Hat die Souveränität versagt?

Hat die Souveränität versagt?

Die britische Rolle im Irakkrieg

von Ian Davis

Die Invasion der USA und Großbritanniens im Irak wurde vor allem mit der Abrüstung der nuklearen, biologischen und chemischen Waffen des Regimes von Saddam Hussein begründet. Geheimdienstpapiere, – auch britische – die die Gefahren belegen sollten, erwiesen sich im Nachhinein als überzogen und zum Teil direkt gefälscht. Nennenswerte Mengen biologischer oder chemischer Agenzien wurden bis heute nicht gefunden, obwohl für die Suche extra eine 1.200 Mann starke Sondereinheit mit US-Inspektoren zusammengestellt wurde. Ian Davis geht der Frage nach, ob die Entscheidung, den Irak anzugreifen, auf der Grundlage irreführender Geheimdienstinformationen basierte oder ob es sich um eine Entscheidung handelte, die George W. Bush – vielleicht zusammen mit Tony Blair – bereits vor Beginn der öffentlichen Debatte gefasst und die mit Massenvernichtungswaffen wenig zu tun hatte.

Eine Tatsache scheint heute unstrittig: Bei Kriegsbeginn verfügte der Irak nicht über die Massenvernichtungswaffen, die ihm von der britischen und US-amerikanischen Regierung unterstellt wurden. Folglich war der Irak auch nicht die ernste und aktuelle Bedrohung für die nationalen Interessen Großbritanniens, den Nahen Osten und die Vereinigten Staaten, die britische und US-Regierungsmitglieder ständig hervorgehoben haben. Die Entscheidung der USA und Großbritanniens, weitere Waffeninspektionen durch die Vereinten Nationen zu blockieren, die Mehrheit im UN-Sicherheitsrat zu ignorieren und einen kostspieligen Krieg mit offenem Ende loszutreten, war folglich weder nötig noch gerechtfertigt.

Ganz offensichtlich gab es genug zeitlichen Spielraum für weitere Inspektionen, diplomatische Initiativen und freiwillige Abrüstungsmaßnahmen des Irak. Und es ist keineswegs so, dass wir erst hinterher schlauer sind. Schon vor dem Krieg hatten Hans Blix, ehemalige Inspektionsteams und sogar einige der US-amerikanischen und britischen Geheimdienstexperten darauf hingewiesen, dass die Beweislage für die Existenz verbotener Waffen sehr schwach war.

Die Entscheidung, den Irak anzugreifen, war also entweder eine kolossale Fehleinschätzung auf der Grundlage irreführender Geheimdienstinformationen oder aber das Ergebnis einer politischen Entscheidung, die George W. Bush – vielleicht zusammen mit Tony Blair – schon vor Beginn der öffentlichen Debatte gefasst und die mit Massenvernichtungswaffen nur wenig zu tun hatte. Je mehr Informationen über den Entscheidungsprozess durchsickern, desto mehr deutet auf Letzteres.

Bush und Blair haben wiederholt argumentiert, das Regime von Saddam Hussein habe über 20 Jahre lang seine politischen Gegner und ethnische Minoritäten brutal unterdrückt, zur Erlangung einer regionalen Hegemonie Nachbarländer mit Aggression überzogen und hartnäckig den Aufbau eines nuklearen, chemischen und biologischen Waffenarsenals verfolgt. All das ist wahr. Aber wenn der Sturz von Saddam Hussein das Ziel war, warum wurde der Krieg dann nicht genau damit begründet? Die Antwort liegt auf der Hand: Ein militärisch erzwungener Regimewechsel widerspricht dem Völkerrecht. Die Kulisse einer »unmittelbaren Bedrohung« durch irakische Massenvernichtungswaffen wurde aufgebaut, um das militärische Eingreifen zu rechtfertigen. Das, obgleich es mindestens zwanzig andere Länder mit größeren nuklearen, chemischen und biologischen Fähigkeiten gibt, und obgleich bei einigen dieser Länder es viel wahrscheinlicher ist, dass entsprechende Waffen in die Hände von al Qaeda oder anderen Terroristengruppen gelangen können.

Angesichts dieser Faktenlage, der deutlichen Meinungsverschiedenheiten im Kabinett Blair und der Labour-Party sowie einer deutlichen Ablehnung des Krieges in der britischen Bevölkerung, stellt sich die Frage, warum Tony Blair Großbritannien in diesen Krieg führte. Der Hauptgrund ist wohl, dass der britische Premierminister und große Teile des politischen Establishments sklavisch an den traditionellen »besonderen Beziehung« zwischen den USA und Großbritannien festhalten, obwohl sich die US-Außenpolitik fundamental gewandelt hat, und das Mittel »militärische Präemption« zur Leitdoktrin der US-Außenpolitik aufgewertet wurde, was in der neuen »Nationalen Sicherheitsstrategie« der Regierung Bush vom September 2002 deutlich wird.

Großbritannien befürchtet immer wieder den Verlust von Souveränität an Institutionen der Europäischen Union. Dabei verzichtet die britische Außenpolitik zweifellos auf sehr viel mehr Souveränität, wenn sie sich der neokonservativen Agenda der US-amerikanischen Hardliner unterwirft und sich für die neue US-zentrierte Weltsicht einspannen lässt.

Die besondere Beziehung zwischen GB und den USA

„Was ich als brüderliche Verbindung der englischsprachigen Völker bezeichne … führt zu einer besonderen Beziehung zwischen dem Britischen Commonwealth und Empire und den Vereinigten Staaten,“ führte Winston Churchill 1946 in einer Rede mit den Titel »Kräfte des Friedens« aus.

Seitdem hat die »besondere Beziehung« zwischen Großbritannien und den USA etliche deutliche Meinungsverschiedenheiten ausgehalten. Die beiden Tiefpunkte waren die Suezkrise 1956 und der Vietnamkrieg. Die Weigerung Harold Wilsons, britische Truppen in den Kampf gegen die Vietkong zu schicken – obwohl US-Präsident Lyndon Johnson sich verzweifelt um die aktive Unterstützung Großbritanniens bemüht hatte –, hatte beträchtliche politische und wirtschaftliche Auswirkungen: Das britische Pfund wurde abgewertet und die Weigerung der USA, wirtschaftliche Unterstützung zu gewähren, war ein Auslöser für die nachfolgende Wirtschaftskrise.

Mit Ausnahme von Vietnam gibt es aber keinen weiteren Fall, indem sich Großbritannien in einem Konflikt gegen die Außenpolitik der USA gewandt hätte. Die militärische und politische Kooperation im Golfkrieg 1991 begründete dann den Glauben an eine unbesiegbare militärische Zusammenarbeit der USA und Großbritanniens. Befürworter dieser Politik argumentieren, dass die Briten im Ganzen gesehen von der »besonderen Beziehung« profitiert hätten, z. B. durch besseren Zugang zu Geheimdienstinformationen, die Atom-U-Boote Polaris und Trident sowie die Unterstützung der USA im Falklandkrieg. Kritiker hingegen glauben, dass Großbritannien durch die »besondere Beziehung« bis heute daran gehindert wurde, eine eigenständige oder euro-zentrierte Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. Die Wahrheit liegt wohl wie bei jeder bilateralen Beziehung in der Mitte: Sie hat Vor- und Nachteile und unweigerlich auch einen Juniorpartner – in diesem Fall Großbritannien.

Als Präsident Clinton im Weißen Haus und Tony Blair in der Downing Street das Sagen hatten, entwickelte sich aufgrund des engen Verhältnisses und der gegenseitigen Achtung eine besonders enge »besondere Beziehung«. Mit der Wahl von Präsident Bush wurde das Verhältnis zunächst deutlich kühler und pragmatischer, doch mit den Angriffen auf das World Trade Center im September 2001 änderte sich die Dynamik über Nacht. Tony Blair bot dem US-Präsidenten nahezu bedingungslose Unterstützung für seinen Krieg gegen den Terror an.

Was sind die Ziele von Tony Blair in dieser neuesten Runde des bewährten angloamerikanischen Rituals? Zuallererst will er George W. Bushs engster Verbündeter in Europa bleiben. Er unterstützt Bush öffentlich, wobei er davon ausgeht, dass sein privater Einfluss auf den Präsidenten deutlich zunimmt, wenn er sich als loyaler Verbündeter erweist. Im Januar dieses Jahres schrieben zwei Analysten der Heritage Foundation in der Washington Times: „Großbritannien erwies sich in den Augen Washingtons als die zweitmächtigste Nation der Welt. Dass Mr. Blair im Krieg gegen den Terrorismus Schulter an Schulter mit Präsident Bush steht, hat sich auf das britische Ansehen und den Einfluss des Landes auf der internationalen Bühne ganz klar positiv ausgewirkt. In jedem Schlüsselbereich … ist der britische Stern im Steigen.“ Dieses Lob will etwas heißen und setzt natürlich voraus, dass sich Großbritannien nicht zu weit über seine Stellung erhebt und etwa die US-Hegemonie in Frage stellt. Da die Autoren dies für unwahrscheinlich halten, schließen sie mit dem Satz: „Es bleibt im ureigensten Interesse Londons, zur Maximierung seiner Macht Washington im Blick zu behalten und nicht Brüssel.“ London scheint das auch so zu sehen.

Es lässt sich kaum bestreiten, dass der britische Premierminister einer der wenigen Menschen ist, der wirklich Einfluss auf das Weiße Haus hat. Ihm kam beispielsweise eine Schlüsselrolle zu, als es darum ging, Präsident Bush wieder an die Vereinten Nationen heranzuführen, was schließlich zur Resolution 1441 führte. Weniger erfolgreich war er allerdings bei seinem Versuch, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie den Vereinten Nationen im Irak eine größere politische und friedenssichernde Rolle zugestehen sollten. Und es gibt kaum Hinweise darauf, dass sich Bush revanchiert, indem er auf britische Prioritäten in der Außenpolitik eingeht, zum Beispiel durch die Stärkung multilateraler Kontrollen von Klein- oder Biowaffen, durch die Ratifizierung des »Umfassenden Atomteststopps« und des Kyoto-Protokolls oder durch die Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs.

Der Weg zum Krieg: Die Bedeutung des »britischen Dossiers«

Es gab zwar Hinweise auf Meinungsverschiedenheiten zwischen einigen hochrangigen US-Militärs und den für Sicherheitsthemen zuständigen Zivilisten in der Bush-Administration, dennoch beherrschten ganz klar letztere die Debatte. Für sie reichte es nicht aus, dass die UN-Inspektoren wieder in den Irak zurück konnten, sie waren fest entschlossen, die Führung im Irak zu stürzen und durch eine militärische Besatzung oder ein pro-westliches Regime zu ersetzen. In Großbritannien hingegen sprach sich die Bevölkerung seit Beginn der Krise mehrheitlich dafür aus, der Diplomatie eine Chance zu geben.

Sowohl Bush als auch Blair glaubten, dass von dem Regime in Bagdad eine große Bedrohung ausginge und dass sowohl das irakische Volk als auch der Nahe Osten insgesamt von einem Regimewechsel profitieren würden.

Trotzdem kamen bei ihrem Gipfeltreffen im Januar 2003 Unstimmigkeiten über die richtige Strategie zum Vorschein: Der US-Präsident wollte die Pattsituation bei der Abrüstung des Irak „innerhalb von Wochen, nicht Monaten“ auf den Punkt bringen, während Blair die Meinung vertrat, dass „das Wichtigste ist, die Integrität des UN-Verfahrens zu wahren.“ In Camp David bekam Präsident Bush seine Frist für militärisches Eingreifen und Blair erhielt im Austausch die Zusage, vorläufig im Rahmen der Vereinten Nationen zu agieren. Allerdings wurden Blairs Bemühungen um eine zweite UN-Resolution vom Gang der Ereignisse überholt, und er konnte schlussendlich den diplomatischen Countdown zum Krieg nicht aufhalten.

Zu Hause sah sich der britische Premierminister mit einer der größten Demonstrationen in der britischen Geschichte konfrontiert. Trotzdem erreichte die beeindruckende Antikriegsbewegung ihr zentrales Anliegen, den Krieg zu stoppen, nicht. Die regierende Labour-Partei, mit ihrer enormen Parlamentsmehrheit, war buchstäblich nicht zu erschüttern, obwohl am 26. Februar im Unterhaus – nach einer sechsstündigen Parlamentsdebatte über die Stationierung militärischer Einheiten am Golf – 121 Labour-Abgeordnete für einen Änderungsantrag stimmten, der feststellte, dass die Argumente für ein militärisches Eingreifen „noch nicht bewiesen“ seien. Das war die größte Rebellion, die es unter der Führung von Tony Blair je gab und vermutlich sogar die größte Revolte von Abgeordneten einer Regierungspartei in der gesamten Geschichte Großbritanniens. Insgesamt stimmten 199 von 592 Abgeordneten gegen die Regierung, darunter alle 52 Liberaldemokraten sowie 13 Konservative, unter ihnen die früheren Minister Kenneth Clarke und John Gummer. Tony Blair gab zu, dass er bei einer Abstimmungsniederlage zurückgetreten wäre.

Die Informationspolitik der Regierung trug wesentlich bei zur Eindämmung der Rebellion sowohl im Unterhaus als auch im Land. Sie schaffte es, Zweifel darüber zu streuen, in wie weit der Irak eine Bedrohung für Großbritannien und seine Verbündeten darstellte. Die Veröffentlichung eines Geheimdienstberichts über den Irak im September 2002, des so genannten Britischen Dossiers,1 war Kernstück dieser Informationskampagne. Eine der wichtigsten neuen Aussagen des Dossiers war die Behauptung, dass „wir auf Grund unserer Geheimdienstinformationen die Erkenntnis haben, dass der Irak … in Afrika beträchtliche Mengen Uran erwerben wollte, obwohl er kein aktives ziviles Atomenergieprogramm unterhält, in dem solches Material eingesetzt werden könnte.“2 Die Aussage war zentraler Bestandteil der Behauptung, dass der Irak Atomwaffen entwickle. Und diese Aussage wurde fleißig zitiert: Vom US-Außenministerium in seiner Antwort auf die Waffendeklaration des Irak, vom US-Präsidenten in seiner Rede an die Nation und von mehreren hochrangigen Mitgliedern der US-Regierung, darunter dem US-Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld, und der Nationalen Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice. Die Medien berichteten groß über die Freigabe des Dossiers, und sowohl die Fernsehnachrichten als auch die Titelseiten der großen Zeitungen machten weltweit die Behauptung zum Aufmacher, dass der Irak in Afrika Uran kaufen wollte. Am 10. Oktober 2002 verabschiedeten die Kongressabgeordneten der USA eine Resolution, mit der sie den Einsatz von Gewalt gegen den Irak autorisierten, und einen Tag später passierte eine gleichlautende Resolution den Kongress. In den Wochen vor und nach der Abstimmung gaben mehr als 180 Kongressabgeordnete die Bedrohung durch die irakische Atomwaffenfähigkeit als Grund für ihre Unterstützung eines Militäreinsatzes im Irak an. 3

Am 7. Dezember 2002 übermittelte die irakische Regierung ihre Waffenerklärung an die Vereinten Nationen. Daraufhin warf das US-Außenministerium dem Irak in einer Erklärung als eine von acht „besonders erwähnenswerten Auslassungen und Täuschungen“ vor, dass „die Erklärung Bemühungen, von Niger Uran zu erwerben, auslässt.“4

Besondere Bedeutung erlangte der gefälschte Beweis in der Rede an die Nation des US-Präsidenten vom 28. Januar 2003. Präsident Bush erläuterte dem Kongress und der Nation: „Die britische Regierung hat Informationen, dass Saddam Hussein vor kurzem in Afrika erhebliche Mengen Uran kaufen wollte.“ US-Außenminister, Colin Powell, nannte bei seinem Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 5. Februar 2003 das Dossier ein „feines Dokument“, das die Täuschungen des Irak in „exquisiten Details“ beschreibt.5 Am 7. März 2003 enthüllte dann die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), dass die entsprechenden Beweise gefälscht waren.

Im Juni 2003 stellte sich heraus, dass der US-Geheimdienst eigene Erkenntnisse über die Beweisfälschung nicht weitergegeben hatte. Ein US-Botschafter a.D. hatte bereits im Februar 2002 im Auftrag der CIA im Niger festgestellt, dass die Waffendokumente vermutlich gefälscht seien. Ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter äußerte sich gegenüber der Washington Times in dem Sinne, dass die CIA mit einem zentralen Beweisstück „extrem nachlässig“ umgegangen sei.6

Durch Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss Hutton, der zur Aufklärung der Todesumstände des britischen Waffenexperten Dr. David Kelly eingesetzt worden war, und andere Enthüllungen der letzten Monate wissen wir inzwischen, dass das Dossier vom September 2002 im besten Fall reichlich fehlerhaft und im schlimmsten Fall vorsätzlich irreführend war. Die schwerwiegendste Beschuldigung, die vom britischen Premierminister mit besonderem Nachdruck hervorgehoben wurde, war die Behauptung, dass der Irak innerhalb von 45 Minuten chemische und biologische Waffen zum Einsatz bringen könnte: „Als Ergebnis unserer Nachforschungen gehen wir davon aus, dass der Irak weiterhin chemische und biologische Agenzien produzierte und militärische Pläne für den Einsatz chemischer und biologischer Waffen, auch gegen die eigene schiitische Bevölkerung, hat. Einige dieser Waffen können innerhalb von etwa 45 Minuten eingesetzt werden.“

Das Dossier behauptete auch, dass der Irak britische Militärbasen auf Zypern mit biologischen und chemischen Waffen treffen könnte. Im Hutton-Ausschuss erläuterte John Scarlett, Vorsitzender des Geheimdienstkomitees, dass sich diese Behauptung auf kurzreichende Gefechtsfeldwaffen bezog. Eine Bedrohung für die britischen Basen auf Zypern wären diese Waffen – selbst wenn es sie denn gegeben hätte – also auf keinen Fall gewesen.

Und inzwischen gibt es noch schwerwiegendere Hinweise auf Faktenfälschung. So behauptet z.B. der ehemalige Außenminister Robin Cook in seinen kürzlich veröffentlichten Tagebüchern, dass Tony Blair bereits zwei Wochen vor Kriegsbeginn wusste, dass der Irak über keine Massenvernichtungswaffen verfügte – was vom Premierminister umgehend dementiert wurde.

Schussfolgerungen

Der erfolgreiche Wiederaufbau des Irak zu einer stabilen Demokratie ist von höchster Wichtigkeit, nicht nur für die Iraker, sondern auch um anderen Ländern in der Region die Vorteile einer pluralistischen Gesellschaft vor Augen zu führen. Der Wiederaufbau erfordert Mittel, die mit denen des Marshall-Plans nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar sein sollten, und er muss von den Vereinten Nationen geleitet werden. Allerdings wird es dazu wohl nicht kommen. Die bisherigen Pläne der USA für einen Irak nach Saddam reichen dafür nicht und die Versprechen von Präsident Bush und der internationalen Gemeinschaft, den Wiederaufbau von Afghanistan mit höchster Priorität zu betreiben, wurden schließlich auch nicht eingehalten.

Im Irak wurden die Vereinten Nationen umgangen, aber gerade die Irakkrise zeigt, warum multilaterale Institutionen und Völkerrecht so wichtig sind. Auch die transatlantischen Beziehungen haben durch den Irakkrieg schweren Schaden genommen, und zwar sowohl die Institutionen (z.B. NATO) als auch die politischen Beziehungen. Trotz gelegentlicher Schwierigkeiten war das Verhältnis zwischen Europa und Nordamerika eine der wichtigsten Triebkräfte für positiven Wandel in der Welt und hat mitgeholfen, auf beiden Seiten des Atlantiks Frieden und Wohlstand zu verbreiten. Wenn dieses Verhältnis zusammenbricht, wirkt sich das nicht nur auf Europa und Nordamerika negativ aus, sondern auf die ganze Welt. Zusammenarbeit bei der Entwicklungshilfe, Unterstützung für den Aufbau demokratischer Institutionen, Konfliktlösung und Rüstungskontrolle sind einige der kritischen Felder transatlantischer Politik, die darunter leiden würden.

Es wird darauf ankommen, Allianzen mit den vielen Parlamentariern, Politikern und politischen Vordenkern aufzubauen, die weiterhin an der amerikanischen Tradition von Idealismus, Internationalismus und Multilateralismus festhalten. Dieser Prozess könnte positiv beeinflusst werden, wenn europäischen Regierungen mehr Verständnis zeigen würden, für die Bedrohungsängste in den USA, Bedrohungen vor allem durch nicht-staatliche Gruppen.

Statt sich nur am Widerschein des Ruhmes einer neuen »pax americana« zu wärmen, sollte Großbritannien die »besondere Beziehung« zwischen Großbritannien und den USA nutzen, um die transatlantische Agenda so umzugestalten, dass sie internationales, völkerrechtsbasiertes und von rechtsverbindlichen Verträgen und den Prinzipien einer gemeinsamen Sicherheit geleitetes Handeln unterstützt.

Blair sollte hartnäckiger versuchen, Einfluss auf die Richtung der US-Außenpolitik zu nehmen. Zum einen darf er gegenüber Präsident Bush keinen Zweifel daran lassen, dass militärische Macht im Kampf gegen so genannte Schurkenstaaten und Terrorismus nicht ausreicht und dass die Stärke Amerikas sich paaren muss mit Bescheidenheit, mit Partnerschaften mit Verbündeten und mit der Entwicklung einer starken ethischen Dimension der US-Außenpolitik. In Washington gibt es viele moderate Abgeordnete, die eine ähnliche Vision teilen, und die vom »selbstgefälligen Unilateralismus« der Regierung Bush zutiefst beunruhigt sind.

Zum Zweiten wurde vom republikanischen Senator Richard Lugar, dem neuen Vorsitzenden des Senatskomitees für auswärtige Beziehungen, bereits im Januar 2003 in einem Artikel für die Washington Post ein potentieller Aktionsplan vorgeschlagen. Der Politiker aus dem US-Bundesstaat Indiana, der vor allem durch seine als Nunn-Lugar-Programm bekannt gewordene Initiative zur kooperativen Gefahrenverringerung bekannt wurde (die die Sicherung und Vernichtung von Massenvernichtungswaffen in der ehemaligen Sowjetunion ermöglicht), schlug eine neue außenpolitische Kampagne der USA vor, gegen die selbst das »alte Europa« kaum etwas einwenden könnte: Eine Agenda für den Umgang mit Konfliktursachen durch die stärkere Verpflichtung auf Demokratie, Umweltschutz, Energieeinsparung und internationale Entwicklung. Den Aufbau einer solchen Agenda zu unterstützen hieße, den Einfluss Großbritanniens wahrlich positiv zu nutzen.

Anmerkungen

1) Iraq’s Weapons of Mass Destruction. The Assessment of the British Government mit einem Vorwort des britischen Premierministers Tony Blair, 24. September 2002.

2) Ibid, Absatz 24.

3) Fact Sheet: The Bush Administration’s Use of the Forged Iraq Nuclear Evidence, Committee on Government Reform, Minority Office Rep. Henry A Waxman, Ranking Member, Juni 2003.

4) US Department of State: Fact Sheet: Illustrative Examples of Omissions From the Iraqi Declaration to the United Nations Security Council, 19 December 2002.

5) US Department of State: Remarks to the United Nations Security Council, 5 February 2003.

6) Washington Post, 12 June 2003.

Ian Davis ist Direktor des British American Security Information Council (BASIC) in London. Übersetzt von Regina Hagen

Abrüstung durch Krieg?

Abrüstung durch Krieg?

Beim Irakfeldzug vergaß Blair wichtige Lehren aus Nordirland

von Corinna Hauswedell

In vielerlei Hinsicht mag ein Vergleich der Abrüstungsstrategien in Nordirland und gegenüber dem Irak als unangemessen erscheinen, da Wesen und Ausmaße beider Konflikte sehr verschieden sind: Zum Glück war und ist Gerry Adams nicht Saddam Hussein, Semtex ist nicht Anthrax oder VX, und Nordirland ist ein wesentlich unbedeutenderer Fleck (kolonialer Geschichte) als der Irak in der heutigen Welt globaler Interessen.
Betrachtet man die Politik und die Methoden der britischen Regierung in diesen beiden Konflikten genauer, so fällt auf, dass Tony Blair in seinem höchst kontroversen Kurs der Unterstützung des Irak-Krieges, der zu einer schweren Vertrauenskrise innerhalb seiner eigenen Partei führte, einen Weg eingeschlagen hat, der erheblich von den strategischen Entscheidungen abweicht, welche in Nordirland in den neunziger Jahren getroffen wurden.

Die Frage des »decommissioning«, der Abrüstung der paramilitärischen Waffen, ist seit fast zehn Jahren ein blockierendes Dauerthema des nordirischen Friedensprozesses. Während dieser Artikel verfasst wurde, sah es so aus, als könne man optimistischer in die Zukunft sehen; die Hoffnung auf eine baldige Lösung der Blockade wurde jedoch erneut, dieses Mal durch Tony Blairs Verschiebung der Wahlen auf den Herbst, enttäuscht.

Die Debatten über »decommissioning« haben sich allerdings lange genug hingezogen, um aus ihnen auch für andere internationale Friedens- und Abrüstungsprozesse Lehren ziehen zu können.

Als die britische Regierung in den frühen neunziger Jahren das Wort »decommissioning« (Stilllegen) einführte – das schnell zum Schlagwort des nordirischen Friedensprozesses wurde – tat sie dies unter anderem, um nicht das Wort »disarmament« (Abrüstung) zu benutzen. Nach dem Regierungswechsel 1997 von John Major zu Tony Blair wurde verstärkt Wert darauf gelegt, dass Abrüstung in den Augen der katholischen republikanischen Bewegung in Nordirland nicht als »Kapitulation« gesehen wurde.

Die Herangehensweise: »constructive ambiguities«

Dieser Umgang mit dem Problem ermöglichte in der Folge eine gewisse politische Anerkennung für diejenigen, die während des Bürgerkrieges dem Staat den bewaffneten Kampf angesagt hatten.

»Decommissioning« wurde nicht zur Vorbedingung für die Unterzeichnung des Friedensvertrages gemacht, „die totale Entwaffnung aller paramilitärischen Gruppen“ wurde vielmehr eine gemeinsame künftige Verpflichtung aller Parteien, die das »Good Friday Agreement« 1998 unterzeichneten.

Man fand für die Umsetzung des Abkommens ein zweigleisiges Verfahren, in dem die politischen und sicherheitspolitischen Fragen für eine Weile getrennt voneinander verfolgt werden konnten. Mit dieser nicht immer einfachen Herangehensweise so genannter »constructive ambiguities« (konstruktiver Doppeldeutigkeiten) wollte man der Tatsache Rechnung getragen, dass das sensible Waffenthema eine politische Symbolik besitzt, die weit über das militärische Potenzial hinausgeht und deshalb von allen Konfliktparteien ideologisch überhöht wurde. »Decommissioning of mindsets«, die Abrüstung in den Köpfen, wurde zum geflügelten Wort in Nordirland: Für den Umgang mit der »software« war mehr Zeit und Geduld zu veranschlagen, wenn man wollte, dass auch die »hardware« aus dem Verkehr gezogen würde.

Vertrauensbildung und politische Anerkennung

Mit der Einrichtung der Independent International Commission of Decommissioning (IICD) (Unabhängige Internationale Kommission für Abrüstung) zur Überwachung, Kontrolle und Verifizierung von Abrüstung illegaler Waffen wurde eine neutrale Drittparteieninstanz geschaffen, um den Prozess und Dialog mit den paramilitärischen Organisationen einfacher zu gestalten.

Noch mehr kreatives Denken im Sinne von Vertrauensbildung kam im Sommer 2000 mit einem Duo zweier international anerkannter Inspektoren nach Nordirland; sie besichtigten mehrfach in Abständen ausgewählte IRA-Waffendepots, die mit einem Zwei-Schlüssel-System verriegelt wurden; gegenüber der IICD bestätigten die Inspektoren, dass die Waffen, die sie gesehen hatten, „unter Kontrolle“ und sicher seien.

Trotzdem kam der Friedensprozesses immer wieder zum Stillstand, auch nach den beiden großen Abrüstungsinitiativen der IRA im Oktober 2001 und April 2002. Diese wurden zwar jeweils als »historische« Schritte angesehen, reichten aber nicht aus, um das Vertrauen auf Seiten der tief gespaltenen protestantischen Unionisten zu gewinnen. Als deren unilaterale Sanktionen gegenüber Sinn Fëin, der mit der IRA verbundenen Partei, scheiterten, entschlossen sich die britische und irische Regierung zu einem »Paket-Deal«, der erstmals in Weston Park im Juli 2001 formuliert wurde. Diese Strategie verband die Fragen von Abrüstung, Entmilitarisierung, den Abbau staatlicher Truppen und die Polizeireform auf eine Art, die Gegenseitigkeit in allen Vorgängen vorschlug. Damit wurde vorsichtig die Richtung für ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit eingeschlagen und eine schrittweise Loslösung von den Feindbildern der Vergangenheit eingeleitet. Während all dieser Jahre wurde in den meisten öffentlichen Stellungnahmen darauf verzichtet, die IRA als »Terroristen« zu bezeichnen.

Der neue Weg, der in Nordirland in den neunziger Jahren – nach 20 Jahren gescheiterter Versuche Frieden durch militärischen Zwang herzustellen – eingeschlagen wurde, beruhte auf der Anerkennung auch der radikalen Konfliktparteien im Friedensprozess. Abrüstung war keine Einbahnstraße, sondern sollte auch den staatlichen Sektor einbeziehen. Vertrauensbildung wurde groß geschrieben. Mo Mowlam, als Nordirlandministerin 1997-1998 das am meisten involvierte Kabinettsmitglied der New Labour Regierung, hat in ihrem Buch »Momentum« überzeugend dargelegt, wie komplex ein Friedensschluss mit denjenigen aussehen kann, die sich einem fragwürdigen Staatskonzept von »law and order« radikal widersetzen.

UN-Resolution 1441

»Constructive ambiguities« waren auch beim Zustandekommen der UN-Resolution 1441 am 8. November 2002 gegenüber dem Irak im Spiel: Die Resolution sollte ein Inspektionsregime für die Abrüstung des Irak unter Führung der Internationalen Atomenergiebehörde bei gleichzeitigem Aufbau einer militärischen Drohkulisse einrichten. Die Verschärfung des Inspektionsregimes bedeutete laut Resolution, „Bagdad eine letzte Chance zur Abrüstung zu geben.“ Das Recht, über Erfüllung oder Verweigerung der Bedingungen durch den Irak zu entscheiden, lag beim UN-Sicherheitsrat, welcher seine Entscheidung auf Basis der Berichte der Inspektoren fällen sollte.

Anstatt dieser Vorgehensweise zu folgen und den Inspektoren die Zeit, die sie brauchten, einzuräumen, wurde im Februar 2003 mit Hilfe zweifelhafter Indizien und Dokumente (die auch in Großbritannien mitfabriziert worden waren) von der US-Regierung entschieden, dass die Phase der Diplomatie vorbei sei.

House of Commons

Als Tony Blair am 3. Februar dem britischen Parlament erklärte, dass „wir in die finale Phase einer zwölf Jahre langen Geschichte der Abrüstung des Irak eintreten,“ hatte Washington bereits entschieden, Krieg zu führen. Die Legitimation, welche sich die britische Regierung von einer zweiten UN-Resolution versprochen hatte, fand nicht statt. Die Rechtfertigung für den Einsatz militärischer Gewalt lag nun allein bei der Supermacht USA. Und mit diesem Wechsel verschoben sich auch die öffentlich bekundeten Ziele des Krieges von Abrüstung hin zu Regimewechsel bzw. der Installierung einer demokratischen Ordnung im Nahen und Mittleren Osten.

Der Bruch des Völkerrechts

Die beispiellose Missachtung des durch das UN-System repräsentierten internationalen Rechts provozierte den Protest vieler Regierungen und Bevölkerungen gleichermaßen – auch in London und Belfast. In Westminster war der Bruch des Völkerrechts mehrfach bis zum 17. März, kurz vor Kriegsbeginn, Gegenstand höchst erregter Kontroversen im Parlament.

Es sah schon zu jenem Zeitpunkt so aus, als sei zum Zwecke der Rechtfertigung des Krieges die Bedrohung, die von dem Regime in Bagdad ausging, bewusst übertrieben worden; das Argument einer Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen musste herhalten, um notdürftig und zeitweilig die eigentlichen Kriegsziele der USA in der ressourcenreichen Region zu bemänteln. Abrüstung wurde so vor den Augen der Welt lächerlich gemacht. Nach 12 Jahren einer höchst fragwürdigen Sanktions- und Inspektionspolitik gegenüber dem Irak – ganz zu schweigen von den Jahren davor, als Saddam ein willkommener und mit Waffen gut ausgestatteter Alliierter war – waren zu viele Doppelstandards im Spiel, um eine ehrliche Legitimation und Unterstützung der Weltgemeinschaft für eine militärische Intervention zu erhalten.

Die Moral von der Geschicht‘

Auf zu hohem moralischen Ross zu reiten, wenn es um den Einsatz militärischer Macht und Gewalt geht, ist immer schon ein zweifelhaftes Unterfangen gewesen. Die britische Regierung müsste auch das aus dem Nordirland-Konflikt gelernt haben. Die Enthüllungen aus der gerichtlichen Untersuchung des »Stevens Inquiry« über die tödliche Kollaboration britischen Sicherheitskräfte mit loyalistischen Paramilitärs während des Bürgerkrieges waren im Frühjahr 2003 in aller Munde. Illegale Militär- und Geheimdienstpraktiken waren es, die dem Rechtsstaat und dem legitimen Einsatz des staatlichen Gewaltmonopols, und damit der britischen Demokratie in Nordirland, schweren Schaden zugefügt haben.

Zu den wesentlichen Lehren aus Nordirland ist also zu zählen:

  • Ambivalenzen sind ein natürlicher Faktor in Abrüstungs- und Friedensprozessen, um von ihren konstruktiven Seiten Gebrauch zu machen, ist Geduld, Kreativität und ein langer Atem erforderlich. Nur so kann der notwendige Respekt zwischen verfeindeten Konfliktparteien aufgebaut werden.
  • Weder Abrüstung noch Demokratie werden durch Rechtsbrüche und den Einsatz militärischer Gewalt befördert.
  • Der Aufbau von Feindbildern führt eher zu einer Zunahme der Gewalt als zu einer Deeskalation der Bedrohungswahrnehmungen.
  • Anerkannte Methoden und Instrumente der Vertrauensbildung und die Beteiligung neutraler Drittparteien sind unerlässlich, um einen integren Prozess zwischen den Konfliktparteien zu ermöglichen.
  • In vielen Fällen ist Abrüstung keine Einbahnstraße; der Abbau verfestigter Gewaltstrukturen erfordert ein Verständnis von Gegenseitigkeit, den allmählichen Aufbau eines gemeinsamen, überparteilichen Sicherheitsverständnisses (1991 hatte die UN-Resolution 687 zum Irak ein solches Herangehen schon einmal für den Mittleren Osten vorgeschlagen).

Globale Asymmetrien vertragen keine Militarisierung

Die globalen Machtungleichgewichte, die aus dem Ende des Kalten Krieges hervorgegangen sind und nach dem 11. September im »Krieg gegen den Terrorismus« drastisch sichtbar wurden, machen es dringend erforderlich, aus der innerstaatlichen Konfliktbearbeitung der neunziger Jahre für die internationale Agenda – auch neuer zwischenstaatlicher Konflikte – zu lernen. So genannte asymmetrische Kriegführung, Kriegsökonomien und andere Formen der Militarisierung werden täglich schmerzhaft auf dem Rücken von Tausenden Zivilisten ausgetragen. Aber die wachsende Sorge über Menschenrechtsverletzungen darf den Mächtigen keinen Freibrief für einen universellen Interventionismus ausstellen und schon gar nicht für »präventive« Kriegsstrategien. Das konterkariert jeden Gedanken der »Vorbeugung«.

Abrüstung durch Kriege und Waffengewalt ist nicht nur aus semantischen Gründen ein fragwürdiges Konzept. Dem Terrorismus lässt sich in den meisten Fällen mit militärischen Mitteln nicht erfolgreich beikommen, das zeigt der Blick in die Geschichte ebenso wie die jüngsten Versuche, transnationale Netzwerke wie Al Quaida wirksam zu bekämpfen. Und wenn die mächtigsten Staaten beginnen, das fragile Tabu des Krieges im Namen der Demokratie zu demolieren, könnte eine gefährliche Dynamik in Gang kommen, die die eigene Glaubwürdigkeit zerstört. Um die Weiterverbreitung und den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern bzw. zu kontrollieren, ist nicht »counterproliferation«, sondern die Arbeit am Konzept umfassender Sicherheit (human security) einschließlich bewährter und neuer internationaler Rüstungskontrollregime erforderlich.

Im Hinblick auf Nordirland sei abschließend die listige Frage erlaubt, ob Tony Blair womöglich das New Labour Konzept der »constructive ambiguities« an den Nagel gehängt hat zugunsten einer zweifelhaften Allianz mit dem Neo-Konservatismus auf der anderen Seite des Atlantik? Auch wenn er von vielen Unionisten in Nordirland tatkräftige Unterstützung für seinen Irak-Kurs erhalten hat, bleibt zu hoffen, dass die Lehren aus dem Nordirland-Konflikt wirksam bleiben, zumindest innerhalb des Vereinigten Königreiches.

Dr. Corinna Hauswedell, Bonn International Center for Conversion, leitete ein von der VW-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt zum Friedensprozess in Nordirland. Der obenstehende Artikel wurde in der Juni-Ausgabe der Belfaster Zeitschrift »Fortnight« veröffentlicht. Die Übersetzung aus dem Englischen erfolgte zusammen mit Hannes Hauswedell.

Irak: Nachkriegszeiten

Irak: Nachkriegszeiten

von Jürgen Nieth

Keine beweglichen Bio-Waffen-Labors

Neue Erkenntnisse des militärischen Geheimdienstes DIA haben die Behauptung der US-Regierung von der Existenz zweier mobiler Biolabore im Irak in Zweifel gezogen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es sich bei den zwei gefundenen Lastwagen nicht um Biolabore, sondern um Füllstationen für Wetterballons handelte. Ein Ergebnis, das mit den Aussagen führender irakischer Wissenschaftler – die sich in »US-Gewahrsam« befinden – übereinstimmt. Bereits bei der Veröffentlichung der ersten Bilder der angeblichen transportablen Labore hatten Insider auf tiefe Meinungsverschiedenheiten in der CIA hingewiesen und darauf, dass Experten „unlautere Rückschlüsse“ bemängelten. Auch der ehemalige UN-Waffeninspekteur David Albright fand die Analyse-Methode damals „im höchsten Maße fragwürdig.“ (Luxemburger Wort 12.08.03)

Drohnen untauglich für B- und C-Waffen-Angriff

Waffenexperten der US-Streitkräfte sind nach einer Überprüfung unbemannter irakischer Flugzeuge zu dem Ergebnis gekommen, dass diese entgegen der Darstellung der Bush-Regierung nicht für einen Einsatz chemischer oder biologischer Waffen geeignet waren. Außenminister Powell hatte bei seiner Präsentation von »Kriegsgründen« am 05. Februar vor dem UN-Sicherheitsrat sogar von der Möglichkeit gesprochen, die unbemannten Flugzeuge könnten Städte in den USA angreifen. Wie der Direktor des Geheimdienstes der US-Luftwaffe, Bob Boy, jetzt mitteilte, hätten sie mit dieser Einschätzung nie übereingestimmt. Die Drohnen hätten nach Einschätzung der Luftwaffe demselben Zweck gedient, wie die amerikanischen: der Aufklärung. (FR 26.08.03)

Gebeutelte US-Armee

Die US-Armee verfügt nicht über genügend aktive Streitkräfte, um gleichzeitig die derzeitige Besatzung des Irak und ihre Präsenz an anderen Einsatzorten aufrechtzuerhalten. Das ist das Ergebnis einer Studie des »Congressional Budget Office«. Die CBO-Studie entwickelt drei Irak-Szenarien: Die Stationierung von 40.000 bis 65.000 Soldaten würde im Rahmen der gegenwärtigen Streitkräfteplanung jährlich acht bis zwölf Milliarden Dollar kosten. Mit einem um zusätzliche Reservisten und Nationalgardisten erweiterten Kontingent von 100.000 GIs wären es pro Jahr 19 Milliarden. Zwei neue Divisionen mit 20.000 zusätzlichen Soldaten aufzustellen, würde fünf Jahre beanspruchen, eine Anfangsinvestition von 20 Milliarden erfordern und jährlich 10 Milliarden Dollar kosten. (Frankfurter Rundschau 04.09.03

Gebeutelte US-Zivilbevölkerung

Jeder achte US-Amerikaner lebt unter der Armutsgrenze. Nach einer Meldung von »ap« (03.09.2003) hat sich die Zahl der in Armut lebenden 2002 um 1,4 Millionen auf 34,8 Millionen erhöht. Besonders betroffen sind nach einer Erhebung der US-Zensusbehörde die Kinder: 12,2 Millionen arme Kinder, das sind 17,2 Prozent der Heranwachsenden. Den US-Statistikern zufolge gilt z.B. ein Drei-Personen-Haushalt als arm, wenn sein Einkommen unter 14.480 Dollar im Jahr liegt. Doch während die Armut wächst und die US-Staatsschulden auf nie zuvor erreichte Höhen steigen, sprudeln die Ausgaben für die Irak-Besatzung: Monatlich 4 Milliarden kostet der Militäreinsatz den USA (TAZ 28.08.03), im September wurden von Präsident Bush weitere 87 Mrd. Dollar für das »Unternehmen Irak« in 2004 beantragt.

Kriegsgewinner

Die aktuelle Kriegspolitik lohnt sich, zumindest für die US-amerikanischen Rüstungsunternehmen. Northrop Grumman und Lockheed Martin verzeichneten im letzten Jahr bereits eine Gewinnsteigerung um 140 Prozent. 2003 scheint noch deutlich besser zu werden. Northrop Grumman hat sich durch einige Firmenübernahmen zu einem der größten Rüstungskonzerne der Welt entwickelt. Im ersten Quartal 2003 meldete er 187 Mill. US-Dollar Gewinn, im zweiten gesteigert auf 207 Millionen. Loockheed Martin konnte im ersten halben Jahr die Verkaufzahlen um 23 Prozent steigern auf 7,71 Mrd. US-Dollar. Der Raketenhersteller Raytheon, der im letzten Jahr noch 138 Mill. Miese machte, strich zwischen Januar und Juli 100 Mill. Gewinn ein. Zu den großen Gewinnern des Irak-Krieges zählen auch kleinere auf Rüstungsaufträge spezialisierte Firmen, wie z.B. die Titan Cooperation (u.a. Sterilisierungsmittel gegen Milzbrandanschläge) oder Ceradyne, eine Firma, die sich auf den Schutz von Panzern und Waffen gegen hohe Wüstentemperaturen spezialisiert hat. (TAZ 04.08.03)

Vorkriegszeit

Geht es nach dem US-amerikanischen NATO-Botschafter, Nicolas Burns, so muss sich die NATO von einer Verteidigungsgemeinschaft zu einem offensiven Instrument entwickeln, das auch im Nahen Osten, in Südostasien oder in Afrika eingesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang warf Burns der Bundesregierung am 16.09. vor dem »European Policy Center« in Brüssel vor, die Bundeswehr nicht auf die Erfordernisse der Gegenwart und Zukunft eingestellt zu haben. Es gehe nicht mehr um kontinentale Landkriege, sondern darum, den Krieg dahin zu tragen, wo es notwendig sei. Dafür brauche man eine andere Art von Technik und Kämpfern. (FR 17.09.03)

Das Letzte

Bildungsniveau

Sieben von zehn US-Bürgern glaubten noch Ende August, dass Saddam Hussein irgendetwas mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte oder sie sogar organisierte. Von den Wählern der Bush-Partei sind sogar 80 Prozent dieser Meinung. Nach einer Untersuchung der Washington Post haben die Anspielungen des Präsidenten und des Vizepräsidenten, nachdem dem »Allzweckschurken« aus Bagdad alles zuzutrauen sein, wesentlich zu diesem Meinungsbild beigetragen.

Kriegsgründe und die Realität

Kriegsgründe und die Realität

von Jürgen Nieth

Kriegsbegründung

US-Außenminister Powell in seiner 75minütigen Rede vor der UNO am 5. Februar 2003: Bagdad betreibe weiterhin geheime Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. „Hier wird getäuscht, hier wird versteckt und verborgen.“ Bagdad verfüge über ausreichende Möglichkeiten, um Pockenviren und Milzbranderreger zur Nutzung in biologischen Waffen herzustellen. Der Irak habe Kanister für seine Jagdbomber umgebaut, um dadurch Nervengas oder bakteriologische Waffen ausbringen zu können. Saddam Hussein sei im Besitz von 100 bis 500 Tonnen biologischer und chemischer Kampfstoffe und versuche sein Atomprogramm voranzutreiben. Irakische Wissenschaftler entwickelten Raketen mit bis zu 1.200km Reichweite. Weiter sprach Powell von Verbindungen des Irak zum Terrornetzwerk Al Qaida. (FR 06.02.2003)

Gläubige

„Ich bin bestürzt, weil ich weiß, dass die Bundesregierung über Informationen verfügt, dass es Massenvernichtungswaffen im Irak gibt.“ Friedbert Pflüger, Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion am 4. Februar 2003. „Die Bedrohung durch Saddam Hussein und seine Massenvernichtungswaffen ist real.“ Angela Merkel, CDU-Vorsitzende am 8. Februar. (zitiert nach Freitag)

Suchende 1

„Wir haben zahlreiche Anlagen im Irak untersucht, die uns von den Geheimdiensten genannt wurden. Nur in drei davon fanden wir überhaupt etwas, und auch das hatte nichts mit Massenvernichtungswaffen zu tun.“ Hans Blix, Chef der UN-Waffeninspekteure am 6. Juni in New York. Blix fragte weiter: „Wenn das das Beste war (was uns die Geheimdienste bieten konnten), und wir haben nichts gefunden, was war dann erst mit ihren restlichen Informationen.“ (zitiert nach FAZ 07.06.2003)

Suchende 2

„Alle angeblichen Beweise der US-Regierung (zu einem Atomwaffenprogramm des Irak) haben sich als nicht stichhaltig erwiesen, teilweise sogar als plumpe Fälschungen.“ Mohamed al Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und stellvertretender Leiter der UN-Inspekteure im Irak im ZDF Magazin Frontal am 6. Mai 2003.

Suchende 3

Er sei überzeugt gewesen, dass vorrückende britische oder amerikanische Truppen noch vor Erreichen der Hauptstadt Bagdad mit chemischen oder biologischen Waffen angegriffen würden, so der Kommandant der US-Marineinfanteristen im Irak, General James Conway. Die amerikanischen Soldaten seien zwischen der kuwaitischen Grenze und Bagdad durch nahezu jedes Munitionsdepot gegangen, „aber die Waffen sind einfach nicht da.“ (Neue Zürcher Zeitung 31.05.03)

Suchende 4

Die »US-Übergangsverwaltung« hat für Hinweise auf mobile Labors zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen im Irak eine Belohnung ausgesetzt. In einem am 27.05. über den Rundfunk ausgestrahlten Aufruf wurde möglichen anonymen Informanten Schutz zugesichert. Wie die FAZ (28.05.03) schreibt, wurde in früheren Ankündigungen von bis zu 200.000 Dollar Belohnung gesprochen.

Eingeständnis 1

Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice musste am 9. Juni eingestehen, dass „Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Januar auf der Grundlage falscher Informationen dem Irak vorgeworfen habe, Uran für Atombomben bei afrikanischen Staaten erworben zu haben. Zum Zeitpunkt der Rede vor beiden Häusern des Kongresses, sei man aber noch von der Richtigkeit der Information überzeugt gewesen.“ (FAZ 10.06.03)

Eingeständnis 2

„Es wäre besser gewesen, wenn wir das Dossier nicht veröffentlicht hätten,“ so der britische Innenminister Blunkett in BBC. Gleichzeitig entschuldigte sich der britische Kommunikationsminister beim britischen Geheimdienst MI 6 für das Dossier, das auch Außenminister Powell vor der UNO als Beleg gedient hatte. Dazu die FAZ (10.06.03): „In dem Dossier hatte es geheißen, das Regime Saddam Husseins sei in der Lage, im Falle eines Krieges chemische und biologische Waffen binnen 45 Minuten einzusetzen. Diese Information stammte jedoch nicht vom Geheimdienst MI 6, sondern aus der veralteten Arbeit eines kalifornischen Studenten, welche Mitarbeiter der Regierung im Internet ausfindig gemacht und ohne Angabe der Quelle in das Dossier aufgenommen hatten.“

Eingeständnis 3

„Die Wahrheit ist, dass wir uns aus Gründen, die sehr viel mit der Regierung der Vereinigten Staaten selbst zu tun haben, auf einen Punkt geeinigt haben, mit dem jeder einverstanden sein konnte: Massenvernichtungswaffen als wesentlicher Kriegsgrund.“ Paul Wolfowitz, stellvertretender US-Verteidigungsminister im Interview mit dem Magazin Vanity Fair am 30. Mai 2003.

Das Letzte

Bush als Obergrüner

Joscha Schmierer, langjähriger Vertrauter von Joschka Fischer und im Planungsstab des Außenministeriums tätig, zeigte vor der Friedrich-Ebert-Stiftung Verständnis für die „extensive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts“ durch die USA. Aus seinen Ausführungen ergab sich die logische Schlussfolgerung, dass er ähnlich wie die Bush-Administration den Irakkrieg 2003 als eine Fortsetzung des Golfkrieges von 1991 sieht. Damit wäre der Krieg dann auch völkerrechtlich legitimiert gewesen. Schmierer bezeichnete Georg W. Bush als jemanden, der in seinen Reden eine „konsequente Weltinnenpolitik“ vertrete. Der US-Präsident betrachte die Welt schließlich so, als würde es andere Staaten gar nicht geben, „sondern nur die USA und die Menschenrechte, welche die USA rund um die Welt verwirklichen.“ Bush sei deshalb ein „wirklicher Weltinnenpolitiker und insofern ein Obergrüner.“ (zitiert nach TAZ 12.05.03) Für den Generalsekretär des maoistischen »Kommunistischen Bund Westdeutschlands«, Joscha Schmierer, waren die USA noch der imperalistische Hauptfeind.

Sicherheitspolitische Folgerungen aus dem Golfkrieg

Sicherheitspolitische Folgerungen aus dem Golfkrieg

von Ingo Ruhmann

Von den Medien kaum beachtet, war der Golfkrieg 2003 ein Test für den militärischen Einsatz von Informationstechnik, die einen erheblichen Anteil an der technischen Überlegenheit der US-Truppen hatte. Soweit dies den Medienberichten zu entnehmen ist, spielten die dem IT-Einsatz zugeschriebenen militärischen Fähigkeiten auch eine große Rolle bei den politischen Überlegungen zur Durchführbarkeit im Vorfeld des Konflikts und den Schlussfolgerungen für den zukünftigen Einsatz militärischer Macht. Im folgenden sollen daher aus einer bewusst vorsichtigen Auswertung von Medienberichten einige Implikationen für die sicherheitspolitischen Konsequenzen des zurück liegenden Krieges abgeleitet werden.
Der Golfkrieg 1991 machte den Computer in »intelligenten« Waffensystemen zu einem der entscheidenden Teile militärischer Technik. Der Krieg wurde zu über 90% mit herkömmlichen Waffen geführt. Zur Demonstration alliierter Überlegenheit berichteten die Medien jedoch über jene 10% der Luftangriffe, die mit High-Tech-Waffen durchgeführt wurden. In der nach drei Wochen begonnenen, kurzen alliierten Bodenoffensive lieferten sich die dem irakischen Rückzug aus Kuwait nachsetzenden Alliierten mit den Irakern einige wenige größere Gefechte in einem Gelände, das für den Einsatz massiver Feuerkraft geeignet war. Bevor es zu langwierigen Bodenkämpfen kommen konnte, wurden die Kampfhandlungen beendet. Der Bodenkrieg und die Folgen blieben medial weitgehend unsichtbar.

Seit 1991 beschäftigen sich die Streitkräfte der USA, ihrer Verbündeten, aber auch verschiedener anderer Staaten mit der Vorbereitung auf Information Warfare, einer Kriegsführung nach Prinzipien, bei denen militärische und nicht-militärische Einsätze verwischen, Aufklärung und Kommunikation Vorrang vor reiner Feuerkraft haben und bei denen die vollständige Vernetzung eigener Kräfte im Zentrum stehen.

Vor Beginn des Golfkrieges 2003 war dieser als erster digitaler Krieg angekündigt worden, der durch die psychologische Wirkung massiver Schläge zu Beginn der Kampfhandlungen (»shock and awe«) und überlegene alliierte Truppenführung schnell gewonnen werden sollte. „Fast Allwissenheit plus intelligente Munition“ sollten die US-Truppen in die Lage versetzen, simultan wichtige Ziele anzugreifen und zu zerstören, bis zum Ende der ersten Woche dem gesamten irakischen Militärapparat einen vernichtenden Schlag zu versetzen sowie 75% des irakischen Territoriums zu besetzen.1 Frustrierend für die Planung des Information Warfare sei lediglich das »Chaos« der zivilen und militärischen irakischen Telekommunikationssysteme und die Probleme dort einzudringen.2 Medienberichten zufolge hatten US-Militärs vor Kriegsbeginn schon mit wichtigen irakischen Truppenkommandeuren über die Bedingungen ihrer Kapitulation verhandelt.3

Zu Kriegsbeginn wurden gleichzeitig irakische Kommandozentralen und Truppen bombardiert. In den ersten drei Tagen rückten US-Truppen fast ungehindert 400 km weit vor. Medial entsprach aber nur der erste Angriff auf Bagdad den Erwartungen an eine – von Reportern im Pressebriefing des Pentagon geäußerten – »Show«. Nach einer Woche mussten die Vorhersagen relativiert werden. Irakische Truppen leisteten Widerstand, obwohl ihre Zahl im Vergleich zu 1991 um 60% geschrumpft, ihre Ausrüstung lückenhaft und seither nicht modernisiert worden war.4 Das Bild dominierten Bodenkämpfe, Nachschubprobleme der Alliierten und eine heftige Debatte um eine in zu geringer Stärke in den Krieg geschickte alliierte Streitmacht.5 Unbeobachtet von den Medien sickerten jedoch gleichzeitig Spezialeinheiten in das Zielgebiet ein und griff die US-Luftwaffe irakische Stellungen an.Zum Ende der Kampfhandlungen zeigten sich die irakische Armee sowie die Republikanischen Garden und selbst die Fedajjeen Saddam in völliger Auflösung. In der zentralen alliierten Kommandoeinrichtung in Doha beobachteten skeptische US-Militärs auf ihren Bildschirmen, wie erste amerikanische Einheiten mit 60 Stundenkilometern in das Zentrum Bagdads vorrückten, ohne auf die erwartete Gegenwehr zu stoßen.6 Nach Ende der Kämpfe nahm die Zahl derer zu, die die ursprüngliche Planung als gelungen betrachteten und die Bedeutung der auf »intelligenten« Waffensystemen und vernetzten Einheiten beruhenden technologischen Entwicklung der letzten zwei Jahre hervorhoben.7Information Warfare unterlag gleichfalls während des Krieges einer widersprüchlichen Bewertung. Zeitweilig hieß es, die Rolle von Information Warfare-Instrumenten sei geringer als zu Beginn geplant. Auch die angekündigte »e-Bombe« zur Erzeugung eines elektromagnetischen Pulses mit konventionellen Mitteln wurde nicht eingesetzt.8 Mit dem Erfolg wurde dann schon vor Kriegsende in ersten Bilanzen die Rolle der Informationstechnik auf dem Schlachtfeld als entscheidender Faktor für den Sieg hervorgehoben.9

Medienberichte

Wenn der Kriegsausgang in den Medien damit kommentiert wurde, flexiblere und technisch überlegene Truppen hätten einen schwach agierenden Gegner besiegt, obwohl denselben Blättern zwei Wochen davor noch unerklärlich war, wie heftiger Widerstand der Iraker den alliierten Vormarsch zeitweise zum Stehen bringen konnte, sollte man auch nach diesem Golfkrieg ernsthaft keine genauen Analysen und Berichte über die Hintergründe wie auch die politischen Konsequenzen des Krieges im Irak erwarten. Auch wenn Journalisten gegenüber den Verlautbarungen der kriegführenden Seiten eine deutlich gewachsene Vorsicht an den Tag legten, wurde oft ein Bild gezeichnet, das nicht in Einklang mit den wenigen Informationshäppchen zu bringen war und ist.

In der Medienberichterstattung könnten trotz des großen Aufwands die Unterschiede zwischen den Golfkriegen kaum größer sein. 1991 entstanden in der Folge medienwirksamer Darstellungen der Zieleinwirkung steuerbarer Abstandswaffen für die öffentliche Wahrnehmung irreale Vorstellungen über die Steuerbarkeit von Kriegshandlungen und die technologische Überlegenheit durch Informations- und Kommunikationstechnik. Die seither geweckten Erwartungen wurden vor dem Krieg 2003 durch die Rhetorik eines schnellen Enthauptungsschlages nochmals angeheizt, aber dann durch die Kampfhandlungen nicht erfüllt.

Die aus der Perspektive der Bodentruppen genährten Medien berichteten nicht über High-Tech-Präzisionsschläge, sondern über die Kämpfe vorrückender Bodentruppen. Der Zusammenbruch der irakischen Armee vermittelte keinen Eindruck eines High-Tech-Krieges, sondern den eines aussichtslosen Kampfes einer demoralisierten und schwach gerüsteten Truppe gegen eine hochgerüstete, mechanisierte Armee. Wochen nach Kriegsende erschienen Berichte, nach denen es auch die Republikanischen Garden in vielen Teilen vorgezogen hatten, zu desertieren, statt einen aussichtslosen Kampf mit dem Leben zu bezahlen.10

Die von USA gewählte Form der Medienberichterstattung aus der Perspektive der Bodentruppen dürfte jedoch ein untrüglicher Anhaltspunkt dafür sein, dass sich die Planer im Pentagon davon den größten Effekt versprochen hatten, dass also beabsichtigt war, nicht auf den Effekt von High-Tech-Bomben und deren Zielvideos zu setzen, sondern auf die technologische Übermacht von Bodentruppen.

Information Warfare erschien in der medialen Darstellung des Krieges nur als abstrakte computergestützte Führungsfähigkeit der Alliierten und blieb ansonsten eine unbewiesene Behauptung und unfassbare Fähigkeit. Erst eine – bewusst vorsichtige – Betrachtung von Details macht deutlich, dass ein qualitativer Sprung durch den umfassenden Einsatz von IT zur Kriegsführung zu beobachten ist.

… und deren Interpretation

Aus dem Einsatz von IT in Golfkrieg 2003 lassen sich fünf Schlussfolgerungen ableiten.

  • Die erste Schlussfolgerung geht von der Beobachtung aus, dass sich größere irakische Verbände im Golfkrieg 1991 noch bis Kriegsende in relativ koordinierter Weise bewegten. Im Golfkrieg 2003 stellten sich zwar einzelne Einheiten den Alliierten entgegen, aber ohne nennenswerte Koordination mit anderen. Offensichtlich war die Unterbrechung der irakischen Kommando- und Kommunikationswege effektiv genug, um die Organisation größerer Kampfhandlungen zu verhindern. Insbesondere vor der Einnahme Bagdads am Ende des Krieges sorgte das Bombardement irakischer Kommandoeinrichtungen und Netzknoten dafür, dass auf irakischer Seite keine militärische Kommunikation mehr beobachtet wurde.11 Mit dieser Unterdrückung des gegnerischen Kommando- und Kontrollsystems hatten die Alliierten im diesem Golfkrieg eines der zentralen Ziele der Informationskriegsführung erreicht.
  • Die zweite Schlussfolgerung folgt aus der ersten und der Zwischenphase der Kampfhandlungen, in der irreguläre irakische Gruppen mit Pickups gegen den alliierten Vormarsch vorgingen12 und die alliierte Luftunterstützung in teilweise heftige Gegenwehr geriet.13 Nach herkömmlicher Denkungsart ist bei einer zerfallenden militärischen Kommandostruktur mit dem Beginn einer Guerillakriegführung zu rechnen, wovor in dieser Phase auch in den Medien gewarnt wurde. Begleitet wurde diese Warnung mit dem Vergleich zur Lage in Mogadischu 1993, als schwach bewaffnete Milizen die US-Truppen zum Rückzug zwangen. Entscheidend dafür, dass es im Irak nicht zum Übergang zu einer asymmetrischen Guerilla-Kriegsführung kam, war offenbar, dass der IT-Einsatz zur umfassenden Aufklärung und Vernetzung der US-Truppen einen Kampf sowohl in herkömmlicher Feldschlacht erlaubte als auch gegen sich auflösende Reste der irakischen Armee und irreguläre Gruppen. Damit bestätigte sich die Absicht der US-Truppen, durch die technische Vernetzung von Informationsflüssen den Kampf ohne definierte Frontlinie bewusst zu führen: „Man kann nicht auf einem unzusammenhängenden Schlachtfeld kämpfen ohne vernetzt zu sein“; nur aus der Vernetzung ließen sich operative Vorteile erzielen, so ein Pentagon-Direktor.14 Militärische Überlegenheit ließ sich offenbar im Golfkrieg 2003 herstellen durch Aufklärung und schnelles Reagieren auf veränderte Formen der Kriegsführung.
  • Die dritte Schlussfolgerung beruht auf grundlegenden Neuerungen, die einen deutlichen Geschwindigkeitsgewinn für militärische Operationen mit sich bringen. 1991 gelangten die täglichen Luftangriffspläne per Flugzeug auf die US-Flugzeugträger im persischen Golf, 2003 per sicherer Datenverbindung.15 Die Zielprogrammierung der Cruise Missiles wurde seit 1991 von drei Tagen auf 45 Minuten verkürzt.16 Für die Briten war es im letzten Golfkrieg schon ein Fortschritt, die von einem Flugzeug aufgenommenen Aufklärungsbilder nach dessen Landung digital zur Verfügung zu haben, statt wie ehedem erst Filme entwickeln zu müssen.17 US-Truppen konnten dagegen auf die in Echtzeit übermittelten Radaraufklärungsbilder von JSTARS-Aufklärern und die Videobilder von unbenannten Drohnen zurückgreifen, um sich ein aktuelles Bild ihres jeweiligen Kampfgebiets zu machen. Per Satellitenverbindung wurden Aufklärungsbilder unbemannter Global Hawk-Drohnen an Kampfverbände im Irak übermittelt.18 Rund um die Uhr und bei jedem Wetter waren die Iraker zermürbenden Angriffen mit »intelligenter« Munition ausgesetzt, die aus großer Höhe abgeworfen wurde und damit ohne Vorwarnung traf. Schutz bot weder das Verstecken von Panzern und anderen Fahrzeugen unter Bäumen, Brücken oder in engen Gassen, der einzige Schutz bestand darin, sich möglichst weit von den Fahrzeugen zu entfernen.19 Dies ist der informationstechnische Hintergrund der Fähigkeit der US-Truppen, auch kleine Ansammlungen gegnerischer Truppen sofort erkennen und bekämpfen zu können und den Gegner durch ununterbrochene Angriffe zu zermürben.

Sofern sich diese drei Schlussfolgerungen bewahrheiten, würde dies bedeuten, dass den US-Truppen nicht allein die Zerschlagung der gegnerischen Kommandoinfrastruktur gelungen ist, sondern auch das Zermürben der irakischen Armee und in der Folge das Unterbinden aufflammender Guerillakämpfe, was bislang der militärisch stärkeren Seite in asymmetrischen Konfliktkonstellationen kaum oder nur durch unverhältnismäßige Repression gelang.

  • Die vierte Schlussfolgerung resultiert aus der vergleichsweise geringen Truppenstärke der alliierten Angreifer. Bis Anfang der 90er Jahre galt ein Truppenverhältnis von etwa 3:1 zugunsten des Angreifers vor Ort als notwendige Voraussetzung für aussichtsreiche Angriffsoperationen. 1991 zogen die Alliierten noch eine etwa 500.000 Soldaten große Streitmacht zusammen, um an wenigen Stellen massiv und mit Übermacht vorzugehen. 2003 begannen die Alliierten den Krieg gegen das etwa 400.000 Mann starke irakische Heer bei noch nicht abgeschlossenem Truppenaufmarsch mit einer Streitmacht von gerade 250.000 Mann. Grund war der Glauben des US-Verteidigungsministers Rumsfeld und seines kommandierenden Generals Franks, bei einem geschwächten Gegner, vor allem aber durch IT-Einsatz auch mit reduzierter Truppenzahl siegen zu können. Statt der fünf von den Generälen zuerst geforderten US-Divisionen wurde mit drei geplant. Von diesen sollte eine über die Türkei einmarschieren, wurde aber während des Krieges nach der Ablehnung der türkischen Regierung erst nach Kuwait verlagert und stand während der Kampfhandlungen nicht zur Verfügung.20

Ungeachtet der Kritik verfolgte Franks diese knappe Kalkulation auch während der Kampfhandlungen weiter. Durch direkte Kommunikation zwischen Einheiten am Boden und in der Luft einerseits und durch »intelligente« Munition andererseits ersetzte die Luftwaffe große Teile der Artillerie.21 Die IT-gestützte Vernetzung erlaubte es in 15 Minuten, aus Aufklärungsdaten von Aufklärungsdrohnen die Zielkoordinaten für Bomber zu errechnen, an diese zu übermitteln und das ausgesuchte Ziel anzugreifen.22 Zur Unterstützung der 3. Infanteriedivision bei der Einnahme Bagdads – auf die Berichten zufolge drei Divisionen der Republikanischen Garde warten sollten23 – wurden statt der im Ersten Golfkrieg üblichen neun Artilleriebrigaden nur eine Brigade Artillerie abgestellt. Damit sollten logistische Probleme vermindert und die Geschwindigkeit des Vormarsches erhöht werden. Die zum Konzept von Information Warfare gehörende IT-Nutzung kann somit Flexibilität und Geschwindigkeit erhöhen. Allerdings spricht nichts dafür, dass die Umkehrung des Kräfteverhältnisses zwischen Angreifer und Verteidiger allein auf die Anwendung von Prinzipien des Information Warfare zurückzuführen ist.

  • Die fünfte Schlussfolgerung beruht auf dem Vergleich der Medienberichterstattung und der in den Berichten enthaltenen Darstellung einzelner Vorgänge einerseits und den politischen und militärischen Planungs- und Verlautbarungsaktivitäten andererseits. Von der Ankündigung eines auf »shock and awe« abzielenden Erstschlages über die mediale Kritik nach der ersten Kriegswoche bis zum unerwarteten Kriegsende ohne die angekündigte Gegenwehr lässt sich bilanzieren, dass die Vorhersagen und Planungen und zugleich die psychologische Bewertung der irakischen politischen und militärischen Führung trotz aller Aufklärung allenfalls ungenau geblieben ist. Selbst wenn man von den pressewirksamen Ankündigungen zuerst eines schnellen Sieges, später dann eines blutigen und länger andauernden Häuserkampfes um die als letzte irakische Bastionen gesehenen Städte absieht, die sich allesamt als unzutreffend erwiesen, so sollte man durchaus ernst nehmen, dass die Operationen der U.S.-Truppen, deren Stärke und Ausrüstung auf diese Annahmen abgestimmt waren.24

Die psychologische Kriegsführung, die im Information Warfare eine entscheidende Rolle bei der Interpretation der aufgeklärten Nachrichten über den Gegner und dessen Beeinflussung hat, ist damit offensichtlich kaum weiter entwickelt als in vorangegangenen Konflikten. Im Gegenteil liegt der – während des Krieges schon geäußerte – Verdacht nahe, dass Rumsfeld und Franks in ihrer Vorbereitung des Krieges selbst zu stark ihren eigenen Darstellungen militärischer Überlegenheit aufgesessen sind. Gerade weil dies durch das schnelle Kriegsende keiner weiteren Überprüfung unterzogen wurde und nun wohl nicht mehr wird, dürfte diese Frage eines letztlich kulturellen Zugangs zur Befindlichkeit eines Kriegsgegners für die Zukunft erheblichen Raum für Fehler bieten. Auch die besten Aufklärungsdaten tragen nicht das Geringste dazu bei, das Verhalten eines Gegners korrekt vorherzusagen oder kapitale politische Fehleinschätzungen zu verhindern.

Implikationen

Die gegenwärtig – und damit vor den offiziellen Analysen und vor einer potentiell tendenziösen Rekonstruktion von Ereignissen – verfügbaren Informationshäppchen lassen sich auf operativer Ebene soweit interpretieren, dass der technisch verbesserte, umfassende IT-Einsatz auf alliierter Seite in klare militärische Vorteile umgesetzt wurde, dass aus Fehleinschätzungen und dem mangelnden Verständnis der Lage zugleich aber unerwartete Risiken erwachsen sind. Dass der alliierte Sieg in dieser Form nicht möglich gewesen wäre, gegen die Armee einer von der Bevölkerung stärker getragenen Regierung, sollte ebenfalls deutlich sein. Gerade auf Seiten der US-Streitkräfte ist zu erwarten, dass in den nächsten Monaten der technologische Aspekt des Krieges intensiv mit neuen Details herausgestellt werden wird, viele offene Fragen dagegen ungeklärt bleiben werden. Dies ist insofern bedeutsam, da schon vor diesem Krieg aus technologischer Überlegenheit eine politisch-militärische Machbarkeit abgeleitet wurde.

Zugleich sollten die gravierenden sicherheitspolitischen Implikationen der technologisch gestützten militärischen Stärke der USA deutlich sein. Zur Abschätzung der Bedeutung der Aktivitäten der USA als »letzte verbliebene Supermacht« und, um die Geringschätzung der gegenwärtigen US-Administration gegenüber internationalen Bündnissen und den Glauben an eigene Stärke nachzuvollziehen, reichen ideologische Erklärungsversuche allein nicht aus. Erst die angemessene Kombination von militärischen Potentialen und politischen Zielen erlaubt die Bewertung der sicherheitspolitischen Konsequenzen. Information Warfare ist bei einer solchen Abschätzung militärischer Potentiale als Metapher und Zieldefinition einerseits, aber andererseits auch in der realen Wirkung ein wesentlicher Faktor mit weit reichenden politischen Folgen.

Auch bei einer vorsichtigen Bewertung der Medienberichte des Krieges lassen sich zahlreiche Argumente finden für die Stärkung militärischer Machtausübung durch den breiten militärischen Einsatz vernetzter IT. Der entscheidende Faktor ist dabei nicht im Einsatz vereinzelter Präzisionswaffen zu sehen, sondern in der Integration der Einzelteile in eine komplexe und integrierte Infrastruktur, mit der die Ausübung von Kommando und Kontrolle verbessert wird. Einerseits ist die informationstechnische Optimierung von Kommando und Kontrolle im Krieg notwendiges Hilfsmittel, wenn man mit einer begrenzten Zahl eigener Truppen operiert, statt auf die Überlegenheit der Zahl zu setzen. Andererseits ist die zugleich ermöglichte Zentralisierung von Kommando und Kontrolle die Bedingung für die politische Führbarkeit von Kriegen sowohl auf nationalem wie internationalem Parkett: Wer schon gegen Widerstände einen Krieg beginnt, dürfte wenig Interesse daran haben, dass dieser außer Kontrolle gerät und damit politisch gefährlich wird. Die Interimsphase des Krieges war ein schwaches Abbild der Widerstände, die bei länger anhaltenden Kämpfen im Irak zu erwarten gewesen wären.

Völlig unerheblich ist dabei die faktische Möglichkeit zur Kontrollausübung, entscheidend ist allein der halbwegs begründete Glaube, diese Kontrolle auch ausüben zu können. Der IT-Einsatz bei Planung und Durchführung größerer Militäroperationen hilft bei dem Glauben an militärische Vorbereitung und kontrollierte Durchführung von Kriegen. Gleichgültig, dass sich Kommandeure vor Ort während des Kriegsverlaufes über ihre irakischen Gegner äußerten, dies sei nicht die Art von Truppen, gegen die zu kämpfen man geübt habe, war entscheidend für die militärische und politische Führung die abstrahierte Lageübersicht in den Lagezentren und die dort dargestellte positive Entwicklung. Schon nach dem Golfkrieg 1991 hatte niemand anders als der damalige Stabschef und heutige US-Außenminister Powell die Funktion der Planungs- und Lagezentren bei der Vorbereitung dieses Golfkrieges beschrieben. Dabei hatten die Kriegsvorbereitungen für ihn einerseits den Charakter eines Videospiels, andererseits sei die Berichterstattung eine aseptische »Verzerrung« der Realität.25

Doch IT-unterstütztes Kommando und Kontrolle blieben in beiden Golfkriegen ein blinder Fleck der Berichterstattung. Die aus der Perspektive des einfachen Soldaten berichtenden Medien zeigten zu Anfang und Ende des Krieges technisch überlegene militärische Operationen. Die Zwischenphase der Kämpfe zeigte einiges vom typischen Durcheinander und der Ratlosigkeit einfacher Soldaten. Zugleich wurde aber zu jeder Zeit peinlich genau vermieden, irgendetwas über die Vorgänge in den Planungszentren und das dort ermittelte Bild der Lage nach außen dringen zu lassen. Genau in dieser Zusammenführung von Lageinformationen zu einem vereinheitlichten Kommando liegt aber der eigentliche Effekt, der durch den IT-Einsatz beabsichtigten Überlegenheit bei der so viel beschworenen umfassenden »situational awareness«, der umfassenden Kenntnis der eigenen und der gegnerischen Lage. Damit sollte auch deutlich sein, worin die Differenzen zwischen Medienberichterstattung und öffentlicher Wahrnehmung einerseits und der Bewertung der politischen Konsequenzen andererseits zu suchen sind: Erst die Perspektive aus der Kommandoebene lässt die militärische Überlegenheit erkennen und die politischen Implikationen abschätzen.

Die Entscheidung für den Krieg und die Art der Vorbereitung lässt sich dahin gehend interpretieren, dass in der US-Administration die Überzeugung vorherrscht, über die Mittel zu Expeditionskriegen neuer Güte zu verfügen, also mit relativ geringer Truppenstärke gegen eine größere Streitmacht umfangreiche Militärschläge rund um den Globus ausführen zu können. Diese Sichtweise macht nicht Halt bei der Ablösung der irakischen Führung, sondern zeigte sich in direktem Anschluss an die Kampfhandlungen in offenen Drohungen gegen Syrien, den Iran und verdeckten gegen Herrscherhäuser der gesamten Golfregion. Damit wird militärische Machtprojektion zur Option politischer Machtausübung nicht allein gegenüber einzelnen Staaten – ausgenommen die Atommächte Russland und China –, sondern ganzen Regionen.

Vorhersagen

Die Gefahr, dass Kriege durch IT-Einsatz mit größerer Erfolgsaussicht führbar und damit auch wahrscheinlicher werden, ist keine neue Erkenntnis. Schon vor einigen Jahren warnten wir vor „der Verwandlung der Armee des 21. Jahrhunderts zur »Strategischen Armee«. Sie dient der Umsetzung strategischer Ziele. Kriegerische Konflikte sollen dabei nicht länger zu ausgedehnten und umfangreichen Feldzügen werden, sondern sich ebenso begrenzt einsetzen lassen wie das Heer auf dem Schlachtfeld eines Napoleon oder Clausewitz. […] Möglich ist dies bei der Zerstörung von Kommando- und Kontrollnetzen heute auch unabhängig von massiver Gewaltanwendung. Voraussetzung dafür ist jedoch die andauernde Aufklärung all dessen, was möglicherweise militärisch bedeutsam werden könnte.

Diese Form ist kaum ein Mittel zur friedlicheren Konfliktlösung. Sie hat dann einen besonderen Wert, wenn es darum geht, politische Interessen mit der Drohung militärischer Gewaltanwendung durchzusetzen. Notwendiges Mittel dafür ist die Erhaltung der technologischen Vormachtstellung in der Informationstechnik. Die Logik der Abschreckung im Informationszeitalter wird damit sichtbar. Die Form ihrer Ausgestaltung muß die Zukunft zeigen.“26

Eine vorsichtige Analyse des Golfkrieges 2003 lässt den Schluss zu, dass die sicherheitspolitische Entwicklung seither in großen Schritten in die damals skizzierte Richtung fortgeschritten ist. Nicht nur die Form der Abschreckung im Informationszeitalter ist heute sichtbar, auch die Form der Machtausübung mit militärischen Mitteln ist unübersehbar. Zusätzlich zur IT-unterstützten globalen Machtprojektion haben wir heute mit den Planungen zu »Total Information Awareness«-Office in den USA die organisatorische Struktur zur allumfassenden und »andauernden Aufklärung« – zivilsprachlich also: Überwachung – potentieller Gegner außerhalb der USA genauso wie innerhalb.

Unter den gegenwärtigen politischen Voraussetzungen ist die IT-unterstützte Kriegsführung zu einem neuen sicherheitspolitischen Risikofaktor geworden. Zugleich haben sich die Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Überwachungstendenzen vielerorts wieder verschärft. Für die dringend notwendigen Korrekturen auf diesem Kurs wird allmählich die Zeit knapp.

Anmerkungen

1) Mark Thompson: Opening With a Bang; in: Time, 17.03.03, S. 30-33, S. 30f.

2) David A. Fulghum: Frustrations and Backlogs; in: Aviation Week and Space Technology, 10.03.03, S. 33-37, S. 33.

3) Evan Thomas; Daniel Klaidman: The War Room; in: Newsweek, 31.03.03, S. 24-29, S. 28.

4) Martin van Creveld: Am Ende kann Bagdad wie Grosny aussehen; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.03, S. 35.

5) Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37; Markus Günther: Unser Angriff hat keine Dynamik mehr; in: General-Anzeiger, 28.03.03, S. 3; Kurt Kister: Schlacht an vielen Fronten; in: Süddeutsche Zeitung, 29.03.03, S. 5.

6) Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29, S. 24.

7) So zusammenfassend Charles Horner: Operation Iraqi Freedom and the Transformation of War; in: Aviation Week and Space Technology, 5.5.03, S. 66.

8) John Barry: High Tech, Low Effect; in: Newsweek, 7.4.03, S. 5.

9) Vgl. dazu Point, Click… Fire; in: Business Week online, 7.4.2003; http://www.businessweek.com/magazine/content/03_14/b3827608.htm; Mike Davis: Umzingelt von einer unfehlbaren Armee; in: Die Zeit Nr. 16, 10.4.03, S. 50; Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29.

10) Terry McCarthy: What Ever Happened to the Republican Guard? In: Time 12.5.03, S. 24-28.

11) Nancy Gibbs: When the Cheering Stops; in: Time, 21.04.03, S. 31-38, S. 34.

12) Kevin Peraino, Kevin Thomas: The Grunts‘ War; in: Newsweek,, 14.03.03, S. 20-29, S. 24.

13) Bei Helikopter-Angriffen auf Bagdad kehrten allein bei einer Aktion nur 7 von 35 Helikopter einsatzfähig zurück, der Rest musste nach Beschuss der Iraker instand gesetzt werden, so: Kurt Kister: Schlacht an vielen Fronten; in: Süddeutsche Zeitung, 29.03.03, S. 5; ebenso: Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37, S. 33. Ähnliches geschah auch in den folgenden Tagen, so: David A. Fulghum, Robert Wall: Battling for Baghdad; in: Aviation Week and Space Technology, 21.04.03, S. 27-28.

14) David A. Fulghum: Fast Forward; in: Aviation Week and Space Technology, 28.04.03, S. 34-35, S. 34.

15) Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29, S. 28.

16) ebd.

17) Robert Wall: Harrier’s New Tools; in: Aviation Week and Space Technology, 21.04.03, S. 28.

18) Craig Covault: Milstars Pivotal to War; in: Aviation Week and Space Technology, 28.04.03, S. 50-51.

19) Terry McCarthy: What Ever Happened to the Republican Guard? In: Time 12.5.03, S. 24-28, S. 25f.

20) Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37, S. 30.

21) Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29, S. 28f.

22) David A. Fulghum, Robert Wall: Baghdad Confidential; in: Aviation Week and Space Technology, 28.04.03, S. 32-33, S. 32.

23) Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37, S. 32.

24) vgl.: Kevin Peraino, Kevin Thomas: The Grunts‘ War; in: Newsweek, 14.03.03, S. 20-29, S. 27f.

25) Bob Woodward: The Commanders, New York, 1991, S. 375.

26) Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann: Der digitale Feldherrnhügel; in: Wissenschaft und Frieden, Dossier Nr. 24, Heft 1, 1997; im Online-Archiv unter: http://www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-97/9710603m.htm

Ingo Ruhmann arbeitet seit über 15 Jahren zu militärischen Seiten der Informatik. Er war Vorstandsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V. und ist gegenwärtig u.a. Lehrbeauftragter für Informatik an der FH Bonn-Rhein-Sieg.

Gute und schlechte Kriege

Gute und schlechte Kriege

Deutschlands »nationale Interessen« und der Krieg gegen den Irak

von Michael Berndt

Zwischen der regierungsamtlichen Artikulation deutscher »nationaler Interessen« und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit diese mit dem Mittel Militär wahrzunehmen, gibt es eine eindeutige Korrelation. Bei einer Analyse von im Bulletin der Bundesregierung veröffentlichten Reden von Mitgliedern der Bundessregierung und des Bundespräsidenten im Zeitraum zwischen April 2000 und Januar 2003 stellt sich heraus, dass in 11 Reden auf »nationale Interessen« verwiesen wurde. Sechsmal wurde dabei begründet, warum internationale Militäreinsätze der Bundeswehr im »nationalen Interesse« waren bzw. sind.1 Von diesen sechs Nennungen beziehen sich eine auf den Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien, weil es „ein nationales Interesse Deutschlands an der Stabilität in dieser Region gibt“2, vier auf die deutsche Beteiligung am »Krieg gegen den internationalen Terrorismus«, weil „die Verteidigung nicht nur im Interesse des Bündnispartners und der Bündnissolidarität, sondern im höchst eigenen nationalen Interesse ist“3, weil „ausweichen und … wegducken nicht erlaubt (ist), denn dies würde gegen unsere eigenen nationalen Interessen verstoßen“4, weil es „um die eigenen nationalen Interessen der Deutschen geht; denn wir sind am 11. September bei den Anschlägen in New York und Washington mit angegriffen worden“5 und schließlich „Deutschland … () seine Verantwortung wahr(nimmt) in internationaler Solidarität und im eigenen nationalen Interesse; denn der internationale Terrorismus bedroht uns ganz direkt, wie wir zum Beispiel in Djerba gesehen haben“6 und eine allgemein darauf, dass „es () in unserem ureigenen nationalen Interesse (liegt) …, dass sich Deutschland an internationalen Einsätzen beteiligt; denn nur im internationalen Zusammenwirken kann heutzutage erfolgreich Risikovorsorge betrieben werden.“7 Nun, da es um die Frage nach Deutschlands Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak geht, ist es allerdings wieder ruhig geworden um Deutschlands »nationale Interessen«. Die (derzeitige) Ablehnung eines Krieges gegen den Irak, sowie eine deutsche Beteiligung an ihm scheint nicht im »nationalen Interesse« zu sein. In welchem Interesse ist sie aber dann? Oder anders gefragt, warum lag in den letzten Jahren die Beteiligung Deutschlands an Militäraktionen im »nationalen Interesse« und jetzt nicht?
Um dieser Frage zu folgen, gehe ich in einem ersten Schritt auf die scheinbare Kertwende in der regierungsamtlichen Argumentation vom Sommer 2002 ein und untersuche in einem zweiten Schritt die Unterschiede zwischen der bundesdeutschen und der US-amerikanischen Argumentation. Abschließend komme ich zur Ausgangsfrage zurück: Warum beteiligt sich die Bundesregierung nicht in ihrer Kosovo- und Afghanistan-Tradition nun auch direkt am Krieg gegen den Irak?

Die Kertwende vom Sommer 2002

Bis zum Sommer 2002 bewahrte die rot-grüne Bundesregierung in der Außenpolitik die Kontinuität, die sie beim Regierungsantritt versprochen hatte.8 In dieser Kontinuität, das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen und sich damit möglichst großen Handlungsspielraum zu bewahren, standen auf der einen Seite die Beteiligung an den Kriegseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan. Eine Politik, die der Bundeskanzler mit den Worten charakterisierte: Es gilt „im Bewusstsein dieser Gesellschaft zu verankern“, dass „() es in Zukunft keine Tabuisierung der militärischen Maßnahmen mehr geben (darf)“9. Auf der anderen Seite hielt sich Bundeskanzler Schröder noch im Februar 2002 gegenüber dem von Bush angekündigten Krieg gegen den Irak mit der Formulierung, „was Deutschland tut, wenn der Fall X oder Y eintritt, wird dann zu entscheiden sein“10, jede Möglichkeit offen. Als im Sommer 2002 deutlich wurde, dass mit den bisherigen Wahlkampfthemen keine Stimme mehr hinzu zu gewinnen war, kam der Schwenk. Der Versuch, die zurück zu holen, die 1998 auf das rot-grüne Projekt gesetzt und die sich nach zwei Kriegsbeteiligungen unter »Rot-Grün« abgewandt hatten. Ein erfolgreicher Versuch, wie wir wissen, bei dem noch dazu die einzige Partei, die konsequent jede Kriegsbeteiligung abgelehnt hatte, die PDS, aus dem Bundestag gekickt wurde. Damit hatte sich die Logik der bundesdeutschen Außenpolitik scheinbar grundlegend geändert. Konnte bis dahin die These formuliert werden, dass „Schröder und Fischer () begriffen (haben), dass in dieser neuen Welt das Mit-Reden das Mit-Tun fordert“11, dass es der Bundesregierung also darum geht, international mitzuschießen, um über die Ziele und das Danach mitreden zu können12 (um also Einfluss auf die Weltpolitik zu bekommen, zu behalten und/oder auszubauen), so scheint dies nun nicht mehr zu gelten. Einerseits sieht es so aus, als hätte das »alte Europa« seine Friedensliebe entdeckt, während das »neue Europa« mit den USA zusammen auf Krieg setzt. Andererseits erscheint es so, dasss die Regierungskoalition sich aus wahltaktischen Gründen in eine Ecke manövriert hat, aus der sie nun nicht mehr ohne Gesichts- und damit Einflussverlust heraus kommt, deshalb verfolge sie nun eine Antikriegspolitik. Ehe aber vorschnell von einem Antikriegskurs oder gar von einem Friedenskurs der rot-grünen Regierung ausgegangen wird, ist zu fragen, worin denn nun tatsächlich die grundlegenden Unterschiede zwischen der bundesdeutschen und der US-amerikanischen Argumentation liegen.

USA gegen BRD, Krieg gegen Frieden?

Auf den ersten Blick erscheinen die Positionen in der Diskussion über den sich abzeichnenden Krieg gegen den Irak als sich nahezu ausschließend. Während die einen auf militärische Konfliktbearbeitung setzen, setzen die anderen auf Diplomatie. Während die einen auf Regimewechsel setzen, wollen die anderen die Abrüstung des Irak. Doch wie sehen die einzelnen Argumentationsketten nun genau aus und worin unterscheiden sie sich (nicht).

Die US-Argumentation

Nach Ansicht der US-Regierung gibt es eine klare Verbindung zwischen dem internationalen Terrorismus und dem Irak. Das argumentative Verbindungsglied bildet dabei die Frage nach Massenvernichtungswaffen. Die Argumentation verläuft folgendermaßen:

  • Massenvernichtungswaffen sind (wenn sie in falsche Hände kommen) eine Gefahr für den Frieden und die internationale Sicherheit.
  • Terroristen versuchen sich Massenvernichtungswaffen zu beschaffen.
  • In der Kombination von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen liegt somit eine große Gefahr für die internationale Sicherheit.
  • Der Irak verfügte nicht nur über Massenvernichtungswaffen, sondern er hat auch gezeigt, dass er bereit war sie einzusetzen.
  • Es gibt Beweismaterial13, dass der Irak immer noch über Massenvernichtungswaffen verfügt, er nicht willig ist darüber Auskunft zu geben und diese freiwillig und nachprüfbar zu vernichten.
  • Der Irak hat Verbindungen zum internationalen Terrorismus, vor allem eben zur Al Quaida14.
  • Der Irak ist dem internationalen Terrorismus – eben der Al Quaida – dabei behilflich Massenvernichtungswaffen zu entwickeln und einzusetzen.

Fazit: Dies rechtfertigt es, gegen den Irak militärisch vorzugehen, (a) wegen des Verstoßes gegen die UN-Resolution 1441 und (b) im Rahmen des schon durch andere Resolutionen legitimierten »Krieges gegen den internationalen Terrorismus«. D.h. es soll der Eindruck vermittelt werden, dass die »heiße« Abrüstung des Irak (per Krieg) gleichzeitig auch ein entscheidender Schlag gegen den internationalen Terrorismus ist.

Die bundesdeutsche Argumentation

Die Argumentation der Bundesregierung unterscheidet sich von der US-Argumentation in folgenden Punkten nicht:

  • Auch für die Bundesregierung gibt es Massenvernichtungswaffen, die sich in richtigen und solche, die sich in falschen Händen befinden. Das internationale Drängen der rot-grünen Bundesregierung in Richtung Abrüstung in diesem Bereich ist hier zwar löblich und zu unterstützen, allerdings auch eher halbherzig.15
  • Auch die Bundesregierung geht davon aus, dass Terroristen versuchen sich Massenvernichtungswaffen zu beschaffen.16 Schlüssige und nachprüfbare Beweise allerdings dafür, dass Terroristen schon über Massenvernichtungswaffen verfügen und sie diese auch zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele einsetzen würden, gibt es keine.
  • Auch für die Bundesregierung steht fest, dass der Irak bisher der Resolution 1441 nicht vollständig nachgekommen ist.17

Die Unterschiede betreffen dann nur noch zwei Punkte, nämlich a) die Konsequenz und b) den doppelten Nachdruck der Konsequenz.

Während (nicht nur) für die US-Regierung die nicht vollständige Erfüllung der Resolution 1441 ihren Bruch bedeutet und somit Krieg legitim erscheint, argumentiert die Bundesregierung, dass den Inspekteuren mehr Zeit gegeben werden muss, um nachzuweisen, wie unvollständig 1441 erfüllt wurde und dann für Nachbesserung bei der Erfüllung zu sorgen. Auf alle Fälle sollte der Verstoß des Iraks (jetzt noch) nicht zur Kriegführung genutzt werden.

Die Option der Kriegführung sollte nicht etwa deshalb nicht genutzt werden, weil es laut SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering – wie ja Kosovo und Afghanistan zeigten – „gute friedenspolitische Tradition“18 der SPD ist, Krieg abzulehnen. Nein, dass Argument der Bundesregierung (bzw. „unsere große Sorge“) gegen den Irak-Krieg ist, „dass ein militärischer Schlag gegen das Regime in Bagdad große, unkalkulierbare Risiken im weltweiten Kampf gegen den Terror mit sich bringt.“19 In anderen Worten: Ein Krieg gegen den Irak zum (jetzigen Zeitpunkt) kann „neben fatalen Konsequenzen für die langfristige regionale Stabilität“20 auch dazu führen, dass die globale Anti-Terror-Koalition auseinander fällt.

Während die US-Regierung also versucht, den Krieg gegen den Irak mit dem »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« zu verbinden, versucht die Bundesregierung diese beiden Kriege auseinander zu halten und damit den doppelten Nachdruck abzuschwächen. Im »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« bleibt damit weiterhin die „uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert.“21

Und ganz in der Linie dieser zugesicherten uneingeschränkten Solidarität handelt die Bundesregierung wenn sie, was in der gängigen Diskussion gerne den USA unterstellt wird, die NATO zum weltweit jederzeit einsatzfähigen Bündnis ausbauen möchte. Genau in diesem Sinne kann der Vorschlag von Bundesverteidigungsminister Struck – artikuliert auf der »Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik« (vormals Wehrkundetagung) am 8.2.2003 – interpretiert werden, dass nämlich in Zukunft doch die NATO die Führung der ISAF in Afghanistan übernehmen sollte, um „die einmaligen Fähigkeiten des Bündnisses zu nutzen.“22 Dies steht in der »friedenspolitischen Tradition«, in der schon 2001 Bundesverteidigungsminister Scharping den NATO-Bündnisfall eine Woche vor Feststellung (am 4.10.2001) herbeiredete (SZ 27.9.2001) und in der angebotenen Nachfrage Deutschlands zur Teilnahme am »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« vom Dezember 2001.

Als Fazit kann also die These formuliert werden, dass trotz aller taktischen bzw. stimmungsmäßigen Querelen die bundesrepublikanischen und die US-amerikanischen Vorstellungen nicht so weit auseinander liegen. Dissens gibt es gegenwärtig nur über eine – zwar wichtige, aber eben nicht die einzige – Frage: den Irak-Krieg. Während die US-Regierung argumentiert, dass der Irak-Krieg ein logisches Glied im »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« ist, weist die Bundesregierung dies zurück und setzt ihre „höchste Aufmerkamkeit“23 auf den »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« an anderen Fronten.

Konsens besteht allerdings darin, die Weltordnung so zu belassen und zu verteidigen wie sie ist, mit der ernst zu nehmenden Gefahr, dass der »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« den Terrorismus nicht abschafft, sondern im Gegenteil neue Terroristen produziert.24 Diesbezüglich scheint der wahrscheinliche Krieg gegen den Irak ein besonderer Verstärkungsfaktor zu werden, aber eine Fortsetzung des »Kriegs gegen den internationalen Terrorismus« ohne Irak-Krieg schwächt die Gefahr der (Re-)Produktion von Terrorismus auch nicht gerade ab.

Weltordnung erhalten, kein Krieg gegen den Irak

In den vorangegangenen Ausführungen ging es weder darum den Irak als Hort der Glückseligkeit noch die verbrecherischen Anschläge der letzten 1,5 Jahre als zu entschuldigende Taten darzustellen. Ganz im Gegenteil: Das irakische Regime – das ja nicht zuletzt auch mit westlicher Hilfe seine menschenrechtsverachtende Politik etablieren konnte – ist zu verurteilen, genauso, wie die Täter und Drahtzieher hinter den Anschlägen vom 11. September zur Verantwortung gezogen werden müssen. Allerdings erscheint es langfristig, sowohl zur Veränderung der Lebens- und Herrschaftsbedingungen im Irak, wie zur nachhaltigen Austrocknung der Quellen für weitere Anschläge wenig plausibel, wenn dabei zwar schnell auf militärische Maßnahmen gegenüber den Symptomen gesetzt wird, es aber bezüglich einer sozial gerechten Weltordnung, in der Konfliktursachen an den Wurzeln bearbeitet werden, im wesentlichen bei Lippenbekenntnissen bleibt. Bundespräsident Rau ist durchaus zuzustimmen, wenn er am 16.10.2001 formulierte, dass „in den reichen Ländern des Nordens () niemand ernsthaft glauben (kann), dass er auf Dauer in Ruhe auf einer Insel der Glückseligkeit leben kann, mitten in einem Meer von Leid und Elend. Darum liegt es auch im ureigenen Interesse der reichen Länder, den Hunger zu besiegen. Stacheldraht und Mauern sind keine Antwort auf Flüchtlingsströme, auf Armut und auf Not. Wir brauchen die internationale Koalition gegen den mörderischen Terrorismus. Wir brauchen auch ein weltweites Bündnis gegen Hunger und Armut.“25

Dass langfristige Konfliktursachenbearbeitung einer Veränderung in der Weltordnung und in der Politik der Industriestaaten bedarf, scheint auf der Hand zu liegen. Es stellt sich also eigentlich nicht mehr die Frage, ob eine Veränderung hin zu mehr Ausgleich und sozialer Gerechtigkeit im globalen Rahmen notwendig ist, sondern nur, wie diese Veränderung erkennbar, friedlich und tragfähig bewerkstelligt werden kann. Die Kanzler Äußerung vom selben Tage, nach denen „die Angriffe auf New York und Washington nicht nur Angriffe auf die Vereinigten Staaten waren, sondern Angriffe gegen eine bestimmte Wertordnung, eine bestimmte Art zu arbeiten und zu leben“26, dass „Werte und Vorstellungen von vernünftigem und gutem Leben getroffen worden sind (, nach denen/ MB) () auch wir unser Leben und unsere Art zu wirtschaften organisiert (haben)“27, lassen aber von der Notwendigkeit von Veränderungen wenig erkennen.

Genau in diese Richtung deutet auch die Erklärung des »erweiterten Sicherheitsbegriffs« zum Leitmotiv28 jeglicher Politik in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder zum Antritt der wiedergewählten Bundesregierung im Oktober 2002. Dort heißt es: „Die Bundesregierung hat schon frühzeitig national und international einen erweiterten Sicherheitsbegriff definiert und dafür geworben. Dazu gehört die Sicherheit von Leib und Leben vor Krieg und Kriminalität, keine Frage, aber eben auch die materielle, soziale und kulturelle Sicherheit, eben zur Vergewisserung der eigenen Identität, und nicht zuletzt die Sicherheit des Rechts und die Absicherung gegen Krankheit und andere Lebensrisiken. Wir sind davon überzeugt: Erst eine Gesellschaft, die in dieser Weise umfassend Sicherheit bereitstellen kann, ist fähig zu guter Nachbarschaft und zu friedlicher Zusammenarbeit nach außen, aber eben auch zu den notwendigen Veränderungsmaßnahmen nach innen.“29

Der von der Friedensforschung in den 1980er Jahren konzipierte Begriff erweiterter Sicherheit, wird hier zu einem Begriff erweitert verstandener nationaler Sicherheit (Bush lässt grüßen). Und so ist ein Verschreiber in der offiziellen Publikation der Regierungserklärung im Bulletin des Presse und Informationsamtes ganz aufschlussreich, in dem es heißt: „Einer solchen präventiven und umfassend ansetzenden Außen- und Sicherheitsrepublik bleibt die Bundesregierung verpflichtet.“30

Es geht tatsächlich um eine »Sicherheitsrepublik«, in der erweitert verstandene nationale Sicherheit das Leitmotiv des »nationalen Interesses« abgibt und zur Begründung für alles und jedes herangezogen wird, was politisch durchgesetzt werden soll,31 es geht um den Schutz vor negativen Aus- und Rückwirkungen der Globalisierung auf die Bundesrepublik. Deshalb rangiert für die Bundesregierung der »Krieg gegen den internationalen Terrorismus« vor der Bündnistreue im Krieg gegen den Irak.

Die Friedensbewegung könnte sich nun einerseits über diesen starken Partner bei der Ablehnung des Irak-Krieges freuen, wäre da nicht andererseits diese Altlast: Die deutsche Priorität bezüglich der Beteiligung am globalen »Krieg gegen den internationalen Terrorismus«. Dieser Priorität wird sowohl der vormals klar definierte geographische Verteidigungsauftrag geopfert (Verteidigung nun auch am Hindukusch, laut Struck), wie Verteidigung zunehmend auch in der militärpolitischen Elite der Bundesrepublik als „präventive Verteidigung“32 verstanden wird. Und schließlich wird die Bundesregierung zur Speerspitze dafür, die NATO weltweit einsetzen zu können. All dies gerät in der Diskussion über einen Irak-Krieg zunehmend in den Hintergrund. Und damit gerät in den Hintergrund, wie gerade von Seiten der Bundesregierung daran mitgewirkt wird, die negativen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auch mit kriegerischen/militärischen Mitteln auf Distanz zu halten – „auf Distanz zu einer Internationale der Privilegierten.“33 Das macht Deutschlands »nationales Interesse« aus.

Sollte die Bundesregierung allerdings tatsächlich diesmal ihre Aussage aus dem Koalitionsvertrag, „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“, ernst meinen, so ist nicht nur der Irak-Krieg, dann sind auch andere Kriege unter deutscher Beteiligung abzulehnen (so der laufende KSK-Einsatz in Afghanistan). Und außerdem wäre ein tatsächliches Zeichen in Richtung globaler sozialer Gerechtigkeit zu setzen, z.B. durch relevante Erhöhung der Entwicklungshilfe und Initiativen für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Hier ist aber wenig zu sehen und Bundesaußenminister Fischers Appell „Demokratie und Beteiligung an der Globalisierung nicht nur in Sonntagsreden (zu) beschwören“34 erscheint da zunächst eher wie eine weitere Sonntagsrede. Aber vielleicht haben ja die 600.000 am 15.2. etwas bewirkt. Es ist zu hoffen.

Anmerkungen

1) Von den 5 verbliebenen Nennungen beziehen sich 4 darauf, dass die EU-Osterweiterung im »nationalen Interesse« sei ( Bulletin 90-1, 2000, S.5; Bulletin 43-3, 2001, S. 7; Bulletin 97-1, 2002, S.3-4; Bulletin 103-1, 2002, S.4. Die fünfte Nennung ist ein Einzelfall: Hier formuliert Bundeskanzler Schröder, „dass wir ein nationales Interesse daran haben, dass die Türkei eine immer enger werdende Bindung an den Westen erfährt“ (Bulletin 99-1, 2002; S. 17).

2) Schröder, G.: Rede zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören der Waffen, am 29.8.200,1 in: Bulletin 53-1, 2001.

3) Schröder, G.: Rede zum Wirtschaftstag 2001 der Volks- und Raiffeisenbanken am 16. 10.2001, in: Bulletin 77-1, 2001, S.3.

4) Schröder, G.: Rede auf der zweiten »Zukunftskonferenz« des Regionalforums Mitteldeutschland am 23.10.2001, in: Bulletin 75-2, 2001, S. 2.

5) Schröder, G.: Regierungserklärung am 18.10.2001, in: Bulletin 73-1, 2001, S. 8.

6) Struck, P.: Rede vor dem Deutschen Bundestag am 7.11.2002, in: Bulletin 88-1, 2002, S. 1.

7) Struck, P.: Rede vor dem Deutschen Bundestag am 4.12.2002, in: Bulletin 99-3, 2002, S. 1.

8) Schröder, G.: „Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen …“. Regierungserklärung am 10.11.1998, in: Bulletin 74, 1998, Ziffer 16.

9) Schröder, G.: Regierungserklärung am 16.5.2002, in: Bulletin 41-1, 2002, S.10.

10) Schröder, G.: Wir schicken Soldaten, um sie einzusetzen (Interview), in: Die Zeit 28.2.2002; S.3.

11) Joffe, Josef: Honigmond der Rivalen, in: Die Zeit 22.11.2001; S.1.

12) Berndt, M.: Wer mitreden will, muss mitschießen können, in: ami 12/2001; S.65-67.

13) »Evidence« laut Powell, Colin: Record of the Statement before the United Nations Security Council on „The situation between Iraq and Kuwait“, in: United Nations Security Council, Fifty-eighth year, 4701st meeting. Wednesday, 5 February 2003, New York (S/PV.4701 (Provisional)); S.2-17; z.B. S.4.

14) Powell, Colin: s. o. , S. 14ff. Interesssant ist allerdings, dass Powell im Zusammenhang mit Irak-Terrorissmus den Begriff „evidence“ nicht benutzt!

15) Siehe: Hagen, Regina: Die neue Triade: Atomwaffen, Raketenabwehr, Weltraumrüstung. Deutschland schweigt – und mischt mit, in: 4 Jahre Rot-Grün. Eine friedenspolitische Bilanz (Wissenschaft und Frieden/ Dossier: 41); Bonn 2002; S. 6-8.

16) Fischer, J.: Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 20.1. 2003, in: Bulletin 06-2, 2003; S. 4.

17) Fischer, J.: „Die (von US-Außenminister Powell/ MB) vorgelegten Erkenntnisse müssen angesichts der Konsequenzen, die sie für zukünftige Entscheidungen haben können, sorgfältig geprüft werden. Schon jetzt können wir feststellen, dass sie sich teilweise mit Informationen decken, die auch uns vorliegen. Sie beruhen auf engem Informationsaustausch.“ (Rede im des Sicherheitsrats der VN am 5.2.2003, in: Bulletin 12-1, 2003, S.1).

18) In: ARD-Tagesthemen 11.2.2003.

19) Fischer, J.: Rede vor dem Sicherheitsrat der VN am 20.1.2003, s.o., S. 2.

20) ebenda

21) Schröder, G.: Regierungserklärung am 12.9.2001, in: Bulletin 58-1, 2001, S.2.

22) Struck, P.: Rede auf der 39. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik am 8.2.2003

23) Schröder, G.: Regierungserklärung am 13.2.2003, in: Bulletin 14-1, 2003, S. 2.

24) Ruf, W.: Double Standards – Die Förderung des Terrorismus; Referat auf dem Kolloquium der AFK vom 21.-22.2.2003 in der Ev. Akademie Iserlohn (Manuskript, Stand 13.2.2003).

25) Rau, J.: Rede zum Welternährungstag am 16.102001, in: Bulletin 72-1, 2001, S. 7.

26) Schröder, G.: Rede zum Wirtschaftstag 2001, s.o, S. 1.

27) Schröder, G.: Rede auf der zweiten „Zukunftskonferenz“, s.o.,S. 1.

28) Schröder, G.: Regierungserklärung am 29.10. 2002, in: Bulletin 85-1, 2002, S.13.

29) Schröder, G.: Regierungserklärung am 29.10.2002, s.o., S.11.

30) Schröder, G.: Regierungserklärung am 29.10.2002, s.o., S.14.

31) Hier kommt dann Ole Wævers Konzept der »Securitization« voll zum tragen. Siehe: Wæver, Ole: Securitization and desecuritization, in: ders.: Concepts of security; Copenhagen 1997; S. 211-256.

32) Rose, Jürgen: Präventive Verteidigung. Manfred Opels Plädoyer für eine angriffsfähige Bundeswehr, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2002; S.936-942. Siehe auch: Schwennicke, Christoph: Masse ist nicht Qualität. Eine Truppe ganz neuen Typs: Die Analyse des Waldbröler Studienzentrums der Bundeswehr hat es in sich, in: SZ 9./10.11.2002; S.10 und ders.; Die Grenzen der Verteidigung. Warum Generalinspekteur Schneiderhahn die heikle Strategiefrage zur Chefsache gemacht hat, in: SZ 21.1.2003; S.2.

33) El Masry, Ingrid/ Berndt, Michael; Zur Einführung, in: dies. (Hrsg.); Konflikt, Entwicklung, Frieden, s.o., S. 1-17, hier S.2.

34) Fischer, J.: Rede vor dem Deutschen Bundestag am 13.2.2003, in: Bulletin 14-2, 2003, S.8.

Dr. Michael Berndt ist wissenschaftlicher Assistent im Fachgebiet »Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik« am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel

Zwiespältiges

Zwiespältiges

Die deutsche Rolle im Irakkrieg

von Tobias Pflüger

„Ich kann nur davor warnen, ohne an die politischen Folgen zu denken und ohne eine politische Konzeption für den gesamten Nahen Osten zu haben, jetzt über Krieg im Irak zu diskutieren. Derjenige, der irgendwo reingeht, muss sehr genau wissen, was er dort will und wie er wieder rauskommt.“ Mit diesen Worten kritisierte Anfang August 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder beim offiziellen Wahlkampfauftakt der SPD die Irakkriegsplanung der USA und überraschte damit die Öffentlichkeit. Eine Position, die von da an von der gesamten Bundesregierung übernommen wurde. Außenminister Joschka Fischer am 03.08.2002 im ZDF: „Zu meinen, einen Regierungswechsel mit bewaffneter Intervention in Bagdad herbeiführen zu müssen, halte ich für eine falsche Prioritätensetzung.“ In den die Regierung tragenden Parteien SPD und Grüne fand diese Kurskorrektur gleichfalls weitestgehend Zustimmung, das Thema Irakkrieg wurde zu einem der zentralen und vielleicht dem entscheidenden Wahlkampfthema. Auch derzeit, Anfang März 2003 zählt die Bundesregierung zu den schärfsten Kritikern des US-Kriegskurses, doch dazwischen liegen einige Schwankungen und vor allem zwischen Worten und Taten gibt es riesige Differenzen.
Bereits unmittelbar nach den Erklärungen Schröders und Fischers im August 2002 sah es so aus, als würde die Bundesregierung vor der harschen Kritik des US-Regierung einknicken. Symptomatisch dafür war der Aufmacher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.09.2002). Dort hieß es unter der Überschrift »Bagdad-Debatte: Berlin dreht bei – Deutscher Beitrag nach einem Krieg«: „Nachdem Außenminister Fischer (Grüne) am Dienstag (24.9.) gesagt hatte, Deutschland lehne einen Krieg gegen den Irak ab, aber nicht unbedingt die Beteiligung an einem Folgeeinsatz mit einem Mandat der Vereinten Nationen, hieß es am Mittwoch (25.9.) im Auswärtigen Amt, was die Zeit nach einem möglichen Militäreinsatz angehe, so habe die Bundesregierung »nichts ausgeschlossen«.“

Auf dem Nato-Gipfel in Prag veränderte Schröder wie zuvor schon Joschka Fischer zunächst seine Aussage mit Blick auf die Bundeswehr: Aus dem Satz „Es wird keine Beteiligung Deutschlands an einem Irak-Krieg geben“ wurde nun: „Eine aktive Beteiligung Deutschlands wird es nicht geben.“ (SZ 03.01.2003) Am 11.12.2002 meinte Joschka Fischer, dass er sich auch vorstellen könnte, dass die bisherige UN-Resolution 1441 für einen Krieg ausreichen könnte. Dies entsprach originär der US-amerikanischen Position.

Nico Fried beschrieb in der Süddeutschen Zeitung (03.01.2003) die deutsche Position mit den Worten: „Doch die deutsche Haltung seither steckt voller Widersprüche und Halbwahrheiten, die nun auf die Bundesregierung zurück fallen – es ist die Chronik eines schrittweisen Rückzugs.“

Eine erneute Wende erfuhr die deutsche Position dann durch die Wahlkampfrede von Gerhard Schröder in Goslar: „Rechnet nicht damit, dass Deutschland einer den Krieg legitimierenden Resolution zustimmen wird.“ Diese klare Äußerung erzeugte einiges an Antikriegs-Dynamik. Reaktionen in der ganzen Welt – von Regierungen und von Antikriegs- und Friedensbewegungen zeigen, dass die deutsche Regierung mit dieser Positionierung weltweit als konsequenter Kriegsgegner gesehen wird. Deutschland wird seitdem – zusammen mit Frankreich – als Gegenspieler zu den kriegsorientierten US-amerikanischen und britischen Regierungen wahrgenommen. Eine Reihe von Regierungen und Bewegungen beziehen sich positiv auf die Ablehnung des Krieges durch die deutsche Regierung.

In einem seltsamen Kontrast zu den diplomatischen und politischen Initiativen der Bundesregierung gegen den Irak-Krieg steht das Nichthandeln gegenüber der praktischen Kriegsvorbereitung von Deutschland aus.

Bereits beim NATO-Gipfel in Prag am 21./22.11.2002 hatte Gerhard Schröder den USA zugesichert, dass die deutsche Regierung Überflugrechte und die Nutzung der militärischen Infrastruktur genehmigen wird. Dies obwohl sie die Möglichkeit und bei einem Angriffskrieg – ein solcher ist der geplante Irakkrieg ja zweifelsohne – auch die Pflicht hat, eine Nutzung zu untersagen. Am 11.12.2002 unterstrich Schröder im ZDF die Position, dass die Transporte von Kriegsmaterial und Soldaten von und über Deutschland problemlos laufen können: „Das bedeutet, dass wir die Bewegungsfreiheit unserer Freunde, unserer Bündnispartner nicht einschränken können, und wo wir es können, nicht einschränken werden.“

Die Vorbereitung des Irak-krieges von Deutschland aus

Der Aufmarsch für den Irakkrieg ist wesentlich über Deutschland erfolgt. Über Frankfurt Airbase, Ramstein und Spangdahlem Airbase wurden und werden Kriegsmaterial und Soldaten ins Kriegsgebiet gebracht. „Die Anwohner der amerikanischen Luftwaffenbasen in Deutschland beobachten es seit Wochen: Tag und Nacht starten graue Großraumflugzeuge Richtung Süden. Deutlich mehr als gewöhnlich“, berichten die Anwohner einhellig. „In Ramstein, Spangdahlem und Frankfurt heben die Transporter manchmal im Minutentakt ab. Ziele sind die zahlreichen US-Flugplätze auf der arabischen Halbinsel.“ (NDR-Info Streitkräfte und Strategien, 21.09.2002)

Offensichtlich ist die Nutzung der drei großen US-amerikanischen Militärstandorte in Deutschland) zentral für den Aufmarsch in die Golfregion gewesen.

Doch die Bundesregierung wiegelt ab. „Die Gewährung von Überflugrechten für amerikanische Militärjets hat mit einer Beteiligung Deutschlands nicht das Geringste zu tun,“ behauptet z.B. Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul: (T-online-Nachrichtenticker, 05.12.02) Die Nachrichtenredakteure von T-online kommentierten: „Tatsächlich wäre genau diese Verweigerung das möglicherweise einzige Mittel, um sich aus einem Konflikt heraus zu halten.“

Hinzu kommt, dass auch Überflüge zur Kriegsvorbereitung ohne Nutzung der in Deutschland befindlichen Militärstandorte regelmäßig stattfinden. Anders als Deutschland hat Österreich ein grundsätzliches Überflugverbot für bewaffnete Flugzeuge erlassen.

Und hinzu kommt, dass über Vilseck, Mannheim und die Häfen von Emden, Bremen, Bremerhaven, Hamburg und Nordenham ebenfalls Kriegsmaterial in die Golfregion verschickt wurde und wird. Von den 71.000 US-Soldaten, die in Deutschland stationiert waren, ist bisher mindestens die Hälfte in die Golfregion verlegt worden.

Wie sehr Deutschland in die Kriegsvorbereitung und im Falle eines Krieges in die Nachschublieferung verstrickt ist, wird bei einer Betrachtung der amerikanischen Stützpunkte sichtbar.

Frankfurt Airbase

Auf der Frankfurter Airbase sind die »Stratotanker« KC-135 Tanktransportflugzeuge stationiert. Sie können bis zu 90.000 Liter Kerosin aufnehmen, um damit in der Luft Kampfflugzeuge zu betanken. Ebenso stehen auf der Frankfurt Air Base »Starlifter« C-41 Transportflugzeuge und die großen »Galaxy«-Flugzeuge. „Die Rhein-Main Air Base nimmt für die Transportgeschwader der Vereinigten Staaten eine strategische Schlüsselstellung ein.“ (Tagesspiegel, 11.02.2003) Innerhalb der US-amerikanischen Militärs wird die Rhein-Main Airbase schlicht als „the gateway to europe“ bezeichnet. (Stars and Stripes, July 3, 2002) Interessant ist, dass nicht nur Transporte über den militärischen Teil des Frankfurter Flughafengeländes laufen, sondern auch über die sehr lange umkämpfte zivile Startbahn West.

Schon im Juli 2002, aber spätestens vor der Bundestagswahl im September 2002 war klar, hier werden trotz offizieller Gegendarstellung (»Hilfsgüter nach Afghanistan«) kriegsvorbereitende Transporte Richtung Golfregion durchgeführt. „Wir wundern uns, warum die Air Force zurzeit so häufig fliegt“, wird der Lufthansa-Vorstand Stefan Lauer Anfang September 2002 von der Frankfurter Rundschau zitiert. Im gleichen Blatt zeigt der Lärmschutzbeauftragte auf Rhein-Main, Johann Bruinier, Verständnis, „dass die Menschen in der Region angesichts der vielen Flüge misstrauisch werden und die Frage stellten, ob in den Flugzeugen wirklich nur Hilfsgüter seien.“ Die FR bezieht sich auf einen Informanten „Das Ziel der meisten Flüge ist gar nicht Afghanistan, und an Bord sind auch keine Hilfsgüter.“ (FR, 06.09.2002) Auch offizielle Stellen kommen zum gleichen Schluss: „Bei der Vollversammlung der 101 in Deutschland tätigen internationalen Fluggesellschaften (BARIG) am Donnerstagabend hieß es, Ziel der meisten US-Maschinen sei Katar.“ (FR, 06.09.2002)

Airbase Ramstein

Über die Airbase Ramstein (der größten US-amerikanischen Luftwaffen-Basis außerhalb der USA) liefen ebenfalls umfangreiche kriegsvorbereitende Transporte. Ramstein hatte zeitweise ca. 22.000 Soldaten (Gesamteinwohner der Airbase mit dem Hauptquartiers der US-Luftwaffe für Europa – USAFE – 38.000). Schon in den früheren Kriegen war Ramstein Drehscheibe für den US-Truppenaufmarsch. 1991 beim 2. Golfkrieg, 1995 beim Bosnienkrieg, 1999 beim NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Seit Beginn des Krieges gegen Afghanistan im Herbst 2001 wird Ramstein intensiv genutzt als zentraler Flugplatz, von dem aus Flugzeuge in ihre Kriegseinsätze fliegen. Dies bestätigt die Süddeutsche Zeitung: „Tatsächlich war die Airbase bei Kaiserslautern in vergangenen Kriegen Drehscheibe für den Transport von Material und Verwundeten.“ (SZ 15.01.2003) „Auf der 2001 neu gebauten 200.000 qm großen Abstellfläche können gleichzeitig 16 Transportmaschinen beladen und betankt werden.“ (SWR, 10.02.2003) Ramstein wird – genauso wie der zweite große US-Militärstandort in Deutschland, Spangdahlem, derzeit (Realisierungszeitpunkt Ende 2005) intensiv ausgebaut.

Spangdahlem

Spangdahlem soll zentrale Lagerstätte für Munition und Treibstoff werden: Bereits jetzt verfügt der Stützpunkt über 92 Flugzeugbunker, 70 Munitionsbunker, 2 Start- und Landebahnen (die größten Europas) und 500 Gebäude. (http://www.globalsecurity.org) Zugleich starteten von hier aus während des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien direkt Tarnkappenbomber Night Hawk. Auch jetzt sind wieder vier solcher Flugzeuge von New Mexico in die Pfalz gebracht worden. (Bild 16.10.2002) Außerdem starten derzeit von dort F-16 Staffeln in die Golfregion. (Neues Deutschland 01.02.2003) „Diese Airbase spielt mit den Kampfjets des 52. Jagdgeschwaders eine zentrale Rolle in der globalen Strategieplanung der US-Airforce.“ (Tagesspiegel 09.02.2003) Dem Personal der Airbase Spangdahlem wurde das Einsatzkommando erteilt: „Wir haben Marschbefehl bekommen für unser hoch motiviertes Personal.“ (Tagesspiegel, 09.02.2003)

Seit Anfang 2003 gibt es Gerüchte, dass die US-Führung aufgrund der politischen Differenzen mit der Bundesregierung Militärstandorte in Deutschland schließen wolle. (Welt am Sonntag, 09.02.2003). Am 03. März 2003 bestätigte der NATO-Oberbefehlshaber James Jones diese Pläne (AP 03. 03.2003), wies allerdings daraufhin, dass diese Verkleinerungen nichts mit der Verstimmung zwischen Washington und Berlin zu tun haben, sondern, „neue Konzepte für Europa sollen der Notwendigkeit Rechnung tragen, kleinere, flexible Gruppen von strategischen Stationierungsorten aus über weite Entfernungen einsetzen zu können.“ (AP, 03. 03.2003)„Sicher sei jedoch, dass strategische Schlüsselstellungen wie die Luftwaffenbasis Ramstein und die Standorte in Spangdahlem oder im italienischen Vicenza nicht nur erhalten blieben, sondern möglicherweise sogar erweitert würden.“ (AP, 03. 03.2003) An eine Reaktivierung aufgegebener Militärflughäfen wie Bitburg, Hahn, Zweibrücken und Sembach sei aber trotz des NATO-Reservestatuts trotz der intensiven Flüge wegen des Irakkrieges derzeit nicht gedacht. (FR, 14.02.2003)

Aufmarschgebiet per Bahn und über Binnenhäfen

Wie in Italien werden ein Großteil der Transporte mit Kriegsmaterial per Bahn abgewickelt. Über Vilseck wurden seit Anfang Februar Soldaten aus den US-Stützpunkten in Vilseck, Giebelstadt, Kitzingen, Illesheim und Bamberg in die Golfregion verschickt. (Handelsblatt 16.01.2003) „Das Bataillon ist auf den Truppenübungsplätzen Hohenfels und Grafenwöhr stationiert. Die beiden oberpfälzischen Übungsplätze bilden mit zusammen fast 37 000 Hektar das größte militärische Übungsgelände der US-Armee in Europa. In der Oberpfalz sind rund 6200 US-Soldaten stationiert.“ (Spiegel Online 09. Januar 2003) Diese Soldaten befinden sich nun zum Gutteil am Golf. Über den Binnenhafen Mannheim wurden ebenfalls Kriegsmaterialien verschifft.

Emden war und ist der zentrale Umschlagplatz für die schwerpunktmäßig in Niedersachsen stationierten britischen Soldaten. „Schon während des letzten Golfkrieges im Jahr 1991 war Emden Haupthafen für die Verschiffung der in Deutschland stationierten britischen Streitkräfte.“ (taz Bremen 30.1.2003) Allein von den in Deutschland stationierten 23.000 britischen Soldaten sind inzwischen 12.000 auf dem Weg oder in der Golfregion. Neben Emden spielen die Nordseehäfen, Bremen, Bremerhaven, Hamburg, Nordenham zentrale Rollen beim Einschiffen des Kriegsmaterials.

Angriff von Deutschland aus

Dass Deutschland dazu verpflichtet wäre, die kriegsvorbereitenden Transporte nach Rechtslage zu unterbinden, darauf haben neben dem Richter am Bundesverwaltungsgericht Dieter Deiseroth (FR, 11.09.02 und W&F 01/2003) auch zwei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (dokumentiert unter www.imi-online.de) sowie weitere Gutachten und Stellungnahmen von einer ganzen Reihe von juristischen Fachleuten hingewiesen. Kernsatz der Analyse von Dieter Deiseroth war: „Völkerrechtswidrig handelt freilich nicht nur der Aggressor, sondern auch derjenige Staat, der einem Aggressor hilft, etwa indem er auf seinem Hoheitsgebiet dessen kriegsrelevante Aktionen duldet oder gar unterstützt.“

Während des NATO-Angriffs auf Jugoslawien wurden, wie es in einer Mitteilung der USAF heißt: zum „ersten Mal seit Ende des zweiten Weltkrieges Einsätze von deutschem Boden aus“ (SWR, 10.02.2003) geflogen, dies ist durchaus auch während des geplanten Irakkrieges wieder möglich. Startpunkte wären dann wieder: Ramstein, Spangdahlem und Frankfurt Airbase.

Während eines Krieges gegen den Irak würden die genannten britischen und US-amerikanischen Stützpunkte als „Drehscheibe für Nachschub“ (T-online-Nachrichtenticker, 05.12.02) genutzt werden. Die deutschen Stützpunkte sind gemeinsam mit den türkischen Stützpunkten (Incerlik, Diyabakir u.a.) von zentraler strategischer Bedeutung für die Kriegsführung. Der Nachschub wird im übrigen wesentlich vom EUCOM, dem US-Kommando für Europa koordiniert, das seinen Sitz in Stuttgart-Vaihingen hat. Der Krieg selbst wird vom CENTCOM organisiert. Das CENTCOM hat seinen eigentlichen Sitz in Tampa, Florida, jedoch wurde die Befehlszentrale und weitere wichtige Teile des CENTCOM nach Qatar verlegt, von dort aus wird dann der Krieg koordiniert.

Deutschland als Manövergebiet

In Grafenwöhr (bei Nürnberg) fand von Ende Januar bis Anfang Februar 2003 das zentrale (Simulation)-Kriegsvorbereitungsmanöver »Victory Scrimmage« statt. Grafenwöhr ist der größte Truppenübungsplatz für US-Truppen in Europa. Unter der Führung des Chefs des CENTCOM Tommy Franks übten in Grafenwöhr ca. 3.000 Zivil- und Militärangehörige der Luftwaffe, Kavallerie, Infanterie und Marine den Angriff auf den Irak. In einem Vorabbericht schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Es ist ein rein virtueller Krieg, welchen in den kommenden Tagen bis zu 3.000 in mehreren deutschen Standorten stationierte Soldaten des 5. Corps der US Armee auf dem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr (Oberpfalz) führen werden.“ „Es werden verschiedene Szenarien eines möglichen Irakkrieges durchgespielt“, sagt Franz Zeilmann, der Pressesprecher der amerikanischen Streitkräfte vor Ort. Welche Szenarien dies sein werden, darf er nicht sagen. Nur so viel: „Es handelt sich zwar um Kampftruppen, aber es ist eine reine Computerübung und daher wird kein einziger richtiger Schuss fallen.“ (Süddeutsche Zeitung 15.1.2003)

Bundeswehr entlastet US-Armee

Seit 24.01.2003 hat die Bundeswehr den »Schutz« von ca. 100 US-Militäreinrichtungen in Deutschland übernommen. Zuerst hieß es, dass 7.000 Bundeswehrsoldaten bis zu 2 Jahre (!) die US-Einrichtungen „gegen mögliche Terroranschläge sichern“ sollten. Dies wäre der bisher größte und längste Unterstützungseinsatz der Bundeswehr gewesen. Dieser Plan führte zu enormer Unruhe bei Bundeswehr-Offizieren, die befürchteten, dass „der Ausbildungsbetrieb in weiten Teilen der Truppe zum Erliegen komme und die Bundeswehr durch den wenig fordernden Wachdienst weiter an Professionalität verliere. Nach ersten Berechnungen werde nahezu jeder Wehrdienstleistende länger als einen Monat Wache schieben müssen.“ (Reuters, 19.01.2003)

Die ursprüngliche Absicht alle US-Einrichtungen durch die Bundeswehr zu bewachen wurde dann revidiert. “„Nach Angaben eines Sprechers der US-Streitkräfte werden deutsche Soldaten insgesamt 59 US-Militärobjekte in Deutschland bewachen.“ (AP, 24. 01.2003) Dazu werden nun insgesamt 2.600 Soldaten der Bundeswehr abgestellt.

Direkte Kriegseinbindungen Deutschlands

Während des Bundestagwahlkampfes erklärte der neue Verteidigungsminister Peter Struck, dass die im Rahmen des Mandates »Enduring Freedom« in Kuwait stationierten ABC-Abwehrpanzer und Soldaten bei einem Angriff der USA auf den Irak und der „Gefahr in eine kriegerische Auseinandersetzung gegen den Irak verwickelt“ zu werden abgezogen werden müssten. (Berliner Zeitung 30.08.2002) Doch offensichtlich war an einen tatsächlichen Abzug nie gedacht. Nach der Bundestagwahl fand Peter Struck plötzlich einen Abzug als „außenpolitisch fatal“. Am 15.11.2002 wurde einer Verlängerung der Stationierung der ABC-Soldaten in Kuwait im Bundestag zugestimmt. Inzwischen soll nach einer Initiative des Generalsinspekteurs der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, das Kontingent der ABC-Abwehrsoldaten aufgestockt werden, von bisher 59 auf mindestens 200 Bundeswehrsoldaten.

Inzwischen haben die Besatzung der AWACS (Airborne Early Warning and Control System) den Befehl erhalten über der Türkei Überwachungsflüge durchzuführen. Offiziell geht es um Hilfe für den NATO-Partner Türkei. Ein drittel der AWACS-Besatzungen sind Bundeswehrsoldaten. Gerhard Schröder meint: „Deutsche Soldaten werden sich an allem beteiligen, was den Schutz des Bündnisgebietes bedeutet, aber an nichts, was eine Kriegsbeteiligung bedeutet“ (ZDF, 24.01.2003). Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer sekundiert: „Wir haben eine ganz klare Grenze gezogen: Beteiligung an AWACS-Flügen zur Bündnisverteidigung ist gedeckt. Beteiligung an AWACS-Flügen, die als Feuerleitzentrale für Angriffe in Irak dienen, ist nicht gedeckt.“ Das ganze hat einen Haken: Es funktioniert nicht. Militärfachleute und Militärs sind sich einig, die Bundeswehrsoldaten sind bei Beginn eines Krieges in diesen involviert.

Für die Kriegsbeteiligung der AWACS-Soldaten gibt es mindestens zwei Szenarien: Erstens die Beteiligung der Bundeswehrsoldaten an der Zielplanung, durch die Überwachung des Irak, der im Einzugsgebiet (500 km) der AWACS-Flugzeuge liegt und zweitens durch Überwachung der illegalen von den USA und Großbritannien ausgerufenen Flugverbotszonen. Der kritische Bundeswehroberstleutnant Jürgen Rose schreibt dazu: „Die gegenüber einer skeptischen Öffentlichkeit bereits vorauseilend getroffene Zusicherung, das AWACS-System würde nur defensiv zum Schutze des Luftraumes der Türkei eingesetzt, ist unter den operativen Aspekten eines Luftkrieges völlig irreal und stellt eine grobe Irreführung dar.“ (Freitag 14.02.2003)

Hinzu kommt, dass Verteidigungsminister Peter Struck den USA im Januar 2003 angeboten hat, verletzte US-Soldaten bei einem Irakkrieg zu versorgen und mit Lazarett-Airbussen (Airbus A 310 MRT MedEvac) der Bundeswehr aus der Kriegsregion ausfliegen zu lassen. Nachdem z.B. die deutsche Bischofskonferenz klar formuliert hat, dass Präventivkriege eine Aggression sind, ist diese medizinische Hilfe nichts anderes als Hilfe für den Aggressor.

Schlussfolgerungen

Das deutsche »Nein« zu einem Irakkrieg ist wichtig, aber es ist nicht so eindeutig, wie es aufgrund der Medienberichterstattung erscheint. Diplomatisch gegen den Krieg – militärisch Hilfe für den Aggressor. Ist das die tatsächliche Position der Bundesregierung? Warum diese doppelzüngige oder halbherzige Politik? Will sich die Bundesregierung zwei Optionen offen halten? Der weltpolitische Aufstieg Deutschlands wurde unter der rot-grünen Bundesregierung bisher schwerpunktmäßig mit militärischen Mitteln organisiert. Jetzt wird er ergänzt – und zwar effektiver als bisher – durch eine diplomatische Offensive. Diese soll aber offensichtlich bewusst militärisch flankiert werden. Dazu dient die Übernahme der Lead-Nation-Funktion in Kabul bei ISAF und beim Einsatz in Mazedonien. Dazu dienen auch die Planungen bezüglich einer EU-Interventionstruppe mit 60.000 Mann und das neue Bundeswehrkonzept. Bei den im Frühjahr vorzulegenden neuen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« soll das Präventivkriegskonzept eine wichtige Rolle spielen.

Durch die militärische Hilfe für einen amerikanischen Aggressionskrieg gegen den Irak will sich die Bundesregierung offensichtlich auch die Option einer Teilnahme bei einer Nachkriegsordnung offen halten (FAZ 26.09.2002). Der US-amerikanische Außenminister Colin Powell hat Deutschland dazu inzwischen ja auch explizit aufgefordert: „Wenn erst einmal die Massenvernichtungswaffen zerstört sind, hat Deutschland also noch eine wichtige Rolle zu übernehmen“ (Hamburger Abendblatt, 05.03.2003)

Ohne die Transporte und Überflüge über Deutschland, ohne die aktive Unterstützung durch Deutschland wäre die Kriegsvorbereitung für die Regierungen der USA und Großbritanniens sehr viel schwerer gewesen. Deutschland ist auch als Nachschubbasis bei einem Krieg gegen den Irak zentral, deshalb muss auch hier der Widerstand ansetzen.

Tobias Pflüger ist Redaktionsmitglied von Wissenschaft und Frieden, Vorstandmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von attac.

Krieg

Krieg

Am 20. März haben die USA den Irak überfallen

von Jürgen Nieth

In bisher nicht gekannter Dreistigkeit haben sie sich hinweggesetzt

  • über die deutliche Mehrheit der Internationalen Staatengemeinschaft,
  • über den Willen der Weltbevölkerung, der sich in unzähligen Friedensdemonstrationen manifestierte,
  • über die Voten der christlichen Kirchen,
  • und selbst über die Bilanzen der von den USA mit eingesetzten UN-Inspekteure.

Nachdem die Bush-Regierung weder mit Bestechung noch Drohung in der UNO eine Legitimation für diesen Kriegskurs durchsetzen konnte, hat sie bewusst das Völkerrecht gebrochen.

Es ist der zweite Waffengang im Rahmen des angekündigten Jahre dauernden »Krieges gegen den Terror«. Doch der Irak wurde angegriffen, obwohl – im Gegensatz zu Afghanistan – keinerlei Verbindungen zu Al Qaida existierten und obwohl es für die angebliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen keinerlei Beweise gab. Es bedarf keiner Phantasie um vorauszusagen, dass die irakische Zivilbevölkerung, die seit Jahren unter dem Embargo leidet, auch die Hauptlasten dieses Krieges zu tragen hat. Internationale Hilfsorganisationen rechnen mit Zehntausenden Toten und Hundertausenden Flüchtlingen.

Die deutsche Regierung hat – nach anfänglichem Schwanken – auf der internationalen Bühne eine klare Antikriegsposition bezogen. Sie hat einen deutlichen Anteil daran, dass eine Mehrheit der Regierungen im UN-Sicherheitsrat nicht vor dem Druck der US-Regierung zurückgewichen ist. Das verdient Anerkennung, diese Politik hat dem Ansehen unseres Landes gut getan. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass dieser Krieg auch von deutschem Boden aus vorbereitet wurde:

  • Über die Flugplätze Frankfurt, Ramstein und Spangdahlem wurden Kriegsmaterial und Soldaten an den Golf verlegt;
  • deutsche Häfen und Bahnhöfe waren Zwischenstation für die Reise in den Krieg;
  • die europäische Kommandozentrale der US-Armee in Stuttgart (EUCOM) koordiniert Nachschub für die Kriegführung.

Bisher haben sich verantwortliche Politiker damit rausgeredet, dass man die »Verbündeten« nicht kontrollieren könne, dass es nur um den Aufbau einer »Drohkulisse« gehe, um Saddam Hussein zur Abrüstung zu zwingen. Einige hatten wohl auch mit einem UN-Mandat gerechnet.

Diese Zeit ist vorbei! Jetzt steht fest: Die USA und Großbritannien führen einen Angriffskrieg! Die Unterstützung eines Angriffskrieges ist aber durch das Völkerrecht und auch durch das deutsche Grundgesetz verboten.

Dem Antikriegskurs auf internationaler Ebene müssen dementsprechend auch national Taten folgen:

  • Keine Überflugrechte für die US-Luftwaffe während des Irakkrieges,
  • Rückzug der deutschen Besatzungen aus den AWACS-Flugzeugen, da diese für die Luftkriegsführung der USA genutzt werden können,
  • Rückzug der Spürpanzer Fuchs aus Kuwait.

Der neue Irakkrieg dokumentiert die Bereitschaft der US-Regierung, notfalls gegen den »Rest der Welt« die eigene Position durchzusetzen. Bush und die hinter ihm stehende ideologisch-fundamentalistische Clique scheinen wild entschlossen zu sein, mit ihrem »Weltbild« die ganze Welt beglücken zu wollen. Und die nächsten Kriege sind bereits eingeplant.

Aber es ist noch keine anderthalb Jahre her, dass fast alle Regierungen den USA ihre Solidarität im Antiterrorkampf versicherten. Heute haben die USA diese Position eingetauscht gegen die einer vulgären Kriegsmacht, die gerade mal eine Hand voll »Williger« um sich scharren kann, die allesamt zu Hause die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich haben.

Die gegenwärtige Situation zeigt damit einerseits die Gefahren, die auf uns zukommen, wenn Fanatiker mit einem geschlossenen Weltbild über dominierende militärische Macht verfügen.

In dieser Situation werden andererseits aber auch die Chancen deutlich:

Bushs Pläne für einen lang anhaltenden »Kreuzzug« können durchkreuzt werden.

Das Engagement eines Jeden ist gefordert – für eine sofortige Einstellung der amerikanischen Kriegshandlungen, für die zivile Lösung von Konflikten.

Das millionenfache Nein zum Krieg, die Verstärkung des Widerstandes auf allen Ebenen, auch der der Regierungen, die nicht bereit sind, sich in eine totale Abhängigkeit von den USA zu begeben, wird den Boden dafür vorbereiten, dass die »Stärke des Rechts« letztendlich über das von den USA demonstrierte »Recht des Stärkeren« dominieren wird.

Bonn, den 21. März 2003
(Jürgen Nieth)
Verantw. Redakteur

Game Over?

Game Over?

Macht, Wahrheit und Demokratie im Irakkonflikt

von Jürgen Scheffran

„The Game is Over – Das Spiel ist aus“ Mit dieser Botschaft versuchte US-Präsident George W. Bush im Februar 2003 der Welt zu signalisieren, das Spiel des irakischen Diktators Saddam Hussein sei vorbei. Es gebe nichts mehr zu diskutieren, weitere Verhandlungen und Inspektionen seien überflüssig, die Kriegsmaschine sei nicht mehr zu stoppen. Das für beendet geglaubte Spiel entwickelte sich jedoch für die US-Regierung anders als erwartet. Zwischen den beiden Kontrahenten entwickelte sich die Weltgemeinschaft zu einem dritten Spieler, der die Bedingungen des Spiels zunehmend mitbestimmte. Statt seine Kritiker zu isolieren, geriet Bush durch sein kompromissloses Vorgehen zunehmend selbst in die Defensive. Bei Redaktionsschluss dieses Artikels, am 10. März 2003, ist nicht abzusehen, ob das Zusammenspiel weltweiter Proteste mit diplomatischen Initiativen reicht, um den Krieg tatsächlich zu verhindern oder ob die Bush-Administration gegen die »Weltmeinung« den Krieg startet. Wie die Entwicklung auch aussehen mag, wichtige politische Parameter haben sich in diesen Wochen verschoben: Der Versuch der USA, über den Hebel des Irakkrieges eine globale Hegemonie zu errichten, kann in das Gegenteil umschlagen, den Widerstand dagegen beflügeln und den Machtspielen der USA Grenzen setzen.
Seit George W. Bush das Weiße Haus in seine Gewalt gebracht hat, gilt ein einfaches Prinzip: Der Stärkste entscheidet allein nach Maßgabe der eigenen Interessen und wenn nötig unter Einsatz aller verfügbaren Machtmittel. Da der Starke und Siegreiche zugleich der Gute ist, wird das eigene Handeln per Definition für legitim erklärt. Das Beharren auf Rechtsnormen, die den Machteinsatz beschränken, wird dagegen als unzulässige Einengung der eigenen Handlungsfähigkeit diskreditiert. Verhandeln darf moralisch gutes Handeln nicht in Frage stellen, allenfalls rechtfertigen. Abweichende Ansichten sind Ausdruck von Schwäche, im schlimmsten Falle ein Indiz für offene Feindseligkeit gegenüber den USA.

Unipolare versus multipolare Weltordnung

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, sagt Bush, und er meint dies ernst. Das bekommen nicht nur Terroristen und Schurkenstaaten zu spüren, die zur Achse des Bösen gerechnet werden, sondern auch jene Freunde aus dem »Alten Europa«, die offen Kritik üben und daher in einem Atemzug mit Kuba und Libyen genannt werden (so Verteidigungsminister Donald Rumsfeld).

Doch trotz massiven Drucks durch die US-Regierung ließ sich die Diskussion nicht per Machtwort beenden. Der Widerstand gegen den Irakkrieg entwickelte sich mit der Serie von Friedensdemonstrationen am 15. Febuar 2003 zum Flächenbrand, der Millionen von Menschen erfasste. Das »Große Spiel« um Macht und Öl auf den Schachbrettern des Nahen Ostens und Zentralasiens, von dem Zbigniew Brzezinski geschwärmt hatte, geriet für die USA politisch außer Kontrolle, im Sicherheitsrat kam es wochenlang zu einer Pattsitution.

Es geht dabei nur vordergründig um einen Kampf zwischen der von Hobbes geprägten starken Kriegsmacht USA und einer sich auf Kant berufenden schwachen Friedensmacht Europa, wie der US-Politologe Robert Kagan suggeriert.1 Im Kern stehen sich zwei widerstreitende Politikkonzepte für die Zukunft der Menschheit gegenüber, die auf allen Kontinenten Anhänger und Gegner haben:

  • Das Konzept einer unipolaren, auf globale Vorherrschaft eines Hegemons setzenden Weltordnung, in dem ein »wohlwollender Diktator« (benevolent dictator) aufgrund seiner überlegenen Macht für Ordnung sorgt;
  • und das Konzept eines eher multipolaren Systems internationaler Beziehungen, in dem widerstreitende Interessen in Verhandlungen und Regimen einen Ausgleich finden und wechselnde Koalitionen zu bestimmten Fragen ein Korrektiv zur Eindämmung hegemonialer Machtansprüche bilden. Dies gilt insbesondere für die Verteidigung und Durchsetzung elementarer völkerrechtlicher Normen, um ungezügelter Gewaltausübung Einhalt zu gebieten.

Spiele der Macht

Um die »Machtspiele« um den Irak einzuordnen, kann die Spieltheorie als Bezugsrahmen dienen, die sich seit der ersten Veröffentlichung durch den ungarischen Mathematiker John von Neumann von 1929 als Theorie strategischer Interaktionen etabliert hat. Angestoßen durch den Zweiten Weltkrieg und verstärkt durch den Kalten Krieg erlebte die Spieltheorie in den fünfziger und sechziger Jahren eine Blüte in den militärisch geprägten Think Tanks der USA, in denen Kriegsszenarien aller Art »durchgespielt« wurden, vor allem der Atomkrieg der beiden Supermächte.

Dass die Spieltheorie zunächst auf Zwei-Personen-Spiele beschränkt war, liegt nicht nur in der historischen Situation des Ost-West-Konflikts begründet, sondern auch darin, dass das mathematische Handwerkszeug nicht ausreichte, um komplexere Situationen mit mehr als zwei Akteuren (Spielern) und zwei Handlungsoptionen zu beschreiben. So beschäftigt sich ein großer Teil der Literatur mit vergleichsweise einfachen Spielen, allen voran mit dem Nullsummenspiel, in dem der Gewinn des einen Spielers automatisch zu einem Verlust für den zweiten Spieler führt (womit ein Kompromiss ausgeschlossen ist). Besonders populär wurde das Gefangenendilemma, bei dem zwei Spieler sich wie Kriminelle gegenüber dem Sheriff gegenseitig beschuldigen, eine Tat begangen zu haben, statt dicht zu halten, also miteinander zu kooperieren und damit der Strafverfolgung zu entgehen. Bekannt wurde das Chicken-Spiel (engl. für Feigling) durch den Film »…denn sie wissen nicht was sie tun« mit James Dean. Hier rasen zwei Jugendliche mit ihren Autos auf eine Klippe zu, und derjenige verliert, der als erster anhält.

Während das Nullsummenspiel als Vorbild dient für die Verteilung einer knappen Ressource, die nur eine einzige Person am Leben hält, wurde das Chicken-Spiel auf traurige Weise berühmt in der Kuba-Krise, als die Militärmaschinerien der atomar gerüsteten Supermächte scheinbar blindlings aufeinander zurasten und keiner als erster anhalten wollte, um nicht das Gesicht zu verlieren. Zum Atomkrieg kam es glücklicherweise nicht, weil die Regierungschefs die Automatik durch Kommunikation in letzter Sekunde außer Kraft setzten.

Kommunikation und Lernen – Wege zur Kooperation

Das Gefangenen-Dilemma wurde dagegen zum Paradigma für das Wettrüsten des Kalten Krieges, in dem die einseitige Aufrüstung (also die Nichtkooperation) einen individuellen Vorteil erwarten ließ gegenüber beiderseitiger Abrüstung. Ein Ausweg eröffnete sich erst nach der Kuba-Krise durch die Einsicht, dass eine durch Absprachen gegenseitig kontrollierte Rüstungsdynamik billiger und weniger riskant ist als das freie Spiel der Kräfte. Trotz weiterhin erbitterter Systemkonkurrenz konnte das Gefangenendilemma in Richtung Kooperation partiell überwunden werden durch Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge.

Die Vereinten Nationen verkörpern den Versuch, durch Kommunikation und Verhandlungen, durch Völkerrecht und die mit Sanktionen versehene Kontrolle im System internationaler Beziehungen Kooperation durchzusetzem, die allen Staaten zugute kommt. Bislang fehlen der UNO allerdings geeignete Kontroll- und Sanktionsmittel und die erforderliche Macht zur internationalen Durchsetzung von Völkerrecht. Neben dem Entscheidungsinstrument Sicherheitsrat, in dem das Vetorecht der fünf Atommächte einen Konsens in wichtigen Fragen erfordert, bedürfen der internationale Strafgerichtshof und vor allem die Schaffung einer internationalen Polizei noch der weiteren Entwicklung. Solange dies nicht der Fall ist können die Mächtigen Recht setzen bzw. wieder beseitigen.

Weitere Bedingungen für die Evolution von Kooperation hat der amerikanische Politologe Robert Axelrod untersucht. Zu Beginn der achtziger Jahre organisierte er ein Computerturnier, in dem Wissenschaftler das Gefangenendilemma wiederholt gegeneinander spielten und dabei am Ende ausgewert wurde, welche interaktive Spielstrategie den größten Erfolg erzielte. Bemerkenswerterweise erwies sich die einfachste als die erfolgreichste, die von dem kanadischen Konfliktforscher Anatol Rapoport eingesetzte Strategie »Tit for Tat« (Wie Du mir so ich Dir). Demnach ahme ich das Verhalten meines Gegenspielers nach: Ich kooperiere beim ersten Mal und tue dann genau das, was der Gegner beim letzten Mal getan hat. Eine Voraussetzung dieser Strategie ist die Reaktion auf das beobachtete Verhalten des Mitspielers, was eine gewisse Lernfähigkeit voraussetzt. Wenden beide Spieler diese Strategie an und hat ein Spieler einmal mit der Kooperation begonnen, bleiben beide auf dem Pfad der Tugend. Allerdings ist das Wechselspiel instabil: wenn einer der beiden auch nur einmal nicht kooperiert oder auch nur den anderen dessen verdächtigt, kippt die Lage um und die Freundschaft ist am Ende.

Bei Abwandlungen der Spielsituation anfang der neunziger Jahre hat sich gezeigt, dass in anderen Konstellationen solche Strategien auf Dauer erfolgreicher sind, die adaptiver und lernfähiger sind, eine gewisse Geduld und Fehlertoleranz aufweisen. Stures Beharren auf einer Position, die nicht in Frage gestellt wird und keinen Lernbedarf sieht, wie Bush in der Irakkrise, ist auf Dauer nicht erfolgreich. In der Selektion gibt es kein Verhaltensmuster, dass in allen sozialen Situationen immer das beste ist. Am erfolgreichsten ist derjenige, der aus der Interaktion mit anderen den größten Vorteil zieht, was zum gegenseitigen Vorteil, aber auch zur Ausnutzung anderer führen kann.2

Herrscher und Diener

Die US-Regierung versuchte den Eindruck zu erwecken, es ginge in der Irakfrage um einen Konflikt zwischen der irakischen Führung und dem Rest der Welt, wobei die USA sich lediglich zur Durchführung von Strafmaßnahmen anbieten. Der Konflikt sollte als Nullsummenspiel erscheinen, indem jedes Zugeständnis an Saddam automatisch als Verlust für die Welt dargestellt wird. Dabei gibt es durchaus Szenarien, unter denen die Abrüstung des Irak (das vorgebliche Ziel der USA) vereinbar wäre mit einem Fortbestehen des existierenden Regimes (dem Interesse Saddams) und den Forderungen der Weltgemeinschaft nach Kriegsverhinderung und Abrüstung im Irak. Eine solche Win-Win-Win-Situation, die bei Fortführung der Inspektionen denkbar wäre, wird jedoch von den USA kategorisch abgelehnt. Dies lässt vermuten, dass andere Motive eine größere Rolle spielen.

Anstelle der genannten symmetrischen Spieltypen erscheint im aktuellen Irakkonflikt ein asymmetrischer Spieltyp adäquater zu sein, der das eklatante Missverhältnis zwischen der Übermacht der USA und der Schwäche des Irak besser repräsentiert. Demzufolge wäre ein Spieler absolut dominant, während der andere nur die Wahl hat, dem ersten Spieler zu Diensten zu sein und damit dessen Wohlwollen zu erringen, oder aber den Dienst zu verweigern, mit dem Risiko eines inakzeptablen Verlusts (im schlimmsten Fall des eigenen Todes). In diesem Herrscher-Diener-Verhältnis gibt es jeweils eine kooperative Verhaltenskombination (Belohnung für Dienst) und eine nicht-kooperative (Strafe für Dienstverweigerung).

Das Verhältnis zwischen Saddam Hussein und den USA kam einem Herrscher-Diener-Verhältnis zeitweise recht nah. Seit Saddams Machtergreifung im Irak wurde er von den USA unterstützt und als Verbündeter in der Golfregion aufgebaut, vor allem um das Chomeini-Regime im Iran militärisch in Schach zu halten. Schon damals hatten US-Politiker, die heute wieder in der Regierung sitzen, wie Donald Rumsfeld, zum Irak ein enges Verhältnis und vermittelten der US-Rüstungsindustrie wie auch der Ölindustrie lukrative Aufträge. Ein Nebeneffekt war, dass Saddam zunehmend an Einfluss gewann und den USA ins Gehege kam. Die militärische Strafaktion erbrachte einen Sieg für George Bush Sen. über Saddam und den Kräften hinter Bush enorme Gewinne: Einen gewaltigen Rüstungsschub, ein dauerhaftes militärisches Standbein in der Golfregion und ein vorzeitiges Ende der Diskussion über eine Friedensdividende nach dem Zerfall des Warschauer Paktes. In den folgenden Jahren durfte Saddam als Feindbild für die Achse des Bösen herhalten, um nun in einem letzten Akt Bushs Sohn mit einem Angriffskrieg zu erlauben, die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA zu exekutieren. Paradox erscheint, dass Saddam den USA nicht nur im kooperativen Falle zu Diensten war, sondern selbst noch mit seinen Untergang der Bush-Regierung einen Gefallen tut, allerdings ohne dies zu wollen.

Wahrheitsfindung – Die Welt als dritter Spieler

Anders als von den USA erwartet blieb das Katz-und-Maus-Spiel mit Saddam nicht auf zwei Akteure beschränkt. Da ein Teil der US-Regierung an einer Legitimierung des Krieges durch den Sicherheitsrat interessiert war, um einer Kritik in den USA entgegenzuwirken, kamen weitere Akteure ins Spiel, die den Gang der Dinge beeinflussten: Zum einen die dem Sicherheitsrat angehörenden Regierungen, zum anderen die Weltöffentlichkeit, die diese Regierungen unter Druck setzen konnte.3 Indem die USA so von den Handlungen anderer Akteure abhängig wurden, war das Herrscher-Diener-Spiel nicht mehr einfach durchzusetzen. Für den Irak eröffneten sich neue Möglichkeiten, durch Abrüstung den Kriegskurs der USA in Schwierigkeiten zu bringen. Hätte der Irak nicht die Chance gesehen, einen Krieg noch zu verhindern, hätte er auch keinen Anreiz zur Beseitigung seiner Waffen gehabt, die er im Kriegsfalle ja braucht. Allein die Drohung mit Waffengewalt hätte Saddam wohl nicht zum Einlenken gebracht.

Argumentativ konnten die USA die Weltöffentlichkeit nicht überzeugen. Für die von Bush über Wochen wiederholten Behauptungen, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge und eine massive Bedrohung darstelle, konnten keine Beweise erbracht werden. Auch gelang es der US-Regierung nicht, mit der geforderten »Umkehrung der Beweislast« ein Rechtsprinzip zu internationalisieren, das im Zweifel gegen den Angeklagten spricht. Da ein Nachweis vollständiger Abrüstung von niemandem absolut sicher erbracht werden kann, auch nicht vom Irak, kam dies einer sicheren Vor-Verurteilung durch die USA gleich, was auch immer der Irak letztlich tun würde.

Nachdem auch die Inspektoren im Irak keine Beweise für einen Bruch der Resolution 1441 erbringen konnten, versuchte die US-Regierung die Wahrheit den Machtverhältnissen anzupassen. Verschiedene Mitglieder der Bush-Administration warfen dem Irak über Wochen hinweg Verstöße vor, ohne hierfür Belege vorzulegen, die von den UN-Inspektoren überprüfbar gewesen wären.

So blieb auch dem Leiter des UN-Inspektionsteams im Irak, Hans Blix, nichts anderes übrig, als in seinem Bericht vom 7. März die bisherigen Erfolge der Inspektionen deutlich zu machen und den Wert der von den USA vorgelegten Informationen anzuzweifeln. Der Vertreter der internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed ElBaradei bezeichnete gar das von den Geheimdiensten übermittelte Material zur Überführung des Irak als weitgehend gefälscht.4

Macht und Kontrolle

Der Irakkonflikt zeigt aufs Neue, dass politisches Handeln ohne die Dimension der Macht nicht hinreichend zu verstehen ist. Trotz seiner großen Bedeutung ist der Machtbegriff in der Politikwissenschaft aber vieldeutig geblieben.5 Nach der oft zitierten Definition von Max Weber bedeutet Macht „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.‘‘6 Häufig wird das Wort »auch« vernachlässigt, womit dann all jene Fälle ausgeschlossen sind, in denen der eigene Wille nicht nur gegen, sondern mit anderen Akteuren gemeinsam und kooperativ durchgesetzt werden kann. Entsprechend wird Macht oft auf Zwang, Kontrolle oder gar Gewalt reduziert, wie etwa bei Hans Morgenthau, wonach Macht alles umfasst, was die „Kontrolle des Menschen über den Menschen“ bewirkt.7 Eine wichtige Voraussetzung von gesellschaftlicher Macht ist die Fähigkeit zur Veränderung, „das Vermögen von sozialen Akteuren, auf die Welt verändernd einzuwirken bzw. einwirken zu können.“ Dafür sind Machtmittel erforderlich, also „die Gesamtheit aller Kräfte und Mittel, die einer Person oder Sache gegenüber anderen zur Verfügung stehen.“8 Bei aller Vielfalt haben viele Machtbegriffe einen gemeinsamen Kern, der vielleicht so zusammengefasst werden kann: Macht ist die Fähigkeit in einem sozialen Kontext etwas tun zu können, wenn man es will, aber es nicht tun zu müssen. Die Fähigkeit zur Macht und die Freiheit von der Macht gehören zusammen.

Die Fähigkeit eines Akteurs A, einen anderen Akteur B dazu zu bringen, etwas zu tun, was A will und B sonst nicht tun würde, kann nach Bueno de Mesquita auf verschiedenen Wegen erreicht werden:9 durch Überzeugungskraft, durch Belohnung und Strafe, oder aber durch direkten Zwang. Nachdem es der US-Regierung argumentativ nicht gelungen war Mehrheiten für einen Irakkrieg zu bekommen, verlagerte sie sich zunehmend darauf, die anderen Wege zu verstärken und mit einer Kombination von Zuckerbrot und Peitsche (Belohnung und Strafe) Regierungen auf ihre Seite zu ziehen bzw. in die Enge zu treiben. Die deutsche Bundesregierung wurde massiv unter Druck gesetzt, unterstützt durch Helfershelfer aus Politik und Medien, die Schröder eine internationale Isolierung vorwarfen, obwohl er international wohl noch nie so angesehen war wie zur Zeit. Auch Frankreich geriet unter Beschuss, der Boykott französischer Produkte wurde im US-Kongress diskutiert. Erfolgreich war die massive »Lobbyarbeit« der USA bei den europäischen Staaten, die sich von einer Solidaritätsaddresse an die USA wohl mehr versprachen als von einer gemeinsamen europäischen Position. Für ein ähnliches Vorgehen der USA gegenüber anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates gibt es deutliche Anzeichen, einige werden womöglich einen hohen Preis zahlen müssen, wenn sie gegen die USA stimmen.10

Koalition und Gegenkoalition

Die Spieltheorie tut sich mit der Frage der Macht schwer, denn Macht kann direkt in die Interessenstruktur von Menschen eingreifen, um sie zu einer gewünschten Handlung zu veranlassen, die sie ohne den Machteinsatz nicht wählen würden. Durch Machteinsatz oder -androhung kann die Position von Akteuren soweit in eine bestimmte Richtung verschoben werden, dass diese eine dem Mächtigen zuträgliche Koalition bilden oder eine von diesem gewünschte Handlung ergreifen, die ihrem ursprünglichen Interesse zuwider läuft. Dies wäre etwa der Fall, wenn sich Kriegsgegner im Sicherheitsrat genötigt sehen, für einen Waffengang zu stimmen, weil sonst ihre volkswirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht. Wenn also der Einsatz von Machtmitteln Handlungsoptionen blockieren oder schaffen kann und die Gewinne oder Verluste beeinflusst, können Spiele nach Belieben manipuliert und gesteuert werden, einschließlich der Spielregeln. Das Spiel würde angesicht der Vielfalt der Optionen hochkomplex.

Da Macht situationsabhängig ist, tut sich die Wissenschaft schwer, den Machtbegriff klarer zu fassen. Zwar wurden eine Reihe mathematischer Machtindizes definiert, doch gelten diese (wie der Shapley-Wert) nur für ganz spezielle Abstimmungssituationen, repräsentieren aber in vielen Fällen nicht die reale Macht.11 Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Handlungsmacht der Akteure, also ihren Eingriffsmöglichkeiten in der Welt, und ihrer Macht in Verhandlungen und Abstimmungen, bei denen eine Gruppe von Akteuren eine gemeinsame Entscheidung treffen soll. Zwischen beiden gibt es eine enge Kopplung, denn der Einsatz oder die Androhung von Handlungsmacht kann die Positionen von Akteuren in Verhandlungen beeinflussen. Hier geht es vor allem darum, eine hinreichend starke Koalition für einen Konsens zu finden, die sich gegenüber konkurrierenden Koalitionen durchsetzt.12 Eine Koalition ist dann nicht stabil, wenn ihrer Mitglieder durch Koalitionswechsel einen Vorteil erzielen bzw. von der Macht einer anderen Koalition stärker angezogen werden.

Im Falle des Irak ging es den USA um die Schaffung einer Koalition, die den Krieg legitimiert. Die Ausgangsbedingungen verschlechterten sich, als Frankreich, Deutschland und Russland eine Gegenkoalition eröffneten, so dass nun nicht mehr nur die USA im Verbund mit Großbritannien und Spanien um die verbleibenden Mitglieder des Sicherheitsrates buhlten. Der Streit entwickelte sich zunehmend zu einer Prestigefrage und verselbständigte sich vom ursprünglichen Anlass des Irakkonflikts. Alle Akteure pokerten hoch und riskierten dabei ihre eigene politische Existenz, wie etwa Tony Blair, der im eigenen Land unter massiven Beschuss geriet. Das größte Versagen von Bush besteht darin, dass er die nach dem 11. September weltweite Solidarität mit den USA, die in der Anti-Terror-Koalition ihren Ausdruck fand, im Irak verspielt hat.

Gewalt und Schwäche

Während für George W. Bush der Einsatz von Gewalt ein Zeichen von Stärke ist, lässt sich umgekehrt argumentieren, dass die physische Zerstörung von Gegenspielern kein legitimes Machtmittel ist, dass Krieg eher Ausdruck des Scheiterns politischer Macht ist, ja ein Zeichen von Schwäche, weil Ziele auf anderem Wege nicht mehr erreicht werden können. Dies trifft etwa auf den Diener zu, der seinem Herrn in einem geeigneten Moment den Kopf einschlägt, um sich für dessen ungerechtfertigte Machtausübung zu rächen, selbst wenn er dafür den eigenen Tod in Kauf nimmt. Wäre dies schon ein Zeichen von Macht, dann hätte jedes Individuum enorme Macht, weil es als Selbstmordattentäter den Tod von hunderten von Menschen verursachen kann. Hier ist es wichtig, nicht allein auf die Mittel zu schielen, sondern die Ziele des Machteinsatzes im Blick zu behalten, also das eigene Wollen. Es geht darum, Situationen entgegenzuwirken, in denen Menschen ihre eigene Vernichtung oder die Vernichtung anderer wollen.

Aus der Tatsache, dass die USA ein Land wie den Irak militärisch besiegen oder vernichten können, folgt noch nicht die Notwendigkeit es zu tun. Wenn allerdings die USA immer mehr Gewaltmittel anhäufen, steigt mit den Möglichkeiten auch die Neigung, diese einzusetzen. Die Zwecke passen sich den Mitteln an. Wer nur über das Instrument des Schwertes als Machtmittel verfügt, versucht damit jedes Ziel zu erreichen, ob es nun zur Zielerreichung geeignet ist oder nicht. Adäquat ist das Mittel des Krieges weder zur Abrüstung des Irak noch zur Durchsetzung der Demokratie in Nahost.

Im Falle der USA ist der Griff zur Gewalt im Irak kein Zeichen von Stärke. Nicht zufällig wurde als Ziel eines Militärschlags der Irak ausgesucht, ein militärisch geschwächtes und ökonomisch ausgeblutetes Land. Bei anderen stärkeren Gegnern (wie Nordkorea) sind die USA zurückhaltender, allein schon weil hier höhere Opfer erwartet werden müssen.

Es spricht manches dafür, dass der Anspruch auf globale Kontrolle nach innen und außen, der unter Bush zum Vorschein dringt, ein Ausdruck der Verunsicherung in der US-Gesellschaft ist. Das Streben nach totaler Kontrolle und absoluter Sicherheit, das Heilsversprechen, mit dem Mittel der Gewalt das Böse aus der Welt zu schaffen und dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen, führt in einen dauerhaften Krieg, der kein Ende finden kann, weil das Ziel grundsätzlich unerreichbar ist. Die Grenzen der Macht werden dort offenkundig, wo das Unmögliche versucht wird.

Demokratischer Krieg oder demokratischer Frieden?

Die Machtfragen, die sich am Irakkonflikt entzündet haben, sind von existenzieller Bedeutung für die Zukunft der Demokratie. Wenn die älteste und mächtigste Demokratie der Erde sich anschickt, einen Anspruch auf globale Hegemononie zu erheben, setzt sie demokratische Prinzipien außer Kraft. Der gewaltsame Export der Demokratie westlichen Musters wird das Vertrauen in die Demokratie nicht stärken. Die Grenzen der nationalen Demokratien werden da deutlich, wo ein Land in ein anderes hineinregiert. Wenn mit Hilfe einer immer stärker konzentrierten Macht Mehrheiten manipuliert oder erzwungen werden können, wird Demokratie zum Hüter partikulärer Interessen. Wenn parlamentarische Entscheidungen wie die des türkischen Parlaments gegen die Stationierung von US-Truppen im eigenen Land zur politischen und ökonomischen Destabilisierung führen und nur über die erforderlichen Finanzmittel geredet wird, um eine Zustimmung durchzusetzen, wird das Dilemma deutlich.

Anstelle des demokratischen Krieges muss das normative Konzept eines demokratischen Friedens treten, dass den Demokratien nicht einfach eine prinzipielle Friedlichkeit bescheinigt, sondern die Vorausetzungen für ihre strukturelle Friedensfähigkeit entwickeln hilft. Nur so kann an die Stelle von dauerhaften Kriegen (sustained wars) ein nachhaltiger Frieden (sustainable peace) treten.

Anmerkungen

1) R. Kagan: Macht und Schwäche – Was die Vereinigten Staaten und Europa auseinander treibt, Blätter für deutsche und internationale Politik, Bonn, 10/2002. Siehe auch die Debatte dazu in: Blätter 11/2002.

2) Siehe weiteres in J. Scheffran: Konflikt und Kooperation, Wissenschaft und Frieden, 1/99, S. 31-41.

3) Zu den politischen Konstellationen zu Anfang 2003 siehe B.W. Kubbig (Hrsg.): Brandherd Irak, Campus, 2003.

4) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9. März 2003.

5) Zur Rolle der Macht in den internationalen Beziehungen siehe: David A. Baldwin: Power and International Relations, Stichwort in: W. Carlsnaes, T. Risse, B. Simmons (Hrsg.): Handbook of International Relations, London et.al.: SAGE, 2001, S. 177-191.

6) M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, Tübingen, 1980 (zuerst 1921).

7) H. J. Morgenthau: Politics Among Nations: The Struggle for Power and Peace, Fifth Edition, Revised, New York: Alfred A. Knopf, 1978, pp. 4-15.

8) D. Nohlen: Lexikon der Politik, Band 2: Politikwissenschaftliche Methoden, München: Beck, 1994.

9) B. Bueno de Mesquita: Principles of International Politics, CQ Press, 1999.

10) Zum Vorgehen der USA gegenüber abweichenden Meinungen im Sicherheitsrat siehe: H. von Sponeck, A. Zumach: Irak – Chronik eines gewollten Krieges, Kiepenheuer und Witsch, 2003.

11) Zu den mathematischen Machtindizes siehe etwa M. J. Holler (Hrsg.): Power, Voting, and Voting Power. Würzburg/Wien: Physica, 1982; M. J. Holler etal. (Hrsg.): Power and Fairness, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Mohr Siebeck, 2002. Eine Anwendung des Shapley-Index in Hinblick auf die Vetomacht im UN-Sicherheitsrat siehe W. Kerby, F. Göbeler: The distribution of voting power in the UN, Nova Journal of Mathematics, Game Theory and Algebra, 6 No.1, 1996, S. 55-63.

12) Zur Untersuchung solcher Fragen siehe die Ansätze in: J. Scheffran: Power Distribution, Coalition Formation and Multipolar Stability in International Systems: The Case of Southeast Europe, in: G. M. Dimirovski (Ed.): Conflict Management and Resolution in Regions of Long Confronted Nations (Proc. IFAC/SWIIS 2000 Workshop in Skopje/Ohrid, Macedonia), Oxford: Pergamon Elsevier Science, 2001, 37-48; F. Göbeler, J. Scheffran: Extended Power Values and Coalition Formation, L. Petrosjan et.al. (eds.): Conference Proceedings der International Society of Dynamic Games (St. Petersburg, 8.-11.7.2002).

Dr. Jürgen Scheffran, Berlin, ist Redakteur von Wissenschaft & Frieden und Mitbegründer des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation.

Anschlag auf die Weltwirtschaft

Anschlag auf die Weltwirtschaft

Gesamtwirtschaftliche Kosten eines Kriegs gegen den Irak

von Rudolf Hickel

Die Interessen der USA-Administration, mit denen der Militärschlag gegen den Irak zu erklären versucht wird, sind sattsam bekannt. Vordergründig geht es um die Demontage von derzeit noch vermuteten Produktionspotenzialen für Massenvernichtungswaffen. Im Zentrum steht der Sturz des unbestreitbar diktatorischen Hussein-Regimes. Die penetrante Reduktion aller möglicher Alternativen, mit denen dieses Ziel erreichbar wäre, auf Krieg, zeigt, es geht ausschließlich um Großmachtinteressen der USA – ohne Rücksicht auf die gesamte Region sowie die Bündnispartner in der Allianz.
Ökonomisch gilt es, den Zugang zu den Ölquellen im Irak wie überhaupt im Nahen Osten zu sichern. Der Irak (15,1 Mrd. Tonnen) verfügt nach Saudi-Arabien (35,4) und vor Kuwait (13,0) über die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Weit vor allen anderen Industrienationen liegt der Ölverbrauch der USA bei 895 Millionen Tonnen pro Jahr. Zwar sprudelt das schwarze Gold immer noch kräftig aus den Quellen der USA. Nach Saudi-Arabien mit 379 Mio. Tonnen sind die USA der zweite große Ölförderer mit 353 Mio. Tonnen. Je stärker jedoch heute die Vorkommen in den ölärmeren Regionen mit Einsatz hoher Kosten genutzt werden, desto entscheidender werden in Zukunft die Vorräte in der arabischen Wüste und umso mehr gewinnt das OPEC-Kartell an politischer Macht. Prognosen gehen bis zum Jahr 2020 von einer Verdreifachung des Ölbedarfs durch die USA aus. Die Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums von Öl ist in den USA extrem hoch, weil auch zum Schaden der Umwelt auf eine Politik der Energieeinsparung und -substitution bisher verzichtet worden ist. Die USA deckt derzeit die Hälfte ihres täglichen Rohölbedarfs aus dem Ausland. Davon stammen 20% aus Ländern am persischen Golf. Allein die tägliche Rohölförderung des Iraks nach Aufhebung der Sanktionen würde ausreichen, den größten Teil des Bedarfs der USA aus dieser Energiequelle zu bedienen. Dabei geht es um die Frage, welche Mineralölfirmen nach dem Krieg gegen den Irak zur Ausbeutung der Ölquellen im Irak zum Zug kommen. Derzeit gibt es Verträge des Iraks mit einem französischen Mineralölkonzern. In den USA wird der französischen Regierung vorgeworfen, die Franzosen widersetzten sich dem Krieg, um die Rechte nicht zu verlieren. Diese Kritik an Frankreich macht die Absichten der US-Administration deutlich. Sicherlich wird die USA alles versuchen, das angestrebte Militärprotektorat im Irak nach dem Krieg zu nutzen, um die Rechte US-Mineralölkonzernen zuzuschanzen.

Die US-Strategie reicht jedoch weltpolitisch weit über das Interesse am Ölstandort Irak hinaus. Wie der Umgang mit den Verbündeten im »alten Europa«, also nach dem US-Sprachgebrauch gegenüber den Ländern, die den durch die USA diktierten Waffengang nicht mitmachen, deutlich werden lässt, George W. Bush demonstriert der Welt, dass die USA als Weltpolizei in den kommenden Jahren ohne Rücksicht auf die Verbündeten schalten und walten wollen. Dafür wird die auch die Destabilisierung Europas sowie im Nahen Osten in Kauf genommen.

Kriegskosten berechnen und verkünden

Die ökonomischen Interessen sowie der totalitäre Anspruch auf die Definitionsmacht bei der Lösung von Konflikten in der Welt erklärt wohl auch, warum auf ernsthafte Bewertungen der ökonomischen Folgen eines Krieges gegen den Irak verzichtet wird. Denn, werden die ökonomischen Vor- und Nachteile dieser Kriegsstrategie abgewogen, so fällt das Kosten-Nutzen-Kalkül Ergebnis niederschmetternd aus.

In der Sprache der ökonomischen Entscheidungstheorie werden gegenüber den durch die USA kalkulierten, allerdings selbst gefährdeten profítablen Vorteilen (»Benefits«) des Irak-Kriegs die gesamtwirtschaftlichen Kosten systematisch unterschlagen. Die Rechnungen, die aus dem Pentagon bekannt geworden sind, erfassen nur einen Bruchteil der gigantischen Belastungen, übrigens ausschließlich für die USA. Die katastrophalen Folgen in den vielen anderen Ländern, wie überhaupt für die Weltwirtschaft werden komplett ausgeblendet. Damit bleibt die USA-Administration der alten Tradition treu, mit völlig unterschätzen Kosten Kriege im eigenen Land politisch durchzusetzen. So wurden die Kosten des Korea- und Vietnamkrieges ebenso wie die des ersten Golfkriegs (1990-1991) auf die Erfassung der reinen Militärkosten reduziert. Dabei schreiben Finanzgesetze in den USA vor, zu »öffentlichen Großprojekten« – und dazu zählt dieser Krieg – Kosten-Nutzen-Analysen vorzulegen. Wenn diesem Gesetzesauftrag gefolgt würde, müsste der Aufmarsch ins Kriegsgebiet sofort gestoppt werden. Die Busch-Administration weiß wohl genau, warum sie auf die alt bekannte Verschleierungstaktik setzt. Einigermaßen angemessene Kostenschätzungen könnten die Akzeptanz derartiger Militäraktionen im eigenen Land gefährden. Auf der Basis einer umfassenden Analyse der direkten und indirekten Kosten des Kriegs gegen den Irak würden auch die Drittwirkungen entzifferbar – nämlich die ökonomischen Belastungen vieler Länder wie überhaupt der Weltwirtschaft. Selbst wenn Deutschland hoffentlich dabei bleibt, an diesem Krieg nicht teilzunehmen, die ökonomischen Lasten sind so oder so – wie noch zu zeigen sein wird – enorm. Erst die schonungslose Auflistung der ökonomischen Gesamtkosten zeigt, wer am Ende in welchem Ausmaß an den Lasten beteiligt sein wird.

Also, politisch wie ökonomisch, die Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Kosten eines möglichen Kriegs gegen den Irak ist dringend erforderlich. Auch die Länder, die sich gegen die Teilnahme an diesem Krieg entschieden haben, müssen an der ökonomischen Wahrheit großes Interesse haben. Denn die Entscheidungen der USA lösen über die weltwirtschaftlichen Folgen negative Wirkungen (externe Effekte) aus, denen sich die zwar nicht entscheidenden, jedoch betroffenen Länder nicht entziehen können. Wohl auch um die ganze Wahrheit zu verheimlichen, werden methodische und substanzielle Bedenken gegen die Berechnung von Kriegskosten eingewendet. Diese bekannten eingrenzbaren Schwierigkeiten rechtfertigen jedoch nicht den Verzicht auf die Kalkulation der Kriegskosten. Im Mittelpunkt stehen letztlich nur die monetär bewertbaren Kosten. Die vielen Toten sowie das menschliche Elend durch einen Krieg lassen sich in einer solchen Kalkulation seriös nicht erfassen. Das ökonomische Rechenwerk belegt jedoch die verheerenden Wirkungen auf die ökonomische Wertschöpfung als Basis von Einkommenssicherung und der Arbeitsplätze. Die kurzweiligen ökonomischen Interessen an diesem Krieg werden durch gigantische Gesamtkosten völlig abgewertet. Dabei lassen sich zur Ermittlung der Kriegskosten Untersuchungen zu voran gegangen Kriegen produktiv nutzen. Forschungsarbeiten liegen nicht nur zu allen großen Kriegen vor, sondern auch zu Naturkatastrophen und jüngst zu den ökonomischen Folgen des internationalen Terrors (zu den ökonomischen Folgen des 11. Septembers).

Eine hervorragende Position auf dem Gebiet der Untersuchung der gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen durch Krieg und Frieden nimmt der Begründer der modernen Makroökonomik, John Maynard Keynes, ein. Zu den Klassikern zählt sein im Juni 1919 erschienenes Buch »Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags«. Nach Durchsicht der Verträge von Versailles zeigte er, dass die seitens der Alliierten Deutschland und seinen Verbündeten abverlangten Entschädigungssummen nicht aufbringbar und daher „unklug und selbstmörderisch“ seien. Weitsichtig warnte er vor dem politischen Debakel, in das diese nicht tragbaren Belastungen die Weimarer Republik stürzen mussten. Der Text macht zugleich die hohen Opportunitätserträge eines vermiedenen Krieges deutlich. Die Untersuchung widerlegt auch die heutigen Kriegstreiber, die wohl auch den ökonomischen Verstand verloren haben.

Die einigermaßen korrekte Erfassung der Kosten eines Krieges im Irak ist ausgesprochen komplex und kompliziert. Unterschiedliche, allerdings nur monetär bewertbare Kostenkomponenten sind zu unterscheiden. Da sind die direkten Kosten durch den Militäreinsatz. Deren Höhe hängt von der Länge und Intensität der Kriegsführung ab. Hinzu kommen die Kosten der Schaffung eines Militärprotektorats nach dem Krieg sowie für den Wiederaufbau. Dabei ist auch der derzeitige Zustand von Staat und Wirtschaft im Irak zu berücksichtigen. Schließlich müssen die indirekten Kosten abgeschätzt werden, die die Folgen für die Weltwirtschaft, die USA und die anderen einzelnen Länder erfassen. Hier spielt die Entwicklung des Ölpreises eine strategische Rolle. Die makroökonomischen Belastungen durch einen Ölpreisschock sind enorm. Aber auch Einflüsse auf den Außenwert des US$ und weiterer Wechselkurse sowie auf die Aktienkurse sind innerhalb der gesamtwirtschaftlichen Analyse zu berücksichtigen. Zudem müssen die Reaktionen der Konsumenten, der Investoren sowie der Geld- und Finanzpolitik im makroökonomischen Gesamtkalkül berücksichtigt werden. Dabei wird das Ausmaß all dieser Effekte durch die Länge und Art der Kriegsführung maßgeblich bestimmt. Die methodischen und empirischen Probleme der Erfassung der gesamtwirtschaftlichen Kosten sind unbestreitbar. Es wäre fatal, hier eine Präzision durch die Angabe monetärer Größen vortäuschen zu wollen. Aber die Kenntnis ungefährer Größenordnungen ist dem Verzicht auf Angaben in jedem Fall vorzuziehen.

Analyse der Kriegsfolgen für die USA

Eine umfassende und methodisch anspruchsvolle Abschätzung der volkswirtschaftlichen Kosten eines Krieges mit dem Irak USA hat der renommierte Wirtschaftsprofessor an der Yale-Universität, William D. Nordhaus,1 im Dezember 2002 vorgelegt. Seine Analyse bezieht sich zwar nur auf die ökonomischen Folgen für die USA. Aus diesem Ansatz lassen sich jedoch Anknüpfungspunkte zur Untersuchung der ökonomischen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, aber auch auf Deutschland ableiten. Diese Studie korrigiert auf der Basis des nicht unwahrscheinlichen schlimmsten Falls (»worst case«) die verniedlichenden Angaben zu den Kriegskosten, die aus dem Pentagon in die Öffentlichkeit gedrungen sind. Die offiziellen Bewertungen reduzieren die Kosten auf die direkten Militärausgaben. Auch die Untersuchung der »Democratic Staff of the House Budget Committee« (House Study) unterschätzt die Gesamtkosten mit der angegebenen Spanne von 48 und 60 Mrd.$. Die Schätzbasis bilden die Preise aus den Angaben zum ersten Golfkrieg, die korrigiert werden (»top down«-Methode). Im ungünstigsten Fall geht das New War A-Szenario von einer kurzen Dauer des Krieges aus (30 Tage Kämpfe und 2 ½ Monate Nachkriegspräsenz). Bei der Untersuchung durch das »Congressionell Budget Committee« (CBO-Studie) wird die Kostenschätzung auf der Basis der wichtigsten Komponenten vorgenommen (»bottom up«- Methode). Die Gesamtkosten belaufen sich im angenommenen ungünstigen Falle auf 44 Mrd.$.

In einem ersten Schritt sollen nachfolgend die Untersuchungsergebnisse von William D. Nordhaus, die sich ausschließlich auf die USA beziehen, zusammengefasst werden. Anschließend werden die ökonomischen Folgen eines Kriegs gegen den Irak auf Deutschland zu spezifizieren versucht.

William D. Nordhaus fasst in seiner Studie die direkten und indirekten Kosten zusammen. Dabei unterscheidet er zwischen den drei Szenarien: bad case, worse case, worst case (vom minimalen bis zum maximalen Kriegsfall). Aus den durchgerechneten Szenarien ergibt sich eine Bandbreite an volkswirtschaftlichen Gesamtkosten zwischen 99 Mrd.$ und 1924 Mrd.$. Der untere Wert gehört zum Szenario »bad case«. In der Tabelle sind die Kostenkomponenten dargestellt: Militärausgaben, Besatzung und Friedenserhaltung, Wiederaufbau und Infrastruktur, humanitäre Hilfeleistungen, Auswirkungen des Ölpreiseffektes und makroökonomische Auswirkungen. Bei dem »bad case« wird von kurzen Kampfhandlungen ausgegangen. Der Ölpreis fällt nach einem vorübergehend leichten Anstieg schnell und dauerhaft unter das heutige Niveau (Bandbreite 20-25 US $). Die Militärausgaben sind vergleichsweise beherrschbar. Auch die Ausgaben für die Besetzung und Friedenserhaltung, den Wiederaufbau und die Infrastruktur sowie für humanitäre Hilfe fallen gering aus. Von den Ölpreisen gehen in der gesamtwirtschaftlichen Wirkung sogar positive Effekte aus. Durch die schnelle Eroberung des Irak und die für die nachfolgende Phase unterstellte politische Stabilität sinkt der Ölpreis von derzeit ca. 30 $ pro Barrel deutlich unter 25 $. Durch entsprechende Kostenersparnisse bei den Konsumenten und Investoren würde die ökonomische Wertschöpfung um 40 Mrd. € zunehmen. Die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen sind durch starkes Vertrauen, steigende Gewinne und sinkende Aktienkurse sowie eine günstige Wechselkursentwicklung ebenfalls positiv (17 Mrd.$). Dieser »bad case« scheint das kalkulierte Wunschszenario der Bush-Administration zu sein. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass selbst hier Gesamtkosten mit knapp 99 Mrd.$ entstehen. Dieses Szenario »Minimierung der Schäden« ist jedoch insgesamt viel zu optimistisch. Im nicht unrealistischen »worst case« explodieren dagegen die Kosten auf 1.924 Mrd.$. Hierbei wird ausgegangen von einem lang anhaltenden Krieg (mit Häuserkampf), der Zerstörung der Ölförderanlagen (auch in den Nachbarstaaten), dem Anstieg des Ölpreises auf 75$ für längere Zeit sowie von internationalem Gegenterror. Eine tiefe Vertrauenskrise breitet sich aus und lähmt die Weltwirtschaft. Die Konsumbereitschaft nimmt massiv zugunsten des Angstsparens ab. Sinkende Gewinnerwartungen führen zum Rückgang der Sachinvestitionen. Die Aktienkurse spiegeln die pessimistischen Erwartungen wider; sie stürzen ab. Da der private Konsum mit sinkenden Vermögenswerten infolge der Verluste bei Aktienkursen eingeschränkt wird, zwingt der Einbruch dieses Nachfrageaggregats die US-Wirtschaft endgültig in die Rezession. Für die USA kommt es zu einer zusätzlichen Belastung: Der sich heute schon durchsetzende Verfall des US $ gegenüber dem Euro führt zu einem Rückzug des ausländischen Kapitals aus den USA. Die Finanzierung des Doppeldefizit – öffentlicher Haushalt und Leistungsbilanzdefizit – durch ausländisches Kapital bricht in sich zusammen. Die Vorteile aus der US $-Abwertung für die Exportwirtschaft vermögen diese Nachteile nicht aufzuwiegen. Die Geldpolitik schaltet wegen wachsender Inflationsrisiken – vor allem durch die hohen Ölpreise – auf restriktiven Kurs um. Die Finanzpolitik verliert mit den wachsenden Staatsschulden an Manövrierfähigkeit. Insgesamt stürzt die Gesamtwirtschaft in eine tiefe Rezession. Dieser ökonomische Einbruch in den USA prägt jedoch auch die Weltwirtschaft und überträgt sich auf andere Industrieländer, insbesondere Deutschland.

Dabei werden in diesem Szenario nach Nordhaus zwei krisenverschärfende, mit einander zusammenhängende Belastungen nicht berücksichtigt. Ein Krieg im Irak würde die gesamte Region massiv destabilisieren. Dabei ist die Frage entscheidend, wie es nach einem aus USA-Sicht gewonnen Krieg im Irak weitergehen soll. Planspiele sind bekannt geworden. Politisch angestrebt wird die »Entbaathifizierung«. Dazu wird eine US-Militärverwaltung eingesetzt, die auch Kriegsverbrecherprozesse gegen Hussein und seinen engen Apparat durchsetzen soll. Einem zivilen US-Verwalter obliegt die Aufgabe, die schrittweise Transformation in ein demokratisches Staatswesen in die Wege zu leiten.

Es ist doch jetzt schon abzusehen, dass dieses Militärprotektorat als tiefe Demütigung in der gesamten Region begriffen wird. Der islamische Widerstand würde an Kraft gewinnen und könnte am Ende auch die undemokratischen Öloligarchien in den Golfstaaten ergreifen und zum Einsturz bringen. Schließlich ist mit einem neuen Schub beim internationalen Terrorismus im Klima religiösen Fundamentalismus zu rechnen. Ökonomische Untersuchungen, die im Gefolge des 11. September-Terrors in den USA entstanden sind, belegen umfangreich die sich daraus ergebenden ökonomischen direkten und indirekten Belastungen. Direkte Kosten entstehen durch Vernichtung von Sachvermögen sowie den Aufwand für Sicherheitsmaßnahmen. Indirekte Wirkungen über den Vertrauensverlust von Konsumenten und Investoren sowie steigende Sicherheitskosten treiben die volkswirtschaftlichen Schäden nach oben. Die Spaltung zwischen Armen und Reichen würde sich nicht nur vertiefen.

Fazit: Ein Krieg gegen den Irak wäre nicht nur politisch sondern auch ökonomisch heller Wahnsinn.

Deutschland durch Kriegsfolgen in der Abwärtsspirale

Die massiven ökonomischen Schäden, die der Krieg gegen den Irak auslösen würde, blieben jedoch nicht nur auf die Kriegsregion und die kriegsauslösende USA beschränkt. Die Weltwirtschaft würde allein schon wegen der Leitfunktion der USA in Mitleidenschaft gezogen. Diese globalen Folgen werden durch die Ölpreisentwicklung belegt. Kommt es zur Ölverknappung bzw. Erhöhung des Ölpreises, dann leiden darunter alle Länder im Ausmaß ihrer Abhängigkeit von dieser Energiequelle – auch wenn sie sich gegen diesen Krieg ausgesprochen haben. Nicht nur wegen seiner ökonomisch engen Verzahnung mit den USA würde Deutschland relativ stark durch die gesamten Kriegskosten belastet.

Mit Blick auf die Schwerpunkte im Nordhaus-Tableau sind für Deutschland die unterschiedlichen Ebenen der ökonomischen Belastung wie folgt zu bewerten:

Belastungen der öffentlichen Haushalte

  • Direkte Kosten für die Militäraktion entstehen im Ausmaß der Beteiligung an dem Krieg. Nach dem derzeitigen Stand sollen Soldaten nicht direkt in den Krieg einbezogen werden. Die Hilfe soll sich auf logistische Arbeiten und Überwachungsleistungen reduzieren. Derzeit sind die Kosten für logistische Leistungen durch die Bundeswehr mangels Angaben über das Ausmaß des (indirekten) Einsatzes nicht möglich. Sollten Kosten anfallen, ist wohl mit einer Umschichtung im Verteidigungshaushalt zu rechnen.
  • Derzeit ist unklar, inwieweit die USA erfolgreich Druck auf Deutschland ausüben wird, sich an den Kosten des Militärschlags zu beteiligen. Im letzten Golfkrieg – nach der Besetzung Kuweits durch den Irak 1991 – ist nach Angaben des Bundesfinanzministeriums eine Beteiligung im Umfang von 17,2 Mrd. DM erfolgt. Die meisten Ausgaben dienten der Sicherstellung des Nachschubs von Munition, Transportmitteln sowie der Zahlung von Finanzhilfen an die USA. Es sollte der Grundsatz gelten: ein Land, das den Krieg nicht unterstützt, darf auch nicht an dessen Finanzierung beteiligt werden.
  • An humanitären Hilfeleistungen sowie am Wiederaufbau des Iraks wird sich Deutschland sicherlich beteiligen (Gesamtvolumen im ungünstigsten Fall 605 Mrd.$).
  • Da vor allem bei anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen von einem wachsenden internationalen Terrorismus auszugehen ist, werden die öffentlichen Ausgaben für Sicherheitssysteme deutlich zunehmen.

Der absehbare Anstieg kriegsbedingter Ausgaben wird zur Belastung der öffentlichen Haushalte – insbesondere im Bundeshaushalt – führen. Die erste Welle derartiger Ausgaben nach dem 11. September ist durch die Anhebung der Versicherungs- und Tabaksteuer finanziert worden. Für die künftige Finanzierung stehen Ausgabenkürzungen an anderer Stelle, Steuererhöhungen oder der Anstieg der Staatsverschuldung zur Verfügung. Neue Verteilungskonflikte sind etwa nach dem Motto – Sicherheit statt Bildung – vorprogrammiert.

Gesamtwirtschaftliche Folgekosten

  • Der jüngste Anstieg des Ölpreises auf über 30 $ je Barrel ist bereits auf die Planung eines Militärschlags gegen den Irak zurückzuführen. Kenner des Ölmarkts gehen davon aus, dass heute schon 5-7 $ pro Barrel durch die erwarteten Kriegsfolgen »eingepreist sind«. Damit ist die zuletzt im Januar präsentierte Prognose zum Wirtschaftswachstum mit ohnehin nur 0,6 % für dieses Jahr bereits Makulatur. Sie basiert auf der Annahme, der Ölpreis werde sich im Frühjahr bei 25 $ bewegen. Gegenüber dieser Prognose liegt bei 30 $ die Ölrechnung um 4 Mrd. € höher. Steigt der Ölpreis auf 35 $ so kommen nochmals 8 Mrd. € hinzu. Die Folgen der Ölpreiserhöhung sind: Rückgang des privaten Konsums, Kostensteigerungen in der Wirtschaft und damit sinkende Ausrüstungsinvestitionen und steigende Ausgaben des Staates. Soweit versucht wird, die Kostensteigerung über die Preise zu überwälzen, steigt die Inflationsrate. Die Gefahr ist dann groß, dass die Europäische Zentralbank die Inflation zum Anlass nimmt, den durch die steigende Ölrechnung gesenkten inländischen Verteilungsspielraum durch eine restriktive Geldpolitik durchzusetzen. Die privatwirtschaftliche Investitionsbereitschaft würde zusätzlich belastet. Zusammen mit der ohnehin sich vertiefenden Vertrauenskrise führt der Ölpreisanstieg letztlich zum Abschwung der Konjunktur. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die staatlichen Einnahmen sinken, während die Krisenkosten durch die ansteigende Arbeitslosigkeit in den öffentlichen Haushalten zunehmen. Der Druck auf eine Einsparpolitik zur Vermeidung einer Ausweitung der öffentlichen Schuldenaufnahme im Sinne der Maastricht-Kriterien nimmt zu. Die Konjunktur würde zusätzlich durch den Rückgang von öffentlichen Ausgaben für die Wirtschaft belastet.

Bei einer über ein Jahr andauernden Erhöhung des Ölpreises um 10 $ je Barrel sinkt das Wirtschaftswachstum in Deutschland um 0,3 Prozentpunkte; die absolute Einbuße beträgt 6 Mrd. €. Der private Konsum sinkt um 0,2 Prozentpunkt, die Ausrüstungsinvestitionen um 0,4 Prozentpunkte. Die Inflationsrate steigt um 0,5 Prozentpunkte.

  • In der Gesamtwirkung droht durch bei einem Krieg gegen den Irak die derzeit ohnehin nur stagnative Konjunkturentwicklung in eine Rezession umzukippen. Über den Ölpreisschock hinaus treiben weitere Rückwirkungen die Konjunktur Deutschlands in die Abwärtsspirale: Neuere Untersuchungen belegen die gewachsene Abhängigkeit der konjunkturellen Entwicklung Deutschlands von der der USA. Insoweit schlägt die von Nordhaus beim »worst case« erwartete tiefe Rezession der US-Wirtschaft auch auf Deutschland durch. Wegen der hohen Exportquoten kommt es bei einer krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft zu zusätzlichen Belastungen der deutschen Wirtschaft. Unternehmen sehen sich darüber hinaus gezwungen, steigende Ölpreise und Kosten für zusätzliche Sicherheit gegenüber Terroranschlägen über die Preise abzuwälzen. Bei den gesamtwirtschaftlichen Folgen eines Kriegs gegen den Irak ist auch die Veränderung der Wechselkurse zu berücksichtigen. Oft wurde der US$ in Krisenzeiten als sicherer Hafen angesteuert und wertete deshalb auf. Als Kriegspartei an sich sowie wegen der wachsenden Risiken durch Terroranschläge wird die USA jedoch mit einer Abwertung ihrer Währung rechnen müssen. Die Kriegsfolgen sind in der jüngsten Abwertung des $ bereits »eingepreist«. Eine Abwertung des $ gegenüber dem €- – Aufwertung des € – verteuert die Rechnung für die deutschen Exporte in dieser Währung. Weichen die ausländischen Kunden wegen der verteuerten Waren aus Deutschland auf die internationalen Konkurrenten aus, sinken die Exporte. Reagieren die deutschen Unternehmen mit Preissenkungen, dann gehen die Erlöse zurück und die Gewinne sinken. Der Gesamteffekt ist jedoch recht gering, weil gut zwei Fünftel der Ausfuhren in die Länder der Eurozone fließen.

Eine Abwertung des Dollar gegenüber dem Euro um 10% verringert den Zuwachs des deutschen Bruttoinlandsprodukts um 0,3%.

Durch die Abwertung des $ werden allerdings die Importe, die in dieser Währung bezahlt werden, billiger. Der durch die Ölpreisexplosion und wachsende Kosten der Sicherheit zu erwartende Anstieg der Inflationsrate wird gedämpft und der Druck auf die Europäische Zentralbank in Richtung restriktiver Geldpolitik abgeschwächt. Wegen der hohen deutschen Importquote aus dem Euroland fällt jedoch dieser Entlastungseffekt recht gering aus.

Die einzelnen, hier genannten Faktoren, wie die Vertrauenskrise überhaupt, führen zu pessimistischen Gewinnerwartungen bei den Unternehmen. Da sich in der Kursentwicklung der Börsen künftige Gewinne widerspiegeln, sind weitere Kursverluste an der Börse vorprogrammiert. Darüber können auch die kurzfristigen Kursgewinne bei Unternehmen der Rüstungs- und Sicherheitswirtschaft nicht hinweg täuschen (»buy cannons, sell trumpets«). Kursverluste und damit sinkendes Geldvermögen reduzieren den privaten Konsum in Deutschland – allerdings erheblich schwächer als in den USA. Die anhaltend hohen Kursverluste werden jedoch auch als Indiz für niedrige Einkommenszuwächse und steigende Arbeitslosigkeit wahrgenommen. Die Folge sind Einschränkungen beim Konsum – auch durch Angstsparen. Allerdings fällt gegenüber den USA dieser Konsumverzicht erheblich geringer aus, da die Vermögensbildung in Form von Aktien in Deutschland eine bedeutend geringere Rolle spielt. Verluste bei den Aktienkursen sowie überhaupt wachsenden Probleme bei der Besorgung von Kapital an den Börsen belasten auch die Unternehmensinvestitionen. Sinkende Aktienkurse verstärken die Bewegung auf der gesamtwirtschaftlichen Abwärtsspirale.

Eine Modellrechnung zeigt, die Halbierung der Aktienkurse führt zu Einschränkung des privaten Konsums um 0,2-0,8 % und löst die Abnahme der Unternehmensinvestitionen um 0,6% aus.

Durch den Absturz der Konjunktur, in deren Sog auch die Nachfrage nach Beschäftigung einbricht, steigt die Arbeitslosigkeit. Es sind am Ende die Arbeitslosen die am stärksten die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Irakkriegs zu tragen hätten. Dabei ist damit zu rechnen, dass die hier beschriebenen endogenen Belastungen durch wirtschaftspolitische Fehl-Reaktionen verstärkt werden würden. Die Geldpolitik, die sich zur Stabilisierung des Preisniveaus vor allem gegen die ölpreisbedingte Inflation richtet, wird restriktiv ausgerichtet werden. Ergänzend wird die Finanzpolitik unter dem Druck der Maastricht- bzw. Amsterdam-Kriterien versuchen, die durch sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit zu erwartenden Einnahmeausfälle und wachsende Krisenkosten durch weitere Einsparungen bei den Ausgaben und/oder Steuererhöhungen aufzufangen.

Bereits der drohende Irakkrieg hat zur Verunsicherung und zum Vertrauensverlust der Investoren und Konsumenten geführt. Die gesamtwirtschaftlichen Verluste durch den Irak-Krieg müssen auf jeden Fall mit einer expansiven Finanz- und Geldpolitik beantwortet werden. Die wegen der allgemeinen Konjunkturkrise ohnehin gebotene gegensteuernde Konjunkturpolitik wird durch die Folgen der Bedrohung durch den Irak-Krieg noch dringlicher.

Fazit

Der Irakkrieg führt zu hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten und damit zur Belastung der Weltwirtschaft nicht nur in den Metropolen. Wirtschaftliche Rezession und Arbeitslosigkeit sind die Folge. Deshalb reicht es nicht aus, zu erklären, man beteilige sich nicht an dem Krieg. Vielmehr müssen durch die deutsche Politik alle Möglichkeiten genutzt werden, diesen Krieg zu vermeiden. Friedenspolitik ist zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft und der öffentlichen Haushalte. Friedenspolitisch wie ökonomisch sind die Aktivitäten der Bundesregierung zusammen mit den anderen Ländern zur Vermeidung dieses Krieges schlichtweg verantwortungsvoll, weil vernünftig.

Anmerkungen

1) William D. Nordhaus: The Economics of a War with Iraq; Cowles Foundation for Research in Economic, Yale University, Discussion Paper Nr. 1387, December 2002.

Prof. Dr. Rudolf Hickel lehrt am Institut für Arbeit und Wirtschaft (iaw), Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, der Universität Bremen
Der Artikel wurde am 26.02.2003 abgeschlossen