Militär und Entlaubungsmittel

Militär und Entlaubungsmittel

von Burkhard Luber

Im Rahmen der Stiftung „die schwelle“ ist jetzt eine Studie entstanden, die die militärischen Interessen und Anwendungen von Entlaubungsmitteln (speziell 2,4,5-T und 2,4-D) außerhalb das Vietnamkrieges untersucht. Sie analysiert die Relevanz militärischer Strategien und ziviler Produktion von Entlaubungsmitteln für deren militärische Verwendung und entwirft entsprechende Abrüstungsvorschläge. Die Studie wurde hauptsächlich zwischen Herbst 1986 und Sommer 1987 erarbeitet. Eine Langfassung in Englisch (102 Seiten), die u.a. Listen von ca.175 Firmen, die Entlaubungsmittel herstellen, und Listen mit ca. 800 kommerziellen Entlaubungsmitteln enthält, ist auf Anfrage erhältlich. Die der Studie zugrundeliegenden Materialien können über eine neu aufgebaute Literaturdatenbank zugänglich gemacht werden.

A) Empirische Ergebnisse

  1. Trotz des großen internationalen Interesses am Vietnamkrieg gibt es kaum Material zum Problem sonstiger militärischer Anwendungen von Entlaubungsmitteln.
  2. Unabhängig von der Zuverlässigkeit der Quellen erfaßt die Studie 15 Staaten (außer Vietnam), in denen Entlaubungsmittel nach 1945 militärisch angewandt worden sind zum Teil im Rahmen internationaler militärischer Zusammenarbeit: Algerien/Frankreich, Brasilien, Burma, Kambodscha, El Salvador, Äthiopien, Guatemala, Honduras, Israel, Korea, Laos, Malaya, Nord-Irland, Portugal Frühere afrikanische Kolonien), Thailand.
  3. Militärische Operationen mit Entlaubungsmitteln haben besondere Relevanz für Gebiete in der Dritten Welt, wobei mitunter zivile und militärische Motivationen verbunden werden, wie z.B. bei der gleichzeitigen Verwendung von Entlaubungsmitteln zur Bekämpfung von Rauschgiftanbau und inländischen Aufständischen in Burma und Guatemala.
  4. Drei Faktoren beeinflussen den Entscheidungsprozeß für die militärische Anwendung von Entlaubungsmitteln: Die Vegetation des für die Anwendung vorgesehenen geographischen Gebietes, Umfang und militärtechnisches Niveau der entsprechenden zur Verfügung stehenden Luftwaffen und das internationale Konfliktpotential. Aufgrund dieser drei Faktoren gibt es ca.10 bis 25 Länder, die als relevante Einsatzgebiete für die militärische Anwendung von Entlaubungsmitteln gelten können.
  5. Da bei der Anwendung von Entlaubungsmitteln oft Dioxin (TCDD) freigesetzt wird, ist von einigen Forschern die Frage aufgeworfen worden, ob dies ein zusätzliches militärisches Interesse am Einsatz von Entlaubungsmitteln vermuten läßt. Die WEU und die Firma Boehringer (BRD) haben nach dem Seveso-Unfall die mögliche Verwendung von TCDD als chemische Waffe untersucht und verneint.1986 hat die NATO eine umfangreiche „Studie zum internationalen Informationsaustausch über Dioxine“ begonnen. In der BRD werden Entlaubungsmittel zur Unkrautbekämpfung an speziellen Stellen von Truppenübungsplätzen eingesetzt.
  6. Zwei US-Untersuchungen zur Strategie und zum Kosten-Nutzen-Verhältnis der militärischen Anwendung von Entlaubungsmitteln im Vietnamkrieg, die kurz nach dessen Beendigung erstellt worden sind, bewerten diese Anwendung positiv und empfehlen sie für zukünftige militärische Operationen besonders in der Dritten Welt, aber auch in Mitteleuropa.
  7. Innerhalb des zivilen Anwendungsbereiches von Entlaubungsmitteln gibt es eine Vielzahl von Ländern, in denen solche Mittel hergestellt und verwendet werden, z.T. mit erheblichen Gefährdungen für Gesundheit und Umwelt. Die Zahl der chemischen Firmen, die 2,4,5-T oder 2,4-D als Chemikalie bzw. entsprechende Verbrauchsprodukte produzieren oder produziert haben, ist beträchtlich; die Zahl der kommerziell erhältlichen Entlaubungsmittel sehr groß.
  8. Kontakte zwischen zivilen Forschungseinrichtungen, chemischer Industrie und dem Militär als Anwender von Entlaubungsmitteln lassen sich für die Zeit des Vietnamkrieges gut nachweisen.
  9. Der spezielle Fall Brasilien, wo Entlaubungsmittel im Rahmen der Errichtung eines neues Staudammes eingesetzt worden sind, zeigt, wie sich zivile und militärische Interessen bereits in einer Situation außerhalb realer militärischer Konflikte überlagern können. Im Rahmen der weiteren geplanten Erschließung der Amazonasregion können sich solche Probleme in Brasilien oder anderswo durchaus wiederholen.
  10. Im Rahmen der Studie haben sich besonders Recherchen in internationalen Datenbanken als hilfreich erwiesen, deren Ergebnisse im Rahmen traditioneller Literaturanalysen kaum hätten beschafft können.

B) Allgemeine Überlegungen zur Abrüstung bei Entlaubungsmitteln

  1. Der erste Schritt zur chemischen Abrüstung ist das „Genfer Protokoll“ von 1925, das jedoch nur die tatsächliche Anwendung von chemischen Waffen verbietet. Das wachsende Bewußtsein für die Umweltgefahren der modernen Kriegsführung hat 1977 zur „Environmental Modification Convention“ geführt, die u.a. militärische Entlaubungsoperationen in großem Umfang verbietet. Die ENMOD verbietet jedoch nicht die Lagerung von umweltverändernden Chemikalien und hat keine verläßliche Überprüfungsregelungen. Außerdem benachteiligt seine Definition dessen, was konkret verboten sein soll, speziell kleine Länder und Staaten in der Dritten Welt.
  2. Im Rahmen der gegenwärtigen chemischen Abrüstungsverhandlungen in Genf zielt das dortige Interesse auf eine „Chemical Weapons Convention“, die ein Verbot bereits des Besitzes chemischer Waffen, inklusive Kontrollmaßnahmen umfassen soll. Es ist jedoch zweifelhaft, ob ein solches Abkommen auch ein Verbot der militärischen Anwendung von Entlaubungsmitteln enthalten wird, obwohl dies Experten und einige Diplomaten empfehlen.
  3. Die hauptsächlichen Hindernisse für eine Rüstungskontrolle bei Entlaubungsmitteln ist die vielfältige internationale Dimension ihrer Herstellung, ihre umfangreichen internationalen Import- und Exportströme und der leichte Zugriff des Militärs auf den Markt zivil produzierter Entlaubungsmittel.
  4. Eine Abrüstung bei Entlaubungsmitteln kann begünstigt werden durch das zunehmende Bewußtsein für die Umweltgefährdungen durch zivil eingesetzte Pestizide, was bereits zu einer Reihe von Beschränkungen für deren Gebrauch und Vertrieb geführt hat. Im Rahmen dieser Sensibilisierung haben die kritischen, nichtstaatlichen Verbraucher- und Umweltorganisationen eine wichtige Funktion. Außerdem werden die Techniken ferngesteuerter Überwachung für die (chemische) Abrüstungskontrolle ständig weiterentwickelt und verfeinert. Zusätzlich existieren auch billige und anwenderfreundliche Überprüfungsmethoden, wie z.B. sogenannte „Schadstofftester“.
  5. Gerade weil Entlaubungsmittel normalerweise nicht als „Waffen“ aufgefaßt werden, sollten sie dennoch aus folgenden Gründen bei den gegenwärtigen chemischen Abrüstungsverhandlungen mit berücksichtigt werden:

    • Die (Langzeit-)Risiken auch kleiner Dosen von solchen zivilen Entlaubungsmitteln, die für militärische Einsätze verwendet werden können, sind grenzüberschreitend, unkalkulierbar und können unter Kriegsbedingungen noch zunehmen.

Die Versuchung für das Militär, Entlaubungsmittel (heimlich) zu verwenden, bleibt latent vorhanden, da das Militär seine eigenen Interessen mit anderen zivilen Anwendungsinteressen verbinden kann und leichten Zugang zum zivilen Markt für Entlaubungsmittel hat, der seinerseits insbesondere aufgrund seiner internationalen Dimensionen schwierig zu überwachen ist.

C) Die Option eines internationalen Überwachungssystems gegen die militärische Anwendung von Entlaubungsmitteln

Da die Chancen für ein Verbot der militärischen Anwendung von Entlaubungsmitteln im Rahmen eines allgemeinen internationalen chemischen Abrüstungsabkommens nicht sehr hoch erscheinen, kann eine Alternative in der mehr pragmatischen Option für ein internationales Überwachungs- und Frühwarnsystem bestehen, das auf eine größtmögliche Reduzierung des militärischen Gebrauchs von Entlaubungsmitteln zielt und bereits latente Interessen und vorbereitende Schritte für eine solche Anwendung kontrolliert.

  • Ein solches Überwachungssystem, das auch einen positiven Beitrag für Überwachungsregelungen im Rahmen einer eventuellen allgemeinen internationalen Übereinkunft gegen die militärische Anwendung von Entlaubungsmitteln zu späterer Zeit haben würde, sollte folgende Dimensionen umfassen:

    • Als ZIELE: Keine militärischen Interessen am Gebrauch von Entlaubungsmitteln. Keine Transfers von Entlaubungsmitteln aus der zivilen Produktion in den militärischen Besitz. Keine militärische Anwendung von Entlaubungsmitteln in innerstaatlichen und internationalen Konfliktgebieten.
    • Als OBJEKTE: Die Militärbürokratien; die internationalen Handelsströme von Entlaubungsprodukten; der Bereich eventueller militärisch-ziviler Kontakte; die internationalen Konfliktpotentiale.
    • Als METHODEN: Literaturanalyse, Recherchen in Datenbanken, Überprüfungsmethoden auf unterschiedlichem technischen Niveau, Inspektionen vor Ort.
    • Als AKTEURE: Nichtstaatliche Umwelt- und Verbraucherorganisationen, Journalisten, Friedensforschung, interessierte Entscheidungsträger in den diplomatischen Bürokratien und Umweltbürokratien.

    Eine ILLUSTRATION für ein solches internationales Überwachungssystem gegen die militärische Anwendung von Entlaubungsmitteln zeigt das unten stehende Diagramm.

    Diagramm: Ein
    internationales Überwachungssystem gegen die militärische Anwendung von
    Entlaubungsmitteln
    (Ziele und Verwirklichung)
    Ziele Objekte Methoden Akteure
    keine latenten oder akuten militärischen Interessen
    für die Anwendung von Entlaubungsmitteln
    der militärische Bereich Auswertung militärischer Literatur Friedensforschung
    kein Transfer von Entlaubungsmitteln in den
    Militärbereich
    die internationalen Handelsströme von
    EntlaubungsmittelnHerstellerfirmen von Entlaubungsmitteln
    Kontakte zwischen dem Militär und der chemischen Industrie
    Analyse von Handelsstatistiken Recherchen
    in Datenbanken
    Analyse von Geschäftsberichten
    Inspektionen von Betrieben
    kritische Verbraucher- und UmweltorganisationenBürokratien
    im Umweltbereich
    keine Anwendung von Entlaubungsmitteln in
    innerstaatlichen und internationalen Konflikten
    das internationale Konfliktpersonal Auswertung von Massenmedien und Literatur
    ferngesteuerte BeobachtungSchadstofftester
    FriedensforschungRüstungskontroll –
    Diplomatie

    Dr. Burkhard Luber ist Kurator der Stiftung „die schwelle“.
    „die schwelle“ ist eine gemeinnützige Stiftung, die den Zweck hat, zerstörerische Konflikte in unserer Gesellschaft und zwischen den Völkern zu erkennen und bewußt zu machen. Sie will zur Lösung und Heilung dadurch entstandener Schäden beitragen.
    Schwerpunkte der Arbeit: Regionale „Ausbildung zur Friedensarbeit“ (Lernen, Sich Besinnen, Kenntnisse Anwenden); Zusammenarbeit in Projekten der Friedenskirchen (American Friends Service Committee/Quäker, Church of the Brethren, Mennoniter) und im internationalen Netzwerk von „Church and Peace“; Hilfe zur Überwindung und Aufklärung der Folgen chemischer Kriegsführung und Umweltzerstörung in Vietnam und anderswo; Förderung von Handreichungen zur Friedenserziehung und Friedensforschung; Unterstützung des „Arbeitskreises Historische Friedensforschung“.
    Adresse: die schwelle, Heidland 9, D 2802 Fischerhude-Quelkhorn, Telefon 04293/1264.

Neue Technik – Rüstung – Destruktivkraftentwicklung

Neue Technik – Rüstung – Destruktivkraftentwicklung

Anmerkungen zum Verhältnis von ziviler Modernisierungspolitik und Rüstung in der Bundesrepublik

von Ulrich Dolata

Im Zuge der Auseinandersetzungen um das amerikanische SDI-Projekt hat eine im Grunde alte Kontroverse erneute Aktualität erlangt: die Debatte um die Wirkung von militärischer Forschung und Rüstungsproduktion auf den technologischen Innovationsprozeß und den ökonomischen Strukturwandel. Die Wiederaufnahme dieser Diskussion bekommt vor dem Hintergrund der schnellen Fortschritte in der Computer bzw. Informationstechnik und der beginnenden Modernisierung und Restrukturierung der industriellen Produktion zusätzliche, über das Thema Weltraumbewaffnung hinausreichende Bedeutung: Ist die heutige Rüstungsforschung ein Motor des technischen Fortschritts oder behindert sie den ökonomischen Modernisierungsprozeß Welchen Einfluß und welche Auswirkungen haben militärische Anforderungen auf die langfristige Ausrichtung von Forschungsprioritäten und technologischen Entwicklungsprofilen?

1. Neue Technik, deformierte Produktivkraftentwicklung und Rüstung

Vorweg ein wichtiger Hinweis, der oft übersehen wird: Entscheidende Deformationen in der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte – des menschlichen Arbeitsvermögens, der materiell-technischen Produktionsmittel, der Arbeitsgegenstände und des Wissenschaftsapparates – setzen bereits unterhalb des Einflusses von Rüstung und Krieg an und entspringen den Eigentümlichkeiten der kapitalistischen Produktion und Ressourcenlenkung selbst. Die Einführung und Verbreitung der neuen Technologien vollzieht sich trotz zahlreicher steuernder Eingriffe des Staates ja nicht auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Bedarfsplanung und einer entsprechenden Verteilung wissenschaftlicher, materiell-technischer, humaner und finanzieller Ressourcen, sondern immer noch in erster Linie unter dem Druck einer scharfen, oftmals ruinösen und konzentrationsfördernden Konkurrenz. Die international agierenden Konzerne sind heute der zentrale Maßstab des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in diesem Teil der Welt, ihr Verwertungsbedürfnis seine entscheidende Triebkraft. Sie sind zugleich Ausgangspunkt der beachtlichen Dynamik, die den wissenschaftlich-technischen Umbruch kennzeichnet, und Ursache gravierender Verzerrungen und Blockierungen im Prozeß seiner Durchsetzung:

– Dieser Prozeß schließt erstens die Vernichtung von Kapital und Produktivkräften zwangsläufig ein. Modernisierungspolitik ist unter diesen Bedingungen Kampf um die Monopolisierung entscheidender Forschungspotentiale ebenso wie Konkurrenz um überdurchschnittlich gute Produktionsbedingungen und Rationalisierungsvorsprünge. Sie beschleunigt die Oberproduktion, stimuliert den Konzentrationsprozeß und treibt die Zahl der Firmenpleiten zusätzlich in die Höhe. Zum Teil hochmoderne Produktionsanlagen werden stillgelegt oder nicht ausgelastet, zum Teil hochqualifizierte Arbeitskräfte müssen kurzarbeiten oder werden arbeitslos. Es ist dies direkte Vergeudung sachlicher Produktionsmittel und menschlichen Arbeitsvermögens.

– Er führt zweitens auch zu Deformationen in der regionalen und sektoralen Struktur der Produktivkräfte. Getragen von der Investitions- und Ansiedlungspolitik der Großunternehmen verstärken sich ohnehin vorhandene Disparitäten zwischen Hightech-Landschaften mit dichten Netzwerken von Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Industrie und ausgesprochen strukturschwachen Krisenregionen. Gleichzeitig führt diese profitorientierte Ressourcenlenkung immer wieder auch zu schnellen, überdimensionierten Kapitalwanderungen in gewinnträchtige Zukunftsindustrien (die ihrerseits oft schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit vor Überproduktions- und Anpassungsproblemen stehen) und blockiert den notwendigen Strukturwandel in krisengeschüttelten Bereichen. Nordrhein-Westfalen und die Stahlindustrie sind die aktuellen Beispiele hierfür.

– Er geht drittens einher mit z.T neuartigen, einschneidenden und demokratischer Kontrolle weitgehend entzogenen Eingriffen in komplexe Naturprozesse, die heute globale Bedeutung erlangen können. Wie in den fünfziger Jahren die Kerntechnologie, so steht heute die Gentechnik an der Schwelle der industriellen Nutzung und profitablen Verwertung. Ähnlich wie bei der Kerntechnik erhöht sich auch in diesem Fall das aus der Technologie selbst erwachsende Gefahrenpotential mit der privatwirtschaftlichen Verfaßtheit ihres Durchsetzungsmechanismus: die Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet werden vor allem in den Labors der international operierenden Pharma und Chemiekonzerne, die zugleich die Hauptprofiteure gentechnologischer Fortschritte sein werden, durchgeführt – und zwar weitgehend unbeschadet von wirksamer Kontrolle.

Hohe volkswirtschaftliche Verluste und gravierende ökologische Gefährdungen begleiten den Innovations- und Modernisierungsprozeß also schon während der normalen Geschäftsabwicklung. Die Rüstung vertieft diesen Trend und verleiht ihm z.T. neue Züge.

Rüstungsproduktion und Militärausgaben sind zunächst nichts anderes als zusätzliche Vernichtung von Produktivkräften und gesellschaftlichen Reichtümern. Sie absorbieren in großem Umfang modernste Produktionsmittel, qualifizierte Arbeitskräfte und Rohstoffe, binden und beeinflussen einen beträchtlichen Teil der Forschungs- und Wissenschaftsressourcen und belasten die staatlichen Finanzhaushalte – all dies ohne daß sie zur Reproduktion der materiellen Produktionsbasis oder zur Erhöhung des Lebensstandards einen positiven Beitrag leisten würden. Ein Großteil der für Rüstungszwecke bereitgestellten Mittel wird dem zivilen Bereich entzogen, das stoffliche Resultat (z.B. in Gestalt neuer Waffensysteme) tritt in der Regel jedoch nicht wieder in den volkswirtschaftlichen Kreislauf ein.1

Der Rüstungssektor entzieht dem zivilen Bereich jedoch nicht einfach nur Mittel und Ressourcen, sondern wirkt damit und darüber hinaus auch qualitativ auf den Innovationsprozeß und die Durchsetzungsformen des wissenschaftlich-technischen Umbruchs ein: Militärische Anforderungen beeinflussen Struktur und Ausrichtung auch des zivilen Forschungssektors und präformieren technologische Entwicklungsrichtungen. Hierzu einige auf die Bundesrepublik bezogene Hinweise.

2. Forschungspolitik im Spannungsfeld von Modernisierung und Remilitarisierung

Die konzeptionelle Ausrichtung und finanzielle Ausstattung von Forschungspolitik und Wissenschaftsapparat der Bundesrepublik orientiert sich heute an zwei entscheidenden Vorgaben:

Zum einen ist die zielgerichtete, effektive und profitable Erforschung und Entwicklung technologischer Spitzenprodukte zu einer zentralen Voraussetzung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der großen Konzerne geworden. Sie schlägt sich nicht nur in schnellem Wachstum und hoher Konzentration privatwirtschaftlicher Forschungstätigkeit nieder, sondern auch in wachsenden Anforderungen an die staatliche Forschungspolitik, insbesondere die Grundlagenforschung.2

Vor dem Hintergrund der Rüstungsdynamik des vergangenen Jahrzehnts und der Rüstungsprojekte der kommenden Jahre erfährt zum anderen die Instrumentalisierung von Forschung und Wissenschaft für militärische Zwecke eine erneute und deutliche Aufwertung. Seit dem Beginn der achtziger Jahre hat es überproportionale Steigerungsraten der Bundesausgaben in diesem Bereich und damit eine signifikante Akzentverschiebung in Richtung Rüstungsforschung gegeben. Heute geht ungefähr ein Fünftel der offiziell ausgewiesenen Forschungsausgaben des Bundes in die Rüstungsforschung.3 Parallel hierzu hat sich der Zugriff des Militärapparates auf die zivilen Forschungsplanungen und -ergebnisse verstärkt. Eine ressortübergreifende Abstimmung der Forschungsplanung zwischen den an einzelnen Programmen beteiligten Ministerien und dem BMVg erfolgt mittlerweile in all jenen wissenschaftlich-technischen Bereichen, die angesichts dualer Nutzungsmöglichkeiten der dort erzielten Forschungsergebnisse offenkundig auch militärisch relevant sind: in erster Linie die Informationstechnik, die Materialforschung sowie die Luft- und Weltraumtechnik.4

Zusätzliche Impulse für die zivile Innovationsdynamik und Modernisierungspolitik sind von dieser stärkeren Gewichtung der militärischen Forschung und engeren Verknüpfung ziviler und militärischer Forschungsinteressen nicht zu erwarten:

– Erstens sind bislang alle grundlegenden Erfindungen oder Vorarbeiten zu bedeutenden Neuerungen in zivilen Laboratorien entstanden. Die Richtung des Innovationsflusses weist eindeutig vom zivilen in den militärischen Bereich. Rüstungsforschung ist also zunächst einmal parasitär, d. h. auf einen grundlegenden „spin-in“ aus den zivilen Forschungsbereichen angewiesen.5

– Zweitens haben eine Reihe von Untersuchungen gezeigt, daß die nachweisbare Zeit der zivil genutzten „Abfallprodukte“, die auf militärisch motivierte F&E zurückgehen, bemerkenswert gering ist: Der vielbeschworene spin-off liegt bei maximal 5 bis 10 Prozent, d.h. höchstens ein Zehntel aller militärischen Forschungsarbeit wird für zivile Anwendungen überhaupt relevant.6

– Drittens schließlich ist die moderne Waffenentwicklung und -produktion wesentlich forschungs- und kostenintensiver als zivile Produktion – eine Tatsache, die in erster Linie den extremen Gebrauchswertanforderungen und Qualifikationsansprüchen heutiger Rüstungsgüter entspringt.7

Breitstreuende technologische Impulse aus der Rüstungsforschung wird es für den zivilen Bereich wohl auch in Zukunft nicht geben. Das bedeutet allerdings keineswegs – wie es in manchen Kritiken anklingt -, daß die Ausweitung militärischer F&E zwangsläufig auch in Konflikt gerät zu der Maxime, die internationale Konkurrenzfähigkeit bundesdeutscher Unternehmen zu steigern:

  • Erstens sind die wachsenden militärischen Forschungsausgaben ein gutes Stück weit auch Wettbewerbsförderung, nämlich für jene Bundeswehrlieferanten die es zunehmend auf die internationalen Rüstungsmärkte drängt.
  • Zweitens dürfen die Forschungsmittel und -kapazitäten, über die die international operierenden Unternehmen selbst verfügen, nicht unterschätzt werden. Gut zwei Drittel aller F&E-Ausgaben der Bundesrepublik werden heute bereits vom privaten Unternehmenssektor aufgebracht. Siemens beispielsweise brachte im Geschäftsjahr 1986/87 rund 6 Mrd. DM für die Forschung auf und blieb damit nicht weit hinter dem Etat des Forschungsministers zurück.8 Grundsatzentscheidungen über die Ausrichtung der betrieblichen Forschungsschwerpunkte werden im Regelfall im Konzern selbst getroffen oder können größten teils auch über die eigenen Forschungsabteilungen (oder in Kooperation mit anderen Unternehmen) realisiert werden.
  • Drittens ist zumindest bislang nicht erkennbar, daß die Ausweitung der Rüstungsforschung tatsächlich zu Lasten derjenigen zivilen F&E-Vorhaben geht, die für die exportorientierten Konzerne und Industrien von Bedeutung sind. Es hat im Gegenteil den Anschein, als sei die militärische F&E ein Vehikel, um zusätzliche Mittel in forschungspolitisch ohnehin privilegierte High-tech-Sektoren fließen zu lassen.

Das Problem der Verdrängung und Vernachlässigung ziviler Forschungsaufgaben ist daher bislang weniger im Bereich der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu verorten als auf den ökologischen und sozialen Problemfeldern. Dort zeigen sich die eigentlich brisanten Forschungsdefizite und wird eine Fehlallokation von Ressourcen offenkundig, die nicht allein der (wachsenden) Rüstungsforschung geschuldet ist, durch diese aber zusätzlich gefördert wird.

3. Rüstung und das Problem einer militärisch präformierten Technologieentwicklung

Bislang ist entwickelt worden, daß Militär und Rüstung die Produktivkraftentwicklung tendenziell hemmen und systembedingte Deformationen zusätzlich verstärken. Darber hinaus stellt sich die Frage, ob Rüstung und militärische Interessen eigenständige Deformationen in der Produktivkraftentwicklung hervorrufen, indem sie relevante technologische Entwicklungslinien präformieren. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die Verwirklichung und konkrete Ausprägung bestimmter Technologien selbst maßgeblich der Rüstung geschuldet sind. In der Bundesrepublik richtet sich der Verdacht einer derartigen Präformierung zumindestens auf zwei Richtungen moderner Produktivkraftentwicklung: auf die Kerntechnik und auf die Weltraumtechnik.

Für die Entwicklung der Kerntechnologie lassen sich zur Erhärtung dieses Verdachts die folgenden Argumente ins Feld führen: Zum einen besteht mittlerweile kaum noch ein Zweifel daran, daß für den bundesdeutschen Einstieg in die Kernenergie neben und zusammen mit finanzkapitalistischen Verwertungsinteressen militärische bzw. machtpolitische Motive den Ausschlag gegeben haben. Die energiepolitischen Begründungen waren demgegenüber zumindest anfänglich eindeutig vorgeschoben. Zweitens ist festzuhalten, daß die in der Bundesrepublik gebauten, (mit-)entwickelten oder geplanten Atomanlagen in technischer Hinsicht entweder eine militärisch vorstrukturierte Entwicklungsgeschichte aufweisen oder so ausgewählt worden sind, daß sie auf dem Weg zur Atombombenherstellung lagen und nahe an dieses Ziel heranführten. Bezeichnend für viele Projekte in diesem Bereich ist drittens, daß hier keineswegs die zivil wirtschaftlichste Technologie ungewollt die am ehesten militärisch mißbrauchbare ist. Vielmehr ist die zivile Unwirtschaftlichkeit, wie insbesondere der Schnelle Brüter, absehbar auch die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zeigen, ein hervorstechendes Merkmal dieser Vorhaben.9

Nun wäre es sicherlich falsch, der Geschichte der Atomtechnik und -wirtschaft in der Bundesrepublik ausschließlich oder hauptsächlich militärische Motive und Ziele zu unterstellen.Tatsache ist gleichwohl, daß der Drang zur Bombe eine mitentscheidende Triebkraft des forcierten Ausbaus dieser Energieform gewesen ist und nachdrücklich zu den energiepolitischen Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte bis hin zum Hanauer Nuklearskandal unserer Tage beigetragen hat.

Eine strukturell ähnliche Entwicklung ist für die Zukunft im Bereich der Weltraumtechnik zu befürchten: Vor allem die im Herbst 1987 beschlossenen Vorhaben der bemannten Raumfahrt bedeuten eine langfristig ausgerichtete forschungs- und technologiepolitische Grundsatzentscheidung für ein internationales Großprojekt, dessen Nutzen für die zivile Wissenschaft und den technologischen Innovationsprozeß auf der Erde ausgesprochen fragwürdig ist. Wirklich schlüssige Argumente für die Notwendigkeit extrem kostenintensiver bemannter Systeme im All konnten von ihren Befürwortern bislang nicht beigebracht werden. Stattdessen finden sich zahlreiche Hinweise für die Vermutung, daß die meisten der der bemannten Raumfahrt zugeschriebenen Forschungsaufgaben zu weitaus geringeren Kosten unbemannt erledigt bzw. auf der Erde abgewickelt werden könnten. In der Mikroelektronik und Chip-Produktion, im Pharmabereich und in der Gentechnik haben die Fortschritte der irdischen Technik dazu geführt, daß eine entsprechende Forschung und Produktion im All heute kaum noch notwendig ist und überdies um ein Vielfaches teurer wäre.10 Zivile Forschungsinteressen können das Bonner Weltraumengagement kaum erklären.

Nicht zu unterschätzen sind dagegen die außen- und europapolitischen Motive der bundesdeutschen Raumfahrtpläne. Die (bemannte) Raumfahrt galt schon immer als besonders prestigeträchtiges Feld vor allem in der politischen Systemauseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und den USA. Von dieser „Bedeutung des Weltraums als Element des politischen Selbstvertrauens“ sollen in Zukunft auch Westeuropa und die Bundesrepublik profitieren. Die Obergänge zu sicherheits- und militärpolitischen Überlegungen sind vor hier aus fließend. Sie kreisen um drei Kerngedanken: zum einen um den Aufbau eines autonomen westeuropäischen Aufklärungs- und Nachrichtensatellitensystems für Verteidigungszwecke; zweitens um die Installation eines Raketenabwehrsystems im Weltraum – die europäische SDI-Variante, kompatibel mit der amerikanischen Weltraumbewaffnung; drittens schließlich um die Festigung und den Ausbau der militärischen Achse Bonn-Paris, die schon heute die entscheidende Kraft der westeuropäischen Weltraumpolitik ist.11

Zweifellos ist der militärische Sinn einer bemannten Raumstation ebenso umstritten wie ihr ziviler Nutzen. Das ändert jedoch nichts daran, daß es militärische Optionen und auch Zugriffsmöglichkeiten auf die Entwicklung der westeuropäischen Raumfahrt gibt: An der Planung und Ausarbeitung der Weltraumpolitik ist das Verteidigungsministerium direkt beteiligt; ihre produktionstechnische Umsetzung liegt in den Händen der führenden westdeutschen Luftfahrt- und Rüstungskonzerne, die ebenfalls eng mit der Bonner Hardthöhe zusammenarbeiten.

Diese Konzerne sind es auch, die als Herstellerfirmen direkte ökonomische Interessen am Weltraumgeschäft haben. Infrage kommen dafür nur eine Handvoll Unternehmen, die allerdings im ökonomischen und politischen Machtgefüge der Republik eine gewichtige Rolle spielen: MBB/Erno und Dornier, mit deutlichem Abstand zudem der MAN-Konzern, AEG und ANT. Damit ist mit MBB und (über Dornier und die AEG) Daimler-Benz die Creme der bundesdeutschen Rüstungsindustrie nahezu konkurrenzlos im Raumfahrtgeschäft tätig.12

Das Interessenkartell der bundesdeutschen Weltraumpläne gewinnt damit deutliche Konturen – ein exklusiver Kreis aus Politik, Wirtschaft und Militär, aus dem die Interessen der zivilen Forschungs- und Modernisierungspolitik weitgehend herausfallen. In Anbetracht der zu erwartenden Kosteneskalation – schon die Vorbereitungskosten für Ariane 5, Hermes und Columbus sind von 1986 auf 1987 um 40 bis 50 Prozent gestiegen 13 – wächst mittlerweile auch in Industriekreisen die Befürchtung, daß der Aufstieg ins All mit tiefgreifenden Einschnitten im Forschungshaushalt verbunden sein wird. In der Tat ist die Annahme keineswegs abwegig, daß die Raumfahrtprojekte in einigen Jahren ein Viertel der Mittel des BMFT absorbieren könnten. Dies aber würde mit Sicherheit nicht nur eine weitere Beschneidung bzw. Verdrängung sozialer und ökologischer Forschungsprogramme mit sich bringen, sondern überdies auch wichtige Projekte im Bereich der Grundlagenforschung gefährden und der Forschungspolitik über lange Zeit die notwendige Flexibilität nehmen.

Der großangelegte, maßgeblich militär- bzw. machtpolitisch motivierte Einstieg in die Raumfahrttechnologie ruft damit ebenfalls eigenständige Deformationen in der Produktivkraftentwicklung hervor. Er ist ähnlich wie seinerzeit die Entscheidung für die Kerntechnik mit einer langfristigen Orientierung auf eine technologische Entwicklungslinie verbunden, deren ziviler Nutzen absehbar gering bleiben wird, deren Kosten und Gefahren aber kaum zu unterschätzen sind.

Anmerkungen

1 vgl. J. Huffschmid (Hg.): Rüstungs- oder Sozialstaat?, Köln 1981, S. 163 ff.; ders.: Kapitalismus und Rüstung – die ökonomischen Aspekte bei Marx und die heutigen Probleme, in: Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF, Sonderband 1/1982, Frankfurt/M., S. 131 ff. Zurück

2 vgl. BMFT (Hg.): Bundesbericht Forschung, Bonn 1984, S. 11 ff. Zurück

3 vgl. R. Rilling: Militärische Forschung: Die Remilitarisierung der Wissenschaft, in: BdWi (Hg.): Forschungs- und Technologiepolitik. Kritik und Alternativen, Marburg 1986, S. 23. Diese Entwicklung wird sich 1988 nicht fortsetzen. In Anbetracht der überproportionalen Steigerungsraten für militärische Forschung in den vergangenen Jahren und der geplanten Modernisierungswelle der neunziger Jahre ist der für 1988 anvisierte geringfügige Rückgang der entsprechenden Ausgaben wohl als vorübergehende Stagnation auf hohem Niveau zu werten. Vgl. H.-Chr. Hartig: Preissteigerung und Kostenaufwuchs – Risiken für die Bundeswehrplanung, in: Wehrtechnik 8/1987, S. 16 f. Zurück

4 vgl. D. Forndran: Das Forschungs- und Technologiekonzept, in: Wehrtechnik 7/1986, S. 82 ff., C. Melis/K. Puls: Grundsätze und Ergebnisse der Forschungs- und Technologiepolitik der BRD nach dem Bundesbericht Forschung 1984, Berlin 1986 S. 25 ff.; 45 f. Zurück

5 vgl. L. Wingerdt: Rüstungsforschung und kapitalistischer Reproduktionsprozeß, in: IPW Berichte 11/1986, S. 27 Zurück

6 vgl. die vom Bundesforschungsminister in Auftrag gegebene Studie der Industrieanlagen-Beratungsgesellschaft: Ziviler Nutzen militärisch motivierter Forschung und Entwicklung, Bonn 1985 Zurück

7 vgl. SIPRI Yearbook 1981. World Armaments and Disarmaments, London 1981 S. 7, R. Rilling: Welchen zivilen Nutzen hat SDI?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/1985, S. 570 Zurück

8 vgl. W. Adamczak: Perspektiven der Forschung. Der graue Plan der DFG, in: Forum Wissenschaft 4/1987, S.33 (Tab.2); Die Zeit 4/1988 v. 22.1.1988, S. 25 Zurück

9 vgl. J. Radkau: Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945-1975, Reinbek 1983, S. 120 ff.,185 ff.; U. Schelb (Hg.): Reaktoren und Raketen, Köln 1987 Zurück

10  vgl. E. Keppler: Raumfahrttechnik 1986 – Entwicklungsstand und Perspektiven, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 9/1986, S. 537 ff.; H. Krupp: Die bemannte Raumfahrt ist unsinnig, in: Industriemagazin 10/1986, S. 19 f. Zurück

11 vgl. Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) (Hg.): Deutsche Weltraumpolitik an der Jahrhundertschwelle, Bonn 1986; Memorandum. Kritik der Bonner Weltraumpolitik, Bonn 1987; D. Engels/J. Scheffran: Westeuropa – die drifte Großmacht im All?, in: D. Engels/J. Scheffran/E. Sieker (Hg.): SDI – Falle für Westeuropa, Köln 1987, S. 214 ff. Zurück

12 vgl. A. Gottschalk: Cui bono? oder: Der ökonomische Sinn bemannter Raumfahrt, in: Forum Wissenschaft 3/1987, S. 21 f. Zurück

13 vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.6.1987, S. 6 Zurück

Ulrich Dolata Ökonom, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen

Das Strategic Computing Program nach vier Jahren

Das Strategic Computing Program nach vier Jahren

von Chris H. Gray

Das US-amerikanische Strategie Computing Program (SCP) und die Computeraspekte von Star-Wars (SDI) sind ein Gegenstand großer Debatten unter den Computerwissenschaftlern geworden.1 Während der US-Operationen auf See gegen Libyen im Frühjahr ´86 feuerte das Anti-Flugzeug-System der USS Yorktown, einem Schiff der Aegis-Klasse (ausgestattet mit dem Phasenradar SPY, Standard 2 Raketen und Phalanx Maschinengewehren, verbunden durch Computerprogramme, so daß Aegis unter menschlicher Kontrolle oder automatisch agieren kann), Raketen von alleine los – aufgrund eines nicht identifizierbaren Radarkontaktes. Vielleicht war es eine niedrigfliegende Wolke, sagte die Navy.2 Dies beleuchtet daß die bedeutendste und vernachlässigte Realität des SCP: Es ist nur Teil einer weiterreichenden Entwicklung – der Automatisierung des modernen Krieges.

Unfälle wie die erwähnten Fehlschüsse werden weiter anwachsen, wenn die Entwicklung automatischer Waffen weitergeht. Früher datiert als SCP sind Fehlurteile der Menschen über solche Systeme,3 besonders über ihre Rolle in der Waffenentwicklung durch Modellierung und computersimulierte Tests.4

Das SCP muß in diesem gegenwärtigen Kontext verstanden werden. Es ist die Vorhut einer breiteren Umwälzung der Militärtechnologie und des Denkens, das vor hundert Jahren begann – wenn nicht früher. Die Reichweite und Klarheit des SCP enthüllt diese generelle Bewegung zum Hochtechnologiekrieg, besonders die Implikationen der Computerisierung, aber es ist nur Teil eines größeren Prozesses.

Die Verbindungen zwischen Technologie und Krieg blieben lange innig, aber ambivalent; nicht so sehr aus kulturellen Gründen sondern weil der voreilige Einsatz neuer Technologien ebenso verheerende Folgen haben kann wie deren Ignorierung (Janowitz 1960). Seit 1945 hat sich jedoch eine neue Situation entwickelt, die kontinuierliche technologische Innovation, permanente militärische Mobilisierung und große politische Macht verbindet. Es ist verschiedentlich Kalter Krieg genannt worden, permanenter Krieg (Melman 1974), technologischer Krieg (Possony und Pournelle 1970), Technokrieg (Gibson 1987), Krieg ohne Ende (Klare 1972), die Institutionalisierung des Militarismus (Donovan 1970) und der reine Krieg (Virilio und Lotringer 1983). Einige sagen, es ist überhaupt kein Krieg, und nennen es Exterminismus (Thompson 1980) oder Nuklearismus (Lifton 1970).5

1. Militär und KI

Hochtechnologie wird heute als integraler Bestandteil militärischer Stärke gesehen (Deitchman 1985, DARPA 1983). Es überrascht daher nicht, daß die gegenwärtige US-Militärdoktrin die Anwendung Künstlicher Intelligenz und anderer fortgeschrittener Computerentwicklungen zur Notwendigkeit erklärt hat. Es ist wesentlich für Star-Wars, es ist zentral für die Air-Land-Battle-Doktrin,6 es ist integriert in die C3I-Anforderungen (Command, Control, Communication and Intelligence) aller Kriegsarten, die vom Pentagon ausgedacht werden; von „begrenzten“ (verdeckte Kriegsführung, Guerilla-Aktionen, Anti-Terror-Aktionen) bis zu „generellen“ Kriegen (nukleare, nichtnukleare, subnukleare).

Die US-Army z.B. hat sich fünf High-Tech-Felder herausgegriffen, vier davon beziehen sich direkt auf Künstliche Intelligenz (KI): Hochintelligente Beobachtungs- und Zielverfolgungssysteme (VISTA), verteilte Befehls-, Kontroll-, Kommunikations- und Aufklärungssysteme (DC3I), selbststeuernde Munition, Schnittstelle Soldat- Maschine und Biotechnologie.7 Diese Auswahl zeigt, wie das US-Militär Technologie, gemessen an den „Facetten des modernen Schlachtfeldes, das tief, schmutzig, diffus und dynamisch sein wird“,8 nutzen will.

Es gibt eine Zahl bedeutender Fortschritte auf diesem Wege. Politisch ist es leichter, Maschinen in einer Schlacht zu verlieren als Menschen, es ist leichter, Maschinen zu bauen als Menschen der Wehrpflicht zu unterwerfen. Aus dem Blickwinkel der Militärwissenschaft gibt es eine starke Evidenz, daß die menschliche Zuverlässigkeit, die „unter Feuer“ schon immer suspekt war, noch weiter abfällt unter den „hyperlethalen“ Bedingungen des modernen Schlachtfeldes (Marshal 1947, Keegan 1976, Hunt & Blair 1985). Diese Faktoren und andere sind mächtige Triebkräfte im langen Prozeß der Mechanisierung des Managements und der einfachen Entscheidungen im US-Militär (Gray 1987a).

Auf anderer Ebene haben einige Wissenschaftler nach tieferliegenden psychologischen Strukturen oder Kräften gesucht, die hinter dem andauernden Kalten Kriegssystem stecken (Lifton 1970, Sofia 1984).

2. Militärische KI außerhalb des Strategischen Computerprogramms und von SDI

Künstliche-Intelligenz-Projekte außerhalb des SCP beinhalten einen großen Umfang an Forschungen über sogenannte „brillante“ oder „autonome“ Raketen (sie wählen ihre eigenen Ziele), einen Roboter als „Hindernisräumpanzer“ (ein Minenräumer), ein autonomes Vehikel, um Minen unter Wasser anzubringen, alle Sorten automatischer Konstruktionsanlagen, ein weites Feld der Rotoberforschung 9 und zahlreiche Programme zur Automatisierung der Wartung der High-Tech-Waffen. Neben diesen Projekten unternimmt das US-Militär weitreichende Anstrengungen, um seine eigenen KI-Forschungskapazitäten zu steigern durch den Aufbau und das Anwachsen militärischer KI-Laboratorien. Es gibt ein neues KI-Institut in den Wright Aeronautical Laboratorien der Luftwaffe, ein Zentrum für Expertensysteme und neue Mittel für das Rome Air Development Center der Luftwaffe und gleichlaufende Ausweitungen des Laboratoriums des Heeres in Aberdeen, Maryland und Marine KI und Robotik-Forschungszentren. Die nationalen Labors, wie in Livermore, das Jet Propulsion Lab, das National Bureau of Standards, Oak Ridge und Sandia, sind gleichfalls stark in die Erforschung dieser Gebiete involviert.10 Zugleich hat ein explosionsartiges Wachstum in Forschung und Anwendung der Kl stattgefunden in angrenzenden, nichtmilitärischen Bereichen: bei den Nachrichtendiensten (NSA, CIA) und bei polizeilichen .Einrichtungen.11

Um diese US-Bemühungen in der richtigen Perspektive zu sehen, ist es wichtig zu betonen, daß andere Militärmächte an militärischer KI arbeiten. Es gibt Schwerpunktprogramme in Großbritannien, Israel, Australien, China, der UdSSR u.a.12

3. Das Strategische Computerprogramm (SCP) und SDI

Mit dem Strategic Computing Program, das offiziell im Oktober 1983 gestartet wurde, versucht das Verteidigungsministerium sich auf Jahre in die Computerforschung einzukaufen. Die Demonstrationsprojekte sind nur ein kleiner Teil des gezielten Versuches, die nächste Generation der Computertechnologie im militärischen Kontext zu entwikkeln. Das Management des „Sternenkrieges“, wahrscheinlich das komplexeste und größte Software-Projekt, das es je gab, ist konzeptionell (obwohl nicht von der administrativen Seite) Teil des SCP. Die wissenschaftlichen Durchbrüche bei den Computern, die SDI braucht, zu bewirken, ist das Schlüsselziel des SCP.

Die Original-Demonstrationsprojekte (autonomes Geländefahrzeug, der automatische „Co-Pilot“, Seekriegsmanagement) wurden erweitert durch ein Air-Land-Battle-Management, Radarbildanalysen (radar imagery analysis) und „intelligente“ Waffen (smart weapons); alles konkrete militärische Anwendungen. Diese Projekte sind Schlaglichter. Was das SCP besonders relevant macht, ist der Versuch, Maschinenintelligenz zu „revolutionieren“. Ohne fundamentale Durchbrüche in der Computerarchitektur, der Symbolverarbeitung und ähnlichen Feldern werden die militärischen KI-Projekte unmöglich durchzuführen sein. Wie Stephen Squires, zu dieser Zeit Assistent-Director des Informating Processing Techniques Büro der DARPA, es ausdrückte: „Wir versuchen, wirklich einen neuen Typ der Computertechnologie zu entwickeln, nicht nur einfach neue Hardware.“13

Die Demonstrationsprojekte sind abhängig von Fortschritten in einer ganzen Zahl von Untergebieten. Das SCP konzentriert sich auf mechanischeVision, Spracherkennung, Arbeit mit natürlicher Sprache und Expertensysteme. Die Arbeit auf diesen Gebieten wiederum ist abhängig von Innovationen und Entdeckungen in den Bereichen Hardware- und Softwareentwicklung, von denen angenommen wird, daß sie die Verarbeitungsfähigkeiten der Computer um ein Vielfaches steigern und daß sie weitreichende Verbesserungen in der Automatisierung der Produktion und des Technologietransfers bewirken werden.

Trotz der anhaltenden Kritik durch Wissenschaftler und andere werden sowohl das SCP als auch Star Wars mit außerordentlich hohen Beträgen weiterhin gefördert. Das SCP sieht für den zweiten Fünf-Jahres-Plan eine Verdoppelung der 339 Millionen Dollar, die in der ersten Phase verausgabt wurden, vor (D´ARPA 1987, p.26).

DARPA verkündet große Fortschritte beim SCP, und die Industriepresse pflichtet dem gewöhnlich bei. Auf einigen Gebieten hat tatsächlich Fortschritt stattgefunden, besonders in der Hardwareproduktion, in der Erhöhung der Rechengeschwindigkeiten und im erfolgreichen Testen von Prototypen einiger der neuen symbolischen Prozessoren. Auf anderen Gebieten jedoch, speziell in der Softwareentwicklung, gibt es noch immer signifikante Verzögerungen.

Zum Beispiel rechnete der Original Strategic Computing Report mit unsicheren Wahrscheinlichkeiten in puncto Gefechtsfeldmanagement bis Ende 1985 (DARPA 1983, chart W6196CJ3285). Auf dem Workshop zum Gefechtsmanagement der AAAI-87 wurden verschiedene Ansätze des Umgangs mit Ungewißheiten heiß debattiert, mit dem einzigen Konsens, daß eine funktionierende Lösung erst noch demonstriert werden müsse. Gleiche Defizite können für andere schwere Softwareaufgaben festgestellt werden.

Viele Kritiker haben diese Differenz zwischen Hardware und Softwarerichtmarken erwartet. Einige fahren fort vorherzusagen, daß – wenn schon die Ziele in den Hauptfeldern der Softwareentwicklung nicht erreicht würden – die Arbeit dennoch vorankomme aufgrund der zahlreichen Zwänge, etwas vorzulegen, und sie führen irgendetwas ein, um die Anstrengungen zu rechftertigen. Wie die Dreyfus-Brüder anmerkten:

„Nachdem ungeheure Summen Geld ausgegeben wurden, wird die Versuchung groß sein, die Ausgaben zu legitimieren durch das Installieren fragwürdiger KI-gestützter Technologien in eine Vielzahl kritischer Zusammenhänge – von der Datenreduktion bis zum Gefechtsfeld-Management“ (Dreyfus und Dreyfus 1986, p. 8).

4. Implikationen militärischer KI

Die klarste Verbindung des SCP besteht mit dem etablierten militärisch-industriellen Komplex (so benannt durch Präsident Eisenhower). Zahlreiche militärische Kommandostellen (16 bei der DARPA 1987, S.35 aufgelistet) und die Teilstreitkräfte (die Marines sind die Ausnahme) sind stark im SCP und anderen KI-Projekten involviert. Außerhalb des Pentagon ist das industrielle und akademische Engagement ebenfalls stark. In der Tat, wenn man die Reichweite der militärischen KI-Arbeit erkundet hat, ist klar, daß in der AK-Industrie und dem akademischen Bereich der Begriff „Abhängigkeit“ zutrifft. Das Problem ist, sorgfältig zu entwirren, was es heißt, daß akademische und kommerzielle KI-Forschung so vom US-Militär beherrscht werden.

Der gegenwärtige Boom der KI-Firmen und der neuen KI-Abteilungen kann in weiten Teilen auf die Aufrüstung zurückgeführt werden. Traditionelle Rüstungs-Vertragspartner haben entweder ihre eigenen KI-Abteilungen aufgebaut (TRW, Martin-Marietta, Lockheed, Boeing, Rockwell International, General Electric, Goodyear, McDonnell Aircraft, Texas Instruments, Mitre Hughes, GTE, General Dynamics und FMC) oder sich in kleinere Gesellschaften eingekauft.14 Eine Liste der SCP-Vertragsunternehmen 15 zeigt die Ausdehnung dieser Entwicklung sowie die Einbeziehung der meisten mittelgroßen KI-Firmen in die militärische Computerentwicklung und die Existenz vieler kleiner KI-Unternehmen, die von militärischen Aufträgen total abhängig sind.

Diese gleiche Entwicklung kann bei vielen akademischen KI-Programmen gefunden werden 16 ist eine bewußte Politik des Militärs, das hofft, die KI-Forschung für seine Bedürfnisse gestalten zu können.17 Einige Computer-Wissenschaftler haben hervorgehoben, daß die Militarisierung für die KI als Wissenschaft nicht günstig sei (Weizenbaum 1976, Winograd 1987). Als ein Punkt diesbezüglich sei erwähnt: Georgia Tech ist so stark zu einem militärischen Laboratorium geworden, daß nur Studenten mit Sicherheitsüberprüfungen voll an den Forschungen teilhaben können.18

Nicht nur die Entwicklung der industriellen und akademischen KI, die an militärischen Prioritäten ausgerichtet ist, auch die Politik und die Militärpolitik haben sich verstrickt, ja umgarnt mit Illusionen über Computerisierung. Es ist klar, daß im Fall fortgeschrittener Computertechnologie ein wirklicher Einfluß auf die Militärpolitik gegeben ist. Dies spiegelt sich in einigen gescheiterten Missionen wider (die Geisel-Rettungsaktion im Iran, die versuchte Ghaddafi-Ermordung,19 und in fortdauernden Illusionen nicht nur über begrenzte Kriege (Libanon Libyen, Zentralamerika, Persischer Golf), sondern auch über den Nuklearkrieg (Pringle & Arkin 1983, Ford 1985).

Einige dieser Verbindungen zu skizzieren, zeigt, daß weder technologischer Determinismus noch Technologie als Politikersatz die komplexe, selbstlaufende Dynamik des militärischen High-Tech-Systems heutzutage erklären können. Beides scheint zu stimmen, und doch können sie beide nicht vollständig die unerbittliche Ausweitung der Computer in alle militärischen Gefilde erklären, die ja selbst dann stattfindet, wenn sich diese Expansion als eindeutig ineffektiv oder kontraproduktiv erweist. Das legt nahe, daß es andere, tiefer liegende Rückkopplungen und Interaktionen geben muß, die noch nicht erklärt sind.

5. Andeutungen der militärischen KI

Das Projekt der KI – die Imitation und Simulation des Verstandes, der Wahrnehmung, der aktiven Intelligenz und von Teilen daraus – scheint die wesentlichen Eigenschaften zu haben, um es in das Zentrum vieler philosophischer Themen zu rücken. In dem Ausmaß, in dem die KI militarisiert ist, werden diese philosophischen Fragen zugleich politisch und militärisch, wie es einige Wissenschaftler gezeigt haben, hinsichtlich der Grenzen der Korrektheit (von Programmen) (Smith 1985) und der Unterschiede zwischen natürlichen und künstlichen Sprachen (Pullum 1987, Winograd 1987). In der Debatte über militärische KI werden die fundamentalen epistemologischen Sätze angefochten. In vielerlei Hinsicht kann die militärisch-akademisch-industrielle KI-Gemeinschaft als ein Macht/Wissen-Diskurssystem analysiert werden (wie durch Foucault 1980 definiert), geformt durch emotionale und politische Prozesse sowie durch wissenschaftliche und philosophische Argumente (Gray 1987 b).

Technologischer Wandel hat auch bedeutende Wirkung auf dieses diskursive System, wie es der Punkt der Definition des Menschlichen illustriert. Die Basis des menschlichen Selbstverständnisses scheint sich rapide zu ändern unter dem Einfluß der Computer (Turkle 1984), besonders in Richtung auf Bilder von Cyborg (des Computer-Menschen, des Homuter, d. Red.) (Haraway 1985). Paul Edwards hat gezeigt, wie eindeutig die Militarisierung der Informatik in dieser Hinsicht sein kann:

„(…) vielleicht am wichtigsten ist das Verständnis, in das sich das Wissen von uns selbst geändert hat durch die militärischen Zwecke, die hinter der KI-Forschung stehen. Das Wesen, das uns konzeptionell am nächsten angesiedelt ist, wird nicht länger, sagen wir Gott oder ein Affe sein, sondern ein wandelndes, redendes, elektromechanisches Waffensystem. Dieser neue Spiegel wird, wie diejenigen, die ihm vorausgingen, uns mit Metaphern versorgen, um unseren Platz in der Welt, uns selbst und uns gegenseitig zu verstehen.“ (Edwards 1985, p. 17)

Die Grenze zwischen Mensch und Maschine war niemals vage: sie beginnt sich zu verwischen wie die Grenze zwischen Wissenschaft und science fiction. Zum Beispiel haben sie bei Wrigth-Patterson AFB Menschen, die, als Teil der Arbeit zur Unterstützung der Piloten, so tun, als ob sie Computer seien – von denen wiederum angenommen wird, simulierten menschliche Experten.20 Während Anstrengungen zunehmen, Computer freundlicher oder humaner zu machen, gibt es zugleich die Anforderung, Menschen maschinengleicher zu machen – besonders im Krieg. Dies wiederum führt zum wachsenden Gebrauch von Maschinen und zu deren Engerverbindung mit den Soldaten (Hunt & Blair 1985), zur Anwendung von emotionsloser Sprache, von Hypnose und von Drogen, um Individuen im Krieg berechenbarer und kontrollierbarer zu machen (Weick 1985).

Diese Trends – zusammen mit der unglaublichen Steigerung in der Vernichtungsfähigkeit und der Vervollkommnung der Waffen (Geschwindigkeit, Reichweite, Stärke) des modernen Krieges – legen nahe, daß die grundlegende Wirkung von High Tech die Wandlung des Charakters des Krieges ist – wenn es überhaupt noch Sinn macht, dies Krieg zu nennen. Ist der Charakter des Menschen dabei, sich gleichermaßen zu verändern?

Dieser kurze Blick genügt, um zu zeigen, daß viele wichtige Konsequenzen nicht im geringsten bedacht sind. Im Sinne des Wortes wird diese Technologie unbewußt entwickelt, wie jedes andere Waffensystem, wie jede andere Quelle von Geschäften, Vergünstigengen und eventuell von militärischer Macht. Als Menschen, die denken, es kontrollieren zu müssen, müssen wir die verschiedenen Triebkräfte verstehen.

Der Komplex von Faktoren, die solchen Projekten wie dem SCP zugrunde liegen, deutet an, daß Einmischung auf verschiedenen Ebenen möglich ist: politisch, wissenschaftlich, philosophisch. Politisch, weil diese Programme politisch sind und sich ihre eigene Gefolgschaft in Industrie und in der akademischen Szene geschaffen (man kann auch sagen: gekauft) haben. Wissenschaftlich, weil viele der Anforderungen an militärische KI empirisch geprüft werden müssen. Waffensysteme müssen durch Wissenschaftler und militärische Nutzer streng, d.h. praxisnah beurteilt werden: Wenn sie nur anhand von Theorien (Modelle, Simulationen) oder von Teilsystemen bewertet werden, müssen sie als falsch beurteilt werden. Militärische KI muß zugleich philosophisch geprüft werden wegen ihrer direkten Wirkung auf die grundlegenden moralischen und ontologischen Kategorien der Menschheit.

Was entschieden werden muß, sind nicht die Grenzen des KI-Paradigmas, es sind unsere Zukunft, das Wesen des Menschen, die Wahrscheinlichkeit und die Natur des Krieges und der Konflikte jenseits des Krieges. Es ist nicht die Zukunft der KI, die auf dem Spiel steht, aber die der natürlichen Intelligenz.

Literaturhinweise

DARPA (1983,, Strategic Computing, October 28. Dept. Of Defense
DARPA (1987), Strategic Computing Third Annual Report, February. Dept. of Defense
Donovan, Col. J., UCMC Ret (1970), Militarism U.S.A.
Deitchman, S. (1985), Weapons, Platforms and the New Armed Services. Issues in Science and Technology, Spring 1985, pp. 83-107
Edward, R (1985), Border Wars: The Science and Politics of Artifical Intelligence Radical America, Vol. 19, no. 6, 39-50
Ford, D. (1985), The Button. The Pentagon´s Strategic Comand and Control System, Simon and Schuster
Foucault, M. (1980), Power Knowledge, Pantheon
Gray, C. (1987 a), Artificial Intelligence and Real War, 1987, Conference of the Society for the Social Studies of Science, November, Worster, Massachusetts
Gray C. (1987 b), The Rhetoric of Military Artificial Intelligence, 5th Annual Student Pugwash Conference, Stanford University
Gibson, J. (1986), The Perfect War. Technowar in Vietnam, Atlantic Monthly Press
Haraway, D. (1985), Manifesto for Cyborgs. Socialist Review, No. 80, 65-107
Hunt, J. and Blair, J., eds. (1985), Leadership on the Future Battlefield, University of Texas
Janowitz, M. (1960), The Professional Soldier, The Free Press
Klare, M. (1972), War Without End. American Planning of the Next Vietnams, Alfred Knopf
Lifton, R. (1970), Boundaries. Psychological Man in Revolution, Random House
Marshal, S. (1947), Men Against Fire. William Morrow & Co.
Melman, S. (1974), The Permanent War Economy
Ornstein, S. et al. (1984), Strategic Computing. Bulletin of the Atomic Scientists, Dec.
Parnas, D. (1985), Software Aspects of Strategic Defense Systems. American Scientist, Sept.-Oct.
Possony, S. and Pournelle, E. (1970), The Strategy of Technology
Pringle, R & Arkin, W (1983), SIOP:Nuclear War From the Inside, Sphere Books Ud.
Pullum, G. (1987), Natural Language Interfaces and Strategic Computing. Al & Society, Vol. 1, no. 1, July-September
Sofia, Z. (1984), Exterminating Fetuses. Diacritics, Vol. 14, no. 2, Summer, pp. 57-59
Smith, B. (1985), Limits of Correctness in Computers, Report No. CSLI-85-36, Center for the Study of Language and Information
Thee, M. (1986), Military Technology, Military Strategy, and the Arms Race
Thompson, E. (1980), Notes on Exterminism: The Last Stage of Civilization, New Left Review No. 20, May-June
Turkle, S. (1984), The Second Self, Simon & Schuster
Virilio, R and Lotringer, S. (1983), Pure War, Semiotext
Webster´s New World Dictionary of the American Language, David Gurainik, Editor (1970), World Publishing
Weick, K. (1985), A Stress Analysis of Future Battlefields. Leadership on the Future Battlefield, Hunt and Blair, Univ. of Texas
Winograd, T (1987), Strategic Computing Research and the Universities, Stanford University Department of Computer Science, Report No. STAN-CS-87-1160, March
Winograd, T. (1988), Computers and Rationality. The Myths and Realities, Microelectronics in Transition, ed. by Gordon R. University of California Press

Anmerkungen

1 Auf der Konterenz der AAAI (American Association for Artificial Intelligence) 1987 war das SCP Gegenstand der meisten offiziellen und inoffiziellen Diskussionen. Über 7000 Wissenschaftler haben erklärt, nicht an SDI mitarbeiten zu wollen, Computerwissenschaftler eingeschlossen. Eine explizite Kritik von SCP und SDI bei Parnas 1985, Ornstein et al. 1984.Zurück

2 Diese Irrtümer umfassen:

  • Überschätzung der Effektivität oder der Bedeutung der hochtechnologischen Waffensysteme. Dies ist der verbreiteste Irrtum, wie er studiert werden kann anhand der strategischen Bombardements im 2. Weltkrieg, anhand des elektronischen Schlachtfeldes in Vietnam und anhand der gegenwärtigen Intervention der UdSSR in Afghanistan.
  • Unterschätzung von deren Effektivität: das arabische Militar hat konsequent die israelische Flug- und Drohnentechnologie falsch eingeschätzt.
  • Nicht zu wissen, wann es zweckmäßig ist, Technologie einzusetzen oder nicht; dies ist deutlich zu sehen bei den Überforderungen der US-Administration in den Übersee-Aktionen aufgrund verbesserter C3I und Satellitenkommunikation. Das Versagen der USS Stark beim Gebrauch ihrer Systeme gegen Flugzeuge etc. jüngst im Persischen Golf ist nur ein weiteres Beispiel. Zurück

3 – entfällt  Zurück

4 Zahlreiche Beispiele bei Wayne Biddle, „How Much Bang For the Buck?“ Discover (September, 1986), pp. 50-66. Biddle kommt zu dem Schluß: „Unsere Waffen testen gegenwärtig so viele Computermodelle und -simulationen, daß niemand weiß, ob neue Waffen wirklich funktionieren.“ Zurück

5 Ein Thema, das in zahlreichen offiziellen Dokumenten bemüht wird; wie im SCP Report von DARPA und denjenigen der SDIO.Zurück

6 Im Jahr bevor Air Land Battle in die offizielle Doktrin inkorporiert wurde, berichtete der Army Science Board, daß es nötig sein würde, um ALB möglich zu machen, Hochtechnologien zu nutzen, bei denen die USA eine deutliche Führung hätten. Ein Forscherteam der Army drückte es so aus: „Zukünftige Gefechtskonzeptionen, wie Air Land Battle 2000 (…) basieren weitgehend auf Technologie.“ Siehe: DARCOM Lang Rangs Planning Team report. Trends and Their Implications for DARCOM During the next 2 Decades, ARMY RD & A Magazine. May-June 1984, p. 20 Zurück

7 James D. Lindberg (1984), The Army´s New Thrust Initiative Zurück

8 Dr. Richard Gomez and Capt. Michael Van Atta (1984), Air Land Battlefield Environment Thrust. Army RD & A Magazine. May-June, p.17 Zurück

9 Neben den bereits erwähnten Robotik-Programmen hat die DARPA Projekte für drei- und vierfüßige „Hüpfer“ und „Läufer“, die an der Carnegie-Mellon Universität gebaut werden, ein sechsfüßiges Wesen, das durch den Staat Ohio hergestellt werden soll, und Roboter-Greifhände, die an der Stanford-Universität und an der Universität von Utah entwickelt werden. Die Armee ist darüber hinaus interessiert an der Prüfung eines zivilen Sicherheitsroboters, der entworfen wird von Robot Defense Systems, Inc. „The Prowler“, die Luftwaffe halt Ausschau nach „Marvin“, dem Roboter, der für geringfügige Wartungsarbeiten, für die Reparatur von Laufstegen gebaut werden soll, aber auch für Gefechtsfeuer und das Nachladen, während eine Basis unter Beschuß steht. Von Experimenten der Marine mit ferngesteuerten optischen Systemen werden ebenfalls wichtige Anwendungen für das kommende Roboterdesign erwartet. Mehr Details über diese Programme und die Robotik-Aspekte von SCP in: „Robots Go To War“ von Robert B. Aronson, Machine Design. December 6. 1984, pp. 73-78, and Defense Electronics, September 1986, p. 54. Zurück

10 In Livermore gibt es relevante Computerforschung über optische, parallele und Super-Computer Sandia betreibt KI-Arbeit zur Zielauslese (target discrimination). S.: Aviation Week & Space Technology. March 11, 1985. Über die SCP-Arbeiten in den Jet Propulsions Labors und durch das National Bureau of Standards s.: SCP Third Annual Report. In Oak Ridge gibt es Arbeiten mit dem U.S. Army Human Engineering Laboratory, dem Air Force´s Wrigth Aeronautical Labor und für die SDIO. Siehe: Weibin, C. (1987), Intelligent-Machine Research at CESAR, The Al Magazine, Vol. 8. No. 1 S. 62-74. Zurück

11 Schließt ein IRS, DEA und den Secret Service u.a. Mehr über diese Programme, speziell beim FBI, in: Warren Richey, Smart Computers to Aid FBI´s Fight Against Crime. Christian Science Monitor March 5, 1986, p. 3 und Michael Schrage, Big Floyd. Software Special Agent. San Francisco Sunday Chronicie Examiner World Magazine. August 24, 1986, p. 15. Zurück

12 Zur sowjetischen Politik s. die US-Air-Force-Übersetzung des sowjetischen Textes: Concept, Algorithm, Decision, von V. V. Druzhinin und D. S. Kontorov, U.S. Printing Office, Sovjet Military Thought Series, No. 6, 1977 Informationen über die britische Forschung z.B. in den Vorträgen der Konferenz „Advances in Command Control and Communcation Systems: Theory and Applications“, 16-18. April 1985, publiziert von der Institution of Electrical Engineers, Exeter, Great Britain.Zurück

13 Zitiert in: Aviation Week & Space Technology, Feb. 17 1986, p. 49 Zurück

14 Auf diesem Feld haben sich eingekauft Ford (Inference Co. and Carnegie Group), Raytheon (LISP Machines), Proctor-Gamble (10 % of Teknowledge) und General Motors (Hughes und 10 % von Teknowledge). Zurück

15 Firmen mit laufenden Vertragen im Rahmen des SCP sind: Martin Marietta, FMC General Dynamics, Advanced Decision Systems, Vitalink, Computer Systems Management, Texas Instruments, Computer Corporation of America, Lockheed, McDonnell Aircraft, MITRE, Intellicorp, Bolt Beranek and Newman, Cognitive Systems, LOGICON, Titan Systems, The BDM Corporation, Science Applications International, Symbolics, Mark Ressources, MRJ Inc., The Analytic Science Corporation, Northrop, Hughes, AVCO Research Laboratories, SRI International, General Electric, Fairchild, Dragon Systems, System Development Corporation, USC-Information Science Institute, Teknowledge, Thinking Machines, Incremental Systems Kestrel Institute, Trusted Systems, Honeywell, Rockwelt International, Westinghause Electric, Optivision, Sperry Computer Systems, Sparta Incorporated und Cyberoptics Corporation. Zurück

16 Eine Liste der Universitäten mit Forschern, die SCP-Verträge akzeptieren, zeigt, wie breit die Unterstützung ist: Carnegie-Mellon University, University of Maryland, University of Massachusetts, University of Southern California, Massachusetts Institute of Technology, University of Rochester, University of Pennsylvania, Columbia University, New York University, Ohio State University, Stanford University, Yale University, University of Minnesota, Georgia Institute of Technology, University of California at San Diego, Brown University, University of California at Los Angeles, University of Cincinnati, University of Houston, Northwestern University, City University of New York, Columbia University, Universityof California at Berkeley, Princeton University, California Institute of Technology.Zurück

17 In einer Aussage vor dem Kongreß bestätigte Dr. Robert Cooper, Leiter der DARPA zu dieser Zeit, daß sein Büro die Vervierfachung der Zahl der unterstützten KI-Studenten plane. 1986 betrug die Zahl 500. Er sagte: „Wir wollen eine neue Generation von Computerwissenschaftlern entwickeln, die mit militärischer Technologie umgehen und die kompetente KI-Experten sind.“ Hearings on H. R. 1872, Part 4, March-April 1985, U.S. Gouvernment Printing Office, p. 648. Zurück

18 Über die Politik von Georgia Tech berichtet David Sanger in seinem Artikel „Campuses Role in Arms Debated“, in: New York Times, 22.7.1985, p. 1: Das Georgia Tech Forschungsinstitut auf dem Gelände des Georgia Institute of Technology führt in diesem Jahr gesponsorte Forschung im Wert von 60 Millionen Dollar durch; 80 % werden von der Regierung finanziert. Seit 1976 hat sich der Zufluß der Mittel aus dem Defense Department verneunfacht, angespornt in großem Maße durch die Bereitschaft des Instituts, klassifizierte (der Geheimhaltung unterliegende) Arbeiten durchzuführen. Im Unterschied zu anderen Universitäten läßt das Institut die Überprüfung der „Zuverlässigkeit“ (security clearances) der Studenten zu, damit sie an der Arbeit teilnehmen können. „It´s just another union card“, sagt James C. Wiltse, associate director des Instituts. Zurück

19 Vier der neun lasergesteuerten Systeme versagten bei dem genau geplanten Angriff der F-III´s, die Ghaddafi und seine Familie töten sollten: ihre smart bombs gingen in die Irre. Siehe: Seymour Hersh, „How the U.S. plotted to kill Gadhafi.“ San Jose Mercury News (Feb. 22, 1987), p. 1 Zurück

20 Kenneth J. Stein, Humans Simulate Computer Logic in Expert System Project. In: Aviation Week & Space Technology, 22. April 1985, p. 73 Zurück

Chris Hables Gray, Computerwissenschaftler an der University of California at Santa Cruz.

F&T-Konzept. Neue Waffengeneration in Vorbereitung

F&T-Konzept. Neue Waffengeneration in Vorbereitung

von Karlheinz Hug

Nach dem Haushaltsentwurf 1988 sollen die Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung (Epl.14, Kap.1420) zwar etwas zurückgehen, die Mittel für das Forschungs- und Technologie-Konzept aber weiter erhöht werden. Nach wie vor orientiert die Bundesregierung darauf, durch militärische Hochtechnologie eine neue Waffengeneration für die 90er Jahre vorzubereiten. Aufgrund der Anforderungen an geplante Systeme zur Führung, Aufklärung und elektronischen Kampfführung und „intelligente“ Waffen bilden die Gebiete Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik einen Schwerpunkt. Eine Abschätzung ergibt, daß das BMVg 1988 für F&E und Erprobung (Kap.1420) in diesen Gebieten 847 Mio. DM vorsieht. Ein Vergleich mit den entsprechenden Ausgaben des BMFT (Kap.3004) zeigt, daß fast jede zweite DM der Bundesausgaben für Informationstechnik-F8E 1988 für unmittelbar militärische Zwecke verwendet wird.

Die Ausgaben des Bundesministeriums der Verteidigung

Der „Einzelplan 14“ (Epl.14) des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) wächst 1988 mit 1,5 % unterproportional, die verteidigungsintensiven Ausgaben nehmen dabei um 1,9 % ab, und die Ausgaben des Kapitels Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung (1420), die jahrelang durch überproportionale Steigerungsraten gekennzeichnet waren, werden erstmals um 1,3 % gesenkt. Diese Abschwächung des Trends der letzten Jahre ist auf die finanzpolitischen Probleme des Bundesfinanzministeriums zurückzuführen, nicht etwa auf geänderte Planziele des BMVg. Die,Bundesregierung hält auch mit dem Haushaltsentwurf 1988 an ihrem Aufrüstungskurs fest.

Im Kapitel 1420 sind die Ausgaben für das Forschungs- und Technologie-Konzept enthalten; ihr Anteil steigt auch 1988 an, obwohl die von Kap. 1420 gesenkt werden. Dies zeigt, daß die Bundesregierung vor allem dem F&T-Konzept und damit der Entwicklung von Technologien für die dritte Waffengeneration der Bundeswehr nach wie vor eine hohe Priorität zuordnet.

In der F&T-Leitlinie 1987, die dem Planungsvorschlag für den Anteil Forschung und Technologie des Bundeswehrplans 1988 zugrunde liegt, werden die Mittel des F&T-Konzepts wie folgt auf Bereiche verteilt.

Im Bereich Waffeneinsatz und Waffenwirkung liegen Akzente bei der „intelligenten“ Zielannäherung und der Endphasenlenkung, im Bereich Aufklärung und Führung werden Schwerpunkte bei der Signalverarbeitung, der Mustererkennung und der Informationsübertragung gesetzt, und in den Bereich Schutz fallen Arbeiten an Warnsensoren. Es ist erkennbar, daß die auf Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik beruhenden Bereiche des F&T-Konzepts – etwa zwei Drittel der Mittel und überdurchschnittliche Steigerungsraten erhalten.

Zu den Ausgaben für den eindeutigen technologischen Schwerpunkt Informationstechnik liefert ein Bericht in „Wehrtechnik“ folgende Angaben (Hec 78, 59). 1987 werden „etwa 270 Mio. DM im weitesten Sinne für die Informationstechnik ausgegeben“. Die F&T-Leitlinie 1987 weist der Informationstechnik für intensiveren Einsatz von „Intelligenz“ bei Aufklärung, Führung, Zielsuche und für indirekten Schutz 37 % der F&T-Mittel zu. Eine entsprechende Rechnung mit dem Ansatz des Haushaltsentwurfs 1988 ergibt einen Betrag von 313 Millionen DM.

Im Rahmen des F&T-Konzepts werden 1988 weit über 300 Mio. DM für Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik ausgegeben; das ist mehr als das 100fache des Betrags, den das Bundesministerium für Forschung und Technologie zur Förderung der Friedens- und Konfliktforschung bereitstellt.

Die folgende Tabelle zeigt eine Schätzung des Anteils der Militärausgaben für Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik am Kapitel 1420 insgesamt.

Für Forschung, Entwicklung und Erprobung in den Gebieten Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik will das BMVg 1988 unter Kapitel 1420 also schätzungsweise 847 Millionen DM ausgeben. Die Abnahmerate gegenüber 1987 liegt mit ca. 1,7 % in der Größenordnung der Abnahmerate von Kap. 1420. Innerhalb der letzten vier Jahre ergibt sich immer noch eine Zuwachsrate von ca. 37 % (bezogen auf den Schätzwert für 1984 von 620 Mio. DM).

Berücksichtigt man bei der Schätzung anteilmäßig die weiteren Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Erprobung, die in anderen Kapiteln des Epl. 14 veranschlagt sind, nämlich die Ausgaben für Betrieb, Erhaltung und Ausstattung der Universitäten der Bundeswehr (Kap. 1495, Titelgruppen 03, 04, 06) mit 40 Mio. DM und die Ausgaben für Infrastrukturmaßnahmen wie den Bau von Schulen, Universitäten und Akademien sowie wehrtechnischen Dienststellen (Kap. 1412, Titel 55611 bis 55616) mit 29 Mio. DM, dann ergeben sich im Bereich des BMVg geschätzte Mindestausgaben für militärische Forschung, Entwicklung und Erprobung in den Gebieten Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik in Höhe von 916 Millionen DM. Bezogen auf die entsprechende Schätzung für 1987 von 939 Mio. DM entspricht dies einer Abnahmerate von ca. 2,4 %.

Die groben Schätzungen zeigen, daß das BMVg angesichts der reduzierten Mittel, die ihm für Forschung, Entwicklung und Erprobung zur Verfügung stehen, vor allem durch Sparmaßnahmen bei Ausgaben für Betrieb und Infrastruktur der eigenen F&E-Einrichtungen versucht, die Ausgaben für den unmittelbar mit militärischer Forschung und Technologie befaßten Bereich in den Rüstungsunternehmen auf dem in den letzten Jahren erreichten hohen Stand zu halten. Auf diese Weise wird der Trend, Rüstungsforschung immer mehr als Rüstungsindustrieforschung zu betreiben, fortgesetzt.

Forschungs- und Technologie-Konzept
(Anteil von Kap.1420)
Haushaltsjahr Ansatz (Mio. DM) Steigerung z. Vorjahr Anteil am Epl. 14 Anteil am Kap. 1420
1985 Soll 698,9 +11,4 % 1,4 % 28,0 %
1986 Soll 756,0 +8,2 % 1,5 % 29,3 %
1987 Soll 835,4 +10,5 % 1,6 % 30,0 %
1988 Entwurf 846,8 +1,4 % 1,6 % 30,8 %
Quellen: (SRh85,48), (wt8/86), (Flu87), eigene
Berechnungen
Bereiche des Forschungs- und Technologie – Konzepts
Anteil am F&T – Konzept (Preisbasis 1986) Steigerung zum Vorjahr realer Aufwuchs 1984-1988
Waffeneinsatz und -wirkung 31 % + 37 %
Aufklärung und Führung 26 % + 15 % + 33 %
Beweglichkeit und Transport 25 % + 19 %
Schutz 11 % + 24 % + 46 %
Planungs-,Entscheidungs-, Bewertungshilfen, Sonstiges 7 % + 26 %
(Anmerkung: Die Schätzung beruht auf folgenden Annahmen. Beim Titel 55101 wurden für die Gebiete Elektronik, Kybernetik und Informatik (von 8 Gebieten) 25 % veranschlagt. Bei den Titeln 55111,55116 und 55118 wurden 30 % veranschlagt, da der Anteil der Elektronik an den Gesamtkosten von Waffenausrüstung allgemein zwischen 35 und 60 %, bei Militärflugzeugen um 35 bis 40 % liegt. Unter den zu 100 % veranschlagten Titel 55117 fallt „die technische Vorbereitung der Modernisierung der Bundeswehr-Führungssysteme. Unter Ausnutzung der Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung werden neue Führungsmittel und -verfahren entwickelt und erprobt“ (EBH 88, Epl. 14 210). Bei den Titeln 68531 und 89331 wurden die Anteile für 3 der 6 FGAN-Forschungsinstitute (Funk und Mathematik, Informationsverarbeitung und Mustererkennung, Fernmeldetechnik und Elektronik) berechnet.)
Quellen: (Hec87,59), (wt5/87)

Die Ausgaben des Bundesministeriums für Forschung und Technologie

Das F&T-Konzept des BMVg hat auch die Funktion, Voraussetzungen für die Abstimmung von Forschungs

und Technologieaktivitäten mit dem Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und anderen Ressorts zu schaffen. Auf der anderen Seite ist in der „Konzeption zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechniken“ der Bundesregierung vom März 1984 festgelegt, daß das BMVg sich schon bei der Formulierung von Fachprogrammen und sich daraus ergebenden Einzelaufgaben des BMFT und des Bundesministeriums für das Post- Fernmeldewesen beteiligt, um seine Erfordernisse in die Planung einzubringen. Nach der zwischen BMVg und BMFT vereinbarten Arbeitsteilung fällt die Forderung der gesamten Grundlagenforschung im Bereich Mikroelektronik, Informations- und Kommunikationstechnik in das Ressort des BMFT. Der Etat des BMFT, der „Einzelplan 30“, soll 1988 um 1,3 % auf 7,63 Mrd. DM wachsen (1987: 7,54 Mrd. DM). Der Entwurf des Epl. 30 für 1988 ist durch die neue Schwerpunktsetzung des BMFT bei der Weltraumforschung gekennzeichnet. Die Ausgaben für Weltraum- und Luftfahrtforschung sollen um 8,7 % ansteigen, dies entspricht einem absoluten Zuwachs um 118,1 Mio. DM, einem Betrag, der über dem absoluten Zuwachs des Epl. 30 von 96,3 Mio. DM liegt. Somit ist klar, daß diese Mittel nur durch Umschichtung innerhalb des Epl. 30 aufgebracht werden können. Die folgende Tabelle zeigt, daß auch das Kapitel Informationstechnologien (3004) nach jahrelangen überdurchschnittlichen Steigerungsraten 1988 von Kürzungen zugunsten der Weltraumforschung betroffen ist.

Die Ausgaben umfassen Fördermaßnahmen für elektronische Bauelemente und Anwendung der Mikroelektronik und Peripherik, Kommunikationstechniken, Informationsverarbeitung, Fertigungstechnik und Fachinformation. Dies beinhaltet also sowohl Grundlagen- als auch bestimmte anwendungsorientierte F&E.

Es liegt nahe, diese BMFT-Ausgaben mit den geschätzten Ausgaben des BMVg (ohne Infrastrukturmaßnahmen) zu vergleichen, auch wenn dies auf Grund der Erfassungsproblematik mit Ungenauigkeiten behaftet ist.

Informationstechnologien (Kap. 3004)
Haushaltsjahr Ansatz (Mio. DM) Steigerung zum Vorjahr Anteil am Epl. 30
1986 Ist 881,1 + 18,5 % 12 %
1987 Soll 932,1 + 5,8 % 12,4 %
1988 Entwurf 880,9 – 5,4 % 11,5 %
Quellen: (EBH87), (EBH88, EP.30)
Ausgaben des Bundes für F&E in Elektronik, Informations- und
Kommunikationstechnik
1987 Soll 1988 Entwurf Steigerung zum Vorjahr
Anteil (Mio. DM) Anteil (Mio. DM)
Ausgaben des BMVg 40 % (861) 49 % (847) – 1,6 %
Ausgaben des BMFT 52 % (923) 51 % (881) – 5,4 %
Gesamtausg. d. Bundes 100 % (1793) 100 % (1728) – 3,7 %
Militärische F&E in Elektronik, Informations- und
Kommunikationstechnik
Zweckbestimmung (Titel) Betrag (Mio. DM)
1986 Ist 1987 Soll 1988 Entwurf
Wehrtechnische Forschung (55101) 15,5 16 16,5
Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung (55111) 493,5 552 525
Entwicklung des Kampfflugzeuges MRCA (55116) 58,5 54 53,4
Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung von Führungssystemen (55117) 129 130 130
Entwicklung des Jagdflugzeugs 90 (55118) 62 93 105
Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften e.V. (FGAN) Bonn (Tgr. 03,
68531, 89331)
16 16 16,7
Summe (Mio. DM) 774,5 861 846,6
Steigerung zum Vorjahr (%) – 2 + 11,2 – 1,7
Grundlagenforschung in Elektronik, Informations- und
Kommunikationstechnik (Anteil von Kap.3004)
Zweckbestimmung (Titel bzw. Titelgruppe) Betrag (Mio. DM)
1986 1987 1988
Ist Soll Entw.
Förderung der F&E auf dem Gebiet dertechnischen Kommunikation (68341) 94,9 111,9 110,0
Förderung von F&E auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung (68342) 111,6 125,6 121,0
Förderung von F&E auf dem Gebiet der Elektronik (Tgr.01) 279,6 272,3 250,6
Heinrich-Hertz-Inst. (HHI) 11,4 14,5 13,0
Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH Bonn (GMD) (Tgr.02) 72,9 72,7 96,3
Summe (Mio. DM) 570,4 597,0 590,9
Steigerung zum Vorjahr (%) +26,3 +4,7 -1,0
Anteil am Kap.3304 (%) 64,7 64,1 67,0
Quellen: (EBH87, Epl.30), (EBH88, Epl.30)

Als Ergebnisse des Vergleichs stellen wir fest:

  • Die Ausgaben des BMVg für F&E im Gebiet Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik liegen in derselben Größenordnung wie die des BMFT. Fast jede zweite DM der 1,7 Mrd. DM, die die Bundesregierung 1988 für Informationstechnik-F&E ausgibt, wird für unmittelbar militärische Zwecke verwendet.
  • Nach jahrelangem überproportionalem Anwachsen sinken 1988 die Bundesausgaben für F&E im Gebiet Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnik im Vergleich zu den Ausgaben des BMVg und denen des BMFT, liegen aber noch über dem Stand von 1986. Da der BMFT-Anteil stärker als der BMVg-Anteil abnimmt, wird auch 1988 der Trend zur Verstärkung des Anteils der für unmittelbar militärische Zwecke eingesetzten Mittel fortgesetzt.

Mit dem F&T-Konzept setzt das BMVg Forschungsschwerpunkte für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren insbesondere im Bereich der Informationstechnologien. Das BMFT setzt neue Prioritäten mit der Verstärkung der Weltraumforschung, die durchweg militärisch relevant und deren ziviler Nutzen zumindest ungeklärt ist. (Die Koordinierung der zivilen und militärischen Luft- und Raumfahrtforschung liegt beim BMFT.) Diese beiden Faktoren führen dazu, daß die staatlichen F&E-Mittel für Informationstechnik zunehmend im militärischen Bereich ausgegeben werden.

Ein weiterer Aspekt ist, daß – wie im Vorjahr – die Förderung der Hochschulen reduziert wird und Forschungspotentiale aus diesem Bereich ausgelagert werden. Für die F&E von Informatik und Datenverarbeitung außerhalb der Hochschulen (ohne Kap.1420) will die Bundesregierung 1988 265 Mio. DM (1986: 208 Mio. DM, 1987: 247 Mio. DM) ausgeben, was einer Zuwachsrate von 7,3 % entspricht (Funktionenübersicht in [EBH88, 39]).

Wir fassen nun die auf Grundlagenforschung bezogenen Ausgaben des Kapitels 3004 zusammen und lassen die auf zivile Anwendungen orientierten Ausgaben aus.

Die Kürzungsrate gegenüber 1987 von 1 % liegt unter der des Kapitels 3004 insgesamt. Dadurch wird der Trend zu einem größeren Anteil der Grundlagenforschung, der 1986 gesetzt und 1987 leicht umgekehrt wurde, wieder verstärkt. Das bedeutet, daß vor allem bei der auf zivile Anwendungen orientierten F&E gekürzt wird. Innerhalb der letzten vier Jahre ergibt sich ein Anstieg von ca. 22 % (bezogen auf die Ausgaben von 1984 von 485 Mio. DM).

Die Aufschlüsselung dieser Beträge in solche mit militärischer und ziviler Zweckbestimmung ist außerordentlich schwierig. Sie umfassen Gebiete von hoher militärischer Relevanz wie die Technologie hochintegrierter mikroelektronischer Bauelemente und „intelligenter“ Sensoren und Aktoren, neue Rechnerstrukturen, Muster- und Spracherkennung, Bildverarbeitung, Wissensverarbeitung, optische Nachrichtentechnik, Integrierte Optoelektronik, Übertragungs- und Vermittlungstechnik, die aber auch zivile Anwendungsmöglichkeiten bieten.

Literatur

(EBH87) Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987. Deutscher Bundestag, Drucksache 10/5900 und Anlagen dazu, Bonn (15. August 1986)
(EBH88) Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988. Deutscher Bundestag, Drucksache 11/700 und Anlagen dazu Bonn (14. August 1987)
(Flu87) Flume, W.: Verteidigungshaushalt 1988: Über die Runden retten. Wehrtechnik, Nr. 8 (1987) 16-17
(Hec87) Heckmann, Erhard: Deutsch-amerikanische Rüstungszusammenarbeit. Wehrtechnik, Nr. 2 (1987) 56-63
(SRh85) Stellungnahme zum Rüstungshaushalt 1986. Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden, Nr. 6, Marburg (November 1985) 73 S.
(wt8/86) Verteidigungshaushalt 1987. Wehrtechnik, Nr.8 (1986) 16-17 F&T-Konzept – eine erst Bilanz. Wehrtechnik, Nr.5 (1987) 20

Karlheinz Hug, Informatiker an der TH Darmstadt.

Priorität weiterhin Rüstungsforschung

Priorität weiterhin Rüstungsforschung

von Rainer Rilling

Wenn der Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1988 für den Einzelplan 14 des Bundesministeriums derVerteidigung (BMVg) einen leicht unterdurchschnittlichen Zuwachs von 2,1 % (Gesamthaushalt = 2,4%) vorsieht, dann beträgt die geplante Zunahme um 1 Mrd. DM absolut immer noch das Dreifache des Zuwachses des Forschungsministeriums (+3,9%). Der schon seit Jahren andauernde Haushaltsabbau des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft setzt sich beschleunigt fort: 11 % (eine Abnahme von 426 Mio. DM).

Die Mittel für Rüstungsforschung sollen erstmals seit 1981 leicht um 334 Mio. DM (1,2%) zurückgehen; der Ansatz liegt bei 2,768 Mrd. DM. Das Gesamtbudget Rüstungsforschung (zur Berechnung vgl. Informationsdienst Wissenschaft und Frieden, 5/6/86) dürfte auch 1988 mit rund 7 Mrd. DM zu veranschlagen sein.

Untersucht man, wie sich die Ausgaben des Bundes für die großen Schwerpunktprogramme der Forschung und Entwicklung unter der konservativliberalen Regierung entwickelt haben, dann ergeben sich drei Sachverhalte: In der Amtszeit der Regierungen Kohl/Genscher ist die Rüstungsforschung zum bei weitem wichtigsten Schwerpunkt geworden. Der Saldo der kumulierten Mittelzuwächse 1982-1988 zeigt diese Entwicklung noch deutlicher: Zwei von drei DM, welche die Regierung zusätzlich für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Verfügung stellte, sind in die militärische Forschung gegangen. Sie erhielt seit 1982 rund 4,2 Mrd. DM mehr mehr als vier Mal so viel, wie zusätzlich für ökologisch und sozialstaatlich orientierte Forschung aufgewandt wurde.

Dr. Rainer Rilling, Marburg, Geschäftsfrer des BdWi.

Elektromagnetische Beschleunigung von Projektilen

Elektromagnetische Beschleunigung von Projektilen

von Wolfgang Demtröder

I. Einleitung

Wenn man einen Körper von der Erdoberfläche in den Weltraum bringen will, so muß dieser zur Überwindung der Erdanziehung eine Mindestgeschwindigkeit, die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit v=11,3 km/s haben. Verwendet man konventionelle Geschosse, die durch Explosion bestimmter Chemikalien (z.B. Schwarzpulver) angetrieben werden, so wird die Endgeschwindigkeit des Geschosses durch die maximale Geschwindigkeit der bei der Explosion entstehenden Treibgase auf maximal 2 km/s begrenzt. Sie erreicht daher nicht die Fluchtgeschwindigkeit, obwohl die beim Abschuß auftretenden Beschleunigungen bis zu 1,5 Millionen m/s² betragen und damit dem 150.000fachen der Erdbeschleunigung entsprechen können.

Einen Ausweg brachte das Raketenprinzip, bei dem die Geschwindigkeit und die Beschleunigung der Rakete beim Start relativ klein sind, aber über längere Zeit hinweg dauernd vergrößert werden durch den Rückstoß eines Treibgases, das mehrere Minuten lang durch Verbrennen von Treibstoff nach hinten ausgestoßen wird, bis die Rakete die erforderliche Geschwindigkeit erreicht hat. Der große Nachteil aller bisher verwendeten mehrstufigen Raketen ist das kleine Verhältnis von Nutzlast zu Treibstoffgewicht. So beträgt z.B. bei der europäischen Rakete Ariane die Nutzlast m weniger als 1 % der Startmasse m0. Will man also größere Massen z.B. in eine Umlaufbahn um die Erde bringen (wie dies bei der Realisierung der SDI-Pläne notwendig wäre), so muß man dafür so große Anfangsmassen starten, daß dieser Plan aus Kostengründen utopisch wird.

Die Frage ist nun, ob man nicht durch andere als chemische Antriebe doch erreichen kann, daß die gesamte Anfangsmasse m0 auf die Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt wird. Dieses Ziel, das bereits von Jules Vernes in einem seiner Zukunftsromane als „Schuß zum Mond“ aufgegriffen wurde, läßt sich in der Tat realisieren, wenn man elektromagnetische Kräfte zur Beschleunigung heranzieht. Allerdings liegen die bisher verwendeten „Geschoß-Massen“ nur im Bereich weniger Gramm und die Schußfolgefrequenzen sind so niedrig, daß der Traum der Militärs von „elektromagnetischen Geschützen“ als neuen Wunderwaffen bisher jedenfalls nicht realistisch erscheint, zumal auch die Zielgenauigkeit nicht den Anforderungen entspricht.

In diesem Artikel sollen das Prinzip der elektromagnetischen Beschleunigung, einige technische Realisierungsmöglichkeiten und zwei interessante nichtmilitärische Anwendungsbeispiele „elektromagnetischer Geschütze“ kurz diskutiert werden.

II. Prinzip der elektromagnetischen Beschleunigung

Der elektromagnetische Antrieb kann zwei verschiedene physikalische Prinzipien benutzen:

1. Die Lorentzkraft

F=q(v x B),

welche auf eine Ladung q wirkt, die sich mit der Geschwindigkeit v in einem zeitlich konstanten Magnetfeld B bewegt. Auf diesem Prinzip beruht die „Schienen-Kanone“ (Railgun).

2. Die elektromagnetische Induktion, die aufgrund zeitlich schnell veränderlicher Magnetfelder zu großen Abstoßungskräften zwischen kurzzeitig von Spitzenströmen durchflossenen Leitern führt. Darauf basiert die Induktionsschleuder.

Wir wollen beide Varianten kurz erläutern:

In Abb. 1 sind zwei elektrisch leitende parallele Schienen gezeigt, die links an einen Stromgenerator angeschlossen sind, der die Spannung U erzeugt, und die durch einen auf den Schienen gleitenden Kontakt kurzgeschlossen werden. Dieser Gleitkontakt enthält das „Projektil“, das beschleunigt wird. Senkrecht zur Zeichenebene sei ein konstantes Magnetfeld B erzeugt. Fließt ein Strom I wie gezeichnet durch das System, so wirkt auf das Projektil die Lorentzkraft nach rechts. Wir wollen uns an einem Zahlenbeispiel die Größenverhältnisse klarmachen:

Um ein Geschoß auf eine Geschwindigkeit von 10 km/s zu beschleunigen, steht bei einer Schienenlänge L = 10 m nur eine Zeit von etwa 2 Minisekunden zur Verfügung. Bei einer Geschoßmasse von 100 g ist dafür eine Kraft

F = 0,1 kg x 1000 m/s / 0,002 s

notwendig. Bei einem mit Supraleitern erreichbaren Magnetfeld von 10 Tesla (105 Gauß!) und einer Dicke des Gleitbügels von d=5 cm muß dann ein Strom von 1 Million Ampere (!) fließen. Die vom Geschoß aufgenommene Energie ist

Ekin = 1/2 m v2 = 5

Bei einem Wirkungsgrad von 30 %, mit dem die elektrische Energie des Generators in Geschoßenergie umgewandelt wird, müßte der Generator für 2 Minisekunden eine elektrische Leistung von 8 Gigawatt (!) aufbringen. (Das ist viermal soviel wie die elektrische Leistung von Biblis.) Man sieht, daß selbst bei kleinen Massen ein sehr großer technischer Aufwand betrieben werden muß. Der Vorteil gegenüber der Beschleunigung durch chemische Treibstoffe ist jedoch, daß man diese Beschleunigung über die ganze Schienenstrecke wirken lassen kann, während bei der Explosion der beschleunigende Druck des Treibgases mit zunehmender Expansion der Treibgase abnimmt. (Abb. 2).

Als Generator, der kurzfristig die erforderliche hohe elektrische Leistung erbringen kann, wurde z.B. ein homopolarer Generator verwendet, der aus einer großen, elektrisch leitenden Schwungscheibe besteht, die sich in einem starken Magnetfeld parallel zur Drehachse mit einer Frequenz von etwa 100 Hz um diese Achse dreht. Die Elektronen in der Schwungscheibe werden aufgrund der Lorentzkraft getrennt, und es entsteht eine Spannung zwischen Achse und Rand der Scheibe. Die in der Scheibe gespeicherte mechanische Rotationsenergie kann viele Mega-Joule betragen und der mit Gleitkontakten vom Homopolargenerator annehmbare Strom kann mehr als 1 Mega-Ampere erreichen. In Canberra, Australien wurde z.B. ein solcher Generator gebaut, der zwei Stockwerke hoch ist und bei einer Rotationsenergie von 500 MJ einen Strom von 1,6 MA liefern kann.

III. Realisierung einer »Railgun«

Die Anordnung einer „Railgun“ mit Homopolargenerator, die in Canberra gebaut wurde, ist in Abb. 3 gezeigt, wo der vom Generator erzeugte Strom zuerst durch eine große Spule fließt, die als magnetischer Energiespeicher dient. Wird der Kurzschlußgleitschalter S, plötzlich nach links geschoben, so fließt der gesamte Strom durch die Schienen der Railgun bis zum Projektil, das im Gleitbügel steckt. Die elektrische Energie, die kurzfristig zur Verfügung stehen muß, wird vom Homopolargenerator und zusätzlich von dem Magnetfeld der stromdurchflossenen Spule geliefert. Das in Abb. 1 gezeichnete Magnetfeld zwischen den Schienen der Railgun wird hier von dem durch die Schienen fließenden Strom automatisch mit erzeugt.

Bei einer solchen „Railgun“ treten folgende technische Probleme auf:

  1. Die magnetischen Kräfte zwischen den beiden Schienen sind sehr groß und müssen daher mechanisch aufgefangen werden. Eine Lösung zeigt Abb. 4, wo beide Schienen in ein isolierendes Material eingebettet sind und durch ein äußeres zylindrisches Rohr die mechanische Stabilität verbessert wird.
  2. Bei Stromstärken von 1 Million Ampere verschmoren alle Gleitkontakte, insbesondere die des Kurzschlußbügels, der das Projektil trägt und der deshalb leichtgängig sein soll, um Reibungsverluste gering zu halten. Man kann als Abhilfe durch Entladungsspitzen an der Rückseite des Bügels, die durch Verbrennen des dünnen Drahtes S. 2 gebildet werden, erreichen, daß der Kurzschlußstrom als Plasmastrom hinter dem Bügel zündet (Abb. 3). Dies vermeidet ein Festfressen des Gleitkontaktes, verhindert aber nicht eine zunehmende Korrosion der Schienen, die nach wenigen Schüssen (oft nach jedem Schuß) nachpoliert werden müssen.
  3. Je länger die Schienen sind, umso größer werden ihr elektrischer Widerstand und ihre Induktivität. Dies begrenzt bei vorgegebener Generatorspannung U die maximal mögliche Stromstärke und damit die beschleunigende Kraft. Als Lösungsmöglichkeit wurde vorgeschlagen, die Schienen in elektrisch voneinander isolierte Teilstrecken aufzuteilen, an die dann über Kondensatorentiadungen zum richtigen Zeitpunkt (wenn das Projektil den Beginn einer Teilstrecke erreicht hat) Spannungen angelegt werden (Abb. 5a). Auch hier hat man jedoch das Problem von Lichtbögen zwischen den Teilstrecken. Deshalb ist der Vorschlag einer Wanderwellenbeschleunigung sehr vielversprechend, wo an eine lange Schienenstrecke in definierten Abständen und synchron mit dem Vorbeiflug des Projektils elektrische Energie aus Kondensatoren eingespeist wird, so daß sich eine elektrische Wanderwelle entlang der Schiene ausbreitet, die immer am jeweiligen Ort des Projektils ein Maximum des Stromes und damit der beschleunigenden Kraft hat (Abb. 5b).
  4. Um eine Masse in 1 ms auf 10 km/s zu beschleunigen, muß die mittlere Beschleunigung 107 m/s2, also etwa 1 Million mal so groß wie die Erdbeschleunigung sein. Dies stellt hohe Anforderungen an die Festigkeit des zu beschleunigenden Materials, damit es während der Beschleunigung nicht zerreißt. Man hat bisher, soweit das aus der zugänglichen Literatur ersichtlich ist, mit Projektilen von wenigen Gramm (» 109) Endgeschwindigkeiten von 11 km/s erreicht. Als zerreißfestes Material wurde eine Tantal-Plastik-Kombination verwendet. Massen von 0,5 kg wurden bis auf 4 km/s beschleunigt.

Bei der Verwendung solcher „Railguns“ als Geschütze stellt die Zielgenauigkeit ein großes, bisher noch nicht völlig gelöstes Problem dar. Anders als bei Raketen lassen sich Richtung und Flugbahn des Geschosses nach dem Abschuß nicht mehr korrigieren. Beide werden aber nach dem Abschuß von der Erde aus massiv beeinflußt durch Luftreibung. Ein Geschoß mit einer Geschwindigkeit von 10 km/s, die groß gegen die thermischen Geschwindigkeiten der Luftmoleküle ist, erzeugt eine Stoßwelle, die zur Aufheizung und Plasmabildung im durchlaufenden „Luftschlauch“ führt. Die Aufheizung der Geschoßoberfläche führt zu teilweiser Verdampfung des Geschoßmaterials, wodurch sich die Reibungskräfte ändern. Nach den bisherigen Ergebnissen ist es sehr zweifelhaft, ob man mit solchen „Geschützen“ einen Satelliten oder eine Interkontinentalrakete mit genügender Sicherheit treffen kann. Auch der Vorschlag, solche Geschütze außerhalb der Erdatmosphäre in einer Umlaufbahn um die Erde zu stationieren, scheitert wohl am Gewicht von Railgun und Generator.

IV. Induktionsschleuder

Jede stromdurchflossene Spule erzeugt ein magnetisches Feld B. Werden zwei parallele benachbarte Spulen Sp1 und Sp2 gegensinnig von Strömen I1 und I2 durchflossen, so stoßen sich beide Spulen ab mit einer Kraft, die vom Produkt I1I2 und von der magnetischen Kopplung L12 zwischen beiden Spulen abhängt. Auf diesem Prinzip beruht die in Abb. 6 gezeigte Induktionsschleuder. Die Spule Sp1 wird über einen Schalter mit einem Energiespeicher (z.B. Kondensatorbank oder Homopolargenerator) verbunden. Beim Schließen des Schalters S1 steigt der Strom I1 an, das sich ändernde Magnetfeld B(t) erzeugt in der 2. Spule eine Induktionsspannung U, die zu einem Strom I2 durch die Spule 2 fuhrt, der entgegengerichtet ist zum Strom I1 und daher eine abstoßende Kraft zwischen den beiden Spulen erzeugt. Ist Spule 1 fest auf einem Eisenschaft montiert, Spule 2 aber beweglich, so wird Spule 2 fortgeschleudert.

Diese Anordnung hat den Vorteil, daß sie technisch einfach zu realisieren ist und keine Gleitkontakte hat. Das Verschmorungsproblem tritt daher nicht auf. Der Nachteil ist, daß die abstoßende Kraft mit wachsender Entfernung zwischen den Spulen abnimmt und daher die Beschleunigung nur über eine kurze Strecke wirksam ist. Die erreichte Endgeschwindigkeit ist deshalb viel kleiner als bei der „Railgun“. Man, kann jedoch beide Methoden kombinieren und die Induktionsschleuder als Vorbeschleuniger für die Railgun verwenden. Dann tritt das Projektil bereits mit großer Geschwindigkeit in die Railgun ein und das Kontaktverschmoren wird dadurch stark reduziert.

Es gibt inzwischen eine große Zahl verschiedener Varianten dieser beiden Grundprinzipien der elektromagnetischen Beschleunigung, die auf technisch unterschiedlichen Realisierungen von Railgun, Induktionsschleuder oder deren Kombination beruhen. In den USA wird wohl das Prinzip der Railgun bei den Entwicklungsarbeiten bevorzugt.

V. Anwendungen

Obwohl zukünftige militärische Anwendungen sicher ein wichtiges Ziel der Entwicklung elektromagnetischer Geschütze gewesen sind, muß man bei realistischer Einschätzung des bisher Erreichten doch sagen, daß der militärische Nutzen wohl sehr gering sein wird. Es gibt jedoch eine Reihe nichtmilitärischer Anwendungen, die z.B. für wissenschaftliche Grundlagenforschung von großem Interesse sind.

Schießt man ein Projektil mit der sehr großen Geschwindigkeit von 10 km/s auf feste Materie, entstehen beim Aufprall extrem hohe Drucke und Temperaturen, wie man sie mit anderen Methoden im Labor kaum erzeugen kann. Untersuchungen der Materie unter solchen extremen Bedingungen, wie sie in der Natur nur im Inneren von Sternen vorkommen, könnten unser Verständnis von „entarteter“ Materie sehr verbessern. Beim Aufprall entstehen Stoßwellen. Auch hier sind eine Reihe interessanter Probleme der Stoßwellenphysik experimentell lösbar, die für Festkörperphysiker, Plasmaphysiker, Geologen und Astrophysiker von Bedeutung sind.

Es gibt auch ernsthafte Vorschläge, die beim Aufprall erreichbaren hohen Dichten und Temperaturen zur Zündung kontrollierter Fusionsreaktionen in zukünftigen Wasserstoff-Fusions-Reaktoren einzusetzen. Man denkt an Beschleunigungsstrecken bis zu 1 km Länge, auf der Teilchen von unter 1 g auf Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/s beschleunigt werden sollen. Ob sich dies jedoch realisieren läßt, ist noch ungewiß.

Man muß aber bedenken, daß die wesentlichen Probleme, welche das Erreichen sehr großer Geschwindigkeiten für große Massen bisher verhindert, mehr technischer oder finanzieller Natur sind, aber nicht durch prinzipielle physikalische Grenzen bedingt sind. Für friedliche Anwendungen im wissenschaftlichen Grundlagenbereich fallen auch Nachteile, wie langsame Schußfrequenz oder Zielgenauigkeit nicht ins Gewicht. Ob die elektromagnetische Beschleunigung für die Raumfahrt von technischer Bedeutung wird, ist noch völlig ungewiß. Es bleibt zu hoffen, daß die sicher kostspielige Weiterentwicklung eines an sich interessanten physikalischen Prinzips nur auf die friedliche Nutzung und nicht auf so abenteuerliche Pläne wie SDI hin ausgerichtet wird.

Literatur

(1) K. von Laar, H. U. Finzel: Elektromagnetische Beschleunigung von Projektilen (Wehrtechnik 3, 78 (1983))
(2) W. F. Weldon: Pulsed power packs a punch (IEEE Spectrum, März 1985)
(3) J. V. Parker: Electromagnetic Projectile Acceleration (J. Appl. Phys. 53, 6711 (1982))
(4) H. Kolm P. Mongeau: An alternative launching medium (IEEE Spectrum, April 1982, S. 30-36)

Wolfgang Demtröder ist Professor am Fachbereich Physik der Universität Kaiserslautern

BRD: Rüstungsforschung an den Hochschulen (1984-1986)

BRD: Rüstungsforschung an den Hochschulen (1984-1986)

von Redaktion

In den Ausgaben 1/83 und 1/84 veröffent1ichten wir eine Liste der an den Hochschulen der Bundesrepublik durchgeführten Forschungsaufträge des Bundesministeriums der Verteidigung oder anderer militärischer Stellen. Die Übersicht ergab sich aus einer Auswertung der „Forschungsberichte aus der Wehrtechnik“, der „Forschungsberichte aus der Wehrmedizin“ und den „Forschungsberichten aus Naturwissenschaft und Technik“.

Wir wollen diese Liste für die Jahre 1984-86 fortsetzen. Mit diesen Berichten sind natürlich Forschungsaufträge, Gutachten und dgl. aus geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereichen nicht erfaßt. Paul Brieler hat im Heft 4/85 eine Auflistung für das Fach Psychologie vorgenommen. Die Ausführungen von Winfried Mohr und Ralf Zoll (s.u.) ergänzen diesen Beitrag. Für andere Disziplinen steht eine solche Aufarbeitung noch aus.

Auch nicht erfaßt werden militärisch relevante Arbeiten, die an den Hochschulen im Auftrag der Fraunhofer-Gesellschaft und/oder in Kooperation mit Fraunhofer-Instituten durchgeführt werden. Bekanntlich bedient sich die Bundeswehr bisweilen der FhG als „Verwaltungshilfe“, wenn es um Drittmittelaufträge geht.

Drei Anmerkungen sind anhand der neuen Daten angebracht:

1. Nach wie vor findet der Großteil militärisch orientierter Forschung in den entsprechenden Einrichtungen der Privatwirtschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG), der Forschungsgesellschaft Angewandte Naturwissenschaft (FGAN) oder anderen staatlichen bzw. halbstaatlichen Institutionen statt. Der Trend zur staatlichen Subventionierung industrieller Militärforschung ist sogar verstärkt worden (s. unsere Analyse der Rüstungshaushalte ´86 und ´87). Daß der Anteil universitärer Rüstungsforschung gering ist, mag verschiedene Ursachen haben; eine ist sicherlich das nach wie vor ungünstige Klima für das Militär. Vertreter der Bundesregierung haben sich ja bislang auch erst bei Großforschungseinrichtungen des Bundes anheischig gemacht, für SDI-Projekte zu werben.

2. Einen beträchtlichen Ausbau der Forschungskapazitäten erfahren offensichtlich die Hochschulen der Bundeswehr. Das Militär ist dabei, sich ein eigenes Potential zu erschließen. Im untersuchten Zeitraum sind allein 60 Forschungsberichte dokumentiert (die anderen Hochschulen =13). An der Spitze liegen die Neubiberger Fachbereiche Bauingenieur- und Vermessungswesen und Informatik mit jeweils 14 Nennungen. Eine wichtige Rolle scheint auch der Bereich Luft- und Raumfahrt zu spielen (=6). Die Bundeswehrhochschulen kooperieren wiederum bei einzelnen Projekten mit anderen staatlichen Stellen (BMForschung u. Technologie, Kernforschungszentrum Karlsruhe), mit privaten Forschungseinrichtungen (Siemens) und Universitäten (TH Aachen).

3. Forschungen für sog. „dual-use“-Technologien werden fast ausschließlich über das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) durchgeführt. Dies betrifft den gesamten Bereich der Weltraumforschung (z.B. Forschungsprojekte zu NAVSTAR), aber sicherlich auch der Computertechnologie. Diese Projekte unter die Lupe zu nehmen, steht noch aus.

Hochschulen

(BMVg-FBWT-83-3)
Untersuchungen von Strömungen mit Ablösungsgebieten endlicher Länge
Gersten, K.; Wauschkuhn, P.; Pagendarm, H G
Bundesministerium der Venteidigung, Bonn, Bochum Univ. Inst für Thermo- und Fluiddynamik
(BMVg-FBWT-83-1)
Standardmethoden der Bildverarbeitung. T.4 Anleitung zur Bedienung des Programmsystems Schefkowitz, U. (Forschungsinstitut für Informationsverarbeitung und Mustererkennung, Karlsruhe) Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
(BMVg-FBWT-83-2)
Gewitterortung – Untersuchung zur Verbesserung von Gewittervorhersagen durch luftelektrische Methoden Mühleisen, R. (Tübingen Univ. Astronomisches Inst.) Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
(BMVg-FBWM-83-2)
Tierexperimentelle Untersuchungen zur Gasbrand- und Tetanusprophylaxe
Abschlußbericht. Abschlußdatum: 15.4.1983 Hohrecht, R.
Bundeswehr, Kiel-Kronsberg
Veterenäruntersuchungsstelle l; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn; Dokumentationszentrum der Bundeswehr
(BMVg-FBWM-83-1)
Untersuchungen zur Verbesserung der Anthrex-Dekontamination unter Feldbedingungen
Abschlußbericht. Abschlußdatum: 31.12 1982 Kraus, B.; Böhm, R.; Strauch, D. Hohenheim Univ., Stuttgart. Inst. für Tiermedizin und Tierhygiene mit Tierklinik; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn; Dokumentatonszentrum der Bundeswehr
Leckstabilität im Seegang Abschlußbericht
Söding, H.; Kröger, P.; Gerlach, E.
Hamburg Univ. Inst. für Schiffbau; Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Koblenz
(BMVg-FBWT-82-6)
Standardmethoden der Bildverarbeitung
Teil 3: Numerische Bewertung von Reihenentwicklungen für die Zielklassifizierung. Abschlußbericht. Abschlußdatum: 25 Mai 1982
Standard methods of Image processing
Bohner, M.; Kazmierozak, H.; Schlifkowitz, U.
Forschungsinstitut für Informationsverarbeitung und Mustererkennung, Karlsruhe; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn, Rüstungshauptabteilung
(BMVg-FBWM-83-5)
Feldstudie über latente Staphylokokken und Streptokokken-Infektionen bei Truppenteilen Abschlußbericht. Abschlußdatum: 30.4.1979 Heymer, B.; Spanel, R.; Galle, J.; Oltersdonf, T; Hauck, R; Haferkamp, O.
Ulm Univ. Abt. Pathologie; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn, Dokumentationszentrum der Bundeswehr
(BMVg-FBWM-83-4)
Erprobung neuerer endekripo- und anästhesiologischer Erkenntnisse bei der künstlichen Ernährung Schwerverwundeter
3. Zwischenbericht. Abschlußdatum: 31.12.1982 Mosebach, K. O.; Caspari, R.; Stöckel, H.
Bonn Univ., Physiologisch-Chemisches Inst.; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
(BMVg-FBWT-84-3)
RASS, ein akustisch-elektromagnetisches Fernmeldesystem für die untere Atmosphäre
Abschlußbericht
Hinzegeter, H. (Hamburg Univ. Meteorologisches Inst.); Peters, G.; Timmermann, H.
Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
Weiterführende Untersuchungen zum Stauflügelprinzip
Forschungsbericht
Kleineidam, G.; Schechting, U. J.; Staufendiel, R.
Technische Hochschule Aachen, Lehrstuhl und Inst. für Luft- und Raumfahrt; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
Synthetisch erzeugte oder natürliche Sprache als Stimmwarnungen im Flugzeugcockpit
Eine Untersuchung zur Verständlichkeit und Akzeptanz Rothbauer, G.; Dams, C.; Gora, E.; Kaiser, F.
Technische Univ. München, Lehrstuhl für Psychologie;
Bundesministerium der Verteidigung Bonn
(BMVg-FBWM-84-2)
Entwicklung eines Untersuchungsverfahrens zur Entdeckung von Grenzwert- und Übergangshypertonikern bei der Bundeswehr
Abschlußbericht zum Vorhaben. Berichtszeitraum: 1980-82
Schneider, B. (ed.); Pröhl, J.; Zywietz, C.
Bundesministerium der Verteidigung, Bonn.
Dokumentationszentrum der Bundeswehr; Medizinische Hochschule Hannover, Inst. für Biometrie; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
(BMVg-FBWM-84-1)
Untersuchung der Eisen-, Folsäure- und Vitamin B 12 sowie der Thiamin- und Vitamin C Versorgung der jungen Männer beim Eintritt in die Bundeswehr und unter den Bedingungen der Truppenverpflegung
Zwischenbericht. Berichtszeitraum: 5 Dec 1978-1982
Kübler, W; Fink, A. H.
Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
Dokumentationszentrum der Bundeswehr Gießen Univ., Fachbereich 19 – Ernährungswissenschaften; Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
(BMVg-FBWM-82-5)
Persistenz von Francisella tuarensis und Yersinia pestis in Mitteleuropa nach aerogener Ausbreitung
Gutachten
Böhn, K. H.; Kunstyr, I.
Hohenheim Univ., Stuttgart. Inst. für Tiermedizin und Tierhygiene mit Tierklinik;
Bundesministerium der Verteidigung, Bonn
Auslegung dünnwandiger Schalenstrukturen mit konzentrierten Krafteinleitungen. T.1.2
T.1: Auslegungsverfahren auf der Basis vereinfachter Schalentheorien und von Stabilitatsbetrachtungen. T.2: Berechnung von Detail- und Biegestörungsproblemen und Überprüfung von Näherungsmethoden mit der vollständigen technischen Schalentheorie. Veranstaltungsunterlagen zur Fachtagung Nr. F-3-312-520-1
Öry, H.; Fahlbusch, G.
Hochschule der Bundeswehr München, Neubiberg; Technische Hochschule Aachen, Lehrstuhl und Inst. für Leichtbau

Neue Studie: USA: Pentagon invades Academia

Neue Studie: USA: Pentagon invades Academia

Die Remilitarisierung der Forschung und Entwicklung

von Redaktion

Seit Beginn der 80er Jahre hat sich der Einfluß der Militärs auf Forschung und Entwicklung in den USA beträchtlich erhöht. Dramatisch beschleunigt wird dieser Prozeß durch SDI. Die Folgen: Wichtige Forschungsrichtungen, die der gesellschaftlichen Wohlfahrt dienen, werden sträflich vernachlässigt; die Geheimhaltung im Wissenschaftsbetrieb schreitet voran und eine Moral der Käuflichkeit der Wissenschaftler droht. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der Federation of American Scientists.

Die wichtigsten Daten der Analyse: Die staatlichen Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung (milFE) stiegen von 20,3 Mrd. im Finanzjahr 1981 auf 30,4 Mrd. $ im Finanzjahr 1985. Gleichzeitig fielen die nicht-militärischen Aufwendungen von 20,6 Mrd. auf 16,9 Mrd. $.

Das Wachstum der milFE wird begleitet von einer starken Zunahme der Forschungsfinanzierung an den Universitäten durch das Pentagon. Im Jahre 1975 war das Department of Defense mit 8,4 % an der Forschungsförderung der Colleges und Universitäten beteiligt. 1986 hatte sich dieser Anteil bereits auf 16,7 % verdoppelt.

In den 50er und 60er Jahren kam der Großteil der Mittel für FE aus dem Staatshaushalt; den Löwenanteil hiervon wiederum bestritt das Pentagon. Diese aus der Kriegs- und Nachkriegsperiode herrührende Struktur veränderte sich seit der zweiten Hälfte der 60er wesentlich. Die nichtstaatlichen (non-Federal) Mittel stiegen anteilsmäßig stetig und überflügelten 1980 erstmals die staatlichen Aufwendungen. Dabei handelt es sich v.a. um die Ausgaben der großen Firmen, aber auch um kommunale und universitäre Förderungsleistungen. Angenommen, daß die Beträge aus nichtstaatlichen Quellen nicht für militärische Zwecke verwendet würden, ergäbe sich für den Anteil der mil. FE in den USA folgende Konklusion (in %):

1960 54 %
1970 40 %
1980 27 %
1985 30 %

Es muß jedoch davon ausgegangen werden, daß Teile der Industrie-FE auf militärische Projekte ausgerichtet sind. Experten gehen von einer Quote zwischen 15 und 25 % aus. Dann müßte mit einem geschätzten Anteil von 34 bzw. 43 % militärisch orientierter Forschung an den gesamten FE-Aufwendungen in den Jahren 1980 und 1985 gerechnet werden.

Die Autoren der Studie kritisierten besonders die mit SDI eingeleitete Entwicklung. Den Finanzplan 1987-1991 zugrunde gelegt, würden am Beginn des nächsten Jahrzehnts 16 % der Pentagonmittel für Forschung, Entwicklung und Tests in das SDI-Projekt fließen. Noch signifikanter: der kumulierte Zuwachs im vorgesehenen SDIO-Budget mache etwa 45 % des gesamten kumulierten Zuwachses aus!

Verzerrung von Forschungsprioritäten

Die amerikanischen Wissenschaftler weisen auf die kanalisierende Wirkung (channeling effect) der Remilitarisierung hin; die Umverteilung der Mittel erfolge zu Lasten nützlicher Forschung. Während zwischen 1980 und 1986 der Anteil der Pentagonförderung für die Universitäten um 58 % gestiegen sei (in konstanten Preisen), konnte die National Science Foundation ihren Beitrag nur um 14 % steigern, derjenige des Department of Energy sei um 12 % gefallen. Die Gesundheitsforschung müsse mit sehr bescheidenen Zuwachsraten rechnen, vorgesehene Programme – z.B. zur AIDS-Bekämpfung – seien gekürzt worden. Ein anderes Beispiel für die fehlgeleiteten Forschungsressourcen stelle die Energieforschung dar. In der Periode 1979-1981 flossen 75 % der Ausgaben des Department of Energy in zivile Forschung; 25 % wurde für „atomic energy defense“ aufgebracht. 1987 würde der Anteil der milFE am DoE-Etat erstmals den der zivilen FE übersteigen!

Langfristig angelegte Projekte der Kernfusionsforschung seien auf Eis gelegt worden (z.B. im Lawrence Livermore Lab) zugunsten der Arbeit an schnell gepulsten Fusionsreaktoren, die den SDI-Satellitenkampfstationen als Energiequelle dienen sollen.

Die Studie prophezeit, daß sich die Nation in den 90er Jahren – wenn die Ölquellen langsam versiegen – wundern wird, was aus der Erforschung alternativer Energiequellen geworden ist…

Gegenüber dem Einwand, der militärische Anteil der Forschungsförderung habe in den 50er und 60er Jahren noch wesentlich höher gelegen, machen die Wissenschaftler auf die gesteigerte Anwendungsorientierung der Pentagon-Forschung aufmerksam. Die damalige Unterstützung habe sich stärker auf breite Förderung der Grundlagenforschung bezogen – z.B. im Bereich der Laser und Computertechnologien. Sie sei erfolgt in der unspezifischen Erwartung der Militärs auf militärische Nutzanwendung. Die Ergebnisse der Forschung seien in den 70ern zunehmend zivil-industriell umgesetzt worden: das Pentagon zog sich als Hauptförderer zurück. Nunmehr versuchten die militärischen Interessenten, aufbauend auf den Fortschritten der zivil ausgerichteten Forschung, nach speziellen militärischen Anwendungen nachzufragen. Natürlich liege der Anteil der „Entwicklung“ gegenüber der „Grundlagenforschung“ beim DoD traditionell hoch, aber 1985 einiges mehr als noch 1965 (s. Tab.).

Character of Federal R&D supported by the DoD & other Agencies
Proportion of all conduct of R&D in
Basic Research Applied Research Development
FY65 FY85 FY65 FY85 FY65 FY85
Departement of Defense 3,9 % 2,7 % 21,9 % 7,2 % 74,2 % 90,1 %
All other Agencies 15 % 37,6 % 16,8 % 31,8 % 68 % 30,6 %

Die zivil nutzbringende Anwendung der milFE werde allein schon durch den immer breiter werdenden Sektor der Geheimhaltung blockiert. Die Forschungspolitik der Reagan-Administration sei – so das Resümee der Federation of American Scientists – nicht geeignet, die Zukunftsprobleme der amerikanischen Gesellschaft zu lösen; sie stelle einen Mißbrauch der wissenschaftlichen, technologischen und ökonomischen Ressourcen dar.

Militärische Forschung: „Sie zieht nicht gerade die besten Köpfe an“

Militärische Forschung: „Sie zieht nicht gerade die besten Köpfe an“

von John Desmond Bernal

Das bewegende Schlußwort Dorothy Hodgkins auf dem Hamburger Naturwissenschaftlerkongreß hat vielen Jüngeren, die gekommen waren, das Gefühl und Wissen vermittelt, daß es neben der blutigen Geschichte der Naturwissenschaft auch eine große Tradition des Friedensengagements gibt, die es gilt in das Gedächtnis der Lehre, Forschung und Wissenschaftsöffentlichkeit zu holen. Von John Desmond Bernal hat seine Schülerin und wissenschaftliche Biographin, die Nobelpreisträgerin Hodgkin, 1980 gesagt: „Bernal war in seinen wissenschaftlichen Arbeiten ein großer Pionier, dessen Ideen und frühe Experimente viele der großen Fortschritte unserer Zeit beim Verständnis von Struktur und Funktion in Physik, Chemie und Biologie möglich machten.“ John Desmond Bernal (1901-1971), einer der bedeutendsten britischen Naturwissenschaftler dieses Jahrhunderts und zugleich Begründer der marxistischen Wissenschaftsforschung, ist zugleich als „Partisan des Friedens“ (Nature) unermüdlich, ein Leben lang für einen friedlichen Gebrauch der Wissenschaft und eine „Welt ohne Krieg“ eingetreten. Sein großes Werk „The Social Function of Science“, London 1939, ist jetzt erstmals in einer deutschsprachigen Ausgabe unter dem Titel „die soziale Funktion der Wissenschaft“ publiziert worden (mit einem Vorwort von Andre Leisewitz, herausgegeben von Helmut Steiner, Pahl Rugenstein Verlag, Köln 1986, 473 S. Unser Auszug ist dem Kapitel 7 „Wissenschaft und Krieg“ entnommen.

Die Orientierung der Forschung auf Kriegszwecke

Die relative Bedeutung, welche militärische Erwägungen für die Festlegung der Richtung der naturwissenschaftlichen Forschung haben, läßt sich recht gut aus einer Analyse der staatlichen Ausgaben für die Forschung ablesen. Wenn wir als erstes die Nettoausgaben des Department of Scientific and Industrial Research (D.S.I.R.)für das Rechnungsjahr 1936/37 betrachten, so stellen wir fest, daß die größte Summe, 105.000 Pfund Sterling, dem National Physical Laboratory zur Verfügung gestellt wurde, in welchem drei der wichtigsten Bereiche – Metallurgie, Aerodynamik und Funktechnik – eine mehr oder weniger direkte militärische Bedeutung haben. Eine Prüfung ihrer Berichte zeigt außerdem ziemlich klar, daß dies die Bereiche sind, welche die größte Aktivität entfalten und am besten geleitet werden. Die nächstgrößere Summe von 22.000 Pfund Sterling geht in die Kraftstofforschung, die sich vor allem mit der Kohleverflüssigung und der Erzeugung von Treibstoff aus Kohle befaßt, also ebenfalls direkte militärische Bedeutung besitzt. 38.000 Pfund Sterling fließen in die Nahrungsmittelforschung, die sich hauptsächlich mit Konservierungsmethoden beschäftigt. Somit können von den Gesamtausgaben des D.S.I.R. – das sind (abgesehen von den Zuwendungen für die Research Assaciations) 460.000 Pfund Sterling – etwa 160.000 Pfund Sterling, d.h. jedenfalls mehr als ein Drittel, militärischen Zwecken zugerechnet werden, oder sie hängen sehr eng mit möglichen militärischen Verwendungszwecken zusammen. Dabei kann es nicht den geringsten Zweifel geben, daß es gerade diejenigen Zweige der Arbeit sind, denen die staatlichen Behörden die größte Aufmerksamkeit schenken und die daher die besten Aussichten auf eine rasche Entwicklung haben.

Militärische Forschung

Militärische Forschung ist genau genommen noch einiges mehr als lediglich Forschung, die durch Vergrößerung der industriellen Effektivität und Erreichung der Unabhängigkeit von Lieferungen aus dem Ausland das militärische Potential zu erhöhen trachtet. Sie befaßt sich mit der Entwicklung und Erprobung von Angriffs und Verteidigungswaffen, und gerade dies verschlingt die Riesensummen, die eingangs erwähnt wurden.

Zwei charakteristische Merkmale unterscheiden diese Forschung von aller anderen Wissenschaft. Erstens ist sie bewußt auf einen gesellschaftlichen Zweck gerichtet, nämlich auf die schnellsten, effektivsten und schrecklichsten Mittel zur Tötung und Zerstörung, und zweitens wird sie unter extremen Geheimhaltungsbedingungen durchgeführt. Diese beiden Merkmale ziehen zumindest in Friedenszeiten eine Art Trennstrich zwischen der militärischen Forschung und dem Hauptkomplex der Wissenschaft. Bei der Produktion neuen Kriegsmaterials gelten gänzlich andere Erwägungen als bei der Herstellung neuer Produktionsmittel. Daß sie technisch perfekt und geeignet sind, schwerste Belastungen aushalten, wiegt viel schwerer als alle ökonomischen Überlegungen. In gewisser Hinsicht können daher in der Entwicklung militärischer Ausrüstungen bestimmte Ideen viel großzügiger in die Tat umgesetzt werden als bei solchen für den zivilen Bedarf. Wenn aber Geld schon kein Faktor ist, so doch Zeit. Wird nämlich die Suche nach neuen Waffen nicht in höchster Eile vorangetrieben, so besteht die Gefahr, daß man zurückbleibt und alles Geld, das schon in die Forschung geflossen ist, nutzlos vertan ist. Das Veralten, mit dem in der herkömmlichen Industrie überall schnell zu rechnen ist, spielt hier eine weit größere Rolle und führt zu einer viel größeren Verschwendung in der Forschung. Veralten tritt unter den Bedingungen der militärischen Produktion nicht nur automatisch ein, es wird überdies durch die Aktivitäten kommerzieller Waffenproduzenten in großem Maßstab gefördert. Während im kommerziellen Bereich eine Erfindung zurückgehalten wird, wenn sie zur Verschrottung großer Mengen wertvoller Anlagen führen kann, gilt im militärischen Bereich – wo der Steuerzahler für die Kosten aufzukommen hat der Grundsatz: je mehr Verschrottung, desto besser. Jede neue Waffe bedeutet neue Aufträge für den Fabrikanten, und der Staat hat die undankbare Aufgabe, veraltetes militärisches Gerät abzustoßen, mit dem dann rückständige Nationen ihre Kriege führen können. Natürlich sind auch entgegengesetzte Einflüsse am Werk. Die traditionelle Borniertheit und die konservative Einstellung der Militärs setzen der Entwicklung neuer Waffensysteme gewisse Grenzen. Sobald aber ein bedeutendes Land überredet werden kann, sie einzuführen, müssen die anderen folgen, und die engen Beziehungen zwischen Direktoren der Rüstungsfirmen und hohen Beamten der Armee und Marine führen oftmals zu dem Ergebnis, daß sich ihre Abneigung gegen Neuerungen verringert.

Die militärische Forschung bietet ein Bild, das mehr durch Hast, Vergeudung, Geheimhaltung und Überschneidungen entstellt ist, als die schlechtest organisierte industrielle Forschung. Es überrascht daher nicht, daß sie bei aller Ineffektivitat in Friedenszeiten den zusätzlichen Mangel aufweist, nicht gerade die besten Köpfe anzuziehen, wodurch ihre Effektivität noch weiter gemindert wird. Selbst in Ländern, in denen die Wissenschaft zum Kriegsdienst gezwungen wird, wie im heutigen Deutschland, dürfen wir einen beträchtlichen Teil stillschweigender Sabotage vermuten. Denn nur, wenn Wissenschaftler glauben, ihre Arbeit werde letztlich der Menschheit zum Wohle gereichen, werden sie etwas Spontanes oder Neues in der Richtung auf militärisch wichtige Erfindungen hervorbringen. Wie die Dinge liegen, muß es Tausende erfindungsreicher Wissenschaftler geben, die sich ohne große Schwierigkeiten enorme Verbesserungen der derzeitigen Verteidigungs- und Angriffswaffen ausdenken könnten und dies sicherlich auch heimlich getan haben, es aber vorziehen, ihre Ideen für sich zu behalten, sei es aus humanitären Gründen, sei es, weil sie über die Regierung ihres Landes eine eigene Meinung haben.

Der Wissenschaftler im Kriege

In Kriegszeiten konnte der Wissenschaftler natürlich stets davon überzeugt werden, daß die Sache seines Landes gerecht sei und daß er sich daher ohne Gewissensbisse der Verbesserung der Kriegskunst verschreiben könne. Seine Entscheidung wird dabei durch die Alternative erleichtert, entweder Gefängnis oder aber einen noch unerfreulicheren direkten Militärdienst in Kauf nehmen zu müssen. Die Haltung der Wissenschaftler während des Weltkrieges erscheint in der Retrospektive als ein höchst pathetisches Schauspiel. Jedes Quentchen von wissenschaftlichem Internationalismus war verlorengegangen, und die Wissenschaftler waren nicht zufrieden damit, an materiellen Zerstörungen mitzuwirken, sondern fühlten sich verpflichtet, Wissenschaftler und Wissenschaft der Feindesländer zu verunglimpfen.

Vorbereitung auf den totalen Krieg

Unser gegenwärtiger Zustand ist ein Zwischending zwischen Frieden und Krieg. Überall sind mit ständig zunehmender Intensität Kriegsvorbereitungen im Gange, die das ökonomische und politische Leben beherrschen. Mit Spanien hat der Krieg bereits seinen Einzug in Europa gehalten. Die Probleme der militärischen Forschung sind zu Aufgaben höchster Dringlichkeit geworden, und immer mehr Wissenschaftler werden zu ihrer Bearbeitung angeworben. Doch werden Wissenschaftler nicht nur aufgefordert, die militärische Forschung zu unterstützen, ihnen ist auch eine neue Rolle in der eigentlichen Kriegsführung zugedacht. Der moderne Krieg unterscheidet sich von allen Kriegen der Vergangenheit, selbst dem Weltkrieg, dadurch, daß von der gesamten Bevölkerung gefordert wird, daran teilzunehmen, und daß alle etwa den gleichen Gefahren ausgesetzt sind. Angriffe aus der Luft verschonen niemanden, und bei der neuen Aufgabe, die Bevölkerung vor solchen Angriffen zu schützen, erwartet man vom Wissenschaftler Mitarbeit an der praktischen Verteidigung, besonders an Schutzmaßnahmen gegen Giftgas. Diese Forderung hat dem Wissenschaftler unserer Tage mehr als alles andere den Sinn für die Realitäten der modernen Kriegführung geschärft. Es scheint an sich schon absurd und schrecklich genug, daß er seine Zeit und seine Intelligenz darauf verwenden muß, sich selbst und seine Mitbürger gegen eine Gefahr zu schützen, die es ohne die Wissenschaft nicht gäbe. Bei genauerer Betrachtung erkennt er überdies, daß das Problem des Schutzes gegen Luftangriffe nicht rein militärischer und technischer, sondern ebensosehr auch ökonomischer und politischer Natur ist, und daß gerade politische und ökonomische Erwägungen dazu führen, daß es weniger eine abscheuliche Notwendigkeit ist, die es in jedem Fall wäre, als schändlicher Betrug und schamlose Heuchelei.

Die Haltung der Wissenschaftler zum Krieg

Dennoch werden die Wissenschaftler, sei es durch ihre Mitwirkung an solchen Plänen des Luftschutzes, sei es durch ihren Protest dagegen, weit schärfer mit den Problemen von Krieg und Frieden konfrontiert als bisher. Meinungen, die zuvor als richtig und in Ordnung angesehen worden wären und gegen die sich keine Stimme des Protestes erhoben hätte, werden nun allmählich in Frage gestellt oder sogar öffentlich gerügt. Die Millionen, die im Weltkrieg Schaden erlitten haben, gewahren, daß ihre Leiden unmittelbar wissenschaftlichen Entwicklungen zuzuschreiben sind und daß die Wissenschaft, weit davon entfernt, der Menschheit zum Segen zu gereichen, sich tatsächlich als ihr schlimmster Feind entpuppt. Der Wert der Wissenschaft selbst wird in Zweifel gezogen, und schließlich waren die Wissenschaftler gezwungen, diesen Aufschrei zur Kenntnis zu nehmen. Besonders unter den jungen Wissenschaftlern breitet sich das täglich stärker werdende Gefühl aus, die Anwendung der Wissenschaft für den Krieg sei die schlimmste Prostitution ihres Berufes. Mehr als alles andere hat das Problem von Wissenschaft und Krieg die Wissenschaftler bewogen, über ihre eigenen Untersuchungen und Entdeckungen hinauszublicken und sich für den Gebrauch, den die Gesellschaft von diesen Entdeckungen macht, zu interessieren.

Dies führte unter anderem bei Wissenschaftlern zu einem viel stärkeren Widerwillen gegen freiwillige Mitarbeit an militärischer Forschung als früher und zu dem deutlichen Gefühl, daß die militärische Forschung den Geist der Wissenschaft in gewissem Sinne schände. Noch ist die Situation nicht so, großenteils weil es keine Organisation der wissenschaftlichen Arbeiter gibt, daß zu einem allgemeinen Boykott der militärischen Forschung aufgerufen werden könnte. Bei der gegenwärtigen Weltlage ist es sogar zweifelhaft, ob eine solche Politik begrüßenswerte Ergebnisse zeitigen würde, denn ihr erster unmittelbarer Effekt wäre, daß die demokratischen Länder gegenüber den faschistischen in Nachteil gerieten. Was allerdings getan werden kann und auch getan wird, ist, daß Wissenschaftler als aktive Partner aller Friedenskräfte gewonnen werden. Besonders in Frankreich und in Großbritannien nehmen zahlreiche Wissenschaftler, unter ihnen einige der hervorragendsten, aktiv an demokratischen Bewegungen teil, denen es um die Verhinderung von Kriegen und die Schaffung von Bedingungen geht, welche Kriege unmöglich machen.

Wissenschaftler organisieren sich für den Frieden

Ein bemerkenswerter Schritt nach vorn wurde von der Science Commission of the International Peace Campaign (Kommission Wissenschaft der Internationalen Friedenskampagne) auf ihrem Kongreß 1936 in Brüssel getan. Hier kamen Wissenschaftler aus dreizehn Ländern zusammen, um die Verantwortung der Wissenschaftler angesichts der drohenden Kriegsgefahr zu erörtern. Die Diskussion drehte sich großenteils um die Frage, ob Wissenschaftler sich am Kriege oder an Kriegsvorbereitungen beteiligen sollen. Es ist klar, daß es dazu tendenziell drei verschiedene Meinungen gibt. Einmal gibt es Leute, die sich unter allen Umständen an solchen Aktivitäten beteiligen wurden, entweder weil sie die Interessen des Staates als vorrangig ansehen oder weil sie glauben, es sei nicht Sache des Wissenschaftlers, sich um die Verwertung der Ergebnisse seiner Arbeit zu kümmern; es gibt andere, die unter keinen Umständen irgendetwas mit militärischen Arbeiten oder mit Kriegsvorbereitungen zu tun haben wollen; und schließlich ist da die größere, aber ziemlich schwankende Masse derjenigen, die ihre Beteiligung von den Umständen des Krieges bzw. seiner Vorbereitung abhängig machen wollen, d.h., von ihrer Auffassung, ob dies der allgemeinen Sache des Friedens zuträglich oder abträglich ist oder sein könnte. Es wird immer klarer, daß die Nationen vor der Alternative stehen, eine rein nationalistische und letztlich faschistische Politik mit ständig wachsenden Rüstungslasten zu betreiben oder sich zusammenzuschließen, um durch kollektives Vorgehen den Frieden durchzusetzen. Beides wird den Einsatz oder zumindest die Vorbereitung militärischer Maßnahmen erforderlich machen, doch werden viele Wissenschaftler, die nicht bereit sind, aus freien Stücken die erste Variante zu unterstützen, gern der zweiten ihre Dienste leisten. Die auf diesem Kongreß angenommenen. Resolutionen gingen nicht so weit, sondern brachten die Auffassungen zum Ausdruck, die von pazifistischen und von nichtpazifistischen Wissenschaftlern geteilt werden. Sie riefen nicht etwa alle Wissenschaftler auf, die Mitwirkung an Kriegsvorbereitungen jeglicher Art zu verweigern, sondern lediglich dazu, denjenigen, die es getan hatten und deshalb benachteiligt wurden, zu helfen. Die positivste Funktion galt jedoch der Forschung und der Propaganda. Untersuchungen über die Ursachen von Kriegen und über die genaue Rolle, welche die Wissenschaft dabei zu spielen hat, sollten angestellt und eine Propaganda, die die Ergebnisse dieser Untersuchungen Wissenschaftlern und der breiten Öffentlichkeit erläutert, betrieben werden.

Seit dem Kongreß wurde in verschiedenen Ländern die Arbeit in diesen Richtungen vorangetrieben. In Großbritannien wurde ein Nationales Komitee gegründet; aktive örtliche Gruppen existieren in London, Cambridge, Oxford und Manchester. Es muß allerdings eingeräumt werden, daß sich diese Bemühungen angesichts der ständig wachsenden Kriegsgefahr jämmerlich schwach ausnehmen. Die Wissenschaftler scheinen tatsächlich, und zwar aus Gründen, die später diskutiert werden, unter den heutigen Bedingungen kaum in der Lage zu sein, von sich aus viel für die Sache des Friedens zu tun. Zwar nehmen sie eine Stellung von entscheidender Bedeutung ein, es ist aber höchst unwahrscheinlich, daß sie sie nutzen werden. Sie sind viel zu tolerant, und sie stehen allzu sehr unter dem Einfluß der gesellschaftlichen Kräfte, die sie umgeben. Ehe sich ein wirksamer Widerstand von Wissenschaftlern gegen den Krieg erheben kann, muß ein gegenüber dem heutigen weitaus besseres Einvernehmen zwischen Wissenschaftlern und der Gesellschaft, in der sie leben, hergestellt werden. Gegen den Krieg kann man nur dann erfolgreich kämpfen, wenn man seinen gesellschaftlichen und ökonomischen Charakter voll verstanden hat, und von einem solchen Verständnis sind die Wissenschaftler noch weit entfernt. Andererseits wird es unmöglich sein, die konstruktiven und die destruktiven Aspekte der Wissenschaft voneinander zu trennen, solange nicht die Staatsbürger und ihre gewählten Körperschaften die Funktion, welche die Wissenschaft heutzutage im Frieden und im Kriege hat, und die Rolle, die sie bei richtiger Organisation spielen könnte, viel besser verstehen.

Rüstungsforschung im Etat 1987

Rüstungsforschung im Etat 1987

von Rainer Rilling

I. Benachteiligung von Wissenschaft und Forschung

Der Haushaltsentwurf 1987 setzt die bisherige Benachteiligung des Bildungs- und (zivilen) Wissenschaftsbereichs fort.

Gegenüber 1986 sieht er vor:

Ministerium 1986 (Mrd. DM) 1987 (Mrd. DM) Saldo
BMVg 49,91 51,3 +1,388
Darunter Mil. FuE 2,58 2,82 +240
BMFT 7,41 7,56 +149
BMBW 4,06 3,96 -100
Bund 263,48 217,00 +7520

Allein für militärische Forschung sollen 1987 fast fünf mal soviel Mittel zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, wie für die Ministerien für Forschung und Bildung zusammen. Bemerkenswert ist vor allem die nun schon seit Jahren andauernde Stagnation bzw. Verminderung der Mittel des Ministeriums für Bildung Wissenschaft. Seit 1982 konnte das BMVg als einziges Bundesministerium seinen Anteil am Forschungsbudget des Bundes steigern, alle anderen Ministerien verloren zu Lasten der Militärforschung. Für die gesamte Legislaturperiode der gegenwärtigen Bundesregierung zeichnet die Haushaltsstatistik ein deutliches Bild. Der Etatentwurf 1978 ist der fünfte seit 1982, den die konservativ-liberale Koalition zu verantworten hat. Die in der Finanzplanung ausgewiesenen Funktionsbereiche zeigen eine krasse Verschiebung: zwischen 1982 und 1990 (unter Einschluß der neuen Finanzplanung) wachsen die Militärausgaben um über 10 Mrd., während die gesamten Bundesmittel für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur um ganze 1,5 Mrd. DM zunehmen.

II. Die Ausgaben für militärische Forschung

Die im Kapitel 1420 des BMVg-Etats veranschlagten Mittel für militärische Forschung, Entwicklung und Erprobung nehmen seit Jahren überdurchschnittlich zu (1982: 1987 + 70%). 1986 wie 1987 wird mindestens jede fünfte Mark, die der Bund für Forschung und Entwicklung ausgeben wird, in den militärischen Bereich fließen.

Ausgaben für militärische
Forschung und Anteil an den FuE-Ausgaben des Bundes in Mrd. DM (Epl. 14 Kap.1420)
1982 1.644 +9,1 % 13,9 %
1983 1.858 +9,7 % 16,4 %
1984 1.948 +6,7 % 16,4 %
1985 2.499 +28,3 % 19,4 %
1986 2.579 +3,2% ca. 20,0 %
1987 2.837 +10.0% ca. 20,5 %

Das Gesamtbudget Rüstungsforschung ist jedoch wesentlich umfangreicher. Berücksichtigt man die an anderen Stellen des öffentlichen Haushalts ausgewiesenen Ausgaben, dann liegen die Ausgaben seit Jahren um über eine Mrd. DM höher als die Ansätze des Kapitels 1420.

Unter Einbeziehung weiterer Mittel – der Zuschläge für „freie Forschung“ und der vermutlich zunehmenden eigenfinanzierten industriellen Rüstungsforschung sowie der von anderen Ministerien in ziviler wie militärischer Nutzungsabsicht finanzierten Forschung – dürfte sich 1987 das Gesamtbudget Rüstungsforschung der 7 Mrd. DM Grenze nähern (Auftragsmittel des Pentagon für die SDI-Forschung nicht einberechnet).

Die technisch-naturwissenschaftliche Forschung wird – „von Einzelaufträgen in der Industrie und an den Hochschulen“ (BMFT, Faktenbericht 1986, S.144) abgesehen – in den grund- und zum Teil einzelauftragsfinanzierten staatlichen Einrichtungen der Militärforschung FhG, FGAN, DFVLR, ISL und FWG durchgeführt, die medizinische Militärforschung von Wissenschaftlern der Hochschulen und anderer ziviler Institutionen durchgeführt. Daneben werden im Rahmen der sogenannten Sonderforschung in eigenen Forschungseinrichtungen wehrmedizinische Forschungsvorhaben bearbeitet.“ (Ebd., S. 145).1nsgesamt aber gehen mittlerweile bereits über vier Fünftel der FuE-Mittel des BMVg in die Industrie; der Anteil der militärischen Forschung an den staatlichen Forschungsmitteln, die in die Industrie fließen, hat sich seit 1982 auf fast 40% nahezu verdoppelt: Rüstungsforschung wird immer mehr Rüstungsindustrieforschung. Vom Rückzug des Staates aus der industriellen Forschung bzw. ihrer Beeinflussung ist im Rüstungssektor nicht die Rede. Auch die regionale Konzentration der Mittel für Rüstungsforschung hält an: rund 67,6% der Mittel entfallen gegenwärtig auf Bayern und Baden-Württemberg, 18,0% auf Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein,14,4% auf NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland.

III. Die Wende wird fortgesetzt

In der Auseinandersetzung um eine Neuprofilierung der Forschungspolitik haben die Verfechter einer rüstungspolitisch orientierten Variante im letzten Jahr erheblich an Boden gewonnen.

1. Der Abschluß des SDI-Abkommens hat zu einigen ersten Abschlüssen geführt und wird die traditionell enge Verflechtung zwischen der amerikanischen und bundesdeutschen Rüstungsforschung mit Sicherheit verstärken. Die rüstungsindustrielle Machtbasis wurde durch Konzentration und Zentralisation verbessert (MBB, Daimler-Benz).

2. Die planerische und organisatorische Straffung des forschungspolitischen Rüstungsmanagements wurde fortgesetzt und mit dem Erlaß der 'Rüstungsbestimmungen für wehrtechnische Forschung und Technologie sowie der Forschungs- und Technologie-Leitlinie 1987 vorläufig abgeschlossen. Die Verbindungen zwischen ziviler und militärischer Forschungsförderung wurden verdichtet:

„Angesichts der Bedeutung moderner Technologien für militärische ebenso wie für zivile Anwendungen arbeiten beide Verantwortungsbereiche – der zivile und der militärische, das BMFT und das BMVg – auf einigen Teilgebieten eng zusammen. So werden z.B. die jeweiligen Planungen zur Weiterentwicklung elektronischer Bauelemente und der Datenverarbeitung der Ministerien aufeinander abgestimmt. Elektronische Bauelemente, moderne Rechnerstrukturen und Softwaretechnologie – um nur drei Beispiele zu nennen – sind sowohl zivil wie militärisch von größten Interesse und in den Grundkonzeptionen gleich.“ Hans-Hilger Haunschild, BMFT-Staatssekretär auf der 60. Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik im April 1986 (Wehrtechnik 7/1986 S.61).

3. Obwohl etwa für das BMFT der „amerikanische Weg“, bei dem staatliche Finanzierung von Technologieentwicklungen ganz wesentlich über militärische Projekte erfolgt und über Entwicklungsaufträge der NASA… keine Alternative ist, da „der primär zivile Weg ebenso funktioniert“ (Haunschild), hat sich die BRD ein großes Stück zu diesem Weg bewegt, wie die Ressourcenentwicklung zeigt. Je nach Bezugsgröße hat die konservativ-liberale Regierung seit 1982 die Ansätze für Rüstungsforschung um 1-2 Mrd. DM angehoben. Wie tiefgreifend die Schwerpunktveränderung ist, kann man aus der Verteilung der zusätzlichen Ressourcen für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung (außerhalb der Hochschulen) seit 1982 erkennen.

Von den rund 5,1 Mrd. DM, die per Saldo bis 1987 gegenüber 1982 zusätzlich für die großen Schwerpunktprogramme der Forschungsförderung des Bundes (=ca. 70% der Bundesausgaben für Forschung) sowie die Trägerorganisationen (DFG, MPG, FhG) ausgegeben wurden, gingen 3,4 Mrd. DM in die Rüstungsforschung. Knapp 60% der 446 Mio. die der Haushalt 1987 gegenüber 1986 an zusätzlichen Forschungsmitteln vorsieht, werden in den militärischen Bereich gelenkt (258 Mio.) Diese Quote liegt weit über dem momentanen Anteil der militärischen Forschung am Gesamtbudget Forschung der Bundesrepublik.

Überragendes Gewicht hat die Förderung des militärischen Bereichs. Mit großem Abstand folgt eine Reihe von industrierelevanten Programmen, die zum Teil ebenfalls militärisch relevant sind. Ökologisch und sozialpolitisch orientierte Programme spielen dagegen eine nachgeordnete oder unbedeutende Rolle.

Dr. Rainer Rilling, Soziologe, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.