Krieg, Frauen und Neue Weltordnung

Krieg, Frauen und Neue Weltordnung

von Diane Bell

Die Experten mit ihrem privilegierten Wissen und technischen Diskurs haben den Nicht-Experten passiv gemacht. Wie können sich Menschen, die nicht in einem Spezialgebiet geschult sind, die keine Experten sind, in technischen Details zurechtfinden? Ich brauche die genaueren Details der Giftmüllagerung nicht zu kennen, um zu sehen, daß es Fragen gibt, die sich bereits vor den Problemen der Entsorgung stellen. Ich brauche die genaueren Details des Ölmarktes nicht zu kennen, um eine langfristige Energiepolitik als notwendig vorzuschlagen. Ich brauche kein Experte für den Mittleren Osten zu sein, um zu wissen, daß George Bush, wenn er vom „Schlächter von Bagdad“ spricht und Saddam Hussein mit Hitler gleichsetzt, sich auf ein sehr oberflächliches geschichtliches Erinnerungsvermögen US-amerikanischer und alliierter Politik verläßt (s. Conlogue 1991, Trudeau 1991).

Zum Bedauern der Experten präsentieren sich die Probleme des wirklichen Lebens selten innerhalb der sauber gezogenen Grenzen der Disziplinen. Zum Teil ist es die Neigung der Anthropologie, Grenzen zwischen den Disziplinen zu durchbrechen, die ich bei der Analyse von etwas so allumfassenden wie einer Weltordnung attraktiv finde, und ganz sicher ist es die feministische Vorgabe, das Persönliche als das Politische zu erkennen, von der meine Analyse, wie das Empfinden der Öffentlichkeit vor den Karren der Kriegsanstrengungen gespannt wird, getragen ist. Mit dem Aufruf des Präsidenten, „unsere Truppen zu unterstützen“ und gelbe Bänder als ein Symbol der mitfühlenden Sorge an unsere Häuser, Bäume, Autos und Laternenpfähle zu binden und an unsere Körper zu heften, wurden die Amerikaner aufgefordert, die Unterstützung der Menschen, die sie lieben, mit der Unterstützung des Krieges gleichzusetzen; eine zwischenmenschliche Ethik der Fürsorge und Hegens wurde mit einer kruden Form des Patriotismus zusammengefaßt, die eine unreflektierte Vaterlandsliebe und die Billigung der Autorität des Präsidenten und seiner Ambitionen verlangte. In gewissem Sinne wurde der Staat mit dem Präsidenten an der Spitze zu der Familie, in der der Vater es stets am besten weiß. Das hohe Maß an persönlicher Anerkennung, das George Bush genoß, als die Truppen nach Hause kamen, bestätigte, daß das Vertrauen richtig eingesetzt worden war: er und das Militär (und die verbündeten Armeen) hatten es geschafft, den Job zu erledigen, für den sie so gut ausgebildet waren. Wer fragte nach den Kindern, die aus Mangel an sauberem Wasser starben, und nach den fortgesetzten Kämpfen zwischen den verschiedenen Gruppierungen im Irak? Wer fragte nach der Lebensqualität in dem gerade »befreiten« Kuwait? Schwarzer Regen fiel, die Ölquellen brannten, die Menschen standen für Brennmaterial und Benzin an, Familien begannen, nach den Verschwundenen zu suchen, und das Land stand unter Kriegsrecht.

In Kriegszeiten genießt der Staat einen seltenen Augenblick, in dem die Spannungen, die durch die miteinander konkurrierenden Interessengruppen entstehen, auf Distanz gehalten werden können; in dem es als Gefährdung der Mitbürger ausgelegt wird, wenn jemand die Rechtfertigung eines Truppeneinsatzes in Frage stellt; in dem die »freie Presse« die Parteilinie abdruckt und Journalisten angreift, die weiterhin aus der Perspektive des sogenannten Feindes berichten; in dem Staat und Militär zu einem Herrenclub verschmelzen, der durch Geheimhaltung geschützt ist. Es passiert in Kriegszeiten, daß nationale Prioritäten ohne Überprüfung durch die Bevölkerung und ohne eine Debatte im Kongress neu gesetzt werden können; die Kritik an der Gewalt als einem Mittel zur Aufrechterhaltung internationaler Ordnungen wird durch das Aufkommen nationalistischen Eifers zum Schweigen gebracht. Lassen Sie mich diese Zusammenhänge am Engagement der USA im Golfkrieg illustrieren.

Feministische Stimmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern

Vor dem 16. Januar gab es eine eindeutige Kluft zwischen den Geschlechtern in den Auffassungen darüber, wie am besten auf die Invasion in Kuwait zu reagieren sei. In einem Verhältnis von 2:1 favorisierten Frauen wirtschaftliche Sanktionen, während Männer weit eher bereit waren, militärische Lösungen gutzuheißen (The Los Angeles Times, 16. November 1990). Zu reden, so meinten die Frauen, sei kein Zeichen von Schwäche, und verhandeln bedeute nicht nachgeben. „Könnten wir über die Teilung der Macht, statt über das Ergreifen der Macht reden?“ fragten die Frauen. Als die Bombardierung erst einmal begonnen hatte, war wenig von der Kluft zwischen den Geschlechtern die Rede, aber sie existierte weiter. Man konnte sie zu Hause, im Privaten beobachten, in dem Bereich, in dem Frauen anfangen Fragen zu formulieren, die sie zunächst für persönliche Probleme halten, bevor sie entdecken, daß sie sie mit anderen Frauen teilen. Zum Teil ist es diese zeitliche Verzögerung zwischen privatem Leiden und öffentlichem Bewußtsein, die Frauen davon abhält, rasch Interessengruppen zu Fragen von politischer Bedeutung zu bilden.

Lassen Sie mich hier auf meine Feldstudien unter Kolleginnen in den USA verweisen: eine Reihe von Frauen erzählten mir, daß sie sich weigerten, die Nachrichten zu sehen; daß ihr Mann, von dem sie zu wissen glaubten, daß er gegen den Krieg war, gebannt vor der CNN Berichterstattung saß; daß sie sich mit den Männern in ihrem Leben über den Krieg stritten; daß ihn die Reportagen über Scuds, die am nächtlichen Himmel von Patriotraketen »außer Gefecht gesetzt« wurden, faszinierten, daß er süchtig nach ihnen war, sie genoß, ebenso wie die Unmittelbarkeit, die detaillierten Einsatzbesprechungen, den militärischen Humor. „Es ist obszön“, hörte ich die Frauen sagen. Die Wirklichkeit ist schmutzig. Da gibt es Blut und Schmerz und Gewalt. Menschen verrohen, Frauen werden vergewaltigt, Kinder sterben, und uns wird nichts davon gesagt, weil es nicht im Interesse des Militärs ist. Die graphische Darstellung militärischer Überlegenheit im Fernsehen, die Sportmetaphern, Diplomatie hinter verschlossenen Türen und der Krieg als ein surreales Videospiel, betrachtet durch die Nase eines B-52 Bombers – das menschliche Leben als Wert an sich – wird durch all dies ad absurdum geführt.

Dieser Abscheu vor der Art des Umgangs mit dem Krieg liegt die Erkenntnis vom gemeinsamen Ursprung der Gewalt gegen Frauen in zwischenmenschlichen Beziehungen und der Gewalt als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte zugrunde (s. Martha Buck). Zu oft werden Männer in unserer Kultur in die Gewalt als Mittel der Konfliktlösung hineinsozialisiert, und die Berichterstattung, die ihren Erfolg feiert, bedient sich der Metaphorik des Sports und der Sexualität. Die krude Parallele zwischen sexuellem Mißbrauch von Frauen und dem Krieg wird offensichtlich in dem Einsatz von Pornographie, um die Truppen vor dem Gefecht aufzuputschen. Lassen Sie mich Ihnen hier ein Beweisstück vorlegen, von dem ich glaube, daß es den Zusammenhang zwischen Krieg, Staat, Gewalt, Sex und männlichem Anspruch klar macht. In der Buchhandlung im Pentagon konnte man einen »Desert Storm«-Kalender mit Postern von spärlich bekleideten Frauen kaufen, die in militärischer Aufmachung posierten. Der Kapitän der Luftwaffe, bei dem man den Kalender bestellen konnte, gab an, daß er einen Anteil der Gewinne aus dem Verkauf der Yellow Ribbons Foundation spendete (Boston Globe, 27/1/91). Die Ausbeutung der Frau als Sexsymbol und der Frau als Fürsorgende sind eine Verbindung eingegangen.

Der saubere Krieg: Ein militärischer Mythos

Die schrecklichen Folgen des Krieges werden in der Semantik des Militärs verdeckt. In der Berichterstattung über die militärischen Aktionen hören wir von „Begleitschäden“, „chirurgischen Schlägen“, „zielreichen“ Gebieten, „strategischen Angriffen“, „Ausfällen“, „Befehls- und Kontrollketten“, „Freundbeschuß“ und „neutralisierten Panzern“. Dann werden auf einmal verkohlte Leichen von Frauen und Kindern aus einem Bunker in Bagdad gebracht, und man ist schockiert. Gab es doch keine Zielgenauigkeit? Wie konnte eine so große Zahl von Zivilisten getötet werden? Waren die Ziele nicht militärisch? Langsam wird klar, daß es in der Nachbarschaft von militärischen Zielen Menschen gibt, daß »tote Panzer« auch tote Menschen bedeuten. Wenn wir nur zur »strategischen Sprache« Zugang haben, ist der Krieg keimfrei, und menschliches Leben wird etwas Relatives. Wir sprechen nicht von unseren Mitmenschen, sondern von Zivilisten, Soldaten, Feinden und Verbündeten. Der Einsatz von Napalm im Golfkrieg, in Vietnam noch so umstritten, wurde vertuscht (WTG, 24. Februar 1991: C15). Nach der offiziellen Verlautbarung des US-Militärs war das Napalm über den ölgefüllten Gräben abgeworfen worden, die die irakische Armee als Teil ihrer Verteidigung gegen einen möglichen Bodenkrieg errichtet hatte (ebd.).

Während des »Desert Storm« bildete die an ein Wunder grenzende geringe Zahl an Verlusten für die Militärs eine stete Quelle des Stolzes. Doch die Militärs schwiegen, wenn es um die Verluste auf irakischer Seite ging. Der Krieg war erfolgreich, weil der Tod verdeckt wurde. Es gab keine Bilder von den Leichensäcken, die in die USA zurückkamen. Der Stützpunkt in Delaware war bei diesen Gelegenheiten für die Presse geschlossen, und das Recht des Pentagon, die Presse auszuschließen, wurde vor Gericht mit der Begründung bestätigt, daß diese Handlungsweise weder unsinnig noch unangemessen sei. Man hatte die Lehre aus Vietnam gezogen. Sogar als bekannt wurde, daß auf Seiten der USA viele Soldaten dem irrtümlichen Beschuß durch die eigenen Truppen, d.h. »Freundbeschuß«, zum Opfer gefallen waren, blieb der Schrecken des Krieges etwas sehr Fernes. Wir sahen keine Bilder von »feindlichen« Opfern; es hatte niemand Interesse daran – weder der Irak noch die USA – dieses Blutbad zu zeigen.

Wir haben viel über Verletzungen der Menschenrechte gehört – selektiv allerdings und nur, wenn es Wasser auf die militärischen Mühlen war. Berichte von Verletzungen der Menschenrechte durch die Irakis in Kuwait wurden Bestandteil der »Kriegsordnung«. Die Tatsache, daß anhaltende Verletzungen der Menschenrechte aus vielen Golfstaaten berichtet werden, wurde nicht in gleichem Maße deutlich gemacht. Die Militärs drängten der Öffentlichkeit ihre Unterteilung der Menschheit in Verbündete und Feinde auf, und sie kaufte es ihnen ab. Sie wollten erhobenen Hauptes neben dem Präsidenten gehen, sie wollten das Gespenst Vietnam hinter sich lassen. Mir klingt immer noch der Satz General Schwarzkopfs in seinem triumphalen Einsatzbericht vom 27. Februar im Ohr, als er sagte, daß die Greueltaten von Kuwait Stadt von Menschen verübt worden seien, die „nicht derselben menschlichen Rasse angehören, wie wir“. Wer also waren sie? Und wer waren die Soldaten in dem Massaker von My Lai, die Erfinder der Typenradbomben und der chemischen Kriegsführung, die Waffenhändler und die, die Napalm einsetzten? Wenn die Irakis keine Menschen waren, dann bedeutet das auch, daß ihr Leben weniger wert war, als das derjenigen, die zu den verbündeten Truppen gehörten.

Krieg und nationale Prioritäten

Die Bewegung vom Kalten Krieg zur Neuen Weltordnung ließ auf eine Friedensdividende hoffen. Die Kosten dieses Krieges werden aber die Chancen jetzt entscheidend verschlechtern. Krieg geht immer zu Lasten der Sozialetats. Innerhalb der nationalen Prioritäten hat eine Verschiebung stattgefunden über die weder debattiert noch abgestimmt worden ist. Diejenigen, die die Lasten zu tragen haben, sind nicht gefragt worden. Das Nebeneinander vom Krieg draußen und den innenpolitischen Auseinandersetzungen, ist ein durchgängiges Thema in der feministischen Literatur zur »Kriegsordnung«. Die USA, der Möchtegern-Anführer der »Neuen Weltordnung«, sind ein Land mit einem Defizit von 318 Milliarden Dollar, mit 3 Millionen Obdachlosen und 37 Millionen Bürgern ohne Krankenversicherung. Auf 44$, die für das Militär ausgegeben werden, kommt 1$ für Wohnungsbau. Es ist grausame Ironie, einen Krieg auf Kredit zu finanzieren, um dann aufgrund des gestiegenen Defizits Investitionen im Erziehungswesen und der Infrastrutur zu streichen, die notwendig wären, um in der Weltwirtschaft mithalten zu können und für soziale Gerechtigkeit zuhause zu sorgen. Sie ist noch grausamer, wenn wir die Zusammensetzung des Militärs nach Klassen- und Rassenzugehörigkeit betrachten. Junge, meist arme Männer und Frauen in einer sogenannten »Freiwilligenarmee« wurden losgeschickt, um die Interessen Amerikas im Ausland zu schützen. Schulden haben den Krieg finanziert, und genau die Menschen, deren Einkommen während des letzten Jahrzehnts stetig gesunken ist, werden im kommenden Jahrzehnt für den Krieg bezahlen müssen. Man ließ die ohnehin schon Benachteiligten weiter verarmen. Die Verschiebung innerhalb der nationalen Prioritäten wirkt sich auf die Programme für diejenigen aus, die bereits in Not leben. Darüberhinaus gibt es eine Art »geistiger Auszehrung«, denn das Potential an klugen Köpfen einer Nation wird darauf konzentriert, wie ein Krieg am besten führbar ist, und nicht darauf, wie die Voraussetzungen für eine gerechte Gesellschaft geschaffen werden können.

Mir hat der Slogan immer sehr gefallen: Es wird ein großer Tag sein, wenn die Finanzierung der Erziehung gesichert ist, und das Militär Selbstgebackenes verkaufen muß, um neue Kampfflugzeuge finanzieren zu können. Die Kalkulation für den Golfkrieg lag außerhalb des Etats. Wie ist das Pentagon ohne eine Kostenkalkulation davongekommen? Könnten wir einen »Krieg« gegen die Kindersterblichkeit führen, ohne eine vorherige Kalkulation der Ausgaben? Wir wissen, daß Betreuung vor der Geburt hilft. Wir wissen, daß ein Teil der Bevölkerung der USA eine erschreckend hohe Rate an Kindersterblichkeit aufweist. Mit ihrer Kindersterblichkeitsrate stehen die USA an 25. Stelle unter den Industrienationen. Doch soziale Dienstleistungen wurden gekürzt, um einen Krieg weiterführen zu können, dessen Kosten unabsehbar waren. Können Sie sich eine massenhafte Medienberichterstattung zur Feminisierung der Armut und zur Gewalt gegen Frauen vorstellen, mit einem Riesenaufgebot an Experten aus aller Welt, monatelang, ohne Unterbrechung, auf CNN? Wäre es dann möglich, Schwangerschaftsvorsorge und Kinderbetreuung außerhalb des Etats zu finanzieren, weil ohne diese Programme Leben verloren gehen würden, weil der »American Way of Life« gefährdet wäre, und »Demokratie« einen hohlen Klang bekäme? Diese Gründe wurden als Gründe für den Krieg angeboten. Wer setzt die Prioritäten, wo es um Menschenleben geht?

Die Kriegskosten beinhalten Gehälter, Raketen, Munition, See- und Luftbrücken, Treibstoff, militärische Bauten, Medikamente, Lebensmittel, Wasser und andere Versorgungssysteme. Aber für gewöhnlich werden die Unterstützungen für die Veteranen und die Zinsen, die für das für diese Verpflichtungen geliehene Geld anfallen, genauso wenig berechnet, wie die Zeit, die nötig ist, um diese Schulden abzuarbeiten. Die Hinterlassenschaft der Kriege häuft sich mit den Jahren an, vom 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Korea, Vietnam (von den nicht offen erklärten Kriegen ganz zu schweigen). So zahlten die USA beispielsweise noch Mitte der 70er Jahre mehr als eine Million Dollar pro Jahr an Kriegsrenten, die auf den Bürgerkrieg zurückgingen. Versuchen Sie einmal sich die Kriegsschulden dieses Jahrhunderts vorzustellen.

Eine Kalkulation der Kriegsoperationen am Golf setzt den Preis in der Phase der Vorbereitung bis zum 16. Januar auf 11,4 Milliarden Dollar an. Ab dem Einsetzen des Luftkrieges auf 500 Millionen pro Tag und 2 Milliarden pro Tag für die Phase des Bodenkriegs. Ralph Estes veranschlagt die Kosten des Krieges auf etwa 450 Milliarden Dollar. Betätigen wir einmal unsere ökonomische Phantasie und berechnen aufgrund früherer Kriege und Faktoren wie den anfallenden Unterstützungen für Veteranen und Schuldzinsen die Kosten, so steigen die Ausgaben auf mehrere Milliarden (650 Milliarden Dollar); addiert man dazu den Verlust an Menschenleben, das verwüstete Land, die Kosten des Wiederaufbaus, so fällt es schwer, den Krieg effizient zu nennen und ihm eine Vorbildfunktion zuzusprechen. Der Krieg ist eine Hypothek auf die Zukunft und auf die unserer Kinder.

Frauen als Staatsbürgerinnen

Für Frauen bedeutet Krieg, daß sie als Staatsbürgerinnen für die Nation nicht denselben Wert haben, wie eine bestimmte Außenpolitik. Der Krieg verlangt, daß Frauen als Staatsbürgerinnen ignorieren, daß ihr bereits begrenzter Zugang zu den Bereichen Wohnung, Erziehung, Gesundheitsvorsorge, Nahrung und Kleidung noch weiter eingeschränkt wird; daß sie bei einer zerstörerischen Außenpolitik mitmachen, um eine nicht vorhandene Energiepolitik zu unterstützen, weil wir doch ein Recht auf billiges Öl haben; daß sie eine Regierung stützen, die ihre Rechte ausgehöhlt hat, in deren Verfassung sie nicht erwähnt werden und auf deren Straßen sie sich nicht ohne Angst vor Belästigung, Überfällen, Mord bewegen können; daß sie akzeptieren, nur 64 Cents zu verdienen für jeden Dollar, den ein Mann bekommt.

Im Golfkrieg dienten Frauen ihrem Land beim Militär (s. Pam Hughes und Nancy Buermeyer). Durch die Bestimmung, die Frauen von einem Kampfeinsatz ausschloß und die zu einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung führte, war ihnen jedoch der Zugang zu 50% aller Stellen in der Armee versperrt. Die Ironie dabei ist, daß es für die Zahl der rekrutierten Frauen eine Obergrenze gibt, die die Konkurrenz noch verschärft. Als Folge davon müssen Frauen, um angenommen zu werden, besser sein als die entsprechenden männlichen Bewerber. Hatten sie dann den Job, waren sie in der Marine und der Luftwaffe durch ein Gesetz, in der Armee durch eine Vorschrift, von allen Aufgaben ausgeschlossen, die als »Kampfeinsatz« gekennzeichnet waren. Was damit gemeint ist, ist Auslegungssache und führt zu Widersprüchlichkeiten und Heuchelei. So können Frauen zum Beispiel Flugausbilderinnen sein, doch sie dürfen keine Kampfflüge durchführen. Wenn sie es doch täten, so wäre das der Definition nach kein Kampfeinsatz. In der Luftwaffe dürfen Frauen noch nicht einmal lernen, Kampfflugzeuge zu fliegen, aber sie fliegen die Flugzeuge, die sie wiederauftanken. Frauen war zwar nicht erlaubt, auf Schlachtschiffen zu arbeiten, dafür aber auf den Schiffen, die sie wiederauftanken. Hier handelt es sich um langsame Schiffe, die sich ohne Deckung nähern und zurückziehen. Im Kriegsgebiet übernehmen Frauen Rollen in der Versorgung und Unterstützung, in Schlüsselzielen also. Die Vorschriften, die Frauen vom Kampfeinsatz ausschließen, bilden eindeutig keinen Schutz für Frauen; vielmehr, wie die Kongressabgeordnete Pat Schroeder sagte, „schützen sie die Frauen vor Beförderung“. Die Frage nach dem Kampfeinsatz von Frauen war entscheidend für die Niederlage des Gleichberechtigungsparagraphen in den USA, doch wenn Frauen sich in einem Krieg behaupten, gibt es keine Anerkennung. Für sie gelten andere Maßstäbe: sie sind unsichtbar.

Wenn es um Frauen ging, konzentrierten sich die Medien auf die »Mütter im Krieg«, die Babies und Familien, die zurückgelassen wurden, die Frau, die in den Wehen lag, als die Einberufung sie erreichte, die Probleme von Kindern, deren Eltern im Krieg waren, und, wie immer, von der Versorgung der Kinder als Frauensache; der Tenor war, die Opfer sind schuld. Während »Desert Storm« waren 17.500 Familien ohne erziehenden Elternteil bzw. ohne beide Elternteile (1.200 Familien mit Doppelverdienern).

Auch als Veteraninnen waren Frauen eine andere Kategorie von Staatsbürgern. Als sich der Kongress mit den Unterstützungsgeldern befaßte, die für die Veteranen anfallen würden (NYT, 19/2/91), kündigte das Verteidigungsministerium sofort seinen Widerstand dagegen an, alleinerziehende Eltern und Ehepaare mit kleinen Kindern vom Dienst zu befreien, ging aber in keiner Weise auf ihre Ansprüche und Bedürfnisse ein (NYT, 20/2/91).

Was würde passieren, wenn wir als Faktoren für die gesellschaftlichen Kosten auch die Generation von Kindern aufnehmen würden, die von ihren Müttern getrennt wurden, weil sie eine Last waren, die Frauen, die mit ihren Schuldgefühlen fertig werden müssen und die Kinder, die um die Bindung zu ihren Eltern gebracht wurden etc.? Warum sollen Entscheidungen zum Besten der Nation, und nicht zum Besten einzelner Mütter und Kinder getroffen werden, aus denen sich die Gemeinschaft der Staatsbürger zusammensetzt?

Feministinnen haben festgestellt, daß die Frauen die Armen dieser Erde sind: sie haben keinen Staat, keine Position bei der UN, keine internationale moralische Krise, über die in den Medien so ausführlich berichtet würde wie über den Krieg. Dennoch sind die Auswirkungen des Golfkrieges auf das Leben der Frauen dramatisch. Die Neue Weltordnung, die Bush so gerne verkündet, ist in Warhheit eine Kriegsordnung, und ihre Auswirkungen auf die Frauen als Mitglieder der Weltgemeinschaft sind verheerend. 80% aller Flüchtlinge auf der Welt sind Frauen und Kinder, und als Flüchtlingen ergeht es Frauen schlechter als Männern; weltweit leisten Frauen den größten Teil der lebenserhaltenden Arbeit, aber sie haben wenig Besitz, und für solche Menschen am Rande vervielfachen sich die Folgen des Krieges; 78% aller Menschen, die in Armut leben, sind Frauen und Kinder unter 18 Jahren; Armut wird rapide feminisiert (siehe Seager und Olson). Die Kluft zwischen den Geschlechtern bei der Einschätzung der Nützlichkeit des Krieges als ein Mittel der Konfliktlösung spiegelt diese Wirklichkeit wider. Die Verteilung von Nutzen und Lasten, bei der die Frauen weniger an Ressourcen besitzen, während sie ein Mehr an Verpflichtungen auf sich nehmen, wird durch den Krieg noch verschärft. Sie werden aufgefordert, aufopfernde Patriotinnen zu sein, sie dienen ihrem Land in der Armee, als Mütter, als Ehefrauen, Freundinnen durch ihre Gefühlsarbeit (s. Enloe). All diese Rollen verlangen, daß die Frauen Normen akzeptieren, die sie nicht selber gesetzt haben, die gewiß nicht in ihrem langfristigen Interesse sind und die oft ihren unmittelbaren Bedürfnissen zuwiderlaufen. Frauen tragen die Lasten des Krieges und gewinnen aus ihm wenig Nutzen. Der militärische Sieg in einem Krieg bedeutet nahezu mit Sicherheit für viele Frauen größere Armut im Frieden.

Die Folgen der Anwendung von Gewalt zur Lösung von Problemen sind den meisten Frauen vertraut. Aggression erzeugt strukturelle Gewalt in der Gesellschaft und Frauen leiden darunter. Wir hören es schon in der Sprache des Siegers: „denen haben wir es gegeben“, wir haben ihre Truppen „in die Flucht geschlagen“, wir werden „Saddam to Allah“-Autoaufkleber verschicken. Feministinnen mißtrauen der überwältigend männlichen Art und Weise, in der Soldaten ausgebildet werden, und das Töten, das der Krieg mit sich bringt, stößt sie ab. Aber wenn sie nach Lösungen in Form von Reformen suchen, denken sie über Möglichkeiten nach, das Militär weiblicher zu gestalten oder sich für seine Abschaffung einzusetzen (Hanley,1991: 1-3). Ihr wolltet Gleichheit, sagen die Zyniker; jetzt, wo ihr kämpfen dürft, beschwert ihr euch über den Krieg.

Die Kluft zwischen den Geschlechtern schließen

Eine Kluft zwischen den Geschlechtern festzustellen, wenn es um den Krieg geht, bedeutet nicht, eine Grundsatzdebatte zu führen. Das Bewußtsein der Frauen wird von ihren materiellen Existenzbedingungen geformt, und die sind trostlos in der »Kriegsordnung«. Die Frauen wissen, daß man sie belügt; daß wir an den Konsequenzen daraus lange zu tragen haben; daß die Frauen die Last tragen werden. Frauen wissen, daß Krieg unvorstellbaren Schmerz, Verlust und bleibendes Trauma bedeutet; sie wissen, daß keine Beteuerungen von Anführern und Experten aus ihm eine saubere Sache machen können. Sie wissen, daß sie ungeschützt sind gegen Mißhandlung (in den USA wird alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt); daß das Zuhause, angeblich der Hort der Liebe und der Sicherheit, der Ort ist, an dem Frauen mißhandelt und ermordet werden. Allerdings erscheint die Gewalt, indem sie als »häusliche Gewalt« bezeichnet wird, irgendwie gemildert: durch die Bezeichnung »Gewalt in der Ehe« wird die Tatsache, daß Männer Frauen mißhandeln, verdeckt. Frauen erfahren Gewalt nicht von weitem: sie kennen ihre Verletzlichkeit in einer sehr direkten und persönlichen Art, aber sie wissen auch, daß sie auf der öffentlichen Ebene geleugnet wird, wo Gesetze, die Frauen schützen, als Beweis für eine mitmenschliche Gesellschaft angeführt werden können.

Die private Wut der Frauen über den Krieg und seine Berichterstattung erwächst aus unserer Lebenswirklichkeit. Frauen blicken auf eine andere Realität. Es ist nicht die Welt der »chirurgischen Schläge«. Krieg schützt die Frauen nicht. Diese Lüge wird in der bürgerlichen Gesellschaft ständig widerholt. Frauen werden in Friedenszeiten vergewaltigt und auch in Zeiten des Krieges. Krieg richtet Schaden in den Körpern und in der Umwelt an. Sich vorzustellen, wie wir den Unterschied zwischen den Geschlechtern in eine politische Kraft umwandeln können, ist schwierig, solange Frauen in der Weltordnung am Rande stehen; solange ihre Verletzlichkeit als Fürsorgende manipuliert wird; solange eine Verschiebung in den nationalen Prioritäten durch eine nationalistische Rhetorik verdeckt wird. Das Persönliche in das Politische hineinzunehmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern zu schließen, hat nichts damit zu tun, daß Frauen mehr wie Männer werden müßten, sondern es bedeutet, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der das Leben und unser Planet geachtet werden und in der Krieg nicht gerechtfertigt und mystifiziert wird als etwas, das »uns schützt«. Wir müssen verlangen, daß über die Friedensbewegung berichtet wird (s. Lembcke 1991); daß Patriotismus kritisiert wird (s. Conlogue 1991); daß Krieg nicht aufgrund eines Volksentscheids geführt wird; daß das Pentagon die öffentliche Meinung nicht in seinem Interesse manipuliert; daß eine langfristige Energiepolitik entwickelt wird. Dies war kein »gerechter Krieg« (wenn es so etwas überhaupt geben kann). Uns wird es hinterher schlechter gehen als vorher. Unter welchen Bedingungen würden Frauen sich weigern, Kinder großzuziehen, um diese hinterher in den Krieg zu schicken? Wären sie bereit, geliebte Menschen zu opfern oder sich in der Einrichtung ihres Lebens einer Politik anzupassen, die sie entmachtet und sie verarmen läßt.

Wir wissen, daß sich die Fragen von Frauen oft als entscheidend erwiesen haben, als die Folgen »technischer Brillianz« zum Vorschein kamen. Als Frauen müssen wir beharrlich Fragen zum Krieg stellen und uns von Kriegsexperten nicht abspeisen oder einschüchtern lassen. Doch wurde etwa in den Leserbriefspalten der Zeitungen deutlich, daß Frauen sich den Kopf zermarterten, wie sie über Krieg, Frieden, Menschenwürde und Menschenleben reden könnten, ohne kompromittiert, zum Schweigen gebracht, niedergemacht zu werden und ohne illoyal gegenüber denen zu sein, die sie lieben. Eine der wichtigsten Strategien von Feministinnen, wenn es um Fragen politischer Bedeutung geht, ist, Frauen das Privileg der Wissenden zuzusprechen und zu zeigen, daß ihre Beobachtungen, Wahrnehmungen und Überlegungen in ihrer Erfahrung der Machtlosigkeit, der Verletzlichkeit und der Abhängigkeit gründen, aus denen oft eine Klarheit des Blicks entsteht, die diejenigen, die über die Macht und die Ressourcen verfügen und die Entscheidungen fällen, nicht haben. Zu oft wird das Wissen der Frauen mit der Begründung abgetan, es sei intuitiv und persönlich, es mangele ihm an Präzision und es sei gewiß nichts für die Wissenschaft. Ich denke im Fall von Krieg und Frieden können wir sehen, daß Frauen sehr wohl einige Dinge »wissen«, aber da ihr Wissen den Strukturen der »Kriegsordnung« von Natur aus feindlich gegenübersteht, werden ihre Stimmen zum Schweigen gebracht und sie scheuen davor zurück, ihre Analysen als etwas zu präsentieren, das politische Aufmerksamkeit verdient.

Wenn es um Strategien geht, wie kann das Gespräch als wichtiger erkannt werden als die Gewalt? In dieser Hinsicht finde ich die Arbeiten der Ökofeministinnen sehr vielversprechend. Zum Abschluß möchte ich Ihnen gerne einen Ausschnitt aus Asoka Bandarages Artikel „Auf der Suche nach einer neuen Weltordnung“ vorlegen, der in einer der letzten Ausgaben des Women's Studies International Forum (1991, S.348-349) erschienen ist:

„In den Kämpfen für Umweltschutz und Menschenrechte spielen immer mehr Frauen, oft aus unterdrückten Gruppen, eine führende Rolle. So sehen wir Frauen an der Spitze von Initiativen zum Schutz der Wälder, wie etwa derjenigen der Chipko Bewegung in Indien (Shiva 1989). Sie setzen alte Rituale für neue Zwecke ein und übernehmen den alten Brauch, Bäume zu umarmen, um sie so vor Holzhändlern, Maklern und Regierungsbeauftragten für Entwicklungshilfeprojekte zu schützen. Auch in den Vereinigten Staaten haben Frauen, oft einfache Hausfrauen und Arbeiter, wie Karen Silkwood, die Führung übernommen im Kampf gegen die Atomindustrie und Giftmülldeponien an Orten wie Three Mile Island und Love Canal. … Andere Frauen übernehmen die Führung in Bewegungen zum Schutz von Menschenleben vor politischer Gewalt. … Gruppen von Müttern in El Salvador, Chile, im Mittleren Osten, Nordirland … fordern die Rückkehr ihrer verlorenen Kinder. In Argentinien nehmen die Mütter Windeln, um Barrikaden gegen die Polizei zu errichten, so, wie die Frauen in Greenham Common Netze um die Raketenbasis gewoben haben. … Die Schaffung einer neuen Weltordnung ist undenkbar, ohne die weltweiten Ressourcen über die Schranken zwischen den Klassen, Nationen, ethnischen Gruppen und Geschlechtern hinweg zu teilen.“

Auswahlbibliographie

Amnesty International USA 1990. Prepared Statement of Amnesty International USA on Human Rights Violations by Iraqi Security Forces in Kuwait, Before the Congressional Human Rights Caucus, 10. Oktober 1990.
Conlogue, Ray. 1991. Cyuicism that flies in the face of patriotism. in: Globe and Mail, 5. März.
Enloe, Cynthia. 1989. Bananas, beaches and bases: Making Feminist Sense of International Politics. Unwin Hymen. Boston.
Faux, Jeff. 1991. Fight Now: Pay Later. in: New York Times. 19. Febr. 1991.
Galbraith, John Kenneth. 1990. (Class)War in the Gulf. in: New York Times, 7. Nov.
Gioseffi, Daniela (Hrsg). 1988. Women on War: Essential Voices for the Nuclear Age from a Brilliant Assembly. A Touchstone Book. Simon and Schuster, New York.
Gordon, Suzanne und Buresh, Bernice. 1991. Women's Stake in War. in: Boston Globe, Jan.
Greer, Germaine. 1990. Our Allies, the Slave Holders. in: New York Times, 14. Nov.
Hanley, Lynne. 1991. To Kill and to be Killed. in: Women's Review of Books, Vol.8, No.6, 1-3.
Lembcke, Jerry. 1991. Soldiers will feel solidarity with pacifists. in: The Hartford Courant.
Lorch, Donatelle. 1991. 7 Miles of Carnage Mark Road Iraqis Use to Flee. in: New York Times, 3. März.
Mahony, Rhonda. 1991. Voices of Dissent: taking on the Pentagon. in: Ms., Vol. 1, No.5, 86-7.
NOW. 1990 Resolution on equality for women in the Persian Gulf, 16. Sept.
NOW.1990. Resolution on Women in Combat, 16. Sept.
NOW. 1990. Resolution on Troop Build-up in the Persian Gulf. 18. Nov.
NOW. 1990. News Release, 27. Nov, NOW calls for withdrawal of troops from Saudi Arabia. Condems Gender Apartheid.
NOW, n.d. Women in the Military.
Seager, Joni und Olson, Ann. 1986. Women in the World. Touchstone Books, Simon and Schuster, New York.

Diane Bell ist Anthropologin, Feministin, Lehrstuhl für Religion, Wirtschaftliche Entwicklung und Soziale Gerechtigkeit am College of the Holy Cross, Worcester, MA 01610, USA

Mutterrecht und Friedfertigkeit

Mutterrecht und Friedfertigkeit

von Monika Nehr

„Krieg ist der Vater aller Dinge“, schrieb Heraklit (etwa 544-483 v. u. Z.). Dieses geflügelte Wort wird oft fälschlicherweise verwendet, um die Allmacht und Notwendigkeit von Kriegen zu betonen. Doch Heraklit war kein Philosoph des Krieges. Mit diesem Satz wollte er metaphorisch ausdrücken, daß sich alles Geschehen in ständiger Bewegung und im ständigen Kampf entgegengesetzter Prinzipien entwickelt. Aber ist nicht die Wahl seiner Worte bedeutsam? Krieg als Metapher für die Dialektik der Dinge, Vater als Metapher für die Urtriebskraft! Sie ist es – philosophierte er doch im patriarchalischen Sklavenhalterstaat Athen, der durch Raubkriege entstanden war und bis zu seinem Untergang Kriege führte.

Der Umsturz des Mutterrechts aber, der lange vorher stattgefunden hatte, wurde gerade erst literarisch zu bewältigen versucht: Aischylos, ein Zeitgenosse Heraklits, beschreibt in seiner Orestie den Kampf zwischen den entmachteten Göttinnen des Mutterrechts und den vaterrechtlichen Gottheiten. Athene ist die Vorsitzende des Areopags, des Göttergerichts. Sie, die Göttin ohne Mutter, die dem Haupte des Zeus entsprungen war, hat bei Stimmengleichheit die Entscheidung. Sie spricht Orest frei, obwohl er seine Mutter ermordet hat. Muttermord war nach Mutterrecht der schwerste und unsühnbarste Mord. Der Freispruch Orests ist zugleich auch der religiöse Sieg des Vaterrechts.

„Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“, schrieb Engels 1884 in seinem Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, „Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kindererzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau, wie sie namentlich bei den Griechen der heroischen und noch mehr der klassischen Zeit offen hervortritt, ist allmählich beschönigt und verheuchelt und auch stellenweise in mildere Form gekleidet worden; beseitigt ist sie keinewegs.“

Während mit dem patriarchalischen Griechenland die geschriebene Geschichtsschreibung beginnt, gibt es keine schriftlichen Zeugnisse aus der Zeit des Mutterrechts. Es sind zuerst die Forschungen von Morgan und Bachofen, die mutterrechtliche Urgesellschaften überall auf der Welt nachweisen. Morgans Ancient Society erscheint 1871 und Bachofens Mutterrecht 1861. Engels hat beide Arbeiten besonders die von Morgan, zur Grundlage seines „Der Ursprungs der Familie, des Staates und des Privateigentums“ gemacht.

Bachofen suchte nach Spuren des mutterrechtlichen Zustandes in den geschichtlichen und religiösen Überlieferungen, wie mit der erwähnten Deutung der Orestie. Morgan entdeckte die mutterrechtliche Sippe oder GENS bei den irokesischen Indianern Nordamerikas und rekonstruierte aus ihr rückwärts die Geschichte der Familie. An ihrem Anfang war der Geschlechtsverkehr unter den Menschen regellos. Seine stetige Einengung unter Verwandten führte schließlich zum völligen Inzestverbot, das sich in der Struktur der Gens widerspiegelt: ihr gehören nur miteinander verwandte Frauen und Männer und die Kinder der Frauen an. Die Väter der Kinder stammen aus einer anderen Gens. Sie leben in Paarungsehe in der Gens ihrer Frau, in der sie nur eine Gastrolle haben. Es herrscht das Prinzip der Matrilokalität. Wie in allen urgeschichtlichen Familien gilt auch in der Gens das Mutterrecht, also die ausschließliche Anerkennung der Abstammungsfolge nach der Mutter und die daraus entstehenden Erbschaftsbeziehungen. Erben können nur Mitglieder einer Gens voneinander. Da die Kinder zur Gens der Mutter gehören, können sie nur von ihr, nicht vom Vater erben. Dieses Erbrecht war so lange kein Problem wie es nur bescheidene persönliche Gegenstände und keine Reichtümer zu erben gab. Die Alleingültigkeit der weiblichen Abstammungslinie blieb aus diesen Gründen auch in der Gens mit Paarungsehe und gesicherter Vaterschaft erhalten. Die mutterrechtliche Gens kann als die entwickelste mutterrechtliche Gesellschaftsform angesehen werden, denn die ursprüngliche Stellung der Mütter als der einzigen sicheren Eltern ihrer Kinder sicherte ihnen, und damit den Frauen überhaupt, eine höhere gesellschaftliche Stellung, als sie seitdem je wieder besessen haben.

Zum historischen Stellenwert der Gens schreibt Engels: „In dieser nach Mutterrecht organisierten Gens entdeckte er (Morgan) die Urform, woraus sich die spätere, vaterrechtlich organisierte Gens entwickelt hat, die Gens, wie wir sie bei den antiken Kulturvölkern kennen. Gens hat für die Urgeschichte dieselbe Bedeutung wie Darwins Entwicklungstheorie für die Biologie und Marx Mehrwerttheorie für die politische Ökonomie.“ Die Wiederentdeckung der mutterrechtlichen Gens durch die Frauenbewegung steht noch aus. Mutterrechtliche Gesellschaftsformen sind aber nicht nur bei allen amerikanischen Indianern und den Ureinwohnern Indiens nachweisbar. Nach Untersuchungen, die seit Bachofen stattgefunden haben, müssen ähnliche Zustände überall bestanden haben, so auch in Deutschland, wie u. a. bei Engels nachgelesen werden kann.

In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hat die Entdeckung von Höhlen aus der Jüngeren Altsteinzeit überall in Europa neue Belege für mutterrechtliche Kulturen gebracht. Welche (wissenschaftliche) Freude hätten wohl Morgan, Bachofen oder Engels an den sogenannten Venusstatuetten, Höhlenmalereien und Reliefs gehabt, die auf weitverbreitete Fruchtbarkeitskulte und Frauenverehrung schließen lassen.

Wir sind heute in der glücklichen, aber noch kaum genutzten Lage, die uns eine Vielfalt von familiengeschichtlichen, mytologischen und archäologischen Befunden aus mutterrechtlicher Vorzeit zur vergleichenden und systematischen Analyse präsentiert. Das vorliegende Material reicht aber schon aus, um die alte Frage nach der Friedfertigkeit der Frauen aus der Sicht des verlorenen historischen Mutterrechts neu zu stellen. Können wir in produktiver Umkehr von Heraklits Worten sagen, Frieden ist die Mutter aller Dinge.

Über die Herrschaft des Vaterrechts, das Patriarchat, und seine Kriege wissen wir fast alles – über Krieg und Gewalt im Mutterrecht haben wir im Vergleich dazu wenig Zeugnisse. Aber sie reichen aus, um zu belegen: in Zeiten mutterrechtlicher Gemeinschaften wie der Gens hat es keine Ausbeutung und Unterdrückung nach innen und keine Raubkriege nach außen gegeben. Die Irokesen führten zwar Kriege gegen andere Stämme zur Verteidigung von Stammesgrenzen oder um neue Jagdgründe. Ein Krieg konnte auch mit der Vernichtung des anderen Stammes enden nie aber mit seiner Unterjochung. Es ist wichtig zu beachten, daß die Irokesen ihre ursprünglich auf Selbstversorgung beruhenden Sippen oder Gentes aus wirtschaftlichen Gründen bereits zum Stamm zusammengeschlossen hatten, und die Stammesorganisation die Vorrangstellung der Frauen innerhalb der Gens nicht repräsentierte. Frauen hatten keine öffentlichen Ämter, jedoch Mitspracherecht, sie zogen auch nicht in den Krieg, sondern die Männer.

Bornemann hat sicher recht, wenn er in seinem Patriarchat feststellt, daß die mutterrechtliche Ordnung aus einer Zeit stammt, in der es noch keine Kriege gab und darauf verweist, daß die Siedlungen der Jüngeren Steinzeit, die wir aus der Alten Welt kennen, frei von Verteidigungsanlagen sind. Erst nach dem Auftauchen der vaterrechtlichen Griechen finden wir Befestigungsanlagen einer kriegerisch ausgerüsteten Männergesellschaft.

Die Gründe für die verhältnismäßige Friedfertigkeit der mutterrechtlichen Gesellschaften lassen sich wieder an der irokesischen Gens veranschaulichen: Die Teilung der Arbeit ist rein naturwüchsig. Der Mann beschafft die Rohstoffe der Nahrung und die dazu nötigen Werkzeuge. Die Frau besorgt das Haus. Dem Mann gehören die Werkzeuge, der Frau der Hausrat. Die Haushaltung ist trotz Paarungsehe gemeinsam mit vielen Familien, also kommunistisch. Die Matrilokalität begünstigt eine gewisse Vorherrschaft der Mütter innerhalb der Gens, denn sie gehören zu ihr, während die Männer aus verschiedenen Gentes stammen und bei Trennung auch wieder in diese zurückkehren müssen, die Kinder jedoch bei den Müttern bleiben. Herrschaft im Sinne von Ausbeutung und Unterdrückung üben die Frauen nicht aus.

Während bei den Irokesen die gesellschaftlichen Triebkräfte zum Umsturz des Mutterrechts fehlen, haben die Männer der Alten Welt in der Jüngeren Steinzeit durch die Züchtung von Viehherden einen bislang unbekannten Reichtum geschaffen. Über diese neuen Reichtümer konnte der Mann als Besitzer aber dennoch nicht verfügen, weil sie nach seinem Tode in der Gens seiner Mutter aufgeteilt wurden. Das war Grund genug, das Mutterrecht umzustoßen und Vaterrecht in der Gens einzuführen. Das bedeutete zunächst Patrilokalität und die Möglichkeit, den Reichtum an die eigenen Kinder zu vererben. Die weibliche Abstammungslinie war zugunsten der väterlichen abgesetzt.

Engels nennt diesen Umsturz des Mutterrechts eine der einschneidensten Revolutionen der Menschheit. – Von der vaterrechtlichen Gens zum patriarchalischen Staat war es dann nur noch ein verhältnismäßig kurzer Weg. Das Patriarchat ist aber nicht nur vaterrechtliche Abstammungslinie und entsprechendes Erbrecht. Wer das Patriarchat verstehen will, darf nie seinen Ursprung in der Entrechtung der Frauen, der Ausbeutung und Unterdrückung einst freier Gentilgenossen nach innen und den Raubkriegen mit der Versklavung anderer Völker nach außen vergessen.

Die Frage der Friedfertigkeit der Frau wurde in unserem Jahrhundert von Frauen aus der Friedensbewegung neu thematisiert. Im Jahre 1917, während des Ersten Weltkrieges, schrieb Lida Gustava Heymann, radikale Frauenrechtlerin und Pazifistin, in ihrem Essay Weiblicher Pazifismus, daß weibliches Wesen und weiblicher Instinkt identisch seien mit Pazifismus und der Mann die größte Schuld trage, daß des Weibes Wesen und Art nicht zur Auswirkung kam. In diesen Überlegungen dominiert eine biologische Wesensbestimmung der Frau, die auch in Teilen der heutigen autonomen Frauenfriedensbewegung aktuell ist. Eher traditionell sozialistisch motivierte Friedensfrauen argumentieren dagegen mit Blick auf reaktionäre Frauenpersönächkeiten in der großen Politik, daß Frauen auch nicht friedfertiger seien.

Beide Positionen verkennen oder ignorieren unsere mutterrechtliche Vergangenheit und die Gründe für den (vorläufigen) Sieg des Patriarchats. Die biologisch angelegte Gebärfähigkeit hat zwar die mutterrechtliche Abstammungslinie begründet und die naturwüchsige Arbeitsteilung von Mann und Frau begünstigt. Die verhältnismäßige Friedfertigkeit in mutterrechtlicher Zeit ist jedoch nicht die biologische, sondern die soziale Widerspiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Gerade weil Friedfertigkeit sozial und nicht biologisch determiniert ist, kann sie gesellschaftlich durch Erziehung manipuliert werden.

Ebenso wenig kann die mangelnde Friedfertigkeit des Patriarchats aus der Biologie der Männer erklärt werden. Der Umsturz des Mutterrechts durch die Männer war auch kein Zufall, sondern die zwangsläufige Folge der neuen Produktionsmöglichkeiten. Die Männer wurden die Besitzer der neuen Produktionsmittel, die den Rahmen der mutterrechtlichen Gentilordnung sprengen mußten, denn die Frauen ihrerseits konnten nichts gleichwertiges entgegensetzen. All das mindert aber nicht die historische Schuld der Männer, die die Frauen nach dem Umsturz des Mutterrechts bis zur völligen Rechtlosigkeit im Patriarchat versklavt haben.

Im Mutterrecht hingegen ist die Friedfertigkeit historisch verankert. Das sollte für Frauen (und Männer) Grund genug sein, sich ihrer mutterrechtlichen Vergangenheit bewußt zu werden.

Den Freundinnen Eva Förster und Claudia Hoffmann danke ich für ihre unermüdbare Diskussionsfreude in unserer Arbeitsgruppe.

Dr. Monika Nehr arbeitet in Berlin

Frauen und Frieden. Zu einigen bildlichen Konzeptionen der frühen Neuzeit

Frauen und Frieden. Zu einigen bildlichen Konzeptionen der frühen Neuzeit

von Jutta Held

Seit dem frühen 16. Jahrhundert setzt in der Bildpublizistik eine massive frauenfeindliche Kampagne ein, die vermutlich vom Patriziat der Städte in Verbindung mit den kirchlichen Instanzen getragen wird und das Ziel hat, die Frauen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen und in der Familie dem Mann unterzuordnen. Trotz der nahezu ausschließlich negativen, warnenden Charakterisierung der Frauen, die verbreitet wird, gelang es nicht, das Frauenbild diesen misogynen Deutungsmustern der Kirche vollständig zu unterwerfen. Selbst diese theologisch legitimierten Ideologien hinsichtlich der Frau mußten immer wieder den volkstümlichen Alltagserfahrungen, in denen die Frau selbstverständlich auch eine positive Rolle spielte, Raum gewähren.

Es soll hier nur ein Bild aus dem späten Mittelalter angeführt werden, das eher diese volkstümlichen Erfahrungen spiegelt. Maria als Fürbitterin, die sogenannte Schutzmantelmadonna, gewährt Frauen und Männern, darunter auch Würdenträgern, unter ihrem Mantel Asyl, während Gottvater vom Himmel Pestpfeile auf die Menschen abschießt. Der männliche Gott ist ein ferner, unbarmherziger und kriegerischer Despot, während die Göttin (diesen Rang und Wert hatte Maria wohl zumindest im Leben des Volkes) auf der Erde steht wie die Menschen und ihnen ganz nahe ist. Sie konnte daher um Schutz vor der männlichen Gewalt angegangen werden.

In der Arbeitsteilung der Geschlechter war der Frau auf der Grundlage ihrer Sexualität die Rolle zugewachsen, Krieg und Krankheit abzuwehren oder deren Folgen zu mildern. Auf unserem Bild wird diese schützende Funktion der Frau deutlich in Opposition gesehen zu der männlichen Herrschaft, die Unheil verbreitet. Der theologischen Deutung der Herrschaft, die diese im Bilde Gottvaters als Summum bonum legitimiert, wird hier eindringlich, nahezu blasphemisch widersprochen.

Es mischen sich in diesem Bild vermutlich alte Erfahrungen, die Rolle der Frau betreffend, mit neuen gesellschaftlichen Erfordernissen und Wünschen nach Frieden und Sicherheit, die auf die Frau projiziert werden.

In dem Maße, wie die Märkte und Städte sich entwickelten, die Höfe zum Schutz des Handels sich das Gewaltmonopol aneigneten, wurden neue soziale Verkehrsformen erforderlich. Vor allem an den italienischen Höfen wurden erste Modelle eines friedlichen sozialen Umgangs entwickelt. Gleichzeitig und in Zusammenhang mit diesen neuen Verkehrsformen auf individueller Ebene werden Alternativen zu den gewaltsamen, kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Herrschergeschlechtern erprobt. Isabella d'Este, die in Mantua mit ihrem Gemahl Alfonso Gonzaga regierte, eine Frau also, wird für ihre diplomatischen Künste gerühmt, die der Kriegskunst ihres Mannes gleichwertig seien.

Eine Friedenskultur wird ausgebildet, die sowohl den zwischenmenschlichen Umgang der Individuen untereinander bestimmen soll als auch – ansatzweise – auf die politischen Auseinandersetzungen ausgedehnt wird. Diese weltliche Friedenskultur emanzipiert sich zugleich von der kirchlichen Ideologie, die bislang die nahezu einzige sinngebende Instanz, auch für weltliche Belange, gewesen war. So wird dies utopische Reich des Friedens nicht länger der Maria unterstellt, sondern der Venus.

Der Parnaß von Mantegna, im Auftrage der Isabella d'Este gemalt, ist ein Beispiel. Venus ist im Begriff, Mars, den Kriegsgott, auf ihr Bett zu ziehen, d. h. zu entwaffnen. Die Musen Apoll, Merkur und Pegasus wohnen voll Freude der Verbindung zwischen Mars und Venus bei. Eine Tochter, Harmonia, wird aus der Vermählung hervorgehen. Der einzige, der an diesem Reich des Friedens keinen Gefallen findet, ist Hephaistos, der Ehemann der Venus und Schmied, der den Göttern ihre Waffen herstellte – modern gesprochen der Repräsentant der Rüstungsindustrie. Er wendet sich in aufgebrachter Geste gegen die Verbindung von Mars und Venus, bei der er betrogen wird. Die Frau bietet hier nicht nur elementaren Schutz wie auf dem Bild der Maria. Ihr wird gleichzeitig die Herrschaft in einem autonomen Reich das Friedens zuerkannt, das durch eigene Gesetze bestimmt wird: die Liebe herrscht hier, und nur unter ihrem Regiment können sich neue menschliche Fähigkeiten entfalten, Dichtung, Gesang, Tanz und Warenproduktion und -verkehr. In der französischen Salonkultur wird die Friedenserziehung durch die Frau, die von den italienischen Höfen ihren Ausgang nahm, fortgesetzt. Die Frau übernahm auch hier die Führung bei der Kultivierung des sozialen Umgangs der Individuen untereinander. Die galante Liebe, die in diesen Salons zu Beginn des 17. Jahrhunderts konzipiert wird, ist das Modell dieser neuen Kommunikationsform. Die Minnesklaverei, einst verpönt und diffamiert, wird nun zum Ideal des honnete homme. Den kriegerischen Männern, deren Erziehung nach Castigliones Vorstellung vom Hofmann noch der Notwendigkeit der Selbstverteidigung entsprach, wird hier von den Frauen die Friedensfähigkeit beigebracht. Statt Kampfstrategien zu lernen, wird in den Salons gegenseitige Rücksichtnahme eingebt, die Relativierung des eigenen, individuellen Standpunktes, um dem des Partners die gleiche Geltung zu gewähren. Eine neue, psychologisch wirksame Macht der Frau über den Mann wird nunmehr gesellschaftlich akzeptiert. Damit wird den Frauen, zunächst nur denen des Adels und der oberen Schichten der Bourgeoisie, ein neuer Aktionsrahmen eingeräumt, den sie zu nutzen wußten, um auch ihre geistige Emanzipation voranzutreiben.

Diese Salonkultur blieb in Opposition zum königlichen Hof. Noch die arkadische Welt, die Watteau in seinen Bildern galanter und natürlicher Liebe entwarf, wo der Frau gehuldigt wird, negieren Versailles, das bereits vor dem Tode Ludwigs XIV. als dominierendes, kriegführendes und unterdrückendes Machtzentrum heftig kritisiert wurde. Watteaus Liebesfeste finden im Freien statt, in einer von Menschenhand scheinbar unberührten Landschaft, fern von den gestutzten Gärten des Hofes. Die Unnatur der Versailler Landschaftsgestaltung wurde zum Symbol für bedrückende Herrschaft, deren Legitimität immer weniger einsichtig zu machen war. Im späten 18. Jahrhundert wurden, vor allem im Bürgertum, die Arbeitsteilungen zwischen den Geschlechtern in dem Maße ideologisch abgesichert, wie die Frau beanspruchen konnte, als gleichwertige Person neben dem Manne anerkannt zu werden. Diese Gleichwertigkeit von Mann und Frau war von den Aufklärern propagiert worden. Z. B. wird in Diderots Enzyklopädie argumentiert, daß die Frau dem Mann moralisch und intellektuell gleichwertig sei und daher die gleichen natürlichen Rechte beanspruchen könne.

Gleichzeitig begann jedoch das Bürgertum des späten 18. Jahrhunderts, die unterschiedlichen Rollenzuweisungen an Mann und Frau zu zementieren und zu verteidigen. David hat in seinem Bild von 1784 „Der Schwur der Horatier“ diese strikt getrennten Kompetenzzuweisungen scharf erkannt und antithetisch dargestellt. Die folgende Szene hat der Maler gewählt: Die drei Söhne des Horatius schwören ihrem Vater, das Vaterland, Rom, zu verteidigen. Es ging um die Vorherrschaft von Rom oder Alba Longa. Um weiteres Blutvergießen im Kampf beider Städte gegeneinander zu vermeiden, sollen je drei Vertreter aus den beiden Städten gegeneinander kämpfen. Die drei Horatier werden ausgewählt, um gegen die Curatier aus Alba Longa zu kämpfen. Dies stellt einen tragischen Konflikt dar, weil Sabina, die Schwester der Curatier, mit einem der Horatier verheiratet ist, und Camilla, die Schwester der Horatier, mit einem der Curatier verlobt ist.

Interessant ist nun, wie David diesen Konflikt dargestellt hat. Die Trennungen, die er schafft, sind sehr viel strikter und ausschließlicher als je zuvor. Zwar war auch schon Mantegnas Bild antithetisch angelegt: Nicht zufällig ist jedoch, daß dieser Widerspruch zwischen männlichem kriegerischen und weiblichem friedvollen Reich keineswegs so systematisch rigoros und reduktionistisch durchgeführt ist wie bei David. Im Reich der Venus, das nicht nur persönliche Liebesbeziehungen, sondern Kultur im weiteren Sinne umfaßt, darunter Tanz, Musik, Dichtung und Handel, sind durchaus auch Männer tätig. Das Friedensreich der Venus ist noch kein weibliches Ghetto.

David hat in seinem Bild nicht einmal zwei unterschiedliche Organisationsformen, also den Staat links und die Familie rechts konfrontiert. Die trauernden Frauen hüten nicht etwa, wie es das 18. Jahrhundert mit zahllosen Bildern ihnen vorexerzierte, liebevoll die Kinder, sondern überlassen den kleinen Jungen einer Amme. Außerdem zeigt David wie dieser ihrer Obhut bereits entgleitet: Mit seinem glühenden Blick ist er schon bei den Männern und ihrem Vaterlandsschwur. Die „Stimme der Natur“ setzt sich bereits gegen den Einfluß der Frauen durch. Die Frauen werden also nicht primär bei einer anderen Aufgabe gezeigt, die der der Männer widerspricht. Von dieser ihrer anders orientierten Funktion wird weitgehend abstrahiert. Unabhängig von ihr, also als Naturnotwendigkeit, vertreten sie ein anderes emotionales und moralisches Wertesystem. Kein Block, keine Geste verbindet die Frauen und die Kriegergruppe. Die Frauen erscheinen selbstzentriert, ohne Bezugspunkt außerhalb ihrer selbst. Hier sind sicher die Anfänge biologistischer Argumentationen greifbar, mit denen sich die Männer im 19. Jahrhundert, zunehmend aggressiver, gegen die Frauenemanzipation zur Wehr setzten: Weibliche Weichheit, weibliches Gefühl werden männlicher Härte und Vernunft konfrontiert, ihre gegensätzlich aufgefaßten Naturen werden zu unüberbrückbaren Schranken zwischen den Geschlechtern hochstilisiert. Bei Davids antithetischer Darstellungsweise überwiegt sicher noch der Gedanke an zwei mögliche Alternativen (also an Wahlfreiheit), an die alte Antithese von Krieg und Frieden. Durch den schärferen Geschlechterantagonismus und die rigide Reduktion der Szene auf diesen einen Gegensatz stellt David zugleich unerbittlich klar, daß es sich um ein Entweder – Oder handelt. Durch seine antithetische Komposition hat David die friedensorientierte Haltung der Frauen in dialektischen Bezug zu den entgegengesetzten Interessen der kriegführenden Männer gesetzt. Beide Welten widerlegen oder relativieren sich gegenseitig. Damit hat David die Frauen zwar nicht als „Akteure“ der Geschichte gesehen und akzeptiert. Sie bleiben vielmehr leidend und passiv. Dennoch erscheinen sie objektiv als ein Gegenargument gegen den Kampfesmut der Männer. David nimmt es ernst genug, um es auf seiner politischen Bühne zu repräsentieren, auf der er keine Nebenszene und keine Nebengedanken duldet.

In der Französischen Revolution wurden durch die Beteiligung der Frauen am revolutionären Prozeß die alten Festlegungen zwischen den Geschlechtern real in Frage gestellt. Die Frauen politisierten ihre alte Rolle als Schützerin des Lebens. Mit seinem Bild der Sabinerinnen hat David das handelnde Eingreifen der Frauen in die Politik reflektiert, und er geht in diesem Punkt über seinen „Schwur der Horatier“ hinaus. Dargestellt ist nicht, wie in der Bildtradition üblich, der „Raub der Sabinerinnen“. Dies Thema galt gemeinhin als Sinnbild für Hochzeiten und war daher für eine Politisierung in Davids Sinne ungeeignet. Der Künstler hat statt dessen die Fortsetzung der Geschichte drei Jahre später als Sujet gewählt. Die Sabiner unternehmen einen Rachefeldzug gegen Rom. Die Sabinerinnen, längst glücklich mit ihren Römern verheiratet und Mütter geworden, treten zwischen die kriegfahrenden Gruppen der Römer und Sabiner. In der Mitte ist Hersilia dargestellt, die Frau des Romulus, die diesen von dem Sabiner Tatius trennt. David geht wieder von den bekannten Rollenfixierungen aus: Der Mann ist auf Kriegsführung aus, die Frau für den Frieden zuständig. Diesmal ist es jedoch kein statischer Antagonismus wie bei den Horatiern, wo sich die Frauen leidend mit ihrer Rolle abfanden, sondern sie greifen handelnd ein. Sie werden auch nicht, wie bei den Horatiern, den kriegführenden Männern konfrontiert, denen gegenüber sie von vornherein unterlegen sind, sondern sie stehen – moralisch überlegen – zwischen den kriegführenden Parteien und vertreten das gemeinsame gesellschaftliche Interesse. David selbst wollte Hersilia als die mere patrie (die Mutter Vaterland – eine paradoxe Formulierung!) gedeutet wissen, die sich zwischen die einander bekämpfenden Parteien stürzt, die einander auszulöschen drohen. Diese Deutung – auch mit ihrer Hoffnung auf die Frauen – ist biografisch verständlich, bedenkt man, daß David sein Bild nach der Niederlage der Jakobiner gemalt hat, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, in das er als aktiver Anhänger der Jakobiner geworfen wurde.

Auf diese Rolle der Friedensstiftung, die uns historisch zugewachsen ist und die zur Zeit der französischen Revolution zum erstenmal politisch zugespitzt gesehen worden ist, besinnen wir Frauen uns heute mit besonderen Gründen. Wie wir wissen, hat das Bild der Horatier die reale Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zutreffender antizipiert. Die Sabinerinnen sind bis heute eine Utopie, deren Realisierung noch aussteht.

Prof. Dr. Jutta Held lehrt Kunstgeschichte an der Universität Osnabrück.

Versachlichte »Staats-Männlichkeit«

Versachlichte »Staats-Männlichkeit«

Überlegungen zum Geschlechterverhältnis in der Politik

von Birgit Sauer

Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Frieden wird in der Friedensforschung vielfach proklamiert. Dies geht soweit, dass manche Forscher meinen, dass eine der wenigen gesicherten Erkenntnisse der Friedensforschung überhaupt in diesem Zusammenhang zu sehen ist: Demokratien führen keinen Krieg gegeneinander. Ob diese Aussage sinnvoll ist, mag dahin gestellt sein, aber zumindest kann man an ihr anknüpfend das Ziel formulieren, demokratischere Staatswesen als Grundlage für eine Pazifizierung entwickeln zu wollen. Im Blickwinkel unseres Schwerpunktheftes liegt damit die Frage auf der Hand, wie der patriarchale Staat zu demokratisieren ist.

„Ich sehe in dieser inneren Kraft, die sich mehr an das Amt als an den Beamten, mehr an den Mann als an die äußeren Zeichen seiner Macht knüpft, etwas Männliches, das ich bewundere“, so beschreibt der scharfsinnige Analytiker Alexis de Tocqueville (1997: 121) im Jahr 1835 die amerikanische Demokratie. Der Prozess der Modernisierung, Rationalisierung und Demokratisierung des Staates war offenbar ein Prozess der Vermännlichung. Die „subjektlose Gewalt“, wie Heide Gerstenberger (1990) den modernen, „entpersonalisierten“ Staat nennt, hat doch ein Geschlecht: Er ist männlich.

In der wissenschaftlichen Behandlung war der Staat immer ein (geschlechter-) schillerndes Gebilde. Unbestritten stehen am Beginn der politischen Moderne im 17. und 18. Jahrhundert die Institutionen des (National-)Staates und diese gründen auf Frauenausschluss und auf die Herrschaftsform »Männlichkeit« als grundlegende Strukturmuster. Den Staatstheoretikern des 19. Jahrhunderts Bluntschli und Riehl war dies noch Normalität. Insbesondere konservative Staatstheoretiker der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts luden den Staat geschlechtlich auf, um seine demokratische und sozialstaatliche Transformation anzuprangern – sie fürchteten seine »Feminisierung«: Arnold Gehlen (1969: 184) witterte die Gefahr, dass mit der Expansion sozialstaatlicher Regelungen der starke Leviathan zu einer »Milchkuh« mutiere. »Vater Staat« sei, so kann man paraphrasieren, unversehens dabei, durch »Mutter Staat« pervertiert zu werden. Der soziologische Analytiker moderner Staatlichkeit, Max Weber, verließ sich denn auch vergleichsweise unverblümt auf diese maskulinistische Institutionalisierungsform moderner Staatlichkeit und forderte mit all seiner Polemik auf, wer die Entzauberung der Welt „nicht männlich ertragen“ könne, der solle in die Arme der Kirche zurückkehren (Weber 1973: 612).

Nach wie vor ist offensichtlich: Zwar sind die vergangenen drei Dekaden durch eine partizipatorische Mobilisierung von Frauen in westlichen Industriegesellschaften gekennzeichnet und Politik wurde für Frauen ein Beruf wie jeder andere »Karriereberuf«, doch haben die Zentren staatlich-politischer Macht nach wie vor überproportional hohe »Männerquoten«. Die »gläserne Decke«, die den beruflichen Erfolg von Frauen bremst, scheint in der Politik eher aus Beton gefertigt. Frauen sind im politischen Prozess noch immer institutionell marginalisiert und gerade die moderne staatliche Dementierung von Geschlechterdifferenz produziert Ungleichheit qua Geschlecht.

Die politische Geschlechtssegregation hängt ohne Zweifel mit den staatlichen Strukturen und Institutionen zusammen – Staat und Geschlecht stehen in einem »schwierigen Verhältnis«: Der moderne Staat war historisch ein aktiver Verhinderer von Geschlechtergleichstellung – und dies tradierte sich bis ins 21. Jahrhundert. Die verspäteten und zögerlichen Gesetzgebungen zur arbeitsrechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau, ein zahnloses Gleichstellungsgesetz, die Persistenz von Geschlechterdiskriminierungen in der Sozialgesetzgebung und ein frauenfeindliches Abtreibungsrecht sind Indizien dafür, dass im deutschen Staat Männlichkeit nach wie vor in hartnäckiger Weise eingelassen ist. Korporatistische Politik-Strukturen, die Verhandlungspolitik der Sozialpartnerschaft, erweisen sich als besonders maskulinistisch.

Dennoch wäre es vereinfachend, das Verhältnis zwischen Frauen und Staat als bloßen Ausschluss zu charakterisieren, denn historisch sind »Feminisierungswellen« staatlicher Politiken und Institutionen, wenn auch unter maskulinistischem Vorbehalt, durchaus feststellbar. Nicht zuletzt der patriarchale Wohlfahrtsstaat ist ein Beispiel für die paradoxe Integration von Frauen in den modernen Staat: Er war und ist trotz aller Diskriminierungen eine der Bedingungen für die gesellschaftliche und politische Subjektwerdung von Frauen. Er schwächte die männliche Dominanz in Ehe und Familie und ermöglichte Frauen partielle ökonomische Unabhängigkeit. Die Gleichstellungspolitik modifizierte den androzentrischen Code staatlicher Institutionen und Bürokratien zumindest partiell und Frauen erhielten leichteren Zugang zum öffentlichen Raum.

Frauen sind also zwar nach wie vor politisch unterrepräsentiert, sie haben aber inzwischen eine »kritische Masse« in der Politik erreicht und sind eigentlich auch für die Wissenschaft »unübersehbar«. Nach wie vor aber existieren weit gehend unhinterfragte Erklärungsroutinen, die weibliche politische Unterrepräsentation allein außerhalb des Politischen – beispielsweise in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung – verorten und damit den Geschlechterdualismus in Staat und Politik ignorieren und perpetuieren. Feststellbar ist also ein »scientific lag« in der wissenschaftlichen Bereitstellung von Kategorien und Konzepten zur Aufarbeitung der Struktur, Funktion, aber auch der Veränderung von Staatlichkeit und Geschlechterverhältnissen.

Meine folgenden Überlegungen zum Geschlechterverhältnis in der Politik und zum Staat als Geschlechterverhältnis enthalten eine Prämisse, nämlich die des Zusammenhangs von Demokratie und Staat. Demokratietheorie sollte deshalb, so mein Ausgangspunkt, eine Staatstheorie als Fundament in die wissenschaftliche Erwägung ziehen – und umgekehrt. Normativ geht es mir im Folgenden um die politische Anerkennung und Repräsentation von Geschlechterdifferenz im Staat, d.h. um die gleichberechtigte Integration von Männern und Frauen, um die Anerkennung von männlichen und weiblichen Identitäten, Symbolen und Diskursen. Analytisch braucht dieses Unterfangen den Entwurf einer kritischen Theorie der staatlichen Produktion von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit.

Sehnsucht nach »Väterchen Staat«? Zur Aktualität einer staatstheoretischen Sicht auf Geschlechterverhältnisse

Der Bedarf an einer feministischen Staatstheorie wird am Ende von „grand narratives“ vielfach abschlägig beschieden. Die Ansatzhöhe sei deutlich zu hoch: »Staat« sei eine zu abstrakte, zu hochaggregierte und zu hermetische Kategorie, als dass sie die vielfältigen, heterogenen Aspekte des Frauenalltags erfassen könnte. Auch wenn diese Sicht durchaus plausibel erscheint, wäre m.E. die Nichtbefassung mit dem Staat eine wissenschaftliche und politische Nachlässigkeit, denn nach wie vor durchdringt er den Alltag von Frauen und Männern. Und mit dispersen Konzepten von Staatshandeln geht die herrschaftliche Dimension des Staates, gehen die spezifischen Einschreibungen von ungleichen Geschlechterregimen verloren.

Meine Argumentation für ein feministisches Staatskonzept nimmt darüber hinaus ihren Ausgang in einer Skizze des Problemfeldes, aus dem heraus sich die Notwendigkeit einer geschlechtssensiblen Präzisierungsarbeit am Staatsbegriff ergibt, namentlich aus den politischen Entwicklungen, den ökonomischen und sozialen Transformationen seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Seither ist der Staat „ins Gerede gekommen“. Neoliberale Debatten unter dem Signum der »Globalisierung« fordern einen »Formwandel« der staatlichen Architektur. Der Staat scheint flüssig, vor allem aber überflüssig zu werden. Die als »Verschlankung« des Staates bezeichnete Praxis staatlicher Deregulierung ist freilich missverständlich: Es geht nicht um einen einfachen Rückbau staatlicher Leistungen, sondern um eine „politische Revolution“ (Brodie 1994: 50), nämlich um die Neustrukturierung des Verhältnisses zwischen Ökonomie, Gesellschaft bzw. Privatheit und Staat. Der Staat solle sich aus gesellschaftlichen Prozessen, vor allem aus dem Marktgeschehen, zurückziehen, da staatliche Regulierung nicht nur den Wettbewerb verzerre, sondern auch gesellschaftlichen Wohlstand nur noch unzureichend garantieren könne. Doch zwischen der Skylla des bürokratischen und disziplinierenden Staates und der Charybdis des ausbeutenden, dezivilisierenden kapitalistischen Marktes werden nun nicht nur in feministischen Kritiken des Neoliberalismus die vermeintlich sicheren Ufer von »Väterchen Staat« als »Ausweg« gesucht. Während der patriarchale Staat lange Zeit als Referenzpunkt für emanzipatorische Politik abgelehnt wurde und vielmehr auf die Zivilgesellschaft, auf »Autonomie ohne Institutionen und Staat« gesetzt wurde.

Der Neuentwurf von Staatlichkeit am Beginn des neuen Jahrtausends, dem also prinzipiell die Chance von Entbürokratisierung und von geschlechtergerechter gesellschaftlicher Selbstorganisation innewohnen könnte, besitzt aber m.E. einen misogynen Subtext, wie er beispielsweise in der symbolisch-diskursiven Abwertung des »feminisierten« Wohlfahrtsstaates zum Ausdruck kommt. Auch die Wiederbelebung des Konzepts »Zivil- bzw. Bürgergesellschaft« ist die diskursive Begleitmusik zur Grenzneuziehung zwischen Staat und Gesellschaft und zur intensiveren Ausschöpfung der »Ressource Bürgerin«.

Diese widersprüchlichen Debatten und Entwicklungen setzen die Arbeit an einem kritischen Staatskonzept auf die wissenschaftliche Agenda. Meinen Ausführungen vorausschicken möchte ich, dass es keine großformatige Geschlechtertheorie des Staates und der Demokratie geben kann, die darüber hinaus noch überall auf der Welt Gültigkeit hätte. Mir geht es im Folgenden vielmehr darum, Hinweise auf eine kritische Entschlüsselung von Staat, Demokratie und Geschlecht zu geben, die dann in historischer und kultureller Perspektive zu differenzieren wären.

Die Entstehung des Staates aus den Geschlechterverhältnissen

Was ist nun der Staat? Wenn Politik einen Raum der Debatte bezeichnet, so ist Staat jener Raum der Entscheidung und der Durchsetzung von Entscheidung zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Ordnung. Der Staat umfasst jene Organisationen, Verfahren und Diskurse, die gesellschaftliche Ordnung verbindlich regeln, institutionalisieren und legitimieren, also hegemonial werden lassen. Der Staat ist mehr als die Summe von Regierungsinstitutionen, von staatlichen Akteuren und von Regeln. Ein solches »starkes« Staatskonzept muss in erster Linie soziale Verhältnisse – eben auch Geschlechterverhältnisse – als Konstitutionsbedingungen von Staatlichkeit zu erschließen in der Lage sein. Dazu wiederum bedarf es einer entscheidenden Differenzierung – jener zwischen dem Staat als Apparat, Institutionengefüge und Akteurskonstellation und der Staatlichkeit als Staatsmacht, als Herrschaftsgefüge und machtvollem Diskurs. Beide Aspekte zusammen lassen »den« Staat entstehen, und beide gemeinsam machen die Geschlechtlichkeit »des« Staates aus.

Zwischen Staat und männlicher Herrschaft gibt es nun Homologien, nicht aber einen einzigen Mechanismus, der den maskulinistischen Charakter des Staates ausmacht, wie der Privatbesitz im kapitalistischen Staat. Staat und männliche Herrschaft sind weder einheitlich noch sind sie in einem eindeutigen Verstärkereffekt aufeinander bezogen. Moderne Staaten haben zwar historisch die Gleichsetzung von staatlicher Autorität und hegemonialer Männlichkeit institutionalisiert und Staatsstrukturen sind auch heute ganz offensichtlich »bemannt«, doch die Männlichkeit des Staates beruht nicht allein auf »positionaler« Männlichkeit, d.h. auf der Quantität von Männern. Vielmehr ist eine strukturelle »Staats-Männlichkeit«, in der Weberschen Begrifflichkeit habe ich dies „versachlichte Männlichkeit“ genannt, in politische Normen, Praktiken und Institutionen eingelassen. Ein kritisches Staatskonzept sollte nun die Reproduktionsmechanismen eben dieser versachlichten Männlichkeit erklären können. Anders gesagt: Es sollte die staatliche Hegemonialisierung von Männlichkeit und die Abwertung von Weiblichkeit sichtbar machen.

Ich möchte im Folgenden acht Essentials eines Staat-Konzepts skizzieren, das die unterschiedlichen Dimensionen von Staatlichkeit und damit verwoben von »Staats-Männlichkeit« bzw. maskulinistischer Zweigeschlechtlichkeit sichtbar machen soll.

Der Staat ist erstens ein institutionell-korporatives „Gehäuse der Hörigkeit“ (Weber 1980: 515), er ist ein Apparat und mit apparateigenen Herrschaftsmechanismen ausgestattet – nämlich der Bürokratie. In bürokratischen Institutionen ist historisch eine geschlechtsspezifische bürokratische Identität eingraviert, die hegemoniale Männlichkeit als Machtmuster reproduziert.

Mit Mary Douglas (1991: 121, 31) kann man von einem maskulinistischen Denkstil sprechen, der in die Verfahrensweisen, in Symbole und Traditionen, in den innerinstitutionellen Habitus staatlicher Verwaltung eingelagert ist. Er entspricht der Erfahrungswelt von hegemonialen Männern, deren Normen und Werte jahrzehntelang die institutionelle Praxis prägten. Dieser männliche Denkstil trägt dazu bei, das »Denkkollektiv« und damit die persönlichen Netzwerke von Männern in ihren überkommenen Formen der Homosozialität und Homosexualität zu erhalten und Wandel nicht denkbar zu machen. Das vermeintlich entemotionalisierte Regelsystem ist Teil der Grammatik der Männlichkeit staatlicher Bürokratie.

Der Staat ist zweitens nicht nur Staatsapparat, sondern auch Staatsmacht. Er ist eine soziale Herrschaftsstruktur, in die auch die Staatsbeamten und -beamtinnen eingebettet sind. Dieser Aspekt ist mit dem politischen Institutionenkonzept zu erschließen. Der Staat ist eine politische Institution, nämlich ein „Regelsystem der Herstellung und Durchführung verbindlicher gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen“ und er ist „Instanz der symbolischen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft“ (Göhler 1994: 26). Diese Orientierungsleistung macht die Macht des Staates aus. Im Prozess der Herstellung sozialer Orientierung, im „symbolischen Kampf“ – und hier spielen Parteien und Medien eine große Rolle –, entsteht nicht nur staatliche Macht, sondern auch das Symbolsystem Männlichkeit bzw. Zweigeschlechtlichkeit. Entscheidung und Orientierung greifen auf historisch tradierte Männlichkeitsmuster zurück und sie stellen aufgrund positionaler Männlichkeit immer wieder die männliche Struktur her bzw. repräsentieren sie. Staatliche Repräsentationsverhältnisse sind somit hegemoniale Geschlechterverhältnisse: Männlichkeit ist eine historisch tradierte »Leitidee«, mithin das »Fundament« der Institution Staat. Der politische Willensbildungsprozess basiert auf diesen Hegemonialverhältnissen: Männliche Identitäten und Interessen werden repräsentiert, weibliche hingegen vornehmlich symbolisiert. Sie sind dadurch politischer Durchsetzungskraft entzogen.

Der Staat ist drittens die Verdichtung und Institutionalisierung eines sozialen Verhältnisses (vgl. Poulantzas 1978: 119) – in unserem Fall eines geschlechtsspezifischen Ungleichheitsverhältnisses. So, wie die Kapitalakkumulation der politischen »Regulation«, beispielsweise durch den Wohlfahrtsstaat, bedurfte um reibungslos zu funktionieren, musste auch die Akkumulation männlicher Macht unter der Kondition politischer Gleichheit reguliert werden – in Normen und Institutionen, die die Geschlechterungleichheit nicht thematisieren. Die soziale Grundlage von demokratischer Staatlichkeit bildet ein relativ stabiler sozialer Geschlechter»kompromiss«, d.h. ein hegemoniales Konstrukt von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit. Die Teilung der Arbeit und die Trennung von Öffentlich und Privat – Grundlagen unseres Geschlechterregimes – fungieren dann gleichsam als Sparschweine männlicher politischer Macht.

Viertens ist der Staat aber nicht ein schlichtes Spiegelbild von Geschlechterverhältnissen, sondern eine »gesonderte« Institution, ein spezifisch politisches Gebilde, das eigene »Interessen« entwerfen und realisieren kann – auch solche, die dem traditionellen Geschlechterregime, dem zivilgesellschaftlichen Geschlechterkompromiss widersprechen. Seine Autonomie ergibt sich nicht zuletzt aus den widersprüchlichen Interessen einzelner Staatsapparate. Die Widersprüche bieten wiederum widerständige Anknüpfungspunkte für feministische Politik, sie stecken aber zugleich die Grenzen staatlicher »Feminisierung« ab. Aus dieser Ambivalenz ergeben sich die typischen Ungleichzeitigkeiten der Regulierung von Geschlechterdifferenz.

Fünftens: Nicht nur Regierungen und Beamte sind Organisationen und Akteure des Staates, sondern auch historisch sedimentierte machtvolle Netzwerke, in die die autonomen staatlichen Akteure eingebunden sind – wie Verbände und korporatistische Aushandlungsprozesse. Regierungsinstitutionen agieren nicht beliebig neben- und miteinander, sondern in einem Feld strategischer und struktureller Selektivität, das durch unterschiedliche Machtressourcen definiert ist.

Die staatliche Akteurskonstellation besitzt also stets verfestigte Herrschafts- und Strukturmuster, so genannte historisch entstandene „Staatskristallisationen“ (Mann 1998: 100), wie beispielsweise die repräsentative, die korporatistische oder die neoliberale. Auch »Männlichkeitskristalle« – männliche Netzwerke, um weniger poetisch zu sein, prägen eine maskulinistische »Pfadabhängigkeit« des Staatshandelns: Weil die »Kosten« des Abbaus von prästabilierter Männlichkeit hoch sind, neigen staatliche Institutionen dazu, diese tradierten Strukturmuster zu konservieren, um die »Kosten« zu minimieren. Im Sinne einer »Ökonomie der Macht« kommt staatliche Männlichkeit kostengünstiger.

Sechstens bezeichnet im neo-gramscianischen Kontext der Staat jene Herrschaftsform, die aus dem Willen zu politischer Ordnung in der Zivilgesellschaft erwächst, sich dann „besondert“ und darum bemüht ist, sich zu „normalisieren“, sprich: hegemonial zu werden (vgl. Gramsci 1991: 783). Der Staat ist der (Selbst-)Entwurf der Zivilgesellschaft zur politischen Steuerung bzw. zu politischer Herrschaft (vgl. auch Demirovic 1997). Staat und Zivilgesellschaft sind also keine gegensätzlichen Strukturen, vielmehr formieren sich Herrschaftsverhältnisse in der Zivilgesellschaft und bilden sich in (staatlichen) Strukturen ab bzw. aus. Geschlechterhegemonie in der Zivilgesellschaft lässt einen maskulinistischen Staat entstehen. Der Staat ist deshalb ebenso frauenfreundlich oder genauso maskulinistisch wie die Zivilgesellschaft und umgekehrt: Die Zivilgesellschaft kann nicht als frauenfreundliche Anti-Struktur zum Staat betrachtet werden. Antipatriarchale Demokratisierung kann sich deshalb auch nicht auf eine Arbeitsteilung im Sinne Iris Marion Youngs (1999: 142) einlassen, die vorschlägt, dass Geschlechtergerechtigkeit als self-determination (Selbstbestimmung) besser durch Institutionen der Zivilgesellschaft hergestellt, Gerechtigkeit als self-development (Entwicklung) hingegen durch staatliche Infrastruktur ermöglicht werden solle.

Siebtens entsteht der Staat aus Diskursen, d.h. er muss stets neu hergestellt und reproduziert werden, und gerade deshalb ist er auch veränderbar. Staatliche Politiken entstehen in einem Geflecht ganz unterschiedlicher diskursiver Arenen. Diese Diskurse können die Form von Expertendiskursen der Politik, der Wissenschaft und der Wirtschaft annehmen oder aber die Form einer Politisierung „von unten“, eines anti-hegemonialen Projekts (Fraser 1994: 264f.).

Der Staat als männlich-hegemonialer Diskurs zielt auf die »Normalisierung« von Lebensführung und Mentalitäten, auf die »Selbsterfindung« des Subjekts unter herrschaftlich-zweigeschlechtlichen Bedingungen. Der Staat dringt gleichsam in die diskursiven, semiotischen Räume der Menschen ein und generiert dadurch »Staatssubjekte«. Zwei Beispiele hierzu: Der bürokratische Diskurs – instrumentelle Rationalität, Hierarchie und Kult der Experten – entwertet Praktiken, die mit unmittelbaren Bedürfnissen und Fürsorge zu tun haben (vgl. Brown 1992: 14). Kapitalistische Staatsdiskurse »normalisieren« erwerbszentrierte Biographien und marginalisieren Nicht-Erwerbstätigkeit. Das Diskurskonzept macht nun aber auch die Transformation von Staatlichkeit analytisch fassbar: Die aktuellen Verschiebungen des Staatsdiskurses – Effektivierung, Rentabilität, Europäisierung – schaffen möglicherweise diskursive Räume auch für eine Neuformatierung des Geschlechterverhältnisses.

Achtens ist die Maskulinität des Staates das Ergebnis konkreter sozialer Praktiken. Michel Foucault (2000: 69) entwickelte, wie er in einem Text schreibt, gleichsam eine „Staatsphobie“: Er verwirft den Staatsbegriff und entwirft das Konzept der „Gouvernementalität“ als Konnex von (Selbst-)Regieren (gouverner) und Denken/Fühlen (mentalité). Dieses Konzept bringe die Tatsache des „bewegliche(n) Zuschnitt(s) einer ständigen Verstaatlichung“ – also den Staat als Praxis – weit treffender zum Ausdruck. Der Staat ist nicht nur eine den Individuen äußerliche institutionelle Struktur, sondern sitzt in den Köpfen und Körpern der Menschen: Staatlichkeit ist eine »hegemoniale« Praxis, die bestimmte Identitäten und Interessen präferiert oder aber marginalisiert und desartikuliert.

Der Staat muss also „in der Gesellschaft gelebt werden“, sonst ist er nicht. Er muss von Frauen und Männern gemacht werden, er muss „Bestandteil der alltäglichen Lebensweise“ werden, „damit er Herrschaft verkörpern und ausarbeiten kann“ (Demirovic 1987: 150). Die BürgerInnen müssen also an die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit des Staates glauben, sie herstellen und reproduzieren, damit der Staat besteht.

Fazit: Die »Entstehung des Staates aus den Geschlechterverhältnissen« heißt, dass Staat und Geschlecht sich gegenseitig konstituierende diskursive Formationen, Praxen und Institutionen sind, dass der Staat kein geschlechtsneutrales Instrument ist. Der Staat ist sowohl eine filternde und strukturierte Struktur, er ist aber auch eine strukturierende und produktive Struktur, ein Feld, das Identitäten und Institutionen hervorbringt – nicht nur der abzulehnende »patriarchale Staat«.

Staatlichkeit zeichnet sich durch die Macht aus, Phänomene zu vergeschlechtlichen – und zwar in explizit geschlechtlicher oder in geschlechtsneutraler Weise –, indem sie gesellschaftliche Räume öffnet und schließt, männliche Interessen aus der so genannten Privatsphäre heraus hebt, weibliche in ihr verschwinden lässt.

Entstaatung und Demokratisierung. Chancen des Abbaus von »Staats-Männlichkeit«?

Was heißt nun diese Konzeptualisierung von Staatlichkeit für eine geschlechtersensible Demokratisierung von Politik? Wir begegnen bei der Beantwortung dieser Frage folgendem Paradox: Ohne eine radikale »Entstaatung«, i.e. ohne den Abbau staatlicher Herrschaftsstrukturen und ohne institutionellen Wandel, kann es keine geschlechtersensible, frauenfreundliche Demokratisierung geben. Umgekehrt freilich gilt nicht, dass sich »ohne Staat« automatisch Demokratie herstellt: Demokratie ist vielmehr ein Projekt, das in ständigen Auseinandersetzungen, auch in ständigen Staatsdiskursen entsteht. Demokratie ist in diesem Sinne nicht zu »institutionalisieren«, sie ist nur vorübergehend »auf Dauer zu stellen«.

Aus der Vielschichtigkeit von Staatlichkeit ergibt sich eine Multidimensionalität von Demokratisierungsstrategien. Ich will abschließend stichwortartig einige Hinweise für dieses Demokratisierungspuzzle entlang meiner acht Staatsessentials geben.

Erstens: Notwendig ist eine Feminisierung staatlicher Organisationen und Bürokratien im Sinne einer „Politik der Präsenz“ (Phillips 1995). Durch Quotierungen lassen sich die Zugänglichkeit und Inklusivität politischer Institutionen erhöhen wie auch der maskulinistische Code staatlicher Bürokratien, die „nested rules“ transformieren. Dadurch ist auch eine höhere Responsivität staatlicher Institutionen möglich.

Zweitens: Wichtig ist eine »Entmännlichung« des staatlichen Repräsentationsverhältnisses, d.h. ein Wandel von der Symbolisierung zur Repräsentation von Weiblichkeit und von Frauen. Es bedarf also politischer Verfahren der Sichtbarmachung der Geschlechterdifferenz. Eines dieser Verfahren kann das viel zitierte Gender Mainstreaming sein. Damit könnte die Verantwortlichkeit politischer Institutionen für Geschlechtergerechtigkeit gesteigert werden.

Drittens: Unabdingbar ist eine Transformation des sozialen Geschlechterkompromisses. Demokratisierung kann also nicht allein auf den politisch-staatlichen Bereich begrenzt bleiben. Westliche Demokratien haben vielmehr einen Bedarf an einer neuen Debatte über die Demokratisierung von Familie, Arbeitsverhältnissen, Bildung und Gesundheit.

Viertens: Ein Anknüpfen an Staatswidersprüche impliziert den formbewussten frauenpolitischen Bezug auf und die Einmischung in staatliche Aushandlungsprozesse. Ein Beispiel für einen solchen Aushandlungsprozess ist die Biotechnologiedebatte und die darum geführte Regulierungsdiskussion, die derzeit noch völlig »ent-geschlechtlicht« verläuft.

Fünftens: Im Sinne einer Ökonomie der Macht bedarf es einer institutionellen »Verteuerung« von Männlichkeit. Maskulinistische Aushandlungsprozesse und korporatistische Netzwerke dürfen nicht länger »kostengünstig« erscheinen, sondern müssen durch geschlechtersensible Verfahren (z.B. Quotierung, Gender Mainstreaming) zum inflationären Erodieren gebracht werden.

Sechstens: Demokratische Transformation muss in der Zivilgesellschaft beginnen: Dort kann Gegenhegemonie gegen maskulinistische Hegemoniestrukturen ausgebildet werden. Sie kann sich aber damit nicht bescheiden.

Siebtens: Staatsdiskurse müssen aktiv gegenhegemonial »feminisiert« werden. Das neoliberale Staatsprojekt sollte um den »Gleichberechtigungsstaat« ergänzt werden. Dies ist die Aufgabe feministischer Wissenschaft im Bündnis mit anderen Expertendiskursen und Öffentlichkeiten.

Achtens: Demokratie ist politische Praxis, ist politischer Habitus und nicht nur Verfahren. Nötig sind mithin politische Institutionalisierungen, um Demokratie zu leben, zu ermöglichen. Es bedarf der Voraussetzungen, damit Bürger und Bürgerinnen zu Citoyens und Citoyennes werden können.

Literatur:

Brodie, Janine, 1994: Shifting Boundaries: Gender and the Politics of Restructuring. In: Bakker, Isabella (Hg.): The Strategic Silence. London, ZED Books, 46-60.

Brown, Wendy (1992): Finding the Man in the State. In: Feminist Studies. 18. Jg, H. 1, 7-34.

Demorovic, Alex (1987): Nicos Poulantzas. Eine kritische Auseinandersetzung. Hamburg, Argument-Verlag.

Demirovic, Alex (1997): Demokratie und Herrschaft. Aspekte kritischer Gesellschaftstheorie. Münster, Westfälisches Dampfboot.

Douglas, Mary (1991): Wie Institutionen denken. Frankfurt/M., Suhrkamp.

Foucault, Michel (2000): Staatsphobie. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susann/Lemke, Thomas (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/M., Suhrkamp, 68-71.

Fraser, Nancy (1994): Widerspenstige Praktiken. Frankfurt/M., Suhrkamp.

Gehlen, Arnold (1969): Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Abgedruckt in: Münkler, Herfried, (Hg.) (1999): Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Ein Lesebuch. München/Zürich, Piper, 183-185.

Gerstenberger, Heide (1990): Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt. Münster, Westfälisches Dampfboot.

Köhler, Gerhard (1994): Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen. In: Ders. (Hg.): Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil politischer Institutionentheorie. Baden-Baden, Nomos, 19-46.

Gramsci, Antonio (1991): Gefängnishefte. Bd. 1. Hamburg, Argument-Verlag.

Mann, Michael (1998): Geschichte der Macht. Die Entstehung von Klassen und Nationalstaaten. Band 3. Teil 1. Frankfurt/M./New York, Campus.

Phillips, Anne (1995): Geschlecht und Demokratie. Hamburg, Argument Verlag.

Poulantzas, Nicos (1978): Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Sozialistische Demokratie. Hamburg, VSA.

Tocqueville, Alexis de (1997): Über die Demokratie in Amerika. Stuttgart, Reclam.

Weber, Max (1973): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen, Mohr.

Weber, Max (1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen, Mohr, 5. Auflage.

Young, Iris Marion (1999): State, civil society and social justice. In: Shapiro, Ian/Hacker-Cordon, Casiano (Hg.): Democracy‘s Value. Cambridge, Cambridge University Press, 141-162.

Prof. Dr. Birgit Sauer lehrt am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien

Quotierung der Weltsicherheit

Quotierung der Weltsicherheit

Genderperspektiven zur UNO-Reform

von Heidi Meinzolt-Depner

„Wir Frauen so vieler verschiedener Nationalitäten, die wir uns, um unsere Gefühle auszudrücken, verschiedener Sprachen bedienen müssen, von denen eine jede ihre eigenen nationalen Charakterzüge trägt, sind hierher gekommen, in dem gleichen Bewusstsein, mit den gleichen Hoffnungen, dem einen Wunsch, dass unsere Stimme bis ans Ende der Erde dringen möge im Protest gegen diesen fürchterlichen Massenmord und gegen die Annahme, Krieg sei der einzige Weg, internationale Konflikte auszutragen…“ Wir Frauen beurteilen den Krieg anders als Männer. Männer kalkulieren vor allem sein wirtschaftliches Ergebnis: Wie viel kostet der Krieg, welche Verluste oder Gewinne sind für den nationalen Handel und die Industrie zu erwarten, welchen Machtzuwachs bringt er – und so fort! Aber was bedeutet der materielle Verlust im Vergleich zu den Männern und Söhnen, die hinausmarschieren, um nie heimzukehren? Wir Frauen denken vor allem an den Verlust der Menschheit, der durch Krieg entsteht, an den Jammer, die Schmerzen und das Elend, das er verursacht.“1 Mit diesen Worten begrüßte die Niederländerin Dr. Aletta Jacobs die über tausend Frauen aus 13 Ländern, die zum 1. Internationalen Frauenfriedenskongress 1915 nach Den Haag gekommen waren.

Bis heute belegen zahlreiche Studien aus Konfliktregionen, dass Frauen Gewalt anders erfahren als Männer, andere Sicherheitsbedürfnisse haben und sich anders um Frieden und Versöhnung bemühen. Frauenpräsenz macht einen Unterschied in allen Konfliktphasen – der Prävention, der Lösung und der Konfliktnachsorge.

Wenn das so eindeutig ist, dann stellt sich die Frage: Wo sind all diese Frauen in UN-Missionen, an Verhandlungstischen, in Entscheidungspositionen?

Die zentralen Forderungen, die auf dem Haager Frauenfriedenskongresses vor 90 Jahren erhoben wurden, sind noch heute aktuell: strikte Anerkennung des Völkerrechts und eines internationalen Schiedsgerichts, radikale weltweite Abrüstung und Beteiligung der Frauen an politischen Entscheidungen!

Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson war von den Frauen und ihrer Mobilisierungskraft damals tief beeindruckt und baute die Forderungen in seine Vorschläge für den Frieden und die Gründung des UNO-Vorläufers »Völkerbund« teilweise wörtlich ein. Auf der 1919 parallel zur Gründung des Völkerbundes in Paris stattfindenden 2. Internationalen Frauenkonferenz in Zürich2 wurden die Forderungen bekräftigt und detailliert, da man die 1918 im Versailler Vertrag festgehaltenen Friedensbedingungen nicht tauglich hielt für einen gerechten und dauerhaften Frieden. Es fehlte z.B. die vollständige Abrüstung;3 die Frauen wollten auch im Sinne der Gerechtigkeit die Aufstellung eines Weltwirtschaftsplanes und vor allem die Festschreibung der Gleichstellung der Frauen. Das Missverhältnis zwischen ihren idealen Vorstellungen und der von den Männern auf der Pariser Völkerbundkonferenz definierten »real möglichen Politik« war damals spürbar und ist es noch heute. Um politisch am Ball zu bleiben und um sich weiter einzumischen, wurde der Sitz des in »Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit«4 umbenannten »internationale Frauenausschuss für dauerhaften Frieden« nach Genf, dem zukünftigen Sitz des Völkerbundes, verlegt.5

Seit damals ist auf dem internationalen Parkett viel in puncto Gendergerechtigkeit in Bewegung geraten, von der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs6 über die wegweisende Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 mit ihrer Aktionsplattform,7 die Antidiskriminierungskonvention8 1979, die Verabschiedung der Millenium-Entwicklungsziele,9 die Verankerung des Begriffs der »Menschlichen Sicherheit«10 bis hin zu der im Jahr 2000 verabschiedeten UNO-Sicherheitsratsresolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit«11, um nur einige Meilensteine auf diesem Weg zu nennen.

Aber niemand kann behaupten die Weltsicherheit sei inzwischen quotiert: Unter den etwa 100 Botschaftern im UNO-Sicherheitsrat waren in den letzten 10 Jahren nur zwei Frauen. Nur zwei Frauen leiten augenblicklich eine Mission im Rahmen der 27 friedenserhaltenden Maßnahmen – eine in Georgien, eine in Burundi. Gerade zehn Missionen haben eine Genderberatung. 4% beträgt der Frauenanteil an der zivilen Polizei, 1% am militärischen Personal, 27% am zivilen Personal.12 Unter den Blauhelmen stecken Männer, die vielleicht den Frieden schützen, aber die Prostitution und die HIV-Ansteckungsraten in die Höhe haben schnellen lassen (Beispiele: Kambodscha, Bosnien, Liberia). Der Aufbau von UNO- Flüchtlingslagern wird von Männern geplant, die regelmäßig vergessen, für genügend Binden und Babynahrung zu sorgen, obwohl Frauen und Kinder die große Mehrheit der Flüchtlinge stellen (Beispiel: Westafrika). Beim Wiederaufbau staatlicher Institutionen in Nachkriegsländern sind es wiederum Männer, die nicht daran denken, Frauenquoten für Regierung, Parlament, Justiz und Polizei aufzustellen, was dazu führt, dass Frauenrechte nicht gewährleistet und sexualisierte Kriegsverbrechen nicht aufgeklärt werden (Beispiele: Kosovo und Afghanistan). Die Straffreiheit für Verbrecher und Vergewaltiger aber ist ein wichtiger Grund dafür, dass viele überwunden geglaubte Konflikte irgendwann wieder losgehen. Es gibt auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit gewalttätiger Konflikte und geringer Frauenrepräsentanz im Parlament und in Entscheidungsfunktionen.

In der Öffentlichkeit wahrgenommen werden Frauen und Mädchen als Opfer – gerade auch in den sog.»modernen« Kriegen um Rohstoffe und um geostrategische Einflüsse, die im Namen von Religion, Ethnizität oder als vermeintliche Terrorabwehr geführt werden. Frauen brauchen besonderen Schutz, vor allem wenn in krisengeschüttelten Gesellschaften die Anzahl der im Umlauf befindlichen Waffen und der Anteil der häuslichen Gewalt in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Bedrohungspotenzial stehen. Erst „wenn Frauen sicher sind, dann sind es auch die Nationen“.13 Aber die Opfer zu schützen, ist nur die eine Seite der Medaille. Allein ist dies „ein Schlag ins Gesicht all der tapferen, intelligenten Frauen, die bereit sind, am Wiederaufbau ihres Landes (mitzuarbeiten), und die genau wissen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen“.14

Auf die UNO übertragen gilt dies genauso: Wer meint, es sei nicht so wichtig, ob hier Männer oder Frauen agieren, irrt sich. Gerade die unsägliche Absegnung immer neuer militärischer Operationen seitens der UNO, unter Inkaufnahme des Leidens der Zivilbevölkerung – darunter vieler Frauen und Kinder – und die Unilateralität der Konfliktdefinition, die diesen Operationen zu Grunde liegt, fordern zum Umdenken auf. Wenn man denn die Grundprinzipien der UNO mit neuem Leben erfüllen will, kommt man nicht umhin, den Genderansatz erneut in den Blick zu rücken: „Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“15 ist es unverzichtbar, das große Wissen der Frauen und der Zivilgesellschaften über Konfliktdeeskalation und kreative Konfliktlösung ernst zu nehmen und zu integrieren.

Akteurinnen und Bündnispartnerinnen für die UNO-Ebene

Die entscheidende Dynamik für ein Umdenken und Umsteuern entsteht aus der Zivilgesellschaft. „Wenn Frauen sich einen Platz in der Zivilgesellschaft erobert haben, dann ist das der vorrangige Raum, in dem sie offene und ehrliche Debatten in Krisenzeiten und Diskussionen über mögliche Alternativen zum Einsatz von Gewalt thematisieren – denn die Bandbreite der Optionen, der kreativen Ideen und Antworten auf Krisen ist drastisch eingeschränkt, wenn die Hälfte der Weltbevölkerung überwiegend vom politischen Prozess ausgeschlossen ist.“16 Die Zivilgesellschaft muss institutionell angebunden sein an die politischen Entscheidungsebenen. Nur so ist der Einfluss von Frauen und Frauenorganisationen auf die jeweiligen Regierungen gewährleistet.

In New York übernimmt die zivilgesellschaftliche Arbeitsgruppe zu »Frauen, Frieden und Sicherheit« diesbezüglich eine wichtige Funktion. Sie hat sich im Mai 2000 gegründet, maßgeblich die Verabschiedung der Resolution 132517des UNO-Sicherheitsrates am 31.Oktober 2000 vorbereitet und angeschoben und überwacht jetzt deren Umsetzung.

Die Resolution enthält fünf Schlüsselverpflichtungen:

  • Garantie der Geschlechtergerechtigkeit auf allen Entscheidungsebenen;
  • Integration der Genderperspektive in alle Beschlüsse, Maßnahmen und Missionen durch den UNO-Sicherheitsrat;
  • Schutz und Wahrung von Menschenrechten für Frauen und Mädchen;
  • Beachtung der Genderperspektive in allen Konfliktnachsorgeprozessen; und
  • Einführung der Genderperspektive in Peacekeeping-Operationen.

Sie wurde inzwischen in 70 Sprachen übersetzt und enthält Verpflichtungen für die nationalen Regierungen der 191 UNO-Mitgliedsstaaten, für sämtliche UNO-Institutionen sowie für politische Gremien?

Die einstimmige Verabschiedung der Resolution 1325 wurde möglich durch die geschickte Nutzung der sog. Arria-Formel.18 In der Arbeitsgruppe »Frauen, Frieden und Sicherheit« arbeiten zahlreiche Nichtregierungsorganisationen zusammen;19 sie werden unterstützt von UNO-Agenturen wie z.B. UN Development Fund for Women (UNIFEM).20 Das Monitoring übernimmt »Peacewomen«, ein Projekt, das von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF) getragen wird. Das Webportal peacewomen.org und regelmäßige e-news liefern Informationen, Aktionsvorschläge und »best practice«-Beispiele21 für die Bedeutung und die spezifische Rolle von Frauen in Friedensaktivitäten in allen Krisenregionen der Welt.

Resolution 1325 ist die erste Resolution, die die unterschiedliche Betroffenheit von Männern und Frauen im Krieg ausdrücklich festhält. Sie ist ein Arbeitsinstrument, das Rückendeckung für Frauen vor Ort gibt. So führte sie z.B. zur Festlegung der Frauenbeteiligung am Wiederaufbau Afghanistans in der Brüsseler Erklärung 2001, zur Einrichtung eines offiziellen Beobachterstatus für Frauen an den Verhandlungen in Burundi und zur aktiven Teilnahme von Frauen am Friedensprozess in Sri Lanka. Resolution 1325 hat das große Verdienst, das Bild von Frauen als ausschließliche Opfer von Kriegen ersetzt zu haben durch die Wahrnehmung von Frauen als aktive Friedensbildnerinnen und erfolgreiche Verhandlerinnen. Papier allein ist geduldig, wenn es am politischen Willen zur Umsetzung mangelt. Dieser sollte sich u.a. in nationalen Aktionsplänen manifestieren. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat in diesem Jahr die Staaten ausdrücklich aufgefordert, ihre Fortschritte bei der Umsetzung von Resolution 1325 zu dokumentieren, um die Ergebnisse im Herbst 2005 auf UNO-Ebene zusammenführen zu können. Zu den Arbeitsaufträgen an die Staaten gehören auch Konkretisierungen wie die Nominierung von qualifiziertem weiblichen Personal für Führungspositionen in UNO-Institutionen; Angebote von gender-sensiblen Trainings, wie sie für die Missionen z.B. in Liberia, Sudan und Haiti aktuell dringend erforderlich sind; die Ausbildung und Rekrutierung von Frauen für Missionen in Burundi, Osttimor und Kongo, damit sie Arbeitsbeziehungen zu Frauenorganisationen vor Ort aufbauen und produktiv für einen nachhaltigen Friedensprozess nutzen. Das Büro des »Special Adviser on Gender Issues and the Advancement of Women«22 arbeitet an einem neuen »Code of Conduct«, der eine Null-Toleranzschwelle bei sexueller Ausbeutung durch UNO-Personal vorsieht.23 Für die Nach-Konfliktzeit will man besonderes Augenmerk auf Gleichberechtigungsparagraphen in neuen Verfassungen richten und setzt durch geeignetes Monitoring und Förderprogramme auf die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an Wahlen. In Afghanistan ist das bis zu einem gewissen Grad gelungen mit 20% Frauenanteil in der Loya Jirga; in Ruanda gewannen Frauen 49% der Parlamentssitze.

Die Commission on the Status of Women hat bei ihrer letzten Sitzung24 zahlreiche Empfehlungen zur Umsetzung erneuert und bekräftigt, unter der Prämisse, dass nachhaltiger Frieden nur erreicht werden kann, wenn die volle und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Prävention und der Konfliktlösung gewährleistet wird.25. Konfliktnachsorge wird dabei als erfolgreiche Strategie zur Prävention definiert. Friedensabkommen sind die beste Gelegenheit, die besonderen Bedürfnisse und Prioritäten von Frauen angemessen zu berücksichtigen. Dies funktioniert aber nicht, wenn es keine spezifischen Anreize, finanzielle Unterstützungen und individuelle bzw. kollektive Trainings für Frauen und Frauengruppen gibt. Parallel dazu muss überall Gewalt gegen Frauen nachgewiesen, dokumentiert und verfolgt werden.

Das Abschlussdokument der CSW Commission on the Status of Women legt seinen Schwerpunkt darauf, dass die Genderperspektive und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der geplanten Kommission zur Friedensschaffung garantiert werden muss. Die Berücksichtigung der Geschlechterparität und das Empowerment von Frauen sollen Leitmotive für alle Staaten für den UNO-Gipfel im Herbst sein.

Erst wenige Staaten haben inzwischen Aktionspläne vorgelegt oder in Bearbeitung (in Europa planen dies u.a. Großbritannien und Schweden); deshalb haben sich in vielen Ländern inzwischen Initiativgruppen von Frauen gebildet, die die Umsetzung der Res.1325 auf nationaler und europäischer Ebene aktiv beschleunigen wollen.

In Deutschland hat sich dieser Aufgabe der Frauensicherheitsrat26 verschrieben. In Ermangelung eines nationalen Aktionsplans27 hat der Frauensicherheitsrat einen eigenen Aktionsplan erstellt, der Quoten, Instrumente, Monitoring und Sanktionen/ bzw. Anreize definiert,28 die bei zahlreichen Gesprächen und Foren zur Diskussion gestellt wurden. Im Juli 2004 antwortete der Frauensicherheitsrat mit einem Schattenbericht auf den Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325.29 Er legt die Finger in die Wunden mangelnder frauenpolitischer Standpunkte und Initiativen, kritisierte einen defizitären Sicherheitsbegriff, zu geringe Beteiligung von Frauen und Zivilgesellschaft an sicherheitsrelevanten Entscheidungen, fehlende Transparenz bei den »Freunden der Resolution«30 und einen unverbindlichen, Genderaspekte vernachlässigenden Aktionsplan zur zivilen Konfliktlösung. Der Schattenbericht weist darauf hin, dass es an qualifizierter Schulung für Kriseneinsätze fehlt (z.B. Geschlechterperspektive bei der Ausbildung afghanischer Polizisten oder im Kosovo), dass Kooperationen mit Warlords die Wahrung von Frauenrechten verhindern, dass es mehr Aufklärung zur Aidsprävention bedarf. der Bericht beklagt, dass der Zugang zu Reintegrationsmaßnahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit – z.B. für Frauen in Ruanda oder Liberia – erschwert und Gewalt gegen Frauen immer noch kein Asylgrund ist. Er schließt ab mit einem konkreten Forderungskatalog. Im kommenden Jahr strebt der Frauensicherheitsrat an, über eine zunächst europäische Vernetzung von Lobbyaktivitäten der Zivilgesellschaft Synergieeffekte und somit zusätzliche Impulse für die Reform der Vereinten Nationen zu bewirken. In Europa kann man sich übrigens erfolgreich auf interessante Beschlüsse und Dokumente z.B. des Europaparlaments,31 des Europarates32 und der OSZE33 beziehen.

Fazit: Wenn wir die Vision einer gerechten Gesellschaft, in der Männer und Frauen gemeinsam Verantwortung tragen und Konflikte friedlich lösen, aufrecht erhalten wollen, dann muss Weltsicherheit quotiert werden. Nur so kann die Diskrepanz zwischen denkbaren Alternativen für nachhaltigen Frieden und einer machtgesteuerten Interessenpolitik langfristig überwunden werden.

»Empower women and educate men«!

Anmerkungen

1) Dr. Aletta Jacobs war die erste Kinderärztin der Niederlande und Vorstandsmitglied der Internationalen Frauenrechtsbewegung ISA.

2) Die Frauen trafen sich in Zürich, da sie bis dato noch nicht an der offiziellen Politik beteiligt waren und deutsche Teilnehmerinnen so kurz nach Ende des ersten Weltkrieges keine Einladung nach Frankreich bekommen hätten.

3) Forderung, die anlässlich des Internationalen Frauentages von einer internationalen Frauendelegation seit Jahrzehnten jedes Jahr wieder bei der Genfer Abrüstungskonferenz im Kontext aktueller Rüstungsdebatten vorgetraten wird.

4) IFFF; engl. Women’s International League for Peace and Freedom/WILPF, siehe www.internationalefrauenliga.de und www.wilpf.int.ch.

5) Dort hat die bei der UNO akkreditierte Organisation auch heute noch ihren Sitz.

6) Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) definiert sexualisierte Gewalt als kriminellen Akt und garantiert u.a. Zeugenschutz für Frauen und Männer, sieben von 18 Richtern sind Frauen, siehe www.icc.org, siehe gender taskforce, bzw. Aufsätze von G.Mischkowski zu ICC und Gender (siehe Amnesty Konferenzdokument)

7) Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz, UNO-Dokument A/CONF.177/20 vom 17. Oktober 1995, vor allem Anlage II, Aktionsplattform, Kapitel 5, »Frauen und bewaffnete Konflikte«; www.un.org/Depts/german/conf/beijing/beij_bericht.html.

8) Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against Women (CEDAW); www.unhchr.ch/html/menu3/b/e1cedaw.htm.

9) Ziel 3 der »Millenium Development Goals« lautet: „promote gender equality and empower women“; http://www.undg.org/content.cfm?id=502.

10) 2003 bewertet die von der UNO eingesetzte Commission on Human Security die »menschliche Sicherheit« als handlungsleitend; siehe www.humansecurity-chs.org/. Vgl. dazu »Human Security – Women Security«? Keine nachhaltige Sicherheit ohne Geschlechterperspektive, Schriften des Feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung, Nr.7, 2003 , www.glow-boell.de.

11) http://www.internationalefrauenliga.de/un%20Resolution%201325.html.

12) weitere Daten gesammelt unter www.peacewomen.org

13) Sima Samar, ehemalige afghanische Frauenministerin auf der Veranstaltung »Brauchen wir einen Weltfrauensicherheitsrat«, Feministisches Institut der Heinrich-Böllstiftung

14) Elisabeth Rehn, ehemalige finnische Verteidigungsministerin und Co-Autorin der UN-Studie zu »Women, War and Peace«, und Sonderbeauftragte des UNGS für den Balkan

15) »In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle« lautet der Titel des Berichts des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan für die Reform-Generalversammlung im September 2005; www.un.org/depts/german/gs_sonst/a-59-2005-ger.pdf.

16) Charlotte Bunch zur Debatte »Brauchen wir einen Weltfrauensicherheitsrat?« auf einer gleichnamigen Veranstaltung des Feministischen Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung am 14. und 15. September 2002.

17) Mit der Verabschiedung der Resolution 1325 wurde diese für die 191 UNO-Mitgliedsstaaten rechtlich bindend.

18) Die 1992 vom Botschafter Venezuelas eingeführte »Arria-Formel« ermöglicht den Zugang von Nichtregierungsorganiationen zu informellen Sitzungen des Sicherheitsrates. Dadurch wird die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure im Zuge der anstehenden UN-Reform aufgewertet und eine bessere Verzahnung von UNO-Institutionen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten angestrebt (vgl. UNO-Generalsekretär Kofi Annan vor dem Sicherheitsrat am 22. Juni 2004).

19) U.a. die Gruppen International Alert, IFFF/WILPF, International Women’s Tribune Center, Amnesty International, Femmes Africa Solidarité; siehe www.peacewomen.org/wpsindex.html für eine vollständige Liste der angeschlossenen Organisationen.

20) www.womenwarpeace.org/about_us.htm.

21) Siehe separater Kasten mit einigen Beispielen. Weitere Beispiele finden sich u.a. in: Ute Scheub, Friedenstreiberinnen. Elf Mutmachgeschichten aus einer weltweiten Bewegung, Psychosozial-Verlag, Gießen, 2004; Initiative »1000 Frauen für den Friedensnobelpreis«, www.internationalefrauenliga.de/1000peacewomen.htm.

22) www.un.org/womenwatch/osagi/.

23) Nach Aussagen von Rachel Mayanja, UN Special Adviser on Gender Issues and the Advancement of Women, auf der OSZE-Koferenz zu »Women in Conflict Prevention and Crisis Management« in Wien, Juni 2005.

24) Die Commission on the Status of Women (CSW, www.un.org/womenwatch/daw/csw/) tagte zuletzt vom 28.2. – 4.3.2005 in New York zu Peking+10, zur Verbindung mit den Millenium Development-Goals und zur Umsetzung der Resolution 1325. Ein Konferenztagebuch von Gitti Hentschel beschreibt die politische Einschätzung der Fortschritte und die Diskussionsverläufe; www.glow-boell.de/de/rubrik_2/5_976.htm.

25) Vina Nadjibulla am 24.6.2005 im Rahmen des Civil Society Hearing der CSW.

26) Dem Frauensicherheitsrat gehören ca. 50 Frauen aus friedens-und entwicklungspolitischen Organisationen, politischen Stiftungen und Friedensforschungsinstituten an. Er wurde 2003 gegründet zur kritischen Beobachtung der Aktivitäten der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat während der 2-jährigen Mitgliedszeit Deutschlands. Der Frauensicherheitsrat setzt seine Lobby-Aktivitäten fort; Details zu Zusammensetzung, Aktivitäten, Beteiligung usw. unter www.un1325.de.

27) Auch die deutsche Regierung hat in ihrem Bericht bei der letzten CSW-Tagung in New York deutliche Fortschritte bei der Umsetzung der Resolution 1325 vermeldet. Auf einem »Forum Globale Fragen« des Außenministeriums wurde von Staatssekretärin Kerstin Müller ein nationaler Aktionsplan zugesagt, die Zusage wurde aber später wieder zurückgenommen.

28) Siehe www.un1325.de/fsr.htm#aktionsplan.

29) Der Schattenbericht des Frauensicherheitsrates ist zu finden unter www.un1325.de/data/GLOW.pdf; der Bericht der deutschen Regierung auf der Website des Außenministeriums.

30) Die »friends of the resolution« sind eine ad hoc-Gruppe, in der Regierungen von 27 UN-Staaten vertreten sind, u.a. auch Deutschland.

31) Europaparlament Okt. 2000, »Zur Beteiligung von Frauen an friedlicher Konfliktlösung« vorgelegt von MdEP Maj-Britt Theorin , Dokument A5-0308/2000.

32) Konferenzdokument zur Beteiligung von Frauen an Konfliktprävention und Konfliktlösung, Straßburg 2001.

33) OSCE Action Plan for the Promotion of Gender Equality und Background Materials zur OSZE-Konferenn in Wien von Kvinna til Kvinna (Frauen für Frauen) Foundation Schweden, Juni 2005.

Heidi Meinzolt-Depner ist Gymnasiallehrerin und seit vielen Jahren in der internationalen Politik tätig; zunächst im Vorstand der Europäischen Grünen und später als Europakoordinatorin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Ihr Schwerpunkt liegt auf Alternativen zur traditionellen Sicherheitspolitik, zivile Konfliktlösung und Gewaltprävention unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen

Friedensforschung und Geschlechterforschung1

Friedensforschung und Geschlechterforschung1

von Hanne-Margret Birckenbach

Der konstituierende Begriff der Friedensforschung ist nicht Krieg, nicht Geschichte, nicht Herrschaft, nicht Macht, sondern Frieden. Ohne Friedensbegriff, d. h. ohne theoretische Reflexion der Möglichkeit des gewaltfreien Konfliktaustrags blieb Handlungswissen der Gewaltlogik verhaftet und damit friedenspolitisch unrealistisch. FriedensforscherInnen müssen sich nicht als PazifistInnen verstehen, aber sie müssen aus professionell methodischen Gründen eine konkrete Vorstellung von Frieden entwickeln. Sie müssen natürlich mehr wissen, und daher stehen in ihren Bibliotheken auch Bücher, die sich mit »anderem« befassen. Brauchen Sie aber auch ein Verständnis der Kategorie Geschlecht?
In der Friedensforschung dominiert die Auffassung, auf Wissen aus der Geschlechterforschung am ehesten verzichten zu können. Geschlechterforscherinnen halten dagegen, ohne Beachtung der Kategorie »Geschlecht« werde man vom Frieden gar nichts verstehen. Zwischen diesen Polen bewegen sich diejenigen WissenschaftlerInnen, die argumentieren, es sei vielleicht nicht zwingend, aber doch methodisch nützlich, die Geschlechterforschung zum Kreis derjenigen Disziplinen zu rechnen, mit deren Hilfe sich etwas über die Bedingungen von Friedens entdecken lässt.

Anfänge

Die Bemühungen Friedensforschung und Geschlechterforschung in diesem Sinne zu verbinden, sind in Deutschland jetzt etwa 25 Jahre alt. Die Impulse kamen aus der transnationalen Wissenschaftskooperation. Am Rande der 8. Zweijahrestagung der International Peace Research Association (IPRA) 1979 in Königstein im Taunus, trafen sich einige – teilweise hoch angesehene – weibliche Mitglieder dieser Vereinigung außerhalb des Tagungsprogramms – fast heimlich – und berieten über die Geschlechterdimension ihrer wissenschaftlichen und politischen Erfahrungen. Von diesem Treffen nehmen die weltweiten Bemühungen, Friedensforschung und Geschlechterforschung zu verbinden, ihren Ausgang.

Es dauerte jedoch fast zehn Jahre, bis in Deutschland die Friedensforschungseinrichtungen überhaupt wahrnahmen, dass Frauen begonnen hatten, sich untereinander zu verständigen, dass sie als Forscherinnen anerkannt werden wollten und von der Friedensforschung verlangten, über die Zusammenhänge von Frieden und Geschlecht nachzudenken. Dass an den Universitäten im In- und Ausland die Geschlechterforschung in immer mehr Disziplinen Fuß gefasst hatte, beeindruckte die deutschen Kollegen zunächst ebenso wenig wie die Tatsache, dass in den 80er Jahren – vermittelt über zahlreiche Frauen- und Friedensinitiativen – in der Gesellschaft ein Interesse an den geschlechterbezogenen Fragen des Friedens artikuliert wurde, das es auch jüngeren nicht-etablierten Wissenschaftlerinnen ermöglichte, vergleichsweise unbeaufsichtigt Vorträge zu halten, Texte zu publizieren und Interviews zu geben. Als diese dann die eigene Zunft mit der These konfrontierten, dass die Geschlechterfragen auch für die Friedensforschung relevant seien, begann für diese eine spannungsgeladene Zeit.

Einige Kollegen unterstützten dieses Anliegen, einige äußerten sich vehement dagegen, andere schüttelten verständnislos den Kopf. Auch die Friedensforscherinnen waren sich keineswegs einig. Überall schienen Gefahren zu lauern: Würde das Profil der Friedensforschung nicht leiden, wenn randständige oder gar sachfremde, nur dem Zeitgeist gehorchende Fragen der Geschlechtergleichheit behandelt würden? Würden der feministische Aufbruch die Friedensforschung nicht schwächen? Wäre nicht das der Aufklärung verpflichtete Selbstverständnis der Friedensforschung durch feministische Kritik in Frage gestellt? Würde es der persönlichen akademischen Zukunft schaden, wenn frau mit dem »Frauenlager« identifiziert würde? Liefe es nicht dem akademischen Diskurs zuwider, wenn Friedensforscherinnen sich unter sich, d.h. ohne männliche Begleitung treffen wollten? Wie immer eingebildet diese Gefahren auch gewesen sein mögen, diese und ähnliche Bedenken prägten die Diskussion und spiegelten die große Unsicherheit gegenüber den Forderungen nach einer feministischen Friedensforschung. Im Nachhinein werden die meisten sagen, dass die auf allen Seiten zu beobachtenden Kränkungen doch so einfach hätten vermieden werden können, wenn Strukturen und Vermittlungskompetenzen vorhanden gewesen wären, die geholfen hätten, den Enthusiasmus gerade der jüngeren Friedensforscherinnen aufzugreifen, und wenn mehr Kollegen die Souveränität besessen hätten, die Initiativen der Frauen schlicht willkommen zu heißen, die kämpferischen Dispute zu entschärfen und den sachlichen Kern der Kontroversen in den Mittelpunkt zu rücken.

In der Sache ging es darum, ob die geringe Sichtbarkeit von Frauen in der Friedensforschung für diese überhaupt ein Problem und Geschlechterfragen für den Forschungsgegenstand Frieden relevant sein könnten. Die meisten Anstrengungen der Wissenschaftlerinnen galten daher dem Versuch, diese Relevanz innerwissenschaftlich nachzuweisen. Sie zeigten, wie die Wahl von Forschungsthemen und -ansätze durch Weltsichten und Erfahrungsbezüge geprägt werden, in der geschlechtsspezifische Leiden am Unfrieden nicht thematisiert und das Handeln von Frauen weder in friedensfördernden noch in seinen friedensgefährdenden Aspekten aufgedeckt werden kann. Sie kritisierten die Verbannung feministischer Friedensforschung in die Nische ohne Aussicht auf eine ertragsfördernde systematische Dichte, Zugang zu Forschungsmitteln und Stellen. Und sie warnten, die Ignoranz gegenüber Geschlechterfragen werde nicht nur die Defizite in der bisherigen Friedensforschung verstetigen, sondern auch zu einer Versimplifizierung feministischer Positionen, insgesamt also zu einem Verlust an Rationalität und Realität führen. Friedensforschung sei keinesfalls eine männliche Disziplin, aber eben doch auf einem Auge blind und daher veränderungsbedürftig. Als Kollegen zugestanden, eine solche Veränderungen sei zwar wünschenswert aber nicht möglich, wurde ein programmatisches Forschungskonzept formuliert, mit dem diese Skepsis entkräftet werden sollte. Darin wurde gefordert:

  • die impliziten Geschlechterannahmen in der Friedensforschung zu reflektieren,
  • in den konkreten Forschungsvorhaben Theoreme aus der Geschlechterforschung (insbesondere Mittäterschaft) aufzugreifen,
  • Frauen als Handelnde in friedenspolitischen Prozessen sichtbar zu machen und die Möglichkeit eigenständiger Forschung von Frauen zu institutionalisieren.

Niederlagen und Erfolge

Einige Wissenschaftlerinnen hatten Anfang der 90er Jahre die Idee, dieses Konzept könnte am besten durch ein eigenes Frauenfriedensforschungsinstitut erprobt werden. Angeregt durch die von der Berliner Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie veranstaltete KSZE der Frauen im November 1990, entwickelten sie ein Forschungsprogramm mit dem Titel »Frauen-Friedensforschung im Themenfeld Europäischer Friedenspolitik mit besonderer Berücksichtigung der Politischen Bildung«. Sie erhielten befürwortende Gutachten und von der VW-Stiftung auch die Zusage für die notwendigen finanziellen Mittel von 1,5 Mio. DM für eine Versuchszeit von drei Jahren. Schließlich scheiterte die Umsetzung daran, dass eine Vergabebedingung nicht gegeben war. Es wurde in Niedersachsen keine Professorin mit dem Schwerpunkt Friedensforschung gefunden, die das Projekt an einer Universität verankern und inhaltlich verantworten konnte. Auch andere Projekte scheiterten. Qualifizierte Frauen, die sich besonders engagiert hatten, fanden keine weitere Anstellung oder unterlagen bei Bewerbungen gegenüber männlichen Kollegen mit den besseren Beziehungen. Das Scheitern sprach sich schnell herum, der Klatsch nahm zu, auch unter den Friedensforscherinnen wurde die Solidarität brüchig und machte Konkurrenzverhalten Platz.

Die kleine Gruppe der verbliebenen aktiven Frauen war häufig überfordert, den Anforderungen nach Interviews, Artikeln nachzukommen und es gelang immer weniger, Erfolge zu erkennen und sichtbar zu machen. Trotz aller Niederlagen ist es dennoch gelungen, auch in Deutschland Strukturen und Institutionen der Friedensforschung für Anliegen feministischer Forschungsansätze zu öffnen.

  • Gender ist in der Friedens- und Konfliktforschung heute keine Tabukategorie mehr. Friedensforscherinnen werden beachtet, gefördert sowie in die Gremien gewählt oder berufen. Sie referieren bei den einschlägigen Tagungen, publizieren und forschen nicht nur, aber auch über geschlechterbezogene Fragen. Nicht dass alle KollegInnen wissen, was mit der Kategorie Geschlecht gemeint ist, oder überzeugt davon sind, dass sie in der Friedensforschung zu Erkenntnisgewinnen führen kann. Aber die Chancen feministische Perspektiven zu thematisieren, sind gewachsen. Kaum jemand würde heute öffentlich kundtun, dass die Kategorie Geschlecht nicht in die Friedensforschung gehört und Frauen schon deshalb, weil sie zahlenmäßig in den Regierungen und Armeen nicht ins Gewicht fallen, als handelnde Gruppe nicht weiter relevant seien. Forderungen, Wissenschaftlerinnen Zugänge zu Forschungsmitteln, Vortrags- und Publikationschancen sowie Ehrenämtern zu gewähren, werden zwar gelegentlich als lästig empfunden – aber es ist auch in der Friedensforschung schwerer geworden, sich solcher Last zu entziehen.

Trotz notorischer Zeitnot gehört ein kurzes Treffen der Frauen bei jeder Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) zum offiziellen Programm. Frauen erfahren auch Anerkennung. Der Christiane-Rajewsky-Nachwuchspreis der AFK, der seit 1991 jährlich an jüngere WissenschaftlerInnen oder Initiativen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben, vergeben wird, ging überwiegend an junge Wissenschaftlerinnen. Eine Monitoring-Instanz ist institutionalisiert: Die AFK hat seit 1994 eine Frauenbeauftragte. Laut Satzung soll sie die Arbeitsbedingungen und die wissenschaftliche Tätigkeit von weiblichen Mitgliedern der AFK auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung bekannt machen, bei Konflikten vermitteln und Möglichkeiten und Initiativen zur Frauenförderung in der Friedensforschung unterstützen. Alle zwei Jahre berichtet sie der Mitgliederversammlung der AFK darüber, wie es um die Realisierung dieser Ziele steht.

Auch eine Ermutigungsinstanz hat sich etablieren können. Es ist das im Rahmen der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB) koordinierte Netzwerk Friedensforscherinnen. Frauen bestimmen heute mit über die Vergabe von Forschungsgeldern bei der Deutschen Friedensstiftung (DFS) ebenso wie bei der privaten Berghof-Stiftung für Konfliktforschung. Es gibt kleinere Fortschritte bei der Besetzung von Leitungspositionen und Dauerstellen mit Wissenschaftlerinnen. Die Unterrepräsentation von Frauen und genderspezifische Forschungsfragen sind als Defizit anerkannt (vgl. die Empfehlungen der Struktur- und Findungskommission der DSF). Eine Juniorprofessur für Friedensforschung an der Universität Frankfurt wurde mit einer Wissenschaftlerin besetzt. Während im Ausland einige Institute (z.B. die Schweizer Friedensstiftung) Geschlechterfragen fest in ihrem Friedensforschungsprogramm etabliert haben, sind in Deutschland immerhin Absichtsbekundungen formuliert worden.

  • Auch auf der inhaltlichen Eben sind deutliche Veränderungen erkennbar. Anders als in den 80er Jahren gibt es heute über Forschungsideen und -pläne hinaus im In- und Ausland eine beachtliche Reihe theoretischer und empirischer Forschungsbefunde. Diese beziehen sich auf wissenschaftstheoretische Fragen und vor allem auf Aspekte der Normenbildung im internationalen System, auf die Geschlechterbeziehungen als Macht- und Kriegsressource in bewaffneten Konflikten, auf geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Kriegs- und Machtpolitik sowie auf Differenzierungen der tatsächlichen und möglichen Frauenrollen in ethnopolitischen Konflikten. Dabei geht es nicht nur um Frauen als Opfer, Kämpferinnen, Täterinnen, Mittäterinnen und Mitarbeiterinnen in Kriegsökonomien, sondern auch um das Handeln von Friedensaktivistinnen, sei es, dass diese ein Minimum von Sicherheit für Frauen organisieren, den Bereich der sozialen Sicherheit aufrechterhalten, Trauma- und Versöhnungsarbeit leisten, Frauenorganisationen bilden, die Überlebenshilfe organisieren oder in rechtlichen Fragen behilflich sind und teilweise auch Friedensverhandlungen führen.
  • Viele Untersuchungen beziehen sich auf den in der Friedensforschung innovativsten und am stärksten nachgefragten Themenbereich der konstruktiven Konfliktbearbeitung und so kann die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung seit 2003 im Internet nicht nur über Tagungen und Dokumente, sondern auch über neue Literatur zum Thema Gender & Konflikt informieren. Denn anders als in den Anfangszeiten erhalten die Bemühungen, Geschlechterfragen des Friedens zu thematisieren, heute Rückhalt aus der politischen Praxis, vor allem aus den sicherheits- und entwicklungspolitischen internationalen Organisationen. Hier erfahren DiplomatInnen täglich wie die Eskalation von Konflikten sich auch in einer Verrohung der Geschlechterbeziehungen niederschlägt und umgekehrt die Geschlechterbeziehungen auch die Erfolgschancen von Demokratisierungsstrategien beeinträchtigen oder fördern. Auch ist vielfach belegt, dass sich die Geschlechterbeziehungen innerhalb von internationalen Friedensmissionen günstig oder ungünstig auf deren Erfolgschancen auswirken. Schließlich erkennen die sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen zunehmend ihren Bedarf an friedenswissenschaftlich ausgebildeten und gender-bewusstem Personal.

Vor allem aber sind die internationalen Organisationen heute durch internationale Standards gebunden, im Interesse der Glaubwürdigkeit und Legitimität internationaler Konfliktbearbeitung die Mitwirkung von Frauen an ihrer Arbeit zu erweitern sowie die Bedürfnisse von Frauen in den Krisengebieten zu beachten. So hat das OSZE Sekretariat 1999 das Amt einer »Gender Adviser« eingerichtet, mit dem erreicht werden soll, dass die Organisation gender-mainstreaming betreibt, das Bewusstsein für Genderfragen weckt und die Karrierechancen für Diplomatinnen in der Organisation erhöht. Auch das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte hat eine »Gender Unit« geschaffen, die sich mit der Entwicklung entsprechender Projekte und ihre Einfädelung in die Feldarbeit der Missionen und der Ausbildung des Personals im Hinblick auf Geschlechterfragen befasst. Ähnlich verlangt die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Frauen stärker in nationale, regionale und internationale Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Belegung von Konflikten einzubeziehen und Frauen als Sonderbeauftragte, Militärbeobachterinnen, Mitglieder der Zivilpolizei, Menschenrechts- und humanitäres Personal zu entsenden. Auch wird der Generalsekretär der VN darin aufgefordert eine Studie über die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen, Mädchen, die Rolle von Frauen bei der Friedenskonsolidierung und die Geschlechterdimension von Friedensprozessen und der Konfliktbeilegung zu veranlassen und dem Sicherheitsrat Bericht über die Studie sowie die Fortschritte bei der Umsetzung der Integration der Geschlechterperspektive in alle Friedenssicherungsmissionen zu berichten.

Perspektiven

So sehr sich die Ausgangsbedingungen verbessert haben, so wenig kann der Stand der Forschung über Frieden und Geschlecht überzeugen. Diese Bewertung gilt insbesondere für die deutsche Forschungslandschaft, die mit der Entwicklung in den angelsächsischen und nordischen Länden nicht mitgehalten hat. Wie könnte wieder Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden werden?

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, wie eng Fortschritte in der Friedensforschung an Fortschritte in der friedenspolitischen Praxis gebunden sind. Das gilt für die Entstehung der Friedensforschung im Zuge der Entspannungspolitik ebenso wie für die Neuorientierung der Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Diese war mit einem umfassenden politischen Neuanfang verbunden war. Seine Merkmale waren die Einleitung einer konstruktiven Verbindung von Friedens- und Menschenrechtspolitik, die Aufwertung der internationalen Organisationen in Europa und auf globaler Ebene, Bemühungen zur Humanisierung des Sicherheitsbegriffs und die Öffnung des Arkanbereichs Sicherheitspolitik »nach unten« zu den Nicht-Regierungs-Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Parallel dazu liefen die internationale Kampagnen zur Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte sowie die Politik des gender-mainstreaming. Folgt man der Definition, die der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 1997 von den Zielen dieser Politik gegeben hat, dann geht es darum, die Anliegen von Frauen wie Männern in allen politischen und sozialen Bereichen und auf allen Entscheidungsebenen zur Geltung zu bringen, so dass Frauen und Männer gleichermaßen davon Nutzen haben und Ungleichheit nicht verlängert wird. Es geht um eine doppelte Zielsetzung: Geschlechtergleichheit und eine Transformation von Politikinhalten und Politikmethoden. Es geht also nicht nur darum, vorhandenen Politikprogrammen eine Frauenkomponente hinzuzufügen, Spezialprogramme für eine verwundbare Gruppe aufzulegen oder die Partizipation von Frauen auf allen Ebenen zu erhöhen, sondern einen Wandel in den Zielen, Mitteln, und Institutionen von Politik einzuleiten.

Mit diesem politische Aufbruch in den 90er Jahren waren auch für die Entwicklung der Friedensforschung und deren Öffnung für Geschlechterfragen glückliche Umstände geschaffen. Inzwischen ist jedoch eine Trendwende sowohl in der Sicherheitspolitik wie auch im gender-mainstreaming-Ansatz der Frauenpolitik zu beobachten. Diese Wende setzte lange vor dem 11. September 2001 ein und erfasste keineswegs nur die Politik der USA, sondern unter anderem auch die deutsche Politik. „Wir befinden uns in einer widersprüchlichen Situation“, hieß es in einem Telefax, das Feministinnen und Pazifistinnen aus Belgrad im Januar 1993 an Frauengruppen im Ausland schickten, als die Diskussionen über Kriegsvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina eine ungewöhnliche Welle der Empörung auslösten. „Auf der einen Seite ist die Vergewaltigung in Kriegszeiten zum ersten Mal in der Geschichte auf höchster internationaler Ebene zum Thema geworden; gleichzeitig ist die Motivation derjenigen, die an dieser Diskussion beteiligt sind, keineswegs der Schutz der Rechte und das Wohlbefinden der Frauen, sondern ihre Funktionalisierung für Zwecke der Kriegspropaganda und der Intensivierung ethnischen und nationalistischen Hasses. Das Leiden von Frauen wird zur Legitimation weiterer militärischer Eskalation benutzt.“ Das war eine sehr frühe wenig beachte Warnung vor der Doppelbewegung, die heute immer deutlicher bewusst wird: Remilitarisierung der Sicherheitspolitik, in der die zivile Konfliktbearbeitung zum Appendix wird, auf der einen Seite und Zurückdrängung des transformatorischen Gehalts von gender-mainstreaming durch Instrumentalisierung von geschlechtsspezifisch aufbereiteten Menschenrechtsfragen auf der anderen Seite. Wie diese Doppelbewegung wieder zurückgedrängt werden und gender-mainstreaming mit peace-mainstreaming verbunden werden kann, müsste heute zu den Kernfragen der Friedensforschung gehören. So kann es heute auch nicht mehr darum gehen, immer erneut rechtfertigend zu begründen, warum auch die Geschlechterdimension des Friedens erforscht werden und die Zahl der Friedensforscherinnen in den Instituten wachsen muss. Vielmehr muss vor allem die Verbindung von Friedens- und Geschlechterforschung in konkreten Projekten so fundiert werden, dass die Ergebnisse Aufschluss darüber geben, was im Interesse der Friedensförderung geschehen kann. Zu den wesentlichen Desiderata gehören die folgenden Aspekte.

  • Die wissenschaftliche Literatur zu »gender and peace« besteht überwiegend aus verstreuten Essays, Arbeitspapieren und Einzelarbeiten, die zwar unter Frauen diskutiert werden, aber von Kollegen wenig in dem Sinne beachtet werden, dass sie auch deren Arbeiten anregen. Auch bestärkt diese Isolation vermutlich geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen und Wahrnehmungsmuster in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft. Vor allem fehlen theoretisch und empirisch fundierte Monographien, systematische Forschungs- und Findungsberichte sowie Einführungstexte, die zusammenfassen, was man über die Geschlechteraspekte der Friedensthematik heute bereits wissen kann, professionell wissen muss und welche Schlüsse sich daraus für die Friedensforschung und Friedenspraxis ziehen lassen.
  • Die Erfahrungen internationaler Organisationen mit dem gender-mainstreaming sind kaum und vor allem nicht systematisch ausgewertet. Nur wenig ist über die Versuche bekannt, in der Praxis die Analyse aktueller Konflikten mit der Analyse von Geschlechterverhältnissen zu kombinieren. Auch die Erfahrung von Praktikern, dass gender-mainstreaming in der Konfliktbearbeitung ebenso unerwünschte Folgen für die Konfliktbearbeitung nach sich ziehen kann, wie die Ignoranz gegenüber Fraueninteressen, ist wissenschaftlich nicht aufgearbeitet. Ferner ist unbekannt, wie sich der Charakter der sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen durch das gender-mainstreaming verändert. Verlieren sie damit möglicherweise an machtpolitischem Gewicht? Wandeln sich Organisationen wie UNO und OSZE von gewichtigen Organisationen kollektiver Sicherheit zu weniger gewichtigen Dienstleistungsakteuren, zeichnet sich sogar ihre »Hausfrauisierung« ab?
  • Feministische Wissenschaftlerinnen haben bislang – nicht anders als ihre Kollegen – mit Priorität über kriegerische und nur wenig über friedliche Entwicklungen gearbeitet. Das bedeutet, dass wir am wenigsten über das wissen, was Friedensforscherinnen am ehesten interessieren müsste, nämlich das tatsächliche und potenzielle Handeln von Frauen in Situationen, in denen es gelingen könnte, eine Gewaltentwicklung noch abzuwenden.

Anmerkungen

1) Der Text basiert auf einem Vortrag beim Interdisziplinären Kolloquium »PazifistInnen / Pazifismus. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung« am 9. und 10. Mai 2003. Veranstalter waren die Heinrich Böll Stiftung, deren Feministisches Institut und das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung.

Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Jean-Monnet-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Politikwissenschaft

Der kleine Unterschied und die Gewalt

Der kleine Unterschied und die Gewalt

Geschlechts- und Geschlechtsrollenunterschiede in der Aggression

von Jeannette Schmid

Angeblich hat Krieg „kein weibliches Gesicht“ (Swetlana Alexijewitsch), angeblich ist Krieg immer noch „Männersache“ (Christiane Florin) – ob ohne oder mit Öffnung der Militär-Apparate für »das andere Geschlecht«. Kriegsherren wissen freilich seit eh und je die diversen weiblichen Dienste »hinter den Linien« und »an der Heimatfront« zu schätzen und zu fördern. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass darüber hinaus bei einem genaueren Blick auf die menschliche Aggressivität die Unterschiede zwischen den Geschlechtern keineswegs so eindeutig sind, wie gemeinhin angenommen. Vor allem dürfte die geschlechts- bzw. geschlechtsrollentypische Art der weiblichen Aggression eine spezifische Bedeutung für die Kriegsanfälligkeit unserer Gesellschaften haben.
In Kriegen kämpfen vorwiegend Männer. Und auch in Friedenszeiten scheint physische Gewalt meist von Männern ausgeübt zu werden. Einen Hinweis geben Daten der polizeilichen Kriminalstatistik. So weist das Bundeskriminalamt für das Jahr 2000 unter den Tatverdächtigen für Mord und Totschlag in Deutschland nur 394 Frauen, das sind 12,3% der Verdächtigen, auf. In ähnlicher Höhe (12,4%) treten Frauen bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung als Täterinnen in Erscheinung. Bei einem anderen Delikt, das ebenfalls eng mit Aggressivität zusammenhängt, dem Delikt der Beleidigung, ist der Anteil der Frauen mit 24,5% deutlich höher. Schon diese Daten zeigen, dass es wichtig ist, zwischen verschiedenen Arten der Aggression zu unterscheiden, wenn es darum geht, die Zusammenhänge zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Gewalttätigkeit aufzuklären.

Untersuchungen mit psychologischen Fragebögen, die selbst-berichtete Aggression erheben, zeigen ein ähnliches Bild. Auch hier ergeben sich für die Männer im Durchschnitt deutlich höhere Werte (Baron & Richardson, 1994). Männer geben auch wesentlich häufiger an, Fantasien über Morde (mit sich selbst in der Täterrolle) zu haben (Kendrick & Sheets, 1993).

Weibliche Gewalt – Geschlecht oder Geschlechtsrolle?

Wird eine Person ärgerlich, lässt sich dies unter anderem an Erhöhungen ihres Testosteron-Spiegels erkennen. Dies gilt für Männer wie für Frauen. Es scheint also einen Zusammenhang zwischen diesem Hormon und der momentanen Aggressionsbereitschaft zu geben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Testosteron die Ursache für die Aggression sein muss; es kann eine Begleiterscheinung sein, die mit dazu beiträgt, den Organismus auf einen Angriff vorzubereiten und diesen Zustand länger aufrechtzuerhalten. Trotzdem legt dieser Befund die Frage nahe, ob vielleicht Frauen aufgrund ihres im Mittel niedrigeren Testosteron-Spiegels weniger leicht dazu neigen, sich in Situationen, in denen sie Ärger erleben, mit physischer Gewalt Luft zu machen. Dies wäre somit ein echter biologisch bedingter Unterschied.

Neben dieser genetischen Unterschiedlichkeit leben Männer und Frauen jedoch teilweise auch in verschiedenen sozialen Umwelten, in denen sie sich mit unterschiedlichen Rollenanforderungen auseinandersetzen müssen. Zu den Umweltvariablen gehört u.a. der unterschiedliche Zugang zu Ressourcen, wozu auch die Möglichkeiten zählen, einer anderen Person physisch Gewalt anzutun (körperliche Kraft, Zugang zu Waffen). Beide Faktoren, Erbe und Umwelt, treten miteinander in Wechselwirkung.

Ein Vergleich der physischen Aggression in verschiedenen Kulturen zeigt, dass die kulturellen Unterschiede größer sind als die Geschlechtsunterschiede (Rohner, 1976). Je nach Kultur sind bestimmte Formen der Aggressivität erlaubt und andere tabuisiert. Innerhalb dieser Regeln bewegen sich dann die Unterschiede, die man in der Gewaltbereitschaft der beiden Geschlechter findet. Dies verdeutlicht, dass es sehr stark durch die Umwelt bestimmt wird, in welcher Weise und wie häufig physische Gewalt durch Frauen ausgeübt wird.

Zu den von der Sozialisation vorgegebenen Regeln kann auch gehören, dass Gewalt unterschiedlich bewertet wird, je nachdem, ob sie von einem Mann oder einer Frau ausgeht. Dabei wird die von einem Mann ausgehende Gewalt im Allgemeinen als vertretbarer bewertet. In einer umfangreichen Studie mit Jugendlichen, die vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsens durchgeführt wurde, zeigte sich, dass gleichgeschlechtliche Identifikationsfiguren und Rollenmodelle von Jungen in höherem Maße als gewalt-akzeptierend erlebt wurden und dass für den Fall aktiven Gewalthandelns Mädchen viel stärker mit Ablehnung rechnen müssen als Jungen. Sofern Mädchen und Jungen in gleichem Maße keine explizite Gewaltablehnung seitens der Eltern erfahren, nähert sich die Delinquenzrate der Mädchen derjenigen der Jungen an (Pfeiffer, Wetzels, & Enzmann, 1999).

Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Umweltfaktoren einen derart starken Einfluss haben könnten, dass sie genetisch bedingte Unterschiede überdecken. Eine nahe liegende Überlegung wäre es daher, Jungen »weiblicher« zu sozialisieren, d. h. in der Erziehung nicht nur physische Gewalt zu sanktionieren, sondern auch z.B. Fürsorglichkeit und Empathie zu fördern, um auf diese Weise Gewalt zu hemmen. Allerdings übersieht ein solches Programm das Problem der mangelnden Akzeptanz einer solchen Erziehung in einer Gesellschaft, die durch das Bild des Mannes geprägt ist, der seinen Erfolg auch seinem aggressiven Durchsetzungsvermögen verdankt. Es wäre daher zu befürchten, dass »weiblich« sozialisierte Jungen von traditionalistischen Jungen zum Opfer gemacht werden (Nagayama-Hall & Barongan, 1997).

Es ist jedoch nicht nur die Bewertung der Aggression, in der sich Geschlechtsunterschiede finden lassen, sondern auch die generelle Auffassung zu diesem Thema. Frauen denken bei dem Begriff Aggression tendenziell eher daran, dass der Handelnde von seinen Emotionen überwältigt wird und die Kontrolle verliert, während Männer in diesem Zusammenhang eher daran denken, dass Gewalt auch ein Mittel sein kann, um Kontrolle über eine andere Person auszuüben (Campbell, 1993). Somit wird für Männer gewalttätiges Verhalten auch leichter zu einem legitimen Mittel der Problembewältigung.

Aggression als zwischenmenschliches Ereignis

Die meisten alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen verlaufen ohne Gewalttätigkeit. Wer Gewalt anwendet, handelt nicht der Norm entsprechend und muss sich dafür rechtfertigen. Stehen solche Rechtfertigungen bereit, ist die Ausübung der physischen Aggression erleichtert. Ein Beispiel für solche Rechtfertigungsstrategien sind so genannte Vergewaltigungsmythen (Burt, 1980), das sind im Alltag häufig vertretene, fehlerhafte Annahmen, die im Wesentlichen darin bestehen, dem Opfer einer Vergewaltigung ein Mitverschulden anzulasten und den Täter zu entlasten. Solche Mythen werden gleichermaßen von Männern und Frauen geteilt und werden natürlich auch von Tätern zur nachträglichen Rechtfertigung genutzt. Sie können sogar, wie beim Date-Rape, dazu beitragen, dass die Abwehr des Opfers als bloße Schauspielerei missverstanden wird. Solche kognitiven Verzerrungen, die dem Opfer eine Einwilligung unterstellen, treten verstärkt innerhalb patriarchalischer Gesellschaftsformen auf ( Lonsway & Fitzgerald, 1994).

Rechtfertigungsstrategien für generelle Gewalttätigkeit lassen sich auch in der Kultur des »machismo« finden, wo die Ehrverteidigung mit Gewalt legitimes und zuweilen auch unersetzliches Mittel ist (Cohen & Nisbett, 1997). Hier wird »Männlichkeit« mit »Gewaltbereitschaft« gleichgesetzt bzw. Friedlichkeit in die Nähe der Feigheit gerückt. Bei einem männlichen Vertreter der Macho-Ideologie ist jede Situation, in der seine Männlichkeit infrage gestellt wird, bedrohlich. Demjenigen, der für diese Bedrohung verantwortlich ist, wird unterstellt, dass dies in der Absicht geschah, provozieren zu wollen. Und eine solche Provokation macht eine Vergeltung zwingend notwendig; ein Verzicht auf diese Vergeltung würde dem Vorwurf der Unmännlichkeit Recht geben. Für Frauen steht kein entsprechendes Rollenmuster zur Verfügung. In der Welt des »machismo« ist, wenn die Ehre der Frau angegriffen wird, für ihre Ehrverteidigung mittels Gewalt ebenfalls der Mann zuständig.

Wenn von einer Provokation die Rede ist, bedeutet dies auch, dass für die eigene Aggression eine bestimmte Handlung einer anderen Person als Ausgangspunkt gesehen werden muss. Darüber kann indes Uneinigkeit bestehen, indem nämlich jeder die Ansicht vertritt, der andere sei derjenige, der dafür sorgt, dass die Aggression anhielte. Das eigene Verhalten sei der Situation angemessen und lediglich das des Kontrahenten zu aggressiv, worauf dann wieder mit Vergeltung reagiert werden muss. Diese so genannte Perspektivendivergenz (Otten, Mummendey & Wenzel, 1995) sorgt auch dafür, dass der Provokateur unterschätzt, wie sehr er provoziert. In einer umfangreichen Analyse untersuchten Bettencourt und Miller (1996) eine ganze Reihe von Labor-Studien, in denen Teilnehmer und Teilnehmerinnen provoziert worden waren und als Folge aggressives Verhalten gezeigt hatten. Auch hier waren erwartungsgemäß die Männer aggressiver als die Frauen. Je stärker die Provokation jedoch war, umso mehr näherte sich das Verhalten der Frauen dem der Männer an. Gegenüber Provokateuren des jeweils anderen Geschlechts wurde weniger Aggression gezeigt. Für die Männer könnte die Erklärung in einer Art »Kavaliersnorm« liegen, für die Frauen in der Furcht vor Vergeltung. Je größer diese Furcht bei den Frauen war, umso geringer war ihre aggressive Reaktion auf die Provokation. Dass Frauen bei männlichen Gegnern mehr Angst vor Vergeltung hatten, verweist auf die unterschiedlichen traditionellen Machtverhältnisse. In dieser Analyse stecken gleich mehrere interessante Befunde. Beispielsweise empfanden Männer die Provokationen als stärker. Die Stärke der begleitenden Affekte war bei den Geschlechtern jedoch nicht unterschiedlich. Frauen empfinden nicht weniger Ärger als Männer in vergleichbaren Situationen und sie äußern diesen Ärger auch (Kopper & Epperson, 1991). Die Geschlechtsunterschiede ergeben sich erst bei der Entscheidung, diesen Ärger in aggressives Verhalten gegenüber einer anderen Person umzusetzen. Man könnte also aus diesen Befunden den Schluss ziehen, dass Frauen zwar möglicherweise innerlich den gleichen Drang zu aggressivem Verhalten verspüren wie Männer, in der konkreten Situation diesem jedoch weniger nachgeben, es sei denn, die Provokation ist sehr groß. Erfragt man die Einstellung zur Vergeltung mit psychologischen Fragebögen, erreichen Männer tatsächlich die höheren Werte (Stuckless & Goranson, 1992).

Dieses Bild der weniger aggressiven Frauen ändert sich jedoch, wenn man anstelle der physischen Aggression die so genannte relationale Aggression betrachtet. Dies ist eine Variante der Aggression, die die Beziehung zu anderen Menschen zum Ziel nimmt und eine bestimmte Person absichtlich isoliert, zum Beispiel durch üble Nachrede und böswilligen Klatsch. Das Ziel dieser Aggression besteht darin, dafür zu sorgen, dass eine bestimmte Person aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird (Björkqvist, Österman & Kaukiainen, 1992). Die Folgen einer erfolgreichen relationalen Aggression können langfristiger sein als die der physischen Aggression und Täter bzw. Täterin müssen dem Opfer dabei nie direkt gegenüberstehen. Diese indirekte Art der Aggression zeigen Mädchen schon im Vorschul- und frühen Schulalter deutlich häufiger als Jungen (Crick, Casas & Mosher, 1997).

Bezieht man das Wissen um diese relationale Aggression mit ein, muss die Ansicht, dass Krieg im Wesentlichen ein männliches Phänomen sei, neu überdacht werden. Die Einbeziehung Dritter in die Ausgrenzung eines Gegners und die Bildung von Allianzen mit dem Zweck der Vernichtung des Feindes wären dann ein »weiblicher« Aspekt des Krieges.

Literatur

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Dr. Jeannette Schmid ist Privatdozentin für Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg.

Eine leise Öffnung: Soldatinnen in der Bundeswehr

Eine leise Öffnung: Soldatinnen in der Bundeswehr

von Christine Eifler

Frauen in die Bundeswehr – das ist ein seit Jahren in der Frauen- und damit auch in der Friedensbewegung äußerst kontrovers diskutiertes Thema. Die einen sehen hierin einen weiteren Schritt zur Militarisierung, ein „gleiches Recht auf Unrecht“ (so Anne Rieger in »Die Gleichberechtigungsfalle«, W&F 2/2000). Sie lehnen es ab, Streitkräfte zivilen Arbeitgebern gleichzustellen und weisen darauf hin, dass z.B. in Armeen mit einem hohen weiblichen Anteil – wie der US-Armee – sexuelle Belästigung und Nötigung an der Tagesordnung sind. Andere sehen im Zugang zur Armee einen notwendigen Schritt zur Gleichberechtigung, eine neue Arbeitsmarktchance für Frauen und einen Schritt hin zur Zivilisierung des Militärs. Für Christine Eifler liegt die Öffnung der Bundeswehr für Frauen im internationalen Trend. Sie beleuchtet die gegenwärtige Situation und stellt die Funktion der Soldatin in Bezug zu dem von der „Bundesregierung hoch bewerteten neuen militärischen Aufgabenfeld“ Peacekeeping. Eine Position, die sicher weiteren Diskussionsbedarf weckt.
Ohne nennenswerte öffentliche Diskussionen ist eine weit reichende Veränderung des Verhältnisses von Militär und Frauen über die politische Bühne der Bundesrepublik gegangen: Die Soldatin wurde öffentlich anerkannter Teil des Militärs. Damit wurde hierzulande vollzogen, was in vielen Ländern schon seit Jahren Realität geworden ist.1 Die Geschlechterbeziehungen sind damit zu einem dauerhaften Bestandteil der sozialen Beziehungen innerhalb der Bundeswehr geworden, ein Tatbestand, der sowohl aus historischer als auch aus Gender-Perspektive von grundsätzlicher Bedeutung ist.2

Bisher war die Integration von Frauen in die Bundeswehr im Vergleich zu anderen Ländern wenig entwickelt. Das Grundgesetz verbot Frauen den militärischen Dienst mit der Waffe, ermöglichte jedoch durch die Trennung von Streitkräften und ziviler Wehrverwaltung die Verwendung von Frauen auf zivilen Stellen auf allen Ebenen der Bundeswehr.3 In den Streitkräften selbst sind Frauen seit 1975 zugelassen, allerdings ausschließlich im Sanitätsdienst. Bezogen auf die gesamte Bundeswehr waren dies 1%, bezogen auf die Berufs- und Zeitsoldaten sind es knapp 2%. 1997 hatte die Bundeswehr 3.500 Soldatinnen, davon 30 im Militärmusikdienst.4 Der Beginn der Einbeziehung von Frauen erfolgte während einer Phase erheblichen Personalmangels. Die »militärischen Seiteneinsteigerinnen« waren approbierte Ärztinnen, für die ebenso wie für alle späteren Soldatinnen galt, keinen Dienst an der Waffe tun zu dürfen, es sei den als Notwehr und Nothilfe, wie es das Völkerrecht für das Sanitätspersonal zugesteht. Erst 1989 wurden die ersten 50 Sanitätsoffiziersanwärterinnen eingestellt. 1991 erfolgte die Öffnung für Mannschafts- und Unteroffizierlaufbahnen im Sanitätsdienst und im Militärmusikdienst.Bis dahin war Frauen in der Bundeswehr nur eine marginalisierte Position zugedacht. Trotz des Paragraphen 12a des Grundgesetzes wäre es möglich gewesen, weit mehr Funktionen mit Frauen zu besetzen, als dies der Fall war. Weitere Öffnungen wurden aber bisher abgelehnt.5 Dies hat sich mit dem Jahre 2001 grundsätzlich verändert. Seit Januar 2001 wurden 1.556 Soldatinnen in der Laufbahngruppe Unteroffiziere/Mannschaften aufgenommen. Im Dezember 201 wurden 204 Offiziersanwärterinnen in den Truppendienst übernommen. 21,9% dieser Gruppe haben ihr Interesse an einer Tätigkeit in Kampf- und Kampfunterstützungseinheiten geäußert. Somit hat sich die Zahl der Frauen in der Bundeswehr auf 6.721 erhöht.

Interessant ist es sich ins Gedächtnis zu rufen, in welcher Weise die Öffnung der Bundeswehr erfolgte. Das Thema Frauen und Militär war bis dahin nur in bestimmten Zeiträumen von Interesse: So war es seit Jahren ein bevorzugtes Thema der Medien im »Sommerloch«. Waren noch 1997 und 1998 die Mehrheit der Beiträge ablehnend gegenüber einer Öffnung der Bundeswehr für Frauen, änderte sich dies im Sommer 1999. Der Tenor der Beiträge zeigte eine wachsende Akzeptanz gegenüber Frauen in Uniform. Man war sich einig darüber, dass die Beteiligung von Frauen an der Bundeswehr freiwillig sein müsse. Eine Wehrpflicht für Frauen wurde abgelehnt. Ein ähnlicher Wandel zeigte sich auch bei den Parteien, die bis dahin noch gegen die Öffnung der Bundeswehr für Frauen waren: Bei Bündnis 90 – Die Grünen befürwortete eine Reihe von Abgeordneten, zum Beispiel Angelika Beer, die Öffnung für Frauen und bei der PDS sprach sich deren Abgeordnete Christina Schenk dafür aus. Die Zustimmungen insgesamt bezogen sich ausschließlich auf die Bundeswehr als »Arbeitsplatz«. Eine Beteiligung von Frauen an Kampftruppen wurde abgelehnt. Die Meinungsäußerung des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden und früheren Verteidigungsministers Volker Rühe drückte einen gewissen Konsens aus: Er plädierte für eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen, wandte jedoch ein: „Ich halte nichts von Frauen in Kampfpanzern.“

Dieser Meinungsumschwung zur Öffnung war nicht unerheblich mit dem Krieg im Kosovo verbunden. Der als humanitäre Intervention bezeichnete Einsatz der Bundeswehr hatte auf neue Konfliktfelder aufmerksam gemacht und zumindest kurzzeitig die Diskussion um ein neues militärpolitisches Rollenverständnis der Bundesrepublik angefacht. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein weit gehendes Einverständnis für eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen. Nicht zuletzt zeigten die Bilder über den militärischen Einsatz im Kosovo Soldatinnen anderer Nationen, die selbstverständlich ihren Dienst taten.

Auch mit der Klage der Elektronikerin Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam noch keine rechte Bewegung in die Sache. Obwohl sich recht schnell abzeichnete, in welchem Sinne sich der EuGH entscheiden werde, blieb es um das Thema Militär und Frauen ruhig. Das Urteil vom 11. Januar 2000 bewertete dann die bisherige Praxis der Einbeziehung von Frauen in der Bundeswehr als einen Verstoß gegen die aus dem Jahr 1976 stammenden gemeinschaftsrechtlichen Gleichstellungsrichtlinien der EU. Demzufolge hat der Grundsatz der Gleichbehandlung im Berufsleben auch als Richtlinie für die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse in den Streitkräften zu gelten. Frauen nur zum Sanitätsdienst zuzulassen, verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung, zum beruflichen Aufstieg und in Bezug auf die Arbeitsbedingungen innerhalb der Streitkräfte. Das heißt, der EuGH bewertete den freiwilligen Dienst von Frauen an der Waffe als Berufsausübung und forderte folglich auch für diesen Rahmen berufliche Gleichstellung.

Unter dem Druck dieses Urteils entschloss sich die Bundesregierung, eine völlige Öffnung der Bundeswehr für Frauen vorzunehmen. Im Unterschied zur Praxis anderer nationaler Militärs6 sprach sie sich gegen Quoten für die Einstellung von Frauen aus; weder für den allgemeinen Zugang zu den Streitkräften noch für den Einsatz in bestimmten Verwendungsreihen sollen Einschränkungen gelten. Auch die Kampftruppen sollen Frauen uneingeschränkt offenstehen. Mit der Novellierung der gesetzlichen Grundlagen (Grundgesetz, Soldatengesetz, Soldatenlaufbahnverordnung) wurden alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen, damit nun Frauen als Freiwillige Dienst mit der Waffe tun dürfen. Damit hat sich der Gesetzgeber von einem Frauenbild verabschiedet, von dem sich die Rechtsprechung im Verfassungs- und Arbeitsrecht schon seit Längerem weit gehend entfernt hatte. Das Bild von der Frau als Hüterin des Hauses, „schwach, ängstlich und von Natur aus friedfertig, so daß der Mann sie draußen im Felde schützen muss“, wurde von der im Grundgesetz geschützten Stellung der Frau abgelöst: „aktiv und vollständig in alle Bereiche des staatlichen Gemeinwesens integriert.“7 Für die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Geschlechterbeziehungen hat dies nicht unbedeutende politische Auswirkungen. Mit dem Einbezug von Frauen ins Militär unter den Bedingungen der Gleichstellung der Geschlechter geraten tradierte symbolische Anordnungen in der Geschlechtergesellschaft, den Geschlechterhierarchien und die damit verbundenen gesellschaftlichen Subjektpositionen unter Druck. Die Konzeptionalisierung von Männlichkeit, Weiblichkeit und Staat, wie sie sich in der Entwicklung europäischer Nationalstaaten herausgebildet hat, zeigt8, dass an die Einführung der männlichen Wehrpflicht mehr gekoppelt war als die Einrichtung einer Organisation zur nationalen Verteidigung: Die Einführung der Wehrpflicht hatte entscheidende Bedeutung im Arrangement des gesamtgesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses. Auf der Grundlage und im Zuge der Schaffung moderner Massenarmeen erfolgte – und dies ist entscheidend für die weitere Konstruktion von Geschlecht – eine institutionelle Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt. Der institutionelle Charakter dieser Verknüpfung ist – wie Mary Douglas deutlich machte – deshalb entscheidend, weil nur Institutionen sozialen Verhältnissen Dauerhaftigkeit und Status verleihen können. Mit der aktuellen Konstruktion der Soldatin stellt sich somit gesamtgesellschaftlich die Frage, in welchen Positionen Frauen Macht und Einfluss haben und an welchen Entscheidungsprozessen sie teilhaben sollen. Zur Zeit werden diese Auseinandersetzungen auch in Organisationen der UNO und bei NGO´s geführt, die verlangen, dass Frauen verstärkt im »peacekeeping« eingesetzt werden und im Rahmen des »gender mainstreaming« zu gleichen Teilen an militärischen und militärpolitischen Entscheidungen partizipieren sollen.

Die nun auch in der Bundesrepublik vollzogene Öffnung der Streitkräfte für Frauen reiht sich in den internationalen Trend ein, Frauen unter den Bedingungen der Gleichstellung am Militär zu beteiligen. Diese Entwicklungen sind Teil des von Morris Janowitz beschriebenen Prozesses der »Zivilisierung« des Militärs. Demnach erreichen relevante soziale Veränderungen nach und nach alle gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen – so auch die Organisation Militär – und beeinflussen die Orientierungen ihrer Mitglieder und die Organisation.9 Auf der individuellen Ebene spiegeln sich diese in heterogenen Motiven nun auch von Frauen wider, in Streitkräften tätig zu sein, so auch in der Attraktivität eines über den Militärdienst möglichen Zugangs zu qualifizierten Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten. Auf der institutionellen Ebene zeigen sich die Veränderungen im Wandel des rechtlichen und sozialen Status des Militärs. Dieses wird in der Gesellschaft in steigendem Maße auch als öffentlicher Arbeitgeber wahrgenommen. Als solcher muss es die jeweiligen nationalen, sozialen und zunehmend auch arbeitsrechtlichen Gesetze und Bestimmungen beachten. Nach der Gesetzeslage ist eine Unterscheidung nach Geschlechtern bezüglich der dienstrechtlichen Stellung und der Karrierechancen im Status Berufssoldat nicht zulässig. Als Teil der Exekutive und als soziale Institution ist das Militär immer mehr jenen Zugangsprinzipien unterworfen, die auch für andere staatliche Bereiche gelten: der Durchsetzung von Chancengleichheit, lediglich eingeschränkt durch überprüfbare und gesellschaftlich akzeptierte Kriterien wie Eignung und Leistungsfähigkeit und ohne Ansehen des Geschlechts. Schutz vor sexueller Belästigung und Mobbing müssen vom Arbeitgeber organisiert und durchgesetzt werden. Der Bundeswehr ist es auferlegt, die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes für schwangere Frauen und des Mutterschutzes einzuhalten und Initiativen zur Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen zu unterstützen.

Dieser Wandel des Militärs vollzieht sich in einem widersprüchlichen sozialen Geflecht, das sowohl von einer neuen Distanz als auch einer neuen Nähe zur Zivilgesellschaft gekennzeichnet ist: Einerseits sehen sich militärisches Handeln und der Einsatz militärischer Gewalt in zunehmenden Maße schwierigen Anforderungen politischer Legitimation gegenüber. Kritik an militärischen Einsätzen wird unter den Schlagworten »militärischer Interventionismus im Namen der Menschenrechte«, »Selbstmandatierung im Zeichen von Geopolitik« oder »Privatisierung der Gewalt« u.a. geführt. Kritisiert werden die Rolle der Medien und der Berichterstattung in militärischen Konflikten. Die Vorbereitung und die Durchführung militärischer Aktionen ist von einer breiten politischen Kampagne begleitet, die auf die politische Willensbildung der Bevölkerung gerichtet ist. Militärische Einsätze bedürfen der Unterstützung oder zumindest Duldung der Zivilbevölkerung.

Andererseits hat das Militär seine frühere herausgehobene Rolle (tendenziell) verloren. Außerhalb, aber auch innerhalb des Militärs werden militärische Rituale und Zeremonien infrage gestellt. Die Bereitschaft zur Wehrpflicht, zum Reservistendienst oder als Berufssoldat Dienst in den Streitkräften zu tun, hängt nicht unerheblich von der Wahrscheinlichkeit eines militärischen Einsatzes ab.10 Wiederum verdeutlicht die Tatsache, dass Frauen und Homosexuelle in vielen Ländern öffentlich anerkannter Teil des Militärs geworden sind, seine gestiegene Akzeptanz und im Sinne Janowitz’ dessen »Zivilisierung«. Die daraus resultierende veränderte soziale und rechtliche Stellung des Militärs in der Gesellschaft führt in der Tendenz zu einer Entwicklung, in der das Militär eine Organisation wird wie jede andere.11 Damit erscheint auch der Job des Soldaten als ein Job wie jeder andere, der nun auch für Frauen zugänglich geworden ist. Das Militär stellt immer weniger einen Sonderbereich mit Privilegien und Sonderregelungen dar. Vielmehr steht es unter dem politischen Druck, geltende gesellschaftliche Normen der Gleichstellung und des Arbeitsrechtes durchzusetzen.12

Dennoch bleibt die Widersprüchlichkeit bestehen, die für die individuellen Selbstverständnisse der Soldatinnen und für die militärische Institution sowie für das Verhältnis zur Zivilgesellschaft erheblich ist: Zwar ist eine Verrechtlichung und Angleichung des Militärs an andere Berufe zu konstatieren, aber ebenso das Weiterbestehen von Merkmalen, die dafür sprechen, die militärische Tätigkeit doch als eine besondere einzustufen. Vor allem wird das mit dem Soldatenberuf verbundene Verhältnis zum Töten und getötet Werden als wesentlicher Punkt angesehen, der den Unterschied zu anderen, zivilen Tätigkeiten ausmacht.

Neuer Handlungsdruck

Die Öffnung der Bundeswehr für Frauen erzeugt einen nicht zu unterschätzenden Handlungsdruck auf die militärische Organisation, die sozialen Beziehungen zwischen Soldaten und Soldatinnen unter den veränderten Bedingungen zu gestalten. Die kulturellen und politischen Aushandlungsprozesse um die »StaatsbürgerInnen in Uniform« sollten auch Angelegenheit der politischen Öffentlichkeit sein. Zwar gibt sich die militärische Führung der Bundeswehr entschlossen, die Integration von Frauen ohne größere Probleme zu realisieren.13 Dennoch zeigen die Ergebnisse von Befragungen von Soldaten durch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr nicht unerhebliche Vorbehalte gegen die Einbeziehung von Frauen.14 Eine Mehrheit der befragten Soldaten stimmt der Öffnung der Bundeswehr für Frauen zu. Dem steht eine nicht unerhebliche skeptische und ablehnende Minderheit gegenüber. Im Heer sind die Vorbehalte am größten. Sie basieren auf einem überwiegend traditionellen Bild vom Militär und vom Geschlechterverhältnis. Soldaten mit kürzerer Verpflichtungszeit haben stärkere Vorbehalte, die auch mit der gewachsenen Konkurrenz durch die Anwesenheit von Frauen zu erklären sind.

Darüber hinaus lehnen 40 % der Soldaten Frauen in Kampfverwendungen ab. 30 % halten Frauen für die »harten Bedingungen« im Felde als nicht geeignet und befürchten, dass die Bundeswehr mit der Öffnung aller militärischen Bereiche für Frauen ihren militärischen Auftrag nicht erfüllen kann. 22,8 % der Soldaten halten Frauen als militärische Vorgesetzte für ungeeignet. Ein nicht unbedeutender Teil (63,5%) erwartet durch die Anwesenheit von Soldatinnen mehr Probleme im Dienstalltag, vor allem würden „die mit Sexualität verbundenen Probleme zunehmen“ (83,6%). Immerhin fällt 55,8 % der befragten Soldaten die Vorstellung nicht leicht, von einer Soldatin mit der Waffe in der Hand verteidigt zu werden.

Die Ausgestaltung der sozialen Beziehungen in der Bundeswehr verlangt nicht nur die Überwindung jener Vorurteile, die sich auch in anderen Ländern als nachhaltige Integrationshemmnisse erwiesen haben.15 Darüber hinaus ist eine in der Bundesrepublik noch völlig unterbelichtete politische und wissenschaftliche Diskussion erforderlich, um das in der Politik der gegenwärtigen Bundesregierung hoch bewertete neue militärische Aufgabenfeld des Peacekeeping auszufüllen. Für die Implementierung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Verhältnisse in Konfliktgebieten ist es unerlässlich, die allgemeine, den militärischen Einsatz legitimierende Rhetorik über die »unterdrückte Frau« um eine Perspektive zu erweitern, die die Kategorie Gender als analytische Kategorie ernst nimmt. Gesellschaftliche Konfliktstrukturen erweisen sich als hochgradig verschränkt mit den Konstruktionen von Gender und Identität.16 Das betrifft nicht nur die Konfliktentstehung und den Austrag von Konflikten, sondern auch deren Bearbeitung durch die verschiedenen AkteurInnen. SoldatInnen repräsentieren im Einsatzland die demokratischen und politischen Vorstellungen des eigenen Landes: Die eigene Geschlechtsidentität und Geschlechterkultur hat für die Tätigkeit im Einsatzland eine brisante Bedeutung erfahren. Wie brisant diese Problematik ist, zeigen Militärprostitution (auch von UNO-Truppen) und die völlig unbefriedigende Berücksichtigung der spezifischen Problem- und Interessenlagen von Frauen in Konfliktzonen.17

Die von der Politik gewollten Demokratisierungsprozesse in Einsatzgebieten erfordern Streitkräfte mit umfassenden sozialen Qualitäten der SoldatInnen, die die Menschenrechte in allen Belangen beachten. Die Implementierung von Gleichstellungsregimen in Einsatzgebieten ist eine wichtige neue Aufgabe. Organisationen wie das Europäische Parlament und die UNO fordern in diesem Zusammenhang eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Friedenstruppen auf mindestens 40% und eine militärische Ausbildung, in der Genderfragen einen zentralen Platz bekommen. Dass all diese weit reichenden und umfangreichen Aufgabenstellungen nur mit grundsätzlichen Veränderungen des Militärs selbst zu bewerkstelligen sind, ist wohl kaum anzuzweifeln.

Anmerkungen

1) In vielen NATO-Ländern sind Frauen dort seit mehreren Jahren vertreten. Länder, in denen – wie in Deutschland und Italien – noch gesetzliche Beschränkungen des Zugangs von Frauen zum Militär bestanden, haben diese aufgehoben. Die Spanne ihres jeweiligen Anteils reicht zur Zeit von weniger als 1% in Polen oder Österreich bis zu fast 15 % in Russland und in den USA. Frauen dienen als Freiwillige sowohl in Wehrpflichtarmeen als auch in Freiwilligen- und Berufsarmeen. Sie erreichten die Öffnung verschiedener Dienstzweige, Verwendungsbereiche und Truppengattungen. Sie sind in Kampfunterstützungseinheiten und zum Teil auch in den männlich-maskulin konnotierten Kampfeinheiten tätig. In militärischen Hierarchien sind Frauen noch deutlich unterrepräsentiert, haben zum Teil jedoch bereits relativ hohe Ränge inne.

2) Ausführlicher dazu Christine Eifler: Bewaffnet und geschminkt – Zur sozialen und kulturellen Konstruktion des weiblichen Soldaten in Russland und in den USA, in: L’Homme, Heft 1, 2001, S.73-97.

3) 1995/96 waren 161.000 zivile Mitarbeiter beschäftigt, davon nahezu 52.600 Frauen, das sind 32%. Mehr als die Hälfte dieser Frauen arbeitet in der Wehrverwaltung des Bundes, die übrigen arbeiten in den Streitkräften. Dabei werden von den Frauen Tätigkeiten ausgeführt, die in anderen Armeen von Frauen in Uniform wahrgenommen werden. Vgl. Anker, Ingrid/Welcker, Ingrid (1999): Trendwende für die Bundeswehr? Der Beruf Soldat für Frauen, Bielefeld, S.19.

4) ebenda

5) So wurde die Klage einer Soldatin des Sanitätsdienstes auf Laufbahnwechsel vor dem Bundesverwaltungsgericht abgelehnt. Die Klägerin wollte die Übernahme als Militärkraftfahrlehrerin. Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordere es nicht, Verwendungen für Soldatinnen in anderen soldatischen Laufbahnen zu schaffen, auch wenn der Dienst mit der Waffe nicht erforderlich sei. Vgl. Beschluss des BVerwG Berlin, AZ i.-WB-89-95.

6) Zu den Staaten mit den größten Einsatzerfahrungen von Frauen zählen die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Kanada und Frankreich. In ihren Streitkräften existieren Restriktionen im Zugang zu Kampfeinheiten. Norwegen, Spanien, Belgien, Österreich, Schweden und Ungarn haben die Öffnung vollständig vollzogen, Frauen können in allen Waffengattungen dienen. Nur Luxemburg schließt Frauen vollständig vom Militärdienst aus. Vgl. Military Balance 1999-2000, hg. International Institute for Strategic Studies, Oxford 1999. Nato, Nationale Botschaften, vgl. auch Constanze Stelzenmüller, Bürgerin in Uniform, in: ZEITPunkte, Wohin marschiert die Bundeswehr? Fakten Meinungen und Dokumente zur wichtigsten politischen Debatte des Jahres 2000, Heft 4/2000, 34-37, hier 35.

7) Sibylle Raasch: Krieg auch mit den Waffen einer Frau?, in: Kritische Justiz, 33, 2 (2000), 248-261, hier 255.

8) Vgl. u.a. Ute Frevert: Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Thomas Kühne (Hrsg.): Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a. M./New York 1996, 69-87; dies.: Das jakobinische Modell – Allgemeine Wehrpflicht und Nationsbildung in Preußen – Deutschland, in: dies.(Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, 17-47; Ruth Seifert: Gender, Nation und Militär – Aspekte von Männlichkeitskonstruktion und Gewaltsozialisation durch Militär und Wehrpflicht, in: Eckardt Opitz u. Frank S. Rödiger (Hrsg.): Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte, Probleme, Perspektiven, Bremen 1995, 199-214.

9) Morris Janowitz, The Professional Soldier. A Social and Political Portrait, New York 1991, besonders 46 ff.

10) So haben angesichts der Ereignisse vom 11. September Reservisten der Bundeswehr ihre Verweigerung für den Reservistendienst erklärt. FAZ vom 27.10.2001

11) Vgl. Charles C. Moskos und Frank R.Wood (Hrsg.): The Military More than Just a Job?, Washington 1988.

12) In Russland existieren trotz sehr unsicherer sozialer und rechtlicher Verhältnisse für Frauen im Militär verfassungsmäßig garantierte Rechte, die in anderen Teilen der Gesellschaft noch nicht gewährleistet werden.

13) Dabei stützt sie sich auf die Analyse der Erfahrungen mit Frauen im Militär vor allem in den USA und in Österreich, aber auch des Einsatzes von Frauen bei der Polizei und dem BGS in der Bundesrepublik sowie der eigenen bisherigen Ergebnisse mit den Frauen im Sanitätsdienst.

14) Es handelt sich um repräsentative Befragungen von 3.260 Soldaten mittels eines Fragebogens, von denen 2.648 antworteten. Zu den Ergebnissen vgl. Kümmel, G./Biehl, H.: Warum nicht? – Die ambivalente Sicht männlicher Soldaten auf die weitere Öffnung der Bundeswehr, Strausberg 2001.

15) Vgl. hierzu z.B. Francine D’Amico/Laurie Weinstein (eds.): Gender Camouflage. Women and the U.S. Military, New York (N.Y. Univ. Press) 1999; Edna Levy: Women Warriors – The Paradox and Politics of Israeli Women in Uniform, in: Sita Ranchod-Nilsson/Mary Ann Tetreault (eds.): Women, States and Nationalism. At Home in the Nation?, London (Routledge) 2000; Ruth Seifert: Militär und Geschlechterverhältnis – Ein Überblick über aktuelle Problemlagen in der Bundesrepublik Deutschland, Israel und den USA, in: Beiträge zu Lehre und Forschung 5/1998, Fb Sozialwissenschaften der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg.

16) Ruth Seifert: Genderdynamiken bei der Entstehung, dem Austrag und der Bearbeitung von kriegerischen Konflikten. In: Peripherie, Zeitschrift für Politik und Ökonomie der Dritten Welt, erscheint Frühjahr 2002

17) Vgl, EU-Bericht über die Beteiligung von Frauen an der friedlichen Beilegung von Konflikten (2000/2025 (INI)), Ausschuss für die Rechte der Frauen und Chancengleichhheit, Berichterstatterin Maj Britt Theorin

Christine Eifler ist Privatdozentin an der Universität Bremen und arbeitet gegenwärtig an einem DFG-Projekt zur Einbeziehung von Frauen in die Streitkräfte der USA, der Bundesrepublik und in Russland.

„Schöne Flüchtlingsmädchen und Vergewaltigungslager“

„Schöne Flüchtlingsmädchen und Vergewaltigungslager“

Wie Medien Geschlechterstereotype zur Kriegslegitimation nutzen

von Susanne Kassel

Es ist wieder Krieg. Die USA führen nach den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September einen Krieg, der in den Medien als „Krieg gegen den Terror“, „Krieg gegen Afghanistan“ oder „Krieg gegen die Taliban“ bezeichnet wird. Dem Gebrauch von Sprache (und Bildern) sollte vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil Medien dann ein gesteigertes Bedürfnis nach Information und Orientierung befriedigen:1 Nachrichten- und Sondersendungen sowie Hintergrundberichte zum aktuellen politischen Geschehen »machen Quote«. So verbuchten z.B. die Nachrichtensender ntv und Phoenix nach dem 11. September Zuschauerrekorde. Auch wenn die derzeitige Praxis der Medienberichterstattung mehrfach Gegenstand kritischer Reflexion gewesen ist und NachrichtensprecherInnen nicht müde werden zu betonen, dass ihnen nur eingeschränkt Material zur Verfügung stehe, sind einige Aspekte bisher kaum beachtet worden. Dazu gehören die Festschreibung von Geschlechterrollen in Kriegen und die Funktion, die sie in diesem Kontext erfüllen.
Während in Friedenszeiten eine relative Heterogenität in der Darstellung von Männern und Frauen zu beobachten ist, reduziert sie sich in Konflikten auf althergebrachte Geschlechterstereotype: Männer werden zu Soldaten, zu Politikern, zu »Tätern«, Frauen zu Flüchtlingen, zu Soldatenmüttern, zu »Opfern«. Während Männer vornehmlich als aktiv Handelnde präsentiert werden, werden Frauen zu Objekten des Kriegsdiskurses, für deren Befreiung Kriege geführt werden – aber ohne ihre Beteiligung.

Entdifferenzierung der Geschlechterbilder

Dieses »Verschwinden« der Frauen aus dem Kriegsdiskurs kann dazu führen, Krieg mit »Männlichkeit« zu assoziieren: Auf dem Titel der ersten Ausgabe der Emma nach dem Anschlag auf das World Trade Center war eine verschleierte Frau mit einer Dornenkrone zu sehen, im Vordergrund George Bush, Osama Bin Laden und Joschka Fischer. Die Textzeile lautete: „Terror – Männer, Männer, Männer.“2 Eine solche Sichtweise verstellt jedoch den Blick auf die aktive Rolle, die Frauen – auch als Täterinnen – in Kriegen spielen und schließt sie von der Teilnahme am Kriegsdiskurs aus. Indem Frauen die Position des Friedens – der »weinenden Soldatenmütter« – zugewiesen wird, werden sie de facto zur Machtlosigkeit verdammt.3 Sie werden aus einem Diskurs verbannt, den sie – durchaus mit pazifistischen Absichten – mitprägen könnten. So hat z.B. Madeleine Bunting in einer Analyse der jeweils ersten fünf Seiten der großen britischen Tageszeitungen festgestellt, dass die Zahl der von Frauen veröffentlichten Artikel nach dem 11. September drastisch gesunken ist.4

Aus der Perspektive der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung ist Gender – die soziale Konstruktion der Geschlechtszugehörigkeit – eine der zentralen (oder die zentrale) Kategorien der Darstellung und Wahrnehmung von Kriegen.

Der Beschreibung der Reduzierung der weiblichen Rolle auf die des Opfers wird dabei häufig entgegen gehalten, eine solche Position ignoriere, dass Frauen in den meisten Fällen tatsächlich die von Flucht und Misshandlung hauptsächlich Betroffenen seien. In der Tat ist der Zusammenhang zwischen Rollenzuschreibung und realer Betroffenheit ebenso problematisch wie uneindeutig. Negiert nicht die Rede von einem »Vergewaltigungsmythos«5 und von der Instrumentalisierung der Vergewaltigung zur Kriegslegitimation das Leid vergewaltigter Frauen?

Der Verweis auf die konkrete Situation von Frauen im Kriegsgebiet ist berechtigt, erfasst aber nicht die strukturellen Probleme der Rollenzuweisung an Frauen und der Handlungsspielräume, die ihnen dadurch zugewiesen werden. Das wird deutlich, wenn sich die Untersuchung statt auf die Ebene der »Opfer« auf die Ebene der »Täterinnen« konzentriert. Anhand dieses überwiegend männlich besetzen Umfeldes zeigt sich, dass die Geschlechterrollen nicht auf der Ebene des realen Geschehens anzusiedeln sind, sondern der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit im gesellschaftlichen Diskurs folgen.

Grundsätzlich erhöht sich in Kriegszeiten der Rückhalt für die politische Führung eines Landes. Kanzler Schröder und Außenminister Fischer konnten durch ihr Engagement im Kosovokrieg die eigene Beliebtheit deutlich steigern. Vergleichbares wurde den aktiv beteiligten Frauen nicht zuteil: Mira Markovic, die Ehefrau des jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic, wurde als »Hexe von Belgrad« diffamiert.6 Sicherlich korrespondiert diese negative Präsentation mit der Darstellung ihres Mannes als »Diktator« oder »Serbenzar«. Auffälliger aber wird die Differenz in der Präsentation von Politikern und Politikerinnen, wenn man den Blick auf die NATO richtet: während Clinton, Schröder und Fischer gerne als rational und umsichtig handelnde »elder statesmen« beschrieben wurden, setzte sich für die US-Außenministerin Albright der Spitzname »Mad Madeleine« durch.7Den auf diese Weise medial abgewerteten, handelnden Frauen steht die große Zahl der zumeist anonymen Opfer gegenüber. Auch wenn unter den Flüchtlingen viele Männer zu finden sind, wird ihr Leid in den Medien in der Regel anhand von Frauen dargestellt. So widmete z.B. der Spiegel den Kosovo-Flüchtlingen eine Titelgeschichte.8 Das Titelbild zeigte eine junge Frau mit halb entblößter Brust, an der ein Säugling lag.

Mit ihrer madonnenhaften Inszenierung korrespondierten auch die übrigen Bilder: Hier wurde der Blick der LeserInnen ebenfalls auf Frauen gelenkt. Keines der Bilder fokussierte einen Mann, obwohl gelegentlich und bei genauerem Hinsehen im Hintergrund Männer zu erkennen waren. Dasselbe gilt für die Berichterstattung in den folgenden Ausgaben. Flüchtende Männer erscheinen nur als Teil einer großen Masse, die Ikonisierung des Leids ist den Frauen vorbehalten.

Die Dichotomisierung von Frauen- und Männerrolle findet sich beispielhaft in der Zeit vom 15. April 1999: Die Titelseite zeigt Großaufnahmen der Köpfe führender Politiker, in der Mitte das Bild einer albanischen Mutter mit Kind. Die Textzeile lautet: „Gesichter des Krieges: Bill Clinton, Boris Jelzin, Flüchtlinge, Slobodan Milosevic, Gerhard Schröder.“9

Durch die Bildmontage wird suggeriert, was andernorts vielfach diskutiert wurde: Es sei die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, Flucht und Vertreibung von Frauen und Kindern aus dem Kosovo zu stoppen, das Mittel dafür sei Krieg.

Menschenrechte – und insbesondere Frauenrechte – dienen auch in Afghanistan als Mittel um die Bombardierungen zu rechtfertigen, obwohl sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang zum propagierten »Krieg gegen den Terror« stehen. Den diskursiv erzeugten Geschlechterbildern kommt jedoch bei der Kriegslegitimation eine wichtige Funktion zu.

Instrumentalisierung von Geschlechterbildern

Das Führen eines Krieges setzt außerdem eine Entdifferenzierung der Positionen der KriegsakteurInnen voraus. Insbesondere in demokratischen Ländern muss ein gesellschaftlicher Konsens geschaffen werden, der einen Kriegseinsatz legitimiert. Medien können dabei helfen, indem sie die Möglichkeiten des Sprechens über den Krieg im Interesse der gesellschaftlichen Eliten regulieren und begrenzen. Komplexitätsreduktion der Sachlage, Feindbildkonstruktion und der gezielte Einsatz von »starken Bildern« (z.B. Vergleich mit Hitler) zählen zu den Mitteln, mit denen sie zur Legitimierung von Kriegen beitragen können.10 Mit Hilfe von Sprache und Bildern werden Positionen des »Eigenen« und des »Fremden« erschaffen, wobei Einheit durch die Betonung der Differenz zum »Anderen«, zum Ausgegrenzten hergestellt wird.

Eine wissenschaftliche Methode, die für die Analyse solcher Fremdbildkonstruktionen besonders geeignet ist, ist die Diskursanalyse.11 Diskursanalysen fragen nach dem Ort, an dem Aussagen getroffen werden und nach den Bedingungen ihres Zustandekommens. Sie wollen die gegenseitige Beeinflussung von Sprache und sozialer Struktur sichtbar machen. Die Diskursanalyse der Berichterstattung über Kriege wäre z.B. an der medialen Bedeutungsproduktion interessiert, d.h. sie kann einen Interpretationsraum skizzieren, innerhalb dessen ein Krieg medial verhandelt wird.Wir haben an der Universität Göttingen die Spiegel-Berichterstattung über den Kosovokrieg einer solchen Analyse unterzogen.12 Anhand mehrerer Titelgesichten untersuchten wir exemplarisch, ob, und wenn ja wie, ein kriegsbefürwortender Konsens gebildet wurde, die Definition einer einheitlichen Identität durch Abgrenzung vom Gegner erfolgte und an welches historische und kulturelle »Vorwissen« dabei angeknüpft wurde. Dabei kamen wir zu dem Ergebnis, dass die Charakterisierung der am Krieg beteiligten Parteien entlang von Dualismen erfolgte: Dem Westen als Ort der Aufklärung und rationalen Vernunft stand ein der Voraufklärung verhafteter Balkan gegenüber. Eine mögliche Identifikation mit dem Gegner oder auch nur Verständnis für sein Handeln konnte auf diese Weise ausgeschlossen werden, die Komplexität der Situation wurde auf zwei einander monolithisch gegenüberstehende Positionen reduziert. Unsere These vom »Meinungskorridor«, der auf diese Weise in Kriegszeiten etabliert und begrenzt wird, ließ sich auch durch Ergebnisse aus anderen Untersuchungen stützen: Christiane Eilders und Albrecht Lüter fanden mittels Inhaltsanalyse heraus, dass die grundsätzliche Legitimität des Kosovokrieges in den Medien nicht angezweifelt wurde und dass dieser im Wesentlichen als berechtigte Antwort auf serbische Menschenrechtsverletzungen verstanden wurde.13

Ähnliches lässt sich auch jetzt beobachten: Unabhängig von den vielen Verweisen auf die große Mehrheit von MuslimInnen überall auf der Welt, die terroristische Handlungen grundsätzlich verurteilen, und unabhängig von der immer wieder beschworenen Formel, keinen Krieg gegen das afghanische Volk zu führen, erfolgt in den Medien über die Konstruktion von Feindbildern und Stereotypen in Bezug auf die islamische(n) Gesellschaft(en) eine klare Parteinahme für das Vorgehen der USA.

In diesem Zusammenhang erfüllt die Darstellung von Frauen in der islamischen Welt eine wichtige Funktion. Sie dient als Baustein der Konstruktion einer unzivilisierten Gesellschaft, gegen die es freiheitliche und demokratische Werte zu verteidigen gilt.14 Ein solches Vorgehen zeigte sich auch im Kontext der Berichterstattung über den Kosovokrieg:

  • In beiden Fällen wurden bzw. werden Frauen primär als Opfer präsentiert. Die Missachtung der Rechte von Frauen und Gewalt gegen Frauen sind Bestandteile der stereotypen Darstellung der feindlichen Parteien in beiden Kriegen.15
  • Die Präsentation von Frauen als Opfer eines Krieges kann dabei helfen, ein »Feindbild« zu konstruieren und einen Krieg zu rechtfertigen. Die Misshandlung von Frauen passt in das Bild der voraufklärerischen, unzivilisierten Gesellschaft, als die das jeweilige Feindesland beschrieben wird.16 Der Verweis auf Vergewaltigung und Vertreibung erzeugt einen starken Handlungszwang. Ähnlich wie bei dem Vergleich von Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic mit Hitler wird ein moralischer Impetus geschaffen, der eine kriegsverneinende Position nahezu unmöglich macht: Wer diesen Krieg nicht führen will, macht sich der Missachtung der Menschenrechte und der Duldung des Nazismus schuldig. Oder: Wer diesen Krieg nicht führen will, befürwortet die Entrechtung der Frauen in Afghanistan.

Im Bosnienkrieg war von Frauen vor allem im Zusammenhang mit »ethnischen Säuberungen« und systematischen Vergewaltigungen die Rede. Im Rückgriff auf das damals etablierte Bild wurde im Kosovokrieg von »Vergewaltigungslagern« gesprochen. Zusammen mit dem umstrittenen »Hufeisenplan« serbischer Vertreibungen und mit angeblich errichteten »Konzentrationslagern« dienten sie als Rechtfertigung der »humanitären Intervention«.

Ein ähnliches Vorgehen lässt sich im Krieg gegen Afghanistan beobachten: „Die schönen Töchter Afghanistans – Taliban-Krieger vergewaltigen Flüchtlingsmädchen“ lautete die Überschrift eines Artikels in der Bild am 27. September, der auch im Internet veröffentlicht wurde.17 Ein Link führte zu den »Hintergründen«: „So rechtlos sind die Frauen in Afghanistan“. Vergewaltigung ist ebenfalls Thema in einem Spiegel-Artikel über oppositionelle Frauen in Flüchtlingslagern vom 15. Oktober – dort werden als Täter die oppositionellen Mudschahidin ausgemacht. Eine Afghanin wird mit den Worten zitiert: „Bei den Taliban mussten wir die Burka aus religiösen Gründen anlegen, sonst wären wir eingesperrt oder gesteinigt worden, bei den Mudschahidin mussten hübsche Frauen die Burka als Selbstschutz tragen, weil man sie sonst vergewaltigt hätte. Wo ist da der Unterschied?“18

Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das die »Anderen« begehen: Im Krieg der »zivilisierten Welt« gegen den »islamischen Fundamentalismus« ist die Thematik der Vergewaltigung Ausdruck der Barbarei des Feindes. Indem sie auf den Feind projiziert wird, kann sie aus dem Selbstbild verbannt werden. Während »Sie kommen und schänden unsere Frauen« zu den gängigsten Erzählungen der Kriegsmythologie gehört, wird die Vergewaltigung von amerikanischen Soldatinnen durch ihre Kollegen weit gehend tabuisiert, ebenso wie sexuelle Übergriffe von UN-Soldaten in Ex-Jugoslawien. Auch das Aufblühen der Prostitution in Regionen mit ständiger Militärpräsenz (der UNO, der USA oder anderer) wird häufig ignoriert.19

Entschleiert, also frei?

Im Kontext der Vorbereitungen zu einem Krieg kann die Misshandlung und Entrechtung von Frauen als Legitimationsgrund missbraucht werden. Die Situation von Frauen wird von den Medien meistens vernachlässigt, doch es wird besonders häufig dann darüber berichtet, wenn ein Land als Gegner identifiziert wird: Die Lebensbedingungen afghanischer Frauen haben sich in den letzten Jahren nicht verändert, zu einem wichtigen Thema der Medienagenda sind sie jedoch erst nach den Terroranschlägen geworden: „Am ärgsten traf es die Frauen – manche von ihnen wehren sich nun“, schreibt der Spiegel im Oktober 200120 und ignoriert dabei den Umstand, dass die in den 70er Jahren gegründete afghanische Frauenrechtsorganisation RAWA seit dem Abzug der sowjetischen Armee immer wieder auf die Unterdrückung der Frauen durch die aus den Mudschahidin hervorgegangenen Taliban und Parteien der Nordallianz hingewiesen hat. 1995 war die Missachtung der Menschenrechte in Afghanistan ein Thema auf der Weltfrauenkonferenz in Peking – Gehör fanden sie damals nicht. Mittlerweile wird in allen Medien über die »Rebellinnen des Herzens«21 von RAWA berichtet.

Kann einer solchen Vereinahmung feministischer Anliegen überhaupt entgangen werden? Die in Großbritannien aufgewachsene Afghanin Saira Shah kehrte Anfang des Jahres 2001 – also vor den Terroranschlägen – in ihr Geburtsland zurück, um unter Lebensgefahr einen Film über die weit reichende Verletzung von Frauen- und Menschenrechten zu drehen. Die hochgelobte Dokumentation »Beneath the Veil« wurde im Sommer 2001 in Großbritannien und in den USA ausgestrahlt, fand aber keine größere Beachtung. Nach dem 11. September wurde sie von CNN in regelmäßigen Abständen wiederholt.

Zu den Bildern der verschleierten Frauen haben sich mittlerweile die Bilder der entschleierten Frauen gesellt. Nachdem die Verschleierung in den westlichen Medien als Zeichen der Unterdrückung und Aufforderung zur Befreiung etabliert worden war, mag der Druck groß gewesen sein, nach dem Einmarsch in Kabul das Bild einer Frau zu präsentieren, die ihr Gesicht zeigt: „Machte der Burkazwang für die Taliban ihre Herrschaft und Kontrolle über die Frauen sichtbar, sind mit derselben Logik die freigelegten Gesichter der Frauen dem Westen Beweis genug für ihre Befreiung.“22

Wie »befreit« die Frauen in Afghanistan tatsächlich sind und in naher Zukunft sein werden, ist derzeit nur schwer absehbar. Ob sich ihre Situation unter der neuen Regierung verbessert, ist fraglich – und ebenso, ob sie dann auch weiterhin Gegenstand der Berichterstattung sein werden.

Anmerkungen

1) Vgl. Löffelholz, Martin: Krisenkommunikation – Probleme, Konzepte, Perspektiven. In: Löffelholz, Martin (Hg.): Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1993. S. 11-32. Vgl. Grimm, Jürgen: Informationsleistungen von Medien in Krisenzeiten. Anomalien des Zuschauerverhaltens während des Golfkriegs. In: Ludes, Peter (Hg.): Informationskontexte für Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996. S. 227-263.

2) Emma, Nr. 6, Nov/Dez 2001

3) Der »Soldatenmütter«-Diskurs scheint gesellschaftlich legitimierter zu sein als andere pazifistische Positionen (vgl. auch: Sander, Helke: Mr. Baroody und die Mütter. In: Emma, Juli/August 1999, S. 42-43). So wurde z.B. die grüne Politikerin Claudia Roth von Kanzler Schröder als »Heulsuse« diffamiert, weil sie angeregt hatte, die Bombardierung Afghanistans auszusetzen, um den Hilfsorganisationen den Zugang zum Kriegsgebiet zu ermöglichen.

4) Bunting, Madeleine: Women and War. In: The Guardian, 20. September 2001 (auch: www.guardian.co.uk/Archive/Article/0,4273,4260841,00.html).

5) vgl. Mikich, Sonja et al.: Sich selbst ein Bild machen – Reporter-Erfahrungen am Kriegsschauplatz. In: Hall, Peter Christian (Hg.): Krieg mit Bildern – Wie Fernsehen Wirklichkeit konstruiert (Band 33 der Mainzer Tage der Fernsehkritik). Mainz: ZDF, 2001. S. 122.

6) Bild, 26. März 1999.

7) Vgl. auch die »Eiserne Lady« Margret Thatcher.

8) Wohin führt dieser Krieg? Der Spiegel, Nr. 14/1999.

9) Die Zeit, Nr. 16/1999.

10) Vgl. Schulte-Holtey, Ernst: Das Ereignis des Krieges. Orientierungsversuche im Frühjahr 1999. In: Grewenig, Adi/Jäger, Siegfried/Jäger, Margret (Hg.): Medien in Konflikten. Holocaust – Krieg – Ausgrenzung. Duisburg: DISS, 2000. S. 133-148.

11) Wodak, Ruth: Zwei Ansätze der kritischen Diskursanalyse. In: Titscher, Stefan et al. (Hg.): Methoden der Textanalyse. Leitfaden und Überblick. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1998. S. 178-203; vgl. auch Smith, Philip: The semiotic foundations of media narratives: Saddam and Naser in the American mass media. In: Journal of Narrative and Life Theory, 4 (1&2), 1994. S. 89-118.

12) Elisabeth Klaus/Susanne Kassel/Kerstin Goldbeck: Fremd- und Selbstbilder in der Berichterstattung der deutschen Medien während des Kosovokrieges – am Beispiel des Spiegel (Veröffentlichung des Artikels in Vorbereitung).

13) Eilders, Christiane/Lüter, Albrecht: Germany at War. Competing Framing Strategies in German Public Discourse. In: European Journal of Communication: The Media and the Kosovo Conflict (Special Issue), Vol 15, Nr. 3, September 2000. S. 415-428.

14) Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass die folgenden Ausführungen lediglich Hypothesen darstellen, die in Bezug auf die Ausgewogenheit der Berichterstattung bisher nicht überprüft worden sind.

15) Im Umkehrschluss präsentierten Kriegsparteien Frauen als Soldatinnen in den eigenen Reihen, wenn sie sich selbst als besonders aufgeklärt und liberal darstellen wollten. So erreichten die Soldatinnen der US-Armee während des zweiten Golfkriegs einige Aufmerksamkeit (und wurden später Gegenstand eines Hollywoodfilms). Der Journalist Malte Olschewski berichtet von einem Frauen-Batallion der bosnisch-muslimischen Armee, das westlichen Kamerateams bevorzugt vorgeführt wurde, um die Fortschrittlichkeit des bosnischen Islam zu belegen, tatsächlich aber nie zum Einsatz kam (Olschewski, Malte: Von den Karawanken bis zum Kosovo. Die geheime Geschichte der Kriege in Jugoslawien. Wien: Braumüller, 2000. S. 136 und 255).

16) Eine Analyse des Feindbilds »Islam« findet sich z.B. bei Link, Jürgen: „Der irre Saddam setzt seinen Krummdolch an meine Gurgel!“ Fanatiker, Fundamentalisten, Irre und Trafikanten – das neue Feindbild Süd. In: Jäger, Siegfried: Text- und Diskursanalyse. Eine Anleitung zur Analyse politischer Texte. Duisburg: DISS, 1993. S. 73-92.

17) www.bild.de (Download am 27.09.01)

18) Carolin Emcke: Zuviel Leid für eine Seele. In: Der Spiegel 42/2001, S. 178-180.

19) Vgl. Böhm, Andrea: Freier für den Frieden. In: Die Zeit 3/2000 (www.zeit.de/2000/3/200003_sfor.html); Bressnell, Ariane/ Schwab, Waltraud: Keine Komplizinnen. In: die tageszeitung Nr. 6634, 24.12.01, S. VI-VII.

20) Claudia Emcke: Zuviel Leid für eine Seele. In: Der Spiegel 42/2001, S. 178.

21) Bernard, Cheryl/ Schlaffer, Edith: Rebellinnen des Herzens. In: Welt am Sonntag, 25.11.01.

22) Connie Uschtrin: Minis über Kabul. In: Konkret 1/2002, S. 17.

Susanne Kassel, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft der Universität Göttingen, promoviert über das Zusammenspiel von Medien und Militär in Kriegszeiten

Die Phantomtürme

Die Phantomtürme

Feministische Gedanken zum Kampf zwischen globalem Kapitalismus und fundamentalistischem Terrorismus

von Rosalind P. Petchesky

Nach den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon hat die US-Regierung den »Krieg gegen den Terrorismus« ausgerufen. Das Taliban-Regime in Afghanistan wurde wegbombardiert und mit ihm einige Tausend Zivilisten. Bush spricht von einem zu erwartenden jahrelangen Krieg gegen den Terrorismus und bezeichnet in diesem Zusammenhang Irak, Iran und Nordkorea als Achse des Bösen. Die Polemik gegen das Regime Saddam Husseins wird seitdem verschärft, ein nächster Krieg – unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung – scheint möglich. Die US-amerikanische Professorin Rosalind P. Petschesky setzt sich auseinander mit der Situation in den USA nach den Terroranschlägen, vergleicht die US-Machtpolitik mit den Ansprüchen der terroristischen Fundamentalisten und entwickelt Vorschläge für eine andere Politik.
Der Anschlag auf das World Trade Center hat verschiedene Schäden angerichtet, nicht zuletzt eine große ethische und politische Verwirrung bei vielen Amerikanern, die sich irgendwie als »progressiv« bezeichnen – mit anderen Worten anti-rassistisch, feministisch, demokratisch, gegen den Krieg. Während wir eine Verantwortung gegenüber den Toten, ihren Angehörigen und gegenüber uns selbst haben zu trauern, ist es gleichwohl wichtig jetzt anzufangen, darüber nachzudenken, in was für einer Welt wir heute leben, und was diese Welt von uns verlangt.

Daher möchte ich versuchen, ein Bild oder eine Art Karte der globalen Machtdynamik wie ich sie heute sehe zu zeichnen. Ich werde auch die geschlechtspolitische und die Rassismus-Dimension mit einbeziehen. Ich möchte fragen, ob es eine Alternative gibt, einen menschlicheren, friedlicheren Weg, der uns wegführt von den zwei nicht akzeptablen Extremen, die sich bis jetzt präsentieren: der permanenten Kriegsmaschine (oder dem permanenten Sicherheitsstaat) und der Herrschaft des heiligen Terrors.

Eins möchte ich ganz klarstellen: Wenn ich die Frage stelle, ob wir heute vor einer Konfrontation zwischen globalem Kapitalismus und einer islamisch-fundamentalistischen Variante von Faschismus stehen, will ich nicht implizieren, dass diese beiden gleichwertig sind. Wenn die Anschläge vom 11. September tatsächlich das Werk von Bin Ladens Al Qaida-Netzwerk oder etwas Verwandtem und noch Größerem gewesen sind – und ich denke, das können wir im Moment als echte Möglichkeit annehmen –, dann sind die meisten von uns hier im Raum so strukturiert, dass wir wenig Zweifel an unserer Identität haben. (Ich kann mir vorstellen, dass das moralische Dilemma viel schwieriger ist für die Moslem-Amerikaner und arabischen Amerikaner unter uns.)

Ich lasse mich auch nicht dazu verleiten, unser jetziges Dilemma vereinfacht als kosmischen Kampf zwischen Gut und Böse zu sehen. Gegenwärtig wird dies in zwei gegensätzlichen, aber sich widerspiegelnden Versionen dargestellt. Es gibt die Version, die nicht nur von Terroristen und ihren Sympathisanten, sondern auch von vielen Linken in den USA und der Welt verbreitet wird, wonach US-Kulturimperialismus und wirtschaftliche Dominanz dafür verantwortlich sind, dass wir jetzt die wohlverdiente Strafe kassieren. Auf der anderen Seite gibt es die patriotische, rechte Version, wonach US-Demokratie und Freiheit die unschuldige Zielscheibe islamischen Wahnsinns sind. Beide Versionen ignorieren all die komplexen Faktoren, die wir in eine andere, stärker ethisch und politisch orientierte Vision integrieren müssen. Die apokalyptische Rhetorik, die zwischen Bush und Bin Laden nach den Anschlägen hin und her ging – die pseudo-islamische und die pseudo-christliche, der Djihad und der Kreuzzug –, beide Versionen lügen.

Während ich also terroristische Netzwerke und globalen Kapitalismus nicht als äquivalent oder gleich sehe, sehe ich doch einige auffällige und beunruhigende Parallelen zwischen ihnen. Ich erkenne sechs Bereiche, wo sie sich ähneln.

1. Reichtum – Ich brauche wohl nicht viel zu sagen über die USA als reichstes Land der Welt oder über die Art und Weise, wie die Anhäufung von Reichtum das ultimative Ziel, nicht nur unseres politischen Systems, sondern auch unseres nationalen Charakters ist. Unser Land ist das Zentrum der Großkonzerne, die den globalen Kapitalismus dominieren und die Politik der internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank, WTO) beeinflussen, die seine wichtigsten regulierenden Instanzen darstellen. Diese Wirklichkeit spiegelt sich überall in der Welt wider durch die symbolische Bedeutung von allem, was mit den USA assoziiert wird – von den McDonald’s- und Kentucky-Fried-Chicken-Werbebildern der Demonstranten in Genua oder Rawalpindi bis zu den WTC-Türmen selbst. Gewinnsucht, ob individuelle oder unternehmerische, liegt sehr dicht hinter den Werten, die Bush und Rumsfeld meinen, wenn sie sagen, unsere »Freiheiten« und unsere »Lebensweise« stünden unter Beschuss und müssten aggressiv verteidigt werden.

Reichtum ist auch ein Motor hinter dem Al Quaida-Netzwerk, dessen Führungskräfte hauptsächlich Nutznießer der Bildung und Finanzierung der oberen Mittelklasse sind. Bin Laden selbst bezieht viel von seiner Macht und seinem Einfluss aus dem enormen Reichtum seiner Familie und die Zellen der arabisch-afghanischen Kämpfer gegen die sowjetischen Truppen in den 80ern wurden nicht nur von der CIA und der pakistanischen Geheimpolizei, sondern auch aus saudi-arabischen Öleinnahmen finanziert. Noch wichtiger jedoch sind die Werte hinter den terroristischen Organisationen. Wie Bin Laden in seinem berühmten Interview von 1998 deutlich machte, gehören die Verteidigung der »Ehre« und des »Besitzes« von Moslems weltweit dazu sowie „die Bekämpfung der Regierungen, die darauf hinaus sind, unsere Religion anzugreifen und unseren Reichtum zu stehlen (…)“.

2. Imperialistischer Nationalismus – Die erste Reaktion der Bush-Regierung auf die Anschläge zeigte das Verhalten einer Supermacht, die keine Grenzen kennt, die ultimative Forderungen unter dem Deckmantel der »Kooperationssuche« ausspricht. „Jede Nation in jeder Region muss eine Entscheidung treffen“, sagte Bush in seiner Rede an die Nation, die in Wirklichkeit eine Rede an die Welt war. „Entweder Sie sind mit uns oder Sie sind mit den Terroristen.“ „Dies ist ein Kampf der Welt, ein Kampf der Zivilisation.“ Demnach sind die USA der Führer und Sprecher der Zivilisation, während nicht nur die Terroristen, sondern auch diejenigen, die nicht bereit sind mitzukämpfen, zu den Unzivilisierten gehören. Gegenüber den Taliban und allen anderen Regierungen, die „Terroristen Unterschlupf gewähren“, war Bush der Sheriff, der die Viehdiebe konfrontierte: „Übergebt die Terroristen oder ihr werdet das gleiche Schicksal erleiden!“ Und wenige Tage danach lasen wir über „die amerikanische Ankündigung, dass die USA Saudi-Arabien als Stützpunkt für Luftangriffe gegen Afghanistan benutzen würden“.

Offensichtlich geht es bei dieser Offensive um viel mehr als nur um das Finden und Bestrafen von Terroristen. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, wie sie mit dem langjährigen US-amerikanischen Beschluss, eine dominante Position im Golf und die Kontrolle über Öllieferungen zu behalten, zusammenhängt. In der Tradition neo-imperialistischer Machtausübung müssen die USA andere Länder nicht politisch oder militärisch dominieren, um die gewünschten Zugeständnisse zu erreichen. Allein ihr wirtschaftlicher Einfluss zusammen mit der Möglichkeit der militärischen Zerstörung reicht aus.

Obwohl sie nicht die konkrete imperialistische Macht der USA besitzt, hat die Gruppe um Bin Laden ähnliche Bestrebungen. Wenn wir uns fragen: Was suchen die Terroristen?, müssen wir erkennen, dass ihre Weltanschauung eine extreme und bösartige Form von Nationalismus ist. Sie ist eine Art Faschismus, weil sie auf den Terror setzt, um ihre Ziele zu erreichen. So gesehen wollen sie – wie die USA – weit mehr als nur Bestrafung erreichen. Die ganze Geschichte des arabischen und islamischen Nationalismus hatte immer eine länderübergreifende, pan-arabische oder pan-moslemische Form. Die Sprache Bin Ladens macht dies deutlich – er spricht von der »Arabischen Nation«, »der Arabischen Halbinsel« und einer »Brüderschaft«, die von Osteuropa über die Türkei und Albanien bis zum Mittleren Osten, Südasien und Kaschmir reicht. Wenn sie die USA zur Bombardierung Afghanistans und/oder Attacke auf die Taliban provozieren, würde dies sicherlich Pakistan destabilisieren und eventuell in die Hände Taliban ähnlicher Extremisten katapultieren. Diese würden dann über Nuklearwaffen verfügen – ein Riesenschritt in Richtung ihrer verzerrten Version des pan-muslimischen Traumes.

3. Pseudo-Religion – Viele haben schon bemerkt, dass es falsch ist, die Situation als »Kampf der Religionen« oder »Kampf der Kulturen« zu sehen. Statt dessen haben wir hier einen Missbrauch von religiösen Symbolen für politische Zwecke und als Rechtfertigung für anhaltenden Krieg und Gewalt. So ruft Bin Laden zum Djihad oder heiligen Krieg gegen die USA, ihre Bevölkerung und Soldaten, und Bush ruft zum Kreuzzug gegen die Terroristen und alle, die sie verstecken oder unterstützen. Bin Laden behauptet, er sei der „Diener Allahs, der für die Religion von Allah kämpft“ und er verteidige die heiligen islamischen Moscheen, während Bush verkündet, Washington fördere „unendliche Gerechtigkeit“ und erwarte den sicheren Sieg, weil „Gott nicht neutral ist“. Wir müssen aber die Ehrlichkeit dieser religiösen Auseinandersetzung auf beiden Seiten in Frage stellen, ganz gleich wie aufrichtig die Befürworter sind.

4. Militarismus – Sowohl die Bush-Regierung als auch die Bin Laden-Anhänger nutzen die Methoden von Krieg und Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen, doch in unterschiedlicher Weise. US-Militarismus kommt in einer hochtechnisierten Form daher, die durch die bloße Stärke, Größe und technische Perfektion unserer Waffen terrorisieren will. Unsere militärische Technik ist eine riesige und nimmersatte Industrie, deren Hauptantrieb nicht Strategie, sondern Gewinn ist. Sogar George W. Bush, in einer seiner bisher hellsten Äußerungen, bemerkte, wir würden nicht so blöd sein und „einen 2 Milliarden Dollar teuren Marschflugkörper auf ein leeres 10-Dollar-Zelt richten“. US-Militarismus hat nichts mit Vernunft zu tun – nicht mal etwas mit Terroristenbekämpfung –, sondern nur mit Profit.

Der Militarismus der Terroristen ist ganz anderer Art. Er basiert auf der mythischen Figur des Beduinenkriegers oder der Ikhwan-Kämpfer des frühen 20. Jahrhunderts, die es Ibn Saud ermöglichten, seinen dynastischen Staat zu festigen. Was sie auszeichnete waren der Mut und die Härte des Einzelnen im Kampf. Natürlich basiert dieses Bild, wie jede extreme nationalistische Ideologie, auf einer mythischen, goldenen Vergangenheit und es hat wenig damit zu tun, wie echte Terroristen im 21. Jahrhundert rekrutiert, trainiert und ausgezahlt werden. Außerdem basiert terroristischer Lowtech Militarismus wie Hightech Militarismus auf einer Illusion. Der Illusion, dass Millionen Gläubige aufstehen, die Fatwa ausführen und den Ungläubigen besiegen werden. Dies ist deshalb eine Illusion, weil es die mächtigste Waffe des Kapitalismus stark unterschätzt. Diese Waffe besteht nicht aus „endloser Gerechtigkeit“, das sind auch nicht die Atomwaffen, das sind die endlosen Ströme von Nikes und CDs. Außerdem unterschätzt es die lokale Macht des Feminismus, den die Fundamentalisten fälschlicherweise für ein westliches Phänomen halten. Im heutigen Iran, mit all seinen internen Widersprüchen, zeigen sich die Hartnäckigkeit und die globale/lokale Vielfalt sowohl der Jugendkulturen als auch der Frauenbewegungen.

5. Männlichkeit – Militarismus, Nationalismus und Kolonialismus als Machtbereiche sind und waren immer zum großen Teil Kämpfe über die Bedeutung von Männlichkeit. Die feministische Politikwissenschaftlerin Cynthia Enloe bemerkt, „das oftmals schwache Bild der Männer von ihrer eigenen Männlichkeit ist genauso ein Faktor in internationaler Politik wie die Ströme von Öl, Kabeln und militärischem Gerät“. Bei Bin Ladens Unterstützern, den Taliban, wurden die Form und das Ausmaß der Frauenfeindlichkeit, die mit Staatsterrorismus und Fundamentalismus Hand in Hand geht, deutlich demonstriert.

Wir sollten nicht vergessen, dass internationale Terroristen und Bin Laden selbst als Leitbild das Modell der islamischen »Brüderschaft« nehmen – die Bande der Brüder, verbunden in ihrer Entschlossenheit, den Feind bis zum Tode zu bekämpfen. Die von der CIA, Pakistan und Saudi-Arabien finanzierten Schulungslager, die zur Unterstützung der »Rebellen« (die später zu »Terroristen« wurden) im Krieg gegen die Sowjets aufgebaut wurden, waren Brutstätten nicht nur eines weltweiten Terrornetzwerkes, sondern auch seiner männlichen, frauenfeindlichen Kultur. Offensichtlich sieht sich Bin Laden als Patriarch, dessen Pflicht es ist, nicht nur seine eigene Familie mit vielen Frauen und Kindern, sondern auch seine ganze Anhängerschaft und deren Familien zu versorgen und zu schützen. Er ist das legendäre Gegenstück zum Paten oder »padrone«.

Können wir im Gegensatz dazu sagen, die USA als Fahnenträger des globalen Kapitalismus seien »geschlechtsneutral«? Sitzt nicht eine Frau – sogar eine afro-amerikanische Frau – an der Spitze unseres Verteidigungsministeriums, wo sie als rechte Hand des Präsidenten die permanente Kriegsmaschine mitgestaltet?

Auch wenn Meinungsumfragen zum Krieg einen angeblichen Spalt zwischen den Geschlechtern aufzeigen, sind Frauen nicht grundsätzlich friedensliebender als Männer. Die globale kapitalistische Männlichkeit lebt und gedeiht, aber sie versteckt sich unter dem eurozentrischen, rassistischen Deckmantel der »Rettung« unterdrückter, entmündigter afghanischer Frauen vor der frauenfeindlichen Regierung, der sie an die Macht geholfen hat.

6. Rassismus – Natürlich ist das, was ich faschistischen Fundamentalismus oder internationalen Terrorismus genannt habe, auch mit Rassismus getränkt. Dies ist aber eine sehr spezifische, zielgerichtete Art von Rassismus, nämlich Antisemitismus. Die Türme des WTC symbolisierten nicht nur US-Kapitalismus, sondern – für die Terroristen – jüdischen Kapitalismus. In seinem 1998 aufgenommenen Interview spricht Bin Laden immer wieder von »Juden«, nicht von Israelis, wenn er behauptet, sie plant, die gesamte Arabische Halbinsel zu übernehmen. Er sagt, „die Amerikaner und die Juden (…) sind die Speerspitze, mit der Mitglieder unserer Religion getötet worden sind. Jede gegen Amerika und die Juden gerichtete Aktion bringt positive und direkte Ergebnisse.“

US-Rassismus ist viel unklarer, aber genauso heimtückisch. Der unter der Oberfläche weit verbreitete Rassismus kommt immer in nationalen Krisenzeiten hoch. Die Attacken gegen Sikhs und andere Inder, gegen Araber und sogar Latein- und Afro-Amerikaner mit brauner Hautfarbe signalisieren eine Ausbreitung des amerikanischen Rassismus über die üblichen Schwarz-Weiß-Grenzen hinaus. Offiziell verabscheut der Staat solche Taten und verspricht, die Täter voll zur Rechenschaft zu ziehen. Dies ist aber der gleiche Staat, der das 1995 nach dem Bombenattentat von Oklahoma (eine von weißen, christlichen Amerikanern begangene Tat) verabschiedete so genannte Antiterror-Gesetz als Vorwand dafür nahm, Einwanderer aller Arten aufzuspüren und auszuweisen. Heute missachtet dieser Staat schon wieder die Rechte von Einwanderern in seiner eifrigen Jagd auf Terroristen.

Der Zusammenhang, in dem der Terror agiert, beinhaltet nicht nur Rassismus und Eurozentrismus, sondern auch viele Formen sozialer Ungerechtigkeit. Wenn wir unseren moralischen Standpunkt in dieser Krise überlegen, müssen wir zwischen direkten Ursachen und notwendigen Bedingungen unterscheiden. Weder die USA (als Staat) noch die vom World Trade Center symbolisierten unternehmerischen und finanziellen Machtstrukturen haben das Grauen vom 11. September verursacht. Ohne Zweifel verdient das fürchterliche, scheußliche Morden, Verstümmeln und Verwaisen so vieler unschuldiger Menschen aller ethnischen Gruppen, Hautfarben, Klassen, Altersgruppen, Geschlechter und aus über 60 Nationalitäten irgendeine Form von Vergeltung. Andererseits aber gibt es unter den Bedingungen, die den internationalen Terror gedeihen lassen, viele, für die die USA und ihre unternehmerischen/finanziellen Interessen direkt verantwortlich sind, auch wenn sie keineswegs die Anschläge entschuldigen. Man denke nur an folgende Tatsachen:

  • Die USA sind das einzige Land der Welt, das tatsächlich die schlimmsten Waffen der Massenvernichtung – Atombomben – gegen unschuldige Zivilisten eingesetzt hat – in Hiroshima und Nagasaki.
  • Bis heute bombardieren die USA den Irak und zerstören das Leben und die Nahrungsversorgung Hunderttausender Zivilisten dort. Wir haben Belgrad – eine dicht besiedelte Hauptstadt – während des Kosovo-Krieges 80 Tage lang zerbombt, und in den 1980ern unterstützten wir Bombardements, die unzählige Zivilisten in El Salvador umbrachten. Während der Operation Condor und ähnlichen Aktionen in den 1970ern förderten der CIA und militärische Schulungseinrichtungen Massaker, Attentate, Folter und Entführungen in vielen Ländern Latein- und Zentralamerikas. Außerdem haben sie unzählige korrupte, autoritäre Regierungen im Nahen Osten, in Südostasien und anderswo unterstützt – den Schah im Iran, Suharto in Indonesien, die Saudi-Dynastie usw.
  • Im Nahen Osten, einer Region, die wie das Zentrum des Tornados oder ein Mikrokosmos des jetzigen Konfliktes ist, sind US-Militärhilfe und das Nichtstun der Bush-Regierung die notwendigen Bedingungen dafür, dass die israelische Politik der Attacken auf Dörfer, des Abrisses von Häusern, der Zerstörung von Olivenhainen, Reiseverbote, Mordanschläge auf politische Führer, des Straßen- und Siedlungsbaus und der Menschenrechtsverletzungen weitergehen kann. All diese Sachen fördern die Feindschaft und die Selbstmordattentate.
  • Die USA sind eins von nur zwei Ländern – mit Afghanistan! –, die sich weigern, die Frauen-Konvention zu ratifizieren und das einzige Land, das die Kinder-Konvention nicht ratifiziert hat. Sie sprechen sich am lautesten gegen den Internationalen Gerichtshof aus, sie boykottieren die Abkommen zum Verbot von Landminen und biologischer Waffen, sie sind Hauptgegner eines neuen Abkommens gegen den illegalen Handel mit Kleinwaffen. Als einziges Land der Welt drohen sie damit, ein beispielloses Verteidigungssystem im All zu bauen und damit das ABM-Abkommen außer Kraft zu setzen. Wer ist da der »Schurkenstaat«?
  • Die USA sind das einzige große Industrieland, das sich geweigert hat, das Kyoto-Protokoll über die globale Klimaänderung zu unterzeichnen, obwohl das Dokument Kompromisse in ihrem Sinne enthält. In der Zwischenzeit zeigt eine neue, globale Studie, dass Kanada, Russland und die USA am meisten von der Klimaänderung profitieren werden, während die Länder verlieren werden, die am wenigsten zu der Klimaänderung beigetragen haben.
  • Zwei Jahrzehnte der Globalisierung lassen die Schere zwischen Arm und Reich eher weiter auseinander klaffen. Überproportional haben reiche Amerikaner und Europäer (und auch kleine Eliten in der Dritten Welt) von der globalen Marktliberalisierung profitiert. Und obwohl die USA ständig lautstark den »freien Handel« unterstützen, betreiben sie weiterhin eine Politik der Schutzmaßnahmen für ihre eigenen Bauern. Gleichzeitig verdrängen Importe aus den USA kleine Produzenten in Asien, Afrika und der Karibik – viele von ihnen Frauen – vom Markt. Sie müssen dann auf dem Schwarzmarkt oder in Ausbeutungsbetrieben der multinationalen Konzernen arbeiten.
  • Die G8-Länder, angeführt von den USA, dominieren die Entscheidungsprozesse des IWF und der Weltbank. Deren Strukturänderungen und Bedingungen für Darlehen und Schuldenerlass tragen mit dazu bei, dass viele arme Länder und ihre Bevölkerungen aus der Armut nicht ausbrechen können.
  • US-Konzerne können über Nacht Milliarden freimachen, um Firmen zu »unterstützen«, deren Büros und Personal durch die Anschläge auf das WTC zerstört wurden, und die Regierung kann der angeschlagenen Luftfahrtindustrie sofort 15 Milliarden Dollar überreichen. Auf der anderen Seite schrumpfen unsere Ausgaben für Entwicklungshilfe (ausgenommen militärische Hilfe). Als reichste Nation der Welt erreichen wir nicht mal die UN-Forderung von 0,7 % des BSP. Ein jüngst veröffentlichter Bericht der Weltgesundheitsorganisation rechnet vor, dass die Versorgung aller Menschen der Welt mit sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen nur 10 Milliarden $ kosten würde, nur weiß niemand, woher das Geld kommen soll. Gleichzeitig sind die UN weit davon entfernt, eine vergleichbare Summe für ihren Welt-AIDS-Fond zusammenzutragen. Wie geizig kann man sein? Und was sagt das aus über die Formen von Rassismus oder »globaler Apartheid«, die manche Menschenleben – in den USA und Europa – viel höher bewerten als andere in anderen Teilen der Welt?

Die Liste könnte ich weiterführen – mit McDonald’s, Coca-Cola, CNN und MTV und dem ganzen kommerziellen Müll, der überall auf der Welt zu finden ist und der die kulturellen und geistigen Empfindungen so vieler, auch viel gereister Feministinnen wie ich, verletzt, wenn wir Teile unseres heimischen Einkaufszentrums in Kampala oder Kuala Lumpur, Kairo oder Bangalore wiederfinden. Was aber schlimmer ist als die Banalität und Geschmacklosigkeit dieser kulturellen und kommerziellen Bombardierung ist die arrogante Annahme, unsere »Lebensart« sei die beste auf Erden und müsse überall willkommen sein, oder die Ansicht, unsere Macht und unser vermeintlicher Fortschritt gäben uns das Recht, dem Rest der Welt zu diktieren, welche Politik und Strategien sie verfolgen sollten. Dies ist das Gesicht des Imperialismus im 21. Jahrhundert.

Die Vereinigten Staaten sind das Zentrum des globalen Kapitalismus, doch um den »Terror zu stoppen« ist es notwendig, dass sie ihre eigene Verantwortung heute und in der Vergangenheit für viele der oben aufgelisteten Tatsachen erkennen und beginnen, ihr Rechnung zu tragen. Dies würde aber auch bedeuten, dass sich die USA aus ihrer Rolle als selbst ernannter Weltpolizist verabschieden.

Welche anderen Lösungen als Krieg bieten sich an? Hier sind meine zaghaften Vorschläge:

  • Die Parole »Krieg ist nicht die Lösung« ist sowohl eine praktische als auch eine existenzielle Wahrheit. Militärische Anschläge gegen Afghanistan werden die Terrornetzwerke nicht ausrotten, die sich tief in den Bergen oder in Pakistan oder Deutschland versteckt halten können. Sie werden nur ein jetzt schon angeschlagenes Land zerstören, unzählige Zivilisten und Kämpfer töten und Tausende von Flüchtlingen zur Folge haben. Wahrscheinlich werden sie so viel Wut bei islamischen Sympathisanten provozieren, dass die ganze Region in Aufruhr geraten wird und der Kreislauf von Vergeltung und Terroranschlägen immer weiter gehen wird. Der ganze Schrecken des 20. Jahrhunderts sollte uns gelehrt haben, dass der Krieg sich selbst nährt und dass bewaffnete Gewalt keine andere Form von Politik ist, sondern das Scheitern der Politik darstellt; sie ist nicht die Verteidigung der Zivilisation, sondern ihr Zusammenbruch.
  • Das Ziel, die Terroristen in einer Art internationalem Polizeieinsatz zu finden und vor den Richter zu bringen, ist verständlich, aber voller Gefahren. Da die USA die einzige »Supermacht« sind, sieht es für andere Länder so aus, als ob sie schon wieder als globaler Polizist agieren wollten, wenn sie eine Kriegserklärung gegen den Terrorismus und seine Unterstützer ausrufen. Hier in Amerika bedeutet ein »nationaler Notstand« oder »Kriegszustand« – ganz besonders, wenn der Krieg anders als alle anderen sein soll – die Einschränkung ziviler Freiheiten, Belästigung von Immigranten, rassistische Vorurteile, Zensur oder das Füttern der Presse mit Fehlinformationen – all dies ohne Zeitbegrenzung und unter einem ominösen, neuen Büro für Staatssicherheit. Wir sollten uns sowohl gegen US-Alleingänge als auch gegen den permanenten Sicherheitsstaat zur Wehr setzen. Wir sollten unsere Abgeordneten dazu aufrufen, die bürgerlichen Rechte aller Menschen zu verteidigen.
  • Ich stimme der in Kairo ansässigen Afrikanisch-Asiatischen Solidaritätsorganisation (AAPSO) zu, die sagt, „nur diejenigen, die für diese Ereignisse verantwortlich sind, sollten nach dem Gesetz bestraft werden“ und dass die Bestrafung im Rahmen der Vereinten Nationen und nach internationalem Recht organisiert werden sollte – nicht im Alleingang der USA. Im internationalen Recht gibt es schon zahlreiche Abkommen gegen Terrorismus und Geldwäsche. Der Internationale Strafgerichtshof (ICC), der von den USA so hartnäckig abgelehnt wird, wäre das logische Forum für Verhandlungen gegen Terroristen in Zusammenarbeit mit nationalen Polizei- und Überwachungsdiensten. Wir sollten verlangen, dass die USA das ICC-Gesetz ratifizieren. In der Zwischenzeit könnte ein besonderer Gerichtshof unter internationaler Schirmherrschaft, so wie die für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, aufgestellt werden. Zusätzlich könnte eine internationale Behörde geschaffen werden, um die nationalen polizeilichen und geheimdienstlichen Arbeiten zu koordinieren. Die USA müssten Mitglied in dieser Organisation werden.
  • Keine Polizeiarbeit, egal wie gut koordiniert, kann den Terror stoppen, ohne die Bedingungen der Armut und Ungerechtigkeit, die den Terror nähren, anzugehen. Die USA müssen ernsthaft nicht nur ihre Werte, sondern auch ihre Nahost- und Weltpolitik überdenken. Sie müssen für ihre Stellung in der Welt Verantwortung übernehmen. Das heißt, sie müssen Wege finden, ihren Reichtum, ihre Ressourcen und ihre Technologie zu teilen; sie müssen Entscheidungen über den Welthandel, über Finanzen und Sicherheit demokratisch treffen; und sie müssen dafür sorgen, dass der Zugang zu Grundversorgungsgütern wie medizinische Versorgung, Wohnungen, Nahrung, Bildung, sanitäre Versorgung, Wasser und Freiheit von Diskriminierung wegen Rasse oder Geschlecht an erster Stelle in internationalen Beziehungen steht. »Sicherheit« in diesem Sinne beinhaltet all diese Formen von Wohlbefinden oder »menschlicher Sicherheit« und muss für alle gelten.

Was mir Hoffnung gibt ist die Tatsache, dass viele der oben erläuterten Gedanken auch von immer mehr Gruppen hier in den USA geäußert werden. Dazu gehören der Nationale Kirchenrat, die Grüne Partei, eine Koalition von 100 Leuten aus der Unterhaltungsbranche und Bürgerrechtlern, große Zusammenschlüsse von Studenten- und Friedensgruppen, New Yorker Sagen Nein Zum Krieg, schwarze und weiße weibliche Prominente, die in der Oprah-Winfrey-Show aufgetreten sind, und Angehörige von Opfern der Anschläge. Vielleicht können wir eine neue Art von Solidarität aus der Asche ziehen; vielleicht zwingen die Terroristen uns dazu, nicht sie widerzuspiegeln, sondern die Welt und die Menschheit als Ganzes zu sehen.

Rosalind P. Petchesky ist Professorin für politische Wissenschaften und Frauenstudien am Hunter College der Universität New York. Sie lehrte an mehreren Universitäten der USA, in Kanada, Brasilien, Mexiko, Vietnam, den Philippinen, Malaysia, Südafrika, England und Indien.
Der oben stehende Artikel ist die stark gekürzte Version ihres Vortrags vom 25. September 2001 am Hunter College. Die ungekürzte englische Fassung ist im Internet: www.fire.or.cr/oct01/tpowers.htm
Übersetzung aus dem Englischen von Michael Hemken