Hochschule zwischen Ökonomisierung und Militarisierung

Hochschule zwischen Ökonomisierung und Militarisierung

von Redaktion

Hochschulpolitik findet wieder statt. Strukturveränderungen sind angekündigt. Der Hochschulforschung wird wachsendes Gewicht attestiert. Damit ist erneut der öffentliche Diskurs über die künftige Rolle der Hochschulwissenschaft in Gang gekommen. Welche „Bringschuld“ hat sie gegenüber der Gesellschaft? Für welche gesellschaftliche Zwecke arbeitet sie?

An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster beschäftigen sich vom 18.-20. Januar mehrere Hundert Wissenschaftler und Studierende mit der Frage, welche Gefahren den Hochschulen „zwischen Ökonomisierung und Militarisierung“ drohen.

Die Positionen markieren zwei Ereignisse der letzten Wochen: Am 16.1.1985 trifft der im Bonner Verteidigungsministerium für Beschaffung und Ausrüstung zuständige Staatssekretär Timmermann mit Repräsentanten der Technischen Universität Hamburg zusammen, um über einen möglichen Rahmen der Zusammenarbeit im Bereich der technischen Forschung zu verhandeln. Der zweite Bürgermeister der Hansestadt, A. Pawelczyk, betont die ehrgeizigen Pläne zum Ausbau und zur Profilierung der TU. Es gehe um die Überwindung des „Nord-Süd-Gefälles“. Zusammenarbeit mit der Bundeswehr sei „selbstverständlich“. Finanzmittel Für Rüstungsforschung sind da. Das Militär kauft sich in die Hochschule ein.

Am 22.1.1985 spricht sich eine Kommission des Konzils der Technischen Universität Berlin Für die Schaffung eines Friedensforschungsinstituts an der TU aus. Damit solle die „Sozialverpflichtung“ der natur

und ingenieurwissenschaftlichen Forschung stärker betont werden. Das Institut solle den Namen Albert Einsteins Tagen. Ob für ein solches Institut Mittel zur Verfügung gestellt werden, ist noch offen …

Manches deutet darauf hin, daß sich Angriffe auf die Friedenswissenschaft häufen werden. Der in diesem Heft dokumentierte Konflikt an der FH Hamburg ist ein Beispiel dafür. Die geplante Novellierung des Hochschulrahmengesetzes verschlechtert die Bedingungen für Hochschulfriedensarbeit ohnedies: Organisation der Wissenschaft nach der Maßgabe betrieblicher Rationalisierungspolitik, Steuerung der Wissenschaft nach dem Kriterium der zahlungskräftigen Nachfrage und Disziplinierung der Nachwuchswissenschaftler und Studierenden vertragen sich schlecht mit kritischem, universeller ausgerichtetem Denken über die langfristigen Folgen der Wissenschaft.

Die weitere Verankerung der Kriegdiensthematik in der Wissenschaft, an den Hochschulen, ist eine sehr wichtige Aufgabe, wenn die Sache der Friedensbewegung vorankommen soll. Initiativen wie an der TU Berlin müssen Solidarität erfahren. Beispiele über konkrete Projekte, in denen im Rahmen des „normalen“ Lehrbetriebes zur Friedensproblematik gearbeitet wird, sollten weitergetragen werden. Auch die Verhinderung gesetzlicher Regelungen, die Friedensengagement erschweren, steht auf der Tagesordnung. Auf dem Münsteraner Kongreß hat der Physiker Hans-Peter Dürr noch einmal die besondere Verantwortung der Wissenschaftler und ihre besonderen Möglichkeiten betont. Er faßte seine Vorschläge zur Weiterarbeit zusammen:

1. Zur intellektuellen Aufbereitung der Fakten und Zusammenhänge sind weiterhin überdisziplinäre Veranstaltungen wie Ringvorlesungen nötig.

2. Die Vortragsreihen sind zu ergänzen durch interdisziplinäre Arbeitsgruppen' durch längerfristig wirkende Studiengruppen, die versuchen müssen, eine „integrierte Politikberatung“ zu entwickeln.

3. In den Prozeß der Forschung und Lehre muß die Friedensproblematik integriert werden.

4. Große Kongresse – auf internationaler Ebene etwa Pugwash – haben Weiterhit wichtige Funktionen, um gezielt eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.

5. Anzustreben ist die Verstärkung der Kontakte über Blockgrenzen hinweg. Nur internationale Studiengruppen sind heute noch in der Lage, die übergreifenden Probleme anzugehen.

Der Kongreß in Münster selber war ein wichtiges Beispiel dafür, daß in der ganzen Breite der akademischen Disziplinen eine kritische Aufarbeitung des Krieg-Frieden-Themas begonnen hat und daß dabei eine wechselseitige Befruchtung stattfindet.

In der Abschlußerklärung wird formuliert: „Deshalb setzen wir uns dafür ein, daß

  • verstärkt die Verantwortung der Wissenschaftler für die Folgen ihres Tuns öffentlich diskutiert und im Sinne einer allgemeinen Wissenschaftsethik – analog zum hippokratischen Eid – in allen Disziplinen Gegenstand des wissenschaftlichen Reflexionsprozesses wird;
  • die Universitäten aufgefordert werden diejenige Forschung zu fördern, die die Ursprünge der Instrumentalisierung der Wissenschaften zu inhumanen Zwecken aufdeckt. Wie der Kongreß gezeigt hat, sind diese Ursprünge auch in der Geschichte der Disziplin zu suchen;
  • die Universitäten aufgefordert werden, in Studienordnungen und Lehrveranstaltungen die Friedensverpflichtung der Wissenschaften inhaltlich zu verankern;
  • die Universitäten aufgefordert werden, Initiativen für die Institutionalisierung von interdisziplinärer Kommunikation und Reflexion und notwendige Öffentlichkeit der Wissenschaften hergestellt wird.“

Die Auseinandersetzung um das künftige Profil der Hochschulen wird ein wichtiges Moment der Wissenschaftler-Friedensbewegung 1985 sein.

Darüber hinaus steht sicherlich die Ausweitung der berufs- bzw. fachspezifischen Initiativen (s. in diesem Heft: Spachwissenschaftler), die Verstetigung ihrer Arbeit und ihre verstärkte Orientierung auf den interdisziplinären Dialog an.

Einige Berufsgruppen planen für 1985 bundesweite Kongresse: 3. Pädagogen-Friedenskongreß am 27./ 28.4. Richter und Staatsanwälte am 15./ 16.11. Psychosoziale Berufe am 30.11./ 1.12.

Die Aktivitäten der Friedensbewegung werden auch geprägt sein von der geistigen Auseinandersetzung um den 8. Mai 1945. Zahlreiche Veranstaltungen, Diskussionsforen und Aktionen werden zu diesem Gedenktermin stattfinden. Dabei wird nicht nur die Aufarbeitung der Historie zur Debatte stehen. Um die Lektion geht es: Friedliches Nebeneinander der Völker ist unverzichtbar; die Kriegsgefahr heute zu bannen, heißt die Rüstungseskalation zu stoppen und mit der Abrüstung zu beginnen.

Des Senators Zwiesprach. Meyer-Abich und die Rüstungsforschung

Des Senators Zwiesprach. Meyer-Abich und die Rüstungsforschung

von Dietrich Rabenstein

„Soweit Wissenschaft und Technik zur Waffenentwicklung beitragen, haben Wissenschaftler und Ingenieure auch ein Mandat, sich dem entgegenzustellen.“ „Ein Atombombenwissen ist nicht wissenswert. Ein Weltraumwaffenwissen ist ebenfalls nicht wissenswert. Wissenswert wäre ein Erhaltungswissen, das dem Frieden dient und der Zerstörung entgegen wirken kann. Ein heilendes Wissen, ein Friedenswissen.“

Mit diesen Worten stellte sich der neue Hamburger Wissenschaftssenator Prof. Dr. Klaus Michael Meyer-Abich in seiner Eröffnungsansprache zum Kongreß „Verantwortung für den Frieden“ am 5.7.84 in der Universität Hamburg den Hamburger Hochschulen vor.

Zwei Monate später ließ er seine Behörde zwei Sätze aus dem „Friedensbeschluß“ 1 des Senats der Fachhochschule Hamburg aufheben.

Diese beiden Sätze lauten: „Die Fachhochschule lehnt die Zusammenarbeit mit Firmen und Institutionen bei Projekten ab, deren militärische Zweckbindung erkennbar ist und fahrt keine Untersuchung durch und übernimmt keine Aufträge, die offensichtlich militärischen Zwecken dienen.“ Und „Alle neuen Mitglieder sind auf diesen Beschluß hinzuweisen.“

Was führte zu diesem Beschluß des FH-Senats?

Die Debatte um die Stationierung von punktgenauen Mittelstreckenraketen und von Cruise Missiles in der Bundesrepublik sowie um die neue US-Militärdoktrin Air-Land-Battle machte auch vor den Toren der FH Hamburg, mit rund 11000 Studierenden zweitgrößte Hochschule Hamburgs, nicht halt. Nach Bildung von Friedensinitiativen, nach Aktionstagen und Unterschriftensammlungen für eine atomwaffenfreie Zone FH Hamburg (auch etwa 150 Hochschullehrer hatten unterschrieben) erklärte das viertelparitätisch besetzte Konzil der FH die Fachhochschule symbolisch zur „atomwaffenfreien Zone“.

Mit dieser Erklärung verband das Konzil die Aufforderung an die Mitglieder der. Fachhochschule, „durch ihre Tätigkeit in Studium, Lehre und Forschung zur Friedenssicherung ohne Atomwaffen und alle anderen Massenvernichtungsmittel beizutragen, um auf diese Weise ihre besondere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen.“

Als trotz der eindrucksvollen Aktionen der Friedensbewegung die PERSHING II Stationierung vollzogen wurde, drängte vor allem die Studentenschaft der FH auf eine Konkretisierung des Konzilbeschlusses. Ein von Studentenvertretern vorgelegter Antrag beschäftigte den Senat der FH mehrere Sitzungen hindurch, bis eine Formulierung des Beschlusses gefunden und verabschiedet war, die auch nach Meinung des Präsidenten der FH rechtlich nicht zu beanstanden war.

Die beiden von Senator Meyer-Abich aufgehobenen Sätze sind Bestandteile dieses Senatsbeschlusses vom 15.12.83, modifiziert am 26.1.84. Um Mißverständnisse zu vermeiden, hatte der FH-Senat deutlich gemacht, daß es sich beim ersten, jetzt aufgehobenen Satz um eine Meinungsäußerung des FH

Senats und nicht um einen Beschluß mit bindender Wirkung handele, daß also kein Mitglied der FH in seinen Grundrechten nach Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes (Freiheit der Forschung) beeinträchtigt werde. Auch bei der Veröffentlichung des Beschlusses sollte hierauf ausdrücklich verwiesen werden. Am 25.10.84 erläuterte Meyer-Abich persönlich dem FH-Senat die Gründe für die Aufhebung der beiden Sätze:

Friedensdienst mit der Waffe sei ebenso anzuerkennen wie Friedensdienst ohne Waffen. Es sei festzuhalten daran, daß auch Dienst in der Bundeswehr Friedensdienst sei. Selbstverpflichtungen, natürlich nur im Rahmen der Amtspflichten, seien individuell möglich, auch er selbst würde solche jederzeit befürworten und unterschreiben, aber solche Verpflichtungen könnten nicht anderen vorgeschrieben werden.

Das aber hatte der FH-Senat mitnichten getan! Er hatte darauf gehofft, daß die Auffassung der Mehrheit der gewählten Gremienvertreter vielen Hochschulmitgliedern als persönliche Entscheidungshilfe dienen könnte.

Wie begründet die Behörde die Aufhebung von Teilen des FH-Friedensbeschlusses?

Im Aufhebungsschreiben heißt es lapidar: „Der Beschluß des Fachhochschulsenats verstößt gegen Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes. Denn das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre garantiert den einzelnen forschenden und lehrenden Mitgliedern der Fachhochschule auch die Beteiligung an Projekten und Untersuchungen mit militärischen Zwecken oder Zweckbindungen, da der Friedensdienst sowohl mit als auch ohne Waffe in der Verantwortung vor der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.“

Daß es sich nach dem Willen des FH-Senats um eine Meinungsäußerung ohne bindende Wirkung handelt, wird dabei zunächst schlicht ignoriert. Erst als die GAL in der Hamburger Bürgerschaft eine schriftliche Kleine Anfrage 2 einbringt antwortet der Hamburger Senat hierauf „Die aufgehobenen Passagen des Beschlusses des Fachhochschulsenats beschränken … die individuellen Grundrechte der übrigen Mitglieder der Hochschule. Schon aus der Formulierung der beanstandeten Passagen: „Die Fachhochschule lehnt ab …“, die 13 der 23 Anwesenden befürwortet haben, ergibt sich, daß keine individuellen Meinungsäußerungen der Mitglieder des Gremiums vorliegen „…Die Erklärung der beanstandeten Passagen als unverbindlich wird durch die Grundrechtsverletzung gegenstandslos.“

Die letzten Sätze muß man genau lesen und sich dann in die Antwort des Senats auf eine andere Schriftliche Kleine Anfrage 3 vertiefen:

Die Bezirksversammlung Eimsbüttel hatte 1983 den Bezirksamtsbereich durch einen gemeinsamen Beschluß von SPD und GAL zur „Atomwaffenfreien Zone“ erklärt.

Also fragte der Abgeordnete Klimke (CDU): „Hält der Senat es mit den Kompetenzen und Aufgaben von Bezirksversammlungen und Regionalausschüssen vereinbar, derartige Beschlüsse zu fassen?“

Darauf der Hamburger Senat: „Bei dem Beschluß der Bezirksversammlung Eimsbüttel handelt es sich um eine politische Bekundung ohne rechtliche Verbindlichkeit. Andernfalls hätte der Beschluß gegen das Bezirksverwaltungsgesetz bzw. gegen Kompetenzen des Grundgesetzes verstoßen … Es handelt sich um eine unverbindliche Meinungsäußerung der Bezirksversammlung.“

Das „Unternehmen Hamburg“ braucht Rüstungsaufträge

Zuviel Zurückhaltung der Hamburger Hochschulen gegenüber militärischer Forschung paßt eben nicht ins Standortkonzept des „Unternehmens Hamburg“. Zumal der Druck auf die TU Hamburg-Harburg, die sich im Aufbau befindet, offenbar sehr groß ist.

Diese Deutung wird gestützt durch weitere Passagen aus der Antwort des Senats auf die Anfrage der GAL 2: „…jeder Student hat das Recht, in seinem Studium Schwerpunkte zu wählen, die ihm eine rüstungsrelevante berufliche Beschäftigung ermöglichen.“ … Ein „normaler“ technischer Studiengang reicht dazu womöglich gar nicht?

„Hochschulen, die Ingenieure, Naturwissenschaftler, Sozialwissenschaftler und Mediziner ausbilden, entlassen Absolventen, die möglicherweise in ihrem Berufsleben mittelbar oder unmittelbar rüstungsrelevante Tätigkeiten ausüben.

Hochschulen, die diese Tatsache – etwa auf der Basis der beanstandeten Beschlußpassagen … – durch Änderung von Ausbildungsgängen oder Studienordnungen entgegenwirken wollen, verletzen ihren Bildungsauftrag.“

Seinen Bildungsauftrag verletzt also nach Auffassung des Hamburger Senats ein Fachbereich, der aus wissenschaftlicher Einsicht in die Gefahren zunehmender Militarisierung und Hochrüstung ein Seminar zum Thema Frieden und Abrüstung in einer Studienordnung verankert!

Aber über die Beteiligung an militärischen Untersuchungen und Projekten entscheidet jedes Hochschulmitglied selbst, gesetzt den Fall, es darf das im Rahmen seiner dienstlichen Pflichten?

Als jedoch Timmermann (BMVg), der 2. Hamburger Bürgermeister Pawelczyk und Meyer-Abich am 16.1.85 bei der TU Harburg vorsprachen, um „Möglichkeiten für Rüstungsforschung zu klären“ 4, bezog da nicht auch der Gründungsrektor Stellung fr die Hochschule und wäre es für ihn nicht hilfreich gewesen, eine Meinungsäußerung seines Gründungssenats zur Beteiligung an Rüstungsforschung zu haben?

Wie geht es weiter?

Der FH-Senat zögert zwar bisher, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Die Mehrheit des Fachhochschulsenats blieb aber hartnäckig und bestätigte erneut den Inhalt ihres Beschlusses:

Der Fachhochschulsenat bekräftigt noch einmal, daß er mit den aufgehobenen Beschlußteilen eine Meinungsäußerung bezweckt hat. Er begrüßt nach wie vor, wenn die Mitglieder der Fachhochschule nicht mit Firmen und Institutionen bei Projekten zusammenarbeiten würden, deren militärische Zweckbindung erkennbar ist, und sich an keinen Untersuchungen und Aufträgen beteiligen würden, die offensichtlich militärischen Zwecken dienen …“ 5

Daß sich Senator Meyer-Abich letztlich aber gern erbietet, den Hamburger Hochschulen Entscheidungen zur Verantwortung der Wissenschaft abzunehmen, das geht aus seinen Ausführungen zu den Aufgaben der Hamburger Hochschulen und einem längerfristigen Strukturkonzept fr sie („Unternehmen Hamburg“ im Hinterkopf!) hervor: Es bedarf dazu einer gemeinsamen Anstrengung, in der die Hochschulen lernen, vom Ende her zu denken; der Senator den Hochschulen diejenigen Entscheidungen. abnimmt, welche in Kollegialorganen nicht einvernehmlich möglich sind, sondern die Basis der Zusammenarbeit untergraben würden.“

Dem Denken vom ENDE her, kann zugestimmt werden!

Anmerkungen

1 Der „Informationsdienst Wissenschaft und Frieden“ hat hierüber bereits in seiner Ausgabe 2/84, S. 21 berichtet.Zurück

2 Drucksache 11/3040 – 1.10.84 Zurück

3 Drucksache 11/228 – 1.3.83 Zurück

4 Hamburger Abendblatt 15./17.1.85; Hamburger Rundschau 31.1.85 Zurück

5 FH-Senatsbeschluß am 22.11.84 Zurück

Dr. Dietrich Rabenstein ist Hochschullehrer an der FH Hamburg.

Rüstungsforschung und Dritte Welt

Rüstungsforschung und Dritte Welt

von Ulrich Albrecht

Die 2. Sondergeneralversammlung für Abrüstung, welche die Vereinten Nationen einberiefen, hat bekanntlich wenig erbracht – im Gegensatz zur Vorveranstaltung, die ein bis heute eindrucksvolles Schlußdokument über die Notwendigkeit der Abrüstung zu Wege brachte. Auf der folgenden regulären Vollversammlung beschlossen die Vereinten Nationen immerhin, einen Weltbericht über Rüstungsforschung beim Generalsekretär zu bestellen. Eine Koalition von Vertretern nordischer Länder, voran Schweden, und aus Entwicklungsländern brachte die Resolution gegen den Widerstand führender Militärmächte durch. 26 Entwicklungsländer hatten bislang auf die Fragebögen des UN-Sekretariats zur vereinheitlichten Erfassung von Militärausgaben reagiert und ihrer Sorge Ausdruck gegeben, daß mit ihrem Einbezug in das Wettrüsten nun auch ein Wettlauf in der Rüstungsforschung in der Dritten Welt ausbreche.

Das Mandat für die Untersuchung lautet: „Die Vollversammlung fordert den Generalsekretär auf, mit Blick auf die möglichen Einsparungen, die in vorhandenen Budgets vorgenommen werden könnten, mit Hilfe qualifizierter Regierungsexperten eine umfassende Untersuchung über die Reichweite, die Funktion und die Richtung der militärischen Nutzung von Forschung und Entwicklung, die darin wirksamen Mechanismen, die Rolle im Rüstungswettlauf insgesamt und im nuklearen Wettrüsten im besonderen, die Wirkung auf Rüstungsbeschränkung und Abrüstung besonders in Bezug auf Großwaffen wie Kernwaffen und andere Massenvernichtungsmittel vorzulegen, um ein qualitatives Wettrüsten zu verhindern und sicher zu stellen, daß Fortschritte in Wissenschaft und Technik schließlich nur für friedliche Zwecke verwendet werden. „Als bemerkenswert wurde empfunden, daß sich alle fünf Atommächte sowie die „halbe“ Atommacht Indien („halb“, weil das Land eine sogenannte „friedliche“ Explosion eines Kernsprengsatzes ausgeführt hatte) mit der Benennung von Regierungsexperten an der Studie beteiligten. Widerstände gegen das gesamte Unternehmen gab es besonders auf amerikanischer Seite bis zum Abschluß der Studie – der US-Experte wollte kurz vor Abgabe des Textes überraschend wissen, was zum Beispiel „friedliche Zwecke“ im Resolutionstext seien, dies müsse erstmal wissenschaftlich geklärt werden. Den Arbeitsalltag solch einer Kommission von Regierungsexperten darf man sich nicht zu wissenschaftlich vorstellen. Politische Gegensätze, besonders zwischen den Vereinigten Staaten und der UdSSR, werden fortwährend bei Streitereien über Details ausgetragen. Die Bezeichnung „Experte“ verdienen einige der Kommissionsmitglieder schwerlich auch bei freundlichster Würdigung lassen sich einige der von ihren Regierungen berufenen Ex-Diplomaten oder Soldaten kaum so klassifizieren. In der Gruppe wurde auch vermutet, daß einzelnen Regierungen, die an dem Unternehmen mitwirkten, eher an einer Sabotage des Vorhabens als an einem möglichst informativen Bericht gelegen sei. Vor diesem Hintergrund bleibt umso bemerkenswerter, wie eine Anzahl von wirklichen Fachleuten aus der Dritten Welt und anderen Staaten engagiert gemäß Aufgabenstellung diesen Weltbericht über Rüstungsforschung voranbrachten. Das Gesamtergebnis: das qualitative Wettrüsten hält mit Macht Einzug in die Dritte Welt und absorbiert die knappen Wissenschaftsressourcen dort mit womöglich noch größeren Nachteilen für die Entwicklung dieser Regionen, als dies in der industrialisierten Weit der Fall ist. Die Ausbreitung von Rüstungsproduktion in der Dritten Weit, durch die Auslagerung von Waffenfertigung in Niedriglohnländer durch multinationale Konzerne sowie nationale Bestrebungen, politische Unabhängigkeit durch Autarkie in der Rüstung zu erlangen, führen zu einem breiten Strom der Rüstungsproliferation, und darin anspruchsvoller Technologie in der Waffenkonstruktion sowie der Waffenfertigung.

Die UN-Studie geht von der Prämisse aus, daß in allen Ländern, die sich an der Fertigung von Waffen beteiligen, auch Ausgaben für Rüstungsforschung anfallen. Überraschenderweise stellte sich heraus, daß einzelne Länder, die keinerlei Rüstungsindustrie haben, auch Staatsausgaben für Rüstungsforschung melden wie zum Beispiel Senegal. Am Beispiel Saudi Arabiens, einem weiteren Fall aus dieser Klasse, wird dieser widersprüchlich erscheinende Tatbestand verständlich. Es scheint ein Ablaufmuster zu geben, demzufolge die Einrichtung Höherer technischer Lehranstalten in Ländern der Dritten Welt binnen weniger Jahre zur Vergabe von Forschungsaufträgen des Verteidigungsministeriums führt. So erhielt die erste TH in Saudi-Arabien, die „Universität des Öls und der Mineralien“ (wie sie amtlich heißt) drei Jahre nach ihrer Gründung den ersten Forschungsauftrag der Königlichen Saudischen Luftstreitkräfte. Im Jahre 1983 waren an dieser Hochschule 190 Wissenschaftler im Rahmen militärischer Projekte beschäftigt.

Aufgrund der Datenlage bleibt es schwierig, ein Gesamtbild der Rüstungsforschung in der Dritten Welt zu zeichnen. Die nachstehende Tabelle hat in der Sicht des Vorsitzenden der UN-Expertenkommission des chairman des Boards des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI, den Charakter eines Zwischenergebnisses. Der Vorsitzende gab in der Schlußsitzung der Expertenkommission der Hoffnung Ausdruck, daß mit dieser Studie eine zehnjährige Arbeits- und Forschungsperspektive eröffnet werde. Eine solche längerfristige Arbeitsperspektive hat die Abrüstungsabteilung Department for Disarmament) der UN mit dem Problembereich Rüstung und Unterentwicklung schon einmal mit Erfolg entwickelt.

In der Sicht eines Statistikers vermögen die dargebotenen Daten wenig zu befriedigen. Die Quellen der Zahlen sind inhomogen und mit aller Wahrscheinlichkeit nicht vergleichbar. Die Definitionen dessen, was Rüstungsforschungsausgaben sind, wie der nationale Militäretat bemessen wird, und was öffentliche Ausgaben für Forschung insgesamt sind, differieren von Land zu Land. Folglich sind die aus diesen Datenangaben gebildeten Bezugszahlen in der Tabelle eher als Größenmarkierungen in einer Grauzone denn als exakte Daten zu betrachten. Einzelne Regierungsvertreter haben aus amtlichen Quellen stammende, öffentlich verfügbare Daten etwa der OECD in der Kommission korrigiert. Für einzelne wichtigere Länder waren Eigenangaben nicht zu erhalten, und die Schätzungen Dritter (Friedensforschungsinstitute oder andere Regierungen) über die Situation in diesen Ländern werden von den jeweiligen nationalen Experten nicht akzeptiert.

Dennoch lassen die Daten gewisse Aussagen zu. Besonders in der Dritten Welt fallen Rüstungsforschungsausgaben im Vergleich zu sonstigen Forschungsausgaben gelegentlich groß aus, und dies aus verschiedenen Gründen. Zum einen kann dies ein massives Programm anzeigen, wie zum Beispiel im Falle Israel (wo die Hälfte aller Wissenschaftsausgaben der Rüstung gelten; eine gleich hohe Quote ist nur bei führenden Militärmächten wie den USA und Großbritannien bekannt). Zum anderen kann dies illustrieren, daß ein nicht sehr umfangreiches militärisches Forschungsprogramm neben einem bescheideneren Gesamtprogramm für andere Forschungszwecke steht, wofür Thailand ein deutliches Beispiel bietet. Die absoluten Beträge der Ausgaben sind also mit in Betracht zu ziehen.

Im Vergleich besonders niedrige Haushaltsbeträge verweisen gelegentlich auf besondere Finanzierungen. In Brasilien zum Beispiel werden die Ausgaben für Rüstungsforschung über Kredite finanziert – im Haushalt erscheinen lediglich die Zinsen.

Stellt man solch Besonderheiten in Rechnung, so lassen die Daten doch verallgemeinernde Aussagen zu. Die Rüstungsintensität der Forschung in Entwicklungsländern variiert – gemessen am gesamten öffentlichen Aufwand für Forschung insgesamt – ähnlich wie bei Industriestaaten; einzelne rüstungsintensive Länder in der Dritten Welt wie vor allem Israel erreichen ähnliche Spitzenwerte wie die rüstungstechnologisch führenden Mächte. In Bezug auf die Militärausgaben bleibt der Anteil der Rüstungsforschung freilich hinter den Quoten der Industrieländer regelmäßig zurück.

Nicht bekannt sind die privat finanzierten Beträge für Rüstungsforschung in der Dritten Welt. Zahlen gibt es lediglich für die USA: zu den regierungsamtlichen Aufwendungen treten Schätzungen zufolge jährlich 1 Milliarde Dollar (nach Abzug privater Vorfinanzierungen, die später vom Pentagon erstattet werden). Von einigen multinationalen Konzernen ist bekannt, daß sie F+E-Projekte teilweise in der Dritten Welt ausführen, sozusagen auch akademische Niedriglohnarbeit nutzen.

In der Binnenstruktur scheint die Rüstungsforschung in der Dritten Welt weitgehend den Verhältnissen in Industriestaaten zu gleichen. Bezogen auf den Lebenszyklus, welches ein typisches Waffenprojekt von der Grundlagenforschung bis zur militärischen Verwendung durchläuft, deuten indische Ergebnisse mit dem Schwerpunkt des Kostenanfalls auf der Phase der Durchkonstruktion und der Serienfertigung auf ähnlich wenig innovationshaltige Dimensionen der Masse der militärischen F+E-Ausgaben, wie dies aus Industriestaaten bekannt ist:

Wichtiger noch, die Projekte von Rüstungsforschung in der Dritten Welt konzentrieren sich augenscheinlich zum allergrößten Teil auf eine nachholende Entwicklung von Technologie, die in den Industriestaaten schon vorhanden ist. Vom einzelstaatlichen Aspekt der Verwendung knapper Ressourcen her, aber auch von einer globalen Sichtweise her ist eine solche Doppel- und Mehrfachentwicklung von Technologie angesichts der vielfachen Technologienöte zur Überwindung von Mängelerscheinungen und Unterentwicklung sachlich nicht vertretbar.

Besonders in Ländern der Dritten Welt wird das Argument bemüht, Rüstungsforschung habe neben der Konstruktion von Waffen vorrangig gesamtwirtschaftliche Bedeutung für die Hebung des Technologieniveaus der Entwicklungsgesellschaften. Die Spitzenreiterfunktion moderner Rüstungstechnik übe gleichermaßen einen Sog auf andere Branchen aus und qualifiziere Arbeitskräfte und Ingenieure für eine Verwendung im zivilen Bereich.

Der empirische Befund spricht auch in der Dritten Welt (und dort augenscheinlich besonders) gegen die These von der gesamtwirtschaftlichen Nützlichkeit der Rüstungsforschung und -Technologie. Selbst Vertreter dieser Technik berichten durchwegs Kritisches. Ferdinand Brandtner zum Beispiel, der in Ägypten die Leitung der Triebwerkentwicklung für das unter Nasser konzipierte Kampfflugzeug innehatte (danach war er als Triebwerkspezialist in der Volksrepublik China tätig), berichtet, daß die fähigeren der von ihm ausgebildeten Entwicklungsingenieure nach dem Erwerb ihrer Qualifikation regelmäßig ins Ausland abwanderten. Nicht genutzte Kapazitäten wurden in Ägypten zeitweise für die lokale Textilindustrie eingesetzt, etwa zur Erzeugung von Spindeln für die Baumwollspinnerei d. h. weit unter dem Technologiewert der Anlagen. Verallgemeinert läßt sich als These festhalten, daß die weniger differenzierte Industriestruktur in Entwicklungsländern noch weniger als diejenige in Industriestaaten in der Lage ist, möglicherweise aus der Rüstungsforschung kommende Technologieimpulse aufzunehmen und erfolgreich umzusetzen. Die schmalere Palette von erzeugten Industriegütern, die zumeist auf der Grundlage importierter Technologien gefertigt werden, bietet hier augenscheinlich besonders wenig Handhabe. So ist zu befürchten, daß die wenigen Innovationen, die aus der Rüstungsforschung in der Dritten Welt kommen und die allgemeinere Bedeutung im Industrialisierungsprozeß gewinnen könnten, unter den alltäglichen Bedingungen in fast allen Entwicklungsländern ins Leere fallen, und die gesamtgesellschaftlichen Kosten dieser Rüstungsforschung noch höher ausfallen als die input-Daten angeben.

F+E Kostenverteilung über den Laufzyklus
eines Projektes:
5 – 10 % Grundlagenforschung, Prinzipinnovation, experimentelle Entwicklung
10 – 20 % Entwurf und Konstruktion des Systems
40 – 60 % Durchkonstruktion für die Fertigung, Vorrichtungsbau
5 – 15 % Anlaufkosten, experimentelle Fertigung
Quelle: A. Parthasarathi, „Development
Strategy for Electronics Industry.
Ensuring success of Technological Innovation“, Economic and Political
Weekly, vol. V, no. 48, 28 November 1978.
Anmerkung: Auf Einzelbelege für eine Reihe von Tatsachenbehauptungen wird in dem
UN-Bericht (wie bei Dokumenten dieser Art üblich) zumeist verzichtet. Der Leser sei auf
den Text des Dokumente verwiesen, welches zum Zeitpunkt dieses Beitrages der
Vollversammlung der UN zur Beratung vorliegt und danach zur Veröffentlichung ansteht.
Ausgaben für Rüstungsforschung
(1980, oder nächstverfügbares Jahr)
Ausgaben für Rüstungsforschung Ausgaben für Rüstungsforschung
in % aller öffentl. Ausg. für F+E in % der Militärausgaben
Ägypten
Argentinien 7,5 1,2
Australien 12,4 2,9
Bangladesh 10,1
Belgien 0,3 0,04
Brasilien (0,1)
Chile
China 15,0
Dänemark 0,8 0,03
DDR 4,6
BRD 12,7 3,9
Finnland 4,3 0,2
Frankreich 30,6 11,4
Griechenland 5,2 0,2
Großbritannien 48,4 14,3
Indien 19,0 2,0
Indonesien 0.15
Israel 50,0 5.75
Italien 4,5 1.26
Japan 3,7 1.01
Jugoslawien
Kanada 6,7 0.96
Korea (Süd)
Neuseeland 0.08
Niederlande 1,3 0.08
Norwegen 4,3 0.86
Österreich 0.17
Pakistan
Peru 1,8
Philippinen 4,8 0.01
Polen 5,0
Portugal
Rumänien
Saudi-Arabien (0)
Schweden 11,5 5,6
Schweiz 4,9 2,6
Senegal
Singapur
Sowjetunion 60,0 25,0
Spanien 1,4 0.07
Südafrika (RSA)
Thailand 24,6 0.18
Tschechoslowakei 17,1
Türkei
Ungarn
USA 49,6 8,2
Quellen zur Tabelle: Kolumne I: United Nations, Report on the
World Social Situation, 1982; (E/CN.5/1983/3;ST/ESA/125). Für sozialistische Länder
wurden mangels Eigenangaben Daten entnommen aus: US Congress, Joint Economic Committee,
The Allocation of Resources in the Soviet Union and China, Washington, D.C. (div.
Ausgaben); Kolumne II: Antworten der UN-Mitliedsregierungen auf: Reduction of Military
Budgets. Military Expenditure in standardized form reported by States (A/36/353; A/37/418;
A/38/434). Bei OECD-Mitgliedstaaten, die diesen Fragebogen nicht ausgefüllt haben
(Dänemark, Schweiz, Spanien), wurde zurückgegriffen auf: OECD, Science and Technology
Indicators, Basic Statistical Series, vol. A, Paris (lfd).

Anmerkungen:

Die Daten stimmen, da sie z. T. von Regierungen direkt den UN angegeben werden, nicht mit statistisch bereinigten Darstellungen in anderen Veröffentlichungen überein.

In die Tabelle aufgenommen wurden alle Staaten, von denen bekannt ist, daß sie rüstungsindustriell tätig sind, und von denen Aktivitäten in der Rüstungsforschung gemeldet werden, ohne daß in allen Fällen der Gesamtaufwand für diese Tätigkeit beziffert werden kann.

Die Daten dieser Tabelle geben möglicherweise ein nicht exaktes Bild, da die diversen nationalen Kontierungssysteme sowie die statistischen Methoden in den angegebenen Quellen differieren. Hohe Prozentanteile in der ersten Kolumne dürften besonders bei Entwicklungsländern lediglich den Tatbestand wiedergeben, daß ein begrenztes F+E-Programm auf ein kleines staatliches Gesamtprogramm für F+E bezogen wird.

Dr. Ulrich Albrecht ist Professor am Institut für polit. Wissenschaften der FU Berlin.

Sprung bei Militarisierung von Wissenschaft und Forschung

Sprung bei Militarisierung von Wissenschaft und Forschung

von Bund demokratischer Wissenschaftler

I. .Der Entwurf des Bundeshaushalts 1985 benachteiligt massiv Bildung, Wissenschaft und Forschung zugunsten militärischer und rüstungspolitischer Anforderungen. Er ist weder „forschungs- noch bildungsfreundlich“.

A. Der Finanzplan des Bundes sieht für das Jahr 1988 gegenüber1984 vor

Verteidigung, Wissenschaft und FuE + 7802 Mrd. DM
außerhalb der Hochschulen + 942 Mrd. DM
Hochschulneu– und -ausbau – 200 Mio. DM
Nachwuchsförderung + 28 Mio. DM
Berufliche Bildung sowie Kultur – 179 Mio. DM

Nach der Finanzplanung ist beabsichtigt, bis 1988 gegenüber dem Stand von 1984 im gesamten Bereich Forschung, Bildung, Wissenschaft und kulturelle Angelegenheiten insgesamt nur 1,4 Mrd. DM zusätzlich auszugeben. Für den militärischen Bereich summieren sich die Zuwächse dagegen auf 19,2 Mrd. DM.

B. Der Haushaltsentwurf 1985 sieht vor gegenüber 1984

Bundesminister der Verteidigung + 1,454 Mrd. DM
(Davon Epl. 1420 (Militärische FuE) + 562 Mio. DM)
Bundesminister für Forschung und Technologie + 201 Mio. DM
Bundesminister für Bildung und Wissenschaft + 29 Mio. DM

Damit ist der für 1985 geplante Zuwachs allein an Mitteln für militärische Forschung und Entwicklung über dreimal so hoch wie der für Wissenschaft, Forschung und Bildung der zwei Ministerien BMFT und BMBW zusammen.

C. Die im Kap. 1420 des BMVg-Etats veranschlagten Mittel für militärische Forschung, Entwicklung und Erprobung nehmen seit Jahren überdurchschnittlich zu. Dementsprechend steigt der Anteil dieser Mittel an den gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Bundes kontinuierlich an:

Ausgaben für militärische FuE
(in Mrd. DM)
Anteil an den FuE Ausgaben
des Bundes (in %)
1982 1.695.1 14,2%
1983 1.858.0 15,4%
1984 1.927.0 15,6%
1985 2.488.8 18,8%

Die im zentralen Kap. 1420 („Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung“) etatisierten Mittel sollen um 29 % von 1.927.000 auf 2.488.800 Mrd. DM wachsen, bei den Mitteln für Entwicklung sind es sogar 33 %. Damit wird der „Bereich Forschung/Entwicklung/Erprobung zum zentralen Schwerpunkt des Verteidigungshaushalts 1985“. (Der Bundesminister der Verteidigung, Der Verteidigungshaushalt 1985 (Entwurf), Erläuterungen und Vergleiche, Bonn 1984, S. 26).

Diese Zuwachsrate von knapp 30 %

  • ist bei weitem die höchste Rate, seit in den fünfziger Jahren die Rüstungsforschung aufgebaut wurde
  • übertrifft die bereits überdurchschnittlichen Zuwächse seit Anfang der 80er Jahre um ein Mehrfaches
  • liegt unter den Zuwachsraten für die großen Förderungsbereiche der Forschung des Bundes an der Spitze.

Diese außerordentliche Steigerung des Mittelansatzes für militärische Forschung und Entwicklung ist in ihren allgemeinen forschungs- und technologiepolitischen Konsequenzen völlig unkalkulierbar.

D. Das Gesamtbudget öffentlich finanzierter Rüstungsforschung ist noch weit höher. Neben den Aufwendungen in Kap. 1420 müssen berücksichtigt werden Mittel in den Kap. 0403, 1401, 1402, 1404, 1405, 1412, 1421 sowie 1422 hinzu treten die FuE Mittel im Rahmen der Zivilverteidigung. Dabei geht es um

  • Forschungsbezogene Aufwendungen für die Hochschulen der Bundeswehr
  • Militärische Forschungen und wissenschaftliche Arbeiten auf den Gebieten Medizin, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichte, Systemforschung sowie Beiträge an Verbände, Vereine und Gesellschaften
  • Bau, Betrieb, Erhalt und Ausstattung der technischen und wissenschaftlichen Dienststellen und sonstige Aufwendungen für Erprobung
  • Forschungen im Rahmen der Zivilverteidigung

Unter Einbeziehung dieser Mittel steigen die veranschlagten Mittel von 2,5 auf 3,25 Mrd. DM.

Rechnet man zu diesem Betrag die Mittel für „freie Forschung“ (Zuschläge auf Mittel für Materialerhaltung, Beschaffung, z. T. Entwicklung) bzw. die eigenfinanzierte industrielle Rüstungsforschung hinzu, dann beläuft sich das Gesamtbudget Rüstungsforschung für 1985 auf 4,5 bis 5 Mrd. DM.

Unter Berücksichtigung der Ausgaben der NATO und des Department of Defense in der BRD sowie der in ziviler wie militärischer Nutzungsabsicht finanziellen Forschung des BMFT und BMWI liegt das Gesamtbudget militärisch relevanter Forschung für das Jahr 1985 bei über sechs Milliarden DM.

II. In dieser Entwicklung deuten sich verstärkte Tendenzen in Richtung auf ein „amerikanisches' Muster der Forschungspolitik an, das vor allem

  • durch die Priorität militärischer Forschung
  • die Militarisierung der sog „Spitzenforschung“ und „High Tech“ Gebiete und
  • den Abbau der Förderung ziviler Forschung gekennzeichnet ist.

III. Empfehlungen

Einfrieren der Mittel des Kap. 1420 („Wehrforschung…“) und damit Verhinderung des wissenschaftsseitigen Einstiegs in eine neue Rüstungswelle – Ersparnis 562 Mio. DM.

Entsprechend der Praxis in den USA Offenlegung der Zahl, des finanziellen Volumens und der Auftragnehmer insbesondere an den Hochschulen – militärischer Forschungs- und Entwicklungsvorhaben.

Einstellung der Vergabe militärischer FuE Aufträge an Hochschulen.

Veröffentlichung des Umfangs der Mittel für „freie“ Forschung, ihrer Empfänger und Verwendungsweise.

Veröffentlichung der Vorhaben, Projekte und Abkommen militärischer wissenschaftlich-technischer Zusammenarbeit innerhalb der NATO sowie zwischen der BRD und den USA.

Einbeziehung der militärischen Forschung und Entwicklung in die Arbeit der Institutionen der Technologiefolgenabschätzung. Ausarbeitung und Sicherung der Finanzierung eines Programms zur Förderung der Konversionsforschung.

Verdoppelung der Mittel für Forschungsförderung in den Bereichen der Humanisierung der Arbeit, der Umweltforschung, der Gesundheitsforschung, der Wasserforschung, der Krebsforschung, der Erforschung neuer Energiequellen und der Friedens- sowie Konfliktforschung.

Militärische Interessen bestimmen die Richtung in Wirtschaft und Wissenschaft

Militärische Interessen bestimmen die Richtung in Wirtschaft und Wissenschaft

von Forum Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung

Mikroelektronik und Informationstechnik spielen eine entscheidende Rolle in der heutigen Militärtechnik. Militärs weisen immer wieder darauf hin, daß schnelles, sicheres und möglichst störungsfreies Erkennen, Bewerten und Abwehren einer Bedrohung die Zusammenführung, Verarbeitung und Verteilung riesiger Informationsmengen in nahezu Realzeit erfordern.Immer deutlicher wird, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland die Informatik, die sich seit einigen Jahren an den Hochschulen auch zum begehrtesten Studienfach entwickelt hat, zu einer militärischen Schlüsseldisziplin gemacht werden soll.

Bereits 1982 wies die Bundesregierung darauf hin, daß durch die Forschungsförderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie die Voraussetzungen „für die Durchführung eines spezifisch wehrtechnischen Schwerpunktes der Mikroelektronik“ geschaffen würden. In ihrer Konzeption zur Förderung der Entwicklung der Mikroelektronik, der Informations und Kommunikationstechniken vom März 1984 wird dann erstmals „Wehrtechnik“ als Aufgabenfeld ausgewiesen. Als Voraussetzung für die Entwicklung optimaler Waffen-, Aufklärungs- und Führungssysteme wird der Aufbau einer einheimischen Rüstungsindustrie mit hohem technischen Niveau angekündigt.

In den letzten Tagen wurde erneut von Seiten des BMVg darauf hingewiesen, daß in der „zivilen“ Forschungspolitik des Bundesministeriums für Forschung und Technologie militärische Aspekte eine immer größere Rolle spielen. In einem Interview in „Wehrtechnik“ 11/1984 (S. 15) stellte der Rüstungsstaatssekretär Prof. M. Timmermann fest: „Zwischen dem BMFT und dem BMVg bestehen vielfältige, enge Verbindungen auf allen Ebenen. So werden beispielsweise zwischen den Staatssekretären die Grundsatzfragen zur Forschung und Zukunftstechnologie laufend abgestimmt. Dies gilt aber nicht nur für die „große Linie“: In enger Zusammenarbeit der Fachleute beider Ressorts wird auch – und das ist notwendig – das Vorgehen im Detail koordiniert.“ Das BMVg habe „zwei konkrete Aufgaben ressortübergreifend und federführend zu erfüllen: Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Kryptierung. (…) Wehrtechnische Konsequenzen der Mikroelektronik, Nachrichtentechnik und Informationsverarbeitungsentwicklung; Initiierung konkreter Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zur Zukunftssicherung.“

Im Entwurf des Bundeshaushaltsplanes ist Wehrforschung, wehrtechnische Entwicklung und Erprobung offiziell nur im Einzelplan 1420 des BMVg ausgewiesen. Etwa 170 Mio. DM werden 1985 für die Gebiete Führungssysteme, Elektronik und Informatik bereitgestellt. Nach Aussagen des Rüstungsstaatssekretärs im BMVg Timmermann fließen 1985 55 Mio. DM etwa zu gleichen Teilen in die Sparten Mikroelektronik, Informationsverarbeitungstechnik und Kommunikationstechnik. Nach dem Einzelplan 3004 wird das BMFT in 1985 ca. siebeneinhalbmal so viel, nämlich ca. 412 Mio. DM, zur Förderung grundlegender Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die oben genannten drei Sparten ausgeben, die für die Entwicklung von Waffen-, Aufklärungs- und Führungssystemen von höchster Relevanz sind. Allein die Mikroelektronik soll mit ca. 250 Mio. DM gefördert werden. Weitere 90 Mio. DM stehen zur Durchführung sogenannter Verbundvorhaben auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung zur Verfügung. Informationsverarbeitung heißt hier konkret rechnergestützter Entwurf für Computer und Software, Supercomputer (neue Rechnerarchitekturen) sowie Expertensysteme und Roboter (Wissensverarbeitung und Mustererkennung). Ferner sind im BMFT-Einzelplan 3004 72 Mio. DM für das Entwicklungsprogramm zum Ausbau ziviler internationaler technischer Kommunikationssysteme ausgewiesen. Diese dienstintegrierten digitalen Netze (ISDN: Integrated Services Digital Network) sind von hohem militärischen Wert. Die Federführung liegt jedoch beim BMP.

BMVg- und BMFT-Ausgaben im Vergleich:

Militärrelevante F & E-Arbeiten BMVg* Mio. DM BMFT Mio. DM
Mikroelektronik 19 250
Informationstechnik 18 90
Kommunikationstechnik 18 72
Nach Rüstungsstaatssekretär Timmermann (Wehrtechnik Nov. 1984,
Seite 15)

Die Fördersummen von 170 Mio DM im Einzelplan 1420 des BMVg bzw. von 412 Mio DM im Einzelplan 3004 des BMFT setzen sich wie folgt zusammen:

1. BMVg:
130 Mio DM Entwicklung und Erprobung von Führungssystemen (551 17 036)
30 Mio DM aus dem Titel Wehrtechnische Forschung (60 Mio DM) (551 01) –
geschätzt
9 Mio DM Inst. für Funk u. Mathematik (68'31/893 31)
2,5 Mio DM Forschungsinst. für Inform.-verarbeitung und Mustererkennung(685 31/893
31)
171,5 Mio DM Summe
2. BMFT
134,8 Mio DM Elektronik (683 40)
41 Mio DM Sonderprogramm (683 44)
45,4 Mio DM Mikroperipherik (Sensoren und Aktoren) (683 46)
32,5 Mio DM Pilotlinie Submikron (892 40)
253,7 Mio DM Mikroelektronik
89,5 Mio DM Informationsverarbeitung (683 42)
72 Mio DM technische Kommunikation (683 41)

Anzumerken ist:

  • Aus öffentlich zugänglichen Quellen (z. B. Weinbergers Bericht an den Kongreß vom 1. 2. 1984) ist bekannt, daß das NATO-Aufklärungs- und Führungssystem zur Führung eines konventionellen oder gar atomaren Krieges gänzlich ungeeignet ist. Die Steigerung der Fördermittel auf 130 Mio DM für 1985 (92 % Steigerung gegenüber 1983) könnte ein Indiz dafür sein, daß auch das nationale Aufklärungs- und Führungssystem so modernisiert werden soll, daß es in einem Atomkrieg funktionsfähig bleibt.
  • Militärtechnische Grundlagenforschung wird ausschließlich aus Mitteln des BMFT gefördert.
  • Der Titel Informationsverarbeitung wird erst verständlich, wenn man weiß, daß sich in den USA das Verbundkonzept (Kooperation zwischen Industrie, Universitäten und Forschungsinstituten der Regierung) in der Militärforschung seit langem bewährt hat und wenn man weiß, daß BMVg und BMFT nach US-amerikanischem Muster begonnen haben, sogenannte Schlüsselprojekte im Verbundkonzept zu initiieren. Diese Schlüsselprojekte gleichen in ihrer Zielsetzung auffallend den Forschungs- und Entwicklungsprogrammen auf den Gebieten Mikroelektronik und Informationstechnik, die in dem Bericht Weinbergers an den Kongreß als DoD-Programme ausgewiesen sind.
  • Wir müssen davon ausgehen, daß sich in absehbarer Zeit das Verhältnis zivile zu militärischer Forschung und Entwicklung US-Verhältnissen angleichen wird. Nach einer Studie des Office of Technological Assessment des Kongresses förderte das DoD (Department of Defense) in 1983:
Gebiet Grundlagenforschung anwendungsnahe Forschung
Mikroelektronik zu 69 % zu 90,5 %
Computer Sciences zu 54,8 % zu 86,7 %

Navigationssatelliten und Atomkriegsstrategien

Navigationssatelliten und Atomkriegsstrategien

von Kai Lorenzen

Seit zwanzig Jahren werden militärische Satelliten zur Positionsbestimmung und Navigation genutzt. Die technische Entwicklung auf diesem Sektor wird in den nächsten Jahren erheblich dazu beitragen, einen Atomkrieg führbar und gewinnbar erscheinen zu lassen.

Um die Bahn des ersten künstlichen Satelliten Sputnik 1 zu bestimmen, bedienten sich amerikanische Wissenschaftler des Doppler-Effekts: Die Senderfrequenz des Satelliten wird – abhängig von seiner Geschwindigkeit zur Bodenstation verschoben empfangen. Messungen dieser Frequenzverschiebung durch mehrere Stationen erlauben die Bahnbestimmung des Satelliten. Bald entstand die Idee, das Verfahren umzukehren und bei bekannter Satellitenbahn die Empfängerposition durch Dopplermessungen zu ermitteln. Aus geometrischen Gründen können so allerdings nur zwei Koordinaten des Empfängers bestimmt werden, die dritte Koordinate (in der Regel die Höhe) muß dazu bekannt sein.

Die amerikanische Furcht vor der Raketenlücke, eine politische Folge des Sputnik, resultierte unter anderem in der Entwicklung U-Boot-gestützter Nuklearraketen (POLARIS). Bedingung für deren Einsatzbereitschaft ist ein globales Navigationssystem, das mit ausreichender Genauigkeit nur durch Satelliten realisiert werden kann. Ein entsprechendes Konzept war bereits vorhanden, und so begann die Navy 1958 mit der Entwicklung des TRANSIT Satellitennavigationssystems 1, das 1964 der POLARIS-Flotte zur Verfügung stand. TRANSIT besteht aus fünf Satelliten in polaren Bahnen, die während ihrer 105-minütigen Umläufe etwa 18 Minuten lang von einem Standort aus beobachtet werden können. Während eines solchen „Durchgangs“ wird die Frequenzverschiebung gemessen und unter Verwendung vom Satelliten gesendeter Bahndaten die Position des Empfängers bestimmt. Da die Höhe auf See bekannt ist, stellt die Beschränkung des Verfahrens auf zwei Koordinaten kein Problem dar.

Die Satellitenbahnen werden aus Messungen von vier festen Bodenstationen bestimmt. Dabei entsteht gewissermaßen als Abfallprodukt ein Modell des Erdschwerefeldes, das militärisch außerordentlich wichtig ist. Nur wenn alle Unregelmäßigkeiten des Schwerefeldes bekannt sind, kann die Flugbahn ballistischer Raketen genau vorausberechnet werden. Somit ist TRANSIT in doppelter Hinsicht von großer militärischer Bedeutung.

Ein Nachteil des Systems ist, daß zwischen zwei Durchgängen Zeiträume bis zu mehreren Stunden liegen können. Trotz hochentwickelter Trägheitsnavigationsverfahren nimmt die Genauigkeit der Schiffsposition dann von etwa 50 m auf einige 100 m ab. Angriffe auf Punktziele sind so nicht möglich. Daher konnte Abschreckung in den sechziger Jahren nur auf Basis der mutual assured destruction glaubwürdig sein, McNamaras Konzept der Zerstörung militärischer Kommandozentralen und Raketenbasen (Counterforce-Doktrin) mußte als unrealistisch verworfen werden.

Die Sowjetunion hat wahrscheinlich 1968, gleichzeitig mit ihren ersten seegestützten Nuklearraketen, eigene Navigationssatelliten eingeführt. Sichere Hinweise auf dieses System, das sich nur unwesentlich von TRANSIT unterscheidet, sind seit 1972 veröffentlicht 2. Die UdSSR selbst hat jedoch erst 1978 den Start eines Navigationssatelliten bekanntgegeben. Deutlich wird daraus einerseits, wie die sowjetische Nachrichtenpolitik eine realistische Information der Öffentlichkeit über ihren Rüstungsstand erschwert. Andererseits ist aber sicher, daß die UdSSR wesentlich später als die USA mit der Entwicklung ihres Systems begonnen und das amerikanische Konzept weitgehend übernommen hat.

Aufgrund zunehmenden Drucks von industrieller Seite wurde TRANSIT 1968 für die zivile Nutzung freigegeben. Die Navy betrieb unterdessen ein Programm zur TRANSIT-Weiterentwicklung unter der Bezeichnung TIMATION. Gleichzeitig plante die Air Force ihr SYSTEM 6218 für kontinuierlich dreidimensionale Positionsbestimmung.

Beide Projekte wurden 1973 durch ein Memorandum des DoD vereinigt, das sowohl Folge eingetretener technischer Entwicklungen als auch ein direkter Schritt zur Schaffung der militärischen Grundlagen der Counterforce-Doktrin war. So entstand das Konzept des „Global Positioning System“ NAVSTAR 3. Ein gemeinsames Programmbüro wurde gegründet, in dem neben den Teilstreitkräften und der Defense Mapping Agency auch die NASA, die US-Luftfahrtbehörde und das US-Verkehrsministerium vertreten sind. Diese Behörden vertreten die zivilen Nutzer von NAVSTAR, haben aber kaum Einfluß auf die Systemplanung. Dafür spielen sie eine umso größere Rolle, wenn es um die Durchsetzung des 8-Mrd-Dollar-Projekts im Kongreß geht. Seit 1978 ist auch die Bundesrepublik zusammen mit acht weiteren NATO-Staaten durch einen gemeinsamen Vertreter im Programmbüro präsent 4. Nach derzeitigem Stand 5 soll NAVSTAR aus 18 Satelliten (Raumsegment) und neun Bodenstationen (Kontrollsegment) bestehen. Die Satelliten werden in sechs 12-Stunden-Bahnen so angeordnet, daß jederzeit und an jedem Ort mindestens vier von ihnen beobachtbar sind. Alle Satelliten sind mit synchronisierten Atomuhren ausgerüstet und senden ihre Bahndaten in zwei verschiedenen, zeitlich extrem genau definierten Codes. Die Empfängerposition wird aus den Laufzeitdifferenzen der zeitlich zusammengehörigen Codesegmente aller vier Satelliten bestimmt. Je höher die zeitliche Auflösung des Codes, desto genauer ist die Position, umso schwieriger ist aber auch die Identifikation der zusammengehörigen Codesegmente. Daher senden die NAVSTAR-Satelliten zwei verschiedene Codes, einen mit vergleichsweise geringer zeitlicher Auflösung (C/A Code) und einen mit zehnfach höherer Auflösung (P-Code). Nachdem der Nutzer seinen Standort näherungsweise mit dem C/A Code ermittelt hat, kann er die P-Code Segmente zuordnen und seine Positionsgenauigkeit um eine Größenordnung verbessern.

Das Kontrollsegment besteht aus 5 Tracking-, 3 Upload- und einer Masterstation, die im atomsicheren militärischen Weltraumzentrum bei Colorado Springs untergebracht werden soll. Ferner wird ein vollständiges mobiles Kontrollsegment entwickelt. Sollte auch dies in einem Nuklearkrieg zerstört werden, so können die Satelliten aufgrund ihrer Bahnkonfiguration immer noch etwa eine Woche lang ohne Genauigkeitseinbuße genutzt werden. Empfänger läßt das DoD für Luft-, Land- und Seefahrzeuge aller Art entwickeln und testen. Mobile Empfangsseinheiten soll es außerdem für das „Integrated Operational Nuclear Detection System“ eine Zusatzeinrichtung von NAVSTAR, geben. Alle Satelliten sind mit einem Detektor ausgerüstet, der elektromagnetische Pulse von Kernwaffenexplosionen registriert. Aus diesen Informationen lassen sich Ort und Zeitpunkt der Explosionen sehr genau ermitteln.

Seit 1977 werden Prototypen der Satelliten und Empfänger erprobt. Auch extrem schnell fliegende Kampfflugzeuge konnten dabei ihre Position kontinuierlich auf 30 m (C/A-Code) bzw. 3-5m (P-Code) genau bestimmen. Diese Ergebnisse waren selbst für das DoD überraschend und lösten wegen der möglichen Mitbenutzung von NAVSTAR durch die UdSSR Besorgnis aus. Der Nationale Sicherheitsrat beschloß kurz darauf, die Bahndaten des P-Codes aufwendig zu verschlüsseln und den C/A-Code absichtlich so zu degradieren, daß die Genauigkeit für nichtautorisierte Nutzer bestenfalls 100 m erreicht. Die betroffenen zivilen Anwender protestierten zwar leise, unterstützten aber weiterhin die politische Durchsetzung des Projekts. Hier ist anzumerken, daß ein ziviles Navigationssystem ähnlicher Genauigkeit nur einen Bruchteil der Kosten von NAVSTAR verursachen würde, da auf die teuren Maßnahmen zur Sicherstellung der Überlebensfähigkeit des Systems im Nuklearkrieg verzichtet werden könnte.

Es ist fast müßig, auf die Bedeutung von NAVSTAR in den neuen strategischen Konzepten der NATO hinzuweisen. Seit Carters Direktive 59 ist „counterforce“ auf dem Wege, ein realistisches Konzept zu werden. Dazu trägt NAVSTAR wie kaum ein anderes Rüstungsprojekt der letzten Jahre bei.

Die Sowjetunion beantragte 1982 bei der internationalen Fernmeldeunion Frequenzen für ein Navigationssystem unter der Bezeichnung GLONASS 6. Noch im gleichen Jahr brachte sie drei Satelliten in eine Umlaufbahn, die – soweit bisher bekannt den NAVSTAR-Satelliten weitgehend gleichen. Sechs Satelliten sind im letzten Jahr hinzugekommen, was die Vermutung nahelegt, daß es sich nicht um Prototypen, sondern bereits um einen Teil des Gesamtsystems handelt. Anscheinend hat die UdSSR auf eine ausgedehnte Testphase verzichtet und der baldigen vollen Verfügbarkeit des Systems höchste Priorität eingeräumt.

Offiziell wird GLONASS als zivil bezeichnet, was wohl bedeutet, daß auch der präzise Code frei verfügbar sein soll. Dessen Verschlüsselung wäre angesichts von NAVSTAR ohnehin überflüssig und kann als politische Geste gegenüber den zivilen Nutzern unterbleiben. Wenn die heutigen Informationen zutreffen, ist GLONASS jedoch für die UdSSR von ähnlicher militärischer Bedeutung wie NAVSTAR für die USA.

Beide Systeme sollen 1986 voll einsatzfähig sein. Damit wird der Atomkrieg für die Militärstrategen beider Großmächte mehr als je zuvor führbar und gewinnbar erscheinen. Ein nicht sehr beruhigendes Gleichgewicht.

Anmerkungen

1 Th. A. Stansell, The TRANSIT Navigation Satellite System Torrance 1978 (Magnavox) Zurück

2 ·C. D. Wood, G. E. Perry, The Russian Satellite Navigation System, in: Satellite Doppler Tracking, RS Discussion, London 1980 Zurück

3 R. E. Dew Review of the NAVSTAR GPS, in: Proc. 2nd int. Symposium on Satellite Doppler Positioning Austin 1979 Zurück

4 J. P. Tjardts NAVSTAR GPS, in: Ortung und Navigation 2/82 Zurück

5 ·B. W. Parkinson, S. W. Gilbert, NAVSTAR: GPS – Ten Years Later, Proc. of the IEEE Vol. 71 No. 10 1983 Zurück

6 Vortrag von Prof. Ya Kuschenkov und Poster der Kettering-Group, Symposium „Global Civil Satellite Navigation Systems“, London 1984 Zurück

Kai Lorenzen, Hamburg

Darf eine Hochschule auf Rüstungsforschung verzichten?

Darf eine Hochschule auf Rüstungsforschung verzichten?

von Dietrich Rabenstein

Am 20.10.83, dem Tag, den die Friedensbewegung zum „Tag der Bildungseinrichtungen“ innerhalb der Abrüstungswoche im Herbst 1983 bestimmt hatte, erklärte das Konzil der Fachhochschule Hamburg mit großer Mehrheit diese Hochschule symbolisch zur atomwaffenfreien Zone. Seither diskutieren die Selbstverwaltungsgremien der FH Hamburg, die mit über 11000 Studenten eine der größten Fachhochschulen der BRD ist, insbesondere der Senat, das höchste Beschlußorgan, über die praktischen Konsequenzen, die sich aus dem Status atomwaffenfreie Zone ergeben sollen.

Zu seiner Sitzung am 15.12.1983 lagen dem Senat der FH ein Beschlußvorschlag der studentischen Mitglieder und ein in Reaktion hierauf abgefaßter Gegenentwurf des Präsidenten Prof. Dr. Dalheimer vor. Während die Studenten klar und ohne Umschweife eine Reihe von friedensfördernden Maßnahmen verlangten, darunter den Verzicht auf Projekte, „deren militärische Zweckbindung erkennbar ist“, begründete der Entwurf des Präsidenten zunächst weit ausholend, warum das Konzil zu seinem Beschluß berechtigt gewesen sei und sprach sodann unter dem Stichwort mögliche Maßnahmen der Fachhochschule von „Distanz zu Projekten, deren militärische Zweckbindung erkennbar ist“, mit der Empfehlung, diese nicht zu bearbeiten.

Der Senat beschloß nach längerer Debatte mit 12 gegen 10 Stimmen eine Kombination beider Beschlußvorschläge mit folgenden Abschnitten aus dem studentischen Antrag: „Die Fachhochschule lehnt die Zusammenarbeit mit Firmen und Institutionen bei Projekten ab, deren militärische Zweckbindung erkennbar ist und führt keine Untersuchungen durch und übernimmt keine Aufträge, die offensichtlich militärischen Zwecken dienen. Alle neuen Mitglieder sind auf diesen Beschluß hinzuweisen und auf die Verpflichtungen, die sich daraus ergeben.“

Die Mehrheit der Professorengruppe im Senat lehnte beide Beschlußvorlagen und ebenso den Konzilsbeschluß entschieden ab. Begründung: Politisierung der FH; Mißbrauch der FH zu politischen Zwecken. Der Präsident wurde von der Professorenmehrheit gebeten, die Rechtmäßigkeit des Senatsbeschlusses prüfen zu lassen. Ein Mitglied der Professorengruppe, auf dessen Antrag hin namentliche Abstimmung vorgenommen worden war, bat den Präsidenten sogar zu prüfen, inwieweit sich beamtete Mitglieder des Fachhochschulsenates mit der Zustimmung zu diesem Beschluß „einer Dienstpflichtverletzung, ggfls. möglicherweise eines Dienstvergehens, schuldig gemacht haben.“

Nach Prüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses wurde dieser vom Präsidenten hinsichtlich der beiden bereits zitierten Abschnitte beanstandet, die nach Auffassung des von ihm eingeholten Rechtsgutachtens einen Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5, Abs. 3, Satz 1 GG) bedeuten würde. Für diese Auffassung spielte allerdings die Forderung eine wesentliche Rolle, alle neuen Mitglieder seien auf die Verpflichtung, die sich für sie aus dem Beschluß ergeben, hinzuweisen.

Am 26.1.84 bestätigte jedoch der FH-Senat seinen Beschluß jetzt mit 13 zu 9 Stimmen. Der die Verpflichtung enthaltende Teilsatz wurde gestrichen. Der Satz, in dem die Durchführung von Rüstungsprojekten abgelehnt wird, wurde aus dem Abschnitt „Maßnahmen“ herausgenommen und an eine andere Stelle gerückt, um damit deutlich zu machen, daß es dem Senat bei diesem Satz um eine Meinungsäußerung und nicht um eine Maßnahme mit bindender Wirkung ging. Dieser modifizierte Beschluß wurde vom Präsidenten nicht mehr beanstandet.

Der Beschluß des FH-Senats hatte, noch bevor er rechtswirksam werden konnte, bereits zu einer kleinen Anfrage der CDU in der Hamburger Bürgerschaft geführt.

Auf die Ankündigung des Präsidenten der FH, er wolle den Beschluß FH-intern veröffentlichen, reagierte die Hamburger Behörde für Wissenschaft und Forschung mit der Forderung an den Präsidenten, den Beschluß in den zitierten Passagen aufzuheben. Die Begründung dazu wörtlich:

„Es ist nicht Aufgabe des Fachhochschulsenates, unverbindliche Meinungsäußerungen zu allgemeinpolitischen Fragen abzugeben. Die Aufgaben des Fachhochschulsenates sind im § 84 HmbHG deutlich umrissen. Diese Vorschrift deckt den beanstandeten Beschluß nicht.

Im übrigen kann ein derartiger Beschluß in dieser Formulierung, der auch noch allen neuen Mitgliedern der Fachhochschule ausgehändigt werden soll, nicht als unverbindliche Meinungsäußerung angesehen werden Ein derartiger Beschluß wäre völlig sinnlos, wenn die ihn tragende Mehrheit nicht die übrigen Mitglieder der Fachhochschule in ihrer Meinung beeinflussen wollte. Diese Einflußnahme auf das Denken und Handeln aller anderen Mitglieder der Fachhochschule verstößt gegen Artikel 5 des Grundgesetzes, gegen § 11 des Hamburgischen Hochschulgesetzes und verletzt die individuellen Freiheitsrechte der Mitglieder der Fachhochschule. Im übrigen läuft die Fachhochschule durch die Einflußnahme durch solche Beschlüsse Gefahr, ihrem Bildungsauftrag nach § 4 Abs. 2 des Hamburgischen Hochschulgesetzes nicht mehr nachkommen zu können. Es kann auch in der heutigen Zeit nicht Aufgabe einer Hochschule sein, ihren Mitgliedern zu bestimmten Problemfeldern vorzuschreiben, wie sie zu denken oder zu handeln haben. Es darf lediglich Aufgabe einer Hochschule sein, ihre Mitglieder für zeitgemäße Problemstellungen zu sensibilisieren und sie in den Stand zu setzen, individuell zu gegebener Zeit die gesellschaftlich verantwortliche, richtige Entscheidung zu treffen. Jeder Versuch der einseitigen Beeinflussung ist dabei unzulässig.“

Die Behörde hatte bereits Anfang 1984 einen ähnlichen Beschluß des FH-Senats in einer andern Angelegenheit „sowohl aus materiell-rechtlichen als auch aus verfahrensrechtlichen Gründen“ für rechtswidrig erklärt. Daher soll auch dieser Vorgang hier skizziert werden.

Am 24.11.83 faßte der FH-Senat einen Beschluß über die Errichtung des „Instituts für Werkstoffkunde der Fachhochschule Hamburg“, einer Einrichtung der Stadt Hamburg, die unter dem Namen „Materialprüfungsamt“ der FH bisher angegliedert war und an der zu einem gewissen Anteil rüstungsorientierte Forschung betrieben worden war.

In diesen Errichtungsbeschluß war mit 11: 9: 1 Stimmen der Satz aufgenommen worden: „Das Institut führt keine Untersuchungen durch und übernimmt keine Aufträge, die Rüstungszwecken dienen.“

Während der Präsident der FH diesen Beschluß nicht beanstandet hatte, äußerte die Behörde die Auffassung, der Beschluß greife in die Freiheit der Forschung ein und benötige zusätzlich die Mehrheit der Stimmen der Professorengruppe.

Der FH-Senat verzichtete daraufhin am 26.1.84 auf den zitierten Satz, verabschiedete aber mit Mehrheit folgende Willenserklärung:

„Sollten Projekte, deren überwiegend militärische und rüstungstechnische Ziele erkennbar sind, entgegen der Empfehlung des Senats durchgeführt werden, so fordert der Senat die Projektleiter auf, alle am Projekt Beteiligten über Zielsetzung und Konsequenzen des Projekts ausreichend zu informieren und jedem Mitarbeiter das Ausscheren aus solchen Projekten zu ermöglichen und zu garantieren.“ Umstritten ist gegenwärtig noch, ob auch dieser Beschluß die Forschung unmittelbar berührt und daher die Mehrheit der Stimmen der dem Senat angehörenden Professoren benötigt (die er nicht erhielt), ob er die Freiheit der Forschung tangiert oder ob der Senat mit einem solchen Beschluß über den Bereich der Selbstverwaltung hinausgreift und sich in Auftragsangelegenheiten einmischt. Die Senatsmehrheit ist bemüht, eine Formulierung zu finden, die ihrem Anliegen entspricht und rechtlich nicht mehr anfechtbar ist.

In der geschilderten Abrüstungsdebatte der zentralen Gremien der FH Hamburg hat sich gezeigt, wie schwer es für Hochschulen ist, sich aus der Rüstungsforschung und -entwicklung zurückzuziehen, selbst wenn stabile Mehrheiten in den Selbstverwaltungsorganen diese Forderung vertreten. Sogar das Recht, in diesen Fragen Empfehlungen und Meinungsäußerungen abzugeben, wird von den entscheidenden Stellen immer noch bestritten.

Trotzdem ist zu hoffen, daß durch solche Meinungsäußerungen und die in Verbindung mit ihnen laufenden Diskussionsprozesse positive Wirkungen erzielt werden.

Prof. Dr. D. Rabenstein, FH Hamburg. Weitere Informationen zu den Beschlußtexten bei: Pressestelle der FH Hamburg, Marion Hintloglou, Winterhuder Weg 29, 2000 Hamburg 76, Tel.: 040/291883589

Die Laboratorien des Todes wachsen

Die Laboratorien des Todes wachsen

von Rainer Rilling

Der Anstieg der Ausgaben für Rüstungsforschung ist beängstigend. Seit Mitte der siebziger Jahre steigt der Anteil der militärischen Forschung und Entwicklung (FuE) an den Forschungsbudgets der gut zwei Dutzend entwickelten westlichen Industriestaaten drastisch und unaufhörlich an. 1985 werden die Weltausgaben für militärische FE die 100 Mrd. Dollar-Grenze erreichen – das sind rund 40 % der globalen Forschungsausgaben. Rund eine Million Menschen sind jetzt in der Forschung für den Krieg beschäftigt. Die Laboratorien des Todes wachsen.

Die seit dem Manhattanprojekt – der Entwicklung und dem Bau der Atombombe in Kriegszeiten – weitreichendste Mobilisierung der Wissenschaft für militärische Zwecke findet seit Anfang der 80er Jahre in den USA statt. Der Anteil der militärischen Forschung an den Forschungsausgaben des Bundes stieg dort von 46 % (1980) auf 66 % (1984) und soll 1985 knapp 70 % erreichen. Nominal haben sich in der Amtszeit der Regierung Reagan die Mittel für militärische Forschung mehr als verdoppelt, wogegen die zivilen Aufwendungen absolut zurückgingen. Real sind 1980-84 die Mittel für Rüstungsforschung um 65 % gewachsen, während alle anderen Forschungsbereiche um 30 % zurückgingen. „Research and Development (R&D) funding for „guns“ is up and R & D funding for „butter“ is down“ (Science 16.3.1984). Nach dem Budgetvorschlag der Regierung Reagan für 1985 soll die militärische Forschung im nächsten Jahr um 25,5 % wachsen, die gesamte übrige, nichtmilitärische Forschung dagegen eingefroren werden was real einen weiteren Rückgang um 5 % bedeutet. Dies ist ein Forschungsbudget der Vorkriegszeit.

Ein besonders hohes Wachstum weist der DOD-Förderungsbereich „advanced technology development“ auf (46.8 %), in dem ein großer Teil der Mittel für die Star-Wars-Pläne etatisiert ist (1985 2.6 Mrd. Dollar, bis 1989 25 Mrd. Dollar!). Rund die Hälfte der für 1985 geplanten Ausgaben für militärische Grundlagenforschung in der Physik soll die physikalische Forschung für diese „Strategic Defensive Initiative“ mobilisieren. In dem Bereich der vom Pentagon geförderten meist universitären Grundlagenforschung ist der drastische Bedeutungszuwachs der Mathematik und Informatik offensichtlich. Sie standen 1981 unter den zwölf am meisten geförderten Disziplinen noch an 8. Stelle; jetzt sind sie mit Abstand der am besten dotierte Bereich (+ 190 %). Dieser Zuwachs gilt 1984 und 1985 großenteils der „Strategic Computing Initiative“. Weitere Schwerpunkte des Budgets Rüstungsforschung der USA sind die MX und Trident II Raketen, der BI Bomber und die cruise missiles.

Das Gesamtbudget Rüstungsforschung der USA ist freilich weit umfangreicher, als die skizzierten Angaben nahelegen. Neben den Aufwendungen des Department of Defense bzw. des Energieministeriums (für militärische Nuklear-forschung) müssen weitere Aufwendungen beim National Institute of Health, der National Science Foundation und der NASA berücksichtigt werden, die in unterschiedlichem Maß militärisch relevant sind. Hinzu kommt die eigenfinanzierte industrielle Rüstungsforschung sowie ein spezielles Subventionierungsprogramm des DOD („Independent Research and Development Program“), so daß insgesamt bereits rund 1/4 bis 1/3 des Gesamtbudgets Rüstungsforschung außerhalb des FuE-Etats des DOD zu veranschlagen sind. 1984 werden in den USA rund 40 Mrd. Dollar für militärische Forschung und Entwicklung ausgegeben (ca. 35 – 40 % aller privaten und öffentlichen Ausgaben).

Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich in England: hier wurden die Mittel der Forschung für den Krieg innerhalb kürzester Frist (1977/78-1982/83) mehr als verdoppelt (von 1,28 Mrd. Dollar auf 2,7 Mrd. Dollar). Seit den frühen siebziger Jahren stieg ihr Anteil an dem staatlichen Forschungsbudget von rund 45 auf 51,5 %, während zum Beispiel die Forschungsmittel für Umwelt und Verkehr von 5,2 % auf 1,9 % absanken. Keineswegs anders verläuft die Entwicklung in Frankreich: dort nahmen die Ausgaben für militärische Forschung von 15,4 Mrd. Francs (1981) auf 18,1 Mrd. Francs (1982) zu. Sie machen gegenwärtig rund 35 % der staatlichen und knapp 1/4 der nationalen Forschungsaufwendungen aus. Mit über 90000 Wissenschaftlern, die in der Rüstungsforschung Frankreichs tätig sind, arbeitet jeder dritte französische Forscher für das Militär. Die Schwerpunkte liegen dabei in der Elektronik (24.8 % des Budgets von 1982), der Raketen- und Transporttechnik (21,1 %), Nukleartechnik (21 %) und Raumfahrt (19,1 %); die militärische Raumfahrtforschung nimmt dabei an Bedeutung zu. Da der französische Verteidigungsminister Hernu in seinem Fünfjahresplan für die Verteidigungsausgaben 1984-88 eine starke Zunahme der investiven Rüstungsausgaben beabsichtigt, ist mit einem weiteren Wachstum der Mittel für Rüstungsforschung zu rechnen.

Auch die Tendenz in der Bundesrepublik Deutschland weist in dieselbe Richtung, zumal auch hier das Gesamtbudget Rüstungsforschung weit über die 1.9 Mrd. DM hinausgeht, die im Kapitel 1420 („Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige Entwicklung und Erprobung“) des Einzelplans 14 (Bundesministerium der Verteidigung) des Bundeshaushalts ausgewiesen sind und sich in den offiziellen statistischen Verlautbarungen in aller Regel finden.

Hinzu kommen zunächst weitere Mittel aus anderen Kapiteln des Einzelplans 14, aus den Haushalten anderer Ministerien sowie eigenfinanzierter industrieller Rüstungsforschung, Mittel der NATO und des Department of Defence. Weiter sind umfangreiche Forschungsausgaben militärisch relevant, d.h. werden in ziviler wie militärischer Nutzungsabsicht verausgabt; das gilt z.B. für einen beträchtlichen Teil der Ausgaben für Weltraum- und Luftfahrtforschung oder Mikroelektronik. Endlich sind weitere wissenschaftliche Forschungsergebnisse nicht nur zivil, sondern auch militärisch verwendbar (und daher militärisch relevant), ohne daß eine solche Nutzungsabsicht der Förderung durch nicht-militärische Institutionen zugrundelag. Einigermaßen präzise zu ermitteln sind nur die Aufwendungen militärischer Institutionen. Eine entsprechende Analyse der Finanzierung der militärischen FuE in der BRD auf der Grundlage der Bundeshaushaltspläne für 1982 (Ist) und 1984 (Soll) ergibt eine Zunahme der Ausgaben für militärische FuE von 2,689 336 auf 2,983 509 Mrd DM.

Literatur

Bulletin of the Atomic Scientists Mai 1984 S. 40; Science v. 10.2.1984 u. 16.3.1984; Physics Today Dezember 1983 S. 44; AAAS-Report lfd.; International Herald Tribune lfs.; „La Recherche“, Analyses et Documents Economiques Nr. 8, (Dez. 1983), Montreuil 1983; Le Monde 27.4.1983; Nature v. 26.1.1984; Science v. 17.2.1984; R. Williams, British Technology Policy, in: Government and Opposition, Winter 1984, S. 35; R. Rilling, Militärische Forschung in der BRD, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/1982; Bundeshaushaltspläne lfd.

Dr. Rainer Rilling ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Marburg und Geschäftsführer des DdWi

Weltraumtechnologie = Erstschlagstechnologie

Weltraumtechnologie = Erstschlagstechnologie

von Jürgen Scheffran

Die neuen Entwicklungen in der Waffentechnik, insbesondere für den Weltraum, lassen sich durch folgende Parameter beschreiben, die eng miteinander verknüpft sind:

  • Vergrößerung der räumlichen Ausdehnung (größere Reichweite, globale Überwachung und Kommunikation)
  • Verkürzung der Entscheidungszeit (Flugzeit, Vorwarnzeit, „launch on warning“)
  • Erhöhung der Zielgenauigkeit (CEP Faktor, Zerstörungswahrscheinlichkeit)
  • Verringerung der Zerstörungswirkung (geringere Sprengkraft, selektive Zielbekämpfung, begrenzter Atomkrieg)
  • Steigerung der zu verarbeitenden Informationen (Computerisierung und Automatisierung der Kriegsführung)
  • Zunahme von Komplexität und Anfälligkeit einzelner Waffen, sowie ihrer integrierten Koordination Fehlstarts, Krieg aus Zufall, C3I-System)
  • Wachsende „Intelligenz“ spezieller Waffen (Zielsuchsystem, künstliche Intelligenz, Musterkennung).

Durch solche Tendenzen rücken nun wieder bereits verdrängte Überlegungen in den Bereich des technisch Machbaren, so die in den sechziger Jahren diskutierte Fähigkeit zum Erstschlag und zur Abwehr von Interkontinentalraketen. Es ist auch kein Zufall, daß die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles zum Katalysator und Symbol der Kriegsgefahr für die Friedensbewegung wurde, erfüllen sie doch einige der obengenannten Eigenschaften.

Das Schlüsselwort, das in diesem Zusammenhang besonders häufig genannt wird, heißt Erstschlagfähigkeit. Während früher darunter im wesentlichen die Fähigkeit verstanden wurde, die gegnerischen Raketen in ihren Silos zu zerstören, zeichnen sich heute fünf Stufen der Erstschlagsfähigkeit ab, die sich gegenseitig ergänzen und (in Klammern ist der weltraumspezifische Beitrag genannt):

  1. Weitgehende Zerstörung des gegnerischen C3I-Systems und „Enthauptung“ der Kommandozentren (Zerstörung der Frühwarn-, Kommunikations und Navigationssatelliten durch ASAT)
  2. Vernichtung der landgestützten Zweitschlagskapazität in den Silos (Silobestimmung durch Überwachungssatelliten, Radarbilder für Radarendphasenlenksystem, Bodenerkundung über geodätische Satelliten für Cruise missiles, hohe Zielgenauigkeit durch Navigationssatelliten)
  3. Bekämpfung der Zweitschlagskapazität auf See (U-Boot-Ortung durch Überwachungssatelliten, koordinierte U-Boot-Verfolgung und Bekämpfung durch Kommunikations- und Überwachungssatelliten)
  4. Ausschalten der verbliebenen Rest-Raketen im Flug durch DreißSchicht ABM-System (konventionelle Abwehrsatelliten und Laserkampfstationen in der Umlaufbahn)
  5. Globale, integrierte, taktische Kriegsführung mit konventionellen, atomaren, chemischen und elektronischen Waffen (weltraumgestützte C3I-System, Navigation-, Kommunikationssatelliten)

Zu jedem dieser fünf Punkte sind zur Zeit Entwicklungen im Gange, gibt es Lösungsansätze, die gegen Ende der achtziger Jahre verwirklicht sein können. Allein das Vorhandensein dieser Systeme erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges, ob nun ein Erstschlag beabsichtigt ist oder nicht. Unabhängig davon, welche Seite eine solche Erstschlagskapazität besitzt, auch wenn beide Seiten sie haben: der Angreifer könnte sich einen solch großen Vorteil vom ersten Schlag versprechen, daß er sich zur Ausführung gezwungen sieht, wenn er vom Gegner etwas vergleichbares erwarten kann (etwa in einer Krisensituation). Dies wäre eine höchst instabile Situation. Die Militarisierung des Weltraums könnte in diesem Zusammenhang nicht nur eine Fortsetzung der Aufrüstung auf der Erde bedeuten, sondern darüberhinaus die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges erhöhen (Triggerfunktion).

Anand Srivastav  Ekkehard Sieker

Der Weltraum und die Erlangung der Erstschlagsfähigkeit

„Teilen Sie mit mir eine Vision der Zukunft, die Hoffnung bietet. Sie besteht darin, daß wir ein Programm in die Wege leiten, um der schrecklichen sowjetischen Raketenbedrohung mit Maßnahmen zu begegnen, die defensiv sind.“ (R.Reagan am 23.3.1 983 in seiner „Star-War“-Rede). Unter dem Vorwand der sowjetischen Raketenbedrohung wurde die „Strategic Defence Initiative“ eingeläutet. Es ist eine Initiative, die Technologien zur abgestuften Abwehr gegnerischer ballistischer Raketen (BMD) bereitstellen soll. Was auf den ersten Blick vernünftig, weil „defensiv“ erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als das genaue Gegenteil. Liest man Reagans Rede mit der militär-strategischen „Sachkompetenz“ eines Colin S. Gray, so kommt eine sehr präzise Einschätzung heraus: „it must be emphasized that President Reagan did not endorse a particular weapon technology on 23 March 1983, nor did he present a spezific programme: instead he offered a strategic vision“.1.

Also im Klartext: Es geht nicht in erster Linie um die Technologie, sondern um die Strategie. Nicht um BMD (Ballistic Missile Defence) isoliert geht es, sondern die Funktionsbestimmung von BMD im Rahmen dieser „strategischen Vision“. Gray sagt uns auch in dankenswerter Offenheit, welche Strategie gemeint ist: „Conceptually, should space be viewed as the „high ground“ of the future control or command, of which grants perhaps a war-winning advantage?“ 2

Gemeint ist also eine Strategie, deren Ziel inzwischen aus dem Pentagonpapier, dem Air-Land-Battle-Konzept und seiner konventionellen Variante, dem Rogers-Plan und natürlich aus den Veröffentlichungen von Gray bekannt ist: Sieg im Atomkrieg.

Erstschlag – Was ist das?

Mit dem Übergang von der Strategie der „massiven Vergeltung“ zur Strategie des „flexible Response“, versuchen die USA aus dem atomaren Patt auszubrechen. Die Folge war ein Rüstungswettlauf, der die atomaren Optionen zwar auffächert, jedoch das nukleare Patt auf immer neuen, gefährlichen Stufen wiederherstellt. Auf Grund der technologischen Möglichkeiten glaubt die jetzige US-Administration, aus dem „Dilemma“ des nuklearen Gleichgewichtes herauskommen zu können. Trotz des Fehlens vieler wesentlicher Technologien (z.B. Weltraumrüstung) sind die Strategie und damit verbundene Anforderungen an die Technologie genauestens determiniert. Der Schlüssel, die Methode mit der der Sieg über die UdSSR erreicht werden soll, ist die Enthauptung („Decapitation“ nach Pentagonpapieren), d.h. die Ausschaltung der gegnerischen C3I Struktur, Doch die Enthauptung allein reicht nicht aus, Die kriegsentscheidende Zerstörung des gegnerischen strategischen Potentials (Zweitschlagskapazität), d.h. die Entwaffnung, muß ebenso sicher erfolgen wie der Abfang des nach der Entwaffnung gestarteten Nuklearpotentials des Gegners. Hinzukommen muß natürlich ein für die Kriegsführung geeignetes eigenes C3I-System.

Umfassender Erstschlag erfordert also eine kriegsentscheidende Schwächung der gegnerischen Zweitschlagskapazität durch eine integrierte Enthauptung, Entwaffnung, BMD. Demzufolge unterteilen wir die Gesamtheit der Technologien, die für den Erstschlag gebraucht werden (Erstschlagstechnologien), in Enthauptungs-, Entwaffnung- und Abfangtechnologien. Im folgenden werden wir untersuchen, inwieweit der Weltraum für die Bereitstellung der oben genannten Technologien genutzt werden muß, und inwieweit mit den schon vorhandenen Technologien die strategischen Ziele Enthauptung, Entwaffnung und Abfang erreicht werden können.

Erstschlagstechnologie

Die Ausschaltung der gegnerischen C3I Struktur erfolgt im wesentlichen im Weltraum durch Zerstörung/Blendung der gegnerischen Satelliten (ASAT) und durch die Zerstörung der erdgebundenen, verbunkerten C3I-Systeme. Bevor wir auf die Enthauptung der erdgebundenen Systeme eingehen, geben wir eine kurze Erläuterung der Begriffes „Erstschlagsfähigkeit einer Waffe“. Dieser Begriff, der die wesentlichen technologischen Fähigkeiten eines Nuklearsystems sprachlich bündelt, wird z.T. bewußt falsch gebraucht, um die Funktion erstschlagsfähiger Waffen zu verschleiern.

Die Erstschlagfähigkeit einer Waffe ist allein auf Grund ihrer technischen Eigenschaften

a. über 90 % Vernichtungswahrscheinlichkeit

b. geringe Randzerstörungen, also geringe Sprengkraft

bestimmt. Die Zielgenauigkeit ist das entscheidende Maß für die Erstschlagsfähigkeit einer Waffe. Demzufolge sind Pershing II-Raketen Erstschlagswaffen, die SS-20 aber nicht.

Da der Enthauptungsschlag gegen die erdgebundenen Systeme nur mit dem Risiko weniger Minuten Vorwarnzeit erfolgen kann, ist derzeit allein Pershing II schnell und zielgenau genug, um als Enthauptungstechnologie identifiziert zu werden, ihre Reichweite und die vorgesehene Anzahl von über 300 Raketen macht sie zur „idealen“ Enthauptungswaffe: mit einer Reichweite von 1800-2300 km kann die Pershing II alle wesentlichen C3I-Zentralen der UdSSR, die nach Angaben des ehemaligen Vorsitzenden des Vereinigten Stabschef der USA, General S. Brown, aus dem Jahre 1977, innerhalb eines Radius von 150 km um Moskau liegen, treffen. 3

Die Anzahl der Führungszentren der UdSSR wird von der Brookings Institution in Washington mit „60 National Command and Authority Centers“ angegeben. 4

Berücksichtigt man, daß 108 nachladbare Startgeräte für die Pershing II stationiert und über 300 Raketen bereitgestellt werden sollen, errechnet man eine mehr als 50 %ige Wahrscheinlichkeit, die oben genannten 60 Ziele zu zerstören.

Entwaffnungstechnologien

Entwaffnungstechnologien müssen die kriegsentscheidende Zerstörung/Schwächung der gegnerischen Zweitschlagskapazität gewährleisten. Sie müssen sowohl gegen SLBM als auch gegen ICBM wirksam sein. Die Anti-U-Boot-Kriegsführung (ASW) erfordert entsprechende Sensoren, Unterwasserraketen und Trägersysteme, von denen eine ganze Reihe schon bereitstehen. 5

Im Mittelpunkt der Anstrengungen seitens der USA steht der Aufbau des globalen Ortungs- und Zeitsystems NAVSTAR. 18 NAVSTAR-Satelliten sollen so in Umlaufbahnen gebracht werden, daß ein Flugobjekt (z.B. ballistische Rakete) in jedem Punkt seiner Flugbahn gleichzeitig Informationen von mindestens 4 Satelliten empfangen und entsprechende Kurskorrekturen vornehmen kann. Sollten nach den Minuteman II-Raketen sämtliche bis 1988 fertiggestellten 408 Raketen des Typs Trident I mit NAVSTAR-Leitsystemen ausgerüstet werden, würde nach Angaben von Robert C. Aldridge die Wahrscheinlichkeit, alle 1398 sowjetischen Raketensilos bei einem kombinierten Einsatz von Minuteman II und Trident I zu zerstören, auf 95% steigen. Die verbleibenden 70% landgestützten Raketen müßten mittels BMD aufgefangen werden.

Abfangtechnologien (BMD)

Die Abwehr ballistischer Raketen ist zur Zeit noch der wundeste Punkt im Erstschlagkonzept der USA. Entsprechend den verschiedenen Phasen des Fluges einer ballistischen Rakete gibt es verschiedene Abfangoptionen, die aber alle noch im Erprobungs- bzw. Forschungsstadium sind:

  1. Abwehrphase. Zerstörung in der Startphase durch satellitengestützte Vought Raketen (auch Strahlenwaffen sind denkbar)
  2. Abwehrphase: Zerstörung in der Phase des ballistischen Fluges durch Strahlenwaffen (Laser, Partikel, Mikrowellen, Plasma)
  3. Abwehrphase: Zerstörung der gegnerischen Sprengköpfe in Zielnähe mittels bodengestützter Systeme kurz vor dem Aufschlag.

Zusammenfassend kann man sagen, daß der Aufbau einer Erstschlagsfähigkeit eine qualitativ völlig neue Stufe der Weltraumrüstung erzwingt. In einem künftigen Atomkrieg wird der Weltraum gleichzeitig Schauplatz und Kontrollzentrum der Eskalation sein. Ein Erstschlag ist ohne die strategische Einbeziehung des Weltraums nicht denkbar.

Der Stopp der Weltraummilitarisierung würde den Erstschlagsstrategen eines ihrer wichtigsten Instrumente aus der Hand schlagen.

Anmerkungen

1 Gray, Cohn S., Space is not a Sanctuary, in: Survival, 9/10, 1983 Zurück

2 ·ebenda Zurück

3 ·IISS-London, Adelphi Paper Nr. 169/1981, S. 20 und S. 44 Zurück

4 The Brookings Institution, Washington D.C., Berman/Baker, Soviet Strategic Forces: Requirements and Reports 1982, S. 103 und S. 137 Zurück

5 Aldridge, Robert C., Das Instrumentarium für den „entwaffnenden Erstschlag“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3, 1983, S. 462 ff. Zurück

Jürgen Scheffran ist Diplomphysiker in Marburg; Anand Srivastav (VDS-Projektbereich Frieden); Ekkehard Sieker (Forum Naturwissenschaftler für Frieden und Abrüstung e.V.)

Wie friedlich ist die Soziologie? (2)

Wie friedlich ist die Soziologie? (2)

Die Indienstnahme der Soziologie für psychologische Kriegsführung

von Heinrich W. Ahlemeyer

Die Unfriedlichkeit des Wirkens, und damit kommen wir zur vierten Funktion, nämlich der psychologischen Kriegsführung, die Unfriedlichkeit des Wirkens einer Person oder einer Institution zeigt sich jedoch nicht nur in der Beteiligung, der Planung oder Ausführung direkter militärischer Gewaltanwendung, Unfriedlichkeit kann sich auch auf andere Weise noch manifestieren, nämlich in der Beteiligung und der Planung und Ausübung struktureller und psychologischer Gewalt.

In vielen Kriegsführungsformen – counterinsurgency operations, Militärhilfsprogrammen, militärischen Besetzungen und Besatzungen, begrenzter Kriegsführung und kalter Kriegsführung – kommt es nämlich darauf an, die Haltung und das Verhalten von Zielgruppen in Richtung auf die eigenen militärischen Ziele zu verändern. Operationen dieser Art werden unter dem Begriff der psychologischen Kriegsführung zusammengefaßt. Soziologen werden dabei insbesondere dafür benötigt, einzuschätzen, wie Individuen unterschiedlicher Gesellschaften, Klassen und Berufsgruppen und unterschiedlicher politischer Richtungen auf unterschiedliche Kommunikations- und Handlungsformen reagieren.

Hier sollen jetzt vier umfängliche soziologische Forschungsprojekte zur psychologischen Kriegsführung kurz angeführt werden.

  1. Am Operations Research Office der Armee erarbeiten William E. Daugherty und Morris Janowitz ein umfangreiches Handbuch zur psychologischen Kriegsführung: A Psychological Warfare Casebool,. Washington 1958), das auf Anforderung des Chefs der Armee für psychologische Kriegsführung entstand und die Grundlage für die Ausbildung des militärischen Personals in psychologische Kriegsführung abgab. Mitarbeiter waren u.a. Howard Becker, Leonard Cottrell, Alex Inkeles, Leo Lowenthal und John W. Riley Jr.
  2. Das SORO (Special Operations Research Office) trug nach 1958 zur psychologischen Kriegsführung dadurch bei, daß es zusätzlich zu den vorher erwähnten Länderstudien ein unter Verschluß gehaltenes Psychological Operations Handbook für über 20 verschiedene Nationen vorlegte. In der Einleitung dazu heißt es: „Dieses Handbuch stellt Ansprechweisen und Symbole von überprüfter Überzeugungskraft vor, um in einem gegebenen Land mit bestimmten Gruppen zu kommunizieren. Jede Studie unternimmt den Versuch, unterschiedliche Gruppen in der Bevölkerung, ethnische, geographische, ökonomische, soziale, kulturelle zu identifizieren und ihre Haltung und ihr wahrscheinliches Verhalten gegenüber den USA einzuschätzen.“ Die Studien nehmen eine Einschätzung der Empfänglichkeit unterschiedlicher Gruppen für Überredung vor und schätzen die Effektivität ihres Einflusses auf die Gesamtgesellschaft ein. Ein anderes SORO-Projekt untersuchte die Bedeutung informeller Kommunikation in den einzelnen Ländern und damit, wie das amerikanische Militär gezielt Informationen und Desinformationen in eine fremde Gesellschaft infiltrieren und verbreiten könnte.
  3. Die Notwendigkeit, Kampfaktivitäten zu ergänzen durch gezielte Kommunikation mit gegnerischen Truppen und Zivilisten gab den Anstoß zu Forschungen zur Informationsdiffusion allgemein, also der Verbreitung von gezielten Nachrichten und der sozialen und psychologischen Schwachstellen im besonderen, die sich zur Verstärkung der Wirkung einer Aussage auf den Empfänger anbieten. Leiter dieses Forschungsprojektes war Stuart C. Dodd, der am Public Opinion Laboratory der Washingtoner Universität arbeitete und vom Militär einen gut ausgestatteten Forschungskontrakt zur Untersuchung der Informationsdiffusion durch Flugblätter bekam. In einer Serie von experimentellen Untersuchungen, bei denen Flugblätter über amerikanischen Städten abgeworfen wurden, ging es um Informationsdiffusion anhand der Verteilung und Wirksamkeit von Flugblätterinformationen; etwa: notwendige Zahl der abzuwerfenden Flugblätter in Relation zur Bevölkerungsgröße, räumliche Verteilungsmuster, Notwendigkeit von Wiederholungsaktionen, motivationale Wirkung im Verhältnis zur Sozialstruktur und politischen Zielgruppen, Ergebnisse zu optimalem Flugblattformat, Farbe und Menge, frühere Ergebnisse dazu bewährten sich bereits in der psychologischen Kriegsführung des Korea-Krieges. Ein letztes Forschungsprojekt zur psychologischen Kriegsführung sei beispielhaft erwähnt: das andere Problem der Air-Force wares, das eigene Flug- und Bodenpersonal gegen die gegnerische psychologische Kriegsführung zu immunisieren, was Forschungen über die psychologische Kriegsführung der anderen Seite erforderlich machte, um beispielsweise über feindliche Territorien abgeschossene Flugzeugbesatzungen in Ausweich- und in Entrinnungstechniken trainieren zu können. Unter der Leitung der Soziologen Frederick W. Williams, Herman S. Sander und Albert D. Biderman wurden zwischen 1950 und 1958 am HRRI Forschungen zum Gefangenenproblem durchgeführt. Erkenntnisse über die gegnerische Verwendung von amerikanischen Kriegsgefangenen im Koreakrieg wurden mit vorliegenden amerikanischen Erfahrungen mit Kriegsgefangenen und mit technischen Kenntnissen über die Manipulation menschlichen Verhaltens integriert.

„Kenne deinen Feind“

Unter diesem Motto können die eben aufgeführten vier Dienstleistungsfunktionen zusammengefaßt werden, die die Soziologie für das Militär erbracht hat. Daneben gibt es eine zweite grundsätzliche Dienstleistung der Soziologie für das Militär, die mit dem alten elisabethanischen Motto des „know yourself“, kenne dich selbst, gekennzeichnet werden kann. Man muß sich vor Augen führen, daß die Organisation und Koordination der Handlungen von Hunderttausenden von Menschen in Bahnen einer Organisation auch unter dein militärischen Befehlsgehorsam nur möglich ist auf der Grundlage von Wissen über Strukturen und Gesetzmäßigkeiten des Handelns in großen fernen Organisationen. Dazu wird dringend die Hilfe der Sozialwissenschaften benötigt. Die Indienstnahme der Soziologie zur Erhöhung organisatorischer Effektivität und zur Bewältigung von personellen Managementproblemen setzte erstmals in den USA im Zweiten Weltkrieg im großen Stile ein. Noch vor dem faktischen Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ordnete das amerikanische War-Department in einer Direktive die Gründung eines Forschungsstabes innerhalb der Abteilung für Information und Erziehung an. Aufgabe des Research Brauch sollte es sein, „den militärischen Befehlsstellen schnell und genau Fakten über die Einstellung von Soldaten zukommen zu lassen, die bei grundlegenden Entscheidungen hilfreich sein könnten“. Direktor des Forschungsprojekts war Samuel A. Stouffor. Unter seiner Leitung arbeiteten im Dienste der Armee mehr als 130 Soziologen, von denen später sieben der American Sociological Association als Präsident vorstanden. Mehr als eine halbe Millionen Soldaten, Mannschaften und Offiziere wurden systematisch soziologisch durchleuchtet und mit Hilfe von mehr als 200 verschiedenen Fragebögen mit bis zu 100 verschiedenen Fragen befragt. Die zusammengefaßten Ergebnisse wurden nach dem Krieg in vier Bänden von Stouffer und anderen unter dem Titel „The American Soldier“ (Princeton, 1949) veröffentlicht.

Was nun war Gegenstand dieses soziologischen Großprojekts? Ein Großteil der Studien beschäftigte sich mit Anpassungsproblemen in der Armee. Eine ganze Reihe unterschiedlicher Anpassungsprobleme wurde erfaßt, beschrieben und dann im Hinblick auf Korrelationen mit persönlichen Hintergründen und Armee-Erfahrung untersucht. Andere Studien widmeten sich so unterschiedlichen Problemen wie Auftragserfüllung und Jobzufriedenheit, Einstellung zu Führung und Kontrolle, die besonderen Probleme von Schwarzen in der Armee, Motivation und Einstellung von Kampftruppen, Anpassungsprobleme von Rückkehrern aus Übersee, usw. usw. Stouffer schreibt dazu in der Einleitung des „American Soldier“: „Viele, ja die meisten unserer Aufgaben erschienen in der Perspektive eines globalen Krieges unbedeutend zu sein, z.B. die Ursachen zu bestimmen, die dazu führten, daß die Männer im Süd-Pazifik Adabrin (ein Anti Malaria-Mittel) nicht so regelmäßig zu sich nahmen wie die Armee es gerne wollte. Oder welche Praktiken hinter Tranchfoot (einer Fußkrankheit, die erstmals in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges aufgetreten war) steckten. Oder wie die Haltung der Männer zur Beförderung und Auftragsverteilung war.“

Viele der Untersuchungsberichte waren an lokale Kommandos in Übersee gerichtet, andere wiederum hatten Bedeutung für die Steitkräfte insgesamt wie z.B. die Entwicklung eines Punktesystems für die Demobilisierung nach dem Krieg nach den Kriterien Dienstlänge, Übersee- und Kampfeinsatz und Elternstatus, ein System, das von der Administration so übernommen und umgesetzt wurde.

Die zunehmende Inanspruchnahme des Research Branch durch überseeische und heimische Kommandostellen der US-Army belegt vielleicht am deutlichsten die Funktionalität der Soziologie für die Kriegsanstrengungen.

Im Herbst 1942 kabelte General Eisenhower die Anforderung eines Forschungsstabes für seinen Befehlsbereich in Westeuropa nach Washington und bis zum Jahresbeginn 1944 waren Unterabteilungen des Research Branch auf den Kriegsschauplätzen im Mittelmeer, im Zentralpazifik, in Indien, in Burma und im Südpazifik gegründet worden. Trotz der Größe und der praktischen Bestätigung dieser Zusammenarbeit von Militär und Soziologie waren aber auch die Grenzen bald offenkundig. Mit der Konzentration auf die Einstellung von individuellen Soldaten lag der Schwerpunkt stark auf der sozialpsychologischen Seite des soziologischen Theorien- und Methodenspektrums. Diese Grenzen sind vielleicht am prägnantesten in der Kritik des Militärsoziologen Morris Janowitz benannt, der damit zugleich auch die Grenzen der Funktionalität der Ergebnisse des American Soldier beschrieb.

„Die Grenzen der Meinungsforschung sind nicht, daß Strategie und Taktik im Krieg nicht auf den Präferenzen von Soldaten beruhen können. Das ist jedermann einsichtig. Die wirklichen Mängel der Meinungsforschung liegen darin, daß sie nicht das zugrunde liegende soziale System die Wirklichkeit einer bürokratischen Organisation der Streitkräfte erfaßt. Truppenmoral ist ein viel zu begrenztes Konzept, um die Zwänge zu verstehen, die von einer bürokratischen Organisation ausgehen, insbesondere von militärischen Formationen, die unter Kampfbedingungen operieren.“ „The American Soldier“ stellt jedoch nur die Spitze eines Eisberges dar, unter der sich die Umorientierung der gesamten soziologischen Disziplin auf militärsoziologische Probleme während und nach dem Zweiten Weltkrieg verbirgt. Man muß sich nur die Publikationen in den soziologischen Periodika in der Nachkriegszeit ansehen. Da schreibt George C. Homans in der American Sociological Review über soziale Beziehungen auf kleinen Schlachtschiffen, Ralph H. Turner schreibt dort über den Zahlmeister der Marine als Bürokraten, Edward A. Shils und Morris Janowitz schreiben über Zusammenhalt und Desintegration in der deutschen Wehrmacht, Robert C. Stone über Status und Führung in Kampffliegerschwadronen, Theodore Caplow über die Bedeutung von Gerüchten im Krieg, Leslie Zeleny über die Auswahl von miteinander verträglichen Kanzelbesatzungen, Morroe Berger über Gesetz und Gewohnheit in der Armee. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Hinter diesen Arbeiten verbirgt sich nach meiner Meinung weit mehr als die individuelle Reaktion und Reflexion einzelner Soziologen auf die geschichtliche Wirklichkeit des Zweiten Weltkrieges. Über die Summe dieser Beiträge wird hier eine ganze Disziplin in ihrem Wertverständnis, in ihrer Gegenstandsbestimmung, in ihrem Adressaten und in ihren Fragestellungen, ja auch in ihrem Theorien- und Methoden bestand, umgebaut von einer kritischen, zumindest kritikfähigen Wissenschaft hin zu einer pragmatisch vernutzbaren Technik, die auf Anforderung unter nicht mehr weiter infrage gestellte vorgegebene Wertprämissen technische Problemlösungsmaximierungen liefert. Damit waren innerhalb der Disziplin die Voraussetzungen dafür geschaffen, die notwendig waren, damit die wissenschaftsorganisatorischen Anstrengungen des Pentagon mit der Schaffung des Research and Development Board 1947 nicht auf taube Ohren stieß. Damit waren auch die Weichen dafür gestellt, daß die Frage nach der Friedlichkeit der Soziologie, die Frage nach dem Beitrag der Soziologie zur Friedenserhaltung oder Kriegsvorbereitung in der Disziplin selber nicht mehr gestellt werden konnte und lange Zeit nicht mehr gestellt wurde.

Ich will nun nicht mehr im einzelnen darstellen, welche soziologischen Forschungen in den Nachkriegsjahrzehnten betrieben wurden um die innerorganisatorische Effektivität der Militärs zu steigern; hier ging es um innerorganisatorischen Personalbedarf, Personalauswahl, -klassifikation, -training, Leistungsbewertung, endlich ging es um das Militär als soziales System (militärische Führung, Kommando- und Kommunikationssystem; Rollen- und Gruppenstruktur).

Die Soziologie als zentrale Beratungsinstanz

Ich möchte abschließend noch eine letzte wichtige Dienstleistung der Soziologie zur Kriegsmobilisierung und Kriegsvorbereitung nicht unerwähnt lassen, nämlich die Beratungsfunktion, welche die Soziologie und Soziologen auf allen Ebenen militärischer und militärpolitischer Entscheidungsfindung gehabt haben. Die strenge Geheimhaltung dieser Vorgänge und die Knappheit der Zeit lassen es nicht zu, diesen Punkt gebührend darzustellen. Aber soviel kann sicher gesagt werden:

Jeder einzelne der von mir erwähnten Soziologen hat zu dem einen oder anderen Zeitpunkt in einer Beratungsfunktion, in einem Beraterverhältnis zum Pentagon, den Kommando- und Schaltstellen der Einzelstreitkräfte oder den Geheimdiensten gestanden und für die wissenschaftliche Nachwelt kaum rekonstruierbar oft für gutes Geld in unzähligen geheimen Beratungen und Besprechungen die soziologische Perspektive einfließen lassen. Namen wie Charles E. Hutchinson, Herman S. Sander und Leonard S. Cottrell stehen hier nur stellvertretend für die durchgängige Prostitution der Soziologie an das Militär im Kalten Krieg.

Ein Vorgang sei etwas genauer dargestellt: In den 60er Jahren wurde eine Reihe prominenter Soziologen damit beauftragt, die Bedürfnisse des militärischen Systems nach langfristiger sozialer Forschung abzuschätzen. Der Task-Group für den Bereich „Persuasion und Motivation“ gehörten die Soziologen Wilbur E. Schramm, W. P. Davidsen, Henry W. Rieken und John W. Rily an. Andere Soziologen wurden regelmäßig als Berater hinzugezogen, so u.a. Bernhard Berelson, Morris Janowitz, Daniel Lerner, Talcott Parsons und Donald Young. Der Tenor ihres Abschlußberichts, der unter dem Titel „Towards a Technology of Human Behavior for Defense“ in der Zeitschrift „American Psychologist“ (No. XVII) 1962 erschien, war dieser: Es sei verstärkt sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung in den Bereichen Überzeugung, Motivation und interkultureller Kommunikation und anderen Gebieten notwendig, wenn das amerikanische Militär künftige Operationen heißer und psychologischer Kriegsführung erfolgreich bestehen wolle. Ich fasse abschließend zusammen:

Während des Zweiten Weltkrieges kommt es in den USA erstmals in der Geschichte der Disziplin zu einer umfassenden Indienstnahme der Soziologie durch das Militär. Ziel dieser Verwissenschaftlichung der Kriegsführung ist es, die wie es so unnachahmbar im militärsoziologischen Jargon heißt – humanen Ressourcen besser zu verstehen und entsprechend besser managen zu können. Dies gibt den Anstoß zu einer umfassenden Umorientierung der Soziologie von einer materialen Wissenschaft zu einer funktionalisierbaren Technik von nur noch formaler Rationalität, die ihre Gegenstände und Fragestellungen von Militär und Politik vordefiniert bekommt und entsprechend nur noch Aussagen über optimalen Mitteleinsatz für die vorgegebenen Ziele machen kann. Diese Militarisierung der Soziologie in den USA in den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten ist durchgängig, sie erfaßt die gesamte Disziplin und beinahe ausnahmslos alle professionellen Vertreter des Fachs in Lehre, Forschung und Wissenschaftsverwaltung. Einschlägige militär-soziologische Anthologien weisen aus, daß sich bis Mitte der 60er Jahre über 200 professionelle Soziologen militärsoziologisch betätigt haben. Ihre Liste liest sich wie ein „Who's Who“ der amerikanischen Soziologie in den 50er und 60er Jahren. Diese Funktionalisierung der Soziologie durch das Militär in den USA in den Jahren des Kalten Krieges geht einher mit einer rapiden inhaltlichen Verarmung und einer wachsenden Sterilität und eines fast vollständigen Verlustes an kritischer Substanz der Soziologie. Es bedurfte der gesellschaftlichen Erfahrung des Vietnam-Kriegs und der damit aufbrechenden innergesellschaftlichen Konflikte, um die andere Seite der soziologischen Tradition, ihre kritische Potenz und ihr friedenspolitisches Engagement wenigstens bei einer Reihe jüngerer Soziologen wieder zu beleben.

Heinrich W. Ahlemeyer ist Soziologe in Münster