Männlichkeit im Militär


Männlichkeit im Militär

Historische Zugänge und Ansatzpunkte für die Friedensarbeit

von Ralf Buchterkirchen

Anhand der Konstruktion hegemonialer Männlichkeit im Militär wird in diesem Beitrag untersucht, wie Geschlecht als Kategorie genutzt wird, um widerständiges Verhalten zu sanktionieren und zu verhindern. Ausgangspunkt ist dabei der Umgang der NS-Militärjustiz mit Deserteuren und so genannten Wehrkraftzersetzern. Aus diesem Blickwinkel wird herausgearbeitet, welche Folgen sich aus diesen Erkenntnissen für die Friedensarbeit ziehen lassen.

Der Militärstand und seine Manifestation nach außen – die Uniform – stehen für eine Institution, in der Gewalt, die über den zivilen Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft hinaus geht, Akzeptanz findet. Die zivile Sphäre und das Militär sind sich so wesensfremd, dass Überschneidungen tunlichst vermieden werden. Das führt zu gegenseitiger Abgrenzung und verhindert zivilgesellschaftliche Interventionen in den Militärstand. Dies traf insbesondere vor Einführung der ­Wehrpflicht zu. Damals trugen Söldner – zum Kriegshandwerk ausgebildete und flexibel verfügbare Einheiten – die militärischen Konflikte aus. Sie agierten komplett getrennt von der zivilen Gesellschaft und mit einem eigenen Strafsystem und Selbstverständnis – und wurden in der zivilen Gesellschaft verachtet.

Dies änderte sich mit der Einführung der Wehrpflicht ab Ende des 18. Jahrhunderts. Sie führte zu weitreichenden Verschränkungen zwischen dem zivilen und dem militärischen Bereich, die von der Einführung eines bürgerlichen Reserveoffizierkorps bis hin zur Abschaffung von Körperstrafen reichten. Im Kern blieben sich der zivile und der militärische Bereich dennoch fremd, insbesondere weil die »Kernkompetenz« des Soldaten – die Ausübung von Gewalt – im Zivilen nicht geschätzt wird.

Im Militär hingegen wird die physische Gewalt gezielt ein- und ausgeübt; es geht darum, die Tötungshemmung gegenüber Menschen zu überwinden, auf Befehl (und nicht aufgrund eigener Entscheidung) zu töten und dabei die Angst vor dem eigenen Tod zu überwinden. Dies wird über gruppendynamische Prozesse, wie Kameradschaft, über die Kasernierung und eine Disziplinarordnung, die bis zur Todesandrohung bei »Feigheit vor dem Feind« reichen konnte, bewerkstelligt. Disziplinierung und Sanktionen sind entsprechend wichtige Grundpfeiler der militärischen Sozialisation. Dabei geht es nicht nur darum, »Gehorsam zu lernen«, sondern den eigenen Charakter komplett umzubauen, bis hin zur Selbstverleugnung. (Siehe dazu Steube, S.: Militär und Männlichkeit, S. 10, in dieser Ausgabe.)

Entwicklung von Männlichkeit im Militär

Erste Wehrpflichtentwürfe des preußischen Staates sahen vor, dass neben Gefängnis auch der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte drohte, wenn sich ein Staatsbürger der Wehrpflicht entzog. Und in der Tat war die Begeisterung für den Zwangsdienst selbst im ökonomisch schlecht gestellten Proletariat gering.1 Warum sollten sich junge Männer zu einem Dienst verpflichten lassen, der ihnen nur Lebenszeit, vielleicht sogar das Leben selbst raubte? Neben Druck kam daher auch die Propagandamaschine zum Einsatz: Einerseits wurde an die Männlichkeit appelliert,2 andererseits wurde Krieg immer weniger als »Krieg der Regierungen« denn als »Krieg der Nationen« dargestellt.

Damit verfolgten die Herrschenden zwei Ziele: Zum einen wurde Krieg zur »Volkssache«, und es erfolgte eine Überhöhung des Kämpferischen: Es galt, »seinen Mann zu stehen«. Zum anderen konnte über die Abgrenzung zum Nichtmann/Nichtmilitär auch ein sozialer Status erlangt werden, der im zivilen Leben verwehrt blieb. Der Wehrdienst verknüpfte das »Positivbild« des Soldaten (stark, tapfer, männlich) mit dem Nationalen, mit »Patriotismus«. Da von der Wehrpflicht weite Teile der Bevölkerung betroffen waren, verschwand bald das Negativimage des Militärs, und es setzte ein Gefühl von größerer Gleichheit unabhängig vom eigentlichen sozialen Stand ein. Von größter Bedeutung war dabei: Männer gehörten der Institution Militär an, weil sie Männer waren. Das führte zur Selbstvergewisserung der eigenen Männlichkeit und zur Abgrenzung gegenüber Weiblichkeit. Die Wehrpflicht wurde so zur Institution, die den Jüngling zum Manne bildet. Die Einführung der Wehrpflicht formte die Körper und das Denken ganzer Generationen. Der soldatische Habitus wurde auch zum zivilen Vorbild für Männlichkeit (Fritsche 2015, S. 61 ff.).

Wir haben es also mit Einführung der Wehrpflicht mit einem völlig neuen Rollen- und Selbstverständnis zu tun – übrigens in Bezug auf beide sozial vorgesehenen Geschlechter. Neben der militärischen männlichen Sicht entstand die weibliche, die – zumindest für die bürgerlich Privilegierten – auf Kinder und Familie ausgerichtet war. Männer standen in den Familien den Frauen vor, beherrschten sie. Erzieherinnen und Mütter hatten die Aufgabe, diese »Werte« an die Kinder weiterzuvermitteln. Das mit der Wehrpflicht gefestigte Geschlechterbild wurde immer weniger in Frage gestellt, ja, geradezu ahistorisch als schon immer dagewesen gesetzt.

Wie stabil dieses geprägte Bild von Männlichkeit war, zeigt die militärische Niederlage im Ersten Weltkrieg. Schuld an der Niederlage – so die weitverbreitete und kaum hinterfragte Ansicht – waren nicht die »starken Männer«, die »ehrenhaften Soldaten«. Schuld waren die »Schwächlinge«, »Vaterlandsverräter« – also die Kriegsmüden, Sozialdemokraten, Kommunisten, die »Heimatfront«. Die Mär von der im Felde unbesiegten Armee ging um. Diese »Dolchstoßlegende« erlaubte es den Soldaten (und vor allem den Offizieren), ihre Männlichkeit und »Ehre« zu erhalten. Der Historiker Wolfram Wette beschreibt das Gefühl der Soldaten wie folgt:

„Freikorpskämpfer und Freikorpsautor Friedrich Wilhelm Heinz notierte: ‚Man redet uns vor, dass der Krieg nun zu Ende sei. Wir lachten darüber. Denn der Krieg, das waren wir selbst. Seine Flamme brannte in uns fort und umzog unser ganzes Tun mit dem glühenden und unheimlichen Bannkreis der Zerstörung.‘ Aus dieser Perspektive betrachtet, traf der verlorene Krieg das Männlichkeitsgefühl mehrerer deutscher Männergenerationen an der empfindlichsten Stelle, nämlich in der Überzeugung zu Kriegern und Siegern geboren zu sein. Daher weigerten sich die soldatischen Männer, die Realität der Niederlage Deutschlands und des Kriegsendes zur Kenntnis zu nehmen. Sie spürten, dass sie nicht mehr für das zivile Leben taugten und dass sie mit dem Frieden nichts anzufangen wussten. Er erschien ihnen als Bedrohung, als eine Neuauflage der trostlosen Zeit vor 1914. Daher fühlten sie sich unter einem inneren Zwang weiterkämpfen zu müssen, egal wo und egal gegen wen. Sie glaubten, sie hätten einen Anspruch auf ein Leben in der Gewalt.“ (Wette 2011, S. 145 f.)

Die aus dem Krieg wiederkehrenden Soldaten fanden nur schwer oder gar nicht in die zivile Welt zurück. Viele verdingten sich in Freikorps und anderen männerbündischen Vereinen. Dies wiederum bewirkte eine starke Militarisierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit, insbesondere aufseiten der Antidemokraten. In Kombination mit dem Bild des »Schanddiktates von Versailles« und der Dolchstoßlegende war dies eine der Grundlagen für die kommende NS-Diktatur.

Deserteure und »Wehrkraft­zersetzer« als Antipoden zum soldatischen Leitbild

Die Gleichsetzung von Männlichkeit und Soldat war ein zentrales Element der sich herausbildenden militärischen Ordnung. Nun wurde aber nicht der »Soldatenberuf« bzw. die Wehrdienstzeit an sich militärisch und in wachsendem Maße auch gesellschaftlich als förderlich angesehen, vielmehr wurde der dem Drill, der Disziplin und vor allem der Unterwerfung in einer hierarchischen Ordnung innewohnende Erziehungseffekt zunehmend positiv bewertet. Hinzu kam als strukturierendes Element die Kameradschaft, die mithelfen sollte, eigene Netzwerke bzw. Wohlfühlstationen zu haben und sich gegen die Nichtkameraden abzugrenzen; ihre Bedeutung wurde noch durch die heldische Überhöhung der »eigenen Kameradschaft« und die Abwertung des Gegners verschärft.

Das heroische Männlichkeitsbild als soldatisches Leitbild wurde zudem rassistisch aufgeladen; dies verstärkte sich mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus. Kameradschaft galt als Vorbild für die »Volksgemeinschaft« und war Ausgangspunkt für das soldatische Freund/Feind-Denken: In der NS-Zeit – wie bereits in der Endphase der Weimarer Republik – wurde in der Gesellschaft die Idee einer »arischen Herrenrasse« und die Vernichtung des Judentums propagiert; insbesondere jüdische Männer wurden als vermeintliche »Schwächlinge« diskreditiert. Das Bild der »überlegenen Herrenrasse« sorgte für einen gewaltigen Konformitätsdruck unter den Soldaten und hilft, das Dogma vom »Kämpfen bis zum Untergang« zu verstehen.

Schon vorher genutzt, kam durch die NS-Ideologie verstärkt einem weiteren Begriff große Bedeutung zu: der »Manneszucht«. »Manneszucht« umschrieb den bedingungslosen militärischen Gehorsam und stand für alle Eigenschaften, die ein Wehrmachtssoldat zu zeigen hatte: Tapferkeit, Opferbereitschaft, Kollektivismus, Treue, Mut, Kameradschaft, Loyalität. Dem entgegen standen unsoldatische, ergo unmännliche, Tugenden, wie Individualismus, Aufmüpfigkeit, eigenes Denken und Handeln oder »Feigheit vor dem Feind«. »Manneszucht« war eine Zusammenfassung dessen, was das Militär von funktionierenden Soldaten erwartete. Die »Aufrechterhaltung der Manneszucht« war ein grundlegendes Merkmal der einschlägigen Militärjustiz der NS-Zeit. In der Fassung der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 18.3.1943 hieß es etwa: „Personen, die dem Kriegsverfahren unterliegen, sind wegen strafbarer Handlungen gegen die Manneszucht oder das Gebot soldatischen Mutes unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode zu bestrafen, wenn es die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Sicherheit der Truppe erfordert.“

Dieser Straftatbestand entzog sich einer objektiven Bewertung – und er wurde im Nationalsozialismus exzessiv herangezogen. Die Begriffe »gesundes Volksempfinden« und »Manneszucht« waren rasch bei der Hand. So äußerte beispielsweise der Soldat Otto Rischbieter im Kreise seiner Mitsoldaten 1941, mit dem Angriff auf die Sowjetunion sei der Krieg verloren. Er wurde denunziert, wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Robert Gauweiler, ein hannoverscher Kommunist, wurde 1944 wegen der Äußerung „Diesen Krieg verlieren wir“ von anderen Soldaten angezeigt, von einem Militärgericht verurteilt und hingerichtet. Die Urteilsbegründung – Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Manneszucht – zeigt, wie massiv die Angst vor der Missachtung gesetzter Geschlechterbilder und der mit diesen verknüpften militärischen Ordnung den Umgang der Nationalsozialisten mit Gehorsamsverweigerung bestimmte. (Alle Beispiele aus Buchterkirchen 2011.) Während des Zweiten Weltkrieges wurden ca. 30.000 Todesurteile wegen Gehorsamsverweigerung gefällt, davon ca. 20.000 wegen Desertion und ca. 5.000 bis 6.000 wegen des Vorwurfs der Wehrkraftzersetzung. Etwa 21.000 dieser Urteile wurden vollstreckt.3

Die Rolle von Männlichkeit in der Wehrmacht lässt sich am besten am Beispiel derer aufzeigen, denen die Männlichkeit abgesprochen wurde: »Drückeberger«, »Vaterlandsverräter«, »Schwächlinge«, »Feiglinge«, »Volksschädlinge« sind die Begriffe, die in der NS-Zeit für sie genutzt wurden. Gemeint sind Deserteure, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr mitmachen wollten oder konnten. Die Wortwahl zeigt, dass die Haltung der Deserteure im Nationalsozialismus als »entmannend« abgewertet wurde. Zudem wurden den Deserteuren als Teil des Urteils die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt, ebenso die »Wehrwürdigkeit«. (Als »wehrunwürdig« wurden Personen bezeichnet, die zivil oder militärgesetzlich zu Zuchthausstrafen verurteilt worden waren oder als »Staatsfeinde« galten.) Die Verurteilten wurden also aus der Männergemeinschaft ausgestoßen, bevor sie hingerichtet wurden. Mit der Abwertung der »Wehrkraftzersetzer«, die der Kriegsdienstverweigerung, der Selbstverstümmelung oder einer »zersetzenden« Äußerung beschuldigt wurden, und der Deserteure wurde symbolisch die soldatische Ehre der Truppe wiederhergestellt und der Druck auf potentielle Abweichler erhöht. Geschlechternormen dienten hier als Handlungsinstrument. Mit dem bis zum Ende kämpfenden, »ehrenvollen«, »manneszüchtigen«‚ »sauberen«, »mannhaften« Soldaten lässt sich u.a. die Legende der »sauberen Wehrmacht« erklären.

In der gesellschaftlichen Pyramide standen Deserteure weit unten. Selbst »arische« Frauen, in der Hierarchiepyramide weit hinter den »arischen« Männern, galten als ehrenhafter. Der im Nationalsozialismus in Bezug auf nicht ausreichend vorzufindenden Gehorsam abfällig verwendete Begriff der »Weiblichkeit« war eine Metapher für das Andere, Nicht-Militärische. Über diese Abgrenzung des Anderen wurde des Weiteren die männlich-heterosexuelle Norm abgesichert.

Diese Norm fand ihren Ausdruck ebenfalls in der Justiz. Viele Kriegsgerichtsurteile suchten eine »Gemeinschädlichkeit« zu konstruieren und nachzuweisen. Menschenverachtende Bewertungen der Verurteilten mit Begriffen wie »Psychopath«, »asozial«, »minderwertig« und »Wehrmachtsschädling«‚ »Volksfeind«, »Zersetzer« finden sich häufig in Kriegsgerichtsakten.4 Maria Fritsche verweist darauf, dass Desertion u.a. durch den Wehrmachtsrichter und späteren (in der Bundesrepublik) Rektor der Universität Marburg, Erich Schwinge, außerdem pathologisiert und ein direkter Zusammenhang zwischen Schwachsinn, psychischer Labilität und Desertion hergestellt wurde. Desertion sei also nicht als Akt der Auflehnung, sondern als krankhafte unmännliche Reaktion bewertet worden (Fritsche 2015, S. 69).

Die Flucht aus der Armee erfolgte vielfach aus dem Heimaturlaub. Dort war Zeit für Reflexion, man war dem Irrsinn des Krieges für eine kurze Zeit entflohen, man bewegte sich nicht in den gewohnten Männer- und Kameradschaftsstrukturen.

Gesellschaftliche Reaktion

Die gesellschaftlichen Reaktionen während des Krieges ließen diese tief verinnerlichte Männlichkeitskonstruktion dauernd zum Vorschein kommen. In Gnadengesuchen und den wenigen vorhandenen Briefen ist viel von »Scham« die Rede. Auch heute noch kommt es bei Recherchen zu Deserteuren vor, dass man auf eine Mauer des Schweigens stößt oder darüber berichtet wird, dass nie über die betroffenen Angehörigen gesprochen wurde, sie tabu waren. Auch in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung wurde das gesellschaftliche Tabu erst in den 1990er Jahren aufgebrochen, und es konnte eine Rehabilitierung der wegen Wehrkraftzersetzung oder Fahnenflucht Hingerichteten erfolgen.

Die derzeit stattfindende Veränderung des Soldatenbildes in der Bundeswehr ist hingegen zwiegespalten. Die Öffnung der Armee für Frauen hat keine wesentlichen Veränderungen männlicher Normen gebracht, vielmehr wurden die Frauen in der Bundeswehr in die männlichen Strukturen integriert, sie wurden im sozialen Sinne »vermännlicht«. Gegenwärtig scheint es einige Veränderungen zu geben, die jedoch eher werbenden Ursprung haben: Hochqualifizierte IT-Expert*innen lassen sich eben nicht mit martialischer Kameradschaft gewinnen. Die Bundeswehr lässt sich nicht mit der Wehrmacht vergleichen, Strukturen von hegemonialer Männlichkeit, Sozialisation auf Basis von Befehl und Gehorsam und die daraus folgenden Männlichkeitsideale sind aber bis heute Kern des Selbstverständnisses. Nicht nur die in letzter Zeit regelmäßig auftauchenden Skandale um Initiationsriten u.ä. sind dafür Indikatoren.

Erkenntnisse für die Friedensarbeit

Eine grundlegende Erkenntnis aus dem bislang Gesagten ist die untrennbare Verwobenheit von Militär und Männlichkeit. Das Konstrukt »Männlichkeit« ist konstituierend für das Militär. Daraus folgt, dass es bei der Friedensarbeit (auch) darum gehen muss, die Männlichkeitsentwürfe der Gesellschaft zu ändern. »Geschlecht« muss pluraler und individueller definiert werden, und vorgefertigte Rollen und Verhaltensmuster sind in Frage zu stellen. Dirck Linck schreibt in Bezug auf den Vietnam-Krieg:

„Der heldenhafte Körper geriet nicht zufällig in den Blick; er war den Jugendlichen extrem präsent als massenmedial zirkulierender Körper, der in Vietnam tötete und aus Vietnam als fetischisierter Leichnam zurückkehrte. Als vollkommener Ehemann. Er war Teil der inneren Codierungen der Jugendlichen, deren Widersprüchlichkeit neue Identifikationen hervortrieb. Wer jetzt noch auf der Suche nach Identität war, orientierte sich an »Weiblichkeit« und verweigerte den Kriegsdienst.“ (Linck 2016, S. 79).

Der starke Fokus auf der soldatischen Männlichkeit ist eine Achillesferse des Militärischen. Mit ihrer Hinterfragung, Lächerlichmachung und dem Aufzeigen der Absurdität dieser soldatischen Männlichkeitskonstrukte lässt sich militärisches Denken und Handeln in Frage stellen. Nicht ohne Grund wurden die vielen Skandale über entwürdigende Rituale jahrelang nicht aufgedeckt – sie gehörten scheinbar dazu. Erst die Infragestellung dieser Männlichkeitsnormen aus der Zivilgesellschaft heraus führte zur Aufklärung der ritualisierten Vorkommnisse.

Aus diesem Widerspruch zwischen dem eigenen Empfinden und der geforderten Unterordnung unter konservative Rollenbilder lassen sich Ansätze emanzipatorischer Friedensarbeit ableiten. Dazu gehört es für Männer, ein eigenes Verständnis von Männlichkeit und Geschlecht zu entwickeln. Hier könnte die Auseinandersetzung mit dem Deserteursthema weiterhelfen. Positive Bezugspunkte zu Menschen, die sich dem Töten verweigern, schaffen, ohne sie zu Helden zu überhöhen, alternative Vorbilder. Der Deserteur Willi Rehse war beispielsweise ein typischer Jugendlicher, der gerne Grenzen auslotete (Verspätungen beim Zapfenstreich, Besuch der Freundin in der Kaserne …), was zu einer Eskalation der Strafen führte, an deren Ende seine Hinrichtung stand.5 Seine Geschichte enthält für heutige Heranwachsende viele Berührungspunkte zur eigenen Biographie. Rehse taugt nicht als Held im klassischen Sinne, zeigt aber plastisch die Absurdität des Militärs auf. Hier kann Erinnerungsarbeit einen wichtigen Baustein zur Erkenntnis und Selbsterkenntnis leisten. Durch die Einbeziehung der Kategorie Geschlecht lassen sich Erinnerungsarbeit und Lernorte neu aufstellen und besetzen und damit auch Gegenstrategien im Sinne eines »Nie wieder!« entwickeln. Ebenfalls zu überlegen wäre, wie mit diesem Fokus auch das öffentliche Gedenken anders gestaltet werden könnte.

Anmerkungen

1) Für die bürgerlichen Privilegierten kamen zunehmend Möglichkeiten auf, ihre Kinder vom Wehrdienst freizukaufen. Die Führungspositionen im preußischen Militär waren hingegen eine Domäne des Adels (in Frankreich des privilegierten Bürgertums). Vgl. ausführlich Hartmann 2011.

2) Ausführlich zur Konstruktion von Männlichkeit im Militär siehe Frevert 2001.

3) Dazu kommen noch 4.000-8.000 Hinrichtungen durch Standgerichte während der letzten Kriegstage.

4) Plastisches Beispiel dafür ist der Kanonier Oppermann in Buchterkirchen 2011, S. 90 ff.

5) Die Geschichte Willi Rehses ist noch nicht aufgeschrieben. Das wird 2019 in einer schulpädagogischen Arbeit erfolgen.

Literatur

Buchterkirchen, R.: (2011): „… und wenn sie mich an die Wand stellen“ – Desertion, Wehrkraftzersetzung und »Kriegsverrat« von Soldaten in und aus Hannover 1933-1945. Neustadt: Edition Region und Geschichte.

Frevert, U. (2001): Die kasernierte Nation. München: C.H. Beck.

Fritsche, M. (2004): Entziehungen – Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht. Wien: bohlau.

Fritsche, M. (2015): Männlichkeit als Forschungskategorie. In: Bade, C.; Skowronski, L.; Viebig, M.: NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg. Dresden: VR unipress, S. 61-77.

Hartmann, H. (2011): Der Volkskörper bei der Musterung – Militärstatistik und Demographie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg. Göttingen: Wallstein Verlag.

Linck, D. (2016): Creatures – Aufsätze zu Homosexualität und Literatur. Hamburg: männerschwarm.

Wette, W. (2011): Militarismus in Deutschland. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Ralf Buchterkirchen, Wirtschaftsinformatiker aus Hannover, ist Bundessprecher*in der DFG-VK und forscht ehrenamtlich zu Deserteuren, Wehrkraftzersetzern und wegen Kriegsverrat verurteilten Soldaten. Er betreibt das Blog verqueert.de, auf dem er zu queeren und antimilitaristischen Themen schreibt.

Frauen und Frieden nach 1945

Frauen und Frieden nach 1945

Eine Annäherung an den Diskurs in Ost- und Westdeutschland

von Helke Dreier

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges organisierten sich viele Frauen in Frauenausschüssen und -organisationen. Neben der Linderung der sozialen Not waren die Aktivitäten dieser Gruppen geprägt vom Thema »Frieden«, und ihre Aktionen galten dem Aufbau eines friedlichen und demokratischen Deutschlands. Ihr Beitrag dazu sollte die politische Bildung der Frauen sein. Dabei thematisierten sie einen Pazifismus, der stark an ihre Geschlechtsidentität und die damit verbundenen Kriegserfahrungen geknüpft war. Der sich verschärfende Ost-West-Konflikt und seine ideologischen Auseinandersetzungen hatten auch Konsequenzen für die friedenspolitische Diskussion innerhalb der Frauenorganisationen. Die Forschung dazu lässt bislang aber noch viele Fragen offen.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird häufig als eine Zeit des Politikverdrusses verstanden. Nach Krieg und Faschismus sei den Deutschen das Interesse für die Politik abhanden gekommen und ihr Leben vom mühsamen Nachkriegsalltag bestimmt gewesen. Lenkt man den Blick auf die Arbeit und die Aktivitäten der Frauen und ihrer Organisationen in dieser Zeit, kommt man allerdings zu einer anderen Einschätzung. Unmittelbar nach Kriegsende organisierten sich viele Frauen in den in allen vier Besatzungszonen entstehenden Frauenausschüssen und in anderen Frauenorganisationen, wie dem Frankfurter Frauenverband (gegründet als Zusammenschluss der hessischen Frauenausschüsse im Januar 1947), dem Wilmersdorfer Frauenverband (WFB, gegründet im Juli 1947, der Vorläufer des Berliner Frauenbundes/BFB), der Notgemeinschaft 1947 (gegründet im Januar 1948, später Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband) oder dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD, gegründet im März 1947), um nur ein paar Organisationen zu nennen.

Ihr soziales und fürsorgerisches Engagement zur Linderung der sozialen Not der Nachkriegszeit verstanden diese Frauenorganisationen als politische Aufgabe: „[…] Wir Frauendelegierten erkennen, daß unsere Arbeit nicht auf soziale Aufgaben beschränkt sein darf. Wir müssen den deutschen Frauen bei der Überwindung der faschistischen Ideologie Wegweiser und Helfer sein und sie zu verantwortlichen Mitarbeiterinnen gewinnen im Sinne des Friedens, der Völkerversöhnung, der Demokratie und des Aufbaues. Die Frauen werden lernen, politisch zu denken, damit sie klar erkennen, wo die Ursachen unserer heutigen Notlage liegen und mit uns den Ausweg aus der Not lindern, der in unserer eigenen Arbeit liegt.“ Aus diesem Auszug aus der Resolution der ersten Delegiertenkonferenz der Frauenausschüsse im Juli 1946 wird deutlich, dass das politische Engagement der Frauen friedenspolitisch geprägt war. Die Frauenorganisationen der Nachkriegszeit, die sich nicht explizit als Friedensorganisationen verstanden, sahen in der Sicherung des Friedens und dem Aufbau einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft in Deutschland ihre zentrale Aufgabe.

Neben diesen sich allerorts gründenden Frauenausschüssen, -gruppen und -organisationen entstanden immer mehr Zusammenschlüsse, die sich direkt als Frauenfriedensorganisationen gründeten. Sie unterschieden sich in ihrer Größe und Organisationsform. Einige waren lokal aktiv, wie der von der Physikerin Freda Wüsthoff 1946 ins Leben gerufene Stuttgarter Friedenskreis, eine Arbeitsgemeinschaft von Frauen zur Förderung des »dauernden« Friedens, der viele namhafte Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung angehörten, u.a. Gertrud Bäumer, Theanolte Bähnisch, Dorothee von Velsen, Elly Heuss-Knapp, Agnes von Zahn-Harnack, Marie Elisabeth Lüders und Clara von Simson (Hauser 1996). Andere, wie die im Juni 1948 unter der Leitung von Magda Hoppstock-Huth gegründete Deutschlandzentrale der Weltorganisation der Mütter aller Nationen (World Organization of Mothers of all Nations, W.O.M.A.N.), arbeiteten überregional.

Verantwortung der Frauen für den Frieden

Die politischen Aktivitäten der Frauen(friedens)gruppen und -organisationen der Nachkriegszeit waren von Kampagnen für den Frieden bestimmt. Die in allen vier Besatzungszonen stattfindenden Frauenkongresse und Gründungsveranstaltungen der verschiedenen Organisationen machten das Thema Frieden zu ihrem Leitmotiv. So z.B. die erste Frauenkonferenz der Westzonen in Bad Boll im Mai 1947, auf der Freda Wüsthoff und Agnes Zahn-Harnack zu den Themen Frieden und Völkerverständigung sprachen. Auch die hier verabschiedete Resolution stellte den Frieden ins Zentrum (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, S. 232; Hervé und Nödinger 1995, S. 132). In der Sowjetischen Besatzungszone fand der Gründungskongress des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) unter dem Titel »Frauenkongreß für den Frieden« statt (Demokratische Frauenbund Deutschlands 1947). Es war auch dieser Frauenverband, der 1948 die Friedenskampagne »Für das Verbot der Atombombe« initiierte (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, hier vor allem S. 233/234).1

Auf die Gefahren der atomaren Rüstung wiesen die Frauengruppen und -organisationen aller vier Besatzungszonen schon sehr bald nach Kriegsende in Vorträgen und auf Kongressen hin. Beispielhaft seien hier die Aktivitäten der Physikerin Freda Wüsthoff genannt, die eine breite Aufklärungsarbeit durch Reden und Vorträge vor allem in den westlichen Besatzungszonen und auch in Berlin entfaltete. Sie warnte früh vor den Gefahren von Atomwaffen, u.a. in ihrem im Januar 1948 gehaltenen Festvortrag »Atomenergie und Frieden« auf der Gründungsveranstaltung der Notgemeinschaft 1947.

Mit ihrem Engagement für den Frieden reihten sich die Frauengruppen und -organisationen in eine politische Oppositionsbewegung ein, die in der Forschung auch als »Ohne mich«-Bewegung zusammengefasst wird (Werner 2006). Die Motive dieser Gruppen für ihr friedenspolitisches Engagement waren vielfältig. Sie reichten von einem grundsätzlichen Pazifismus über antimilitaristische oder antikapitalistische Positionen bis hin zu einer Ablehnung der Westintegration des westlichen Teil Deutschlands, weil diese eine Wiedervereinigung erschwere (Wette 2008, S. 14).

All diese Motive finden sich auch bei den Frauenorganisationen, allerdings kam hier ein weiteres, geschlechtsbezogenes Motiv hinzu: Sie sprachen der Frau in ihrer Funktion als »Lebensgeberin« eine besondere Verantwortung für den Frieden zu. Indem sie männlich mit kriegerisch und zerstörerisch, weiblich dagegen mit friedliebend und lebensspendend gleichsetzten, machten sie Weiblichkeit bzw. Frau-Sein zum Synonym für friedlich und Frieden und somit zum Kernanliegen von Frauenpolitik. „Das erste, was wir Frauen und Mütter daher fordern, das ist eine Sicherung des Friedens“, hieß es denn auch im ersten Aufruf des Zentralen Frauenausschusses im November 1945 (zit. nach Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, S. 231).

Doch auch wenn die Sicherung des Friedens und der Aufbau einer friedlichen Gesellschaft die einigende Klammer für die politische Arbeit waren, gab es Unterschiede in der politischen Grundhaltung der einzelnen Frauen(friedens)­gruppen und folglich unterschiedliche Meinungen darüber, wie der Weg dahin aussehen sollte und welche Mittel zum Ziel führen. Einige der Frauenorganisationen standen den Zielen und Idealen der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) nahe (z.B. der Demokratische Frauenbund Deutschlands, DFD), andere sprachen sich für eine parlamentarisch-repräsentative Demokratie aus (z.B. der Deutsche Frauenring, DFR).

Viele offene Fragen

Immer stärker wurde der friedenspolitische Diskurs der Frauen(friedens)­organisationen geprägt von den ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges. Welchen Einfluss dies auf das Friedens- und Pazifismusverständnis der Frauenorganisationen hatte, darüber gibt es bislang kaum Untersuchungen. Die Arbeiten aus den Reihen der Historischen Frauen- und Geschlechterforschung über die Frauenorganisationen im Nachkriegsdeutschland haben durchgehend einen starken Westbezug und legen den Schwerpunkt vor allem auf die Geschichte dieser Frauenorganisationen und die Biographien ihrer Protagonistinnen (Hervé 1979; Brändle-Zeile 1983; Riesenberger 1983; Maltry 1993; Hervé 2001). Die Arbeiten aus den Reihen der Historischen Friedensforschung greifen die Ergebnisse der Genderforschung auf und stellen die Aktivitäten der Frauenorganisationen stärker in den gesellschaftlichen Rahmen ihrer Zeit (u. a. Canning 2002; Stoehr 2002; Davy 2002 u. 2005; Bald und Wette 2008; Dunkel 2015; Hertrampf 2006; Stoehr 2012).

Zum Pazifismusverständnis der Frauenorganisationen gibt es kaum Untersuchungen, und die wenigen Ansätze, die es gibt, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während Ingrid Schmidt-Harzbach noch von einem einigenden und übereinstimmenden Friedensbegriff der Frauenorganisationen für die erste Zeit nach Kriegsende ausgeht – Annette Kuhn, die zu den ersten gehörte, die sich mit diesem Thema befassten, sprach gar von einem feministischen Pazifismus dieser Zeit (Kuhn 1986, S. 27) –, ist Irene Stoehr der Meinung, dass es diese Übereinstimmung nie gegeben habe, sondern bereits unmittelbar mit der Gründung der ersten Frauenorganisationen die Gräben sichtbar wurden (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996).

Ob und in welchem Kontext das Argument, Frauen seien qua Geschlecht, als Lebensspenderin und Mutter, schon von Natur aus das friedlichere Geschlecht, von allen Frauen(friedens)organistionen aufgegriffen wurde, bleibt genauer zu untersuchen. Ebenso ist zu fragen, wie die zunehmende Einbindung der west- und ostdeutschen Frauenorganisationen in die ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges den friedenspolitischen Diskurs dieser Organisationen bestimmte.

Erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes am Archiv der deutschen Frauenbewegung (addf-kassel.de/projekte/forschung/friedensdiskurs/) legen die Vermutung nahe, dass einige Organisationen am Topos der friedfertigen Frau festhielten und dies zu ihrem zentralen Argument machten, z.B. die Weltorganisation der Mütter aller Nationen (W.O.M.A.N.), während sich andere Frauenorganisationen auf die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau beriefen. Durch die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen am politischen Leben sollten zukünftige Kriege verhindert und der Frieden gesichert werden (so z.B. die Notgemeinschaft 1947). Als weitere These aus der bisherigen Arbeit dieses Projektes lässt sich formulieren, dass der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) beide Argumentationsstränge miteinander verknüpfte. Sowohl die besondere Disposition der Frau für den Frieden qua Geschlecht als auch ihre gesellschaftliche und politische Gleichstellung bildeten die Basis für den friedenspolitischen Diskurs. Welchen Einfluss das sozialistische Friedensverständnis auf den Friedensbegriff und das Pazifismusverständnis dieser Organisation hatte, bleibt zu klären. Ebenso bleibt zu untersuchen, ob die Überlegungen zur gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft und ihrer daraus erwachsenden Verantwortung für den Frieden dem Frauenbild des Sozialismus entsprangen oder doch noch stärker den Ideen der alten Frauenbewegung verbunden waren.

Beim derzeitigen Stand der Quellenerschließung drängt sich der Eindruck auf, dass der Friedensdiskurs maßgeblich vom Osten bestimmt wurde. Es scheint so zu sein, dass das Friedensthema in den Publikationsorganen der Frauenorganisationen des Westens einen weniger prominenten Platz einnahm. Diese Dominanz des östlich bestimmten, sozialistischen Friedensdiskurses in den Frauenorganisationen (aber nicht nur dort) könnte eine Erklärung dafür liefern, warum Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten im Westen in den späteren Jahren oft unter »Kommunismusverdacht« gerieten.

Anmerkung

1) Diese Kampagne diente zur Unterstützung der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen, die diese Forderung dort stellte. Der DFD sammelte damals 5,5 Millionen Unterschriften für das Verbot der Atombombe. Dreihunderttausend davon stammten aus den Westzonen.

Literatur

Bald, D.; Wette, W. (Hrsg.) (2008): Alternativen zur Wiederbewaffnung. Friedenskonzeptionen in Westdeutschland 1945-1955. Essen: Klartext.

Bald, D.; Wette W. (Hrsg).) (2010): Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges 1945-1955. Essen: Klartext.

Brändle-Zeile, E. (1983): Frauen für Frieden. Dokumentation, o.O.

Canning, K. (2002): Engendering the History of War and Peace. Comment. In: Ziemann, B. (Hrsg.): Perspektiven der Historischen Friedensforschung. Essen: Klartext, S. 146-152.

Davy, J. A. (2002): German Women’s Peace Activism and the Politics of Motherhood – A ­Gendered Perspective of Historical Peace Research. In: Ziemann, B. (Hrsg.): Perspektiven der Historischen Friedensforschung. Essen: Klartext, S. 110-132.

Davy, J. A.; Hagemann, K.; Kätzel, U. (Hrsg.) (2005): Frieden – Gewalt – Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung. Essen: Klartext.

Demokratischer Frauenbund Deutschlands (1947): Protokoll des Deutschen Frauenkongresses für den Frieden. Gründungskongreß des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands, 7., 8. und 9. März 1947, Staatsoper Berlin.

Dunkel, F.; Schneider, C. (Hrsg.) (2015): Frauen und Frieden? Zuschreibungen – Kämpfe – Verhinderungen. Opladen: Budrich.

Hauser, A. (1996): Stuttgarter Frauen für den Frieden. Frauen – Politik – Alltag nach 1945. Tübingen: Silberburg.

Hertrampf, S. (2006): „Zum Wohle der Menschheit“. Feministisches Denken und Engagement internationaler Aktivistinnen 1945-1975. Herbolzheim: Centaurus.

Hervé, F. (Hrsg.) (1979): Brot & Rosen – Geschichte und Perspektiven der demokratischen Frauenbewegung. Frankfurt a.M.: Marxistische Blätter.

Hervé, F. (Hrsg.) (2001): Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 7. verb. u. überarb. Auflage (1. Aufl. 1982). Köln: PapyRossa.

Hervé, F.; Nödinger, I. (2001): Aus der Vergangenheit gelernt? 1945 bis 1949. In: Hervé, F. (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung, op.cit., S. 127-138.

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Helke Dreier, Historikerin, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. ­Zurzeit arbeitet sie dort im Forschungsprojekt »Der Friedensdiskurs der west- und ostdeutschen Frauenorganisationen von 1945 bis 1955«.

Islamischer Feminismus


Islamischer Feminismus

Ein Widerspruch in sich?

von Ambar Ahmad

Außerhalb des westlichen Kulturkreises wird Feminismus noch weitgehend als fremdländisches Konzept wahrgenommen, das heimischen Normen und Traditionen widerspricht. Feminismus, vor allem der westliche Feminismus, wird mit der kolonialen Einmischung durch den Westen assoziiert und daher rasch als korrumpierender Angriff auf die eigene kulturelle Authenzität gewertet. Fragen nach Gendergerechtigkeit wurden bislang eher im Kontext der je spezifischen Situation der Frauen formuliert als unter Bezugnahme auf die Standards, die der westliche Feminismus bereits gesetzt hat. Religion spielt in dieser Diskussion zwangsläufig eine wesentliche Rolle. Daraus ergeben sich auch Fragen nach der Machbarkeit und Wünschbarkeit eines islamischen Feminismus.

Wenn über »islamischen Feminismus« geredet wird, muss zuerst die Bedeutung der beiden Wörter geklärt werden, aus denen sich der Begriff zusammensetzt: Islam und Feminismus.

Islam wird oft als monolithisches Gebilde betrachtet, das wird der Religion aber nicht gerecht. Die konfessionellen Unterschiede im Glauben und in der Religionsausübung, vor allem zwischen Schiiten und Sunniten, sind vielschichtig und müssen berücksichtigt werden. Zudem wurde und wird der Islam sowohl historisch als auch geographisch rund um den Erdball in ganz unterschiedlichen kulturellen Umfeldern praktiziert.

Beim Feminismus wird weithin akzeptiert, dass es nicht den einen Feminismus, sondern viele Ausprägungen gibt. Alle feministischen Positionen teilen aber einige relevante Punkte: Sie stimmen überein, dass wir in einer Welt leben, in der aufgrund des organisierten Patriarchats für Männer und Frauen unterschiedliche Lebensrealitäten herrschen. Außerdem wird das Patriarchat nicht als zwangsläufige und unabwendbare Gegebenheit der Natur, sondern als soziales Konstrukt wahrgenommen. Feminist*innen aller Couleur gilt das Patriarchat als ungerecht und unhaltbar, und sie sind entschlossen, es zu zerschlagen und eine aus ihrer Sicht gendergerechte Gesellschaft durchzusetzen. Jenseits dieser Übereinstimmungen gibt es eine große Bandbreite feministischer Positionen, insbesondere zu den Gründen für das Aufkommen des Patriarchats und zu Strategien, dieses zu überwinden.

Angesichts der Vielfalt an Feminismen ist es nicht schwierig, einen islamischen Feminismus als weitere Variante einzuführen. Allerdings stoßen organisierte Religionsformen im Feminismus gemeinhin auf Ablehnung, woraus sich einige grundsätzliche Fragen ergeben: Sind Islam und Feminismus miteinander vereinbar oder schließen sie sich gegenseitig aus? Was hat Vorrang, der Islam oder der Feminismus? Kann islamischer Feminismus zu Gendergerechtigkeit führen?

In unterschiedlichen Regionen der muslimischen Welt wurde bereits intensiv zum islamischen Feminismus gearbeitet. Viele der Debatten beziehen sich auf die Erfahrungen im Iran, der sich aus mehreren Gründen als Studienobjekt anbietet. Zum einen ist Iran ein schiitischer Staat, und für die Schia ist das Konzept des »Idschtihad« zentral. Idschtihad bezeichnet eine Neuinterpretation der religiösen Gesetze im zeitgenössischen sozioökonomischen und politischen Kontext unter Wahrung der grundlegenden Prinzipien des Islam; aus dieser Neuinterpretation können sich Räume für soziale Veränderungen eröffnen. Zum zweiten besteht im Iran eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Rolle, die der Staat für Frauen vorsieht, und ihrem tatsächlichen Leben. Iranische Frauen treten im öffentlichen Raum selbstbewusst und wahrnehmbar auf und setzen damit einen deutlichen Kontrapunkt zu den Erfahrungen von Frauen, die in einem anderen selbst erklärten islamischen Regime leben – dem der Taliban.

Islamischer Feminismus lässt sich vielleicht am besten verstehen, indem man sich anschaut, wie islamische Feminist*innen vorgehen.

Strategien islamischer Feminist*innen

Die erste Strategie ist die Neuinterpretation der heiligen Texte. Für islamische Feminist*innen ergeben sich die Probleme der Frauen aus den männlich dominierten Interpretationen der islamischen Prinzipien, , nicht aus den tatsächlichen Geboten der Religion. Daher glauben sie, dass eine frauenzentrierte Lektüre der heiligen Texte eine kraftvolle Quelle für Gendergerechtigkeit sein kann.

Folglich haben sich in den letzten Jahren islamische Feminist*innen den religiösen Texten und Traditionen zugewandt, um sie kritisch zu lesen, aus frauenfreundlicher Warte neu zu interpretieren und die traditionellen, frauenfeindlichen Interpretationen zu dekonstruieren. Sie befassen sich mit den »Asbab an-nuzul«, die den konkreten Anlass für die Offenbarung eines bestimmten Verses oder einer Sure des Koran erläutern, sie kontextualisieren die Hadith, in denen die Belehrungen, Handlungen und Sprüche des Propheten überliefert sind, und sie arbeiten die frauenfreundlichen Aspekte der Religion heraus, um die patriarchalen Interpretationen der Geistlichen zu kontern.

Im Zentrum des islamischen Feminismus steht »Idschtihad«, da es dieses Konzept erlaubt, die heiligen Texte neu zu interpretieren und die konkrete Anwendung unter Wahrung ihres Geistes den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die These des iranischen Philosophen Abdulkarim Soroush, es gebe einen Unterschied zwischen »essentiellen« und »zufälligen« Elementen des Islam. Bei Ersteren handele es sich um Elemente, ohne die der Islam nicht Islam wäre, also beständige und unwandelbare Glaubensgrundsätze. Die Letzteren seien sozial und historisch kontingent und daher wandelbar. Die Gegenwart unterscheidet sich erheblich vom Arabien des siebten Jahrhunderts, folglich ist es legitim, viele Prinzipien, vor allem solche, die die Beziehungen zwischen Männern und Frauen regeln, anzupassen

So argumentieren Feminist*innen z.B., die Sure, die Männer eine Stufe über Frauen stelle, betone ausdrücklich, dass Männer für den Unterhalt der Frauen zuständig seien. Das möge früher so gewesen sein, als die Rolle der Frau auf die Mutterschaft reduziert und die Frau daher abhängig war. Heute hingegen verfügten Frauen nicht nur über eine größere reproduktive Selbstbestimmung, sondern sie seien oft auch wirtschaftlich unabhängig, so dass die Aussage neu interpretiert werden dürfe.

In ihren Analysen greifen islamische Feminist*innen außerdem auf die konzeptuellen Ansätze des Postmodernismus zurück, besonders auf die Charakterisierung von Sprache als Medium institutioneller Kontrolle. Diese Ausein­andersetzung mit Sprache ist für die Neuinterpretation von Texten zentral. Die Annahme, Sprache sei wertegeladen, führt zum Versuch, die Neuinterpretation der Texte auch auf die linguistische Konstruktion der arabischen Sprache auszuweiten.

Eine andere Strategie verfolgen bekannte arabische Autorinnen, wie Fatima Mernissi (Marokko) und Assia Djebar (Algerien). Sie holen eine vergessene Geschichte wieder ans Tageslicht, an der Frauen ihren Anteil hatten. Sie studierten das Leben von Frauen in den prägenden Entstehungsjahren des Islam und kamen zum Schluss, dass die vorwiegend männlichen Erzähltraditionen Frauen unsichtbar gemacht hätten. Frauen seien zur Lebzeit des Propheten aber präsente und aktive Mitglieder der Gemeinschaft gewesen. Sie hätten problemlos eine Moschee betreten und ihre Fragen und Anliegen direkt an den Propheten des Islam richten können; dies deute auf ihren unmittelbaren Zugang zur Autorität hin. Vor allem Mernissi konstatiert, dass die Botschaft des Islam eine Botschaft der radikalen Gleichheit sei. Dies sei der privilegierten männlichen Elite zuwider gewesen, die Änderungen im öffentlichen Raum zwar widerstrebend akzeptiere, nicht jedoch im privaten Bereich. Aus diesem Grund hätten sich die Ideale nach dem Tode des Propheten verflüchtigt. Unter Berufung auf einen »authentischen« Islam kritisieren die Feminist*innen die heutige Marginalisierung von Frauen im sozialen Raum, in der Religion und im Gemeinwesen.

Vor allem die erzwungene Marginalisierung in vorwiegend männlich definierten Räumen der Religion zurückzuweisen ist ein wichtiger Aspekt, um mehr Gendergerechtigkeit zu erlangen. Frauen versuchen, ihre eigenen Räume zu schaffen, zu ihren Bedingungen. In Tamil Nadu, dem südlichsten Bundesstaat von Indien, gründete die Muslim Women’s Jamaat (Gemeinschaft muslimischer Frauen) in Pudukkottai trotz scharfer Proteste eine Moschee nur für Frauen. Das Einrichten von »Women Only«Räumen mag zunächst als Fortschreibung der Segregation erscheinen und wird entsprechend kritisiert. Befürworter*innen glauben aber, dass nur so ein Rahmen geschaffen werden kann, in dem Frauen ohne Einmischung der Theologen über Religion diskutieren können.

Islamische Feminist*innen fordern mit Nachdruck die Rechte ein, die Frauen innerhalb der Strukturen des Islam zustehen, aufgrund kultureller Ehr- und Schamnormen aber aus dem Blickfeld geraten sind.. So ist z.B. der Nikah, der islamische Ehevertrag, ein von zwei Parteien freiwillig geschlossener Kontrakt. Beide Seiten haben das Recht, bestimmte Konditionen festzulegen, die nach Vertragsabschluss bindend sind. Vereinbarungen zum Umgang mit der im Islam zulässigen Polygamie, zum Sorgerecht für Kinder im Falle einer Scheidung und andere wichtige Aspekte ermöglichen den Frauen eine erhebliche Kontrolle über ihr Leben. Leider hindern kulturelle Normen, wie Scham, die potentiellen Bräute oft daran, die Themen offen anzusprechen, die auf ihr Eheleben erheblichen Einfluss haben.

Ebenso weisen Feminist*innen darauf hin, dass Frauen, die unter Verweis auf das göttliche Gebot, dem Ehemann zu dienen und zu gehorchen, trotz Missbrauchs in der Ehe verbleiben, nur davon profitieren können, wenn sie den Islam besser verstehen und darauf beharren, dass ihre im Islam verbrieften, von den Männern aber als unerheblich abgetanen Rechte eingehalten werden.

Bei alledem will sich der islamische Feminismus keineswegs abkapseln. Ganz gezielt wurden Konzepte säkularer Feminist*innen aufgegriffen, Kontakte zu ihnen hergestellt und das Gespräch mit Muslimas rund um den Globus gesucht. Die international renommierte Historikerin und Gendertheoretikerin Afsaneh Najmabadi belegte, dass islamische Frauenzeitschriften im Iran regelmäßig Texte säkularer Feminist*innen zu einer breiten Themenpalette abdrucken, so zu Religion, Kultur, Recht und Erziehung. Klassische Aufsätze von Autorinnen wie Mary Wollstonecraft, Virginia Woolf, Charlotte Perkins Gilman, Evelyn Reed, Nadine Gordimer und Alison Jaggar sowie zeitgenössische feministische Texte werden ebenfalls gedruckt.

Ein besonderes gelungenes Beispiel für Synergien zwischen säkularen und islamischen Feminist*innen ist die weltweite Bewegung »Musawah – For Equality in the Familiy« (Musawah ist das arabische Wort für Gleichheit), die 2009 von zwölf Frauen aus so unterschiedlichen Ländern wie Ägypten, Gambia, Türkei und Pakistan gegründet wurde. »Musawah« geht von dem Kerngedanken aus, dass Männer im Islam nicht per se Vorrang genießen und dass das Patriarchat das Ergebnis einer männerdominierten Auslegung von Religion ist. »Musawah« befähigt Frauen, die Auslegungen, Normen und Gesetze, die ihr Leben beeinflussen, zu verstehen und mitzugestalten und sich dann in ihren jeweiligen Ländern für Gesetzesreformen stark zu machen.

Reaktionen auf
islamischen Feminismus

All diese Bemühungen, mithilfe eines islamischen Feminismus einen frauenfreundlichen Islam wieder zu erwecken, werden einerseits positiv aufgenommen, andererseits misstrauisch beäugt.

Unterstützung kommt aus zwei unterschiedlichen Lagern. Da gibt es zum einen die »Islam Only«-Position. Die Vertreter*innen dieser Position gehen davon aus, dass ein feministischer Impuls, der den Traditionen und gesellschaftlichen Normen nicht-westlicher muslimischer Gesellschaften gerecht werden soll, nur im Rahmen des Islam entwickelt werden kann. Sie mahnen eine Rückkehr zum »authentischen« Islam an und sind davon überzeugt, zur Erlangung von Gendergerechtigkeit sei sonst nichts nötig oder wünschenswert. Für sie ist das Konstrukt eines säkularen westlichen Feminismus fremd, ungeeignet und rundum abzulehnen.

Zu den anderen Befürworter*innen gehören säkular orientierte Feminist*innen, aus deren Sicht ein islamischer Feminismus eine wertvolle Ergänzung des Repertoires bietet, um sich mit dem tief verwurzelten Patriarchat auseinanderzusetzen. Sie gehen davon aus, dass eine feministische Praxis nur dann für bereitere Kreise in muslimischen Ländern attraktiv sein kann, wenn sie auf dem Islam basiert, und dass es folglich zur Auseinandersetzung mit dem Islam und zur Neuinterpretation der Textquellen keine Alternative gibt. Einfach das Konzept universaler Menschenrechte zu vertreten und auf die Erfolge von Frauen im Westen zu verweisen, würde bei Muslimas nicht auf Resonanz stoßen, sondern als fremd und elitär empfunden.

Für diese Argumente gibt es konkrete Gründe, und auch der gezielte Einsatz religiöser Sprache hat einige Vorteile. Unabhängig davon identifizieren sich aber viele Frauen einfach mit dem Islam und fühlen sich durch ihre islamische Identität nicht daran gehindert, sich für eine egalitäre und gendergerechte Gesellschaft einzusetzen. Islamische Feminist*innen lehnen es ab, die Genderfrage als Entweder-oder zu behandeln – entweder Feminist*in oder Muslim*a.

Durch die Auseinandersetzung mit theologischen Fragen und die Neuinterpretation der Texte haben sich die islamischen Feminist*innen viel Wissen über die Quellen angeeignet, aus denen patri­archale Politik häufig abgeleitet wird. So sind sie in der Lage, das religiöse Pa­tri­archat aus einer Position der Stärke in Frage zu stellen.

Viele säkulare Feminist*innen, die ihre islamischen Schwestern in ihrer Arbeit unterstützen, sind davon überzeugt, dass sich widerständige und reformerische Kräfte sukzessive entwickeln und an pragmatischen, alltäglichen Dingen schärfen, die nicht sauber in säkular oder theokratisch zu trennen sind. Die feministische Wissenschaftlerin Valentine Moghadam verweist darauf, wie wichtig im Iran die Texte und öffentlichen Äußerungen islamischer Feminist*innen sind. Ihnen und den Frauepublikationen sei es zuzuschreiben, dass sich das diskursive Universum verbreitert hätte und die juristischen Kenntnisse und das Genderbewusstsein der Leser*innen gewachsen seien.

Jenseits dieser beiden Unterstützergruppen stoßen islamische Feminist*innen hingegen auf erhebliche Vorbehalte, und zwar nicht nur vonseiten des religiösen Establishments, sondern auch säkularer Feminist*innen. Während die Geistlichkeit die Einmischung in den Islam-Diskurs für unstatthaft und töricht hält, können für viele säkulare Feminist*innen, darunter Haideh Moghissi, Frauenrechte nur aus säkularen, interkulturellen und universellen Prämissen erwachsen, die nicht durch die spezifischen sozio-religiösen Kontexte einer Gesellschaft unterminiert werden dürfen. Sie halten die Aktivitäten und Ziele des islamischen Feminismus für zu eng gefasst und kompromittiert und das ganze Projekt bestenfalls für unzureichend und suspekt, schlimmstenfalls für falsch und gefährlich. Die wohlmeinenden islamischen Feminist*innen würden im Laufe der Zeit selbst erkennen, wie mangelhaft und begrenzt ihr Ansatz sei, und dann müssten sie sich doch mit der Frage auseinandersetzen, was für sie Priorität hat: Islam oder Feminismus? Welches Konzept muss sich dem anderen unterordnen?

Diese säkularen Feminist*innen behaupten, islamischer Feminismus sei polarisierend und würde dem Anliegen schaden, in der universellen Sprache der Menschenrechte für Frauenrechte zu streiten. Erst das Beharren der islamischen Feminist*innen, Lösungen für die Probleme der Frauen im Rahmen der islamischen Normen zu finden, diskreditiere die säkularen Feminist*innen als fremd, verwestlicht und anti-islamisch.

Moghissi lenkt die Aufmerksamkeit zurück auf die Frage, was im islamischen Feminismus eigentlich mit Islam und Feminismus gemeint sei. Im weitesten Sinne sei Feminismus die Weigerung, sein Leben den männlich zentrierten Diktaten religiöser und nicht-religiöser Institutionen unterzuordnen. In seinem Zentrum stehe die Überzeugung, dass der biologische Unterschied zwischen Männern und Frauen nicht zu ungleichen Lebenschancen und Rechtsstellungen für Frauen und Männern oder zur Privilegierung der einen vor den anderen führen dürfe. Wenn Islam bedeute, sich auf den Koran und die Scharia zu verlassen, dann stellt sich laut Moghissi die Frage nach dem Umgang mit den koranischen Prinzipien, die für Männer und Frauen unterschiedliche Rollen und Pflichten definieren. Moghissi konstatiert sogar, dass eine feministische Muslima zwar Gleichberechtigung für Frauen fordern und gleichzeitig gläubig sein könne, dazu müsse sie aber die Scharia, das islamische Rechtssystem, hinter sich lassen. Andernfalls müssten die Begriffe »Feminismus« und »Scharia« neu definiert werden.

Schlussfolgerungen

Ungeachtet aller Argumente für oder gegen einen islamischen Feminismus ist unbestritten, dass das Konzept den Diskurs über Gendergerechtigkeit in muslimischen Gesellschaften in mehrfacher Hinsicht verändert hat.

Zuvor war es für die Autoritäten in muslimischen Gesellschaften relativ einfach, feministische Fragen abzutun, weil Feminismus fremd, westlich, anti-islamisch und korrupt sei. Die kenntnisreichen Interventionen islamischer Feminist*innen haben dies nun unmöglich gemacht. Ihre sprachlich und strategisch klug formulierten Fragestellungen haben Legitimität und breite Rezeption erlangt – ein wichtiger Schritt, um das Patriarchat herauszufordern. Zugleich findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anliegen der Frauen statt; es reicht nicht mehr aus, darauf zu verweisen, der Islam habe alle diese Fragen im 7. Jahrhundert doch bereits beantwortet. Teile des religiösen Establishment reagieren auf diesen Bewusstseinswandel und akzeptieren, dass auf heutige Anliegen neue und zeitgemäße Antworten fällig sind.

In muslimischen Ländern rund um den Globus konnten islamische Feminist*innen den religiösen und staatlichen Autoritäten Zugeständnisse und Gesetzesreformen zur Verbesserung der Lage der Frauen abringen, von der Anhebung des Heiratsalters für Frauen und frauenfreundlichere Ehe- und Scheidungsgesetze bis zum Recht der Frauen auf ein Studium und einen Beruf. Islamische und säkulare Feminist*innen haben daran gemeinsam mitgewirkt.

Durch den Diskurs um islamischen Feminismus hat sich eine Sprache entwickelt, auf die junge Frauen bei ihrer Auseinandersetzung mit den partriarachalen Normen, die in den Familien und der Gesellschaft kulturell verankert sind, zurückgreifen können. Nun können sie darauf verweisen, dass diese Normen nichts mit dem Islam zu tun haben, sondern mit Traditionen, und können sich wieder auf ihre lange außer Blick geratenen Rechte berufen.

Kann islamischer Feminismus also Gendergerechtigkeit fördern?

Feminismen jeglicher Prägung sind eine anhaltende, mühsame und langwierige Aufgabe, Gender-Ungerechtigkeiten zu hinterfragen und zu zerstören, die sich in allen Gesellschaften unterschiedlich manifestierten. Wir hinterfragen nicht, ob säkularer Feminismus die Gendergerechtigkeit voranbringt, sondern gehen davon aus, dass die Reise mit all ihren Wechselfällen den Aufwand wert ist, selbst wenn das Ziel noch in weiter Ferne liegt. Genauso sollten wir beim islamischen Feminismus nicht in Frage stellen, ob er für die Sache nützlich ist, sondern vielmehr, ob die derzeit gewählten Strategien vielversprechend sind.

Ich würde diese Frage mit Ja beantworten.

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Ambar Ahmad lehrt Politikwissenschaft an der University of Delhi. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören politische Theorie, Religion, feministische Politik und insbesondere das Zusammenspiel von Religion und Politik.

Der vorliegende Text ist eine leicht gekürzte Übersetzung der gleichnamigen Analyse, die 2015 von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Indien herausgegeben wurde.
Aus dem Englischen übersetzt von ­Regina Hagen.

Die Würde des Menschen in schwierigen Zeiten

Die Würde des Menschen in schwierigen Zeiten

von Wolfgang Uellenberg van Dawen

Das Versagen des Rechtsstaates in der Neujahrsnacht in Köln und anderen Städten führte zu vielfältigen Reaktionen und zu einer kontroversen Debatte, die ein erhellendes und zugleich erschreckendes Schlaglicht auf den Zustand unseres Gemeinwesens wirft. Für Rechtspopulisten und Rassisten sind die kriminellen Übergriffe auf Frauen nichts anderes als die Bestätigung sämtlicher Vorurteile und Feindbilder gegenüber Migranten, und die rechtspopulistische und unterschwellig rassistische »Alternative für Deutschland« (AfD) profitiert gemäß den Meinungsumfragen davon.

Der überwiegende Teil der Medien und der Politik richtet den Fokus nicht in erster Linie auf die von sexualisierter Gewalt verstörten und traumatisierten Opfer, sondern vornehmlich auf die vermuteten Täter. Es waren, daran bestehen kaum Zweifel, vor allem junge Migranten aus den Ländern des Maghreb, aber auch solche anderer Herkunft. Fest steht bisher ebenfalls, dass es überwiegend keine Flüchtlinge waren. Dennoch reagierten Koalitionspolitiker, allen voran solche der CSU, sofort mit Forderungen nach Verschärfung des Aufenthaltsrechtes und nach rascher Abschiebung, unabhängig davon, ob dies rechtlich und faktisch überhaupt möglich ist.

Die differenzierte Analyse der Ursachen massenhafter sexueller Übergriffe steht ebenso noch am Anfang wie die Diskussion über ein zielführendes und angemessenes Handeln – in erster Linie im Interesse der Opfer, aber ebenso der Migrant/innen und Geflüchteten, die nun Angst haben, pauschal verdächtigt und diskriminiert zu werden. Vereinfachungen und Schuldzuweisungen werden am Ende kein einziges Problem lösen, es besteht aber die Gefahr, dass die Angst vor »den Fremden« wächst und viele verunsicherte, bisher hilfsbereite und für die Flüchtenden Empathie empfindende Menschen sich nun zurückziehen oder gar in den Chor der Hardliner einstimmen.

Die Würde des Menschen gerade in diesen schwierigen Zeiten zu wahren ist eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen, die für eine humane Flüchtlings- und Einwanderungsgesellschaft und für die Wahrung einer menschenrechtlich orientierten Politik eintreten. In erster Linie geht es hier um die Würde der Frauen. Wer hilft den Opfern? Wer begleitet sie bei ihren Aussagen vor den Ermittlungsbehörden? Und wie sollen die Täter identifiziert werden? Fragen über Fragen …

Das Sexualstrafrecht ist bei weitem nicht so eindeutig formuliert, dass jeder Übergriff überhaupt als Sexualdelikt verfolgt wird. Überfällig ist also eine Reform des Sexualstrafrechts mit der Maßgabe, dass ein »Nein« der Frauen genau das ist: ein »Nein«, und wenn es nicht akzeptiert wird, dies eine Straftat ist. Ob es nun zu einer Beschleunigung der Reform kommt, bleibt abzuwarten. Sie darf aber nicht auf die lange Bank geschoben oder verwässert werden. Darum muss auf die Übergriffe in der Neujahrsnacht die längst überfällige Debatte über den alltäglichen Sexismus geführt werden. Dies ist keine Relativierung der konkreten Übergriffe oder gar eine Entschuldigung für die Täter, sondern ein Aufruf, für die Würde der Frau einzutreten.

Patriarchalische Frauenbilder und die Reduzierung der Frau auf ein Objekt männlicher Dominanz sind, egal wo wir ihnen begegnen, als solche zu benennen. Vergessen wir nicht, dass sie in fast allen Religionen zu finden sind und auch in unserer Gesellschaft lange dominierten. Bis Mitte der 1970er Jahre wurde den Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch noch die Rolle der Hausfrau in der Ehe zugewiesen, und die Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit einigen Jahren strafbar. Der erreichte Fortschritt darf aber eben nicht nur für die einheimischen, sondern muss für alle Frauen gelten.

Die Debatte muss konkret geführt werden und Folgen haben, sonst bleibt sie oberflächlich und scheinheilig. Die öffentliche Empörung richtet sich derzeit auf Täter mit Migrationshintergrund, aber wer schützt die Migrantinnen vor Ausbeutung und Demütigung nicht nur in den Familien, sondern auch in der Mehrheitsgesellschaft und in der Arbeitswelt? Wie hart gehen denn die Behörden gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vor, in Köln und anderswo? Wie hart werden Bordellbesitzer und ihre Hintermänner verfolgt, und warum nehmen Boulevardblätter immer noch Werbeanzeigen auf, in denen die Ware Frau vermarktet wird? Wo bleibt eigentlich die Reaktion der Verantwortlichen der »fünften Jahreszeit« in der »Hauptstadt des Frohsinns«? Denn während die ganze Stadt sich empört, feiert sie Karneval wie gewohnt – und das heißt mit deutlich sexistischer Schlagseite. Dringend überprüft und verändert werden muss das Sicherheitskonzept, und dazu gehört Transparenz über mögliche Gefahren. Denn wo es für Frauen – und nicht nur für sie – in den Städten gefährlich ist, ist doch meist bekannt.

Aber Aufklärung alleine genügt nicht: No-go-Areas darf es in unserem Land nicht geben, und zur Verhinderung bedarf es nicht nur der Prävention und Ursachenbekämpfung, sondern auch des Schutzes vor Ort. Statt enge Ordnungspartnerschaften zwischen Stadt, Polizei und Sicherheitsdiensten zu knüpfen, wurde immer mehr Personal abgebaut. Was nützen die stattdessen fast flächendeckend installierten Videokameras? In der konkreten Situation nichts! Angesichts des Versagens der Polizeibehörden in Köln und anderswo fordern nun viele einen starken Staat. Sicherheit, ob durch Prävention oder durch Repression, kann es aber nicht zum Nulltarif geben und nicht mit einer Schwarzen Null im Haushalt als Ziel.

Die schwierigste Diskussion dreht sich wohl um die Bewertung der Täter. Leicht machen es sich die Vereinfacher auf beiden Seiten: Rechtspopulisten und so genannte besorgte Bürger bis weit in die Mitte der Gesellschaft zeigen auf das Aussehen, die Herkunft und die Religion der Täter und reproduzieren damit tief verwurzelte, rassistisch geprägte Weltbilder. Eine Karikatur in der Süddeutschen Zeitung vom 9.1.2016, die eine schwarze Männerhand zeigt, welche eine weiße Frau sexuell belästigt, legt offen, welche Urängste vor dem »schwarzen Mann« selbst in einer liberalen Zeitung zum Vorschein kommen.

Differenzierende Aussagen der Sozialwissenschaft zu autoritären Strukturen, sozialen Verwerfungen und überkommenen Rollenbildern scheinen zu erklären, warum junge Männer zu sexualisierter Gewalt neigen. Daraus können dennoch nicht die konkreten Taten abgeleitet werden. Es ist unmöglich und eine falsche Verallgemeinerung, wenn aus kulturellen Traditionen auf eine bestimmte Gewaltbereitschaft geschlossen wird. Ebensowenig zielführend wäre es, auf jede sozialkulturelle Einordnung zu verzichten und die Kritik an einem religiös hergeleiteten und anerzogenen patriarchalischen Frauenbild als Rassismus zu verurteilen.

Einfache Erklärungen gibt es nicht, und darum bedarf es einer offenen und von Sachkunde bestimmten Debatte, die zu Konsequenzen führen muss. Dazu gehört, mit einer klaren Haltung und mit Nachdruck solchen Menschen – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – entgegenzutreten, die die Regeln des Zusammenlebens nicht akzeptieren. Sexualisierte Gewalt und andere Formen der Kriminalität dürfen nicht toleriert, sondern müssen nach Recht und Gesetz bestraft werden.

Es ist aber eine völlige Illusion zu glauben, es reiche zur Integration aus, wenn eine »Leitkultur« verordnet, das Grundgesetz als Pflichtkanon gepredigt und mit erhobenem Zeigefinger die moderne deutsche Geschlechterrolle eingefordert wird. Integration muss gelebt werden, und gerade hier ist in den letzten Jahren trotz vieler Erfolge viel zu wenig geschehen. Viel zu gering sind die Aufwendungen für eine präventive und konsequente Sozialarbeit. Es fehlen Sozialarbeiter/innen an den Schulen und Streetworker auf den Straßen. Seit mindestens drei Jahren weiß das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen beispielsweise um die Gefährdung junger Männer, etwa aus Marokko, die in die Kriminalität abzugleiten drohen. Wie wurde reagiert, abgesehen von einem sinnvollen Präventionsprojekt der AWO Köln in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium? Viel mehr solcher Projekte – und nicht nur Projekte, sondern nachhaltige Integrationsmaßnahmen – hätten stattfinden müssen.

Dies gilt erst recht für die soziale Integration. Noch immer sind es vor allem Migrantinnen und Migranten, die von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit betroffen sind. Noch immer werden sie bei der Bewerbung um gute Arbeit und qualifizierte Ausbildung diskriminiert. Noch immer sind die Bildungssysteme und die Curricula nicht auf unterschiedliche Herkunftssprachen ausgerichtet. Seit diesem Jahr verweigert Nordrhein-Westfalen aus finanziellen Gründen über 18-jährigen Migranten und Geflüchteten den Zugang zu den Berufskollegs, um dort einen Hauptschulabschluss zu machen. Ein Skandal, den die Landesregierung aussitzen will.

Anerkennung ihrer eigenen Sprache und Kultur, aber ebenso Anerkennung und Wertschätzung ihres Lebens in Deutschland wird den Migrantinnen und Migranten viel zu selten zuteil und bleibt oft auf bloße Bekenntnisse beschränkt. Integration ist eine Herausforderung voller Mühen und muss oft auf beiden Seiten große Unterschiede überwinden, ist die Anstrengung aber wert. Allerdings kann Integration nur dann gelingen, wenn die sich vertiefende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, die in vielen Städten immer unübersehbarer wird und vor allem Menschen mit Migrationshintergrund ausgrenzt, überwunden wird. Diese Spaltung der Gesellschaft in einem reichen Land fördert Konkurrenzen zwischen Einheimischen und Migranten, insbesondere Geflüchteten, um bezahlbaren Wohnraum, um Plätze in Kitas und Schulen, um Ausbildung und gute Arbeit. Meist fordern jedoch nicht diejenigen, die sich in engen Verhältnissen einrichten müssen, die Ausgrenzung, sondern diejenigen, die auf der gesellschaftlichen Pyramide weiter oben stehen. Es sind ihre Vorurteile und ihre Ängste, etwas abgeben zu müssen zugunsten eines handlungsfähigen Staates, um die Folgen der von den Eliten unserer Gesellschaft so oft beschworenen Globalisierung sozial gerecht zu bewältigen, die den Weg in eine integrative Gesellschaft und ein friedliches Zusammenleben blockieren.

Dr. Wolfgang Uellenberg van Dawen, Historiker, war bis 2014 Leiter des Bereichs Politik und Planung der ver.di Bundesverwaltung in Berlin und engagiert sich für eine humane Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik in Köln.

Frauen in Krieg und Frieden 15-45-15

Frauen in Krieg und Frieden 15-45-15

Ausstellung im Frauenmuseum Bonn

von Heide Schütz

Mit seiner aktuellen Ausstellung, die noch bis Anfang November läuft, unternimmt das Frauenmuseum den Versuch, darzustellen, dass Krieg genauso Sache der Frauen wie der Männer ist, und so das gängige Geschichtsbild zu korrigieren.

100 Jahre Beginn des Ersten Weltkriegs – dieses Momentum nutzten im Jahr 2014 viele Museen, um Rückschau zu halten, seien es kleine Stadtmuseen oder die großen Ausstellungshallen der Bundesrepublik. Im Zentrum standen eindeutig die Männer. Nun gibt es die komplementäre Ausstellung mit dem Fokus auf die Frauen, denn „das komplexe Leben der Frauen im Krieg blieb auf der Strecke, und die Männer unter sich, – auch 2015“ (Vorwort zum Katalog, Marinanne Pitzen).

Mit der Ausstellung »Frauen in Krieg und Frieden 15-45-15. Geschichte, Dokumente, zeitgenössische Kunst« ist es dem Frauenmuseum Bonn (das den Untertitel »Kunst, Kultur, Forschung« trägt) gelungen, die andere, sehr komplexe Realität der Frauen in verschiedenen Kriegen, nicht nur im Ersten Weltkrieg, dem »Großen Krieg», als Korrektur des gängigen Geschichtsbildes zu zeigen. Einbezogen werden also auch der Zweite Weltkrieg, dessen Ende sich in diesem Jahr zum 70. Male jährt, und die Kriege der heutigen Zeit, die von 2015.

Auf zwei weitläufigen Ebenen breiten sich in ungeheurer Fülle die Exponate und Beiträge aus, wie immer eine gelungene Mischung aus historischer Recherche, Dokumentation von in der Öffentlichkeit weithin unbekannten Tatsachen und Zusammenhängen sowie künstlerischer Umsetzung Hier hängt nicht Bild an Bild, wie gemeinhin üblich. 55 Künstlerinnen gestalteten das Thema auf ihre eigene, sehr individuelle Weise mit unterschiedlichsten Materialien und Installationen. Dabei floss z.T. ihre Familiengeschichte mit ein.

Dargestellt wird aber auch die Anonymität des Todes im Krieg, so in der Installation »Momento Mori« von Tina Schwichtenberg: 60 liegende Skulpturen, mit Leintüchern umhüllt, mit Knochenleim getränkt, verändern ihre Form und Farbe, werden zu Mumien und sind Abbild aller Opfer von Kriegen und Gewalt, Aufschrei und Trauer zugleich. Ein Ausrutscher dagegen die Bildinstallation von Erika Johanna Lomberg mit dem Titel »Die dicke Bertha«. Gemeint und dargestellt sind Bertha Krupp, die nach ihr »Dicke Bertha« genannte Kanone aus dem Hause Krupp und Bertha von Suttner. Die abstruse Namenskombination ist m.E. total misslungen, zumal sich durch die gesamte Bildinstallation auch noch Reihen mit Friedenstauben, weißen Holzkreuzen und Pickelhauben ziehen.

Es ist lohnend, sich auf diese Ausstellung einzulassen, dabei die eigenen Interpretationsräume auszuloten, Gefühle zuzulassen und gleichzeitig den unterschiedlichen Haltungen und Rollen der Frauen nachzugehen: den Krankenschwestern, Müttern, Bräuten, Munitionsfabrikarbeiterinnen, bestellten Briefeschreiberinnen für die Frontsoldaten, Frauen im Widerstand, Spioninnen, Kämpferinnen an der Front oder hinter der Front. Aber auch Friedensfrauen werden dokumentiert; so gibt es u.a. ein Porträt Bertha von Suttners oder eine ausführliche Dokumentation des internationalen Kongresses der 1.300 Frauen, die sich im April 1915, mitten im Krieg, unter schwierigsten Bedingungen in Den Haag trafen und ihre Forderungen und Grundsätze für eine Friedenslogik formulierten, die bis heute ihre Gültigkeit hat und doch nur in einigen Ansätzen umgesetzt wurde.

Ein wichtiges und erhellendes Segment zum Thema ist der Blick über den nationalen Tellerrand. Beispiele von Frauen im Krieg aus Frankreich, England, Polen, Serbien, Österreich sind vertreten. Nicht zu vergessen die Fotos zu den neuen Tätigkeiten, die Frauen an der »Heimatfront« ausführen durften und wollten, weil die Männer fehlten: Schornsteinfegerin, Barbierin, Polizistin, Laternenanzünderin, beim U-Bahn-Bau, in den Munitionsfabriken… Z.T. mussten extra dafür neue Kleidervorschriften geschaffen werden!

Ein großes, ambitioniertes Projekt, diese Ausstellung, und sehr zu empfehlen, ebenso der umfangreiche Katalog.

Die Ausstellung ist geöffnet bis zum 1.11.2015, Di-Sa 14-18 Uhr, So 11-18 Uhr; Eintritt 4,50 Euro / 3,00 Euro.

Der Katalog umfasst 184 Seiten und kostet 25 Euro.

Heide Schütz ist Vorsitzende des Frauennetzwerk für Frieden e.V.

Soldatinnen

Soldatinnen

von Cordula Dittmer

Fast 14 Jahre sind vergangen, seit der Europäische Gerichtshof im Fall Tanja Kreil entschied, die Gleichstellungsrichtlinie der EU sei auch vom Arbeitgeber Bundeswehr einzuhalten (Dittmer/Mangold 2005). Der Ausschluss der Frauen vom Dienst an der Waffe wurde damit aufgehoben, und innerhalb eines Jahres wurden die rechtlichen, organisatorischen und infrastrukturellen Voraussetzungen für die Aufnahme von Soldatinnen in den bewaffneten Dienst der Bundeswehr geschaffen (Apelt/Dittmer/Mangold 2005). Für das deutsche Militär, das sich bis dato als »Hort der Männlichkeit« verstanden hatte, war und ist dies eine Herausforderung und bedingt anhaltende geschlechtsspezifische Verhandlungen innerhalb der Streitkräfte.

Zum 1. Januar 2001 traten die ersten Soldatinnen ihren Dienst in den Streitkräften an; mittlerweile stellen Frauen rund 10% aller Soldaten, von diesen 10% sind ca. 30% im Sanitätsdienst eingestellt. Seit der Öffnung hat sich für die Bundeswehr auch ansonsten vieles geändert: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft; die Streitkräfte wurden zur Freiwilligenarmee umgestaltet; das Verteidigungsministerium wird gegenwärtig von einer Frau geführt. Außerdem nimmt Deutschland eine immer aktivere Rolle in der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik ein.

Die Bundeswehr präsentiert sich in der Öffentlichkeit als attraktiver Arbeitgeber, als „hochmoderner, global agierender Konzern“ (Bundeswehr 2014a), für den sowohl die Gesundheit seiner Mitarbeiter*innen als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Flexibilität im Arbeitsalltag eine zentrale Rolle einnehmen. Dem Thema »Frauen in der Bundeswehr« hingegen wird, anders als zur Zeit der Öffnung, medial und in der Selbstdarstellung keine große Aufmerksamkeit mehr geschenkt, es wird als „gelebte Normalität“ verstanden (Bundeswehr 2014b). Die offizielle Website der deutschen Streitkräfte zeigt denn auch Fotos lachender Soldatinnen, die in der Bundeswehr ihre berufliche und private Erfüllung gefunden zu haben scheinen.

Blickt man hinter die Kulissen der »Attraktivitätsoffensive«, sieht die Sache allerdings anders aus. So ist in der aktuellen Studie »Truppenbild ohne Dame?« des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zu lesen, dass es deutliche Schwierigkeiten – wörtlich „Eintrübung“ (Kümmel 2014, S.5) – bei der Integration und Anerkennung der Soldatinnen gibt. Rund 40% der männlichen und knapp 30% der weiblichen Soldaten äußerten z.B. die Meinung, Frauen sollten von „Kampfverwendungen ausgenommen“ werden, und knapp ein Viertel der männlichen Soldaten sieht die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch die Frauen massiv gefährdet (Kümmel 2014).

Über die Gründe, warum auch ein derart großer Anteil an Soldatinnen Frauen in Kampfpositionen ablehnt, kann nur spekuliert werden: Da mögen zum einen die eigenen negativen Erfahrungen in diesen Positionen sein, die zu einer erheblichen Frustration führen. Weitaus wichtiger erscheint jedoch, dass Frauen in ihrer Selbstdefinition als Soldatinnen männlich geprägte und dominierte Erklärungs- und Legitimationsstrategien übernehmen, um als Soldatinnen anerkannt zu werden (Dittmer 2008).

Das Militär als Hort von Männlichkeit

Mit der Einführung der männlichen Wehrpflicht 1913/14 wurde das deutsche Militär, in dem zuvor auch Frauen als Tross- und Schanzweiber, Marketenderinnen oder Kämpferinnen ihren Platz hatten, vollständig zu einer „Schule der Männlichkeit“ (Frevert 1997, S.145). Das Militär fungierte fortan als Symbol des nationalen Bewusstseins und stand für die „Schlagkraft und Männlichkeit einer Nation“ (Däniker 1999, S.116). Zentrales Definitionskriterium militärischer Männlichkeit war der Soldat als Kämpfer, der mittels der Beherrschung und Anwendung von Gewalt und der soldatischen Tugenden, wie Gehorsam, Opferbereitschaft, Mut und Disziplin, bereit war, sein Leben für die Nation zu opfern (Apelt/Dittmer 2007). Die anfängliche Begeisterung für den Ersten Weltkrieg speiste sich auch aus der Hoffnung auf eine Bewährung der Männlichkeit in Heldentum und Kampf (Frevert 1990: S.103ff.). Dieses Kämpferbild wurde auch nach der Niederlage des deutschen Militärs 1918 aufrechterhalten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlitt der Soldatenberuf aufgrund der Verbrechen deutscher Soldaten an der Zivilbevölkerung und der als Folge davon verfassungsrechtlich zugestandenen Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern, einen hohen Prestigeverlust. Ganz erloschen ist die „Ausstrahlungskraft des soldatischen Männlichkeitskonstrukts“ (Frevert 1990, S.370) allerdings auch dann nicht.

Die umfassende Integration von Frauen in alle Bereiche der militärischen Organisation fordert(e) die konstitutive Funktion dieses soldatischen Männlichkeitskonstrukts heraus und führte zu einer umfassenden Verunsicherung der beteiligten Akteure. Zunächst versuchte man, die Organisation möglichst wenig zu verändern und Sondermaßnahmen für Frauen einzuführen, die die bereits bestehenden Stereotype eher zementierten, als eine Veränderung der Geschlechterordnung zu bewirken. Frauen wurden weiterhin als Abweichung von der männlichen Norm definiert.

Im Jahr 2005 wurde ein Gleichstellungsgesetz für Soldatinnen und Soldaten verabschiedet, welches eine Frauenquote, das Recht auf Teilzeitarbeit (mit Ausnahmen) und familiengerechte Arbeitszeiten, die Einführung von Gleichstellungsbeauftragten und einen stärkeren Schutz gegen sexuelle Belästigung für Männer und Frauen vorsieht und vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Soldatinnen und Soldaten verankert. Erst jetzt wurden auch die organisatorischen Strukturen an die veränderten gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst (dazu ausführlicher Dittmer/Mangold 2007). Die Bundeswehr und der Soldatenberuf changieren damit zwischen den Erfordernissen und Anforderungen an zivile Organisationsformen einerseits und der besonderen Position des Militärs als Schutzorgan des Staates gegen äußere Bedrohungen, für das zivile Anforderungen nur bedingt gelten, andererseits. Je nach Kontext wird der eine oder andere Deutungsrahmen in Anspruch genommen, wenn es darum geht, die Rolle der weiblichen Soldaten in der Organisation auszuhandeln.

Geschlechtsspezifische Verhandlungen

Das Ideal des Soldaten speist sich aus einer Vielzahl an historisch und gegenwärtig aufgeladenen Bedeutungsdimensionen, wie einer hohen körperlichen Leistungsfähigkeit, der Verbindung von Waffengebrauch und Männlichkeit oder der Heterosexualität. Dies lässt sich exemplarisch anhand der Bereiche sexuelle Belästigung und Umgang mit Waffen zeigen.

Sexuelle Belästigung

In den ersten Jahren nach der Öffnung wurden publik gewordene Fälle der sexuellen Belästigung in der Bundeswehr von der medialen Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt. Die männlichen Soldaten fühlten sich massiv verunsichert und äußerten große Ängste, unschuldig der sexuellen Belästigung beschuldigt zu werden (Dittmer 2008). Diese vorwiegend medial inszenierte Aufregung hat sich mittlerweile zwar gelegt, sexuelle Belästigung ist bundeswehrintern aber nach wie vor ein wichtiges Thema. Der Wehrbeauftragte berichtete für das Jahr 2013 von 64 gemeldeten Fällen, in denen Soldatinnen Übergriffen von männlichen Kameraden oder Unbekannten ausgesetzt waren (Könighaus 2014). Kümmel (2014), der den Begriff der sexuellen Belästigung weiter fasst (von sexistischen Witzen bis hin zu Übergriffen), stellte in seiner Befragung von 2011 fest, dass mehr als die Hälfte der Soldatinnen mindestens einer Belästigung ausgesetzt war, rund ein Viertel erfuhr unerwünschte körperliche Berührungen, ca. 3% erlebten eine Vergewaltigung (Kümmel 2014). Aber auch rund ein Zehntel der männlichen Soldaten fühlten sich sexuell belästigt; in diesen Fällen wurde für mehr als die Hälfte der »Belästiger« als Geschlecht »weiblich« angegeben.

In der feministischen und gendersensiblen Forschung wird sexuelle Belästigung vor allem als Mittel der Ausübung und Verstetigung von Machtverhältnissen, der Polarisierung der Geschlechterdifferenzen und der Abwertung von Weiblichkeit diskutiert. Frauen werden über das Mittel der sexuellen Belästigung für den Übertritt von Gendergrenzen sanktioniert und daran erinnert, dass „du in meinen Augen nur eine Frau bist“ (Cockburn 1993, S.161). Dabei ist problematisch, dass die juristische, wissenschaftliche und alltagspraktische Definition dessen, was als sexuelle Belästigung verstanden wird, weit auseinanderklafft und man bei Befragungen dementsprechend sehr unterschiedliche Angaben erhält; oft verschwimmen die Grenzen zwischen sexueller Belästigung und »normalem« sexuellen Umgang bzw. Flirten (Dittmer 2008).

Die Soldatinnen und Soldaten betonen durchweg, dass es in der Bundeswehr über das Disziplinarrecht bessere Möglichkeiten als im zivilen Leben gibt, sich gegen sexuelle Belästigung zur Wehr zu setzen. Die weiblichen Soldaten nehmen für sich in Anspruch, sich gegen sexuelle Belästigung durchaus zur Wehr setzen zu können. Das hat seinen Grund: Es ist im männlich definierten Feld »Bundeswehr« für die Soldatinnen existentiell, nicht als potentielle Opfer männlicher Handlungsmacht zu gelten, sondern als gleichberechtigte Kameraden, die keine Angriffspunkte für Übergriffe bieten (Dittmer 2008).

Umgang mit Waffen

Zentrales Definitionskriterium und – neben der Polizei – Alleinstellungsmerkmal des Soldatenberufs ist die Möglichkeit und Pflicht, an der Waffe ausgebildet zu werden und im Ernstfall auch davon Gebrauch zu machen. Für Soldatinnen ist die Ausbildung an der Waffe oft sogar ein Grund, sich für den Dienst in der Bundeswehr zu entscheiden. Sie sind begeistert von der Schießausbildung und sehr stolz, wenn sie die Ausbildung erfolgreich absolvieren und dabei zum Teil besser abschneiden als ihre männlichen Kameraden. Soldatinnen sehen „das Tragen einer Waffe als Privileg und als Ausweis ihres militärischen Wertes sowie als Quelle von Autorität und Selbstvertrauen“ (Sasson-Levy 2003, S.84).

Im Prozess der »Soldatwerdung« müssen Frauen, die in das Militär eintreten, die männlich besetzten Räume erobern und sich aneignen. Neben dem Tragen der Uniform, dem Bestehen militärischer Übungen, dem Beweis körperlicher Leistungsfähigkeit und der Ausübung von Kameradschaft stellt die Ausbildung an der Waffe die letzte Hürde in der Identifikation mit dem Soldatenberuf und der „Aneignung von Verletzungsmacht“ dar (Dittmer 2014). Erst durch das Beherrschen der Waffe können sie also an militärischer Männlichkeit teilhaben und die Geschlechtergrenzen überschreiten.

Auf der anderen Seite zeigt sich im Diskurs um den Waffengebrauch auch die Schwierigkeit der Frauen, ein positives soldatisches Selbstbild zu entwickeln. Sie identifizieren sich einerseits nicht mit dem vorgegebenen militärischen Weiblichkeitsideal – der schwachen und zu beschützenden Frau -, können andererseits aber die soldatische Identität als Kämpfer nur unter großer Anstrengung erlangen. So beschreiben viele Soldatinnen das Tragen und den Gebrauch von Waffen explizit als körperlich sehr anspruchsvolle Aufgaben, denen sie als Frau nicht gut gewachsen seien.

Soldatinnen sind also in einer ambivalenten Position: Die Ausbildung an und der Gebrauch von Waffen sind zentral, um an der militärischen Männlichkeit zu partizipieren und »richtige« Soldaten zu werden. Zugleich werden sie immer auch als Frauen mit bestimmten weiblich konnotierten Eigenschaften wahrgenommen.

Schluss

Abgesehen von einer kurzen Phase der medialen Aufmerksamkeit und der Öffnung der Bundeswehr für bundeswehrferne und/oder -kritische Beobachter, ist es sehr still geworden um die Frage nach der Integration von Frauen in die Streitkräfte. Erst als im Dezember 2013 mit Ursula von der Leyen eine Frau an die Spitze des Verteidigungsministeriums rückte, wurden einige wichtige, lang zurückgehaltene Studien veröffentlicht. Sie geben einen Einblick in die Entwicklungen der letzten Jahre. Wie sich die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten in dem immer größer werdenden Spagat zwischen Unternehmen/ziviler Arbeitgeber und schlagkräftiger Einsatzarmee positionieren und wie sie ihre soldatische Geschlechtsidentität definieren werden, ist momentan völlig offen.

Durch den zunehmenden Einsatz von Drohnen werden traditionelle Vorstellungen vom Soldatenberuf, in dem körperliche Leistungsfähigkeit eine so zentrale Rolle einnimmt, verstärkt in Frage gestellt und damit auch die Gestaltungs- und Handlungsspielräume von Frauen – und Männern – erweitert. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Phasen zunehmender Technisierung von Kriegswaffen historisch immer wieder mit der Aufwertung kognitiver und der Abwertung körperlicher Fähigkeiten einhergingen, traditionelle Männlichkeitskonzepte in Frage stellten und mehr Frauen die Teilhabe an soldatischer Identität ermöglichten bzw. diese erzwangen.

Literatur

Maja Apelt, Cordula Dittmer, Anne Mangold (2005): Die Bundeswehr auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter? In: Jens-Rainer Ahrens, Maja Apelt, Christiane Bender (Hrsg.): Frauen im Militär. Erste empirische Befunde zur Integration von Frauen in die Streitkräfte. Wiesbaden: VS Verlag, S.108-133.

Maja Apelt und Cordula Dittmer (2007): »Under pressure« – Militärische Männlichkeiten im Zeichen neuer Kriege und veränderter Geschlechterverhältnisse. In: Mechthild Bereswill, Michael Meuser, Sykla Scholz (Hrsg.): Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit. Münster: Westfälisches Dampfboot, S.68-83.

Bundeswehr 2014a: Aktiv. Attraktiv. Anders. – Bundeswehr in Führung. bundeswehr.de.

Bundeswehr 2014b: Gelebte Normalität: Frauen in der Bundeswehr. bundeswehr.de.

Kathrin Däniker (1999): Die Truppe – ein Weib? Geschlechtliche Zuschreibungen in der Schweizer Armee um die Jahrhundertwende. In: Christine Eifler und Ruth Seifert (Hrsg.): Soziale Konstruktionen – Militär und Geschlechterverhältnis. Münster: Westfälisches Dampfboot, S.110-134.

Cordula Dittmer (2008): Gender trouble in der Bundeswehr. Bielefeld: transcript.

Cordula Dittmer: Genderdimensionen des Waffengebrauchs. APuZ, Jg. 64, Nr. 35-37/2014, 25.8.2014, S.34-39.

Cordula Dittmer und Anne Mangold (2005): Die Integration von Frauen in die europäischen Streitkräfte – das Militär zwischen internationalem Recht und nationaler Sicherheitspolitik. In: Annette Jünemann und Carmen Klement (Hrsg.): Die Gleichstellungspolitik der Europäischen Union. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S.65-80.

Cordula Dittmer und Anne Mangold (2007): Auf dem Weg zu einer Gleichstellung der Geschlechter? Das Gleichstellungsgesetz für Soldatinnen und Soldaten. femina politica, Nr. 1/2007, S.78-88.

Ute Frevert (1997): Das Militär als »Schule von Männlichkeit«. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert. In: Ute Frevert (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart: Klett-Cotta, S.145-172.

Hellmut Könighaus (2014): Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten. Jahresbericht 2013 (55. Bericht). Deutscher Bundestag, Drucksache 18/300.

Gerhard Kümmel (2014): Truppenbild ohne Dame? Eine sozialwissenschaftliche Begleituntersuchung zum Stand der Integration von Frauen in die Bundeswehr. Potsdam: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.

Orna Sasson-Levy (2003): Frauen als Grenzgängerinnen im israelischen Militär – Identitätsstrategien und -praktiken weiblicher Soldaten in »männlichen« Rollen. In: Christine Eifler und Ruth Seifert (Hrsg.): Gender und Militär. Internationale Erfahrungen mit Frauen und Männern in Streitkräften. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, S.74-100.

Dr. Cordula Dittmer, Soziologin, arbeitet an der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität Berlin und ist Frauenbeauftragte der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK).

Vater im Krieg, Mutter in Pommerland?

Vater im Krieg, Mutter in Pommerland?

BSV-Tagung zu »Geschlechterverhältnissen in Krieg und Frieden«, 16.-18 März 2012, Dortmund

von Judith Conrads

Welche Rolle spielt der Begriff »Macht« in Bezug auf Geschlechterbeziehungen? Wie wirkt sich der Faktor »Geschlecht« auf Konzepte von Sicherheit aus? Diese und andere Fragen diskutierten die etwa 60 Teilnehmenden auf der BSV-Tagung »Vater im Krieg, Mutter in Pommerland? – Geschlechterverhältnisse in Krieg und Frieden«. Der Bund Soziale Verteidigung (BSV) hatte zu der Tagung eingeladen, um Friedensarbeit »durch die Genderbrille« zu betrachten. Damit folgte er der Erkenntnis, dass, solange Gender als Strukturkategorie sozialer Ordnung existiert, auch Fragen zu Krieg und Frieden nicht ohne eine explizite Genderperspektive zu bearbeiten sind. Denn, so die Ausgangsthese, wird der Blick auf die Geschlechterverhältnisse versäumt, so können Strukturen, die zur Eskalation der Gewalt beitragen, unberücksichtigt und als konfliktverschärfende Faktoren bestehen bleiben.

Die Journalistin und Autorin Ute Scheub erteilte in ihrem Einführungsvortrag dem Dualismus »friedfertige Frau – kriegerischer Mann« als vermeintlich biologisch basiertem Determinismus eine Absage: Nicht biologische Faktoren seien für Gewaltneigung bzw. Friedfertigkeit von Menschen ausschlaggebend, sondern die Kultur. Der Grad der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und der Friedfertigkeit einer Gesellschaft korrelierten dabei. Mit dem Fokus auf der Sozialisationsbedingtheit von geschlechtsspezifischem Verhalten war die Stoßrichtung der Tagung skizziert.

Die anschließende Podiumsdiskussion widmete sich der Situation von Frauen in Afghanistan und der Frage, wie ein geschlechtersensibler Friedensprozess aussehen müsste. Hierbei wurden die unterschiedlichen Ansätze der DiskutantInnen deutlich: Jessica Mosbahi von medica mondiale erklärte die Befreiung der afghanischen Frauen für gescheitert, wobei sie gleichzeitig anzweifelte, ob sie auf diesem – militärischen – Weg überhaupt möglich gewesen sei. Während der Herausgeber des Friedensmagazins aixpaix.de, Otmar Steinbicker, die Priorität darin sah, zunächst überhaupt Gespräche zu führen und Verhandlungen zu etablieren, egal mit wem (bzw. der Verfügbarkeit entsprechend ausschließlich mit den männlichen Vertretern der Konfliktparteien), und erst in einem nächsten Schritt auch die Integration von Frauen in den Friedensprozess forderte, betonte Mosbahi die Notwendigkeit einer aktiven Einbeziehung von Frauen auf dem Weg zum Frieden von Anfang an und warnte davor, dass für »schnelle Deals« die Frauenrechte auf der Strecke bleiben könnten. Es sei grundlegend, dass auch Frauen an den Verhandlungstischen säßen und den Friedensprozess aktiv mitgestalten könnten. Die Journalistin Shakiba Babori forderte von der internationalen Gemeinschaft, alle Finanzhilfen an die Garantie von Frauenrechten zu knüpfen. Weitgehend einig war man sich darüber, dass Verhandlungen mit allen Konfliktparteien stattfinden müssten, was Gespräche mit Taliban, aber eben, so Mosbahi und Babori, auch explizit Frauen einschließen müsse. Denn ein Friedensabkommen, welches ohne Frauen geschlossen würde, sei zum Scheitern verurteilt, weil ein Großteil der Bevölkerung damit unberücksichtigt bliebe. Daneben wurde deutlich, dass es in Afghanistan allen Schwierigkeiten zum Trotz politisch aktive Frauen gibt, die ihre Rechte selber formulieren und einfordern wollen und können. Es gilt also, so das Fazit, sie in der Artikulation ihrer Positionen zu unterstützen und Kanäle zu eröffnen, über die sich die afghanischen Frauen Gehör verschaffen können, sowohl in Afghanistan als auch international.

Heide Schütz vom Frauennetzwerk für den Frieden eröffnete den zweiten Tag mit einem Appell für eine sensiblere Wahrnehmung in Bezug auf Geschlechterverhältnisse und ihre Implikationen und kritisierte die Tendenz, Gender mit Frauen bzw. Frauenförderung gleichzusetzen. Heidi Meinzolt von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit hob in ihrem Vortrag über die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates (UNSCR 1325, verabschiedet am 31. Oktober 2000) zu »Frauen, Frieden und Sicherheit« und der von ihr vertretenen Forderung eines Nationalen Aktionsplanes zur besseren Umsetzung der Resolution die Bedeutung der Resolution als völkerrechtliche Grundlage für einen geschlechtersensiblen Umgang in der Konfliktbearbeitung hervor, zeigte aber auch ihre Schwächen auf, insbesondere bezüglich der mangelnden Verbindlichkeit durch fehlende überprüfbare Indikatoren. Hieran schloss sich eine lebhafte Diskussion über das Für und Wider der Resolution an. Kritische Stimmen zeigten etwa das Risiko auf, dass die UNSCR 1325 in Konflikten wie Afghanistan als Legitimations- und Druckmittel für militärische Einsätze herangezogen werden könnte oder stellten das der Resolution zugrunde liegende Friedens- und Sicherheitsverständnis infrage. Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass die UNSCR 1325 immerhin ein erster Ansatz sei, um Veränderungen im Diskurs zu erreichen.

»Militarisierte Männlichkeit« – diesen Begriff stellte Rolf Pohl, Professor am Institut für Soziologie/Fach Sozialpsychologie der Leibniz-Universität Hannover, ins Zentrum seiner Ausführungen, die den Zusammenhang von militärischen Strukturen und der Förderung eines aggressiven und gewaltbereiten Verhaltens herausarbeiteten. Bei Soldaten werde eine „paranoide Abwehr-Kampf-Haltung“ gefördert, die auf die Überwindung der Tötungshemmung abziele. Für ihn stellt Gender mehr als ein soziales Rollenlernmodell dar, vielmehr manifestierten sich die Geschlechterbilder als körperlich verinnerlichte, tief sitzende innere Einstellungen. Die Herausforderung sei nun, Ansätze zu finden, an diese Einstellungen heranzukommen, um sie modifizieren zu können.

Beispiele von »best practice« und »lessons learned« in internationalen Projekten der Friedensarbeit mit einem speziellen Genderfokus lieferten das anschließende Podium sowie der Vortrag am Sonntag. Martina Grasse, Vertreterin von OWEN – Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e.V., stellte das deutsch-kaukasische Gender-Projekt »OMNIBUS1325« vor, bei dem eine wichtige Erfahrung die je nach kulturellem Hintergrund unterschiedlichen Rollenbilder der verschiedenen Teilnehmenden gewesen sei. Eine große Diskrepanz nahm die ehemalige Friedensfachkraft des Zivilen Friedensdienstes (ZFD), Anne Dietrich, im Sudan zwischen den Erwartungen der geldgebenden Organisation, die Gender als Querschnittsthema entdeckt hätte, und den Gegebenheiten vor Ort wahr. Den größten Erfolg sah Dietrich in den Projekten und Anti-Gewalt-Trainings, welche Frauen und Männer gleichermaßen ansprachen, um mit ihnen über die bestehenden Geschlechterverhältnisse zu reflektieren. Als positives Beispiel gelungener Arbeit an Rollenbildern stellte Rita Schäfer das südafrikanische Männernetzwerk Sonke vor, das bei der Bearbeitung von Männlichkeitskonzeptionen ansetze, indem Männer in Trainings ihre Rollenbilder hinterfragten und sich um den Aufbau von Identitäten bemühten, die nicht auf gegenseitige Gewaltzufügung und Unterdrückung der Frau basieren. Die internationale Friedensorganisation Nonviolent Peaceforce (NP), die am Sonntag von Outi Arajärvi vorgestellt wurde, setzt ihre Teams von Friedensfachkräften geschlechterparitätisch zusammen. Gleichzeitig wies Arajärvi darauf hin, dass die NP bisher, wie viele andere, der Versuchung erlegen sei, darüber hinaus Gender mit Frauen gleichzusetzen und dementsprechend in Gender-Trainings auf Bewusstseinsarbeit bei Frauen, selten aber auch beim übrigen Teil der Bevölkerung abziele.

Der Samstagnachmittag wurde mit einer Arbeitsgruppenphase verbracht, in dem sich die Teilnehmenden mit »Gewalt und Geschlecht in Konflikt- und Postkonflikt-Situationen«, »Konzepten von Gewaltfreiheit im Licht von Gender« und der »Friedensbewegung unter der Genderlupe« beschäftigten bzw. in einer Theater-AG auf darstellerische Weise eigene Rollenbilder und Einstellungen zu Geschlechterverhältnissen reflektierten.

Ein zentraler Begriff, der immer wieder kritisch beleuchtet wurde, war jener der »Sicherheit«: Dessen Relativität machte Rita Schäfer am Beispiel von Nachkriegsgesellschaften deutlich, die häufig ein enormes Ausmaß an geschlechtsspezifischer Gewalt aufwiesen, so dass gerade für Frauen der Unterschied zwischen Kriegs- und Nachkriegszeit marginal sei, was jedoch in vielen herkömmlichen Sicherheitskonzepten nicht erfasst werde. Schäfer führt diese Gewalt auf mangelnde alternative Identifikationsmodelle für Männlichkeit zurück, was dazu beitrage, dass zur Identitätsstiftung auch in Nachkriegszeiten auf das Bild der militarisierten Männlichkeit zurückgegriffen werde. Ein weiterer Aspekt, der in vielen Beiträgen gestreift wurde, war die Frage nach den Geschlechterverhältnissen zugrunde liegenden Machtsstrukturen. So legte Rolf Pohl dar, wie Identität in der binären Geschlechterordnung durch Differenz gestiftet werde und dabei Männlichkeit und Weiblichkeit als hierarchisches System durch die Bewertung der Unterschiede konstruiert würden. Damit klang an, was auch an anderen Stellen dieser Tagung diskutiert wurde: Die Überlegung, wie geschlechtsspezifische Rollen und Bedürfnisse nicht nur speziell berücksichtigt, sondern die gesellschaftlichen Strukturen, durch welche sie erst erzeugt werden, auch hinterfragt und bearbeitet werden können. Zugespitzt wurde das in der Formulierung am Sonntag: „Brauchen wir das Geschlecht als soziale Ordnungskategorie überhaupt?“

Um über die Tagung hinaus die hier entstandenen Denkanstöße und Diskussionsansätze weiterzuverfolgen, wurde auf der anschließenden BSV-Mitgliederversammlung die Einrichtung der AG »Gesprächkreis Gender« beschlossen, die für alle Interessierten offen ist. Nähere Informationen zum ersten Treffen, das für diesen Frühsommer geplant ist, erteilt das BSV-Büro unter info@soziale-verteidigung.de oder 0571/29456. Eine Dokumentation der Tagung mit den Beiträgen der Referierenden wird in Kürze zur Verfügung stehen und kann beim BSV bestellt werden.

Judith Conrads

Kein Frieden ohne Frauen in Afghanistan

Kein Frieden ohne Frauen in Afghanistan

von Monika Hauser

Zehn Jahre werden im Dezember vergangen sein, wenn nach der ersten Afghanistankonferenz auf dem Petersberg in Bonn 2001 afghanische und internationale PolitikerInnen erneut zusammenkommen, um über das Schicksal Afghanistans zu entscheiden. Viel hat die internationale Gemeinschaft in das Land investiert – Hoffnung, Kraft, Wissen, militärisches Engagement und reichlich Geld –, doch noch immer befindet es sich im Krieg. Derzeit ist ein Ende der Gewaltspirale – Kampf gegen Aufständische auf der einen und die Zunahme terroristischer Anschläge auf der anderen Seite – nicht in Sicht.

Von der Aufbruchstimmung nach dem Fall der Taliban ist derzeit nicht mehr viel zu spüren, vielmehr dominieren Unsicherheit, Frustration und Bitterkeit. Zu viele Fehler haben die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung in den vergangenen Jahren gemacht. Ein ganz wesentlicher: Die fehlende Einbeziehung afghanischer Frauen in den Friedens- und Wiederaufbauprozess des Landes. Zwar soll sich bei den Verhandlungen in Bonn im Dezember dieses Jahres die afghanische Delegation bis zu 25 Prozent aus Frauen zusammensetzen. Ob sie eine bestimmende Rolle im Prozess einnehmen werden, ist jedoch stark zu bezweifeln.

Obwohl der Militäreinsatz in Afghanistan immer wieder auch damit legitimiert wurde, afghanische Frauen aus ihrer Unterdrückung befreien zu wollen, sprach die Strategie der Waffen eine ganz andere Sprache. Aufstandsbekämpfung lautete die Devise, und nicht Schutz der Menschenrechte und Demokratieaufbau, von präventivem Schutz von Frauen vor (sexualisierter) Gewalt ganz zu schweigen.

Chancen wurden vertan. Das über Jahrzehnte kriegsgeschüttelte und von Willkür und autoritäter Macht dominierte Land wurde nicht von den Vorteilen einer zivilen Gesellschaft überzeugt. Das Potenzial von Frauen, auf die Schaffung einer geschlechtergerechten Friedensgesellschaft hinzuwirken, wurde viel zu wenig genutzt. Anstelle dessen ging es den westlichen Strategen offensichtlich nur um ihre eigenen Interessen.

Wären 2001 die Hälfte der Konferenz-TeilnehmerInnen Frauen gewesen – anstelle von 95 Prozent Männer, einschließlich der Warlords, die die internationale Gemeinschaft sehenden Auges akzeptiert hatte –, dann sähe es heute in Afghanistan mit Sicherheit anders aus. Statt auf Waffen und Clanchefs zu setzen, hätten Frauen die Realitäten der Zivilbevölkerung im Blick gehabt: Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und der Zugang zu medizinischer Versorgung wären zu wichtigen Zielen geworden. Einige kompetente afghanische Frauen hätten Staatsgeschäfte übernehmen können.

Doch auch elf Jahre nach der Verabschiedung der UN-Resolution 1325, die unter anderem eine stärkere politische Mitbestimmung von Frauen fordert, sind die Afghaninnen weit entfernt von einer realen Beteiligung an der Friedens- und Sicherheitspolitik ihres Landes.

Entgegen der vollmundigen Behauptungen der NATO-Mächte ist die Lage von Mädchen und Frauen in Afghanistan ein Jahrzehnt nach dem 11. September und dem Beginn des NATO-Einsatzes katastrophal. Gab es kurz nach dem Fall der Taliban noch Hoffnung auf mehr Sicherheit und damit größere individuelle Freiheiten und ökonomische Verbesserung, so zeigt sich heute ein weit verbreitetes Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit.

Zwar sieht Artikel 22 der afghanischen Verfassung die Gleichberechtigung von Frauen und Männern vor dem Gesetz vor. In der Realität müssen Frauen und Mädchen jedoch täglich erleben, wie ihre verfassungsgemäßen Rechte mit Füßen getreten werden. Durch konservative und frauenfeindliche Rechtsprechung werden Frauen regelmäßig zu Unrecht angeklagt und verurteilt, wenn sie denn überhaupt einen Prozess bekommen.

Laut einem Bericht von UNIFEM (United Nations Development Fund for Women) werden 87 Prozent aller Frauen „regelmäßig geschlagen“. 80 Prozent aller Ehen werden unter Zwang geschlossen, die Hälfte der Ehefrauen ist bei der Heirat unter 16 Jahre alt. Dementsprechend hoch ist die Zahl der Risikoschwangerschaften und der Müttersterblichkeit. Vergewaltigungen sind laut UNAMA (UN Assistance Mission in Afghanistan) „in allen Teilen des Landes eine Alltagserscheinung“. Neben dieser Alltagsgewalt in den Familien wächst das Risiko für Frauen, die öffentlich um Gleichberechtigung und Demokratie kämpfen: Morde an Frauenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen und weiblichen Parlamentsmitgliedern wurden in den vergangenen Jahren immer häufiger. „Ich lebe jeden Tag in Angst“, erklärte eine Mitarbeiterin einer internationalen Nichtregierungsorganisation (NRO) der Journalistin Ann Jones in einer Reportage zur Lage der afghanischen Frauen. Drei ihrer Kolleginnen wurden entführt, geschlagen, gefoltert und mit dem Tode bedroht, falls sie ihre Arbeit für die NRO fortsetzen würden.

Mit Präsident Karsais zweiter Amtszeit hat sich das Klima für Frauen weiter verschärft. So ist der seit 2010 amtierende Justizminister Habibullah Ghaleb, ein 71-jähriger islamischer Rechtsgelehrter, ein offener Gegner von Frauenrechten. Er fragte, wozu eine islamische Gesellschaft Frauenhäuser brauche, und schloss bereits zwei Zufluchten, die von der internationalen Gemeinschaft finanziert worden waren. Unter dem Vorwurf, Frauenhäuser seien Horte der Prostitution und Sittenlosigkeit, sollten gemäß einer neuen Verordnung die übrigen Schutzhäuser fortan unter strenger Kontrolle der Regierung stehen. Nur durch massiven Protest seitens afghanischer und internationaler Frauenrechtsgruppen, aber auch internationaler Regierungen, konnte die afghanische Regierung zum Einlenken bewegt werden.

Geradezu zynisch und absurd ist ein Erlass des obersten Gerichtshofes in Kabul, der für seine ultra-konservativen Richter bekannt ist. Demnach können Mädchen und Frauen, die – meist aufgrund von Gewalt und Zwangsehen – von Zuhause fliehen, künftig strafrechtlich verfolgt werden. Suchen sie Zuflucht bei Fremden, so auch in einem Frauenhaus, können sie gemäß der neuen Verordnung wegen Ehebruchs oder Prostitution verurteilt werden. Schutzsuchende werden auf diese Weise diffamiert und kriminalisiert – ein eklatanter Rückschritt in Sachen Frauenrechte!

Doch wie soll eine kollektiv traumatisierte Gesellschaft wie die afghanische sich demokratisch entwickeln können, wenn tagtäglich weitere Gewalt stattfindet? Wie soll eine Demokratie aufgebaut werden mit Männern, die Demokratiefeinde sind?

Fest steht: Der Aufbau einer tragfähigen Justiz und einer demokratisch ausgerichteten Polizei wie überhaupt von zivilgesellschaftlichen Strukturen und die Stärkung und Verankerung von Menschen- und Frauenrechten wurden sträflich versäumt. Jahrelang hat Präsident Karsai Familienangehörige und ehemalige Warlords mit Posten versorgt, statt in die Ausbildung von Staatsbeamten zu investieren, für die Menschenrechte und Demokratie keine leeren Worte sind.

Auch der beim NATO-Gipfel in Lissabon 2010 viel beschworene Strategiewechsel der Bündnispartner hin zu mehr zivilem Wiederaufbau ist nicht zu erkennen. Es bleibt die Grundhaltung der internationalen Gemeinschaft, dass Stabilität und Sicherheit ausschließlich über militärische Sicherheit definiert werden. Dabei bedeutet Sicherheit wesentlich mehr, als nur die Abwesenheit von militärischer Gewalt. So sind unter anderem der Schutz von Frauen vor (sexualisierter) Gewalt und ein funktionierendes Justizsystem elementar wichtig für den Aufbau und die Entstehung eines nachhaltigen Friedens. Was zudem fehlt, ist die Einsicht, dass das Wiedererstarken konservativer Kräfte in direktem Zusammenhang mit der weit verbreiteten Straflosigkeit und der mangelnden Gerechtigkeit für die einfache Bevölkerung steht. Dort, wo der Staat seine Verantwortung nicht wahrnimmt, insbesondere in abgelegenen, schwer zugänglichen Gebieten, treibt er die Menschen förmlich in die Arme der Taliban.

Auf der Afghanistankonferenz Anfang Dezember 2011 in Bonn sollen nun erstmals vorrangig zivile Aspekte des Afghanistan-Einsatzes behandelt und die Erfahrungen der ersten sechs Monate des als »Transition« bezeichneten Prozesses der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die AfghanInnen ausgewertet werden. Doch eine solche Auswertung greift zu kurz, wenn sich »Transition« nur auf die Übergabe der Verantwortung im militärischen Sinne, nicht aber auch auf den Staatsaufbau sowie den Aufbau eines tragfähigen Justizsystems bezieht.

Zu befürchten ist, dass sich an der Geringschätzung eines stabilen Justizsystems und eines auf Menschenrechten basierenden Staatswesens für die Stabilität Afghanistans auch weiterhin nichts ändern wird. In den vergangenen Wochen mussten afghanische Frauen sich immer wieder anhören, dass sie mit einem „negativen Frieden“ rechnen müssten, also damit, dass bestenfalls irgendwann die Waffen im Land endlich schweigen, Frauen- und Menschenrechte jedoch weiterhin mit Füssen getreten werden. Mit der „Übergabe in Verantwortung“ stiehlt sich die internationale Politik in einer Weise aus einer Affäre, die an Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten ist.

Trotz der für Frauen äußerst schwierigen Bedingungen hat sich in den vergangenen Jahren eine heterogene afghanische Frauenbewegung entwickelt, die sich von alltäglichen Bedrohungen nicht abhalten lässt, ihre eigenen Vorstellungen von Demokratie und Frieden zu formulieren. Bei einem Runden Tisch des Afghan Women Network Ende Juli konstatierten die Veranstalterinnen klar, dass es ohne eine erfolgreiche Versöhnung keinen erfolgreichen Übergangsprozess geben werde. Dabei kann und darf Versöhnung nicht allein heißen, dass ehemalige Taliban-Kämpfer in die afghanische Gesellschaft reintegriert werden, sondern muss auch ethnische Konflikte und die Unterdrückung afghanischer Frauen bei gleichzeitiger Aufarbeitung der Kriegsverbrechen thematisieren.

Klar ist: Ein dauerhafter Friede in Afghanistan wird nur dann eine reale Chance haben, wenn Frauen bei allen künftigen Friedensgesprächen mit am Tisch sitzen. Und klar ist auch: Bei der bevorstehenden Konferenz im alten Bundestag gehören Frauenrechte auf die Agenda. UN-Resolution 1325 betont, der Ausschluss von Frauen aus der Friedenspolitik bedeute ein Hindernis für den Frieden. Diese sicherheits- und friedenspolitische Relevanz der Resolution wird allerdings bis heute weitestgehend unterschätzt und ignoriert. Auch von den internationalen PolitikerInnen!

Die afghanische Bevölkerung, die mutigen afghanischen Aktivistinnen haben unsere aufrichtige und engagierte Solidarität weiterhin verdient. Jetzt, über die zweite Afghanistankonferenz in Bonn und über 2014 hinaus!

Monika Hauser ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondial und Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2008.

»Im Schatten der Brüder«?

»Im Schatten der Brüder«?

Frauen-Bewegungen im Post-Mubarak-Ägypten

von Renate Kreile

Die führende Rolle von Frauen in den Rebellionen in Tunesien und Ägypten hat verbreitete Imaginationen und Projektionen in der westlichen Öffentlichkeit ein für allemal widerlegt, wonach die Frauen in den arabischen Gesellschaften als bedauernswerte unterdrückte Opfer, als passiv und unmündig wahrgenommen werden. Sie hat Ansprüche, arabische Frauen im Sinne einer »civilizing mission« von »außen« befreien zu wollen, einmal mehr als paternalistische Bevormundungsversuche und Rechtfertigungsversuche für neokolonialistische Hegemonialinteressen diskreditiert. Sie hat zudem Vorstellungen, wonach »der Islam« per se für die Benachteiligung der Frauen in der Region verantwortlich sei, endgültig in die Rumpelkammer des »Orientalismus« verbannt. (vgl. ausführlich Kreile 2009, S.253 ff.)1

Es war ein inspirierender historischer Moment, der kurzzeitig Visionen einer inklusiven, demokratischen, gleichberechtigten Gesellschaft auf dem Tahrir-Platz Wirklichkeit werden ließ, wo Männer und Frauen, Menschen aus allen sozialen Schichten, von Stadt und Land, Muslime und Kopten, jung und alt, Seite an Seite für dasselbe Ziel zu demonstrieren schienen.

Margot Badran, ausgewiesene Kennerin der ägyptischen Frauenbewegung, sah in der „von der Jugend geführten Revolution von 2011 […] einen neuen Feminismus“ aufscheinen: „Die DemonstrantInnen und ihre UnterstützerInnen wollten alle dasselbe: Ein Ende der Tyrannei und des korrupten Regimes. Eine freie Gesellschaft mit Chancengleichheit für alle. Gerechtigkeit unabhängig von Geschlecht und Klasse. Und ein Ende all jener Verbindungen, die das dichte, heimtückische Netz der patriarchalischen Hierarchie ausmachten.“ (Badran 2011) Weit entfernt von solch euphorischen Hoffnungen fragte Isabel Coleman andererseits kritisch: „Sind die Revolutionen im Nahen Osten schlecht für die Frauenrechte?“ Derartige Befürchtungen gründen sich auf Überlegungen, dass eine demokratische Öffnung islamistische Gruppierungen stärken und Frauenrechte schwächen könnte. (Coleman 2011)

Im Folgenden möchte ich einige historische und strukturelle Bestimmungsfaktoren skizzieren, die die Partizipation von Frauen an den Protesten befördert haben und Herausforderungen beleuchten, vor denen ägyptische Frauenrechtlerinnen stehen.

Von »Müttern« und »Vätern«

Wenig bekannt ist hierzulande, dass Frauenbewegungen in der arabischen Welt auf eine reiche eigene Tradition zurückblicken können. (Kreile 1997, S.236 ff.) Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts begannen privilegierte, gebildete Frauen ihre spezifische Situation öffentlich zur Sprache zu bringen, patriarchalische Strukturen infrage zu stellen, vorgegebene Grenzen zu überschreiten und kollektiv im öffentlichen Raum politische Forderungen zu erheben. Radikal und selbstbewusst schrieb die Dichterin Aischa at-Taimuriya 1909:

„Ich habe die Tradition und meine absurde Lage herausgefordert und bin hinausgegangen über das, was Zeit und Ort gestatten.“ (zit. nach Badran/Cooke 1992)

Im Rahmen der antikolonialen Bewegung zu Beginn der 1920er Jahre nahmen Frauen an Massenprotesten teil, organisierten Boykottaktionen und Streiks. Ähnlich wie in Befreiungskämpfen anderswo erkannten die Männer dieses Engagement angesichts der historischen Ausnahmesituation durchaus an. Für ihre Hingabe an die »nationale Sache« wurden die Aktivistinnen lauthals gepriesen. Als die (partielle) Unabhängigkeit erkämpft war und die Frauen politisch nicht mehr gebraucht wurden, änderte sich das Bild. Das ägyptische Wahlgesetz von 1923 garantierte nur den Männern das Wahlrecht.

Die Frauenrechtlerinnen fanden sich mit dem Ausschluss aus der formalen politischen Sphäre keineswegs ab. Bei der Rückkehr von einer internationalen Frauenkonferenz legte Huda Shaarawi, eine der »Mütter« der ägyptischen Frauenbewegung, 1932 auf dem Kairoer Bahnhof öffentlich ihren Gesichtsschleier ab. Mit dieser dramatischen Geste bekundete sie ihre Entschlossenheit, die Beschränkung der Frauen auf den häuslichen Bereich zu beenden. Kurz zuvor war unter Führung Shaarawis die Ägyptische Feministische Union gegründet worden. Sie forderte politische Rechte für Frauen, Veränderungen im Familienrecht (insbesondere bezüglich Scheidung und Polygamie), gleiche Bildungschancen, bessere Beschäftigungsmöglichkeiten, Arbeitsschutzregelungen sowie Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung.

Bereits 1935 kam es zu einer ideologischen Ausdifferenzierung der ägyptischen Frauenbewegung, die in der gesamten arabischen Welt fortdauert. Zainab al-Ghazali, bis heute leuchtendes Vorbild für viele islamistische Frauen, verließ die eher säkular orientierte Ägyptische Feministische Union, weil diese ihrer Meinung nach »westliche« Werte auf die ägyptischen Frauen übertragen wolle. Dem setzte sie die Forderung nach einer »kulturell authentischen« Befreiung der Frauen auf dem Boden »des Islam« entgegen. Ausgehend von dem orthodoxen islamischen Konzept, wonach Frauen und Männer von Gott wesensmäßig verschieden erschaffen worden seien und komplementäre Rollen auszufüllen hätten, betonte sie insbesondere die familiären Aufgaben der Frauen als Ehefrauen und Mütter.

Viele Forderungen der frühen Frauenbewegung wurden seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts »von oben« erfüllt. Die neuen an die Macht gelangten politischen Eliten machten sich daran, die Geschlechterverhältnisse im Interesse von nation building und Modernisierung zu transformieren und die familiären und religiösen Patriarchen zu schwächen. Die Loyalitäten der Menschen sollten umgelenkt werden auf den Staat. Indem der modernisierende Staat den Gemeinschaften die Kontrolle über »ihre Frauen« teilweise entzog, versuchte er, seine Hegemonie über die Gesellschaft durchzusetzen.

In verschiedenen Ländern der Region wurden Frauen nun massenhaft in den Arbeitsmarkt einbezogen. Sie erhielten mehr soziale und politische Rechte, in Ägypten unter Nasser zum Beispiel das Recht, außerhalb des Hauses zu arbeiten und an Wahlen teilzunehmen. In dieser Phase des ägyptischen »Staatsfeminismus« bekamen Frauen auch per Gesetz Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit; an Arbeitsplätzen mit vielen weiblichen Beschäftigten wurden Kinderbetreuungszentren eingerichtet. Frauen konnten wie Männer eine kostenlose Universitätsausbildung erhalten, mit einer staatlichen Arbeitsplatzgarantie nach dem Abschluss.

Die Reformen eröffneten vielen Frauen neue Rollen und Entfaltungsmöglichkeiten und machten sie ökonomisch unabhängiger von ihren Familien. Jedoch ließen auch die staatlichen Modernisierungseliten die familienrechtliche Unterordnung der Frauen unangetastet und verzichteten darauf, diese fest gefügte Bastion der familiären und religiösen Patriarchen zu attackieren. Dass die Frauenpolitik in der Ära des Staatsfeminismus wesentlich dazu diente, die Kontrolle des Staates über die Gesellschaft auf Kosten der familiären, lokalen und religiösen Gemeinschaften auszuweiten, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass autonome politische Initiativen von Frauen unterbunden wurden. So verbot Nasser in Ägypten, unmittelbar nachdem den Frauen 1956 das Wahlrecht gewährt worden war, sämtliche feministischen wie auch alle anderen autonomen Organisationen.

Neoliberale Wende, soziale Krise und Heiratskrise

Im Zuge von Ägyptens wirtschaftlicher Öffnung (infitah) seit Mitte der 1970er Jahre wurde der nasseristische Sozialvertrag zunehmend brüchig, der breiten Bevölkerungsschichten wohlfahrts- und beschäftigungspolitische Leistungen gewährt, aber im Gegenzug politischen Partizipationsverzicht und Loyalität eingefordert hatte. Unter dem Druck von neoliberaler Globalisierung und Strukturanpassung minimierten die Regime der Region ihr wohlfahrtsstaatliches Engagement. Die Kluft zwischen arm und reich stieg dramatisch und augenscheinlich. Im Jahr 2000 lebten 44% der ägyptischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von zwei Dollar am Tag. (Harders 2009) Besonders betroffen von sozialer Krisenentwicklung, Arbeitslosigkeit und Marginalisierung sind junge Frauen und Männer aus den unteren und mittleren Segmenten der modernen Mittelschichten, die sich um ihre Hoffnungen auf sozialen Aufstieg durch Bildung betrogen sehen. (Singerman 2007) Da zahlreiche junge Frauen über qualifizierte Bildungsabschlüsse verfügen, verschärft sich in der Krise die Konkurrenzangst unter den gebildeten Männern und macht sie anfällig für konservative und islamistische Geschlechterdiskurse, die die Frau vorrangig auf ihre häusliche Rolle festlegen wollen. „Zurück in die Küche!“ riefen zahlreiche Männer denjenigen Frauen zu, die in Kairo am Internationalen Frauentag 2011 für gleiche Rechte demonstrierten. (Sholkamy 2011)

Die Mehrzahl der 15-30-Jährigen in der Region verbringt lange Jahre in einem quälenden »Wartezustand«, perspektivlos und abhängig von der Familie. Ihr Zugang zu den Statusmerkmalen, die für die gesellschaftliche Anerkennung als Erwachsene konstitutiv sind, nämlich Beschäftigungsverhältnis, eigene Wohnung und Eheschließung, ist blockiert. Damit bleibt zahlreichen jungen Leuten auch die einzige sozialmoralisch akzeptierte Möglichkeit verwehrt, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen und eine eigene Familie zu gründen. (Singerman 2007)

Die heutige »Generation Facebook« erlebt den strukturellen Widerspruch zwischen den Glücksversprechen einer medial omnipräsenten globalisierten Konsumkultur und fehlenden realen Möglichkeiten, an den verheißenen Gütern teilzuhaben, besonders hautnah und schmerzlich. (Swedenburg 2007). Bayat sieht in den zornigen jungen gebildeten „middle class poor“, die heute die Massenproteste anführen, das „neue Proletariat des Vorderen Orients“. (Bayat 2011, S.53)

Von »Brüdern« und »Schwestern«

Die soziale Krisendynamik und den wohlfahrtspolitischen Rückzug des Staates beantworteten die islamistischen Bewegungen mit ihrem Versprechen einer »gerechten islamischen Ordnung« und dem gleichermaßen umfassenden wie plastischen und deutungsoffenen Krisenrezept „Der Islam ist die Lösung“. In Ägypten üben die Islamisten, angeführt von der historisch verwurzelten, relativ moderaten Muslimbruderschaft, heute die gesellschaftliche Hegemonie aus. Sie füllen mit ihren Wohltätigkeitsorganisationen das wohlfahrtsstaatliche Vakuum, das im Zuge der neoliberalen Wende entstanden ist, und haben klassenübergreifend eine breite Massenbasis gewonnen, nicht zuletzt auch unter Frauen. (Naguib 2009)

Wenngleich die weiblichen Mitglieder der Muslimbruderschaft eine zentrale Rolle bei den sozialen Aktivitäten der Organisation und bei der politischen Mobilisierung spielen, sind sie im 17-köpfigen Leitungsgremium nicht vertreten. (Tadros 2011) Es dominiert die Vorstellung, dass Frauen der »Sache« am besten in ihren spezifischen Rollen als Mütter und Ehefrauen dienen könnten und nicht als politische Akteurinnen. Zwar gibt es unter den Aktivistinnen und unter der jüngeren urbanen Generation der »Brüder« reformorientierte Kräfte, die den Einfluss der »Schwestern« in den politischen Strukturen und Aktivitäten zu stärken suchen, aber sie stoßen auf „entschlossenen Widerstand. […] Es scheint, dass die Mehrheit beider Geschlechter an der Basis eine sehr konservative Sicht von der Rolle von Frauen in der öffentlichen Sphäre hat.“ (Abdel-Latif 2008, 14)

Strategien und Perspektiven

Frauen in Ägypten wie in der gesamten arabischen Welt stehen in alltäglichen sozialen und politischen Kämpfen seit langem an vorderster Front, unverschleiert, im hijab oder auch mit niqab.2 So spielten Arbeiterinnen beispielsweise 2006 und 2007 eine führende Rolle bei Streiks in der Textilindustrie. (Beinin 2009) Auch in den Armenvierteln Kairos oder den Dörfern Oberägyptens nehmen Frauen selbstbewusst ihre Rechte wahr und praktizieren einen „organischen Feminismus“ des Alltags. (Abu-Lughod 2010)

Im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung öffneten sich für einige hoch qualifizierte, professionalisierte Frauen neue formelle Beschäftigungsmöglichkeiten und Potenziale für mehr Autonomie und Selbstverwirklichung. Die meisten Frauen, die einer außerhäuslichen Arbeit im formellen oder informellen Sektor nachgehen, tun dies allerdings aufgrund bitterer Notwendigkeit. Sie müssen für ihre Familien und sich ums alltägliche Überleben kämpfen. Dabei sind sie auf die sozialen Netzwerke von Familie, Nachbarschaft, Viertel und Glaubensgemeinschaft existenziell angewiesen. (Harders 2009)

Die unterschiedlichen sozialen Zugehörigkeiten prägen weithin unterschiedliche Strategien und ideologische Orientierungen in der Frauenbewegung. Auf der einen Seite stehen Aktivistinnen, die sich nachdrücklich für die Rechte der Frauen als Individuen engagieren. Auf der anderen Seite artikulieren sich Frauenrechtlerinnen, die bestrebt sind, Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Gemeinschaften auszuweiten. Auf deren Rückhalt können und wollen ärmere Frauen kaum verzichten; somit müssen sie sich mit den dort geltenden patriarchalen Verhaltensnormen arrangieren, die sie allerdings fortlaufend mit verhandeln. (Joseph 2000)

Dass in Ägypten nur eine kleine Minderheit von Frauen eine Gleichstellung im privaten Bereich und im Familienrecht einfordert und die Mehrheit die »Vormundschaft« des Mannes akzeptiert, mag diese Dynamik spiegeln. Dabei zeigt das Beispiel Marokkos, wo mittlerweile ein Drittel der Erwerbstätigen Frauen sind, dass auch in islamisch geprägten Gesellschaften das patriarchale Familienrecht nicht unantastbar ist. Seit einer grundlegenden Reform 2003 sind Ehegatten dort gleichberechtigt; die bisherige Pflicht der Frau, dem Mann zu gehorchen, wurde abgeschafft. (Sabra 2004)

Perspektivisch dürfte der politische Einfluss der ägyptischen Frauenrechtlerinnen, die sich für Gleichstellung engagieren, nicht zuletzt davon abhängen, wie weit es ihnen gelingt, Antworten auf die brennende soziale Frage zu finden und Forderungen nach individuellen Freiheitsrechten und nach sozialen Rechten zu verknüpfen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Bei einer Konferenz über die rechtlichen Stellung von Frauen, die vor einigen Jahren in Minya stattfand, wurde über die UN-Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen diskutiert. Während der Debatte erhob sich eine junge Frau mit ihrem Baby auf der Hüfte und bemerkte, dass die Konvention und die einschlägigen Diskussionen den Frauen in Oberägypten wenig Hilfe in ihren alltäglichen Kämpfen böten. „Ich bin hierher gekommen, um praktische Lösungen zu finden“. (Masonis El-Ghawary 2000)

Literatur

Omayma Abdel-Latif: In the Shadow of the Brothers. The Women of the Egyptian Muslim Brotherhood. Carnegie Endowment for International Peace, Carnegie Middle East Center, Carnegie Papers Number 13, October 2008.

Lila Abu-Lughod.: The Active Social Life of »Muslim Women’s Rights«: A Plea for Ethnography, Not Polemic, with Cases from Egypt and Palestine. In: Journal of Middle East Women‘s Studies, Volume 6, Number 1, Winter 2010.

Margot Badran: Ägyptens Revolution als Gender-Revolution. In: Inkota-Brief Nr. 155, März 2011.

Margot Badran, Miriam Cooke (1992): Lesebuch der »neuen Frau«. Araberinnen über sich selbst. Reinbek b. Hamburg:Rowohlt.

Asef Bayat: A new Arab street in post-Islamist times. In: Foreign Policy, The Middle East Channel, 26. 01. 2011.

Joel Beinin (2009): Workers’ struggles under »socialism« and neoliberalism. In: Rabab El-Mahdi/Philip Marfleet (eds.) (2009): Egypt. The Moment of Change. London/ New York: Zed Books.

Isobel Coleman: Are the Mideast revolutions bad for women’s rights? In: Washington Post vom 20.02.2011.

Cilja Harders (2009): Politik von unten – Transformation jenseits politischer Eliten. In: Martin Beck/Cilja Harders/Annette Jünemann/Stephan Stetter (Hrsg.) (2009): Der Nahe Osten im Umbruch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Suad Joseph (2000): Gendering Citizenship in the Middle East. In: dies. (Hrsg.) (2000): Gender and Citizenship in the Middle East. New York: Syracuse University Press.

Deniz Kandiyoti: Promise and peril: women and the »Arab spring«. opendemocracy.net, 8 March 2011.

Renate Kreile (1997): Politische Herrschaft, Geschlechterpolitik und Frauenmacht im Vorderen Orient. Pfaffenweiler: Centaurus.

Renate Kreile (2009): Transformation und Gender im Nahen Osten. In: Martin Beck/Cilja Harders/Annette Jünemann/Stephan Stetter (Hrsg.) (2009): Der Nahe Osten im Umbruch, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Krista Masonis El-Ghawary: Egyptian Advocacy NGOs. Catalysts for Social and Political Change. In: The Middle East Report No. 214, Spring 2000.

Sameh Naguib (2009): Islamism(s) old and new. In: Rabab El-Mahdi/Philip Marfleet (eds.) (2009): Egypt. The Moment of Change. London/New York: Zed Books.

Hania Sholkamy: From Tahrir square to my kitchen. opendemocracy.net, 14.03.2011.

Martina Sabra: Frauenrechte von Königs Gnaden. In: E+Z – Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit, 2-2004.

Diane Singerman: The Economic Imperatives of Marriage. Emerging Practices and Identities Among Youth in the Middle East .Middle East Youth Initiative Working Paper, Number 6, September 2007.

Ted Swedenburg: Imagined Youths. In: Middle East Report 245, Winter 2007.

Mariz Tadros: The Muslim Brotherhood’s Gender Agenda: Reformed or Reframed? In: Institute of Development Studies, IDS Bulletin Vol. 42, Number 1, January 2011.

Anmerkungen

1) Die Überschrift dieses Artikels entstammt Abdel-Latif (2008).

2) Verschleierung, die nur die Augen frei lässt.

Renate Kreile ist Professorin für Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Ihre Habilitationsschrift von 1996 an der Universität Tübingen trug den Titel »Politische Herrschaft, Geschlechterpolitik und Frauenmacht im Vorderen Orient«.

Genderperspektiven in der Friedensforschung

Genderperspektiven in der Friedensforschung

Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen der AFK,
6.-7. April 2011, Schwerte

von Rita Schäfer

Am 6. und 7. April 2011 kamen auf Einladung des Netzwerkes Friedensforscherinnen der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) über vierzig zumeist junge Wissenschaftlerinnen in Schwerte zusammen, um aktuelle Forschungsergebnisse zu diskutieren. Ziel war es, neue empirische oder theoretische Studien vorzustellen und feministische sowie gender-sensible Forschungsansätze abzuwägen. Ausgangspunkt der Überlegungen war die These der Veranstalterinnen, insbesondere der AFK-Frauenbeauftragten Bettina Engels und Sara Clasen, dass Frauen- und Gender-Themen zwar allmählich in der deutschen Friedens- und Konfliktforschung Einzug halten, die Auseinandersetzung sich aber meist auf empirische Untersuchungen beschränkt und es kaum Rückbezüge zur theoriegeleiteten Forschung gibt. Um so mehr galt es nun, theoretische, konzeptionelle und methodische Reflexionen sowie empirische Befunde in vergleichender Perspektive zu erörtern, um differenzierte Auseinandersetzungen innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung voranzutreiben.

Nach einem ernüchternden Einführungsreferat von Ramona Schürmann, Technische Universität Dortmund, über berufliche Perspektiven von Wissenschaftlerinnen, das vor allem den beschleunigten Prozess des Stellenabbaus und der Entfristung von Arbeitsverträgen problematisierte, fokussierte der erste Themenblock auf den so genannten »Embedded Feminism« und die diskursive Legitimation von Gewalt. Andrea Nachtigall von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und Torsten Bewernitz, Universität Münster, präsentierten wesentliche Ergebnisse ihrer Dissertationen. Konkret illustrierten sie mediale Gender-Zuschreibungen in der Berichterstattung über den Kosovo-Konflikt bzw. den Afghanistan-Krieg. Gerade durch die gelungene Bildauswahl, die politische Einordnung und den Vergleich der Darstellungen gelang es diesen Referenten eindrücklich, grundlegende Strukturen sowie länder- und zeitspezifische Besonderheiten herauszuarbeiten. Sie zeigten auf, wie meinungsbildende Massenmedien politische Forderungen zur Verwirklichung von Frauenrechten instrumentalisierten und damit die Wahrnehmung zum Zweck der Legitimierung militärischer Interventionen manipulierten. Für die Lebensrealität der Frauen vor Ort interessierte sich hingegen kaum ein Journalist oder Politiker. In der anschließenden Diskussion wurde erörtert, wie die Friedens- und Konfliktforschung solchen Verzerrungen und Vereinnahmungen gegensteuern kann.

Auch Claudia Brunner, Universität Klagenfurt, stellte anhand einer anschaulichen Bildauswahl und treffend ausgewählten, aussagestarken Zitaten zentrale Erkenntnisse ihrer Dissertation vor. Unter dem provokanten Titel »Wenn die Terrorismusforschung zum Feminismus konvertiert« bot sie eine überzeugende Analyse der Gender-Stereotypen in der vorrangig von US-amerikanischen Wissenschaftlern dominierten Terrorismusforschung. Sie konzentrierte sich auf Studien über Selbstmordattentate und kritisierte die plakative Sexualisierung der Täterinnen und Täter sowie die kontextlose Kulturalisierung ihres Handelns. Unter Bezug auf feministische Ansätze zur Analyse politischer Gewalt verurteilte sie die Instrumentalisierung frauenrechtlicher Forderungen durch staatliche Entscheidungsträger im Spannungsfeld von innerer und äußerer Sicherheit.

Ronja Eberle, Doktorandin der Gender-Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin, skizzierte zentrale Thesen ihres Promotionsprojektes. Darin geht es um öffentliche Debatten über das Anti-Pornographiegesetz in Indonesien. Sie ordnete dieses in die aktuelle politische Situation, konkret in den verstärkten Nationalismus, ein und stellte Rückbezüge zur jahrzehntelangen Militärherrschaft her. Deutlich wurde, dass es für die Friedens- und Konfliktforschung erkenntnisreich sein kann, die Militarisierung von Gesellschaften und deren mittel- und langfristigen Folgen stärker in den Blick zu nehmen. In der anschließenden Diskussion ging es um die Bedeutung von Diskursanalysen für die Friedens- und Konfliktforschung. Herausgearbeitet wurden die nationalistische Funktionalisierung von Gender-Diskursen und die Deutungsmacht von Medien im Dienste politischer Entscheidungsträger. Gleichzeitig wurde die Notwendigkeit unterstrichen, solche Akteure und Institutionen sowie deren Ideologien genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ein zweiter Themenblock widmete sich konzeptionellen und methodischen Forschungsfragen. Hier stellte Ruth Streicher, Doktorandin am Graduiertenkolleg für islamische Gesellschaften der Freien Universität Berlin, methodische Reflexionen über ihre gerade durchgeführte Feldforschung im Süden Thailands vor. Sie eröffnete Einblicke in die Machtdynamiken einer Konfliktregion, in die sie persönlich verstrickt wurde, und erläuterte, wie sie sich in konkreten Situationen dazu positionierte. Aufschlussreich waren ihre Überlegungen zu verschiedenen intersektionalen Identitätskategorien, zumal sie keineswegs nur als junge Forscherin wahrgenommen wurde, sondern von den unterschiedlichen Konfliktparteien auch mit religiösen Zuweisungen versehen wurde. Streicher betonte, dass eine geschlechterpolitische Ethnographie mit einem hohen Maß an Selbstreflexion Gewaltanalysen konzeptionell vertiefen kann.

Bettina Engels und Corinne Gayer, beide Doktorandinnen am Institut für Politikwissenschaften der FU Berlin, boten den Einstieg in eine Grundsatzdebatte über die Frage, wie feministisch die gender-sensible Friedensforschung sein soll. Sie zeigten das Strukturproblem auf, wo Forschungsbeiträge im Spannungsfeld zwischen Empirie und Theorie, zwischen Wissenschaft und Praxis zu verorten seien, zumal die Mainstream-Forschung faktisch immer noch reserviert ist gegenüber Gender-Studien bzw. feministischen Ansätzen. Wichtig sei es, Lagerbildungen zu vermeiden und den Dialog mit der Mainstream-Forschung zu suchen, ohne jedoch zur Verfestigung von Machtverhältnissen beizutragen. Gleichzeitig sind Gender-Forscher und -Forscherinnen, insbesondere diejenigen mit einem feministischen Selbstverständnis, mit dem Paradox konfrontiert, emanzipatorische Ansprüche verwirklichen zu wollen, ohne polarisierte Geschlechterzuschreibungen zu reproduzieren oder gar zu verstärken.

In der anschließenden Diskussion plädierten etliche Wissenschaftlerinnen dafür, eine herrschaftskritische Position beizubehalten und Gender als politischen Begriff zu nutzen, zumal Gender-Zuschreibungen als gesellschaftliche Konstrukte zu erfassen seien. Aus diesem Verständnis heraus könnten auch feministische Forschungen von empirischen und praxisorientierten Gender-Studien profitieren, wobei kritische Selbstreflexionen für feministische Forscherinnen ebenfalls notwendig und sinnvoll seien. Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, wie die Theorieentwicklung vorangetrieben werden kann, zumal sie ein großes Desiderat auch hinsichtlich der mangelnden fachlichen Wertschätzung ist. Abschließend wurde die universitäre Verortung einer gender-kritischen oder feministischen Friedens- und Konfliktforschung problematisiert, wobei die unzureichende Beachtung dieser Themen in der Lehre kritisiert und eine systematischere Institutionalisierung im Lehrbetrieb gefordert wurde.

Insgesamt bot dieser Workshop wichtige Impulse für weitere Forschungen und den fachlichen Dialog. Wünschenswert wäre es, wenn bei kommenden Gender-Veranstaltungen noch mehr männliche Wissenschaftler, insbesondere Vertreter der Mainstream-Forschung, daran partizipieren würden.

Weitere Informationen und Mailingliste u.a. mit Konferenzhinweisen und Stellenausschreibungen: afk-web.de/netzwerk-friedensforscherinnen.

Rita Schäfer