Eureka I
von Achim Seiler
Die Entstehung von Eureka
Am 17. April 1985 präsentierte der französische Außenminister Roland Dumas dem französischen Kabinett eine Mitteilung von Staatspräsident Mitterand, in welcher dieser die unverzügliche Schaffung einer europäischen Technologiegemeinschaft Eureka vorschlug.1 Mit Blick auf die politische und technologische Herausforderung durch Japan und die USA – hier insbesondere im Zusammenhang mit dem Weltraumvorhaben SDI – forderte Mitterrand eine kohärente europäische Zusammenarbeit auf den Gebieten Optronik, Neue Materialien, Superrechner, Hochleistungslaser, künstliche Intelligenz und superschnelle Mikroelektronik.2
In einem Brief des französischen Außenministers Roland Dumas an seine Amtskollegen in den 10 EG-Staaten sowie an die Außenminister der Beitrittskandidaten Spanien und Portugal und an EG-Kommissionspräsident Delors 3 wurden die Europäer zu einer Teilnahme bei Eureka eingeladen 4 Aber auch eine Teilnahme der EFTA-Länder, insbesondere Schwedens und der Schweiz, war sehr erwünscht. Bereits zu Beginn der Entstehungsphase von Eureka ging die geographische Projektion somit über die Grenzen der EG hinaus. Eine unmittelbar an die Ankündigung anschließende Werbetournee Dumas durch die 12 EG-Metropolen 5 sollte die Seriosität des französischen Vorschlages unterstreichen und klarmachen, daß es sich bei Eureka nicht lediglich um das „jüngste Produkt der europäischen Traumfabrik“6 handelte.
Die Eureka-Initiative der französischen Regierung
Der Ankündigung der französischen Technologieinitiative in Paris am 17 April 1985 waren zahlreiche offizielle und offiziöse Treffen zwischen bundesdeutschen und französischen Politikern und Industriellen vorausgegangen – zuletzt ein Industrieforum im September 1984, veranstaltet von der Krupp-Stiftung in Essen.
In einem getrennten Briefwechsel zwischen Dumas und Bundesaußenminister Genscher, der als Verfechter einer engeren technologiepolitischen Kooperation in Europa und SDI-Gegner bekannt war, waren die Positionen des Auswärtigen Amtes und die Interessen in Paris grob aufeinander abgestimmt worden.7 Die der Ankündigung Eurekas unmittelbar anschließende Abreise einer französischen Expertengruppe in die bundesdeutsche Hauptstadt 8 sollte eine weitere inhaltliche Annäherung zwischen Bonn und Paris erleichtern und Eureka gleichzeitig den Charakter einer deutsch-französischen Initiative verleihen, obgleich es in Wirklichkeit keine einheitliche Position der Bonner Regierung gab.
Unter Berücksichtigung des Engagements Genschers für eine Technologiegemeinschaft in Europa – zuletzt wenige Tage zuvor bei der Eröffnung der 36. Internationalen Saarmesse in Saarbrücken 9– sowie der oben erwähnten Korrespondenz der Diplomatie in Bonn und Paris 10 erscheint die Verwendung des Begriffs „Dumas-Genscher-Initiative“ oder Genscher-Dumas-Initiative“ für den französischen Technologievorschlag Eureka als gerechtfertigt.. Mitterrand: „Il ne feut pas oublier qu´a l´origine c´est une Idee qu´on paarmit appeler franco-allemande. Lorsque Roland Dumas, ministre des Relations exterieures, a annonce Eureka, c´est-a-dire le ministre des Affaires etrangeres allemand.“11
Die politisch intendierte Verwendung der Bezeichnung „deutsch-französische Technologieinitiative“ sollte dem nebulös-konturlosen Eureka in seiner widersprüchlichen Entstehungsphase zusätzliche Dynamik verleihen und gleichzeitig die Substanzdefizite verschleiern, ist aber angesichts der zähen Grabenkämpfe zwischen Eureka- und SDI-Protagonisten in Bonner Kabinett und Regierung keinesfalls gerechffertigt.12
Trotz Absprachen in begrenztem Umfang zwischen Bonn und Paris muß Eureka in seiner Entstehungsphase also als eine strikt französische Initiative bezeichnet werden.13 Mit Ausnahme Bonns, das zuvor kontaktiert worden war, schienen die Partner im europäischen Ausland von den Vorschlägen Mitterrands eher überrascht zu sein. 14 Dies um so mehr, als inhaltlich komplementäre Technologievorschiäge der EG-Kommission 2 Wochen zuvor beim Europäischen Rat in Brüssel (29./30. März) ausgeschlagen worden waren. 15 Die Vorschläge der Kommission hatten – ebenfalls mit Blick auf SDI eine Verstärkung der technologischen und industriellen Zusammenarbeit in Europa zum Ziel gehabt, allerdings eine Verdoppelung des Gemeinschaftsetats für FuT-Programme vorgesehen und waren damit unverzüglich an den Einwänden Großbritanniens gescheitert. In der Umgebung Mitterrands schien man die Vorschläge der EG-Kommission nicht einmal gelesen zu haben, 16 und auch in den übrigen EG-Mitgliedsstaaten waren sie nicht weiter beachtet worden.17 Sie spielten jedoch, in konzeptionell konkretisiertet Form, als „Gegenprogramm“ zur französischen Eureka-Initiative im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle.
Der französische Eureka-Vorschlag
Der Dumas-Vorschlag sah die Schaffung einer Agentur zur Koordinierung der europäischen Forschungsvorhaben vor. Dahinter standen die französischen Vorstellungen, diese Agentur mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit und einem eigenen Programmbudget auszustatten.18 Es wurden 7 konkrete Forschungsbereiche genannt, in welchen die Agentur die FuT-Aktivitäten der an Eureka interessierten Länder koordinieren sollte: Optoelektronik (Optronik), neue Materialien, Hochleistungslaser, Superrechner, künstliche Intelligenz, Hochgeschwindigkeits-Mikroelektronik, Raumfahrt.19 Für jeden Bereich sollte innerhalb dieser Agentur ein eigener Lenkungsausschuß eingesetzt werden 20 der sich aus Regierungsvertretern, den Unternehmen und Forschungsinstituten zusammensetzt, mit der Aufgabe, ein koordinierten europäisches Programm zu beschließen.21
Als Finanzierungsmodus wurde das im EG-Rahmen bereits seit langem erfolgreich praktizierte Kostenteilungsverfahren vorgeschlagen; eine Mischfinanzierung, bei der jeweils 50 % der Kosten von privater Seite und von öffentlichen Stellen getragen werden.22 Hierbei soll nach dem Grundsatz verfahren werden, daß sich das Mitspracherecht der Länder bei der Gestaltung und Durchführung der Projekte nach der Höhe der von ihnen bereitgestellten Finanzmittel richtet.23
Die gemeinschaftliche Durchführung der Eureka-Vorhaben sollte einer von Projekt zu Projekt veränderten Struktur folgen, mit einer jeweils unterschiedlichen Anzahl von Projektteilnehmern, wobei die Teilnahme nicht auf die 10 bzw. 12 Mitgliedstaaten der EG begrenzt sein sollte (variable Geometrie). Damit war die französische Initiative bereits in ihrer Entstehungsphase außerhalb des institutionellen Rahmens der EG angesiedelt. „Eureka soll keine neue Institution werden, auch keine gemeinsame Politik, mit den schwerfälligen Entscheidungsregeln und begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten der EG. Eureka sollte vielmehr als gemeinschaftliches Vorgehen mit variabler Geometrie betrachtet werden.“ (Herv. i. O., A. S.) 24
In Abgrenzung zum Rüstungsforschungsprogramm SDI, von dem auch eine signifikante zivilökonomische Stärkung der US-amerikanischen Volkswirtschaft erwartet wird – zu Lasten der europäischen Industrienationen -, wurde Eureka als ein ziviles Programm bezeichnet, welches auch mit militärischen Applikationen verbunden ist: „Das bedeutet, daß die strategische Verteidigungsinitiative, ein militärisches Programm, sich auch auf den zivilen Bereich auswirken wird – ebenso wie Eureka, ein ziviles Programm, die Entwicklung militärisch, insbesondere zu friedlichen Zwecken nutzbarer Geräte ermöglichen kann, zum Beispiel Beobachtungs- und Horchsysteme für den Weltraum, die unerläßlich sind für eine wirksame Kontrolle der Rüstung bzw. Abrüstung.“25
Es wurde bezeichnenderweise explizit versichert, daß der ESA – deren Tätigkeitsbereich ja vertraglich auf zivile Weltraumvorhaben beschränkt ist – als einem „ausgereiften“ forschungspolitischen Instrument durch Eureka keine Konkurrenz gemacht werden soll.
Bereits die offizielle Präsentation der technologiepolitischen Vorschläge der französischen Regierung dokumentierte, daß Eureka zum Transporteur eines Kaleidoskops von Motivationssträngen gemacht werden sollte, die nicht klar voneinander zu trennen sind.
Sie reichen von der Stimulierung transnationaler Forschungskooperation bei industriellen Schlüsseltechnologien im Zeitalter globaler ökonomischer Transformationsprozesse über die Schaffung der politischen Rahmenbedingungen für einen europäischen Wissenschafts- und Forschungsraum bis hin zur Forderung nach einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt.
In der ersten und für lange Zeit einzigen regierungsoffiziellen Stellungnahme aus Frankreich wurde bereits implizit auf die Ambivalenz des Beziehungszusammenhanges zwischen Eureka und SDI hingewiesen. Unter dem Aspekt einer konzertierten europäischen Antwort auf die industriepolitische und zivilökonomische Herausforderung durch SDI sowie unter dem Blickwinkel der Dokumentation europäischen Selbstbehauptungswillens traten notwendigerweise die sich ausschließenden Momente beider Vorhaben in den Vordergrund, auch wenn sie nicht expliziert wurden: „(…) So zeigt sich, daß der technologische Abstand zwischen Europa und seinen wichtigsten Konkurrenten, der sich zwischen 1960 und 1970 verringert hatte, seit etwa 10 Jahren wieder größer wird, und das in einer Zeit, da die strategischen Markierungspunkte für die industrielle Macht im nächsten Jahrhundert gesetzt werden. Die von Präsident Reagan eingeleitete Strategische Verteidigungsinitiative SDI verdeutlicht diese Kluft ganz besonders. (…) Doch welches strategische Konzept, das übrigens noch weitgehend unbekannt ist, auch dahinterstehen mag, diese Arbeiten werden sicherlich die Eigenkräfte der amerikanischen Technologie stärken.“26
Auf der forschungspolitischen Ebene wurden jedoch eher die konvergenten Elemente beider Vorhaben in den Vordergrund gestellt und die Funktion Eurekas als europäisches Standbein bei SDI unterstrichen.
„(…) Man sieht also, daß sich ein europäischer Raum der Forschung und Technologie sowie die amerikanische Verteidigungsinitiative keineswegs ausschließen oder daß letztere keine Antwort auf die erstere ist – die Ziele und Erfordernisse sind durchaus unterschiedlich. Die Vorbereitung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ist ein völlig eigenständiges Unterfangen. Bei diesem Vergleich stellt sich nur die Frage nach der europäischen Beteiligung an den amerikanischen Forschungsvorhaben, und darauf kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur antworten, daß mögliche transatlantische Kooperationen um so vorteilhafter sein werden, die sich beteiligen machten, je stärker Europa ist.“27
Mit diesen oder ähnlichen sibyllinischen Sprachwendungen sollte möglichen Friktionen mit transatlantisch orientierten Industrieinteressen der europäischen Partnerstaaten beim politischen Marketing von Eureka vorgebeugt werden. Auch der frühe Hinweis auf die militärischen Nutzanwendungen der wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse aus den Eureka-Projekten (s.o.) war ebenfalls ein Indikator für einen mehrdimensionalen und potentiell problembehafteten Beziehungszusammenhang zu SDI.
Die zentralen Strukturelemente des französischen Eureka-Vorschlages
Agenturprinzip: Als Mitterrand dem französischen Ministerrat den Vorschlag zur Schaffung einer European Research Coordination Agency unterbreitete, orientierte er sich am Strukturmuster der ESA bzw. der NASA. Die Vorbildfunktion der beiden Weltraumorganisationen wurde von ihm mehrfach expliziert und fand auch in den schriftlichen Ausführungen der französischen Regierung ihren Niederschlag. Auch auf der technologisch-inhaltlichen Ebene lag ein Vergleich mit ESA bzw. NASA nahe, wurde Eureka von Mitterrand doch als ein (ziviles) Programm zur Beherrschung des Weltraums bezeichnet.
Die Inkonsistenz und Unausgereiftheit des französischen Agenturvorschlages zeigt sich daran, daß einerseits Effizienz und Funktionalität der Organisationsstruktur der ESA als vorbildlich gerühmt wurden, gleichzeitig jedoch explizit versichert wurde, daß der europäischen Weltraumagentur durch die Schaffung einer zweiten, weit umfassenderen europäischen Agentur zur Koordinierung von weltraumbezogener FuE – die angeblich ebenfalls einer zivilen Zielorientierung folgt – keine Konkurrenz gemacht werden soll und auch Doppelarbeiten vermieden werden sollen.
Sektorbezogene Technologielenkungsausschüsse, zusammengesetzt aus Regierungsvertretern und den Repräsentanten der Unternehmen und Forschungsinstitute, hätten die Aufgabe gehabt, die europäischen FuT-Anstrengungen auf den einzelnen Technologiefeldern zu koordinieren und konkrete FuE-Programme zu beschlieen.28
Durch den angestrebten supranationalen Charakter von Agentur und Ausschüssen sollte zum einen der Aufbau einer kohärenten (franco)-europäischen Technologiestrategie ermöglicht werden sowie die gezielte Abschöpfung des gewonnenen innovativen Wissens aus den vertikalen Großforschungsvorhaben gewährleistet werden. Hierdurch sollte ein Höchstmaß an Effizienz und Funktionalität bei der FuE-Kooperation sichergestellt sein. Durch hierauf abgestimmte, flankierende politische Maßnahmen sollten ferner die Rahmenbedingungen verbessert werden, so daß die abgeschöpften wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse möglichst schnell in die traditionellen Sektoren einsickern und dort horizontal umgesetzt werden können in neue Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen.29
Vor dem Hintergnund der negativen Erfahnungen, die die französische Regierung mit ihren früheren Vorschlägen für eine konzertierte Technologie- und Industriepolitik in der EG (1983) bzw. zur Schaffung einer militärischen Weltraumgemeinschaft in Europa (1984) gemacht hatte, war auch in der französischen Debatte von vornherein klar, daß die Einrichtung einer Supranationalen Behörde am Widerstand Bonns und Londons scheitern würde. Die Bürokratismusvorbehalte Bonns gegen die Halbierung eines neues, schwerfälligen Verwaltungsapparates, die Unvereinbarkeit mit dem wirtschaftsliberalistischen Dogma der britischen Regierung sowie das Unbehagen beider Staaten gegen eine potentielle französische Dominanz ließen es als opportun erscheinen, das Agenturprinzip überhaupt nicht mehr zu erwähnen und die Frage nach der Organisationsstruktur weitgehend offen zu lassen.
Abgesehen von der Ankündigung Eurekas durch Mitterrand, dem Rundschreiben von Außenminister Dumas sowie der indirekten Erwähnung im Akronym wurde die Agentur seit Beginn der französischen Diskussion nicht mehr erwähnt.
Um unter dem Zeitdruck durch das Weinberger-Ultimatum beim politischen Marketing des französischen Gegenprojektes eine möglichst hohe Akzeptanz bei den europäischen Partnern zu finden, wurde das Agenturprinzip in der offiziellen Sprachregelung durch den „offenen Korb“ ersetzt, der hinsichtlich der Organisationsstruktur alle Optionen offen ließ und nichts präjudizierte.30
Es bestand jedoch Konsens darüber, daß die Strukturen locker und attraktiv, aber gleichwohl effizient sein müßten. In der französischen wurde eine Aufgabenteilung vom Typ Ariane favorisiert, bei der das jeweils kompetenteste Partnerunternehmen die Projektführerschaft übernehmen solle. Hier wurde auch die Möglichkeit zur Einrichtung kleiner, dezentraler Projektsekretariate gesehen.31
Die Art der Implementierung von Forschungsprogrammen im Rahmen von Eureka blieb auch im europäischen Kontext schließlich noch lange Zeit unklar. Das von der französischen Regierung zum Mailänder Europa-Gipfel vorgelegte Eureka-Weißbuch (CESTA-Studie) äußerte sich zu dieser Frage ebenfalls nur sehr vage.
Geometrie variable: Ein zentrales Strukturelement, welches in Frankreich und – von wenigen Ausnahmen abgesehen32– auch im europäischen Ausland nie kontrovers diskutiert wurde, war die variable Projektarchitektur (variable Geometrie). Sie besagt, daß verschiedene Eureka-Projekte mit unterschiedlichen Projektpartnern durchgeführt werden, die Partnerkombination also von Projekt zu Projekt variiert und auch Teilnehmer aus den Nicht-EG-Ländern mit einbezogen werden können. Industrieunternehmen aus mindestens drei europäischen Staaten mit komplementären Forschungs- oder Entwicklungsinteressen, gehen für die Dauer des Projektes eine funktionale Kooperationsvereinbarung ein.
Der Hintergrund für das variable Vorgehen bei Eureka war der Wunsch, daß das Zustandekommen oder die Abwicklung eines Forschungsvorhabens nicht von einem zeitaufwendigen Konsensbeschaffungsmechanismus abhängig gemacht wird, bei welchem die Zustimmung von Regierungsvertretern aus Drittstaaten eingeholt werden müßte, deren Industrie u.U. gar kein Teilnahmeinteresse hat. Die bürokratische Verwaltungsarithmetik mit fachfremden Ausgleichsleistungen nach dem do-ut-des-Prinzip, welche zu jenem Zeitpunkt noch faktische wie formale Grundlage der EG-FuT-Politik war, sollte vermieden werden.
Die variable Geometrie ist der Bauplan für ein Europa a la carte, wo sich je nach Interessenslage komplementäre Partner aus Wirtschaft oder Staat zu funktionalen Oligopolen zusammenfinden und ihre Tätigkeiten zweckbestimmt koordinieren – sei es zu einzelnen Forschungsvorhaben im Rahmen von Eureka, sei es zu konzertierten Aktionen auf anderen Politikfeldern.
Die Geometrie variable war unter europapolitischen Gesichtspunkten von den Entscheidungsträgern der EG-Kommission in Brüssel bereits lange Zeit bekämpft worden, da sie eine strukturelle Prädisposition für die Nichtbeachtung und die Benachteiligung der jeweils schwächeren Staaten in der EG institutionalisierte und somit zu einem „Europa mit verschiedenen Geschwindigkeiten“ führt.
Die Einsegnung der geometrie variable im Zusammenhang mit dem französischen Eureka-Vorschlag mußte alle integrationspolitischen Bemühungen um die Schaffung einer Europäischen Union konterkarieren. Der Wunsch, die historische Implementierung der Geometrie variable in Europa (nochmals) zu verhindern, war ausschlaggebend für die Geschwindigkeit und Flexibilität, die die Brüsseler Bürokratie bei der Ausarbeitung ihres angekündigten Gegenprojektes demonstrierte bzw. für die Versuche der EG-Kommission, das französische Eureka-Projekt auf der Grundlage der bestehenden Verträge institutionell in die EG einzubinden und somit zu „vergemeinschaften“. „La Commission devraitpresenter d'ailleurs, (…) ses propres projets de Communaute europeenne technologique destines a ramener le Programme Eureka sous l´egide communautaire en repondant a toutes les preventions des trois GRANDS.“33
Der wettbewerbspolitische Verdacht der Kommission, das variable Vorgehen bei Eureka sei Teil einer industriepolitischen Gesamtkonzeption, in deren Rahmen zu einem frühen Zeitpunkt bereits Absprachen der Projektpartner über die Aufteilung künftiger Absatzmärkte getroffen werden können, von der in erster Linie Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik profitieren würden, wurde gestützt durch die spezifische Ergänzung, die die geometrie variable durch die Kompensation globale in der französischen Diskussion erfuhr. „Geometrie variable veut dire, a precise le ministre, que dans chacun des Programmes participent ceux qui sont directement Interesses, etpas necessairement toutle monde. Compensation globale signifie que, pour l´ensemble de tous les Programmes, tous les psys europeens paissent etre impliques.“34
Die Hypothese, daß die Schaffung einer europäischen Technologiegemeinschaft erster und zweiter Klasse den industrie- und europapolitischen Intentionen der Eureka-Protagonisten zumindest nicht widersprach, wurde weiter erhärtet durch die namentliche Erwähnung der gewünschten ausländischen Industriepartner im Eureka-Weißbuch der französischen Regierung. Kompetente Unternehmen aus den kleineren Ländern, die als Projektpartner für eine transnationale Forschungszusammenarbeit auf den Eureka-Technologiefeldern ebenfalls in Betracht kamen, waren in der CESTA-Studie „vergessen worden“, obwohl sie ihr Kooperationsinteresse deutlich signalisiert hatten. „Le ministre francais a note certains etats d´ame de la part des petits psys de la Communaute devant la possibilite de langer des Programmes aux quels ne participeraientgas foroement taus les Etats membres des la Communaute Pour les rassurer,, il faudra centrer quelques projets surdes domaines qui les interessent particalierement´, a estime M. Curien.“35
Abgesehen von der europa- und industriepolitischen Dimension hatte die variable Architektur noch eine pragmatisch-verkaufstechnische Funktion im Kontext der europäischen SDI-Diskussion zu erfüllen.
Die Frage nach der Kompatibilität oder Konkurrenz beider Technologievorhaben blieb lange Zeit offen. Insbesondere war unklar, ob eine Teilnahme beim (zivilen) Weltraumprogramm Eureka eine gleichzeitige Teilnahme beim amerikanischen Rüstungsforschungsprogramm SDI ausschloß oder nicht. Entsprechende Stellungnahmen hierzu kamen von Staatspräsident Mitterrand und dem Leiter der amerikanischen SDI-Behörde, Generalleutnant Abrahamson, erst zu einem relativ späten Zeitpunkt und völlig unerwartet.
Die für die Implementation der französischen Technologie-Vorschläge notwendige politische Unterstützung wurde somit eher gewährleistet, wenn den europäischen Partnern, die sich mit dem Gedanken einer Teilnahme bei SDI trugen, keine en-bloc-Zustimmung zu einem partiell möglicherweise inkompatiblen Eureka abverlangt wurde, sondern lediglich klare Zusagen über ein finanzielles und ressourcenmäßiges Engagement bei einzelnen, individuell besonders attraktiven Forschungsvorhaben: „Selon ma conception, indique M. Mitterrand, chaque pays n´aureit pas a deeider d'adherer ou non a Eureka, mais de participer ou non a tel ou tel programme precis en y consacrant des hommes et des ressources.“36
Eine variable Projektarchitektur erlaubte ein versatzstückartiges Zerlegen der von Frankreich mit Eureka verfolgten Weltraumstrategie (pour maitriser l'espace). Die Segmentierung der in ihrer Rüstungsrelevanz problembehafteten Ausrichtung des französischen Vorschlages in technologische Teilziele, findet ihre Entsprechung im Strukturmuster der nationalen französischen FuT-Politik. Bereits seit langem versucht Frankreich, seine rüstungsökonomischen Schwierigkeiten durch die Implementierung einer nationalen FuE-Struktur in den Griff zu bekommen, die eine gezielte Abschöpfung der in den zivilen Forschungslabors gewonnenen wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse ermöglicht.
Diese Strukturformel erlaubt nicht nur eine systematische ex-post-Evaluierung der Rüstungsrelevanz des gewonnenen innovativen Wissens, sondern über die Implementation modulartiger Teilstrategien auch bereits in der Planungsphase eine immanente Ausrichtung der zivil-privatwirtschaftlichen Forschungsvorhaben auf staatlich-rüstungsökonomische Erfordernisse.
Es erschien daher aus französischer Sicht plausibel, den eigenen Abschöpfungsmechanismus auch auf benachbarte Industrieländer auszudehnen. Vor dem Hintergrund des ursprünglichen französischen Eureka-Vorschlages, der nach SD10
Vorbild eine juristisch eigenständige Agentur, sektorbezogene Technologielenkungsausschüsse und eine Programmfinanzierung vorgesehen hatte, muß die in der französischen Diskussion entwickelte Konzeption einer variablen Projektarchitektur als Immunisierungsversuch interpretiert werden. Es sollte vermieden werden, daß das Weltraumvorhaben Eureka inhaltlich in allzu große Nähe zu SDI gerückt wird; die Rüstungsrelevanz der in Teilziele untergliederten französischen Technologiestrategie sollte kaschiert werden.
Die Strukturelemente „compensation globale“, die Projektführerschaft, der Vorschlag der Einrichtung dezentraler Projektsekretariate begleitet von der Präsentation eines regierungsoffiziellen Kataloges der französischen Wunschpartner bei ausgesuchten FuE-Vorhaben sowie die faktische Diskriminierung potentieller Kooperationspartner aus den kleineren EG-Staaten, signalisieren den zweigleisig-selektiven Charakter dieser Konzeption.
„Question: „La France serait ainsi a la tete de ce programme? (…)“
Curien: „(…) Eureka c´est une ensemble de themes informatique, communications, espace, etc. A la tete de chaque projet a geometrie variable, il y aura un leader. (…) La France, comme les quatre grands psys europeens, a les moyens d´etre impulseur.“
Question: „Plus precisement dans quel domaine la France pourrait-elle etre maitre d'ceuvre?“
Curien: „L´espace bien sur je pense aussi a un projet tres avance en informatique – un gros ordinateur – et a un projet avance de telecommunications.“ “37
Die Kontroverse um die Konkurrenz oder Konvergenz des Beziehungszusammenhanges zwischen Eureka und SDI verlagerte sich weg von der Programmebene und reduzierte sich auf eine Expertendiskussion über die technologischen Anforderungsprofile einzelner FuE-Projekte. Sie wurde damit tendenziell dem Blick einer kritischen Öffentlichkeit entzogen.
Dadurch wurde die Sophistik der amtlichen Sprachregelungen (ziviles Programm), die je nach Interessens
und Motivationslage unterschiedliche Formeln bereithielt (militärische Applikationen, Verhandlungsplattform fr eine Teilnahme bei SDI), erleichert.
Die Miteinbeziehung der Neutralen bei einzelnen, potentiell SDI-relevanten Eureka-Projekten eröffnete darüber hinaus diesen Staaten eine Möglichkeit, indirekt am amerikanischen Rüstungsforschungsprogramm SDI teilzunehmen, ohne politische Verwicklungen mit der Sowjetunion befürchten zu müssen.38
Die Budgetfinanzierung
Ein weiteres zentrales Strukturelement war die Finanzierung von Eureka. Nachdem der ursprüngliche französische Vorschlag einer kostenteiligen Budgetfinanzierung auf den Widerstand Londons gestoßen war und auch in Bonn wenig Gegenliebe fand, blieb die Frage einer Mittelzuweisung lange Zeit offen. Frankreich hatte vorgeschlagen, einen gemeinsamen Fond einzurichten, aus welchem die Eureka-Projekte finanziert werden sollten. Die nationalen Mitspracherechte bei der Projektgestaltung (sowie die Zugriffsmöglichkeiten auf die wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse), sollten sich nach der Höhe der finanziellen Einlagen richten.
Die Einrichtung eines Eureka-Fonds sollte somit eine Budgetfinanzierung nach SDIO-Muster gewährleisten und die über die Technologielenkungsausschüsse aufzubauende Technologiestrategie materiell absichern.
Wie das Agenturprinzip und der Vorschlag zur Einrichtung sektorbezogener Koordinationsausschüsse scheiterten die französischen Finanzierungsvorstellungen an prinzipiellen Einwänden der beiden wichtigsten Partnerstaaten Frankreichs, der Bundesrepublik und Großbritannien. Schien die ablehnende Haltung Bonns Teil der bundesdeutschen Gesamtargumentation gegen die Etablierung einer neuen, schwerfälligen Forschungsbürokratie zu sein, und wurde hier erst an zweiter Stelle die (finanzielle) Konkurrenz der zu SDI geltend gemacht, verhielt es sich im Falle Londons genau umgekehrt.
Die Argumentationsmuster in der französischen Diskussion verloren im Zeitablauf ihren alarmistischen Charakter und nahmen unter dem Einfluß unerwarteter exogener Entwicklungen pragmatischere Züge an. Trug das Szenario der Bereitstellung von 26 Mrd. FuE-Dollar für Rüstungsvorhaben im Rahmen einer ersten 5 jährigen SDI-Forschungsphase deutlich zweckpessimistische Z
ge, so wurde die zivilökonomische Bedrohung durch die konstatierte gigantische amerikanische Industriesubvention schnell relativiert unter Hinweis darauf, daß hiervon lediglich 10 Mrd. zusätzliche Mittel seien, der Rest lediglich Umschichtungen im US-Haushalt zugunsten von SDI.
Es gelte nun, in Europa ein Äquivalent an Forschungsmitteln zusammen zu bringen, welches sich auf 90 Mrd. Francs (= 10 Mrd. Dollar) belaufen würde, und kostanteilig von der Industrie und der öffentlichen Hand aufgebracht werden müßten. Diese Forschungsgelder hätten gegenüber SDI allerdings den Vorteil, auf direktem Weg die Modernisierung der Volkswirtschaften zu fördern, ohne den teuren Umweg über die Entwicklung von Rüstungsgütern.
Die zentrale Frage nach der Bereitstellung der von Frankreich angepeilten FuE-Mittel sowie die Modalitäten der Finanzierung von Eureka-Vorhaben (Fond/Mischfinanzierung/indirekt-spezifische Forschungsförderung, begleitende Marktöffnungsmaßnahmen etc.) blieb ebenso offen wie diese Vorhaben selbst und wurde als ein zentraler Bestandteil des unreifen Eureka-Vorschlages Gegenstand bilateraler Verhandlungen beim politischen Marketing des französischen Projektes.
Zur gleichen Zeit, als die Pentagon-Emissäre bereits erfolgreich Kontakt aufnahmen mit den für sie interessanten europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen, versuchte ein französisches Team unter Vorsitz des ehemaligen NATO-Botschafters Claude Arnaud, in multiplan, bilateralen Einzelgesprächen mit Vertretern der europäischen Regierungen, jeweils eine Konkordanz herzustellen zwischen den unterschiedlichen nationalen Vorstellungen hinsichtlich einer Teilnahme bei Eureka und/oder/anstatt SDI sowie der gewünschten Organisationsstruktur und den Finanzierungsmodalitäten.
In zahlreichen Einzelgesprächen, die Arnaud mit Politikern und Repräsentanten der Industrie in den europäischen Hauptstädten führte, kristallisierte sich schnell heraus, daß die Finanzienung der noch zu klärenden Eureka-Vorhaben, wenn überhaupt, dann primär eine Sache der Industrie und der europäischen Kapitalmärkte sein sollte, öffentliche Zuwendungen lediglich subsidiären Charakter tragen sollten.
Abgesehen von politischen Vorbehalten der Regierung Thatcher und des Bundeskanzleramts gegen den „antiamerikanischen Kampfcharakter“ Eurekas wurde in der Argumentation die klare Festlegung Großbritanniens gegen Industriesubventionen ins Feld geführt. (In weniger prononcierter Form findet sich dieses Argumentationsmuster auch bei Riesenhuber.) Mit ordnungspolitischen Einwänden hatte Großbritannien unmittelbar zuvor beim europäischen Rat in Brüssel (30. März) auch den Vorschlag der Kommission nach einer Aufstockung der EG-FuT-Mittel abgelehnt. Auch im Bundesforschungsministerium in Bonn bestand man darauf, daß FuE-Vorhaben im Rahmen von Eureka primär durch Eigenmittel der Industrie finanziert werden sollten und lediglich Projekte mit hohem Amortisationsrisiko durch öffentliche Mittel mitgetragen werden sollten. Stimulus für die transnationale Forschungskooperation sollte nicht eine durch einen Fonds abgestützte Versorgungshaltung der Unternehmen werden, sondern die Marktnähe der angepeilten Eureka-Projektvorhaben.
Die im benachbarten Ausland artikulierten ordnungspolitischen Einwände gegen die Etablierung kostenintensiver Subventionsmechanismen für transnationale Forschungskooperation in Europa widersprachen nicht völlig den industriepolitsichen Intentionen der französischen Regierung, da auch Paris mittelfristig an einer Reduzierung seines überdurchschnittlich hohen Staatsanteils bei nationaler FuE interessiert war.
Der Vorschlag eines Eureka-Fonds und einer darauf abgestützten Programmfinanzierung war ebenso unausgegoren wie das Agenturprinzip und beruhte wesentlich auf einer Fehlkalkulation von situativem Kontext und politischem Umfeld.
Durch die Mobilisierung neuer Subventionsmilliarden für ein attraktives Großprojekt europäischen Zuschnitts sollte zwar kurzfristig die Abwanderung von wissenschaftlichen Kapazitäten und Ressourcen nach Nordamerika verhindert werden, doch hatte Frankreich die Bereitschaft der europäischen (Rüstungs-) Industrie und der nationalen Regierungen überschätzt, sich langfristig auf ein inhaltlich völlig unausgereiftes, französisch dominierten Technologievorhaben festlegen zu lassen, welches für die Industrie zudem mit einem erheblichen Finanzaufwand verbunden sein sollte, während gleichzeitig die Einladung zu einer Mitarbeit an einem politisch glaubwürdigen, drittmittelfinanzierten (Pentagon-) Forschungsvorhaben vorlag, welches identische Technologiefelder abdeckte.
Solange weder die Frage einer konzertierten europäischen Antwort auf das Weinberger-Ultimatum geklärt war, noch die Modalitäten einer einzelstaatlichen SDI-Beteiligung geregelt waren, insbesondere die Möglichkeit der Erhebung von staatlicher „entrance fees“ durch das Pentagon, drohten beide Projekte zusammen für die nationalen Regierungen teuer zu werden.
Die relevanten europäischen Rüstungs- und Weltraumunternehmen drängten auf eine Teilnahme an SDI unter der Voraussetzung der Etablierung partnerschaftlicher Kooperationsstrukturen (Technologietransfer in beide Richtungen) und der Verhinderung ihrer Funktionalisierung zu transatlantischen Zulieferern innovativen Wissens mit dem Status von subalternen Unterauftragnehmern.
Die Haltung der Unternehmen gegenüber dem französischen Eureka-Projekt reichte überwiegend von Skepsis bis Ablehnung, insbesondere solange die Organisationsstruktur unklar und die Finanzierung völlig offen war. Ansonsten plädierte die europäische Industrie für eine komplementäre Gestaltung beider Technologievorhaben, besonders explizit artikuliert durch Repräsentanten staatlicher französischer Rüstungskonzerne (und schwedischer Unternehmen; vgl. Fußnote 38).
Der ungeklärte Beziehungszusammenhang zu SDI
Der monetäre Dollpunkt war Teil des Gesamtproblemkomplexes „Kompatibilität oder Konkurrenz von Eureka und SDI“. Der ursprüngliche französische Versuch, Eureka den europäischen Partnerstaaten als Plattform für die angestrebte konzertierte Antwort auf die „Vorschläge von Herrn Weinberger“ zu präsentieren, war bereits wenige Tage nach dem Schreiben des französischen Außenministers Dumas an seine Amtskollegen gescheitert. Bei der ersten, informellen Präsentation Eurekas auf der WEU-Tagung in Bonn (22./23.4.85) hatte sich Großbritannien ablehnend gezeigt und unter Berufung auf die Unausgereiftheit des gesamten Vorschlages die namentliche Erwähnung Eurekas im Abschlußkommunique verhindert.
Mit Blick auf die wankelmütige Haltung der Bundesregierung – Bundeskanzler Kohl stand nach Bitburg in der Bringschuld der Amerikaner – erklärte sich Frankreich schließlich dazu bereit, Eureka den gegen SDI gerichteten Charakter zu nehmen und politisch neutraler zu präsentieren.
In offiziellen Stellungnahmen deutete der französische Staatspräsident die Möglichkeit an, Brücken zu schlagen zwischen beiden Projekten, und versuchte, über ein zunächst rhetorisches Junktim seine dezidierte Ablehnung gegen eine französische Staatsbeteiligung am amerikanischen Weltraumrüstungsvorhaben sukzessive wieder zu relativieren – wohl auch im Hinblick auf die Interessen der französischen Rüstungsindustrie, die faktisch bereits an SDI-relevanten Experimenten in White Sands beteiligt war.39
Neben der regierungsoffiziellen Aussöhnung von diplomatischen Erfordernissen und rüstungsökonomischen Sachzwängen ebnete Mitterrand hierdurch auch politisch den Weg für eine Teilnahme der Bundesrepublik (und Großbritanniens) an beiden Projekten. „Le Gouvernement Transeis va tres prochainement donner offciellement son Neu vert aux industriels francais interesses par la „guerre des etoiles“. Une decision qui libera bien des esprit au moment ou differents entreprises, Matra en tete, manifestent ouvertement le desir de participer aux deux programmes technologiques du futur que sont la „guerre des etoiles“ et Eureka. une Position tactique et diplomatique visant a proteger au maximum les interets francais et le savoir-faier national, tout en ne revenant pas sur l'attitude adoptee per la France lors du sommet de Bonn.“40
Ungeachtet der moderateren Haltung der französischen Regierung, die schnell und flexibel auf die unterschätzten Schwierigkeiten beim politischen Marketing ihrer Eureka-Idee reagiert hatte, kam die pragmatische, multipel-bilaterale Verhandlungsarbeit von Botschafter Arnaud nur sehr mühsam voran und stand permanent unter dem Konkurrenzdruck der Emissäre des Pentagons, die den europäischen Kontinent zur selben Zeit bereisten.
Die französische Regierung riskierte, mit ihrem Eureka-Vorschlag alleine zu stehen, sollten sich die europäischen Partner unter dem Einfluß der ihnen in Aussicht gestellten SDI-Forschungsgelder zu einer individuellen Teilnahme am amerikanischen Weltraumrüstungsvorhaben entscheiden und sollte es nicht rechtzeitig gelingen, Eureka politische Dynamik zu verleihen.
Hier erhielt Frankreich die völlig unfreiwillige Unterstützung durch die USA, die mit wenig Sensibilität für die Befürchtungen der Europäer versuchten, ihre eigenen amerikanischen Vorstellungen einer transatiantischen Forschungskooperation im Rahmen von SDI durchzusetzen. Die Konkretisierung der SDI-Teilnahmemodalitäten führte in Bonn und London zu erheblichen Desillusionierungen und ließ die industriepolitischen Befürchtungen Frankreichs sehr plausibel erscheinen.
a) Äußerungen von Pentagon-Vertretern zufolge sollten weniger als 5 % der Gesamtsumme von 26 Mrd. Dollar für europäische Auftragsforschung bereitgestellt werden. Diese Summe war von der französischen Regierung schnell auf die Gesamtzahl möglicher Teilnehmer umgerechnet worden, und es stellte sich heraus, daß für europäische Rüstungsunternehmen maximal bis zu einer Höhe von 10 Mio. US-Dollar (über einen Zeitraum von 5 Jahren) SDI-Forschungsaufträge zu erzielen wären. Damit jedoch verlor das amerikanische Projekt bei den Europäern bereits deutlich an Attraktivität.
b) US-Präsident Reagan hatte in einer Unterredung mit dem französischen Staatspräsidenten Mitterrand im Verlauf des Bonner Weltwirtschaftsgipfels (2.-4.5.85) klargemacht, daß bei SDI für die Europäer lediglich an eine Rolle als Unterauftragnehmer gedacht war. „Mitterrand: „Subcontractors! That´s what I heard from Reagan. That confirmed my intuitions.“ “
d) Auch eine von Bonn nach Washington abgesandte Kommission unter Vorsitz von Kanzlerberater Teltschik erbrachte für die bundesdeutschen Industrieunternehmen keine erfreulicheren Nachrichten.
Solange in bezug auf eine konzertierte europäische oder eine national-einzelstaatliche Teilnahme bei SDI noch nichts entschieden war, in bezug auf das ungeklärte Verhältnis zwischen SDI und Eureka keine dezidierte Stellungnahme aus Washington vorlag, Abrahamson die Äußerungen des französischen Staatspräsidenten hinsichtlich der Kompatibilität beider Technologievorhaben nicht grundsätzlich bestätigt hatte und darüber hinaus zugesichert hatte, bei einer nationalen Teilnahme am amerikanischen Weltraumrüstungsprojekt keinerlei „entrance fees“ zu erheben, die zu gigantischen Doppelbelastungen führen mußten, trat die „Vermarktung“ der Eureka-Idee durch den französischen Botschafter Arnaud in den europäischen Hauptstädten auf der Stelle.
„European plans for cooperation on the development of new technologies are in no way incompatible with Washingtons Strategic Defence Initiative research programme, Lt-Gen James Abrahamson, the director of SDI, said yesterday (…) Countering suggestions tbet Eureka couid be seen as competition to the SDI research programme, in which other Western countries have been asked to participate by the US., Lt-Gen Abrahamson said he sew it rather as an attempt „to tie the western allies together“. It would enable them to move forward together in developing new technologies and thus strengthening both their economies and ability to defend themselves … No entrance fee wouidbe charged forcountries or companies wishing toparticigate in the programme, although they would be welcome to make a financial investment in them if they so desired. Nor was there any intention of establishing „a percentage plan“, under which particigants share of the research would be in direct proportion to the amount of money they had put up.“43
Die auch für Frankreich völlig überraschende Äußerung Abrahamsons zum Schlüsselproblem des Beziehungszusammenhanges von SDI und Eureka war in Paris eher mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Man vermutete hinter diesem Durchbruch die diplomatischen Aktivitäten der Briten, die stets betont hatten, daß beide Projekte kompatibel gestaltet werden müßten. Doch gewann Eureka erst jetzt an politischer Glaubwürdigkeit, und die bilateralen Verhandlungen Arnauds über Organisationsstruktur, Modalitäten der Finanzierung und mögliche Eureka-Forschungsvorhaben fingen an, sich zu konkretisieren und bis zur Eureka-Gründungskonferenz in Paris am 17 Juli 1985 Substanz zu gewinnen.
-> Teil II
Anmerkungen
1 Vgl.: Le Monde, 18.4.85 Zurück
2 ebda.; LaTribune, 19.4.85 Zurück
3 Vgl.: Le Monde, 23.4.85 Zurück
4 Vgl.: La Croix, 19.4.85 Zurück
5 Vgl.: Le Monde, 18.4.85 Zurück
6 Vgl.: Le Matin, 18.4.85; Liberation, 19.4.85 Zurück
7 Vgl.: La Tribune, 19.4.85 Zurück
8 Vgl.: LaTribune,19.4.85 Zurück
9 Vgl.: SZ, 15.4.85; Welt 20.4.85, bereits am 6 Oktober 1984 hatte Genscher vor der Jahresversammlung der deutschen Sektion Liberal International für die EG ein „Zukunftsprogramm Technologie“ gefordert. Die Trägerfunktion dieser Technologiegemeinschaft müsse gemeinsam von Frankreich und der Bundesrepublik übernommen werden. In: fdk, Ausgabe 200, 6.10.84 Zurück
10 Vgl.: La Tribune, 19.4.85: Laut einem Bonner Regierungssprecher war die französische Initiative minutiös zwischen Dumas und Genscher vorbereitet worden. Zurück
11 Zit.: L´Humanite, 1.6.85 Zurück
12 Vgl.: Le Monde, 20.4.85 Zurück
13 Vgl.: Liberation, 19.4.85; Le Monde, 20.4.85 Zurück
14 Vgl.: La Croix,19.4.85 Zurück
15 Vgl.: Le Monde, 19.4.85, Les Echos, 24.4.85; Electronique Actualites, 26.4.85 Zurück
16 Vgl.: Le Monde, 19.4.85 Zurück
17 Vgl.: Ouest France, 19.4.85; Les Echos, 24.4.85 Zurück
18 Vgl.: Die Welt, 20.4.85; Le Monde, 20.4.85 Zurück
19 Vgl.: Le Monde, 20.4.85; Die Zeit, 14.6.85 Zurück
20 Vgl.: Die Welt, 17.6.85 Zurück
21 Vgl.: Le Monde, 20.4.85 Zurück
22 Vgl.: Le Monde, 20.4.85 Zurück
23 Vgl.: Frankreich-Info Nr. 14/85 Zurück
24 Zit.: Frankreich-Info Nr. 14/85 Zurück
25 Zit.: Frankreich-Info Nr. 14/85 Zurück
26 Zit.: Frankreich-Info Nr. 14/85
(26) Zit.: Frankreich-Info Nr. 14/85 Zurück
27 Vgl.: Die Welt, 20.5.85 Zurück
28 Zurück
29 „Curien: „Il faut definir des objets et des systemes ambitieux c´est cela l'idee d´Eureka, tirer la technologie europeenne vers l´avant grace 3 des projets ambitieux. L´exemple d´Hermes est clair: ce sera une locomotive de la technologie europeenne. Autre exemple: la maitrise de la micro-electronique qui permet de faire des systemes d´armes performants, des calculateurs, des fusees de la nouvelle generation, la robotique des ateliers flexibles. Il doit resulter d´Eureka dans dix ou quinze ans un savoirfaire tres avance de nos industries.“ “ Vgl.: Le Quotidien, 5.6.85 Zurück
30 „Curien: „Nous avons tenu 3 nous presenter devant nos partenaires avec une corbeille ouverte pour que le projet soit veritablement europeen.“ “, In: Le Quotidien, 5.6.85 Zurück
31 „Eureka ne passera pas dans le moulinet des fonctionnaires de Bruxelles. Les Francais visent en effet a faire se rencontrer, theme par theme, les meilleurs industriels europeens d´un secteur. A eux de definir des programmes et des prototypes en vue de leur industrialisation. Le partage des taches sera du type Ariane: la maitrise d´reuvre a celui qui est le plus competent, quelle que soit sa nationalite. Or, quoi qu´on ait dit, la competition est deja ouverte entre Eureka et IDS.“ In: Le Point, Nr. 665, 17.6.85 Zurück
32 Ausnahmen waren die Benelux-Staaten, Italien und die EG-Kommission. Zurück
33 Zit.: La Tribune, 6.6.85 Zurück
34 Zit.: La Voix du Nord, 27.6.85 Zurück
35 Zit.: Le Monde, 6.6.85 Zurück
36 Zit.: Le Quotidien, 13.6.85 Zurück
37 Zit.: Le Quotidien, 5.6.85 Zurück
38 Volvo-Chef Peer Gyllenhammer, der den Vorsitz des „roundtable“ innehat, einer institutionalisierten halbjährlichen Zusammenkunft der Vorstände der 12 größten europäischen (Elektronik-) Konzerne, sprach sich für die Teilnahme der europäischen (EFTA inclusive) Industhe bei beiden Projekten aus. Der „roundtable“, auf dessen Initiative auch das EG-Grundlagenforschungsprogramm ESPRIT ins Leben gerufen wurde, solle die europäischen Konzerne dazu animieren, sich bei SDI und Eureka zu engagieren, AFP Sciences, 20.6.85, Nr. 461 Zurück
39 „Mitterrand: „Ce la ne signifie pas que nous naus separons a jamais sur cette route (…) Il paut y avoir des passerelles, des ponts, d´un projet a 1´autre.“ “ In.: Le Monde, 7.5.85 Zurück
40 Zit.: La Tribune, 5.6.85 Zurück
41 Zit.: Time, 27.5.85 Zurück
42 Zit.: Time, 27.5.85 Zurück
43 Zit.: Financial Times, 24.5.85 Zurück
44 c) Äußerungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums, daß auch im Falle Großbritanniens keine Sonderregelung möglich sei, eine Forschungsbeteiligung britischer Unternehmen lediglich auf der Grundlage von Unteraufträgen möglich sei. „(…) a Pentagan briefing last week left officials of the British Defense Ministry with the impression that the UK would be (…) well, a subcontractor.“(42) Zurück
Achim Seiler; cand. rer. pol.. FU Berlin