Gender, Flüchtlinge und bewaffnete Konflikte

Gender, Flüchtlinge und bewaffnete Konflikte

von Annelise Ebbe

Bilder von Menschen, die in überfüllten Booten das Mittelmeer passieren und dabei ihr Leben riskieren, zeigen uns vorwiegend Männer, die auf der Flucht sind oder zur Migration getrieben werden. Die Vorstellung, dass Migration ein männliches Phänomen ist, täuscht allerdings.

Während Armeen zu 90% aus männlichen Soldaten bestehen, sind es in Flüchtlingslagern die Frauen, die 80% der Erwachsenen stellen. Diese Beobachtung ist für die folgende, genderwissenschaftliche Betrachtung der Flüchtlingsthematik grundlegend, da sie Aufschluss auf die Rollenverteilung in der heutigen Welt gibt. Eigenschaften wie Stärke und Ehre gelten als typisch für Männer und werden mit Gewalt und Dominanz in Zusammenhang gebracht. Demgegenüber werden Eigenschaften wie Sanftheit oder Fürsorglichkeit generell Frauen zugedacht und gelten als Zeichen der Schwäche und Unterwerfung. Die Geschlechterforschung über bewaffnete Konflikte hebt insbesondere die Unterschiede zwischen Frauen und Männern hinsichtlich ihrer Verhaltensweisen und Bedürfnisse sowie ihres Zugangs zu Ressourcen und Entscheidungsprozessen in Post-Konfliktsituationen hervor.

Infolge von bewaffneten Konflikten steigt der Anteil der von Frauen geführten Haushalte. Wenn ihre Männer einberufen, verhaftet oder im Krieg verschleppt werden, müssen die Frauen die Verantwortung für Kinder und Angehörige übernehmen. Sie sind dann zugleich Familienoberhaupt und Ernährerin, sorgen für Haushalt und Lebensunterhalt und übernehmen Aktivitäten außerhalb des Hauses. Da sie ohne ihre Männer größeren Gefahren ausgesetzt sind, veranlasst sie die prekäre Sicherheitslage häufig zur Flucht. Daher stellen sie 80% der weltweiten Flüchtlingszahlen.

Flüchtlinge in Tuzla

1995 besuchte ich ein Flüchtlingslager in Tuzla, einer Stadt im Osten Bosnien-Herzegowinas, wo sich vor allem Flüchtlinge aus Srebrenica aufhielten. Da der Großteil der männlichen Bevölkerung Srebrenicas dem Massaker der Serben zum Opfer gefallen war, befanden sich in dem Flüchtlingslager hauptsächlich Frauen. Durch die Gespräche mit ihnen bekam ich erstmals eine Vorstellung davon, was es bedeutete, auf der Flucht zu sein. Sie alle hatten ihr Hab und Gut verloren, ihre Ehemänner und Söhne, ihre Existenzgrundlage und ihre Heimat. Ihre Not schien mir endlos. Eine Frau aber sorgte sich um ein Problem, das keine der anderen erwähnt hatte: Sie beklagte, dass sie sich nun einen neuen Zahnarzt suchen müsse. Es war nicht so, als ob ein neuer Zahnarzt irgendeine Bedeutung für sie gehabt hätte. Doch später wurde mir klar, dass in diesem Moment ihr ganzes Trauma zur Sprache kam. Verglichen mit dem Verlust ihres Ehemanns, ihres Sohns, ihres Hauses und ihrer Existenzgrundlage war der Wechsel des Zahnarzt nichts dagegen. Dennoch musste sie ihn hinzufügen, denn alles andere war für sie unfassbar, erdrückend und in höchstem Maße traumatisierend. Sie konnte ihre Not nicht wirklich begreifen, doch um sie mir gegenüber zu kommunizieren, musste sie von Dingen erzählen, die nichts mit ihren traumatisierenden Erfahrungen zu tun hatten. Diese Begegnung hinterließ einen tiefen Eindruck auf mich.

Den Frauen von Srebrenica boten sich in Tuzla nur sehr wenige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele von ihnen fertigten Stickarbeiten, doch diese Arbeit verlieh ihnen vielmehr ein Gefühl der Nutzlosigkeit, da sie von dem, was sie produzierten, unmöglich leben konnten. Lediglich Besucher aus dem Ausland, die die multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Stadt Tuzla besuchten, nahmen ihre Produkte ab; andere Absatzmöglichkeiten gab es nicht.

Die Männer, die den Krieg überlebt hatten und nach Tuzla zurückkehrten, fanden nun eine von Frauen dominierte Stadt vor. Infrastruktur, Schulen und andere öffentliche Bereiche – vormals Domänen der Männer – wurden im Laufe des Krieges von Frauen übernommen. Viele der zurückgekehrten, traumatisierten Männer konnten sich in dieser »neuen«, von Frauen bestimmten Gesellschaft nicht mehr zurechtfinden. Hinzu kam, dass jetzt die US-Soldaten das Kommando von der NordBat Truppe übernahmen. Während die skandinavische NordBat Truppe bislang ohne Waffen in den Straßen patrouilliert hatte, waren die US-Soldaten niemals unbewaffnet. Dadurch wurde die Situation für Frauen – sowohl für die lokal ansässigen Frauen, als auch für die Flüchtlingsfrauen aus Srebrenica – extrem gefährlich. Der Grad an Gewalt in der Gesellschaft als solche sowie konkret die Gewalt gegen Frauen nahm extreme Ausmaße an.

Vertreibung, soziale Exklusion und Armut

Die Erfahrungen aus Tuzla zeigen, dass Flüchtlingsfrauen unverhältnismäßig benachteiligt werden. Dies gilt für ihre begrenzten Möglichkeiten, die Verantwortung für ihre Familien zu erfüllen, sowie für das gewachsene Maß an körperlicher und emotionaler Gewalt, dem sie ausgesetzt werden.

Flucht und Vertreibung implizieren soziale Exklusion und Armut. Wenn Probleme wie Lebensmittelknappheit oder die ungleiche Verteilung von Hilfsmitteln in Zeiten bewaffneter Konflikte verstärkt werden, sind Frauen und Mädchen in besonderem Maße von Unterernährung betroffen. Dies gilt vor allem für Schwangere und für stillende Mütter und muss beachtet werden, wenn Flüchtlingslager mit nationalen oder internationalen Hilfspaketen versorgt werden.

Mit dem Verlust ihrer Heimat verlieren viele Frauen auch ihr zu Hause als den traditionellen Ort ihrer Autorität und Privatsphäre. Dies bekommen sie besonders dann zu spüren, wenn sie sich in der öffentlichen Sphäre nicht ungezwungen bewegen können. Die fehlende Privatsphäre führt bei Vielen zu Gefühlen der Verzweiflung, die die äußeren Unannehmlichkeiten weit überwiegen. Nicht nur die eigenen Belange erfüllen sie mit Sorge, sondern vor allem diejenigen ihrer Kinder und ihrer weiteren Angehörigen.

Das UNHCR und geschlechtsspezifische Rechtsansprüche

In einem Diskussionspapier über „Richtlinien zur geschlechtsspezifischen Verfolgung“ des UNHCR wird konstatiert: „Die gewaltsame oder trügerische Rekrutierung von Frauen oder Minderjährigen zum Zwecke der Zwangsprostitution ist eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt. Frauen, die davor flüchten, müssen mit ernsthaften Konsequenzen rechnen, wie mit Vergeltungsschlägen von Schlepperbanden oder mit schweren Diskriminierungen. In einzelnen Fällen können daher Menschen, die Opfer des illegalen Handels zum Zweck der Zwangsprostitution wurden, Anspruch auf den Flüchtlingsstatus erheben, wenn ihr Heimatland nicht willens oder nicht fähig war, sie vor solchem Unrecht zu schützen.“ (UNHCR, Diskussionspaper 1/ 2005).

Frauenhandel

Bei einem Workshop in Serbien im Jahr 2004 zum Thema »Frauenhandel« stellte sich heraus, dass sowohl die jungen binnenvertriebenen Frauen, als auch die jungen serbischen Frauen vor Ort massiv von Schlepperbanden bedroht waren. Diese warben in Zeitungen um Frauen, die bei der „Betreuung von Kindern im Ausland“ etc. mithelfen sollten. In Wahrheit erwiesen sich die meisten dieser Anzeigen als Vorwand, um mit Frauen in Kontakt zu kommen, die dann zu Zwecken der Zwangsprostitution verschleppt wurden.

Wenn es kaum Zukunftsperspektiven gibt, was für viele junge Frauen – und vor allem für die binnenvertriebenen Frauen – in Serbien gilt, ist das Risiko, an eine Schlepperbande zu geraten, extrem hoch. Ich begegnete Frauen, die in ganz Serbien Workshops für Schulmädchen veranstalteten, um vor den Praktiken solcher Banden zu warnen.

Flüchtlingsfrauen und reproduktive Gesundheit

Diverse Studien zeigen, dass Frauen, die Vertreibung und Exil erfahren, verschiedenen gesundheitlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Das größte Problem stellt der Kontrollverlust über den eigenen Körper dar. Der Mangel an Nahrung wirkt sich beispielsweise auf Frauen und Männer unterschiedlich aus. Frauen sind besonders von dem Mangel an Eisen, Kalzium, Jod und Vitamin C betroffen. Gerade der Eisenmangel kann für schwangere Frauen lebensbedrohlich sein. In der Schwangerschaft oder in der Stillzeit können unterernährte Frauen ihre Kinder nur unzureichend mit Nährstoffen versorgen und damit ihr Überleben kaum sichern. Hilfslieferungen müssen daher vor allem die Bedürfnisse dieser speziell gefährdeten Gruppen berücksichtigen. Allerdings hilft das bloße Bereitstellen der am meisten benötigten Nahrungsmittel nicht, das Problem der Unterernährung an sich zu lösen. In vielen Gemeinschaften ist es üblich, die Männer als erstes zu versorgen, was wiederum bedeutet, dass die Frauen und Kinder am meisten leiden, sobald die Vorräte knapp werden. Wenn Nahrung zu einer stark begrenzten Ressource wird, entsteht ein Wettbewerb um den Zugang und um die Kontrolle von Nahrungsmitteln, bei dem die Frauen in der Regel verlieren.

Der Zusammenhang zwischen Flüchtlingen, Maskulinität und Krieg

Es gilt, die Beziehung zwischen Männern, Patriarchat und Krieg ebenso zu untersuchen wie das Verhältnis zwischen Frauen und Frieden. Männer und Frauen erleben den Krieg sehr unterschiedlich, von Phasen des Konflikts bis hin zu Phasen des Friedens und diversen Übergangsphasen. Frauen sind dabei einem weit höheren Risiko ausgesetzt, zur Flucht getrieben zu werden, wohingegen Männer wesentlich mehr gefährdet sind, einberufen zu werden und im Krieg umzukommen. Der bereits erwähnte Prozentsatz der Männer (90) in Armeen muss im Vergleich zum Anteil der Frauen (80) in Flüchtlingslagern näher analysiert werden. Wenn die Eigenschaften, die traditionell Männern zugeordnet werden, tatsächlich Stärke und Ehre sein sollen, und die Merkmale, die Frauen zugeordnet werden, Zartheit und Fürsorge sein sollen – was im Kontext von Flüchtlingsfrauen von höchster Bedeutung ist -, zeichnet sich am Ende auf beiden Seiten ein unvollständiges Bild des Menschen ab.

Das Patriachat ist nicht nur von hierarchischen, pyramidenförmigen Machtstrukturen gekennzeichnet, sondern auch von aggressiven Rollenkonzeptionen. Patriachale Strukturen implizieren neben der Bevorzugung von Männern bzw. von klassischen, männlichen Verhaltensmustern auch eine Kultur des Krieges. Männer nehmen diese patriachale Kultur des Krieges von frühester Kindheit an. Auch wenn die meisten ihre Spielzeugwaffe oder auch jede andere Waffe später wieder ablegen, bleibt die patriarchale Gewalt in ihrem Inneren weiterhin bestehen.

Es ist unsere Pflicht und Verantwortung als Frauen- und/oder Feministinnen, die für eine Kultur des Friedens eintreten, über diese Problematik zu sprechen, sich der Strukturen bewusst zu werden und gegen sie anzugehen. Wir müssen die Frauen, Mädchen, Männern und Jungen in unserer Umgebung lehren, dass wir eine bessere Welt erschaffen können, gemeinsam, ohne eine Kultur des Krieges. Wenn wir nach einer sicheren Welt streben, brauchen wir Frauen wie Männer, die als gleichberechtigte Partner die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit übernehmen. Das Wissen über Geschlechterrollen kann dazu beitragen, Frieden zu erreichen.

Literatur

Ebbe, Annelise (2005): Women, Non-Violence and a Patriarchal Culture of War, in: International Peace Update 70 (2005) 2.

UN ESCWA Centre for Women (2006): ESCWA Newsletter, Vol. 1, Issue 1.

UNHCR (2005): The UN Refugee Agency, Discussion Paper 1 (2005).

United Nations Security Council (2006): Resolution 1674 on Protection of Civilians in Armed Conflicts.

Walker, Bridget (1995): The question on gender, RPN 20, Oxfam.

Women's International League for Peace and Freedom (2008): International Women's Day Disarmament Seminar. Statement and Report.

Annelise Ebbe, M.A., ist Präsidentin der Internationalen Frauenliga für den Frieden (WILPF) und lebt in Kopenhagen. Im Jahr 2005 wurde sie als eine der »1000 Frauen für den Frieden« für den Friedensnobelpreis nominiert. Übersetzung: Editha von Colberg

Militär und Geschlechterverhältnis

Militär und Geschlechterverhältnis

Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung

von Marianne Zepp

Im Herbst 1998 veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung einen Kongress mit dem Titel »Militär und Geschlechterverhältnis« (16. bis 18. Oktober in Berlin). Er war die gemeinsame Arbeit einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die sich die Aufgabe gestellt hatte, die Verschränkung von Militär, militaristischen Strukturen und dem Geschlechterverhältnis zu thematisieren. Diese Arbeitsgruppe, bestehend aus 8 Wissenschaftlerinnen – Soziologinnen, Historikerinnen, Journalistinnen und Politologinnen – hatte sich zum Ziel gesetzt, neben der Genese militärischer Strukturen und Gewalt, die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit in diesem Prozess zu erörtern, aber auch aktuelle Erfahrungen in Kriegs- und Krisengebieten wie Ex-Jugoslawien unter geschlechterspezifischer Perspektive vorzustellen. Gewalt gegen Frauen, die Rolle von Hilfsorganisationen sowie die juristischen Folgen und deren Bearbeitung waren Teil des Veranstaltungsprogramms.
Im Folgenden sollen einige der wichtigsten Beiträge kurz referiert und ein Einblick in die wichtigsten Debatten gegeben werden.

Zum Auftakt des Kongresses gab Monika Hauser als Initiatorin und Organisatorin von medica mondiale einen Bericht über ihr Projekt, ein Zentrum für vergewaltigte und schwer traumatisierte Frauen in Bosnien. Sie erläuterte darin die äußeren Bedingungen, unter denen sie im ersten Kriegsverlauf in Zenica 1992 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Ihr Ausgangspunkt waren die spezifischen Erfahrungen und Traumatisierungen von Frauen in diesem Krieg. Unter Kriegsbedingungen gelang es ihr mit den bosnischen Frauen vor Ort, im April 1993 ein ganzheitliches Frauentherapiezentrum ins Leben zu rufen. Das gewährleistete auf Dauer neben der gynäkologischen Behandlung auch eine kontinuierliche psychosomatische Betreuung und garantierte neben der direkten ambulanten Hilfe eine langfristige Zusammenarbeit.

Vorausgegangen war die klare Entscheidung für einen frauenzentrierten Ansatz, die gezielte Hilfeleistung für vergewaltige Frauen. Hatten die Massenvergewaltigungen der Frauen in Bosnien zum ersten Mal international Medieninteresse geweckt, so wurde hier mit den Frauen selbst ein den äußeren und mentalen Bedingungen angepasstes Hilfsangebot entwickelt, das dem voyeuristischen Interesse an den Opfern etwas entgegensetzte.

Die Schwierigkeit, in einer vom Krieg zerstörten multitraumatisierten Gesellschaft einen Übergang in eine befriedete und zivilisierte Gesellschaft zu finden, war u.a. Gegenstand der Debatte während des Kongresses. Dazu gehört neben dem Zeuginnenschutz bei den Haager Kriegsverbrechenprozessen ebenso die Durchsetzung von elementaren Frauenrechten in der sich organisierenden Nachkriegsgesellschaft. Die Skandalisierung von Vergewaltigungen unter Kriegsbedingungen, nicht zuletzt wie im Falle medica mondiale durch Intervention von außen, thematisiere Gewalt gegen Frauen, die nach Beendigung der Kriegshandlungen nicht vergessen sei. Die Angriffe gegen die Schutz suchenden Frauen („Man muss sich nur vergewaltigen lassen, dann bekommt man Unterkunft und Essen“) verschärften den Geschlechterkonflikt und lösten unter Nichtkriegsbedingungen verstärkte (Re-)Tabuisierungen von geschlechtlicher Gewalt, nicht zuletzt im häuslichen Bereich, aus. Die Frage, wann eine Gesellschaft vom Kriegszustand in einen befriedeten Nachkriegszustand übergeleitet ist, sollte auch an dem Ausmaß der Rechte von Frauen gemessen werden, wie überhaupt bei der (Re-)Organisation von Nachkriegsgesellschaften und der Frage nach den Maßstäben der Zivilität einer Gesellschaft die Organisation des Geschlechterverhältnisses ein entscheidendes Indiz sein sollte.

Astrid Albrecht-Heide, Politologin und ausgewiesene Friedensforscherin stellte ihren Beitrag in den Zusammenhang einer kritischen Militärforschung in der Bundesrepublik. Sie verwies zu Recht auf die begrenzten Zugänge zu Informationen über innermilitärische Strukturen und Einrichtungen und bezeichnete sie als „herrschaftlich gemacht“. Sie wertete diese Tatsache als demokratisches Defizit, das nicht unerhebliche Folgen für den Forschungsgegenstand wie für Verifizierungen bestimmter Hypothesen habe, im Gegensatz zu amerikanischen Zugangsmöglichkeiten durch den Freedom of Information Act. Dies sei nur ein Indiz für den Zustand einer kritischen Friedens- und Konfliktforschung und deren Bedingungen in der deutschen Forschungslandschaft und in der politischen Entwicklung der letzten Jahre. Darüber hinaus konstatierte sie eine zunehmende Militarisierung der deutschen Gesellschaft, die verschiedene Ausgrenzungs- und Ausschlussmechanismen produziere. Diese Ausschlussmechanismen begründeten sich durch rassistische und nationalistische Feindbilder sowie ein sich polarisierendes Geschlechterverhältnis.

Damit einher ging ihres Erachtens die Umwandlung der deutschen Armee nach der Wende von einer Verteidigungs- in eine Interventionsarmee. Das zunehmende Aggressionspotential drücke sich auch in der bei der deutsch-deutschen Vereinigung benutzten Geschlechteranalogie aus, bei der einer selbstermächtigten Bundesrepublik als siegreichem Bräutigam die unterworfene, entmächtigte DDR zugeordnet werde.

Als Indizien für diese als »Normalisierungsstrategien« benannten Entwicklungen wurden u.a. die Präsenz des Militärischen im öffentlichen Raum, z.B. als Gelöbnisfeiern u.ä., angeführt. Die Referentin verknüpfte die von ihr beschriebenen Militarisierungsstrategien sowie die sich ihrer Meinung nach verstärkenden Rassismen und Nationalismen mit einem funktional und ideologisch hierarchisch angeordneten Geschlechterverhältnis. Dabei hätten innermilitärische Unterwerfungs- und Dominanzmechanismen eher noch die Funktion einer Dramatisierung bzw. Radikalisierung des Geschlechterdualismus. Beispiele seien hier die schon mehrmals beschriebenen Simplifizierungen und Brutalisierungen des Verhältnisses von Soldaten gegenüber Frauen, verbunden mit (legitimierter) Gewaltausübung.

Zugleich erlebten wir eine erneutes Aufleben der Debatte um die Aufnahme von Frauen in die Bundeswehr. Dies beschrieb die Referentin als den Regelmechanismus für die Teilhabe der Frauen an der Beute, ein sehr zwiespältiges und im Grunde sehr eingeschränktes und statisches Bild von weiblichen Handlungsmöglichkeiten.

Albrecht-Heides aktuelle Zustandsbeschreibung ging von der Re-Nationalisierung nach der »Wende« aus. Sie beschrieb diese als eine teilweise Wiederbelebung alter Ideologismen einer neuen deutschen nationalen Identität und vertrat die These, dass nicht nur das Geschlechterverhältnis dramatisiert werde, sondern es zu einer Radikalisierung eines spezifisch deutschen Ethnozentrismus komme. Dieser gehe Hand in Hand mit der oben schon zitierten zunehmenden Militarisierung des öffentlichen Raumes. Zusammen seien diese die Inszenierungen einer neuen nationalen Identitätsbehauptung, die einhergingen mit einer »Oberflächenhomogenisierung« und mit den schon zitierten ethnischen und rassistischen Feindbildern unterlegt seien. Belege hierfür seien die rassistischen Zwischenfälle bei der Bundeswehr, die in letzter Zeit in die Öffentlichkeit kamen.

Ein auf den ersten Blick eher exotisches Beispiel für das Verhältnis von Männlichkeit und Gewalt schilderte Susanne Schröter in ihrer ethnologischen Studie über männliche Initiation bei den Bimin Kuskusmin in Papua Neuguinea. Verallgemeinernd ging sie von der kategorialen These des »universal soldier« aus, den sie als interkulturelles Phänomen sieht. Die Merkmale dieses Phänomens seien eine durch Dominanz, Härte und Gewalt gekennzeichnete Männlichkeit sowie eine Gemeinschaft der Männer als emotionaler und sozialer Bezugspunkt, als Herrschaftsverband, der zivilgesellschaftlichen Organisationen diametral entgegenstehe. Für die eingangs behauptete Interkulturalität führte sie bespielhaft ihren Forschungsgegenstand an. Sie beschrieb die Initiation zum Krieger innerhalb des von ihr untersuchten indigenen Stammes als sadomasochistisches Ritual und die Erschaffung eines auf Gewalt und Frauenverachtung beruhenden Männerbundes innerhalb einer Gesellschaft, die z.B. kein Privateigentum kennt.

Die Folge eines solchen Initiationsrituals sei die Ambivalenz zwischen Unterwerfung und inhärentem Versprechen der Teilhabe an der (männlichen) Macht.
Parallelen dazu sah sie in den hauptsächlich von Theweleit herausgearbeiteten Männlichkeitsritualen der deutschen Soldaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Während beide Referentinnen von einer kategorialen binären Geschlechterkonstruktion als Konstante ausgingen, die darüber hinaus besonders bei Albrecht-Heide noch implizit normativ gesetzt ist, setzte die Analyse von Ruth Seifert an der historischen Genese der Geschlechterbeziehung an. Die Entwicklung hin zu den modernen Kriegen – und damit verbunden die Bildung moderner Nationalstaaten – sei gekennzeichnet durch einen zunehmenden Ausschluss der Frauen vom Kriegsgeschehen einhergehend mit der Ausdifferenzierung der Geschlechtercharaktere. Die daraus resultierende symbolische Ordnung schreibe Männlichkeit eine (legitimierte) Gewaltausübung zu und konstruiere sie als zur männlichen Natur gehörig, während Weiblichkeit nicht nur ontologisch Friedfertigkeit und Zivilität zugeschrieben werde, sondern dieses Verhältnis sei auch, wie dies die anderen Referentinnen bereits beschrieben hatten, hierarchisch angeordnet. Damit seien Frauen durch die „männerbündische Fundierung des Politischen“ nicht nur zunehmend von den Machtzentren und staatlichen Institutionen ausgeschlossen, sondern während das Militär »vermännlicht« und Männlichkeit die Gewaltausübung qua Natur zugeschrieben werde, würden andererseits weibliche Erfahrungen von Krieg nicht in das kulturelle Gedächtnis aufgenommen.

Seifert sieht, im Rahmen der beschriebenen binären Geschlechterordnung, Frauen in vielfältiger Weise in dieses System der Friedlosigkeit eingebunden. Die logische Schlussfolgerung, die Ruth Seifert u.a. Autorinnen ziehen und die ihnen als Skandalon vorgeworfen wird, ist, Frauen an militärischen Zwangsapparaten zu beteiligen, um die sich reproduzierende Geschlechterpolarität dadurch zu dekonstruieren. So wird der unbeschränkte Zugang von Frauen zum Militär gefordert, das dadurch seine Bedeutung als männlichkeitsdefinierende Institution verlieren würde. Darüber hinaus biete dies die Chance einer allmählichen Beteiligung von Frauen an der Reformulierung eines neuen Politikverständnisses. Die feministischen Pazifistinnen argumentieren dem gegenüber, dass dadurch das weibliche Friedenspotential gesellschaftlich wirkungslos gemacht werde, und dass die Beteiligung am Militär von der Tatsache ablenkte, dass es sich um eine zutiefst amoralische patriarchalische und sexistische Einrichtung handele.

Ruth Seiferts Kritik an den feministischen von ihr so genannten »Friedensethikerinnen« setzte an dem Vorwurf der normativen und vereinheitlichenden Setzung von Weiblichkeit an. Diese reproduziere die attackierte binäre Geschlechterordnung. Die symbolische kulturelle Ordnung, die Männlichkeit Gewalt und Krieg und Weiblichkeit Friedfertigkeit zuschreibt, sah sie nicht nur in einer Friedensstrategie reproduziert, die mit weiblicher Friedfertigkeit argumentiert, sondern in jeglicher Identitätspolitik. Hier komme dann nicht nur der von ihr zitierte empirische Befund einer uneinheitlichen gebrochenen Männlichkeit in militärischen Gewaltapparaten zum Tragen, sondern auch eine weibliche Interventionsstrategie in eben diese „Männlichkeitsmaschine“ (Albrecht-Heide) hinein.

Die These der Intervention durch Teilnahme hat den Dekonstruktivistinnen den Vorwurf der politischen Naivität eingebracht. Ruth Seifert wies darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine ausgeklügelte Friedensstrategie handele und die Frage, ob weibliche Partizipation eine zivilisierende Wirkung entfalten kann, auch von anderen politischen Veränderungspotentialen abhänge.

Eine ausführliche Dokumentation des Kongresses mit den einzelnen Vorträgen ist in Vorbereitung und wird in diesem Frühjahr als Heft 10 der HYPATIA von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben (Heinrich-Böll-Stiftung, Bereich Inland, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin, Tel.: 030-285 34-230, FAX:-108)

Marianne Zepp

Frauen an den »Brand«-Herd?

Frauen an den »Brand«-Herd?

Kriegsdienst und Gleichberechtigung

von Mechtild Jansen

Links – Rechts, Mann – Frau, Pazifist – Militarist sind Dichotomien, deren Realitätsnähe heute sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Der Umgang mit schematischen Einordnungen bietet jedoch – es sei denn, sie werden als gänzlich überholt angesehen – die Chance, Tendenzen klarer zu erkennen. Mag sein, daß der folgende Beitrag von Mechtild Jansen manchem/mancher LeserIn Mühe macht, weniger weil seine Form für W&F ungewöhnlich ist, als vielmehr, weil Verwicklungen, Widersprüchlichkeiten und Ansprüche thematisiert werden, die unbequem zu reflexieren sind in Zeiten, in denen mit alter Eindeutigkeit auch zukunftsentwickelnde Positionen verloren gegangen sind.

Frauen und die Bundeswehr, Frauen, Männer und das Militär – das Thema ist mythologisch und ein politisches Exempel. Wieder einmal beschäftigt es die Öffentlichkeit, wenn auch ob der momentanen Lage der Dinge nur als Abglanz dramatischerer Augenblicke. Das Lied vom »raus oder rein«, das da gespielt wird, ist schon alt. Das nennenswerte Ereignis liegt allein darin, daß heute die Rechte den Ton der Musik angibt, den sie der Linken abgehört und für ihre Interpretation geklaut hat. Das Blatt hat sich gewendet. Auch die Frauenbewegung übertönt nicht den Gesang. Tonangebend war sie sowieso noch nie, obwohl sie reichlich eigene gute Töne hatte. Aber die Frauen hatten schon mal lauter gesungen als die richtigen Männer. Wenn man die politische Welt des Landes einmal grob aufteilt, so stellt man fest: Die Rechte ist sich treu und treuer und die Linke weiß nicht mehr, wer sie ist.

Die Rechte hat den Frauen immer eine klare Rolle zugewiesen, ihren Teil an einem Ganzen, das auf Tradition und Herrschaft der Oberen basiert. Gebärerin, Mutter, Familienstifterin, Arbeitskraft, Reservearmee – von da aus ließ sich die Frau einsetzen. Und wenn die Frau tat, was man verlangte, hatte sie auch ihren (Vor-)Teil davon. Die Rechte ist sogar mit der Zeit gegangen und hat ihre Rolle modernisiert. Gleichberechtigung und Partnerschaft von zweien, die nicht als dasselbe aufgehen, sondern auch Verschiedenes bleiben, nennt sie das. Dabei übersetzt sich unter der Hand »Recht« in »Wert« und Wert in »Moral«, die vor allem immer dann beansprucht wird, wenn die Verhältnisse nicht so sind, wie sie sein sollen. Die inneren Ungereimtheiten und Widersprüche dieses Modells sind dennoch vergleichweise gering.

Modern ist die Rechte auch in ihrem Militärkonzept. Der Sicherheitsbegriff ist längst umfassend – ökologisch, sozial, politisch und militärisch. Das Instrumentarium wird demgemäß umgebaut, und die Bundeswehr rüstet sich für strategische, chirurgische, flexible und vor allem schnelle Eingriffe an möglichst jedem Ort der Welt. Was fehlt, sind nur noch die ausreichenden Finanzmittel, das qualifizierte (weibliche und männliche) Personal und die öffentliche Billigung für die Verwirklichung und Anwendung dieses militärpolitischen Konzepts.

Die Linke sagt, sie sei für »Gleichberechtigung der Frau«. Sie empfiehlt damit, als Frau zu leben wie ein Mann obendrein. Das aber bedeutet, beide sollen patriarchal leben, was verallgemeinert gar nicht machbar ist und zudem das konterkariert, was sein soll. Die Linke hat die Frauenbewegung bis heute nicht richtig verstanden und sich ihr Anliegen nicht wirklich zu eigen gemacht. Sie hat sich eher nur deren Worten und Forderungen angehängt, um schöner dazustehen.

Die Linke hat auch kein modernes sicherheits- und friedenspolitisches Konzept. »Abrüsten in Ost und West« ist passé, seit kein Ostblock mehr existiert. Das Konzept von »Gegenmacht gegen Macht« für das »ganz andere« und die gute Gesellschaft hat sein realsozialistisches Hinterland verloren und trägt im übrigen so oder so nicht. »Weg mit all dem Schrott« von Militär, diese Idee ist wünschenswert oder auch nur ein frommer Wunsch, jedenfalls kein Weg. Ein oder besser mehrere ausgearbeitete Konzepte für Entmilitarisierung, Deeskalation und zivile Konfliktlösung im Kontext mit gesellschaftlichem Umbau als einer Aufgabe von Dauer hat die Linke als ihr Allgemeingut nicht. Deshalb bleibt der Linken unter dem Strich häufig nur ein hilfloser Pazifismus oder ein Überlaufen zur anderen Seite. Sie verwickelt sich in innere Widersprüche, die die eigene Sache aus dem Lot bringen.

Aus all dem ergibt sich eine paradoxe Situation. Die Gesellschaft ist so unmilitärisch wie kaum je und die regionalen, komplexen, hochdifferenzierten Sicherheitskonflikte oder Kriege laden so wenig zur Intervention ein wie selten. Die Bereitschaft, Notwendigkeit und Überzeugung zum Krieg scheint auf einem historischen Tiefpunkt. Aber die Linke, die die öffentliche Billigung hat, kann diese nicht für sich nutzen. Die Rechte dagegen tut es peu à peu und sehr geschickt. Der Fortschritt ist zur Routine und zum Klischee geworden, so aber kann er nicht mehr tragen.

Völlig logisch kommt da erneut die Diskussion um Frauen in die Bundeswehr auf. Die Frauen sind Seismograph für die Verfassung einer Gesellschaft. Die grundsätzlichen Argumentationsmuster um die Position der Frau wie um die des Militärs sind alt, interessant ist allein ihre Kleidermode und die politischen Gewichtsverlagerungen hinter ihnen.

Die grundsätzlichen Tabus von einst sind längst gebrochen. Die Frau gehört nicht nur an den heimatlichen Herd, sondern auch an alle öffentlichen Herde, bis hin zum Brandherd des Kriegs.

Die Rechte will die Frauen in die Bundeswehr einbeziehen und empört damit niemanden mehr. Man läßt sich öffentlich damit unterhalten, wie die moderne Rechte von heute mit den eigenen Altkonservativen von gestern aufräumt. Die grundsätzlichen Tabus von einst sind längst gebrochen. Die Frau gehört nicht nur an den heimatlichen Herd, sondern auch an alle öffentlichen Herde, bis hin zum Brandherd des Kriegs. Der Krieg gilt wieder als führbar, das Militär ist relegitimiert. Daß Frauen genauso »schlecht« sein können wie Männer, erschreckt dort niemanden besonders, wo der Mensch sowieso eher als »schlecht« angesehen und die Frau im besonderen im heftigen Bilderwechsel zwischen Heiliger und Sünderin im Zweifel allemal als die »schlechtere« gegenüber dem Mann eingeschätzt wird. Die Frauen mischen bei allem fröhlich mit, umso mehr. Die Anhängerinnen der Bundeswehr treten auf als Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung. Deren Vorkämpferinnen wiederum sind die Zögerlichen und erscheinen deshalb als die von gestern. Sie wenden ein, daß Frauen immer noch die höheren Lasten tragen, während es doch schon längst um mehr Teilhabe durch größere Unterwerfung geht.

Die Linke, das heißt linke Männer – sofern sie nicht die ganze Sprache verloren haben – empören sich, daß Frauen nun genauso scheußliche Soldaten sein sollen, ja sogar sein wollen, wie Männer. Aber irgendeinen Rat haben sie nicht. Sie verschieben das Problem auf die Frauen. Die feministische Diskussion, deren Analyse umfassender Gewalt bis hinein ins vermeintlich Private und der sich bedingenden Männlichkeits- bzw. Weiblichkeitsmythen, kennen sie immer noch nicht wirklich. Unter den Frauen »protestieren« einige wenige wacker und mit einem bisweilen seltsamen Gemisch von Argumentationen, die sich aus Frauen »als Opfer von Sozialabbau und Krieg« und, gewendet, als Friedensbringerinnen per se zusammensetzen. Diese Frauen haben die linke Lektion zu gut gelernt. Andere wollen munter hinein in die Bundeswehr, der Männlichkeit und Weiblichkeit gleichzeitig den Garaus machen. Die meisten finden allem Anschein nach weder das eine noch das andere sonderlich überzeugend. Die Linke also gibt ein Bild der Verwirrung und Handlungsunfähigkeit.

Ihre klare Antwort auf die Problematik »Frauen und Militär« hatte nur Bestand, solange es hinter und unter dem männlichen Antimilitarismus, der seinem Gegenüber noch spiegelbildlich verhaftet blieb, einen weiblichen Pazifismus gab, der traditionelle Rollenbilder mit sich trug, und beide die männliche bzw. weibliche Friedensbewegung dominierte.Die Frauenfriedensbewegung war dabei ein höchst eigenes Gemisch aus konservativen und partnerschaftsorientierten Frauen und Feministinnen zweier Schulen, einer antipatriarchalen und einer, die die Vielfalt des Menschen betont. Die Enttäuschung über »die Friedensbewegung« und »die Frauenbewegung«, in der pauschalisierenden Quintessenz, ist groß.

Eine laute Diskussion um Gleichberechtigung auf dem Exerzierplatz entflammt, wo dieselbe in der Gesellschaft leise, still und heimlich demontiert wird.

Vor diesem Hintergrund erklären sich Erscheinung und Verlauf der verwirrenden aktuellen Diskussion um das Thema »Frauen in die Bundeswehr – ja oder nein?«, das seltsam verteilte Schweigen und Reden und deren Inhalt. Rechte argumentieren dabei »links« und Linke »rechts«. Es scheint zu schlingern, wer sich schlichtem Pro und Contra verweigert. Frauen in die Bundeswehr, Gleichberechtigung in der Armee – ja oder nein? Die Fragestellung und Argumentationsmuster sind retardierend. Hinsichtlich der Akzeptanz der Bundeswehr sind sie ein »Nachhutgefecht«, bezogen auf die Gleichberechtigung im hier und heute ein »Nebenkriegsschauplatz«.

Merkwürdig ist allenfalls, welche Notfälle sich da gegenseitig aus derPatsche helfen sollen. Junge Männer haben keinen Bock mehr und lassen die Bundeswehr leerlaufen. Junge Frauen haben dagegen noch richtig Power und finden keinen Platz, sie auszutoben. Eine laute Diskussion um Gleichberechtigung auf dem Exerzierplatz entflammt, wo dieselbe in der Gesellschaft leise, still und heimlich demontiert wird.

Zwei Positionen lassen die Sache – trotz mangelnder Originalität – für manche reflexartig spannend erscheinen, eben weil mit ihnen die gewohnten Einteilungsmuster durchbrochen werden. LobbyistInnen der Bundeswehr fechten gegen das Traditionsmilitär und deren zurückgebliebenes Frauenbild und Feministinnen wenden ihre Patriarchatskritik gegen linken Antimilitarismus. Die Debatte wäre schnell zu den Akten zu legen, wären nicht doch noch neue Anstöße aus ihr herauszuschälen.

Diskriminiert werden Frauen im Militär noch mehr als außerhalb. Die sich trotzdem durchsetzen, schaffen es nur als gesteigerter Mann.

Taucht das Wort »Frau« auf, läßt – im Kontext der Bundeswehr anders als bei schöpferischer Arbeit, Geld und Macht – das Wort Gleichberechtigung nie auf sich warten. Ersatzobjekt, Trick oder Überzeugung? Jedenfalls sind Zweifel angebracht, wo Gleichberechtigung angedient und nachgetragen wird. Selten steht noch zur Debatte, worin und wofür da wer mit wem gleichberechtigt sein soll und ob die Sache selbst gleichberechtigt funktionieren kann. Stattdessen wird Gleichstellung als Gleichberechtigung untergejubelt. Nicht jede Gleichstellung endet aber schon in Gleichberechtigung, die ihrem Wesen nach unteilbar ist. Sachlich bemessen darf die Metapher bislang fast ausschließlich als Vorwand und Instrumentalisierung qualifiziert werden.

Die Armeen funktionieren nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Noch keine Regierung oder Parlamentsfraktion hat quantitativ die hälftige Beteiligung und qualitativ den gleichen Kombatantenstatus für Frauen gefordert. Frauen sind Minderheiten in den Armeen. Ihre freiwilligen Dienste schließen Lücken, die Männer lassen. Diese »Chance« wird erfahrungsgemäß meist von den Deprivilegiertesten oder den Aufstiegsseligsten wahrgenommen. Diskriminiert werden Frauen im Militär noch mehr als außerhalb. Die sich trotzdem durchsetzen, schaffen es nur als gesteigerter Mann. Gleiche Aufstiegschancen müssen sie sich im Zweifel vor Gericht erkämpfen, nachdem ihnen die Gleichstellungspolitik dazu die Chance überhaupt erst eröffnet hat.

Alles wie überall im Patriarchat, nur halt seine letzte Domäne? Oder noch mehr, eine andere Systematik? Zieht die Soldatinnen militärtechnische Macht und Stärke oder Demokratie und Emanzipation an? Jedenfalls haben sich Frauen im Militär bisher nicht als »Speerspitze« des Feminismus ausgezeichnet, eher als dessen Troß oder Nutznießerinnen.

Das Argument der Gleichberechtigung fungierte bislang vor allem als Hilfsargument zur Bejahung des Militärs. Es können aber auch die zu ihm stehen, die der Bundeswehr Positives so oder so zubilligen: Aus Überzeugung vom Sinn von Armeen, von dieser Bundeswehr und ihren Militärstrategien; als unvermeidbares Übel oder schlichte Realität, von denen niemand abgehalten werden soll; als Tabubruch gegen das offizielle Waffenverbot für Frauen, das ausschließt vom Können und der Macht auch zum Töten; im Glauben, Frauen humanisierten qua Natur das Militär, aus der Erkenntnis, daß polare Geschlechterbilder – männliche Stärke und weibliche Schwäche, Beschützer und Beschützte – selbst Bestandteil des Militarismus sind, und sie zu dementieren ihn schwächt.

Unter dem Aspekt der Gleichberechtigung gab es gegen die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr nie ein Argument, außer daß Militär und Militarismus mit Gleichberechtigung und Emanzipation nicht viel zu tun hatten. Die Frage lautet deshalb, ob Gleichberechtigung das Militär verändern kann oder das Militär die Gleichberechtigung. Wer Militärapperate für teuer, unproduktiv, gefährlich oder gar überflüssig hält, sollte sie minimieren. Wer den Einsatz von Gewaltmitteln zum Töten und Besiegen möglichst ausschließen will, sollte entmilitarisieren. Wer »Out of area«-Einsätze nicht sinnvoll findet, braucht nicht unbedingt Frauen noch hinterherzuschicken. Wer die »Natur der Frau« nicht umgedreht mythologisieren will, sollte Männer ihre humanen Potentiale entfalten lassen. Wer Machttabus brechen will, sollte Friedenspolitikerinnen zu Regierungschefs machen. Wer polare Geschlechtermuster abschaffen, zugleich neue Überlegen- und Unterlegenheits-Muster vermeiden will, muß auch ihre Institutionen umwandeln. Wer auf den Zusammenhang von Hierarchie und Spaltung zwischen den Geschlechtern, zwischen personaler, kultureller, struktureller und militärischer Gewalt pochen will, muß alle diese Gewaltverhältnisse zurücknehmen und für allgemeine Gleichberechtigung sorgen. Andernfalls wird mensch hinnehmen müssen, daß Frauen im Militär nicht den Effekt haben, dieses einzuschläfern, sondern zu beleben.

Mit einem bestimmten Quantum Frau funktioniert heute fast alles besser als ohne sie: Klima, Organisation, Disziplin, Motivation etc., während gleichzeitig soziale Spaltung, politische Regression und verdeckte Handelskriege wachsen. Vorsorglich wäre deshalb das Ziel der Gleichberechtigung auf das Militär selbst anzuwenden. Es müßte ihr dienen und so gestaltet werden, daß es das vermag. Notwendigerweise würde es dann als Militär transformiert und als Exekutionsmaschine von Gewalt demobilisiert. In diesem Fall würde Gleichberechtigung mit der Entmilitarisierung der männlichen Soldaten beginnen.

Wer Männer aus der Wehrpflicht nicht herausholt, kann die Bundeswehr Frauen nicht verweigern. Wer zivile Konfliktlösung nicht verwirklicht, kann Frauen keinen Waffenstatus und Generalstab versagen. Wer gleiche Menschenrechte nicht zu realisieren sucht, kann Frauen nicht verwehren, zu befehlen oder zu gehorchen. Die zeitgemäße Frage heißt: Mit welcher demilitarisierten Sicherheitspolitik in welcher konvertierten »Armee« können oder müssen Frauen und Männer welchen demokratischen Dienst tun, um gewaltträchtige oder -tätige Konflikte zu deeskalieren und friedlich zu lösen? Wünschenswert wäre eine neue Diskussion etwa über defensive Umrüstung, zivile Konfliktlösung, Berufsarmee auf Zeit, einen Grunddienst für alle in Selbstverteidigung, im Schutz Angegriffener und Unterstützung zur Selbsthilfe, in der Sorge für Alte, Kinder, Kranke. Das wäre eine neue Sicherheitspolitik und mehr und tiefere Gleichberechtigung.

Mechtild Jansen arbeitet als freie Publizistin

Kein Rückschritt und kein Meilenstein

Kein Rückschritt und kein Meilenstein

Die 4. Weltfrauenkonferenz zwischen Neuinterpretation und Erweiterung des Menschenrechtskonzepts

von Ruth Klingebiel

In der Charta der Vereinten Nationen von 1945 setzen sich die Vereinten Nationen das unmißverständliche Ziel, „ … die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen.“1. Fünfzig Jahre später verabschiedet die 4. Weltfrauenkonferenz ein Abschlußdokument und stellt in einem Paragraphen kurz und bündig fest: „Frauenrechte sind Menschenrechte.“2 Übersetzt in eine simple mathematische Gleichung ergibt sich die Formel FRAUEN + RECHTE=MENSCHEN + RECHTE. Dividieren und kürzen wir dann RECHTE auf beiden Seiten der Gleichung, bleibt FRAUEN=MENSCHEN.

Die Wahrheit dieser reduzierten Gleichung wird wohl auch nicht in Beijing von den Regierungsdelegierten ernsthaft bestritten und diskutiert worden sein. Gerade deshalb verwundert diese tautologisch anmutende Aussage um so mehr. Was hat die Delegierten dazu bewogen, eine solche Formel in ein UN-Dokument zu schreiben, das mit der Serie der Weltfrauenkonferenzen seit 1975 auf 20 Jahre Frauenförderpolitik der UN zurückblicken kann? Und was hat Frauen dazu bewogen, eine weltweite Mobilisierungskampagne unter dem Motto „Frauenrechte sind Menschenrechte“ zu organisieren, wenn doch bereits in der Charta die Menschenrechte ohne Unterscheidung durch das Geschlecht festgeschrieben wurden?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es notwendig, der Verankerung von Menschenrechten von Frauen in den Instrumenten der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen nachzuspüren. Wie wurden sie ausgestaltet und wo lag das Defizit, das offensichtlich die Kampagne beförderte?

UN-Politik zur Beseitigung von Frauendiskriminierung3

Die Frauenpolitik der Vereinten Nationen läßt sich anhand ihrer inhaltlichen Ausrichtung in unterschiedliche Phasen einteilen. Von 1945 bis zum Beginn der 60er Jahre stand die rechtliche und politische Gleichstellung der Frau im Vordergrund. Nachdem in der Charta die Gleichberechtigung der Frau festgehalten worden war (s. Artikel 1 der Charta), wurde 1946 mit der Menschenrechtskommission zugleich eine Unterkommission für die Rechtsstellung der Frau eingerichtet, die im selben Jahr noch den vollen Status einer Fachkommission (Commission on the Status of Women, kurz Frauenrechtskommission) des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) erhielt. Die Frauenrechtskommission stellte sicher, daß die Gleichberechtigung der Frau in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert wurde und benutzte die Prinzipien der Menschenrechtserklärung gleichzeitig als Basis ihrer Arbeit. Die frühen Jahre waren geprägt von Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung in den Bereichen der politischen Partizipation4, Arbeit5, Erziehung6, Nationalität7 und Ehe8.

Nach der Phase der rechtlichen »Grundsteinlegung« beginnt mit den Vorarbeiten zur Erklärung über die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen eine Phase, in der zum einen das Rechtsinstrumentarium verfeinert werden soll und zum anderen Frauen für den Entwicklungsprozeß »entdeckt« werden. Nachdem die beiden Menschenrechtspakte von 1966 verabschiedet worden waren, nahm die Generalversammlung 1967 die Erklärung zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen an und erklärt darin, daß die vollständige Entwicklung eines Landes, die Wohlfahrt der Welt und die Herstellung von Frieden die größtmögliche Partizipation von Frauen und Männern gleichermaßen auf allen Gebieten erfordere.9 Zum Ende der ersten Entwicklungsdekade wurde die Schlüsselrolle von Frauen zum Thema in der Entwicklungspolitik und beeinflußte die Entwicklungsstrategien für die zweite Entwicklungsdekade. 1972 stellte die Frauenrechtskommission nach 25jähriger Tätigkeit einen akuten Handlungsbedarf zur Beseitigung der eklatanten Diskriminierung von Frauen weltweit fest. 1975, dem Internationalen Jahr der Frau, fand dann auch die erste Weltfrauenkonferenz (WFK) in Mexiko unter dem Motto Gleichberechtigung, Entwicklung, Frieden statt.

Diese erste WFK eröffnete eine dritte Phase. Das Abschlußdokument, der Weltaktionsplan von Mexiko10, enthielt umfassende Richtlinien zur Frauenförderung bis 1985. Die Frauendekade der Vereinten Nationen (1976-1985) konkretisierte vor allem das UN-Instrumentarium zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau. Ins Leben gerufen wurde ein Voluntary Fund for the UN Decade for Women (1976), der im Februar 1985 als United Nations Development Fund for Women (UNIFEM) in die UN-Familie aufgenommen wurde. Parallel wurde ein International Research and Training Institute for the Advancement of Women (INSTRAW) installiert. Damit wurde eine Dekade der Frauenförderpläne eingeleitet, die von einer Sichtweise von Frauen als menschlicher Ressource für Entwicklung geprägt waren. Zwölf Jahre nach der Erklärung zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen und nach unzähligen Verhandlungen und jahrelangen Diskussionen nahm die Generalversammlung am 18. Dezember 1979 endlich die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (kurz Frauenrechtskonvention genannt) an.

Die Frauenrechtskonvention ist das erste internationale Rechtsinstrument, das Diskriminierung von Frauen definiert: „In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck »Diskriminierung der Frau« jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, daß die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau – ungeachtet ihres Familienstandes – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitel wird.“ 11

Die Konvention trat als bisher einziges umfassendes frauenspezifisches Menschenrechtsinstrument der Vereinten Nationen am 3.9.1981 in Kraft, nachdem sie durch 20 Staaten ratifiziert worden war. Im Anschluß konnte das Committee on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW, kurz Frauenrechtskommission) damit beginnen, die Umsetzung der Konvention zu überwachen. Die Hauptaufgabe der Kommission besteht darin, die Länderberichte der Mitgliedsstaaten auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen, bei ihren jährlichen Tagungen die Regierungsdelegierten kritisch zu befragen und Informationen von NGOs einzuholen. Neben diesen neugeschaffenen Instrumenten wurde 1980 eine zweite WFK in Kopenhagen durchgeführt, deren Hauptaufgabe in der Zwischenbilanzierung der Frauendekade bestand. Beschlossen wurden gezielte Fördermaßnahmen in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Gesundheit, ohne die die Hauptziele von Entwicklung – Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden – nicht erreichbar seien.

Den Abschluß der Dekade, eine Trendwende in der Frauenpolitik der Vereinten Nationen und damit den Übergang in eine vierte Phase bildete die 3. WFK in Nairobi 1985. Ein neues Entwicklungsparadigma bildete sich heraus, das Frauen nicht länger als Objekt und menschliche Ressource betrachtete. Frauen wurden zu Handlungsträgerinnen, zu Individuen, die eine zentrale Rolle spielen sollten, „als Intellektuelle, Politikerin, Entscheidungsträgerin, Planerin sowie als Trägerin und Nutznießerin der Entwicklung12. Die in Nairobi gezogene Bilanz der Frauendekade zeigte, daß es gelungen war, Öffentlichkeit herzustellen und eine Vielzahl von rechtlichen Diskriminierungen abzubauen. Gleichzeitig wurde es offensichtlich, daß die Alltagssituation der meisten Frauen sich nicht nur nicht verbessert hatte, sondern daß die wirtschaftliche Misere vieler Länder des sogenannten Südens ihre Situation weiter verschlechterte. Die Zukunftsstrategien von Nairobi benannten ein ganzes Maßnahmenbündel zur Umsetzung von Gleichberechtigungsmaßnahmen in nationale Politik. Die Generalversammlung betraute die Frauenrechtskommission mit der Überwachung der Implementierung der beschlossenen Strategien und forderte gleichzeitig alle Organisationen der Vereinten Nationen dazu auf, spezielle Abteilungen für frauenrelevante Fragen einzurichten.

Trotz der greifbaren Ergebnisse, wie z.B. der völkerrechtlich bindenden Frauenrechtskonvention und der frauenspezifischen Entwicklungsorganisation (UNIFEM) ist die Verankerung von Frauenrechten im Menschenrechtssystem der UN unzureichend. „Instead of having high priority at the United Nations, women's human rights are given little attention; »women's issues« are marginalized into under-funded and ineffective machineries. As a result, women around the world are demanding an extensive transformation of the existing deficient human rights framework.“ (Kerr 1993: 6)13 Gründe für dieses Defizit liegen in der strukturellen Schwäche der Frauenrechtskonvention: CEDAW verfügt über keine Sanktionsinstrumente – das seit Jahren geforderte Fakultativprotokoll existiert nur im Entwurf.14 Kaum ein UN-Dokument wurde mit so vielen Vorbehalten gezeichnet (Tomasevski 1993: 116 ff.; Cook 1990). Darüber hinaus enthält die Konvention keine explizite Verurteilung von Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung.

Gegen die Unsichtbarkeit von Frauen

Die Frauenpolitik der Vereinten Nationen verbesserte vor allem die Datenlage zur Situation von Frauen und erfüllte damit ein selbstgestecktes Ziel, Frauen durch Daten sichtbar zu machen. 1985 erschien erstmals der World Survey on the Role of Women in Development, der seitdem alle fünf Jahre aktualisiert wird. 1990 erschien The World's Women: Trends and Statistics, 1970-199015. Geschlechtsspezifische Daten werden erst seit kurzem gezielt erhoben. Exemplarisch läßt sich die Datenlage an den Berichten zur menschlichen Entwicklung ablesen, die das UNDP (United Nations Development Programm) alljährlich herausgibt. Seit 1990 werden die Daten zunehmend desaggregiert. Der UNDP-Report für 1995 legt den Schwerpunkt des gesamten Berichtes auf die Lage der Frauen weltweit und stellt zwei neu- bzw. weiterentwickelte geschlechtsspezifische Entwicklungsindikatoren vor (UNDP 1995: 72 ff.). Desaggregierte Daten zeigen: Frauen partizipieren weniger an Entwicklungsprozessen als Männer, sie sind stärker von Strukturanpassungen betroffen und Armut ist »weiblich«. Desaggregierte Daten zeigen auch, daß die Partizipation von Frauen nicht notwendigerweise an den Reichtum eines Landes, sondern hauptsächlich an den politischen Willen der Regierungen gekoppelt ist (UNDP 1995: 3). Die Bilanz des UNDP-Berichtes 1995 für die letzten 20 Jahre sieht düster aus: Zwischen 1975 und 1995 stieg zwar die Einschulungsrate von Mädchen um zwei Drittel, stieg auch die Lebenserwartung von Frauen um neun Jahre und fiel die Geburtenrate um ein Drittel; die Rate der wirtschaftlichen Aktivität wuchs aber im selben Zeitraum lediglich um 3,9 Prozentpunkte, Frauen besetzen heute weltweit nur 10<0> <>% der Parlamentssitze und 6<0> <>% der Regierungsämter, rechtliche Diskriminierungen sind immer noch nicht vollständig abgebaut worden, 41 Staaten sind der Frauenrechtskonvention immer noch nicht beigetreten und die Vorbehalte nicht zurückgenommen worden.

Die Dekade der Frau hat aber nicht nur die Datenlage verbessert; sie hat zugleich einen blinden Fleck sichtbar gemacht. Gewalt an Frauen taucht in nationalen und internationalen Statistiken kaum auf, doch ein Umdenkprozeß hat begonnen.16 Geschlechtsspezifische Gewalt existiert in allen Ländern der Welt und ist keine kulturspezifische Eigenart. In den meisten Ländern gibt es keine gesetzliche Grundlage gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Sie wird als private Familienangelegenheit nicht nur ignoriert, sondern staatlich sanktioniert. Dabei kann die Privatsphäre ein geradezu mörderischer Ort für Frauen sein. Weltweit verschwinden schätzungsweise 100 Millionen Frauen, die aufgrund geschlechtspezifischer Diskriminierung sterben oder gar nicht erst geboren werden (Klasen 1993: 27). In Befragungen berichteten zwei Drittel aller Frauen über sexuelle Mißbrauchserfahrung in ihrer Kindheit und Jugend. In Chile, Mexiko, der Republik von Korea berichten über zwei Drittel der Frauen von Gewalt in der Ehe. In Deutschland wurde schätzungsweise jede siebte Frau in ihrer Ehe vergewaltigt. In Kanada, Neuseeland, Großbritannien und den USA wird eine von sechs Frauen in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung. Die Hälfte aller Morde an Frauen wird von einem ehemaligen oder dem derzeitigen Partner begangen. Kulturübergreifende Untersuchungen weisen Gewalt in der Ehe als häufigste Ursache für Selbstmorde von Frauen aus. Gewalt durch Kriege etc. betrifft vor allem Frauen und Kinder: 80<0> <>% der weltweiten Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Frauen werden Opfer sogenannter Massenvergewaltigungen. Frauen erhalten selten politisches Asyl, da ihre geschlechtspezifischen Gewalterfahrungen nicht als politische Verfolgung eingestuft werden.

Die Beispiele zeigen die Spannbreite und das systemische Ausmaß der Gewalt gegen Frauen.

Menschenrechte – feministisch betrachten!

Die Kampagne Frauenrechte sind Menschenrechte setzt an der Alltäglichkeit und Bagatellisierung dieser Gewaltformen an. Charlotte Bunch vom Center for Women's Global Leadership, eine der Initiatorinnen der Kampagne, kritisiert die Ausgrenzung von Frauen aus dem herrschenden Menschenrechtsverständnis und benennt das Ziel der Menschenrechtskampagne für Frauen: „Wir glauben, daß es Frauen ohne weiteres klar ist, was ihre Menschenrechte sind, aber sie brauchen Konzepte, um das auszudrücken. … Wir sagen, daß die Weltgemeinschaft nicht nur die Frauen miteinbeziehen, sondern auch ihr Verständnis von Menschenrechten verändern muß. Mit anderen Worten, können wir das, was Frauen als Menschenrechtsthemen ansehen, nicht in die bestehende Form der Menschenrechte integrieren, ohne diese zu verändern.“ (Bunch 1993: 10, 11)

Das Konzept der allgemeinen Menschenrechte entstand vor rund 200 Jahren im Kampf um die individuellen Freiheitsrechte des bürgerlichen Individuums gegen einen übermächtigen Staat. Als zivilisatorische Errungenschaften gelten seitdem das Gewaltmonopol einerseits und die Schutzwürdigkeit der Privatsphäre andererseits. Das bürgerliche Individuum wurde aber als Mann gedacht. Frauen, als unpolitische Wesen gedacht, wurden der Privatsphäre zugerechnet. Diese Trennung von Politik und Privatsphäre wirkt bis heute und führte dazu, daß die Lebenswelt von Frauen nicht in den selbstdefinierten Zuständigkeitsbereich der Vereinten Nationen fielen. Die feministische Kritik daran ist recht jung. Für Charlesworth (1994: 63) drängt sich deshalb die Frage auf, warum die andozentrische Natur der Menschenrechte erst jetzt analysiert wird. Ihre Antwort beschreibt als simpelsten Grund den Ausschluß von Frauen aus der Normbildung, der Implementierung und dem Monitoring des Menschenrechtsbereichs. Ein zweiter Grund liegt im Anspruch des Menschenrechtsansatzes selbst, dessen vordergründige Eindeutigkeit und Radikalität Kritik sehr fragwürdig erscheinen läßt. Seit dem Beginn der 90er Jahre wagen sich verstärkt VölkerrechtlerInnen an eine bis dahin nahezu tabuisierte Kritik des Menschenrechtskonzeptes. Dabei sind unterschiedliche Richtungen auszumachen. Zum einen wird das Menschenrechtsinstrumentarium daraufhin untersucht, wie es für Frauen in der bestehenden Form nutzbar ist (Byrnes 1994; Tomasevski 1995; Ashworth 1992 etc.). Die Vorschläge stellen auf eine Neuinterpretation ab und sehen viele Möglichkeiten, Frauen Zugang zu internationalen Menschenrechtsverfahren zu verschaffen. So ließe sich z.B. Gewalt im Privatbereich unter den Tatbestand der Folter subsummieren; Frauenhandel und Zwangsprostitution fielen unter das Verbot der Sklaverei; geschlechtsspezifische Verfolgung ließe sich auch als politische Verfolgung interpretieren, so bald staatliche Duldung, mangelhafte gesetzliche Schutzvorschriften usw. nachgewiesen werden würden. Neben diesen Bemühungen, das Bestehende geschlechtsspezifisch anzuwenden, gibt es eine feministische Auseinandersetzung mit dem Nichtdiskriminierungs-Gebot der Konvention und der dahinter vermuteten Gleichheits-Differenz-Hypothese. Das Nichtdiskriminierungs-Gebot wird verdächtigt, ein weibliches Abziehbild des männlichen Vorbilds anzustreben mit dem Effekt, daß „… women are forced to argue either that they are the same as men and should be treated the same, that they are different but should be treated as if they are the same, or that they are different and should be accorded special treatment. The model does not allow for questioning the ways in which laws, cultures, or religious traditions have constructed and maintained the disadvantage of women, or the extent to which the institutions are male-defined and built on male conceptions of challenges and harms.“ (Cook 1993: 239).

Eine andere Richtung kritisiert das westlich-feministische Grundverständnis, das im Nichtdiskriminierungs-Gebot angelegt sei. Abgehoben würde auf die privilegierte, freie und unabhängige Frau. Außen vor bliebe der Kontext von Klassen, Kasten und ethnischen Zugehörigkeiten (Coomaraswamy 1994: 40f.). Die neuen und recht unterschiedlichen Ansätze zum Thema Frauenrechte im Völkerrecht stehen nicht konfrontativ gegeneinander, sondern sie suchen den Austausch miteinander.17

Die Kampagne sowie die völkerrechtliche Debatte blieben nicht ohne Einfluß auf die Politik der Vereinten Nationen. Deutlich wird dieser Einfluß an den Abschlußdokumenten der UN-Weltkonferenzen 1990-1995, dem Weltkindergipfel 1990 in New York, dem Umweltgipfel 1992 in Rio, der Menschenrechtsweltkonferenz 1993 in Wien, der Bevölkerungskonferenz 1994 in Kairo, dem Sozialgipfel 1995 in Kopenhagen und natürlich der 4. WFK in Beijing.18 Die Konferenzen sollten aufeinander aufbauen und in der Zusammenschau zu allen globalen Fragen Antworten suchen. Eine Antwort aller Konferenzen ist die Forderung nach mehr Partizipation für Frauen bei der Lösung globaler Krisen, was KritikerInnen auch als Abwälzung von Verantwortung werten. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Menschenrechtsweltkonferenz ein, da sie das Menschenrechtskonzept geschlechtsspezifisch definierte. Es ist das erste UN-Dokument, das Gewalt auch im privaten Bereich als Menschenrechtsverletzung ächtet. Die Konferenz brachte auch konkrete Ergebnisse. Im Anschluß verabschiedete die Generalversammlung die Erklärung zu Gewalt an Frauen, die Gewalt in der Familie, in der Gesellschaft und vom Staat verübte oder staatlich geduldete Gewalt scharf verurteilt.19 Der Menschenrechtsausschuß setzte eine Sonderberichterstatterin zu Gewalt an Frauen ein, in deren Mandat alle in der Erklärung genannten Formen der Gewalt fallen.20 Damit war das Hauptanliegen der Frauen-Menschenrechtskampagne erreicht. Auf der Bevölkerungskonferenz kämpften Frauen erfolgreich für das Konzept der reproduktiven Gesundheit, während die sexuellen Rechte der Frau in Kairo nicht durchgesetzt werden konnten. Sowohl die Ergebnisse von Wien als auch von Kairo standen in Beijing wieder zur Disposition.

Das Abschlußdokument der 4. WFK – eine Bilanz

Zum Auftakt der Regierungskonferenz in Beijing verkündete Gertrude Mongella: „Die Vierte Weltfrauenkonferenz ist eine Revolution für Frauen!“ Das war sie sicherlich nicht, soweit sind sich die meisten KommentatorInnen der Konferenz einig. Verabschiedet wurde ein Dokument, das bestehende Sprachregelungen aus den vorausgegangenen UN-Konferenzen halten konnte und winzige Weiterentwicklungen brachte. Das hehre Ziel, nun konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der seit Nairobi aufgestellten Anforderungen an eine effiziente Frauenpolitik zu verabreden, wurde verfehlt. Obwohl das Abschlußdokument eine Plattform für Aktionen enthält, ist erstaunlich wenig Aktion verabredet worden. Das Dokument ist mehr als mühsame 160 Seiten lang geraten; und viele Formulierungen sind so umständlich, daß die deutsche Übersetzung einiges Kopfzerbrechen bereitet.21 Nicht allein an den Formulierungen ist der zähe und konfrontative Verhandlungsverlauf ablesbar. Anders als in Nairobi 1985 werden kaum strukturelle Rahmenbedingungen genannt, d.h. eine Auseinandersetzung mit ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen, einer Neuen Weltwirtschaftordnung etc. blieb in Beijing außen vor. Die Betonung des gesamten Dokumentes liegt in einem sehr individualistischen Ansatz, der ganz auf das persönliche »empowerment« von Frauen abhebt und eine Politik der kleinen Schritte praktiziert. Der alte Nord-Süd-Konflikt, der Nairobi beherrschte, war weniger entscheidend für den Konferenzverlauf als der offen ausgetragene Konflikt zwischen den säkularisierten und den religiös-traditionell bestimmten Delegationen. Islamisch und katholisch bestimmte Länder stellten die Gleichberchtigung der Geschlechter ganz offen in Frage, beklagten die Familienfeindlichkeit der emanzipierten Frau und beschrieben die Gefahren, die vom Feminismus generell ausgingen. Infrage gestellt wurde der Erfolg der Frauen-Menschenrechtskampagne. Erst am letzten Tag gelang noch ein »package-deal« (Stichwort Sexualität, s. Kasten), der einen Kompromiß zur kulturellen Relativierung einschloß.

Ergebnisse der 4. Weltfrauenkonferenz

Armut: Über 900 Millionen Frauen
leben in extremer Armut. Ihr Zugang zu Landbesitz und zu Krediten soll verbessert werden,
ihre Ausbildung gefördert werden. Da Frauen viel häufiger arbeitslos sind als Männer,
sollen Beschäftigungsprogramme auch in den Industrieländern Abhilfe schaffen. NEU:
Gefordert wird die Erfassung, Bewertung und Anerkennung unbezahlter Arbeit im Haushalt und
in der Gesellschaft. Unbezahlte Arbeit soll in sogenannten Nebenkonten zum BSP ausgewiesen
werden. (Laut UNDP-Bericht 95 sind 16 Billiarden der globalen Gesamtproduktion
»unsichtbar«, der Beitrag der Frauen erreicht 11 Billiarden Dollar.)

Gesundheit: Frauen und Mädchen sollen
einen besseren Zugang zu medizinischer Betreuung erhalten, die vor allem erschwinglich
sein muß. Weibliche Jugendliche haben das Recht auf Information und Aufklärung –
entsprechend ihrer Entwicklungsstufe – sowie ein Recht auf Privatsphäre und
Vertraulichkeit. Frauen und Mädchen sind in Aidsprogramme einzubeziehen. In diesem
Zusammenhang gab der Vatikan seinen Widerstand gegen die Erwähnung von Kondomen auf.

Abtreibung: Das Ergebnis der
Weltbevölkerungskonferenz in Kairo wurde bestätigt: Ein Schwangerschaftsabbruch darf
kein Mittel der Familienplanung sein, doch wo er erlaubt ist, soll er so sicher wie
möglich durchgeführt werden. Die Regierungen werden aufgefordert, ihre Bestimmungen
über die Strafbarkeit illegaler Schwangerschaftsabbrüche zu überdenken.

Sexualität: NEU: Das Konzept der
reproduktiven Rechte und reproduktiven Gesundheit von Kairo wird ergänzt durch das
Konzept der sexuellen Selbstbestimmung der Frau. „Die Menschenrechte von Frauen
schließen ihr Recht ein, über Fragen, die mit ihrer Sexualität zusammenhängen,
Kontrolle auszuüben und frei und verantwortlich zu entscheiden. Das umfaßt auch sexuelle
und reproduktive Gesundheit und beinhaltet die Freiheit von Zwang, Diskriminierung und
Gewalt.“
Die Aufnahme sexueller Orientierung und sexueller Rechte (Position
westlicher Staaten), d.h. ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für Lesben, wurde
gestrichen. Im Gegenzug wurde eine Fußnote gestrichen, die Menschenrechte für Frauen
kulturell relativierte (Position vor allem der islamischen Staaten).

Gewalt: Gewalt gegen Frauen wird als
Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt, ob in der Familie, in der Gesellschaft oder ob
durch den Staat praktiziert bzw. geduldet. Damit wurden die seit der Wiener
Menschenrechtsweltkonferenz erzielten Definitionserfolge (s. UN-Erklärung zu Gewalt an
Frauen
von 1993) ausdrücklich bekräftigt. Vergewaltigungen im Krieg sollen als
Kriegsverbrechen geahndet werden. Das Mandat der 1994 eingesetzten
UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt an Frauen soll zwar über 1997 hinaus verlängert
werden, ihre mangelhafte Ausstattung mit Ressourcen wurde nicht diskutiert.

Menschenrechte: Die Menschenrechte von
Frauen und Mädchen sind ein unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Teil der
allgemeinen Menschenrechte. Jedwede Relativierung konnte nach zähen Verhandlungen
zurückgewiesen und die vorangegangenen UN-Weltkonferenzen vollinhaltlich einbezogen
werden.

Gleichberechtigte Teilhabe: Nur ein
Teilen von Macht und Verantwortung zwischen den Geschlechtern, d.h. zu Hause, am
Arbeitsplatz und in allen Bereichen der Gesellschaft, ermöglicht Gleichberechtigung
zwischen Männern und Frauen, soziale Gerechtigkeit und eine dauerhafte menschliche
Entwicklung, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Weder
Quotenregelungen noch der Begriff »Parität« fanden Eingang in die Aktionsplattform.
Allerdings wurden die Ziele einer Quotenregelung umschrieben mit der Forderung nach
gleicher Repräsentanz von Frauen und Männern sowie der Gleichberechtigung der
Geschlechter.

Mädchen: Die gezielte Abtreibung
aufgrund des Geschlechts wird verurteilt. Die Diskriminierung von Mädchen bei der
Ernährung, Bildung, Gesundheitsbetreuung soll bekämpft werden. Scharf verurteilt wird
die genitale Verstümmelung von Mädchen. NEU: Die Erbrechte von Mädchen fanden
als Kompromiß doch noch Eingang ins Dokument: Die Ungerechtigkeiten und die Hindernisse
beim Erbrecht von Mädchen müssen beseitigt werden. Regierungen sollen dazu Gesetze
– soweit angemessen – erlassen und durchsetzen, die das gleichberechtigte Recht
auf Erben sicherstellt ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Kindes. (Das gleiche
Erbrecht wurde nicht für Frauen formuliert, gefordert wurde lediglich ein Zugang zum
Erbrecht.)

Finanzen: Zur Finanzierung der
Aktionsplattform wurde kein Durchbruch erzielt. Die Entwicklungsländer hatten von den
reichen Geberländern gefordert, zusätzliche Finanzmittel für den Fortschritt der Frauen
zur Verfügung zu stellen. Die Industrieländer sind dazu nicht bereit. „Neue und
zusätzliche“
Mittel sollen durch Umschichtung aus allen verfügbaren
Finanzierungsquellen (einschließlich multilateraler, bilateraler und privater Quellen)
zugunsten der Aktionsplattform erreicht werden. Regierungen sollen zur Finanzierung
nationaler Aktionspläne ihre exzessiven Militäretats kürzen, wenn es angebracht ist und
die nationale Sicherheit nicht gefährdet wird.

Literatur

Ashworth, Georgina 1992: Women and Human Rights, Background Paper for the DAC Expert Group on Women in Development Organisation for Economic Co-operation and Develpoment, London.

Bunch, Charlotte 1993: Die Entstehung der Kampagne für Frauenrechte (Interview mit Charlotte Bunch), in: epd-Entwicklungspolitik, Materialien IV/ 93, S. 10-12.

Byrnes, Andrew 1994: Toward More Effective Enforcement of Women's Human Rights Through the Use of International Human Rights Law and Procedures, in: Cook 1994, pp. 189-227.

Charlesworth, Hilary 1994: What are »Women's International Human Rights«?, in: Cook 1994, pp. 59-84.

Cook, Rebecca J. 1990: Reservations to the Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women, in: Virginia Journal of International Law, Vol. 30 (1990), No.4, pp. 643-716.

Cook, Rebecca J. 1993: Women's International Human Rights Law: The Way Forward, in: Human Rights Quaterly 15 (1993), pp. 230-261.

Cook, Rebecca J. (Hrsg.) 1994: Human Rights of Women, National and International Perspectives, Philadelphia.

Coomaraswmy, Radhika 1994: To Bellow like a Cow: Women, Ethnicity, and the Discourse of Rights, in: Cook 1994, pp. 39-57.

Kerr, Joanna (Hrsg.) 1993: Ours by Right, Women's Rights as Human Rights, London.

Tomasevski, Katarina 1993: Women and Human Rights, London/ New Jersey.

Tomasevski, Katarina 1995: Women, in: A. Eide/ C. Krause/ A. Rosas (Eds.): Economic, Social and cultural Rights. A Textbook, Dordrecht/ London/ Boston, pp. 273-288.

UNDP 1995: Human Development Report 1995, New York/Oxford.

United Nations 1995: The United Nations and the Advancement of Women 1945 – 1995, New York.

Anmerkungen

1) Charta der Vereinten Nationen, in Kraft getreten am 24.10.1945, Artikel 1. Zurück

2) Beijing Declaration, § 14. Zurück

3) Zum 50. Geburtstag schenkten die Vereinten Nationen sich neben diversen Feiern und Laudatien auch eine Bilanz ihrer eigenen Frauenpolitik, die alle »frauenrelevanten« Konferenzen und Auszüge aus Dokumenten, bzw. komplette Dokumente von 1945 bis kurz vor der 4. WFK enthält (United Nations 1995). Zurück

4) Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau, angenommen durch Resolution 640 (VII) der Generalversammlung vom 20.12.1952. Zurück

5) Übereinkommen Nr. 100 der ILO über die Gleichheit des Entgelds männlicher und weiblicher Arbeitskräft für gleichwertige Arbeit, 1951. Zurück

6) UNESCO-Report E/CN.6/146, 9. Mai 1950. Zurück

7) Übereinkommen über die Nationalität verheirateter Frauen, angenommen durch die Generalversammlung am 29.1.1957. Zurück

8) Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen, angenommen durch Resolution 1763 (XVII) vom 7.11.1962. Zurück

9) A/RES/2263 (XXII), 7. November 1967. Zurück

10) Report of the World Conference of the International Women's Year, held in Mexico City from 19 June to 2 July 1975; including the Agenda, the World Plan of Action for the Implementation of the Objectives of the International Women's Year, the Declaration of Mexico on the Equality of Women and Their Contribution to Development and Peace, and resolutions and decisions adopted by the Conference; E/CONF.66/34 (76.IV.1), 1976. Zurück

11) Artikel 1 der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, angenommen auf der Generalversammlung am 18. Dezember 1979, UN Treaty Series, vol. 1249, no. 20378, S. 13. Zurück

12) Report of the World Conference to Review and Appraise the Achievements of the United Nations Decade for Women: Equality, Development and Peace, held in Nairobi from 15 to 26 July 1985; including the Agenda and the Forward-looking Strategies for the Advancement of Women, A/CONF.116/28/Rev.1 (85.IV.10), 1986. Zurück

13) Das Defizit wird auch innerhalb der Vereinten Nationen gesehen und schlug sich in Resolution 1994/45 der Frauenrechtskommission nieder: „The question of integrating the rights of women into the human rights mechanisms of the United Nations and the elimination of violence against women.“ Zurück

14) Ein Fakultativprotokoll zur Konvention, dem die Staaten eigens beitreten müssen, würde ermöglichen, aufgrund einer schriftlichen, nicht anonymen Mitteilung einer Person über Menschenrechtsverletzungen nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges ein Individualbeschwerdeverfahren im UN-Menschenrechtsausschuß einzuleiten und dort Regierungen mit Beschwerden über frauenspezifische Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land zu konfrontieren. Zurück

15) Beide Datensammlungen werden von den Vereinten Nationen erstellt und herausgegeben. 1995 erschienen beide in aktualisierter Fassung und sollten als Datengrundlage für die 4. WFK dienen, doch wurden sie erst kurz vor Konferenzbeginn fertiggestellt. Zurück

16) Dieser Umdenkprozeß hat auch klassische Menschenrechtsorganisationen erreicht. 1995 erschien z.B. zum ersten Mal der Human Rights Watch Global Report on Women's Human Rights. Auch Amnesty International brachte 1995 ein Buch zum Thema heraus (ai 1995: Frauen in Aktion – Frauen in Gefahr, Bonn). Zurück

17) Obwohl erst 1994 erschienen, wurde der Sammelband von Rebecca J. Cook (Cook 1994) bereits zum »Klassiker« der Debatte. Er bietet in 23 Beiträgen Sichtweisen aus allen Regionen der Erde sowie die unterschiedlichen Richtungen des Menschenrechtsansatzes für Frauen. Zurück

18) Die zentralen Passagen aller genannten Konferenzen sind abgedruckt in: United Nations 1995. Zurück

19) A/RES/48/104, 20 December 1993. Zurück

20) Resolution 1994/45 des Menschenrechtsausschusses (ESCOR, 1994, Suppl. No.4, p.140), 11 March 1994. Zurück

21) Das Abschlußdokument besteht aus einer 38 Paragraphen umfassenden Beijing Declaration und der 362 Paragraphen umfassenden Platform for Action. § 47-258 der Aktionsplattform greifen die vorher im Dokument aufgelisteten 12 Aktionsfelder auf. Für jedes der „critical areas of concern“ folgen nach der Darstellung der Ist-Situation und der Benennung der Hindernisse die geforderten Handlungsansätze auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene. Die 12 Aktionsfelder sind Armut, Bildung/Ausbildung, Gesundheit, Gewalt, Bewaffnete Konflikte, Wirtschaft, Macht-/Entscheidungsstrukturen, Mechanismen zur Frauenförderung, Menschenrechte, Medien, Umwelt und Mädchen. Zurück

Ruth Klingebiel (Politologin) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Entwicklung und Frieden (Geibelstr. 41, 47057 Duisburg, Tel: 0203/ 3789-426, Fax: 0203/ 3789-425).

Krieg, Frauen und Neue Weltordnung

Krieg, Frauen und Neue Weltordnung

von Diane Bell

Die Experten mit ihrem privilegierten Wissen und technischen Diskurs haben den Nicht-Experten passiv gemacht. Wie können sich Menschen, die nicht in einem Spezialgebiet geschult sind, die keine Experten sind, in technischen Details zurechtfinden? Ich brauche die genaueren Details der Giftmüllagerung nicht zu kennen, um zu sehen, daß es Fragen gibt, die sich bereits vor den Problemen der Entsorgung stellen. Ich brauche die genaueren Details des Ölmarktes nicht zu kennen, um eine langfristige Energiepolitik als notwendig vorzuschlagen. Ich brauche kein Experte für den Mittleren Osten zu sein, um zu wissen, daß George Bush, wenn er vom „Schlächter von Bagdad“ spricht und Saddam Hussein mit Hitler gleichsetzt, sich auf ein sehr oberflächliches geschichtliches Erinnerungsvermögen US-amerikanischer und alliierter Politik verläßt (s. Conlogue 1991, Trudeau 1991).

Zum Bedauern der Experten präsentieren sich die Probleme des wirklichen Lebens selten innerhalb der sauber gezogenen Grenzen der Disziplinen. Zum Teil ist es die Neigung der Anthropologie, Grenzen zwischen den Disziplinen zu durchbrechen, die ich bei der Analyse von etwas so allumfassenden wie einer Weltordnung attraktiv finde, und ganz sicher ist es die feministische Vorgabe, das Persönliche als das Politische zu erkennen, von der meine Analyse, wie das Empfinden der Öffentlichkeit vor den Karren der Kriegsanstrengungen gespannt wird, getragen ist. Mit dem Aufruf des Präsidenten, „unsere Truppen zu unterstützen“ und gelbe Bänder als ein Symbol der mitfühlenden Sorge an unsere Häuser, Bäume, Autos und Laternenpfähle zu binden und an unsere Körper zu heften, wurden die Amerikaner aufgefordert, die Unterstützung der Menschen, die sie lieben, mit der Unterstützung des Krieges gleichzusetzen; eine zwischenmenschliche Ethik der Fürsorge und Hegens wurde mit einer kruden Form des Patriotismus zusammengefaßt, die eine unreflektierte Vaterlandsliebe und die Billigung der Autorität des Präsidenten und seiner Ambitionen verlangte. In gewissem Sinne wurde der Staat mit dem Präsidenten an der Spitze zu der Familie, in der der Vater es stets am besten weiß. Das hohe Maß an persönlicher Anerkennung, das George Bush genoß, als die Truppen nach Hause kamen, bestätigte, daß das Vertrauen richtig eingesetzt worden war: er und das Militär (und die verbündeten Armeen) hatten es geschafft, den Job zu erledigen, für den sie so gut ausgebildet waren. Wer fragte nach den Kindern, die aus Mangel an sauberem Wasser starben, und nach den fortgesetzten Kämpfen zwischen den verschiedenen Gruppierungen im Irak? Wer fragte nach der Lebensqualität in dem gerade »befreiten« Kuwait? Schwarzer Regen fiel, die Ölquellen brannten, die Menschen standen für Brennmaterial und Benzin an, Familien begannen, nach den Verschwundenen zu suchen, und das Land stand unter Kriegsrecht.

In Kriegszeiten genießt der Staat einen seltenen Augenblick, in dem die Spannungen, die durch die miteinander konkurrierenden Interessengruppen entstehen, auf Distanz gehalten werden können; in dem es als Gefährdung der Mitbürger ausgelegt wird, wenn jemand die Rechtfertigung eines Truppeneinsatzes in Frage stellt; in dem die »freie Presse« die Parteilinie abdruckt und Journalisten angreift, die weiterhin aus der Perspektive des sogenannten Feindes berichten; in dem Staat und Militär zu einem Herrenclub verschmelzen, der durch Geheimhaltung geschützt ist. Es passiert in Kriegszeiten, daß nationale Prioritäten ohne Überprüfung durch die Bevölkerung und ohne eine Debatte im Kongress neu gesetzt werden können; die Kritik an der Gewalt als einem Mittel zur Aufrechterhaltung internationaler Ordnungen wird durch das Aufkommen nationalistischen Eifers zum Schweigen gebracht. Lassen Sie mich diese Zusammenhänge am Engagement der USA im Golfkrieg illustrieren.

Feministische Stimmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern

Vor dem 16. Januar gab es eine eindeutige Kluft zwischen den Geschlechtern in den Auffassungen darüber, wie am besten auf die Invasion in Kuwait zu reagieren sei. In einem Verhältnis von 2:1 favorisierten Frauen wirtschaftliche Sanktionen, während Männer weit eher bereit waren, militärische Lösungen gutzuheißen (The Los Angeles Times, 16. November 1990). Zu reden, so meinten die Frauen, sei kein Zeichen von Schwäche, und verhandeln bedeute nicht nachgeben. „Könnten wir über die Teilung der Macht, statt über das Ergreifen der Macht reden?“ fragten die Frauen. Als die Bombardierung erst einmal begonnen hatte, war wenig von der Kluft zwischen den Geschlechtern die Rede, aber sie existierte weiter. Man konnte sie zu Hause, im Privaten beobachten, in dem Bereich, in dem Frauen anfangen Fragen zu formulieren, die sie zunächst für persönliche Probleme halten, bevor sie entdecken, daß sie sie mit anderen Frauen teilen. Zum Teil ist es diese zeitliche Verzögerung zwischen privatem Leiden und öffentlichem Bewußtsein, die Frauen davon abhält, rasch Interessengruppen zu Fragen von politischer Bedeutung zu bilden.

Lassen Sie mich hier auf meine Feldstudien unter Kolleginnen in den USA verweisen: eine Reihe von Frauen erzählten mir, daß sie sich weigerten, die Nachrichten zu sehen; daß ihr Mann, von dem sie zu wissen glaubten, daß er gegen den Krieg war, gebannt vor der CNN Berichterstattung saß; daß sie sich mit den Männern in ihrem Leben über den Krieg stritten; daß ihn die Reportagen über Scuds, die am nächtlichen Himmel von Patriotraketen »außer Gefecht gesetzt« wurden, faszinierten, daß er süchtig nach ihnen war, sie genoß, ebenso wie die Unmittelbarkeit, die detaillierten Einsatzbesprechungen, den militärischen Humor. „Es ist obszön“, hörte ich die Frauen sagen. Die Wirklichkeit ist schmutzig. Da gibt es Blut und Schmerz und Gewalt. Menschen verrohen, Frauen werden vergewaltigt, Kinder sterben, und uns wird nichts davon gesagt, weil es nicht im Interesse des Militärs ist. Die graphische Darstellung militärischer Überlegenheit im Fernsehen, die Sportmetaphern, Diplomatie hinter verschlossenen Türen und der Krieg als ein surreales Videospiel, betrachtet durch die Nase eines B-52 Bombers – das menschliche Leben als Wert an sich – wird durch all dies ad absurdum geführt.

Dieser Abscheu vor der Art des Umgangs mit dem Krieg liegt die Erkenntnis vom gemeinsamen Ursprung der Gewalt gegen Frauen in zwischenmenschlichen Beziehungen und der Gewalt als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte zugrunde (s. Martha Buck). Zu oft werden Männer in unserer Kultur in die Gewalt als Mittel der Konfliktlösung hineinsozialisiert, und die Berichterstattung, die ihren Erfolg feiert, bedient sich der Metaphorik des Sports und der Sexualität. Die krude Parallele zwischen sexuellem Mißbrauch von Frauen und dem Krieg wird offensichtlich in dem Einsatz von Pornographie, um die Truppen vor dem Gefecht aufzuputschen. Lassen Sie mich Ihnen hier ein Beweisstück vorlegen, von dem ich glaube, daß es den Zusammenhang zwischen Krieg, Staat, Gewalt, Sex und männlichem Anspruch klar macht. In der Buchhandlung im Pentagon konnte man einen »Desert Storm«-Kalender mit Postern von spärlich bekleideten Frauen kaufen, die in militärischer Aufmachung posierten. Der Kapitän der Luftwaffe, bei dem man den Kalender bestellen konnte, gab an, daß er einen Anteil der Gewinne aus dem Verkauf der Yellow Ribbons Foundation spendete (Boston Globe, 27/1/91). Die Ausbeutung der Frau als Sexsymbol und der Frau als Fürsorgende sind eine Verbindung eingegangen.

Der saubere Krieg: Ein militärischer Mythos

Die schrecklichen Folgen des Krieges werden in der Semantik des Militärs verdeckt. In der Berichterstattung über die militärischen Aktionen hören wir von „Begleitschäden“, „chirurgischen Schlägen“, „zielreichen“ Gebieten, „strategischen Angriffen“, „Ausfällen“, „Befehls- und Kontrollketten“, „Freundbeschuß“ und „neutralisierten Panzern“. Dann werden auf einmal verkohlte Leichen von Frauen und Kindern aus einem Bunker in Bagdad gebracht, und man ist schockiert. Gab es doch keine Zielgenauigkeit? Wie konnte eine so große Zahl von Zivilisten getötet werden? Waren die Ziele nicht militärisch? Langsam wird klar, daß es in der Nachbarschaft von militärischen Zielen Menschen gibt, daß »tote Panzer« auch tote Menschen bedeuten. Wenn wir nur zur »strategischen Sprache« Zugang haben, ist der Krieg keimfrei, und menschliches Leben wird etwas Relatives. Wir sprechen nicht von unseren Mitmenschen, sondern von Zivilisten, Soldaten, Feinden und Verbündeten. Der Einsatz von Napalm im Golfkrieg, in Vietnam noch so umstritten, wurde vertuscht (WTG, 24. Februar 1991: C15). Nach der offiziellen Verlautbarung des US-Militärs war das Napalm über den ölgefüllten Gräben abgeworfen worden, die die irakische Armee als Teil ihrer Verteidigung gegen einen möglichen Bodenkrieg errichtet hatte (ebd.).

Während des »Desert Storm« bildete die an ein Wunder grenzende geringe Zahl an Verlusten für die Militärs eine stete Quelle des Stolzes. Doch die Militärs schwiegen, wenn es um die Verluste auf irakischer Seite ging. Der Krieg war erfolgreich, weil der Tod verdeckt wurde. Es gab keine Bilder von den Leichensäcken, die in die USA zurückkamen. Der Stützpunkt in Delaware war bei diesen Gelegenheiten für die Presse geschlossen, und das Recht des Pentagon, die Presse auszuschließen, wurde vor Gericht mit der Begründung bestätigt, daß diese Handlungsweise weder unsinnig noch unangemessen sei. Man hatte die Lehre aus Vietnam gezogen. Sogar als bekannt wurde, daß auf Seiten der USA viele Soldaten dem irrtümlichen Beschuß durch die eigenen Truppen, d.h. »Freundbeschuß«, zum Opfer gefallen waren, blieb der Schrecken des Krieges etwas sehr Fernes. Wir sahen keine Bilder von »feindlichen« Opfern; es hatte niemand Interesse daran – weder der Irak noch die USA – dieses Blutbad zu zeigen.

Wir haben viel über Verletzungen der Menschenrechte gehört – selektiv allerdings und nur, wenn es Wasser auf die militärischen Mühlen war. Berichte von Verletzungen der Menschenrechte durch die Irakis in Kuwait wurden Bestandteil der »Kriegsordnung«. Die Tatsache, daß anhaltende Verletzungen der Menschenrechte aus vielen Golfstaaten berichtet werden, wurde nicht in gleichem Maße deutlich gemacht. Die Militärs drängten der Öffentlichkeit ihre Unterteilung der Menschheit in Verbündete und Feinde auf, und sie kaufte es ihnen ab. Sie wollten erhobenen Hauptes neben dem Präsidenten gehen, sie wollten das Gespenst Vietnam hinter sich lassen. Mir klingt immer noch der Satz General Schwarzkopfs in seinem triumphalen Einsatzbericht vom 27. Februar im Ohr, als er sagte, daß die Greueltaten von Kuwait Stadt von Menschen verübt worden seien, die „nicht derselben menschlichen Rasse angehören, wie wir“. Wer also waren sie? Und wer waren die Soldaten in dem Massaker von My Lai, die Erfinder der Typenradbomben und der chemischen Kriegsführung, die Waffenhändler und die, die Napalm einsetzten? Wenn die Irakis keine Menschen waren, dann bedeutet das auch, daß ihr Leben weniger wert war, als das derjenigen, die zu den verbündeten Truppen gehörten.

Krieg und nationale Prioritäten

Die Bewegung vom Kalten Krieg zur Neuen Weltordnung ließ auf eine Friedensdividende hoffen. Die Kosten dieses Krieges werden aber die Chancen jetzt entscheidend verschlechtern. Krieg geht immer zu Lasten der Sozialetats. Innerhalb der nationalen Prioritäten hat eine Verschiebung stattgefunden über die weder debattiert noch abgestimmt worden ist. Diejenigen, die die Lasten zu tragen haben, sind nicht gefragt worden. Das Nebeneinander vom Krieg draußen und den innenpolitischen Auseinandersetzungen, ist ein durchgängiges Thema in der feministischen Literatur zur »Kriegsordnung«. Die USA, der Möchtegern-Anführer der »Neuen Weltordnung«, sind ein Land mit einem Defizit von 318 Milliarden Dollar, mit 3 Millionen Obdachlosen und 37 Millionen Bürgern ohne Krankenversicherung. Auf 44$, die für das Militär ausgegeben werden, kommt 1$ für Wohnungsbau. Es ist grausame Ironie, einen Krieg auf Kredit zu finanzieren, um dann aufgrund des gestiegenen Defizits Investitionen im Erziehungswesen und der Infrastrutur zu streichen, die notwendig wären, um in der Weltwirtschaft mithalten zu können und für soziale Gerechtigkeit zuhause zu sorgen. Sie ist noch grausamer, wenn wir die Zusammensetzung des Militärs nach Klassen- und Rassenzugehörigkeit betrachten. Junge, meist arme Männer und Frauen in einer sogenannten »Freiwilligenarmee« wurden losgeschickt, um die Interessen Amerikas im Ausland zu schützen. Schulden haben den Krieg finanziert, und genau die Menschen, deren Einkommen während des letzten Jahrzehnts stetig gesunken ist, werden im kommenden Jahrzehnt für den Krieg bezahlen müssen. Man ließ die ohnehin schon Benachteiligten weiter verarmen. Die Verschiebung innerhalb der nationalen Prioritäten wirkt sich auf die Programme für diejenigen aus, die bereits in Not leben. Darüberhinaus gibt es eine Art »geistiger Auszehrung«, denn das Potential an klugen Köpfen einer Nation wird darauf konzentriert, wie ein Krieg am besten führbar ist, und nicht darauf, wie die Voraussetzungen für eine gerechte Gesellschaft geschaffen werden können.

Mir hat der Slogan immer sehr gefallen: Es wird ein großer Tag sein, wenn die Finanzierung der Erziehung gesichert ist, und das Militär Selbstgebackenes verkaufen muß, um neue Kampfflugzeuge finanzieren zu können. Die Kalkulation für den Golfkrieg lag außerhalb des Etats. Wie ist das Pentagon ohne eine Kostenkalkulation davongekommen? Könnten wir einen »Krieg« gegen die Kindersterblichkeit führen, ohne eine vorherige Kalkulation der Ausgaben? Wir wissen, daß Betreuung vor der Geburt hilft. Wir wissen, daß ein Teil der Bevölkerung der USA eine erschreckend hohe Rate an Kindersterblichkeit aufweist. Mit ihrer Kindersterblichkeitsrate stehen die USA an 25. Stelle unter den Industrienationen. Doch soziale Dienstleistungen wurden gekürzt, um einen Krieg weiterführen zu können, dessen Kosten unabsehbar waren. Können Sie sich eine massenhafte Medienberichterstattung zur Feminisierung der Armut und zur Gewalt gegen Frauen vorstellen, mit einem Riesenaufgebot an Experten aus aller Welt, monatelang, ohne Unterbrechung, auf CNN? Wäre es dann möglich, Schwangerschaftsvorsorge und Kinderbetreuung außerhalb des Etats zu finanzieren, weil ohne diese Programme Leben verloren gehen würden, weil der »American Way of Life« gefährdet wäre, und »Demokratie« einen hohlen Klang bekäme? Diese Gründe wurden als Gründe für den Krieg angeboten. Wer setzt die Prioritäten, wo es um Menschenleben geht?

Die Kriegskosten beinhalten Gehälter, Raketen, Munition, See- und Luftbrücken, Treibstoff, militärische Bauten, Medikamente, Lebensmittel, Wasser und andere Versorgungssysteme. Aber für gewöhnlich werden die Unterstützungen für die Veteranen und die Zinsen, die für das für diese Verpflichtungen geliehene Geld anfallen, genauso wenig berechnet, wie die Zeit, die nötig ist, um diese Schulden abzuarbeiten. Die Hinterlassenschaft der Kriege häuft sich mit den Jahren an, vom 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Korea, Vietnam (von den nicht offen erklärten Kriegen ganz zu schweigen). So zahlten die USA beispielsweise noch Mitte der 70er Jahre mehr als eine Million Dollar pro Jahr an Kriegsrenten, die auf den Bürgerkrieg zurückgingen. Versuchen Sie einmal sich die Kriegsschulden dieses Jahrhunderts vorzustellen.

Eine Kalkulation der Kriegsoperationen am Golf setzt den Preis in der Phase der Vorbereitung bis zum 16. Januar auf 11,4 Milliarden Dollar an. Ab dem Einsetzen des Luftkrieges auf 500 Millionen pro Tag und 2 Milliarden pro Tag für die Phase des Bodenkriegs. Ralph Estes veranschlagt die Kosten des Krieges auf etwa 450 Milliarden Dollar. Betätigen wir einmal unsere ökonomische Phantasie und berechnen aufgrund früherer Kriege und Faktoren wie den anfallenden Unterstützungen für Veteranen und Schuldzinsen die Kosten, so steigen die Ausgaben auf mehrere Milliarden (650 Milliarden Dollar); addiert man dazu den Verlust an Menschenleben, das verwüstete Land, die Kosten des Wiederaufbaus, so fällt es schwer, den Krieg effizient zu nennen und ihm eine Vorbildfunktion zuzusprechen. Der Krieg ist eine Hypothek auf die Zukunft und auf die unserer Kinder.

Frauen als Staatsbürgerinnen

Für Frauen bedeutet Krieg, daß sie als Staatsbürgerinnen für die Nation nicht denselben Wert haben, wie eine bestimmte Außenpolitik. Der Krieg verlangt, daß Frauen als Staatsbürgerinnen ignorieren, daß ihr bereits begrenzter Zugang zu den Bereichen Wohnung, Erziehung, Gesundheitsvorsorge, Nahrung und Kleidung noch weiter eingeschränkt wird; daß sie bei einer zerstörerischen Außenpolitik mitmachen, um eine nicht vorhandene Energiepolitik zu unterstützen, weil wir doch ein Recht auf billiges Öl haben; daß sie eine Regierung stützen, die ihre Rechte ausgehöhlt hat, in deren Verfassung sie nicht erwähnt werden und auf deren Straßen sie sich nicht ohne Angst vor Belästigung, Überfällen, Mord bewegen können; daß sie akzeptieren, nur 64 Cents zu verdienen für jeden Dollar, den ein Mann bekommt.

Im Golfkrieg dienten Frauen ihrem Land beim Militär (s. Pam Hughes und Nancy Buermeyer). Durch die Bestimmung, die Frauen von einem Kampfeinsatz ausschloß und die zu einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung führte, war ihnen jedoch der Zugang zu 50% aller Stellen in der Armee versperrt. Die Ironie dabei ist, daß es für die Zahl der rekrutierten Frauen eine Obergrenze gibt, die die Konkurrenz noch verschärft. Als Folge davon müssen Frauen, um angenommen zu werden, besser sein als die entsprechenden männlichen Bewerber. Hatten sie dann den Job, waren sie in der Marine und der Luftwaffe durch ein Gesetz, in der Armee durch eine Vorschrift, von allen Aufgaben ausgeschlossen, die als »Kampfeinsatz« gekennzeichnet waren. Was damit gemeint ist, ist Auslegungssache und führt zu Widersprüchlichkeiten und Heuchelei. So können Frauen zum Beispiel Flugausbilderinnen sein, doch sie dürfen keine Kampfflüge durchführen. Wenn sie es doch täten, so wäre das der Definition nach kein Kampfeinsatz. In der Luftwaffe dürfen Frauen noch nicht einmal lernen, Kampfflugzeuge zu fliegen, aber sie fliegen die Flugzeuge, die sie wiederauftanken. Frauen war zwar nicht erlaubt, auf Schlachtschiffen zu arbeiten, dafür aber auf den Schiffen, die sie wiederauftanken. Hier handelt es sich um langsame Schiffe, die sich ohne Deckung nähern und zurückziehen. Im Kriegsgebiet übernehmen Frauen Rollen in der Versorgung und Unterstützung, in Schlüsselzielen also. Die Vorschriften, die Frauen vom Kampfeinsatz ausschließen, bilden eindeutig keinen Schutz für Frauen; vielmehr, wie die Kongressabgeordnete Pat Schroeder sagte, „schützen sie die Frauen vor Beförderung“. Die Frage nach dem Kampfeinsatz von Frauen war entscheidend für die Niederlage des Gleichberechtigungsparagraphen in den USA, doch wenn Frauen sich in einem Krieg behaupten, gibt es keine Anerkennung. Für sie gelten andere Maßstäbe: sie sind unsichtbar.

Wenn es um Frauen ging, konzentrierten sich die Medien auf die »Mütter im Krieg«, die Babies und Familien, die zurückgelassen wurden, die Frau, die in den Wehen lag, als die Einberufung sie erreichte, die Probleme von Kindern, deren Eltern im Krieg waren, und, wie immer, von der Versorgung der Kinder als Frauensache; der Tenor war, die Opfer sind schuld. Während »Desert Storm« waren 17.500 Familien ohne erziehenden Elternteil bzw. ohne beide Elternteile (1.200 Familien mit Doppelverdienern).

Auch als Veteraninnen waren Frauen eine andere Kategorie von Staatsbürgern. Als sich der Kongress mit den Unterstützungsgeldern befaßte, die für die Veteranen anfallen würden (NYT, 19/2/91), kündigte das Verteidigungsministerium sofort seinen Widerstand dagegen an, alleinerziehende Eltern und Ehepaare mit kleinen Kindern vom Dienst zu befreien, ging aber in keiner Weise auf ihre Ansprüche und Bedürfnisse ein (NYT, 20/2/91).

Was würde passieren, wenn wir als Faktoren für die gesellschaftlichen Kosten auch die Generation von Kindern aufnehmen würden, die von ihren Müttern getrennt wurden, weil sie eine Last waren, die Frauen, die mit ihren Schuldgefühlen fertig werden müssen und die Kinder, die um die Bindung zu ihren Eltern gebracht wurden etc.? Warum sollen Entscheidungen zum Besten der Nation, und nicht zum Besten einzelner Mütter und Kinder getroffen werden, aus denen sich die Gemeinschaft der Staatsbürger zusammensetzt?

Feministinnen haben festgestellt, daß die Frauen die Armen dieser Erde sind: sie haben keinen Staat, keine Position bei der UN, keine internationale moralische Krise, über die in den Medien so ausführlich berichtet würde wie über den Krieg. Dennoch sind die Auswirkungen des Golfkrieges auf das Leben der Frauen dramatisch. Die Neue Weltordnung, die Bush so gerne verkündet, ist in Warhheit eine Kriegsordnung, und ihre Auswirkungen auf die Frauen als Mitglieder der Weltgemeinschaft sind verheerend. 80% aller Flüchtlinge auf der Welt sind Frauen und Kinder, und als Flüchtlingen ergeht es Frauen schlechter als Männern; weltweit leisten Frauen den größten Teil der lebenserhaltenden Arbeit, aber sie haben wenig Besitz, und für solche Menschen am Rande vervielfachen sich die Folgen des Krieges; 78% aller Menschen, die in Armut leben, sind Frauen und Kinder unter 18 Jahren; Armut wird rapide feminisiert (siehe Seager und Olson). Die Kluft zwischen den Geschlechtern bei der Einschätzung der Nützlichkeit des Krieges als ein Mittel der Konfliktlösung spiegelt diese Wirklichkeit wider. Die Verteilung von Nutzen und Lasten, bei der die Frauen weniger an Ressourcen besitzen, während sie ein Mehr an Verpflichtungen auf sich nehmen, wird durch den Krieg noch verschärft. Sie werden aufgefordert, aufopfernde Patriotinnen zu sein, sie dienen ihrem Land in der Armee, als Mütter, als Ehefrauen, Freundinnen durch ihre Gefühlsarbeit (s. Enloe). All diese Rollen verlangen, daß die Frauen Normen akzeptieren, die sie nicht selber gesetzt haben, die gewiß nicht in ihrem langfristigen Interesse sind und die oft ihren unmittelbaren Bedürfnissen zuwiderlaufen. Frauen tragen die Lasten des Krieges und gewinnen aus ihm wenig Nutzen. Der militärische Sieg in einem Krieg bedeutet nahezu mit Sicherheit für viele Frauen größere Armut im Frieden.

Die Folgen der Anwendung von Gewalt zur Lösung von Problemen sind den meisten Frauen vertraut. Aggression erzeugt strukturelle Gewalt in der Gesellschaft und Frauen leiden darunter. Wir hören es schon in der Sprache des Siegers: „denen haben wir es gegeben“, wir haben ihre Truppen „in die Flucht geschlagen“, wir werden „Saddam to Allah“-Autoaufkleber verschicken. Feministinnen mißtrauen der überwältigend männlichen Art und Weise, in der Soldaten ausgebildet werden, und das Töten, das der Krieg mit sich bringt, stößt sie ab. Aber wenn sie nach Lösungen in Form von Reformen suchen, denken sie über Möglichkeiten nach, das Militär weiblicher zu gestalten oder sich für seine Abschaffung einzusetzen (Hanley,1991: 1-3). Ihr wolltet Gleichheit, sagen die Zyniker; jetzt, wo ihr kämpfen dürft, beschwert ihr euch über den Krieg.

Die Kluft zwischen den Geschlechtern schließen

Eine Kluft zwischen den Geschlechtern festzustellen, wenn es um den Krieg geht, bedeutet nicht, eine Grundsatzdebatte zu führen. Das Bewußtsein der Frauen wird von ihren materiellen Existenzbedingungen geformt, und die sind trostlos in der »Kriegsordnung«. Die Frauen wissen, daß man sie belügt; daß wir an den Konsequenzen daraus lange zu tragen haben; daß die Frauen die Last tragen werden. Frauen wissen, daß Krieg unvorstellbaren Schmerz, Verlust und bleibendes Trauma bedeutet; sie wissen, daß keine Beteuerungen von Anführern und Experten aus ihm eine saubere Sache machen können. Sie wissen, daß sie ungeschützt sind gegen Mißhandlung (in den USA wird alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt); daß das Zuhause, angeblich der Hort der Liebe und der Sicherheit, der Ort ist, an dem Frauen mißhandelt und ermordet werden. Allerdings erscheint die Gewalt, indem sie als »häusliche Gewalt« bezeichnet wird, irgendwie gemildert: durch die Bezeichnung »Gewalt in der Ehe« wird die Tatsache, daß Männer Frauen mißhandeln, verdeckt. Frauen erfahren Gewalt nicht von weitem: sie kennen ihre Verletzlichkeit in einer sehr direkten und persönlichen Art, aber sie wissen auch, daß sie auf der öffentlichen Ebene geleugnet wird, wo Gesetze, die Frauen schützen, als Beweis für eine mitmenschliche Gesellschaft angeführt werden können.

Die private Wut der Frauen über den Krieg und seine Berichterstattung erwächst aus unserer Lebenswirklichkeit. Frauen blicken auf eine andere Realität. Es ist nicht die Welt der »chirurgischen Schläge«. Krieg schützt die Frauen nicht. Diese Lüge wird in der bürgerlichen Gesellschaft ständig widerholt. Frauen werden in Friedenszeiten vergewaltigt und auch in Zeiten des Krieges. Krieg richtet Schaden in den Körpern und in der Umwelt an. Sich vorzustellen, wie wir den Unterschied zwischen den Geschlechtern in eine politische Kraft umwandeln können, ist schwierig, solange Frauen in der Weltordnung am Rande stehen; solange ihre Verletzlichkeit als Fürsorgende manipuliert wird; solange eine Verschiebung in den nationalen Prioritäten durch eine nationalistische Rhetorik verdeckt wird. Das Persönliche in das Politische hineinzunehmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern zu schließen, hat nichts damit zu tun, daß Frauen mehr wie Männer werden müßten, sondern es bedeutet, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der das Leben und unser Planet geachtet werden und in der Krieg nicht gerechtfertigt und mystifiziert wird als etwas, das »uns schützt«. Wir müssen verlangen, daß über die Friedensbewegung berichtet wird (s. Lembcke 1991); daß Patriotismus kritisiert wird (s. Conlogue 1991); daß Krieg nicht aufgrund eines Volksentscheids geführt wird; daß das Pentagon die öffentliche Meinung nicht in seinem Interesse manipuliert; daß eine langfristige Energiepolitik entwickelt wird. Dies war kein »gerechter Krieg« (wenn es so etwas überhaupt geben kann). Uns wird es hinterher schlechter gehen als vorher. Unter welchen Bedingungen würden Frauen sich weigern, Kinder großzuziehen, um diese hinterher in den Krieg zu schicken? Wären sie bereit, geliebte Menschen zu opfern oder sich in der Einrichtung ihres Lebens einer Politik anzupassen, die sie entmachtet und sie verarmen läßt.

Wir wissen, daß sich die Fragen von Frauen oft als entscheidend erwiesen haben, als die Folgen »technischer Brillianz« zum Vorschein kamen. Als Frauen müssen wir beharrlich Fragen zum Krieg stellen und uns von Kriegsexperten nicht abspeisen oder einschüchtern lassen. Doch wurde etwa in den Leserbriefspalten der Zeitungen deutlich, daß Frauen sich den Kopf zermarterten, wie sie über Krieg, Frieden, Menschenwürde und Menschenleben reden könnten, ohne kompromittiert, zum Schweigen gebracht, niedergemacht zu werden und ohne illoyal gegenüber denen zu sein, die sie lieben. Eine der wichtigsten Strategien von Feministinnen, wenn es um Fragen politischer Bedeutung geht, ist, Frauen das Privileg der Wissenden zuzusprechen und zu zeigen, daß ihre Beobachtungen, Wahrnehmungen und Überlegungen in ihrer Erfahrung der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit und der Abhängigkeit gründen, aus denen oft eine Klarheit des Blicks entsteht, die diejenigen, die über die Macht und die Ressourcen verfügen und die Entscheidungen fällen, nicht haben. Zu oft wird das Wissen der Frauen mit der Begründung abgetan, es sei intuitiv und persönlich, es mangele ihm an Präzision und es sei gewiß nichts für die Wissenschaft. Ich denke im Fall von Krieg und Frieden können wir sehen, daß Frauen sehr wohl einige Dinge »wissen«, aber da ihr Wissen den Strukturen der »Kriegsordnung« von Natur aus feindlich gegenübersteht, werden ihre Stimmen zum Schweigen gebracht und sie scheuen davor zurück, ihre Analysen als etwas zu präsentieren, das politische Aufmerksamkeit verdient.

Wenn es um Strategien geht, wie kann das Gespräch als wichtiger erkannt werden als die Gewalt? In dieser Hinsicht finde ich die Arbeiten der Ökofeministinnen sehr vielversprechend. Zum Abschluß möchte ich Ihnen gerne einen Ausschnitt aus Asoka Bandarages Artikel „Auf der Suche nach einer neuen Weltordnung“ vorlegen, der in einer der letzten Ausgaben des Women's Studies International Forum (1991, S.348-349) erschienen ist:

„In den Kämpfen für Umweltschutz und Menschenrechte spielen immer mehr Frauen, oft aus unterdrückten Gruppen, eine führende Rolle. So sehen wir Frauen an der Spitze von Initiativen zum Schutz der Wälder, wie etwa derjenigen der Chipko Bewegung in Indien (Shiva 1989). Sie setzen alte Rituale für neue Zwecke ein und übernehmen den alten Brauch, Bäume zu umarmen, um sie so vor Holzhändlern, Maklern und Regierungsbeauftragten für Entwicklungshilfeprojekte zu schützen. Auch in den Vereinigten Staaten haben Frauen, oft einfache Hausfrauen und Arbeiter, wie Karen Silkwood, die Führung übernommen im Kampf gegen die Atomindustrie und Giftmülldeponien an Orten wie Three Mile Island und Love Canal. … Andere Frauen übernehmen die Führung in Bewegungen zum Schutz von Menschenleben vor politischer Gewalt. … Gruppen von Müttern in El Salvador, Chile, im Mittleren Osten, Nordirland … fordern die Rückkehr ihrer verlorenen Kinder. In Argentinien nehmen die Mütter Windeln, um Barrikaden gegen die Polizei zu errichten, so, wie die Frauen in Greenham Common Netze um die Raketenbasis gewoben haben. … Die Schaffung einer neuen Weltordnung ist undenkbar, ohne die weltweiten Ressourcen über die Schranken zwischen den Klassen, Nationen, ethnischen Gruppen und Geschlechtern hinweg zu teilen.“

Auswahlbibliographie

Amnesty International USA 1990. Prepared Statement of Amnesty International USA on Human Rights Violations by Iraqi Security Forces in Kuwait, Before the Congressional Human Rights Caucus, 10. Oktober 1990.
Conlogue, Ray. 1991. Cyuicism that flies in the face of patriotism. in: Globe and Mail, 5. März.
Enloe, Cynthia. 1989. Bananas, beaches and bases: Making Feminist Sense of International Politics. Unwin Hymen. Boston.
Faux, Jeff. 1991. Fight Now: Pay Later. in: New York Times. 19. Febr. 1991.
Galbraith, John Kenneth. 1990. (Class)War in the Gulf. in: New York Times, 7. Nov.
Gioseffi, Daniela (Hrsg). 1988. Women on War: Essential Voices for the Nuclear Age from a Brilliant Assembly. A Touchstone Book. Simon and Schuster, New York.
Gordon, Suzanne und Buresh, Bernice. 1991. Women's Stake in War. in: Boston Globe, Jan.
Greer, Germaine. 1990. Our Allies, the Slave Holders. in: New York Times, 14. Nov.
Hanley, Lynne. 1991. To Kill and to be Killed. in: Women's Review of Books, Vol.8, No.6, 1-3.
Lembcke, Jerry. 1991. Soldiers will feel solidarity with pacifists. in: The Hartford Courant.
Lorch, Donatelle. 1991. 7 Miles of Carnage Mark Road Iraqis Use to Flee. in: New York Times, 3. März.
Mahony, Rhonda. 1991. Voices of Dissent: taking on the Pentagon. in: Ms., Vol. 1, No.5, 86-7.
NOW. 1990 Resolution on equality for women in the Persian Gulf, 16. Sept.
NOW.1990. Resolution on Women in Combat, 16. Sept.
NOW. 1990. Resolution on Troop Build-up in the Persian Gulf. 18. Nov.
NOW. 1990. News Release, 27. Nov, NOW calls for withdrawal of troops from Saudi Arabia. Condems Gender Apartheid.
NOW, n.d. Women in the Military.
Seager, Joni und Olson, Ann. 1986. Women in the World. Touchstone Books, Simon and Schuster, New York.

Diane Bell ist Anthropologin, Feministin, Lehrstuhl für Religion, Wirtschaftliche Entwicklung und Soziale Gerechtigkeit am College of the Holy Cross, Worcester, MA 01610, USA

Mutterrecht und Friedfertigkeit

Mutterrecht und Friedfertigkeit

von Monika Nehr

„Krieg ist der Vater aller Dinge“, schrieb Heraklit (etwa 544-483 v. u. Z.). Dieses geflügelte Wort wird oft fälschlicherweise verwendet, um die Allmacht und Notwendigkeit von Kriegen zu betonen. Doch Heraklit war kein Philosoph des Krieges. Mit diesem Satz wollte er metaphorisch ausdrücken, daß sich alles Geschehen in ständiger Bewegung und im ständigen Kampf entgegengesetzter Prinzipien entwickelt. Aber ist nicht die Wahl seiner Worte bedeutsam? Krieg als Metapher für die Dialektik der Dinge, Vater als Metapher für die Urtriebskraft! Sie ist es – philosophierte er doch im patriarchalischen Sklavenhalterstaat Athen, der durch Raubkriege entstanden war und bis zu seinem Untergang Kriege führte.

Der Umsturz des Mutterrechts aber, der lange vorher stattgefunden hatte, wurde gerade erst literarisch zu bewältigen versucht: Aischylos, ein Zeitgenosse Heraklits, beschreibt in seiner Orestie den Kampf zwischen den entmachteten Göttinnen des Mutterrechts und den vaterrechtlichen Gottheiten. Athene ist die Vorsitzende des Areopags, des Göttergerichts. Sie, die Göttin ohne Mutter, die dem Haupte des Zeus entsprungen war, hat bei Stimmengleichheit die Entscheidung. Sie spricht Orest frei, obwohl er seine Mutter ermordet hat. Muttermord war nach Mutterrecht der schwerste und unsühnbarste Mord. Der Freispruch Orests ist zugleich auch der religiöse Sieg des Vaterrechts.

„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“, schrieb Engels 1884 in seinem Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, „Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kindererzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau, wie sie namentlich bei den Griechen der heroischen und noch mehr der klassischen Zeit offen hervortritt, ist allmählich beschönigt und verheuchelt und auch stellenweise in mildere Form gekleidet worden; beseitigt ist sie keinewegs.“

Während mit dem patriarchalischen Griechenland die geschriebene Geschichtsschreibung beginnt, gibt es keine schriftlichen Zeugnisse aus der Zeit des Mutterrechts. Es sind zuerst die Forschungen von Morgan und Bachofen, die mutterrechtliche Urgesellschaften überall auf der Welt nachweisen. Morgans Ancient Society erscheint 1871 und Bachofens Mutterrecht 1861. Engels hat beide Arbeiten besonders die von Morgan, zur Grundlage seines „Der Ursprungs der Familie, des Staates und des Privateigentums“ gemacht.

Bachofen suchte nach Spuren des mutterrechtlichen Zustandes in den geschichtlichen und religiösen Überlieferungen, wie mit der erwähnten Deutung der Orestie. Morgan entdeckte die mutterrechtliche Sippe oder GENS bei den irokesischen Indianern Nordamerikas und rekonstruierte aus ihr rückwärts die Geschichte der Familie. An ihrem Anfang war der Geschlechtsverkehr unter den Menschen regellos. Seine stetige Einengung unter Verwandten führte schließlich zum völligen Inzestverbot, das sich in der Struktur der Gens widerspiegelt: ihr gehören nur miteinander verwandte Frauen und Männer und die Kinder der Frauen an. Die Väter der Kinder stammen aus einer anderen Gens. Sie leben in Paarungsehe in der Gens ihrer Frau, in der sie nur eine Gastrolle haben. Es herrscht das Prinzip der Matrilokalität. Wie in allen urgeschichtlichen Familien gilt auch in der Gens das Mutterrecht, also die ausschließliche Anerkennung der Abstammungsfolge nach der Mutter und die daraus entstehenden Erbschaftsbeziehungen. Erben können nur Mitglieder einer Gens voneinander. Da die Kinder zur Gens der Mutter gehören, können sie nur von ihr, nicht vom Vater erben. Dieses Erbrecht war so lange kein Problem wie es nur bescheidene persönliche Gegenstände und keine Reichtümer zu erben gab. Die Alleingültigkeit der weiblichen Abstammungslinie blieb aus diesen Gründen auch in der Gens mit Paarungsehe und gesicherter Vaterschaft erhalten. Die mutterrechtliche Gens kann als die entwickelste mutterrechtliche Gesellschaftsform angesehen werden, denn die ursprüngliche Stellung der Mütter als der einzigen sicheren Eltern ihrer Kinder sicherte ihnen, und damit den Frauen überhaupt, eine höhere gesellschaftliche Stellung, als sie seitdem je wieder besessen haben.

Zum historischen Stellenwert der Gens schreibt Engels: „In dieser nach Mutterrecht organisierten Gens entdeckte er (Morgan) die Urform, woraus sich die spätere, vaterrechtlich organisierte Gens entwickelt hat, die Gens, wie wir sie bei den antiken Kulturvölkern kennen. Gens hat für die Urgeschichte dieselbe Bedeutung wie Darwins Entwicklungstheorie für die Biologie und Marx Mehrwerttheorie für die politische Ökonomie.“ Die Wiederentdeckung der mutterrechtlichen Gens durch die Frauenbewegung steht noch aus. Mutterrechtliche Gesellschaftsformen sind aber nicht nur bei allen amerikanischen Indianern und den Ureinwohnern Indiens nachweisbar. Nach Untersuchungen, die seit Bachofen stattgefunden haben, müssen ähnliche Zustände überall bestanden haben, so auch in Deutschland, wie u. a. bei Engels nachgelesen werden kann.

In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hat die Entdeckung von Höhlen aus der Jüngeren Altsteinzeit überall in Europa neue Belege für mutterrechtliche Kulturen gebracht. Welche (wissenschaftliche) Freude hätten wohl Morgan, Bachofen oder Engels an den sogenannten Venusstatuetten, Höhlenmalereien und Reliefs gehabt, die auf weitverbreitete Fruchtbarkeitskulte und Frauenverehrung schließen lassen.

Wir sind heute in der glücklichen, aber noch kaum genutzten Lage, die uns eine Vielfalt von familiengeschichtlichen, mytologischen und archäologischen Befunden aus mutterrechtlicher Vorzeit zur vergleichenden und systematischen Analyse präsentiert. Das vorliegende Material reicht aber schon aus, um die alte Frage nach der Friedfertigkeit der Frauen aus der Sicht des verlorenen historischen Mutterrechts neu zu stellen. Können wir in produktiver Umkehr von Heraklits Worten sagen, Frieden ist die Mutter aller Dinge.

Über die Herrschaft des Vaterrechts, das Patriarchat, und seine Kriege wissen wir fast alles – über Krieg und Gewalt im Mutterrecht haben wir im Vergleich dazu wenig Zeugnisse. Aber sie reichen aus, um zu belegen: in Zeiten mutterrechtlicher Gemeinschaften wie der Gens hat es keine Ausbeutung und Unterdrückung nach innen und keine Raubkriege nach außen gegeben. Die Irokesen führten zwar Kriege gegen andere Stämme zur Verteidigung von Stammesgrenzen oder um neue Jagdgründe. Ein Krieg konnte auch mit der Vernichtung des anderen Stammes enden nie aber mit seiner Unterjochung. Es ist wichtig zu beachten, daß die Irokesen ihre ursprünglich auf Selbstversorgung beruhenden Sippen oder Gentes aus wirtschaftlichen Gründen bereits zum Stamm zusammengeschlossen hatten, und die Stammesorganisation die Vorrangstellung der Frauen innerhalb der Gens nicht repräsentierte. Frauen hatten keine öffentlichen Ämter, jedoch Mitspracherecht, sie zogen auch nicht in den Krieg, sondern die Männer.

Bornemann hat sicher recht, wenn er in seinem Patriarchat feststellt, daß die mutterrechtliche Ordnung aus einer Zeit stammt, in der es noch keine Kriege gab und darauf verweist, daß die Siedlungen der Jüngeren Steinzeit, die wir aus der Alten Welt kennen, frei von Verteidigungsanlagen sind. Erst nach dem Auftauchen der vaterrechtlichen Griechen finden wir Befestigungsanlagen einer kriegerisch ausgerüsteten Männergesellschaft.

Die Gründe für die verhältnismäßige Friedfertigkeit der mutterrechtlichen Gesellschaften lassen sich wieder an der irokesischen Gens veranschaulichen: Die Teilung der Arbeit ist rein naturwüchsig. Der Mann beschafft die Rohstoffe der Nahrung und die dazu nötigen Werkzeuge. Die Frau besorgt das Haus. Dem Mann gehören die Werkzeuge, der Frau der Hausrat. Die Haushaltung ist trotz Paarungsehe gemeinsam mit vielen Familien, also kommunistisch. Die Matrilokalität begünstigt eine gewisse Vorherrschaft der Mütter innerhalb der Gens, denn sie gehören zu ihr, während die Männer aus verschiedenen Gentes stammen und bei Trennung auch wieder in diese zurückkehren müssen, die Kinder jedoch bei den Müttern bleiben. Herrschaft im Sinne von Ausbeutung und Unterdrückung üben die Frauen nicht aus.

Während bei den Irokesen die gesellschaftlichen Triebkräfte zum Umsturz des Mutterrechts fehlen, haben die Männer der Alten Welt in der Jüngeren Steinzeit durch die Züchtung von Viehherden einen bislang unbekannten Reichtum geschaffen. Über diese neuen Reichtümer konnte der Mann als Besitzer aber dennoch nicht verfügen, weil sie nach seinem Tode in der Gens seiner Mutter aufgeteilt wurden. Das war Grund genug, das Mutterrecht umzustoßen und Vaterrecht in der Gens einzuführen. Das bedeutete zunächst Patrilokalität und die Möglichkeit, den Reichtum an die eigenen Kinder zu vererben. Die weibliche Abstammungslinie war zugunsten der väterlichen abgesetzt.

Engels nennt diesen Umsturz des Mutterrechts eine der einschneidensten Revolutionen der Menschheit. – Von der vaterrechtlichen Gens zum patriarchalischen Staat war es dann nur noch ein verhältnismäßig kurzer Weg. Das Patriarchat ist aber nicht nur vaterrechtliche Abstammungslinie und entsprechendes Erbrecht. Wer das Patriarchat verstehen will, darf nie seinen Ursprung in der Entrechtung der Frauen, der Ausbeutung und Unterdrückung einst freier Gentilgenossen nach innen und den Raubkriegen mit der Versklavung anderer Völker nach außen vergessen.

Die Frage der Friedfertigkeit der Frau wurde in unserem Jahrhundert von Frauen aus der Friedensbewegung neu thematisiert. Im Jahre 1917, während des Ersten Weltkrieges, schrieb Lida Gustava Heymann, radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin, in ihrem Essay Weiblicher Pazifismus, daß weibliches Wesen und weiblicher Instinkt identisch seien mit Pazifismus und der Mann die größte Schuld trage, daß des Weibes Wesen und Art nicht zur Auswirkung kam. In diesen Überlegungen dominiert eine biologische Wesensbestimmung der Frau, die auch in Teilen der heutigen autonomen Frauenfriedensbewegung aktuell ist. Eher traditionell sozialistisch motivierte Friedensfrauen argumentieren dagegen mit Blick auf reaktionäre Frauenpersönächkeiten in der großen Politik, daß Frauen auch nicht friedfertiger seien.

Beide Positionen verkennen oder ignorieren unsere mutterrechtliche Vergangenheit und die Gründe für den (vorläufigen) Sieg des Patriarchats. Die biologisch angelegte Gebärfähigkeit hat zwar die mutterrechtliche Abstammungslinie begründet und die naturwüchsige Arbeitsteilung von Mann und Frau begünstigt. Die verhältnismäßige Friedfertigkeit in mutterrechtlicher Zeit ist jedoch nicht die biologische, sondern die soziale Widerspiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Gerade weil Friedfertigkeit sozial und nicht biologisch determiniert ist, kann sie gesellschaftlich durch Erziehung manipuliert werden.

Ebenso wenig kann die mangelnde Friedfertigkeit des Patriarchats aus der Biologie der Männer erklärt werden. Der Umsturz des Mutterrechts durch die Männer war auch kein Zufall, sondern die zwangsläufige Folge der neuen Produktionsmöglichkeiten. Die Männer wurden die Besitzer der neuen Produktionsmittel, die den Rahmen der mutterrechtlichen Gentilordnung sprengen mußten, denn die Frauen ihrerseits konnten nichts gleichwertiges entgegensetzen. All das mindert aber nicht die historische Schuld der Männer, die die Frauen nach dem Umsturz des Mutterrechts bis zur völligen Rechtlosigkeit im Patriarchat versklavt haben.

Im Mutterrecht hingegen ist die Friedfertigkeit historisch verankert. Das sollte für Frauen (und Männer) Grund genug sein, sich ihrer mutterrechtlichen Vergangenheit bewußt zu werden.

Den Freundinnen Eva Förster und Claudia Hoffmann danke ich für ihre unermüdbare Diskussionsfreude in unserer Arbeitsgruppe.

Dr. Monika Nehr arbeitet in Berlin

Frauen und Frieden. Zu einigen bildlichen Konzeptionen der frühen Neuzeit

Frauen und Frieden. Zu einigen bildlichen Konzeptionen der frühen Neuzeit

von Jutta Held

Seit dem frühen 16. Jahrhundert setzt in der Bildpublizistik eine massive frauenfeindliche Kampagne ein, die vermutlich vom Patriziat der Städte in Verbindung mit den kirchlichen Instanzen getragen wird und das Ziel hat, die Frauen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen und in der Familie dem Mann unterzuordnen. Trotz der nahezu ausschließlich negativen, warnenden Charakterisierung der Frauen, die verbreitet wird, gelang es nicht, das Frauenbild diesen misogynen Deutungsmustern der Kirche vollständig zu unterwerfen. Selbst diese theologisch legitimierten Ideologien hinsichtlich der Frau mußten immer wieder den volkstümlichen Alltagserfahrungen, in denen die Frau selbstverständlich auch eine positive Rolle spielte, Raum gewähren.

Es soll hier nur ein Bild aus dem späten Mittelalter angeführt werden, das eher diese volkstümlichen Erfahrungen spiegelt. Maria als Fürbitterin, die sogenannte Schutzmantelmadonna, gewährt Frauen und Männern, darunter auch Würdenträgern, unter ihrem Mantel Asyl, während Gottvater vom Himmel Pestpfeile auf die Menschen abschießt. Der männliche Gott ist ein ferner, unbarmherziger und kriegerischer Despot, während die Göttin (diesen Rang und Wert hatte Maria wohl zumindest im Leben des Volkes) auf der Erde steht wie die Menschen und ihnen ganz nahe ist. Sie konnte daher um Schutz vor der männlichen Gewalt angegangen werden.

In der Arbeitsteilung der Geschlechter war der Frau auf der Grundlage ihrer Sexualität die Rolle zugewachsen, Krieg und Krankheit abzuwehren oder deren Folgen zu mildern. Auf unserem Bild wird diese schützende Funktion der Frau deutlich in Opposition gesehen zu der männlichen Herrschaft, die Unheil verbreitet. Der theologischen Deutung der Herrschaft, die diese im Bilde Gottvaters als Summum bonum legitimiert, wird hier eindringlich, nahezu blasphemisch widersprochen.

Es mischen sich in diesem Bild vermutlich alte Erfahrungen, die Rolle der Frau betreffend, mit neuen gesellschaftlichen Erfordernissen und Wünschen nach Frieden und Sicherheit, die auf die Frau projiziert werden.

In dem Maße, wie die Märkte und Städte sich entwickelten, die Höfe zum Schutz des Handels sich das Gewaltmonopol aneigneten, wurden neue soziale Verkehrsformen erforderlich. Vor allem an den italienischen Höfen wurden erste Modelle eines friedlichen sozialen Umgangs entwickelt. Gleichzeitig und in Zusammenhang mit diesen neuen Verkehrsformen auf individueller Ebene werden Alternativen zu den gewaltsamen, kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Herrschergeschlechtern erprobt. Isabella d'Este, die in Mantua mit ihrem Gemahl Alfonso Gonzaga regierte, eine Frau also, wird für ihre diplomatischen Künste gerühmt, die der Kriegskunst ihres Mannes gleichwertig seien.

Eine Friedenskultur wird ausgebildet, die sowohl den zwischenmenschlichen Umgang der Individuen untereinander bestimmen soll als auch – ansatzweise – auf die politischen Auseinandersetzungen ausgedehnt wird. Diese weltliche Friedenskultur emanzipiert sich zugleich von der kirchlichen Ideologie, die bislang die nahezu einzige sinngebende Instanz, auch für weltliche Belange, gewesen war. So wird dies utopische Reich des Friedens nicht länger der Maria unterstellt, sondern der Venus.

Der Parnaß von Mantegna, im Auftrage der Isabella d'Este gemalt, ist ein Beispiel. Venus ist im Begriff, Mars, den Kriegsgott, auf ihr Bett zu ziehen, d. h. zu entwaffnen. Die Musen Apoll, Merkur und Pegasus wohnen voll Freude der Verbindung zwischen Mars und Venus bei. Eine Tochter, Harmonia, wird aus der Vermählung hervorgehen. Der einzige, der an diesem Reich des Friedens keinen Gefallen findet, ist Hephaistos, der Ehemann der Venus und Schmied, der den Göttern ihre Waffen herstellte – modern gesprochen der Repräsentant der Rüstungsindustrie. Er wendet sich in aufgebrachter Geste gegen die Verbindung von Mars und Venus, bei der er betrogen wird. Die Frau bietet hier nicht nur elementaren Schutz wie auf dem Bild der Maria. Ihr wird gleichzeitig die Herrschaft in einem autonomen Reich das Friedens zuerkannt, das durch eigene Gesetze bestimmt wird: die Liebe herrscht hier, und nur unter ihrem Regiment können sich neue menschliche Fähigkeiten entfalten, Dichtung, Gesang, Tanz und Warenproduktion und -verkehr. In der französischen Salonkultur wird die Friedenserziehung durch die Frau, die von den italienischen Höfen ihren Ausgang nahm, fortgesetzt. Die Frau übernahm auch hier die Führung bei der Kultivierung des sozialen Umgangs der Individuen untereinander. Die galante Liebe, die in diesen Salons zu Beginn des 17. Jahrhunderts konzipiert wird, ist das Modell dieser neuen Kommunikationsform. Die Minnesklaverei, einst verpönt und diffamiert, wird nun zum Ideal des honnete homme. Den kriegerischen Männern, deren Erziehung nach Castigliones Vorstellung vom Hofmann noch der Notwendigkeit der Selbstverteidigung entsprach, wird hier von den Frauen die Friedensfähigkeit beigebracht. Statt Kampfstrategien zu lernen, wird in den Salons gegenseitige Rücksichtnahme eingebt, die Relativierung des eigenen, individuellen Standpunktes, um dem des Partners die gleiche Geltung zu gewähren. Eine neue, psychologisch wirksame Macht der Frau über den Mann wird nunmehr gesellschaftlich akzeptiert. Damit wird den Frauen, zunächst nur denen des Adels und der oberen Schichten der Bourgeoisie, ein neuer Aktionsrahmen eingeräumt, den sie zu nutzen wußten, um auch ihre geistige Emanzipation voranzutreiben.

Diese Salonkultur blieb in Opposition zum königlichen Hof. Noch die arkadische Welt, die Watteau in seinen Bildern galanter und natürlicher Liebe entwarf, wo der Frau gehuldigt wird, negieren Versailles, das bereits vor dem Tode Ludwigs XIV. als dominierendes, kriegführendes und unterdrückendes Machtzentrum heftig kritisiert wurde. Watteaus Liebesfeste finden im Freien statt, in einer von Menschenhand scheinbar unberührten Landschaft, fern von den gestutzten Gärten des Hofes. Die Unnatur der Versailler Landschaftsgestaltung wurde zum Symbol für bedrückende Herrschaft, deren Legitimität immer weniger einsichtig zu machen war. Im späten 18. Jahrhundert wurden, vor allem im Bürgertum, die Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern in dem Maße ideologisch abgesichert, wie die Frau beanspruchen konnte, als gleichwertige Person neben dem Manne anerkannt zu werden. Diese Gleichwertigkeit von Mann und Frau war von den Aufklärern propagiert worden. Z. B. wird in Diderots Enzyklopädie argumentiert, daß die Frau dem Mann moralisch und intellektuell gleichwertig sei und daher die gleichen natürlichen Rechte beanspruchen könne.

Gleichzeitig begann jedoch das Bürgertum des späten 18. Jahrhunderts, die unterschiedlichen Rollenzuweisungen an Mann und Frau zu zementieren und zu verteidigen. David hat in seinem Bild von 1784 „Der Schwur der Horatier“ diese strikt getrennten Kompetenzzuweisungen scharf erkannt und antithetisch dargestellt. Die folgende Szene hat der Maler gewählt: Die drei Söhne des Horatius schwören ihrem Vater, das Vaterland, Rom, zu verteidigen. Es ging um die Vorherrschaft von Rom oder Alba Longa. Um weiteres Blutvergießen im Kampf beider Städte gegeneinander zu vermeiden, sollen je drei Vertreter aus den beiden Städten gegeneinander kämpfen. Die drei Horatier werden ausgewählt, um gegen die Curatier aus Alba Longa zu kämpfen. Dies stellt einen tragischen Konflikt dar, weil Sabina, die Schwester der Curatier, mit einem der Horatier verheiratet ist, und Camilla, die Schwester der Horatier, mit einem der Curatier verlobt ist.

Interessant ist nun, wie David diesen Konflikt dargestellt hat. Die Trennungen, die er schafft, sind sehr viel strikter und ausschließlicher als je zuvor. Zwar war auch schon Mantegnas Bild antithetisch angelegt: Nicht zufällig ist jedoch, daß dieser Widerspruch zwischen männlichem kriegerischen und weiblichem friedvollen Reich keineswegs so systematisch rigoros und reduktionistisch durchgeführt ist wie bei David. Im Reich der Venus, das nicht nur persönliche Liebesbeziehungen, sondern Kultur im weiteren Sinne umfaßt, darunter Tanz, Musik, Dichtung und Handel, sind durchaus auch Männer tätig. Das Friedensreich der Venus ist noch kein weibliches Ghetto.

David hat in seinem Bild nicht einmal zwei unterschiedliche Organisationsformen, also den Staat links und die Familie rechts konfrontiert. Die trauernden Frauen hüten nicht etwa, wie es das 18. Jahrhundert mit zahllosen Bildern ihnen vorexerzierte, liebevoll die Kinder, sondern überlassen den kleinen Jungen einer Amme. Außerdem zeigt David wie dieser ihrer Obhut bereits entgleitet: Mit seinem glühenden Blick ist er schon bei den Männern und ihrem Vaterlandsschwur. Die „Stimme der Natur“ setzt sich bereits gegen den Einfluß der Frauen durch. Die Frauen werden also nicht primär bei einer anderen Aufgabe gezeigt, die der der Männer widerspricht. Von dieser ihrer anders orientierten Funktion wird weitgehend abstrahiert. Unabhängig von ihr, also als Naturnotwendigkeit, vertreten sie ein anderes emotionales und moralisches Wertesystem. Kein Block, keine Geste verbindet die Frauen und die Kriegergruppe. Die Frauen erscheinen selbstzentriert, ohne Bezugspunkt außerhalb ihrer selbst. Hier sind sicher die Anfänge biologistischer Argumentationen greifbar, mit denen sich die Männer im 19. Jahrhundert, zunehmend aggressiver, gegen die Frauenemanzipation zur Wehr setzten: Weibliche Weichheit, weibliches Gefühl werden männlicher Härte und Vernunft konfrontiert, ihre gegensätzlich aufgefaßten Naturen werden zu unüberbrückbaren Schranken zwischen den Geschlechtern hochstilisiert. Bei Davids antithetischer Darstellungsweise überwiegt sicher noch der Gedanke an zwei mögliche Alternativen (also an Wahlfreiheit), an die alte Antithese von Krieg und Frieden. Durch den schärferen Geschlechterantagonismus und die rigide Reduktion der Szene auf diesen einen Gegensatz stellt David zugleich unerbittlich klar, daß es sich um ein Entweder – Oder handelt. Durch seine antithetische Komposition hat David die friedensorientierte Haltung der Frauen in dialektischen Bezug zu den entgegengesetzten Interessen der kriegführenden Männer gesetzt. Beide Welten widerlegen oder relativieren sich gegenseitig. Damit hat David die Frauen zwar nicht als „Akteure“ der Geschichte gesehen und akzeptiert. Sie bleiben vielmehr leidend und passiv. Dennoch erscheinen sie objektiv als ein Gegenargument gegen den Kampfesmut der Männer. David nimmt es ernst genug, um es auf seiner politischen Bühne zu repräsentieren, auf der er keine Nebenszene und keine Nebengedanken duldet.

In der Französischen Revolution wurden durch die Beteiligung der Frauen am revolutionären Prozeß die alten Festlegungen zwischen den Geschlechtern real in Frage gestellt. Die Frauen politisierten ihre alte Rolle als Schützerin des Lebens. Mit seinem Bild der Sabinerinnen hat David das handelnde Eingreifen der Frauen in die Politik reflektiert, und er geht in diesem Punkt über seinen „Schwur der Horatier“ hinaus. Dargestellt ist nicht, wie in der Bildtradition üblich, der „Raub der Sabinerinnen“. Dies Thema galt gemeinhin als Sinnbild für Hochzeiten und war daher für eine Politisierung in Davids Sinne ungeeignet. Der Künstler hat statt dessen die Fortsetzung der Geschichte drei Jahre später als Sujet gewählt. Die Sabiner unternehmen einen Rachefeldzug gegen Rom. Die Sabinerinnen, längst glücklich mit ihren Römern verheiratet und Mütter geworden, treten zwischen die kriegfahrenden Gruppen der Römer und Sabiner. In der Mitte ist Hersilia dargestellt, die Frau des Romulus, die diesen von dem Sabiner Tatius trennt. David geht wieder von den bekannten Rollenfixierungen aus: Der Mann ist auf Kriegsführung aus, die Frau für den Frieden zuständig. Diesmal ist es jedoch kein statischer Antagonismus wie bei den Horatiern, wo sich die Frauen leidend mit ihrer Rolle abfanden, sondern sie greifen handelnd ein. Sie werden auch nicht, wie bei den Horatiern, den kriegführenden Männern konfrontiert, denen gegenüber sie von vornherein unterlegen sind, sondern sie stehen – moralisch überlegen – zwischen den kriegführenden Parteien und vertreten das gemeinsame gesellschaftliche Interesse. David selbst wollte Hersilia als die mere patrie (die Mutter Vaterland – eine paradoxe Formulierung!) gedeutet wissen, die sich zwischen die einander bekämpfenden Parteien stürzt, die einander auszulöschen drohen. Diese Deutung – auch mit ihrer Hoffnung auf die Frauen – ist biografisch verständlich, bedenkt man, daß David sein Bild nach der Niederlage der Jakobiner gemalt hat, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, in das er als aktiver Anhänger der Jakobiner geworfen wurde.

Auf diese Rolle der Friedensstiftung, die uns historisch zugewachsen ist und die zur Zeit der französischen Revolution zum erstenmal politisch zugespitzt gesehen worden ist, besinnen wir Frauen uns heute mit besonderen Gründen. Wie wir wissen, hat das Bild der Horatier die reale Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zutreffender antizipiert. Die Sabinerinnen sind bis heute eine Utopie, deren Realisierung noch aussteht.

Prof. Dr. Jutta Held lehrt Kunstgeschichte an der Universität Osnabrück.

Versachlichte »Staats-Männlichkeit«

Versachlichte »Staats-Männlichkeit«

Überlegungen zum Geschlechterverhältnis in der Politik

von Birgit Sauer

Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Frieden wird in der Friedensforschung vielfach proklamiert. Dies geht soweit, dass manche Forscher meinen, dass eine der wenigen gesicherten Erkenntnisse der Friedensforschung überhaupt in diesem Zusammenhang zu sehen ist: Demokratien führen keinen Krieg gegeneinander. Ob diese Aussage sinnvoll ist, mag dahin gestellt sein, aber zumindest kann man an ihr anknüpfend das Ziel formulieren, demokratischere Staatswesen als Grundlage für eine Pazifizierung entwickeln zu wollen. Im Blickwinkel unseres Schwerpunktheftes liegt damit die Frage auf der Hand, wie der patriarchale Staat zu demokratisieren ist.

„Ich sehe in dieser inneren Kraft, die sich mehr an das Amt als an den Beamten, mehr an den Mann als an die äußeren Zeichen seiner Macht knüpft, etwas Männliches, das ich bewundere“, so beschreibt der scharfsinnige Analytiker Alexis de Tocqueville (1997: 121) im Jahr 1835 die amerikanische Demokratie. Der Prozess der Modernisierung, Rationalisierung und Demokratisierung des Staates war offenbar ein Prozess der Vermännlichung. Die „subjektlose Gewalt“, wie Heide Gerstenberger (1990) den modernen, „entpersonalisierten“ Staat nennt, hat doch ein Geschlecht: Er ist männlich.

In der wissenschaftlichen Behandlung war der Staat immer ein (geschlechter-) schillerndes Gebilde. Unbestritten stehen am Beginn der politischen Moderne im 17. und 18. Jahrhundert die Institutionen des (National-)Staates und diese gründen auf Frauenausschluss und auf die Herrschaftsform »Männlichkeit« als grundlegende Strukturmuster. Den Staatstheoretikern des 19. Jahrhunderts Bluntschli und Riehl war dies noch Normalität. Insbesondere konservative Staatstheoretiker der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts luden den Staat geschlechtlich auf, um seine demokratische und sozialstaatliche Transformation anzuprangern – sie fürchteten seine »Feminisierung«: Arnold Gehlen (1969: 184) witterte die Gefahr, dass mit der Expansion sozialstaatlicher Regelungen der starke Leviathan zu einer »Milchkuh« mutiere. »Vater Staat« sei, so kann man paraphrasieren, unversehens dabei, durch »Mutter Staat« pervertiert zu werden. Der soziologische Analytiker moderner Staatlichkeit, Max Weber, verließ sich denn auch vergleichsweise unverblümt auf diese maskulinistische Institutionalisierungsform moderner Staatlichkeit und forderte mit all seiner Polemik auf, wer die Entzauberung der Welt „nicht männlich ertragen“ könne, der solle in die Arme der Kirche zurückkehren (Weber 1973: 612).

Nach wie vor ist offensichtlich: Zwar sind die vergangenen drei Dekaden durch eine partizipatorische Mobilisierung von Frauen in westlichen Industriegesellschaften gekennzeichnet und Politik wurde für Frauen ein Beruf wie jeder andere »Karriereberuf«, doch haben die Zentren staatlich-politischer Macht nach wie vor überproportional hohe »Männerquoten«. Die »gläserne Decke«, die den beruflichen Erfolg von Frauen bremst, scheint in der Politik eher aus Beton gefertigt. Frauen sind im politischen Prozess noch immer institutionell marginalisiert und gerade die moderne staatliche Dementierung von Geschlechterdifferenz produziert Ungleichheit qua Geschlecht.

Die politische Geschlechtssegregation hängt ohne Zweifel mit den staatlichen Strukturen und Institutionen zusammen – Staat und Geschlecht stehen in einem »schwierigen Verhältnis«: Der moderne Staat war historisch ein aktiver Verhinderer von Geschlechtergleichstellung – und dies tradierte sich bis ins 21. Jahrhundert. Die verspäteten und zögerlichen Gesetzgebungen zur arbeitsrechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau, ein zahnloses Gleichstellungsgesetz, die Persistenz von Geschlechterdiskriminierungen in der Sozialgesetzgebung und ein frauenfeindliches Abtreibungsrecht sind Indizien dafür, dass im deutschen Staat Männlichkeit nach wie vor in hartnäckiger Weise eingelassen ist. Korporatistische Politik-Strukturen, die Verhandlungspolitik der Sozialpartnerschaft, erweisen sich als besonders maskulinistisch.

Dennoch wäre es vereinfachend, das Verhältnis zwischen Frauen und Staat als bloßen Ausschluss zu charakterisieren, denn historisch sind »Feminisierungswellen« staatlicher Politiken und Institutionen, wenn auch unter maskulinistischem Vorbehalt, durchaus feststellbar. Nicht zuletzt der patriarchale Wohlfahrtsstaat ist ein Beispiel für die paradoxe Integration von Frauen in den modernen Staat: Er war und ist trotz aller Diskriminierungen eine der Bedingungen für die gesellschaftliche und politische Subjektwerdung von Frauen. Er schwächte die männliche Dominanz in Ehe und Familie und ermöglichte Frauen partielle ökonomische Unabhängigkeit. Die Gleichstellungspolitik modifizierte den androzentrischen Code staatlicher Institutionen und Bürokratien zumindest partiell und Frauen erhielten leichteren Zugang zum öffentlichen Raum.

Frauen sind also zwar nach wie vor politisch unterrepräsentiert, sie haben aber inzwischen eine »kritische Masse« in der Politik erreicht und sind eigentlich auch für die Wissenschaft »unübersehbar«. Nach wie vor aber existieren weit gehend unhinterfragte Erklärungsroutinen, die weibliche politische Unterrepräsentation allein außerhalb des Politischen – beispielsweise in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung – verorten und damit den Geschlechterdualismus in Staat und Politik ignorieren und perpetuieren. Feststellbar ist also ein »scientific lag« in der wissenschaftlichen Bereitstellung von Kategorien und Konzepten zur Aufarbeitung der Struktur, Funktion, aber auch der Veränderung von Staatlichkeit und Geschlechterverhältnissen.

Meine folgenden Überlegungen zum Geschlechterverhältnis in der Politik und zum Staat als Geschlechterverhältnis enthalten eine Prämisse, nämlich die des Zusammenhangs von Demokratie und Staat. Demokratietheorie sollte deshalb, so mein Ausgangspunkt, eine Staatstheorie als Fundament in die wissenschaftliche Erwägung ziehen – und umgekehrt. Normativ geht es mir im Folgenden um die politische Anerkennung und Repräsentation von Geschlechterdifferenz im Staat, d.h. um die gleichberechtigte Integration von Männern und Frauen, um die Anerkennung von männlichen und weiblichen Identitäten, Symbolen und Diskursen. Analytisch braucht dieses Unterfangen den Entwurf einer kritischen Theorie der staatlichen Produktion von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit.

Sehnsucht nach »Väterchen Staat«? Zur Aktualität einer staatstheoretischen Sicht auf Geschlechterverhältnisse

Der Bedarf an einer feministischen Staatstheorie wird am Ende von „grand narratives“ vielfach abschlägig beschieden. Die Ansatzhöhe sei deutlich zu hoch: »Staat« sei eine zu abstrakte, zu hochaggregierte und zu hermetische Kategorie, als dass sie die vielfältigen, heterogenen Aspekte des Frauenalltags erfassen könnte. Auch wenn diese Sicht durchaus plausibel erscheint, wäre m.E. die Nichtbefassung mit dem Staat eine wissenschaftliche und politische Nachlässigkeit, denn nach wie vor durchdringt er den Alltag von Frauen und Männern. Und mit dispersen Konzepten von Staatshandeln geht die herrschaftliche Dimension des Staates, gehen die spezifischen Einschreibungen von ungleichen Geschlechterregimen verloren.

Meine Argumentation für ein feministisches Staatskonzept nimmt darüber hinaus ihren Ausgang in einer Skizze des Problemfeldes, aus dem heraus sich die Notwendigkeit einer geschlechtssensiblen Präzisierungsarbeit am Staatsbegriff ergibt, namentlich aus den politischen Entwicklungen, den ökonomischen und sozialen Transformationen seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Seither ist der Staat „ins Gerede gekommen“. Neoliberale Debatten unter dem Signum der »Globalisierung« fordern einen »Formwandel« der staatlichen Architektur. Der Staat scheint flüssig, vor allem aber überflüssig zu werden. Die als »Verschlankung« des Staates bezeichnete Praxis staatlicher Deregulierung ist freilich missverständlich: Es geht nicht um einen einfachen Rückbau staatlicher Leistungen, sondern um eine „politische Revolution“ (Brodie 1994: 50), nämlich um die Neustrukturierung des Verhältnisses zwischen Ökonomie, Gesellschaft bzw. Privatheit und Staat. Der Staat solle sich aus gesellschaftlichen Prozessen, vor allem aus dem Marktgeschehen, zurückziehen, da staatliche Regulierung nicht nur den Wettbewerb verzerre, sondern auch gesellschaftlichen Wohlstand nur noch unzureichend garantieren könne. Doch zwischen der Skylla des bürokratischen und disziplinierenden Staates und der Charybdis des ausbeutenden, dezivilisierenden kapitalistischen Marktes werden nun nicht nur in feministischen Kritiken des Neoliberalismus die vermeintlich sicheren Ufer von »Väterchen Staat« als »Ausweg« gesucht. Während der patriarchale Staat lange Zeit als Referenzpunkt für emanzipatorische Politik abgelehnt wurde und vielmehr auf die Zivilgesellschaft, auf »Autonomie ohne Institutionen und Staat« gesetzt wurde.

Der Neuentwurf von Staatlichkeit am Beginn des neuen Jahrtausends, dem also prinzipiell die Chance von Entbürokratisierung und von geschlechtergerechter gesellschaftlicher Selbstorganisation innewohnen könnte, besitzt aber m.E. einen misogynen Subtext, wie er beispielsweise in der symbolisch-diskursiven Abwertung des »feminisierten« Wohlfahrtsstaates zum Ausdruck kommt. Auch die Wiederbelebung des Konzepts »Zivil- bzw. Bürgergesellschaft« ist die diskursive Begleitmusik zur Grenzneuziehung zwischen Staat und Gesellschaft und zur intensiveren Ausschöpfung der »Ressource Bürgerin«.

Diese widersprüchlichen Debatten und Entwicklungen setzen die Arbeit an einem kritischen Staatskonzept auf die wissenschaftliche Agenda. Meinen Ausführungen vorausschicken möchte ich, dass es keine großformatige Geschlechtertheorie des Staates und der Demokratie geben kann, die darüber hinaus noch überall auf der Welt Gültigkeit hätte. Mir geht es im Folgenden vielmehr darum, Hinweise auf eine kritische Entschlüsselung von Staat, Demokratie und Geschlecht zu geben, die dann in historischer und kultureller Perspektive zu differenzieren wären.

Die Entstehung des Staates aus den Geschlechterverhältnissen

Was ist nun der Staat? Wenn Politik einen Raum der Debatte bezeichnet, so ist Staat jener Raum der Entscheidung und der Durchsetzung von Entscheidung zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Ordnung. Der Staat umfasst jene Organisationen, Verfahren und Diskurse, die gesellschaftliche Ordnung verbindlich regeln, institutionalisieren und legitimieren, also hegemonial werden lassen. Der Staat ist mehr als die Summe von Regierungsinstitutionen, von staatlichen Akteuren und von Regeln. Ein solches »starkes« Staatskonzept muss in erster Linie soziale Verhältnisse – eben auch Geschlechterverhältnisse – als Konstitutionsbedingungen von Staatlichkeit zu erschließen in der Lage sein. Dazu wiederum bedarf es einer entscheidenden Differenzierung – jener zwischen dem Staat als Apparat, Institutionengefüge und Akteurskonstellation und der Staatlichkeit als Staatsmacht, als Herrschaftsgefüge und machtvollem Diskurs. Beide Aspekte zusammen lassen »den« Staat entstehen, und beide gemeinsam machen die Geschlechtlichkeit »des« Staates aus.

Zwischen Staat und männlicher Herrschaft gibt es nun Homologien, nicht aber einen einzigen Mechanismus, der den maskulinistischen Charakter des Staates ausmacht, wie der Privatbesitz im kapitalistischen Staat. Staat und männliche Herrschaft sind weder einheitlich noch sind sie in einem eindeutigen Verstärkereffekt aufeinander bezogen. Moderne Staaten haben zwar historisch die Gleichsetzung von staatlicher Autorität und hegemonialer Männlichkeit institutionalisiert und Staatsstrukturen sind auch heute ganz offensichtlich »bemannt«, doch die Männlichkeit des Staates beruht nicht allein auf »positionaler« Männlichkeit, d.h. auf der Quantität von Männern. Vielmehr ist eine strukturelle »Staats-Männlichkeit«, in der Weberschen Begrifflichkeit habe ich dies „versachlichte Männlichkeit“ genannt, in politische Normen, Praktiken und Institutionen eingelassen. Ein kritisches Staatskonzept sollte nun die Reproduktionsmechanismen eben dieser versachlichten Männlichkeit erklären können. Anders gesagt: Es sollte die staatliche Hegemonialisierung von Männlichkeit und die Abwertung von Weiblichkeit sichtbar machen.

Ich möchte im Folgenden acht Essentials eines Staat-Konzepts skizzieren, das die unterschiedlichen Dimensionen von Staatlichkeit und damit verwoben von »Staats-Männlichkeit« bzw. maskulinistischer Zweigeschlechtlichkeit sichtbar machen soll.

Der Staat ist erstens ein institutionell-korporatives „Gehäuse der Hörigkeit“ (Weber 1980: 515), er ist ein Apparat und mit apparateigenen Herrschaftsmechanismen ausgestattet – nämlich der Bürokratie. In bürokratischen Institutionen ist historisch eine geschlechtsspezifische bürokratische Identität eingraviert, die hegemoniale Männlichkeit als Machtmuster reproduziert.

Mit Mary Douglas (1991: 121, 31) kann man von einem maskulinistischen Denkstil sprechen, der in die Verfahrensweisen, in Symbole und Traditionen, in den innerinstitutionellen Habitus staatlicher Verwaltung eingelagert ist. Er entspricht der Erfahrungswelt von hegemonialen Männern, deren Normen und Werte jahrzehntelang die institutionelle Praxis prägten. Dieser männliche Denkstil trägt dazu bei, das »Denkkollektiv« und damit die persönlichen Netzwerke von Männern in ihren überkommenen Formen der Homosozialität und Homosexualität zu erhalten und Wandel nicht denkbar zu machen. Das vermeintlich entemotionalisierte Regelsystem ist Teil der Grammatik der Männlichkeit staatlicher Bürokratie.

Der Staat ist zweitens nicht nur Staatsapparat, sondern auch Staatsmacht. Er ist eine soziale Herrschaftsstruktur, in die auch die Staatsbeamten und -beamtinnen eingebettet sind. Dieser Aspekt ist mit dem politischen Institutionenkonzept zu erschließen. Der Staat ist eine politische Institution, nämlich ein „Regelsystem der Herstellung und Durchführung verbindlicher gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen“ und er ist „Instanz der symbolischen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft“ (Göhler 1994: 26). Diese Orientierungsleistung macht die Macht des Staates aus. Im Prozess der Herstellung sozialer Orientierung, im „symbolischen Kampf“ – und hier spielen Parteien und Medien eine große Rolle –, entsteht nicht nur staatliche Macht, sondern auch das Symbolsystem Männlichkeit bzw. Zweigeschlechtlichkeit. Entscheidung und Orientierung greifen auf historisch tradierte Männlichkeitsmuster zurück und sie stellen aufgrund positionaler Männlichkeit immer wieder die männliche Struktur her bzw. repräsentieren sie. Staatliche Repräsentationsverhältnisse sind somit hegemoniale Geschlechterverhältnisse: Männlichkeit ist eine historisch tradierte »Leitidee«, mithin das »Fundament« der Institution Staat. Der politische Willensbildungsprozess basiert auf diesen Hegemonialverhältnissen: Männliche Identitäten und Interessen werden repräsentiert, weibliche hingegen vornehmlich symbolisiert. Sie sind dadurch politischer Durchsetzungskraft entzogen.

Der Staat ist drittens die Verdichtung und Institutionalisierung eines sozialen Verhältnisses (vgl. Poulantzas 1978: 119) – in unserem Fall eines geschlechtsspezifischen Ungleichheitsverhältnisses. So, wie die Kapitalakkumulation der politischen »Regulation«, beispielsweise durch den Wohlfahrtsstaat, bedurfte um reibungslos zu funktionieren, musste auch die Akkumulation männlicher Macht unter der Kondition politischer Gleichheit reguliert werden – in Normen und Institutionen, die die Geschlechterungleichheit nicht thematisieren. Die soziale Grundlage von demokratischer Staatlichkeit bildet ein relativ stabiler sozialer Geschlechter»kompromiss«, d.h. ein hegemoniales Konstrukt von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit. Die Teilung der Arbeit und die Trennung von Öffentlich und Privat – Grundlagen unseres Geschlechterregimes – fungieren dann gleichsam als Sparschweine männlicher politischer Macht.

Viertens ist der Staat aber nicht ein schlichtes Spiegelbild von Geschlechterverhältnissen, sondern eine »gesonderte« Institution, ein spezifisch politisches Gebilde, das eigene »Interessen« entwerfen und realisieren kann – auch solche, die dem traditionellen Geschlechterregime, dem zivilgesellschaftlichen Geschlechterkompromiss widersprechen. Seine Autonomie ergibt sich nicht zuletzt aus den widersprüchlichen Interessen einzelner Staatsapparate. Die Widersprüche bieten wiederum widerständige Anknüpfungspunkte für feministische Politik, sie stecken aber zugleich die Grenzen staatlicher »Feminisierung« ab. Aus dieser Ambivalenz ergeben sich die typischen Ungleichzeitigkeiten der Regulierung von Geschlechterdifferenz.

Fünftens: Nicht nur Regierungen und Beamte sind Organisationen und Akteure des Staates, sondern auch historisch sedimentierte machtvolle Netzwerke, in die die autonomen staatlichen Akteure eingebunden sind – wie Verbände und korporatistische Aushandlungsprozesse. Regierungsinstitutionen agieren nicht beliebig neben- und miteinander, sondern in einem Feld strategischer und struktureller Selektivität, das durch unterschiedliche Machtressourcen definiert ist.

Die staatliche Akteurskonstellation besitzt also stets verfestigte Herrschafts- und Strukturmuster, so genannte historisch entstandene „Staatskristallisationen“ (Mann 1998: 100), wie beispielsweise die repräsentative, die korporatistische oder die neoliberale. Auch »Männlichkeitskristalle« – männliche Netzwerke, um weniger poetisch zu sein, prägen eine maskulinistische »Pfadabhängigkeit« des Staatshandelns: Weil die »Kosten« des Abbaus von prästabilierter Männlichkeit hoch sind, neigen staatliche Institutionen dazu, diese tradierten Strukturmuster zu konservieren, um die »Kosten« zu minimieren. Im Sinne einer »Ökonomie der Macht« kommt staatliche Männlichkeit kostengünstiger.

Sechstens bezeichnet im neo-gramscianischen Kontext der Staat jene Herrschaftsform, die aus dem Willen zu politischer Ordnung in der Zivilgesellschaft erwächst, sich dann „besondert“ und darum bemüht ist, sich zu „normalisieren“, sprich: hegemonial zu werden (vgl. Gramsci 1991: 783). Der Staat ist der (Selbst-)Entwurf der Zivilgesellschaft zur politischen Steuerung bzw. zu politischer Herrschaft (vgl. auch Demirovic 1997). Staat und Zivilgesellschaft sind also keine gegensätzlichen Strukturen, vielmehr formieren sich Herrschaftsverhältnisse in der Zivilgesellschaft und bilden sich in (staatlichen) Strukturen ab bzw. aus. Geschlechterhegemonie in der Zivilgesellschaft lässt einen maskulinistischen Staat entstehen. Der Staat ist deshalb ebenso frauenfreundlich oder genauso maskulinistisch wie die Zivilgesellschaft und umgekehrt: Die Zivilgesellschaft kann nicht als frauenfreundliche Anti-Struktur zum Staat betrachtet werden. Antipatriarchale Demokratisierung kann sich deshalb auch nicht auf eine Arbeitsteilung im Sinne Iris Marion Youngs (1999: 142) einlassen, die vorschlägt, dass Geschlechtergerechtigkeit als self-determination (Selbstbestimmung) besser durch Institutionen der Zivilgesellschaft hergestellt, Gerechtigkeit als self-development (Entwicklung) hingegen durch staatliche Infrastruktur ermöglicht werden solle.

Siebtens entsteht der Staat aus Diskursen, d.h. er muss stets neu hergestellt und reproduziert werden, und gerade deshalb ist er auch veränderbar. Staatliche Politiken entstehen in einem Geflecht ganz unterschiedlicher diskursiver Arenen. Diese Diskurse können die Form von Expertendiskursen der Politik, der Wissenschaft und der Wirtschaft annehmen oder aber die Form einer Politisierung „von unten“, eines anti-hegemonialen Projekts (Fraser 1994: 264f.).

Der Staat als männlich-hegemonialer Diskurs zielt auf die »Normalisierung« von Lebensführung und Mentalitäten, auf die »Selbsterfindung« des Subjekts unter herrschaftlich-zweigeschlechtlichen Bedingungen. Der Staat dringt gleichsam in die diskursiven, semiotischen Räume der Menschen ein und generiert dadurch »Staatssubjekte«. Zwei Beispiele hierzu: Der bürokratische Diskurs – instrumentelle Rationalität, Hierarchie und Kult der Experten – entwertet Praktiken, die mit unmittelbaren Bedürfnissen und Fürsorge zu tun haben (vgl. Brown 1992: 14). Kapitalistische Staatsdiskurse »normalisieren« erwerbszentrierte Biographien und marginalisieren Nicht-Erwerbstätigkeit. Das Diskurskonzept macht nun aber auch die Transformation von Staatlichkeit analytisch fassbar: Die aktuellen Verschiebungen des Staatsdiskurses – Effektivierung, Rentabilität, Europäisierung – schaffen möglicherweise diskursive Räume auch für eine Neuformatierung des Geschlechterverhältnisses.

Achtens ist die Maskulinität des Staates das Ergebnis konkreter sozialer Praktiken. Michel Foucault (2000: 69) entwickelte, wie er in einem Text schreibt, gleichsam eine „Staatsphobie“: Er verwirft den Staatsbegriff und entwirft das Konzept der „Gouvernementalität“ als Konnex von (Selbst-)Regieren (gouverner) und Denken/Fühlen (mentalité). Dieses Konzept bringe die Tatsache des „bewegliche(n) Zuschnitt(s) einer ständigen Verstaatlichung“ – also den Staat als Praxis – weit treffender zum Ausdruck. Der Staat ist nicht nur eine den Individuen äußerliche institutionelle Struktur, sondern sitzt in den Köpfen und Körpern der Menschen: Staatlichkeit ist eine »hegemoniale« Praxis, die bestimmte Identitäten und Interessen präferiert oder aber marginalisiert und desartikuliert.

Der Staat muss also „in der Gesellschaft gelebt werden“, sonst ist er nicht. Er muss von Frauen und Männern gemacht werden, er muss „Bestandteil der alltäglichen Lebensweise“ werden, „damit er Herrschaft verkörpern und ausarbeiten kann“ (Demirovic 1987: 150). Die BürgerInnen müssen also an die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Staates glauben, sie herstellen und reproduzieren, damit der Staat besteht.

Fazit: Die »Entstehung des Staates aus den Geschlechterverhältnissen« heißt, dass Staat und Geschlecht sich gegenseitig konstituierende diskursive Formationen, Praxen und Institutionen sind, dass der Staat kein geschlechtsneutrales Instrument ist. Der Staat ist sowohl eine filternde und strukturierte Struktur, er ist aber auch eine strukturierende und produktive Struktur, ein Feld, das Identitäten und Institutionen hervorbringt – nicht nur der abzulehnende »patriarchale Staat«.

Staatlichkeit zeichnet sich durch die Macht aus, Phänomene zu vergeschlechtlichen – und zwar in explizit geschlechtlicher oder in geschlechtsneutraler Weise –, indem sie gesellschaftliche Räume öffnet und schließt, männliche Interessen aus der so genannten Privatsphäre heraus hebt, weibliche in ihr verschwinden lässt.

Entstaatung und Demokratisierung. Chancen des Abbaus von »Staats-Männlichkeit«?

Was heißt nun diese Konzeptualisierung von Staatlichkeit für eine geschlechtersensible Demokratisierung von Politik? Wir begegnen bei der Beantwortung dieser Frage folgendem Paradox: Ohne eine radikale »Entstaatung«, i.e. ohne den Abbau staatlicher Herrschaftsstrukturen und ohne institutionellen Wandel, kann es keine geschlechtersensible, frauenfreundliche Demokratisierung geben. Umgekehrt freilich gilt nicht, dass sich »ohne Staat« automatisch Demokratie herstellt: Demokratie ist vielmehr ein Projekt, das in ständigen Auseinandersetzungen, auch in ständigen Staatsdiskursen entsteht. Demokratie ist in diesem Sinne nicht zu »institutionalisieren«, sie ist nur vorübergehend »auf Dauer zu stellen«.

Aus der Vielschichtigkeit von Staatlichkeit ergibt sich eine Multidimensionalität von Demokratisierungsstrategien. Ich will abschließend stichwortartig einige Hinweise für dieses Demokratisierungspuzzle entlang meiner acht Staatsessentials geben.

Erstens: Notwendig ist eine Feminisierung staatlicher Organisationen und Bürokratien im Sinne einer „Politik der Präsenz“ (Phillips 1995). Durch Quotierungen lassen sich die Zugänglichkeit und Inklusivität politischer Institutionen erhöhen wie auch der maskulinistische Code staatlicher Bürokratien, die „nested rules“ transformieren. Dadurch ist auch eine höhere Responsivität staatlicher Institutionen möglich.

Zweitens: Wichtig ist eine »Entmännlichung« des staatlichen Repräsentationsverhältnisses, d.h. ein Wandel von der Symbolisierung zur Repräsentation von Weiblichkeit und von Frauen. Es bedarf also politischer Verfahren der Sichtbarmachung der Geschlechterdifferenz. Eines dieser Verfahren kann das viel zitierte Gender Mainstreaming sein. Damit könnte die Verantwortlichkeit politischer Institutionen für Geschlechtergerechtigkeit gesteigert werden.

Drittens: Unabdingbar ist eine Transformation des sozialen Geschlechterkompromisses. Demokratisierung kann also nicht allein auf den politisch-staatlichen Bereich begrenzt bleiben. Westliche Demokratien haben vielmehr einen Bedarf an einer neuen Debatte über die Demokratisierung von Familie, Arbeitsverhältnissen, Bildung und Gesundheit.

Viertens: Ein Anknüpfen an Staatswidersprüche impliziert den formbewussten frauenpolitischen Bezug auf und die Einmischung in staatliche Aushandlungsprozesse. Ein Beispiel für einen solchen Aushandlungsprozess ist die Biotechnologiedebatte und die darum geführte Regulierungsdiskussion, die derzeit noch völlig »ent-geschlechtlicht« verläuft.

Fünftens: Im Sinne einer Ökonomie der Macht bedarf es einer institutionellen »Verteuerung« von Männlichkeit. Maskulinistische Aushandlungsprozesse und korporatistische Netzwerke dürfen nicht länger »kostengünstig« erscheinen, sondern müssen durch geschlechtersensible Verfahren (z.B. Quotierung, Gender Mainstreaming) zum inflationären Erodieren gebracht werden.

Sechstens: Demokratische Transformation muss in der Zivilgesellschaft beginnen: Dort kann Gegenhegemonie gegen maskulinistische Hegemoniestrukturen ausgebildet werden. Sie kann sich aber damit nicht bescheiden.

Siebtens: Staatsdiskurse müssen aktiv gegenhegemonial »feminisiert« werden. Das neoliberale Staatsprojekt sollte um den »Gleichberechtigungsstaat« ergänzt werden. Dies ist die Aufgabe feministischer Wissenschaft im Bündnis mit anderen Expertendiskursen und Öffentlichkeiten.

Achtens: Demokratie ist politische Praxis, ist politischer Habitus und nicht nur Verfahren. Nötig sind mithin politische Institutionalisierungen, um Demokratie zu leben, zu ermöglichen. Es bedarf der Voraussetzungen, damit Bürger und Bürgerinnen zu Citoyens und Citoyennes werden können.

Literatur:

Brodie, Janine, 1994: Shifting Boundaries: Gender and the Politics of Restructuring. In: Bakker, Isabella (Hg.): The Strategic Silence. London, ZED Books, 46-60.

Brown, Wendy (1992): Finding the Man in the State. In: Feminist Studies. 18. Jg, H. 1, 7-34.

Demorovic, Alex (1987): Nicos Poulantzas. Eine kritische Auseinandersetzung. Hamburg, Argument-Verlag.

Demirovic, Alex (1997): Demokratie und Herrschaft. Aspekte kritischer Gesellschaftstheorie. Münster, Westfälisches Dampfboot.

Douglas, Mary (1991): Wie Institutionen denken. Frankfurt/M., Suhrkamp.

Foucault, Michel (2000): Staatsphobie. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susann/Lemke, Thomas (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/M., Suhrkamp, 68-71.

Fraser, Nancy (1994): Widerspenstige Praktiken. Frankfurt/M., Suhrkamp.

Gehlen, Arnold (1969): Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Abgedruckt in: Münkler, Herfried, (Hg.) (1999): Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Ein Lesebuch. München/Zürich, Piper, 183-185.

Gerstenberger, Heide (1990): Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt. Münster, Westfälisches Dampfboot.

Köhler, Gerhard (1994): Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen. In: Ders. (Hg.): Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie. Baden-Baden, Nomos, 19-46.

Gramsci, Antonio (1991): Gefängnishefte. Bd. 1. Hamburg, Argument-Verlag.

Mann, Michael (1998): Geschichte der Macht. Die Entstehung von Klassen und Nationalstaaten. Band 3. Teil 1. Frankfurt/M./New York, Campus.

Phillips, Anne (1995): Geschlecht und Demokratie. Hamburg, Argument Verlag.

Poulantzas, Nicos (1978): Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Sozialistische Demokratie. Hamburg, VSA.

Tocqueville, Alexis de (1997): Über die Demokratie in Amerika. Stuttgart, Reclam.

Weber, Max (1973): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen, Mohr.

Weber, Max (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen, Mohr, 5. Auflage.

Young, Iris Marion (1999): State, civil society and social justice. In: Shapiro, Ian/Hacker-Cordon, Casiano (Hg.): Democracy‘s Value. Cambridge, Cambridge University Press, 141-162.

Prof. Dr. Birgit Sauer lehrt am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien

Quotierung der Weltsicherheit

Quotierung der Weltsicherheit

Genderperspektiven zur UNO-Reform

von Heidi Meinzolt-Depner

„Wir Frauen so vieler verschiedener Nationalitäten, die wir uns, um unsere Gefühle auszudrücken, verschiedener Sprachen bedienen müssen, von denen eine jede ihre eigenen nationalen Charakterzüge trägt, sind hierher gekommen, in dem gleichen Bewusstsein, mit den gleichen Hoffnungen, dem einen Wunsch, dass unsere Stimme bis ans Ende der Erde dringen möge im Protest gegen diesen fürchterlichen Massenmord und gegen die Annahme, Krieg sei der einzige Weg, internationale Konflikte auszutragen…“ Wir Frauen beurteilen den Krieg anders als Männer. Männer kalkulieren vor allem sein wirtschaftliches Ergebnis: Wie viel kostet der Krieg, welche Verluste oder Gewinne sind für den nationalen Handel und die Industrie zu erwarten, welchen Machtzuwachs bringt er – und so fort! Aber was bedeutet der materielle Verlust im Vergleich zu den Männern und Söhnen, die hinausmarschieren, um nie heimzukehren? Wir Frauen denken vor allem an den Verlust der Menschheit, der durch Krieg entsteht, an den Jammer, die Schmerzen und das Elend, das er verursacht.“1 Mit diesen Worten begrüßte die Niederländerin Dr. Aletta Jacobs die über tausend Frauen aus 13 Ländern, die zum 1. Internationalen Frauenfriedenskongress 1915 nach Den Haag gekommen waren.

Bis heute belegen zahlreiche Studien aus Konfliktregionen, dass Frauen Gewalt anders erfahren als Männer, andere Sicherheitsbedürfnisse haben und sich anders um Frieden und Versöhnung bemühen. Frauenpräsenz macht einen Unterschied in allen Konfliktphasen – der Prävention, der Lösung und der Konfliktnachsorge.

Wenn das so eindeutig ist, dann stellt sich die Frage: Wo sind all diese Frauen in UN-Missionen, an Verhandlungstischen, in Entscheidungspositionen?

Die zentralen Forderungen, die auf dem Haager Frauenfriedenskongresses vor 90 Jahren erhoben wurden, sind noch heute aktuell: strikte Anerkennung des Völkerrechts und eines internationalen Schiedsgerichts, radikale weltweite Abrüstung und Beteiligung der Frauen an politischen Entscheidungen!

Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson war von den Frauen und ihrer Mobilisierungskraft damals tief beeindruckt und baute die Forderungen in seine Vorschläge für den Frieden und die Gründung des UNO-Vorläufers »Völkerbund« teilweise wörtlich ein. Auf der 1919 parallel zur Gründung des Völkerbundes in Paris stattfindenden 2. Internationalen Frauenkonferenz in Zürich2 wurden die Forderungen bekräftigt und detailliert, da man die 1918 im Versailler Vertrag festgehaltenen Friedensbedingungen nicht tauglich hielt für einen gerechten und dauerhaften Frieden. Es fehlte z.B. die vollständige Abrüstung;3 die Frauen wollten auch im Sinne der Gerechtigkeit die Aufstellung eines Weltwirtschaftsplanes und vor allem die Festschreibung der Gleichstellung der Frauen. Das Missverhältnis zwischen ihren idealen Vorstellungen und der von den Männern auf der Pariser Völkerbundkonferenz definierten »real möglichen Politik« war damals spürbar und ist es noch heute. Um politisch am Ball zu bleiben und um sich weiter einzumischen, wurde der Sitz des in »Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit«4 umbenannten »internationale Frauenausschuss für dauerhaften Frieden« nach Genf, dem zukünftigen Sitz des Völkerbundes, verlegt.5

Seit damals ist auf dem internationalen Parkett viel in puncto Gendergerechtigkeit in Bewegung geraten, von der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs6 über die wegweisende Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 mit ihrer Aktionsplattform,7 die Antidiskriminierungskonvention8 1979, die Verabschiedung der Millenium-Entwicklungsziele,9 die Verankerung des Begriffs der »Menschlichen Sicherheit«10 bis hin zu der im Jahr 2000 verabschiedeten UNO-Sicherheitsratsresolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit«11, um nur einige Meilensteine auf diesem Weg zu nennen.

Aber niemand kann behaupten die Weltsicherheit sei inzwischen quotiert: Unter den etwa 100 Botschaftern im UNO-Sicherheitsrat waren in den letzten 10 Jahren nur zwei Frauen. Nur zwei Frauen leiten augenblicklich eine Mission im Rahmen der 27 friedenserhaltenden Maßnahmen – eine in Georgien, eine in Burundi. Gerade zehn Missionen haben eine Genderberatung. 4% beträgt der Frauenanteil an der zivilen Polizei, 1% am militärischen Personal, 27% am zivilen Personal.12 Unter den Blauhelmen stecken Männer, die vielleicht den Frieden schützen, aber die Prostitution und die HIV-Ansteckungsraten in die Höhe haben schnellen lassen (Beispiele: Kambodscha, Bosnien, Liberia). Der Aufbau von UNO- Flüchtlingslagern wird von Männern geplant, die regelmäßig vergessen, für genügend Binden und Babynahrung zu sorgen, obwohl Frauen und Kinder die große Mehrheit der Flüchtlinge stellen (Beispiel: Westafrika). Beim Wiederaufbau staatlicher Institutionen in Nachkriegsländern sind es wiederum Männer, die nicht daran denken, Frauenquoten für Regierung, Parlament, Justiz und Polizei aufzustellen, was dazu führt, dass Frauenrechte nicht gewährleistet und sexualisierte Kriegsverbrechen nicht aufgeklärt werden (Beispiele: Kosovo und Afghanistan). Die Straffreiheit für Verbrecher und Vergewaltiger aber ist ein wichtiger Grund dafür, dass viele überwunden geglaubte Konflikte irgendwann wieder losgehen. Es gibt auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit gewalttätiger Konflikte und geringer Frauenrepräsentanz im Parlament und in Entscheidungsfunktionen.

In der Öffentlichkeit wahrgenommen werden Frauen und Mädchen als Opfer – gerade auch in den sog.»modernen« Kriegen um Rohstoffe und um geostrategische Einflüsse, die im Namen von Religion, Ethnizität oder als vermeintliche Terrorabwehr geführt werden. Frauen brauchen besonderen Schutz, vor allem wenn in krisengeschüttelten Gesellschaften die Anzahl der im Umlauf befindlichen Waffen und der Anteil der häuslichen Gewalt in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Bedrohungspotenzial stehen. Erst „wenn Frauen sicher sind, dann sind es auch die Nationen“.13 Aber die Opfer zu schützen, ist nur die eine Seite der Medaille. Allein ist dies „ein Schlag ins Gesicht all der tapferen, intelligenten Frauen, die bereit sind, am Wiederaufbau ihres Landes (mitzuarbeiten), und die genau wissen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen“.14

Auf die UNO übertragen gilt dies genauso: Wer meint, es sei nicht so wichtig, ob hier Männer oder Frauen agieren, irrt sich. Gerade die unsägliche Absegnung immer neuer militärischer Operationen seitens der UNO, unter Inkaufnahme des Leidens der Zivilbevölkerung – darunter vieler Frauen und Kinder – und die Unilateralität der Konfliktdefinition, die diesen Operationen zu Grunde liegt, fordern zum Umdenken auf. Wenn man denn die Grundprinzipien der UNO mit neuem Leben erfüllen will, kommt man nicht umhin, den Genderansatz erneut in den Blick zu rücken: „Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“15 ist es unverzichtbar, das große Wissen der Frauen und der Zivilgesellschaften über Konfliktdeeskalation und kreative Konfliktlösung ernst zu nehmen und zu integrieren.

Akteurinnen und Bündnispartnerinnen für die UNO-Ebene

Die entscheidende Dynamik für ein Umdenken und Umsteuern entsteht aus der Zivilgesellschaft. „Wenn Frauen sich einen Platz in der Zivilgesellschaft erobert haben, dann ist das der vorrangige Raum, in dem sie offene und ehrliche Debatten in Krisenzeiten und Diskussionen über mögliche Alternativen zum Einsatz von Gewalt thematisieren – denn die Bandbreite der Optionen, der kreativen Ideen und Antworten auf Krisen ist drastisch eingeschränkt, wenn die Hälfte der Weltbevölkerung überwiegend vom politischen Prozess ausgeschlossen ist.“16 Die Zivilgesellschaft muss institutionell angebunden sein an die politischen Entscheidungsebenen. Nur so ist der Einfluss von Frauen und Frauenorganisationen auf die jeweiligen Regierungen gewährleistet.

In New York übernimmt die zivilgesellschaftliche Arbeitsgruppe zu »Frauen, Frieden und Sicherheit« diesbezüglich eine wichtige Funktion. Sie hat sich im Mai 2000 gegründet, maßgeblich die Verabschiedung der Resolution 132517des UNO-Sicherheitsrates am 31.Oktober 2000 vorbereitet und angeschoben und überwacht jetzt deren Umsetzung.

Die Resolution enthält fünf Schlüsselverpflichtungen:

  • Garantie der Geschlechtergerechtigkeit auf allen Entscheidungsebenen;
  • Integration der Genderperspektive in alle Beschlüsse, Maßnahmen und Missionen durch den UNO-Sicherheitsrat;
  • Schutz und Wahrung von Menschenrechten für Frauen und Mädchen;
  • Beachtung der Genderperspektive in allen Konfliktnachsorgeprozessen; und
  • Einführung der Genderperspektive in Peacekeeping-Operationen.

Sie wurde inzwischen in 70 Sprachen übersetzt und enthält Verpflichtungen für die nationalen Regierungen der 191 UNO-Mitgliedsstaaten, für sämtliche UNO-Institutionen sowie für politische Gremien?

Die einstimmige Verabschiedung der Resolution 1325 wurde möglich durch die geschickte Nutzung der sog. Arria-Formel.18 In der Arbeitsgruppe »Frauen, Frieden und Sicherheit« arbeiten zahlreiche Nichtregierungsorganisationen zusammen;19 sie werden unterstützt von UNO-Agenturen wie z.B. UN Development Fund for Women (UNIFEM).20 Das Monitoring übernimmt »Peacewomen«, ein Projekt, das von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF) getragen wird. Das Webportal peacewomen.org und regelmäßige e-news liefern Informationen, Aktionsvorschläge und »best practice«-Beispiele21 für die Bedeutung und die spezifische Rolle von Frauen in Friedensaktivitäten in allen Krisenregionen der Welt.

Resolution 1325 ist die erste Resolution, die die unterschiedliche Betroffenheit von Männern und Frauen im Krieg ausdrücklich festhält. Sie ist ein Arbeitsinstrument, das Rückendeckung für Frauen vor Ort gibt. So führte sie z.B. zur Festlegung der Frauenbeteiligung am Wiederaufbau Afghanistans in der Brüsseler Erklärung 2001, zur Einrichtung eines offiziellen Beobachterstatus für Frauen an den Verhandlungen in Burundi und zur aktiven Teilnahme von Frauen am Friedensprozess in Sri Lanka. Resolution 1325 hat das große Verdienst, das Bild von Frauen als ausschließliche Opfer von Kriegen ersetzt zu haben durch die Wahrnehmung von Frauen als aktive Friedensbildnerinnen und erfolgreiche Verhandlerinnen. Papier allein ist geduldig, wenn es am politischen Willen zur Umsetzung mangelt. Dieser sollte sich u.a. in nationalen Aktionsplänen manifestieren. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat in diesem Jahr die Staaten ausdrücklich aufgefordert, ihre Fortschritte bei der Umsetzung von Resolution 1325 zu dokumentieren, um die Ergebnisse im Herbst 2005 auf UNO-Ebene zusammenführen zu können. Zu den Arbeitsaufträgen an die Staaten gehören auch Konkretisierungen wie die Nominierung von qualifiziertem weiblichen Personal für Führungspositionen in UNO-Institutionen; Angebote von gender-sensiblen Trainings, wie sie für die Missionen z.B. in Liberia, Sudan und Haiti aktuell dringend erforderlich sind; die Ausbildung und Rekrutierung von Frauen für Missionen in Burundi, Osttimor und Kongo, damit sie Arbeitsbeziehungen zu Frauenorganisationen vor Ort aufbauen und produktiv für einen nachhaltigen Friedensprozess nutzen. Das Büro des »Special Adviser on Gender Issues and the Advancement of Women«22 arbeitet an einem neuen »Code of Conduct«, der eine Null-Toleranzschwelle bei sexueller Ausbeutung durch UNO-Personal vorsieht.23 Für die Nach-Konfliktzeit will man besonderes Augenmerk auf Gleichberechtigungsparagraphen in neuen Verfassungen richten und setzt durch geeignetes Monitoring und Förderprogramme auf die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an Wahlen. In Afghanistan ist das bis zu einem gewissen Grad gelungen mit 20% Frauenanteil in der Loya Jirga; in Ruanda gewannen Frauen 49% der Parlamentssitze.

Die Commission on the Status of Women hat bei ihrer letzten Sitzung24 zahlreiche Empfehlungen zur Umsetzung erneuert und bekräftigt, unter der Prämisse, dass nachhaltiger Frieden nur erreicht werden kann, wenn die volle und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Prävention und der Konfliktlösung gewährleistet wird.25. Konfliktnachsorge wird dabei als erfolgreiche Strategie zur Prävention definiert. Friedensabkommen sind die beste Gelegenheit, die besonderen Bedürfnisse und Prioritäten von Frauen angemessen zu berücksichtigen. Dies funktioniert aber nicht, wenn es keine spezifischen Anreize, finanzielle Unterstützungen und individuelle bzw. kollektive Trainings für Frauen und Frauengruppen gibt. Parallel dazu muss überall Gewalt gegen Frauen nachgewiesen, dokumentiert und verfolgt werden.

Das Abschlussdokument der CSW Commission on the Status of Women legt seinen Schwerpunkt darauf, dass die Genderperspektive und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der geplanten Kommission zur Friedensschaffung garantiert werden muss. Die Berücksichtigung der Geschlechterparität und das Empowerment von Frauen sollen Leitmotive für alle Staaten für den UNO-Gipfel im Herbst sein.

Erst wenige Staaten haben inzwischen Aktionspläne vorgelegt oder in Bearbeitung (in Europa planen dies u.a. Großbritannien und Schweden); deshalb haben sich in vielen Ländern inzwischen Initiativgruppen von Frauen gebildet, die die Umsetzung der Res.1325 auf nationaler und europäischer Ebene aktiv beschleunigen wollen.

In Deutschland hat sich dieser Aufgabe der Frauensicherheitsrat26 verschrieben. In Ermangelung eines nationalen Aktionsplans27 hat der Frauensicherheitsrat einen eigenen Aktionsplan erstellt, der Quoten, Instrumente, Monitoring und Sanktionen/ bzw. Anreize definiert,28 die bei zahlreichen Gesprächen und Foren zur Diskussion gestellt wurden. Im Juli 2004 antwortete der Frauensicherheitsrat mit einem Schattenbericht auf den Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325.29 Er legt die Finger in die Wunden mangelnder frauenpolitischer Standpunkte und Initiativen, kritisierte einen defizitären Sicherheitsbegriff, zu geringe Beteiligung von Frauen und Zivilgesellschaft an sicherheitsrelevanten Entscheidungen, fehlende Transparenz bei den »Freunden der Resolution«30 und einen unverbindlichen, Genderaspekte vernachlässigenden Aktionsplan zur zivilen Konfliktlösung. Der Schattenbericht weist darauf hin, dass es an qualifizierter Schulung für Kriseneinsätze fehlt (z.B. Geschlechterperspektive bei der Ausbildung afghanischer Polizisten oder im Kosovo), dass Kooperationen mit Warlords die Wahrung von Frauenrechten verhindern, dass es mehr Aufklärung zur Aidsprävention bedarf. der Bericht beklagt, dass der Zugang zu Reintegrationsmaßnahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit – z.B. für Frauen in Ruanda oder Liberia – erschwert und Gewalt gegen Frauen immer noch kein Asylgrund ist. Er schließt ab mit einem konkreten Forderungskatalog. Im kommenden Jahr strebt der Frauensicherheitsrat an, über eine zunächst europäische Vernetzung von Lobbyaktivitäten der Zivilgesellschaft Synergieeffekte und somit zusätzliche Impulse für die Reform der Vereinten Nationen zu bewirken. In Europa kann man sich übrigens erfolgreich auf interessante Beschlüsse und Dokumente z.B. des Europaparlaments,31 des Europarates32 und der OSZE33 beziehen.

Fazit: Wenn wir die Vision einer gerechten Gesellschaft, in der Männer und Frauen gemeinsam Verantwortung tragen und Konflikte friedlich lösen, aufrecht erhalten wollen, dann muss Weltsicherheit quotiert werden. Nur so kann die Diskrepanz zwischen denkbaren Alternativen für nachhaltigen Frieden und einer machtgesteuerten Interessenpolitik langfristig überwunden werden.

»Empower women and educate men«!

Anmerkungen

1) Dr. Aletta Jacobs war die erste Kinderärztin der Niederlande und Vorstandsmitglied der Internationalen Frauenrechtsbewegung ISA.

2) Die Frauen trafen sich in Zürich, da sie bis dato noch nicht an der offiziellen Politik beteiligt waren und deutsche Teilnehmerinnen so kurz nach Ende des ersten Weltkrieges keine Einladung nach Frankreich bekommen hätten.

3) Forderung, die anlässlich des Internationalen Frauentages von einer internationalen Frauendelegation seit Jahrzehnten jedes Jahr wieder bei der Genfer Abrüstungskonferenz im Kontext aktueller Rüstungsdebatten vorgetraten wird.

4) IFFF; engl. Women’s International League for Peace and Freedom/WILPF, siehe www.internationalefrauenliga.de und www.wilpf.int.ch.

5) Dort hat die bei der UNO akkreditierte Organisation auch heute noch ihren Sitz.

6) Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) definiert sexualisierte Gewalt als kriminellen Akt und garantiert u.a. Zeugenschutz für Frauen und Männer, sieben von 18 Richtern sind Frauen, siehe www.icc.org, siehe gender taskforce, bzw. Aufsätze von G.Mischkowski zu ICC und Gender (siehe Amnesty Konferenzdokument)

7) Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz, UNO-Dokument A/CONF.177/20 vom 17. Oktober 1995, vor allem Anlage II, Aktionsplattform, Kapitel 5, »Frauen und bewaffnete Konflikte«; www.un.org/Depts/german/conf/beijing/beij_bericht.html.

8) Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against Women (CEDAW); www.unhchr.ch/html/menu3/b/e1cedaw.htm.

9) Ziel 3 der »Millenium Development Goals« lautet: „promote gender equality and empower women“; http://www.undg.org/content.cfm?id=502.

10) 2003 bewertet die von der UNO eingesetzte Commission on Human Security die »menschliche Sicherheit« als handlungsleitend; siehe www.humansecurity-chs.org/. Vgl. dazu »Human Security – Women Security«? Keine nachhaltige Sicherheit ohne Geschlechterperspektive, Schriften des Feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung, Nr.7, 2003 , www.glow-boell.de.

11) http://www.internationalefrauenliga.de/un%20Resolution%201325.html.

12) weitere Daten gesammelt unter www.peacewomen.org

13) Sima Samar, ehemalige afghanische Frauenministerin auf der Veranstaltung »Brauchen wir einen Weltfrauensicherheitsrat«, Feministisches Institut der Heinrich-Böllstiftung

14) Elisabeth Rehn, ehemalige finnische Verteidigungsministerin und Co-Autorin der UN-Studie zu »Women, War and Peace«, und Sonderbeauftragte des UNGS für den Balkan

15) »In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle« lautet der Titel des Berichts des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan für die Reform-Generalversammlung im September 2005; www.un.org/depts/german/gs_sonst/a-59-2005-ger.pdf.

16) Charlotte Bunch zur Debatte »Brauchen wir einen Weltfrauensicherheitsrat?« auf einer gleichnamigen Veranstaltung des Feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung am 14. und 15. September 2002.

17) Mit der Verabschiedung der Resolution 1325 wurde diese für die 191 UNO-Mitgliedsstaaten rechtlich bindend.

18) Die 1992 vom Botschafter Venezuelas eingeführte »Arria-Formel« ermöglicht den Zugang von Nichtregierungsorganiationen zu informellen Sitzungen des Sicherheitsrates. Dadurch wird die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure im Zuge der anstehenden UN-Reform aufgewertet und eine bessere Verzahnung von UNO-Institutionen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten angestrebt (vgl. UNO-Generalsekretär Kofi Annan vor dem Sicherheitsrat am 22. Juni 2004).

19) U.a. die Gruppen International Alert, IFFF/WILPF, International Women’s Tribune Center, Amnesty International, Femmes Africa Solidarité; siehe www.peacewomen.org/wpsindex.html für eine vollständige Liste der angeschlossenen Organisationen.

20) www.womenwarpeace.org/about_us.htm.

21) Siehe separater Kasten mit einigen Beispielen. Weitere Beispiele finden sich u.a. in: Ute Scheub, Friedenstreiberinnen. Elf Mutmachgeschichten aus einer weltweiten Bewegung, Psychosozial-Verlag, Gießen, 2004; Initiative »1000 Frauen für den Friedensnobelpreis«, www.internationalefrauenliga.de/1000peacewomen.htm.

22) www.un.org/womenwatch/osagi/.

23) Nach Aussagen von Rachel Mayanja, UN Special Adviser on Gender Issues and the Advancement of Women, auf der OSZE-Koferenz zu »Women in Conflict Prevention and Crisis Management« in Wien, Juni 2005.

24) Die Commission on the Status of Women (CSW, www.un.org/womenwatch/daw/csw/) tagte zuletzt vom 28.2. – 4.3.2005 in New York zu Peking+10, zur Verbindung mit den Millenium Development-Goals und zur Umsetzung der Resolution 1325. Ein Konferenztagebuch von Gitti Hentschel beschreibt die politische Einschätzung der Fortschritte und die Diskussionsverläufe; www.glow-boell.de/de/rubrik_2/5_976.htm.

25) Vina Nadjibulla am 24.6.2005 im Rahmen des Civil Society Hearing der CSW.

26) Dem Frauensicherheitsrat gehören ca. 50 Frauen aus friedens-und entwicklungspolitischen Organisationen, politischen Stiftungen und Friedensforschungsinstituten an. Er wurde 2003 gegründet zur kritischen Beobachtung der Aktivitäten der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat während der 2-jährigen Mitgliedszeit Deutschlands. Der Frauensicherheitsrat setzt seine Lobby-Aktivitäten fort; Details zu Zusammensetzung, Aktivitäten, Beteiligung usw. unter www.un1325.de.

27) Auch die deutsche Regierung hat in ihrem Bericht bei der letzten CSW-Tagung in New York deutliche Fortschritte bei der Umsetzung der Resolution 1325 vermeldet. Auf einem »Forum Globale Fragen« des Außenministeriums wurde von Staatssekretärin Kerstin Müller ein nationaler Aktionsplan zugesagt, die Zusage wurde aber später wieder zurückgenommen.

28) Siehe www.un1325.de/fsr.htm#aktionsplan.

29) Der Schattenbericht des Frauensicherheitsrates ist zu finden unter www.un1325.de/data/GLOW.pdf; der Bericht der deutschen Regierung auf der Website des Außenministeriums.

30) Die »friends of the resolution« sind eine ad hoc-Gruppe, in der Regierungen von 27 UN-Staaten vertreten sind, u.a. auch Deutschland.

31) Europaparlament Okt. 2000, »Zur Beteiligung von Frauen an friedlicher Konfliktlösung« vorgelegt von MdEP Maj-Britt Theorin , Dokument A5-0308/2000.

32) Konferenzdokument zur Beteiligung von Frauen an Konfliktprävention und Konfliktlösung, Straßburg 2001.

33) OSCE Action Plan for the Promotion of Gender Equality und Background Materials zur OSZE-Konferenn in Wien von Kvinna til Kvinna (Frauen für Frauen) Foundation Schweden, Juni 2005.

Heidi Meinzolt-Depner ist Gymnasiallehrerin und seit vielen Jahren in der internationalen Politik tätig; zunächst im Vorstand der Europäischen Grünen und später als Europakoordinatorin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Ihr Schwerpunkt liegt auf Alternativen zur traditionellen Sicherheitspolitik, zivile Konfliktlösung und Gewaltprävention unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen

Friedensforschung und Geschlechterforschung1

Friedensforschung und Geschlechterforschung1

von Hanne-Margret Birckenbach

Der konstituierende Begriff der Friedensforschung ist nicht Krieg, nicht Geschichte, nicht Herrschaft, nicht Macht, sondern Frieden. Ohne Friedensbegriff, d. h. ohne theoretische Reflexion der Möglichkeit des gewaltfreien Konfliktaustrags blieb Handlungswissen der Gewaltlogik verhaftet und damit friedenspolitisch unrealistisch. FriedensforscherInnen müssen sich nicht als PazifistInnen verstehen, aber sie müssen aus professionell methodischen Gründen eine konkrete Vorstellung von Frieden entwickeln. Sie müssen natürlich mehr wissen, und daher stehen in ihren Bibliotheken auch Bücher, die sich mit »anderem« befassen. Brauchen Sie aber auch ein Verständnis der Kategorie Geschlecht?
In der Friedensforschung dominiert die Auffassung, auf Wissen aus der Geschlechterforschung am ehesten verzichten zu können. Geschlechterforscherinnen halten dagegen, ohne Beachtung der Kategorie »Geschlecht« werde man vom Frieden gar nichts verstehen. Zwischen diesen Polen bewegen sich diejenigen WissenschaftlerInnen, die argumentieren, es sei vielleicht nicht zwingend, aber doch methodisch nützlich, die Geschlechterforschung zum Kreis derjenigen Disziplinen zu rechnen, mit deren Hilfe sich etwas über die Bedingungen von Friedens entdecken lässt.

Anfänge

Die Bemühungen Friedensforschung und Geschlechterforschung in diesem Sinne zu verbinden, sind in Deutschland jetzt etwa 25 Jahre alt. Die Impulse kamen aus der transnationalen Wissenschaftskooperation. Am Rande der 8. Zweijahrestagung der International Peace Research Association (IPRA) 1979 in Königstein im Taunus, trafen sich einige – teilweise hoch angesehene – weibliche Mitglieder dieser Vereinigung außerhalb des Tagungsprogramms – fast heimlich – und berieten über die Geschlechterdimension ihrer wissenschaftlichen und politischen Erfahrungen. Von diesem Treffen nehmen die weltweiten Bemühungen, Friedensforschung und Geschlechterforschung zu verbinden, ihren Ausgang.

Es dauerte jedoch fast zehn Jahre, bis in Deutschland die Friedensforschungseinrichtungen überhaupt wahrnahmen, dass Frauen begonnen hatten, sich untereinander zu verständigen, dass sie als Forscherinnen anerkannt werden wollten und von der Friedensforschung verlangten, über die Zusammenhänge von Frieden und Geschlecht nachzudenken. Dass an den Universitäten im In- und Ausland die Geschlechterforschung in immer mehr Disziplinen Fuß gefasst hatte, beeindruckte die deutschen Kollegen zunächst ebenso wenig wie die Tatsache, dass in den 80er Jahren – vermittelt über zahlreiche Frauen- und Friedensinitiativen – in der Gesellschaft ein Interesse an den geschlechterbezogenen Fragen des Friedens artikuliert wurde, das es auch jüngeren nicht-etablierten Wissenschaftlerinnen ermöglichte, vergleichsweise unbeaufsichtigt Vorträge zu halten, Texte zu publizieren und Interviews zu geben. Als diese dann die eigene Zunft mit der These konfrontierten, dass die Geschlechterfragen auch für die Friedensforschung relevant seien, begann für diese eine spannungsgeladene Zeit.

Einige Kollegen unterstützten dieses Anliegen, einige äußerten sich vehement dagegen, andere schüttelten verständnislos den Kopf. Auch die Friedensforscherinnen waren sich keineswegs einig. Überall schienen Gefahren zu lauern: Würde das Profil der Friedensforschung nicht leiden, wenn randständige oder gar sachfremde, nur dem Zeitgeist gehorchende Fragen der Geschlechtergleichheit behandelt würden? Würden der feministische Aufbruch die Friedensforschung nicht schwächen? Wäre nicht das der Aufklärung verpflichtete Selbstverständnis der Friedensforschung durch feministische Kritik in Frage gestellt? Würde es der persönlichen akademischen Zukunft schaden, wenn frau mit dem »Frauenlager« identifiziert würde? Liefe es nicht dem akademischen Diskurs zuwider, wenn Friedensforscherinnen sich unter sich, d.h. ohne männliche Begleitung treffen wollten? Wie immer eingebildet diese Gefahren auch gewesen sein mögen, diese und ähnliche Bedenken prägten die Diskussion und spiegelten die große Unsicherheit gegenüber den Forderungen nach einer feministischen Friedensforschung. Im Nachhinein werden die meisten sagen, dass die auf allen Seiten zu beobachtenden Kränkungen doch so einfach hätten vermieden werden können, wenn Strukturen und Vermittlungskompetenzen vorhanden gewesen wären, die geholfen hätten, den Enthusiasmus gerade der jüngeren Friedensforscherinnen aufzugreifen, und wenn mehr Kollegen die Souveränität besessen hätten, die Initiativen der Frauen schlicht willkommen zu heißen, die kämpferischen Dispute zu entschärfen und den sachlichen Kern der Kontroversen in den Mittelpunkt zu rücken.

In der Sache ging es darum, ob die geringe Sichtbarkeit von Frauen in der Friedensforschung für diese überhaupt ein Problem und Geschlechterfragen für den Forschungsgegenstand Frieden relevant sein könnten. Die meisten Anstrengungen der Wissenschaftlerinnen galten daher dem Versuch, diese Relevanz innerwissenschaftlich nachzuweisen. Sie zeigten, wie die Wahl von Forschungsthemen und -ansätze durch Weltsichten und Erfahrungsbezüge geprägt werden, in der geschlechtsspezifische Leiden am Unfrieden nicht thematisiert und das Handeln von Frauen weder in friedensfördernden noch in seinen friedensgefährdenden Aspekten aufgedeckt werden kann. Sie kritisierten die Verbannung feministischer Friedensforschung in die Nische ohne Aussicht auf eine ertragsfördernde systematische Dichte, Zugang zu Forschungsmitteln und Stellen. Und sie warnten, die Ignoranz gegenüber Geschlechterfragen werde nicht nur die Defizite in der bisherigen Friedensforschung verstetigen, sondern auch zu einer Versimplifizierung feministischer Positionen, insgesamt also zu einem Verlust an Rationalität und Realität führen. Friedensforschung sei keinesfalls eine männliche Disziplin, aber eben doch auf einem Auge blind und daher veränderungsbedürftig. Als Kollegen zugestanden, eine solche Veränderungen sei zwar wünschenswert aber nicht möglich, wurde ein programmatisches Forschungskonzept formuliert, mit dem diese Skepsis entkräftet werden sollte. Darin wurde gefordert:

  • die impliziten Geschlechterannahmen in der Friedensforschung zu reflektieren,
  • in den konkreten Forschungsvorhaben Theoreme aus der Geschlechterforschung (insbesondere Mittäterschaft) aufzugreifen,
  • Frauen als Handelnde in friedenspolitischen Prozessen sichtbar zu machen und die Möglichkeit eigenständiger Forschung von Frauen zu institutionalisieren.

Niederlagen und Erfolge

Einige Wissenschaftlerinnen hatten Anfang der 90er Jahre die Idee, dieses Konzept könnte am besten durch ein eigenes Frauenfriedensforschungsinstitut erprobt werden. Angeregt durch die von der Berliner Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie veranstaltete KSZE der Frauen im November 1990, entwickelten sie ein Forschungsprogramm mit dem Titel »Frauen-Friedensforschung im Themenfeld Europäischer Friedenspolitik mit besonderer Berücksichtigung der Politischen Bildung«. Sie erhielten befürwortende Gutachten und von der VW-Stiftung auch die Zusage für die notwendigen finanziellen Mittel von 1,5 Mio. DM für eine Versuchszeit von drei Jahren. Schließlich scheiterte die Umsetzung daran, dass eine Vergabebedingung nicht gegeben war. Es wurde in Niedersachsen keine Professorin mit dem Schwerpunkt Friedensforschung gefunden, die das Projekt an einer Universität verankern und inhaltlich verantworten konnte. Auch andere Projekte scheiterten. Qualifizierte Frauen, die sich besonders engagiert hatten, fanden keine weitere Anstellung oder unterlagen bei Bewerbungen gegenüber männlichen Kollegen mit den besseren Beziehungen. Das Scheitern sprach sich schnell herum, der Klatsch nahm zu, auch unter den Friedensforscherinnen wurde die Solidarität brüchig und machte Konkurrenzverhalten Platz.

Die kleine Gruppe der verbliebenen aktiven Frauen war häufig überfordert, den Anforderungen nach Interviews, Artikeln nachzukommen und es gelang immer weniger, Erfolge zu erkennen und sichtbar zu machen. Trotz aller Niederlagen ist es dennoch gelungen, auch in Deutschland Strukturen und Institutionen der Friedensforschung für Anliegen feministischer Forschungsansätze zu öffnen.

  • Gender ist in der Friedens- und Konfliktforschung heute keine Tabukategorie mehr. Friedensforscherinnen werden beachtet, gefördert sowie in die Gremien gewählt oder berufen. Sie referieren bei den einschlägigen Tagungen, publizieren und forschen nicht nur, aber auch über geschlechterbezogene Fragen. Nicht dass alle KollegInnen wissen, was mit der Kategorie Geschlecht gemeint ist, oder überzeugt davon sind, dass sie in der Friedensforschung zu Erkenntnisgewinnen führen kann. Aber die Chancen feministische Perspektiven zu thematisieren, sind gewachsen. Kaum jemand würde heute öffentlich kundtun, dass die Kategorie Geschlecht nicht in die Friedensforschung gehört und Frauen schon deshalb, weil sie zahlenmäßig in den Regierungen und Armeen nicht ins Gewicht fallen, als handelnde Gruppe nicht weiter relevant seien. Forderungen, Wissenschaftlerinnen Zugänge zu Forschungsmitteln, Vortrags- und Publikationschancen sowie Ehrenämtern zu gewähren, werden zwar gelegentlich als lästig empfunden – aber es ist auch in der Friedensforschung schwerer geworden, sich solcher Last zu entziehen.

Trotz notorischer Zeitnot gehört ein kurzes Treffen der Frauen bei jeder Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) zum offiziellen Programm. Frauen erfahren auch Anerkennung. Der Christiane-Rajewsky-Nachwuchspreis der AFK, der seit 1991 jährlich an jüngere WissenschaftlerInnen oder Initiativen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben, vergeben wird, ging überwiegend an junge Wissenschaftlerinnen. Eine Monitoring-Instanz ist institutionalisiert: Die AFK hat seit 1994 eine Frauenbeauftragte. Laut Satzung soll sie die Arbeitsbedingungen und die wissenschaftliche Tätigkeit von weiblichen Mitgliedern der AFK auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung bekannt machen, bei Konflikten vermitteln und Möglichkeiten und Initiativen zur Frauenförderung in der Friedensforschung unterstützen. Alle zwei Jahre berichtet sie der Mitgliederversammlung der AFK darüber, wie es um die Realisierung dieser Ziele steht.

Auch eine Ermutigungsinstanz hat sich etablieren können. Es ist das im Rahmen der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB) koordinierte Netzwerk Friedensforscherinnen. Frauen bestimmen heute mit über die Vergabe von Forschungsgeldern bei der Deutschen Friedensstiftung (DFS) ebenso wie bei der privaten Berghof-Stiftung für Konfliktforschung. Es gibt kleinere Fortschritte bei der Besetzung von Leitungspositionen und Dauerstellen mit Wissenschaftlerinnen. Die Unterrepräsentation von Frauen und genderspezifische Forschungsfragen sind als Defizit anerkannt (vgl. die Empfehlungen der Struktur- und Findungskommission der DSF). Eine Juniorprofessur für Friedensforschung an der Universität Frankfurt wurde mit einer Wissenschaftlerin besetzt. Während im Ausland einige Institute (z.B. die Schweizer Friedensstiftung) Geschlechterfragen fest in ihrem Friedensforschungsprogramm etabliert haben, sind in Deutschland immerhin Absichtsbekundungen formuliert worden.

  • Auch auf der inhaltlichen Eben sind deutliche Veränderungen erkennbar. Anders als in den 80er Jahren gibt es heute über Forschungsideen und -pläne hinaus im In- und Ausland eine beachtliche Reihe theoretischer und empirischer Forschungsbefunde. Diese beziehen sich auf wissenschaftstheoretische Fragen und vor allem auf Aspekte der Normenbildung im internationalen System, auf die Geschlechterbeziehungen als Macht- und Kriegsressource in bewaffneten Konflikten, auf geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Kriegs- und Machtpolitik sowie auf Differenzierungen der tatsächlichen und möglichen Frauenrollen in ethnopolitischen Konflikten. Dabei geht es nicht nur um Frauen als Opfer, Kämpferinnen, Täterinnen, Mittäterinnen und Mitarbeiterinnen in Kriegsökonomien, sondern auch um das Handeln von Friedensaktivistinnen, sei es, dass diese ein Minimum von Sicherheit für Frauen organisieren, den Bereich der sozialen Sicherheit aufrechterhalten, Trauma- und Versöhnungsarbeit leisten, Frauenorganisationen bilden, die Überlebenshilfe organisieren oder in rechtlichen Fragen behilflich sind und teilweise auch Friedensverhandlungen führen.
  • Viele Untersuchungen beziehen sich auf den in der Friedensforschung innovativsten und am stärksten nachgefragten Themenbereich der konstruktiven Konfliktbearbeitung und so kann die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung seit 2003 im Internet nicht nur über Tagungen und Dokumente, sondern auch über neue Literatur zum Thema Gender & Konflikt informieren. Denn anders als in den Anfangszeiten erhalten die Bemühungen, Geschlechterfragen des Friedens zu thematisieren, heute Rückhalt aus der politischen Praxis, vor allem aus den sicherheits- und entwicklungspolitischen internationalen Organisationen. Hier erfahren DiplomatInnen täglich wie die Eskalation von Konflikten sich auch in einer Verrohung der Geschlechterbeziehungen niederschlägt und umgekehrt die Geschlechterbeziehungen auch die Erfolgschancen von Demokratisierungsstrategien beeinträchtigen oder fördern. Auch ist vielfach belegt, dass sich die Geschlechterbeziehungen innerhalb von internationalen Friedensmissionen günstig oder ungünstig auf deren Erfolgschancen auswirken. Schließlich erkennen die sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen zunehmend ihren Bedarf an friedenswissenschaftlich ausgebildeten und gender-bewusstem Personal.

Vor allem aber sind die internationalen Organisationen heute durch internationale Standards gebunden, im Interesse der Glaubwürdigkeit und Legitimität internationaler Konfliktbearbeitung die Mitwirkung von Frauen an ihrer Arbeit zu erweitern sowie die Bedürfnisse von Frauen in den Krisengebieten zu beachten. So hat das OSZE Sekretariat 1999 das Amt einer »Gender Adviser« eingerichtet, mit dem erreicht werden soll, dass die Organisation gender-mainstreaming betreibt, das Bewusstsein für Genderfragen weckt und die Karrierechancen für Diplomatinnen in der Organisation erhöht. Auch das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte hat eine »Gender Unit« geschaffen, die sich mit der Entwicklung entsprechender Projekte und ihre Einfädelung in die Feldarbeit der Missionen und der Ausbildung des Personals im Hinblick auf Geschlechterfragen befasst. Ähnlich verlangt die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Frauen stärker in nationale, regionale und internationale Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Belegung von Konflikten einzubeziehen und Frauen als Sonderbeauftragte, Militärbeobachterinnen, Mitglieder der Zivilpolizei, Menschenrechts- und humanitäres Personal zu entsenden. Auch wird der Generalsekretär der VN darin aufgefordert eine Studie über die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen, Mädchen, die Rolle von Frauen bei der Friedenskonsolidierung und die Geschlechterdimension von Friedensprozessen und der Konfliktbeilegung zu veranlassen und dem Sicherheitsrat Bericht über die Studie sowie die Fortschritte bei der Umsetzung der Integration der Geschlechterperspektive in alle Friedenssicherungsmissionen zu berichten.

Perspektiven

So sehr sich die Ausgangsbedingungen verbessert haben, so wenig kann der Stand der Forschung über Frieden und Geschlecht überzeugen. Diese Bewertung gilt insbesondere für die deutsche Forschungslandschaft, die mit der Entwicklung in den angelsächsischen und nordischen Länden nicht mitgehalten hat. Wie könnte wieder Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden werden?

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, wie eng Fortschritte in der Friedensforschung an Fortschritte in der friedenspolitischen Praxis gebunden sind. Das gilt für die Entstehung der Friedensforschung im Zuge der Entspannungspolitik ebenso wie für die Neuorientierung der Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Diese war mit einem umfassenden politischen Neuanfang verbunden war. Seine Merkmale waren die Einleitung einer konstruktiven Verbindung von Friedens- und Menschenrechtspolitik, die Aufwertung der internationalen Organisationen in Europa und auf globaler Ebene, Bemühungen zur Humanisierung des Sicherheitsbegriffs und die Öffnung des Arkanbereichs Sicherheitspolitik »nach unten« zu den Nicht-Regierungs-Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Parallel dazu liefen die internationale Kampagnen zur Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte sowie die Politik des gender-mainstreaming. Folgt man der Definition, die der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 1997 von den Zielen dieser Politik gegeben hat, dann geht es darum, die Anliegen von Frauen wie Männern in allen politischen und sozialen Bereichen und auf allen Entscheidungsebenen zur Geltung zu bringen, so dass Frauen und Männer gleichermaßen davon Nutzen haben und Ungleichheit nicht verlängert wird. Es geht um eine doppelte Zielsetzung: Geschlechtergleichheit und eine Transformation von Politikinhalten und Politikmethoden. Es geht also nicht nur darum, vorhandenen Politikprogrammen eine Frauenkomponente hinzuzufügen, Spezialprogramme für eine verwundbare Gruppe aufzulegen oder die Partizipation von Frauen auf allen Ebenen zu erhöhen, sondern einen Wandel in den Zielen, Mitteln, und Institutionen von Politik einzuleiten.

Mit diesem politische Aufbruch in den 90er Jahren waren auch für die Entwicklung der Friedensforschung und deren Öffnung für Geschlechterfragen glückliche Umstände geschaffen. Inzwischen ist jedoch eine Trendwende sowohl in der Sicherheitspolitik wie auch im gender-mainstreaming-Ansatz der Frauenpolitik zu beobachten. Diese Wende setzte lange vor dem 11. September 2001 ein und erfasste keineswegs nur die Politik der USA, sondern unter anderem auch die deutsche Politik. „Wir befinden uns in einer widersprüchlichen Situation“, hieß es in einem Telefax, das Feministinnen und Pazifistinnen aus Belgrad im Januar 1993 an Frauengruppen im Ausland schickten, als die Diskussionen über Kriegsvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina eine ungewöhnliche Welle der Empörung auslösten. „Auf der einen Seite ist die Vergewaltigung in Kriegszeiten zum ersten Mal in der Geschichte auf höchster internationaler Ebene zum Thema geworden; gleichzeitig ist die Motivation derjenigen, die an dieser Diskussion beteiligt sind, keineswegs der Schutz der Rechte und das Wohlbefinden der Frauen, sondern ihre Funktionalisierung für Zwecke der Kriegspropaganda und der Intensivierung ethnischen und nationalistischen Hasses. Das Leiden von Frauen wird zur Legitimation weiterer militärischer Eskalation benutzt.“ Das war eine sehr frühe wenig beachte Warnung vor der Doppelbewegung, die heute immer deutlicher bewusst wird: Remilitarisierung der Sicherheitspolitik, in der die zivile Konfliktbearbeitung zum Appendix wird, auf der einen Seite und Zurückdrängung des transformatorischen Gehalts von gender-mainstreaming durch Instrumentalisierung von geschlechtsspezifisch aufbereiteten Menschenrechtsfragen auf der anderen Seite. Wie diese Doppelbewegung wieder zurückgedrängt werden und gender-mainstreaming mit peace-mainstreaming verbunden werden kann, müsste heute zu den Kernfragen der Friedensforschung gehören. So kann es heute auch nicht mehr darum gehen, immer erneut rechtfertigend zu begründen, warum auch die Geschlechterdimension des Friedens erforscht werden und die Zahl der Friedensforscherinnen in den Instituten wachsen muss. Vielmehr muss vor allem die Verbindung von Friedens- und Geschlechterforschung in konkreten Projekten so fundiert werden, dass die Ergebnisse Aufschluss darüber geben, was im Interesse der Friedensförderung geschehen kann. Zu den wesentlichen Desiderata gehören die folgenden Aspekte.

  • Die wissenschaftliche Literatur zu »gender and peace« besteht überwiegend aus verstreuten Essays, Arbeitspapieren und Einzelarbeiten, die zwar unter Frauen diskutiert werden, aber von Kollegen wenig in dem Sinne beachtet werden, dass sie auch deren Arbeiten anregen. Auch bestärkt diese Isolation vermutlich geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen und Wahrnehmungsmuster in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft. Vor allem fehlen theoretisch und empirisch fundierte Monographien, systematische Forschungs- und Findungsberichte sowie Einführungstexte, die zusammenfassen, was man über die Geschlechteraspekte der Friedensthematik heute bereits wissen kann, professionell wissen muss und welche Schlüsse sich daraus für die Friedensforschung und Friedenspraxis ziehen lassen.
  • Die Erfahrungen internationaler Organisationen mit dem gender-mainstreaming sind kaum und vor allem nicht systematisch ausgewertet. Nur wenig ist über die Versuche bekannt, in der Praxis die Analyse aktueller Konflikten mit der Analyse von Geschlechterverhältnissen zu kombinieren. Auch die Erfahrung von Praktikern, dass gender-mainstreaming in der Konfliktbearbeitung ebenso unerwünschte Folgen für die Konfliktbearbeitung nach sich ziehen kann, wie die Ignoranz gegenüber Fraueninteressen, ist wissenschaftlich nicht aufgearbeitet. Ferner ist unbekannt, wie sich der Charakter der sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen durch das gender-mainstreaming verändert. Verlieren sie damit möglicherweise an machtpolitischem Gewicht? Wandeln sich Organisationen wie UNO und OSZE von gewichtigen Organisationen kollektiver Sicherheit zu weniger gewichtigen Dienstleistungsakteuren, zeichnet sich sogar ihre »Hausfrauisierung« ab?
  • Feministische Wissenschaftlerinnen haben bislang – nicht anders als ihre Kollegen – mit Priorität über kriegerische und nur wenig über friedliche Entwicklungen gearbeitet. Das bedeutet, dass wir am wenigsten über das wissen, was Friedensforscherinnen am ehesten interessieren müsste, nämlich das tatsächliche und potenzielle Handeln von Frauen in Situationen, in denen es gelingen könnte, eine Gewaltentwicklung noch abzuwenden.

Anmerkungen

1) Der Text basiert auf einem Vortrag beim Interdisziplinären Kolloquium »PazifistInnen / Pazifismus. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung« am 9. und 10. Mai 2003. Veranstalter waren die Heinrich Böll Stiftung, deren Feministisches Institut und das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung.

Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Jean-Monnet-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Politikwissenschaft