkermord (ICJ Reports 1951, p. 15), zum Ersatz der Kosten von UN-Einsätzen (ICJ Reports 1962, p. 151) und zur Namibia-Frage (ICJ Reports 1971, p. 27). Zurück

14) Vgl. dazu u.a. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl. 1994, S. 163; Knut Ipsen/Horst Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl. 1990, § 74 Rdnr. 15 m.w.N. Zurück

15) Vgl. Bundestags-Drucksache 12/4766, S. 3. Zurück

16) Hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung, Bonn 1994, S. 7f. Zurück

17) Vgl. dazu u.a. Knut Ipsen, Europaarchiv (EA) 1972, S. 589ff. Deiseroth, Atomwaffenverzicht der Bundesrepublik – Reichweite und Grenzen der Kontrollsysteme, in: Archiv des Völkerrechts (AVR) 1990, S. 113ff. Matthias Küntzel, Bonn und die Bombe. Deutsche Atomwaffenpolitik von Adenauer bis Brandt, 1992, S. 243ff. Zurück

18) Vgl. dazu u.a. Dieter Mahnke, Nukleare Mitwirkung, 1972, S. 239ff. Deiseroth, Nukleare Teilhabe Deutschlands? auszugsweise in: Frankf. Rundschau vom 29.1.1996, S. 1. Zurück

19) Vgl. Greenpeace, The 520 Forgotten Bombs. 18. April 1995, S. 5. Zurück

20) Vgl. u.a. International Herald Tribune vom 30.Juli 1996, S. 8; FAZ vom 2.8.1996, S. 2. Zurück

21) Vgl. Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über ihre Vernichtung vom 10.4.1972, BGBl. 1983 II S. 132. Zurück

22) Übereinkommen vom 13.1.1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen; wegen Fehlens der erforderlichen Mindestzahl von Ratifikationen bisher noch nicht in Kraft. Zurück

23) Vgl. dazu den Vorschlag des „International Network of Engineers And Scientists Against Proliferation (INESAP), Beyond the NPT: A Nuclear-Weapon Free World, Darmstadt 1995, (vgl. auch die dt.Übers. „Über den Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen hinaus: Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt“, IALANA-Verlag, Marburg, 1995). Zurück

Dr. Dieter Deiseroth ist Richter und einer der stellvertr. Vorsitzenden der IALANA

Subkritische unterirdische Tests

Subkritische unterirdische Tests

Eine neue Untergrabung des Umfassenden Teststoppvertrages?

von Martin B. Kalinowski

Das U.S. Department of Energy plant, in den Jahren 1996 und 1997 sechs subkritische Tests durchzuführen. Diese Explosionen werden in zwei Serien mit den Namen »REBOUND« (Rückprall, Rückschlag) und »HOLOG« in dem 300 Meter tief gelegenen Low Yield Nuclear Experiment Research (LYNER) Tunnel auf dem Testgelände in Nevada gezündet, der ursprünglich für hydronukleare Explosionen gebaut wurde. Der erste subkritische Test ist für den 18. Juni 1996 angekündigt, der zweite wird für den 12. September erwartet und weitere vier Tests sollen 1997 folgen. Die Daten können sich noch ändern. Weiterhin gab das U.S. DOE bekannt, daß mit der Firma Bechtel Nevada Corporation ein Vertrag mit fünfjähriger Laufzeit über 1,5 Milliarden US<0> <>$ abgeschlossen worden ist, nach dem diese Firma das Management und den Betrieb des Testgeländes in Nevada übernimmt.

Was sind subkritische Tests?

Trotz einiger Unklarheiten in der Terminologie kann man sagen, daß i.d.R. unter subkritischen Tests keine hydronuklearen Tests zu verstehen sind. Dennoch kann eine fast komplette Kernwaffe oder ähnliche Anordnung als subkritischer Test gezündet werden, indem dafür gesorgt wird, daß keine Kritikalität entsteht, beispielsweise indem das spaltbare Material weitgehend durch abgereichertes oder Natururan ersetzt ist.

Im Fall der geplanten Experimente in den USA werden zwei auf einander gegenüberliegenden Stahlplatten montierte Plutoniumteile mit diesen Platten aufeinandergeschossen. Sie haben keine Ähnlichkeit mit Kernwaffengeometrien. Das Energieministerium hat jedoch deutlich gemacht, daß es sich vorbehält, irgendwann doch Kernwaffenkonfigurationen in subkritischen Experimenten zu testen.

Bei subkritischen Tests wird darauf geachtet, daß das spaltbare Material bei der Kompression durch den chemischen Sprengstoff nicht kritisch wird und keine sich selbst erhaltende Kettenreaktion entsteht. Es kommt aber zu einer erhöhten Neutronenmultiplikation, weil die Spaltungsrate über die Spontanspaltrate ansteigt und damit wird auch eine, wenn auch im Vergleich zum chemischen Sprengstoff nur geringe, nukleare Energie freigesetzt. Das Ziel der Experimente besteht darin, bestimmte physikalische Parameter von gealtertem Plutonium unter Kompression zu studieren. Die so gewonnen Daten werden für eine verbesserte Computersimulation von Kernwaffen benötigt, insbesondere um Alterungsprozesse und deren Auswirkungen auf die Funktion der Kernwaffen zu studieren. Die Begründung bezieht sich also auf das Stockpile Stewartship and Management Programm der USA und dient nicht der Neuentwicklung von Kernwaffen.

Warum unterirdisch?

Nach meiner Meinung ist das Hauptproblem dieser Tests, daß sie unterirdisch durchgeführt werden und daß sie als Begründung für sowie als Demonstration des Erhalts des Tetsgeländes und der Bereitschaft dienen, das unterirdische Testen mit voller Sprengkraft jederzeit wieder aufzunehmen. Frankreich hingegen hat versprochen, das Testgelände in Polynesien zu schließen.

Durch die fortgesetzte Durchführung subkritischer unterirdischer Tests wird die Verifizierung des Teststoppabkommens und die Transparenz am Testgelände verkompliziert. Der LYNER Tunnel kann von Inspektoren betreten werden. Es ist also denkbar, daß Maßnahmen ergriffen werden können, mit denen transparent gemacht werden kann, was für Experimente durchgeführt werden, ohne geheime Informationen über Kernwaffentechnologie preis zu geben.

Subkritische Tests verbreiten toxische und radioaktive Materialien, inklusive der relativ geringen Mengen an Spaltprodukten, die erzeugt werden. Daher ist es von Vorteil, die Tests unterirdisch bei traditionellen Testgeländen durchzuführen, um die Freisetzungen minimal zu halten. Es gibt allerdings auch eine Alternative. Das Los Alamos National Laboratory hat Stahlcontainer angeschafft, in denen Explosionen von bis zu 10 kg TNT eingeschlossen werden können. Die bei der Explosion gebildeten Gase bleiben im Behälter und werden nach der Analyse über einen Filter abgelassen. Offensichtlich wäre es langwierig und wenig erfolgversprechend, für die Durchführung von subkritischen Tests in einem solchen Container eine Lizenz zu erhalten.

Proliferationsgefahren

Eine gefährliche Tür für Kernwaffenproliferation würde sich öffnen, wenn sich die Amerikaner durchsetzen sollten und subkritische Test nicht durch den Umfassenden Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty – CTBT) ausgeschlossen würden. Dann wären sie nämlich auch für alle anderen Länder legitimiert. Für Nichtkernwaffenstaaten, die den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) unterschrieben haben, sind derartige Experimente nach gängiger Auslegung dieses Vertrages zwar verboten. Aber ein CTBT, der diese Experimente zuließe, könnte die internationale Anerkennung dieser Auslegung schwächen, da sie nicht vertraglich geregelt ist.

Einfluß auf die Teststoppverhandlungen

Nach dem Stand der Verhandlungen bei der Abrüstungskonferenz in Genf sollen ohnehin nur unterirdische Tests durch den Umfassenden Teststoppvertrag verboten werden, allerdings offenbar nicht alle. Zwar ist die Diskussion um eine Schwelle, unterhalb derer das Testen nicht verboten werden soll, vom Tisch, nachdem Frankreich und England der von den USA vorgeschlagenen »zero yield«-Grenze zugestimmt haben. Das war ein entscheidender Durchbruch im vergangenen Herbst.

Allerdings sollen diese subkritischen Tests mit sehr geringer nuklearer Energiefreisetzung nach den Vorstellungen der USA erlaubt bleiben. Das »true zero« ist also ein »fast null«. Die Grenze dessen, was erlaubt bleiben soll, scheint nun unterhalb der Kritikalität zu liegen.

Man fragt sich, ob der Name »REBOUND« darauf hinweisen soll, daß die Waffenlaboratorien durch den Teststoppvertrag einen schweren Rückschlag erleiden, oder ob diese Tests nicht ihrerseits für die Verhandlungen zum Teststoppvertrag einen gravierenden Rückschlag bedeuten. Realistisch muß man wohl zu dem Schluß kommen, daß das Pentagon und die Waffenlaboratorien nicht weiter eingeschränkt werden konnten und die subkritischen Tests das notwendige Opfer sind, das ihnen von Abrüstungswilligen gebracht werden mußte, um zu einem Kompromiß zu gelangen.

Um auch subkritische Tests durch den Teststoppvertrag bannen zu können, schlägt Indien eine Definition vor, wonach jede Explosion mit nuklearer Energiefreisetzung verboten werden soll, bei der spaltbares Material durch chemische Sprengung oder andere Mittel komprimiert wird. Dieses ist allerdings die weitestgehende Forderung, die noch eine – wenn auch nur geringe – Chance hat, eine breite Unterstützung zu finden. Ihr Hauptproblem ist, daß diese Definition eine größere Zahl ziviler Experimente v.a. im Bereich der Trägheitseinschlußfusion einschließen würde, die nicht verboten werden sollen, sofern sie nicht für Kernwaffenforschung verwendet werden.

Die Position von blockfreien Ländern wie Indonesien, die alle Aktivitäten der Kernwaffenforschung sowie Vorbereitungsaktivitäten für unterirdische Tests verbieten wollen, bleibt chancenlos. Letztere wären aber erforderlich, um Vorbereitungen für zugelassene subkritische Tests von solchen für Volltests unterscheiden zu können.

An dieser Frage entzündet sich ein Streit, der den erfolgreichen Abschluß des CTBT in diesem Jahr in Gefahr bringen könnte. Dahinter verbirgt sich aber ein anderes Problem.

Schlußfolgerungen

Das Hauptproblem, das an diesem Beispiel deutlich wird, ist nämlich, daß die Kernwaffenstaaten ihre Kernwaffenforschung fortsetzen wollen. Obwohl sie argumentieren, diese Forschung sei notwendig, um das Vertrauen in ihre alternden Arsenale zu erhalten, ist es offensichtlich, daß die Gesamtheit der neu geplanten Technologien für oberirdische Kernwaffenexperimente und für Computersimulation von nuklearen Explosionen dazu geeignet ist, die Forschung und Entwicklung von neuen Kernwaffen zu ermöglichen.

Mit dem Partial Test Ban Treaty wurden die Tests unter die Erde verbannt. Mit dem CTBT droht nun die Verschiebung der Kernwaffenforschung ins Labor. Sie wird aber nur den technologisch und ökonomisch stärksten Ländern vorbehalten bleiben.

Es ist zu befürchten, daß bei subkritischen Tests, Laborexperimenten und Computersimulationen die fortgesetzte Kernwaffenentwicklung unter der Schwelle der öffentlichen Wahrnehmung bleibt und nicht zu Protesten ähnlich derer gegen die französische Testserie führen, die sich ja nicht nur gegen die sozialen und ökologischen Folgen sondern auch gegen den Fortbestand der Bedrohung durch Kernwaffen richtete.

Danksagung:

Für Hinweise und oben verwendete Informationen danke ich J. R. Russell, der als Rüstungskontrollexperte für den Nevada Test Site arbeitet, Annette Schaper von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt and Peter Zimmerman von der Arms Control and Disarmament Agency in Washington. Ein paar weitere Information habe ich von Personen erhalten, die nicht namentlich genannt werden wollen, bzw. habe sie einem Artikel von Tom Zamora Collina entnommen, der in der January/February Ausgabe von The Bulletin of The Atomic Scientist erschienen ist.

Literaturhinweise:

Kalinowski, M.: Wie umfassend wird der Umfassende Teststoppvertrag? Wissenschaft und Frieden 13 (1995) Nr. 4, Seite 53.

Kalinowski, M.B.: Bombengeschäft. Atomtests im Rechner: Ausweg oder Gefahr? c't 1996, Heft 2, Seiten 70-73.

Martin B. Kalinowski, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei IANUS an der TH Darmstadt.

MEADS oder: Schutz für unsere Expeditions-Truppen

MEADS oder: Schutz für unsere Expeditions-Truppen

von Paul Schäfer

Es ist eine Binsenweisheit: Je weiter ein militärisches Großprojekt vorangeschritten ist, desto unwahrscheinlicher ist, daß es abgebrochen wird. Auf diese Art und Weise entzieht sich die Wehrbeschaffungsallianz aus Rüstungsfirmen, Armee und politischer Exekutive weitgehend der parlamentarischen Kontrolle. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit werden neue Waffensysteme erforscht, entwickelt und erprobt, bevor die Parlamente nicht selten mit der Beschaffungsentscheidung überrumpelt werden. Nur die Insider in den Ausschüssen sind bis zu diesem Zeitpunkt mit solchen Kürzeln wie TLVS, MEADS oder FTA befasst. In Ausnahmefällen findet eine kritische Auseinandersetzung mit solchen Beschaffungsvorhaben statt: So mit dem Jäger 90, jetzt Eurofighter 2000. In der Öffentlichkeit noch nicht zur Kenntnis genommen wurde die Absicht der Bundesregierung, auch in die Raketenabwehr einzusteigen.

Dabei ist an der Legitimation für ein solches Rüstungsprojekt bereits kräftig vorgearbeitet worden. Die NATO hat bereits 1991 in Rom die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen als eine der wichtigsten Bedrohungen ausgemacht.1 Im Verlauf der letzten Jahre wurde dieser Proliferationsgefahr immer größeres Gewicht beigemessen und dabei die Notwendigkeit einer »verteidigungspolitischen«, sprich: militärischen Antwort herausgearbeitet. Von der Proliferation moderner Raketentechnologie gehe eine doppelte Bedrohung aus, wird suggeriert. Zum einen könnten feindliche Raketen das Territorium von NATO-Mitgliedsstaaten, vor allem die Südflanke, angreifen. Zum anderen bestehe ein großes Risiko für eigene Streitkräfte, die out-of-area »Frieden stiften« bzw. »Ordnung schaffen« sollen. Es ist in der Strategic Community der Rüstungsplaner ein offenes Geheimnis, daß die neuen Abwehrsysteme vor allem für dieses »Gefechtsfeld« gebraucht werden.

USA: Der Wunsch nach Unverwundbarkeit

Nachdem US-Präsident Reagan noch 1983 das Projekt eines umfassenden Schutzes der USA verkündete, waren diese Vorstellungen bald maßvolleren Plänen einer begrenzten Verteidigung gewichen.2 Aber der Realitätsbezug selbst dieser Szenarien blieb zweifelhaft: Auf absehbare Zeit ist weder das Territorium der USA, noch das der Länder Westeuropas durch eine »feindliche« Flugzeug- oder Raketenarmada bedroht. Man spricht von zehn bis zwanzig Jahren, innerhalb derer ca. 20 überwiegend antiwestliche Länder sich in den Besitz von längerreichweitigen Raketen oder Marschflugkörpern bringen könnten. Solche Szenarien sind für die Anhänger des worst case-Denkens in den USA allemal Grund genug, am Ziel einer »National Missile Defense« (NMD) festzuhalten. Noch aber steht der ABM-Vertrag von 1972 dem Aufbau eines solchen Abwehrsystems im Wege. Er läßt nur eine sehr begrenzte Anzahl von Systemen zu.3 Daher wollte der republikanische Senator Jesse Helms schon per Gesetz den einseitigen Ausstieg aus dem Vertrag erreichen. Die Clinton-Administration versucht, etwas moderater vorzugehen. Verteidigungsminister Charles Perry hat am 16. Februar d.J. folgende Linie verkündet:

  • Priorität hat die frühestmögliche Stationierung von Systemen zur Abwehr taktischer ballistischer Raketen.
  • Bis zum Jahre 2000 sollen die Möglichkeiten einer NMD weiter erforscht und erprobt werden, um dann eine endgültige Entscheidung treffen zu können. Man will vor allem verhindern, daß ein Ausbruch aus dem ABM-Regime von der russischen Seite zum Anlaß genommen wird, die Ratifizierung von START 2 weiter hinauszuzögern.
  • Alle Forschungsprogramme und Tests sollen nur im Einklang mit dem ABM-Vertrag durchgeführt werden.

Die Clinton-Regierung setzt offensichtlich darauf, daß eine zwischen russischen und amerikanischen Regierungsvertretern im November 1995 erzielte vorläufige Übereinkunft verbindlich vereinbart wird, die den Weg für den ungehinderten Aufbau taktischer Raketenabwehrsysteme freimachen würde. Kernpunkt dieser Einigung: Mithilfe technischer Kriterien (Reichweite und Geschwindigkeit) wird präziser zwischen taktischer und strategischer Abwehr unterschieden. Die USA könnten danach die in der Entwicklung befindlichen Waffenprojekte Patriot (PAC 3) und THAAD weiterverfolgen, müßten allerdings auf ein Abwehrsystem der Marine »Upper Tier« (das über eine zu große Geschwindigkeit – über 3 km/Sek. – verfügen würde) verzichten.

Abwehrsysteme für das künftige Gefechtsfeld

Das Hauptgewicht wird ohnehin auf die Entwicklung von Raketenabwehrsystemen für die Kriegsschauplätze der Zukunft gelegt. Mit der »Theatre Missile Defense« (TMD) sollen die US-Truppen bei ihren Auslandseinsätzen »geschützt« werden. Die Logik liegt auf der Hand: Angriffsoptionen, die dem Gegner verweigert werden, eröffnen größere Handlungsspielräume für den eigenen Angriff. Am besten natürlich, wenn die Expeditionsstreitkräfte nahezu unverwundbar bleiben. Der Golfkrieg gilt in dieser Hinsicht als Musterbeispiel. Je geringer die eigenen Verluste, desto besser lassen sich Kriege auch in den westlichen Demokratien verkaufen.

Nachdem die USA seit 1993 darauf drängten, eine Initiative der NATO zur Raketenabwehr zustande zu bringen, beschäftigten sich die Gremien der Atlantischen Allianz 1994 intensiver mit sog.counter-proliferation-Strategien. Beim Ministertreffen in Istanbul (Juni 1994) wurde ein politischer Rahmen verabschiedet, der die Intensivierung der gemeinsamen Anstrengungen festschreibt. Zwei Arbeitsgruppen wurden geschaffen, von denen sich die eine mit den politisch-strategischen, die andere sich mit militärisch-technischen Aspekten befasst. Die Bundesregierung hat sich nach eigenen Aussagen aktiv an diesen Entwicklungen beteiligt.

Im vergangenen Jahr wurde ein weiterer Schritt vollzogen: Die USA, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und Italien vereinbarten, bei der Entwicklung der Raketenabwehr zu kooperieren und gründeten die »Medium Extended Air Defense System«-Initiative (MEADS).4

Mit MEADS sollen die veralteten HAWK-Raketen, die primär zur Abwehr feindlicher Flugzeuge gedacht waren, innerhalb des nächsten Jahrzehnts ersetzt werden. MEADS wird als komplementär zu den weiter reichenden Systemen wie PATRIOT und der in der Entwicklung befindlichen »Theater High Altitude Air Defense« (THAAD) verstanden.5 Es soll im Rahmen eines Zwei-Schichten-Abfangmodells die Flugkörper bekämpfen, die den beiden anderen Systemen entkommen sind. Die MEADS-Abwehrsysteme sollen gleichwohl autonom einsetzbar sein: Zum „Schutz der Korpselemente einer Expeditionsmacht“ 6 vor ballistischen Raketen mit kürzerer Reichweite, vor Cruise Missiles und anderen unbemannten Flugkörpern.

Über die Kosten hat man bisher wenig gehört. Die Fachzeitschrift Defense News berichtete Anfang 1995 noch von geschätzten 20 Mrd. Dollar. Jetzt wird aus Industrie- und Militärkreisen die Zahl von 40 Mrd. Dollar für die Entwicklung und Stationierung von 100 MEADS-Systemen innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre kolportiert.7 Aller Lebenserfahrung nach dürfte dieser Betrag kaum ausreichen. Dies erklärt u.a. die bisherige Reserviertheit der meisten europäischen Staaten dem Projekt gegenüber.

Der derzeitige Stand des Rüstungsprojekts ist schnell referiert:

  • Im Februar 1995 wurde zwischen USA, F, D und I ein vierseitiges Memorandum of Understanding unterzeichnet, das die Kosten- und Arbeitsanteile auf 50:20:20:10 festschrieb.8
  • Fünf der größten europäischen Raketenproduzenten – Aerospatiale, Paris; Alenia, Rom, Daimler Benz Aerospace, Siemens, München; Thomson CSF, Paris – haben sich bereits arrangiert und wollen den Auftrag zu je einem Fünftel unter sich aufteilen. Sie wollen zwei strikt getrennte Teams bilden, die jeweils mit verschiedenen US-Partnern kooperieren und zum Abschluß der Definitionsphase konkurrierende Konzeptentwürfe vorlegen sollen.
  • Eine bei der NATO angebundene Agentur wurde mit dem Management dieses Rüstungsprojekts betraut.
  • Mittlerweile steht das Memorandum of Understanding 2 über den Eintritt in die Definitionsphase vor der Unterzeichnung.

Allerdings ist MEADS durch den jüngst von Präsident Chirac verkündeten Ausstieg Frankreichs ins Stocken geraten.9 Die USA, Italien und Deutschland wollen nun MEADS trilateral weiterführen.10 Die Arbeitsanteile der beteiligten Partner sollen danach mit 62<0> <>% (USA), 25<0> <>% (Deutschland) und 13<0> <>% (Italien) neu festgesetzt werden. Ob sich der mehrfach korrigierte Zeitplan noch aufrechterhalten läßt, muß bezweifelt werden. Allein in Deutschland ergeben sich durch die komplizierten Haushaltsberatungen Verzögerungen. Soviel steht immerhin fest: An eine knapp dreijährige Projektdefinitionsphase soll sich eine siebenjährige Entwicklungsphase anschließen. Die Serienproduktion könnte dann ab dem Jahre 2006 erfolgen.

Aber selbst wenn das MoU 2 unterzeichnet werden sollte, steht das Projekt noch auf wackligen Füßen. Im vergangenen Jahr bedurfte es einer Kraftanstrengung des Pentagon und des einflußreichen Senators Sam Nunn, um den Ausstieg der USA zu verhindern. Der Verteidigungsausschuß hatte bei den Etatberatungen für das Finanzjahr 1996 die Mittel erheblich gekürzt, der Haushaltsausschuß für gänzliche Streichung plädiert. MEADS mußte zum Exempel für die Zukunft transatlantischer Zusammenarbeit hochstilisiert werden, um die Finanzierung zu retten. Was die Zukunft bringen wird, ist dennoch offen: Nach Ablauf der Definitionsphase haben alle Beteiligten noch die Möglichkeit auszusteigen. Ob dann, wenn es ums große Geschäft geht, der transatlantische Verbund noch Bestand hat, bleibt abzuwarten.11

Auch Bonn zunehmend engagiert

Die Bundesregierung hat sich beim Thema Raketenabwehr bis vor kurzem sehr zurückgehalten. Nach offizieller Lesart befürchtete man vor allem die Aushebelung des ABM-Vertrages, der als unverzichtbarer rüstungskontrollpolitischer Eckstein angesehen wurde. In der Tat hat vor allem die Russische Föderation immer wieder davor gewarnt, daß der Aufbau einer Raketenabwehr zu einem neuen Wettrüsten bei nuklearen Angriffswaffen führen würde. Mit dem sich nunmehr abzeichnenden amerikanisch-russischen Kompromiß würde dieser Grund entfallen. Tatsächlich deutet einiges daraufhin, daß die Kohl-Regierung auf diesem Feld ihre Vorsicht aufgeben will und neue Ambitionen entwickelt.

Die Bundesrepublik betritt mit dem Einstieg in die Raketenabwehr rüstungspolitisches Neuland. Dies bedeutet keineswegs, daß sie rüstungstechnologisch am Punkte Null anfangen muß. Der führende deutsche Rüstungskonzern – früher MBB, dann DASA, heute Daimler Benz AG – ist seit langem auf diesem Feld aktiv. In langjähriger Kooperation mit den USA und Frankreich haben sich die deutschen Waffenproduzenten das nötige Know-how angeeignet. Auch die Bundeswehr ist zumindest »planerisch« seit Beginn der achtziger Jahre mit diesem Thema befaßt. 1987 wurde die »Taktische Forderung« (TaF)für die Entwicklung eines »Taktischen Luftverteidigungssystems« (TLVS)erlassen, in der die Streitkräfte die Anforderungen an das künftige Waffensystem formulierten. Messerschmidt-Bölkow-Blohm wurde mit der Durchführung erster Konzeptstudien beauftragt. Die Arbeiten führten schließlich 1992 zur »Militärisch-Technischen Zielsetzung« (MTZ), in der bereits berücksichtigt wurde, daß Streitkräfte künftig auch außerhalb der Zentralregion eingesetzt werden könnten. Daher wurde neben der Einsatzwirksamkeit Wert auf solche Eigenschaften wie Beweglichkeit und Lufttransportfähigkeit gelegt.

Das BMVg hat seit 1992 keinen Hehl daraus gemacht, daß man neben der nur eingeschränkt mobilen Patriot ein FlaRak-Abwehrsystem zum Schutz außerhalb Deutschlands eingesetzter Truppenkontingente brauche. Im Weißbuch 1994 wurde die Flugkörperabwehr zu den „erforderlichen militärischen Kernfähigkeiten“ gerechnet.12 Auch das Auswärtige Amt spricht inzwischen – zumindest in Insider-Kreisen – von »unserem Interesse«, die Bundeswehr beim Einsatz in anderen Regionen zu schützen. Auch die bisher erkennbare Konzeption legt den Schluß nahe, daß das TLVS für den out-of-area-Einsatz der Bundeswehr optimiert werden soll.13 Da TLVS den Nahbereich in unteren Höhen abdecken würde, ist es für die Abwehr von ballistischen Flugkörpern mit Massenvernichtungswaffen ungeeignet. Zum Schutz der Bundesrepublik trägt es also herzlich wenig bei.

Anmerkungen

1) Tagung der Staats- und Regierungschefs des Nordatlantikrats am 7. und 8. November 1991, Ziff. 13 und 50 der Gipfelerklärung. Zurück

2) Inwieweit diese Szenarien im Sinne technischer Machbarkeit realistisch waren, sei hier dahingestellt. Siehe dazu: Jürgen Scheffran, Raketenabwehr contra Proliferation, in: Wissenschaft und Frieden 1/94, S. 51-56. Zurück

3) Genau: 100 Abfangraketen an einem Ort. Zurück

4) Großbritannien verhält sich abwartend, hat aber einen späteren Einstieg in das Projekt nicht ausgeschlossen. Siehe: Britain endorses NATO Missile Defense Effort, in: Defense News, June 12-18, 1995. Zurück

5) Eine verbesserte Variante der Patriot (PAC 3) soll ab 1998 stationiert werden, THAAD ab 2002. Zurück

6) Sidney E. Dean, MEADS: Mehr als ein Luftabwehrsystem, in: Europäische Sicherheit 3/96, S. 25. Siehe auch: „Europäer und Amerikaner planen Bau eines Raketensystems“, FAZ v. 22. Februar 1995. Zurück

7) S. Defense News, April 15-22, 1996 p. 1. Zurück

8) U.S., Allies join on Meads, in: Aviation Week & Space Technology, Februar 27, 1995, p. 23. Zurück

9) Für Frankreich geht es dabei nicht nur um finanzielle Sparerwägungen. In diesem wichtigen Feld möchte man sich nicht von den Amerikanern abhängig machen. Man erwägt daher die Konzentration auf die Fortführung des bisher mit Italien betriebenen Projekts Sol-Air Moyenne-Portee/Terre (SAMP/T). Auch Aspekte der Vermarktung dieser Waffen spielen für Paris eine Rolle. Der mögliche Exportmarkt für SAMP/T wird in frz. Fachkreisen mit 20 Mrd. Dollar angegeben. (Vgl. Defense News, April 15-21, 1996, p. 26). Zurück

10) Defense News, April 1996. Zurück

11) Die Bundesrepublik nutzt traditionell transatlantische Kooperationen im Forschungs- und Entwicklungsbereich, um ihr Know-how in High-Tech-Rüstungssektoren zu vertiefen. Jüngstes Beispiel: Das X-31-Experimentalflugzeug. Zugleich hat der nationale Champion in der Luft- und Raumfahrt, die Daimler-Benz AG, längst eine strategische Allianz mit der französischen Aerospatiale (Euromissile!) gebildet. (Auch mit Thomson wurden jüngst die Verbindungen enger geknüpft.) Daher ist das letzte Wort darüber, in welchem Rahmen die neuen Waffensysteme gebaut werden, noch lange nicht gefallen. Auch hat sich das BMVg bereits 1992 über die völlige Abhängigkeit von den USA (durch die Aufkäufe von Hawk und Patriot) beklagt und eine Entwicklung im europäischen Verbund befürwortet. Zurück

12) Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage und Zukunft der Bundeswehr, 1994, Ziff. 551. Zurück

13) Siehe dazu den kritischen Beitrag von Hermann Hagena und Niklas von Witzendorff: Flugkörperabwehr. Kernfähigkeit der Bundeswehr oder Faß ohne Boden? In: Europäische Sicherheit 11/94, S. 554 ff. Zurück

Paul Schäfer ist wiss. Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten G. Zwerenz, PDS

Patriot gegen Scud – Scheingefechte im Lichte der Medien

Patriot gegen Scud – Scheingefechte im Lichte der Medien

von Jürgen Scheffran

Allen dürfte das himmlische Duell zwischen der irakischen Scud-Rakete und der amerikanischen Patriot-Abwehrrakete im Golfkrieg noch in Erinnerung sein. Zu deutlich konnte die Weltöffentlichkeit am Bildschirm verfolgen, wie Patriot sich für die gerechte Sache auf den Angreifer Scud stürzte und beide in zuckenden Lichtblitzen verglühten. Die von den Medien verbreitete offizielle Botschaft: von 47 Scud-Raketen, die durch Patriot unter Beschuß genommen wurden, seien 45 (96<0> <>%) erfolgreich abgefangen worden. Wo Scud-Raketen unbehelligt durchdrangen, wurden der Fernsehöffentlichkeit verheerende Schäden gezeigt.

Was alle sahen, war jedoch mehr Schein als Sein: weder hatte Scud die suggerierte Schadenswirkung, noch konnte Patriot einen nachweislichen Beitrag zur Schadensverminderung leisten. Dies belegen die verfügbaren Informationen, die mittlerweile in verschiedenen Veröffentlichungen ausgewertet wurden. Einige Ergebnisse sollen hier zusammengefaßt werden.

Maßgeblichen Anteil an der Erschütterung des Patriot-Mythos hatten zwei Physiker am Massachussetts Institute of Technology (MIT), Ted Postol und George Lewis (Lewis/Postol 1993). Schon im April 1991 konnte Postol bei einer Kongreßanhörung die regierungsoffizielle Desinformation entschleiern. Er hatte nichts anderes getan, als die verfügbaren Videoinformationen der Fernsehanstalten zu sichten und zu interpretieren. Sorgsam ausgewertet sind sie eine wichtige Informationsquelle über die Leistungsfähigkeit der Patriot, die von der US-Armee ignoriert wurde.

Diese Videos zeigen viele Beispiele von Patriots, die ihre Scud-Ziele verfehlen, aber auch einige Fälle, in denen Patriots eine Scud-Rakete treffen, aber den Scud-Gefechtskopf nicht zerstören können. Die Erfolgsrate war sehr gering, vielleicht sogar gegen Null. Auf den Videos gab es keinen eindeutigen Nachweis, daß Patriot auch nur einen Scud-Gefechtskopf zerstört hat. Dies weicht stark ab von den ursprünglichen weit überzogenen Angaben der US-Armee.

Im Detail untersucht wurde die Schadenswirkung der Scud-Rakete in Israel und der Beitrag der Patriot zur Schadensverringerung in einer Studie von Steve Fetter, Lisbeth Gronlund und George Lewis von 1993. Von den 39 Scuds, die Israel erreichten, wurden 27 abgefeuert, nachdem die Patriot einsatzfähig war. Von diesen wurden 17 tatsächlich von der Patriot angegriffen (S. 16). Nach den von der US-Armee wiederholt revidierten Schätzungen der Patriot-Effektivität waren von 17 Abfangvorgängen nur 40<0> <>% erfolgreich, 40<0> <>% davon allerdings auch nur mit „höchster Vertrauenswürdigkeit“. Es bleiben also insgesamt nur 3 sicher abgewehrte Raketen.

Allerdings konnte gegenüber den nicht-erfolgreichen Fällen keine Schadensverringerung festgestellt werden, was selbst diese Schätzung der Armee noch als übertrieben erscheinen läßt. Der eventuell, aber nicht nachweisbar vermiedene Schaden muß in Relation gesetzt werden zu dem zusätzlichen Schaden, der durch wenigstens vier Patriot-Raketen angerichtet wurde, die in Israel am Boden explodierten. Hinzu kommen die Schäden durch Trümmer von Patriots, die über Städten explodierten.

Dies wird auch durch die Schadens- und Opferstatistiken bestätigt. Die 39 modifizierten Scud-Raketen, die Israel erreichten, töteten unmittelbar zwei Menschen und verletzten weitere 229, die meisten davon leicht, einen schwer (Lewis/Fetter/Gronlund, S.13). Die Zahl israelischer Toter und Schwerverwundeter durch Scud-Raketen liegt damit deutlich niedriger als bei früheren Angriffen durch ballistische Raketen, insbesondere den V2-Angriffen gegen London im Zweiten Weltkrieg und den Scud-Angriffen gegen Teheran im ersten Golfkrieg.

Von den 231 direkten Opfern (Tote und Verwundete) durch Scuds gab es allerdings 52 bevor die Patriot einsatzbereit war (4,3 pro Scud) und 179 danach (6,6 pro Scud).

In der gleichen Studie wird auch der Frage nachgegangen, wie angesichts der geringen Erfolgsrate der Patriot die offensichtlich geringen Opfer durch Scud-Angriffe zu erklären sind. Dabei zeigt sich, daß andere Faktoren weitaus mehr zur Schadensverringerung beigetragen haben als die Abwehr durch Patriot. Bedeutsam waren z.B. die geringe Zielgenauigkeit der Scud von mehreren Kilometern und die niedrige Explosionswirkung des Sprengkopfes. Dadurch war die Zerstörungsfläche der Scud um mehr als die Hälfte geringer als bei der V-2-Rakete gegen London. Die direkten Gebäudeschäden waren in Tel Aviv vergleichbar mit denen in London, doch konnte durch israelische Baupraktiken der Einsturz vieler beschädigter Gebäude vermieden werden.

Ein wesentlicher Faktor war die Warnung durch Satelliten der USA, die jeden Start einer Scud rasch feststellen konnten. Zudem zwangen die Luftangriffe der Koalition den Irak, seine Scud-Raketen nach Einbruch der Dunkelheit zu starten. Dieses erleichterte es der israelischen Bevölkerung, ihre Schutzräume aufzusuchen. Schließlich dürfte auch Glück eine Rolle gespielt haben. Ein schwerer Treffer, wie der auf eine Barracke in Dharan (Saudi-Arabien), in der 28 Soldaten ums Leben kamen (ein Software-Fehler verhinderte den Patriot-Einsatz), konnte in Israel vermieden werden.

Daß die Abwehrwirkung der Patriot praktisch bei Null gelegen hat, der erfolgreiche Einsatz zumindest aber nicht belegbar ist, und andere, mehr passive Schutzmaßnahmen wirkungsvoller waren, paßte denen nicht ins Konzept, die den vermeintlichen Erfolg der Patriot zur Wiederbelebung des Raketenabwehrprogramms SDI benutzen wollten (siehe Kubbig et al. 1992, Scheffran 1994). Zu sehr war die Patriot-Rakete zum Symbol für den ersten High-Tech- und Weltraumkrieg der Geschichte geworden. Besonders der Patriot-Hersteller Raytheon bemühte sich, die Glaubwürdigkeit der Kritiker zu erschüttern. Kernpunkt der Gegenkritik war der Versuch, die Informationen von öffentlichen Videofilmen als untauglich abzuqualifieren. Auch die von Raytheon bereitgestellten Videos höherer Bildfrequenz konnten jedoch die Argumentation von Postol/Lewis nicht entkräften.

Offizielle Untersuchungen des US-Kongresses, des Congressional Research Service und des General Accounting Office (GAO), beklagten die unzureichende Datenbasis und bestätigten, daß aufgrund der vorhandenen Daten ein Abwehrerfolg der Patriot nicht belegbar sei. Postol/Lewis forderten aufgrund der unzureichenden Datenbasis die Offenlegung auch der militärischen Quellen und eine unabhängige Begutachtung aller verfügbaren Informationen durch eine angesehene, unabhängige Organisation wie die National Academy of Sciences oder die American Physical Society (APS). Tatsächlich wurde Ende 1993 in der APS eine Ad-Hoc-Arbeitsgruppe eingerichtet, die in einem Bericht die Durchführung detaillierter Studien zur Wirksamkeit der Patriot und zum Thema der taktischen Raketenabwehr empfiehlt, unter Ausnutzung geheimer Informationen.

Die Patriot-Debatte ist ein gutes Beispiel, wie naturwissenschaftlich-technisch fundierte Argumente den Schleier der Hochtechnologie-Kriegführung durchdringen und in der politisch-öffentlichen Diskussion wichtige Anstöße liefern können. Es zeigt sich, mit welchen Tricks ein Gefühl von Sicherheit durch Rüstungstechnik suggeriert und zur Durchsetzung neuer Rüstungsprogramme benutzt wird. Auch wenn die Patriot im Golfkrieg im militärisch-technischen Sinne versagte (selbst gegen die völlig veraltete Scud), hatte sie doch eine enorme politische-psychologische Wirkung, die zur Begründung neuer Raketenabwehrprogramme führte und Patriot zum Verkaufsschlager machte. Aller Kritik zum Trotz wurden Patriots in Südkorea aufgestellt, um einer vermeintlichen Aggression aus dem Norden zu begegnen. Es wäre fatal, wenn in Krisenregionen das Vertrauen auf fragwürdige Raketenabwehr die Hoffnung auf Kontrollierbarkeit eines Krieges nähren und somit die Bereitschaft zu abenteuerlichen Militäraktionen fördern würde.

Literatur

B.W. Kubbig, J. Scheffran, J. Altmann, W. Liebert, G. Neuneck, Von SDI zu GPAL, Dossier, in: Wissenschaft und Frieden 2/1992.

<>G.N. Lewis, T.A. Postol, Video Evidence on the Effectiveness of Patriot during the 1991 Gulf War, Science and Global Security, 1993, Vol.4, pp. 1-63.<>

G.N. Lewis, S. Fetter, L. Gronlund, Casualties and Damage from Scud Attacks in the 1991 Gulf War, Cambridge: MIT, Center for International Studies, DACS Working Paper, March 1993.

G.N. Lewis, T.A. Postol, The Patriot Missile Fuze in the 1991 Gulf War, Paper for the 5th Annual Symposium on Science and World Affairs, Cambridge: MIT, July 23, 1993.

J. Scheffran, Raketenabwehr contra Proliferation, Wissenschaft und Frieden, 1/1994.

Patriot Missile Defense, Software Problem Led to System Failure at Dharan, Saudi Arabia, Washington: General Accounting Office, GAO/IMTEC-92-26, February 1992.

Report of the POPA Ad Hoc Panel on Patriot and Theater Missile Defenses, Washington, DC: American Physical Society, 6 November 1993; Revised.

Dr. Jürgen Scheffran arbeitet bei IANUS in Darmstadt

Luft-Boden-Schießplätze

Luft-Boden-Schießplätze

Wozu (miss)braucht die Bundeswehr Wittstock?

von Stefan Gose

Seit über zwei Jahren kämpft die Bürgerinitiative FREIe HEIDe gegen die Übernahme des ehemals russischen Luft-Boden-Schießplatzes Wittstock durch die Bundeswehr. Auch die Brandenburgische Landesregierung hat sich gegen die Weiternutzung des 142 km2 großen Militärgeländes ausgesprochen. Dennoch wurde der Schießplatz am 22. Dezember 1993 der Bundeswehr übergeben.

Raumordnungsverfahren oder Umweltverträglichkeitsprüfungen fanden nicht statt, weil es sich nach Ansicht des Bundesverteidigungsministeriums (BmVg) lediglich um die Weiternutzung einer bereits (zu DDR-Zeiten) genehmigten Anlage handelt. Seit 17. Januar trainiert die Luftwaffe Tiefflug über Wittstock. Da große Teile des Geländes seit 1950 mit Zwang in »Nacht- und Nebel-Aktionen« durch die DDR-Behörden zu unangemessenen »Entschädigungen« enteignet wurden, klagen nun der Landkreis Ostprignitz-Ruppin, zwei Gemeinden, eine Kirchengemeinde und drei Einzelpersonen vor dem Verwaltungsgericht Potsdam auf Rückgabe ihrer Liegenschaften.

Der folgende Beitrag soll beleuchten, was auf Wittstock zukommt, wenn es nach dem Willen des Verteidigungsministeriums weitergeht und welche Gefahrenpotentiale bisher kaum berücksichtigt wurden.

Luft-Boden-Schießübungen sind neben Tiefflug- und Luftkampf-Abfangübungen einer der drei zentralen Bestandteile des aktuellen Ausbildungskonzeptes der Luftwaffe.1 Geübt werden verschiedene Varianten des Angriffes mit Bomben und Bordkanonen auf statische und mobile Bodenziele.

Die deutsche Luftwaffe führte 1991 weltweit 11.330 Luft-Boden-Flüge durch, von denen ca. 9.000 (79,4%) im Ausland stattfanden. Bedingt durch den Golfkrieg kamen 1991 »nur« 500 Luft-Boden-Übungen durch NATO-Verbündete in Deutschland hinzu. Der alliierte Luft-Boden-Übungsumfang lag 1990 noch bei ca. 9.500 Flügen über Deutschland.2 Für 1993 gibt das Verteidigungsministerium 4.400 Luft-Boden-Einsätze über Deutschland an, wobei unklar ist, ob in dieser Zahl bereits die Flüge von NATO-Verbündeten eingeschlossen sind.3 Für Wittstock sind maximal 3.000 Einsätze pro Jahr geplant.4

Drei Luft-Boden-Schießplätze existieren gegenwärtig in Deutschland: Die unter britischer Verwaltung stehende »Nordhorn-Range« (1993: 2.700 Flüge), der unter amerikanischer Verwaltung stehende Schießplatz Siegenburg (1993: 1.700 Flüge) und seit Anfang 1994 der Luft-Boden-Schießplatz Wittstock.5 Bis Oktober 1992 nutzte die Luftwaffe außerdem den Schießplatz List auf der Nordseeinsel Sylt. Weitere Luft-Boden-Schießübungen finden auf verschiedenen Truppenübungsplätzen (TrÜbPl) des Heeres und der Alliierten in Deutschland statt.

Daneben trainiert die Luftwaffe Luft-Boden-Schießübungen auf den niederländischen Nordseeinseln Vlieland und Terschelling sowie auf der dänischen Insel Röme.6 Entferntere Luft-Boden-Schießplätze der Luftwaffe in Europa sind Decimomannu (Schießplatz: Capo Frasca) auf Sardinien und Beja (Schießplatz: Alcochete) in Südportugal, der aber wahrscheinlich demnächst aufgegeben wird. Darüber hinaus trainiert die Luftwaffe auf der Südarea des kanadischen Tiefstfluggeländes Goose Bay/Labrador sowie im texanischen Holloman Luft-Boden-Schießübungen.

Daß über 70% der deutschen Luft-Boden-Schießübungen im Ausland, insbesondere in Küstengebieten oder auf Meeresinseln stattfinden, ist kein Zufall. Hier lassen sich aus militärischer Sicht Schießübungen bestens mit dem dazugehörigen Tiefstflug verbinden. Risiken des Geländeprofils sind minimiert. Lärm, Emissionsbelastungen und Unfallrisiken treffen auf vergleichsweise geringe Bevölkerungsproteste.

Luftstreitkräfte-Reduzierung und verringerter Übungsbedarf

Mit dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) von 1990 ist bis 1995 der Abzug von 255 Kampfflugzeugen der 1990 noch ca. 500 Alliierten Kampfflugzeuge vorgesehen.7 Hinzu kommen alliierte Kampfflugzeuge, die zu Luft-Boden-Schießübungen von Stützpunkten des benachbarten Auslands in die Bundesrepublik einfliegen.

Frankreich hat den Truppenübungsplatz Münsingen 1992 wieder unter deutsche Verwaltung zurückgegeben, übt dort allerdings mit verringerten Streitkräften weiter. Die kanadischen Luftstreitkräfte (43 CF/A-18 Hornet) sind 1993 gänzlich aus Deutschland abgezogen. Das Soltau-Lüneburg-Abkommen lief Ende Juli 1994 aus, wobei allerdings Kompensationsmöglichkeiten für künftige britische und kanadische Übungen in Deutschland diskutiert werden.

Für die großen alliierten Truppenübungsplätze Haltern, Senne (GB), Vogelsang (B), Lohheide (NL), Grafenwöhr, Wildflecken und Hohenfels (USA) sowie für die beiden Luft-Boden-Schießplätze Siegenburg (USA) und Nordhorn (GB), wurden im Rahmen der Neuverhandlungen des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS) erstmals 1994 (!) die nach Art. 48 Abs. 3 Buchstaben a und b ZA-NTS vorgeschriebenen Nutzungsvereinbarungen mit den Alliierten getroffen.

Sie sehen allerdings keine substantiellen Einschnitte gegenüber der bisherigen Nutzung dieser Truppenübungsplätze und der beiden alliierten Schießplätze vor. Die unbefristete Nutzung der Nordhorn-Range soll sich bis 1995/96 um ca. 40% verringern.

Mit der Einführung der neuen »Luftwaffenstruktur 4« ab 1995 soll sich der Bestand deutscher Kampfflugzeuge gegenüber 1990 von 642 auf 506 verringert haben.8 Da sich »nur« noch die Hälfte alliierter Kampfflugzeuge und weder die 250 Maschinen der NVA noch die 851 Kampfflugzeuge der WGT auf deutschem Boden befinden, ist dies eine Gesamtverringerung von 2.243 auf 751 Maschinen, also etwa auf ein Drittel.9 Folgerichtig müßte auch der Übungsbetrieb der verbliebenen Luftstreitkräfte auf ein Drittel abnehmen.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Nach § 30 Abs. 1 und 2 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) unterliegt der militärische Flugverkehr in Deutschland nicht der Luftaufsicht der Bundesverkehrsministeriums (BmV), sondern dem Bundesverteidigungsministerium »im Einvernehmen mit dem BmV«. Das BmVg ist gleichzeitig Genehmigungs- und Kontrollbehörde für den eigenen Flugbetrieb. Es ist befugt, Fluggenehmigungen zu erteilen, die wesentlich von den Vorschriften für die zivile Luftfahrt abweichen.

Luftverkehrsordnung (LuftVO) und die Luftverkehrs-Zulassungsordnung (LuftVZO) gelten für den militärischen Flugverkehr nur bedingt. Stattdessen ist die interne Zentrale Dienstvorschrift ZDv 19/2, »Flugbetriebsordnung für die Bundeswehr« maßgeblich. Neben ihr existieren noch eine Reihe anderer Konkretisierungsverordnungen, Ressortabkommen und Standardisierungsabkommen (STANAG) mit NATO-Partnern, die in der Regel nicht öffentlich zugänglich sind.

Kampfflugzeugtypen

Luft-Boden-Schießübungen werden nur von Kampfflugzeugen sowie von Kampfhubschraubern des Heeres trainiert. Die Heereshubschrauber üben in der Regel auf Truppenübungsplätzen und speziellen Helicopter Training Areas (HTA) und nur in Ausnahmefällen auf Luft-Boden-Schießplätzen der Luftstreitkräfte. Als »Kampfflugzeuge« gelten schnellfliegende Strahlflugzeuge. Hubschrauber, Propellermaschinen (Transall) oder düsengetriebene Großraumflugzeuge (Airbus) zählen also nicht als Kampfflugzeuge.

Die Bundeswehr verfügt nach BmVg-Angaben 1995 über 506 Kampfflugzeuge in 13 Geschwadern. Ein Geschwader besteht üblicherweise aus 2 Flugstaffeln mit jeweils 15-22 Kampfflugzeugen.

Gegenwärtig besitzt die Bundeswehr 4 verschiedene Kampfflugzeugtypen:

  • 159 Modelle des 20 Jahre alten Jagdbombers Phantom II F-4F, der nach BmVg-Plänen noch bis 2004 fliegen soll, um dann vom Jäger 90/Eurofighter 2000 abgelöst zu werden,
  • 35 Trainer und leichte Kampfbomber Alpha Jet A, die nur noch zu Schulungszwecken in Fürstenfeldbruck stationiert bleiben,
  • 328 MRCA PA-200 Tornado, die in zwei Varianten als Kampfbomber (interdiction strike/IDS) und Kampfaufklärer (elctronic combat reconnaissance/ECR) existieren. Gegenwärtig werden auch Teile der IDS-Kampfbomber für Aufklärungsaufgaben (Recce-Pods/RAMA) nachgerüstet. Ein Tornadogeschwader (MFG 2/Tarp-Eggebeck) ist Bestandteil der Marine.
  • Der 4. Kampfflugzeugtyp ist der Jagdbomber MiG-29 Fulcrum, von dem die Luftwaffe 24 Maschinen als einziges ostdeutsches Kampfflugzeugeschwader in Laage (Jagdgeschwader JG 73) stationiert hat.

Gemäß der Luftwaffenstruktur 4 ist die Luftwaffe in Ostdeutschland unterproportional vertreten: Von insgesamt 82.400 Luftwaffenangehörigen sollen 1995 12.000 in Ostdeutschland stationiert sein. Neben 480 westdeutschen Kampfflugzeugen stehen in Ostdeutschland lediglich die 24 MiG-29 in Laage. Ab 1997 soll das JG 73 durch die 31 Phantom II F-4F des Jagdbombergeschwaders/JaboG 35 aus Pferdsfeld/Sobernheim unterstützt werden.10

In Wittstock wird nicht nur das JG 73 aus Laage trainieren, sondern westdeutsche Kampfgeschwader werden Luft-Boden-Schießübungen nach Ostdeutschland exportieren. Für den Standort Wittstock bedeutet dies zusätzliche Lärm-, Emissions- und Unfallbelastungen ohne entsprechenden ökonomischen Nutzen. Die einfliegenden Verbände werden lediglich ihre Waffenlast in Wittstock »entsorgen« und wieder auf ihre Heimatbasen zurückkehren.

Daß alliierte NATO-Verbände gemäß Art. 5 Abs. 1 2+4-Vertrag bis Ende 1994 nicht in Ostdeutschland trainieren dürfen, ist nur eine scheinbare Entlastung. Da die Bundeswehrgeschwader in Westdeutschland Luft-Boden-Schießübungen auf gemeinsamen Übungsplätzen mit den Alliierten durchführen, werden bei starker Übungsfrequenz nicht die Alliierten, sondern die Bundeswehrverbände auf Wittstock ausweichen. Der Umfang der NATO-Streitkräfte in Westdeutschland hat daher direkte Auswirkungen auf Ostdeutschland, auch wenn hier augenblicklich nur die Bundeswehr trainieren darf.

Tiefflug Tag und Nacht

In Wittstock sollen fünf Luft-Boden-Schießverfahren trainiert werden. Bei Tag und bei Nacht werden zwei Formen der »Standard-Übungsangriffe« trainiert: der »Geradeaus-Überflug« und der sog. »Schulterwurf«. Beim »Geradeaus-Überflug« werden im Dauertiefflug bei einer Mindestflughöhe von 150 m Übungsbomben auf einem vorher festgelegten Punkt abgeworfen. Beim »Schulterwurf« fliegt das Kampfflugzeug im Tiefflug an einen bekannten Zielpunkt heran, zieht kurz vor Erreichen auf eine Höhe bis zu 1.200 m rauf, um dann im Sturzflug bis auf 150 m hinabzustoßen und dabei die Bombenlast abzuwerfen.

Drei weitere, vorwiegend Standard-Angriffsarten (mit Festzielen) sind nur am Tage in Wittstock vorgesehen: Das Schießen mit Bordkanonen aus einer Minimalflughöhe bis hinunter auf 60 m für den Erdkampf; der Abwurf von Übungsbomben wird im »Bahnneigungsflug« (Sturzflug) von 100> sowie von 200 im Höhenband zwischen 150 und 1.700 m geübt.

Trainiert wird mit verschiedener Übungsmunition, Streugeschossen, freifallenden und Außenlast-Übungsbomben bis zu 12,5 kg.11 In Ausnahmefällen wird auch mit scharfer Munition geschossen.

Luft-Boden-Schießübungen werden vorwiegend bei guten Sichtverhältnissen in 20-Minuten-Blöcken durchgeführt. Üblicherweise trainieren 4 Maschinen mit jeweils 8 Übungsbomben gleichzeitig als Vierer-Formation. Das bedeutet 32 Anflüge in 20 Minuten, stets auf das gleiche Ziel. Alle 40 Sekunden bombardiert ein Kampfflugzeug aus einer Höhe zwischen 70 und 300 m mit einer Geschwindigkeit bis zu 890 km/h (480 Knoten/kt/Tornado) das Bodenziel.

Auf Wittstock sind bei Tag Anflüge aus westlicher, östlicher und nördlicher Richtung vorgesehen. Bei Nacht darf nur von Norden her angeflogen werden. Der Abflug vom Schießplatz erfolgt ausschließlich in südliche Richtung. 12 Neben diesen Luftwaffenbombardements soll Wittstock auch noch zu Artillerie-Schießübungen des Heeres genutzt werden.13

Seit 1. September 1991 fliegt die Luftwaffe in Ostdeutschland auf einem festgelegten Streckennetz von ca. 2.500 km.14

Im regulären Tiefflugband zwischen 300 und 450 m sind seit 1.9.1991 täglich 10 Flüge, seit 1. Januar 1992 täglich 20 Flüge erlaubt.15 Unterhalb von 300 m ist auch militärischer Flugbetrieb verboten.

Allerdings existieren Dauerausnahmegenehmigungen des Verteidigungsministeriums für sechs spezielle Tieffluggebiete (Low Flying Areas/LFA) in Westdeutschland, für die drei Luft-Boden-Schießplätze und einzelne andere Anlässe (Industrieerprobungsflüge, AMF-Staffel, TLP, Großmanöver).

Seit 17. September 1990 gilt für das reguläre Tiefflugband von 300-450 m, daß dort von Montag bis Freitag ab 30 Minuten vor Sonnenaufgang (frühestens aber 7 Uhr) bis 30 Minuten nach Sonnenuntergang (spätestens 17 Uhr) geflogen werden darf. Eine Mittagspause von 12.30 bis 13.30 Uhr ist vom 1. Mai bis 31. Oktober einzuhalten, in der die Minimalflughöhe 450 m beträgt. Zum Nachtflug ist für Strahlflugzeuge ein vorgeschriebenes Streckennetz zwischen 17 und 24 Uhr oberhalb von 300 m zugelassen. Bei all diesen Beschränkungen sind jedoch Ausnahmegenehmigungen des BmVg möglich.16

Für Luft-Boden-Schießplätze sind keine generellen Übungszeiten und Flughöhen festgelegt. Über Nordhorn darf bis 23.30 Uhr in einer Minimalhöhe von 150 m statt der bei Nachtflug üblichen 300 m geflogen werden. Im Zielendanflug dürfen Kampfflugzeuge sogar auf 70 m heruntergehen.

Für den amerikanischen Schießplatz Siegenburg existiert für die zugelassenen 90 Minuten Nachtflugzeit überhaupt keine Mindestflughöhe. Da für Wittstock der Umfang der geplanten dauerhaften Nutzung noch nicht feststeht,17 existiert auch kein Begrenzungsrahmen für die Schießübungen.

Nach Angaben von Bundeswehrpiloten variiert die übliche Bombenabwurfhöhe zwischen 70 und 300 m.18 Damit machen aus militärischer Sicht Luft-Boden-Schießübungen nur Sinn, wenn das zulässige Tiefflugband unterschritten werden darf. Im Umkehrschluß stellen selbst Militärs den Sinn des gegenwärtigen Tieffluges in Deutschland bereits in Frage, da im Ernstfall in einer Minimalhöhe zwischen 30 und 45 m geflogen würde.19 Das aber erlaubt sich das BmVg nur in Kanada.

Die durchschnittliche Jahresflugzeit eines Kampfflugzeugpiloten liegt nach NATO-Anforderungen zwischen 180 bis 240 Stunden. Tatsächlich liegt sie bei der Luftwaffe bei ca. 165 Stunden pro Jahr und Pilot.20

Je nach Flugmuster dauert ein durchschnittlicher Flug zwischen 54 Minuten (MiG-29) und 1,5 Stunden (Tornado) [F-4F: 1 Stunde 10 Minuten, Alpha Jet: 1 Stunde 20 Minuten].21 Von der für Tornado festgelegten Übungsflugdauer von 1:45h (Soll), dürfen 50 Minuten (ca. 50%) im Tiefflug absolviert werden.22 Der durchschnittliche Tieffluganteil am Gesamtumfang der Kampfflugzeugübungen beträgt 25%.23

Die Fluggeschwindigkeiten der Kampfflugzeuge bei Luft-Boden Schießübungen varriieren mit den Flugmustern und den Angriffsarten. Es wird zwischen Plangeschwindigkeit, Höchstgeschwindigkeit und Endanfluggeschwindigkeit unterschieden.

Bei den in Wittstock in Frage kommenden 4 Flugmustern ergibt sich eine Geschwindigkeitsbreite zwischen ca. 670 km/h (360 kt Alpha Jet/Plan) und 1.000 km/h (0,8 Mach Tornado/Endanflug).24 Überschallflüge sind nur oberhalb von 11.000 m zeitlich eingeschränkt erlaubt.25

Belastungen und Risiken

Bei den genannten Fluggeschwindigkeiten treten je nach Flugzeugtyp und einer Ausgangsflughöhe von 75 m am Boden Schallpegelwerte zwischen 98 und 123 dB(A) auf. Das entspricht dem Geräuschpegel in einem Metallverarbeitungsbetrieb (ca. 100 dB(A)), einem Preßlufthammer (ca. 105 dB(A)) oder einem großen Schmiedehammer (ca. 115 dB(A)). Eine akute Gehörgefährdung setzt bereits ab 85 dB (A) ein, bei 120 dB(A) muß mit dauerhaften Gehörschäden gerechnet werden.26

Bei Tiefflug und Bombenabwürfen kommt, etwa im Gegensatz zu einem Preßlufthammer, das plötzliche Überraschungsmoment als Schockpotential hinzu. Gehörstürze, Bluthochdruck, unkontrollierbares Zittern, Hörschwellenverschiebung, Kreislaufkollapse, panische Angstzustände, Aggressionen, Depressionen oder dauerhafte Schlaf- und Konzentrationsstörungen sind nur einige Symptome27, von denen Anwohner von Tieffluggebieten immer wieder berichten. Jeder Körper besitzt eine andere Konstitution, doch besonders Kinder und ältere Menschen reagieren nicht nur am empfindlichsten gegenüber derartigem Lärmstreß, sie können sich auch am schlechtesten gegen ihn schützen.28 1982-86 entstanden mit Unterstützung des Verteidigungsministeriums an der Tierärztlichen Hochschule Hannover mehrere Doktorarbeiten, die in Tierversuchen mit trächtigen Stuten, Hunden, Hühnern und Nerzmutationen u.a. Fehlgeburten und Todesfolge durch Tieffluglärm belegten.29

Neben fluglärmbedingten Personenschäden treten durch den Schallwellendruck auch Sachschäden wie zersplitterte Scheiben oder Mauerwerksrisse auf. In der Regel ist jedoch sowohl bei Personen- als auch bei Sachschäden der Nachweis von den Geschädigten kaum zu erbringen, daß beispielsweise ein Herzinfarkt durch einen Bombenabwurf ausgelöst wurde. Entsprechend gering ist die Anerkennungspraxis von Schadensansprüchen durch Gerichte und das Bundesverteidigungsministerium.

Für Luft-Boden-Schießübungen liegen keine detailierten Emissionsmessungen vor. Da die Flugmanöver jedoch Tiefflug, kombiniert mit Starts, Landungen und Platzrunden ähneln, besteht eine begrenzte Vergleichbarkeit mit vorhandenen Daten.

Je nach Flugmuster, Flugmanöver und Außenlasten ist der Kerosinverbrauch eines Kampfflugzeuges sehr unterschiedlich. Für 1984 wurden im Auftrag des BmVg die Emissionswerte des gesamten militärischen Flugverkehrs ermittelt. Auf Tiefflug mit Strahlflugzeugen entfielen 27% des gesamten Treibstoffverbrauches (Ges: 1.205.875 t Kerosin) der Militärflugzeuge, bei Starts, Landungen und Platzrunden wurden 21,2% des Kerosins verbraucht.

Die höchsten Kohlenmonoxid-(CO) [35,5% der CO-Gesamtemmisionen] und Kohlenwasserstoff-Emissionen (HC) [48,6%] traten bei Starts und Landungen auf, was vor allem auf Vollschub und den Einsatz von Nachbrennern zur Schubsteigerung zurückzuführen ist. Im Jet-Tiefflug (150-450 m) traten die höchsten Stickoxidwerte (SOx) mit 34,7% der SOx-Gesamtemissionen auf.

Alleine bei Start, Landungen und Platzrunden belasteten 8.856 t Kohlenmonoxid, 2.465 t Kohlenwasserstoffe, 1.866 t Stickoxide (NOx) und 254 t Schwefeldioxid (SO2) die Luft. Durch Jet-Tiefflug kamen weitere 3.263 t CO, 398 t HC, 3.531 t NOx und 302 t SO2 hinzu.30

Stickstoffdioxid wirkt als Reizgas auf die Atemwege und kann zu chronischem Asthma oder Bronchitis führen. Von vielen weiteren der anfallenden Substanzen, etwa dem im Kerosin enthaltenen Benzol, dem Kohlenwasserstoff Benzo-a-pyren oder von Kohlenmonoxid ist ihre krebserzeugende Wirkung bekannt.31

Obwohl der militärische Flugbetrieb in Deutschland nur etwa 20% des Gesamtflugbetriebes (1991 ca. 850.000 von 4,3 Mio. Flugbewegungen) ausmacht,32 liegt der Emissionsanteil im Vergleich zur Zivilluftfahrt bei durchschnittlich etwa 50% der Gesamtemissionen (Militäranteil 1984: Kerosinverbrauch 43%, CO 52%, HC 56%, NOx 35%, SO2 42%).33 Kampfflugzeuge verursachen also etwa 150% mehr Schadstoffe als ein Querschnittmodell der Zivilluftfahrt.

Bei einem voll bestückten 75-minütigen Tornado-Ausbildungsflug (Abfluggewicht: 22,5<|>t) im Rahmen der üblichen Geschwindigkeiten (420 kt/Plan, 480 kt/Endanflug) mit 50 Minuten im Tiefflug verbraucht die Maschine ca. 4.742 kg Kerosin. Jedes der beiden Triebwerke verbrennt 28 kg Treibstoff pro Minute.34

Jedes der beiden Phantom-Triebwerke J-79 GE-10 emittiert im Leerlauf, also beim Warmlauf vor dem Start, 43 kg Kohlenmonoxid pro Stunde. Gleichzeitig werden etwa 4 kg Stickoxide ausgestoßen. Im Vollastbetrieb liegt der CO-Ausstoß bei 5 kg/h, während der NOx-Ausstoß auf 15 kg/h ansteigt. Wird zusätzlich der Nachbrenner bei Vollast eingeschaltet, steigt der CO-Ausstoß aufgrund von Sauerstoffmangel bei dieser zweiten Gasverbrennung auf 17 kg/h, während der NOx-Ausstoß auf etwa 6 kg/h sinkt.35

Verschärfend kommt bei Luft-Boden-Schießübungen hinzu, daß sich durch die Flugkonzentration und die geringe Flughöhe Emissionen nicht weiträumig verteilen können. Die Schadstoffe lagern sich dauerhaft bei den Anwohnern des Schießplatzes ab und entfalten chronisch und akkumulierend ihre Wirkung.

Bis zu 60 Handlungen pro Minute muß ein Kampfflugzeugpilot bei Luft-Boden-Schießmanövern durchführen, theoretisch also pro Sekunde eine Entscheidung treffen und ausführen.36 In dieser Sekunde hat er bei einer Anfluggeschwindigkeit von 480 kt bereits eine Strecke von 250 Metern zurückgelegt.

Da er in einer Maximalhöhe von 300 m fliegt und ihm die nächste Maschine mit ca. 40 Sekunden Abstand folgt, kann er sich keine Fehlentscheidung leisten. Nicht umsonst werden Bundeswehrpiloten üblicherweise mit 41 Jahren pensioniert. Im Jargon gelten sie als »abgeflogen«, keine zivile Airline würde sie noch fliegen lassen.

Zwar liegt die statististische Absturzwahrscheinlichkeit im fraglichen Höhenband zwischen 70 und 300 m bereits außerhalb des extrem kritischen Spektrums, das beispielsweise beim 100 ft-Tiefstflug in Kanada eine Absturzwahrscheinlichkeit von ca. 28% aufweist.37

Dennoch ist die Absturzhäufigkeit im Platzrundenbereich und bis zu einer Höhe von 200 m mit 85% der Gesamtabstürze gravierend hoch.38 Neben Gefahren wie Bodenberührung, Bäumen, Hochspannungsmasten und Kollisionen mit anderen Flugzeugen wirken im niedrigen Höhenband Umwelteinflüsse wie Vogelschlag oder Radiowellen am stärksten.

Eine Zuordnung von Abstürzen bei Luft-Boden-Schießübungen wird vom zuständigen »General Flugsicherheit« beim Kölner Luftwaffenamt nicht vorgenommen. Nur selten gelangen eindeutige Zuordnungen von Abstürzen bei Luft-Boden-Übungen, wie etwa beim Absturz einer MiG-27 Flogger am 31.1.1991 beim Schießplatz Heidehof (Absturzort Schöbendorf) oder dem Tornado des JaboG 38, der am 18.11.1991 bei Schießübungen auf Vlieland in die Nordsee stürzte, an die Presse.

Das Absturzregister der letzten 15 Jahre liest sich allerdings wie ein who's who deutscher Flugplätze, Truppenübungsplätze und Luft-Boden-Schießplätze. Zwischen 1980 und Juni 1993 stürzten über der Bundesrepublik und durch die Bundeswehr im Ausland etwa 325 Militärmaschinen ab. 81 dieser Abstürze (ca. 30%) lagen im direkten Flughafenumfeld, mindestens 15 bei Luft-Boden-Schießplätzen, wobei diese Zahlen deshalb zu niedrig sind, weil für den Statistiker nicht an jedem kleinen Absturzdorf zu erkennen ist, daß es in einem Schießplatzbereich liegt.39

Bereits im alltäglichen Übungsbetrieb verlieren Militärflugzeuge Flugzeugteile, Waffen oder Treibstofftanks. In einer zufälligen Sammlung derartiger Komponentenverluste aus Presseberichten zwischen 1981 und 1993 finden sich u.a. 6 Raketen, über 10 Bomben, mehrere Granaten, 15 Tanks mit über 12.000 Litern Kerosin, ein 5-Tonnen-Betonblock und eine 4-Tonnen-Laderampe, die von Militärflugzeugen im Flug verloren wurden.

Hinzu kommen Flugzeugteile wie Kanzeldach, Radarnase, Stahlbolzen, Flugschreiber oder Heckteile, die aktenkundig vom Himmel fielen.

Bei Luft-Boden-Schießplätzen ist für Anwohner das Risiko von Komponentenverlusten erhöht, weil Bomben immer wieder zu früh ausgelöst werden und gelegentlich außerhalb der Schießplätze detonieren. 1988 verfehlte eine Übungsbombe bei Wittstock nur um 100 Meter den Zechliner Kindergarten.40 Alleine im südlichen Teil des Bombodroms sollen ca. 30.000 Blindgänger liegen.41

Weitere Gesundheitsrisiken ergeben sich durch das im Zielendanflug, bei »touch downs« und im Landeanflug nicht seltene Ablassen von Kerosin. Wenn Piloten sich beim Zielanflug mit ihrer Flugbahn und Geschwindigkeit verkalkuliert haben, verrieseln sie gelegentlich Treibstoff, um das Schubgewicht ihrer Maschine zu verringern. Nach Regierungsangaben haben zwischen 1983 und 1986 Bundeswehrmaschinen in 53 Notfällen Kerosin abgelassen.42 Über 513.000 Liter Kerosin regneten zwischen 1987 und 1990 alleine über Hessen bei Notlandungen vom Himmel.43

Was bedeutet das für Wittstock?

Aus militärischer Sicht sind Luft-Boden-Schießplätze unverzichtbar, wenn eine Luftflotte die Möglichkeit zu Bombenangriffen besitzen soll. Geht mensch davon aus, daß sich die 1991 11.330 Luft-Boden-Einsätze der Luftwaffe entsprechend der Reduzierung des deutschen Flugparkes um ca. 20% 1995 auf etwa 9.000 verringern, von denen nach BmVg-Plänen 75% im Ausland stattfinden sollen, so entsprechen die verbleibenden 2.250 Schießübungen etwa der Hälfte dessen, was 1993 in Nordhorn und Siegenburg trainiert wurde.

Addiert mensch die auf ein Drittel verringerten Schießübungen der Alliierten in Deutschland von etwa 3.150 hinzu, ergibt sich ein rechnerischer Übungsumfang von ca. 5.400 Luft-Boden-Schießübungen, der bereits um 1.000 Einsätze über der tatsächlichen Gesamtzahl für 1993 in Deutschland liegt. Mit anderen Worten, wenn der gegenwärtige Luft-Boden-Schießumfang in Deutschland nicht erhöht werden soll, wird der Schießplatz Wittstock aus trainingstechnischer Sicht nicht benötigt.

Tatsächlich hat das BmVg aber alleine 3.000 Luft-Boden-Schießübungen pro Jahr für Wittstock angekündigt.44 Da außer den Schießübungen in Beja keine deutschen Luft-Boden-Übungen im Ausland verringert werden sollen, bedeutet dies eine grundsätzliche Ausweitung deutscher Luft-Boden-Schießübungen bei Verringerung des Luftwaffen-Flugparkes.

Die Bundeswehr hat bisher keinerlei Nachweis für eine sicherheitspolitische Notwendigkeit zur Nutzung von Wittstock erbracht. Was in Westdeutschland als »Entzerrung« und »Entlastung« des Übungsbetriebes durch Streuung verkauft wird, wird in Ostdeutschland als »Verminderung« im Vergleich zur NVA- und WGT-Nutzung präsentiert. Tatsächlich verdoppelt die Bundeswehr mit der Inbetriebnahme von Wittstock ihre LBS-Übungskapazitäten. Dahinter steht auch das Kalkül von Besitzstandswahrung. Denn ein einmal aufgegebener Schießplatz wäre bei späterem »Bedarf« nur noch gegen erhebliche Widerstände erneut aufzubauen. Zwar gibt es bisher keine Ankündigungen über alliierte Luft-Boden-Schießübungen in Ostdeutschland. Ab 1995 sind sie rechtlich jedoch möglich.

Der Widerstand um Wittstock darf sich nicht darauf ausruhen, daß die Bundeswehr auch ohne diesen Schießplatz auskommt, wenn mensch diese Risiken gleichzeitig anderen Regionen zumutet. Solange Wittstock ohne den militärpolitischen Kontext betrachtet wird, kann das Verteidigungsministerium eine belastete Region gegen die andere ausspielen. Aber wozu übt die Bundeswehr Bombenangriffe? Dienen Bombenangriffe der Verteidigung meiner Sicherheit?

Es ist nicht genug, mit Altbesitzansprüchen gegen Wittstock vorzugehen. Selbst wenn die KlägerInnen Recht bekämen, könnte das Verteidigungsministerium auf dem Wege von Bundesleistungsgesetz, Landbeschaffungsgesetz und Schutzbereichsgesetz die Liegenschaften im »Interesse der nationalen Sicherheit« erneut requirieren. Doch auch wenn es keine Altbesitzansprüche für Wittstock gäbe, gehen von dem Schießplatz unzumutbare Risiken aus.

Deshalb muß der Schießplatz politisch im Rahmen des Verteidigungskonzeptes und seiner Verantwortbarkeit in Frage gestellt werden. Bei Wittstock geht es um mehr als Altbesitzprozesse oder Krebsgefahren: es geht um die Einforderung und Übernahme von demokratischer Verantwortung für eine Sicherheitspolitik, für deren Risiken der Standort Wittstock nur ein Beispiel unter vielen ist.

Stefan Gose, Dipl.-Pol., ist Redakteur der Monatszeitschrift antimilitarismus information. (Willdenowstr. 10, 13353 Berlin)

Kriege der Zukunft: Netwar und Cyberwar

Kriege der Zukunft: Netwar und Cyberwar

von Ingo Ruhmann

Der Golfkrieg hat das Bild von Computern als Instrument der Kriegsführung verändert und nachhaltig geprägt. Ein von Computern entscheidend gestützter Waffengang ist jedoch nur eine von vielen möglichen neuen Formen der Konfliktaustragung im Informationszeitalter.

Dessen Technologien führen zu neuen Formen des Bewältigens und Austragens von Konflikten, bei denen eine Trennung von politischer Einflußnahme und kriegerischem Akt immer schwieriger wird. Mitarbeiter der amerikanischen RAND-Corporation haben erste Vorstudien zur Nutzung neuer Instrumente bei der Austragung von Konflikten vorgelegt1. Zum neuen Mittel beim Austragen dieser Konflikte wird die per Computer bearbeitete Information, die zur Steuerung von Organisationen und dem dazu sinnstiftenden und motivierenden Organisations-Selbstbild genutzt wird. Diese Vorstudie liefert zwei neue Begriffe für die Konfliktformen der Zukunft: Netwar und Cyberwar, die nur im aktuellen politischen Rahmen zu verstehen sind. Zuerst wird daher auf die Rahmenbedingungen einzugehen sein, bevor die entsprechenden Konzepte vorgestellt werden.

Geopolitische Rahmenbedingungen

Zu den militärischen Rahmenbedingungen gehörten heute, die durch sinkende Militärausgaben erzwungenen Überlegungen zur Effektivität des eingesetzten Personals und Materials stärker als früher zu berücksichtigen. Dies führt zu einem intensiven Einsatz der als Rationalisierungsinstrument erprobten Informationstechnik2. Schwere Einheiten werden ersetzt durch mobile und dazu leichte, die ihren Auftrag jederzeit auf der ganzen Welt ausführen können. Militärstrategisch wurde zudem die Konfrontationsdoktrin aus der Zeit des Kalten Krieges ersetzt durch eine Doktrin der »Power Projection« 3, der Projektion militärischer Macht auf ausgewählte Krisengebiete.

Gleichzeitig kann mit dieser Technik eine verbesserte Anbindung unterschiedlichster Einheiten an die Kommando- und Kontroll-Infrastruktur erreicht werden. Vom einzelnen Soldaten bis zum Gefechtsstand im Pentagon wird ein zwar abgestufter, doch so nie gekannter Überblick hergestellt. Die Mobilität hat ihre bisherige Bedeutung als ausschlaggebender Faktor verloren – sie wird vorausgesetzt. Entscheidend ist heute Information. Maximale Kontrolle und Kommunikation, sowie hohe Schlagkraft, Präzision und Geschwindigkeit sind die Parameter hochtechnologisierter Armeen.

Die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Militärs befördern zwei im Prinzip gegenläufige, doch einander unterstützende Entwicklungen. Die Kommandospitze verlangt nach strategischem Überblick, der bei Bedarf bis auf den einzelnen Soldaten fokussiert werden kann. Soldaten benötigen über das Wissen um ihre direkte Umgebung hinaus zur Koordination ihrer Aktionen mit einer Vielzahl anderer Einheiten auch Informationen über das taktische Geschehen. Die Informationsverarbeitung und -verteilung wird so zur zentralen Ressource im Krieg.

Die Abhängigkeit von der angestrebten Vernetzung ist es jedoch, die ein Ansatzpunkt für neue Konzepte für die Austragung von Konflikten ist. Diese Konzepte sind über den direkten kriegerischen Zusammenhang hinaus in dem Maße erweiterbar, wie die Informationstechnologie für die gesamte Gesellschaft an Bedeutung zunimmt und diese erheblich verändert. Die Informationsgesellschaft ist also erst die Voraussetzung für die Konzepte vom Netwar und Cyberwar, die im folgenden vorgestellt werden.

Netwar

Netwar ist definiert als ein informationsbezogener Konflikt auf der Ebene von Staaten und Gesellschaften: „It means trying to disrupt, damage, or modify what a target population knows or thinks it knows about itself and the world around it. A netwar may focus on public or elite opinion, or both. It may involve public diplomacy measures, propaganda and psychological campaigns, political and cultural subversion, deception of or interference with local media, infiltration of computer networks and databases, and efforts to promote dissident or opposition movements across computer networks.4

Ein Netwar ist – traditionell verstanden – kein Krieg, wird aber als nützliches Vielzweck-Instrument zur Abschreckung verstanden. Abschreckung würde damit nicht länger von Atomwaffen geleistet, sondern auf Computer und ihre Netzwerke verlagert.

Netwar läßt sich zunächst durchaus als eine Weiterentwicklung von Konzepten der psychologischen Kriegsführung und der Desinformation verstehen, die aus Anfängen wie militärischen Radiostationen und ähnlichen Einrichtungen für neue Techniken modifiziert wurden. Diese Bewertung ist zu revidieren, sobald man zu den Akteuren eines solchen Konflikts kommt. Dort werden nicht nur Staaten oder auf staatliche Macht abzielende Gruppen genannt, sondern explizit auch Öko- und Menschenrechtsgruppen und andere Bewegungen: „Or, to the contrary, it may be waged against the policies of specific governments by advocacy groups and movements, involving, for example, environmental, human-rights, or religious issues. The non-state actors may or may not be associated with nations, and in some cases they may be organized into vast transnational networks and coalitions“.

Hier werden also BürgerInnenbewegungen in aller Welt, die sich aus der Einsicht, gegen staatliche Macht nur gemeinsam stark zu sein, unterstützen, großzügig als Akteure in Konflikt- und Kriegsszenarien einbezogen und zugleich zu einer potentiellen Gefahr für Nationalstaaten erklärt: „Some movements are increasingly organizing into cross-border networks and coalitions, identifying more with the development of civil society (even global civil society) than with nation-states, and using advanced information and communications technologies to strengthen their activities. This may well turn out to be the next great frontier for ideological conflict, and netwar may be a prime characteristic5.

Hier wird besonders deutlich, wie sehr das Denken über zukünftige, hochtechnologisierte Konfliktformen mit alten Mustern wie dem Nationalstaat verbunden ist und an seine Grenzen stößt. Besonders die mit der Informationstechnologie möglichen internationalen Querverbindungen können den aus funktionalen und wirtschaftlichen Gründen zu vermutenden Verfall der faktischen Bedeutung von Nationalstaaten beschleunigen6. Höchst agile transnationale, auf informationstechnische Vernetzung begründete Organisationen sind heute bereits Realität. Dies würde auch das Ende staatlicher Institutionen als Konfliktpartei in einem Netwar bedeuten.

Zugeständnisse in diese Richtung enden für die RAND-Planer und andere Denker des Militärs bei low-intensity-conflicts, bei denen statt staatlicher Armeen nun „Terroristen, Banditen und Räuber“ gegeneinander antreten7. Doch ist diese Beschreibung definitiv zu kurzsichtig. Völlig außer acht gelassen werden international operierende Wirtschaftsorgansiationen. Unter den Begriff Netwar läßt sich schließlich problemlos auch die Werbung und der Kampf um Kunden subsumieren. Dies läßt sich – von Wirtschaftsspionage bis zu weit härteren Unternehmenskonflikten – leicht weiterdenken. Dies tun die RAND-Planer nicht. Wer den Netwar predigt, sollte sich jedoch nicht den logischen Konsequenzen verweigern.

Cyberwar

Kaum noch zivil ist das Konzept des Cyberwars, das als neues Paradigma militärischer Auseinandersetzungen gesehen wird: „Cyberwar refers to conducting, and preparing to conduct, military operations according to information-related principles. It means disrupting, if not destroying, information and communication systems, broadly defined to include even military culture, on which an adversary relies in order to know itself: who it is, where it is, what it can do when, why it is fighting, which threats to counter first, and so forth8.

In diesem für alle Konfliktkonstellationen anwendbaren Konzept haben hergebrachte militärische Parameter wie Truppenstärke und Ausrüstung nur noch geringe Bedeutung. Das Wissen über diese Parameter wird selbst zum entscheidenden Faktor, den es zu nutzen gilt. Mit der Vorstellung, das mit computergesteuerten Waffen bevölkerte Schlachtfeld sei keine genügend konsequente Umsetzung der Informationstechnologie, geht dieser Ansatz über bereits länger bekannte Ideen9 hinaus. Die Bedeutung des Cyberwar-Konzepts wird mit der Entwicklung des Blitzkriegs gleichgesetzt.

Der Cyberwar-Ansatz geht davon aus, jede militärische Einheit sei nutzlos, sofern sie nicht in Verbindung mit anderen steht. Das Unterbinden von Kommando und Kontrolle mache es möglich, einen überlegenen, aber führungslosen Gegner mit leichten Expeditionskräften zu bekämpfen.

Doch beschränkt sich die These nicht auf die Anwendung bekannter Techniken der elektronischen Kriegsführung10. Diese Form mache eine Reorganisation militärischer Strukturen ebenso notwendig wie die Entwicklung völlig neuer Taktiken: „Cyberwar may also imply developing new doctrines about the kinds of forces needed, where and how to deploy them, and what and how to strike on the enemy's side. How and where to position what kinds of computers and related sensors, networks, databases, and so forth, may become as important as the question once was for the deployment of bombers and their support functions. Cyberwar may also have implications for integrating the political and psychological with the military aspects of warfare.11

Besonders die letzte Aussage gilt es zu untersuchen. Hier ist zu beachten, daß für einen Cyberwar die Fortsetzung der bereits beschriebenen zweifachen Trends zur dezentralen Kommunikation zwischen Einheiten auf dem Schlachtfeld bei gleichzeitiger verstärkter Kontrolle durch die zentrale Kommandostelle typisch ist. Dabei ist zunächst der organisatorische Aspekt von Interesse.

Notwendig ist hier, die Verarbeitung von Information so zu organisieren, daß sie am richtigen Platz in der richtigen Menge anfällt. Als notwendig erweisen sich dazu enthierarchisierte, netzwerkartige Strukturen, die auf allen Ebenen mit hochqualifiziertem Personal besetzt sind. Cyberwar verhält sich damit zum Militär wie moderne Management-Theorien zur Unternehmenskultur: „Cyberwar is about organization as much as technology. It implies new man-machine interfaces that amplify man's capabilities, not a separation of man and machine.“ 12 Der Mensch und seine Fähigkeiten wird hier als wertvolle Ressource gesehen, die es zu unterstützen gilt. Gleiches verlangen Unternehmensphilosophien, die vom Mitarbeiter Vorschläge zu organisatorischen Verbesserungen und eigenverantwortliche Arbeit erwarten.

Den Bezug derartiger Strategien stellen schon Levidow und Robins dar, die Parallelen zwischen der geforderten Eigenverantwortlichkeit in Mensch-Maschine-Systemen zwischen Betrieben und dem Militär ziehen. Für sie ist die Betonung des intelligent handelnden, aber in informationstechnische Systeme eingebundenen Individuums eine Variante der Entwicklung zum Cyborg, einem gekoppelten Mensch-Maschine-Wesen13. Dieses zur Erfüllung seiner Aufgaben optimierte Wesen jedoch ist ein Paradigma, das von Militärs in den USA seit längerer Zeit verfolgt wird. Der durch Simulator-Training optimal vorbereitete und angepaßte »Warfighter« ist das zentrale Ziel dieser Bestrebungen14.

Neben dem organisatorischen ist der psychologisch-publizistische Aspekt eines Cyberwars von Bedeutung. Da die Kontrolle der gegnerischen Informationen über die eigenen Truppen erklärtes Ziel eines Cyberwar ist, werden hier verschiedene Techniken integriert genutzt. Der Golfkrieg zeigte verschiedene Methoden: Die Kommando- und Kontrolleinrichtungen des Irak waren die ersten Ziele des Krieges, geschickte Verlautbarungen an die Presse sorgten dafür, daß niemals eingesetzte amphibische Landungseinheiten vor der kuweitischen Küste das Sechsfache an gegnerischen Kräften banden und schließlich wurden – gefälschte – Gerüchte über einen angeblichen Computervirus in der Presse gestreut, der in das irakische Kommando- und Kontrollsystem eingeschleust worden sein sollte. Die Kombination von einfach militärisch aufzuklärenden Fakten mit Presseverlautbarungen half, das irakische Militär – aber auch die Öffentlichkeit – in die Irre zu führen.

Die öffentliche Meinung wird im Krieg also nicht nur zum Schutz geheimzuhaltender Operationen zum beiläufigen Opfer, sondern zur notwendigen Ressource bei der Steuerung der Informationen des Gegners. Der Golfkrieg gibt dazu noch viele weitere Beispiele, die durch den Begriff Propaganda nicht vollständig beschrieben werden. Dies deshalb, weil sich Propaganda definitionsgemäß an die Öffentlichkeit wendet. Im Cyberwar jedoch beeinflussen beide Kriegsparteien einander durch Medienaktivitäten und machen diese Aktivitäten damit zu Kriegshandlungen.

Der medial ausgetragene Krieg um die Bilder eines Krieges zeigt, daß auch technologisch wenig gerüstetete Kriegsparteien, die die Medien netzwerkartig für sich mobilisieren, Vorteile im Cyberwar erringen können. Daraus ziehen die RAND-Planer für militärisch-zentralistisch organisierte Institutionen den Schluß: „The lesson: Institutions can be defeated by networks, and it may take networks to counter networks. The future may belong to whoever masters the network form15.

Fazit: Mode oder Signifikante?

Netwar und Cyberwar stellen sich dar als die Abstufungen der aus modischen Seminaren zur Führung eines schlanken Unternehmens bekannten Konzepte. Beide lassen sich unschwer in das Vokabular von Betriebswirten übersetzen. Dies ist nicht als Modeerscheinung, sondern als signifikantes Merkmal der Informationsgesellschaft zu werten.

Ausgangspunkt in beiden Fällen sind schlanke organisatorische Strukturen, die hochgradig flexibel sein sollen und dazu qualifiziertes Personal auf den untersten Ebenen benötigen. Die Bedingungen des Produzierens und der kriegerischen Operation verlieren an Bedeutung gegenüber der Logistik und deren Kontrolle. Kontrollwissen ist nun die Ressource, die bei ähnlichen Ausgangsbedingungen den Ausschlag gibt.

Wie schon die Betrachtung der an Netwars möglicherweise beteiligten Gruppen zeigte, wird im Konfliktfall mit diesen Konzepten die Abgrenzung zwischen Krieg und Frieden immer unmöglicher. Wenn bald die Auseinandersetzung zwischen Menschenrechtsgruppen und Staaten das Führen eines Netwars bedeuten soll, ist der Schritt nicht weit, Konflikte verschiedener politischer Parteien, von konkurrierenden Unternehmen und anderen gesellschaftlichen Gruppen unter kriegerischen Aspekten zu sehen und zu verstehen. Auf der nächsthöheren Eskalationsstufe ist dann der Cyberwar angesiedelt.

Dies würde in letzter Konsequenz zu einer verstärkten Militarisierung der Gesellschaft und der darin notwendig auszutragenden Konflikte hinauslaufen. Gesellschaftliche Konflikte jedoch mit militärischen Metaphern zu sehen und unter diesen zu begreifen, führt zum Ende des demokratischen Staates.

Anmerkungen

1) John Arquilla, David Ronfeldt (International Policy Department, RAND Corp.) Cyberwar Is Coming!; in: Comparative Strategy, Volume 12, Nr. 2, S. 141-165. Zurück

2) Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann: Computer im Krieg: die elektronische Potenzmaschine; in: Bolz, Kittler, Tholen: Computer als Medium, München, 1994, S. 183-207. Zurück

3) U.S. Army News Service: Cold War training philosophy gives way to power projection, Alexandria, 7.2.1994. Zurück

4) Arquilla, Ronfeld, a.a.O. Zurück

5) ebd. Zurück

6) Die ideologische Bedeutung faktisch sinnloser Nationalstaaten ist ein Gegentrend, der hier nicht betrachtet werden kann. Zurück

7) Martin Van Creveld: Command in War, Cambridge, 1985. Zurück

8) Arquilla, Ronfeld, a.a.O. Zurück

9) Thomas P. Rona: Weapon Systems and Information War; Boeing Aerospace Co., Seattle, July 1976. Zurück

10) vgl. Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann: Der Krieg der unsichtbaren Waffen – Elektronische Kriegsführung; in: Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann: Ein sauberer Tod. Informatik und Krieg; Marburg, 1991, S. 113-126. Zurück

11) Arquilla, Ronfeld, a.a.O. Zurück

12) ebd. Zurück

13) Les Levidow, Kevin Robins: Towards A Military Informations Society; in: dies.: Cyborg Worlds. The Military Informations Society, London, 1989, S. 159-177, bes. S. 169ff. Zurück

14) Director of Defense Research and Engineering: Defense Science and Technology Strategy, Springfeld, 1992, S. I-12 Zurück

15) Arquilla, Ronfeld, a.a.O. Zurück

Ingo Ruhmann ist Informatiker und arbeitet im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) e.V., Bonn

Vollklimatisierte »Robo-Soldiers«

Vollklimatisierte »Robo-Soldiers«

High-Tech-Einsatz in der Kriegsführung

von Götz Neuneck

Mehr denn je setzen die modernen Industrienationen, allen voran die Vereinigten Staaten, auf die Integration von Hochtechnologie in ihre durch Budgetkürzungen und eine veränderte Sicherheitslage bedrohten Streitkräfte. Spätestens seit dem 2. Golfkrieg steht die »Informations-Kriegsführung« im Mittelpunkt des militärischen Interesses. Konzepte wie das »Digitale Schlachtfeld«, der »Robo-Soldier« oder »Non-lethal warfare« haben zur Zeit Hochkonjunktur.

Moderate Konzepte wie Rüstungssteuerung oder Strukturelle Nichtangriffsfähigkeit finden hier keinen Platz mehr: Militärtechnologie ist längst nicht mehr Gegenstand von Rüstungskontrolle, sondern vielmehr Motor für die High-Tech-Beschaffung der Zukunft. Mehr denn je muß jedoch bezweifelt werden, ob diese Art der »Informationsverarbeitung« eine adäquate Antwort auf die anstehenden Weltprobleme bilden kann. Deutlich sichtbar verändert sich durch die verstärkte Verwendung von Hochtechnologie der Gebrauch militärischer Macht.

Eine lasergesteuerte Panzerfaust ist kein Taktstock

Das »Weckersignal« der aufkommenden Atomwaffen sollte die Menschheit dazu zwingen, so C.F. von Weizsäcker, die Institution des Krieges zu überwinden.1 Wenngleich nukleare Abrüstung stattfindet, sind wir weiter denn je von diesem Zustand entfernt. Für 1993 zählt das SIPRI-Jahrbuch 1994 34 bewaffnete Konflikte, die meisten davon innerstaatlicher Natur. Erstmals übersteigen die Kriege um »Autonomie und Unabhängigkeit« die Konflikte, die sich gegen Regierungen und politische Systeme richten2: Sezession, Separation und nationalistischer Streit um die Kontrolle von Territorien und damit verbundene Ressourcen bilden eine Hauptantriebskraft für bürgerkriegsartig ausgetragene Konflikte. Die Fernsehbilder aus Bosnien/Herzegowina, Somalia, Ruanda, Haiti usw. geben einen Eindruck von den Tragödien, die sich in dieser neuen Welt(un)ordnung abspielen. Gerade diese Beispiele zeigen aber auch, wie ohnmächtig die bis an die Zähne bewaffneten Großmächte sind. Die »pax americana technocratica« hat bisher keine Antwort auf diese neuen Herausforderungen gefunden: „Eine lasergesteuerte Panzerfaust ist kein Taktstock“, so kommentierte ein Zeitungskolumnist den Widerspruch zwischen High-Tech und der Herstellung einer friedlichen demokratischen Ordnung.3 Denn: diese Probleme sind mit militärischen Mitteln überhaupt nicht zu bewältigen. Vielmehr bedarf es der vorausschauenden Konfliktprävention, der Beseitigung der Konfliktursachen durch soziale, ökonomische und ökologische Maßnahmen.

Technologische Antworten auf politische Probleme

Mit der Epochenwende des Jahres 1989 hat das überkommene bipolare Koordinatensystem der Sicherheitspolitik ausgedient und ist nach der Auffassung vieler durch ein neues zu ersetzen. Das eindimensionale Bedrohungsbild ist gewichen, komplexe, noch wenig konkrete Szenarien treten an seine Stelle. Nicht mehr der globalen militärischen Konfrontation gilt die Hauptsorge, sondern einem diffusen Konglomerat potentieller Risiken, wie z.B. Proliferation von Massenvernichtungswaffen, regionale Krisen und Terrorismus. Wie dieser „neuen Unübersichtlichkeit4 sicherheitspolitisch begegnet werden soll, ist keineswegs geklärt. Obwohl den »neuen Risiken« sicher mit der dosierten Anwendung diplomatischer Einflußnahme, wirtschaftlicher Unterstützung und vorausschauender Politik wirkungsvoller zu begegnen wäre als mit dem Einsatz schwer bewaffneter Armeen, müssen sie – so das Credo der Militärs – „zur Not“ militärisch aufgefangen werden. Zukünftig geht es – so Generalinspekteur Naumann – darum, „mit weniger Kräften einen größer gewordenen Raum zu schützen.“ 5 Was hier weiterhilft, ist auch schon ausgemacht: „Während das bisher gültige Prinzip der Vorneverteidigung es kaum zuließ, den Raum zu nutzen, heißt es jetzt, mit allen drei Elementen der Operation – Kräften, Zeit und Raum – sowie mit einem hohen Maß an geistiger Beweglichkeit zu planen und zu führen. Hinzu kommt die neue Dimension des Kampfes im elektromagnetischen Spektrum, die künftig vielleicht das vierte Element der Operation bilden wird.“ 6 Welcome in the age of Cyberwar.

Der 2. Golfkrieg, der für viele am Fernsehschirm gekämpft wurde, bildet hier nach wie vor den Ausgangspunkt für High-Tech-Beschaffungen mancher Industriestaaten. Labels wie „Lessons learned in Iraq“ oder „combat proven“ durchziehen bis heute die Aufsätze der etwas dünner gewordenen Wehrtechnikzeitschriften. Obwohl die geografischen und zeitlichen Randbedingungen günstig für die alliierten Streitkräfte waren und obwohl die dort eingesetzte Technologie nicht in jedem Falle funktionierte (Siehe dazu den Kasten von Jürgen Scheffran), lebt der Mythos von der chirurgischen Kriegsführung fort.7 Aufklärung, Präzisionsraketen und Stealthbomber werden als die Gewinner des Krieges gefeiert. Der heutige Verteidigungsminister W. Perry schrieb 1991: „Eine Armee, die über solche Technologien verfügt, hat einen überwältigenden Vorteil gegenüber Armeen, die darüber nicht verfügen, ganz so wie eine Panzerarmee, die eine Armee, bestehend aus Pferdekavallerie überwältigt.“ 8 Die Herstellung der »Informationsüberlegenheit« durch eine überwältigende Aufklärung und Überwachung mittels Satelliten, Drohnen und Flugzeugen – verbunden mit einem gezielten Dauerbombardement – dürfte in der Tat das Szenario sein, das auch heute noch die Gedanken der Militärplaner beschäftigt. Trotz »Informationsdominanz« sind die politischen Erfolge in der Region jedoch eher zweifelhaft – ein deutliches Zeichen für den Widerspruch zwischen High-Tech-Weltordnung und realen Lebensverhältnissen.

Nachdem in den fünfziger und sechziger Jahren der Schwerpunkt der Technologie-Strategie-Interaktion im Aufkommen der Nuklearwaffen lag, führte der wachsende Einfluß moderner Technologien in den siebziger und achtziger Jahren zu einem Schub neuartiger Waffensysteme für das konventionelle Gefechtsfeld in Europa.9 »Smart Weapons« oder »Brilliant Weapons« wie Panzer-Abwehrwaffen, Aufklärungsdrohnen, Marschflugkörper vervollständigten die Arsenale der Supermächte und ihrer Verbündeten. Die militärtechnische Revolution der Waffenplattformen ist weitgehend abgeschlossen. Jetzt wirkt sich die »Informationsrevolution« auf die militärischen Strukturen und Strategien aus und steht am Anfang ihrer militärischen Nutzung. Je nach Waffensystem, Personal, Mission etc. ergeben sich für unterschiedliche Militärverbände auf unterschiedlichen Ebenen neue Anwendungsprofile. Die hohen Innovations- und unterschiedliche Integrationsgeschwindigkeiten erfordern je nach Nation, politischer Vorgabe und Mission permanente Neubewertungen bzw. Abschätzungen der Wirkung von Technologien und Strategien. Diverse Studien haben in den vergangenen Jahren den Einfluß neuer, kritischer Technologien auf die zukünftige Militärtechnik hervorgehoben.

Alle Hochtechnologienationen entwickeln heute Systeme oder Komponenten, die im weitesten Sinne zum Komplex »Command, Control- and Communication/Intelligence« (C3I) bzw. Reconaissance, Surveillance and Target Acquisition (RSTA) zu rechnen sind. Diese Systeme bzw. Teilkomponenten sollen einzeln oder im Verbund die Fähigkeit von:

  • Aufklärung (Echtzeit, Sichtunabhängigkeit, Auflösung, verschiedene Wellenlängen)
  • Zielerfassung und -erkennung (Objektidentifizierung, Freund/Feind- Unterscheidung)
  • Zielbekämpfung (Nachsteuerung)
  • Zielzerstörung (Treffergenauigkeit, Flächenwirkung)
  • Tarnung (Stealth), Täuschung und elektronische Gegenmaßnahmen

schaffen oder verbessern. Computer sind auf dem »Schlachtfeld der Zukunft« überall anwesend, um die horrenden Mengen von Nachrichten in Form von Daten, Bildern etc. von verschiedensten Sensoren (Satelliten, Flugzeuge, unbemannte Flugkörper) auszuwerten und weiterzuleiten. Von einem Luftwaffenlabor wird beispielsweise ein »Virtual Reality Command and Control (C2) System« entwickelt, das in Minuten eine konkrete Bedrohung analysiert und die Einheiten und Flugzeuge für einen Gegenschlag zusammenstellt.10 Die Einbeziehung des Weltraums in diese Anstrengungen wird in den nächsten Jahren von den Staaten, die über eine entwickelte Luft- und Raumfahrt verfügen, vorangetrieben werden.

Ungeachtet der konzeptionellen Defizite, wie denn die »reaktive Kriegsverhinderung« im Vorfeld eines Krieges aussehen soll, hat die Umrüstung von Teilen der deutschen Streitkräfte zu Krisenreaktionskräften bzw. Eingreifverbänden, die jenseits der Landesgrenzen operationsfähig sind, begonnen.11 Die Beschaffungsvorgaben des Militärbudgets tragen dem Rechnung (siehe Beitrag von Achim Schmillen in diesem Heft).

Im Weißbuch 1994 ist zu lesen: „Im Forschungs- und Technologiekonzept des BmVg werden nach militärischen Erfordernissen Arbeitsschwerpunkte festgelegt, die zivile Forschungs- und Technologiearbeiten der Bundesregierung, internationale Zusammenarbeit und privatwirtschaftliche Forschungsergebnisse berücksichtigen.“ 12 Die Wichtigkeit der Krisenreaktionskräfte und ihrer Beweglichkeit werden im Weißbuch 1994 hervorgehoben: „Für Aufklärung und Führung der Krisenreaktionskräfte werden bis zu einem Drittel aller Forschungs- und Technologieinvestitionen aufgewandt. Ziel ist unter Abstützung auf zivile Spitzentechnologien die Sicherstellung leistungsfähiger Navigation und Kommunikation über große Entfernungen sowie die Leistungssteigerung von Sensoren. (…) Die Fähigkeit zum raschen und weiträumigen Einsatz von Streitkräften erfordert geeignete Transportsysteme. Im Arbeitsschwerpunkt Beweglichkeit und Transport wird daher die technologische Basis für die taktische und operative Verlegefähigkeit und die Mobilität von KRK geschaffen.“ Im Rahmen der zweijährigen »Wehrtechnischen Vorausschau« (WTV) werden vom BmVg wehrtechnisch relevante Technologiebereiche vorgestellt.13 In der Auflistung finden sich neue Waffenprinzipien und -wirkungen (Elektromagnetische Kanonen, Strahlenwaffen, Mikrowellen) ebenso wieder wie neue Gefechtsköpfe, Werkstoffe, die Stealth-Technologie, Lenkflugkörper und neue Trends im Flugzeug- und Schiffsbau.

Miniaturisierung, Automatisierung und elektronische Einbindung sind dabei Kriterien, die sich heute aus dem Wunsch nach Effizienzsteigerung der militärischen Vorkehrungen, die durchaus nicht auf Verteidigungsbedürfnisse beschränkt sein müssen, von selbst ergeben. Intelligente Waffen, elektronische Kriegsführung und Führungs- und Kontrollsysteme sind Schlagworte, die nicht zuletzt nach den Erfahrungen des Golfkrieges 1991 Konjunktur haben. Moderne Waffensysteme sind inzwischen nicht mehr nur todbringende Einzelsysteme, sondern in komplexe, elektronische Kommando-, Kontroll- und Führungssysteme für ein effektives »Battle Management« eingebunden. Überhaupt ist Hochtechnologie in den modernen Armeen des Westens bei fast jedem Aspekt der Kriegsführung präsent. Sie spielt die Rolle eines »Streitkräfteverstärkers« oder eines »Kampfkraft-Vervielfachers«. Die Forderung danach ergibt sich derzeit gerade aus der Reduktion der Militäretats, der Abrüstungszwänge und der behaupteten neuen weltweiten Herausforderungen.

Nach anfänglicher Betonung der nuklearen Komponente ist seit Jahrzehnten ein Trend weg von den Nuklearstrategien und hin zu einer Konventionalisierung der Kriegsführung zu beobachten. Der Einsatz von Nuklearwaffen, im Kalten Krieg noch als realistische Option diskutiert, ist heute auch aus der Sicht ihrer Besitzer höchst fragwürdig. Andererseits stellt sich für die auf Zwangsmittel fixierten Staaten dann die Frage nach konventionellen Ersatzmöglichkeiten. Eine ganze Palette von Waffensystemen muß nunmehr als Substitut der Nuklearwaffen herhalten.

Cyberwar is Coming!

„Cyberwar is Coming“, so heißt der programmatisch euphemistische Titel eines Aufsatzes in der Zeitschrift »Comparative Strategy« des Jahres 1993, der versucht, vor dem Hintergrund eines radikal geänderten sicherheitspolitischen Umfeldes und den Möglichkeiten zukünftiger Informationstechnologien Konsequenzen für die US-Kriegsführung zu ziehen bzw. zu propagieren.14 Dabei halten sich die »Strategiedenker« nicht lange mit einer tieferen politischen Ursachenanalyse zukünftiger Kriegsbilder auf. Stattdessen dienen die sich in der Entwicklung oder Erprobung befindlichen Technologien als Grundlage für weitere Überlegungen zur Kriegsführung der Zukunft. Ein Leitsatz könnte sein: „Kriegsführung ist nicht länger primär eine Frage, wer das meiste Kapital, Arbeit und Technologie auf das Schlachtfeld bringt, sondern wer die beste Information über das Schlachtfeld hat.“ 15 Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht die These, daß es das Ziel von Informationskriegsführung sein muß, die »Informationsdominanz« auf dem Gefechtsfeld zu erlangen: „Information wird eine strategische Ressource, die sich im post-industriellen Zeitalter als so wertvoll und einflußreich herausstellen wird wie Kapital und Arbeit im Industriezeitalter.“ 16

Das »digital battlefield concept« hat inzwischen bei der US-Armee höchste Priorität. Letztlich geht es darum, computergestützt eine Verbindung von Aufklärung und bekämpfenden Einheiten herzustellen, um so den Einsatzbereich und die Zielgenauigkeit konventioneller Waffen zu erhöhen. Es soll nach Auffassung der Militärtechnologen einerseits dem Kommandeur auf dem Gefechtsfeld vollständige Kenntnis in sämtliche Abläufe in einem Umkreis von 100 km ermöglichen. Andererseits ist jeder vernetzte Soldat als Bestandteil dieses »taktischen Internet« selbst in der Lage, sich beispielsweise mittels Informationsabfrage über den Ort benachbarter befreundeter Einheiten zu informieren.

Vom 10.-23. April 1994 fand in der Mojave-Wüste die erste digitale Trainingsübung von Panzern, mechanisierter Infanterie und Artillerie statt. Ca. 100 Fahrzeuge inkl. M1A1-Abrams-Tanks, AH-64 Apache Helikopter und einzelne Soldaten waren mit digitalisierter Ausrüstung bestückt und traten gegen eine gegnerische Eliteeinheit ohne High-Tech-Ausrüstung an. Selbst der einzelne Infanterist war mit dem »Digitized Soldier System« ausgestattet. General Garner, der für die Entwicklung dieser Einheiten verantwortlich ist, kommentierte: „Es hat niemals in der Weltgeschichte eine Armee gegeben, die alle ihre Schützen zur selben Zeit in Position und gleichzeitig feuernd vorgefunden hat. Digitalisierung realisiert dieses Ziel“.17 Über die Auswertung dieser Übung wurde bisher wenig bekannt. Peinlicherweise verlor die High-Tech-Einheit jedoch nach zwei Wochen Kampf gegen eine gut ausgebildete Elitetruppe. Dies mag ein Indiz dafür sein, daß High-Tech allein gar nichts nutzt, sondern die Technologien müssen erst in die entsprechenden operativen Konzepte umgesetzt werden. General F. Franks, Kommandant des Training and Doctrine Command (TRADOC), kommentierte dazu lapidar: „Bodenkampf ist brutal, kompromißlos und endgültig. Die Einbeziehung von Informationstechnologien gibt uns einen erweiterten Bereich von Optionen.“ 18 Die Konsequenz daraus ist: Es wird weiter entwickelt und getestet werden.

Im Mai 1992 richtete die US-Armee sechs »Battlefield Laboratories« ein, um die sich in einem ständigen Umbruch befindliche Kriegsführung genauer zu studieren und zu testen. Angesichts verringerter Budgets und sich verändernder Bedrohungslagen sollen relevante Technologien in die Armee-Taktiken integriert, simuliert und in Feldübungen getestet werden. Die »Labs« sind mittels eines »Defense Internet« elektronisch verbunden und teilen so ihre Erfahrungen, Resultate und Ideen. Auch die Industrie soll direkt mit einbezogen werden.19

Auch die U.S. Navy kann hier natürlich nicht zurückstehen, und sichert den Eintritt in die »Informations-Kriegsführung« mit einer neuen Institutsgründung ab. Ein »Navy Information Warfare Center« wurde in Fort Meade/Maryland geschaffen, um die Konsequenzen der Informationstechnologien für die US-Navy zu studieren. Ein »Fleet Information Warfare Center« soll im Januar 1995 zusätzlich gegründet werden. Die Luftwaffe verfügt bereits über eine solche Institution. Angesichts der schwer abschätzbaren Konsequenzen des Einsatzes neuer Technologien auf dem Gefechtsfeld wird sogleich der Ruf nach Einrichtung europäischer »Battle Labs« laut.20

Zur Informationskriegsführung wird jedoch nicht nur der intensive Einsatz von EDV, Computer und elektronischer Kommunikationsnetzwerke gerechnet, sondern auch die Möglichkeit, diese Fähigkeiten eines möglichen Gegners zu stören, zu unterbrechen oder falsche Informationen zuzuspielen: „Man möchte nicht nur einen reduzierten Informationsgrad für den Gegner schaffen, sondern ein Informationsdefizit. Man möchte ihm eine situationelle Konfusion übermitteln. Anstatt einer Verständigung möchte man ihn desorientieren.“ Die »Anti-Informationskriegsführung« ist somit Bestandteil der »Informationskriegsführung«.

Nicht-tödliche Waffen – Krieg ohne Opfer?

Wachsende öffentliche Aufmerksamkeit kommt den »Non-lethal weapons« (NLW) zu. Auf diese Bereiche soll hier nicht detailliert eingegangen werden.21 Unter NLWs werden in erster Linie neue Technologien verstanden, die militärische Aktionen eines vermeintlichen Gegners behindern, täuschen oder unmöglich machen sollen, ohne daß damit zwangsläufig ein direkter Waffeneinsatz mit Todesfolge für die Zielsubjekte verbunden ist. Die US-Armee betreibt und forciert seit einigen Jahren Arbeiten zu NLWs. Gesprochen wird von einem breiten Technologien-Spektrum:

  • Chemische oder durch Gentechnologie erzeugte Substanzen, die Personen paralysieren. Es sollen dafür auch spezielle elektromagnetische Strahlen (Ultraschall, Mikrowellen etc.) und deren Wirkung an Menschen (ohne deren Wissen) erprobt worden sein.
  • Substanzen, die gegen Militärmaterial gerichtet sind: Stoffe, die Reifen von Flugzeugen oder Autos auflösen; Haftstoffe, die die Sicht aus Panzern versperren, etc.
  • Materialien, die die Versorgung und Logistik feindlicher Truppen behindern und unterbrechen, z.B.: Metallstreifen über einer Hochspannungsanlage erzeugen einen Kurzschluß; Nägel/Eis/Schmierseife machen Straßen unbefahrbar etc.
  • Elektronische Kriegsführung: Leistungsstarke Sender stören das gegnerische Radar, den Funkverkehr, Radio und Fernsehen, die Funktion von Waffensystemen etc., Verwendung von elektromagnetischen Pulsen.
  • Laserstrahlen können gegnerische Panzer, Flugzeuge, Soldaten etc. blenden.

Zum Zwecke der Täuschung, Irreführung oder Behinderung hat es im Rahmen der traditionellen Kriegsführung immer nicht-letale Operationen (elektronische Maßnahmen, Sabotage, Unterbrechung von Wasser und Energie) gegeben. Auf den ersten Blick ist wenig gegen die Anwendung von Zwangsmitteln zu sagen, die die Führung von Kriegen insgesamt behindern oder unmöglich machen bzw. die Entfaltung und Offensivwirkung von Streitkräften zumindest stark erschweren.22 Gegenüber den o.g. »Wundermitteln« ist jedoch Skepsis in mehrfacher Hinsicht geboten:

1. Wie wirksam sind nicht-letale Waffen wirklich? Nicht ausschließen läßt sich, daß unkalkulierbare Nebenwirkungen für Menschen und Umwelt auftreten.23

2. Wo und in welchem Szenario sollen NLWs eingesetzt werden? Industriegesellschaften sind bei Störung von Verkehr und Energieversorgung sehr viel anfälliger als weniger entwickelte Regionen.

3. Wer bestimmt über den Einsatz? Sicherheitspolitisch macht es einen erheblichen Unterschied, ob die Kommandoführung bei den Vereinten Nationen, der NATO oder den Vereinigten Staaten liegt.

4. Wie und in welchem Konfliktstadium sollen NLWs eingesetzt werden? (Rüstungs-)Technik wird zwar oft für bestimmte Szenarien entwickelt, aber im Konfliktfall kann selten garantiert werden, daß angenommene Rahmenbedingungen zutreffen. Was geschieht, wenn nicht-letale Waffen im »lethal warfare« eingebunden werden ?

Letztlich ist im Zusammenhang mit zukünftigen Einsätzen exotischer Waffen im Rahmen friedenschaffender Missionen entscheidend, wer die Kommandogewalt innehat und unter welchen Prämissen neuartige Kriegsmittel angewendet werden. Auch ist fraglich, wie der Gegner in Krisensituationen auf deren Einsatz reagiert. Jegliche, auch passive Einmischung kann ja als »strukturelle Aggression« interpretiert werden.24 Da im Regelfall das, was erforscht, entwickelt und produziert wurde, später auch eingesetzt wird, wird die Anwendung von NLWs, sollten sie erst einmal vorhanden sein, auch in anderen Kontexten als in völkerrechtlich sanktionierten Friedensmissionen unter internationaler Kontrolle wahrscheinlich.

Bisher wurden NLWs von der Privatindustrie und den Rüstungslabors gesponsert. Nun scheinen sie den Sprung ins Militär zu schaffen. US-Verteidigungsminister William Perry wird in nächster Zeit eine Direktive unterzeichnen, die es dem Pentagon ermöglicht, »Non-lethal Weapons« zu kaufen und zu testen. Für diese neue Initiative sind 1995 zunächst 40 Mio. Dollar vorgesehen. Humanitäre Missionen, Peacekeeping und andere Operationen unterhalb eines längeren Krieges werden als ideal für den Einsatz von NLWs betrachtet.25 Genannt werden Akustik-Technologien, Maßnahmen gegen Scharfschützen, Laser, Holographie, elektromagnetischer Puls. Der eifrige NLW-Befürworter John Alexander aus Los Alamos hält sich nun auch nicht lange mit einer eingeschränkten Verwendung von NLWs auf: „Nicht-letale Systeme sollten nicht nur als einzelstehende Waffen entwickelt werden, sondern sollten auch in die Strategie und Doktrin integriert werden und sollten schließlich durch Nachrichtendienst, C2 und letale Systeme ergänzt werden. 26

Abstandswaffen

Die Entwicklung von Abstandswaffen gehen in fast allen größeren Industrieländern weiter. »Stand-off Weapons« (SOW) sind Raketen oder Flugkörper die – meist von einem Flugzeug – außerhalb der Reichweite der gegnerischen Abwehr abgeschossen werden, um spezifische Ziele wie Bunker, Radaranlagen oder Raketenstartgeräte zu zerstören. Im 2. Golfkrieg wurden Cruise Missiles und lasergelenkte Bomben extensiv gegen Schlüsselziele eingesetzt. Militär und Industrie arbeiten an der nächsten Generation der Abstandswaffen. Sie sollen, weit vor dem Ziel, vom Flugzeug oder Bomber ausgeklingt werden und autonom ihr Ziel ansteuern (Launch-and-leave Fähigkeit). Dispenser, spezielle Behälter, die unter Flugzeugen angebracht mit Submunition zum Einsatz gegen Landebahnen oder Panzer gefüllt sind und in der Endphase eigenständig das Ziel anfliegen, werden von verschiedenen Ländern (AIWS/USA, Apache/Frankreich, DWS/Deutschland, Skyshark/Italien, Revise/UK) technologisch vorangetrieben.27 Spezielle gelenkte Bomben, die gegen unterirdische Bunker eingesetzt werden können (»Bunker Buster«), werden von den USA, Rußland, Frankreich und Großbritannien entwickelt. Als mögliche Zielgebiete wird der Nahe/Mittlere Osten oder auch Nordkorea genannt. Im Rahmen der »Counterproliferation Initiative«, in der Technologien zum Einsatz gegen die Produktionsstätten oder Stationierungsorte von Massenvernichtungswaffen vorangetrieben werden, soll eine Datenbank für weltweite, potentielle Ziele angelegt werden. 28

Von Kampfflugzeugen oder Bombern kann die jahrelang im Geheimen entwickelte TSSAM-Rakete (Tri-Service Stand-Off Attack Missile) abgeschossen werden. Sie ist »stealth-fähig« und kann aus 160 km Entfernung ein sechs Quadratmeter großes Ziel treffen. Die Gesamtkosten für insgesamt 4.156 anzuschaffende Systeme werden auf 13,3 Mrd. Dollar geschätzt. Zum Counterproliferation Programm werden auch optische und akustische Sensoren gezählt, die durch Marschflugkörper oder Flugzeuge in der Nähe von Nuklearreaktoren oder Raketenstartanlagen ausgesetzt, »verdächtige« Fahrzeug- oder Personenbewegungen in der Umgegung per Funk melden sollen. Über verschiedenste konventionelle Waffen wird im Rahmen der Initiative nachgedacht, um »zur Not« das zu beseitigen, was die Großmächte einst erfanden und heute noch in extenso besitzen: die Nuklearwaffen.

21st Century Soldier – Hollywood läßt grüßen

Ziel von High Tech und damit konsequente Folge der »digitalen Einbindung« ist nunmehr der einzelne Infantrist geworden: Der »Krieger für das 21. Jahrhundert« verfügt nach Vorstellung der Militärplaner über einen Kampfanzug, einen Computer im Rucksack und diverse akustische oder optische Sensoren an Waffe oder Helm. Die Informationen aus seiner elektronisch erfaßten Umgebung werden auf einem Helm-Display eingeblendet. Selbstverständlich verfügt er über Schutzweste, eine Mikro-Klimaanlage und Schutz gegen biologische/chemische Agenzien. Dieser vollklimatisierte »Robo-Soldier« kann sich in das digitale C2-Gefechtsfeldnetz ebenso einschalten, wie sich digitale Karten oder die Position benachbarter Truppen durchgeben lassen. Die ersten Demonstrationsübungen wurden bereits mit dieser Ausrüstung durchgeführt. Die Industrie erwartet nun 50 Mio. Dollar für weitere Studien und Tests. Das angestrebte Programm trägt den Namen »Gen II Soldier System« und soll 1998 erste Demonstrationen des »21st Century Land Warrior« präsentieren. In der NATO werden erste Machbarkeitsstudien durchgeführt. Hollywood läßt nicht nur grüßen, sondern scheint (zusammen mit Silicon Valley) ein entscheidender Impulsgeber zu sein. Zynisch knapp kommentierte ein Industrievertreter: „In der Vergangenheit widmeten wir uns Panzern und Flugzeugen als Waffenplattform. Dieses Programm beschäftigt sich mit dem heutigen Soldaten als Waffenplattform.29

Konfliktprävention statt Schaffung »tödlicher Netze«

Schon heute für jeden sichtbar beeinflussen die elektronischen Medien, insbesondere das Fernsehen das Verhalten von Gesellschaften wie von Staatsführungen. Im Zuge des 2. Golfkrieges gaukelte das Fernsehen den westlichen Zuschauern eine »saubere Kriegsführung« vor. Bei der Haiti-Krise wird das Fernsehen von der US-Regierung genutzt, um die Öffentlichkeit auf eine Intervention vorzubereiten und Druck auf das Militär-Regime auszuüben, um es so zum Rücktritt zu zwingen. Militär und Industrie planen offensichtlich den Einstieg in das »Informationszeitalter« in größerem Maßstab, diesmal allerdings zum Zwecke der Kriegsführung.30 Die Einführung des – wie auch immer funktionierenden – Komplexes »Aufklärung-Datenzusammenfassung / -bearbeitung und Bekämpfung« wird den Gebrauch militärischer Macht nachhaltig verändern. So könnte die Hoffnung auf geringe Kollateralschäden die Einsatzschwelle militärischer Gewalt senken. Kriege könnten mehr denn je aus der Ferne geführt werden: Abstandswaffen machen keinen Einsatz vor Ort mehr nötig. Schon einige Operationen im Rahmen des 2. Golfkriegs wurden von Washington aus gelenkt. Kriege beginnen längst nicht mehr, wenn der »erste Schuß« fällt, sondern lange vorher, z.B. durch die Vermessung des Gefechtsfeldes durch Satelliten. Kriege unter High-Tech-Einsatz finden nicht mehr in einem beschränkten Gebiet statt, sondern sind zum Zwecke der Logistik und Aufklärung weit ausgedehnt. »Informations-Kriegsführung« trägt auch den Keim der »Anti-Informationskriegsführung« in sich: Die Elemente der Informationskriegsführung sind möglicherweise selbst Gegenstand von Angriffen. Eine Unterscheidung zwischen Offensive und Defensive wird angesichts der räumlichen Dimension und permanenter »Counter- and Counter-Counter-Measure-Denkens« obsolet. Rüstungskontrolle bezogen auf einzelne Waffensysteme ist unmöglich, da erst das (elektronische) Gesamtsystem die Qualität der Streitkräfte ausmacht. Nicht mehr das zählbare Einzelsystem steht im Zentrum, sondern das »Netz« von gekoppelten Systemen.

Neue militärische Strategien und Instrumente werden heute entwickelt und erprobt, dennoch sind die Konsequenzen der »Informatisierung« auch den Militärs noch unklar, denn es entstehen bei der propagierten Verwendung der Informationstechnologien erhebliche Probleme für die Militärhierarchien: Wer bekommt welche Information? Wer darf welche Information weitergeben? Wer fällt die Entscheidung in einer gegebenen Situation aufgrund welcher Information? Sind die selektierten Informationen richtig bzw. werden sie richtig interpretiert? Wie können die horrenden Informationsmengen verarbeitet werden? Wie groß sind die Reaktionszeiten, um Entscheidungen zurückzunehmen, die sich als falsch herausstellen? Wie krisenstabil oder technisch anfällig sind die verwendeten Systeme?

Nun könnte dem passionierten Zivilisten die Beantwortung dieser Fragen ja noch egal sein, wenn nicht der Verdacht aufkommen würde, daß diese Planungen sich bereits an einer sicherheitspolitischen Realität orientieren, die nur noch durch die »Cyberspace-Brille« wahrgenommen wird. Die Planer sind so fixiert auf ihre elektronische Umgebung, daß die sicherheitspolitische Wirklichkeit selbst nicht mehr wahrgenommen wird: Sezession, Hunger, ökologische Zerstörung und Unterentwicklung sind Konfliktursachen, die bekämpft werden müssen, um neue Ausbrüche von Gewalt zu verhindern. Informationstechnologien werden gebraucht, um Menschen auszubilden oder Gedanken auszutauschen. Wie wäre es denn, wenn man all die Gelder für die militärische »Informatisierung« dazu verwendet, um »besser zu verstehen«, was in den potentiellen Konfliktregionen vor sich geht? Es wäre »wahre Informationsüberlegenheit«, würde man sich einer tieferen politischen, ökonomischen oder ökologischen Ursachenanalyse widmen, anstatt Zielkoordinaten in Datenbanken einzugeben oder »tödliche Netze« zu schaffen. Das Hauptziel muß bleiben, den Krieg als Verkehrsform zwischen Staaten zu ächten und abzuschaffen, aber dazu ist mehr notwendig als die Sammlung von Information.

Anmerkungen

1) Siehe dazu eine aktualisierte und ergänzte Neuauflage: C. F. von Weizsäcker: Der bedrohte Friede – heute, München 1994. Zurück

2) P. Wallensteen, K. Axell: Major armed conflicts, in: Sipri-Yearbook 1994, Oxford 1994, S. 81-98. Zurück

3) J. Joffe: Globo-Cop Amerika, Süddeutsche Zeitung, 20.9.94, S.4. Zurück

4) Verteidigungsminister V. Rühe: Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg am 16. Dezember 1992, S.13. Zurück

5) ebenda, S. 133. Zurück

6) ebenda, S. 133. Zurück

7) Siehe dazu die Analyse: R.Kaestner/G.Neuneck: High Tech und der Krieg am Golf – die Kosten moderner Kriegsführung, in: Vierteljahresschrift Sicherheit und Frieden (S&F), 3/1991, S. 127-133. Zurück

8) William J. Perry: Desert Storm and Deterrence, in: Foreign Affairs, Vol. 70(4) Fall 1991, S. 66. Zurück

9) Stichworte sind hier das FOFA-Konzept, die Balance Technology Initiative (BTI), die Conventional Defense Initiative (CDI), aber auch die Überlegungen des sowjetischen Generalstabs unter General Ogarkow. Siehe: E.Müller/G.Neuneck (Hrsg.): Rüstungsmodernisierung und Rüstungskontrolle, Baden-Baden 1991/92. Zurück

10) USAF pursues virtual C2System, Defense News, 19-25. September 1995. Zurück

11) Mathias Martin, Paul Schäfer: Die Bundeswehr als Instrument deutscher Machtprojektion, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Januar 1994, S. 44-55. Zurück

12) Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch 1994, S. 106, Ziffer 584. Zurück

13) Eine Auswahl findet sich in: Soldat und Technik 1/1994, S.30-39. Zurück

14) John Arquilla, David Ronfeldt: Cyberwar is coming, in: Comparative Strategy, Vol. 12, 1993 S. 141-5. Zurück

15) ebenda, S. 141. Zurück

16) ebenda, S.143. Zurück

17) Defense News, Vol. 9(17) 1994, S. 14. Zurück

18) ebenda Zurück

19) Christopher Hughes: A New Engine of Innovation, in: Military Technology 5/94, S. 74. Zurück

20) International Defense Review, Vol. 27(8) 1994, S. 10. Zurück

21) Siehe dazu sehr ausführlich: Roland Span, Jürgen Altmann, Gunnar Hornig, Torsten Krallmann, Maria Rosario Vega Laso,Jan Wüster: Nichttödliche Waffen, in: Wissenschaft & Frieden , Dossier Nr. 17, März 1994. Zurück

22) Armeevertreter nennen als zukünftige Szenarios für »Disabling Measures«: Pecekeeping-Einsätze, Guerilla-Krieg und einen voll entwickelten konventionellen Krieg. Siehe Defense News, 12.-25. Oktober 1992, S.3. Zurück

23) Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist das auftreten von Gesundheitsschäden in Zusammenhang von schwach radioaktiven, unterkalibrigen Panzergeschossen beim Golf-Krieg 1991 durch die USA. Zurück

24) Ein Beispiel ist Ex-Jugoslawien: Der Krieg ist zu sehr entwickelt, als daß der Einsatz neuer Wunderwaffen den Konflikt lösen könnte. Zurück

25) Perry Plans to Launch Nonlethal Warfare Effort, Defense News, 19-15. September 1995, S. 6. Zurück

26) Zitiert nach: Barbara Starr: Less than lethal, in: International Defense Review 7/1994, S.28. Zurück

27) Clifford Beal/Bill Sweetman: Striking Deep. Hardened-target Attack Options Grow, in: International Defense Review 7/1994, S.41.44. Zurück

28) Siehe zu Counterproliferation genauer: Jürgen Scheffran: Raketenabwehr contra Proliferation. Der Norden tut sich zusammen, in: Wissenschaft & Frieden 1/94, S.51-56. Zurück

29) Defenses News, 29.8.-4.9.1994. Zurück

30) Viele Beispiele zur Informationskriegsführung finden sich in dem interessanten Band: Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann (Hrsg.): Ein sauberer Tod. Informatik und Krieg, Marburg 1991 (Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden Nr. 15). Zurück

Götz Neuneck ist Physiker und wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg.

Militärische Forschung

Militärische Forschung

von Rainer Rilling

Während die Bundesregierung in dem Bundesbericht Forschung 1993 betont hat, daß die Bewahrung des Friedens das übergeordnete Ziel ihrer Forschungspolitik sei, weist R. Rilling nach, daß trotz des für das Militär viel schwieriger gewordenen Umfeldes das BmVg und die Rüstungsindustrie ihre wichtige Einflußposition auf dem Feld der FuE-Politik weitgehend behaupten konnten. So ist z.B. das BmVg im Vergleich zu anderen staatlichen Geldgebern zum wichtigsten Finanzier für die Industrieforschung geworden. Darüber hinaus ist das BmVg das einzige Ministerium, das seinen Anteil am Forschungsbudget in den letzten Jahren erhöhen konnte.*

Der Profilbereich »Wehrforschung und -technik« wirft besondere Probleme auf. Der geläufigen Präsentation zufolge sind die einschlägigen bundesdeutschen Aufwendungen gering und nehmen zudem ab. Daß für die Bundesrepublik ein „weit geringerer Anteil der Verteidigungsausgaben an den gesamten öffentlich finanzierten FuE-Ausgaben1 als z.B. in Frankreich typisch sei, behauptete schon der Überblick des Faktenberichts 1990. Und ebenso wie dieser stellt der Bundesbericht Forschung 1993 (BF 93) fest, daß „nur etwa 3 Mrd. DM2, d.h. rund 13% der staatlichen FuE-Aufwendungen in den militärischen Sektor gingen. Der BF 93 hebt „stärkere Rückgänge der FuE-Ausgaben […] des Bundesministeriums der Verteidigung“ hervor und betont den „deutlich rückläufigen Anteil des BMVg“.3 Der Faktenbericht 90 dagegen sprach noch davon, daß dieser Profilbereich „deutlich zugenommen4 habe. Unter Verweis auf höhere Anteile der militärischen Forschung an den staatlichen Budgets der USA, Frankreichs oder England wird erklärt, in der BRD zielten „staatliche FuE-Anstrengungen vorrangig auf zivile FuE-Förderung und hier insbesondere auf die Förderung der Grundlagenforschung und eine breit angelegte Vorsorge für die Entfaltung menschlicher Lebenschancen und die Sicherung des sozialen Fortschritts.5 Als gängiger Beleg dafür gilt der Verweis auf die staatlich finanzierten Ausgaben für zivile FuE und ihren Anteil am BIP, wo die BRD (alte Länder) z.B. 1990 mit 0,9% weit vor Großbritannien (0,52%), Japan (0,43%) und den USA (0,44%) „weltweit an der Spitze6 liege. Der BF 93 formuliert sogar: „Der Bewahrung des Friedens in der Welt, die das übergeordnete Ziel jeder Politik zu sein hat, ist auch die Forschungspolitik verpflichtet.“

Krisenreaktionskräfte als Begründungsgrundlage

Als Begründung für eine gleichwohl notwendige „Forschung und Technologie zur sicherheitspolitischen Vorsorge7 werden – trotz der avisierten Zurücknahme der militärischen Priorisierungen – genannt die Proliferationsgefahren und – selbstreferentiell – der Zwang, innerhalb der Rüstungskooperation starke Eigenpositionen zu sichern und eine – wissenschaftlich-technische – Urteilsfähigkeit zu behalten. Dabei wird – ohne jegliche Diskussion der damit verbundenen Dual-use-Problematik – „verstärkter Abstützung auf zivile Technologien8 das Wort geredet; die Schwerpunkte der Militärforschung im Rahmen des militärischen FuT-Konzepts liegen „[…] bei Aufklärung und Führung, Transport über größere Entfernungen und Schutztechnologie, nicht-technische Studien und wehrmedizinische Forschung“.9 Diese Stichworte deuten den grundlegenden Funktionswandel der militärischen FuT-Politik nur an: nicht Abschreckung, sondern weiträumige Kriegsführungsfähigkeit wissenschaftlich-technisch zu ermöglichen. Das Weißbuch 1994 erklärt: „Hinzu kommt jedoch, daß aufgrund vielfacher Verbreitung moderner Waffen gerade die Krisenreaktionskräfte mit Material ausgestattet werden, mit dem sie sich gegenüber solchermaßen ausgestatteten Konfliktparteien behaupten können. Daher bleibt in ausgewählten Bereichen die Notwendigkeit von Spitzentechnologie bestehen, wo sie militärisch zwingend begründet ist. Durch die Konzentration von Forschung und Entwicklung auf technologische Schlüsselbereiche wird die Möglichkeit erhalten, später die erforderliche Modernisierung der Ausrüstung vorzunehmen.10 Und an anderer Stelle heißt es mit deutlicher dual-use-politischer Akzentuierung: „Für Aufklärung und Führung der Krisenreaktionskräfte werden bis zu einem Drittel aller Forschungs- und Technologieinvestitionen aufgewandt. Ziel ist unter Abstützung auf zivile Spitzentechnologien die Sicherstellung leistungsfähiger Navigation und Kommunikation über große Entfernungen sowie die Leistungssteigerung von Sensoren. Im Rahmen der Rüstungskontrolle werden technische Möglichkeiten zur Unterstützung der Verifikation untersucht. Sie sind Teil der Studien über ein europäisches raumgestütztes Erdbeobachtungssystem. Die Fähigkeit zum raschen und weiträumigen Einsatz von Streitkräften erfordert geeignete Transportsysteme. Im Arbeitsschwerpunkt Beweglichkeit und Transport wird daher die technologische Basis für die taktische und operative Verlegefähigkeit und die Mobilität von KrK (Krisenreaktionskräfte; d.V.) geschaffen. Die Arbeiten erstrecken sich auf Untersuchungen zu Werkstoffen und Einzelkomponenten bis hin zur Entwicklung neuer Konzepte. Die Arbeiten für Waffeneinsatz und Waffenwirkung konzentrieren sich auf Untersuchungen zur Flugkörperabwehr und zur Anwendbarkeit neuartiger Waffen einschließlich intelligenter Munition. Eine Abstützung auf zivile Arbeiten ist hier nur in sehr geringem Maße möglich. […] Die Kosten können darüber hinaus begrenzt werden, wenn zunehmend zivile Technik in den Streitkräften genutzt wird. In einigen Sektoren der militärischen Ausrüstung ist die Generationenfolge durch immer schnellere und größere Innovationssprünge in der zivilen Technik beeinflußt. Das trifft besonders für Führungs-, Kommunikations- und Aufklärungssysteme zu. Künftig werden verstärkt Systeme oder Komponenten der zivilen Technik in den Streitkräften genutzt werden. Damit profitiert die Bundeswehr von der Innovationskraft und dem Wettbewerb der zivilen Märkte. […] Die deutsche Wehrtechnik trägt somit zur Konkurrenzfähigkeit der heimischen Industrie bei, soweit sich Rüstung und zivile Technologie innovativ beeinflussen. Im Rahmen der Bedarfsdeckung für die Streitkräfte will die Bundesregierung vor allem die technologischen Fähigkeiten erhalten, bei denen Deutschland eine internationale Spitzenposition einnimmt und für die weiter Bedarf bei den Streitkräften besteht. Die Zukunft der deutschen Rüstungsindustrie liegt in der System- und Hochtechnologie wie den Führungs- und Waffeneinsatzsystemen, in der Sensorik und der Elektronik. Dabei geht der technologische Trend zu hochwertigen Kräftemultiplikatoren, also zu Systemen, die die Wirksamkeit von Waffensystemen wesentlich verstärken.11

Tatsächlich ist der Anteil der militärischen FuE am Bundesbudget Forschung von 14,4% in 1982 auf 22,37% in 1990 angestiegen; erst die nach 1989 folgenden Veränderungen brachten einen Rückgang des Anteils auf 18% (1993). Binnen weniger Jahre – zwischen 1981 und 1989 – wurden die Ausgaben für militärische Forschung mehr als verdoppelt, während die zivilen Bundesausgaben um gerade gut 20% zunahmen. Der Bundesbericht Forschung 93 thematisiert den Aufstieg der militärischen Forschung zum wichtigsten einzelnen Förderbereich nicht – dabei war dies das signifikante Merkmal der Prioritätensetzung konservativ-liberaler Forschungspolitik in den 80er Jahren.

Die unter dieser Regierung stark gewachsene Bedeutung der militärischen Komponente im Forschungssystem der BRD zeigt sich auch an der Stellung des Ressorts im Vergleich zu anderen forschungsfördernden Einrichtungen: wenn der Faktenbericht 1990 davon spricht, daß das Forschungsministerium „weit über die Hälfte der Ausgaben12 des Bundes für Forschung und Entwicklung bestreite, oder der Bundesbericht Forschung 93 den Eindruck erweckt, daß derAnteilsrückgang des BMFT an den FuE-Ausgaben des Bundes auf 49% (1991) mit dem Anschluß des DDR-Forschungssystems zu erklären sei und der Bericht im übrigen ausschließlich „den seit 1991 deutlich rückläufigen Anteil des BMVg13 hervorhebt, dann wird die einzige wesentliche Veränderung des letzten Jahrzehnts unterschlagen: als einziges Ministerium konnte das Bundesministerium der Verteidigung unter der konservativ-liberalen Regierung seinen Anteil am Forschungsbudget des Bundes von 14,7% auf 22,6% spektakulär ausweiten. 1993 liegt dieser Anteil mit 16,9% immer noch beträchtlich über der Marge von Anfang der 80er Jahre.

Diese Veränderungen in der Prioritätenpolitik des Bundes seit Anfang der 80er Jahre lassen sich allein aus der Forschungsstatistik des BF 93 ablesen. Doch auch diese Statistik sieht erstaunlicherweise davon ab, die Mitte 1990 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion vorgenommene weitreichende Revision der bislang in den Bundesforschungsberichten gängigen Angaben zum Umfang der militärischen Forschung in der BRD zu berücksichtigen oder auch nur zu erwähnen.14 Die nachfolgende Tabelle berücksichtig diese von der Bundesregierung ergänzend genannten und einige weitere Haushaltskomponenten. Dementsprechend muß auch von einem umfangreicheren Bundesbudget Forschung ausgegangen werden. Das neu errechnete Gesamtbudget Militärische Forschung des Bundes liegt im Ausgangsjahr 1982 mit 2,46 Mrd. DM weit über dem im Bundesbericht Forschung 93 angegebenen militärischen Forschungshaushalt von 1,667 Mrd. DM. 1990 wurden vom Bund über 4,05 Mrd. DM für militärische Zwecke ausgegeben, 1993 sollen es immer noch mehr als 3,8 Mrd. sein.

Die Ausgaben für militärische Forschung waren somit – im Vergleich – 1990 mehr als halb so groß wie der gesamte Haushalt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie; 1993 waren es noch rund 40%! Mitte der 80er Jahre gingen mehr als ein Viertel der Bundesausgaben für Forschung in den Rüstungsbereich, 1993 soll es ein Fünftel sein.

Noch in einer letzten Hinsicht ist die Rolle der militärischen Forschung beachtenswert. Die rasche Expansion der Rüstungsforschung lief zum vielfältig betonten Rückzug des Staates aus der Förderung der Industrieforschung und dem Abbau der direkten Projektförderung konträr. Während die direkte Projektförderung des BMVg 1982noch 24% der Bundesausgaben für direkte Projektförderung ausmachte (BMFT: 58,1%), waren es 1990 bereits 39,2% (BMFT: 40,2%) und 1993 34,9% (BMFT: 44,2%).15 Eine Militarisierung der Projektförderung in den 80er Jahren ist offensichtlich: Während die direkte Projektförderung im zivilen Forschungssektor 1990 gegenüber 1981 gerade auf 119 v.H. anstieg, verdoppelte sich die Projektförderung des BMVg (222 v. H.).16 Zwar hat die Projektförderung in den 80er Jahren – vor allem aber seit 1989 – gegenüber der institutionellen Förderung an Gewicht verloren; ihr gleichwohl noch vorhandener absoluter Zuwachs von 5,4 Mrd. DM (1981) auf 7,6 Mrd. DM (1993) geht weit überwiegend auf die Ausweitung der Rüstungsforschung zurück. Der BF 93 geht auf diese grundlegende Veränderung der Projektförderung des Bundes mit keinem Wort ein.17

BmVg als wichtigster staatlicher Forschungsfinancier

Seit 1987 ist das BMVg unter den Bundesressorts der wichtigste staatliche Forschungsfinanzier der Industrie geworden.18 1990 sollen mit 2,303 Mrd. DM 48% der Forschungsmittel, die vom Bund an die Wirtschaft gehen, über das BMVg-Budget ausgeschüttet werden, 1993 sollen es 2,7 Mrd. DM sein. Seit 1982 (24,5%) konnte das BMVg seinen Anteil somit verdoppeln. Die militärischen Forschungsmittel, die zum Beispiel 1993 vom BMVg an die Wirtschaft gehen sollten, übertreffen die gesamten Ausgaben des Bundes für die Ressortforschungseinrichtungen oder die Hochschulen.19 Der Bund gab fast durchgängig mehr für die industrielle Rüstungsforschung aus als für die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer Gesellschaft oder die Deutsche Forschungsgesellschaft.

Nur der hier skizzierte Zugewinn an forschungs- und technologiepolitischer Macht in den 80er Jahren erklärt, warum das BMVg und die Rüstungsindustrie ihre Position auf dem Feld der FuT-Politik trotz problematisch gewordener Umwelt seit 1989 weitgehend behaupten konnten. So gelang es,

1. trotz Reduzierungen das militärische FuE-Budget ungefähr zu halten (im Unterschied zu anderen Bestandteilen des Rüstungsbudgets – so sanken die gesamten investiven Mittel zwischen 1990 und 1994 von 18 auf 5,5 Mrd. DM).20

2. die zentralen Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu schützen – an erster Stelle das größte Forschungs- und Entwicklungsprojekt der BRD – den Jäger 90. Er überstand die doppelte, nicht unbeträchtliche Infragestellung seines militärischen Gebrauchswerts und seiner Finanzierbarkeit. Das BMVg wird 520 Mio.DM in 1993 und 740 Mio. DM in 1994 in das Projekt finanzieren.21 Die 520 Mio.DM überschreitende Kosten werden von der Industrie bezahlt. Die Entwicklungsarbeiten, die 1999 abgeschlossen sein sollten, werden bis zum Jahr 2002 gestreckt (ohne Kostensteigerung). Dazu muß der Entwicklungsvertrag auf Festpreise ohne eine Steigerung der vereinbarten Kostenobergrenze (derzeitiger Anteil der BRD 5,85 Mrd. DM zuzüglich der Inflationsrate von 3,5%) umgestellt werden.22

3. die technologiepolitisch äußerst relevante Auseinandersetzung um die Exportkontrollpolitik der Jahre 1993/1994 so zu führen, daß sie in eine wesentliche Erleichterung des Exports insbesondere von Dual-use-Gütern einzumünden scheint. 1992 stand die BRD auf Platz 3 der Rüstungsexporteure mit ca. 1,9 Mrd. $ Rüstungsexporten, knapp hinter Rußland.23

4. die FuE-Kapazitäten in der Rüstungsindustrie – soweit ersichtlich – weitgehend zu sichern oder umzuprofilieren, während der gesamte Personalabbau in der Rüstungsindustrie dramatisch war: von ca. 280.000 Personen in den 80er Jahren auf ca. 180.000 (1993).24 Insgesamt wird im Rüstungssektor des größten deutschen Rüstungskonzerns DASA ein Personalabbau von 14.000 Personen (1990) über 6.100 (1994) auf ca. 5.000 in 1995/96 stattfinden.25 Dementsprechend ist etwa für die DASA Rüstungstechnik weiterhin eine zentrale Entwicklungsperspektive: „Die Verteidigungstechnik, auf die wir uns konzentrieren wollen, hat eine Zukunftsperspektive und liefert eine Menge Know-how für den zivilen Bereich. Sie bleibt ein Kerngeschäftsfeld der DASA.26

In dieses Bild fügt sich abschließend ein, daß nach den Haushaltsplanungen der Bundesregierung die Bundesförderung der – im 672 Seiten starken BF 1993 auf 24 Zeilen abgehandelten Friedens- und Konfliktforschung von 3,299 Mio. DM (1991) auf 940.000 DM (1994) fallen und 1995 vollständig entfallen soll. Jeder zweite der ca. 130-150 Arbeitsplätze in der Friedensforschung war damit tangiert. Bliebe daran zu erinnern, daß solcherart Jahresansatz 1994 für Friedens- und Konfliktforschung geringfügig über dem Betrag von rund 850.000 DM liegt, den die Bundesregierung in zwei Stunden für militärische Forschung ausgibt.

Gesamtbudget militärischer Forschung 1982 und 1990
1. Epl. / Kapitel (= A) Bereich (= B) 1982 (= C) 1990 (= D)
2. 1405 / TGr 03 Universitäten Personal und Verwaltung 95.534 130.401
3. 1405 / TGr 04 Universitäten Lehre und Forschung 35.316 32.246
4. 1405 / TGr 05 Universitäten Bibliotheken 5.071 6.266
5. 1405 / TGr 06 Universitäten Datenverarbeitung 7.641 8.541
6. 1405 / TGr 07 Universitäten Aus- und Fortbildung 100 187
7. 1412 / TGr 01 Univ. Ant. Ausgaben f. große Baumaßnahmen 15.200 12.500
8. 1412 / 517 01 Univ. Ant. Ausgaben f. Bewirtschaftung 42.000 49.400
9. FuE-Anteil Universitäten insgesamt 40.172 47.908
10. 1420 / 551 01 Wehrtechnische Forschung 46.000 66.000
11. 1420 / 55102 Wehrmedizinische u.- psychologische Forschung 10.497 15.613
12. 1402 / 539 01 – 032 Anteil Militärgeschichtliche Forschung 490 582
13. 1402 / 539 03 Nachwuchswerbung (Ant. Meinungsforschung) 455 915
14. 1417 / 551 11 Entwicklung streitkräftespezifischer EDV 40.637
15. 1420 / 551 03 Entscheidungshilfen für Planung und Führung 49.882 67.980
16. 1420 / 551 11 Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung 904.696 1.829.999
17. 1420 / 551 12 Entwicklung u. Erprobung Sanitätswesen usw. 3.335 10.130
18. 1420 / 551 15 Entwicklung u. Erprobung Bauwesen 803
19. 1420 / 551 16 Entwicklung MRCA 437.000 226.000
20. 1420 / 551 18 Entwicklung Jäger 90 700.000
21. 1420 / 551 17 Entwicklung u. Erprobung Führungssysteme 70.000 125.000
22. 1420 / 682 01 – 036 Betriebsmitteldarlehen wehrt. Entwicklungszentrum 7.000
23. 1420 / 980 01 – 990 Erstattungen an Bundesfor.anst. u. Universitäten 160 514
24. 1421 / HGr4 Dienstst. / Erpr.FuE-Ant. Pers.ausg. (ca. 26 %) 234.950 284.936
25. 1421 / 51-54 FuE-Anteil sächl. Verwalt.ausg. (ca. 26 %) 13.000 18.050
26. 1421 / 81204 (81704) FuE-Ant. Erwerb Austatt. i. In- und Ausland 29.500 46.500
27. 1421 / TGr 02 Betrieb / Erhaltung d. Wt. Dienststellen usw. 18.055 17.861
28. 1418 / 553 01 Ant. Ausgaben f. Erhaltung Schiffe 19.200 19.800
29. 1418 / 554 01 Ant. Ausgaben f. Beschaffung Schiffe 15.000 30.000
30. 1419 / 553 01 Ant. Ausgaben f. Erhaltung Flugzeuge 33.400 31.800
31. 1419 / 554 01 Ant. Ausgaben f. Beschaffung Flugzeuge 400 880
32. 1412 / TGr 01 Ant. Ausg. große Baumaßnahmen 24.300 37.100
33. FuE-Anteil Dienststellen insgesamt 387.805 486.927
34. 1420 / TGr 01 Deutsche Forschungsanstalt f. Luft- u. Raumfahrt 56.095 62.570
35. 1420 / TGr 02 Fraunhofer-Gesellschaft 33.010 63.749
36. 1420 / TGr 03 Forschungsgesell.f. Angewandte Naturwissen. 31.577 40.975
37. 1420 / TGr 04 Dt.-frz. Forschungsinstitut St. Louis 20.602 38.774
38. 1422 / 686 01 Beitr. NATO-Haushalt,Ant. SACLANTCEN 5.400 9.000
39. 1422 / 686 01 Beitr. NATO-Haushalt,SHAPE Technical Center 8.900 9.900
40. 1422 / 686 01 Beitr. NATO-Haushalt AGARD 930 1.370
41. FuE-Anteil Beitr. NATO-Haushalt 15.230 20.270
42. 0502 / 686 13 NATO-Wiss.aus.,Umwelt.,Verteidigfg. (15,4%) 97 152
43. 1422 / 686 09 FuT-Beitrag Zivilhaushalt NATO 10 16
44. 1402 / 685 01 – 036 Zuschuß AK Wehrforschung 194 180
45. 1421 / 685 02 Beiträge an Verbände 2 3
46. 1401 / 685 01 Beiträge an Verbände usw. 3 7
47. 1403 / 685 01 Beiträge an Verbände 1 3
48. 1404 / 685 01 Beiträge an Verbände 4 4
49. 1401 / 526 02 – 011 Kosten für Sachverständige 840 270
50. 1401 / 526 03 – 011 Kosten für Fachbeiräte usw. 67 128
51. 1401 / 535 03 Wehrsoziologische Untersuchungen 100 151
52. 1402 / 531 01 – 032 Betrieb DOKFIZ Bundeswehr 1.069 920
53. 1402 / 539 02 – 032 Betrieb Wehrgesch. Museum Rastatt 30 235
54. 1404 / 526 24 – 031 Sachverständige / Systemanalysen 4.317 8.350
55. 1421 / 685 01 Zuschüsse an DIN und Normenstellen 2.914 3.161
56. 1422 / 686 05 – 032 Beitrag HAWK-Lenkungsbüro 4.500 5.720
57. 1422 / 686 06 – 032 Beitrag NAMMA (MRCA) 16.000 16.042
58. 1422 / 686 08 – 032 Karman-Institut Brüssel 475 570
59. 1422 / 686 12 – 032 Beitrag NEFMA (J 90) 9.205
60. 04 / 685 01 Gesellschaft f. Wehr- und Sicherheitspolitik 576
61. 04 / 685 02 Deutsche Atlantische Gesellschaft 576
62. 30 Militärische FuE beim BMFT (NATO-Kriterien) 317.000 146.000
63. 36 3609 FuE für zivile Verteidigung 5.400 11.400
64. „Freie“ Forschung ? ?
65. Eigenfinanzierte Rüstungsindustrieforschung ? ?
66. Angaben BMFT 1.667.700 3.388.800
67. Angaben BMVg I 2.076.000 3.778.000
68. Angaben BMVg II 2.092.710 3.821.587
69. Gesamtbudget Militärische Forschung I 2.143.357 3.908.066
70. Gesamtbudget Militärische Forschung II 2.460.357 4.054.066

D Bis auf gesondert vermerkte Angaben 1990 Ist, nach Entwurf Bundeshaushaltsplan (B) 1992, Dr. 12/1000, Anlagen. In TDM.

B7 Nach 11. Dt. Bundestag, Dr. 11/7373 v. 12.06.1990 „Die Entwicklung der Ausgaben für militärische Forschung sowie für Friedens-und Konversionsforschung“ (Ausgaben), S. 30. Erstmals charakterisierte das BMVg hier eine Reihe von Aufwendungen als FuE-Anteile und gab ihre Größenordnungen an: FuE-Ausgaben für die Universitäten der Bundeswehr (Kap. 1405, Kap. 1412); Aufwendungen für militärhistorische Forschungen (Kap. 1402); Meinungs- und Motivforschung (Kap. 1402); DV-Entwicklung (Kap. 1417); Ausgaben für Wehrtechnische Dienststellen (Kap. 1412, 1418, 1419, 1421); div. Ausgaben im internationalen Bereich (Kap. 05, 1422) und für Verbände (1402). Einen Teil dieser Mittel faßt das BMVg mit den bisher veranschlagten Mitteln zur Kategorie „Gesamtausgaben aus EPl. 14“ (hier: Angaben BMVg I). Zugleich rubriziert das BMVg eine Reihe von Budgetbestandteilen nicht als FuE-Ausgaben, die durchaus als solche betrachtet werden könnten: Kosten für Fachbeiräte und Sachverständige, Dokumentation, Systemanalysen, militärgeographische Arbeiten, für internationales FuE-Management großer technischer Entwicklungsprojekte, für das v.-Karman-Institut, Verbände (wie der Dt. Gesellschaft für Wehrkunde oder der Dt. Atlantischen Gesellschaft) und insbesondere für FuE-Anteile der Dienststellen bzw. Erprobungseinrichtungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Schiffen und Flugzeugen. Zu diesem finanziell stark ins Gewicht fallenden zuletzt genannten Punkt s. jetzt das neue Weißbuch 1994 des BMVg: das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung „[…] untersucht, entwickelt, erprobt und beschafft mit seinen Wehrtechnischen und Wehrwissenschaftlichen Dienststellen das von den Streitkräften benötigte Wehrmaterial.“, BMVg: Weißbuch 1994. Bonn 1994, S. 130. Diese ansonsten eher geringen Budgetbestandteile werden bei der folgenden Darstellung berücksichtigt.

D7 Nach Ausgaben, S. 30, Soll

B8 Nach Ausgaben, S. 30, Soll

D8 Nach Ausgaben, S. 30, Soll

B10 Vgl. Erläuterungen zum B 1993, S. 158: Ausgaben für nicht institutionell finanzierte wehrtechnische Forschung, für Technologie zur Gewinnung neuer Erkenntnisse in technischen Themenbereichen von militärischem Interesse (Zukunftstechnologie), zur Schaffung der technologischen Voraussetzungen für künftige militärische Anwendungen (Systemtechnologie)

B11 Vgl. Erläuterungen zum B 1993, S. 158: Für Forschungsvorhaben auf den Gebieten der Medizin, der Pharmazie, der Veterinärmedizin und der Psychologie, „soweit an ihnen ein überwiegend militärisches Interesse besteht“

B12 In Ausgaben, S. 31, wird ein Forschungsanteil von 98% veranschlagt;

D12 Angaben Ist, nach B 1992

B13 Nach Ausgaben, S. 31; der dort am Titel Nachwuchswerbung ausgewiesene Anteil liegt bei 4%

D13 Nach B 1992, Ist, 4%

B15 Vgl. B 1993, S. 158: „Ausgaben für notwendige Entscheidungshilfen im Bereich von Planung und Führung, die mit wissenschaftlichen Methoden, insbesondere Operations Research, von Auftragnehmern außerhalb der Bundeswehr bearbeitet werden.“

B16 Vgl. B 1993, S. 159: Ausgaben für „die wehrtechnische Entwicklung und Erprobung, für die Entwicklungstechnische Betreuung (ETB) sowie für die Beschaffung von Erprobungsgegenständen auf den Gebieten des Pionier-, Fernmelde-, Feldzeug-, ABC-Schutz- und Quartiermeisterwesens sowie der Marine und der Luftwaffe.“

B17 Die Mittel für „Entwicklung und Erprobung auf den Gebieten des Sanitäts-, Verpflegungs- und Bekleidungswesens sowie der Unterkunft und des Bauwesens“ (B 1993, S. 159) entfallen zum größten Teil auf das Sanitätswesen

B19 Mittel für Entwicklungstechnische Betreuung

B21 Vgl. B 1993, S. 160: für die „technische Vorbereitung der Bundeswehr-Führungssysteme. Unter Ausnutzung der Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung werden neue Führungsmittel und -verfahren entwickelt und erprobt.“

B22 Vgl. B 1993, S. 160: Das BMVg ist verpflichtet, der IABG „im Falle einer Unterdeckung die notwendige Betriebsmittel zur Verfügung zu stellen. Mit dem Betriebsmitteldarlehen soll die IABG in die Lage versetzt werden, strukturelle Anpassungen an die rückläufige Auftragslage vorzunehmen.“

B23 Vgl. B.1993, S. 160: Erstattungen an Bundesforschungsanstalten sowie an Universitäten der Bundeswehr zur Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen

B24 Ausgaben, S. 32, zieht als Referenz des FuE-Anteils, der hier auf 26% der Personalausgaben bzw. der sächlichen Verwaltungsausgaben gesetzt wird, offenbar sehr unterschiedliche Daten heran: einerseits sind die hier wiedergegebenen Personalausgaben nicht identisch mit dem Abschluß; die sächlichen Verwaltungsausgaben sind dagegen dem Abschluß entnommen und nicht nur Soll-Ausgaben, sondern auch offenbar zu hoch angesetzt – eine Summierung der einzelnen Titel 1421-51-54 liegt etwa bei der Hälfte dieses Betrages.

D24 Personalausgaben nach B 1992, hiervon 26%

B25 S. B24

B27 Nach B 1992

B28 Entsprechend den Angaben in Ausgaben, S. 31 ein durchschnittlicher FuT-Anteil von 4,5%

B29 Nach Ausgaben, S. 32 wird der für die Jahre 1982-1990 angegebene Gesamtbetrag nicht auf die einzelnen Jahre aufgegliedert; dieser Betrag wurde als Rechnungsgröße aufgeteilt.

B31 Nach Ausgaben, S. 32 wurden hier anteilig für die Jahre 1982-1990 5,8 Mio. DM ausgegeben. Der entsprechende Beitrag wurde auf die Jahre anteilig umgelegt.

B32 Nach Ausgaben, S. 32. Angaben 1990 Soll.

B33 Die Berücksichtigung der FuE-relevanten Ausgaben für Schiffe und Flugzeuge sowie einzelne Korrekturen ergeben gegenüber den Angaben in Ausgaben, S. 32 für den Zeitraum 1982-1989 (Ist) Mehrausgaben von 178,360 Mio.DM; auch die Angaben für 1990, die dort weitgehend noch als Soll-Angaben ausgewiesen wurden, liegen höher.

B34 „Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) nimmt in erheblichem Umfange Aufgaben auf dem Gebiet der wehrtechnischen Luftfahrtforschung wahr. Die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlichen Ausgaben werden als Zuschuß zur Grundfinanzierung zur Verfügung gestellt und sind für diejenigen Einrichtungen der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V. bestimmt, die sich ausschließlich mit der Luftfahrtforschung, insbesondere der wehrtechnischen Luftfahrtforschung, sowie der Luftfahrtdokumentation befassen. Weitere Zuwendungen sind bei Kap. 3006 Tgr.05 veranschlagt.“ (Erläuterungen B 1993, S. 160)

B35 Vgl. B.1993, S. 161: die FhG ist Trägerin von 4 Instituten, „die überwiegend anwendungsnahe Aufgaben von wehrtechnischem Interesse bearbeiten. Die veranschlagten Ausgaben sind für die Grundfinanzierung der Institute bestimmt.“

B36 Vgl. B 1993, S. 162: die FGAN ist Trägerin von 6 Instituten, „die überwiegend und auf Dauer anwenungsnahe Aufgaben von wehrtechnischem Interesse bearbeiten.“

B37 Aufgrund des Regierungsabkommens v. 31.3.1958 trägt die BRD die Hälfte der Betriebsausgaben und der Investitionen des dt.-frz. Forschungsinstituts St. Louis

B42 Nach Ausgaben, S. 33. Aufgliederungen nach den einzelnen Ausschüssen finden sich in den BF, z.B. Faktenbericht 1990, S. 238, BF 93, S. 348

B43 Nach Ausgaben, S. 33. Diese Beiträge liegen beträchtlich über den Angaben, die als „Beitrag zum zivilen Teil des Haushaltes“ der NATO im Faktenbericht 1990, S. 356 angegeben werden. Es handelt sich vor allem um Beiträge für das IISS.

C43 Nach Faktenbericht 90, S. 356 2 Mio. DM

D43 Nach Faktenbericht 90, S. 356 (Entwurf) 7,3 Mio. DM

B44 Unentgeltliche Unterstützung durch die Führungsakademie der Bundeswehr für das Wissenschaftliche Forum für Internationale Sicherheit wird zusätzlich gewährt, wie die Erläuterung zu diesem Titel (B 1993) erklärt.

D44 Nach B 1992, Ist.

A45 Bis 1989 1421/68401. Nach Ausgaben, S. 34 vom BMVg nicht als FuE-Ausgabe angesehen

B45 Nach B 1993, S. 170 geht es um Beiträge für folgende Verbände, Vereine und Gesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V.; Deutscher Verein von Gas- und Wasserfachmännern; Bekleidungstechnisches Institut; Förderkreis Wirtschaft und Wissenschaft in der Hochschulregion Koblenz e.V.; Deutscher Verband für Schweisstechnik e.V.; Verband der Materialprüfämter; Nachrichtentechnische Gesellschaft (NTG) im Verband Deutscher Elektroniker (VDE) e.V.; Gesellschaft Deutscher Chemiker; Gesellschaft für Dokumentation e.V.; Gesellschaft für Umweltsimulation; Deutsche Physikalische Gesellschaft; Gesellschaft für Informatik e.V.; Verband Deutscher Seilbahnen; Verein Creditreform e.V.; Eurolab e.V.

A46 Bis 1989 1401/68401. Hier handelt es sich um Mitgliedschaften überwiegend in wissenschaftlichen Verbänden

A47 Bis 1989 1403/68401. Es handelt sich um Mitgliedsbeiträge, S. B 1993, S. 42

A48 Bis 1989 1404/68401

A49 S. Ausgaben, S. 31. Wird vom BMVg nicht als FuE-Ausgaben angesehen

B50 Vgl. B 1993, S. 12: Hierzu gehören der Beirat für Innere Führung, der Wehrmedizinische Beirat, der Ausschuß für Geräuschminderung auf den Schiffen der Bundeswehr, der Ausschuß für Marine-Hydro-Mechanik, die Kommission Entstehungsgeschichte der Bundeswehr, der Beirat für Heimbetriebe der Bundeswehr, der Beirat Militärgeschichtliches Forschungsamt, die Tierschutzkommission, der Arbeitskreis Wehrdienst und Berufswelt, der Beirat Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der Wehrpsychologische Beirat und der „Unabhängige Ausschuß“. Wird vom BMVg nicht als FuE-Ausgabe angesehen.

A51 Im B 1990, 14, S. 17 unter 53501 (= Innere Führung) -011 mit 150.000 veranschlagt

B51 Nach Ausgaben, S. 31. Wird vom BMVg nicht als FuE-Ausgabe angesehen

D51 Nach B 1992, S. 17

B52 Nach Ausgaben, S. 31. S.a. B 1990, S. 27

D53 Soll, Nach Ausgaben, S. 31

D54 Soll, Nach Ausgaben, S. 31

B55 Vgl. B 1993, S. 169: Zuschüsse an das Deutsche Institut für Normung (DIN) für Projekte der Normenstelle Luftfahrt, der Normenstelle Schiffbau und Meerestechnik sowie der Normenstelle Elektrotechnik. „Von besonderer Bedeutung für den Bund sind die Bereiche Luftfahrt, Marine und Elektrotechnik, da hier neben den allgemein geltenden DIN-Normen wegen der erhöhten Anforderungen an Wehrmaterial spezielle Verteidigungsgeräte-Normen (VG-Normen) erarbeitet werden müssen. Deshalb bezuschußt der BMVg Aufwendungen des DIN für die Normenstelle Luftfahrt, die Normenstelle Schiffbau und Meerestechnik sowie die Normenstelle Elektrotechnik im Rahmen der Projektförderungen.“ Wird in Ausgaben, S. 31, nicht als FuE-Ausgabe des BMVg angesehen.

B56 Im Vermerk zum Kapitel (B 1990) ist die Rede von „Entwicklungs- und Produktionsgemeinschaften“, zu denen sich NATO-Mitglieder im „Interesse einer wirtschaftlichen Entwicklung und Herstellung von Waffensystemen“ zusammenschlössen. Nach Ausgaben, S. 31, vom BMVg nicht als FuE-Ausgabe angesehen.

B57 Nach B 1993, S. 177 – dieselbe Erläuterung wie zu B56

B58 Nach Vermerk zum B 1993, S.177 handelt es sich hier um ein Ausbildungsinstitut für experimentelle Aerodynamik, das von 13 Mitgliedsstaaten finanziert wird. Der deutsche Anteil an den Betriebskosten beträgt 12vH. Nach Ausgaben, S. 33, vom BMVg nicht als FuE-Ausgabe angesehen.

B59 Im Vermerk zum Kapitel wird darauf verwiesen, daß die NEFMA eine NATO-Agentur sei, verantwortlich für „die Definition, Entwicklung, Produktion und Indienststellung“ des Jäger 90. Wird in Ausgaben, S. 31, nicht einbezogen.

B60 Sie wirkt „durch eine Vielzahl von Einzelveranstaltungen als Multiplikator im Sinne der generellen Aufgabe: Vertiefung des Verständnisses für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (B 1993, S. 23)

D60 Nach B 1991, S. 27, Soll

B61 Die Gesellschaft hat nach B 1993, S. 23 die Aufgabe, „das Verständnis für das Atlantische Bündnis durch Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und die Zusammenarbeit zwischen den NATO-Staaten zu fördern“

D61 Nach B 1991, S. 27, Soll

A62 Vgl. die Angaben in Bulmahn, E.: Keine Abstriche an militärischen Großprojekten – Ausgaben für Rüstungsforschung bleiben auf Rekordhöhe. In: Sozialdemokratischer Pressedienst Wirtschaft v. 3.7.1990, S. 6.

B64 Bei der sog. „freien Forschung“ handelt es sich um Zuschläge in Höhe von 2-4% auf Projektmittel für Materialerhaltung und Beschaffung, die zu Forschungszwecken verwandt werden. Ihr Umfang betrug daher in den 70ern und 80ern zeitweise mehrere Hundert Mio. DM, mittlerweile sind sie beträchtlich gefallen. Ihr genauer Umfang ist unbekannt.

B65 Der Umfang der eigenfinanzierten Rüstungsforschung der Industrie (Vorlaufforschung, Initialforschung, Anpassungsentwicklungen für den Export) ist nicht bekannt.

A66 Nach BF

C66 BF 1993, Tab VII/8

D66 BF 1993, Tab VII/8

A67 Angaben nach Ausgaben, S. 28. Kap. 1420 incl. den in den dortigen Vorbemerkungen genannten Mitteln.

D67 Angaben Soll bzw. Entwurf

A68 Summe der in Ausgaben, S. 30 ff. als FuE-Ausgaben anerkannten Mittel

A69 Ohne BMFT-Anteil, freie FuT, eigenfinanzierte industrielle Rüstungsforschung

A70 Mit BMFT-Anteil

Anmerkungen

*) Im folgenden handelt es sich um eine überarbeitete Fassung aus: Rainer Rilling: Der schwere Übergang – Forschungs- und Technologiepolitik im Umbruch. In: Georg Ahrweiler, Peter Döge, Rainer Rilling (Hrg.): Memorandum Forschungs- und Technologiepolitik 1994/95. Gestaltung statt Standortverwaltung. BdWi-Verlag, Marburg 1994. Zurück

1) BMFT, Faktenbericht 1990, Bonn 1990, S. XIX. Zurück

2) So gleichlautend Faktenbericht 1990, S. 356; BF 93, S. 265. In den USA seien es dagegen „bisher 75% [S. 265] gewesen“ – eine erstaunlich hohe Angabe, die sich sonst in keinem offiziellen Dokument der Bundesregierung findet. Tatsächlich dürfte gegenwärtig der Anteil bei ca. 60% liegen. Zurück

3) BF 93, S. 68 f. Zurück

4) Faktenbericht 1990, S. 19. Zurück

5) BF 93, S. 265. Zurück

6) BMFT-Pressemitteilung v. 11.12.1992. Zurück

7) Die – die Reduktion des Denkhorizonts auf die Ökonomie reflektierende – neue Drögheit des Sprachduktus des BF 93 hat hier die längst fällige Subsumtion der Kategorien sozialer und militärischer Sicherheit unter den paternalistisch ausgelegten Oberbegriff der „Vorsorge“ vollzogen. NewSpeak der Forschungspolitik. Zurück

8) BF 93, S. 13. „Das BMVg versucht, seine Forschungskapazitäten zu erhalten, indem es seine Projekte so angeht, daß sie von Beginn an dual-use-fähig sind.“ Der Fraunhofer 3/1990, S. 22. Vgl. dazu Liebert, W.; Rilling, R.; Scheffran, J. (Hg.): Die Janusköpfigkeit von Forschung und Technik. Zum Problem der zivil-militärischen Ambivalenz. Marburg 1994. Zurück

9) BF 93, S. 13. Zurück

10) BMVg: Weißbuch 1994. Bonn 1994, S. 103. Zurück

11) BMVg: Weißbuch 1994. Bonn 1994, S. 106 ff. Zurück

12) Faktenbericht 1990, S. 13 Zurück

13) BF 93, S. 69. Zurück

14) 11. Dt. Bundestag, BT-Dr. 11/7373 v. 12.06.1990: „Die Entwicklung der Ausgaben für militärische Forschung sowie für Friedens- und Konversionsforschung“. Zurück

15) BF 93, S. 560 ff. Zurück

16) Bemerkenswerterweise hat die Entwicklung seit 1989 hier nichts Grundlegendes geändert: 1993 liegt die zivile Projektförderung bei 124 v.H., die des BMVg bei 193 v.H. (1981=100). Zurück

17) Vgl. den Abschnitt S. 78. Zurück

18) Vgl. BF 93, S. 562 f. Zurück

19) Vgl. BF 93, S. 79: In die Hochschulen und Hochschulkliniken sollten unter Einschluß der Mittel für die DFG 1993 2,5 Mrd. DM fließen. Zurück

20) FAZ v. 14.3.1994. Zurück

21) FAZ v. 30.6.1993. Zurück

22) FAZ v. 13.7.1993. Zurück

23) Die Woche v. 20.1.1994. Nach anderen Angaben: Der Gesamtexport der BRD in 1992 belief sich auf 671 Mrd. DM, davon entfielen 5,3 Mrd. auf die Rüstung, also 0,007%; unter Einbeziehung des Dual-use-Bereichs waren es 28,9 Mrd. oder 4,3% des Gesamtexports. Von 26.237 Ausfuhrgenehmigungsanträgen wurden 369 Anträge im Werte von 498 Mio. nicht genehmigt; vgl. TAZ v. 18.1.1994 u. 3.2.1994 sowie FAZ v. 3.12.1993. Zurück

24) Die Woche v. 20.1.1994. Zurück

25) FAZ v. 14.3.1994. Zurück

26) So der DASA-Chef in: Der Spiegel 43/1993. Zurück

Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent am FB Soziologie der Universität Marburg und Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi).