Gewaltfreie Frauenproteste in Südafrika

Gewaltfreie Frauenproteste in Südafrika

Widerstand im Spannungsfeld von Rassismus und Ungleichheit

von Rita Schäfer

Heutige Proteste für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Femizide lassen sich nicht verstehen ohne historische Kontexte. Denn viele Protestformen, Bezugspunkte und Debatten reichen zurück in den gewaltfreien Widerstand schwarzer Frauen gegen das Apartheidregime. Auch dreißig Jahre nach dem Amtsantritt von Nelson Mandela als erster demokratisch gewählter Präsident 1994 sind zivilgesellschaftliche Proteste von Frauen* weiterhin verbreitet. Demonstrant*innen skandalisieren infrastrukturelle Missstände und die grassierende Korruption in staatlichen Einrichtungen. Eine Einordnung.

Nelson Mandela und seine Regierung des African National Congress (ANC), der als politische Partei aus einer der größten Anti-Apartheidorganisationen hervorgegangen war, versprachen nach demokratisch legitimierten Wahlen grundlegende Verbesserungen in allen Lebensbereichen, ein Ende der Militarisierung der ganzen Gesellschaft und der Gewalt von Polizei und Militär. Denn 1985 hatte das repressive Apartheidregime, das seit 1948 an der Macht war, den Ausnahmezustand verhängt. Dieser hatte bis 1994 bürgerkriegsähnliche Zustände in den Wohngebieten der Schwarzen zur Folge.

Kontext: Langer Weg zu Frauenrechten in Südafrika

Um Gewalt, Rassismus und Diskriminierung zu beenden, wurde auch die Gleichheit aller Südafrikaner*innen in der neuen Verfassung 1996 festgeschrieben. Alle Frauen galten nun endlich unabhängig von ihrem Ehestatus als vollwertige Rechtspersonen. Während der Apartheid und in den Jahrhunderten unter kolonialer Herrschaft waren schwarze Frauen unmündig gewesen; sexuelle Minderheiten wurden kriminalisiert. Damit sollte fortan Schluss sein (Schäfer 2008a, S. 221ff.).

Unter Bezug auf internationale Frauen- und Menschenrechtsabkommen verab­schiedete die ANC-Regierung in der Folge Gewaltschutzgesetze. Sie betrachtete allerdings geschlechtsspezifische Gewalt als eine Reaktion auf die Brutalität des Apartheidapparats und hoffte auf ein baldiges Ende: Vergewaltigungen und sexu­alisierte Folter hatten zur Taktik von Geheimpolizei und deren Handlangern gezählt, um Schwestern oder Freundinnen von Regime­gegnern und gewaltfrei protestierende Frauen zu demütigen.

Die so brutalisierten und von den rassistischen Gesetzen betroffenen Frauen hatten in den Jahren der Apartheid Streiks, Schweigemärsche, (Bus-)Boykotte, Petitio­nen und Versammlungen zur basisdemokratischen Selbstverwaltung organisiert. Diese Aktionen des zivilen Ungehorsams, die sie teilweise bei Treffen in kirchlichen Gemeindezentren und unter der Tarnung als christliche Frauengruppen geplant hatten, stärkten ihre Interessenvertretung, Koordinations- und Kommunikationskompetenzen sowie ihr politisches Denken und Selbstbewusstsein als tragende Säulen im Anti-Apartheidkampf.

Zwar waren – je nach zeitspezifischem Kontext – nicht alle Aktionen erfolgreich: So blieben Petitionen mit über 100.000 Unterschriften und ein friedlicher Massenprotest von über 20.000 Frauen vor dem Regierungssitz in Pretoria gegen repressive Ausweisdokumente (so genannte »Pässe«) 1956 erfolglos. Diese Pässe schränkten Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten schwarzer Frauen in den Städten drastisch ein. Dennoch bestärkte die Teilnahme an dieser friedlichen Großdemonstration am 9. August 1956 die Mitwirkenden. In Eigenregie – also ohne dominierende Männer – hatten Frauen unterschiedlicher Herkunft den größten Massenprotest gegen das rassistische Regime organisiert. Vor dem Machtzentrum der Apartheidregierung standen sie eine halbe Stunde lang schweigend, anschließend sangen sie kraftvoll Protestlieder in mehreren Lokalsprachen und die politische Hymne »Nkosi sikelel’ iAfrika« (Gott segne Afri­ka). Ihr Zusammenhalt ermutigte die Demon­strantinnen zu weiterem Widerstand, wie einige in späteren Jahrzehnten in Zeitzeuginnen-Interviews erläuterten (Walker 1991, S. 189ff.).1

Viele der Protestformen des zivilen Ungehorsams gingen unter anderem auf den Juristen und Pazifisten Mohandas Karamchand (Mahatma) Gandhi zurück, der zwischen 1893 und 1914 in Südafrika gearbeitet hatte. Schwarze Frauen organisierten ihren Widerstand aber situationsspezifisch und setzten eigene Akzente, etwa durch symbolreiche Lieder. Dafür nutzten sie Kirchenchöre subversiv.

Spezielle Frauenprobleme – etwa eheliche Gewalt – ordneten die Frauen im Widerstand dem umfassenden Anti-Apartheidkampf unter. Sie wollten dem Apartheidstaat keinen Anlass bieten, Spannungen in der schwarzen Gesellschaft auszunutzen. Denn ihre Analyse war, dass diese Gewaltformen infolge der Apartheid entstanden waren, etwa durch Zwangsumsiedlungen, strukturelle Ausbeutung und Repression, die schwarze Männer erniedrigte und ihr Maskulinitätsverständnis, etwa als sorgende und verantwortungsbewusste Familienvorstände, verhöhnte.

Da die in den 1990er Jahren eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) in Südafrika die Systematik und die zerstörerischen Absichten politisch motivierter Vergewaltigungen aber nicht erfasste, blieb es die Aufgabe von Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftlichen Frauenorganisationen, die Muster aufzudecken, zu dokumentieren und Reparationsforderungen daraus abzuleiten (Meintjes 2009, S. 101ff.).

Von Opfern zu Aktivist*innen

Apartheidopfer bzw. -überlebende gründeten im Kontext der TRC die Organisation »Khulumani Support Group« – das Zulu-Wort Khulumani bedeutet „laut sprechen, aussprechen“ bzw. „das Wort ergreifen“. Sowohl verbal als auch auf großen Stoffbändern meldeten sich Khulumani-Mitglieder zu Wort, schrieben gegen das erlittene Unrecht an und verlangten Reparationen. Sie bezeichneten Vergewaltigungen als rassistische Erniedrigungspraxis, mit der Apartheidsoldaten, -polizisten bzw. deren Schlägertrupps Frauenkörper geschunden hatten.

Überlebende malten ihre Gewalterfahrungen auf so genannte »Body Maps«, lebensgroße Bilder basierend auf Körpersilhouetten. Diese Methode aus HIV-/AIDS-Beratungen übertrugen Kunst- und Traumaexpert*innen auf die Bewältigungsarbeit mit Anti-Apartheidaktivistinnen, zumal etliche Vergewaltigte mit HIV infiziert worden waren. Solche Bilder erstellten sie in geschützten Räumen, wo sie sich gegenseitig dabei unterstützten, erlittenes Leid mit traditionellen und christlichen Symbolen für Krankheiten und Gewalt anzudeuten, etwa mit Schlangen in Frauenkörpern. Ihre Bilder wurden Teil eines selbstbestimmten Archivs visueller Erinnerungen.

Kollektiv gemalte Körper und Erinnerungsszenen nutzten frühere Anti-Apartheidaktivistinnen für ihren zivilgesellschaftlichen Protest, konkret ihre Reparationsforderungen. Öffentlichkeitswirksam organisierten ältere und verarmte schwarze Frauen 2022 und 2023/24 im Rahmen ihrer als »Galela« bezeichneten Kampagne – das Xhosa-Wort heißt übersetzt „Ausschüttung“ – wochen- bzw. monatelange Sleep-ins vor dem Verfassungsgericht in Johannesburg. Das Gerichtsgebäude steht symbolträchtig auf dem Gelände eines früheren Gefängnisses für politische Gefangene – mit nach Hautfarben und Geschlechtern getrennten Trakten. Diesen symbolischen Ort wählten die Aktivist*innen anlässlich nationaler Feiertage, an denen offiziell an Apartheidopfer und -gegner*innen gedacht wird, etwa am nationalen Frauen-, Jugend- und Menschenrechtstag. Unweit der früheren Zellen rollten sie mitgebrachte Decken aus und setzten durch ihre körperliche Präsenz vor diesem hohen Haus ein unübersehbares Zeichen ihres Leidens, das durch den verschleppten Zugang zu Reparationen noch nicht gelindert war (Steyn 2022).

Ihre Körper und künstlerischen Ausdrucksformen setzten sie gezielt als Mittel des zivilen Ungehorsams ein. Nur dürftig vor Kälte oder Hitze geschützt, forderten sie in selbstformulierten Liedern, auf handgeschriebenen Plakaten und Spruchbändern Zugang zu Reparationsgeldern aus einem speziell eingerichteten Präsidentenfond, den das Justizministerium verwaltet. Für die auf großen Stoffbildern angeprangerten Vergewaltigungen während der Apartheid war kein einziger Täter strafrechtlich belangt worden; Vergewaltiger und Auftraggeber hüllten sich während der TRC in Schweigen, mächtige Hintermänner dementierten die Verbrechen.

Dennoch zog der frühere ANC-­Präsident Thabo Mbeki (Amtszeit 1999-2008) einen Schlussstrich unter die Vergangenheitsaufarbeitung durch die TRC. Mbekis Nachfolger Jacob Zuma (Amtszeit 2009-2018) änderte das nicht. Er hatte den Geheimdienst im bewaffneten Untergrund geleitet. Vergewaltigungen durch diese Organisation blieben in der Arbeit der TRC eine Marginalie. Beim Thema Reparationen spielte auch die ANC-Regierung unter Cyril Ramaphosa (2018/19-2024) auf Zeit und verschanzte sich hinter Formalitäten. So blieb aus Sicht früherer Regimegegner*innen nur der gemeinsame zivilgesellschaftliche Protest als Ausweg (Seidman 2020).

Frauenfeindlichkeit und Homophobie

Es sind heutzutage jedoch nicht nur alte schwarze Frauen, die mit zivilem Ungehorsam die ANC-Regierung kritisieren. Jüngere skandalisieren weniger vergangene Fehler, sondern vielmehr gegenwärtige Strukturprobleme – und beziehen sich dabei immer wieder auf Aktionsformen vorangegangener Generationen, gehen aber auch über diese hinaus.

Die aktuellen Probleme lassen sich klar beziffern: Zwischen März 2018 und März 2019 dokumentierte die südafrikanische Polizei 2.771 Femizide, 3.445 versuchte Frauenmorde, 36.597 Vergewaltigungen und 82.728 gewalttätige Angriffe auf Frauen (Gouws 2022). Während der Corona-Pandemie stiegen die Zahlen weiter. 2022 wurden landesweit 3.843 Frauen ermordet. Allein im 2. Quartal 2023 registrierte die Polizei 13.090 Vergewaltigungen und 881 Femizide. Hinzu kommt eine Grauzone nicht dokumentierter Fälle. Vielerorts ist die Polizei untätig und die Justiz überfordert. Nur wenige Täter werden strafrechtlich verfolgt; milde Strafen und vielfache Straffreiheit befördern besitzergreifendes Sexualverhalten.

Dagegen protestieren vor allem schwarze junge Frauen, denn sie bilden die Mehrheit der Gewaltopfer bzw. -überlebenden. Im Unterschied zu Weißen können sie sich vielfach keine Häuser oder Wohnungen mit Sicherheitsanlagen leisten. Das betrifft vor allem verarmte Lesben. Deshalb skandalisieren sie Mehrfachdiskriminierungen aufgrund von Geschlechterhierarchien, Hautfarbe (race) und wirtschaftlicher Ungleichheit (class). Schwarze Lesben organisieren immer wieder Aktionen zivilen Ungehorsams, so bei der Pride in Johannesburg 2012, als sie sich in lila T-Shirts und umrahmt von Bannern mit Aufdrucken »Dying for jus­tice« und »No cause for celebration« zwischen die Feiernden auf die Straße legten, um die von weißen Schwulen dominierte Homosexuellenszene wachzurütteln, was während und nach der Pride Kontroversen zwischen verschiedenen Interessenvertreter*innen sexueller Minderheiten auslöste.

Am 1. August 2018 organisierten Frauenrechtsaktivist*innen, Mitarbeiter*innen von Frauenhäusern, lesbische/trans* Aktivist*innen und Engagierte in HIV/AIDS-Netzwerken große Demonstrationen in vielen Metropolen des Landes. In Kapstadt zogen sie vor das Parlamentsgebäude und in Pretoria vor den Regierungssitz. In Pretoria überreichten sie Präsident Cyril Ramaphosa ein Memorandum mit 24 Forderungen zur verbesserten Strafverfolgung von Vergewaltigern und Vermeidung der Reviktimisierung von Vergewaltigten durch Polizei oder Justiz sowie zu systematischen staatlichen Präventionsmaßnahmen. Die Zahl 24 bezog sich auf die Jahre seit den ersten demokratischen Wahlen und dem Amtsantritt von Präsident Nelson Mandela 1994 (Gouws 2018). Einzelne Frauen trugen blutrot getränkte südafrikanische Fahnen, um den ANC anzuprangern, der aus ihrer Sicht das Versprechen von Freiheit und Gleichheit gebrochen hatte.

Ihre Kritik verstärkten sie durch den Zeitpunkt ihrer Proteste: Den Beginn des nationalen Frauenmonats, der anlässlich des nationalen Frauentags am 9. August den Anti-Passprotest von Regimegegnerinnen 1956 zelebriert. In Sprechgesängen, die teilweise auf Lieder von 1956 Bezug nahmen, skandalisierten die Demons­trant*innen das Versagen staatlicher Institutionen und die Frauenverachtung vieler Männer. Dabei trugen sie selbstgestaltete Plakate, die an Ermordete erinnerten, und befestigten großformatige Fotos mit deren Namen an den Sicherheitszäunen von Regierungsgebäuden. Für diese Opfer hatte es weder Sicherheit noch Schutz gegeben.

Ihre Trauer brachten die Demonstrant*innen auch mit ihrer Kleidung zum Ausdruck: Schwarze T-Shirts mit blutroten Schriftzügen, die ihre Kampagne mit Forderungen nach einem Ende der Gewalt auf den Punkt brachten, unterstrichen wirkungsvoll ihre Einheit. Das Motto, also die klare Haltung gegen körperliche Übergriffe: „My body, not your crime scene“, hatten etliche auch auf ihre Haut geschrieben. Damit meinten sie nicht nur einzelne Täter, sondern Strukturprobleme. Südafrika war wie viele Staaten auf dem afrikanischen Kontinent ein Postkonfliktland; während der internationalen AWID-Frauenrechtskonferenz 2008 – also zehn Jahre zuvor – hatten Südafrikaner*innen gemeinsam mit ostafrikanischen Friedensaktivist*innen eine große Demonstration durch Kapstadt organisiert. Ihr Motto lautete: „Kein Krieg auf Frauenkörpern, denn die Gewaltraten in Südafrika waren so hoch wie sonst nur in Kriegsgebieten (Schäfer 2008b, S. 70ff.).

Mit ihrer Kampagne »#Total Shut Down« forderten die Anti-Gewaltaktivist*innen wie bei Generalstreiks während der Apartheid den Stillstand täglicher Aktivitäten, das hielten sie angesichts der dramatischen Ausmaße und Folgen der Gewalt für angemessen. Bei Sportveranstaltungen, die als Inbegriff maskuliner Selbstbestätigung galten, forderten sie Männer auf, ihre Solidarität mit Frauen zu beweisen, während der Proteste die Kinderversorgung und Hausarbeit zu übernehmen, aktiv gegen sexualisierte und andere Gewaltpraktiken vorzugehen und Tätern Paroli zu bieten. Beispielhaft für Solidaritätsbekundungen waren feministisch orientierte, zivilgesellschaftliche Gender-Organisationen, die am Einstellungswandel von Männern arbeiten, allen voran »Sonke Gender Justice«. Eine Schaltstelle der Frauenrechtsorganisationen war »People Opposition ­Women Abuse« (POWA), die seit Jahrzehnten Gewaltprävention und Opfer- bzw. Überlebendenhilfe verbindet. Etliche von jungen feministischen Aktivist*innen gestartete Social Media-Kampagnen wie #MenareTrash, #EndRapeCulture oder #WomenforChange erreichten breite urbane Bevölkerungskreise und erhöhten den zivilgesellschaftlichen Druck auf die Regierenden (Gouws 2018).

Damit erzielten sie gewisse Erfolge. Denn Präsident Cyril Ramaphosa, der selbst aus der Gewerkschaftsbewegung kam, regierte auf einige Forderungen der Protestierenden und lud Anfang November 2018 zahlreiche Vertreter*innen aus verschiedenen Gruppen und Organisationen zu einem Kongress ein. Er erklärte geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide zur nationalen Krise und kündigte einen nationalen Strategieplan an, der Gelder für die Strafermittlungsbehörden, die Opfer- bzw. Überlebendenhilfe und die Prävention vorsehen sollte und 2020 veröffentlicht wurde. Während der Corona-Pandemie verhängte die ANC-Regierung einen strengen Lockdown, Präsident Ramaphosa bezeichnete geschlechtsspezifische Gewalt als zweite Pandemie, der mit einem Verbot des Alkoholverkaufs und besonderen Sozialhilfeleistungen für arme Menschen begegnet werden sollte. Solche Maßnahmen sollten häusliche Gewalt, etwa aus Finanznot, vermeiden. Dennoch belastete und schädigte diese viele Frauen weiterhin.

Die Gewaltschutzgesetze und das Strafrecht gegen Vergewaltiger und Frauenmörder wurden 2022 novelliert, dem folgte ein Gesetz gegen Hassgewalt. Ob diese Gesetzesnovellen und ein neuer nationaler Rat zu Gender-Gewalt reale Änderungen bringen, werden feministische Aktivist*innen weiter beobachten. In zivilem Ungehorsam als Protestform gegen Missstände haben sie Erfahrung – und sie werden den notwendigen Wandel sicherlich lautstark und sichtbar einfordern.

Anmerkung

1) Erinnerungen berühmter und weniger bekannter Aktivistinnen dokumentieren (Auto-)Biographien in unterschiedlichen Landessprachen, historische Fachpublikationen und elektronische Informationsportale zur Geschichte Südafrika wie »SAHA«, »SAHistory« und »Overcoming Apartheid«. Diese Portale richten sich an die interessierte Öffentlichkeit und Lehrkräfte sowie Schüler*innen in Sekundarschulen. An den Women’s March 1956 erinnern auch archivierte Poster, etwa ein ikonographisches Aktivistinnen-Porträt – gestaltet von der Künstlerin und früheren Untergrundkämpferin Judy Seidman (Lissoni 2019).

Literatur

Gouws, A. (2018): South Africa may finally be marching towards solutions to sexual violence. The Conversation, 08.08.2018.

Gouws, A. (2022): Rape is endemic in South ­Africa. Why the ANC governemnt keeps missing the mark. The Conversation, 04.08.2022.

Lissoni, A. (2019): Art as a weapon in South Afri­cas’ liberation struggle. The Conversation, 18.12.2019.

Meintjes, S. (2009): ‚Gendered truth’? Legacies of the South African Truth and Reconciliation Commission. African Journal of Conflict Resolution 9(2), S. 101-112.

Schäfer, R. (2008a): Im Schatten der Apartheid. Frauen-Rechtsorganisationen und geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika. 2. aktualisierte Auflage, Münster-Hamburg-Berlin: Lit-Verlag.

Schäfer, R. (2008b): Frauen und Kriege in Afrika. Eine Gender-Analyse. Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel Verlag.

Seidman, J. (2020): The unfinished business of the TRC is killing us, say Apartheid’s victims. Daily Maverick, 08.11.2020.

Steyn, D. (2022): Nearly R2 billion for apartheid reparations is unspent. The President’s Fund is growing as apartheid victims wait. Ground up, 12.12.2022.

Walker, Ch. (1991): Women and resistance in South Africa. Cape Town: David Philip Publishers.

Dr. Rita Schäfer ist freiberufliche Afrikawissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt Gender in Südafrika und lebt in Bonn/Bochum.

Keine wahre Revolution ohne feministische Vision

Keine wahre Revolution ohne feministische Vision

Das Beispiel der algerischen Bewegung El-Hirak

von Lilly Roll-Naumann

Eine revolutionäre Bewegung strebt klassischerweise den Sturz der Regierung oder des Staates an – so ein häufiges Narrativ. Dieses staats- und strukturfokussierte Verständnis von Revolution unterwandern Frauen und feministische Aktivist*innen. Sie bringen ein subversives und transformatives Potential in die Bewegungen, die Gesellschaft umfassend und nachhaltig zu verändern. Das Beispiel feministischer Stimmen in der algerischen revolutionären Bewegung El-Hirak verdeutlicht, inwiefern der revolutionäre Anspruch der Bewegung ohne diese Stimmen unvollständig bliebe.

Der Beginn der 2010er Jahre war im Nahen Osten und in Nord­afrika von einer beispiellosen Protestwelle revolutionärer Umwälzung geprägt. Für einen Moment schaute die ganze Welt mit Spannung auf die zivilen Proteste. Ähnlich schnell wurden die Bewegungen jedoch für gescheitert und die Demokratisierung in der Region für begraben erklärt, mit Schrecken wird besonders an die zum Teil noch andauernden Bürgerkriege gedacht. Eine Perspektive, die Erfolg und Scheitern von revolutionären Bewegungen binär, monokausal und linear misst, etwa an „schnellen, grundlegenden Veränderungen der Staats- und Klassenstrukturen einer Gesellschaft“ (Skocpol 1979, S. 4), versperrt jedoch den Blick auf subtilere Veränderungen wie beispielsweise das geschärfte Bewusstsein der Bürger*innen für die Macht kollektiven Handelns (Stephan und Charrad 2020, S. 6).

Acht Jahre nach den Bewegungen des sogenannten »Arabischen Frühlings«1 ereignete sich eine erneute starke Protestwelle in der Region – im Sudan, in Algerien, im Irak und im Libanon. Was bei näherer Betrachtung dieser Proteste auffällt und an die früheren Bewegungen erinnert, ist die Schlüsselrolle, die Frauen darin einnahmen – noch dazu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Status und an der Spitze der Proteste. Doch ihre Rolle ging darüber hinaus, den friedlichen Charakter der Proteste aufrecht zu erhalten.2

Denn, wie die syrische revolutionäre Aktivistin Samer Yazbek weiß, „[d]er Sturz der Diktatoren quer durch die arabische Welt markiert den Beginn der wahren Revolution“ (2012, S. 6, Hervorhebung hinzugefügt). Diese liegt in der „Kontinuität des revolutionären Aktivismus, des revolutionären Bewusstseins und der revolutionären Kreativität von Frauen, so miriam cooke (2016, S. 43). Frauen und Feminist*innen verleihen Revolution eine Dimension, die das populäre Verständnis von revolutionärem Wandel im Sinne einer umfassenden und nachhaltigen Transformation von Gesellschaft und Mentalitäten vertieft. Ohne ihre Beteiligung sind zivile Widerstandsbewegungen mit revolutionär-transformatorischem Anspruch unvollständig.

Dies wurde auch in der algerischen revolutionären Bewegung El-Hirak deutlich, die im Februar 2019 aus Protest gegen die fünfte Amtszeit des seit 20 Jahren regierenden Präsidenten Abdelaziz Bouteflika begann und sich bald zu einer Bewegung entwickelte, die einen vollständigen Regimewechsel forderte. Die wöchentlichen Proteste hielten über ein Jahr lang an, bis die Covid-19-Pandemie und deren Instrumentalisierung durch das Regime die Bewegung von der Straße ins Internet verdrängte, wo sich die Verfolgung und Kriminalisierung von Aktivist*innen fortsetzte. Letztlich überdauerte das autoritäre Regime und konsolidierte sich, während die Bewegung heute weitreichend als stark geschwächt bis „verschwunden“ (Martinez und Boserup 2024) betrachtet wird.

Frauen im ganzen Land beteiligten sich in großem Umfang an der Protestbewegung. Einerseits war das in einem stark patriarchal geprägten Land, in dem Frauen auf vielen Ebenen der Gesellschaft marginalisiert werden, für viele eine Überraschung. Andererseits hat das Engagement algerischer Frauen eine lange Tradition, die schon bis zum anti-kolonialen Kampf zurückreicht. Die feministische Bewegung innerhalb des Hirak zeigte sich als politischer Akteur der revolutionären Bewegung sehr aktiv und verband den Kampf für Geschlechtergerechtigkeit mit dem Kampf für einen Regimewechsel.

Ich möchte am Beispiel des Hirak illustrieren, welche Rolle feministische Stimmen darin durch die Formulierung der Vision eines „Gesellschaftsprojekt[es]“ (B, 79) im Sinne einer umfassenden und nachhaltigen Transformation spielten. Der Kampf von Frauen und feministischen Aktivist*innen um die Akzeptanz ihrer Präsenz gegen Widerstände war gleichzeitig der Kampf für eine Vision, die der repräsentativen und inhaltlichen Selbstkonzeption der revolutionären Bewegung entsprach. Ihr Kampf garantierte, dass die Bewegung im Einklang mit ihrem ideellen Selbstbild blieb. Die Erkenntnisse basieren auf der Analyse von sieben Interviews mit vier algerischen feministischen Aktivistinnen innerhalb der Hirak-Bewegung zwischen Dezember 2019 und Januar 2020. Die Interviewdaten sind eingebettet in Beobachtungen aus einer sechsmonatigen Feldforschungsphase von Mai bis November 2019.

Doppelter Kampf um Akzeptanz in der Bewegung

Um den Kampf der revolutionären Bewegung an der Seite der männlichen Hälfte der Gesellschaft austragen zu können, mussten Frauen erst die Akzeptanz ihrer Präsenz im öffentlichen Raum und in der patriarchalen Gesellschaft erkämpfen. Meine Interviewpartnerin Manel B.3 bezeichnete das Verwandeln des Protestfreitags in einen „gemischte[n] Tag, an dem Frauen rausgehen und Männer auch rausgehen“, als eine „Niederlage des Konservatismus“ (B, 101). Dieser Akt des Widerstands gegen das Patriarchat erwies sich insbesondere in kleinen traditionellen Städten als außergewöhnlich, „wo die gemischte Gesellschaft zwar sichtbar, aber fast verboten ist“ (A III, 121). Die revolutionäre Präsenz von Frauen repräsentierte meinen Interviewpartnerinnen zufolge ihre „Entscheidung, vollwertige Bürger­innen zu sein und zu werden“ (ebd., 14). Ihre Forderungen waren somit dieselben wie die der Gesamtbewegung, „mit einer einzigen Besonderheit […]: als Bürgerinnen anerkannt zu werden und Gleichstellung konkretisiert zu sehen“ (D, 33). Die Wiederaneignung der Staatsbürgerschaft war Ausdruck eines inneren Prozesses der Selbsterkenntnis, infolgedessen Frauen ihre Teilnahme an einer Demonstration nicht mehr zur Debatte stellten und ihren Familien gegenüber impulsiv mit den Worten erklärten: „Ich bin eine Bürgerin, ich bin betroffen“ (B, 102). Dasselbe galt in Beziehung auf die Gesellschaft:

„Jedes Mal, wenn es einen Aufruf in den sozialen Medien gibt, in dem es heißt: ‚Frauen haben auf der Straße, im Hirak nichts zu suchen!‘, ‚Lass deine Schwester nicht rausgehen!‘, ‚Lass deine Tochter nicht rausgehen!‘ – und die Reaktion kommt sogar von Frauen, die gegen die feministische Bewegung sind. Die Reaktionen sind außergewöhnlich: ‚Nein! Nein! Nein!‘“ (ebd., 107)

Die feministische Bewegung kämpfte im Hirak ebenfalls einen „doppelten Kampf: einen Kampf für den allgemeinen Kampf, wo sich alle einig sind – den Kampf, wo wir das System weghaben wollen. [Und] den individuellen Kampf – nun, nicht individuell – den spezifischen Kampf der feministischen Bewegung. Unseren Kampf als Frauen“ (ebd., 73). So wurde etwa das »carré féministe«, der feministische Block im Protestmarsch in Algier, bedroht und angegriffen (A III, 31-36). Doch „[d]ie Angriffe begannen nicht auf der Straße“ (B, 75) und „nicht nur in dem, natürlich, was man über die islamistische Bewegung weiß, von Seiten der Konservativen, von Seiten der repressiven Machthaber – aber Achtung – sogar auch viel innerhalb dessen, was man für die demokratische Bewegung oder die progressive Bewegung hält“ (A III, 94).

Wie in der Vergangenheit wurde der feministischen Bewegung die historisch bekannte Ablenkungsphrase präsentiert, es sei „nicht der richtige Zeitpunkt“ (B, 58-61), mit der Frauen schon während des Aufbauprozesses der Nation nach dem Unabhängigkeitskrieg „geopfert wurden“ (ebd.). Dies wurde besonders deutlich, als ihre Bemühungen, Frauenrechte im Fahrplan für einen demokratischen Übergang zu verankern, innerhalb des entsprechenden zivilgesellschaftlichen Kollektivs blockiert wurden. Als der Begriff »Gleichberechtigung« unter dem Vorwand, einen politischen Konsens schaffen zu wollen, vollständig aus dem endgültigen Konsenstext der nationalen Konferenz »Consenus Élargi« gestrichen wurde (A III, 53), „handelte“ (ebd., 78) die feministische Bewegung. Vertreten durch eine Reihe von Frauenorganisationen, boykottierte sie die Konferenz in letzter Minute, was „die Mediatisierung und Sichtbarkeit der Forderungen der Frauen erhöhte“ (ebd., 76-79).

Manel B. beschrieb die in der Bevölkerung wachsende Akzeptanz der Selbstkonzeption der feministischen Bewegung im Hirak als ein erstes zentrales Ergebnis ihres doppelten Kampfes:

„Es gab eine Entwicklung […] Das Wort ‚Feminist*innen‘, in den Anfängen des Hirak war es wirklich: ‚Was ist das?‘, ‚Das ist eine fremde Hand!‘, ‚Das ist etwas, das aus dem Ausland kommt, aus dem Westen!‘, dies und das. Jetzt [sagen] alle, auch die, die uns hassen: ‚Die algerischen Feminist*innen.‘ Das war‘s.“ (ebd., 82)

Forderung nach Unabhängigkeit bleibt doppelt unerfüllt

Die revolutionäre Bewegung rahmte ihren Protest als den Kampf für eine zweite Unabhängigkeit durch einschlägige Sprechchöre, Banner und eine symbolische Omnipräsenz der algerischen Nationalflagge. Worte wie die eines Graffitis in Algier-Centre illustrierten dies: „1962 indépendance du sol, 2019 indépendance du peuple“ (1962 Unabhängigkeit des Bodens, 2019 Unabhängigkeit des Volkes). Die Bewegung brachte damit ihre Forderung nach Freiheit und Würde zum Ausdruck – dem uneingelösten Versprechen, das die Staatsbürgerschaft für das algerische Volk nach der Unabhängigkeit enthielt. Für Frauen blieb es in doppeltem Sinne unerfüllt. So wurden sie nach der Revolution zweifach um ihre vollwertige Staatsbürgerschaft betrogen – als Algerierinnen im neuen Staat und als Frauen. Während Frantz Fanon argumentierte, dass der algerische Unabhängigkeitskrieg die patriarchale Familienstruktur erschüttert hätte und das Ende der patriarchalen Strukturen markiere (1967, Kap. 3), widerlegen die tatsächlichen Ereignisse nach der Unabhängigkeit diese These. „Im Krieg waren wir alle gleich – erst danach wurde uns die Staatsbürgerschaft entzogen“, berichtete eine ehemalige »moudjahida« (weibliche Unabhängigkeitskämpferin, zitiert in Turshen 2002, S. 893). Eine „klassische Tendenz in Revolutionen“ (Bouatta 1997, S. 2) ist der Glaube, dass die Befreiung, die das Ziel einer bestimmten Revolution ist, weitere Freiheiten mit sich bringen würde, auch für Frauen. Für Algerien gilt: Zwar erhielten Frauen einige Positionen im Parlament und in anderen gesellschaftlichen Bereichen, doch blieben diese symbolisch. „Ein langsamer Rückschritt des weiblichen Zustands […] gipfelte in der Verabschiedung des Familiengesetzes im Juli 1984“ (ebd. 1994, S. 23). Dieser auf der islamischen Scharia basierende Gesetzestext verlieh Frauen einen untergeordneten Status gegenüber Männern. Cherifa Bouatta beschreibt dies als einen rechtlichen Dualismus, der den Status der Frauen „einerseits als Bürgerinnen gemäß der Verfassung, dem Strafgesetzbuch und der Arbeitsgesetzgebung“ und andererseits als „Minderjährige unter männlicher Vormundschaft gemäß dem Familiengesetzbuch“ institutionalisierte (1997, S. 6).

Die Forderung der feministischen Bewegung innerhalb des Hirak war somit eine historische. Entsprechend ordnete sich ihr Kampf in ein historisches Kontinuum (A III, 109) für den Wandel kämpfender algerischer Frauen ein: „Wir sprechen von einem Erbe des Kampfes der Frauen in Algerien. Sie sind Heldinnen, die Schlachten gegen den Kolonialismus geschlagen haben. Selbst während der Revolution haben sie ihre Gleichberechtigung durch ihre Präsenz hergestellt, sie haben sie demonstriert“ (A II, 45, zitiert nach Gedächtnisprotokoll). Meine Interview­partnerin Farida A. hob besonders zwei Etappen hervor: die Kämpfe gegen die koloniale Eroberung vor und während des Befreiungskriegs und den weiblichen und feministischen Widerstand gegen den islamistischen Terror der 1990er Jahre (ebd. III, 104-105; 119). Den Kampf von Frauen und Feminist*innen im Hirak konzipierte sie als dritte Etappe zur Illustration des historischen Kontinuums (ebd., 104). Indem die feministische Bewegung ihre revolutionäre Präsenz in einem historischen Kontinuum kämpfender algerischer Frauen konstruierte, unterstreicht sie die Legitimität der weiblichen Präsenz und der feministischen Forderung in der Hirak-Bewegung.

Keine wahre Revolution ohne Frauen und feministische Komponente

Die Präsenz von Frauen und die feministische Vision war für die Selbstkonzeption der revolutionären Bewegung in repräsentativer wie inhaltlicher Hinsicht essentiell. Für deren Selbstverständnis war es zentral, von „dem Volk“ auszugehen, da dieses im Mittelpunkt des identitätsstiftenden Narratives eines Kampfes für eine zweite Unabhängigkeit stand. Frauen und Feminist*innen waren es, die dafür sorgten, dass die Bewegung in Hinsicht auf Geschlecht tatsächlich „das Volk“ repräsentierte und nicht nur einen Teil davon. Hadjer D. beschrieb dies folgendermaßen:

„Es waren die Frauen, die etwas bewirkt haben […]. [Sie] haben dem Hirak durch ihre Präsenz eine andere Dimension verliehen. In einer konservativen Gesellschaft gibt es nicht nur Männer. […] Die Frauen sind da, sie sind auf der Straße, sie haben den öffentlichen Raum besetzt. Und es ist nicht der Hirak, der ihnen den öffentlichen Raum gegeben hat. (ebd., 28)

Die Hirak-Bewegung wurde auch als „la révolution citoyenne“ (die Bürgerrevolution, wortwörtlich: die bürgerliche Revolution) bezeichnet, was das Selbstverständnis der Bewegung als bürgerschaftliche Bewegung widerspiegelt. Dieses beinhaltet einerseits die Tatsache, dass sie von Bürger*innen geführt wurde – gegen den Widerstand eines Militärs, das sich „der Entstehung der Bürgerschaft widersetzt, indem es die Zivilgesellschaft erstickt“ (Addi 2012, S. 112) und inmitten der „sozialen Pathologie [eines] Staates, dessen „politisches System gegenüber der verantwortungsvollen Beteiligung der Bürger*innen verschlossen [ist]“ (Kedidir 2020, Abs. 6). Darüber hinaus umfasst es den Bürgersinn, den die Bewegung in ihrer Haltung und Praxis verkörperte. Farida A. sprach im Interview von dem „Geist der Bürgerrevolution“, der auf der Verhaltensebene wirkte und Mitglieder dazu anregte, „im Einklang [mit ihm] zu sein“ (ebd. III, 47). Sara C. konzipierte dies als neu entwickeltes „staatsbürgerliches Bewusstsein“ (ebd., 63), in dessen Sinne Mitglieder einen Wandel „im Einklang mit [ihren] aktuellen Ambitionen“ (ebd.) forderten: nicht nur auf der Ebene von Strukturen, sondern auch von Gesellschaft und Mentalität (ebd.). Grundlegend für diesen Bürgersinn war praktizierte Toleranz, die Frauen und Feminist*innen im revolutionären Raum lebten und durch ihre Präsenz einforderten:

Was passiert ist, ist, dass wir […] gezwungen waren, uns gegenseitig zu akzeptieren. Wir waren gezwungen, für die Sache toleranter zu werden. Zugegeben, es gibt frauenfeindliche Männer, es gab Konservative, es gibt Leute, die Islamisten sind, aber […] wir haben eine gemeinsame Sache zu erreichen. Das ist ein Wandel.“ (ebd., 40)

Zweites wesentliches Element des Bürgersinns und des zivilen Selbstverständnisses der Bewegung war die „berühmte silmiya [Friedlichkeit]“ (A III, 9): „Markenzeichen, Geburtsurkunde und Ausweis der algerischen Bewegung“ (ebd., 10). Die Vorstellung, dass Frauen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des friedlichen Charakters der Proteste spielten, ist weithin anerkannt (ebd., 11). So wurde die Präsenz von Frauen in der Bewegung einerseits als „wichtiges Mittel zur Aufrechterhaltung der (…) silmiya“ (ebd., 9) und andererseits als „massive Abschreckungswaffe gegen die Repression“ (ebd., 8) bezeichnet. In diesem Verständnis erwiesen Frauen sich als unerlässlich für das Überleben der revolutionären Bewegung durch ihre friedensstiftende Wirkung in die Bewegung hinein wie nach außen.

Die feministische Bewegung kämpfte dafür, dass die revolutionäre Bewegung „im Einklang mit dem Geist der Bürgerrevolution“ (ebd., 47) blieb. Mit dem Verweis auf die Forderung der Hirak-Bewegung nach Demokratie deckten die interviewten Aktivistinnen die Widersprüche zwischen den Forderungen der Demonstrant*innen und ihren Einstellungen und Verhaltensweisen auf:

„Viele sagen ‚El Djazaïr horra dimocratiya‘ – ‚Freies und demokratisches Algerien‘, aber ohne zu wissen, was diese Demokratie für einige bedeutet. Ist es möglich, eine Demokratie zu haben, während man Homosexuelle diskriminiert, während man Frauen diskriminiert, während man dieses oder jenes Mitglied der Gesellschaft diskriminiert?“ (B, 74)

Farida A. beschrieb im Interview einen vergleichbaren Erkenntnisprozess bei Männern, die im Einklang mit dem Geist der Bürgerrevolution [sein wollten und] urteilten […], dass sie nicht Meinungs- und Informationsfreiheit fordern […] und Frauen [gleichzeitig] ihre Unterstützung oder Solidarität verweigern konnten, die zu Unrecht angegriffen wurden, weil sie Gleichberechtigung forderten“ (ebd. III, 47). Die feministische Bewegung unterstrich, dass ihre Forderungen sich komplett in den demokratischen Geist der revolutionären Bewegung einordneten: „Die Forderungen sind dieselben. […] Wir wollen einen demokratischen Staat, es ist in diesem demokratischen Staat, dass Freiheit und Gleichheit garantiert werden müssen“ (D, 33). Entsprechend konstruierte sie ihre physische Präsenz in Form des »carré féministe« „ganz in die Bewegung eingeschrieben“ (A I, 92), wo sie zu einem Ort wurde, „der vereinend sein könnte […] und eine Bedeutung haben könnte in dieser Konstruktion der Staatsbürgerschaft für Frauen, natürlich, aber warum nicht auch Staatsbürgerschaft für Frauen und Männer zusammen“ (ebd. III, 30) – „um zu demonstrieren, dass die Frauenfrage [lacht], [nicht] nur den Frauen gehört“ (ebd., 50).

Die feministische Bewegung im Hirak verdeutlichte die Verwobenheit des revolutionären und des feministischen Kampfes, indem sie rhetorisch wie praktisch demonstrierte, dass die Forderung nach Gleichberechtigung in den revolutionären Anspruch eingebettet sein muss. Weibliche Handlungsmacht und der feministische Kampf wurden so praktisch vorgelebt und gleichzeitig zur Bedingung für die Erfüllung des demokratischen Versprechens der Hirak-Bewegung im revolutionären Prozess selbst sowie in der postrevolutionären Zukunft. Dieses Beispiel illustriert eindrucksvoll: Ohne feministische Perspektive weist das Verständnis zivilen Widerstands blinde Flecken auf, ebenso wie große gesellschafts-transformatorische Bewegungen ohne feministische Komponente inkonsequent und in sich unvollständig bleiben.

Anmerkungen

1) Die Bezeichnung »Arabischer Frühling« ist problematisch, da sie eine homogene arabische Bevölkerung in einer großen, ethnisch heterogenen Region suggeriert. Darüber hinaus impliziert die Metapher, dass die Menschen in der Region aus einem Winter ohne Widerstand und Anfechtungsmobilisierung aufgewacht seien (Beinin und Vairel 2013, S. 8f.).

2) In 99 % der mittels des »Women in Resis­tance«-Datensatzes untersuchten gewaltfreien Kampagnen waren Frauen an vorderster Front beteiligt. Je größer ihre zahlenmäßige Beteiligung, desto größer die Korrelation mit gewaltfreien Methoden, selbst in sehr repressiven Kontexten (Chenoweth 2019, S. 1f.).

3) Die Namen der Interviewpartnerinnen wurden geändert, um ihre Identität zu schützen.

Literatur

Addi, L. (2012): Algérie: Chroniques d’une expérience postcoloniale de modernisation. Algier: Barzakh.

Beinin, J.; Vairel, F. (2013): Introduction: The Middle East and North Africa beyond classical Social Movement Theory. In: Dies. (Hrsg.): Social movements, mobilization, and contestation in the Middle East and North Africa (2. Aufl.). Stanford: Stanford University Press, S. 1-29.

Bouatta, C. (1994): Feminine militancy: Moudjahidates during and after the Algerian War. In: Moghadam, V. M. (Hrsg.), Gender and national identity: Women and politics in Muslim societies. London: Zed Books, S. 18-39.

Bouatta, C. (1997): Evolution of the women’s movement in contemporary Algeria: Organization, objectives and prospects. The United Nations University, WIDER Working Papers 124.

Chenoweth, E. (2019): Women’s participation and the fate of nonviolent campaigns: A report on the Women in Resistance (WiRe) data set. Broomfield: One Earth Future Foundation.

cooke, m. (2016): Women and the Arab Spring: A transnational, feminist Revolution. In: Sadiqi, F. (Hrsg.): Women’s movements in post-“Arab Spring” North Africa. New York: Palgrave Macmillan US, S. 31-44.

Fanon, F. (1967 [1959]): A dying colonialism (Chevalier, H., Übers.). New York: Groove Press.

Kedidir, M. (2020): Le Hirak : Les marches pour la « reconnaissance ». Insaniyat 87, S. 93-110.

Martinez, L.; Boserup, R. A. (2024): Introduction – The disappearing of Algeria’s Hirak. In: Dies. (Hrsg.): The disappearing of Algeria’s Hirak. Paris: Les Dossiers du CERI, S. 8-19.

Skocpol, T. (1979): State and social revolutions. Cambridge: Cambridge University Press.

Stephan, R.; Charrad M. (2020): Introduction: Advancing women’s rights in the Arab world. In: Dies. (Hrsg.): Women rising: In and beyond the Arab Spring. New York: New York University Press, S. 1-12.

Turshen, M. (2002): Algerian women in the liberation struggle and the civil war: From active participants to passive victims. Social Research 69(3), S. 889-911.

Yazbek, S. (2012): A woman in the crossfire: Diaries of the Syrian Revolution. London: Haus Publishing.

Lilly Roll-Naumann, M.A. Peace and Conflict Studies, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Konfliktakademie »ConflictA« am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Sie forscht zu gewaltfreier Konflikttransformation, Dialog und Dialogformaten und lässt die Erkenntnisse in die eigene Trainings- und Formatentwicklung einfließen.

Kurzprofil: Konfliktakademie ConflictA

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Die Konfliktakademie »ConflictA« ist ein vom BMBF finanziertes Projekt am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld (seit 2023). Unter dem Leitsatz „Konflikte beforschen, besprechen, bearbeiten und daraus lernen“ entsteht in stetig wachsendem Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren ein Ort der Verständigung über gesellschaftliche Konflikte in Deutschland – auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Die ConflictA betrachtet, wie sich globale Krisen in lokale Konflikte übersetzen und wie gesellschaftliche Veränderungen in und durch Krisen und Konflikte verlaufen. Sie erforscht dabei u.a. Fragen nach den sozial-kulturellen und politisch-institutionellen Bedingungen gesellschaftlicher Konflikte und deren Aushandlung.

In einer transdisziplinären, partizipativen Arbeitsweise trägt die ConflictA dazu bei, Konfliktverständnis und -fähigkeit der Menschen in der Gesellschaft zu fördern. Sie entwickelt Ansätze der Konfliktbearbeitung und vermittelt Konfliktwissen und -kompetenz.

Dialogformate und Ansätze zur Jugendpartizipation sind dabei ebenso Teil der Konfliktakademie wie eine Befragung zu Konfliktverständnissen in der Bevölkerung oder die wissenschaftliche Begleitung kommunaler Konfliktbearbeitung.

Das „Patriarchat abbauen“

Das „Patriarchat abbauen“

Eine Reflexion über die »Neue Agenda für den Frieden«

von Liliane Nkunzimana

Anlässlich des 75. Jahrestags der Vereinten Nationen im Jahr 2020 forderten die Mitgliedstaaten vom Generalsekretär einen Bericht an, der aktuelle und künftige Bedürfnisse adressieren sollte. Als Antwort enthielt der Bericht »Our Common Agenda« fast 100 Empfehlungen (und 11 Kurzdossiers), die auf die Anliegen der Mitgliedstaaten eingingen. In einem der elf Kurzdossiers wird eine »Neue Agenda für den Frieden« gefordert, in der der Generalsekretär feststellt: „Wir müssen das Patriarchat und unterdrückende Machtstrukturen abschaffen…“.

Diese Aufforderung des Generalsekretärs stand nun schon im Mittelpunkt einer Reihe von Überlegungen, da das Strategiepapier nicht sehr detailliert darauf eingeht, was mit »Abbau des Patriarchats« gemeint ist. Es hat denjenigen, die mit dem UN-System zu tun haben, die Möglichkeit eröffnet, Analysen anzubieten. Einige Diskussionen der letzten Monate bei den Vereinten Nationen haben sich mit der Frage beschäftigt, wie wir das Patriarchat definieren und wie wir achtsame und notwendige Diskussionen führen können, die jedes Mitglied der Gesellschaft dazu ermutigen, auszudrücken, wie sich das Patriarchat als unterdrückende Machtstruktur negativ auf Männer und Frauen auswirkt.

Der Aufruf des Generalsekretärs, das Patriarchat zu überwinden, ist eine Anerkennung der gewaltigen Anstrengungen, die notwendig sein werden, um Denk-, Lebens- und Handlungsweisen zu überwinden, die auf Kontrolle und Privilegien beruhen und das Vertrauen untergraben haben – auch in die Fähigkeit des multilateralen Systems, angemessen auf die Bedürfnisse aller Menschen auf der Welt zu reagieren. Keine Gesellschaft kann als Vorbild für die Gleichstellung der Geschlechter gelten; wir leben noch nicht in einer Welt, in der Eingenschaften wie gegenseitiger Respekt, Kooperation, Zusammenarbeit, Fürsorge, Sorge um die Zukunft und Mitgefühl im Zentrum des Diskurses über die Verbesserung der Beziehungen untereinander und mit dem Planeten stehen. Diese Werte werden durch den Ruf des Generalsekretärs nach Vertrauen, Solidarität und Universalität in der »Neuen Agenda für den Frieden« ergänzt.

Obwohl das Wort »Patriarchat« selbst umstritten ist, charakterisieren Normen der Dominanz sowie besitzergreifende und ausgrenzende Formen der Macht, die herkömmlich damit verbunden sind, weiterhin zahlreiche Gesellschaften. Männlichkeit und Männer werden weiterhin als wertvoller angesehen als Weiblichkeit und Frauen, was ersteren Privilegien einräumt, die letzteren verwehrt bleiben. Diese Machtasymmetrie drückt sich häufig im Agenda Setting, bei der Entscheidungsfindung, der Versammlungsleitung und -einberufung und sogar in versteckten Formen von Einflussstrukturen aus, die die Beziehungen zwischen Institutionen und dem Einzelnen regulieren.

Wenn diejenigen Werte in den Mittelpunkt rücken, die in der »Neuen Agenda für den Frieden« verankert sind, trägt dies von sich aus zum Ziel bei, das Patriarchat und Formen der Hierarchie zu überwinden, die einer Minderheit von Völkern, Nationen und Regionen das selbstgegebene Privileg einräumen, folgenreiche Entscheidungen für die Mehrheit treffen zu können. Die Zentrierung solcher Werte könnte eine stärkere Regionalisierung und Lokalisierung von peacebuilding, Friedenssicherung und friedenserzwingenden Maßnahmen ermöglichen und die Bedenken bestimmter Staatenblöcke verringern, was die Finanzierung regionaler Friedensbemühungen angeht. Dies würde den Weg für ein größeres Maß an Vertrauen durch verstärkte Zusammenarbeit ebnen und regionale Blöcke in die Lage versetzen, besser abgestimmte Beiträge zu internationalen Agenda-Setting-Vorhaben zu leisten.

Da der »Zukunftsgipfel« (eine weitere der oben genannten Empfehlungen) nur noch sieben Monate entfernt ist, verhandeln die Mitgliedstaaten derzeit über einen ersten Entwurf des »Pakts für die Zukunft«, dem Ergebnisdokument dieses Gipfels. Es ist anzumerken, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Wahrung der Menschenrechte in dem Dokument gemainstreamed werden und nicht als separate Kapitel behandelt werden.

Aufgrund der globalen Rahmenbedingungen müssen wir heute einen konzeptionellen Rahmen entwickeln, der unsere höchsten Bestrebungen besser widerspiegelt. Wenn wir die obigen Werte bei der Analyse, Planung, Beratung, Politikgestaltung und im Handeln fokussieren, könnten die normativen Fragen im Zusammenhang mit der Verteilung von Macht und finanziellen Ressourcen, den Ursachen von Kriegen und gewaltsamen Konflikten und den Voraussetzungen, die für die Schaffung und Aufrechterhaltung friedlicher Gesellschaften erforderlich sind, sehr wohl neugestaltet werden. Wir können uns dann auf die Verwirklichung des Friedensversprechens zubewegen, das den internationalen Bestrebungen zugrunde liegt. Wir können beginnen ein ganzheitlicheres Friedenskonzept zu formulieren, das nicht nur auf der Ausrottung des Krieges fußt, sondern auf dem Aufbau einer in ihrer Vielfalt geeinten Welt, die in Harmonie mit der Natur lebt und kontinuierliches Lernen fördert, in der die Würde und Gleichwertigkeit aller Menschen verwirklicht wird – und das Patriarchat abgebaut ist.

Liliane Nkunzimana ist die Vertreterin der Internationalen Gemeinschaft der Baha‘i bei den Vereinten Nationen.

Wessen Körper, wessen Rechte?

Wessen Körper, wessen Rechte?

Konflikte um Selbstbestimmung als akutes Demokratieproblem

von Ulrika Mientus

Sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung sind zum selbstverständlichen Gegenstand der Friedens- und Konfliktforschung avanciert. Inwiefern bergen sie jedoch Zündstoff für innergesellschaftliche Konflikte, die eine Thematisierung in W&F rechtfertigen? Die historische Langzeitperspektive kann hier helfen und einerseits aufzeigen, was die Aushandlung von Geschlecht, Sexualität und Reproduktion mit Gewalt und Konflikt in der deutschen Gesellschaft zu tun haben. Andererseits wird deutlich, welchen Einfluss diese Aushandlungsprozesse auf das demokratische Miteinander im Hier und Jetzt haben und insofern dringend einer Reflexion bedürfen.

Ist nicht über sexuelle Identitäten und Geschlechter, über damit einhergehende und sie begründende Macht- und Gewaltverhältnisse alles gesagt? Haben nicht die Frauenbewegungen seit dem ausklingenden 19. Jahrhundert, die Behindertenrechtsbewegung, der Aktivismus von Schwarzen, BIPoC und aus der LGBTQIA+ Community zur Genüge vor Augen geführt, dass Menschenrechte als Rechte aller Menschen umgesetzt werden müssen? Hat Carolin Emcke (2019, S. 91) nicht recht, wenn sie schreibt: „Manchmal kommt mir die Kritik an Ungleichheit und Diskriminierung nurmehr unoriginell vor – schließlich wiederholen wir das, was Generationen vor uns, mit anderen Erfahrungen und anderen Begriffen, bereits formuliert haben.“

Ist nicht schon alles gesagt?

Das Sprechen über und die Umsetzung von sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung scheint heute in Deutschland eine Selbstverständlichkeit zu sein. Im November 2016 wurde mit der Reform des §177 Strafgesetzbuch (StGB) erstmals die Maxime »Nein heißt Nein!« im deutschen Strafrecht verankert, so dass nun der erkennbare Wille der*des Betroffenen gegen die sexuelle Handlung bzw. die fehlende Möglichkeit, einen Willen zu bilden, als Maßstab für die strafrechtliche Beurteilung sexueller Handlungen fungiert. Zwei Jahre später – im Januar 2019 – folgte die Reform des §219 StGB zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, dessen Streichung monatelang gefordert worden war, um die Informationsrechte (ungewollt) schwangerer Personen garantieren zu können, ohne die beteiligten Ärzt*innen hierfür zu kriminalisieren. Und schließlich steht die Ablösung des diskriminierenden Transsexuellengesetzes (TSG) durch ein Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag bevor. Diese (straf-)rechtlichen Reformen sind das Ergebnis langwieriger und konfliktreicher Aushandlungsprozesse über Geschlecht, Sexualität und Autonomie und verweisen exemplarisch auf einen gesellschaftlichen Wahrnehmungswandel in Bezug auf Körper und deren Verfügbarkeiten.

Zugleich sind die Grenzen dieser vermeintlichen Selbstverständlichkeiten evident: Die Entscheidungshoheit über eine Abtreibung wird mit ihrer Kriminalisierung in §218 StGB nach wie vor der schwangeren Person entzogen. Ernsthafte und damit effektive staatliche Schutzkonzepte bezüglich sexueller und sexualisierter Gewalt insbesondere für Frauen, homosexuelle, trans und non-binäre Personen lassen auf sich warten (vgl. Notz 2022). Und die Verabschiedung des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes wird mit Mythen über die Gefährlichkeit von trans Personen unnötig belastet und verzögert. Blickt man über den deutschen Tellerrand hinaus, zeigt sich zudem, dass einmal erkämpfte Rechte zur Disposition gestellt, beschnitten oder gar zurückgenommen werden können. Doch nicht nur das: während einerseits Rechte erkämpft und normalisiert werden, formieren sich andererseits vehemente Abwehrkräfte. So sind Frauen, trans und non-binäre Menschen heute deutlich sichtbarer vertreten, politisch aktiv und wirtschaftlich erfolgreich. Gleichzeitig sind sie einem ungewohnten Hass ausgesetzt, der sich dank neuer Technologien ungehemmter entladen kann.1 Um diese ambivalente Gleichzeitigkeit zu beschreiben, sprach Susanne Kaiser (2023) jüngst in den »Blättern für deutsche und internationale Politik« nicht zu Unrecht von einem feministischen Paradoxon.

Begleitet werden diese Momente der Infragestellung, der Verzögerung oder gar Zurücknahme durch eine – auch medial aufgeladene – Polarisierung der Gesellschaft: diametral stehen jene (rechts-)konservativen Verteidiger:innen einer imaginierten, zu bewahrenden natürlichen und/oder gottgegebenen Geschlechterordnung den von ihnen als »woke« diskreditierten Verfechter:innen sexueller und reproduktiver Selbstbestimmungsrechte gegenüber.2 Im Kern geht es dabei um nichts weniger als die Frage, für wen die Allgemeine Menschenrechtserklärung, ihr europäisches Pendant sowie die Grundrechte im Grundgesetz formuliert sind: Wer zählt als Mensch, dessen Würde unantastbar ist? Welche Leben gelten als schützenswert? Welche als weniger betrauernswert?3

Damit stellt sich die Frage, welche Folgen es für jene hat, deren Existenzen zur Disposition gestellt werden. Wie wirkt sich ihr Ausschluss zunächst auf individueller Ebene aus? Und welche Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander hat die Grenzziehung zwischen jenen, die von den Menschenrechten adressiert werden und auf ihre Verwirklichung vertrauen können, und jenen, die um Anerkennung als Träger:innen von Menschenrechten kämpfen und auf ihre Verwirklichung nur hoffen dürfen. Der Blick in die Geschichte kann helfen, diese Auswirkungen sichtbar zu machen, um darauf aufbauend die Aktualität ebenso wie die Brisanz für das demokratische Miteinander offenzulegen.

Was hat das mit Gewalt zu tun? Ein Blick zurück!

Gewaltverständnisse

Das 20. Jahrhundert ist geprägt von einem enormen Wahrnehmungswandel von Gewalt, den Svenja Goltermann (2020) aus wissensgeschichtlicher Perspektive auf vier Entwicklungen zurückführt. Erstens lasse sich eine Delegitimierung von Gewalt beobachten, die zunächst zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa in den Sozialwissenschaften positiv mit Machtvorstellungen verknüpft war, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts jedoch zunehmend im Sinne einer Verletzung thematisiert und dadurch negativ konnotiert wurde. Parallel hierzu fand, zweitens, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Aufwertung von individueller Erfahrung statt, die die Figur des Opfers von Gewalt in der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung überhaupt erst plausibel machte (s. auch Goltermann 2017). Hierfür war, drittens, neues medizinisch-psychiatrisches Wissen notwendig, das die Annahmen von der individuellen Belastungsfähigkeit und damit den Verletzungsbegriff signifikant erweiterte. Die für die Friedens- und Konfliktforschung sicherlich bekannteste Zäsur bildete 1980 die Aufnahme der Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung in das US-amerikanische Klassifikationssystem für psychische Krankheiten. Viertens griffen internationale Organisationen wie die UN, die WHO, UNICEF und die ILO Gewalt als gesundheitliches und nicht zuletzt auch ökonomisches Problemfeld auf, inkludierten dabei die private Ebene in die Auseinandersetzung mit Gewalt und verschafften so ihrer Thematisierung auf internationalem Parkett Relevanz (vgl. Goltermann 2020, S. 31ff.).

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hat sich nicht nur das Sprechen über Gewalterfahrungen massiv verändert, insofern es überhaupt erst ermöglicht wurde. Zudem wurde der Blick geweitet auf Ungleichheitsstrukturen und individuelle wie auch kollektive Diskriminierungserfahrungen. Unser zeitgenössisches Gewaltverständnis ist daher nicht beschränkt auf physische Handlungen, sondern schließt Sprechakte ebenso ein wie Strukturen der Missachtung und verweigerten Anerkennung des Gegenübers (vgl. Butler 2015). In Bezug auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung zeigt sich dies exemplarisch an der – keineswegs selbstverständlichen oder notwendigen – politischen und rechtlichen Regulation von Elternschaft, Sexualität und geschlechtlicher Identität vom ausklingenden 19. Jahrhundert bis heute.

Regulation von Elternschaft, Sexualität und geschlechtlicher Identität

Politische und rechtliche Maßnahmen im Bereich sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung (re-)produzieren Geschlechternormen, mit denen anerkennungswürdige Identitäten, Körper und Lebensweisen definiert und damit immer auch nicht anerkennungswürdige ausgegrenzt werden. Dies lässt sich an den Themen Abtreibung, Zwangssterilisation und TSG skizzieren.

Seit über 150 Jahren findet sich in §218 StGB das bekannteste und umstrittenste Instrument zur Regulation von Leben und Körpern: die Kriminalisierung der Abtreibung. Auf Basis dieses Paragraphen entschieden bis 1976 überwiegend männliche Ärzte über rechtmäßige Gründe zur Beendigung einer Schwangerschaft ((sozial-)medizinische Indikation). Seither wird der schwangeren Person zwar eine zeitlich begrenzte Entscheidungsgewalt über ihren Körper zugestanden (Fristenlösung), von voller Mündigkeit kann jedoch angesichts einer Zwangsberatung nicht gesprochen werden. Und so schwebt über dem Ausleben der Sexualität bestimmter Personen das Damoklesschwert einer Infragestellung ihrer Entscheidungsfähigkeit, die überhaupt erst durch eine vergeschlechtlichte Sexualmoral plausibel wird.

Steht hier zunächst die Definitionshoheit über die körperliche Integrität zur Disposition, verletzten Zwangssterilisationen zugleich die Körper und die Würde einer Person. Als Instrument der Geburtensteuerung wurden sie seit dem ausklingenden 19. Jahrhundert von Eugeniker:innen unterschiedlicher politischer Couleur gefordert und auch in demokratischen Staaten bis weit in die 1970er Jahre durchgeführt. Im Deutschen Reich erließen die Nationalsozialisten 1933 das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« (GzVeN), mit dem zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben differenziert wurde, wobei die Beurteilung durch Ärzte und Richter erfolgte. Getarnt als gesundheitspolitische Maßnahme für den »Volkskörper« folgten eugenisch motivierte Zwangssterilisationen ableistischen, sexistischen, klassistischen und rassistischen Logiken4, deren Wirkmächtigkeit in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten durch Aufarbeitungsbemühungen (vielfach auch von Betroffenenverbänden) mühsam sichtbar gemacht wurde. Als NS-Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) gelten Zwangssterilisierte indes bis heute nicht, da die Eingriffe in den 1950er und 1960er Jahren – als das BEG verabschiedet wurde – als gesellschaftlich wünschenswerte und für das Individuum nicht weiter beeinträchtigende Operationen galten. Dass mit den Zwangssterilisationen ein Unwerturteil über die Betroffenen gesprochen wurde, mit dem Stigmatisierungen verbunden waren, die die beruflichen, wirtschaftlichen und romantischen Biographien beeinträchtigten, wurde ignoriert. Stattdessen gab es parallel zu den BEG-Beratungen Entwürfe für ein neues Sterilisationsgesetz.

Die westdeutsche Geschichte der Zwangssterilisationen war hiermit nicht beendet, sondern setzte sich für Menschen mit Behinderung und trans Menschen fort. Nachdem die Krüppelbewegung die Anerkennung der sexuellen Entfaltung von Menschen mit Behinderung erkämpfte, wurden Zwangssterilisationen insbesondere an Mädchen und Frauen mit dem Label »geistig behindert« durchgeführt.5 Diese Eingriffe wurden von den Ärzt:innen unter anderem mit dem Schutz der Betroffenen vor sexuellen Übergriffen begründet – geschützt wurden jedoch nicht die Betroffenen, sondern die Gesellschaft vor ihrer potentiellen Mutterschaft (vgl. Schenk 2016).6

Auch die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung von trans Menschen wird bislang verletzt. Mit Inkrafttreten des TSG 1981 wurde überhaupt erst eine gesetzliche Regelung für die Änderung des Geschlechtseintrages geschaffen, die jedoch bis 2008 die Scheidung von verheirateten Personen sowie bis 2011 die Unfruchtbarmachung der Betroffenen voraussetzte. Nach wie vor erfordert das TSG zudem ein Begutachtungsverfahren, das trans Menschen pathologisiert und stigmatisiert, während die Deutungshoheit letztlich in die Hände von Richter:innen und Mediziner:innen gelegt wird (vgl. Ewert 2018).

Die genannten Beispiele verweisen darauf, dass Regierungen entscheiden, welche Elternschaft, welche Partner:innenschaft, welche Sexualität und welche Körper als gesellschaftlich wünschenswert gelten. Unter dem Deckmantel juristischer und medizinischer Plausibilitäten werden Körper unterschiedlich reguliert, angreifbar und verwundbar gemacht. Doch welche Folgen hat dies individuell und kollektiv?

Folgen für das demokratische Miteinander

Eine derartige Regulation von sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung hat unmittelbare Auswirkungen auf Individuen: Identitäten, Körper und die eigene Art, zu sein, wird hinterfragt, abgewertet, verletzbar gemacht und durch physische Eingriffe beschnitten. Dies geschieht auf staatlicher Ebene, indem etwa durch das GzVeN und das TSG definiert wird, wessen Leben wie lebenswert ist. Begünstigt werden dadurch Stigmatisierung und Diskriminierung, die Scham und Gewalt produzieren können. So beschrieben NS-Zwangssterilisierte eine internalisierte Scham über das verhängte Unwerturteil, die ein öffentliches Sprechen über die Ereignisse und damit einen effektiven Kampf um Anerkennung für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen verunmöglichte. Dabei begünstigt eine rechtliche Stigmatisierung gesellschaftliche Vorurteile, die Gewalterfahrungen wahrscheinlicher machen, wie die Häufigkeit digitaler, physischer und psychischer Gewalt gegen homosexuelle und trans Menschen zeigt (vgl. Lüter et al. 2022).

Für Betroffene kann dies heißen, die eigene Identität trotz allem finden zu müssen, sich in der Gesellschaft trotz allem bewegen zu lernen. Angesichts der Verbreitung der Gewalt an Frauen spricht Franziska Schutzbach auch von einer internalisierten Habachtstellung und permanenten Gefahrenabschätzung als Mechanismen, die Mädchen und junge Frauen zu entwickeln lernen und die – neben anderen sexistischen Strukturen – eine Erschöpfung produzieren (Schutzbach 2021). Wenn auf diese Weise und vor allem durch die ungleiche Verteilung von Selbstbestimmungsrechten die Erschöpfung bestimmter Personen in Kauf genommen wird, dann hat dies auch unmittelbare gesellschaftliche Konsequenzen.

Wenn Personen(-gruppen) Ressourcen und Kräfte aktivieren müssen, um zu existieren oder für ihre Existenz zu kämpfen, bleiben am Ende des Tages keine oder signifikant weniger Ressourcen für andere politische Themen. Damit geht es aber nicht mehr nur um die ungleiche Verteilung von Anerkennung, sondern auch um eine daraus resultierende Ungleichverteilung von Ressourcen, mit denen sich Personen in die demokratische Gesellschaft einbringen können. Damit erweist sich die verweigerte sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung Einzelner als demokratisches Problem aller (vgl. Bücker 2022, S. 267-306). Und so heißt es trotz allem, den Worten Emckes zu folgen:

„Aber nur weil eine Ungerechtigkeit schon lange besteht, ist sie nicht weniger ungerecht. […] Aus der bloßen Dauer von Ressentiment und Diskriminierung ergibt sich nicht ihre Richtigkeit. Insofern bleibt ihre Kritik (leider) dringlich und aktuell.“ (Emcke 2019, S. 91)

Anmerkungen

1) Vgl. hierzu für den deutschsprachigen Raum die im Herbst erscheinenden Bücher der Juristinnen Christina Clemm (2023) und Asha Hedayati (2023).

2) »Woke« als konservativer Kampfbegriff ist aus den rechten und rechtsextremen US-amerikanischen Debatten in den deutschen Diskurs übergeschwappt. Dabei handelt es sich um eine Aneignung des Begriffs aus Teilen der Schwarzen Kultur, in der woke den Prozess des Gewahrwerdens insbesondere von rassistischer Diskriminierung, aber auch von Sexismus und Klassismus beschreibt.

3) Mit dieser Frageperspektive weist Judith Butler daraufhin, dass Leben unterschiedlich gelten: so gleichen sich die Körper zwar in ihrer Verletzbarkeit, werden aber unterschiedlich verwundbar gemacht. Folgerichtig müssen daher die Prozesse der Bewertung und die „strukturelle Verwundbarmachung“ (Govrin 2022, S. 72) in den Blick genommen werden.

4) Ableismus beschreibt die Reduktion auf den (nicht-)behinderten Körper und die mit ihm assoziierten Fähigkeiten, auf deren Basis Menschen beurteilt und auf-/abgewertet werden. Analog dazu adressiert Klassismus die Reduktion einer Person auf ihre (antizipierte) soziale Herkunft oder Position. Mit der Analyse ableistischer und klassistischer Verhältnisse werden Herrschafts- und Unterdrückungssysteme sichtbar, die eine Hierarchisierung, Abwertung und Ausgrenzung von Menschen voraussetzen und reproduzieren.

5) Unter dem bewusst provokativen Schlagwort „Jedem Krüppel seinen Knüppel“ gründete sich in Bremen 1978 die erste selbsternannte Krüppelgruppe. Über die Republik verteilt organisierten sich fortan Menschen mit Behinderung, um ihre Diskriminierung öffentlich sichtbar zu machen und die Durchsetzung ihrer Grundrechte zu erkämpfen.

6) 1992 wurde mit der Reform des Betreuungsgesetzes zumindest ein rechtlicher Rahmen für die Unfruchtbarmachung geschaffen.

Literatur

Bücker, T. (2022): Alle Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit. Berlin: ullstein.

Butler, J. (2015): Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Butler, J. (2023): Die Macht der Gewaltlosigkeit. Über das Ethische im Politischen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Clemm, C. (2023): Gegen Frauenhass. Berlin: Hanser.

Emcke, C. (2019): Ja heißt ja und …. Frankfurt a.M.: Fischer.

Ewert, F. (2018): Trans.Frau.Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung. Münster: edition assemblage.

Goltermann, S. (2017): Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne. Frankfurt a.M.: Fischer.

Goltermann, S. (2020): Gewaltwahrnehmung. Für eine andere Geschichte der Gewalt im 20. Jahrhundert. Mittelweg 36(2), S. 23-46.

Govrin, J. (2022): Politische Körper. Von Sorge und Solidarität. Berlin: Matthes&Seitz.

Hedayati, A. (2023): Die stille Gewalt. Wie der Staat Frauen allein lässt. Hamburg: rowohlt.

Kaiser, S. (2023): Das feministische Paradoxon. Der brutale Backlash gegen die Emanzipation. Blätter für deutsche und internationale Politik, 67(5), S. 65-74.

Lüter, A. et al. (2022): Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt. Schwerpunktthema transfeindliche Gewalt. Berlin.

Notz, G. (2022): Gewalt gegen Frauen. Immer noch ist das Private nicht politisch. W&F 1/2022, S. 22-24.

Schenk, B.-M. (2016): Behinderung verhindern. Humangenetische Beratungspraxis in der Bundesrepublik (1960er bis 1990er Jahre). Frankfurt a.M.: Campus Verlag.

Schutzbach, F. (2021): Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. München: Droemer.

Kommentar

Omnipräsent … und dennoch vertagt

Wo bleiben Antworten auf patriarchale Gewalt?

Es war ein heißer Julitag in Berlin, als das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundesfamilienministerin und die Bundesinnenministerin den Lagebericht zu häuslicher Gewalt in Deutschland 2022 und den bedrückenden Anstieg der Taten um 8,5 % im Vergleich zum Vorjahr vorstellten. Die Zahl der Fälle von Partnerschaftsgewalt stiegen sogar um 9,1 % auf 157.818 Fälle – und das sind nur die gemeldeten. Dabei sind über 80 % der Opfer weiblich, rund 78 % der Täter männlich. Wie Bundesfamilienministerin Lisa Paus konstatierte, erfuhren im letzten Jahr pro Stunde 14 Frauen Gewalt. 133 Frauen wurden 2022 von ihrem (Ex-)Partner ermordet.

Patriarchale Gewalt, so könnte man meinen, ist auf (inter-)nationalem Parkett in aller Munde, wird als gesamtgesellschaftliches Problem ernstgenommen und angegangen. Doch was setzt die Bundesregierung ihr entgegen? Was tut sie, um der Istanbul-Konvention gerecht zu werden, die hierzulande seit 2018 umgesetzt werden muss?

Auf der Pressekonferenz wurde die Durchführung einer Dunkelfeldstudie bekannt gegeben, deren erste Ergebnisse für 2025 erwartet werden. Zudem sollen Hilfsangebote für Gewaltbetroffene weiter gefördert und ausgebaut werden. Bereits der wenige Tage zuvor veröffentliche Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 hat gezeigt: zwar werden die Mittel für die »Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen« nicht gekürzt, aber im Wesentlichen bleibt sie auf die Unterstützung gewaltbetroffener Personen beschränkt. Das ist – ohne Frage – eine notwendige und angesichts von bundesweit 14.000 fehlenden Frauenhausplätzen auch keine banale Angelegenheit. Gleichwohl scheint der Präventionsbegriff im Bereich der patriarchalen Gewalt nach wie vor einer erstaunlichen Verkürzung auf (potentielle) Opfer zu unterliegen. Aber Frauenhäuser, Beratungsstellen und Hilfetelefone sind keine Prävention, sind nicht Maßnahmen zur Gewaltvorbeugung, sondern lediglich Erste-Hilfe-Leistungen bei drohender oder erlebter Gewalt. Ruht sich eine Gesellschaft auf diesen Maßnahmen aus, nimmt sie die Gewalt fahrlässig und billigend in Kauf.

Dass dies der Fall ist, zeigt exemplarisch der neueste Bericht der UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem. Mit deutlichen Worten kennzeichnete sie den Umgang von Familiengerichten mit gewaltbetroffenen Müttern und Kindern als Menschenrechtsverletzung, weil Gewalttätern regelmäßig trotz allem der Umgang mit Kindern zugestanden und damit die Sicherheit der Frauen und Kinder gefährdet wird. Auch in Deutschland.

Dies berichten regelmäßig die Anwältinnen Christina Clemm und Asha Hedayati aus ihrer Alltagspraxis in Sozialen Medien, um das Problem sichtbarer zu machen. Nicht einmal nachdem Gewalttäter auffällig wurden, weiß die Gesellschaft also Antworten zu formulieren, die diese Taten angemessen sanktionieren und vor allem die Betroffenen schützen. Stattdessen wird die Sicherheit der Opfer unter Rückgriff auf pseudowissenschaftliche Entfremdungskonzepte und misogyne Mythen zugunsten der Interessen der Täter gefährdet, wie die Frauenhauskoordinierung e.V. kritisiert.

Das Beispiel zeigt: es braucht ein Umdenken. Patriarchale Gewalt und ihre strukturellen Ursachen müssen benannt werden; Toxische Männlichkeitskonstrukte müssen problematisiert werden; Vermeintliche Einzelfälle müssen als gesamtgesellschaftliches Problem adressiert werden. Es reicht nicht, dass die Ministerinnen mit ihrem Lagebild „jeden aufrütteln“ wollen und die entscheidenden Fragen dann nicht stellen. Denn wo sind die Täter in ihrer Präventionsstrategie? Es reicht einfach nicht, dass wir uns fragen, ob wir Betroffene kennen. Wir müssen uns endlich fragen, ob wir die Täter kennen. Wer sind sie? Warum hören sie nicht auf? Und wo bleibt das Konzept für eine Gesellschaft, in der sich Frauen nicht mehr schützen müssen?

Ulrika Mientus

Ulrika Mientus war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Marburg, wo sie ihr Promotionsprojekt über die Opferverbände der NS-Zwangssterilisierten und »Euthanasie«-Geschädigten zum Abschluss bringt. Sie ist Dozentin in der außerschulischen politischen Bildung und Redaktionsmitglied von W&F.

Krieg und Frieden jenseits »Großer Männer«

Krieg und Frieden jenseits »Großer Männer«

Eine feministische Kritik populärwissenschaftlicher Geschichtszeitschriften

von Dorothée Goetze

Populärwissenschaftliche Geschichtszeitschriften orientieren sich in Themenwahl und Präsentation an einem männlichen Publikum. Dies erklärt einerseits die inhaltliche Fokussierung auf Krieg und Konflikt sowie andererseits die auf »Große Männer« und deren Taten ausgerichtete Darstellung. Feministische Perspektiven können durch differenziertere Darstellungen nicht nur zu einer Neuausrichtung der Themenwahl durch die stärkere Berücksichtigung von Frieden beitragen, sondern dadurch gleichzeitig die Entwicklung von für ein diverseres Publikum attraktiven Präsentationsformen fördern.

History sells – Geschichte lässt sich gut vermarkten. Das ist bekannt und die Vielzahl medialer Formate, die einem breiten Publikum historische Inhalte vermitteln wollen, belegt das eindrücklich. Neben Radiosendungen, Podcasts, Filmen, Fernsehformaten und den sogenannten sozialen Medien sind hier auch populärwissenschaftliche Zeitschriften zu nennen. Diese haben eine lange Tradition. Das führende englischsprachige Magazin »History Today« erscheint seit 1951. Die älteste deutsche populärwissenschaftliche Geschichtszeitschrift »Damals« ist nur acht Jahre jünger. Einen wahren Boom erlebt das Genre seit Anfang der 2000er Jahre. Seitdem ist die Anzahl der verschiedenen Zeitschriften sehr stark angestiegen, eben weil Medienmacher*innen erkannt haben, dass man mit Geschichte Geld verdienen kann.

Ihrem Anspruch nach präsentieren diese Geschichtsmagazine einem breiten Publikum aktuelle Ergebnisse der historischen Forschung zu relevanten Themen. Untersuchungen zu den Konsument*innen von populärwissenschaftlichen Geschichtszeitschriften zeigen jedoch, dass deren Leserschaft nicht so vielfältig ist, wie der Begriff »breites Publikum« zunächst annehmen lässt. Diese Geschichtsmagazine werden vor allem von älteren und gut gebildeten Männern gelesen. Dies gilt nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern wird durch Studienergebnisse etwa aus Großbritannien bestätigt (De Groot 2016, S. 59). Geschichtsdidaktische Forschungsergebnisse lassen noch weiterreichendere Aussagen zu: Populärwissenschaftliche Geschichtsjournale vermitteln kein gleichgestelltes Geschichtsbild; Frauen werden weder als Individuum noch als Gruppe sichtbar, während Männer überrepräsentiert sind und in ihrer Darstellung stereotyp auf gewaltvolle Eigenschaften reduziert werden (Lundqvist 2016, S. 1). Meist wird auf »Große Männer« fokussiert, deren Leben eine Verbindung zu einem wichtigen zeitgenössischen Ereignis aufweist. Über alle Länder hinweg dominieren Krieg und Konflikt die dargestellten Inhalte, deren Auswahl ist allerdings von nationalen Geschichtsschreibungen geprägt (Schumann, Popp und Hannig 2015, S. 16). Diese Befunde spiegeln sich deutlich auf den Titel­blättern von Geschichtszeitschriften wider.

Wenn also Krieg und Konflikt den thematischen Schwerpunkt populärwissenschaftlicher Geschichtsmagazine bilden und sich deren Darstellung an einer gut ausgebildeten männlichen Leserschaft orientiert, stellt sich die Frage, wie sich diese Darstellung mit einer weiblichen oder feministischen Perspektive verändert.

Frauen im Krieg: Die Zeitschrift »Historiskan«

Frauen werden in populärwissenschaftlichen Geschichtsmagazinen selten thematisiert – und falls doch, dann in der Regel nicht im Kontext von Krieg und Frieden; von nicht binär gelesenen Personen ganz zu schweigen. Es ist durchaus bemerkenswert, dass sich bei der Vorbereitung dieses Textes kein einziges deutschsprachiges Geschichtsmagazin ermitteln ließ, das sich dezidiert an Frauen und/oder nicht-männliche Personen richtet, obwohl es gleichzeitig einen fast unüberschaubaren Markt an Frauenzeitschriften und zahlreiche explizit feministische (politische) Magazine gibt. Ist Geschichte also etwa ein rein männliches Thema?

In Schweden gibt es seit 2015 mit der Zeitschrift »Historiskan« (Übersetzung: Die Historikerin) ein Geschichtsmagazin, das Frauen und ihre Rolle in der Geschichte in den Fokus stellt und sich als ein Beitrag zu mehr Gleichstellung in der Geschichtsschreibung versteht.1 Diese Zeitschrift steht somit nicht in der Tradition eines feministischen, sondern eines geschlechtergeschichtlichen Zugangs zu Geschichte. Doch folgen gerade in den ersten Jahren der Zeitschrift die Titelblätter stark den oben beschriebenen Mustern bei Titelseiten anderer populärwissenschaftlicher Geschichtsmagazine, indem sie – wie ihre an Männer gerichteten Pendants – bekannte Frauenpersönlichkeiten in den Fokus rücken; obgleich der erste Titel zur Geschichte der weiblichen Brust mit einem Gemäldeausschnitt, der einen Busen zeigt, wohl zu Recht als programmatisch in Bild und Inhalt bezeichnet werden kann. Auf insgesamt sechs der inzwischen 31 erschienen Ausgaben (Stand: Dezember 2022) sind analog zu »Großen Männern« bedeutende Frauen abgebildet. Gezeigt wurden Königin Christina von Schweden (3/2016), Frida Kahlo (4/2016), Königin Marie-Antoinette (1/2017), Hilma af Klint (3/2017), Bernadette Devlin (4/2017) und Königin Margarethe I. von Dänemark (1/2020). Das legt den Schluss nahe, dass sich die Zeitschrift in der Frühphase stärker an der Bildsprache konventioneller Geschichtsmagazine orientierte, ehe sie eine eigene Ausdrucksform entwickelte. Unterscheidet sich die Auswahl der Persönlichkeiten zumindest insofern, als dass sie sich nicht auf Militärs und Politiker*innen beschränkt, sondern Herrscher*innen, Künstler*innen und politische Aktivist*innen repräsentiert, so handelt es sich jedoch auch hier um Einzelpersonen, denen eine herausgehobene Position zugeschrieben wird. Es wird also auch hier mit Personalisierung und Heroisierung gearbeitet.

Auf den ersten Blick scheinen Krieg und Frieden lediglich eine nachrangige Position auf der Themenliste in »Historiskan« einzunehmen. So zeigen nur zwei Titelseiten Bilder mit Kriegsbezug: Heft 2/2018 wählte als Aufmacher »Auf Leben und Tod. Suffragettenkrankenhäuser in London retteten Soldaten während des Ersten Weltkrieges«.2 Bildlich repräsentiert wird das Thema durch die Abbildung eines Gemäldes, das fünf Ärztinnen in OP-Kleidung zeigt, die einen Mann medizinisch versorgen. Die vierte Ausgabe des Jahres 2019 titelte »Im Schatten des Todes. 1939 errichteten die Nazis das einzige Frauenkonzentrationslager. Das Leben in Ravensbrück war geprägt von harter Arbeit und Grausamkeit«.3 Auf der Titelseite ist das Foto von befreiten Häftlingen des Konzentrationslagers Ravensbrück abgedruckt.

Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass bereits auf den Titelseiten der Zeitschrift Hinweise auf weitere Beiträge aus dem Bereich Krieg und Konflikt als Marginalien gesetzt werden. Darüber hinaus finden sich in den einzelnen Zeitschriftenausgaben immer wieder auch Texte, die Krieg thematisieren, ohne dass sie auf dem Titel beworben werden. In den Artikeln wird Krieg epochal breit gefächert, aber dennoch innerhalb eines durch andere Geschichtsmagazine bereits etablierten Kanons behandelt, von der Wikingerzeit (z.B. Historiskan 4/2017) bis zum 20. Jahrhundert (z.B. Historiskan 2/2017). Dabei werden unterschiedliche Facetten von Kriegserleben aufgegriffen. So gibt es etwa in Heft 1/2017 einen Artikel zum ersten russischen Frauenbataillon, das 1917 aufgestellt wurde (S. 58-63). Ausgabe 2/2017 enthält einen zehnseitigen Beitrag zum englischen Rosenkrieg, in dem Frauen als politische Akteurinnen dem blutigen Schlachtgeschehen und mächtigen Männern gegenübergestellt werden. Das nachfolgende Heft enthält eine Serie mit Aufnahmen der Fotografin Mia Green (1870-1949), die die Zeit des Ersten Weltkrieges in Haparanda bildlich dokumentiert hat, das als Grenzstadt zwischen dem neutralen Schweden und dem zum russischen Reich gehörenden Großfürstentum Finnland direkt vom Krieg betroffen war (Historiskan 3/2017, S. 44-49). Zudem ist im gleichen Heft ein Artikel zur Teilnahme von Frauen an den mittelalterlichen Kreuzzügen publiziert (Historiskan 3/2017, S. 57-61).

»Historiskan« folgt somit letztlich dem etablierten Narrativ der Heroisierung, das aus anderen populärwissenschaftlichen Geschichtszeitschriften bekannt ist, die stark mit den aufeinander bezogenen Mitteln der Heroisierung und Dämonisierung arbeiten; nur dass der Fokus verschoben wird und statt männlichen eben weibliche Heldinnen gewählt werden. Es erfolgt jedoch keine Anpassung der Erzählstrategien. Vielmehr wird ein etabliertes (männliches) Erzähl-Muster auf ein weibliches Publikum übertragen. Die Anpassung an die veränderte Zielgruppe erfolgt somit nicht durch die Art der Darstellung, sondern in erster Linie durch die Wahl der Protagonistinnen. Dabei folgt »Historiskan« fast ausnahmslos der Perspektive der weißen heterosexuellen Mittelschichtsfrau (Lundqvist 2016, S. 38).

Mit der Betonung von Krieg und Konflikt folgen populärwissenschaftliche Geschichtszeitschriften nicht der Entwicklung der geschichtswissenschaftlichen Forschung, die sich seit etwa 2010 verstärkt Fragen von Friedensdenken, -findung und -wahrung zuwendet, obwohl sie den Anspruch formulieren, am Puls der Forschung zu sein und aktuelle Ergebnisse zu präsentieren. Als Erklärung dafür, warum aktuelle Forschung und populäre Darstellungen in diesem Punkt unterschiedliche Pfade beschreiten, kann Joachim Krügers Befund zur Ausstellbarkeit von Frieden in Museen auf populärwissenschaftliche Geschichtszeitschriften übertragen werden: „Krieg ist verglichen mit Frieden […] konkreter und leichter fassbar“ (Krüger 2019, S. 381). Dabei böten gerade populärwissenschaftliche Geschichtszeitschriften (anders als Museen, die auf Ausstellungsobjekte angewiesen sind) die Möglichkeit, Frieden erzählbar zu machen.

Feministische Perspektive: ein Weg zum Frieden

Eine Voraussetzung dafür ist ein grundlegender Perspektivwechsel. Feministische Ansätze, wie sie in der (politikwissenschaftlichen) Friedens- und Konfliktforschung und den Internationalen Beziehungen fest etabliert sind (z.B. Smith und Yoshida 2022), können dafür die notwendigen Grundlagen schaffen. Eine feministische Perspektive hinterfragt die bislang dominierende und im Fall populärwissenschaftlicher Geschichtsmagazine auf weiße männliche Helden und Mittelschichtsfrauen ausgerichtete Erzählstrategie und strebt danach, bislang marginalisierte Akteur*innen zu berücksichtigen. Diese Perspektivverschiebung geht einher mit einer Reflexion etablierter Machtstrukturen und ermöglicht zugleich die Berücksichtigung von Alltagserleben und unterschiedlichen Wahrnehmungen. Das nimmt den Fokus weg von »Großen Männern« und Eliten, ohne diese jedoch in ihrer Wirkmächtigkeit (und eben auch Gewalt) zu negieren. Vielmehr werden diese unterschiedlichen Akteur*innen zueinander ins Verhältnis gesetzt. Dadurch können Inklusions- und Exklusionsmechanismen sichtbar gemacht werden. Es geht also nicht darum, eine eindimensionale Perspektive durch eine andere zu ersetzen, wie das im Fall der Zeitschrift »Historiskan« durch den Austausch der Protagonist*innen geschehen ist, sondern Krieg in seiner Komplexität sichtbar zu machen.

Dieser umfassende und integrative Zugriff feministischer Ansätze trägt nicht nur dazu bei, ein differenziertes Bild von Krieg jenseits von Held*innen zu zeichnen, sondern schafft die methodischen und theoretischen Voraussetzungen dafür, Frieden zu erzählen. Dies ist umso wichtiger, da, wie Christoph Kampmann betont, bislang die Schwierigkeit besteht, Friedenshandeln im gleichen Maße wie Krieg und Konflikt zu personalisieren und zu heroisieren (Kampmann 2019, S. 434). Dadurch ist Frieden bislang mit den Präsentationsstrategien populärwissenschaftlicher Geschichtsdarstellungen nicht oder zumindest nur schwer greifbar, wie sich im Kontext von Geschichtsmagazinen gezeigt hat. Eine feministische Perspektive würdigt die Komplexität von Friedenshandeln, -denken, -finden und -bewahren. Sie bedarf der »Großen Männer« nicht. Wichtiger sind Fragen danach, ob und welche anderen Gruppen sich nach Frieden gesehnt haben und sich diesen vorgestellt haben; auf welche Weise sie darin inbegriffen oder davon ausgenommen waren und ihn selbst durch ihr Handeln im Rahmen der bestehenden Machtverhältnisse herbeigeführt oder abgelehnt haben. Dadurch wird das Wechselspiel zwischen politischen Eliten, politischen Friedensbauer*innen sowie anderen Akteur*innen jenseits der sichtbaren politischen Bühne deutlich und der Beitrag der letztgenannten zu Frieden anerkannt. Das Einbeziehen ihrer (­Exklusions- und Diskriminierungs-)Erfahrungen trägt dazu bei, die Komplexität von Frieden zu erfassen, und verdeutlicht, warum Friedenfinden aber auch die Implementierung und das Bewahren von Frieden so schwer sind. Frieden wird damit nicht länger zum bloßen Ende von Kriegen reduziert, sondern als eigenständige und komplexe Leistung anerkannt und gewürdigt.

Bislang fehlt eine feministische Form populärwissenschaftlicher Geschichtserzählungen jedoch. Dieser Beitrag versteht sich daher als Anregung für eine kritische Reflexion populärer Geschichtsvermittlung und deren notwendige Weiterentwicklung. Eine solche (selbst-)emanzipierende Perspektive trägt nicht nur zu einem differenzierteren Bild von Geschichte jenseits etablierter Schubladen bei, sondern kann darüber hinaus einen wichtigen in die Zukunft gerichteten Beitrag zu gesellschaftlich relevanten Fragen und Problemstellungen leisten: Wenn Frieden auch historisch lesbar wird, können wir gegenwärtige Tendenzen der Militarisierung, der Heroisierung, der Maskulinisierung hinterfragen und wirksamer kritisch begleiten.

Anmerkungen

1) Die Zeitschrift ist online zu finden unter: historiskan.se

2) Schwedischer Originaltitel: »På liv och död. Suffragettsjukhus i London räddade soldater under första världskriget« (Historiskan 2/2018).

3) Schwedischer Originaltitel: »I dödens skugga. 1939 öppnades nazisternas enda koncentrationsläger avsett för kvinnor. Livet i Ravensbrück präglades av hårt arbete och grymhet« (Historiskan 4/2019).

Literatur

De Groot, J. (2016): Consuming History – Historians and heritage in contemporary popular culture. 2. Aufl. London/New York: Routledge.

Historiskan 3–4/2016, 1–4/2017, 2/2018, 4/2019, 1/2020

Kampmann, Ch. (2019): Westfälischer Frieden und frühneuzeitliche Friedensgeschichte: Überlegungen zu Forschungsperspektiven und Forschungstransfer. In: Goetze, D.; Oetzel, L. (Hrsg.): Warum Friedenschließen so schwer ist – Frühzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses. Münster: Aschendorff, S. 433-438.

Krüger, J. (2019): Krieg und Frieden in der Perspektive des Museums. In: Goetze, D.; Oetzel, L. (Hrsg.): Warum Friedenschließen so schwer ist – Frühzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses. Münster: Aschendorff, S. 377-394.

Lundqvist, C. (2016): Kvinnors historia: Mer än vårt kön – En intersektionell studie av tidskriften Historiskan. Examensarbeit im Studiengang Lehramt Geschichte, Universität Karlstad, online-Publikation: urn:nbn:se:kau:diva-42929.

Smith, S.; Yoshida, K. (2022): Feminist conversations on peace. Bristol: Bristol University Press.

Schumann, J.; Popp, S.; Hannig, M. (2015): EHISTO – European History Crossroads as pathways to intercultural and media education. A report about the EU project (2012–2014). In: Popp, S.; Schumann, J.; Hannig, M. (Hrsg.): Commercialised History – Popular History Magazines in Europe. Frankfurt a. M.: Peter Lang, S. 14-39.

Dr. Dorothée Goetze arbeitet als Lektorin für Geschichte an der Mittuniversitetet Sundsvall (Schweden). In ihrer Forschung untersucht sie u. a. Fragen der frühneuzeitlichen Historischen Friedensforschung und der Public History.

Militarisierung und geschlechts­spezifische Gewalt

Militarisierung und geschlechts­spezifische Gewalt

Wir haben ein (Daten-)Problem!

von Lamis Saleh und Fiona Wilshusen

Wir leben in einer militarisierten Welt – und die weltweiten Militärausgaben sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dass mehr Waffen jedoch auch mehr Sicherheit bedeuten, ist umstritten. Im Gegenteil, eine steigende Militarisierung kann eben auch größere (physische) Unsicherheit bedeuten, wie ein Blick auf geschlechtsspezifische Effekte zeigt. So wird Militarisierung in Verbindung gesetzt mit Gewalt gegen Frauen1. Wollen wir diese Beziehung jedoch empirisch analysieren, stoßen wir bald auf ein Problem – uns fehlen die Daten.

Frauen sind auf vielen Ebenen von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Grundsätzlich beschreibt geschlechtsspezifische Gewalt (auf Englisch: gender-based violence, kurz GBV) physische, psychische oder strukturelle Gewalt, von der eine Person aufgrund ihrer biologischen oder sozialen Geschlechtszugehörigkeit betroffen ist. Auch wenn diese Definition so Gewalt gegen alle Geschlechter einbezieht, sind Frauen und Mädchen überproportional stark davon betroffen2 – z.B. in Form von sexualisierter Gewalt, struktureller Machtungleichheit oder finanzieller Abhängigkeit. Deshalb wird er oft synonym verwendet mit dem Begriff Gewalt gegen Frauen. Da bei psychischer, physischer und/oder sexualisierter Gewalt der Täter in vielen Fällen der (Ex-)Partner ist, wird diese Form der Gewalt oft auch als Partnergewalt bezeichnet.

Faktoren, die geschlechtsspezifische Gewalt begünstigen, können laut WHO mangelnde Gleichberechtigung der Geschlechter, ökonomische Abhängigkeit und soziale Normen, die Frauen einen niedrigeren Status als Männern zuschreiben, sein (WHO 2021). Doch wie hängen diese Dynamiken mit Militarisierung zusammen?

Militarisierung und geschlechtsspezifische Gewalt

Grundannahme des Militarisierungskonzeptes ist, dass das Militär auch in politische, ökonomische und gesellschaftliche Räume wirkt. Militarisierung beschreibt dabei einen Prozess, innerhalb dessen nicht nur militärische Werte an Gewicht in der Gesellschaft gewinnen, auch die Art der Ressourcenverteilung kann Teil einer zunehmenden Militarisierung sein (Enloe 2000).

Mit einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft werden nicht nur Gewalt und Aggression eher als legitime Mittel der Konfliktlösung angesehen, auch die Beziehung zwischen den Geschlechtern kann stärker hierarchisiert werden. Bereits in den 1980ern etablierten Wissenschaftler*innen eine theoretische Verbindung zwischen Militarisierung und der patriarchalen Ordnung – diese sind demnach eng verwoben und verstärken sich gegenseitig (Enloe 1983; Reardon 1985). Zentral ist dabei das hierarchisierte Konzept einer militarisierten Männlichkeit – tough, dominant, aggressiv – und einer passiven, schutzbedürftigen Weiblichkeit (Elshtain 1982; Whitworth 2004; Eichler 2014).3 Durch diese Hierarchisierung einerseits und das Propagieren militärischer Werte wie Härte und Dominanz andererseits, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum, wird zunehmende Militarisierung assoziiert mit einem Anstieg an physischer, struktureller und kultureller Gewalt, von der Frauen in besonderem Maße betroffen sind (Sharoni 2016). So geben (hoch-)militarisierte Staaten hohe Summen ihres Staatshaushaltes für den militärischen Sektor aus, was oft einhergeht mit geringeren Ausgaben für soziale Belange, im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Andere Studien wiederum identifizieren eine direkte Verbindung zwischen Militarisierung und geschlechtsspezifischer Gewalt, da staatliche Sicherheitskräfte (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Bereich und privaten Raum ausüben – und oft Täter von Partnergewalt sind. Doch Militarisierung kann auch indirekt wirken. So hat eine empirische Analyse gezeigt, dass sich steigende Militarisierung negativ auf Geschlechtergerechtigkeit und die Erwerbstätigkeit von Frauen auswirken kann (Elveren, Moghadam und Dudu 2022). Beides hat die WHO als Faktoren identifiziert, die GBV begünstigen.

Die (empirischen) Zusammenhänge?

Trotz des starken theoretisch begründeten Zusammenhangs zwischen dem Militarisierungsgrad eines Landes und der Prävalenz von geschlechtsspezifischer Gewalt, fehlt es erstaunlicherweise weitgehend an empirischen Analysen. Soweit uns bekannt ist, hat keine Studie einen solchen Zusammenhang quantitativ nachgewiesen. Ein Hauptgrund dafür ist wohl die mangelnde Verfügbarkeit von Daten.

In einem ersten Schritt haben wir in unserer Forschung daher versucht, den Grad der Militarisierung mit geschlechtsspezifischer Gewalt zu verknüpfen. Der Globale Militarisierungsindex (GMI, siehe bicc 2022) ist der einzige Index, der die weltweite Militarisierung abbildet. Dabei legt er aber seinen Schwerpunkt auf Ressourcenverteilung und Bedeutung des Militärapparats von Staaten im Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzem und hat daher eher ein strukturelles Militarisierungskonzept zugrunde liegen. Kulturelle und geschlechtsspezifische Implikationen werden so außer Acht gelassen. Wenn wir hier also bereits auf erste Limitationen stoßen, ergibt sich hinsichtlich der Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt ein desaströses Bild: Soweit wir wissen, gibt es keinen indexbasierten und aktuellen Datensatz zur Messung geschlechtsspezifischer Gewalt. Alle verfügbaren Daten sind entweder über die Jahre hinweg nicht konsistent oder für eine gründliche Analyse nicht in einem ausreichend großen geografischen Maßstab verfügbar. Um dennoch eine erste empirische Analyse zu wagen, greifen wir auf einen Datensatz der Vereinten Nationen zurück. In ihrem Bemühen, die Gleichstellung der Geschlechter unter dem entsprechenden Nachhaltigen Entwicklungsziel (SDG 5) zu fördern, stellen die Vereinten Nationen einige Statistiken zur Messung geschlechtsspezifischer Gewalt zur Verfügung. Basierend auf Erhebungen und Initiativen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in den Jahren 2000-2018, misst dieser Datensatz den Prozentsatz von Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren, die in den vergangenen zwölf Monaten Gewalt durch einen aktuellen oder früheren Partner erfahren haben. So sind diese Daten aber nicht nur zeitlich limitiert, sondern bilden nur einen kleinen Teilaspekt von geschlechtsspezifischer Gewalt ab, nämlich Partnergewalt.

Daher stellt unsere Analyse nur eine – sowohl zeitlich als auch bezüglich der Datenqualität stark limitierte – Momentaufnahme der vermuteten Beziehung dar. Wir versuchen zunächst, den allgemeinen Zusammenhang zwischen Militarisierung und geschlechtsspezifischer Gewalt zu messen. Abbildung 1 zeigt die Korrelation zwischen beiden Variablen für alle 153 Länder in unserem Datensatz für das Jahr 2018.

Abbildung 1: Korrelation von Militarisierung und »Gender-Based Violence«, Quelle: die Autorinnen.

Sie zeigt eine signifikant negative Korrelation, was darauf hindeutet, dass eine höhere Militarisierungsrate mit einem niedrigeren Niveau geschlechtsspezifischer Gewalt verbunden ist. Was vor dem Hintergrund der theoretischen Verbindung auf den ersten Blick große Fragen aufwirft, wird mit einem zweiten Blick klarer. Die negative Korrelation deutet nicht zwangsläufig darauf hin, dass steigende Militarisierung zu sinkender GBV führt. Vielmehr deuten sich hier die Folgen des Datenproblems an: Die jeweiligen Charakter der zur Verfügung stehenden Datensätze (limitiertes Militarisierungsverständnis, limitiertes GBV-Verständnis) und die eklatanten Datenlücken verzerren das Bild.

Da diese erste grobe Korrelation eine massive Diskrepanz zu theoretischen Ableitungen darstellte, wollten wir das Verhältnis der Daten tiefer ergründen. Für unsere Analyse betrachten wir nun die Karte 1. Die Größe der Staatsterritorien auf unserer Karte hängt von ihrem relativen Militarisierungsgrad ab. Einige Länder erscheinen größer, als ihre maßstabsgetreue Größe wäre, während andere kleiner erscheinen. Die geschlechtsspezifische Gewalt wird durch die farbige Visualisierung dargestellt. Je höher der Grad der Gewalt ist, desto mehr bewegen sich die Länder im roten Farbspektrum.

Karte 1: Weltkarte zu »Gender-Based Violence«, Quelle: die Autorinnen.

Bei einem Blick auf die Karte ergibt sich ein etwas anderes Bild als bei der vorhergehenden Korrelation. Länder in Zentralafrika mit einem höheren Militarisierungsgrad haben mit großer Wahrscheinlichkeit auch einen höheren Wert von geschlechtsspezifischer Gewalt zu verzeichnen. Für einige Länder mit sehr hohen Militarisierungsraten, z.B. Russland, liegen keine GBV-Daten vor. Diese Beobachtungen helfen, die Zusammenhänge zwischen Militarisierung und geschlechtsspezifischer Gewalt empirisch besser zu verstehen. Am Beispiel Russland zeigt sich auch, inwieweit die Datenlücken das Gesamtbild verzerren: Sowohl das Komitee der Frauenrechtskonvention als auch Human Rights Watch weisen auf die hohe Prävalenz von Gewalt gegen Frauen in Russland hin – es gibt aber schlicht keine offiziellen Statistiken. Im Jahr 2017 wurde darüber hinaus ein Gesetz verabschiedet, das sogenannte häusliche Gewalt in Russland dekriminalisiert. Dies führt nicht nur zur Straflosigkeit der Täter*innen, sondern mit Blick auf die Datenverfügbarkeit auch zu steigenden Dunkelziffern.

Es zeigt sich vor allem eins: Wir haben zu wenig Informationen. Da uns nur limitierte Daten zur Verfügung stehen, gibt es zwar Anhaltspunkte aber nicht genügend Evidenzen, um kausale Beziehungen herzustellen. So kann unsere empirische Analyse zwar eine erste Tendenz abbilden für den Zusammenhang zwischen Militarisierung und geschlechtsspezifischer Gewalt, aber das Gesamtbild bleibt trübe. Es zeigt sich also deutlich, dass die Daten für gehaltvolle Analysen – und in der Konsequenz auch politische Empfehlungen – fehlen. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund (inter-)nationaler Bekenntnisse zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt besorgniserregend – und muss sich dringend ändern!

Anmerkungen

1) Der Begriff »Frauen« umfasst alle Personen, die sich als Frau identifizieren.

2) Gewalt, die dich explizit gegen LGBTQIA*-Personen richtet, fällt theoretisch auch unter diese Begriffsdefinition, allerdings wird der Begriff in diesem Zusammenhang selten verwendet.

3) Dieses Machtgefälle wirkt nicht nur geschlechtsspezifisch, die Konstruktion von militarisierter Maskulinität ist ein Gegenentwurf zu jeglichem »Anderen« und basiert damit gleichermaßen auf Homophobie, Misogynie und Rassismus. Hier fokussieren wir aber auf geschlechtsspezifische Implikationen.

Literatur

BICC (2022): Globaler Militarisierungsindex, Online: gmi.bicc.de.

Eichler, M. (2014): Militarized masculinities in international relations. The Brown Journal of World Affairs 21(1), S. 81-93.

Elshtain, J. B. (1982): On beautiful souls, just warriors and feminist consciousness. Women’s Studies International Forum 5 (3/4), S. 341-348.

Elveren, A.Y.; Moghadam, V.M.; Dudu, S. (2022): Militarization, women’s labor force participation, and gender inequality: evidence from global data. Women’s Studies International Forum 94, 102621.

Enloe, C. (1983): Does khaki become you? The militarisation of women’s lives. London: Pluto Press.

Enloe, C. (2000): Maneuvers: The international politics of militarizing women’s lives. Berkeley: University of California Press.

Reardon, B. (1985): Sexism and the war system. New York: Syracuse University Press.

Sharoni, S. (2016): Militarism and gender-based violence. In: Wong, A.; Wickramasinghe, M.; hoogland, r.; Naples, N.A. (Hrsg.): The Wiley Blackwell Encyclopedia of Gender and Sexuality Studies. O.S.

UNSDG (2022): United Nations SDG Indicators Database, online: unstats.un.org/sdgs/dataportal.

Whitworth, S. (2004). Men, militarism and UN peacekeeping: a gendered analysis. Boulder, Col.: Lynne Rienner Publishers.

WHO (2021). Violence against women, online: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/violence-against-women.

Dr. Lamis Saleh ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Unterstützung der Kontrolle von Klein- und Leichtwaffen in Afrika« am Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC).
Fiona Wilshusen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte«, ebenso am BICC.

It’s a man’s world?


It’s a man’s world?

Diplomatengattinnen auf dem Westfälischen Friedenskongress

von Lena Oetzel

Auf den ersten Blick erscheint der Westfälische Friedenskongress (1643–1649) als eine reine Männerveranstaltung. Viele der Gesandten wurden aber von ihren Ehefrauen begleitet. Diese eröffneten informelle Kommunikationswege und trugen so zum Funktionieren des Kongresses bei.

Beschwörung der Ratifikation des Friedens von Münster

Abbildung 1: Beschwörung der Ratifikation des Friedens von Münster am 15. Mai 1648, Gerard ter Borch, 1648, Rijksmuseum Amsterdam. Quelle: Wikimedia Commons.

Diplomatie und insbesondere Friedensverhandlungen in der Frühen Neuzeit erscheinen zunächst als eine reine Männerwelt; diesen Eindruck vermitteln gerade auch die zeitgenössischen bildlichen Darstellungen zum Westfälischen Friedenskongress. Gerard ter Borchs bekanntes Gemälde vom niederländisch-spanischen Friedensschluss etwa zeigt ausschließlich Männer (siehe Abbildung 1).

Auch unter den Gesandtenportraits, die für die Rathäuser von Münster und Osnabrück zur Erinnerung angefertigt wurden, finden sich nur Männer. Lediglich unter den Portraits der Herrschenden sind zwei Frauen vertreten: Königin Christina von Schweden und Landgräfin Anna Amalia von Hessen-Kassel, die als Regentin für ihren minderjährigen Sohn auftrat. Alle offiziellen Gesandten in Münster und Osnabrück waren jedoch Männer.1

Friedensverhandlungen als Männerveranstaltung?

Sie waren nach Westfalen geschickt worden, um die Konflikte, die als Dreißigjähriger Krieg bekannt sind, beizulegen.2 Fast ganz Europa – Frankreich, Spanien, Schweden, die Niederlande, der Kaiser und die Reichsstände, um nur die Hauptverhandlungsparteien zu nennen – war in diesen ursprünglich reichsinternen Konflikt verwickelt. Alle Versuche, nur zwischen einzelnen Konfliktparteien Frieden zu schließen, waren gescheitert. Der Westfälische Friedenskongress war der erste internationale Gesandtenkongress dieser Größenordnung und damit diplomatisches Neuland.

Aber handelte es sich bei dem Kongress wirklich um eine reine Männerveranstaltung? Die Forschung hat in den letzten Jahren gezeigt, dass frühneuzeitliche Diplomaten nicht nur ausführende Organe ihrer jeweiligen Dienstgeber*innen waren, sondern eigenständige Akteure. Sie hatten eigene Interessen, waren u.a. auch Ehemänner und Väter. Als solche wurden viele Gesandte von ihren Ehefrauen und Kindern nach Westfalen zu den Friedensverhandlungen begleitet.

Diese fehlen jedoch auf den diplomatischen »Familienbildern« des 17. Jahrhunderts. Für das Verständnis der Verhandlungssituation und des Kongresses in seiner Funktionsweise sind sie aber wichtig. Nicht zuletzt, weil die meisten anwesenden Gesandten mehrere Jahre von zu Hause fort waren. Dabei war zu Beginn des Kongresses nicht klar, wie lange es dauern würde und ob er nicht, wie frühere Versuche, scheitern würde. Wenn die Gesandten also nicht von ihren Familien begleitet wurden, waren sie von ihren Ehefrauen und Angehörigen getrennt, was sich durchaus auf ihr Wohlbefinden auswirkte.

Der kurbrandenburgische Gesandte Johann Friedrich von Löben etwa beklagte sich bei seinem Patron am Berliner Hof: „Die andern Abgesandten haben meistlich alle ihre Eheschätze bei sich. […] Ich aber weiß kein Rhatt, bin zwar schoen bei Jharen, empfinde doch gleichwhol zu Zeitten ein Verlangen nach der meinigen. Im Sommer gehet es noch hin, aber im Wintter wirdts zu kalt sein, alleine zu schlaffen.3

Frauen als informelle Akteurinnen

Die Rolle der Diplomatengattinnen beschränkte sich allerdings nicht nur auf die der Begleiterin, die für das Wohlbefinden ihres Ehemannes sorgte und an den gesellschaftlichen Aktivitäten teilnahm. Eine solche Betrachtungsweise greift zu kurz und blendet die Bedeutung informeller Akteur*innen aus.

Die Forschungen der letzten Jahre hat für den Hof gezeigt, dass Fürsten und Fürstinnen sowie Diplomaten und ihre Ehefrauen zumeist als Arbeitspaare agierten.4 Den Frauen standen oft andere (weiblich dominierte) Netzwerke zur Verfügung als ihren Ehemännern, z. B. zu den Fürstinnen. Gerade die informelle Natur ihrer Handlungsmöglichkeiten erlaubte es, etwa Angelegenheiten unverbindlich vorzubringen, bevor offizielle Verhandlungen eingeleitet wurden.5

Der Westfälische Friedens­kongress als besonderer Handlungsraum

Nun funktionierte aber ein Friedenskongress anders als ein Hof: Er war von zeitlich begrenzter Dauer und wurde nicht von einer*m Herrscher*in mit Hofstaat dominiert. Alles gesellschaftliche Leben musste erst organisiert werden, die zeremoniellen Regeln des Miteinanders ausverhandelt werden. Das heißt, auch die informellen Räume und Kommunikationskanäle mussten erst gefunden werden.

Diplomatengattinnen spielten bei der Schaffung und Gestaltung dieser informellen Kommunikationswege eine wichtige Rolle. Der portugiesische Gesandte Sousa Coutinho beispielsweise beklagte die Abwesenheit seiner Ehefrau, weil diese ihm Kontaktmöglichkeiten zu den Ehefrauen der niederländischen Gesandten eröffnet hätte.6

Das Mittagessen als Ort diplomatischer Konflikte

Wie wichtig solche informellen Kontakte waren und wie sie funktionierten, zeigt das Beispiel des kaiserlichen Gesandten Johann Maximilian Graf von Lamberg und des kurbrandenburgischen Gesandten Johann VIII. Graf von Sayn-Wittgenstein. Deren Ehefrauen Judith Rebecca Eleonore Gräfin von Lamberg und Anna Augusta Gräfin zu Waldeck waren eng befreundet. Lamberg notierte regelmäßig, dass sich die Ehepaare gegenseitig zum Essen besuchten.7

Was bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten besprochen wurde, ist nicht überliefert. In Einzelfällen lässt sich aber der Kontext rekonstruieren. Im Januar 1646 etwa speisten Lambergs bei Sayn-Wittgensteins, wobei sich die Herren heftig über die schwedischen Gebietsforderungen stritten. Lamberg selbst notierte dieses Treffen in seinem Diarium ohne weitere Anmerkungen. Von dem Streit erfahren wir aus Berichten Dritter.8

Die Anwesenheit der Ehefrauen gab der Situation einen informellen Anstrich, der es ermöglichte, Dinge zu sagen, die in einem anderen Kontext vielleicht einen Affront dargestellt hätten. Gleichzeitig sicherten sie den Kontakt: Die Gräfin Sayn-Wittgenstein speiste nur wenige Tage später bei Lambergs und auch Graf Lamberg selbst war bald wieder beim Ehepaar Sayn-Wittgenstein zu Gast.9 Natürlich gab es auch andere Möglichkeiten, solche Räume der Informalität herzustellen, z.B. bei Gratulations- und Kondolenzbesuchen, bei Kirchgängen oder Ausflügen in die Umgebung.10 Wie diese verschiedenen informellen Settings zusammenspielten, ist noch zu untersuchen.

Diplomatengattinnen als Interessenvermittlerinnen

Wiederholt wurden Diplomatengattinnen als Vermittlerinnen eingeschaltet. Wenn die üblichen Wege, die eigenen Interessen vorzubringen und durchzusetzen, erschöpft schienen, wandten sich die Gesandten mitunter an die Ehefrauen ihrer Verhandlungspartner. Gerade wenn deren Ehemänner sich als unzugänglich erwiesen und etwa einen Gesprächstermin verweigerten, boten die Ehefrauen eine Kontaktmöglichkeit.

Deutlich zeigt sich dies anhand von Anne Geneviève de Bourbon-Condé Duchesse de Longueville, Ehefrau des französischen Gesandten Henri d’Orléans Duc de Longueville11, die zudem als Mitglied des französischen Königshauses die ranghöchste Person überhaupt am Kongress war und entsprechende Aufmerksamkeit auf sich zog (siehe Abbildung 2). Der Bischof von Osnabrück wandte sich mit der Bitte an sie, sich für den Erhalt dreier Hochstifte und gegen deren Säkularisierung bei ihrem Mann einzusetzen, was diese auch tat.

Inwieweit die Intervention der Ehefrauen sich tatsächlich auf das Verhandlungsgeschehen auswirkte, ist meist den Quellen nicht zu entnehmen. Klar ist aber, dass sie durchaus in das Verhandlungsgeschehen einbezogen waren und an informellen Gesprächen ihrer Ehemänner teilnahmen, wie bei gemeinsamen Mahlzeiten.

Wie verbreitet diese Einflussnahme von Diplomatengattinnen auf Friedenskongressen war, über welche weiteren Handlungsmöglichkeiten sie verfügten und wie sich diese von denen am Hof unterschieden, bedarf weiterer Forschungen. Hierfür müssen auch spätere Friedenskongresse untersucht werden. Während die (diplomatischen) Handlungsspielräume von Frauen am Hof immer mehr Aufmerksamkeit erhalten, fehlen ähnliche Untersuchungen für Friedenskongresse fast vollständig. Bereits jetzt ist aber klar, dass sie wesentlich dazu beitrugen, informelle Räume und Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Sie wurden als alternative Mittlerinnen angesprochen und waren als solche informeller Teil des Verhandlungsgeschehens.

Der Westfälische Friedenskongress mag zwar zunächst als Männerwelt erscheinen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass es eine Welt war, in die Frauen eingebunden waren und in der sie eine wesentliche Rolle spielten auf dem mühsamen Weg der Friedensfindung.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht auf »fernetzt. Junges Forschungsnetzwerk Frauen- und Geschlechtergeschichte«, URL: univie.ac.at/fernetzt/20210515/.

Anmerkungen

1) Vgl. Duchhardt, H;Kaster, K. G. (Hrsg.) (1996):, „… zu einem stets währenden Gedächtnis“. Die Friedenssäle in Münster und Osnabrück und ihre Gesandtenporträts: anlässlich des Jubiläums 350 Jahre Westfälischer Frieden von Münster und Osnabrück im Jahre 1998, Bramsche: Rasch.

2) Einführend jüngst: Burkhardt, J. (2018): Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart: Klett-Cotta; Schmidt, G. (2018): Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, München: C.H.Beck.

3) Löben an Konrad von Burgsdorf, Osnabrück, den 18./28. April [1645], in: Meinardus, O. (Hrsg.) (1893): Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Bd. 3: Vom Januar 1645 bis Ende August 1647, Osnabrück, Nr. 59, S. 102.

4) Vgl. Wunder, H. (1992): Er ist die Sonn‘, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit, München: C.H.Beck.

5) Bastian, C. u.a. (Hrsg.) (2014): Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Köln Weimar Wien: Böhlau; Sluga, G.; James, C. (Hrsg.) (2015): Women, diplomacy and international politics since 1500, London: Routledge; von Thiessen, H. (2020): Die Gender-Perspektive in der Geschichte der frühneuzeitlichen Außenbeziehungen: Frauen in einer Männerdomäne? In: Schnelling-Reinicke, I.; Brockfeld, S. (Hrsg.): Karrieren in Preußen – Frauen in Männerdomänen, Berlin: Duncker & Humblot, S. 291–304.

6) Croxton, D. (2013): Westphalia. The last Christian peace, Basingstoke: Palgrave Macmillan, S. 172.

7) Vgl. Brunert, M.-E. (2001): „… ich hatte ja auch luxaugen sowohl als andere“. Der Augenzeugenbericht eines Teilnehmers am Westfälischen Friedenskongress über den Wallfahrtsort Rulle. Osnabrücker Mitteilungen 106, S. 127-143, hier S. 142f.

8) Vgl. 08.01.1646, 02.02.1646, in: Acta Pacis Westphalicae. Serie III Abteilung C: Diarien, Bd. 4: Diarium Lamberg 1645–1649 (APW III C 4), bearb. von Herta Hageneder, Münster 1986, S. 107, 110; Verhandlungen der Pommerschen Gesandten auf dem Westphälischen Friedenscongreß, in: Baltische Studien V.1 (1838), S. 1–130, hier S. 4f; Brunert 2001, S. 142f.

9) Vgl. 10.01.1646, in: Diarium Lamberg, APW III C 4, S. 107.

10) Vgl. z. B. Oetzel, L. (2019): Die Leiden des alten T. Krankheit und Krankheitsdiskurse auf dem Westfälischen Friedenkongress. In: Goetze, D.; Oetzel, L. (Hrsg): Warum Friedenschließen so schwer ist. Frühneuzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses, Münster: Aschendorff, S. 323–340, bes. S. 329–331.

11) Maria-Elisabeth Brunert gibt mit ihrer Studie einen ersten wichtigen Einblick in die Bedeutung von Diplomatengattinnen für die Verhandlungen: Brunert, M.-E. (2019): Interzession als Praktik. Zur Rolle von Diplomatengattinnen auf dem Westfälischen Friedenskongress In: Goetze, D.; Oetzel, L. (Hrsg): Warum Friedenschließen so schwer ist. Frühneuzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses, Münster: Aschendorff, S. 209–225.

Lena Oetzel ist Historikerin am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes (ÖAW/Wien) und an der Universität Salzburg. Sie forscht u.a. zu frühneuzeitlichen Friedenskongressen.

Intersektionale Zugänge


Intersektionale Zugänge

3. Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen, Hochschule Rhein-Waal, 16.-17. Juni 2020

von Christine Buchwald, Eva-Maria Hinterhuber, Lena Merkle, Victoria Scheyer und Elke Schneider

Bereits zum dritten Mal luden die Frauenbeauftragten der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) am 16. und 17. Juni zur Tagung »Feministische Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung« ein. Diesmal lag der Fokus auf intersektionalen Zugängen, also auf den Wechselwirkungen, die sich aus unterschiedlichen Differenzkategorien, wie Geschlecht, Ethnizität und Klasse, ergeben. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit der Geschäftsstelle der AFK, angesiedelt an der Hochschule Rhein-Waal, sowie der dortigen Fakultät Gesellschaft und Ökonomie ausgerichtet.

Aufgrund der Corona-Pandemie konnte die Tagung nicht vor Ort stattfinden und wurde virtuell durchgeführt. Das bereits bewährte Format des Work-in-progress-Workshops stand auch diesmal im Fokus, sodass Arbeiten auch in einem frühen Bearbeitungsstadium vorgestellt werden konnten. Um während der Onlinesitzungen genug Zeit für die Diskussion zu lassen, wurde die Tagung angelehnt an das »Flipped Classroom«-Modell gestaltet: Die Vortragenden wurden gebeten, Manuskripte, Podcasts und Videos im Vorfeld bereitzustellen. In der Onlinesitzung lag der Fokus nach einer kurzen Vorstellung des Beitrags mehr auf der beratenden Diskussion.

Durch das Onlineformat nahmen an den vier Panels und der Keynote zum Teil unterschiedliche Personen teil. Im Durchschnitt waren 35 Personen in den Onlinesitzungen.

Im ersten Panel, »Arms, Violence and Gender Roles«, präsentierte Veronika Datzer ihre Arbeit »The Necessity of Gender in (Non-) Proliferation Policy-Making«, in der sie die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive auf die Debatte über die Verbreitung von Atomwaffen beschreibt. Zur Begründung führte sie die Auswirkungen auf und die Rolle von Frauen in Abrüstungsverhandlungen sowie von Männlichkeit in der Politikgestaltung an. Daran anknüpfend präsentierte Jannis Kappelmann seine Überlegungen zu »Nuclear Weapons and Patriarchy – A Gender Perspective on Disarmament«, in denen er auch auf die Konsequenzen von hegemonialer Männlichkeit in der politischen Debatte verwies. Für die Diskussion fragte er unter anderem danach, wie der vorherrschende männliche Habitus dekonstruiert werden könne. Im letzten Vortrag des Panel, »Putting Intersectionality into Peacebuilding Practice – Diversifying Spaces of Options in DDR Discourse« (DDR = disarmament, demobilisation and reintegration; die Red.), ging Celia Schütt auf die Bandbreite an intersektionalen Perspektiven im DDR-Diskurs ein, die es in einem „portfolio of options“ zu integrieren gelte, um allen beteiligten Personen die für sie jeweils notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.

Am Nachmittag folgte ein Panel zu »Transition towards Peace«, in dem Claudia Cruz Almeida in ihrem Beitrag »State-demolishing – The Phenomen of Gender-blind Statebuilding. Sierra Leone Case Study« die Frage stellte, ob der Statebuilding-Prozess in Sierra Leone tatsächlich als Erfolg bezeichnet werden kann, obwohl Frauen von dem DDR-Programm nicht profitiert haben. Dominik Folger ging anschließend in seinem Beitrag »Women and Transition in Tunisia« auf das Konzept der Repräsentation von Frauen ein. Er unterschied dabei zwischen »descriptive representation« und »substantive representation«. In der Diskussion wurden unterschiedliche Möglichkeiten für substantielle Repräsentation betrachtet: über gendersensitive Themensetzungen in den politischen Debatten oder über die von Frauen benannten Zielsetzungen und deren Erreichung. Im Anschluss adressierte Juliana Gonzalez Villamizar in ihrem Vortrag »The Promise and Perils of Mainstreaming Intersectionality in the Colombian Peace Process« die Instrumentalisierung von Intersektionalität durch die kolumbische Wahrheitskommission. Abschließend diskutierte Laura Gerards Iglesias in ihrem Beitrag »Women for Peace but No Piece for Women« einen Vergleich des lokalen Engagements von Frauen in zwei kolumbianischen Regionen. Dabei stellte sie gerade die je eigene intersektionale Verortung als einen wesentlichen Unterschied zwischen den Frauengruppen heraus.

Der erste Tag endete mit der Keynote von Prof. Dr. Tatiana Zimenkova und Dr. Verena Molitor, die über »Executive Power and Sexual Citizenship – Negotiating Loyalities, State-Citizen Relations and Uniforming Sexual Citizenship« sprachen. In ihrer Forschung betrachten sie LGBTQI*-Personen, die im Polizeidienst tätig sind. Diese versuchen, ihre beiden Lebenswelten miteinander zu verknüpfen, einerseits als Teil des staatlichen Systems, andererseits qua sexueller Orientierung und Identität potenziell auch als Teil politischer Bewegungen. In der Diskussion verdeutlichten sie, dass die Identität als Polizist*in für die Beteiligten gewichtiger ist als andere gesellschaftliche Identitätszuschreibungen, wie etwa Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Ethnizität. Das begründen sie damit, dass die Berufsidentität sich auf eine dauerhafte und klar umrissene Gruppe bezieht. Zudem gebe es eine große Loyalität gegenüber der Institution, die gleichzeitig als Familie wahrgenommen werde.

Im Panel »Can the Women, Peace and Security Agenda Work as a Tool for Peace?« beschäftigten sich die Panelistinnen am zweiten Tag aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der UN-Agenda zu »Women, Peace and Security« (WPS). Meike Fernbach vertrat in ihrem Beitrag »Does Protection Lead to Peace? The WPS Agenda and Its Focus on Conflict-Related Sexual Violence« die Perspektive, dass in der Debatte über die WPS-Agenda der Fokus zu stark auf den Schutz von Frauen gelegt werde, indem diese auf ihre Betroffenheit als Opfer von sexualisierter Kriegsgewalt reduziert werden. Ihre These ist, dass der vornehmliche Fokus auf Schutz keinen Frieden bringt, sondern dass hierfür Partizipation und Empowerment von Frauen notwendig seien. Im folgenden Beitrag, »Does Participation Bring Peace? How CSOs Contribute to NAPs Agenda«, ging Amy Herr auf die Rolle von zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) bei der Etablierung und Umsetzung von nationalen Aktionsplänen (NAPs) in Bezug auf die »Women, Peace and Security«-Agenda ein. Amy Herr fragt danach, wie »meaningful participation« dieser Organisationen aussehen kann. Im letzten Beitrag in diesem Panel präsentierte Victoria Scheyer ihre Gedanken zu »Does Security Equal Peace – What Security is the WPS Agenda Talking About?«. Sie argumentierte, dass die WPS-Agenda aus einem Sicherheitsanspruch heraus formuliert ist, der nicht feministisch ist. Die WPS-Agenda unterstütze demnach Militarismus, füge Frauen als Körper, aber nicht deren Perspektiven hinzu und habe den Anspruch, Krieg für Frauen sicherer zu machen, aber nicht, Krieg an sich zu verhindern.

Im letzten Panel, »Epistemology and Knowledge Transfer«, thematisierte Viviane Schönbächler in ihrem Beitrag »Women Journalists Covering Conflicts? An Intersectional Analysis of Media Practices in Proximity Radios in Burkina Faso« ihr Promotionsprojekt, in dem sie analysiert, inwiefern die Beteiligung von Frauen an Radioprogrammen in Burkina Faso die Teilnahme an Konfliktbewältigungsprozessen beeinflusst. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen nutzte sie die Tagebuchmethode für ihre Befragung weiblicher Radio-Journalistinnen. Im letzten Beitrag von Alena Sander, »Feminist Field Research in Times of COVID-19 – Challenges, Innovation and Responsibility«, ging es um die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Da sie ihre Forschung zu jordanischen Frauenorganisationen mit dem Anspruch verknüpft, »research as care« zu leisten, ist es ihr wichtig, ihre Forschung so auszurichten, dass Rücksicht auf die und Anteilnahme an den persönlichen Bedürfnissen ihrer Interviewpartnerinnen gewährleistet werden können. Deren Bedürfnisse verändern sich aber aktuell.

Die Rückmeldungen zum Veranstaltungsformat sowie zu den einzelnen Beiträgen waren durchweg positiv, sodass eine Fortsetzung der Tagungsreihe im kommenden Sommer geplant ist. Ein ausführlicher Tagungsbericht kann auf der AFK-Homepage abgerufen werden (afk-web.de/cms/netzwerk-friedensforscherinnen).

Christine Buchwald, Eva-Maria Hinterhuber, Lena Merkle, Victoria Scheyer und Elke Schneider

Feministische Friedensarbeit


Feministische Friedensarbeit

Tagung der Projektgruppe »bertha«, Hannover, 1. Februar 2020

von David Scheuing und Katharina Müller

Unter dem Titel »Feministische Friedensarbeit: Reflexion. Organisation. Thema – Gender und Intersektionalität als Chancen der antimilitaristischen und pazifistischen Arbeit« fand am 1. Februar dieses Jahres in Hannover die erste Veranstaltung der Projektgruppe »bertha – Werkstatt für intersektionale Friedensarbeit« statt. Für die Gruppe, ein Zusammenschluss von Aktiven aus der Friedensbewegung, war die Veranstaltung ein erster Beitrag und Versuch, intersektionale Ansätze in der Friedensarbeit zu verankern.

Der ursprünglich für 40 Teilnehmende ausgelegte Kongress überstieg das erwartete Interesse bei Weitem, sodass die Kapazitäten erweitert wurden und am Ende rund 100 der 150 Interessent*innen am Symposium teilnehmen konnten.

Das Programm bestand aus drei Impulsvorträgen und Workshops mit abschließender Vorstellung der Ergebnisse sowie einem Ausblick auf die zukünftige (Zusammen-) Arbeit. Durch den Tag führte der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß.

Mit dem Vortrag »Frieden und Gender – Möglichkeiten und Herausforderungen von Ansätzen in ihrer praktischen Umsetzung« machte Gesa Bent den Auftakt und stellte zunächst die relevanten Definitionen von Gender, Intersektionalität und Gender Mainstreaming vor. An den Beispielen des Bündnisses »Global Partnership for the Prevention of Armed Conflict« und der »KURVE Wustrow – Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V.« zeigte sie dann verschiedene Wege auf, Geschlechtergleichstellung in Friedensorganisationen, insbesondere in ihren Planungs- und Entscheidungsprozessen, effektiv zu verankern.

Für den Vortrag »Kolonialismus und Rassismus in der deutschen und europäischen Expansionspolitik und die Folgen für Menschen und ihre Handlungsfähigkeiten« war kurzfristig Mai Ali Shatta für die erkrankte Katharina Oguntoye eingesprungen. Sie sprach über ihre eigenen Erfahrungen mit rassistischen Strukturen und den Folgen des Kolonialismus in Deutschland. Dabei kritisierte sie Friedensorganisationen, die sich kaum bis gar nicht mit ihren eigenen rassistischen und kolonialen Strukturen auseinandersetzten, und stellte fest, die »deutsche« Friedens- und Entwicklungsarbeit habe ein kolonialrassistisches Problem.

Zum Thema »Intersektionalität – was soll das denn? Von ‚race‘, class und gender – eine Unterdrückungsgeschichte und ihre emanzipatorischen Gegenentwürfe« referierte zum Abschluss der Vortragsreihe ­Joanna Mechnich. Sie erläuterte den Ursprung des Konzeptes der Intersektionalität in der US-amerikanischen Rechtstheorie als eine Linse, durch die unterschiedliche »Überschneidungen« der Wirkungen von gesellschaftlichen In- und Exklusions-Strukturen (»Race«, Klasse, Geschlecht) auf Menschen sichtbar und dadurch auch verhandelbar werden können. Ein erster wichtiger Schritt ist daher die Bereitschaft einer Gruppe oder Organisation, diese »Überschneidungen« auch anzuschauen und sich damit auseinanderzusetzen, wie sie aufgrund ihrer Strukturen bestimmte Gruppen oder Personen, im besten Falle unabsichtlich, ausschließen. Auch sie äußerte sich kritisch zum Mangel an selbstreflektiven Prozessen in der Friedensbewegung, die für die Überwindung rassistischer Strukturen nötig wären. Insgesamt zeigten die Vorträge also auf, worin die Aufgabe für Friedensarbeit bestehen kann: In einer Zeit der sich wandelnden personellen wie inhaltlichen Aufstellung der Friedensbewegung und der stärkeren Professionalisierung von Friedensorganisationen muss es eine Auseinandersetzung über (mindestens) diese Fragen geben:

  • Welche Kämpfe/Bewegungen sieht die Friedensbewegung als ihre an, und mit welchen erklärt sie sich bewusst solidarisch bzw. mit welchen nicht? Hier wäre beispielsweise zu zeigen, inwieweit friedensbewegte Gruppen durch die starke Abgrenzung gegen rechts(offene) »Friedens«gruppen oftmals andere organisierte Zusammenhänge übersehen, obwohl sie gemeinsame Anliegen haben. Dazu gehören unter anderem Klimagerechtigkeitsgruppen von Black and People of Colour (BPoC), also Menschen mit Rassismuserfahrungen. Gibt es ein Einigeln der Friedensbewegung?
  • Welche Bereitschaft gibt es, sich Themen zu nähern, die nicht »klassisch« friedensbewegt scheinen? Weshalb sollten solidarische Armutsbeseitigung und Mietenstreiks, Anti-Hartz-IV-Sanktions-Arbeit, antirassistische Arbeit oder feministische Fragen nach sozialer Gerechtigkeit nicht zentrale Friedensthemen sein? Hier könnten – wie schon Frauen der ersten und zweiten Frauenbewegung sichtbar machten! – zentrale solidarische Schnittpunkte sichtbar werden. Aber es müsste auch zugehört werden können und eine Bereitschaft zur Veränderung liebgewonnener Strukturen da sein.
  • Welche Herausforderungen stellt die möglichst bewusste Auseinandersetzung mit der je unterschiedlichen Betroffenheit von rassistischer, sexistischer oder klassistischer Ausgrenzung in der Friedensarbeit für eben diese Friedensarbeit dar? Wie können Programme internationaler Friedensarbeit in diesem Licht geschaffen werden? Wie kann aber beispielsweise auch die Gleichstellungsarbeit der Bundeswehr kritisiert werden, ohne dabei sexistisch zu argumentieren?

Diesen und anderen Fragen sollten sich die Teilnehmenden mithilfe unterschiedlicher Methoden und Perspektiven im zweiten Teil des Tages nähern, in einer dreistündigen Workshop-Phase über drei parallele Themenbereiche.

So wurden im ersten Workshop (persönliche) Erfahrungen der Teilnehmer*innen und erlebte Diskriminierung reflektiert und genutzt, um Herausforderungen herauszuarbeiten und Strategien für eine intersektionale Friedensarbeit zu entwickeln. Im zweiten Workshop behandelten die Teilnehmenden intersektionale Ansätze in der internen Organisation und Strukturierung von Nichtregierungsorganisationen und anderen Akteur*innen der Friedensbewegung. Der dritte Workshop gab den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mit konkreten Themen der Friedensbewegung, z.B. großen friedenspolitischen Kampagnen, deren Themensetzung und inneren Strukturen zu befassen, und versuchte, auf dieser Ebene intersektionale Ansätze zu identifizieren und zu diskutieren.

Das Symposium und die Fortsetzung der Arbeit von »bertha – Werkstatt für intersektionale Friedensarbeit« sind wichtige Schritte hin zu einer intersektionalen Friedensarbeit. Einige weitere konkrete Maßnahmen konnten in der Abschlussdebatte des Kongresses bereits herausgestellt werden: Intersektionalität müsse Grundlage für alle Materialien und Veranstaltungskonzepte werden; auch in der Praxis müssten intersektionale Themen häufiger von Friedensorganisationen aufgegriffen werden; marginalisierte Gruppen in der Friedensbewegung müssten sichtbarer gemacht werden.

Dieses erste Symposium war ein erfolgreicher Beginn, der genutzt werden kann zu einer längeren Auseinandersetzung mit diesen Themen in der breiteren Friedensarbeit. Anstatt dass viele Organisationen und Gruppen diese Themen alleine behandeln, kann »bertha« ein Forum für eine gemeinsame Aushandlung und Praxis bieten. Aus dem Symposium soll eine kleine Broschüre entstehen; auch jetzt schon sind die Dokumentation und Videos des Symposiums auf friedensbertha.de zu finden.

Weitere Veranstaltungen, Formate und Austauschmöglichkeiten werden in der Zukunft kommen, eine Organisationsgruppe aus Menschen verschiedener Friedensorganisationen hat gerade ihre Arbeit aufgenommen. Wer mitmachen möchte, melde sich bei david@friedensbertha.de.

David Scheuing und Katharina Müller

Women Beyond Passive Victimhood


Women Beyond Passive Victimhood

2. Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen, Magdeburg, 7.-8. Oktober 2019

von Christine Buchwald und Lena Merkle

Nach einer ersten Tagung zum Thema »Feministische Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung« im Frühjahr 2019 veranstalteten die Frauensprecherinnen der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) am 7. und 8. Oktober 2019 eine zweite Tagung mit dem Beisatz »Women beyond passive victimhood« in Kooperation mit dem Studiengang Peace and Conflict Studies der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Das bereits bewährte Format einer Work-in-progress-Veranstaltung wurde ins Zentrum der Tagung gerückt und stieß erneut auf positiven Zuspruch der aktiven wie passiven Teilnehmenden. Dies äußerte sich primär in verlängerten Vortrags- und Diskussionszeiten gegenüber klassischen Formaten sowie im beratenden Charakter der Diskussionen, die durch mitgebrachte Fragen der Präsentierenden strukturiert wurde. Ziel des eingeschränkten Fokus war es, Frauen jenseits der oftmals wissenschaftlich wie im alltäglichen Umgang sehr präsenten weiblichen Opferrolle zu thematisieren. Von gut 30 Teilnehmenden präsentierten elf eigene Projekte in insgesamt fünf Panels. Ergänzt wurde das Programm um eine Filmvorführung am ersten Veranstaltungstag.

Ann-Kathrin Rothermel präsentierte im ersten Panel zu »Local and International Agency« einen Teil ihres Promotionsprojektes unter dem Titel »Victims, mothers and activists – Discourses of gendered agency in the UN’s global counterterrorism agenda«. Anhand von Dokumenten des Global Counter-Terrorism Coordination Compact betrachtet sie die Einbindung von Frauen als Opfer sowie in aktiven Rollen. In der Diskussion wurde in den Dokumenten insbesondere die Rolle der Konzepte von Männlichkeit aufgegriffen. Anschließend diskutierte Antje Busch unter dem Titel »Women as Local-Level Politicians in Post-Conflict Bougainville (Papua New Guinea)« überraschende Ergebnisse ihrer Feldforschung. Trotz einer 50-prozentigen Frauenquote in Gemeinderäten verwiesen einige Frauen in den Interviews lediglich auf die Fortführung der matrilinearen Kultur statt auf ein aktives Empowerment. Für diese Abweichungen von ihren Annahmen kristallisierte Antje Busch sieben verschiedene Erklärungsansätze heraus, die sie zur Diskussion stellte.

Im Panel »Women in the Media« stellte Evelyn Pauls in ihrem Vortrag »Female Fighters Shooting Back« erste Ergebnisse ihres Postdoc-Projektes vor. Sie legt den Fokus ihres Projektes auf ehemalige Kämpferinnen in Indonesien, Burundi, Nepal und den Philippinen, die die Möglichkeit erhielten, sich in Workshops zum Umgang mit Kamera und Schnitt fortbilden zu lassen, um dann die Frauen in ihrem Umfeld zu interviewen. Dabei entstand ein Korpus an Narrationen der Konflikte sowie seiner Folgen, der insbesondere spannende Einblicke in die Fragen nach dem Selbst und dem Anderen zulässt. Jana Schneider sprach danach über »Female War Reporters – Limitations and Possibilities of Gender«. Durch semi-strukturierte Interviews will sie die Dynamiken evaluieren, denen Kriegsreporterinnen in einem Umfeld begegnen, das von männlichen Aggressions- und weiblichen Opfernarrativen geprägt ist. Ihr Geschlecht kann dabei zum Vorteil werden, etwa in Bezug auf Zugänge und Perspektiven, jedoch auch zum Nachteil, insbesondere dann, wenn sie als verletzlicher wahrgenommen werden.

Das Panel »Masculinity and Femininity« war das Forum für Maria Hartmann und Bahar Oghalai, um ihr Konzept einer anti-toxischen Männlichkeitskultur von Bewegungen vorzustellen, auf das sie in ihrem Vortrag »Don’t stabilize what oppresses us! Of Masculine Revolution, Makers-of-Peace and Apolitical Practice« eingingen. Ausgehend von einer als gewaltvoll erlebten Situation entwickelten sie auf einer theoretischen Ebene ein Konzept, sich von der toxischen Männlichkeit zu lösen und so einem feministischen Zugang und einem Lösen von den genderbinären Rollenkonzepten in Bezug auf Krieg und Frieden näher zu kommen. Maximilian Kiefer ging anschließend in seinem Vortrag »Creating the New Man and the New Woman? Guerilla Masculin­ities and Femininity in the Salvadoran FMLN« auf die Konstruktion von Männlichkeit innerhalb der salvadorischen Guerilla ein. Im Rahmen seiner Masterarbeit arbeitete er Gender-Praktiken sowie -Konstruktionen auf der Diskursebene heraus. Anhand eines Modells bildete er die Ergebnisse auf der Makro-, Meso- und Mikroebene ab.

Beim Panel »Power and Empowerment« eröffnete Flora Hallmann mit ihrem Beitrag über ihre anstehende Masterarbeit »Because it’s never just sexism – how ethnicity and ideology influence the construction of narratives about politically violent women« die Diskussion über Narrative von verschiedenen politisch radikalen Frauen. Für ihre Analyse nutzt sie Laura Sjobergs Gerüst zu »Mothers, Monsters, Whores«. Mit dieser Einteilung analysiert sie sechs Fallbeispiele, die sich unter anderem durch die leitende Ideologie (rechts-/linksradikal, islamistisch) unterscheiden. Im folgenden Vortrag »More than dichotomous – Analyzing female perpetrators of the Rwandan genocide through Timothy Williams’ typ­ology of action« ging Marie-Therese Meye auf eine Analyse von 25 Interviews ein, die sie anhand verschiedener statistischer Daten auswertete und in der Logik von Timothy Williams Typologie zu Genoziden einordnete.

Im Panel »Sex and Sexuality« berichtete zunächst Laura Hartmann aus ihrem Projekt »(Nasty) Women talk back«. Aus einem Blickwinkel der Intersektionalität betrachtet sie Frauenbewegungen in Südafrika und den USA. Die Bewegungen stehen im Spannungsfeld von Race und Gender als Diskriminierungskategorien und sind international verbreitet und vernetzt. Solidarität und Sisterhood stehen dabei im Fokus der Forschung. Nora Lehner stellt in ihrem Projekt »A reflection on the concept of agency when researching sexual relations, prostitution and sexual barter during the Allied Occupation of Vienna« die Frage, wie Genderrollen sich in Krisensituationen verändern können. In diesem Projekt analysierte sie Formen sexuellen Handels im besetzten Wien der Nachkriegszeit. Die noch nie betrachteten Autobiographien sowie eine Anzahl biographischer Portraits von als Prostituierte registrierten Frauen zeigt das Spannungsfeld von Zwang, Agency, Gewalt und Wahlfreiheit, in welchem die Frauen ihre Entscheidungen trafen.

Die Rückmeldungen zum Veranstaltungsformat sowie zu den einzelnen Beiträgen waren überaus positiv, sodass eine Fortsetzung der Tagungsreihe im kommenden Sommer bereits in Planung ist. Ein ausführlicherer Tagungsbericht findet sich auf der Homepage des Netzwerks Friedenforscherinnen (afk-web.de/cms/netzwerk-­friedensforscherinnen).

Christine Buchwald und Lena Merkle