Gewalt, Geschlecht und Militär


Gewalt, Geschlecht und Militär

Die Bundeswehr auf feministischem Terrain?

von Tim Bausch und Carolina Rehrmann

Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden befasst sich in seinem Repertoire mit Themen der Gewalt und deren Folgen. Gegenwärtig werden im Rahmen der Sonderausstellung »Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden? Gewalt und Geschlecht« auch gendersensible Exponate angeboten. Die Ausstellung konstituiert sich neben den geschlechtlichen Koordinaten auch über Aspekte der Gewalt und des Friedens. Der Zusammenhang von Gewalt und Geschlecht leuchtet ein. Schließlich sind geschlechtsspezifische Zuschreibungen von Machtstrukturen und somit auch immer von Formen der (symbolischen) Gewalt geprägt. Ist Feminismus also en vogue? Was bedeutet es, wenn sich die Bundeswehr mit solchen Themen beschäftigt? Die Ausstellung mit etwa 1.000 Objekten und Werken lädt noch bis 18. Oktober 2018 dazu ein, genauer hinzuschauen.

Unser Beitrag widmet sich der aktuellen Sonderausstellung »Gewalt und Geschlecht. Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden?« des Militärhistorischen Museums in Dresden. Bewusst nutzen wir den dort vorgefundenen Erfahrungsraum für weiterführende Gedanken zur Kunst- und Institutionskritik.

Prolog | Wissensvermittlung zwischen Repräsentation und autonomer Kritik

Nach einer kurzen theoretischen Reflexion zu den Prämissen der Gendertheorie widmen wir uns den Ausstellungsinhalten, die zunächst zusammengefasst und alsdann kritisch bewertet werden.

Leitend ist dabei die Auffassung, dass Ausstellungen als hybrides Darstellungsmedium (vgl. Muttenthaler/Wonisch 2006, S. 37) in besonderer Weise dazu geeignet sind, den*die Besucher*in über die ästhetische Verknüpfung haptischer, akustischer und visueller Elemente intellektuell und sinnlich zu stimulieren. Ausstellungen können den Raum spielerisch zur Verbindung oder auch zur Kontrastierung unterschiedlicher Narrative nutzen und dabei umkämpftes Wissen spür- und erfahrbar machen, indem sie den*die Besucher*in zu geistiger Reflexion und emotionalem Erleben einladen. Da künstlerische Interventionen mit politischer Positionierung einhergehen, sollte jede*r kritische Besucher*in sich fragen, wie sich das Grundnarrativ einer Ausstellung zur sozialen Wirklichkeit verhält.

Dementsprechend können sich Ausstellungen darauf beschränken, lediglich soziale Rangordnungen abzubilden oder Kontingenz (die Möglichkeit eines Ereignisses, bei gleichzeitiger Nichtnotwendigkeit), Multiperspektivität und Relativität betonen. Im letzteren Fall werden Hierarchien und symbolische Positionierungen etwa durch Ironisierungen, Distanzierungen und Überformungen bewusst infrage gestellt. Erst dadurch gewinnt die Kunst ihre eigentliche Autonomie (vgl. Adorno: l’art pour l’art).

In diesem Sinne verstehen wir Ausstellungen als kreative Erfahrungsräume, die idealiter nicht bloß informieren, sondern irritieren sollten, um vor allem das Marginalisierte jenseits rationalistischer Paradigmen sichtbar zu machen. Im Sinne einer Orientierung an der Trias von Emanzipation, Imagination und Utopie belassen wir es deshalb nicht bei einer deskriptiven und abstrahierten Reproduktion der Inhalte, sondern nutzen den Erfahrungsraum der Ausstellung für weiterführende Impulse und Gedanken.

Sonderausstellung | Im Modus der Dekonstruktion

Die heteronormative Prämisse von der gleichsam naturgegebenen Passivität und unkontrollierten Gefühlswallung der Frau gegenüber angeborenen aggressiven Impulsen des Mannes nebst seiner Gabe zur rationalen Reflexion erscheint (auch wenn die zwei Letzteren zugegeben in einem gewissen Spannungsfeld stehen) so alt wie die Menschheit selbst. Im Kielwasser von Poststrukturalismus und Postmoderne mit ihrem Siegeszug des Hybriden, Relativen und Subjektiven machte die Genderwissenschaft derartigen Stereotypen den Garaus. So verweist sie einerseits auf die soziale Konstruktion geschlechterspezifischer Selbstverständlichkeiten und Verhaltensweisen, beispielsweise mit Blick auf die wirkmächtige Idee der ethnisch-exklusiven Nation und ihren zugewiesenen Genderrollen (so basieren die Ideen Vater Staat und Mutter Nation vornehmlich auf männlichem Kampfgeist und weiblicher Reproduktion). Andererseits macht sie die inhärenten Machtstrukturen sichtbar (vgl. Butler 1990/ 2009 und Yuval-Davis 1997).

Indes: Was einer weiß, macht einen noch lange nicht heiß. Einblicke in kritisch-reflexive Wahrheiten haben die hohen Sphären (populistischer) Machtpolitik und die alltäglichen des Normalen, Bekannten und Bequemen bisher im globalen Kontext wenig tangiert, ganz besonders nicht in den elementaren Katalysatoren der Zivilisationsgeschichte: Krieg und Frieden. Denn sind soziale Rollen nicht erst seit der Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche heute mehr denn je effektivstes Mittel für Anerkennung, erfolgreiche Performance und Gewinnmaximierung geworden, so sind klassische Genderrollen einmal mehr mit traditionellen Strukturen verbunden, die nationale Identitäten und sexuelle Beziehungen genauso formen wie sie Vormundschaft und Exklusion begründen. Kritik an der als selbstverständlich empfundenen Norm ist daher nicht nur unbequem, sondern mitunter gefährlich, weil sie zugleich an viel mehr rüttelt als an einem bis heute auch in Wissenschaftskreisen oftmals stiefmütterlich behandelten Klischee.

Zeit also, dass sich eine an Bildern und Geschichte(n) reiche Ausstellung unter dem Titel »Gewalt und Geschlecht – Männlicher Krieg, weiblicher Frieden?« dem Thema widmet. Die Sonderausstellung wird im militärhistorischen Museum in Dresden gezeigt – man hätte sich vielleicht keinen passenderen Ort vorstellen können. Erklärtes Ziel ist es, im Sinne der kritischen Dekonstruktion Mauern des herkömmlichen Denkens einzureißen und den Blick der Besucher*innen auf die vielen Facetten der historischen und gegenwärtigen Essentialisierung von Frau und Mann im Sinne der oben genannten Dichotomie zu lenken. Ausgehend von Bourdieus (2006) Sentenz von der Verankerung männlicher Hegemonie durch die »Waffen der physischen und symbolischen Gewalt« präsentiert sich die Ausstellung als bunter Querschnitt von Photographien, Gemälden und Dokumenten durch die Jahrhunderte, Kulturen und Gesellschaftsbereiche von stilisierter wie untypischer Männlichkeit und (vor allem) Weiblichkeit.

Historische Kriegsphotographien zeigen Bilder männlicher Gewalt. Sie reichen von Massakern der Nazis bis zum Apartheidregime und sensibilisieren für die Problematik sexualisierter Gewalt gegen Frauen, die entgegen tradierter Vorstellungen keineswegs nur Nebenprodukt von Krieg ist, sondern als Waffe zur Demoralisierung des Feindes und als verlockender Lohn für den Kampfgeist des Soldaten einen elementaren Bestandteil von Kriegsführung darstellt: Sie zeigen Frauen als Kriegstrophäe der Wehrmacht, Sexdienstleisterinnen der US-Armee in Vietnam oder von IS-Terroristen zwangsprostituierte Jesidinnen. Ebenso im Fokus stehen der normierte Frauenkörper als Hüter der (männlichen) Ehre und die Sanktionierung jeglichen Abweichens – im drastischsten Fall durch »Ehrenmord«.

Die Ausstellung bemüht sich um die Sichtbarmachung der dramatischen Folgen von Gewaltkonflikt, Patriarchat und Sexismus im Kontext moderner Kriegsführung mit ihrem hohen Anteil an Zivilopfern und liegt damit im Zeitgeist des friedenspolitischen Gendermain­streaming (vgl. zu Letzterem u.a. United Nations 2002). Wer die Ursprünge derartiger diskriminierender Strukturen sucht, findet endlose kulturgeschichtliche Anknüpfungspunkte. Historische Gemälde und Dokumente geben in diesem Sinne den Blick auf die tieferen Wurzeln normativer Genderrollen frei. Sie reichen von höfischen Geschlechterklischees, von Inquisition und der mittelalterlichen Züchtigung »streitsüchtiger« Frauen durch die so genannten Halsgeigen über den »Kraftmesser« als Jahrmarktattraktion für das Messen von Männlichkeit bis zu neuzeitlicher Medizin, die Frauen natürliche Neigungen zu Hysterie und anderen psychischen Leiden unterstellen wollte.

Auf Basis dieser Herleitung spannt die Ausstellung dann einen Bogen zur modernen Gesellschaft, der von Männerportraits auf Zeitschriftencovern, der traditionellen Geschlechtertrennung in bestimmten Berufsgruppen, sexueller Gewalt gegen Frauen durch digitale Medien bis zur Stilisierung von Genderrollen durch die Spielzeugindustrie reicht. Am Ende wird so den widerstrebenden Sphären der Norm eine effektive Bühne bereitet: Sie ist als Gegenstück zum ersten Ausstellungsteil konzipiert und zielt auf die Dekonstruktion des Stereotyps weiblicher Passivität und Unzulänglichkeit. Den Besucher*innen präsentieren sich Portraits weiblicher Gladiatorinnen, Frauenbilder als Märtyrerinnen in der biblischen Lehre, Regentinnen wie Katharina von Medici, Informationstafeln über die mittelalterliche Macht von Maitressen und politische Ikonen der Neuzeit und Gegenwart, wie Indira Gandhi und Benazir Bhutto, zu denen sich Peschmerga-Kämpferinnen, Modeschöpferinnen, Spitzensportlerinnen und Drohnenpilotinnen gesellen. Auch von Frauen verübte Grausamkeiten, wie die der »Hexe von Buchenwald« Ilse Koch, die taktische Nutzung der Geschlechterstereotypen durch weibliche Selbstmordattentäterinnen oder etwa der weitverbreitete Widerwille, eine Frau wie Beate Zschäpe als Akteurin rechtsextremer Mordserien anzuerkennen, werden schließlich thematisiert.

Würdigung | Kritische Einordnung und weiterführende Gedanken

Die Ausstellung bietet eine ganze Bandbreite an unterschiedlichsten Exponaten, die einem breiten Publikum die genderrelevanten Facetten von Krieg und Frieden vermitteln. Dabei verbindet sich Populärkulturelles der Gegenwart mit Historischem, soziale Lebenswelt mit Gewaltkontext, die unterschiedliche Formen struktureller und direkter Zwänge thematisieren. In diesem Sinne ist die sozialwissenschaftliche Grundierung durch Pierre Bourdieus (2006) Konzept der »symbolischen Gewalt«, wie sie im Ausstellungskatalog und in den Informationstafeln erscheint, durchaus überzeugend, auch wenn die Ausstellung sowohl in ihrer thematischen Breite als auch in der Voraussetzung wissenschaftlicher Expertise für ein breites Publikum sehr anspruchsvoll und möglicherweise zu wenig fokussiert erscheint.

Was indes mehr ins Auge sticht, ist das, was fehlt. Denn die Ausstellung tut nicht weh und wagt sich kaum in die Sphären des Sensiblen und Kontroversen – vor allem nicht in Bezug auf die Bundeswehr selbst. Auch kann man sich fragen, inwiefern eine Reifizierung (Vergegenständlichung) dessen stattfindet, was dem Anspruch nach dekonstruiert werden soll. In der Exposition steht nämlich – hier spiegelt die Ausstellung auch den thematischen Schwerpunkt der Genderwissenschaft wider – wieder einmal vor allem die Frau als Projektionsfläche männlicher Phantasien und als Sinnbild der sie umgebenden Machtstrukturen im Fokus.

Tradierte Frauenbilder als Stereotypen zu entlarven, indem man Gegenbeispiele anführt, erscheint vor diesem Hintergrund zwar folgerichtig. Eine wirkliche Dekonstruktion der impliziten Selbstverständlichkeiten im idealtypischen Verständnis von Mann und Frau bietet sich aber kaum, weil die Kritik an der zweiten Seite der Medaille weitgehend ausspart bleibt: die Sphäre idealisierter bzw. selbstverständlicher Männlichkeit. Bilder männlichen Kampfgeistes und (struktureller) Gewalt durch Männer finden sich zwar in etlichen, aber zugleich auch altbekannten, kaum irritierenden Variationen. Genau die Prämissen vermeintlich angeborener männlicher Eigenschaften (wie der Hang zu aggressiven Impulsen und die Fähigkeit zu kalter Rationalität) lassen die Kriege alternativlos und Konfliktstrukturen als natürlich erscheinen. Dies erfolgreich in Frage zu stellen, hätte (wie die Ausstellung es für die Idee des Weiblichen ja durchaus tut) bedeutet, die sozialen Konstruktionsprozesse sichtbar zu machen, die den heteronormativen Idealtypus Mann entstehen lassen.

In der Darstellung tradierter Männlichkeitskulte und der Verherrlichung von Gewalt oder über Homosexualitäts- oder Transgenderdebatten hätte sich die Ausstellung beispielsweise eines breiten Fundus an bestehenden, kritischen Diskursen bedienen können, die viel mehr Irritations- und Anregungspotential besitzen. Das gilt im vorliegenden Kontext natürlich besonders für die (De-) Konstruktion aggressiver Männlichkeit (und die verbundene Abwertung von Weiblichkeit) im Militär. Denn die auch durch kleinere Reformen im Kern unangetasteten patriarchalen Strukturen der Institution Bundeswehr und sie betreffende kritische Kontroversen bleiben hier ausgespart. Es wäre ehrlicher gewesen, das Zusammenwirken von Geschlecht und Gewalt in der eigenen Sphäre kritischer zu reflektieren, indem man das Militär als Form organisierter Gewalt und seinen latenten oder offenen Chauvinismus und Sexismus als Disziplinarmacht sichtbar macht – eine Grundproblematik, die sich auch durch die Anhebung des Frauenanteils in der Bundeswehr nicht grundsätzlich verändert hat. Eine gendersensible Ausstellung, die die Strukturen der eigenen Institution weitestgehend unkommentiert lässt – einmal mehr vor dem Hintergrund, dass das militärhistorische Museum einst lediglich der Schau von Kriegsgeräten diente – erscheint damit leicht als Imagestrategie. Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Krista Hunt (2006) prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des »embedded feminism«. Darunter wird die strategische Einverleibung feministischer Diskurspositionen verstanden. Diese Form der Inkorporierung dient mächtigen Akteur*innen als Form der (Selbst-) Legitimierung eigener Ziele. Entsprechend ist hier Feminismus das Mittel zu einem anderen Zweck.

So überrascht es nicht, dass die Sonderausstellung sich in ihrem deutlichen Fokus auf Weiblichkeit und Zivilgesellschaft kaum in die festen Ausstellungskomponenten integriert. Sie bleibt so – wenn überhaupt – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Kritisch-reflexive und holistische Ansätze, die den Einfluss von Gesellschaft, Kultur und Staatsapparat in der Konstruktion von Genderstereotypen und verbundenen Hierarchien des Militärs zeigen und um kritische Aufklärung bemüht sind, finden sich kaum. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass sich die Bundeswehr populärer, zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Debatten bedient, ohne die Sphären des für sie selbst Unbequemen zu tangieren. Solch eine Betrachtung stellt sicher, dass die kritische Kampfzone kein Terrain an militärische Akteure verliert und ist damit Symptomkosmetik statt Ursachenbekämpfung.

Das wirkt umso plausibler, wenn man die gegenwärtigen Marketingstrategien der Bundeswehr betrachtet. Sie erscheinen sowohl als Antwort auf eben jene, beispielsweise an den jüngsten Skandalen sexueller Gewalt oder dem Druck auf weibliche Rekruten (wie in der Debatte um die verunglückte Soldatin auf der Gorch Fock) entzündete, Grundsatzkritik als auch als Instrument der Attraktivitätssteigerung für die Rekrutierung neuen Personals nach der Abschaffung der Wehrpflicht. Plakate im öffentlichem Raum mit der Aufschrift Auch bei uns haben Frauen das letzte Wort: Als Chefin“ zeugen von solchen Strategien.

Neben dieser kritischen Selbstreflexion der militärischen Sphäre hätte die Ausstellung vielfältige Möglichkeiten einer Infragestellung des Selbstverständlichen über Irritation, Interaktion und schmerzhafte Denkanstöße nutzen können, die postkolonialen und postmodernen Diskursen zentralen Platz einräumen (man denke an Banksys Walled Off Hotel, siehe auch Bausch/Stein 2017). Schließlich besitzt das Darstellungsformat theoretisch die nötigen didaktischen Eigenschaften, um neue Denkbewegungen zu fördern. „In der Begegnung mit dem Unverfu¨gbaren u¨bersteigt der Besucher seine perso¨nlichen, ihn im Alltag fesselnden Beschränkungen, und bleibt doch er selbst.“ (Klein 2004: S. 163) Kritisches Denken, so könnte man sagen, bedarf eben auch immer einer Auseinandersetzung mit dem Unverfügbaren, um die Grenzen des eigenen Bewusstseins zu überschreiten oder zumindest herauszufordern. Durch die Konfrontation mit Transsexualität als Gegenstück zum Heteronormativen, durch ambi- oder polyvalente Collagen, Installationen und Filmsequenzen, die die Welt aus der Perspektive eines anderen Geschlechts konkret erfahrbar machen, oder etwa durch Illustration von politischen Protestbewegungen, die mit Genderrollen spielen, hätten solche Irritationsmomente erreicht werden können. Besucher*innen hätten so animiert werden können, die Selbstverständlichkeit des eigenen Geschlechts zu hinterfragen, indem man ihnen einen Spiegel vorhielte und so Empathie für die Wirkmacht von Geschlechterrollen motivierte. Nur so würden neue Handlungsräume sichtbar, neue Fragen aufgeworfen und kritische Diskurse für die Zukunft angestoßen.

Eine gelungene Ausstellung sollte also immer auch Kontroversen hin zu gesellschaftlichen Utopien befördern. Schließlich darf es Kritik nicht nur darum gehen, um es frei nach Marx zu formulieren, die Welt zu erklären, sondern sie zu verändern. Wissenschaft und Kunst müssen in diesem Sinne neben kritischer Reflexion immer auch den Mut besitzen, eine »Kartographie des Möglichen« (Rancière 2016) zu skizzieren.

Literatur

Bausch, T.; Stein, A. (2017): Zur Repräsentationsproblematik von Konflikten und der Macht zu definieren – Potenziale und Grenzen partizipativer und mehrperspektivischer Ausstellungsformate. In: Warnecke, A.; Reitmair-Juárez, S. (Hrsg.): Um Gottes Willen? Die ambivalente Rolle von Religionen in Konflikten. Stadtschlaining: Austrian Study Centre for Peace and Conflict Resolution, S. 68-85.

Bourdieu, P. (2013): Die männliche Herrschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Butler, J. (1990): Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. Routledge: New York [u. a.].

Butler, J. (2009): Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen. Frankfurt/M: Suhrkamp.

Klein, A. (2004): Expositum – Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit. Bielefeld: transcript.

Krista, H. (2006): »Embedded Feminism« and the War on Terror. In: Hunt, K.; Rygiel, K. (eds.): (En)Gendering the War on Terror. War Stories and Camouflaged Politics. Hampshire & Burlington: VT.

Mutterthaler, R.; Wonisch, R. (2006): Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld: transcript.

Rancière, J. (2016): Interview Thomas Claviez und Dietmar Wetzel mit Jacques Rancie`re. In: Claviez, T.; Wetzel D. (Hrsg.): Zur Aktualität von Jacques Rancie`re – Einleitung in sein Werk. Wiesbaden: Springer VS.

United Nations (2002): Gender Mainstreaming – An Overview. Office of the Special Advisor for Gender Issues and Advancement of Women: New York.

Yuval-Davis, N.: (1997): Gender and Nation. Sage Publications: New York

Tim Bausch arbeitet und promoviert am Institut für Politikwissenschaft/Lehrstuhl für Intern. Beziehungen in Jena. Als Sprecher der Jungen AFK vertritt er auch selbige Institution in der Redaktion der W&F. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen neben der Bewegungsforschung auch ästhetische Protestformen. 
Dr. Carolina Rehrmann arbeitet am Institut für Politikwissenschaft/Lehrstuhl für Intern. Beziehungen in Jena. Neben dieser Tätigkeit arbeitet Carolina Rehrmann außerdem am Jena Center for Reconciliation Studies (JCRS). In ihrem Habilitationsprojekt beschäftigt sie sich mit (geschlechtlichen) Rollen und Rollenbildern.

UN-Resolution 1325 in Deutschland


UN-Resolution 1325 in Deutschland

von Heidi Meinzolt

Die Resolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, des UN-Sicherheitsrats wurde im Jahr 2000 beschlossen, da gravierende Erkenntnissen und Untersuchungen vorlagen, die später durch eine globale Studie (UN Women 2015) und zahlreiche wissenschaftliche und Vor-Ort-Recherchen in Konfliktkontexten immer wieder bestätigt wurden. Ob als Verhandler*innen, Mediator*innen, Berater*innen, Entscheider*innen – wenn Frauen lokal und global an Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen und in Wiederaufbau-Szenarien im Bereich von Transitional Justice gleichberechtigt beteiligt sind, erhöht sich die Chance auf eine Einigung und auf eine nachhaltigere Konfliktlösung. Allerdings bleibt viel zu tun, damit die UN-Resolution 1325 eine Transformationsdynamik entwickelt für eine friedliche Gesellschaft, wie sie die Gründungsfrauen angestrebt hatten.

Die Resolution 1325(2000), »Frauen, Frieden und Sicherheit«, des UN-Sicherheitsrats hat nicht nur den Schutz von Frauen in Konfliktsituationen und nicht nur ein quantitatives Eingliedern von Frauen in ein bestehendes, patriarchal geprägtes und einseitig sicherheitspolitisch orientiertes Konzept zum Ziel (Paffenholz et al. 2016). Die Resolution 1325 darf auch nicht auf eine symbolpolitische Dimension reduziert werden. Vielmehr geht es um einen grundsätzlichen Ansatz, der sich aus Alternativen zur herkömmlichen Sicherheitspolitik, einer klaren Priorität für Prävention und dem Bezug auf menschliche Sicherheit speist (Bricke 2003). Der Interpretationsspielraum ist breit, weil mit menschlicher Sicherheit nicht nur Schutz vor physischer Gewalt, sondern auch Schutz vor weiteren Bedrohungen der Lebensgrundlagen, wie z.B. Umweltzerstörung, Krankheit und wirtschaftliche Instabilität, sowie die Förderung von Bildung, Gesundheit, eigenständigem Einkommen, Empowerment und insbesondere Partizipation an politischen Prozessen gemeint ist.

Frauen nehmen sich zuspitzende Spannungen und Konflikte aufgrund ihrer sozialen Eingebundenheit und grenzüberschreitenden Verbindungen oft anders wahr, sind kritischer gegenüber Heldengeschichten und Männlichkeitskonstrukten und haben deutlich weniger Bezug zu Waffen. Die Resolution 1325 soll „einen Umkehrschub auslösen in dem Sinne, dass die Außen- und Sicherheitspolitik nicht weiter fast ausschließlich von Männern bestimmt wird, dass in Nachkriegssituationen auch Frauen die Chance erhalten, in Führungspositionen zu gelangen. So gut wie überall auf der Welt scheinen Kriege dazu zu führen, dass das männliche Geschlecht alle führenden Positionen in Politik und Gesellschaft an sich reißt und Frauen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Afghanistan und Irak sind hier nur zwei besonders anschauliche Beispiele. Doch mit Resolution 1325 liegt zum ersten Mal ein Werkzeug vor, diese extrem undemokratische Entwicklung zu stoppen.“ (Frauensicherheitsrat 2004)

Folgeresolutionen und Weiterarbeit

Zur Resolution 1325 sind im Laufe der letzten Jahre sieben weitere Sicherheitsratsresolutionen hinzu gekommen (1820 (2008), 1888 (2009), 1889 und 1960 (2010), 2106 und 2122 (2013), 2242 (2015)), die präzisieren und differenzieren, welches transformative Potential die Resolution 1325 in den Bereichen Geschlechtergerechtigkeit, Schutz, Partizipation, Prävention und Verfolgung sexualisierter Gewalt aufweist. Diese Resolutionen definieren die Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« (Women, Peace and Securiya/WSP) der Vereinten Nationen. Zu diesem Thema wurden außerdem zahlreiche internationale Studien erstellt (z.B. Swisspeace 2016, OSCE 2014, EU 2008). Weitere Bezugspunkte waren von Beginn an die Aktionsplattform der UN-Frauenkonferenz von Peking (1985) und die internationale Frauenrechtskonvention CEDAW von 1979 (von der Bundesrepublik unterzeichnet 1980 und ratifiziert 1985). Im deutschen Kontext spielt auch der »Entwicklungspolitische Aktionsplan zur Gleichberechtigung der Geschlechter 2016-2020« des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine wichtige Rolle.

74 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, das entspricht 38 %, haben Nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution 1325 verabschiedet; es gibt darüber hinaus regionale Aktionspläne in der Afrikanischen und der Europäischen Union. Auf UN-Ebene gibt es einen Zusammenschluss der »Friends of 1325« unter der Regie von Kanada, ein Netzwerk so genannter National Focal Points, eine EU Task Force zum Thema und sogar einen Aktionsplan der NATO zur Resolution 1325.

Umsetzung in Deutschland

Das deutsche Netzwerk »Frauensicherheitsrat« forderte bereits 2003 einen eigenen Nationalen Aktionsplan für Deutschland; mit dem später gegründeten breiten »Bündnis 1325« wurde mit Stellungnahmen, Blaupausen, Anträgen, Vergleichen mit anderen solchen Plänen, dem WILPF1-Portal »Peacewomen« (peace­women.org) und parlamentarischen Initiativen nationaler und internationaler Legitimationsdruck aufgebaut. Dennoch weigerte sich die Bundesregierung lange, einen eigenen Nationalen Aktionsplan zu verabschieden. Begründet wurde dies damit, dass es bereits den »Aktionsplan Zivile Krisenprävention« und die Strategien zur Umsetzung von »Gender Mainstreaming« gebe und somit keine Notwendigkeit für ein zusätzliches Dokument bestehe.

Die Bundesregierung legte im Dezember 2012 dann doch überraschend einen ersten Nationalen Aktionsplan vor, für den sie teilweise auf die detaillierte Vorarbeit der Zivilgesellschaft zurückgriff, jedoch weitgehend ohne diese einzubinden. Ohne vorherige Evaluation des ersten Aktionsplans wurde 2016 ein erster Entwurf für den zweiten Nationalen Aktionsplans für den Zeitraum 2017 bis 2020 vorgelegt. Erst als es einen Proteststurm gegen das Papier gab, wurden zur weiteren Ausarbeitung Frauen- und Friedensorganisationen einbezogen.

Der zweite Aktionsplan, der von der Bundesregierung am 11. Januar 2017 verabschiedet wurde, hat an inhaltlicher Prägnanz und Konkretisierung gewonnen. Positiv zu bewerten ist eine institutionalisierte Zusammenarbeit durch regelmäßige Treffen der Interministeriellen Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Resolution 1325 mit der Zivilgesellschaft in einem operativen (z.B. zur Umsetzung der Resolution in Krisenregionen) und strategischen (konzeptionelle Grundsatzdiskussionen, z.B. zu Sicherheitskonzepten oder zum Projektanteil für Prävention) Austauschformat. Defizite gibt es weiterhin bei der finanziellen Ausstattung – der Aktionsplan hat kein eigenes Budget – und im Bereich von Monitoring und Evaluation. Insbesondere beim Thema Migration und Flucht wird die Anwendung der Resolution 1325 im Inneren verweigert (dem hat sich das Innenministerium im Rahmen der Interministeriellen Arbeitsgruppe widersetzt). Der Nationale Aktionsplan ist außerdem wenig verzahnt mit anderen außenpolitischen Grundsatzdokumenten, wie dem »Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« (2016) und den »Leitlinien Krisenprävention« (2017). Es ist an der Zeit, die Problematik militarisierter Männlichkeit mit Blick auf Lösungsansätze ebenso breit zu thematisieren wie die Notwendigkeit, nach Geschlechtern unterschiedliche Schutzmaßnahmen gegen genderbasierte Kriegsgewalt zu ergreifen und Täter*innen konsequent zu bestrafen.

Internationale Umsetzung

Alle Gespräche mit Frauen in Kolumbien, dem Kongo, Bosnien (Women Organizing for Change in Bosnia and Herzegovina 2017), Syrien, Ukraine, Georgien (Kharashvili 2016) zeigen, dass die Umsetzung der Resolution 1325 im lokalen, regionalen und überregionalen Kontext komplex ist. Sie geht einher mit dem Abbau geschlechtsspezifischer Stereotype, patriarchaler Normen und Praktiken und der Stärkung der Partizipation von Frauen als »agents of change« im gesamten Konfliktzyklus: von der Prävention (z.B. durch spezifische Frühwarneinrichtungen im sozialen Kontext, Bildung, langfristige Projekte für zivilgesellschaftliches Empowerment) über konstruktives Konfliktmanagement bis hin zur Nachsorge, die wieder grundsätzliche Gerechtigkeitsfragen, insbesondere Geschlechtergerechtigkeit, ebenso wie geschlechtergerechte ökonomische Sicherheit auf den Prüfstand stellt. Als entscheidende Faktoren für eine Umsetzung der WPS-Agenda im Sinne einer sichtbaren Veränderung erwiesen sich immer wieder die grenzüberschreitende und ideologiefreie Kooperation lokaler Aktivist*innen, ihre aktive Wahrnehmung verschiedener Konfliktnarrative und vor allem Abrüstung und Entwaffnungsprogramme.

Neben Vor-Ort-Aktivitäten gibt es zahlreiche positive Ansätze zur Stärkung der Resolution 1325 durch Wortmeldungen bei internationalen und multilateralen Institutionen. Als geeignetes Instrument hat sich der UPR-Mechanismus des UN-Menschenrechtsrats (Universal Periodic Review, periodische Überprüfung jedes UN-Mitgliedsstaats hinsichtlich seiner Umsetzung menschenrechtlicher Verpflichtungen) erwiesen. Diesen nutzen verschiedene Ländergruppen der Women’s International League for Peace and Justice (WILPF), um weniger berücksichtigte Aspekte und Zusammenhänge im Rahmen der WPS-Agenda zu thematisieren.

Für Deutschland wird z.B. empfohlen, seine Rolle in multilateralen Organisationen, wie der EU und dem Internationalen Währungsfond, und die Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die politische Teilhabe von Frauen in betroffenen Ländern kritisch zu beleuchten sowie das erhöhte Sicherheitsbedürfnis in der deutschen Bevölkerung und den drastischen Anstieg von Kleinen Waffenscheinen in den letzten Jahren zu thematisieren – alles unter dem Aspekt einer zusätzlichen Bedrohung für die Sicherheit von Frauen (WILPF 2017). WILPF weist in der Stellungnahme im Rahmen des UPR-Verfahrens auch auf die unbedingte Notwendigkeit hin, die Resolution 1325 im Bereich Migration anzuwenden, d.h. asylsuchende und geflüchtete Frauen in Entscheidungsprozesse um Asyl- und Flüchtlingsfragen miteinzubinden. Dies wäre ein Zeichen, dass Deutschland es ernst meint, die WPS-Agenda sowohl national als auch international voranzutreiben. Darüber hinaus ist es längst überfällig, für die Umsetzung der Resolution 1325 auch die notwendige personelle Ausstattung und finanzielle Unterfütterung bereitzustellen, damit sich die Zivilgesellschaft angemessen beteiligen kann und die Normen und Regeln überall angewandt und durchgesetzt werden können. Die Bereitstellung entsprechender Finanzmittel wird in zahlreichen Studien (siehe z.B. OSCE 2014) empfohlen und ist gute Praxis, z.B. in Großbritannien und den Niederlanden. Diese Gelder werden nicht nur für Empowerment- und andere Unterstützungsmaßnahmen für Frauen, in den Regionen, in Institutionen gebraucht, sondern besonders an den Verhandlungstischen für Menschen jeden Geschlechts mit Genderexpertise und -qualifikationen. Das heißt zum Beispiel, Verhandler*innen, Vermittler*innen, Mediator*innen in Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen müssen entsprechend ausgebildet und zertifiziert werden.

Ausblick

Die Resolution 1325 läuft inzwischen Gefahr, auf die Einbindung von Frauen in militärische Kontexte (NATO, nationale Armeen) reduziert zu werden und damit in der Systemkonformität zu verharren und Frauen symbolpolitisch zu instrumentalisieren. Im Zusammenhang mit der Nachfolgeresolution 2242(2015) formuliert die Schweizer Friedensforscherin Annemarie Sancar (2017) Bedenken auch dahingehend, dass „sie einen großen Interpretationsspielraum schafft, der der postkolonialen Zuschreibung von Frauenrollen in der Terrorismusbekämpfung Vorschub leistet sowie interessengeleitete Interventionen ermöglicht“. Strategien und Maßnahmen müssen jeweils konkret daraufhin überprüft werden, wie sie insbesondere Frauen und Kindern vor Ort, Gender-Aktivist*innen und Grassroots-Expert*innen in den Regionen zugute kommen.

Die Resolution 1325 betreibt als ­solche keine Ursachenforschung für Gewalt und Krieg, aber sie macht einen kritischen Blick auf sozioökonomische Verwerfungen, zunehmende Prekarisierung und die internationale Tendenz zum »degendering« im politischen Kontext unverzichtbar. Sie verweist auch auf eine dringend erforderliche Umorientierung der Vereinten Nationen, die laut ihrer Charta als Friedensorganisation gestartet ist. WILPF hat dazu die Kampagne »Reclaiming the UN as a Peace Organisation« initiiert. Für die Frauenfriedensbewegung kommt es darauf an, in der WPS-Agenda statt Top-down-Prozessen und Militärpolitik inklusive und genderbewusste Bottom-up-Aktionen und Überprüfbarkeit der Umsetzung voranzubringen. Ob diesem Ziel mit dem von der Regierung angestrebten Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat gedient ist, bleibt eine offene Frage.

Fazit

Eine feministische Friedensbewegung hat ein breites Aufgabenfeld, für das die WPS-Agenda nur den Rahmen schafft. Beispielhafte Problemfelder aus verschiedenen Ländern sind: Entwaffnung der gesamten Gesellschaft, nicht nur von Rebellengruppen in Kolumbien; Aufbau politischer Friedensökonomien statt international verordneter Austeritätsmaßnahmen und neoliberaler Privatisierung in Bosnien; Pflege eines gendersensiblen Frühwarnsystems in Nigeria; Stopp von Waffenexporten in Konfliktregionen aus Deutschland; Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt mit Unterstützung der Opfer und entsprechender Strafverfolgung in Afghanistan und im Kongo. Immer geht es darum, Spielräume zu schaffen für echte Transformation, Vernetzungen und Allianzen zu unterstützen und patriarchale Dominanz umzuwandeln in Gerechtigkeit und Respektieren von Frauenrechten als Menschenrechte – für ein verträgliches Gemeinwesen und zur Förderung inneren wie äußeren Friedens.

Anmerkung

1) Women’s International League for Peace and Freedom.

Literatur

Bricke, D. (2003): Das Human Security-Konzept. W&F 2-2003, S. 70-72.

Frauensicherheitsrat (2004): Schattenbericht zum Bericht der Bundesregierung Deutschlands über die Umsetzung der UN-Resolution 1325.

European Union (2008): Comprehensive ap­proach to the EU implementation of the United Nations Security Council Resolution 1325 and 1820 on women, peace and security. EU-Dokument 15671/1/08 REV 1.

Kharashvili, J. (2016): Frieden braucht Frauen – auch in Georgien. online.

Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE) (2014): OSCE Study on Na­tional Action Plans on the Implementation of the United Nations Security Council Resolution 1325. Vienna.

Paffenholz, T.; Ross, N.; Dixon, S.; Schluchter, A.-L.; True, J. (2016): Making Women Count – Not Just Counting Women: Assessing Women’s Inclusion and Influence on Peace Negotiations. Geneva: Inclusive Peace and Transition Initiative (The Graduate Institute of International and Development Studies) and UN Women.

Sancar, A. (2017): Gender-Mainstreaming »smart« – Vereinnahmung der Frauen im Krieg gegen den Terrorismus. Widerspruch 70, 36. Jg., 2.Halbjahr 2017, S. 55-64.

Swisspeace (2016): Women Peace Security – reloaded. Civil Society Alternative Report on the National Action Plan 1325 as seen from the Gender Perspective. Bern.

UN Women (2015): Preventing Conflict, Transforming Justice, Securing The Peace – A Global Study on the Implementation of United Nations Security Council Resolution 1325.

Women’s International League for Peace and Freedom/WILPF (2017): Women, Peace and Security – A Review of Germany’s National Action Plan 1325. Submission to the UPR Working Group 30th Session (May 2018). New York.

Women Organizing for Change in Bosnia and Herzegovina (2017): A Feminist Perspective On Post-conflict Restructuring And Recovery – The Study Of Bosnia And Herzegovina. Sarajewo und Genf.

Heidi Meinzolt ist Europakoordinatorin der Women’s International League for Peace and Freedom/WILPF (wilpf.de, wilpf.org), Mitglied im Frauensicherheitsrat und im »Bündnis 1325« in Deutschland sowie Koordinatorin einer Arbeitsgruppe zu »Women and Gender Realities in the OSCE Region« (civicsolidarity.org).

Sexualisierte Gewalt als »Kriegsstrategie«?


Sexualisierte Gewalt als »Kriegsstrategie«?

Zur Problematik dieser Rahmung

von Ruth Seifert

In einer Reihe von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurden in den vergangenen 20 Jahren die Position von Frauen in bewaffneten Konflikten und das Problem sexueller bzw. sexualisierter Gewalt behandelt. In diesen Resolutionen wird sexualisierte Gewalt – gemeint ist sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen- als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« gerahmt. Die Autorin hinterfragt diese Rahmung, begründet, warum sie sogar kontraproduktiv sein kann, und weist darauf hin, dass sexualisierte Gewalt gegen Männer in diesem Kontext fast aus dem Blick gerät. Deshalb fordert sie eine neue theoretische und politische Auseinandersetzung mit der Thematik.

Nach einer Hochkonjunktur des Themas »sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten« im politischen und akademischen Diskurs in den 1990er Jahren verlagerte sich das Interesse nach der Jahrhundertwende schwerpunktmäßig auf empirische Erhebungen und politisch-rechtliche Interventionen. Wegweisend war dabei die Resolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, des UN-Sicherheitsrats im Jahr 2000, in der – auf eine kurze Formel gebracht – die Mitgliedsstaaten aufgerufen wurden, Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten vor geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zu schützen und ihre Teilnahme am Friedensprozess zu sichern.

Die Nachfolge-Resolutionen 1820 (2008), 1888 (2009) sowie 1960 (2010) bekräftigen jeweils die Forderungen der Resolution 1325 und fordern darüber hinaus Maßnahmen zur effektiven Verfolgung der Täter, die Einsetzung eines*einer Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten und von Expertenteams zur Untersuchung von sexualisierter Gewalt sowie ein Mandat für Peacekeeper-Truppen zum Schutz von Frauen und Kindern. Resolution 2272 (2016) thematisiert schließlich sexuelle Übergriffe von Seiten des Peacekeeping-Personals. All diese Resolutionen verfolgen das Ziel, die Position von Frauen in bewaffneten Konflikten und das Problem sexueller bzw. sexualisierter Gewalt zu einem Thema der Sicherheitspolitik und der internationalen Beziehungen zu machen. Insbesondere argumentieren sie, dass sexualisierte Gewalt zum Aufgabenbereich des UN-Sicherheitsrats gehört.

Das Interesse verlagerte sich im Zuge dieser Initiativen zunehmend von der Analyse der Hintergründe und verursachenden Mechanismen sexualisierter Gewalt auf die »Lösung des Problems«, die in politischen und rechtlichen Initiativen gesehen wurde. Wesentlich dafür war die Rahmung sexualisierter Gewalt als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie«, wie sie in den oben genannten UN-Resolutionen vorgenommen wurde.

Die Verlagerung der Debatte auf die politisch-rechtliche Ebene ging einher mit einem Wechsel der Akteur*innen, die die Resolutionen anschoben. Ging Resolution 1325 noch überwiegend auf Bottom-up-Initiativen von transnationalen Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zurück, waren die folgende Resolutionen Top-down-Initiativen von Akteur*innen, die von Crawford (Crawford 2017) als »systemimmanente Expert*innen« (embedded experts) bezeichnet werden, unter ihnen Spitzenpolitikerinnen, wie Hilary Clinton und Condoleezza Rice.

In den ersten Interventionen, die in den 1990er Jahren erfolgten, wurde der Terminus »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« zur Charakterisierung sexualisierter Gewalt eher in skandalisierender und weniger in analytischer Absicht eingeführt: In den 1990er Jahren waren die (geschlechter-) politischen Verhältnissen dergestalt, dass es möglich geworden war, sexualisierte Gräueltaten aus einer kulturellen Grauzone des Verdrängens und (aktiven) transnationalen Verschweigens zu holen. Es gelang zu verdeutlichen, dass sie offenbar integrale Bestandteile gewaltsamer Konflikte vieler (wenn auch nicht aller) Konflikte waren und der Politisierung, der wissenschaftlichen Untersuchung und der menschenrechtlichen Thematisierung bedurften.

Es war bereits damals klar, dass die Begrifflichkeiten »Kriegswaffe« und »Kriegsstrategie« in analytischer Hinsicht problematisch waren (vgl. dazu Seifert 1995). Mit Blick auf neuere Arbeiten ist zwar festzuhalten, dass der Begriff der »Strategie« Wechselfällen unterliegt und von gesellschaftlichen Institutionen, Normen und kulturellen Besonderheiten abhängig ist (vgl. Heuser 2010). Insbesondere in so genannten »neuen Kriegen« findet, wie Gause feststellt, eine Vermischung von taktischer, operativer und strategischer Ebene statt, die amorphe Zustände höchster sozialer Spannung auslöst, in denen das Verhalten der Akteure „Mustern und Strukturen der Vergangenheit […] sowie den Umweltbedingungen des Systems (Gause 2011, S. 189) folgt. Entsprechend darf man folgern, dass die Konfliktdynamik damit nicht völlig militärisch planvoll ist. Dennoch: Soll der Begriff der »Strategie« oder des »Einsatzes als Kriegswaffe« Sinn ergeben, so beinhaltet er ein Minimum an planvollem und mit Bewusstsein vorgenommenem Einsatz militärischer Mittel zu bestimmten, insbesondere politischen, Zielsetzungen mit dem Zweck der Durchsetzung eigener Ziele gegen den Willen des Gegners (vgl. Heuser 2010; Liddell Hart 1967, S. 351).

Eben hier lag von Anfang an die Problematik, sexualisierte Gewalt als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« zu bezeichnen. Zwar gibt es in einigen Fällen Hinweise darauf, dass sexualisierte Gewalt vonseiten der militärischen Führung eingeplant und/oder zielvoll eingesetzt wurde. So stellte Bassiouni1 fest, dass die sexualisierten Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien an ganz verschiedenen Orten stattfanden, aber dennoch systematische und konsistente Muster aufwiesen und über lange Zeiträume hinweg anhielten, was ohne die Billigung der politischen und militärischen Führung auf allen Ebenen nicht möglich gewesen wäre. In der Folge drängte sich die Schlussfolgerung einer systematischen Planung und Durchführung auf. Darüberhinaus gab es Aussagen von Soldaten, die über Vergewaltigungsbefehle berichteten (Bassiouni 1994, S. 22 ff.; Mazowiecki Report 1995). Für die Demokratische Republik Kongo wurde berichtet, dass sexualisierte Gräueltaten bewusst zur Provokation der kongolesischen Regierung eingesetzt und von lokalen Milizen und Rebellen dazu benutzt wurden, die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen (Autessere 2012). Aus einer empirisch gesättigten Untersuchung verschiedener Konfliktszenarien geht hervor, dass sexualisierte Gewaltakte in Sierre Leone ebenfalls bestimmten Mustern folgten und die Funktion hatten, die Gruppenkohäsion in wenig kohäsiven militärischen Gruppen zu erhöhen (Cohen 2013). Allerdings ist zumeist nicht nachweisbar, dass es sich um Befehle handelte oder Soldaten zu sexualisierten Gewalttaten aufgefordert wurden (Mühlhäuser 2010, S. 73 ff.).

Bei Resolution 1820 (2008) hingegen handelte es sich bei der Wahl des Begriffs »Kriegsstrategie« nicht um den Versuch der Skandalisierung, sondern um eine »strategische Rahmung«, verstanden als eine spezifische diskursive Konstruktion einer Problematik, die bestimmte Bedeutungsaspekte einer Situation hervorhebt und zu einer kohärenten Interpretation einer Situation führen soll (Cohen 2014, S. 55). Diese spezifische Rahmung beinhaltete zum einen eine tendenziell genderspezifische Verengung sexualisierter Gewalt. Zwar taucht in Resolution 1820 erstmals der Hinweis auf, dass auch Männer von sexualisierter Gewalt betroffen sein können, was in Resolution 1888 etwas weiter ausgeführt und spezifiziert wurde; allerdings wurden daraus keine praktisch-politischen Folgerungen abgeleitet. Die Rahmung als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« hatte zum anderen die Zielsetzung, den Sicherheitsrat, als „global höchste politische und normative Instanz“ (Crawford 2017, S. 4) davon zu überzeugen, dass sexualisierte Gewalt in seinen Zuständigkeitsbereich fällt und nicht ausschließlich ein menschenrechtliches, sondern auch ein sicherheitspolitisch relevantes Problem darstellt, das staatliche Sicherheitsinteressen tangiert. Ohne die Rahmung wäre, so Crawford (ibid., S. 14), Resolution 1820 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch den Sicherheitsrat gegangen.

Kosten der »strategischen Rahmung«

Für diese »strategische Rahmung« hatte es also gute politische Gründe gegeben; sie hatte allerdings Kosten, die sowohl auf politischer wie auch auf analytisch-theoretischer Ebene zu verorten sind. In praktisch-politischer Hinsicht muss, sofern eine Aktivierung des Sicherheitsrats angestrebt wird, nachgewiesen werden, dass sexualisierte Gewalt strategisch eingesetzt wird. Das schränkt die politischen, rechtlichen und humanitären Handlungsmöglichkeiten ein, da die systematische und taktische Natur der Gewalttaten bzw. ihr absichtsvoller, auf die Bekämpfung des Feindes ausgerichteter Einsatz nachgewiesen werden muss (Crawford 2017) – ein Nachweis der naturgemäß in vielen Szenarien schwer zu führen ist.

Desweiteren wird sexualisierte Gewalt gegen Männer politisch bzw. menschenrechtlich, aber ganz wesentlich auch theoretisch zu einem zunehmend dringenden Problem. Die Erhebung empirischer Daten ist notorisch schwierig, was auch daran liegt, dass, wie eine Abfrage in 189 Ländern ergab, in ihrem Strafrecht 62 nur Frauen als Opfer und 28 nur Männer als Täter sexualisierter Gewalt kennen (Solangon/Patel 2012). Dennoch häufen sich die Hinweise, dass sexualisierte Gewalt gegen Männer ein dramatisch unterschätztes und, wie eingeräumt wird, ein aktiv aus historischen und empirischen Quellen getilgtes Phänomen ist (O’Móchain 2015; Cohen 2014, S. 127 ff.).

Sexualisierte Gewalt gegen männliche politische Gegner ist, um einige Beispiele zu nennen, dokumentiert in Chile, im ehemaligen Jugoslawien, im Iran, in Kuwait, in der ehemaligen Sowjetunion, in der Demokratischen Republik Kongo. Von 6.000 befragten Gefangenen eines KZ nahe Sarajevo im Jugoslawien-Konflikt berichteten 80 %, sie seien vergewaltigt worden. Sexualisierte Gewalt gegen Männer war, um ein weiteres Beispiel zu nennen, Bestandteil der von Angehörigen der US-Armee ausgeübten Folter in Abu Ghraib (Stemple 2009, S. 612 f.; Sivakumaran 2009). Allerdings können in 90 % der Krisengebiete dieser Welt Männer, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, weder Hilfe noch Schutz erhalten (Solangon/Patel 2012; Dolan 2014). Zeichneten sich die Menschenrechtsdiskurse lange Zeit durch eine fast völlig Vernachlässigung der Menschenrechtsverletzungen an Frauen aus, so ist aktuell sexualisierte Gewalt gegen Männer als blinder Fleck anzusehen.

Erneute Theoretisierung und Politisierung des Themas sind nötig

Was eine weitergehende Theoretisierung sexualisierter Gewalt anbetrifft, die auch das Problem der Betroffenheit von Männern zu berücksichtigen hat, so ist sie für die Rahmung als »Kriegswaffe« marginal, wenn nicht störend. Sie ignoriert darüber hinaus bereits vorhandene Ansätze, die über einen engen »Kriegsstrategie«-Ansatz hinausgingen und die kriegsstrategische Wirkung sexualisierter Gewalt in komplexeren, kulturtheoretisch zu erklärenden Kontexten verorteten. Beispielhaft dafür sind Ansätze, die auf die Verquickung von Konstruktionen von Gender, Nation und kollektiven Konflikten verweisen (z.B. Hayden 2000; Seifert 2003) und zumindest teilweise Antworten auf Fragen wie diese geben: Warum ist sexualisierte Gewalt alles andere als eine stets auftretende Begleiterscheinung aller bewaffneter Konflikte, sondern sind vielmehr bestimmte Erscheinungsformen an spezifische Kriegsszenarien gebunden? Warum gibt es unterschiedliche Häufigkeiten und Erscheinungsformen, je nachdem, ob es sich um Staatenkriege, Bürgerkriege, ethnonationale Kriege oder sezessionistische Kriege handelt? Warum wird sie von verschiedenen Akteuren in bewaffneten Konflikten in unterschiedlicher Weise gehandhabt? (Vgl. im Detail Wood 2006; Cohen 2013)

Illustriert werden kann dies mit der wegweisenden Arbeit von Hayden aus dem Jahr 2000, der sexualisierte Gewalt in der indischen Punjab-Region 1947, in Delhi 1985, in Hyderabad 1990 und im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahre untersuchte. Er stellte fest, dass in allen untersuchten Beispielen sexualisierte Gewalt dann verstärkt ausgeübt wurde, wenn neue geographische und soziale Grenzen gezogen werden sollten und sich eine Region in einem undefinierten Übergangszustand befand, in dem die Machtverhältnisse unklar waren. In diesen Situationen macht nicht ausschließlich »Weiblichkeit« Frauen zu Zielscheiben sexualisierter Gewalt, sondern die Intersektionalität von Gender mit anderen Identitätsmarkern, wie Nationalität, Ethnizität oder Religion (z.B. Hayden 2000; Seifert 2002 und 2003; Koo 2002).

Der hinter diese – hier nur kurz angedeuteten – Ansätze zurückfallende Topos von sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe gibt eine Darstellung als in besonderer Weise verabscheuungswürdige Gräueltat, die jenseits der in kriegerischen Konflikten legitimen Gewaltausübung zu verorten sei. Diese Rahmung bezeichnet Meger (2016, S. 149 ff.) als „Fetischisierung“, da sie a) sexualisierte Gewalt dekontextualisiert und als »unakzeptable Kriegsgewalt« absondert von »akzeptabler« Gewalt, b) sie auch im internationalen Recht als sozusagen abweichenden Sonderfall von »normaler« Gewalt darstellt und c) sie in den Medien und in einer Helferindustrie, die nicht mehr unbedingt am Nutzen für die Betroffenen ausgerichtet ist, kommodifiziert (vgl. im Detail ibid.). Darüberhinaus, so könnte man hinzufügen, impliziert dies eine Hierarchisierung von Opfern und suggeriert, dass sexualisierte Gewalt aus dem Kriegsgeschehen zu tilgen sei, während andere Kriegsgräuel als »normal« und »akzeptiert« praktisch wie theoretisch unproblematischer seien und nicht in Bezug zu sexualisierter Gewalt gesetzt werden müssten.

Schließlich ist zu konstatieren, dass die weitgehend ignorierte sexualisierte Gewalt gegen Männer wesentlich ein feministisches Thema ist: Die Unsichtbarmachung des männlichen Opfers ist ein massiver Beitrag zu einer Geschlechterkonstruktion, in der Frauen als verletzungsoffen und Männer als verletzungsmächtig konstruiert werden. Angesichts der Realitätswirksamkeit kultureller Konstruktionen kann davon ausgegangen werden, dass die Ausblendung männlicher Opfer sexualisierter Gewalt keineswegs weiblichen Betroffenen zugute kommt (wie in einigen feministischen Zirkeln gelegentlich behauptet), sondern vielmehr die weibliche Opferrolle verstärkt und auf diese Weise die Positionierung von Frauen in gewaltsamen Konflikten eher noch prekärer macht.

Eriksson Baaz and Stern (2012 und 2018) stellen fest, theoretische Ansätze zum Thema sexualisierte Gewalt in kriegerischen Konflikten seien schwer fassbar und entzögen sich einer klaren Logik. Sie entziehen sich einer klaren Logik, weil das Phänomen selbst diese Logik nicht aufweist: Bei der Analyse der Problematik befinden wir uns in einem Minenfeld diverser politischer und sozialer Hintergründe, kultureller Muster und Mechanismen und nicht zuletzt strategischer Effekte. Was eine Fassung so schwierig macht, ist die Tatsache, dass Gewalttaten im Allgemeinen und sexualisierte Gewalt im Besonderen tief eingebettet sind in variierende kulturelle Kontexte: Was wesentlich in einem Kontext ist, mag es im anderen nicht sein. Angesichts der kulturell hochgradig aufgeladenen Bedeutung von Gewalt und der vielen Bedeutungen und Funktionen, die sexualisierte Gewalt in kollektiven Konflikten haben kann, kann man einen symbolischen Overkill oder mit Foucault eine Hypersaturierung mit Bedeutungen konstatieren. Ansätze, die das ignorieren und sich auf die Rahmung als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« kaprizieren, konnten bisher wenig zu einer effektiven Bekämpfung des Phänomens beitragen. Im Gegenteil, es gibt Hinweise darauf, dass sie eher Anreize zur Ausübung sexualisierter Gewalt geben, da einige bewaffnete Gruppen sie neuerdings als politische Verhandlungsmasse einsetzen (vgl. Autessere 2012). Die weitergehende theoretische Analyse mag weniger leicht zugänglich sein als ein policy-orientierter Diskurs über sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe, für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Problem scheint eine Re-Theoretisierung und in der Folge Re-Politisierung allerdings unverzichtbar.

Ansätze für eine weitergehende Analyse finden sich in Soziologien und Anthropologien der Gewalt, die davon ausgehen, dass Gewalthandlungen nicht nur Funktionen, sondern auch kulturelle Bedeutungen haben, die den Handelnden nicht bewusst zugänglich sind, sich aber gleichwohl in Gewalthandeln übersetzen, da die Handelnden auf „Archive unbewusster Erinnerungen“ (Hayden 2000, S. 30) zurückgreifen, die im kulturellen Bestand vorhanden sind und das kollektive Handeln beeinflussen. Im Gewaltakt werden somit die kulturell geformten Erfahrungen der Täter mit denen der Opfer in einem spezifischen sozialen Zusammenhang verknüpft (von Trotha 1997, S. 31). In der Folge kann eine Analyse des Gewaltaktes auf die „kulturellen, geschlechtsspezifischen, religiösen, politischen und sonstigen Vorstellungen, Deutungen und symbolischen Interpretationen des Leibes nicht verzichten“ (Nedelmann 1997, S. 76). Die Analyse muss also notwendigerweise kontextuell sein und kann sich nicht in der Feststellung einer strategischen Funktion erschöpfen, sondern muss die Aufmerksamkeit richten auf den kulturellen, organisatorischen, institutionellen und situativen Kontext, in dem Gewalthandeln stattfindet und in den die Leiblichkeit von Opfern und Tätern jeweils eingebettet ist.

Anmerkung

1) Sonderberichterstatter der Sachverständigenkommission des Sicherheitsrats zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht im ehemaligen Jugoslawien 1992-1994.

Literatur

Autessere, S. (2012): Dangerous Tales – Dominant Narratives on the Congo and their Unintended Consequences. African Affairs, Vol. 111, No. 442, S. 202-222.

Bassiouni, M.C. (Rapporteur) (1994): Final Report of the Commission of Experts Estab­lished Pursuant to Security Council Resolution 780 (1992). United Nations Security Council document S/1994/674, 27. Mai 1994.

Cohen, C. (2014): Male Rape is a Feminist Issue – Feminism, Governmentality and Male Rape. London: Palgrave Macmillan.

Cohen, D.K. (2013): Explaining Rape during Civil War – Cross-National Evidence (1980-2009). American Political Science Review, Vol. 107, No. 1, S. 461-477.

Crawford, K.F. (2017): Wartime Sexual Violence – From Silence to Condemnation as a Weapon of War. Washington: Georgetown University Press.

Dolan, C. (2014): Into the Mainstream – Addressing Sexual Violence Against Men and Boys in Conflict. Workshop held at the Overseas Development Institute, London, 14 May 2014.

Eriksson Baaz, M.; Stern, M. (2012): Sexual Violence as a Weapon of War? Perceptions, Prescriptions, Problems in the Congo and Beyond. London: Zed Books.

Eriksson Baaz, M.; Stern, M. (2018): Curious erasures – The sexual in wartime sexual violence. International Feminist Journal of Politis, online publication.

Gause, C. (2011): Das System der Strategie – Ein Vergleich zwischen Strategien biologischer System und militärischer Strategien. Eine Modellentwicklung. Dissertation an der Universität Potsdam.

Hayden, R.M. (2000): Rape and Rape Avoidance in Ethno-National Conflicts – Sexual Violence in Liminalized States. American Anthropologist, Vol. 102, Nr.1, S. 27-41.

Heuser, B. (2010): Den Krieg denken – Die Entwicklung der Strategie seit der Antike. Paderborn: Schöningh.

Koo, K.L. (2002): Confronting a Disciplinary Blindness – Women, War and Rape in the International Politics of Security. Australian Journal of Political Science, Vol. 37, Nr. 3, S. 189-191.

Liddell Hart, B. (1967): The Indirect Approach. London: Faber.

Mazowiecki Report (1995): UN Commission on Human Rights. Reports on the Situation of Human Rights in the Territory of the Former Yugoslavia, prepared by Tadeusz Mazowiecki.

Meger, S. (2016): The Fetishization of Sexual Violence in International Security. International Studies Quarterly 60, S. 149-159.

Mühlhäuser, R (2010): Eroberungen – Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941-1945. Hamburg: Hamburger Edition.

Nedelmann, B. (1997): Gewaltsoziologie am Scheideweg. In: Trotha, T. v. (Hrsg.): Soziologie der Gewalt. Opladen: Westdeutscher Verlag.

O’Mochain, R. (2015): Sexual Violence in Conflict – Forgotten Victims in Secondary Source Literature. Ritsumeikan Annual Review of International Studies 14.

Seifert, R. (1995): The Second Front – The Logics of Sexual Violence in Wars. Women’s Studies International Forum, Fall 1995.

Seifert, R. (2002): Rape – the Female Body as a Symbol and a Sign: Gender-Specific Violence and the Cultural Construction of War. In: Taipale, I. (ed.): War or Health? A Reader. London: Zed Books.

Seifert, R. (2003): Im Tod und Schmerz sind nicht alle gleich – Männliche und weibliche Körper in den kulturellen Anordnungen von Krieg und Nation. In: Martus, S.; Münkler, M.; Röcke, W. (Hrsg.): Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel. Berlin: Akademie-Verlag, S. 235-246.

Sivakumaran, S. (2009): Sexual Violence Against Men in Armed Conflict. The European Journal of International Law 2, S. 253-276.

Solangon, S.; Patel, P. (2012): Sexual violence against men in countries affected by armed conflict. Conflict, Security & Development, Vol. 12, S. 4, S. 417-442.

Stemple, L. (2009): Male Rape and Human Rights. Hastings College of Law Journal 60, S. 605-647.

von Trotha, T. (1997): Zur Soziologie der Gewalt. In: ders. (Hrsg.): Soziologie der Gewalt. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Ruth Seifert ist Professorin für Soziologie an der Hochschule Regensburg (OTH). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Gender und kriegerische Konflikte, Gender und Militär, Theorien von Inklusion /Exklusion.

Verantwortung für gewaltfreie Zukunft


Verantwortung für gewaltfreie Zukunft

Politik gegen sexualisierte Kriegsgewalt muss feministisch sein

von Monika Hauser

Am 31. Januar 2018 luden die Heinrich-Böll-Stiftung und medica mondiale e.V. in Berlin zur Konferenz »Sexualisierte Kriegsgewalt seit dem Zweiten Weltkrieg – Bedingungen, Folgen und Konsequenzen«. Die Organisator*innen wollten die Frage nach der Verarbeitung von sexualisierter Kriegsgewalt in Nachkriegsgesellschaften in den Fokus rücken. Nachfolgend dokumentiert W&F einen Ausschnitt aus dem Beitrag von Monika Hauser mit ihren Forderungen an die Politik.

Vor knapp drei Jahren verkündete die schwedische Ministerin Margot Wallström, sie wolle im Rahmen ihrer Amtszeit eine feministische Außenpolitik gestalten. Als ihren Worten kurz darauf auch Taten folgten und sie ein Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien platzen ließ, stieß dies nicht nur auf Gegenliebe. Vielmehr hagelte es zum Teil harsche Kritik. Doch was macht eigentlich eine feministische Außenpolitik aus? Und warum ist eine solche Politik wichtig für globale Gerechtigkeit und Frieden? […]

Ich möchte hier die für mich wesentlichen Elemente einer feministischen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik vorstellen. Sie bilden das Fundament, wenn wir sexualisierte Kriegsgewalt wirksam bekämpfen und Frauen gleichberechtigt an Friedensprozessen beteiligen wollen. Hierfür formuliere und begründe ich zwei Thesen:

These 1: Es bedarf einer transformativen Politik, die bei den zugrundeliegenden Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt ansetzt und sich das Ziel setzt, Geschlechtergerechtigkeit zu verwirklichen.

Seit 25 Jahren unterstützt die Frauenrechtsorganisation »medica mondiale« weltweit Frauen und Mädchen, die sexualisierte Kriegsgewalt überlebt haben. In dieser Zeit hat das Thema zunehmend Beachtung gefunden auf politischer Ebene – international und hierzulande. Gleichzeitig sehen wir, dass das Thema häufig genug von Politiker*innen und den Medien skandalisiert und instrumentalisiert wird. So legitimierte beispielsweise die Bush-Administration die militärische Intervention in Afghanistan im Jahr 2001 auch mit der systematischen Verletzung von Frauenrechten durch die Taliban. Die langfristige Unterstützung afghanischer Frauenaktivistinnen blieb hingegen aus.

Mangelnde Politik gegen sexualisierte Kriegsgewalt

Sicher, es hat in den letzten Jahrzehnten einige Meilensteine im Kampf gegen Gewalt gegeben. Zum Beispiel ächteten die Vereinten Nationen den Einsatz von sexualisierter Kriegsgewalt als strategisches Mittel der Kriegsführung. Das Internationale Strafrecht und zahlreiche nationale Gesetze wurden in den 1990er Jahren um sexuelle Straftatbestände erweitert. Der Sicherheitsrat und die Vollversammlung der Vereinten Nationen, das Parlament der Europäischen Union – sie alle haben sich in den letzten 25 Jahren immer wieder mit dem Thema befasst, haben wortstarke Resolutionen oder Statements verabschiedet. Es gab unzählige Konferenzen zur UN-Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit«, die Berichte darüber könnten Bibliotheken füllen.

Eine ernstgemeinte Politik, die darauf abzielt, dieses Unrecht präventiv zu verhindern oder die langfristigen Folgen der Gewalt konstruktiv zu bearbeiten, sehen wir jedoch selten. Eine solche Politik erfordert einen eindeutigen politischen Willen und ausreichend Geld – jedoch Peanuts im Vergleich zu militärischen Ausgaben. Erstaunlich, dass sich auf realpolitischer Ebene bis dato so wenig getan hat. Dabei belegen empirische Erkenntnisse längst den Zusammenhang von Geschlechtergerechtigkeit und Frieden. Nehmen Frauen beispielsweise direkt Einfluss auf Friedensverhandlungen als Beobachterinnen, Unterzeichnerinnen, Mediatorinnen oder Verhandlerinnen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Friedensabkommen auch halten, exponentiell.

Stattdessen wird das andauernde Kontinuum geschlechtsspezifischer Gewalt immer noch ignoriert – eine Realität im privaten und öffentlichen Raum vor, während und nach bewaffneten Konflikten. Sexualisierte Kriegsgewalt wird vielmehr als isoliertes Ereignis betrachtet. Diese verengte Sichtweise bringt uns jedoch im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt kein Stück weiter, sondern wird selbst zum Teil des Problems.

Feministische Politik hingegen beleuchtet die strukturellen politischen und gesamtgesellschaftlichen Bedingungen, die diese Verbrechen erst ermöglichen, und setzt in ihrer Analyse sowie den Lösungsansätzen genau da an. Es geht darum, diskriminierende Geschlechterverhältnisse in patriarchalen Gesellschaften aufzubrechen und zu überwinden.

An den Folgen sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten haben die Betroffenen, deren Angehörige und schließlich die gesamte Gesellschaft oftmals über Jahrzehnte und über Generationen hinweg zu tragen. Oft folgt dem Trauma der direkten Gewalterfahrung das Trauma der Stigmatisierung. Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Stigma, Retraumatisierung und transgenerationaler Traumatisierung können hier in hohem Maße friedensbildend wirken.

Ein trauriges Beispiel hierfür ist der Umgang mit Überlebenden in Bosnien und Herzegowina. Nach über 20 Jahren schilderte eine Bosnierin, eine ehemalige Klientin unserer Partnerorganisation Medica Zenica, ihre Erfahrungen wie folgt: „Ich glaube nicht mehr an Gerechtigkeit […]. Für mich ist das, was passiert, ein Lächerlichmachen der Opfer. Nichts sonst.

Diese Aussage spiegelt die Erfahrungen von medica mondiale in verschiedenen Länder wider: Betroffene Frauen und Mädchen, aber auch Männer und Jungen, werden von der Politik und Gesellschaft weitestgehend allein gelassen. Der Umgang mit den Folgen von sexualisierter Kriegsgewalt und den damit einhergehenden Traumata wird individualisiert. Überlebende bleiben auf der Last sitzen und müssen sehen, wie sie damit klarkommen. Unterstützung erhalten sie oftmals nur von unabhängigen Frauenorganisationen und in solidarischen Frauengruppen. […]

Gewalt und Trauma sind politisch zu betrachten

Um der gesellschaftlichen Dynamik von Stigmatisierung, Ausgrenzung und Retraumatisierung entgegen zu wirken, bedarf es außerdem einer ganzheitlichen stress- und traumasensiblen Unterstützung von Überlebenden. Gemeint sind damit direkte Hilfsangebote, kombiniert mit gesamtgesellschaftlicher Aufklärung und Bearbeitung. Familien und Gemeinden müssen in diesen Prozess miteinbezogen und staatliche Institutionen aus dem Gesundheits-, Justiz-, und Sicherheitssektor entsprechend geschult werden. Für all diese Aktivitäten hat medica mondiale in den letzten 25 Jahren spezifische Ansätze entwickelt.

Gewalt und Trauma sind per se politisch zu betrachten und erfordern als Konsequenz politisches Handeln. Denn diese Verbrechen geschehen nicht einfach so. Politisch Verantwortliche lassen zu, dass sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ausgeübt wird, dass die Täter und Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden und dass Überlebende keine adäquate Unterstützung erhalten. Auch hier können wir nach Bosnien schauen: Obgleich die systematischen Massenvergewaltigungen in den Jahren 1992 bis 1995 weltweite Empörung hervorriefen, hat sexualisierte Kriegsgewalt im so genannten Friedensabkommen von Dayton schlichtweg keine Rolle gespielt. Die Folgen davon sehen wir bis heute: Eine kollektive Aufarbeitung des Unrechts hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Die Gewalt geht weiter, Traumata übertragen sich auf die nächste Generation und der Friedensprozess wird untergraben.

Wenn weder lokale noch internationale Politik Frauenrealitäten ernsthaft in den Blick nehmen, wenn Frauen nicht an Friedensprozessen beteiligt sind, wenn sich ihr Leben in Nachkriegskontexten weiter verschärft, stehen sie oft nicht für Wiederaufbau und Demokratisierung zur Verfügung. Das ist fatal, wissen wir doch, dass Frauen das Rückgrat einer traumatisierten, desorientierten und fragmentierten Gesellschaft sind.

Forderungen an die deutsche Politik

Was sollte deutsche Politik also zur Transformation tun?

Es bedarf eines politischen Verständnisses der geschlechtsspezifischen Gewalt und Traumata. Hier geht es nicht um Wohltätigkeit oder um ein singuläres Gewaltverbrechen. Es geht darum, erfahrenes Unrecht sozial und politisch anzuerkennen, und um die Menschenrechte für eine Hälfte der Bevölkerung. Nur so kann nachhaltiger Frieden gelingen. […]

Eine stress- und traumasensible Unterstützung für Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt muss langfristig und ganzheitlich angelegt sein. Die Bundesregierung sollte Projektaktivitäten von Frauenorganisationen vor Ort langfristig finanziell fördern. Frauen und Mädchen haben einen Anspruch auf qualifizierte Gesundheitsversorgung, Strafverfolgung und politische Teilhabe – drei wirksame Mittel gegen weitere Gewalt.

Die Bundesregierung muss konsequent für Geschlechtergerechtigkeit und die Durchsetzung der Rechte von Überlebenden eintreten. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies viel zu selten der Fall ist. In deutschen Auslandsvertretungen braucht es Ansprechpartner*innen, die sich regelmäßig mit Frauenrechtsverteidiger*innen treffen, deren Anliegen diplomatisch unterstützen und sie im Notfall auch vor Repressionen schützen.

These 2: Es bedarf einer kohärenten deutschen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, um sexualisierte Kriegsgewalt zu beenden.

Eine Politik, die auf die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit hinwirkt, stellt bestehende patriarchale Machtverhältnisse in Frage. Angesichts dessen, dass wir weltweit einen Rückwärtstrend in Sachen Frauenrechte erleben – beispielsweise wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen geht –, kann Deutschland hier mit gutem Beispiel vorangehen und eine feministische Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gestalten.

Das setzt voraus, dass die Bundesregierung ihr eigenes politisches Handeln kritisch auf den Prüfstand stellt. Dazu gehört auch die Frage, wie sich politische Entscheidungen auf Frauen und Mädchen sowie auf Geschlechterverhältnisse auswirken (Genderanalyse). So käme die Bundesregierung zwangsläufig zu dem Schluss, dass sich Rüstungsexporte in den Nahen Osten verbieten. Das gleiche gilt für die so genannte Fluchtursachenbekämpfung in Partnerschaft mit korrupten und frauenrechtsverletzenden Regimen.

Auch muss Sicherheitspolitik endlich weg vom militärischen Primat. Eine genderanalytische Auswertung der Afghanistan-Intervention würde die verheerenden Folgen aufzeigen, zum Beispiel die damit einhergehenden Traumata auf Generationen hinaus. Es gilt, das Konzept der menschlichen Sicherheit ernst nehmen. Genau genommen brauchen wir ein feministisches Sicherheitsverständnis. An diesem Punkt kann die Bundesregierung ansetzen und solche Ideen interdisziplinär und engagiert weiterentwickeln.

Ernsthafter politischer Wille zeigt sich auch daran, wieviel Geld zur Verfügung gestellt wird, um frauenpolitische Vorhaben voranzubringen. Zwar hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr einen Folgeaktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 aufgelegt. Das nötige Geld für die Umsetzung wurde jedoch nicht bereitgestellt. So entfaltet die Agenda »Frauen, Frieden, und Sicherheit« kaum Wirkung.

Wir begrüßen, dass die Bundesregierung einen Aktionsplan »Frauen, Frieden und Sicherheit« verabschiedet hat, doch garantiert dieser noch keine Politikkohärenz. Das liegt auch daran, dass der Aktionsplan nur wenig wirkungsorientiert ausgerichtet ist. Eine querschnittsmäßige Verankerung der Agenda »Frauen, Frieden und Sicherheit« in allen relevanten Ministerien steht ebenfalls aus. In den kommenden drei Jahren wird sich zeigen, wie ernst es die Bundesregierung mit dieser Selbstverpflichtung nimmt. […] Wir brauchen Mut für eine andere, eine feministische Politik!

Dr. Monika Hauser ist Gründerin und Vorstandsvorsitzende von medica mondiale e.V. Für ihren Einsatz für vergewaltigte und traumatisierte Frauen und Mädchen und ihre Arbeit gegen sexualisierte Kriegsgewalt wurde sie vielfach ausgezeichnet, u.a. 2008 mit dem Right Livelihood Award, dem »Alternativen Nobelpreis«.

Geld ist unser Hauptproblem!


Geld ist unser Hauptproblem!

Kann Aufklärung gewalthaltige Geschlechterverhältnisse verändern?

von Anne Menzel

Dieser Beitrag thematisiert die geberfinanzierten Aufklärungsmaßnahmen, die in Sierra Leone nach Kriegsende durchgeführt wurden und u.a. als Antwort auf die massive Aggression und Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Kontext des Krieges (1991-2002) dienen sollten. Ein positiver Wandel der Geschlechterbeziehungen war und ist erklärtermaßen ein zentrales Anliegen inter- und transnationaler Entwicklungs- und Friedenspolitik in Sierra Leone. Aber wie haben sich die Geschlechterbeziehungen seit Kriegsende verändert? Und sind tatsächlich positive Veränderungen spürbar?

Aufklärung, im Englischen meist »sensitization« genannt, ist ein zentrales Instrument geberfinanzierter inter- und transnationaler Entwicklungs- und Friedenspolitik. Sie wird üblicherweise in Projekten betrieben, die meist von internationalen Nichtregierungsorganisationen umgesetzt werden. Diese delegieren einen Großteil der direkten Umsetzung (nicht jedoch der Planung und Budgetierung) wiederum an nationale/lokale Partnerorganisationen. Konkret sollen solche Projekte durch Wissensvermittlung und Einstellungswandel das Verhalten bestimmter Zielgruppen in eine vorgegebene Richtung beeinflussen und nachhaltig verändern. Dies zumindest ist die zentrale Annahme, die »Theorie des Wandels«, wie es in der Sprache der Projektplanung üblicherweise heißt.1

Mögliche Zielgruppen solcher Aufklärungsprojekte sind, um die Bandbreite des Spektrums aufzuzeigen, etwa Beamt*innen in staatlichen Institutionen, die in den Prinzipien von »Good Governance« geschult werden (Billaud 2015, S. 62-79) oder ehemalige Kämpfer*innen, die auf ein ziviles Leben vorbereitet werden sollen (Abramowitz 2014, S. 165-177). Besonders verbreitet sind Aufklärungsprojekte zudem im Gesundheitsbereich, etwa in Form von Bemühungen um den Abbau von Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten oder in der Förderung reproduktiver Gesundheit (Benton 2015, S. 67-88). Mit beidem oft eng verbunden sind Maßnahmen in einem weiteren Betätigungsfeld, welches im Fokus meines Beitrags steht: dem Wandel gewalthaltiger Geschlechterbeziehungen in Nachkriegskontexten.

Vor allem auf Basis meiner jüngsten Feldforschung in Sierra Leone – von November 2016 bis März 2017, in der Hauptstadt Freetown und der Kleinstadt Koidu – will ich in diesem Beitrag die Widersprüche und andauernden Missstände aufzeigen, mit denen »aufgeklärte Frauen« aktuell in Sierra Leone zu ringen haben. Als »aufgeklärte Frauen« bezeichne ich Frauen und Mädchen, die in Interviews und Gesprächen gezeigt haben, dass sie mit den in den letzten eineinhalb Jahrzehnten (seit Kriegsende in Sierra Leone im Jahr 2002) vermittelten Aufklärungsinhalten vertraut sind – wenn sie auch nicht unbedingt viel mit ihnen anfangen können. Dies traf auf die meisten meiner Interview- und Gesprächspartnerinnen aus unterschiedlichen urbanen Milieus zu.

Sie stehen vor der Herausforderung, dass Aufklärungsprojekte Wissensbestände und Einstellungen vermitteln, die noch gar nicht in die aktuellen Strukturen passen. Stattdessen spiegeln die vermittelten Wissensbestände und Einstellungen bereits die »verbesserten« Verhältnisse wider, die nicht zuletzt durch die mit diesen Projekten beabsichtigten Einstellungs- und Verhaltensänderungen erst hervorgebracht werden sollen – bei denen jedoch keinesfalls sicher ist, dass sie tatsächlich hervorgebracht werden. Vermittelter Anspruch und erlebte Realität klaffen somit weit auseinander. »Aufgeklärte Frauen« erleben zudem, dass sie die Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit selbst überbrücken müssen. Und hierzu benötigen sie nicht neues Wissen oder mehr Selbstbewusstsein, sondern schlichtweg materielle Ressourcen, in der Regel Geld.

Im Folgenden gebe ich zunächst einen Überblick über die Nachkriegs-Genderpolitik in Sierra Leone und die Rolle, die Aufklärung darin neben anderen Maßnahmen spielt. Im nächsten Schritt steige ich direkt in meine Interviews und Gespräche mit »aufgeklärten Frauen« ein und schildere die vertrackte Lage, in der sie sich befinden.

Nachkriegs-Genderpolitik in Sierra Leone

Auch in Sierra Leone, wo von 1991 bis 2002 ein mittlerweile vielbeforschter Krieg ausgetragen wurde (Coulter 2009; Hoffmann 2011; Wai 2012), kamen Aufklärungsprojekte in den eingangs genannten Bereichen zum Einsatz. Sie waren zudem zentraler Bestandteil geberfinanzierter Bemühungen um einen Wandel der Geschlechterbeziehungen. Im Fokus standen insbesondere der Schutz und die rechtliche Besserstellung von Frauen und Mädchen (Denney und Ibrahim 2012). Denn nicht nur waren Frauen und Mädchen im Kontext des Krieges massenhaft Opfer von Entführungen, Vergewaltigungen und sexueller Sklaverei geworden. Unter anderem mit dem Bericht der sierra-leonischen Wahrheits- und Versöhnungskommission stand auch die Diagnose zur Verfügung, dass Frauen und Mädchen bereits in der Vorkriegszeit Missbrauch und Ausbeutung weitgehend schutzlos ausgeliefert waren (Truth and Reconciliation Commission 2004, S. 85-227).2 Es musste folglich darum gehen, tief verwurzelte Missstände zu beheben.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde vor diesem Hintergrund ein Dreiklang an Maßnahmen angestoßen, der einen tiefgreifenden Wandel bewirken sollte. Zum einen sollten Frauen und Mädchen über nationale Gesetzgebung Rechte bekommen, die sie vor Gewalt und Ausbeutung schützen und ihnen Möglichkeiten verschaffen sollten, Täter gegebenenfalls zur Verantwortung zu ziehen. Zweitens schufen geberfinanzierte Polizeireformen neue und speziell auf die Bearbeitung häuslicher und sexueller Gewalt ausgerichtete Polizeieinheiten, die dafür sorgen sollten, dass Frauen und Mädchen ihre Rechte auch tatsächlich in Anspruch nehmen können. Und drittens wurden Aufklärungskampagnen zu Menschenrechten durchgeführt, die insbesondere die Rechte von Frauen und Kindern betonten. Zudem wurde jeweils über neue Einrichtungen, wie die genannten Polizeieinheiten, und über neue Gesetze informiert, und Männer, Frauen und Kinder wurden dazu angehalten, von ihnen Gebrauch zu machen. Die neuen Geschlechterbeziehungen, so wie sie in Aufklärungsprojekten angedacht und vorgestellt wurden, sollten fest auf dem Boden von Gewaltfreiheit und Rechtsstaatlichkeit stehen, und gegebenenfalls sollten Rechte über die neugeschaffenen Wege selbstbewusst eingefordert werden (Denney und Ibrahim 2012).

Mittlerweile, mehr als fünfzehn Jahre nach Kriegsende, zeigt sich, dass von diesen Maßnahmen vor allem die Gesetzgebungskomponente erfolgreich war. Unter nationalem (vonseiten sierra-leonischer Aktivistinnen) und vor allem internationalem Druck verabschiedeten sierra-leonische Regierungen in den Jahren 2007 und 2012 Gesetze, die häusliche Gewalt sowie Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt (auch in der Ehe) kriminalisierten und Frauen Eigentumsrechte zusprachen.3 Es hakt allerdings an der Umsetzung.

Die extra zum Schutz von Frauen und Mädchen eingerichteten Polizeieinheiten sind in einem desolaten Zustand, seit sie kaum noch direkt Gebergelder erhalten und stattdessen regulär über den Staatshaushalt finanziert werden sollen (Menzel 2017a). Es mangelt nicht nur an qualifiziertem Personal (zumal Gehälter nur unregelmäßig ausgezahlt werden), sondern auch an Fahrzeugen, Benzin und sogar an Papier und Stiften. Es ist üblich, dass Frauen und Mädchen dem Polizeipersonal zunächst aus eigener Tasche Materialien zur Verfügung stellen sollen, damit ihre Anzeigen überhaupt aufgenommen werden können. Zudem werden von Hilfesuchenden »Beiträge« zu den mageren Gehältern der Polizist*innen erwartet. Viele meiner Interviewpartnerinnen berichteten mir, dass sie deshalb schon gar nicht mehr in Erwägung ziehen, überhaupt zur Polizei zu gehen. Von einigen habe ich zudem gehört, dass wohlwollende Polizist*innen ihnen gleich davon abrieten, ihre Anzeigen überhaupt weiterzuverfolgen. Denn selbst in dem unwahrscheinlichen und dann sehr teuren Fall, dass sie es bis vor Gericht schaffen, sind Verurteilungen sehr selten. Dies liegt zum einen an der oft schwierigen Beweislage bei häuslicher und sexueller Gewalt, zumal wenn sie nicht sofort zur Anzeige gebracht wird und es an forensischer Expertise fehlt. Darüber hinaus behandeln Richter diese Fälle häufig als Lappalien, betrachten sie als Privatangelegenheiten oder übernehmen die Sichtweisen und Rechtfertigungen der mutmaßlichen Täter (Denney und Ibrahim 2012). Letztlich, so argumentierten viele Frauen, seien Polizei und formales Rechtssystem für sie nur Zeit- und Geldverschwendung: „Vor Gericht zu gehen bedeutet Geld. Soll ich meine Kinder dafür hungern lassen? Das kann ich nicht tun. Wir haben Menschenrechte in diesem Land, aber sie sind nicht für die Armen.“ (Gruppendiskussion, 16.2.2017)

Die Bilanz der dritten Komponente, der Menschenrechtsaufklärung mit Schwerpunkt auf Frauen- und Kinderrechten, fällt hingegen gemischt aus. Es ist in Sierra Leone deutlich spürbar, dass die Geschlechterbeziehungen in Bewegung geraten sind. Gerade Frauen, die alt genug sind, um sich noch an den Krieg oder sogar an die Vorkriegszeit zu erinnern, betonen die Veränderungen, die sie seitdem erlebt haben. Sie beschreiben, Frauen hätten gelernt, dass sie »eine Stimme« haben, und trauten sich zu, für ihre Belange einzutreten. Außerdem seien Frauen und Mädchen nicht mehr bereit, sich von Männern misshandeln zu lassen. Sie seien selbstbewusster und hätten gelernt, dass sie Rechte haben. Obwohl diese Einstellungen in Sierra Leone sicher nicht universell verbreitet oder zustimmungsfähig sind, habe ich solche Einschätzungen in mehreren Feldforschungen seit 2009 in Städten und Dörfern von vielen Frauen gehört – auch von solchen, die nicht oder kaum schreiben und lesen können und die oft sehr stolz darauf sind, dass sie an Aufklärungsprojekten (häufig in Form von Workshops und Trainings) teilgenommen haben. Einige Male traf ich auch Männer, die mir stolz ein Gender-Zertifikat vorzeigten, welches die Teilnahme an Aufklärungsprojekten belegt, und die sich als aktive Befürworter von Frauenrechten verstanden.

»Gender« ist in Sierra Leone kein abstraktes Thema nur für akademische Kreise. Vielmehr wird die Frage, welches die Rechte – und Pflichten – von Männern, Frauen und Kindern sind, im Alltag intensiv diskutiert (Menzel 2015, S. 200-202). Derzeit gibt es zudem intensive Alltagsdebatten über vermeintlich ansteigende Teenager-Schwangerschaften, die von vielen Männern und Frauen als Anzeichen eines weiblichen moralischen Verfalls gedeutet werden. Frauen beklagen außerdem oft, dass Männer sie weiterhin kontrollieren wollen und ihnen keine Rechte zugestehen, ohne sie dabei wenigstens angemessen materiell versorgen zu wollen oder zu können. Insgesamt seien sierra-leonische Männer zunehmend verantwortungslos. Demgegenüber beklagen Männer einen weiblichen Materialismus, der sich darin äußere, dass Frauen nur noch hinter Geld her seien und ihren Männern zugleich nicht mehr gehorchen würden. So entstehen Konfliktpotentiale, die sich in Familien und Beziehungen alltäglich in Streit und sehr oft in heftiger Gewalt entladen (Menzel 2017a; 2017b, S. 91-95). Gegen diese Gewalt versuchen Frauen sich zu schützen oder zur Wehr zu setzen, ohne dass sie dabei auf die Wege – Polizei und Justiz – zurückgreifen können, die ihnen über Aufklärungskampagnen als die eigentlich richtigen und besten Wege nahegelegt wurden.

„Unser Hauptproblem ist Geld!“ Die Lage »aufgeklärter Frauen«

In meiner jüngsten Feldforschung habe ich Frauen und Mädchen aus unterschiedlichen urbanen Milieus – vor allem Schülerinnen, Studentinnen, Kleinhändlerinnen und Sexarbeiterinnen – in Einzelinterviews, Gruppendiskussionen und informellen Gesprächen gefragt, was aus ihrer Sicht die größten Probleme für Frauen in Sierra Leone sind.4 Über diese offene Frage wollte ich herausfinden, ob und wie sie sexuelle Gewalt als Problem erleben und darstellen. Allerdings passierte es häufig, dass Frauen und Mädchen sexuelle Gewalt gar nicht von sich aus ansprachen. Stattdessen standen materielle Herausforderungen im Fokus ihrer Schilderungen, und es herrschte insgesamt recht große Einigkeit, dass das Hauptproblem Geld sei.

Eine Verbindung zu Gewalt wurde in diesen Interviews und Gesprächen oft erst implizit durch Aussagen dazu deutlich, wozu Geld so dringend benötigt wird bzw. warum es ein so drängendes Problem darstellt. Zusätzlich dazu, dass die allermeisten Sierra Leoner*innen alltäglich um Mahlzeiten und weitere Lebenotwendigkeiten, wie insbesondere medizinische Versorgung, ringen, sehnen meine Interview- und Gesprächspartnerinnen sich nach einem Mindestmaß an finanzieller Unabhängigkeit, um sich und ihre Kinder nicht gewalttätigen Männern ausliefern zu müssen. Ihre Argumentation folgte häufig einer Selbstschutzlogik, nach der Geld die beste präventive Verteidigung ist. Wer selbst kein Geld hat bzw. nicht weiß, wie sie jeden Tag über die Runden kommen kann, hat kaum eine Wahl, als sich von vergleichsweise bessergestellten Liebhabern oder von einem Ehemann versorgen und gegebenenfalls misshandeln zu lassen. Eine Studentin brachte dies in einem informellen Gespräch auf den Punkt: „Eine Frau, die sich nicht selbst versorgen kann, wird bei einem Mann bleiben, der sie schlägt. Was soll sie auch sonst tun?“ (Informelles Gespräch, 20.11.2016) Allerdings wird Gewalt in Situationen, in denen die betreffende Frau ansonsten tatsächlich »gut versorgt« wird, vielfach durchaus als annehmbar oder sogar normal angesehen – solange gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Ein paar Prügel seien im Rahmen oder sogar erwünscht, zumal wenn sie die Leidenschaft und andauernde Versorgungsbereitschaft des Täters anzeigen (Menzel 2015, S. 200, S. 308-309).

Allerdings bevorzugen die meisten Frauen das Ideal einer selbstbestimmten und selbständigen Frau, und sie wünschen sich dies auch für ihre Töchter, in die viele unbedingt investieren wollen (auch in der Annahme, dass diese es dann zu etwas bringen werden und sie ihre Mütter im Gegenzug unterstützen können). Eine Kleinhändlerin erklärte mir beispielsweise: „Wenn Kinder alles haben, was sie brauchen, werden sie nicht auf die Straße gehen [um sich Männern anzubieten]. Ich habe eine Tochter […], die auf das College geht, und ich zahle ihre Studiengebühren. Was soll ich sonst machen? [Sie hatte mir gerade erzählt, dass sie sich dafür hoch verschulden musste.] Andernfalls hat sie keine andere Wahl, als sich einen Mann zu suchen, der sie doch nur missbrauchen und ihre Zukunft zerstören wird.“ (Interview, 26.11.2016)

Dabei haben Frauen und Mädchen durchaus auch romantische Vorstellungen von einer liebevollen Beziehung mit einem Mann. Aber auch hierzu bedarf es des Geldes, damit es „zu Hause ein Einvernehmen geben kann“, wie mir eine weitere Kleinhändlerin darlegte. Denn schließlich hätten auch Männer es extrem schwer, ein Auskommen zu finden, und wissen deshalb eine Frau zu schätzen, die ihren Beitrag leistet (Interview, 26.11.2016). In einer Diskussion mit einer Gruppe befreundeter junger Frauen in Freetown (unter ihnen Schulabbrecherinnen, Studentinnen und Kleinhändlerinnen), von denen mehrere aktuell in gewaltsamen Beziehungen lebten, hieß es: „Liebe ist nur schön, wenn Du eine mächtige Familie im Rücken hast.“ (Gruppendiskussion, 16.2.2017) Auf Nachfrage erklärten sie mir, dass ihre Liebhaber sie nicht schlagen würden, wenn sie Brüder oder Väter hätten, die für sie eintreten würden.

Insgesamt zeigt sich ein Bild, das wenig mit den »neuen Geschlechterbeziehungen« zu tun hat, wie sie in den Aufklärungsprojekten der Nachkriegszeit angedacht und vorgestellt wurden. Die tatsächlichen Geschlechterbeziehungen sind vielmehr von gegenseitigem Misstrauen geprägt, und weder Gewaltfreiheit noch Rechtstaatlichkeit spielen in ihnen eine nennenswerte Rolle. »Aufgeklärte Frauen« streben in dieser Situation nach Selbstbestimmtheit und Selbständigkeit, die sie und ihre Kinder zudem vor ausbeuterischen und gewaltsamen Beziehungen bewahren sollen. Statt durch Rechte, Polizei und Justiz abgesichert zu sein, wollen sie sich selbst absichern können. Und die Sicherheit, die sie anstreben, ist für sie nur mit und durch Geld zu bekommen. Es ist also nicht verwunderlich, dass das Streben nach Geld und die Schwierigkeiten, es zu bekommen, unsere Interviews und Gespräche oft dominierten.

Aufklärung, Struktur und Wandel – ein Ausblick

Was also hat Aufklärung in Nachkriegs-Sierra Leone zum Wandel gewalthaltiger Geschlechterbeziehungen beigetragen? Die Antwort muss gemischt ausfallen: einerseits eine Menge und andererseits sehr wenig. Denn ohne Frage haben sich Einstellungen teils drastisch und teils weniger drastisch verändert, und die Geschlechterbeziehungen sind in Bewegung gekommen. Dass sie dadurch weniger gewalthaltig geworden sind, erscheint insgesamt unwahrscheinlich. Stattdessen ist eine Situation entstanden, in der Frauen zunehmend auf Selbstschutz setzen und sich weder auf Polizei und Justiz noch auf Männer als Beschützer und Versorger verlassen wollen.

Wie diese Entwicklung weitergeht und wohin sie führen wird, ist völlig offen. In jedem Fall aber wird in Sierra Leone weiterhin auf Aufklärung gesetzt, während strukturelle Herausforderungen eher weniger als mehr thematisiert werden. Dies frustriert auch die Vertreter*innen vieler lokaler Nichtregierungsorganisationen, die in Interviews und informellen Gesprächen vielfach beklagten, dass sie von Gebern überhaupt nur noch Fördermittel für Aufklärungsprojekte erhalten. Diese seien einfach und vergleichsweise günstig durchzuführen und würden deshalb bevorzugt.

Das aktuelle Fokus-Thema vieler dieser Projekte ist derzeit die Prävention von Teenager-Schwangerschaften, für die insbesondere Aufklärungsprojekte für junge Mädchen realisiert werden. Sie sollen lernen, selbstbewusst »nein« zu Sex zu sagen, um sich auf ihre Bildung konzentrieren und eine selbstbestimmte Zukunft anstreben zu können. Strukturelle Zwänge, die das individuelle »nein« tendenziell erschweren, werden hingegen kaum berücksichtigt (Denney u.a. 2016, S. 11-22). Hier wird die Betonung der Einzelnen, die sich durchsetzen und letztlich selbst schützen muss, also noch weiter bestärkt.

Anmerkungen

1) »Theorie des Wandels« (bzw. gebräuchlicher auf Englisch »Theory of Change«) ist ein technischer Begriff der Projektplanung in humanitärer Hilfe, Peacebuilding und Entwicklungszusammenarbeit. Darunter werden Annahmen verstanden, die bestimmte Aktionen/Maßnahmen sinnvoll und plausibel mit erwünschten Wirkungen verbinden.

2) Der Bericht der sierra-leonischen Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde erheblich von externen Gender-Expertinnen geprägt, die sehr darum bemüht waren, ein Dokument zu schaffen, welches dazu geeignet seien würde, (geberfinanzierte) Reformen in Nachkriegs-Sierra Leone anzustoßen. Die Arbeit der Kommission ist u.a. Gegenstand des vergleichenden Forschungsprojekts, in dessen Kontext die Forschung durchgeführt wurde, auf der dieser Beitrag basiert. Vgl. uni-marburg.de/­konfliktforschung/personal/buckley-zistel/truth-commissions-eng?language_sync=1.

3) In einem Interview beschreibt eine der beteiligten externen Lobbyistinnen/Expertinnen, wie die Verabschiedung verschiedener Gesetze im Jahr 2007 schließlich zustande kam; archive.skoll.org/2008/01/29/implementing-the-­gender-acts-in-sierra-leone/.

4) Alle Interviews und Gespräche wurden in der sierra-leonischen Verkehrssprache Krio geführt.

Literatur

Abramowitz, S. (2014): Searching for Normal in the Wake of the Liberian Civil War. Philadel­phia, PA: University of Pennsylvania Press.

Benton, A. (2015): HIV Exceptionalism – Development through Disease in Sierra Leone. Minneapolis, MA, und London: University of Minnesota Press.

Billaud, J. (2015): Kabul Carnival – Gender Politics in Postwar Afghanistan. Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press.

Coulter, C. (2009): Bush Wives and Girl Soldiers – Women’s Lives through War and Peace in Sierra Leone. Ithaca, NY, und London: Cornell University Press.

Denney, L.; Ibrahim, A. (2012): Violence against Women in Sierra Leone – How Women Seek Redress. London: Overseas Development Institute.

Denney, L.; Gordon, R.; Kamara, A.; Lebby, P. (2016): Change the context not the girls – Improving efforts to reduce teenage pregnancy in Sierra Leone. London: Overseas Development Institute.

Hoffman, D. (2011): The War Machines – Young Men and Violence in Sierra Leone. Durham, NC, und London: Duke University Press.

Menzel, A. (2017a): Sexual violence in post-Ebola Sierra Leone – Old problems and new policy priorities. Beitrag für den Blog des Mauerpark­instituts, 14.5.2017; mauerparkinstitute.org.

Menzel, A. (2017b): Betterment versus Complicity – Struggling with Patron-Client Logics in Sierra Leone. In: Højbjerg, C.; Knörr, J.; Murphy, W. (eds.): Politics and Policies in Upper Guinea Coast Societies – Continuity and Change. New York, NY: Palgrave MacMillan, S. 77-98.

Menzel, A. (2015): Was vom Krieg übrig bleibt – Unfriedliche Beziehungen in Sierra Leone. Bielefeld: transcript.

Truth and Reconciliation Commission (2014): Witness to Truth – Report of the Sierra Leonean Truth & Reconciliation Commission, Volume 3b. Graphic Packaging Ltd. GCGL: Freetown.

Wai, Z. (2012): Epistemologies of African Conflicts – Violence, Evolutionism and the War in Sierra Leone. New York, NY: Palgrave MacMillan.

Dr. Anne Menzel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung, Philipps Universität Marburg. Der Beitrag basiert auf ihrer aktuellen Forschung im DFG-Projekt »Anerkennung von sexualisierter Gewalt in Wahrheitskommissionen. Opferzuschreibungen und ihre gesellschaftlichen Implikationen in Zeiten des Übergangs«.

Militär und Männlichkeit


Militär und Männlichkeit

Die Funktion militärischer Männlichkeitsmythen

von Sarah Steube

Das Militär ist eine vergeschlechtlichte Institution, in der Männlichkeit eine zentrale Rolle bei der Selbstkonstitution spielt. Dabei ist eine bestimmte Form von Männlichkeit im Rahmen des Militärs institutionalisiert und mystifiziert, um dessen Strukturen zu stützen. Diese können auch im Kontext hegemonialer Macht gesehen werden, da das Militär als staatliches Organ mit Gewaltmonopol eine Machtfunktion innehat. Auch in der Faszination des Militärs im zivilen Kontext, die sich in der popkulturellen Verarbeitung der Thematik oder in der Aneignung militärischer Muster zeigen, spielen die Faktoren Macht und Männlichkeit eine wichtige Rolle.

Männlichkeit im Militär soll hier in mehreren Aspekten beleuchtet werden: der Rolle des Körpers, der Integration von Frauen in das Militär und der Auswirkung militärischer auf zivile Fantasien von Männlichkeit. »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« werden in diesem Kontext weniger als grundlegende Unterschiede zwischen Männern und Frauen verstanden, sondern als Eigenschaftskomplexe, die die Zuschreibung klassisch weiblichen oder klassisch männlichen Verhaltens enthalten. So wäre zum Beispiel auch ein weiblicher Mann möglich, der sehr fürsorglich und emotional ist und somit weiblich besetzte Eigenschaften ausagiert. Weiblichkeit wird dabei als gefühlvoll, irrational, empathisch und schwach gesehen, während Männlichkeit als stark, rational und affektkontrolliert gilt, aber auch die Zuschreibung einer stark triebhaften Sexualität bekommt. Dabei folge ich einer dekonstruktivistischen Form der Kritik (Thomas 2011), die ich im Kontext des Militärs, dem viele implizite und naturalisierte Normen zugrunde liegen, als sinnvollste Kritikform erachte, da Kritik sonst letzten Endes systemimmanent bleibt.

Mythos um Körper und Männlichkeit

Der Körper spielt eine besondere Rolle, wenn man von Männlichkeit im Militär spricht. Er dient nicht nur der bloßen Erledigung der Aufgaben, sondern steht im Zentrum von Mythen über die Überwindung der Natur und die Bezwingung »weiblicher« Gefühle. Es ist ein Körper unter absoluter Kontrolle, der gestählt wird und großen Belastungen ausgesetzt ist, sowohl von außen als auch von innen, Letzteres z.B. durch die Bekämpfung von Anflügen von Schwäche, wie Angst oder Zögern (Szczepaniak 2010).

Auch der Drill im Rahmen der militärischen Ausbildung ist körperlicher Art. Der Körper wird dazu trainiert, Befehle auszuführen und in Extremsituationen zu gehorchen. Dies funktioniert vor allem durch eine ständige Überforderung, die wenig Raum für eigenständiges Denken lässt (Euskirchen 2005). Es bleibt keine Zeit, Befehle zu reflektieren und über deren Sinnhaftigkeit nachzudenken. Über den Körper wird so auch der Geist diszipliniert, da dieser sich dem Körper unterordnen muss. Sowohl offizielle als auch inoffizielle Rituale führen dazu, die Individuen zu einem »Körper«, der gemeinsam denkt und handelt, zu verschmelzen. Die Soldaten*innen werden soweit normiert, dass sie sich dem Zweck des Militärs optimal unterordnen lassen. Hierzu trägt auch die Uniformierung und die Fortbewegung im Gleichschritt bei. Diese Körperhaftigkeit ist eine explizit männliche.

Frauen im Militär können nicht ohne weiteres mit diesem Körper verschmelzen, da sie in ihrer Weiblichkeit als Störfaktor in der männlich strukturierten Organisation wahrgenommen werden. Eine Frau als Soldatin widerspricht dem Bild der Frau als schützenswertes, zerbrechliches Objekt. Zudem gefährdet die Sexualisierung der Frauen im Einsatz die als ungeschlechtlich geltenden Werte der Kameradschaft, in deren Kontext auch die Tabuisierung von Homosexualität verortbar ist. Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden häufig auf den Körper bezogen: Frauen dürfen z.B. lange Haare tragen, da eine Frau mit militärisch kurzem Haarschnitt dem Ideal von Weiblichkeit nicht entsprechen würde, obwohl praktische Gründe im Einsatz gegen diese Richtlinie sprechen (Dittmer 2009).

Frauen im Militär – Darstellung auf YouTube

Durch die Öffnung des Militärs für Frauen muss sich das Militär nun nicht mehr nur den weiblich besetzten Eigenschaften seiner männlichen Mitglieder stellen, sondern auch der Aufgabe, Frauen in ein männliches System einzugliedern, was die selbstkonstituierte Männlichkeit des Militärs zusätzlich herausfordert. Wenn Frauen den Soldatinnenberuf ergreifen, stören sie dieses Prinzip und irritieren naturalisierte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Dabei verändern sich auch die Diskurse, und neue Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit gewinnen an Bedeutung, zum Beispiel der »Beschützerinstinkt« der Männer gegenüber Frauen, der vor der formalen Integration von Soldatinnen in das Militär keine Relevanz besaß (Apelt 2015).

Die Strategien von Frauen, mit Männlichkeit und Weiblichkeit umzugehen, sollen im Folgenden am Beispiel von zwei Soldatinnen in der Episode »Frauen-Power« der Bundeswehr-Reihe »Mali« auf YouTube aufgezeigt werden. Hier zeigen sich die Rollen, die Frauen innerhalb des Militärs einnehmen, so, wie sie von der Bundeswehr selbst dargestellt werden (Bundeswehr Exklusive 2017).

Die erste der beiden Frauen beschreibt sich in ihrer Unterstützungsrolle und hebt spezifisch weibliche Qualitäten hervor: „Also ich hab mir sagen lassen […], es ist angenehm, eine Frau dabei zu haben, da ich immer ein offenes Ohr für meine Kameraden habe. Deswegen finds ich als Frau tatsächlich auch wichtig, da dabei zu sein.“ (Hauptfeldwebel Christiane, Air Marshall, 3:20) Die zweite Soldatin schlägt einen anderen Weg ein, indem sie sich explizit aller Weiblichkeit entledigt und sich somit eine männliche Identität als Soldat aneignet, die von den anderen als gleichwertig akzeptiert werden kann. „Wenn die Männer feststellen, dass man ein Soldat ist, dann wird man auch akzeptiert.“ (Hauptfeldwebel Pauline, Gruppenführerin Luftumschlaggruppe, 3:41) Hierbei soll auch die Resonanz der YouTube Zuschauer*innen nicht unerwähnt bleiben: Das Verhältnis zwischen »Likes« und »Dislikes« war im Verhältnis zu anderen Filmen der Reihe deutlich zugunsten der »Dislikes« verschoben. Bei den Fans der Reihe scheinen Frauen im Militär also ein Thema zu sein, das negativ konnotiert ist. Auch gab es Kommentare, die der Bundeswehr die Absicht unterstellten, die »natürlichen« Eigenschaften von Männern und Frauen zu leugnen.

Sowohl die Soldatinnen als auch die Kommentator*innen naturalisieren Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dabei spielt die Körperlichkeit eine große Rolle. Der weibliche Körper wird dabei als eine potenzielle Schwachstelle gesehen, die bei einem Einsatz ein Hindernis darstellt. In Mythen werden Frauen vor allem als Daheimgebliebene charakterisiert, um die sich der Soldat sorgt (Szczepaniak 2010). Die Sorge, eine »weibliche« Eigenschaft, wird dabei als etwas dargestellt, das zugunsten männlicher Stärke und Tatkraft überwunden werden muss. Die Vorstellung von Männlichkeit als stark und rational dient so als Schutzmechanismus gegenüber der eigenen Emotionalität. Durch deren Tabuisierung werden viele Aufgaben der Soldatinnen und Soldaten in einem Einsatz überhaupt erst möglich. Sich in Lebensgefahr zu bringen, andere Menschen zu verletzen oder zu töten passt nicht zusammen mit weiblichen Eigenschaften, wie Empathie oder Hilfsbedürftigkeit. Hier erweisen sich männliche Mythen, wie Heldentum und Ehre, als funktionaler, um die notwendige Überwindung eigener Affekte und Wünsche zu ermöglichen. Dies dient auch der Unterordnung des Individuums unter die Institution Militär. Aus der Abwertung von Intuitionen und Emotionen folgt ein Rückbezug auf durch das Militär institutionalisierte Wahrheiten und ein sukzessiver Abbau eigenständigen Denkens. Das Weibliche kann im Militär auch nach der Integration von Frauen keinen dem Männlichen gleichwertigen Platz einnehmen, da es die Funktionalität dieser Institution untergraben würde.

Männlichkeitsmythen: Heldentum und Schwäche

Viele Männlichkeitsmythen haben ihren Ursprung im Militär und beziehen sich auf eine Form der Kriegsführung, in der »Mann gegen Mann« gekämpft wird. Dies wird zum Beispiel greifbar in Filmen, wie »Der Soldat James Ryan« oder »American Sniper«, der Kämpfe gegen kleinere gegnerische Gruppen zeigt. Während die Gegner zum Teil mit unlauteren Mitteln kämpfen (z.B. Kinder und Frauen instrumentalisieren), haben die eigenen Soldaten in der filmischen Darstellung einen hohen Kriegsethos und fühlen sich ihrem Vaterland und ihren Kameraden verpflichtet. Die technologisierten Kriege der Neuzeit, in denen vermehrt mit Drohnen gekämpft wird, entsprechen dagegen nicht dem Männlichkeitsbild des tapferen Soldaten (Spreen 2010), da die Körperlichkeit des Männerkultes auch mittels der drohenden Zerstörung des Körpers durch den Tod konstituiert wird.

Soldaten, die sich dieser drohenden Zerstörung entziehen oder angesichts der Gefahr Schwäche zeigen, wird ihre Männlichkeit abgesprochen. So wurden im Ersten Weltkrieg Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung bei einfachen Soldaten im herrschenden Diskurs als männliche Form von Hysterie – einer sehr weiblich besetzten psychischen Störung – diagnostiziert. Höhere Offiziere dagegen bekamen die Diagnose »Neurasthenie«, die einen edlen Charakter beschreibt, der sich überarbeitet hat (Lamott und Lempa 2011) – neben Genderaspekten wirkt hier auch eine Dualität aufgrund von Klassenzuschreibungen. Durch diesen Ausschluss von Soldaten, die nicht dem Ideal entsprechen, bleibt das Bild von militärischer Männlichkeit intakt. Bei Offizieren hingegen kommt es zu einer Umbewertung der Symptome als von äußeren Faktoren verursacht, sodass die Männlichkeit des Militärs nicht torpediert wird.

Durch die Heroisierung kriegerischer Handlungen, insbesondere des Todes, werden auch die eigentlichen strukturellen Gewaltstrukturen verschleiert. Der Kampf für das Vaterland war insbesondere in vergangenen Kriegen eine abstrakte Bezugsstruktur, an der Handlungen ausgerichtet waren. In neuen Kriegen, in denen zumindest formal humanitäre Gründe im Vordergrund stehen, wird das Militär stattdessen als Held zur Rettung der lokalen Bevölkerung inszeniert. Beide Bezugsstrukturen werden innerhalb des Militärs kaum genauer beleuchtet oder in ihrer Legitimität angezweifelt. Das edle Gemüt der eigenen Soldat*innen kann nur am Anderen konstituiert werden, wenn die Anderen den Tod verdient haben, entweder aufgrund von Taten gegenüber dem Vaterland der Soldaten oder gegenüber einer unschuldigen Zivilbevölkerung. In Kriegsfilmen bleibt dieses Andere gesichtslos, anders als die eigenen Soldat*innen, die auch in Momenten gezeigt werden, in denen sie Angst oder Sehnsucht nach ihrer Familie zeigen und diese zugunsten des Kampfes beiseite schieben. Gerade diese Überwindung der eigenen Schwäche und Weiblichkeit zugunsten männlicher Werte, wie Kameradschaft, ist der Kern des männlichen Mythos, da sie Affektkontrolle selbst in Extremsituationen beweist.

Verflechtung von zivilen und militärischen Männlichkeitsmythen

Die Vermischung von Militärischem und Zivilem in der popkulturellen Verarbeitung gilt auch für Gender-Aspekte. Während Soldaten zu Helden stilisiert werden, nehmen Frauen in diesem Kontext hauptsächlich unterstützende Rollen ein, die ihre Weiblichkeit unterstreichen (Thomas 2009). Dabei stellt die popkulturelle Verarbeitung der Thematik Militär eine Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte dar. Gerade weil zum Teil auch Ressourcen des Militärs in die Produktion einfließen, zeigen Filme nicht die Realität eines Einsatzes, sondern eine romantisierte Version davon (Thomas 2009). Mitunter werden Filme und Spiele (z.B. »Americas Army«) vom Militär gezielt zu Rekrutierungszwecken auf den Markt gebracht, oder es werden zumindest durch die Kontrolle von Ressourcen die Inhalte mit beeinflusst. Die Hauptcharaktere sind dabei meist männlich; steht ein weiblicher Charakter im Fokus, wie zum Beispiel bei dem beliebten Spiel »Tomb Raider«, ist dieser meist sehr sexualisiert und wäre technisch gesehen aufgrund unpassender Ausstattung nicht für einen Kampfeinsatz geeignet – Lara Croft trägt bei ihren Einsätzen kaum mehr als Unterwäsche. Während bei männlichen Hauptcharakteren der Fokus also auf einer eher der Realität entsprechenden Darstellung des Soldaten liegt, wird bei weiblichen Charakteren die Imagination eines realitätsgetreuen Spielerlebnisses zugunsten einer sexualisierten Darstellung durchbrochen. Die popkulturelle Verarbeitung der Thematik Militär bietet somit nicht nur Deutungsangebote bezüglich der Bewertung des Einsatzes an sich und der Rolle des Militärs, sondern auch zu den Geschlechterrollen (Virchow 2010).

Mythen um Soldaten haben somit das Potential, verunsicherte Männlichkeitsvorstellungen zu stärken. Das militärische Männlichkeitsideal, in dem starke Männer die zuhause bleibenden Frauen beschützen, ist durch Spiele und Filme auch für die Zivilgesellschaft zugänglich.

Fazit

Die Form von Männlichkeit, die im militärischen, aber auch im zivilen Kontext das Ideal darstellt, festigt bestehende Machtstrukturen. Durch den Ausschluss abweichender Männlichkeit aus dem Ideal und die Klassifikation als verweiblicht kann das Männlichkeitsbild intakt bleiben. In der totalen Institution, die das Militär darstellt, wird das Ideal von Männlichkeit dazu benutzt, Machtstrukturen zu legitimieren und über die Implementierung von Heldenmythen eine Kritik am Einsatz selbst zu verunmöglichen.

Die Männlichkeit der Institution Militär ist nicht allein auf das Geschlecht ihrer Mitglieder zurückzuführen, weswegen die Öffnung des Militärs für Frauen nicht zu einer stärkeren Akzeptanz weiblicher Eigenschaften führt, jedoch entsteht durch die formale Gleichstellung eine Verschiebung der Diskurse.

Literatur

Apelt, M. (2015): Der lange Abschied von der männlichen Organisation – Geschlechterverhältnisse zwischen Formalität und Informalität am Beispiel des Militärs. In: Von Groddeck, V.; Wilz, S.M. (Hrsg.): Formalität und Informalität in Organisationen. Wiesbaden: Springer VS, S. 215-237.

Bundeswehr Exclusive (2017): Frauen Power Mali Special. Verfügbar unter: youtube.com/watch?v=kKdRAQh_hNY.

Dittmer, C. (2009): Gender Trouble in der Bundeswehr – Eine Studie zu Identitätskonstruktionen und Geschlechterordnungen unter besonderer Berücksichtigung von Auslandseinsätzen. Bielefeld: transcript.

Euskirchen, M. (2005): Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments. Köln: PapyRossa.

Lamott, F.; Lempa, G. (2011): Zwischen Anerkennung und Zurückweisung – Das Kriegstrauma im politischen Kontext. Forum Psychoanalyse, Jg. 27, No. 3., S. 263-277.

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Sarah Steube ist Studentin der Psychologie und der Transdisziplinären Friedensstudien an der Universität Klagenfurt.

Gender und Drohnen

Gender und Drohnen

Folgen des bewaffneten Drohneneinsatzes

von Ray Acheson

Dieser Artikel untersucht die geschlechtsspezifischen Implikationen des Einsatzes von bewaffneten Drohnen. Wie verstetigt die Drohnentechnologie geschlechtsspezifische Stereotype, einschließlich der gewaltsamen militarisierten Männlichkeit? Wie, im Gegenzug, beeinträchtigt die Entwicklung dieser Art ferngesteuerter Gewalt Männlichkeitsvorstellungen? Wie werden Drohnen eingesetzt, um damit genderspezifische Gewalt auszuüben?
In diesem Text wird als erstes aufgezeigt, wie Geschlechter konstruiert werden, mit speziellem Fokus auf hegemonialen Normen der »militarisierten Männlichkeit«. Anschließend wird kurz die Beziehung zwischen Gender und Militärtechnologie untersucht. Zum Schluss wendet sich die Analyse dem besonders pikanten Fall zu: den bewaffneten Drohnen. Wie können diese Waffen hegemoniale Gendernormen gleichzeitig verstärken und unterminieren, und welche Implikationen hat dies für geschlechtsspezifische Gewalt, Genderessentialismus1 und Gendergerechtigkeit?

Es ist keineswegs eine akademische Übung, Drohnen durch eine gendertheoretische Brille zu betrachten, sondern dies ist für die gezielte Politikberatung wichtig. Den Kontext und die Implikationen von Drohnen unter Gendergesichtspunkten zu verstehen ist nützlich, um überzeugendere, umfassendere Antworten auf die Entwicklung und den Einsatz von Drohnen zu geben. Gleichzeitig ist die gendertheoretische Brille auch nützlich, um Militarismus insgesamt zu verstehen.

Eine Untersuchung der Genderaspekte von bewaffneten Drohnen impliziert nicht, dass andere Formen der Kriegsführung akzeptabler sind oder dass bestimmte Vorgehensweisen, wie »gezielte Tötungen«, zulässig seien, wenn sie mit anderen Mitteln durchgeführt werden. Eine Untersuchung, in welcher Weise Genderkonstruktionen zum Einsatz bewaffneter Drohnen beitragen oder ihrerseits von einem solchen Einsatz betroffen sind, kann Entscheidungsträger*innen, Drohnenoperatoren oder Aktivist*innen helfen, die besonderen Herausforderungen durch bewaffnete Drohnen für Frieden, Sicherheit und Gendergerechtigkeit sowie für Militarismus in weiterem Sinne zu adressieren. Genderanalysen dürfen keine Fußnote sein. Sie bieten ein besonderes Set von Werkzeugen, die dabei helfen können, zu erklären oder zu verstehen, wie Drohnen von den Nutzern und von den Opfern wahrgenommen werden, welche physischen und psychischen Reaktionen auf den Einsatz bewaffneter Drohnen es gibt und in welchem situativen militärtechnologischen und genderbezogenen Kontext Drohnen stehen.

Wie Geschlechter konstruiert werden

»Gender« beschreibt nicht das biologische Geschlecht, sondern die sozial konstruierten Konzepte, die den Geschlechtern Bedeutung zuschreiben und anhand derer die Geschlechter unterschieden werden. Genderfragen beziehen sich nicht ausschließlich auf Frauen, sondern auf alle Geschlechter und sexuellen sowie Genderidentitäten. Dabei sind Individuen einer bestimmten Geschlechts- oder Gendergruppe keineswegs homogen. Frauen, Männer, Transgender, Queere und andere sind unterschiedlichen Alters, verschiedener Hautfarbe, gehören unterschiedlichen Ethnien und Religionen an und haben verschiedene sexuelle Orientierungen, Fähigkeiten, politische Einstellungen und sozioökonomische Positionen. Sie haben gänzlich unterschiedliche Erfahrungen in der Welt, in Gesellschaften, Gemeinschaften und zu Hause. Dieser Diversität werden Genderstereotype, -erwartungen und -normen aber kaum gerecht.2

Genderidentitäten werden von menschlichen Gemeinschaften konstruiert. Die Vorstellungen von Gender können sich mit der Zeit ändern. Sozial konstruierte Genderverständnisse beeinflussen die Wahrnehmung von sozialen Rollen, Verhaltensweisen und Identitäten und wirken sich auf die Beziehungen zwischen Menschen aus. Im Prinzip ist Gender eine Form der sozialen Organisation. Es „strukturiert soziale Beziehungen, reproduziert Regeln und Erwartungsmuster und hält diese aufrecht“ (Barrett 1996, S. 130). Wenn Individuen gemäß der Gendernormen handeln und dabei bestehende Erwartungen erfüllen, verstärken sie nicht nur den Genderessentialismus, der von Gemeinschaften und Kulturen aufgebaut wurde, sondern sie tragen damit auch zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung von Machtbeziehungen zwischen Geschlechterkategorien bei (Lorberg 1994, S. 6).

Machtbeziehungen sind, wie Michel Foucault erklärte, in Prozesse der Kategorisierung und Unterscheidung eingebettet (Foucault 1977). Mit Blick auf Gender erzeugen diese Prozesse eine Hierarchie zwischen den Genderidentitäten und hegemoniale Normen innerhalb und zwischen den Geschlechtern. „Hegemoniale Männlichkeit“ ist ein „besonders idealisiertes Bild von Männlichkeit, wohingegen Bilder von Weiblichkeit oder anderen Männlichkeiten marginalisiert und untergeordnet werden.“ (Barret 1996) In vielen heutigen Kulturen wird hegemoniale Männlichkeit durch den heterosexuellen Mann repräsentiert, der unabhängig, risikofreudig, aggressiv, rational, physisch stark, mutig und emotionslos ist (Eichler 2014; Connell 1995). Diese »hegemoniale Männlichkeit« wird in Bezug gebracht mit der Möglichkeit, Bereitschaft und Aussicht zur Gewaltausübung. Jungs lernen, sich selbst durch Gewalt als Männer zu definieren (Chemaly 2012). Frauen, Mädchen und andere werden so sozialisiert, dass sie solche Identitäten unterstützen (Eichler 2014).

Wissenschaftler*innen argumentieren, das Militär spiele eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von Männlichkeitsbildern in der Gesellschaft (Kimmel/Messner 1989, S. 176-183; Morgan 1994; Arkin/Dobrofsky 1987, S. 151-168). Vorrang hat im Militär „Stärke, geschickter Einsatz von Gewalt, männliche Kameradschaft, die Unterdrückung eigener Emotionen sowie Disziplin (selbst diszipliniert zu sein und dies von anderen zu erwarten)“ (Enloe 1990, S. 150). Die Praktiken militärischer Institutionen tragen aktiv zur Unterscheidung und Abgrenzung gegenüber dem »Anderen« bei, was wiederum das Ideal von Männlichkeit und gegenderten Hierarchien verstärkt. Es gibt im Militär zum Beispiel eine Tradition, das »Andere« mit Begriffen zu belegen, die mit Weiblichkeit assoziiert werden. Viele Militärs diffamieren eine potentiell oder tatsächlich geschlagene Armee als »Frau« (ebd.; siehe auch Strange 1983).

Gender und Militärtechnologie

Judy Wajcman argumentiert, Genderbeziehungen „materialisieren [sich auch] in Technologie“, und zwar dadurch, dass die Bedeutung und das Wesen von Männlichkeit und Weiblichkeit „durch ihre Einbeziehung und Einbettung in Arbeitsmaschinen“ (Wajcman 2010, S. 144) weiterentwickelt werden. Sie führt aus, dass schon die bloße Definition von Technologie mit Begriffen »männlicher Aktivität« erfolgt – Aktivitäten, die mit der hegemonialen Männlichkeit assoziiert werden. Traditionell stellt man sich unter Technologie Industriemaschinen und militärische Waffen vor – Werkzeuge der Arbeit und des Krieges (Harding 1986).

Das bringt uns zu bewaffneten Drohnen. Im Kontext einer Kultur der militarisierten Männlichkeit und vermännlichten technologischen Entwicklung haben diese Werkzeuge der Gewalt und des Krieges spezifische Charakteristika, die hegemoniale Gendernormen zugleich verstärken und unterminieren. Dies hat seinerseits Implikationen für die Vorstellung vom Mann als entbehrlich und verletzlich, als Raubtier und Beschützer, und stellt damit eine große Herausforderung dar, den Genderessentialismus zu überwinden und Gendergerechtigkeit in größerem Rahmen zu schaffen.

„Macht demonstrieren, ohne verwundbar zu sein“

Den Drang, „Militär ohne Rücksicht auf Grenzen einzusetzen“ und „imperiale Macht vom Zentrum auf die Welt, also auf ihre Peripherie, auszuweiten“ (Chamayou 2015, S. 12), gibt es schon viel länger als die bewaffnete Drohne. Aber das Militär scheint zu glauben, mit der bewaffneten Drohne eine Lösung für diese Aufgabe gefunden zu haben. David Deptula von der US Air Force konstatierte: „Der wirkliche Vorteil unbemannter Luftfahrzeuge ist, dass man mit ihnen Macht demonstrieren kann, ohne Verwundbarkeit zu zeigen.“ (Link 2001)

Drohnen strahlen ein Ethos der Unverwundbarkeit aus. Sie erlauben es den Drohnenoperatoren, Ziele in weiter Entfernung in Sekundenschnelle ohne Vorwarnung anzugreifen. In Wirklichkeit haben sich Drohnen aber weder als so wirksam noch als so zielgenau erwiesen, wie die Nutzer die Öffentlichkeit glauben machen wollen. Die Werkzeuge und Verfahren zur Zielauswahl für so genannte »signature strikes«3 haben Hunderte von zivilen Drohnenopfern zur Folge.

2015 wurden an die Online-Publikation »The Intercept« Dokumente geleakt, die zeigen, wie »signature strikes« auf der Basis »nachrichtendienstlicher Erkenntnisse« ausgeführt werden – Erkenntnisse, die von Videoaufnahmen, E-Mails, sozialen Netzwerken, Aufklärungsflugzeugen und Mobiltelefonen stammen. Die »nachrichtendienstlichen Erkenntnisse« werden mit Hilfe von Algorithmen nach Mustern durchsucht. Dieses Verfahren gibt es nur für Drohnenschläge.4 Es ist nicht gefeit vor Fehlinterpretationen, Vorurteilen oder Fehlern derjenigen, die anhand dieser Informationen die Ziele für Drohnenangriffe festlegen. »Targetet killings« – gezielte Tötungen –, u.a. mit Drohnen, sind angewiesen auf die Identifizierung und Überwachung einer Zielperson, aber die Auswahlverfahren gehen einher mit einer kulturellen Prägung, die vorgibt, was gesehen wird und wie es gesehen wird (Grayson 2012, S. 120-128).

Nichtdestotrotz schreiben US-Militärs und andere Nutzer den Drohnen weiterhin gottesähnliche Qualitäten zu – einschließlich ihrer Unverwundbarkeit und Allmächtigkeit. Ein Zeichen dafür ist, dass ihnen oft Spitznamen gegeben werden. Nach Aussagen eines früheren Drohnenoperators des U.S. Joint Strike Operating Command, der von »The Intercept« interviewt wurde, wird eine Drohne »Sky Raper« genannt, was sich übersetzen lässt mit »Vergewaltiger der Lüfte«. Er sagte, die Drohne wird so genannt, „weil sie eine Menge Leute getötet hat“ (Scahill/Greenwald 2014). Der Spitzname weist allerdings über die Benennung einer Tötungsmaschine hinaus. Es perpetuiert die Kultur der Dominanz, die eine Schlüsselkomponente für die Entwicklung militarisierter Männlichkeiten ist. Der Spitzname untermauert überdies die Institutionalisierung von Vergewaltigung als ein Werkzeug des Krieges. Indem sie der Drohne den Spitznamen »Sky Raper« geben, geben die Drohnenoperatoren – die ja im Auftrag des Staates handeln – zu, dass sie Vergewaltigungen einsetzen, um eine Zielperson zu dominieren und zu besiegen; gleichzeitig beteiligen sie sich an der umfassenderen und systematischen Normalisierung von Vergewaltigung“, stellt Erin Corbett fest. „Nicht nur unterstellen die Drohnenoperatoren damit, dass Vergewaltigung in Kriegszeiten eine legitime Waffe ist, sie verharmlosen damit auch sexuelle Gewalt generell.“ (Corbett 2015) Darüberhinaus trachten sie danach, diejenigen, die sie zu »Feinden« erklärt haben, zu »entmannen«, mit einem rassistischen, sexistischen und sexualisierten Konzept von Waffengewalt zu »entmannen«. Der »Sky Raper« repräsentiert die „weiße westliche phallische Macht“, die über »die Anderen« Macht und Männlichkeit vollzieht (Puar/Rai 2002, S. 137).

Dies gilt vielleicht besonders in Staaten, deren »Gast«-Regierung einem Drohneneinsatz nicht zugestimmt hat. Ein »Weißpapier« des US-Justizministeriums aus dem Jahr 2013 hält fest, dass ein Drohnenangriff durchgeführt werden kann „mit der Zustimmung der Regierung des Gastlandes oder nach der Feststellung, dass das Gastland unfähig oder unwillig ist, die Bedrohung selbst zu bekämpfen“. Lorraine Bayard de Volo sieht darin eine „Entmannung“ der Regierungen der Gastländer, die „nicht in der Lage [sind], ihre eigenen Grenzen gegen das Eindringen von US-Drohnen zu schützen“ (de Volo 2016, S. 63). Ihr zufolge legt dies außerdem nahe, die Vereinigten Staaten seien der „selbsternannte Patriarch“ und dass „Staaten, die nicht einwilligen, im Effekt juristisch als unfähig zur Einwilligung erklärt werden“ (ebd.). Natürlich sind solche Aktionen nicht auf bewaffnete Drohnen beschränkt. Auch andere Waffensysteme können und wurden eingesetzt, um Grenzen ohne Einwilligung zu »penetrieren«. Doch solche Praktiken scheinen nun, mit dem Einsatz bewaffneter Drohnen, auf der Ebene der offiziellen Politik angekommen zu sein.

Die Symbolik von Vergewaltigung und nicht einvernehmlichen Akten ist kein Ausreißer im Militär. Eine Kultur der sexuellen Gewalt – und anschließender Straffreiheit – ist Teil der Kultur von Dominanz und Unverletzlichkeit, die tief verwurzelt ist in den oben bereits beschriebenen gewalttätigen Männlichkeiten und einem »Kriegerethos«. Eine unmittelbare Konsequenz dieser »Kultur« ist, dass Soldatinnen oft von sexuellen Übergriffen betroffen sind.5 Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen sexualisierter Gewalt im Militär und der Benennung einer Drohne als »Sky Raper«: Gewalttätige Männlichkeiten dominieren und steuern das Verhalten von Soldaten – unverwundbaren Kriegern, die immun sind gegen die Verfolgung von Vergewaltigungen und Kriegsverbrechen – sowohl auf dem wie abseits des Schlachtfeldes.

Den Krieger »entmannen«

Der Glaube, Drohnen seien unverwundbar, bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch die Drohnenoperatoren unverwundbar sind. Im Gegenteil: Die scheinbare Unverwundbarkeit von Drohnen basiert auf der räumlichen Trennung der Operatoren von der Gefahr. Diese sind durch die räumliche Entfernung vor den Subjekten geschützt, welche sie mit der Drohne ins Visier nehmen. Dies trennt den »Krieger« vom Kriege, den Körper vom Schlachtfeld – und hat erhebliche Implikationen für militarisierte Männlichkeiten.

Die Mechanisierung des Krieges und der Schutz des Soldaten vor körperlicher Gefahr scheinen im Widerspruch zu stehen zu dem Ethos der militarisierten Männlichkeit. Den »Feind« aus einer Entfernung anzugreifen, aus der er oder sie nicht zurückschlagen kann, ist wie jemanden in den Rücken zu schießen. Es ist die Antithese der Kriegsführungsmethoden, die Tapferkeit, Mut und Opferbereitschaft hochhalten.

„Eines der Probleme mit unbemannten Luftfahrzeugen ist buchstäblich die Gefahr, in jedem denkbaren Wortsinn »unbemannt« zu werden“, sagt Chamayou. „Das ist auch der Grund, warum sich Offiziere der U.S. Air Force anfangs so vehement gegen die allgemeine Einführung von Drohnen wehrten. Die Drohnen gefährdeten zunächst offensichtlich ihren Arbeitsplatz, ihre fachliche Qualifikation und ihre Position innerhalb der Institution Militär, aber des Weiteren war sie auch eine Bedrohung ihrer eigenen Potenz, die direkt mit dem Eingehen von Risiken assoziiert war.“ (Chamayou 2015, S. 100; siehe dazu auch Sauer/Schörnig 2012 und Manjikian 2013)

Die Doktorandin Lindsay Murch führte eine Gender-Diskursanalyse von Interviews mit Drohnenpilot*innen durch und fand heraus, dass ein Drohnenpilot überlegte, diesen Job aufzugeben, da „er einfach ein »Held« sein wollte, und dass ihm seine Rolle als Drohnenpilot das Erreichen dieses Zieles nicht ermöglichte“. Murch legt nahe, dies könne als Wahrnehmung interpretiert werden, er werde „verweiblicht“ (Murch 2015).

Statt die »Verweiblichung« zu akzeptieren, ist eine Alternative, die Regeln grundlegend zu ändern. Einige Medienberichte, die auf dem Sprachgebrauch von Militärs basieren, sind dazu übergegangen, technische Fertigkeiten als Kriegerfertigkeit zu preisen (Manjikian 2013, S. 53). Doch um den »Techkrieger« zu rühmen, wird eine Anpassung der Ethik nötig – von einer der Selbstaufopferung zu einer der Selbsterhaltung. Was einst als Feigheit galt, muss nun als Mut wahrgenommen werden (Chamayou 2015, S. 101). Dazu bedarf es aber des Beweises, dass dieser Akt – das Steuern der Drohne – selbst seinen Preis hat (Chamayou 2015, S. 102).

In diesem Kontext können die psychischen Schäden, die bei den Drohnenoperatoren zu beobachten sind, als ein »Ehrenabzeichen« und ein Zeichen von männlichem Mut kodiert werden: Drohnenpilot*innen riskieren im Kampf zwar nicht mehr ihren Leib, aber sie riskieren ihre mentale Gesundheit. „Dies wäre eine spezielle Form der Tapferkeit“, schreibt Chamayou, „die nicht mehr die eigene physische Verletzlichkeit der feindlichen Gewalt aussetzt, sondern die eigene psychische Verletzlichkeit den Folgen der eigenen Destruktivität.“ (Chamayou 2015, S. 103)

Während diese sich herauskristallisierende Form von »Tapferkeit« bestehende Männlichkeiten verstärkt, wird sie zusätzlich durch die Normen der Männlichkeit geleitet und gelenkt, die ohnehin schon in der Kultur verankert sind. Lindsay Murchs Analyse der Interviews mit Drohnenpilot*innen ergab wie zu erwarten, dass es als weiblich kodiert ist, im Angesicht dieser »psychischen Wunden« Emotionen zu zeigen. Niemand sprach darüber. Niemand sprach darüber, wie sie sich nach einem Einsatz fühlen. Es war wie eine unausgesprochene Übereinkunft, dass du nicht über deine Erfahrungen sprichst“, sagte ein Pilot. Der Duktus des Interviewten ist unerschütterlich männlich“, schreibt Murch, und stützt sich stark auf das Rationale (es gibt keine emotionalen Aufrufe zur Rache gegen Zielpersonen oder Weichheit beim Nachdenken über die Kinder der Zielpersonen), es wird auf die Einsatzregeln und das Kriegsvölkerrecht verwiesen, um die Tötungen zu rechtfertigen.“ (Murch 2015)

Dieser Aspekt des Kriegerethos der hegemonialen Männlichkeit – emotionslos, unbeteiligt, rational – wird geschützt. Während man mit der »Feigheit« zu ringen scheint, sich beim Töten hinter einer Maschine zu verstecken, können bewaffnete Drohnen zugleich „eine raubtierhafte Männlichkeit demonstrieren, eine mächtige und beleidigende Maschine, die die ins Visier genommenen Männer entmannt“ (de Volo 2016, S. 65). Dies, so zeigt Bayard de Volo auf, „provoziert und legitimiert eine männliche Reaktion“ (ebd.). Betroffene Bevölkerungen, welche die Verursacher der Drohnenangriffe als rücksichtlose männliche Wesen wahrnehmen, werden dadurch gedrängt, in ihren Gemeinschaften die Rolle des männlichen Beschützers zu etablieren, der gegen den Aggressor zurückschlägt.

Unterordnung und Entbehrlichkeit

Diese Reaktion wiederum führt zu Akten geschlechtsbasierter Gewalt, bei der »signature strikes« auf Männer durchgeführt werden, einfach weil sie Männer sind. Drohnenangriffe richten sich zwar nicht notwendigerweise gegen Einzelne, nur weil sie Männer in einem bestimmten Alter sind, jene aber, die den Angriff ausführen, scheinen Geschlecht als ein Identifizierungsmerkmal zu nutzen, um festzulegen, ob eine Person angegriffen wird, ob ein Angriff erlaubt ist (d.h. das Geschlecht derjenigen, die sich im Umfeld der Zielperson befinden, wird berücksichtigt) bzw. um im Nachhinein das Ergebnis eines Angriffs zu analysieren (d.h. bei der Dokumentation der Toten und Verwundeten). Das Geschlecht des Einzelnen ist nicht der Grund für den Angriff, aber es steht stellvertretend für ein anderes Merkmal – Kämpfer –, das den Grund liefert. Wenn Menschen auf Grund ihres Geschlechts zum Ziel werden, dann ist auch dies eine Form von genderbasierter Gewalt (mehr dazu bei Acheson/Moyes 2014).

Über die unmittelbaren moralischen und juristischen Probleme einer solchen Herangehensweise hinaus: Das Geschlecht als Identifizierungsmerkmal bei der Zielauswahl oder der Auswertung eines Angriffs heranzuziehen, verstärkt den Genderessentialismus, insbesondere das Bild der passiven und schwachen Frau. Die Konstruktion eines »schwächeren Geschlechts«, welches des Schutzes »bedarf«, geht über die Zuschreibung hinaus, Frauen seien physisch schwächer, und definiert sie auch als sozial schwächer. Dies reproduziert Machtasymmetrien und Genderhierarchien, welche viele Akte genderbasierter Gewalt gegen Frauen und andere Menschen untermauern, und verstärkt bereits bestehende Genderhierarchien, die dem Aufbau und der Aufrechterhaltung einer gerechteren Gesellschaft entgegenwirken. Frauen als schwach und hilfsbedürftig darzustellen, trägt zu ihrem weiteren Ausschluss von relevanten sozialen wie politischen Rollen bei.

Die Nutzung des Geschlechts als Identifizierungsmerkmal bei der Zielauswahl oder Angriffsanalyse festigt zudem die Vorstellung, es sei schlimmer, wenn Frauen getötet werden als Männer. Dies wiederum führt zur breiten Akzeptanz des Bildes vom entbehrlichen Mann (Acheson/Moyes 2014). Männlichkeit mit Gewalttätigkeit in Verbindung zu bringen, erhöht unmittelbar die Verwundbarkeit von Männern und verschärft damit andere „gender-basierte Verwundbarkeiten, mit denen erwachsene männliche Zivilisten konfrontiert sind, einschließlich dem Risiko der zwangsweisen Rekrutierung für die Armee, willkürlicher Verhaftung und standrechtlicher Hinrichtung“ (Carpenter 2005, S. 296).

Fazit

Die Kultur bewaffneter Drohnen, die sowohl in der Technologie selbst und in ihrem Einsatz sowie in den allgemeineren Normen des Militarismus und der militärischen Praxis eingebettet ist, schafft neue Probleme für die Gewaltverhinderung, den Schutz von Zivilist*innen und die Überwindung von Gender­essentialismus oder -diskriminierung. Es ist entscheidend zu verstehen, wie Drohnenoperatoren und Drohnenopfer diese Waffen genderspezifisch wahrnehmen, um Strategien auszuarbeiten, die dabei helfen können, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Dazu gehört, das raubtierhafte, aggressive Wesen bewaffneter Drohnen zu begreifen, welche ohne das Einverständnis der Gastländer eingesetzt werden und zum Tod und zur Verletzung von Zivilist*innen, zu psychischen Schäden und zur Zerstörung von ziviler Infrastruktur führen, und dass dies in den betroffenen Gemeinschaften eine militarisierte männliche Antwort zur Folge hat. Diese Erkenntnis sollte erhebliche Implikationen haben und zumindest zur Einschränkung einiger Einsatzpraktiken führen, z.B. in Bezug auf den Einsatz bewaffneter Drohnen außerhalb bewaffneter Konflikte, den Schutz von Zivilist*innen oder die Luftüberwachung ohne konkreten Anlass. Entsprechend könnte die Erkenntnis, wie »signature strikes« als Akte genderbasierter Gewalt wirken und welchen Nachhall dies auf die Gendergerechtigkeit in anderen Bereichen hat, dabei helfen, die politischen Vorgaben zu gezielten Tötungen mit bewaffneten Drohnen oder anderen Waffensystemen zu überarbeiten.

Anmerkungen

Der Text ist eine gekürzte Version des Kapitels »Gender and drones« aus der Publikation »The humanitarian impact of drones« (2017, New York: Reaching Critical Will of the Women’s International League for Peace and Freedom, Article 36, and the International Disarmament Institute of Pace University); online unter reachingcriticalwill.org.

1) Der Geschlechteressentialismus weist jedem Geschlecht bestimmte »natürliche« Eigenschaften zu.

2) Die Tatsache, dass es Unterschiede in Klasse, Ethnie, Kultur, Fähigkeiten usw. zwischen Frauen, Männern und anderen gibt, machen die Analyse komplexer, aber es macht die Genderperspektive nicht auf einer theoretischen Ebene unwichtig oder politisch weniger relevant. „In buchstäblich jeder Kultur”, gibt Sandra Harding zu bedenken, “sind Genderunterschiede eine entscheidende Möglichkeit, wie sich Menschen selbst als Personen sehen, ihre sozialen Beziehungen organisieren und bedeutende natürliche und soziale Ereignisse und Prozesse symbolisieren“ (Harding 1986, S. 18).

3) Unter »signature strikes« werden Angriffe auf Personen bezeichnet, die sich nach Ansicht der US-Geheimdienste wie Terroristen verhalten. [der Übersetzer]

4) Für nähere Informationen, wie dieser Prozess abläuft, siehe Currier 2015.

5) Siehe den Dokumentarfilm »The Invisible War«, online unter pbs.org/independentlens/films/invisible-war, und Enloe 1990, S. 156.

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Ray Acheson ist Geschäftsführerin von Reaching Critical Will, dem Abrüstungsprogramm der Women’s International League for Peace and Freedom. Sie bringt sich seit 2005 in zwischenstaatliche Abrüstungsprozesse ein, u.a. zu den Themen Atomwaffen und globaler Waffenhandel. Sie hat einen Master in Politikwissenschaft der New School for Social Research (New York City, USA) und ein BA mit Auszeichnung in Friedens- und Konfliktstudien der University of Toronto (Kanada).

Aus dem Englischen übersetzt von ­Marius Pletsch.

Zwei Paar Schuhe?


Zwei Paar Schuhe?

Friedens- und Konfliktforschung braucht Gender Studies

von Claudia Brunner

Feministische Forschung und Friedensforschung haben vieles gemeinsam, u.a. ihre Ursprünge in sozialen Bewegungen, gelebte Transdisziplinarität sowie randständige Position im wissenschaftlichen Kanon. Daneben macht vor allem der normative Anspruch von Analyse und Kritik einer in vieler Hinsicht gewaltförmigen Welt beide Forschungsfelder ebenso innovativ wie auch unbequem. In einer zunehmend reaktionären Gegenwart sind beide Traditionen kritischer Wissensproduktion mit immer mehr Skepsis und Widerstand konfrontiert, nicht nur von außen, sondern auch innerhalb ihrer eigenen Debatten. Nicht zuletzt das ist ein guter Grund, geteilte Ziele auch gemeinsam zu verfolgen – und aus notwendigen Unterschieden weiterhin zu lernen.

Seit einer meiner ersten Vorlesungen an der Universität Wien begleitet mich der Satz der Professorin Eva Kreisky: „Die Kategorie Geschlecht muss nicht erst an die Politik und an die Politikwissenschaft herangetragen werden. Beiden ist sie bereits einverleibt.“ So unmissverständlich und überzeugend mir diese Erkenntnis seit damals erscheint, so selbstverständlich war für meinen weiteren Weg durch die Universität(en) seither die institutionalisierte Existenz von Frauen- und Geschlechterforschung. Beides – sowohl die Erkenntnis der Allgegenwart von Geschlecht als auch die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Tatsache – ist heute wieder umstritten. Umstritten nicht im Sinne einer produktiven inhaltlichen Auseinandersetzung, sondern als beunruhigendes Begleitgeräusch eines schleichenden konservativen Autoritarismus in Europa, der parallel zu einer Verschärfung und Beschleunigung internationaler Konflikte und Kriege verläuft.

Kalter Wind aus allen Richtungen

Nicht nur vom rechten Rand des Stammtischs, auch aus dem liberalen Feuilleton schallt uns entgegen, wie problematisch, verzichtbar oder gar gefährlich Feminismus und die Gender Studies seien. Und in der Linken erklären selbsternannte Retter*innen des so genannten Abendlandes die Gender Studies zum Sargnagel des Feminismus. Just zu dem Zeitpunkt, an dem Feministinnen, Queer-Theoretiker*innen und Geschlechterforschende eine Verschnaufpause in der hart erkämpften Nische im System Wissenschaft gut gebrauchen könnten, wird den Gender Studies diese prekäre Existenz auch schon wieder streitig gemacht: von rechts, von links und aus der so genannten politischen Mitte.

Das jüngste Gender-Studies-Bashing und der mit ihm einhergehende Antifeminismus sind nicht nur eine Frage des Diskurses, sondern manifestieren sich bereits in schrumpfenden Budgets für feministische und queere Lehre und Forschung und in abnehmender Anerkennung für entsprechende Qualifikation und Expertise, die bisweilen auch in massive persönliche Angriffe umschlägt. Auch die nicht enden wollenden Aufregungen rund um Binnen-I und Unterstrich verweisen meines Erachtens auf deren punktgenaues Irritationspotenzial in naturalisierten Machtverhältnissen. Dass das Feld der Gender Studies kein homogenes ist und sich – wie in allen lebendigen wissenschaftlichen Communities – durchaus widersprechende Ansätze aneinander reiben, macht die Sache nicht einfacher. Nicht zuletzt zeigt die Heftigkeit diverser (Anti-)Gender-Debatten aber auch, wie zutreffend feministische Geschlechteranalysen und mit ihnen intersektional verwobene Herrschaftskritik offensichtlich immer wieder waren und sind – andernfalls würden sie wohl kein so begehrtes Angriffsziel darstellen, sondern bestenfalls ignoriert werden.

Geschlechter-Debatten als Gradmesser für gesellschaftliche Konflikte

Die Tatsache, dass Geschlecht nicht erst an bestimmte soziale Phänomene und ihre Erforschung herangetragen werden muss, sondern ihnen bereits einverleibt ist, gilt konsequenterweise auch für die Friedens- und Konfliktforschung und kann in der Lehre zu deren expliziten Gegenstand gemacht werden. Geschlecht steckt nämlich in gewaltförmigen Konflikten ebenso wie in Theorien des Friedens, im Krieg ebenso wie in seiner Analyse. Gerade aus Sicht der Friedens- und Konfliktforschung ist die zunehmende Infragestellung von Gender Studies daher ein beunruhigendes Zeichen antifeministischer Normalisierung, denn das Terrain geschlechter- und sexualitätspolitischer Auseinandersetzungen ist immer ein zutiefst umkämpftes und politisches. Dass auf diesem Terrain weit mehr als nur Genderarrangements (re-) organisiert werden, wissen wir aus der Analyse ferner Kriege, Konflikte und so genannter Nachkriegsgesellschaften nur allzu gut.

Es ist an der Zeit, das in der Friedens- und Konfliktforschung ebenso wie in der Genderforschung generierte herrschaftskritische Wissen über Geschlechterfragen und Sexualitätspolitiken auch auf das »Hier« anzuwenden: auf den zunehmenden Rechtsruck quer durch Europa und den konservativ-autoritären Rollback in der so genannten westlichen Welt. Wir werden diese Erkenntnisse in nächster Zeit dringend benötigen. Nicht, um die vermeintliche politische, moralische und intellektuelle Überlegenheit »Europamerikas« wieder einmal über Geschlechterfragen unter den zweifelhaften Beweis einer zivilisatorischen Überlegenheit zu stellen. Das ist die seit Jahrhunderten bewährte Praxis des dominanten Paradigmas der kolonialen Moderne, das auf epistemischem Sexismus und Rassismus beruht. »Homo-« und »Femonationalismus« dienen nur allzu gut der Indienstnahme von Geschlechter- und Sexualitätspolitiken für das imperiale Projekt. Gerade um die mit ihm einhergehenden Politiken des vergeschlechtlichten und rassifizierten Teilens und Herrschens herauszufordern, müssen wir weiterhin herrschaftskritische und intersektional informierte Geschlechterforschung betreiben, die zugleich auch ein Beitrag zu Friedens- und Konfliktforschung ist.

Gender Studies und Peace Studies: zwei Paar Schuhe?

Sozialwissenschaften und Geschlechterforschung waren für mich nie zwei Paar Schuhe, aus denen man je nach Anlass, Wegstrecke und Ziel zu wählen habe. Sie gehören notwendigerweise zusammen, wie ein Paar Schuhe eben. Friedens- und Konfliktforschung ist ohne Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht für mich nicht denkbar, auch wenn sie gerade in notwendigerweise existierender Verschränkung mit anderen Kategorien so manche Frage ganz schön verkompliziert. Und ohne die feministische Prämisse des »subvert the dominant paradigm« [das vorherrschende Paradigma untergraben] wird mir auch die Friedens- und Konfliktforschung langweilig oder der Komplizenschaft mit eben dem dominanten Paradigma verdächtig.

Genauso wie Friedens- und Konfliktforschung meines Erachtens ohne Genderforschung nicht auskommt und ohne feministische Perspektiven mitunter problematisch wird, steckt auch in den meisten Ansätzen der Geschlechterforschung bereits viel Wissen über Konflikte und Konfliktdynamiken. Gender Studies beschäftigen sich mit vielfältigen Formen von Gewalt und erkunden seit ihren Anfängen potenzielle Wege, um sie zu transformieren und zu reduzieren. Lehren/lernen in der Friedens- und Konfliktforschung heißt für mich daher notwendigerweise auch lehren/lernen mit feministischen Gender-Perspektiven. Die beide Traditionen einende Normativität und Kritik sind es, die dafür sorgen, dass ich im unendlichen Universum unterschiedlicher Theorien, Ansätze, Argumente und Meinungen meine eigene Verortung ebenso wenig aus den Augen verliere wie den Horizont meiner Bemühungen, feministisch zu lehren und dabei immer auch zu lernen.

(Hochschul-) Lehre als Mikrokosmos vergeschlecht­lichter Sozialität

Gerade in der Lehre bietet die Verbindung dieser beiden Forschungstraditionen die Möglichkeit, an Lebensrealitäten, Allgemeinwissen und Vorannahmen der Studierenden anzuknüpfen und Selbstverständlichkeiten über das vermeintlich Natürliche in sozialen und politischen Konflikten herauszufordern. Dazu zählen unterschiedliche Formen von Gewalttätigkeit ebenso wie die ungleiche Verteilung von Ressourcen und grundsätzlich alles, was entlang der Teilungslinie von öffentlich und privat organisiert ist. Feministische oder queere Ansätze und entsprechende didaktische Formate ermöglichen es auch, bisweilen als allzu abstrakt abgelehnte Theorien der Friedens- und Konfliktforschung, etwa über Gewaltfreiheit oder Konfliktdynamiken, zu konkretisieren und in eine lebendige Auseinandersetzung miteinander und mit eigener Erfahrung zu bringen.

Auch wenn sich wenige bewusst und explizit damit beschäftigen, so sind bei Geschlechterfragen doch immer alle irgendwie »betroffen«, sei es in ablehnender oder mit neugieriger Haltung – inklusive der*des Lehrenden selbst. Meiner Erfahrung nach ist das ein produktiver Ausgangspunkt für beteiligtes und dementsprechend produktives und (selbst-) kritisches Lernen und Lehren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Verortung in vergeschlechtlichten, rassifizierten und geopolitisch eingebetteten Machtverhältnissen bietet zudem auch eine gute Gelegenheit, um eine ganz grundsätzliche wissenschaftstheoretische Frage anzusprechen: die nach dem Verhältnis von Standort und Standpunkt, die immer auch eine politische und nicht zuletzt eine persönliche ist.

Geteilte Geschichte in sozialen Bewegungen

Ein daran anschließender Aspekt, der feministische Lehre in der Friedens- und Konfliktforschung so produktiv macht, ist die offensichtliche Querverbindung zu historischen wie auch gegenwärtigen sozialen Bewegungen. Diese entstehen immer in Konfliktsituationen und stellen zugleich selbst Formen der Konfliktaustragung dar. Auch wenn Friedens- und Frauenbewegung in Europa heute keine gesellschaftspolitisch tonangebenden Kräfte mehr sind, gibt es in gegenwärtigen sozialen Bewegungen vor allem im Globalen Süden doch immer wieder Neues und Altbekanntes zu entdecken, das die Verbindung von Geschlecht und Konflikt, von Feminismus und Frieden, von Gender und anderen konfliktrelevanten Differenzierungskategorien, wie »Rasse«, Klasse, Sexualität, Befähigung oder geopolitische Verortung, unmissverständlich vor Augen führt. Und nicht zuletzt sind sowohl Frauenforschung als auch Friedensforschung ihrerseits aus sozialen Bewegungen hervorgegangen, ebenso wie post- und dekoloniale Theorie nicht ohne die antikolonialen Kämpfe im Globalen Süden denkbar sind.

Auch politisch organisierter Widerstand, der nicht auf den Einsatz von Waffen und Gewalt verzichtet und daher selten als soziale Bewegung definiert oder zivilgesellschaftlich genannt wird, hat also seine Spuren im System Wissenschaft hinterlassen. Und auch er lässt sich aus feministischer Perspektive facettenreicher analysieren als auf jenen Wegen, die die Kategorie Geschlecht vollständig vernachlässigen oder lediglich als Variable einsetzen. Wenn Männer und Frauen gezählt werden und das Ergebnis mit pseudowissenschaftlichen Allgemeinplätzen über friedfertige Weiblichkeit und aggressive Männlichkeit geschmückt wird, ist damit aus Sicht feministischer Friedens- und Konfliktforschung wenig gewonnen, sondern vielmehr die dominante Weltsicht bestätigt, die es herauszufordern gilt.

Subvert the dominant paradigm

In diesem Sinne ist nicht nur das Widerständige oder das Offensichtliche mit der so genannten »Gender-Brille« ertragreicher zu betrachten als ohne, sondern vor allem auch das Normale und Dominante. Feministische Forschung und Lehre hinterfragt das vermeintlich Selbstverständliche politischer und gesellschaftlicher Ordnungen in vielfacher Hinsicht und stellt damit zahlreiche Formen von Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gewalt in Frage. Gerade in deren weitgehend akzeptierter Normalität wird Geschlecht im Zusammenspiel mit anderen sozialen Platzanweisern und Wissenskategorien besonders wirksam, weil es dort noch unsichtbarer ist als an den offensichtlich vom staatlichen Gewaltmonopol abweichenden Untersuchungsgegenständen der Friedens- und Konfliktforschung.

Staat und Militär, Waffenhandel und Technikforschung, Sicherheitspolitik und Terrorismusbekämpfung, Diplomatie und Geheimdienstarbeit, Internationale Beziehungen und nationale Politiken sowie nicht zuletzt Expert*innenwissen und Wissenschaft sind potenzielle Untersuchungsfelder der Friedens- und Konfliktforschung, die aus feministischer Perspektive ganz anders aussehen als wir sie zu betrachten gewohnt sind. Darüber hinaus kommen dann auch vermeintliche Nebenschauplätze der Internationalen Beziehungen, wie Sorge- und Sexarbeit, Mode und Popkultur und vieles andere mehr, in den Blick. Viel mehr als nur die offensichtlichen Geschlechterfragen (oder was dafür gehalten wird) kann aus feministischer Perspektive in der Verwobenheit mit Macht-, Herrschafts- und Gewaltverhältnissen und Optionen ihrer Transformation einer kritischen friedens- und konfliktforschungsrelevanten Betrachtung unterzogen werden.

Transdisziplinäre Horizonte

Erforderlich sind dazu nicht zuletzt auch theoretische Impulse aus rand- und widerständigen Forschungstraditionen, wie der feministischen Theorie und kritischen Männlichkeitsforschung, aus Queer Theory, post- und dekolonialer Theorie, Chicana-Feminismus oder Schwarzem Feminismus. Sie alle gehen ihrerseits aus dem politischen Widerstand sozialer Bewegungen hervor, die auf die gewaltförmigen Zumutungen ihrer Zeit reagiert und dabei die Kategorie Geschlecht mit zahlreichen anderen politischen und analytischen Fragen in einen Zusammenhang gestellt haben. Gerade aus diesen Perspektiven lernen vor allem im Globalen Norden verortete Lehrende und Lernende der Friedens- und Konfliktforschung immer wieder, vertraute Selbstverständlichkeiten der eigenen Wissensproduktion in Frage zu stellen und nach neuen Horizonten Ausschau zu halten.

Anmerkungen

Für kritische Lektüren früherer Versionen dieses Texts dankt die Autorin herzlich Viktorija Ratkovic, Daniela Döring, Mechthild Exo, Anne Menzel, Verena Brenner und Tatjana Reiber.

Dieser Text erschien zuerst als Blogeintrag auf ­lehrgut.hypotheses.org, einem Blog, der sich insbesondere an Lehrende in der Friedens- und Konfliktforschung richtet. Ausgangspunkt für den Text war der Informations- und Aktionstag »#4gender­studies« am 18.12.2017, der als Reaktion gegenüber zunehmenden Angriffen auf die Gender Studies und Abgesängen auf den Feminismus ins Leben gerufen wurde.

Literatur

Schutzbach, S. (2017): Gender raus – Zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik. Berlin: Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung und Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Critical Science Literacy (Lehrmaterialien zu feministischer Wissenschaftskritik); genderplanet.univie.ac.at/about/critical-science-literacy.

AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin (2014/2015): Was tun? Sprachhandeln – aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit – Anregungen zum antidiskriminierenden Sprachhandeln. Berlin, 2. Auflage; feministisch-sprachhandeln.org.

Buchterkirchen, R.; Kopper, E.; Lochbihler, B.; Schütz, H.; Wisotzki, S.; et al. (2017): Gender, Frauen und Friedensengagement. W&F-Dossier 84.

GenderOpen (freies Repositorium für Gender Studies); genderopen.de.

Genderplanet (Lern- und Lehrplattform an der Universität Wien); genderplanet.univie.ac.at.

Frey, R.; Gärtner, M.; Köhnen, M.; Scheele, S. (2014): Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Berlin: Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung, 2. aktualisierte Auflage.

I.D.A. – Dachverband deutschsprachiger Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumenta­tionsstellen; ida-dachverband.de.

SVAC – International Research Group »Sexual Violence in Armed Conflict« (Literaturdatenbank; c/o Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur); warandgender.net.

Brunner, C. (2015): Kassandras Dilemma – Oder: Was kann Friedens- und Konfliktforschung? Augsburg: Universität Augsburg, Augsburger Universitätsreden 70.

Netzwerk Friedensforscherinnen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung; afk-web.de.

Dr. Claudia Brunner ist Sozialwissenschaftlerin und Assistenzprofessorin am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt; Arbeitsschwerpunkte siehe epistemicviolence.info.

»Gender-Ideologie« in Kolumbien


»Gender-Ideologie« in Kolumbien

Oder: Wie man Ängste schürt, um den Frieden zu behindern

von Alejandra Londoño

Am 2. Oktober 2016 wurde das Friedensabkommen in Kolumbien in einem Plebiszit mit knapper Mehrheit abgelehnt. Die Wähler*innen entschieden, dass der bewaffnete Konflikt mit der FARC-EP nicht über den Verhandlungsweg gelöst werden sollte – oder zumindest nicht mit dem zur Abstimmung stehenden Abkommen. Nach 55 Jahren Krieg war dieses Ergebnis sehr schmerzlich für alle, die sich für ein Ende dieses langen und bitteren Krieges engagiert hatten. Vor allem aber war es schmerzlich für die Menschen, die in den besonders marginalisierten Regionen des Landes tagtäglich unter diesem Krieg leiden. Dieser Beitrag untersucht, welchen Anteil die »Gender-Ideologie«, die von den Kirchen in den Mittelpunkt der Debatte um das Abkommen gestellt worden war, daran hatte, dass sich das »Nein« zum Friedenabkommen durchsetzte.

Kolumbien ist ein lateinamerikanisches Land mit ca. 48 Mio. Einwohner*innen. Es hat Zugang zum Atlantischen wie zum Pazifischen Ozean, was es im Verlauf der Geschichte immer wieder zu einem strategisch interessanten Ort für ökonomische und militärische Expansionen machte, u.a. aus Nordamerika. Seit dem kolonialen Genozid, der vom heutigen Spanien ausgegangen war, ist Kolumbien ein Raum konstanter Spannungen und Auseinandersetzungen, ein Ort, an dem sich Landbesitz, Reichtum und das Wissen in den Händen einiger weniger Familien und externer Konzerne befinden. In Kolumbien gibt es mindestens 102 indigene Völker1 sowie eine große Bevölkerungsgruppe, die von der afrikanischen Diaspora abstammt, also Nachfahren jener Menschen, die aus Afrika entführt worden waren, um auf diesem Kontinent versklavt zu werden.

Diese Fakten gehören an den Anfang, um aufzuzeigen, dass die Probleme, die in Kolumbien vorherrschen, durchwoben sind mit Themen, die weit in die Geschichte zurückreichen. Zugleich sind sie eng mit den aktuellen politischen und ökonomischen Strategien verknüpft und führen zu ethnischen und durch Rassismus geprägte Spannungen. Dies alles spiegelt sich in der Ausbreitung von politökonomischen Vorhaben wider, die vom andinen Zentrum des Landes ausgehen, welches mit der Hauptstadt Bogotá nicht nur politisch-administratives Zentrum, sondern selbst in den revolutionärsten Zeiten immer auch Zentrum des ideologischen Konservatismus und der katholischen Religion war und ist. Von hier breitete sich im 19. Jahrhundert über eine klientelistische Maschinerie, die von den immer gleichen Familien, den immer gleichen weißen bzw. mestizischen Gesichtern angeführt wurde, die Zwei-Parteien-Politik über das Land aus.

Seit über 55 Jahren leidet Kolumbien unter einem äußerst komplexen bewaffneten Konflikt, in dem es viele unterschiedliche Interessen gibt. Er ist geprägt durch die Spannungen, die der polit-ökonomische Zentralismus und die ethnischen und durch Rassismus geprägten Auseinandersetzungen mit sich bringen. Konfliktakteure sind verschiedene (linke) Guerillagruppen, (rechte) Paramilitärs, Unternehmer, multinationale Konzerne, staatliche Akteure, das Militär und die Streitkräfte sowie bewaffnete Milizen im Dienste des Drogenhandels. Zwischen 1958 und 2012 hat der Konflikt zwischen diesen Akteuren laut dem Nationalen Zentrum für Historische Erinnerung (Centro Nacional de Memoria Histórica) 218.094 Menschen das Leben gekostet.

Einer der bekanntesten Akteure dieses Konflikts sind die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, FARC-EP), ursprünglich eine Bauernguerrilla, die sich Mitte der 1960er Jahre entschied, zu den Waffen zu greifen, um u.a. eine Landreform durchzusetzen, die dem Landbedarf in Kolumbien gerecht würde. 2012 nahm die kolumbianische Regierung Friedensverhandlungen mit dieser Guerilla auf, die 2016 mit der Unterzeichnung eines Friedenvertrags abgeschlossen wurden.2

Die FARC-EP waren mehr als 50 Jahre in den urbanen und vor allem in den ruralen Regionen des Landes mit etwa 6.000 bewaffneten Männern und Frauen präsent.3 Die »Politik der demokratischen Sicherheit« des damaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez (2002-2010) hatte u.a. zum Ziel, die FARC-EP als primären öffentlichen Feind der kolumbianischen Gesellschaft auszuweisen. Angesichts eines derart langandauernden Krieges war es leicht, Gewaltakte gegen die vor allem ländliche Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen, um mit den Taten zugleich das gesamte politische Projekt dieses bewaffneten Akteurs zu delegitimieren.

Die Kampagne von Uribe Vélez gegen die FARC-EP brachte nicht nur eine weitere militärische Eskalation des Krieges mit sich, sondern es wurden verschiedene weitere Strategien eingesetzt: Aufbau und Expansion des (rechten) Paramilitarismus, »Fake news« bzw. Falschdarstellung von Informationen, u.a. durch Mundpropaganda zwischen Dörfern und auf dem Land, sowie die massenhafte Verbreitung von zwei zentralen Argumenten: Erstens sei die FARC-EP keine Guerilla, sondern eine terroristische Vereinigung, und zweitens bestünde die einzige Möglichkeit, den Krieg zu gewinnen, in der militärischen Vernichtung der FARC-EP und ihrer politischen Basis.

Diese Gesellschaft, von der bald ein Großteil überzeugt war, dass die einzige Lösung des Krieges die Vernichtung der FARC-EP sei, verfolgte 2012 in den Massenmedien, wie diese Guerilleros und Guerilleras weiß gekleidet und unbewaffnet vor den Fernsehkameras ihre politische Bereitschaft für ein Friedensabkommen verkündeten. Die Ablehnung einer solchen Lösung war in vielen Sektoren der Gesellschaft zu spüren, vor allem in den urbanen Zentren, die relativ wenig vom Krieg betroffen waren. Daneben gab es aber natürlich auch ein Kolumbien – vor allem das indigene, schwarze, ländliche und arme Kolumbien –, das nach Jahren des Leidens unter dem Krieg dieses Friedensabkommen zumindest als eine Möglichkeit ansah, nicht jede Nacht einen Bombenangriff in ihrer Nähe zu erleben.

Die Spannung zwischen Befürwortern und Gegnern begleitete den gesamten Friedensprozess und beschwor erneut die historischen, seit der Kolonialzeit bestehenden ethnischen und durch Rassismus geprägten Klassenkonflikte herauf, die sich in Kolumbien in immer unterschiedlichem Gewand, doch stets gleichem Inhalt manifestieren. Überdies spitzte sich eine spezielle Debatte zu: die Debatte um den so genannten Genderfokus im Friedensabkommen«.

Zwischen Genderfokus und »Gender-Ideologie«

Feministische und Frauenorganisationen hatten dafür gesorgt, dass in Kolumbien bei jedem einzelnen Punkt des Friedensabkommens ein transversaler Genderfokus berücksichtig wurde – das war weltweit ein Novum, dem international applaudiert wurde. Frauen und in einigen Punkten auch LGBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle) sollten an solchen Entscheidungen beteiligt werden, bei denen es um Landbesitz geht, um politische Partizipation, um die Lösung der Probleme mit dem illegalen Drogenanbau etc. Außerdem sollten sie als besondere Opfer des bewaffneten Konflikts anerkannt werden, was eine symbolische und materielle Wiedergutmachung impliziert und anerkennt, dass Gender als Ordnungsmacht fundamental für den bewaffneten Konflikt war bzw. ist und spezifische Folgen für Frauen und LGBTI mit sich bringt.

Diese Anerkennung war Teil der Version des Friedensabkommens, die beim Plebiszit im Oktober 2016 zur Abstimmung stand; in der überarbeiteten Version, die Ende November 2016 schließlich vom Kongress verabschiedet wurde, fehlte dieser Teil überwiegend. Das Plebiszit war sehr kurzfristig anberaumt worden: Erst wenige Tage vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens durch die Regierung und die FARC-EP hatte der amtierende Präsident Juan Manuel Santos entschieden, die Bevölkerung solle befragt werden und mit »Ja« dafür oder mit »Nein« dagegen stimmen können. Zur Bestürzung vieler Menschen und Gemeinden gewann am 2. Oktober 2016 mit einer knappen Mehrheit (50,21 %) das »Nein«, obendrein hatte nur gut ein Drittel der Abstimmungsberechtigten überhaupt ein Votum abgegeben. Nur die wenigsten der Wähler*innen hatten das Abkommen tatsächlich gelesen, stattdessen folgten viele den Empfehlungen der diversen Abstimmungskampagnen in den verschiedenen Regionen.

Am 4. Oktober 2016, zwei Tage nach der Wahl, wurden Aussagen von Juan Carlos Vélez (Rechtsaußenpolitiker und Direktor der »Nein«-Kampagne) bekannt, der sich damit brüstete, die »Nein«-Kampagne sei die einfachste und billigste gewesen, die jemals in der Geschichte Kolumbiens durchgeführt worden sei. Er bekannte ungeniert, dass sie auf manipulativen und falschen Aussagen beruht hatte, wie beispielsweise: Wenn das »Ja« gewinne, werde Kolumbien ein Castro-Chavistisches Land;4 den Guerillera*s würden 600 US$ ausbezahlt, nur weil sie bei der Guerilla waren; es werde eine Steuererhöhung geben; die Straflosigkeit werde erlaubt; und natürlich: Kolumbien würde eine »Gender-Ideologie« aufgezwungen.

Die »Nein«-Kampagne hatte es sehr einfach – sie brauchten lediglich ein paar Aussagen in die Welt zu setzen, die Panik in Teilen der kolumbianischen Gesellschaft schürten und bei dem eingangs beschriebenen, zentralistisch strukturierten Teil der Nation auf fruchtbaren Boden fielen. Dieser Bevölkerungsteil hatte sich seit Jahrhunderten über die »guten Manieren und die guten Lebenswege«, verkörpert durch die heterosexuelle katholische Kleinfamilie, definiert sowie über den Mythos des »Mestizaje« (der Mythos der Vermischung der Nationen), der jährlich am »Tag der Rasse« gefeiert wird – ein Vehikel, um den alltäglichen strukturellen und institutionellen Rassismus im Land zu übertünchen.

Dieser Teil des Landes sagte bei dem Plebiszit zum großen Teil »Nein« zu dem Friedensvertrag, während in den »peripheren« Regionen des Landes, wo der Krieg am meisten und härtesten gespürt wird, der Großteil der Menschen mit »Ja« stimmte. Gerade in diesen Regionen konnten jedoch viele Menschen gar nicht wählen gehen, weil der weiß-mestizische Zentralismus durch die strukturelle Verarmung in den ländlichen Regionen Rahmenbedingungen geschaffen hatte, die dies verhinderten. In der Pazifikre­gion Kolumbiens beispielsweise verfügen viele Menschen nicht über einen Personalausweis, der Voraussetzung zur Teilnahme an einer Wahl ist, konnten sich für das Plebiszit nicht registrieren oder konnten aufgrund mangelnder Infra­struktur und fehlenden Transportmöglichkeiten nicht zu den teils tagesweit entfernten Wahlurnen gelangen.

Für das »Nein« großer Bevölkerungsteile spielte also der Streit um die »Gender-Ideologie« eine wichtige Rolle. Aber was meinte die »Nein«-Kampagne mit diesem Begriff? Welche Mittel nutzte sie, um ihren Argumenten Gewicht zu verleihen? Was sagte sie über diejenigen, die für den Friedensprozess waren? Und welcher Logik folgte die »Linke«, die noch immer denkt, dass »diese Themen der Feminist*innen« zwar schon irgendwie wichtig sind, aber dennoch hintan gestellt werden könnten?

»Gender-Ideologie« als wirkmächtige Ressource der katholischen Kirche

Der Begriff »Gender-Ideologie« ist als diskursive Ressource zu verstehen, über die innerhalb der katholischen Kirche Konsens herrscht und die im 21. Jahrhundert an Bedeutung gewann. Im Dokument »Ehe, Familie und ‚faktische Lebensgemeinschaften‘« des Vatikan wird »Gender-Ideologie« so beschrieben: „[…] In diesem Prozeß kultureller und menschlicher Entstrukturalisierung der Ehe als Institution darf man die Auswirkung einer gewissen »Gender-Ideologie« nicht unterschätzen. Das Mann- oder Frausein sei grundsätzlich nicht geschlechts-, sondern kulturbedingt. Diese Ideologie höhlt die Fundamente der Familie und der zwischenmenschlichen Beziehung aus. […]“ (Päpstlicher Rat für die Familie 2000, Punkt 8)5

Die »Gender-Ideologie« ist ein mächtiger Mechanismus, der von der katholischen Kirche genutzt wird, um die traditionelle Familie als gesellschaftsstrukturierende Institution zu bewahren. In der heterosexuellen Familie liegt die Möglichkeit der Reproduktion, sie ist aber auch ein Raum, um Kontrolle auszuüben – ein Raum, der die kapitalistische Grundstruktur aufrechterhält, wie wir sie seit Jahrhunderten kennen. Die traditionelle Familie garantiert die christliche Ordnung sowie die Werte und Wahrheiten, die die Kirche vermittelt. In diesem Sinne birgt die »Gender-Ideologie« das Risiko, die Familie, die Ehe, die hegemonialen Erziehungsmodelle zu destabilisieren und so das Fundament der katholischen Kirche zum Wanken zu bringen. Vor diesem Hintergrund entstand in den letzten Jahren in Lateinamerika eine Welle der Empörung gegen die »Gender-Ideologie«.

Hinter der vermeintlichen »Gender-Ideologie«, die beim Plebiszit in Kolumbien zu so vielen »Nein«-Stimmen geführt hatte, vor der tagtäglich in den katholischen wie den evangelikalen Kirchen gewarnt worden war und die in den sozialen und den Massenmedien zu breiten Debatten geführt hatte, stehen im Kern die vermeintliche Bedrohung der Werte der heterosexuellen Kleinfamilie, die Anerkennung nicht-heterosexueller Beziehungen, die freie und selbstbestimmte Sexualität, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Anerkennung von speziellen Rechten der LGBTI-Community. Für viele der »Nein«-Befürworter war all dies gleichbedeutend mit dem Anstieg von Geschlechtskrankheiten, Zoophilie, Pädophilie, Nekrophilie und Inzest sowie einer öffentlichen Politik, die Kinder zu Schwulen oder Lesben heranziehen würde. Aus ihrer Perspektive drängt die »Gender-Ideologie« eine Sexuallehre auf, die die natürliche und göttliche Norm der Heterosexualität und damit die biologische Wahrheit in Frage stellt.

Die »Nein«-Kampagne zum Plebiszit legte offen, welche Reichweite der Diskurs über die »Gender-Ideologie« als politische Strategie aufweist – eine Strategie, die auf den Grundpfeilern der katholisch-kolonialen Moral aufbaut, die Angst davor schürt, eine neue gesellschaftliche Ordnung aufzubauen, und die stattdessen lieber die alte Ordnung zementiert. Mithilfe der »Gender-Ideologie« stellten die »Nein«-Befürworter das Friedensabkommen als Betrug am kolumbianischen Volk dar, zumal das Bildungsministerium, repräsentiert durch eine lesbische Bildungsministerin, kurz zuvor pädagogisches Material zu gendersensibler und Sexualbildung in den staatlichen und öffentlichen Schulen hatte einführen wollen, um Gewalt gegen nicht heteronormative Kinder und Jugendliche vorzubeugen.6

Die Ministerin musste zurücktreten, und das Bildungsmaterial sah nie das Licht der Öffentlichkeit. Die »Nein«-Fraktion aber gewann den Volksentscheid, das Friedensabkommen wurde unter Berücksichtigung der Kritik der ultrakonservativen Sektoren überarbeitet, und dabei wurde vieles von dem herausgestrichen, was für Frauen und LGBTI im ursprünglichen Friedensabkommen stand, wie die Punkte zur sexuellen Diversität und zur sexuellen Orientierung.

In beiden Fällen, sowohl beim pädagogischen Material als auch beim Friedensabkommen, hatte die Regierung von einem »Genderfokus« gesprochen. Eine »Ideologie« ist aber nicht das gleiche wie ein »Fokus«, und eben dieser Unterschied macht klar, dass die katholische und andere Kirchen ihre eigenen Ideologien vorantreiben, auf deren Basis die Gesellschaft verstanden und organisiert werden soll. Die »Gender-Ideologie« dem »Genderfokus« überzustülpen war ein einfaches Mittel, um die Ängste einer konservativen Gesellschaft zu mobilisieren, die den Feminismus per se (und alles, wofür diese politische Ideologie kämpft) als nationales Risiko einstuft, auch wenn es um kleine und wenig revolutionäre Änderungen geht – im Grunde handelt es sich beim »Genderfokus« lediglich um eine liberale und moderne Inklusion und Zuweisung von Rechten an Frauen und LGBTI.

Was die konservativen Kreise als »Gender-Ideologie« bezeichneten, war also eine strategisch angerührte Mélange aus den Vorschlägen der Regierung für einen Genderfokus und den Konzepten feministischer Gruppierungen – und mündete in einer Karikatur der vorgesehenen Vereinbarungen im Friedensabkommen. Andererseits ist festzuhalten: Feminist*innen und LGBTI kämpfen seit Jahren für eben die Punkte, die die Kirchen, egal ob katholisch, evangelisch oder evangelikal, in ihrer »Nein«-Kampagne anprangerten. Oder müssen wir etwa nicht unbedingt ein Recht auf Leben für diejenigen erkämpfen, die ihre Sexualität leben wollen, auch wenn diese nicht mit der heterosexuellen Norm übereinstimmt? Oder war es etwa nicht Aufgabe der Regierung, über das Friedensabkommen auch die Rechte der ländlichen Frauen auf Landtitel voranzutreiben und u.a. einen differenzierten Umgang mit sexueller Gewalt einzuführen? Und ist denn eine gendersensible Perspektive nicht notwendig für einen positiven und nachhaltigen Frieden?

Die eigene Angst vor dem Fortschritt?

Festzuhalten ist aber auch: Der kolumbianischen Präsident und seine Bildungsministerin stellten nicht deutlich genug klar, dass es ihnen durchaus um eine gendersensible Perspektive ging. Daran haben nämlich der kolumbianische Staat und die internationale Gemeinschaft ein großes Interesse, um die Gewalt gegen nichtheteronormative Kinder, gegen Frauen und gegen LGBTI zu reduzieren. Genau diese Gruppen sind zudem auch historisch besonders von Verarmung, systematischer und intersektionaler (z.B. rassistischer) Gewalt betroffen. Die Regierung und viele andere Verfechter*innen des Friedenabkommens wurden der Aufgabe nicht gerecht, mutig und unmissverständlich für das einzustehen, wofür sie warben. Es stellt sich also die Frage, wie man für etwas kämpfen kann, vor dem man sich eigentlich selbst fürchtet? Oder anders gefragt: Haben manche progressiven Teile der Gesellschaft selbst Angst vor Änderungen, sehen den Feminismus als Risiko oder gar als verzichtbare Blödelei der zweiten Reihe?

Hinter der »Gender-Ideologie« steht also eine Strategie der Angst, ein diskursiver Mechanismus, der die jahrzehntelangen Forderungen und Kämpfe der Feminist*innen und der LGBTI-Personen durch einen verzerrten Spiegel wiedergibt: Wenn der Feminismus das Recht auf Abtreibung und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung verteidigt, wandeln die Gender-Ideolog*innen dies so um, dass alle Frauen abtreiben sollten, und stempelt sie so zu Mörderinnen ab. Wenn Bewegungen für sexuelle Diversität das Recht auf Leben und den Respekt von LGBTI-Personen einfordern, wird dies von den Gender-Ideologinnen wiedergegeben als eine Forderung, man solle Kinder zu Schwulen, Lesben und Transsexuellen erziehen.

Mit der »Gender-Ideologie« werden Ängste in der Gesellschaften geschürt, sodass diese sich an ihrer konservativen Mentalität festklammert und gegen ein Friedensabkommen stimmt – selbst wenn dies Tausende von Menschenleben kostet. Wahrscheinlich hatten diejenigen, die die »Nein«-Kampagne vorantrieben, nicht so sehr Angst vor einer möglichen sexuellen Diversität im Land als vielmehr vor der im Friedensabkommen anvisierten Landreform oder dem möglichen Stopp extraktiver Praktiken durch multinationale Rohstoffkonzerne. Mit dem Friedensabkommen wurden auch alle damit verbundenen Reformen ausge­höhlt, sei es die anvisierte Landreform, die Reform zum Ausbau und zur Dezentralisierung der politischen Partizipation, die Prozesse zur individuellen und kollektiven Entschädigung und die Vereinbarungen zum historischen Gedenken. All dies wurde in der letztlich vom Kongress akzeptierten Version des Friedensabkommens abgeschwächt.

Der kolumbianische Fall beweist, dass die »Gender-Ideologie« als Werkzeug eingesetzt wird, um über die Manipulation konservativer Werte jene Interessen durchzusetzen, die schlicht und einfach politischer, vor allem aber ökonomischer Natur sind.

Anmerkungen

1) Angabe der Organización Indígena de Colombia – ONIC (Nationale Indigene Organisation Kolumbiens); onic.org.co/noticias/2-sin-­categoria/1038-pueblos-indigenas.

2) Ungeachtet des Friedensabkommens mit der FARC-EP von 2016 und mit den paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens) gibt es auch weiterhin bewaffnete Akteure im Land, wie die Ejército Nacional de Liberación (Nationale Befreiungsarmee), paramilitärische regionale Gruppen und so genannte kriminelle Banden. Letztere sind seit Unterzeichnung des Friedensabkommens für bis zu 300 Morde an Friedensaktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen auf dem Land verantwortlich, die versuchen, die im Friedensabkommen versprochenen Veränderungen und Rechte einzufordern. [die Übersetzerin]

3) Als das Friedensabkommens abgeschlossen wurde, wurde die Zahl von 5.765 Kämpfer*innen genannt. Die Zahl schwankte jedoch über die Jahre.

4) Kolumbien ist Hauptzielland einer anhaltenden massiven Arbeitsmigration von Venezolaner*innen, die von Arbeitgeber*innen auch für Lohndumping genutzt wird, vor allem im Niedriglohnsektor. Die prekäre Situation der Venezolaner*innen zeigt sich aber auch im Alltäglichen, z.B. durch das Betteln in Bussen und an Ampeln. Das Bedrohungsszenario eines »Castro-Chavistischen Landes« ist also einfach herzustellen. [die Übersetzerin]

5) Päpstlicher Rat für die Familie (2000): Ehe, Familie und »faktische Lebensgemeinschaften«; vaticana.va.

6) Das Bildungsministerium hatte einige Monate vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens die Verwendung von pädagogischem Material zur sexuellen Bildung beworben. Dieses sollte in öffentlichen staatlichen Schulen in Kolumbien als Lehrmaterial zur Verfügung gestellt werden, um die Kenntnis der Rechte von LGBTI zu erhöhen – mit dem Ziel, Gewalt gegen LGBTI und Bullying an den Schulen zu verringern. Ein entscheidender Auslöser dafür war der Fall des homosexuellen Jugendlichen Sergio Urrego, der sich einige Monate zuvor das Leben genommen und in seinem Abschiedsbrief deutlich gemacht hatte, dass sein Selbstmord die soziale Ablehnung und die Gewalt zur Ursache hatte, die er in seiner Schule durchleben musste.

Alejandra Londoño ist Historikerin mit einem Master in Gender-Studies. Sie lehrt als Dozentin an der Nationalen Universität Kolumbiens (Bogotá) zu den Themen Rassismus/Ethnizität und Gender und ist politische Aktivistin im Bereich des antikolonialen und anti-rassistischen Feminismus. Ihre Expertise liegt in den Bereichen Sozialpolitische Geschichte der Frauen im 20. Jahrhundert in Kolumbien, dekoloniale feministische Historiographie, Pädagogik zum historischen Gedächtnis in Kolumbien, Dynamiken des Militarismus und Militarisierung im neoliberalen Kapitalismus.

Aus dem Spanischen übersetzt von María Cárdenas.

Gender im Visier

Gender im Visier

von María Cárdenas

Als wir uns in der Redaktion für den Themenschwerpunkt »Gender« entschieden, waren wir zunächst gespalten. Die Entscheidung dafür beruhte auf dem Gedanken, »es müsse mal wieder etwas dazu geschrieben werden«, wir fragten wir uns aber auch, ob wir zu diesem vermeintlich so allgegenwärtigen Thema in W&F nicht schon alles gesagt hätten. Die Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterforschung, internationale Resolutionen, wie 1325 des UN-Sicherheitsrates (Meinzolt sowie Seifert in diesem Heft), nationale Gesetzeserlässe gegen Diskriminierung, für die Gleichberechtigung der Geschlechter und zum Teil auch der LGBTQI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Queer und Intersexuelle) sowie für sexuelle Selbstbestimmung scheinen selbst in die konservativsten Kreise der Welt vorzudringen. Geberfinanzierte Projekte der internationalen (Entwicklungs-) Zusammenarbeit setzen in vielen Ländern seit Jahren eine gendersensible Durchführung voraus und fördern de jure oder de facto Gendergleichheit durch Projekte, die von der »Guten Regierungsführung« bis hin zu Katasterreformen gehen. Ist die Berücksichtigung von Gender obsolet geworden? Keinesfalls.

Wir leben nicht nur in einer Zeit, in der sich innergesellschaftliche und internationale Konflikte scheinbar täglich verschärfen, an den so unverrückbar geglaubten Fundamenten der (relativen) deutschen Einheit und der Europäischen Union rütteln und an unsere eigene Haustür klopfen. »Gender«, d.h. die soziale Kategorie Geschlecht und Fragen der sexuellen Orientierung und Selbstbestimmung, ist darüber hinaus auch tief verwurzelt in unseren gesellschaftlichen Konfliktlinien und wirkt in die Wahrnehmung von Konflikten und ihrer Lösung hinein. In Kolumbien hat die Panikmache vor einer »Gender-Ideologie« jüngst zu einer Aushöhlung des weltweit progressivsten Friedensabkommens geführt und Ende Juni die Wahl von Ivan Duque als neuem Präsidenten gefördert – dessen Partei unter Ex-Präsident Alvaro Uribe versprach, das, was vom Friedensabkommen übrig ist, „in Stücke zu schlagen“.

Doch wo genau liegt der Zusammenhang zwischen Gender und Konflikt bzw. Krieg? Gender darf nicht losgelöst von anderen sozialklassifikatorischen Kategorien, wie vermeintlicher oder realer Herkunft, phänotypischen Merkmalen, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und Klasse, gedacht werden. Vielmehr entfaltet Gender erst in der Intersektionalität eine Wirkungsmacht für Krieg und Frieden und für den Diskurs darüber, der immer stärker von antifeministischem und gleichermaßen rechtskonservativem Autoritarismus dominiert wird. Militarisierte Männlichkeitsbilder dienen somit auch dem Zweck, ins Rutschen gekommene patriarchale Machtstrukturen erneut zu festigen, wie Ralf Buchterkirchen historisch am deutschen und Alejandra Londoño ganz aktuell am kolumbianischen Fall zeigen.

In dieser Konjunktur haben anti-feministische und neopatriarchale Diskurse und die Rückkehr zur alt-neuen militärischen Männlichkeit mit Verweis auf die Rettung gesellschaftlicher Werte auch in Deutschland, Europa und den USA an Land gewonnen. Dies äußert sich in sinkenden Budgets für feministische und queere Forschung, hat remilitarisierende Ausmaße und fördert Konflikte, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus durch Diskurse zur Bewertung der »Gefährlichkeit« und »Integrationsfähigkeit« von (männlichen) Asylbewerbern, das Aufstocken der militärischen Ausgaben und die ansteigende Akzeptanz von »racial/male profiling«. Traditionelle Genderrollen und die ihnen innewohnende sexuelle Gewalt sind nicht nur ein Problem in Nachkriegszeiten (Hornberger), sondern wirken sich auch auf die Nutzung und das Verständnis von Kriegstechnik aus, wie Ray Acheson uns eindringlich zeigt.

Die linke und die Friedensbewegung tragen hier eine Mitverantwortung, da sie es bislang nicht vermögen, selbstbewusst und ernsthaft ein transversales und inklusives Genderverständnis als Voraussetzung für positiven Frieden zu verteidigen und zu verinnerlichen, und stattdessen rechtem patriarchalem Gedankengut eher hinterherlaufen und Gender als »zweitrangiges Problem« hintanstellen (Brunner und Londoño). In der Wissenschaft wurde zwar die Rolle der Frau ausdifferenziert und ihre aktive Teilhabe an Kriegsgeschehen und Friedensbildung hervorgehoben, jedoch der gesellschaftliche Nexus von militärischer Männlichkeit kaum dekonstruiert (Bausch und Rehmann). Das aktuelle und erschütternde Beispiel des kolumbianischen Friedensabkommens, das auch eine Neuverhandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse vorsah, beweist, dass ohne eine Abkehr von Geschlecht als zentralem Herrschaftsinstrument auch keine Hinwendung zu positivem Frieden möglich sein kann.

Gender ist im Visier – militärisch, diskursiv und politisch. Die Heftartikel zeigen, dass Genderanalysen keine Fußnoten sein dürfen“ (Acheson). Nur wenn Krieg/Gewalt und Gender ernsthaft zusammengedacht werden, können wir als Friedensbemühte Gewalt und Krieg verstehen und damit auch erst dazu beitragen, sie nachhaltig zu überwinden.

Ihre
María Cárdenas