Der kleine Unterschied und die Gewalt

Der kleine Unterschied und die Gewalt

Geschlechts- und Geschlechtsrollenunterschiede in der Aggression

von Jeannette Schmid

Angeblich hat Krieg „kein weibliches Gesicht“ (Swetlana Alexijewitsch), angeblich ist Krieg immer noch „Männersache“ (Christiane Florin) – ob ohne oder mit Öffnung der Militär-Apparate für »das andere Geschlecht«. Kriegsherren wissen freilich seit eh und je die diversen weiblichen Dienste »hinter den Linien« und »an der Heimatfront« zu schätzen und zu fördern. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass darüber hinaus bei einem genaueren Blick auf die menschliche Aggressivität die Unterschiede zwischen den Geschlechtern keineswegs so eindeutig sind, wie gemeinhin angenommen. Vor allem dürfte die geschlechts- bzw. geschlechtsrollentypische Art der weiblichen Aggression eine spezifische Bedeutung für die Kriegsanfälligkeit unserer Gesellschaften haben.
In Kriegen kämpfen vorwiegend Männer. Und auch in Friedenszeiten scheint physische Gewalt meist von Männern ausgeübt zu werden. Einen Hinweis geben Daten der polizeilichen Kriminalstatistik. So weist das Bundeskriminalamt für das Jahr 2000 unter den Tatverdächtigen für Mord und Totschlag in Deutschland nur 394 Frauen, das sind 12,3% der Verdächtigen, auf. In ähnlicher Höhe (12,4%) treten Frauen bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung als Täterinnen in Erscheinung. Bei einem anderen Delikt, das ebenfalls eng mit Aggressivität zusammenhängt, dem Delikt der Beleidigung, ist der Anteil der Frauen mit 24,5% deutlich höher. Schon diese Daten zeigen, dass es wichtig ist, zwischen verschiedenen Arten der Aggression zu unterscheiden, wenn es darum geht, die Zusammenhänge zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Gewalttätigkeit aufzuklären.

Untersuchungen mit psychologischen Fragebögen, die selbst-berichtete Aggression erheben, zeigen ein ähnliches Bild. Auch hier ergeben sich für die Männer im Durchschnitt deutlich höhere Werte (Baron & Richardson, 1994). Männer geben auch wesentlich häufiger an, Fantasien über Morde (mit sich selbst in der Täterrolle) zu haben (Kendrick & Sheets, 1993).

Weibliche Gewalt – Geschlecht oder Geschlechtsrolle?

Wird eine Person ärgerlich, lässt sich dies unter anderem an Erhöhungen ihres Testosteron-Spiegels erkennen. Dies gilt für Männer wie für Frauen. Es scheint also einen Zusammenhang zwischen diesem Hormon und der momentanen Aggressionsbereitschaft zu geben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Testosteron die Ursache für die Aggression sein muss; es kann eine Begleiterscheinung sein, die mit dazu beiträgt, den Organismus auf einen Angriff vorzubereiten und diesen Zustand länger aufrechtzuerhalten. Trotzdem legt dieser Befund die Frage nahe, ob vielleicht Frauen aufgrund ihres im Mittel niedrigeren Testosteron-Spiegels weniger leicht dazu neigen, sich in Situationen, in denen sie Ärger erleben, mit physischer Gewalt Luft zu machen. Dies wäre somit ein echter biologisch bedingter Unterschied.

Neben dieser genetischen Unterschiedlichkeit leben Männer und Frauen jedoch teilweise auch in verschiedenen sozialen Umwelten, in denen sie sich mit unterschiedlichen Rollenanforderungen auseinandersetzen müssen. Zu den Umweltvariablen gehört u.a. der unterschiedliche Zugang zu Ressourcen, wozu auch die Möglichkeiten zählen, einer anderen Person physisch Gewalt anzutun (körperliche Kraft, Zugang zu Waffen). Beide Faktoren, Erbe und Umwelt, treten miteinander in Wechselwirkung.

Ein Vergleich der physischen Aggression in verschiedenen Kulturen zeigt, dass die kulturellen Unterschiede größer sind als die Geschlechtsunterschiede (Rohner, 1976). Je nach Kultur sind bestimmte Formen der Aggressivität erlaubt und andere tabuisiert. Innerhalb dieser Regeln bewegen sich dann die Unterschiede, die man in der Gewaltbereitschaft der beiden Geschlechter findet. Dies verdeutlicht, dass es sehr stark durch die Umwelt bestimmt wird, in welcher Weise und wie häufig physische Gewalt durch Frauen ausgeübt wird.

Zu den von der Sozialisation vorgegebenen Regeln kann auch gehören, dass Gewalt unterschiedlich bewertet wird, je nachdem, ob sie von einem Mann oder einer Frau ausgeht. Dabei wird die von einem Mann ausgehende Gewalt im Allgemeinen als vertretbarer bewertet. In einer umfangreichen Studie mit Jugendlichen, die vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsens durchgeführt wurde, zeigte sich, dass gleichgeschlechtliche Identifikationsfiguren und Rollenmodelle von Jungen in höherem Maße als gewalt-akzeptierend erlebt wurden und dass für den Fall aktiven Gewalthandelns Mädchen viel stärker mit Ablehnung rechnen müssen als Jungen. Sofern Mädchen und Jungen in gleichem Maße keine explizite Gewaltablehnung seitens der Eltern erfahren, nähert sich die Delinquenzrate der Mädchen derjenigen der Jungen an (Pfeiffer, Wetzels, & Enzmann, 1999).

Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Umweltfaktoren einen derart starken Einfluss haben könnten, dass sie genetisch bedingte Unterschiede überdecken. Eine nahe liegende Überlegung wäre es daher, Jungen »weiblicher« zu sozialisieren, d. h. in der Erziehung nicht nur physische Gewalt zu sanktionieren, sondern auch z.B. Fürsorglichkeit und Empathie zu fördern, um auf diese Weise Gewalt zu hemmen. Allerdings übersieht ein solches Programm das Problem der mangelnden Akzeptanz einer solchen Erziehung in einer Gesellschaft, die durch das Bild des Mannes geprägt ist, der seinen Erfolg auch seinem aggressiven Durchsetzungsvermögen verdankt. Es wäre daher zu befürchten, dass »weiblich« sozialisierte Jungen von traditionalistischen Jungen zum Opfer gemacht werden (Nagayama-Hall & Barongan, 1997).

Es ist jedoch nicht nur die Bewertung der Aggression, in der sich Geschlechtsunterschiede finden lassen, sondern auch die generelle Auffassung zu diesem Thema. Frauen denken bei dem Begriff Aggression tendenziell eher daran, dass der Handelnde von seinen Emotionen überwältigt wird und die Kontrolle verliert, während Männer in diesem Zusammenhang eher daran denken, dass Gewalt auch ein Mittel sein kann, um Kontrolle über eine andere Person auszuüben (Campbell, 1993). Somit wird für Männer gewalttätiges Verhalten auch leichter zu einem legitimen Mittel der Problembewältigung.

Aggression als zwischenmenschliches Ereignis

Die meisten alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen verlaufen ohne Gewalttätigkeit. Wer Gewalt anwendet, handelt nicht der Norm entsprechend und muss sich dafür rechtfertigen. Stehen solche Rechtfertigungen bereit, ist die Ausübung der physischen Aggression erleichtert. Ein Beispiel für solche Rechtfertigungsstrategien sind so genannte Vergewaltigungsmythen (Burt, 1980), das sind im Alltag häufig vertretene, fehlerhafte Annahmen, die im Wesentlichen darin bestehen, dem Opfer einer Vergewaltigung ein Mitverschulden anzulasten und den Täter zu entlasten. Solche Mythen werden gleichermaßen von Männern und Frauen geteilt und werden natürlich auch von Tätern zur nachträglichen Rechtfertigung genutzt. Sie können sogar, wie beim Date-Rape, dazu beitragen, dass die Abwehr des Opfers als bloße Schauspielerei missverstanden wird. Solche kognitiven Verzerrungen, die dem Opfer eine Einwilligung unterstellen, treten verstärkt innerhalb patriarchalischer Gesellschaftsformen auf ( Lonsway & Fitzgerald, 1994).

Rechtfertigungsstrategien für generelle Gewalttätigkeit lassen sich auch in der Kultur des »machismo« finden, wo die Ehrverteidigung mit Gewalt legitimes und zuweilen auch unersetzliches Mittel ist (Cohen & Nisbett, 1997). Hier wird »Männlichkeit« mit »Gewaltbereitschaft« gleichgesetzt bzw. Friedlichkeit in die Nähe der Feigheit gerückt. Bei einem männlichen Vertreter der Macho-Ideologie ist jede Situation, in der seine Männlichkeit infrage gestellt wird, bedrohlich. Demjenigen, der für diese Bedrohung verantwortlich ist, wird unterstellt, dass dies in der Absicht geschah, provozieren zu wollen. Und eine solche Provokation macht eine Vergeltung zwingend notwendig; ein Verzicht auf diese Vergeltung würde dem Vorwurf der Unmännlichkeit Recht geben. Für Frauen steht kein entsprechendes Rollenmuster zur Verfügung. In der Welt des »machismo« ist, wenn die Ehre der Frau angegriffen wird, für ihre Ehrverteidigung mittels Gewalt ebenfalls der Mann zuständig.

Wenn von einer Provokation die Rede ist, bedeutet dies auch, dass für die eigene Aggression eine bestimmte Handlung einer anderen Person als Ausgangspunkt gesehen werden muss. Darüber kann indes Uneinigkeit bestehen, indem nämlich jeder die Ansicht vertritt, der andere sei derjenige, der dafür sorgt, dass die Aggression anhielte. Das eigene Verhalten sei der Situation angemessen und lediglich das des Kontrahenten zu aggressiv, worauf dann wieder mit Vergeltung reagiert werden muss. Diese so genannte Perspektivendivergenz (Otten, Mummendey & Wenzel, 1995) sorgt auch dafür, dass der Provokateur unterschätzt, wie sehr er provoziert. In einer umfangreichen Analyse untersuchten Bettencourt und Miller (1996) eine ganze Reihe von Labor-Studien, in denen Teilnehmer und Teilnehmerinnen provoziert worden waren und als Folge aggressives Verhalten gezeigt hatten. Auch hier waren erwartungsgemäß die Männer aggressiver als die Frauen. Je stärker die Provokation jedoch war, umso mehr näherte sich das Verhalten der Frauen dem der Männer an. Gegenüber Provokateuren des jeweils anderen Geschlechts wurde weniger Aggression gezeigt. Für die Männer könnte die Erklärung in einer Art »Kavaliersnorm« liegen, für die Frauen in der Furcht vor Vergeltung. Je größer diese Furcht bei den Frauen war, umso geringer war ihre aggressive Reaktion auf die Provokation. Dass Frauen bei männlichen Gegnern mehr Angst vor Vergeltung hatten, verweist auf die unterschiedlichen traditionellen Machtverhältnisse. In dieser Analyse stecken gleich mehrere interessante Befunde. Beispielsweise empfanden Männer die Provokationen als stärker. Die Stärke der begleitenden Affekte war bei den Geschlechtern jedoch nicht unterschiedlich. Frauen empfinden nicht weniger Ärger als Männer in vergleichbaren Situationen und sie äußern diesen Ärger auch (Kopper & Epperson, 1991). Die Geschlechtsunterschiede ergeben sich erst bei der Entscheidung, diesen Ärger in aggressives Verhalten gegenüber einer anderen Person umzusetzen. Man könnte also aus diesen Befunden den Schluss ziehen, dass Frauen zwar möglicherweise innerlich den gleichen Drang zu aggressivem Verhalten verspüren wie Männer, in der konkreten Situation diesem jedoch weniger nachgeben, es sei denn, die Provokation ist sehr groß. Erfragt man die Einstellung zur Vergeltung mit psychologischen Fragebögen, erreichen Männer tatsächlich die höheren Werte (Stuckless & Goranson, 1992).

Dieses Bild der weniger aggressiven Frauen ändert sich jedoch, wenn man anstelle der physischen Aggression die so genannte relationale Aggression betrachtet. Dies ist eine Variante der Aggression, die die Beziehung zu anderen Menschen zum Ziel nimmt und eine bestimmte Person absichtlich isoliert, zum Beispiel durch üble Nachrede und böswilligen Klatsch. Das Ziel dieser Aggression besteht darin, dafür zu sorgen, dass eine bestimmte Person aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird (Björkqvist, Österman & Kaukiainen, 1992). Die Folgen einer erfolgreichen relationalen Aggression können langfristiger sein als die der physischen Aggression und Täter bzw. Täterin müssen dem Opfer dabei nie direkt gegenüberstehen. Diese indirekte Art der Aggression zeigen Mädchen schon im Vorschul- und frühen Schulalter deutlich häufiger als Jungen (Crick, Casas & Mosher, 1997).

Bezieht man das Wissen um diese relationale Aggression mit ein, muss die Ansicht, dass Krieg im Wesentlichen ein männliches Phänomen sei, neu überdacht werden. Die Einbeziehung Dritter in die Ausgrenzung eines Gegners und die Bildung von Allianzen mit dem Zweck der Vernichtung des Feindes wären dann ein »weiblicher« Aspekt des Krieges.

Literatur

Baron, R. A. & Richardson, D. R. (1994): Human aggression. New York, Plenum Press.

Bettencourt, B. A. & Miller, N. (1996): Gender differences in aggression as a function of provocation, A meta-analysis. Psychological Bulletin, 119, 422-447.

Björkqvist, K., Österman, K. & Kaukiainen, A. (1992): The development of direct and indirect aggressive strategies in males and females. In K. Björkqvist & P. Niemelä (Hrsg.): Of mice and women – Aspects of female aggression (S. 51-64). San Diego, Academic Press

Bundeskriminalamt – Polizeiliche Kriminalstatistik, Berichtsjahr 2000: Geschlechtsverteilung der Tatverdächtigen bei den einzelnen Straftaten(gruppen), http://www.bka.de/pks2000.

Burt, M.R. (1980) : Cultural myths and supports for rape. Journal of Personality and Social Psychology, 38, 217-230.

Campbell, A. (1993): Out of control – men, women and aggression. London, Pandora.

Crick, N. R., Casas, J. F. & Mosher, M. (1997): Relational and overt aggression in preschool. Developmental Psychology, 33, 579-588.

Cohen, D. & Nisbett, R. E. (1997): Field experiments examining the culture of honor – The role of institutions in perpetuating norms about violence. Personality and Social Psychology Bulletin, 23, 1188-1199.

Kendrick, D. T. & Sheets, V. (1993): Homicidal fantasies. Ethology and Sociobiology, 14, 231-246.

Kopper, B. A. & Epperson, D. L. (1991): Women and anger – Sex and sex-role comparisons in the expression of anger. Psychology of Women Quarterly, 15, 7-14.

Lonsway, K. A. & Fitzgerald, L. F. (1994): Rape myths. In review. Psychology of Women Quarterly, 18, 133-164.

Nagayama-Hall, G. C. & Barongan, C. (1997): Prevention of sexual aggression – sociocultural risk and protective factors. American Psychologist, 52, 5-14.

Otten, S., Mummendey, A. & Wenzel, M. (1995): Evaluation of aggressive interactions in interpersonal and intergroup contexts. Aggressive Behavior, 21, 205-224.

Pfeiffer, C., Wetzels, P. & Enzmann, D. (1999): Innerfamiliale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihre Auswirkungen. Forschungsberichte Nr. 80. Hannover, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.

Rohner, R.P. (1976): Sex differences in aggression – phylogenetic and exculturation perspectives. Ethos, 4, 57-72.

Stuckless, N. & Goranson, R. (1992): The vengeance scale – development of a measure of attitudes toward revenge. Journal of Social Behavior and Personality, 7, 25-42.

Dr. Jeannette Schmid ist Privatdozentin für Psychologie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg.

Eine leise Öffnung: Soldatinnen in der Bundeswehr

Eine leise Öffnung: Soldatinnen in der Bundeswehr

von Christine Eifler

Frauen in die Bundeswehr – das ist ein seit Jahren in der Frauen- und damit auch in der Friedensbewegung äußerst kontrovers diskutiertes Thema. Die einen sehen hierin einen weiteren Schritt zur Militarisierung, ein „gleiches Recht auf Unrecht“ (so Anne Rieger in »Die Gleichberechtigungsfalle«, W&F 2/2000). Sie lehnen es ab, Streitkräfte zivilen Arbeitgebern gleichzustellen und weisen darauf hin, dass z.B. in Armeen mit einem hohen weiblichen Anteil – wie der US-Armee – sexuelle Belästigung und Nötigung an der Tagesordnung sind. Andere sehen im Zugang zur Armee einen notwendigen Schritt zur Gleichberechtigung, eine neue Arbeitsmarktchance für Frauen und einen Schritt hin zur Zivilisierung des Militärs. Für Christine Eifler liegt die Öffnung der Bundeswehr für Frauen im internationalen Trend. Sie beleuchtet die gegenwärtige Situation und stellt die Funktion der Soldatin in Bezug zu dem von der „Bundesregierung hoch bewerteten neuen militärischen Aufgabenfeld“ Peacekeeping. Eine Position, die sicher weiteren Diskussionsbedarf weckt.
Ohne nennenswerte öffentliche Diskussionen ist eine weit reichende Veränderung des Verhältnisses von Militär und Frauen über die politische Bühne der Bundesrepublik gegangen: Die Soldatin wurde öffentlich anerkannter Teil des Militärs. Damit wurde hierzulande vollzogen, was in vielen Ländern schon seit Jahren Realität geworden ist.1 Die Geschlechterbeziehungen sind damit zu einem dauerhaften Bestandteil der sozialen Beziehungen innerhalb der Bundeswehr geworden, ein Tatbestand, der sowohl aus historischer als auch aus Gender-Perspektive von grundsätzlicher Bedeutung ist.2

Bisher war die Integration von Frauen in die Bundeswehr im Vergleich zu anderen Ländern wenig entwickelt. Das Grundgesetz verbot Frauen den militärischen Dienst mit der Waffe, ermöglichte jedoch durch die Trennung von Streitkräften und ziviler Wehrverwaltung die Verwendung von Frauen auf zivilen Stellen auf allen Ebenen der Bundeswehr.3 In den Streitkräften selbst sind Frauen seit 1975 zugelassen, allerdings ausschließlich im Sanitätsdienst. Bezogen auf die gesamte Bundeswehr waren dies 1%, bezogen auf die Berufs- und Zeitsoldaten sind es knapp 2%. 1997 hatte die Bundeswehr 3.500 Soldatinnen, davon 30 im Militärmusikdienst.4 Der Beginn der Einbeziehung von Frauen erfolgte während einer Phase erheblichen Personalmangels. Die »militärischen Seiteneinsteigerinnen« waren approbierte Ärztinnen, für die ebenso wie für alle späteren Soldatinnen galt, keinen Dienst an der Waffe tun zu dürfen, es sei den als Notwehr und Nothilfe, wie es das Völkerrecht für das Sanitätspersonal zugesteht. Erst 1989 wurden die ersten 50 Sanitätsoffiziersanwärterinnen eingestellt. 1991 erfolgte die Öffnung für Mannschafts- und Unteroffizierlaufbahnen im Sanitätsdienst und im Militärmusikdienst.Bis dahin war Frauen in der Bundeswehr nur eine marginalisierte Position zugedacht. Trotz des Paragraphen 12a des Grundgesetzes wäre es möglich gewesen, weit mehr Funktionen mit Frauen zu besetzen, als dies der Fall war. Weitere Öffnungen wurden aber bisher abgelehnt.5 Dies hat sich mit dem Jahre 2001 grundsätzlich verändert. Seit Januar 2001 wurden 1.556 Soldatinnen in der Laufbahngruppe Unteroffiziere/Mannschaften aufgenommen. Im Dezember 201 wurden 204 Offiziersanwärterinnen in den Truppendienst übernommen. 21,9% dieser Gruppe haben ihr Interesse an einer Tätigkeit in Kampf- und Kampfunterstützungseinheiten geäußert. Somit hat sich die Zahl der Frauen in der Bundeswehr auf 6.721 erhöht.

Interessant ist es sich ins Gedächtnis zu rufen, in welcher Weise die Öffnung der Bundeswehr erfolgte. Das Thema Frauen und Militär war bis dahin nur in bestimmten Zeiträumen von Interesse: So war es seit Jahren ein bevorzugtes Thema der Medien im »Sommerloch«. Waren noch 1997 und 1998 die Mehrheit der Beiträge ablehnend gegenüber einer Öffnung der Bundeswehr für Frauen, änderte sich dies im Sommer 1999. Der Tenor der Beiträge zeigte eine wachsende Akzeptanz gegenüber Frauen in Uniform. Man war sich einig darüber, dass die Beteiligung von Frauen an der Bundeswehr freiwillig sein müsse. Eine Wehrpflicht für Frauen wurde abgelehnt. Ein ähnlicher Wandel zeigte sich auch bei den Parteien, die bis dahin noch gegen die Öffnung der Bundeswehr für Frauen waren: Bei Bündnis 90 – Die Grünen befürwortete eine Reihe von Abgeordneten, zum Beispiel Angelika Beer, die Öffnung für Frauen und bei der PDS sprach sich deren Abgeordnete Christina Schenk dafür aus. Die Zustimmungen insgesamt bezogen sich ausschließlich auf die Bundeswehr als »Arbeitsplatz«. Eine Beteiligung von Frauen an Kampftruppen wurde abgelehnt. Die Meinungsäußerung des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden und früheren Verteidigungsministers Volker Rühe drückte einen gewissen Konsens aus: Er plädierte für eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen, wandte jedoch ein: „Ich halte nichts von Frauen in Kampfpanzern.“

Dieser Meinungsumschwung zur Öffnung war nicht unerheblich mit dem Krieg im Kosovo verbunden. Der als humanitäre Intervention bezeichnete Einsatz der Bundeswehr hatte auf neue Konfliktfelder aufmerksam gemacht und zumindest kurzzeitig die Diskussion um ein neues militärpolitisches Rollenverständnis der Bundesrepublik angefacht. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein weit gehendes Einverständnis für eine Öffnung der Bundeswehr für Frauen. Nicht zuletzt zeigten die Bilder über den militärischen Einsatz im Kosovo Soldatinnen anderer Nationen, die selbstverständlich ihren Dienst taten.

Auch mit der Klage der Elektronikerin Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam noch keine rechte Bewegung in die Sache. Obwohl sich recht schnell abzeichnete, in welchem Sinne sich der EuGH entscheiden werde, blieb es um das Thema Militär und Frauen ruhig. Das Urteil vom 11. Januar 2000 bewertete dann die bisherige Praxis der Einbeziehung von Frauen in der Bundeswehr als einen Verstoß gegen die aus dem Jahr 1976 stammenden gemeinschaftsrechtlichen Gleichstellungsrichtlinien der EU. Demzufolge hat der Grundsatz der Gleichbehandlung im Berufsleben auch als Richtlinie für die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse in den Streitkräften zu gelten. Frauen nur zum Sanitätsdienst zuzulassen, verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung, zum beruflichen Aufstieg und in Bezug auf die Arbeitsbedingungen innerhalb der Streitkräfte. Das heißt, der EuGH bewertete den freiwilligen Dienst von Frauen an der Waffe als Berufsausübung und forderte folglich auch für diesen Rahmen berufliche Gleichstellung.

Unter dem Druck dieses Urteils entschloss sich die Bundesregierung, eine völlige Öffnung der Bundeswehr für Frauen vorzunehmen. Im Unterschied zur Praxis anderer nationaler Militärs6 sprach sie sich gegen Quoten für die Einstellung von Frauen aus; weder für den allgemeinen Zugang zu den Streitkräften noch für den Einsatz in bestimmten Verwendungsreihen sollen Einschränkungen gelten. Auch die Kampftruppen sollen Frauen uneingeschränkt offenstehen. Mit der Novellierung der gesetzlichen Grundlagen (Grundgesetz, Soldatengesetz, Soldatenlaufbahnverordnung) wurden alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen, damit nun Frauen als Freiwillige Dienst mit der Waffe tun dürfen. Damit hat sich der Gesetzgeber von einem Frauenbild verabschiedet, von dem sich die Rechtsprechung im Verfassungs- und Arbeitsrecht schon seit Längerem weit gehend entfernt hatte. Das Bild von der Frau als Hüterin des Hauses, „schwach, ängstlich und von Natur aus friedfertig, so daß der Mann sie draußen im Felde schützen muss“, wurde von der im Grundgesetz geschützten Stellung der Frau abgelöst: „aktiv und vollständig in alle Bereiche des staatlichen Gemeinwesens integriert.“7 Für die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Geschlechterbeziehungen hat dies nicht unbedeutende politische Auswirkungen. Mit dem Einbezug von Frauen ins Militär unter den Bedingungen der Gleichstellung der Geschlechter geraten tradierte symbolische Anordnungen in der Geschlechtergesellschaft, den Geschlechterhierarchien und die damit verbundenen gesellschaftlichen Subjektpositionen unter Druck. Die Konzeptionalisierung von Männlichkeit, Weiblichkeit und Staat, wie sie sich in der Entwicklung europäischer Nationalstaaten herausgebildet hat, zeigt8, dass an die Einführung der männlichen Wehrpflicht mehr gekoppelt war als die Einrichtung einer Organisation zur nationalen Verteidigung: Die Einführung der Wehrpflicht hatte entscheidende Bedeutung im Arrangement des gesamtgesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses. Auf der Grundlage und im Zuge der Schaffung moderner Massenarmeen erfolgte – und dies ist entscheidend für die weitere Konstruktion von Geschlecht – eine institutionelle Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt. Der institutionelle Charakter dieser Verknüpfung ist – wie Mary Douglas deutlich machte – deshalb entscheidend, weil nur Institutionen sozialen Verhältnissen Dauerhaftigkeit und Status verleihen können. Mit der aktuellen Konstruktion der Soldatin stellt sich somit gesamtgesellschaftlich die Frage, in welchen Positionen Frauen Macht und Einfluss haben und an welchen Entscheidungsprozessen sie teilhaben sollen. Zur Zeit werden diese Auseinandersetzungen auch in Organisationen der UNO und bei NGO´s geführt, die verlangen, dass Frauen verstärkt im »peacekeeping« eingesetzt werden und im Rahmen des »gender mainstreaming« zu gleichen Teilen an militärischen und militärpolitischen Entscheidungen partizipieren sollen.

Die nun auch in der Bundesrepublik vollzogene Öffnung der Streitkräfte für Frauen reiht sich in den internationalen Trend ein, Frauen unter den Bedingungen der Gleichstellung am Militär zu beteiligen. Diese Entwicklungen sind Teil des von Morris Janowitz beschriebenen Prozesses der »Zivilisierung« des Militärs. Demnach erreichen relevante soziale Veränderungen nach und nach alle gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen – so auch die Organisation Militär – und beeinflussen die Orientierungen ihrer Mitglieder und die Organisation.9 Auf der individuellen Ebene spiegeln sich diese in heterogenen Motiven nun auch von Frauen wider, in Streitkräften tätig zu sein, so auch in der Attraktivität eines über den Militärdienst möglichen Zugangs zu qualifizierten Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten. Auf der institutionellen Ebene zeigen sich die Veränderungen im Wandel des rechtlichen und sozialen Status des Militärs. Dieses wird in der Gesellschaft in steigendem Maße auch als öffentlicher Arbeitgeber wahrgenommen. Als solcher muss es die jeweiligen nationalen, sozialen und zunehmend auch arbeitsrechtlichen Gesetze und Bestimmungen beachten. Nach der Gesetzeslage ist eine Unterscheidung nach Geschlechtern bezüglich der dienstrechtlichen Stellung und der Karrierechancen im Status Berufssoldat nicht zulässig. Als Teil der Exekutive und als soziale Institution ist das Militär immer mehr jenen Zugangsprinzipien unterworfen, die auch für andere staatliche Bereiche gelten: der Durchsetzung von Chancengleichheit, lediglich eingeschränkt durch überprüfbare und gesellschaftlich akzeptierte Kriterien wie Eignung und Leistungsfähigkeit und ohne Ansehen des Geschlechts. Schutz vor sexueller Belästigung und Mobbing müssen vom Arbeitgeber organisiert und durchgesetzt werden. Der Bundeswehr ist es auferlegt, die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes für schwangere Frauen und des Mutterschutzes einzuhalten und Initiativen zur Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen zu unterstützen.

Dieser Wandel des Militärs vollzieht sich in einem widersprüchlichen sozialen Geflecht, das sowohl von einer neuen Distanz als auch einer neuen Nähe zur Zivilgesellschaft gekennzeichnet ist: Einerseits sehen sich militärisches Handeln und der Einsatz militärischer Gewalt in zunehmenden Maße schwierigen Anforderungen politischer Legitimation gegenüber. Kritik an militärischen Einsätzen wird unter den Schlagworten »militärischer Interventionismus im Namen der Menschenrechte«, »Selbstmandatierung im Zeichen von Geopolitik« oder »Privatisierung der Gewalt« u.a. geführt. Kritisiert werden die Rolle der Medien und der Berichterstattung in militärischen Konflikten. Die Vorbereitung und die Durchführung militärischer Aktionen ist von einer breiten politischen Kampagne begleitet, die auf die politische Willensbildung der Bevölkerung gerichtet ist. Militärische Einsätze bedürfen der Unterstützung oder zumindest Duldung der Zivilbevölkerung.

Andererseits hat das Militär seine frühere herausgehobene Rolle (tendenziell) verloren. Außerhalb, aber auch innerhalb des Militärs werden militärische Rituale und Zeremonien infrage gestellt. Die Bereitschaft zur Wehrpflicht, zum Reservistendienst oder als Berufssoldat Dienst in den Streitkräften zu tun, hängt nicht unerheblich von der Wahrscheinlichkeit eines militärischen Einsatzes ab.10 Wiederum verdeutlicht die Tatsache, dass Frauen und Homosexuelle in vielen Ländern öffentlich anerkannter Teil des Militärs geworden sind, seine gestiegene Akzeptanz und im Sinne Janowitz’ dessen »Zivilisierung«. Die daraus resultierende veränderte soziale und rechtliche Stellung des Militärs in der Gesellschaft führt in der Tendenz zu einer Entwicklung, in der das Militär eine Organisation wird wie jede andere.11 Damit erscheint auch der Job des Soldaten als ein Job wie jeder andere, der nun auch für Frauen zugänglich geworden ist. Das Militär stellt immer weniger einen Sonderbereich mit Privilegien und Sonderregelungen dar. Vielmehr steht es unter dem politischen Druck, geltende gesellschaftliche Normen der Gleichstellung und des Arbeitsrechtes durchzusetzen.12

Dennoch bleibt die Widersprüchlichkeit bestehen, die für die individuellen Selbstverständnisse der Soldatinnen und für die militärische Institution sowie für das Verhältnis zur Zivilgesellschaft erheblich ist: Zwar ist eine Verrechtlichung und Angleichung des Militärs an andere Berufe zu konstatieren, aber ebenso das Weiterbestehen von Merkmalen, die dafür sprechen, die militärische Tätigkeit doch als eine besondere einzustufen. Vor allem wird das mit dem Soldatenberuf verbundene Verhältnis zum Töten und getötet Werden als wesentlicher Punkt angesehen, der den Unterschied zu anderen, zivilen Tätigkeiten ausmacht.

Neuer Handlungsdruck

Die Öffnung der Bundeswehr für Frauen erzeugt einen nicht zu unterschätzenden Handlungsdruck auf die militärische Organisation, die sozialen Beziehungen zwischen Soldaten und Soldatinnen unter den veränderten Bedingungen zu gestalten. Die kulturellen und politischen Aushandlungsprozesse um die »StaatsbürgerInnen in Uniform« sollten auch Angelegenheit der politischen Öffentlichkeit sein. Zwar gibt sich die militärische Führung der Bundeswehr entschlossen, die Integration von Frauen ohne größere Probleme zu realisieren.13 Dennoch zeigen die Ergebnisse von Befragungen von Soldaten durch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr nicht unerhebliche Vorbehalte gegen die Einbeziehung von Frauen.14 Eine Mehrheit der befragten Soldaten stimmt der Öffnung der Bundeswehr für Frauen zu. Dem steht eine nicht unerhebliche skeptische und ablehnende Minderheit gegenüber. Im Heer sind die Vorbehalte am größten. Sie basieren auf einem überwiegend traditionellen Bild vom Militär und vom Geschlechterverhältnis. Soldaten mit kürzerer Verpflichtungszeit haben stärkere Vorbehalte, die auch mit der gewachsenen Konkurrenz durch die Anwesenheit von Frauen zu erklären sind.

Darüber hinaus lehnen 40 % der Soldaten Frauen in Kampfverwendungen ab. 30 % halten Frauen für die »harten Bedingungen« im Felde als nicht geeignet und befürchten, dass die Bundeswehr mit der Öffnung aller militärischen Bereiche für Frauen ihren militärischen Auftrag nicht erfüllen kann. 22,8 % der Soldaten halten Frauen als militärische Vorgesetzte für ungeeignet. Ein nicht unbedeutender Teil (63,5%) erwartet durch die Anwesenheit von Soldatinnen mehr Probleme im Dienstalltag, vor allem würden „die mit Sexualität verbundenen Probleme zunehmen“ (83,6%). Immerhin fällt 55,8 % der befragten Soldaten die Vorstellung nicht leicht, von einer Soldatin mit der Waffe in der Hand verteidigt zu werden.

Die Ausgestaltung der sozialen Beziehungen in der Bundeswehr verlangt nicht nur die Überwindung jener Vorurteile, die sich auch in anderen Ländern als nachhaltige Integrationshemmnisse erwiesen haben.15 Darüber hinaus ist eine in der Bundesrepublik noch völlig unterbelichtete politische und wissenschaftliche Diskussion erforderlich, um das in der Politik der gegenwärtigen Bundesregierung hoch bewertete neue militärische Aufgabenfeld des Peacekeeping auszufüllen. Für die Implementierung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Verhältnisse in Konfliktgebieten ist es unerlässlich, die allgemeine, den militärischen Einsatz legitimierende Rhetorik über die »unterdrückte Frau« um eine Perspektive zu erweitern, die die Kategorie Gender als analytische Kategorie ernst nimmt. Gesellschaftliche Konfliktstrukturen erweisen sich als hochgradig verschränkt mit den Konstruktionen von Gender und Identität.16 Das betrifft nicht nur die Konfliktentstehung und den Austrag von Konflikten, sondern auch deren Bearbeitung durch die verschiedenen AkteurInnen. SoldatInnen repräsentieren im Einsatzland die demokratischen und politischen Vorstellungen des eigenen Landes: Die eigene Geschlechtsidentität und Geschlechterkultur hat für die Tätigkeit im Einsatzland eine brisante Bedeutung erfahren. Wie brisant diese Problematik ist, zeigen Militärprostitution (auch von UNO-Truppen) und die völlig unbefriedigende Berücksichtigung der spezifischen Problem- und Interessenlagen von Frauen in Konfliktzonen.17

Die von der Politik gewollten Demokratisierungsprozesse in Einsatzgebieten erfordern Streitkräfte mit umfassenden sozialen Qualitäten der SoldatInnen, die die Menschenrechte in allen Belangen beachten. Die Implementierung von Gleichstellungsregimen in Einsatzgebieten ist eine wichtige neue Aufgabe. Organisationen wie das Europäische Parlament und die UNO fordern in diesem Zusammenhang eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Friedenstruppen auf mindestens 40% und eine militärische Ausbildung, in der Genderfragen einen zentralen Platz bekommen. Dass all diese weit reichenden und umfangreichen Aufgabenstellungen nur mit grundsätzlichen Veränderungen des Militärs selbst zu bewerkstelligen sind, ist wohl kaum anzuzweifeln.

Anmerkungen

1) In vielen NATO-Ländern sind Frauen dort seit mehreren Jahren vertreten. Länder, in denen – wie in Deutschland und Italien – noch gesetzliche Beschränkungen des Zugangs von Frauen zum Militär bestanden, haben diese aufgehoben. Die Spanne ihres jeweiligen Anteils reicht zur Zeit von weniger als 1% in Polen oder Österreich bis zu fast 15 % in Russland und in den USA. Frauen dienen als Freiwillige sowohl in Wehrpflichtarmeen als auch in Freiwilligen- und Berufsarmeen. Sie erreichten die Öffnung verschiedener Dienstzweige, Verwendungsbereiche und Truppengattungen. Sie sind in Kampfunterstützungseinheiten und zum Teil auch in den männlich-maskulin konnotierten Kampfeinheiten tätig. In militärischen Hierarchien sind Frauen noch deutlich unterrepräsentiert, haben zum Teil jedoch bereits relativ hohe Ränge inne.

2) Ausführlicher dazu Christine Eifler: Bewaffnet und geschminkt – Zur sozialen und kulturellen Konstruktion des weiblichen Soldaten in Russland und in den USA, in: L’Homme, Heft 1, 2001, S.73-97.

3) 1995/96 waren 161.000 zivile Mitarbeiter beschäftigt, davon nahezu 52.600 Frauen, das sind 32%. Mehr als die Hälfte dieser Frauen arbeitet in der Wehrverwaltung des Bundes, die übrigen arbeiten in den Streitkräften. Dabei werden von den Frauen Tätigkeiten ausgeführt, die in anderen Armeen von Frauen in Uniform wahrgenommen werden. Vgl. Anker, Ingrid/Welcker, Ingrid (1999): Trendwende für die Bundeswehr? Der Beruf Soldat für Frauen, Bielefeld, S.19.

4) ebenda

5) So wurde die Klage einer Soldatin des Sanitätsdienstes auf Laufbahnwechsel vor dem Bundesverwaltungsgericht abgelehnt. Die Klägerin wollte die Übernahme als Militärkraftfahrlehrerin. Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordere es nicht, Verwendungen für Soldatinnen in anderen soldatischen Laufbahnen zu schaffen, auch wenn der Dienst mit der Waffe nicht erforderlich sei. Vgl. Beschluss des BVerwG Berlin, AZ i.-WB-89-95.

6) Zu den Staaten mit den größten Einsatzerfahrungen von Frauen zählen die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Kanada und Frankreich. In ihren Streitkräften existieren Restriktionen im Zugang zu Kampfeinheiten. Norwegen, Spanien, Belgien, Österreich, Schweden und Ungarn haben die Öffnung vollständig vollzogen, Frauen können in allen Waffengattungen dienen. Nur Luxemburg schließt Frauen vollständig vom Militärdienst aus. Vgl. Military Balance 1999-2000, hg. International Institute for Strategic Studies, Oxford 1999. Nato, Nationale Botschaften, vgl. auch Constanze Stelzenmüller, Bürgerin in Uniform, in: ZEITPunkte, Wohin marschiert die Bundeswehr? Fakten Meinungen und Dokumente zur wichtigsten politischen Debatte des Jahres 2000, Heft 4/2000, 34-37, hier 35.

7) Sibylle Raasch: Krieg auch mit den Waffen einer Frau?, in: Kritische Justiz, 33, 2 (2000), 248-261, hier 255.

8) Vgl. u.a. Ute Frevert: Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Thomas Kühne (Hrsg.): Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a. M./New York 1996, 69-87; dies.: Das jakobinische Modell – Allgemeine Wehrpflicht und Nationsbildung in Preußen – Deutschland, in: dies.(Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, 17-47; Ruth Seifert: Gender, Nation und Militär – Aspekte von Männlichkeitskonstruktion und Gewaltsozialisation durch Militär und Wehrpflicht, in: Eckardt Opitz u. Frank S. Rödiger (Hrsg.): Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte, Probleme, Perspektiven, Bremen 1995, 199-214.

9) Morris Janowitz, The Professional Soldier. A Social and Political Portrait, New York 1991, besonders 46 ff.

10) So haben angesichts der Ereignisse vom 11. September Reservisten der Bundeswehr ihre Verweigerung für den Reservistendienst erklärt. FAZ vom 27.10.2001

11) Vgl. Charles C. Moskos und Frank R.Wood (Hrsg.): The Military More than Just a Job?, Washington 1988.

12) In Russland existieren trotz sehr unsicherer sozialer und rechtlicher Verhältnisse für Frauen im Militär verfassungsmäßig garantierte Rechte, die in anderen Teilen der Gesellschaft noch nicht gewährleistet werden.

13) Dabei stützt sie sich auf die Analyse der Erfahrungen mit Frauen im Militär vor allem in den USA und in Österreich, aber auch des Einsatzes von Frauen bei der Polizei und dem BGS in der Bundesrepublik sowie der eigenen bisherigen Ergebnisse mit den Frauen im Sanitätsdienst.

14) Es handelt sich um repräsentative Befragungen von 3.260 Soldaten mittels eines Fragebogens, von denen 2.648 antworteten. Zu den Ergebnissen vgl. Kümmel, G./Biehl, H.: Warum nicht? – Die ambivalente Sicht männlicher Soldaten auf die weitere Öffnung der Bundeswehr, Strausberg 2001.

15) Vgl. hierzu z.B. Francine D’Amico/Laurie Weinstein (eds.): Gender Camouflage. Women and the U.S. Military, New York (N.Y. Univ. Press) 1999; Edna Levy: Women Warriors – The Paradox and Politics of Israeli Women in Uniform, in: Sita Ranchod-Nilsson/Mary Ann Tetreault (eds.): Women, States and Nationalism. At Home in the Nation?, London (Routledge) 2000; Ruth Seifert: Militär und Geschlechterverhältnis – Ein Überblick über aktuelle Problemlagen in der Bundesrepublik Deutschland, Israel und den USA, in: Beiträge zu Lehre und Forschung 5/1998, Fb Sozialwissenschaften der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg.

16) Ruth Seifert: Genderdynamiken bei der Entstehung, dem Austrag und der Bearbeitung von kriegerischen Konflikten. In: Peripherie, Zeitschrift für Politik und Ökonomie der Dritten Welt, erscheint Frühjahr 2002

17) Vgl, EU-Bericht über die Beteiligung von Frauen an der friedlichen Beilegung von Konflikten (2000/2025 (INI)), Ausschuss für die Rechte der Frauen und Chancengleichhheit, Berichterstatterin Maj Britt Theorin

Christine Eifler ist Privatdozentin an der Universität Bremen und arbeitet gegenwärtig an einem DFG-Projekt zur Einbeziehung von Frauen in die Streitkräfte der USA, der Bundesrepublik und in Russland.

„Schöne Flüchtlingsmädchen und Vergewaltigungslager“

„Schöne Flüchtlingsmädchen und Vergewaltigungslager“

Wie Medien Geschlechterstereotype zur Kriegslegitimation nutzen

von Susanne Kassel

Es ist wieder Krieg. Die USA führen nach den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September einen Krieg, der in den Medien als „Krieg gegen den Terror“, „Krieg gegen Afghanistan“ oder „Krieg gegen die Taliban“ bezeichnet wird. Dem Gebrauch von Sprache (und Bildern) sollte vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil Medien dann ein gesteigertes Bedürfnis nach Information und Orientierung befriedigen:1 Nachrichten- und Sondersendungen sowie Hintergrundberichte zum aktuellen politischen Geschehen »machen Quote«. So verbuchten z.B. die Nachrichtensender ntv und Phoenix nach dem 11. September Zuschauerrekorde. Auch wenn die derzeitige Praxis der Medienberichterstattung mehrfach Gegenstand kritischer Reflexion gewesen ist und NachrichtensprecherInnen nicht müde werden zu betonen, dass ihnen nur eingeschränkt Material zur Verfügung stehe, sind einige Aspekte bisher kaum beachtet worden. Dazu gehören die Festschreibung von Geschlechterrollen in Kriegen und die Funktion, die sie in diesem Kontext erfüllen.
Während in Friedenszeiten eine relative Heterogenität in der Darstellung von Männern und Frauen zu beobachten ist, reduziert sie sich in Konflikten auf althergebrachte Geschlechterstereotype: Männer werden zu Soldaten, zu Politikern, zu »Tätern«, Frauen zu Flüchtlingen, zu Soldatenmüttern, zu »Opfern«. Während Männer vornehmlich als aktiv Handelnde präsentiert werden, werden Frauen zu Objekten des Kriegsdiskurses, für deren Befreiung Kriege geführt werden – aber ohne ihre Beteiligung.

Entdifferenzierung der Geschlechterbilder

Dieses »Verschwinden« der Frauen aus dem Kriegsdiskurs kann dazu führen, Krieg mit »Männlichkeit« zu assoziieren: Auf dem Titel der ersten Ausgabe der Emma nach dem Anschlag auf das World Trade Center war eine verschleierte Frau mit einer Dornenkrone zu sehen, im Vordergrund George Bush, Osama Bin Laden und Joschka Fischer. Die Textzeile lautete: „Terror – Männer, Männer, Männer.“2 Eine solche Sichtweise verstellt jedoch den Blick auf die aktive Rolle, die Frauen – auch als Täterinnen – in Kriegen spielen und schließt sie von der Teilnahme am Kriegsdiskurs aus. Indem Frauen die Position des Friedens – der »weinenden Soldatenmütter« – zugewiesen wird, werden sie de facto zur Machtlosigkeit verdammt.3 Sie werden aus einem Diskurs verbannt, den sie – durchaus mit pazifistischen Absichten – mitprägen könnten. So hat z.B. Madeleine Bunting in einer Analyse der jeweils ersten fünf Seiten der großen britischen Tageszeitungen festgestellt, dass die Zahl der von Frauen veröffentlichten Artikel nach dem 11. September drastisch gesunken ist.4

Aus der Perspektive der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung ist Gender – die soziale Konstruktion der Geschlechtszugehörigkeit – eine der zentralen (oder die zentrale) Kategorien der Darstellung und Wahrnehmung von Kriegen.

Der Beschreibung der Reduzierung der weiblichen Rolle auf die des Opfers wird dabei häufig entgegen gehalten, eine solche Position ignoriere, dass Frauen in den meisten Fällen tatsächlich die von Flucht und Misshandlung hauptsächlich Betroffenen seien. In der Tat ist der Zusammenhang zwischen Rollenzuschreibung und realer Betroffenheit ebenso problematisch wie uneindeutig. Negiert nicht die Rede von einem »Vergewaltigungsmythos«5 und von der Instrumentalisierung der Vergewaltigung zur Kriegslegitimation das Leid vergewaltigter Frauen?

Der Verweis auf die konkrete Situation von Frauen im Kriegsgebiet ist berechtigt, erfasst aber nicht die strukturellen Probleme der Rollenzuweisung an Frauen und der Handlungsspielräume, die ihnen dadurch zugewiesen werden. Das wird deutlich, wenn sich die Untersuchung statt auf die Ebene der »Opfer« auf die Ebene der »Täterinnen« konzentriert. Anhand dieses überwiegend männlich besetzen Umfeldes zeigt sich, dass die Geschlechterrollen nicht auf der Ebene des realen Geschehens anzusiedeln sind, sondern der Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit im gesellschaftlichen Diskurs folgen.

Grundsätzlich erhöht sich in Kriegszeiten der Rückhalt für die politische Führung eines Landes. Kanzler Schröder und Außenminister Fischer konnten durch ihr Engagement im Kosovokrieg die eigene Beliebtheit deutlich steigern. Vergleichbares wurde den aktiv beteiligten Frauen nicht zuteil: Mira Markovic, die Ehefrau des jugoslawischen Staatspräsidenten Milosevic, wurde als »Hexe von Belgrad« diffamiert.6 Sicherlich korrespondiert diese negative Präsentation mit der Darstellung ihres Mannes als »Diktator« oder »Serbenzar«. Auffälliger aber wird die Differenz in der Präsentation von Politikern und Politikerinnen, wenn man den Blick auf die NATO richtet: während Clinton, Schröder und Fischer gerne als rational und umsichtig handelnde »elder statesmen« beschrieben wurden, setzte sich für die US-Außenministerin Albright der Spitzname »Mad Madeleine« durch.7Den auf diese Weise medial abgewerteten, handelnden Frauen steht die große Zahl der zumeist anonymen Opfer gegenüber. Auch wenn unter den Flüchtlingen viele Männer zu finden sind, wird ihr Leid in den Medien in der Regel anhand von Frauen dargestellt. So widmete z.B. der Spiegel den Kosovo-Flüchtlingen eine Titelgeschichte.8 Das Titelbild zeigte eine junge Frau mit halb entblößter Brust, an der ein Säugling lag.

Mit ihrer madonnenhaften Inszenierung korrespondierten auch die übrigen Bilder: Hier wurde der Blick der LeserInnen ebenfalls auf Frauen gelenkt. Keines der Bilder fokussierte einen Mann, obwohl gelegentlich und bei genauerem Hinsehen im Hintergrund Männer zu erkennen waren. Dasselbe gilt für die Berichterstattung in den folgenden Ausgaben. Flüchtende Männer erscheinen nur als Teil einer großen Masse, die Ikonisierung des Leids ist den Frauen vorbehalten.

Die Dichotomisierung von Frauen- und Männerrolle findet sich beispielhaft in der Zeit vom 15. April 1999: Die Titelseite zeigt Großaufnahmen der Köpfe führender Politiker, in der Mitte das Bild einer albanischen Mutter mit Kind. Die Textzeile lautet: „Gesichter des Krieges: Bill Clinton, Boris Jelzin, Flüchtlinge, Slobodan Milosevic, Gerhard Schröder.“9

Durch die Bildmontage wird suggeriert, was andernorts vielfach diskutiert wurde: Es sei die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, Flucht und Vertreibung von Frauen und Kindern aus dem Kosovo zu stoppen, das Mittel dafür sei Krieg.

Menschenrechte – und insbesondere Frauenrechte – dienen auch in Afghanistan als Mittel um die Bombardierungen zu rechtfertigen, obwohl sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang zum propagierten »Krieg gegen den Terror« stehen. Den diskursiv erzeugten Geschlechterbildern kommt jedoch bei der Kriegslegitimation eine wichtige Funktion zu.

Instrumentalisierung von Geschlechterbildern

Das Führen eines Krieges setzt außerdem eine Entdifferenzierung der Positionen der KriegsakteurInnen voraus. Insbesondere in demokratischen Ländern muss ein gesellschaftlicher Konsens geschaffen werden, der einen Kriegseinsatz legitimiert. Medien können dabei helfen, indem sie die Möglichkeiten des Sprechens über den Krieg im Interesse der gesellschaftlichen Eliten regulieren und begrenzen. Komplexitätsreduktion der Sachlage, Feindbildkonstruktion und der gezielte Einsatz von »starken Bildern« (z.B. Vergleich mit Hitler) zählen zu den Mitteln, mit denen sie zur Legitimierung von Kriegen beitragen können.10 Mit Hilfe von Sprache und Bildern werden Positionen des »Eigenen« und des »Fremden« erschaffen, wobei Einheit durch die Betonung der Differenz zum »Anderen«, zum Ausgegrenzten hergestellt wird.

Eine wissenschaftliche Methode, die für die Analyse solcher Fremdbildkonstruktionen besonders geeignet ist, ist die Diskursanalyse.11 Diskursanalysen fragen nach dem Ort, an dem Aussagen getroffen werden und nach den Bedingungen ihres Zustandekommens. Sie wollen die gegenseitige Beeinflussung von Sprache und sozialer Struktur sichtbar machen. Die Diskursanalyse der Berichterstattung über Kriege wäre z.B. an der medialen Bedeutungsproduktion interessiert, d.h. sie kann einen Interpretationsraum skizzieren, innerhalb dessen ein Krieg medial verhandelt wird.Wir haben an der Universität Göttingen die Spiegel-Berichterstattung über den Kosovokrieg einer solchen Analyse unterzogen.12 Anhand mehrerer Titelgesichten untersuchten wir exemplarisch, ob, und wenn ja wie, ein kriegsbefürwortender Konsens gebildet wurde, die Definition einer einheitlichen Identität durch Abgrenzung vom Gegner erfolgte und an welches historische und kulturelle »Vorwissen« dabei angeknüpft wurde. Dabei kamen wir zu dem Ergebnis, dass die Charakterisierung der am Krieg beteiligten Parteien entlang von Dualismen erfolgte: Dem Westen als Ort der Aufklärung und rationalen Vernunft stand ein der Voraufklärung verhafteter Balkan gegenüber. Eine mögliche Identifikation mit dem Gegner oder auch nur Verständnis für sein Handeln konnte auf diese Weise ausgeschlossen werden, die Komplexität der Situation wurde auf zwei einander monolithisch gegenüberstehende Positionen reduziert. Unsere These vom »Meinungskorridor«, der auf diese Weise in Kriegszeiten etabliert und begrenzt wird, ließ sich auch durch Ergebnisse aus anderen Untersuchungen stützen: Christiane Eilders und Albrecht Lüter fanden mittels Inhaltsanalyse heraus, dass die grundsätzliche Legitimität des Kosovokrieges in den Medien nicht angezweifelt wurde und dass dieser im Wesentlichen als berechtigte Antwort auf serbische Menschenrechtsverletzungen verstanden wurde.13

Ähnliches lässt sich auch jetzt beobachten: Unabhängig von den vielen Verweisen auf die große Mehrheit von MuslimInnen überall auf der Welt, die terroristische Handlungen grundsätzlich verurteilen, und unabhängig von der immer wieder beschworenen Formel, keinen Krieg gegen das afghanische Volk zu führen, erfolgt in den Medien über die Konstruktion von Feindbildern und Stereotypen in Bezug auf die islamische(n) Gesellschaft(en) eine klare Parteinahme für das Vorgehen der USA.

In diesem Zusammenhang erfüllt die Darstellung von Frauen in der islamischen Welt eine wichtige Funktion. Sie dient als Baustein der Konstruktion einer unzivilisierten Gesellschaft, gegen die es freiheitliche und demokratische Werte zu verteidigen gilt.14 Ein solches Vorgehen zeigte sich auch im Kontext der Berichterstattung über den Kosovokrieg:

  • In beiden Fällen wurden bzw. werden Frauen primär als Opfer präsentiert. Die Missachtung der Rechte von Frauen und Gewalt gegen Frauen sind Bestandteile der stereotypen Darstellung der feindlichen Parteien in beiden Kriegen.15
  • Die Präsentation von Frauen als Opfer eines Krieges kann dabei helfen, ein »Feindbild« zu konstruieren und einen Krieg zu rechtfertigen. Die Misshandlung von Frauen passt in das Bild der voraufklärerischen, unzivilisierten Gesellschaft, als die das jeweilige Feindesland beschrieben wird.16 Der Verweis auf Vergewaltigung und Vertreibung erzeugt einen starken Handlungszwang. Ähnlich wie bei dem Vergleich von Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic mit Hitler wird ein moralischer Impetus geschaffen, der eine kriegsverneinende Position nahezu unmöglich macht: Wer diesen Krieg nicht führen will, macht sich der Missachtung der Menschenrechte und der Duldung des Nazismus schuldig. Oder: Wer diesen Krieg nicht führen will, befürwortet die Entrechtung der Frauen in Afghanistan.

Im Bosnienkrieg war von Frauen vor allem im Zusammenhang mit »ethnischen Säuberungen« und systematischen Vergewaltigungen die Rede. Im Rückgriff auf das damals etablierte Bild wurde im Kosovokrieg von »Vergewaltigungslagern« gesprochen. Zusammen mit dem umstrittenen »Hufeisenplan« serbischer Vertreibungen und mit angeblich errichteten »Konzentrationslagern« dienten sie als Rechtfertigung der »humanitären Intervention«.

Ein ähnliches Vorgehen lässt sich im Krieg gegen Afghanistan beobachten: „Die schönen Töchter Afghanistans – Taliban-Krieger vergewaltigen Flüchtlingsmädchen“ lautete die Überschrift eines Artikels in der Bild am 27. September, der auch im Internet veröffentlicht wurde.17 Ein Link führte zu den »Hintergründen«: „So rechtlos sind die Frauen in Afghanistan“. Vergewaltigung ist ebenfalls Thema in einem Spiegel-Artikel über oppositionelle Frauen in Flüchtlingslagern vom 15. Oktober – dort werden als Täter die oppositionellen Mudschahidin ausgemacht. Eine Afghanin wird mit den Worten zitiert: „Bei den Taliban mussten wir die Burka aus religiösen Gründen anlegen, sonst wären wir eingesperrt oder gesteinigt worden, bei den Mudschahidin mussten hübsche Frauen die Burka als Selbstschutz tragen, weil man sie sonst vergewaltigt hätte. Wo ist da der Unterschied?“18

Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das die »Anderen« begehen: Im Krieg der »zivilisierten Welt« gegen den »islamischen Fundamentalismus« ist die Thematik der Vergewaltigung Ausdruck der Barbarei des Feindes. Indem sie auf den Feind projiziert wird, kann sie aus dem Selbstbild verbannt werden. Während »Sie kommen und schänden unsere Frauen« zu den gängigsten Erzählungen der Kriegsmythologie gehört, wird die Vergewaltigung von amerikanischen Soldatinnen durch ihre Kollegen weit gehend tabuisiert, ebenso wie sexuelle Übergriffe von UN-Soldaten in Ex-Jugoslawien. Auch das Aufblühen der Prostitution in Regionen mit ständiger Militärpräsenz (der UNO, der USA oder anderer) wird häufig ignoriert.19

Entschleiert, also frei?

Im Kontext der Vorbereitungen zu einem Krieg kann die Misshandlung und Entrechtung von Frauen als Legitimationsgrund missbraucht werden. Die Situation von Frauen wird von den Medien meistens vernachlässigt, doch es wird besonders häufig dann darüber berichtet, wenn ein Land als Gegner identifiziert wird: Die Lebensbedingungen afghanischer Frauen haben sich in den letzten Jahren nicht verändert, zu einem wichtigen Thema der Medienagenda sind sie jedoch erst nach den Terroranschlägen geworden: „Am ärgsten traf es die Frauen – manche von ihnen wehren sich nun“, schreibt der Spiegel im Oktober 200120 und ignoriert dabei den Umstand, dass die in den 70er Jahren gegründete afghanische Frauenrechtsorganisation RAWA seit dem Abzug der sowjetischen Armee immer wieder auf die Unterdrückung der Frauen durch die aus den Mudschahidin hervorgegangenen Taliban und Parteien der Nordallianz hingewiesen hat. 1995 war die Missachtung der Menschenrechte in Afghanistan ein Thema auf der Weltfrauenkonferenz in Peking – Gehör fanden sie damals nicht. Mittlerweile wird in allen Medien über die »Rebellinnen des Herzens«21 von RAWA berichtet.

Kann einer solchen Vereinahmung feministischer Anliegen überhaupt entgangen werden? Die in Großbritannien aufgewachsene Afghanin Saira Shah kehrte Anfang des Jahres 2001 – also vor den Terroranschlägen – in ihr Geburtsland zurück, um unter Lebensgefahr einen Film über die weit reichende Verletzung von Frauen- und Menschenrechten zu drehen. Die hochgelobte Dokumentation »Beneath the Veil« wurde im Sommer 2001 in Großbritannien und in den USA ausgestrahlt, fand aber keine größere Beachtung. Nach dem 11. September wurde sie von CNN in regelmäßigen Abständen wiederholt.

Zu den Bildern der verschleierten Frauen haben sich mittlerweile die Bilder der entschleierten Frauen gesellt. Nachdem die Verschleierung in den westlichen Medien als Zeichen der Unterdrückung und Aufforderung zur Befreiung etabliert worden war, mag der Druck groß gewesen sein, nach dem Einmarsch in Kabul das Bild einer Frau zu präsentieren, die ihr Gesicht zeigt: „Machte der Burkazwang für die Taliban ihre Herrschaft und Kontrolle über die Frauen sichtbar, sind mit derselben Logik die freigelegten Gesichter der Frauen dem Westen Beweis genug für ihre Befreiung.“22

Wie »befreit« die Frauen in Afghanistan tatsächlich sind und in naher Zukunft sein werden, ist derzeit nur schwer absehbar. Ob sich ihre Situation unter der neuen Regierung verbessert, ist fraglich – und ebenso, ob sie dann auch weiterhin Gegenstand der Berichterstattung sein werden.

Anmerkungen

1) Vgl. Löffelholz, Martin: Krisenkommunikation – Probleme, Konzepte, Perspektiven. In: Löffelholz, Martin (Hg.): Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1993. S. 11-32. Vgl. Grimm, Jürgen: Informationsleistungen von Medien in Krisenzeiten. Anomalien des Zuschauerverhaltens während des Golfkriegs. In: Ludes, Peter (Hg.): Informationskontexte für Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996. S. 227-263.

2) Emma, Nr. 6, Nov/Dez 2001

3) Der »Soldatenmütter«-Diskurs scheint gesellschaftlich legitimierter zu sein als andere pazifistische Positionen (vgl. auch: Sander, Helke: Mr. Baroody und die Mütter. In: Emma, Juli/August 1999, S. 42-43). So wurde z.B. die grüne Politikerin Claudia Roth von Kanzler Schröder als »Heulsuse« diffamiert, weil sie angeregt hatte, die Bombardierung Afghanistans auszusetzen, um den Hilfsorganisationen den Zugang zum Kriegsgebiet zu ermöglichen.

4) Bunting, Madeleine: Women and War. In: The Guardian, 20. September 2001 (auch: www.guardian.co.uk/Archive/Article/0,4273,4260841,00.html).

5) vgl. Mikich, Sonja et al.: Sich selbst ein Bild machen – Reporter-Erfahrungen am Kriegsschauplatz. In: Hall, Peter Christian (Hg.): Krieg mit Bildern – Wie Fernsehen Wirklichkeit konstruiert (Band 33 der Mainzer Tage der Fernsehkritik). Mainz: ZDF, 2001. S. 122.

6) Bild, 26. März 1999.

7) Vgl. auch die »Eiserne Lady« Margret Thatcher.

8) Wohin führt dieser Krieg? Der Spiegel, Nr. 14/1999.

9) Die Zeit, Nr. 16/1999.

10) Vgl. Schulte-Holtey, Ernst: Das Ereignis des Krieges. Orientierungsversuche im Frühjahr 1999. In: Grewenig, Adi/Jäger, Siegfried/Jäger, Margret (Hg.): Medien in Konflikten. Holocaust – Krieg – Ausgrenzung. Duisburg: DISS, 2000. S. 133-148.

11) Wodak, Ruth: Zwei Ansätze der kritischen Diskursanalyse. In: Titscher, Stefan et al. (Hg.): Methoden der Textanalyse. Leitfaden und Überblick. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1998. S. 178-203; vgl. auch Smith, Philip: The semiotic foundations of media narratives: Saddam and Naser in the American mass media. In: Journal of Narrative and Life Theory, 4 (1&2), 1994. S. 89-118.

12) Elisabeth Klaus/Susanne Kassel/Kerstin Goldbeck: Fremd- und Selbstbilder in der Berichterstattung der deutschen Medien während des Kosovokrieges – am Beispiel des Spiegel (Veröffentlichung des Artikels in Vorbereitung).

13) Eilders, Christiane/Lüter, Albrecht: Germany at War. Competing Framing Strategies in German Public Discourse. In: European Journal of Communication: The Media and the Kosovo Conflict (Special Issue), Vol 15, Nr. 3, September 2000. S. 415-428.

14) Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass die folgenden Ausführungen lediglich Hypothesen darstellen, die in Bezug auf die Ausgewogenheit der Berichterstattung bisher nicht überprüft worden sind.

15) Im Umkehrschluss präsentierten Kriegsparteien Frauen als Soldatinnen in den eigenen Reihen, wenn sie sich selbst als besonders aufgeklärt und liberal darstellen wollten. So erreichten die Soldatinnen der US-Armee während des zweiten Golfkriegs einige Aufmerksamkeit (und wurden später Gegenstand eines Hollywoodfilms). Der Journalist Malte Olschewski berichtet von einem Frauen-Batallion der bosnisch-muslimischen Armee, das westlichen Kamerateams bevorzugt vorgeführt wurde, um die Fortschrittlichkeit des bosnischen Islam zu belegen, tatsächlich aber nie zum Einsatz kam (Olschewski, Malte: Von den Karawanken bis zum Kosovo. Die geheime Geschichte der Kriege in Jugoslawien. Wien: Braumüller, 2000. S. 136 und 255).

16) Eine Analyse des Feindbilds »Islam« findet sich z.B. bei Link, Jürgen: „Der irre Saddam setzt seinen Krummdolch an meine Gurgel!“ Fanatiker, Fundamentalisten, Irre und Trafikanten – das neue Feindbild Süd. In: Jäger, Siegfried: Text- und Diskursanalyse. Eine Anleitung zur Analyse politischer Texte. Duisburg: DISS, 1993. S. 73-92.

17) www.bild.de (Download am 27.09.01)

18) Carolin Emcke: Zuviel Leid für eine Seele. In: Der Spiegel 42/2001, S. 178-180.

19) Vgl. Böhm, Andrea: Freier für den Frieden. In: Die Zeit 3/2000 (www.zeit.de/2000/3/200003_sfor.html); Bressnell, Ariane/ Schwab, Waltraud: Keine Komplizinnen. In: die tageszeitung Nr. 6634, 24.12.01, S. VI-VII.

20) Claudia Emcke: Zuviel Leid für eine Seele. In: Der Spiegel 42/2001, S. 178.

21) Bernard, Cheryl/ Schlaffer, Edith: Rebellinnen des Herzens. In: Welt am Sonntag, 25.11.01.

22) Connie Uschtrin: Minis über Kabul. In: Konkret 1/2002, S. 17.

Susanne Kassel, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft der Universität Göttingen, promoviert über das Zusammenspiel von Medien und Militär in Kriegszeiten

Die Phantomtürme

Die Phantomtürme

Feministische Gedanken zum Kampf zwischen globalem Kapitalismus und fundamentalistischem Terrorismus

von Rosalind P. Petchesky

Nach den terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon hat die US-Regierung den »Krieg gegen den Terrorismus« ausgerufen. Das Taliban-Regime in Afghanistan wurde wegbombardiert und mit ihm einige Tausend Zivilisten. Bush spricht von einem zu erwartenden jahrelangen Krieg gegen den Terrorismus und bezeichnet in diesem Zusammenhang Irak, Iran und Nordkorea als Achse des Bösen. Die Polemik gegen das Regime Saddam Husseins wird seitdem verschärft, ein nächster Krieg – unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung – scheint möglich. Die US-amerikanische Professorin Rosalind P. Petschesky setzt sich auseinander mit der Situation in den USA nach den Terroranschlägen, vergleicht die US-Machtpolitik mit den Ansprüchen der terroristischen Fundamentalisten und entwickelt Vorschläge für eine andere Politik.
Der Anschlag auf das World Trade Center hat verschiedene Schäden angerichtet, nicht zuletzt eine große ethische und politische Verwirrung bei vielen Amerikanern, die sich irgendwie als »progressiv« bezeichnen – mit anderen Worten anti-rassistisch, feministisch, demokratisch, gegen den Krieg. Während wir eine Verantwortung gegenüber den Toten, ihren Angehörigen und gegenüber uns selbst haben zu trauern, ist es gleichwohl wichtig jetzt anzufangen, darüber nachzudenken, in was für einer Welt wir heute leben, und was diese Welt von uns verlangt.

Daher möchte ich versuchen, ein Bild oder eine Art Karte der globalen Machtdynamik wie ich sie heute sehe zu zeichnen. Ich werde auch die geschlechtspolitische und die Rassismus-Dimension mit einbeziehen. Ich möchte fragen, ob es eine Alternative gibt, einen menschlicheren, friedlicheren Weg, der uns wegführt von den zwei nicht akzeptablen Extremen, die sich bis jetzt präsentieren: der permanenten Kriegsmaschine (oder dem permanenten Sicherheitsstaat) und der Herrschaft des heiligen Terrors.

Eins möchte ich ganz klarstellen: Wenn ich die Frage stelle, ob wir heute vor einer Konfrontation zwischen globalem Kapitalismus und einer islamisch-fundamentalistischen Variante von Faschismus stehen, will ich nicht implizieren, dass diese beiden gleichwertig sind. Wenn die Anschläge vom 11. September tatsächlich das Werk von Bin Ladens Al Qaida-Netzwerk oder etwas Verwandtem und noch Größerem gewesen sind – und ich denke, das können wir im Moment als echte Möglichkeit annehmen –, dann sind die meisten von uns hier im Raum so strukturiert, dass wir wenig Zweifel an unserer Identität haben. (Ich kann mir vorstellen, dass das moralische Dilemma viel schwieriger ist für die Moslem-Amerikaner und arabischen Amerikaner unter uns.)

Ich lasse mich auch nicht dazu verleiten, unser jetziges Dilemma vereinfacht als kosmischen Kampf zwischen Gut und Böse zu sehen. Gegenwärtig wird dies in zwei gegensätzlichen, aber sich widerspiegelnden Versionen dargestellt. Es gibt die Version, die nicht nur von Terroristen und ihren Sympathisanten, sondern auch von vielen Linken in den USA und der Welt verbreitet wird, wonach US-Kulturimperialismus und wirtschaftliche Dominanz dafür verantwortlich sind, dass wir jetzt die wohlverdiente Strafe kassieren. Auf der anderen Seite gibt es die patriotische, rechte Version, wonach US-Demokratie und Freiheit die unschuldige Zielscheibe islamischen Wahnsinns sind. Beide Versionen ignorieren all die komplexen Faktoren, die wir in eine andere, stärker ethisch und politisch orientierte Vision integrieren müssen. Die apokalyptische Rhetorik, die zwischen Bush und Bin Laden nach den Anschlägen hin und her ging – die pseudo-islamische und die pseudo-christliche, der Djihad und der Kreuzzug –, beide Versionen lügen.

Während ich also terroristische Netzwerke und globalen Kapitalismus nicht als äquivalent oder gleich sehe, sehe ich doch einige auffällige und beunruhigende Parallelen zwischen ihnen. Ich erkenne sechs Bereiche, wo sie sich ähneln.

1. Reichtum – Ich brauche wohl nicht viel zu sagen über die USA als reichstes Land der Welt oder über die Art und Weise, wie die Anhäufung von Reichtum das ultimative Ziel, nicht nur unseres politischen Systems, sondern auch unseres nationalen Charakters ist. Unser Land ist das Zentrum der Großkonzerne, die den globalen Kapitalismus dominieren und die Politik der internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank, WTO) beeinflussen, die seine wichtigsten regulierenden Instanzen darstellen. Diese Wirklichkeit spiegelt sich überall in der Welt wider durch die symbolische Bedeutung von allem, was mit den USA assoziiert wird – von den McDonald’s- und Kentucky-Fried-Chicken-Werbebildern der Demonstranten in Genua oder Rawalpindi bis zu den WTC-Türmen selbst. Gewinnsucht, ob individuelle oder unternehmerische, liegt sehr dicht hinter den Werten, die Bush und Rumsfeld meinen, wenn sie sagen, unsere »Freiheiten« und unsere »Lebensweise« stünden unter Beschuss und müssten aggressiv verteidigt werden.

Reichtum ist auch ein Motor hinter dem Al Quaida-Netzwerk, dessen Führungskräfte hauptsächlich Nutznießer der Bildung und Finanzierung der oberen Mittelklasse sind. Bin Laden selbst bezieht viel von seiner Macht und seinem Einfluss aus dem enormen Reichtum seiner Familie und die Zellen der arabisch-afghanischen Kämpfer gegen die sowjetischen Truppen in den 80ern wurden nicht nur von der CIA und der pakistanischen Geheimpolizei, sondern auch aus saudi-arabischen Öleinnahmen finanziert. Noch wichtiger jedoch sind die Werte hinter den terroristischen Organisationen. Wie Bin Laden in seinem berühmten Interview von 1998 deutlich machte, gehören die Verteidigung der »Ehre« und des »Besitzes« von Moslems weltweit dazu sowie „die Bekämpfung der Regierungen, die darauf hinaus sind, unsere Religion anzugreifen und unseren Reichtum zu stehlen (…)“.

2. Imperialistischer Nationalismus – Die erste Reaktion der Bush-Regierung auf die Anschläge zeigte das Verhalten einer Supermacht, die keine Grenzen kennt, die ultimative Forderungen unter dem Deckmantel der »Kooperationssuche« ausspricht. „Jede Nation in jeder Region muss eine Entscheidung treffen“, sagte Bush in seiner Rede an die Nation, die in Wirklichkeit eine Rede an die Welt war. „Entweder Sie sind mit uns oder Sie sind mit den Terroristen.“ „Dies ist ein Kampf der Welt, ein Kampf der Zivilisation.“ Demnach sind die USA der Führer und Sprecher der Zivilisation, während nicht nur die Terroristen, sondern auch diejenigen, die nicht bereit sind mitzukämpfen, zu den Unzivilisierten gehören. Gegenüber den Taliban und allen anderen Regierungen, die „Terroristen Unterschlupf gewähren“, war Bush der Sheriff, der die Viehdiebe konfrontierte: „Übergebt die Terroristen oder ihr werdet das gleiche Schicksal erleiden!“ Und wenige Tage danach lasen wir über „die amerikanische Ankündigung, dass die USA Saudi-Arabien als Stützpunkt für Luftangriffe gegen Afghanistan benutzen würden“.

Offensichtlich geht es bei dieser Offensive um viel mehr als nur um das Finden und Bestrafen von Terroristen. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, wie sie mit dem langjährigen US-amerikanischen Beschluss, eine dominante Position im Golf und die Kontrolle über Öllieferungen zu behalten, zusammenhängt. In der Tradition neo-imperialistischer Machtausübung müssen die USA andere Länder nicht politisch oder militärisch dominieren, um die gewünschten Zugeständnisse zu erreichen. Allein ihr wirtschaftlicher Einfluss zusammen mit der Möglichkeit der militärischen Zerstörung reicht aus.

Obwohl sie nicht die konkrete imperialistische Macht der USA besitzt, hat die Gruppe um Bin Laden ähnliche Bestrebungen. Wenn wir uns fragen: Was suchen die Terroristen?, müssen wir erkennen, dass ihre Weltanschauung eine extreme und bösartige Form von Nationalismus ist. Sie ist eine Art Faschismus, weil sie auf den Terror setzt, um ihre Ziele zu erreichen. So gesehen wollen sie – wie die USA – weit mehr als nur Bestrafung erreichen. Die ganze Geschichte des arabischen und islamischen Nationalismus hatte immer eine länderübergreifende, pan-arabische oder pan-moslemische Form. Die Sprache Bin Ladens macht dies deutlich – er spricht von der »Arabischen Nation«, »der Arabischen Halbinsel« und einer »Brüderschaft«, die von Osteuropa über die Türkei und Albanien bis zum Mittleren Osten, Südasien und Kaschmir reicht. Wenn sie die USA zur Bombardierung Afghanistans und/oder Attacke auf die Taliban provozieren, würde dies sicherlich Pakistan destabilisieren und eventuell in die Hände Taliban ähnlicher Extremisten katapultieren. Diese würden dann über Nuklearwaffen verfügen – ein Riesenschritt in Richtung ihrer verzerrten Version des pan-muslimischen Traumes.

3. Pseudo-Religion – Viele haben schon bemerkt, dass es falsch ist, die Situation als »Kampf der Religionen« oder »Kampf der Kulturen« zu sehen. Statt dessen haben wir hier einen Missbrauch von religiösen Symbolen für politische Zwecke und als Rechtfertigung für anhaltenden Krieg und Gewalt. So ruft Bin Laden zum Djihad oder heiligen Krieg gegen die USA, ihre Bevölkerung und Soldaten, und Bush ruft zum Kreuzzug gegen die Terroristen und alle, die sie verstecken oder unterstützen. Bin Laden behauptet, er sei der „Diener Allahs, der für die Religion von Allah kämpft“ und er verteidige die heiligen islamischen Moscheen, während Bush verkündet, Washington fördere „unendliche Gerechtigkeit“ und erwarte den sicheren Sieg, weil „Gott nicht neutral ist“. Wir müssen aber die Ehrlichkeit dieser religiösen Auseinandersetzung auf beiden Seiten in Frage stellen, ganz gleich wie aufrichtig die Befürworter sind.

4. Militarismus – Sowohl die Bush-Regierung als auch die Bin Laden-Anhänger nutzen die Methoden von Krieg und Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen, doch in unterschiedlicher Weise. US-Militarismus kommt in einer hochtechnisierten Form daher, die durch die bloße Stärke, Größe und technische Perfektion unserer Waffen terrorisieren will. Unsere militärische Technik ist eine riesige und nimmersatte Industrie, deren Hauptantrieb nicht Strategie, sondern Gewinn ist. Sogar George W. Bush, in einer seiner bisher hellsten Äußerungen, bemerkte, wir würden nicht so blöd sein und „einen 2 Milliarden Dollar teuren Marschflugkörper auf ein leeres 10-Dollar-Zelt richten“. US-Militarismus hat nichts mit Vernunft zu tun – nicht mal etwas mit Terroristenbekämpfung –, sondern nur mit Profit.

Der Militarismus der Terroristen ist ganz anderer Art. Er basiert auf der mythischen Figur des Beduinenkriegers oder der Ikhwan-Kämpfer des frühen 20. Jahrhunderts, die es Ibn Saud ermöglichten, seinen dynastischen Staat zu festigen. Was sie auszeichnete waren der Mut und die Härte des Einzelnen im Kampf. Natürlich basiert dieses Bild, wie jede extreme nationalistische Ideologie, auf einer mythischen, goldenen Vergangenheit und es hat wenig damit zu tun, wie echte Terroristen im 21. Jahrhundert rekrutiert, trainiert und ausgezahlt werden. Außerdem basiert terroristischer Lowtech Militarismus wie Hightech Militarismus auf einer Illusion. Der Illusion, dass Millionen Gläubige aufstehen, die Fatwa ausführen und den Ungläubigen besiegen werden. Dies ist deshalb eine Illusion, weil es die mächtigste Waffe des Kapitalismus stark unterschätzt. Diese Waffe besteht nicht aus „endloser Gerechtigkeit“, das sind auch nicht die Atomwaffen, das sind die endlosen Ströme von Nikes und CDs. Außerdem unterschätzt es die lokale Macht des Feminismus, den die Fundamentalisten fälschlicherweise für ein westliches Phänomen halten. Im heutigen Iran, mit all seinen internen Widersprüchen, zeigen sich die Hartnäckigkeit und die globale/lokale Vielfalt sowohl der Jugendkulturen als auch der Frauenbewegungen.

5. Männlichkeit – Militarismus, Nationalismus und Kolonialismus als Machtbereiche sind und waren immer zum großen Teil Kämpfe über die Bedeutung von Männlichkeit. Die feministische Politikwissenschaftlerin Cynthia Enloe bemerkt, „das oftmals schwache Bild der Männer von ihrer eigenen Männlichkeit ist genauso ein Faktor in internationaler Politik wie die Ströme von Öl, Kabeln und militärischem Gerät“. Bei Bin Ladens Unterstützern, den Taliban, wurden die Form und das Ausmaß der Frauenfeindlichkeit, die mit Staatsterrorismus und Fundamentalismus Hand in Hand geht, deutlich demonstriert.

Wir sollten nicht vergessen, dass internationale Terroristen und Bin Laden selbst als Leitbild das Modell der islamischen »Brüderschaft« nehmen – die Bande der Brüder, verbunden in ihrer Entschlossenheit, den Feind bis zum Tode zu bekämpfen. Die von der CIA, Pakistan und Saudi-Arabien finanzierten Schulungslager, die zur Unterstützung der »Rebellen« (die später zu »Terroristen« wurden) im Krieg gegen die Sowjets aufgebaut wurden, waren Brutstätten nicht nur eines weltweiten Terrornetzwerkes, sondern auch seiner männlichen, frauenfeindlichen Kultur. Offensichtlich sieht sich Bin Laden als Patriarch, dessen Pflicht es ist, nicht nur seine eigene Familie mit vielen Frauen und Kindern, sondern auch seine ganze Anhängerschaft und deren Familien zu versorgen und zu schützen. Er ist das legendäre Gegenstück zum Paten oder »padrone«.

Können wir im Gegensatz dazu sagen, die USA als Fahnenträger des globalen Kapitalismus seien »geschlechtsneutral«? Sitzt nicht eine Frau – sogar eine afro-amerikanische Frau – an der Spitze unseres Verteidigungsministeriums, wo sie als rechte Hand des Präsidenten die permanente Kriegsmaschine mitgestaltet?

Auch wenn Meinungsumfragen zum Krieg einen angeblichen Spalt zwischen den Geschlechtern aufzeigen, sind Frauen nicht grundsätzlich friedensliebender als Männer. Die globale kapitalistische Männlichkeit lebt und gedeiht, aber sie versteckt sich unter dem eurozentrischen, rassistischen Deckmantel der »Rettung« unterdrückter, entmündigter afghanischer Frauen vor der frauenfeindlichen Regierung, der sie an die Macht geholfen hat.

6. Rassismus – Natürlich ist das, was ich faschistischen Fundamentalismus oder internationalen Terrorismus genannt habe, auch mit Rassismus getränkt. Dies ist aber eine sehr spezifische, zielgerichtete Art von Rassismus, nämlich Antisemitismus. Die Türme des WTC symbolisierten nicht nur US-Kapitalismus, sondern – für die Terroristen – jüdischen Kapitalismus. In seinem 1998 aufgenommenen Interview spricht Bin Laden immer wieder von »Juden«, nicht von Israelis, wenn er behauptet, sie plant, die gesamte Arabische Halbinsel zu übernehmen. Er sagt, „die Amerikaner und die Juden (…) sind die Speerspitze, mit der Mitglieder unserer Religion getötet worden sind. Jede gegen Amerika und die Juden gerichtete Aktion bringt positive und direkte Ergebnisse.“

US-Rassismus ist viel unklarer, aber genauso heimtückisch. Der unter der Oberfläche weit verbreitete Rassismus kommt immer in nationalen Krisenzeiten hoch. Die Attacken gegen Sikhs und andere Inder, gegen Araber und sogar Latein- und Afro-Amerikaner mit brauner Hautfarbe signalisieren eine Ausbreitung des amerikanischen Rassismus über die üblichen Schwarz-Weiß-Grenzen hinaus. Offiziell verabscheut der Staat solche Taten und verspricht, die Täter voll zur Rechenschaft zu ziehen. Dies ist aber der gleiche Staat, der das 1995 nach dem Bombenattentat von Oklahoma (eine von weißen, christlichen Amerikanern begangene Tat) verabschiedete so genannte Antiterror-Gesetz als Vorwand dafür nahm, Einwanderer aller Arten aufzuspüren und auszuweisen. Heute missachtet dieser Staat schon wieder die Rechte von Einwanderern in seiner eifrigen Jagd auf Terroristen.

Der Zusammenhang, in dem der Terror agiert, beinhaltet nicht nur Rassismus und Eurozentrismus, sondern auch viele Formen sozialer Ungerechtigkeit. Wenn wir unseren moralischen Standpunkt in dieser Krise überlegen, müssen wir zwischen direkten Ursachen und notwendigen Bedingungen unterscheiden. Weder die USA (als Staat) noch die vom World Trade Center symbolisierten unternehmerischen und finanziellen Machtstrukturen haben das Grauen vom 11. September verursacht. Ohne Zweifel verdient das fürchterliche, scheußliche Morden, Verstümmeln und Verwaisen so vieler unschuldiger Menschen aller ethnischen Gruppen, Hautfarben, Klassen, Altersgruppen, Geschlechter und aus über 60 Nationalitäten irgendeine Form von Vergeltung. Andererseits aber gibt es unter den Bedingungen, die den internationalen Terror gedeihen lassen, viele, für die die USA und ihre unternehmerischen/finanziellen Interessen direkt verantwortlich sind, auch wenn sie keineswegs die Anschläge entschuldigen. Man denke nur an folgende Tatsachen:

  • Die USA sind das einzige Land der Welt, das tatsächlich die schlimmsten Waffen der Massenvernichtung – Atombomben – gegen unschuldige Zivilisten eingesetzt hat – in Hiroshima und Nagasaki.
  • Bis heute bombardieren die USA den Irak und zerstören das Leben und die Nahrungsversorgung Hunderttausender Zivilisten dort. Wir haben Belgrad – eine dicht besiedelte Hauptstadt – während des Kosovo-Krieges 80 Tage lang zerbombt, und in den 1980ern unterstützten wir Bombardements, die unzählige Zivilisten in El Salvador umbrachten. Während der Operation Condor und ähnlichen Aktionen in den 1970ern förderten der CIA und militärische Schulungseinrichtungen Massaker, Attentate, Folter und Entführungen in vielen Ländern Latein- und Zentralamerikas. Außerdem haben sie unzählige korrupte, autoritäre Regierungen im Nahen Osten, in Südostasien und anderswo unterstützt – den Schah im Iran, Suharto in Indonesien, die Saudi-Dynastie usw.
  • Im Nahen Osten, einer Region, die wie das Zentrum des Tornados oder ein Mikrokosmos des jetzigen Konfliktes ist, sind US-Militärhilfe und das Nichtstun der Bush-Regierung die notwendigen Bedingungen dafür, dass die israelische Politik der Attacken auf Dörfer, des Abrisses von Häusern, der Zerstörung von Olivenhainen, Reiseverbote, Mordanschläge auf politische Führer, des Straßen- und Siedlungsbaus und der Menschenrechtsverletzungen weitergehen kann. All diese Sachen fördern die Feindschaft und die Selbstmordattentate.
  • Die USA sind eins von nur zwei Ländern – mit Afghanistan! –, die sich weigern, die Frauen-Konvention zu ratifizieren und das einzige Land, das die Kinder-Konvention nicht ratifiziert hat. Sie sprechen sich am lautesten gegen den Internationalen Gerichtshof aus, sie boykottieren die Abkommen zum Verbot von Landminen und biologischer Waffen, sie sind Hauptgegner eines neuen Abkommens gegen den illegalen Handel mit Kleinwaffen. Als einziges Land der Welt drohen sie damit, ein beispielloses Verteidigungssystem im All zu bauen und damit das ABM-Abkommen außer Kraft zu setzen. Wer ist da der »Schurkenstaat«?
  • Die USA sind das einzige große Industrieland, das sich geweigert hat, das Kyoto-Protokoll über die globale Klimaänderung zu unterzeichnen, obwohl das Dokument Kompromisse in ihrem Sinne enthält. In der Zwischenzeit zeigt eine neue, globale Studie, dass Kanada, Russland und die USA am meisten von der Klimaänderung profitieren werden, während die Länder verlieren werden, die am wenigsten zu der Klimaänderung beigetragen haben.
  • Zwei Jahrzehnte der Globalisierung lassen die Schere zwischen Arm und Reich eher weiter auseinander klaffen. Überproportional haben reiche Amerikaner und Europäer (und auch kleine Eliten in der Dritten Welt) von der globalen Marktliberalisierung profitiert. Und obwohl die USA ständig lautstark den »freien Handel« unterstützen, betreiben sie weiterhin eine Politik der Schutzmaßnahmen für ihre eigenen Bauern. Gleichzeitig verdrängen Importe aus den USA kleine Produzenten in Asien, Afrika und der Karibik – viele von ihnen Frauen – vom Markt. Sie müssen dann auf dem Schwarzmarkt oder in Ausbeutungsbetrieben der multinationalen Konzernen arbeiten.
  • Die G8-Länder, angeführt von den USA, dominieren die Entscheidungsprozesse des IWF und der Weltbank. Deren Strukturänderungen und Bedingungen für Darlehen und Schuldenerlass tragen mit dazu bei, dass viele arme Länder und ihre Bevölkerungen aus der Armut nicht ausbrechen können.
  • US-Konzerne können über Nacht Milliarden freimachen, um Firmen zu »unterstützen«, deren Büros und Personal durch die Anschläge auf das WTC zerstört wurden, und die Regierung kann der angeschlagenen Luftfahrtindustrie sofort 15 Milliarden Dollar überreichen. Auf der anderen Seite schrumpfen unsere Ausgaben für Entwicklungshilfe (ausgenommen militärische Hilfe). Als reichste Nation der Welt erreichen wir nicht mal die UN-Forderung von 0,7 % des BSP. Ein jüngst veröffentlichter Bericht der Weltgesundheitsorganisation rechnet vor, dass die Versorgung aller Menschen der Welt mit sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen nur 10 Milliarden $ kosten würde, nur weiß niemand, woher das Geld kommen soll. Gleichzeitig sind die UN weit davon entfernt, eine vergleichbare Summe für ihren Welt-AIDS-Fond zusammenzutragen. Wie geizig kann man sein? Und was sagt das aus über die Formen von Rassismus oder »globaler Apartheid«, die manche Menschenleben – in den USA und Europa – viel höher bewerten als andere in anderen Teilen der Welt?

Die Liste könnte ich weiterführen – mit McDonald’s, Coca-Cola, CNN und MTV und dem ganzen kommerziellen Müll, der überall auf der Welt zu finden ist und der die kulturellen und geistigen Empfindungen so vieler, auch viel gereister Feministinnen wie ich, verletzt, wenn wir Teile unseres heimischen Einkaufszentrums in Kampala oder Kuala Lumpur, Kairo oder Bangalore wiederfinden. Was aber schlimmer ist als die Banalität und Geschmacklosigkeit dieser kulturellen und kommerziellen Bombardierung ist die arrogante Annahme, unsere »Lebensart« sei die beste auf Erden und müsse überall willkommen sein, oder die Ansicht, unsere Macht und unser vermeintlicher Fortschritt gäben uns das Recht, dem Rest der Welt zu diktieren, welche Politik und Strategien sie verfolgen sollten. Dies ist das Gesicht des Imperialismus im 21. Jahrhundert.

Die Vereinigten Staaten sind das Zentrum des globalen Kapitalismus, doch um den »Terror zu stoppen« ist es notwendig, dass sie ihre eigene Verantwortung heute und in der Vergangenheit für viele der oben aufgelisteten Tatsachen erkennen und beginnen, ihr Rechnung zu tragen. Dies würde aber auch bedeuten, dass sich die USA aus ihrer Rolle als selbst ernannter Weltpolizist verabschieden.

Welche anderen Lösungen als Krieg bieten sich an? Hier sind meine zaghaften Vorschläge:

  • Die Parole »Krieg ist nicht die Lösung« ist sowohl eine praktische als auch eine existenzielle Wahrheit. Militärische Anschläge gegen Afghanistan werden die Terrornetzwerke nicht ausrotten, die sich tief in den Bergen oder in Pakistan oder Deutschland versteckt halten können. Sie werden nur ein jetzt schon angeschlagenes Land zerstören, unzählige Zivilisten und Kämpfer töten und Tausende von Flüchtlingen zur Folge haben. Wahrscheinlich werden sie so viel Wut bei islamischen Sympathisanten provozieren, dass die ganze Region in Aufruhr geraten wird und der Kreislauf von Vergeltung und Terroranschlägen immer weiter gehen wird. Der ganze Schrecken des 20. Jahrhunderts sollte uns gelehrt haben, dass der Krieg sich selbst nährt und dass bewaffnete Gewalt keine andere Form von Politik ist, sondern das Scheitern der Politik darstellt; sie ist nicht die Verteidigung der Zivilisation, sondern ihr Zusammenbruch.
  • Das Ziel, die Terroristen in einer Art internationalem Polizeieinsatz zu finden und vor den Richter zu bringen, ist verständlich, aber voller Gefahren. Da die USA die einzige »Supermacht« sind, sieht es für andere Länder so aus, als ob sie schon wieder als globaler Polizist agieren wollten, wenn sie eine Kriegserklärung gegen den Terrorismus und seine Unterstützer ausrufen. Hier in Amerika bedeutet ein »nationaler Notstand« oder »Kriegszustand« – ganz besonders, wenn der Krieg anders als alle anderen sein soll – die Einschränkung ziviler Freiheiten, Belästigung von Immigranten, rassistische Vorurteile, Zensur oder das Füttern der Presse mit Fehlinformationen – all dies ohne Zeitbegrenzung und unter einem ominösen, neuen Büro für Staatssicherheit. Wir sollten uns sowohl gegen US-Alleingänge als auch gegen den permanenten Sicherheitsstaat zur Wehr setzen. Wir sollten unsere Abgeordneten dazu aufrufen, die bürgerlichen Rechte aller Menschen zu verteidigen.
  • Ich stimme der in Kairo ansässigen Afrikanisch-Asiatischen Solidaritätsorganisation (AAPSO) zu, die sagt, „nur diejenigen, die für diese Ereignisse verantwortlich sind, sollten nach dem Gesetz bestraft werden“ und dass die Bestrafung im Rahmen der Vereinten Nationen und nach internationalem Recht organisiert werden sollte – nicht im Alleingang der USA. Im internationalen Recht gibt es schon zahlreiche Abkommen gegen Terrorismus und Geldwäsche. Der Internationale Strafgerichtshof (ICC), der von den USA so hartnäckig abgelehnt wird, wäre das logische Forum für Verhandlungen gegen Terroristen in Zusammenarbeit mit nationalen Polizei- und Überwachungsdiensten. Wir sollten verlangen, dass die USA das ICC-Gesetz ratifizieren. In der Zwischenzeit könnte ein besonderer Gerichtshof unter internationaler Schirmherrschaft, so wie die für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, aufgestellt werden. Zusätzlich könnte eine internationale Behörde geschaffen werden, um die nationalen polizeilichen und geheimdienstlichen Arbeiten zu koordinieren. Die USA müssten Mitglied in dieser Organisation werden.
  • Keine Polizeiarbeit, egal wie gut koordiniert, kann den Terror stoppen, ohne die Bedingungen der Armut und Ungerechtigkeit, die den Terror nähren, anzugehen. Die USA müssen ernsthaft nicht nur ihre Werte, sondern auch ihre Nahost- und Weltpolitik überdenken. Sie müssen für ihre Stellung in der Welt Verantwortung übernehmen. Das heißt, sie müssen Wege finden, ihren Reichtum, ihre Ressourcen und ihre Technologie zu teilen; sie müssen Entscheidungen über den Welthandel, über Finanzen und Sicherheit demokratisch treffen; und sie müssen dafür sorgen, dass der Zugang zu Grundversorgungsgütern wie medizinische Versorgung, Wohnungen, Nahrung, Bildung, sanitäre Versorgung, Wasser und Freiheit von Diskriminierung wegen Rasse oder Geschlecht an erster Stelle in internationalen Beziehungen steht. »Sicherheit« in diesem Sinne beinhaltet all diese Formen von Wohlbefinden oder »menschlicher Sicherheit« und muss für alle gelten.

Was mir Hoffnung gibt ist die Tatsache, dass viele der oben erläuterten Gedanken auch von immer mehr Gruppen hier in den USA geäußert werden. Dazu gehören der Nationale Kirchenrat, die Grüne Partei, eine Koalition von 100 Leuten aus der Unterhaltungsbranche und Bürgerrechtlern, große Zusammenschlüsse von Studenten- und Friedensgruppen, New Yorker Sagen Nein Zum Krieg, schwarze und weiße weibliche Prominente, die in der Oprah-Winfrey-Show aufgetreten sind, und Angehörige von Opfern der Anschläge. Vielleicht können wir eine neue Art von Solidarität aus der Asche ziehen; vielleicht zwingen die Terroristen uns dazu, nicht sie widerzuspiegeln, sondern die Welt und die Menschheit als Ganzes zu sehen.

Rosalind P. Petchesky ist Professorin für politische Wissenschaften und Frauenstudien am Hunter College der Universität New York. Sie lehrte an mehreren Universitäten der USA, in Kanada, Brasilien, Mexiko, Vietnam, den Philippinen, Malaysia, Südafrika, England und Indien.
Der oben stehende Artikel ist die stark gekürzte Version ihres Vortrags vom 25. September 2001 am Hunter College. Die ungekürzte englische Fassung ist im Internet: www.fire.or.cr/oct01/tpowers.htm
Übersetzung aus dem Englischen von Michael Hemken

… minimal verändert, aber nicht wirklich verbessert

… minimal verändert, aber nicht wirklich verbessert

Zur Situation der Frauen in Afghanistan / Interview mit Mariam Notten

von Paul Schäfer

W&F: Dass der vor allem von den USA geführte Krieg in Afghanistan auch für die Menschenrechte, spezieller: die Frauenrechte, geführt worden sei, ist mit Sicherheit der Rubrik Kriegsrechtfertigung zuzuordnen. Dennoch die erste Frage: Haben sich nicht zumindest für die Frauen in den größeren Städten wichtige Verbesserungen nach dem Sturz der Taliban ergeben?

Mariam Notten: Die Lage der afghanischen Frauen hat sich leider nur minimal verändert, aber nicht wirklich verbessert. Unter den Taliban wurden sie öffentlich geschlagen und gesteinigt. Unter dem Bombenhagel der USA haben sie zu Tausenden ihr Leben verloren. Viele wurden zu Flüchtlingen und strandeten an den geschlossenen Grenzen zu Pakistan und dem Iran. Den Internationalen Hilfsorganisationen wurde untersagt, ihnen zu helfen. Selbst nach der Entmachtung der Taliban sitzen seit Ende November Frauen in den Gefängnissen in Herat und Kabul. Ihnen wird Ehebruch vorgeworfen, weil sie von ihren Zwangsehemännern geflüchtet sind. Ihnen droht die Todesstrafe durch Steinigung.

War der Krieg nicht doch unvermeidlich, um die Al Qaida-Terroristen zu bekämpfen?

Zunächst ergeben sich folgende Fragen: Warum haben die Afghanen jahrelang unter den Taliban gelitten? Wo kamen sie her? Wer hat sie zu Taliban gemacht? Wer ist bin Laden? Wer hat ihn unterstützt und in unser Land gebracht, um den afghanischen Mudjahedin im Kampf gegen den Russen zu helfen? Wir Afghanen waren selbst die Geiseln dieses Mannes. Die Geiseln sind zu Tausenden gestorben, der Geiselnehmer ist aber entflohen. Diese Logik verstehen wir Afghanen nicht.

Ist es denn unzutreffend, dass – selbst wenn man den Krieg verurteilt – der Sturz der Taliban neue Möglichkeiten für Demokratie und Menschenrechte eröffnet hat?

In dieser Regierung sitzen drei fundamentalistische Kriegsparteien. Jede von ihnen will die alleinige Macht; sie bekriegen sich immer noch gegenseitig. Die einzige Fraktion, die für mehr Demokratie steht (Königsdelegation), hat weder Macht noch bewaffnete Männer, um sich gegen die anderen drei zu behaupten. Unsere Kinder dürfen zwar zur Schule gehen, aber wir haben weder Schulgebäude noch Schulbücher. Dass unsere Frauen ihre Schleier nicht ablegen, ist selbst ein Zeichen ihrer Angst vor den neuen Machthabern.

Sie haben selber schon lange das Taliban-Regime angeprangert. Welche anderen Möglichkeiten hätte es denn gegeben, dieses Regime loszuwerden?

Es gab Alternativen, zum Beispiel die Errichtung von Schutzzonen für die Zivilbevölkerung. Man hätte es möglich machen können, dass die Taliban-Kämpfer durch materielle Zuwendung in großem Umfang desertiert wären. Damit hätte man die Isolierung von El Qaida und des harten Kernes der Taliban erreichen können. Sie hätten auf diese Weise leichter bekämpft werden können – ohne so viele »Kollateralschäden« zu verursachen.

Hiesige Politiker bzw. Politikerinnen sagen, dass man jetzt den afghanischen Frauen wieder „ein Gesicht geben könne“ (Claudia Roth). Ist denn das Tragen der Burqua das Hauptproblem der Frauen?

Uns afghanischen Frauen geht es nicht darum, ob wir den Schleier tragen oder ihn ablegen sollen. Oder nur darum, ob wir die Schule besuchen oder einen Beruf ausüben dürfen oder nicht. Uns geht es darum, selbst zu bestimmen, ob wir dies tun oder jenes sein lassen dürfen. Uns geht es schlicht um das Selbstbestimmungsrecht, um die Menschenrechte. Und diese Rechte werden uns derzeit durch die fundamentalistische Interpretation der Sharia verweigert. Die Sharia in ihrer fundamentalistischen Auslegung schreibt weiterhin die Steinigung von Frauen vor. Der Justizminister Abdul Rahim Karimi, der Oberste Richter Schinwari und ein anderer Richter des obersten Gerichtshofes in Kabul, Ahmad Ullha Sharif, haben bereits Ende Dezember bekräftigt, dass die Sharia das einzig gültige Gesetz in Afghanistan sein wird. Dem gemäß sollen weiterhin Frauen wegen »moralischer Verfehlung« gesteinigt werden, nur mit dem Unterschied, dass man »kleine Steine« dafür nehmen wird. Wenn sie geständig sind, sollen sie während der Steinigung nicht gefesselt werden, damit sie die Chance haben wegzulaufen.

Demokratische und feministische Gruppen haben gesagt, dass eine wirkliche demokratische Entwicklung nur möglich sei, wenn eine Entmilitarisierung der afghanischen Gesellschaft durchgesetzt würde. Wäre denn eine umfassende Entwaffnungsaktion überhaupt durchsetzbar?

Ich teile diese Meinung und denke auch, dass eine solche Maßnahme realisierbar wäre. Zu desertieren hat in Afghanistan Tradition. Seinerzeit, als die Sowjets unser Land besetzten, haben die Mudjahedin der regulären Armee der Regierung in Kabul ermöglicht zu desertieren. Sie haben für die Überläufer Schutzkorridore errichtet. Innerhalb eines Jahres sind von 100.000 Regierungssoldaten über die Hälfte zu den Mudjahedin übergelaufen, der Rest tat es im Laufe des 14-jährigen Krieges. Auch die Taliban haben die gleiche Strategie bei den Kämpfern der Nordallianz benutzt. Sie haben die Kommandeure der Nordallianz regelrecht gekauft. Deshalb haben sie in kürzester Zeit 95% des Landes ohne Kampf erobert. An dieser Stelle müsste man im Übrigen fragen: Woher hatten die Taliban so viel Geld zu Verfügung?

Der Zeitpunkt für die Entwaffnung ist heute günstiger denn je. Die Menschen haben Hunger, Millionen von Dollar für den Wiederaufbau stehen zur Verfügung. Die USA sind im Lande präsent. Es könnten die Warlords sehr leicht isoliert werden, wenn man ihre Kämpfer »kaufen« würde.

Welche Rolle sollten die Vereinten Nationen ihrer Meinung nach spielen? Sollte die UNO die peace-keeping-Rolle übernehmen?

Es sollten mehr UN-Soldaten ins Land kommen. Sie sollten auch in anderen Städten und Provinzen eingesetzt werden. Sie sollten in erster Linie die Menschen vor Überfällen und Raub, insbesondere in der Nacht, schützen und natürlich braucht die demokratische Fraktion der Regierung den besonderen Schutz der UN-Soldaten. Sie ist durch die fundamentalistischen Kriegsparteien zur Zeit sehr gefährdet.

Wie schätzen Sie die Rolle von Ministerpräsident Karsai im Rahmen der gegenwärtigen Übergangsregierung ein?

Zur Zeit ist die Karsai-Administration sehr wichtig in der Regierung. Wir haben keine andere Alternative, wenn wir die Fundamentalisten nicht haben wollen. Und diese haben ja gezeigt, dass sie nicht fähig sind, Frieden zu bringen und Menschenrechte zu achten. Sie sind machtgierige Egoisten.

Welche Informationen haben Sie über die Betätigungsmöglichkeiten originär-demokratischer Gruppen und Vereinigungen in Kabul und darüber hinaus? Können diese unbeeinträchtigt agieren?

Nein. Selbst die Königsdelegation um Karsai hat kaum Möglichkeiten, ihre Arbeit ungestört durchzusetzen. Die eingesetzten Gouverneure werden von den Warlords in den Provinzen nicht akzeptiert. Andere demokratische Kräfte trauen sich nicht einmal in die Öffentlichkeit, weil sie durch die bewaffneten Truppen der Fundamentalisten sofort getötet werden würden.

Welche Aktionen können Sie im Rahmen des Afghanischen Kulturvereins gegenwärtig unternehmen, um die Entwicklung im Land positiv zu beeinflussen?

Unsere Aktivitäten beschränken sich auf Öffentlichkeitsarbeit und auf das Sammeln von Spenden für Frauenorganisationen. Diese Organisationen wurden bei der Petersberg-Konferenz nicht einbezogen. Sie sind folglich nicht von der UNO anerkannt worden. Deshalb werden sie auch bei der Vergabe von Geldern für den Wiederaufbau nicht berücksichtigt. Sie sind weiterhin im Untergrund und auf Spenden angewiesen. Außerdem sind wir bemüht, dafür zu werben, dass eine internationale Beobachterinnen-Gruppe zustande kommt. Sie soll die Aufgabe übernehmen, die Einhaltung der Menschenrechte/Frauenrechte zu überwachen und die Weltöffentlichkeit davon zu unterrichten. Damit unsere Frauen nicht wieder den Fundamentalisten überlassen werden.

Mariam Notten, Revolutionary Association of Women in Afghanistan (RAWA), Berlin. Sie wurde interviewt von Paul Schäfer.

Sind Frauen eine Friedensmacht?

Sind Frauen eine Friedensmacht?

von Maren Haartje

Gibt es ein Frauenbild, welches der Friedenspolitik zugrunde liegt? Bekannt ist, dass Frauen in Gewaltkonflikten in erster Linie zu den Opfern gehören oder gar Ziel strategischer Kriegführung sind. Die sehr differenzierten Aufgaben und Rollen, die Frauen in Krisengesellschaften übernehmen, werden hingegen kaum wahrgenommen und sind selten Gegenstand politischer Friedensförderung. Wieviel Chancen für eine gewaltfreie Konfliktbeendigung werden verpasst, weil Frauen in Friedensprozessen nicht mitentscheiden? Eine maßgebliche Antwort darauf steht weiterhin aus, denn tatsächlich haben Frauen noch an keinem Friedensverhandlungstisch dominiert. Es wäre eine demokratische Entscheidung, einen Friedensprozess mit relevanter Partizipation von Frauen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Zukunftsperspektiven für den Großteil der Bevölkerung und vor allem für jüngere Generationen zu entwickeln.

Die Voraussetzungen für die Partizipation von Frauen sind heute durch die internationalen Abkommen, die auf den Ergebnissen von Peking basieren, gegeben und weisen einen erheblichen Handlungsbedarf nach. Den Meilenstein setzte die 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen im September 1995 mit dem Motto »Gleichstellung, Entwicklung und Frieden«. 189 (von 191) Staaten waren vertreten und mit mehr als 50.000 Teilnehmenden wurde sie zur größten UNO-Konferenz, die bislang stattgefunden hat. Der von den Teilnehmerstaaten verabschiedete Aktionsplan zielt auf die Umsetzung von koordinierten Maßnahmen ab, damit Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen, Entscheidungen und Begünstigungen erhalten. Mit der Strategie des »Gender Mainstreaming« sollen die Geschlechterperspektive und die Gleichstellung von Frau und Mann systematisch in Politiken, Projekten und Programmen überprüfbar gemacht und Ansätze zur Umsetzung aufgezeigt werden. Wie diese Aufgabe länderspezifisch bewältigt werden kann, haben die Unterzeichnerstaaten in ihren nationalen Aktionsplänen ausgearbeitet. Dabei ist interessant, dass von den insgesamt 12 Schwerpunktbereichen die Bearbeitung des Maßnahmenkataloges E (Bewaffnete Konflikte) in den Berichten eine marginale Beachtung gefunden hat. Auf der Folgekonferenz in New York im Juni 2000 wurden die Maßnahmen des Aktionsplanes verifiziert und in internationale Dokumente der UNO, EU, OECD und OSZE übernommen. Die Resolution 1325, die der UNO-Sicherheitsrat im Oktober 2000 verabschiedet hat, konkretisiert die Rolle von Frauen in der zivilen Konfliktbearbeitung: „The Security Council, reaffirming the important role of women in the prevention and resolution of conflicts and in peace-building, and stressing the importance of their equal participation and full involvement in all efforts for the maintenance and promotion of peace and security, and the need to increase their role in decision-making with regard to conflict prevention and resolution“.1 Dieses Leitbild umfasst 18 Maßnahmen.

Das Motto von Peking »Gleichstellung, Entwicklung und Frieden« weist auf den unauflösbaren Zusammenhang dreier Kriterien hin, die auch für Programme der Friedensförderung relevant sind. Um über den ersten Ansatz der weithin akzeptierten »Gender Balance« hinauszukommen, ist eine Auseinandersetzung über die Komplexität der geschlechtsspezifischen Rollenprägungen sowie über Auswirkungen von kultureller, struktureller und direkter Gewalt gegen Frauen notwendig. Insbesondere bei den Fragen der Beteiligung von Frauen an Macht und Ressourcen wird offensichtlich, dass einigen Entscheidungsträgern die patriarchalen Strukturen fundamentalistischer Regimes unter Umständen vertrauter sind als feministische Forderungen nach Partizipation.

In der Aufbauphase einer Nachkriegsgesellschaft sind der Kampf um Ressourcen und die Machtsicherung am heftigsten. In beiden Bereichen sind Frauen nach wie vor extrem untervertreten und werden nicht vermisst. Wie kann der Gender-Mainstreaming-Gedanke dazu beitragen, dass die Voraussetzungen einer tatsächlichen Partizipation von Frauen bei der Verteilung von Ressourcen und Macht verbessert werden?

Grundsätzlich besteht Übereinstimmung darüber, dass die Berücksichtigung des Gender Mainstreamings politisch korrekt ist. Die Anwesenheit von Frauen ist zwar erwünscht, aber der Übergang von einer quantitativen Beteiligung und dem Mittragen von Entscheidungen hin zu einer qualitativen Partizipation und Entscheidungsmacht ist noch nicht vollzogen. Diese Kluft lässt sich erst überwinden, wenn die Ursachen des systematischen Ausschlusses von Frauen realisiert werden und eine Bereitschaft zur Veränderung besteht. Für einen Friedensprozess bedeutet das, dass Gender Mainstreaming nicht umgesetzt werden kann, indem es einer Nachkriegsgesellschaft aufoktroyiert wird, sondern im gleichen Maße sind »Donors«, d.h. Staaten und Institutionen, die in der Aufbauphase einer Nachkriegsgesellschaft unterstützend beteiligt sind, vor diese komplexe Aufgabe gestellt.

Der Umsetzungsgrad der Gleichstellung von Frauen und Männern in einer Gesellschaft ist Ausdruck für ihr Demokratieverständnis. Ein demokratischer Ansatz geht über die Minimalforderung von 30 Prozent Frauenanteil (als »kritische Masse«) hinaus und liegt bei 50 Prozent. In diesem Verständnis werden Frauen nicht als eine (homogene) Gruppe gesehen, sondern als Vertreterinnen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen respektiert. Die amerikanischen WissenschaftlerInnen Mary Caprioli und Mark A. Boyer haben einen Zusammenhang zwischen dem Gleichstellungsniveau eines Staates und seiner Zurückhaltung bzw. Aggressivität in der Außenpolitik bis hin zum Einsatz von militärischer Gewalt in einer internationalen Krise hergestellt: „Our focus on gender equality represents a domestic norm of tolerance and equality that seems to be mirrored in states‘ international behaviour at least with respect to the level of violence used during international crisis.“2

Zwei wesentliche Merkmale für Gesellschaften mit einem hohen Demokratieverständnis und Gleichstellungsniveau sind u.a. auch die sinkende Bereitschaft von häuslicher Gewalt gegenüber Frauen sowie eine steigende Anzahl weiblicher Parlamentsabgeordneter.

Im Sinne von Mary Anderson, „learning from experiences and sharing it together“,3 könnte anhand der guten Erfahrungen und Ergebnisse, die mit Frauenprojekten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gemacht worden sind, nachgewiesen werden, dass auch speziell auf Frauen ausgerichtete Projekte gleichwohl positive Auswirkungen für Männer und Kinder haben und im Sinne der Friedensförderung nachhaltig sind. In der Tat besteht hier ein enormer Forschungsbedarf hinsichtlich der empirischen Untersuchungen sowohl von Frauenprojekten in Krisengebieten unter dem Aspekt der Friedensverträglichkeit und Krisenprävention (Peace and Conflict Impact Assessment) einerseits als auch von Projekten der politischen Friedensförderung unter dem Aspekt der Frauenverträglichkeit (Gender Impact Assessment) andererseits.

Mit Blick auf die Partizipation von Frauen an der Friedensentwicklung sind insbesondere die Ausbildungs- und Trainingsprogramme in der zivilen Konfliktbearbeitung für Teilnehmende an Friedensmissionen (Peace Corps) der UNO oder der OSZE geeignet, den Aspekt des Gender Impact Assessment zu thematisieren und in Fallbeispielen zu erleben. Das entspricht auch dem Ansatz der Resolution 1325 des UNO-Sicherheitsrates: „Recognizing that an understanding of the impact of armed conflict on women and girls, effective institutional arrangements to guarantee their protection and full participation in the peace process can significantly contribute to the maintenance and promotion of international peace and security“.

Eine konsequente Umsetzung der Gleichstellung bedeutet, dass die Partizipation von Frauen in Friedensverhandlungen zu einer Perspektivenerweiterung führt und dadurch neue Handlungsoptionen eröffnet werden, die insbesondere für den Aufbau einer Nachkriegsgesellschaft nachhaltig friedensrelevant sein können. Ebenso würden die Teilnehmenden an Friedensmission für die kulturellen Bedingungen für Frauen in Krisengebieten stärker sensibilisiert werden. Eine differenziertere Sichtweise würde es den Frauen vor Ort erleichtern, auch einen anderen Lebensweg als den traditionellen einzuschlagen, um ihre Befähigungen und Ausbildungswünsche außerhalb der für sie vorgesehenen Rollenerwartungen umzusetzen. Andererseits sind die Friedensmissionen selbst gefordert, höhere Positionen vermehrt mit Frauen zu besetzen, um einer Vorbildfunktion gerecht zu werden. Nachweisbar wenden Frauen aus der Region sich mit ihren Anliegen eher an Frauen als an Männer in einer Mission.4 Da viele Stellen innerhalb einer Mission nach sechs Monaten wieder neu besetzt werden, gilt es eine konti- nuierlichere Unterstützung und Si- cherheit von engagierten Frauen vor Ort zu gewährleisten um zu verhindern, dass es nach einem Personalwechsel einen Umkehreffekt in Richtung Gewalt und Repression gegen sie gibt. Eine stärkere Präsenz von Frauen in hohen Positionen würde zudem der Ausuferung der Prostitution und dem Frauenhandel im Umfeld von Missionen entgegenwirken.Wenn Frieden eine Kulturleistung ist5, sind die Mitwirkung und das Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Gruppen gefordert. In Zeiten des raschen Wandels, die nicht nur für Nachkriegsgesellschaften typisch sind, stellt die Hinterfragung und Überprüfung der eigenen Bilder vor Augen gerade im Hinblick auf die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen und Frieden eine starke Herausforderung dar.Der Abstand zu alten Rollenbildern fällt leichter, wenn neue Perspektiven vermittelt werden können, von denen sowohl Frauen als auch Männer profitieren können. Es ist nicht nur eine politische Aufgabe, sondern vor allem eine Aufgabe der Bildung und Kultur, sich von Dualismen wie Frau/Mann, Freund/Feind, Stärke/Schwäche, Reichtum/Armut zu lösen und Bilder aus den Dimensionen dazwischen zu entwickeln. Dann wird es interessant zu hinterfragen, welche Mechanismen spielen »hinter den Kulissen«, wenn Frauen aus verfeindeten Dörfern gemeinsam Wasser holen können (Mary Anderson: Mosambique) oder unter welchen Voraussetzungen Frauen und Männer in Krisenregionen auf den Markt gehen können. Wie wirkt die »Gender-Linse«? Als eine Schulklasse in Bosnien nach ihren Wünschen für den Schulsport befragt wurde, waren sich die Schüler einig, sie wünschten sich einen Handballplatz. Die OSZE-Mitarbeiterin hatte Zweifel, ob das wirklich dem Wunsch der Schülerinnen entsprach. Erst als sie mit den Schülerinnen alleine war, kam heraus, dass sie sich einen Aerobic-Raum und entsprechende Musik wünschten. Sie waren davon ausgegangen, dass ihr Wunsch in der Klasse lächerlich gemacht worden wäre und sie sowieso nicht damit durchgekommen wären. Beide Wünsche wurden realisiert.6

In der Nachkriegszeit werden insbesondere bei der Frage nach Heldentum die Rollenmuster deutlich: Sind es die Krieger oder diejenigen, die versucht haben Gewaltausbrüche zu verhindern? Welche Aufgaben werden Frauen zuerkannt? Werden sie als ehemalige Kämpferinnen anerkannt und entsprechend entschädigt? Sind sie auf das Kindergebären reduziert worden oder werden ihre Fähigkeiten, unter schwierigsten Bedingungen die Versorgung aufrecht erhalten zu haben, bewertet? Die Anerkennung der Leistungen und Überlebensstrategien der Zivilgesellschaft sind die Basis auf der die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Akteuren und Akteurinnen der Krieges stattfinden und ein Versöhnungsprozess einsetzen kann.

Die Internationale Gemeinschaft hat mit ihrem Auftrag, den Frieden auf der Welt zu erhalten, eine Verpflichtung übernommen, dass die Rechte der Frauen in den Verfassungen verankert und überprüfbar gemacht werden. Gleichzeitig kann sie mit der umgesetzten Gleichstellung von Frauen und Männern in ihren eigenen Institutionen als Vorbild dienen. Den Nachweis für die enge Verknüpfung von Gender und Frieden hat Mary Caprioli erbracht: „This study substantiates the theory that domestic gender equality has a pacifying effect on state behaviour on the international level. The inclusion of women as equal members of society will, therefore, result in fewer and less militarized international disputes.“7

Anmerkungen

1) Resolution 1325 (2000) adopted by the Security Council at its 4213th meeting, on 31 October 2000.

2) Mary Caprioli, Department of Political Science, University of Massachusetts-Dartmouth, Mark A. Boyer, Department of Political Science, University of Connecticut, Gender, Violence, and International Crises, in: Journal of Conflict Resolution, Vol. 45, No. 4, Sage Publications London 2000, p. 503-58.

3) Mary Anderson, Do no Harm, anlässlich eines Workshops in der Deza am 20.11.2001.

4) Hanne-Margret Birckenbach, Präventive Diplomatie. Das Beispiel der OSZE-Mission in Estland unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung von Frauen, Working paper 29 der Schweizerischen Friedensstiftung Bern, Mai 1999.

5) „Frieden ist eine Kulturleistung“, Zitat von Dieter Senghaas in der Sendung Musik und Frieden, Radio Bremen 1999.

6) Bericht von Patricia Barandun, Democratisation Unit, OSZE-Mission in Bosnien, 2001.

7) Mary Caprioli, Gendered Conflict, in: Journal of Peace Research, Vol. 37, No. 1, Sage Publications London, p. 51.

Maren Haartje, Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik, Referentin für Gender-Fragen in der Schweizerischen Friedensstiftung Bern

Entwicklung und Kontinuität

Entwicklung und Kontinuität

Zur Abrüstungsbewegung von Frauen

von Emily Schroeder

Seit über einem Jahrhundert mobilisieren Frauen, Frauenorganisationen und -bewegungen für Frieden und Abrüstung. Sie haben sich zwar oft gemeinsam mit Männern organisiert, viele Frauen fanden es jedoch effektiver, sich getrennt von den Männern mit anderen Frauen zusammen gegen Krieg und Bewaffnung einzusetzen. In diesem Artikel werden einzelne Beiträge von Frauen zur Friedens- und Abrüstungsbewegung beleuchtet. Emily Schroeder wirft einen Blick auf eine Bewegung, die in der dokumentierten Geschichte bisher kaum vorkommt.
Es gibt auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene viele Frauenvereinigungen, die sich vorrangig mit Fragen von Frieden und Abrüstung befassen. Am 28. April 1915 trafen sich erstmalig in der Geschichte 1200 Frauen aus Krieg führenden und neutralen Ländern zum Internationalen Frauenkongress in Den Haag, Niederlande, um gegen den Krieg zu protestieren. Aus diesem Anlass gründeten sie die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF, dt. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit). Diese Vereinigung besteht heute noch und arbeitet auf internationaler Ebene zu einer Reihe von Themen, angefangen bei der Abrüstung von Nuklearwaffen bis zu Menschenrechten. Die Jahre hindurch hat sie „Frauen mit Weitblick angezogen, deren Ideen und Aktionen die Ziele Frieden und Freiheit auch in den schwierigsten Zeiten aufrecht erhalten haben.“1

Während des Kalten Krieges betrieben Frauen Lobbyarbeit gegen die Lagerung und den möglichen Einsatz von Atomwaffen. 1959 fand eine Konferenz über die »Verantwortung der Frauen im Atomzeitalter« statt. Nach dieser Konferenz starteten die neu gegründete Europäische Frauenbewegung gegen atomare Bewaffnung und andere Frauenvereinigungen große Aufklärungs- und Unterschriftenkampagnen. Die internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit führte als erste Organisation Seminare für Frauen aus den USA und aus der Sowjetunion durch, um die Schranken des Kalten Krieges zu durchbrechen. 1964 begann in den USA eine neue Bewegung: der Frauenstreik für den Frieden. Im gleichen Jahr erschienen Frauen aus vielen Ländern auf einer NATO-Tagung in den Niederlanden und demonstrierten gegen die Pläne zum Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht. 1969 unterstützte die WILPF eine internationale Konferenz zur Beendigung der Kriegsführung mit B- und C-Waffen.2 In den 80er Jahren inspirierten die Frauen von Greenham Common die Welt mit ihrem Einsatz gegen Nuklearwaffen und Nuklearbasen. Sie verließen ihr Heim, um sich dem Frieden zu widmen, ganz so wie Männer Jahrhunderte lang ihr Heim verließen, um in den Krieg zu ziehen.3

Zwar haben nordamerikanische und europäische Frauenfriedensorganisationen die meiste Publizität erfahren, es gibt jedoch solche Organisationen in allen Teilen der Welt. Beispielsweise haben sich Frauen in der Pazifikregion zum Protest gegen die Atombombenversuche zusammengefunden und japanische Frauen haben ein Friedenscamp an der Basis am Fuji errichtet. Frauengruppen in Afrika haben sich aktiv für Frieden und Wiederaufbau eingesetzt, etwa in Angola, Burundi, Somalia und Niger.

Eine bemerkenswerte Initiative mit überwältigendem Erfolg war die Internationale Koalition für die Friedenspetition der Frauen, die 1997 anlässlich des Weltfrauentages bei den Vereinten Nationen gegründet wurde. Sie konnte mehr als 175 Organisationen zur Unterstützung gewinnen und sammelte Hunderttausende Unterschriften (vorwiegend auf der südlichen Erdhälfte). Diese Petition forderte die Regierungen auf, in den kommenden „fünf Jahren ein Minimum von fünf Prozent ihrer Militärhaushalte für Gesundheitswesen, Bildungsmaßnahmen und Programme zur Beschäftigung und Friedenserziehung auszugeben.“4 In dieser Petition wurde gefordert, den Krieg als akzeptable Form sozialen Verhaltens zu deligitimieren, wie schon zuvor bei Sklaverei, Kolonialismus und Apartheid.5

Geburt der Abrüstungs- und Friedensbewegung der Frauen

Der Ursprung der Frauenbewegung für Frieden und Abrüstung hat mehrere Wurzeln: Es gibt keine Übereinstimmung über die gelegentlich geäußerte Behauptung, dass Frauen »von Natur aus« friedfertiger seien als Männer. Ebenso viele Männer haben sich für den Frieden zusammengetan, und es gibt viele Beispiele von Frauen die Aufrüstung unterstützen und aktiv an Kriegen teilnehmen. Dennoch ist es sinnvoll, diejenigen Elemente der Frauenfriedens- und abrüstungsbewegungen als einzigartiges Phänomen zu untersuchen, welche eine Beendigung der Kriege und eine vollständige Abrüstung verlangen.

Einer der offensichtlich am stärksten mobilisierenden Faktoren ist, dass zahlreiche Organisationen auf der Mutterrolle der Frauen aufbauen. Oft haben Frauen sich organisiert, um ihre Kinder zu beschützen, wie etwa die Mütter der Plaza de Mayo in Argentinien, die gegen das »Verschwinden« ihrer Kinder protestierten. Während des Tschetschenienkrieges verlangte eine Gruppe von russischen Soldatenmüttern eine Beendigung der Kampfhandlungen und die Heimkehr ihrer Söhne. Sie forderten einen Sitz in den Verteidigungs- und Sicherheitsgremien ihres Landes. Mazedonische Frauen holten ihre Söhne aus der serbischen Armee. Diese Aktivitäten sind für uns alle eine Inspiration.

Ein anderes Beispiel ist der Marsch der Millionen Mütter (Million Mom March), der 1999 begründet wurde. Es handelt sich hier um eine nationale Graswurzelorganisation der USA, die sich auf Erziehung und Aufklärung durch landesweite Aktivitäten zur Einrichtung verantwortbarer Grenzen für den Erwerb und Gebrauch von Schusswaffen konzentriert und die Opfer von Schusswaffenunfällen unterstützt. Im Rahmen des »Million Mom March« demonstrierten 2000 mehr als 750.000 Menschen auf der National Mall in Washington und mehrere Zehntausend in anderen Städten der USA für härtere Schusswaffengesetze.6

Ein anderer Schlüssel zum Verständnis der Frage, warum Frauen sich im Engagement für die Abrüstung vereinigt haben, ist die Verbindung, die viele Frauen zwischen der Gleichheit der Geschlechter und dem Frieden gezogen haben.7 So war z.B. das Den Haager Treffen der Frauen 1915 der Auffassung, dass ein dauerhafter Friede nur auf der Grundlage gleicher Rechte zwischen Männern und Frauen, auf innerer Gerechtigkeit, nationaler Unabhängigkeit und Freiheit aufgebaut werden könne.8Frauenorganisationen haben oft argumentiert, dass Frieden mehr sei als die Abwesenheit von Krieg. Sie verbanden verschiedene Gewaltphänomene wie Menschenrechtsverletzungen, Gewalt gegen Frauen und strukturelle Gewalt infolge ökonomischer Ungleichheiten mit der in Kriegen gesehenen Gewalt.9 Auf diese Weise verbinden sie Abrüstung mit der Beendigung aller Formen von Gewalt und der Schaffung einer Friedenskultur, die von Generation zu Generation weitergegeben werden kann.

Frauen, Frieden und Sicherheit

Die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Thema Frauen, Frieden und Sicherheit, die im Oktober 2000 verabschiedet wurde, erwähnt insbesondere die Notwendigkeit, in alle Gebiete zur Förderung des Friedens Genderperspektiven einzubeziehen. Darin sind Abrüstungsfragen, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsinitiativen eingeschlossen (Paragraph 13). Diese Resolution stellte einen riesigen Wendepunkt in der Anerkennung der direkten Beiträge von Frauen zur Abrüstung dar.

In der Vorbereitung zur Annahme dieser Resolution versuchten verschiedene UN-Konferenzen, eine Verbindung zwischen Frauen und Abrüstung herzustellen:

  • Auf der ersten Weltfrauenkonferenz, die 1975 in Mexico City stattfand, wurden die drei mit einander verbundenen Ziele Gleichheit, Entwicklung und Frieden festgelegt. Abrüstung gehörte zum Schwerpunkt Frieden.
  • Die dritte Weltfrauenkonferenz in Nairobi (1985) bekräftigte erneut das Engagement in Abrüstungsfragen, indem sie die Schlüsselrolle beleuchtete, welche Frauen auch bei der Abrüstung von Atomwaffen innehaben können, und forderte eine stärkere Unterstützung für die Bemühungen der Frauen.
  • Auf der vierten Weltfrauenkonferenz im Jahr 1995 in Peking einigten sich die Regierungen auf das Strategische Ziel E.2: Reduzierung überhöhter Militärausgaben und Kontrolle der Verfügbarkeit von Rüstungsgütern. Frauenorganisationen sahen die Verknüpfung von Abrüstungsfragen, Verbreitung von Nuklearwaffen und Empowerment (Ermächtigung) der Frauen als wichtig an. Sie argumentierten, dass Ausgaben für Waffen Ressourcen aus dem Bildungs- und Gesundheitswesen und anderen Programmen abzögen, die Frauen das Leben erleichtern könnten.
  • „Absatz 143: (a) Erhöhung und Beschleunigung, wie angemessen, in Anpassung an Betrachtungen zur nationalen Sicherheit, die Konversion militärischer Ressourcen und damit verbundener Industrien zu Zwecken der Entwicklung und zivilen Produktion;
  • (b) Erkundung neuer Wege zur Schaffung neuer öffentlicher und privater Finanzressourcen, inter alia, durch die angemessene Reduktion überhöhter Militärausgaben, einschließlich globaler Militärausgaben, Handel mit Rüstungsgütern und Investitionen in Rüstungsproduktion und -kauf, unter Berücksichtigung nationaler Sicherheitsbedürfnisse, um die mögliche Zuteilung zusätzlicher Geldmittel für Zwecke der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen, insbesondere zur Förderung der Frauen.“
  • Die Diskussionen auf der 23. Sondersitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen zum Follow-Up der Aktionsplattform (Juni 2000) bestätigten ebenfalls die Beziehungen zwischen Frieden, Abrüstung und Geschlechtergleichheit. Das Schlussdokument (A/S-23/10/Rev.1) umreißt die Errungenschaften und die Hindernisse, auf die Regierungen und internationale Organisationen beim Versuch der Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform gestoßen sind. In der Diskussion über das Thema Frauen und bewaffneter Konflikt wurde u.a. ein Hindernis besprochen: Überhöhte Militärausgaben, einschließlich globaler Militärausgaben, sowie der Handel mit Rüstungsgütern und Investitionen in die Waffenproduktion, unter Berücksichtigung nationaler Sicherheitsbedürfnisse, lenken die mögliche Vergabe von Geldmitteln weg von der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere von der Frauenförderung (Absatz 17).

Das Dokument identifizierte auch „Handlungen, die auf nationaler und internationaler Ebene von Regierungen, regionalen und internationalen Organisationen, durchzuführen sind, einschließlich des Systems der Vereinten Nationen, internationalen Finanzinstitutionen und anderen geeigneten Akteuren “. Dazu gehören die:

  • „98 (k) Stärkung der Bemühungen zu allgemeiner und vollständiger Abrüstung unter strikter und wirkungsvoller internationaler Kontrolle, basierend auf den von den Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Abrüstung erstellten Prioritäten, so dass die freiwerdenden Mittel unter anderem für Sozial- und Wirtschaftsprogramme eingesetzt werden können, welche Frauen und Mädchen zugute kommen.“ (…)
  • „(b) Erkundung neuer Wege zur Schaffung neuer öffentlicher und privater Finanzressourcen, unter anderem durch die angemessene Verringerung überhöhter Militärausgaben, einschließlich globaler Militärausgaben, Handel mit Rüstungsgütern und Investitionen in Rüstungsproduktion und -beschaffung, unter Berücksichtigung nationaler Sicherheitsbedürfnisse, um die mögliche Zuteilung zusätzlicher Geldmittel für Zwecke der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen, insbesondere zur Förderung der Frauen.“
  • Die Kommission über den Status von Frauen geht in ihren »Beschlüssen über kritische Handlungsfelder der Pekinger Aktionsplattform« (UN Sales No. E.00.IV.6) auch auf Massenvernichtungswaffen ein. Sie fordert von den Regierungen die „geeignete Unterstützung der Rolle der Frauen in der Friedensbewegung, die allgemeine und vollständige Abrüstung, einschließlich aller Arten von Massenvernichtungswaffen, unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle anstrebt.“

Die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 zum Thema Frauen, Frieden und Sicherheit, die im Oktober 2000 verabschiedet wurde, erwähnt insbesondere die Notwendigkeit, in alle Gebiete von Operationen zur Förderung des Friedens Genderperspektiven einzubeziehen. Darin sind Abrüstungsfragen, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsinitiativen eingeschlossen (Paragraph 13).

Es gibt viele internationale und nationale Frauenorganisationen, die sich darauf konzentrieren, Frieden und Abrüstung zu unterstützen. Es müssen Mittel und Wege gesucht werden, wie mehr Verbindungen zwischen Nicht-Regierungsorganisationen (NRO), WissenschaftlerInnen, die zu Geschlechterfragen und Abrüstung arbeiten, und den Vereinten Nationen geknüpft werden können.

Eine jüngere Initiative, die NGO Working Group on Women and International Peace and Security (NRO-Arbeitsgruppe zu Frauen, Internationalem Frieden und Sicherheit), traf sich im Juni 2000 zu dem Zweck, eine Schwerpunktkampagne zur Entwicklung einer Resolution zu dem Komplex Frauen, Frieden und Sicherheit beim UN-Sicherheitsrat vorzubereiten. Zu der Gruppe gehören amnesty international, International Alert, die WILPF, der Haager Friedensappell, der Women’s Caucus for Gender Justice, das International Women’s Tribune Center und die Frauenkommission für Flüchtlingsfrauen und -kinder. Diese Nicht-Regierungsorganisationen arbeiteten mit UN-Abteilungen und gleichgesinnten Mitgliedsstaaten zusammen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die produktive Synergie demokratischer Diplomatie.10

Anders als die meisten Sicherheitsratsresolutionen hat die Resolution 1325 eine Gemeinschaft aktiver Organisationen und Einzelpersonen hinter sich, die ihre Klauseln kennen und zitieren und die ihre vollständige Umsetzung erwarten. Diese Gruppen haben ihre Bemühungen, Netzwerke und Expertisen in einen Pool eingebracht, um die gute Nachricht über die bindenden internationalen Verpflichtungen in der Resolution 1325 zu verbreiten und sie werden weiterhin an der vollständigen Umsetzung arbeiten. Die Gruppe gab eine Broschüre mit dem Wortlaut der Sicherheitsratsresolution 1325 heraus, die auf vielen Kontinenten verbreitet und in mehrere Sprachen übersetzt wurde.11

Zur Unterstützung der Frauengruppen und -netzwerke, die für eine Friedenskultur werben, gab die Abrüstungsabteilung der Vereinten Nationen zusammen mit dem Büro des Sonderbeauftragten für Geschlechterfragen und Frauenförderung in der Wirtschafts- und Sozialabteilung eine Sonderausgabe von Stellungnahmen zum Thema »Gender-Perspektiven zur Abrüstung« heraus. Dieses Ressourcenpaket ist ein nützliches Instrument, das auf die Verstärkung von Gender Mainstreaming bei Abrüstungsfragen zielt.

Zusätzlich hat „Reaching Critical Will“, das Projekt der WILPF beim Büro der Vereinten Nationen, seit 1999 Abrüstungsforen der UN beobachtet. Dieses Projekt spielte eine wichtige Rolle bei der Sammlung und Verbreitung wesentlicher Informationen von UNO-Treffen zu Abrüstungsfragen. Es warb vernehmlich für das Endziel, nukleare Abrüstung. Augenscheinlich kodifiziert die Resolution 1325 die bisher weit gehend ignorierte oder nicht unterstützte Tradition, dass Frauen auf jeder Ebene für Frieden und Abrüstung werben, in internationales Recht.

Während Errungenschaften von Frauen weit gehend von der Geschichtsschreibung ignoriert wurden, haben Frauen viele Beiträge zur Friedens- und Abrüstungsbewegung geleistet. Unbedingte Loyalität zu dem Ziel des Weltfriedens treibt diese Friedens- und Abrüstungsaktivistinnen vorwärts. Seit der Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in den Schrecken des Ersten Weltkrieges wurden mehrere Wege für eine aktive Teilhabe der Frauen eröffnet. Viele Frauen halten durch und finden Wege um enorme Hindernisse herum, sie kämpfen ohne Waffen, nur mit Worten und gewaltlosen Aktionen.

Literatur

Die Website der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF): www.wilpf.int.ch

Die Website der Friedensfrauen (USA): www.peacewomen.org

Die Website von Reaching Critical Will: www.reachingcriticalwill.org

Gender Perspectives on Disarmament. Statement von Felicity Hill, ehem. Leiterin des UN-Büros der WILPF http://www.reachingcriticalwill.org/genderdisarm/genderindex.html

The Work of the Department for Disarmament Affairs in Implementing Security Council Resolution 1325, von Jayantha Dhanapala, Under Secretary-General for Disarmament Affairs. United Nations Inter-agency Panel to Commemorate the First Anniversary of Security Council resolution 1325, New York, 31 October 2001. Organisiert von der Inter-agency Taskforce on Women, Peace and Security. http://www.reachingcriticalwill.org/1com/DDA1325dana.pdf

Gender Perspectives on Disarmament, Veröffentlichung des Department for Disarmament Affairs in Zusammarbeit mit dem Büro des Sonderbeauftragten für Geschlechterfragen und Frauenförderung im Department for Economic and Social Affairs http://www.un.org/Depts/dda/gender.htm

Anmerkungen

1) Catherine Foster: Women For All Seasons. Athens, University of Georgia Press, 1989, 6.

2) http://www.ppu.org.uk/century/century7.html

3) Sasha Roseneil: Disarming Patriarchy. Buckingham, Open University Press, 1995, 6.

4) The International Coalition for the Women‘s Peace Petition, www.peacewomen.org

5) DDA briefing notes.

6) www.millionmommarch.org

7) DDA briefing notes.

8) Karl, M. (1995): Women and Empowerment. London, Zed Books Ltd.

9) DDA Briefing notes.

10) http://www.peacewomen.org/un/ngo/wg.html

11) Felicity Hill: One Year On, www.peacewomen.org, September 2001.

Emily Schroeder koordiniert »Reaching Critical Will«, ein Projekt der »Women’s International League for Peace and Freedom«, United Nations Office, New York.
Übersetzung aus dem Englischen: Annette Hauschild

Gender im Konflikt

Gender im Konflikt

Ein Werkstattgespräch der AFK

von Anja Feth und Nana Heidhues

Warum und in welcher Hinsicht ist die Kategorie Gender für die zivile Konfliktbearbeitung von Bedeutung? Inwiefern würden sich Projektplanung/-durchführung sowie Ausbildung von Friedensfachkräften ändern (müssen), wenn die geschlechtsspezifischen Dimensionen von Konflikten – und daraus resultierend der Konfliktbearbeitung – die notwendige Berücksichtigung fänden? Auf welche Erfahrungen kann hier bislang zurückgegriffen werden? Zu einer Auseinandersetzung mit diesen dringenden Fragen lud am 18. Januar 2002 die Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) zu einem Werkstattgespräch in Berlin ein.
Unter dem Titel »Zur Kategorie Gender in der zivilen Konfliktbearbeitung« versammelte die Tagung Praktikerinnen, Policymakerinnen und Wissenschaftlerinnen mit dem Schwerpunkt zivile Konfliktbearbeitung und/oder Gender zu einem Austausch. Denn während das Instrument des Gender-Mainstreaming in der Entwicklungszusammenarbeit mittlerweile fest verankert ist, findet eine Reflexion über die Bedeutung der Kategorie Gender im Rahmen der zivilen Konfliktbearbeitung kaum statt. Zwar war die Tagung ursprünglich nicht als reine Frauenveranstaltung konzipiert, jedoch fand von den eingeladenen männlichen Vertretern aus Theorie und Praxis bedauerlicherweise keiner den Weg ins Harnack-Haus.

Nach einer kurzen Begrüßung durch die derzeitige Frauenbeauftragte des AFK, Dr. Ruth Stanley (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin), zugleich Initiatorin und Organisatorin des Werkstattgespräches, begann die Tagung mit einem Beitrag aus der Wissenschaft. Cordula Reimann (School of Peace Studies, Universität Bradford, England) schuf mit ihrem Eingangsreferat eine gemeinsame theoretische Basis, auf welcher der weitere Tages- und Diskussionsverlauf aufbauen konnte. Sie thematisierte u.a. die verschiedenen Handlungsebenen der zivilen Konfliktbearbeitung, auf denen Frauen sehr unterschiedlich stark vertreten sind. Während zivilgesellschaftliche Anstrengungen der Konfliktbearbeitung oft von Frauen maßgeblich mitgetragen werden, sind sie von den offiziellen Friedensverhandlungen meist ausgeschlossen.

Der von Cordula Reimann dargestellte theoretische Zugang wurde anschließend mit praktischen Erfahrungen aus dem bosnischen Friedensprozess untermauert. Sabine Klotz von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg war im Jahr 2000 als Mitglied verschiedener OSZE-Missionen in Bosnien; Dr. Martina Fischer ist am Berghof-Zentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin tätig. Beide Beiträge führten anschaulich vor Augen, dass und in welcher Weise gewaltsame Konflikte und Friedensprozesse keineswegs Gender-neutral sind, sondern im Gegenteil in je spezifischer Weise auf Frauen und Männer wirken und daher auch auf zugrunde liegende gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse. So wurde beispielsweise auf den Zusammenhang zwischen der Traumatisierung bosnischer Kämpfer und dem deutlichen Anstieg innerfamiliärer Gewalt in der Post-Konfliktphase hingewiesen. Detraumatisierungsprogramme für ehemalige Kämpfer, so der Vorschlag, müssten die Militarisierung der männlichen Geschlechterrolle gezielter thematisieren.

Deutlich wurde vor allem eines: Gender darf auf keinen Fall als isolierte Kategorie verstanden werden, sondern muss im Gegenteil immer in Zusammenhang mit historischen, kulturellen und religiösen Machtverhältnissen gesehen werden. Diese wirken sich in einem »gender-culture-double-bind« (Reimann) auf Geschlechteridentitäten und -verhältnisse aus. Die Frage lautet also, wie im Rahmen von ziviler Konfliktbearbeitung die Partizipation einheimischer Frauen gefördert werden kann, wenn eben diese mit bestehenden gesellschaftlichen Normen kollidiert. (Zum Beispiel dann, wenn Bosnierinnen nicht an politischen Veranstaltungen teilnehmen können, weil es ihnen nicht erlaubt ist, abends alleine das Haus zu verlassen. Auch neu geschaffene Ausbildungsprogramme für Frauen und Mädchen oder die Einführung einer Frauenquote für nationale Parlamente können nur erfolgreich sein, wenn sie die Lebensrealitäten der Frauen berücksichtigen.)

Kulturell festgeschriebene Geschlechterrollen machen sich im Übrigen auch für weibliche Mitglieder einer Friedensmission bemerkbar: Sabine Klotz wurde in Bosnien damit konfrontiert, als Frau bei der Bevölkerung auf geringere Akzeptanz zu stoßen und vor allem von einheimischen Männern weniger ernst genommen zu werden als ihre männlichen Kollegen. Tatsächlich wirkt sich jedoch die Beteiligung von Frauen an internationalen Friedensmissionen entscheidend darauf aus, welche Informationen die ausländischen Friedensfachkräfte erhalten. So wollen bzw. dürfen einheimische Frauen oft nicht mit ausländischen Männern über erfahrene Gewalt oder ihre spezifische Lebenssituation nach dem Konflikt sprechen. Eine rein männlich besetzte Mission läuft also Gefahr, nur die halbe (Konflikt-)Wahrheit zu erfahren. Ein weiteres Problem, welches sich an die hauptsächlich männliche internationale Präsenz in Krisengebieten knüpft, darf von internationalen Organisationen auf keinen Fall (weiter) ignoriert werden: In Bosnien wie in vielen anderen Gebieten muss seit dem Beginn der Einsätze internationaler (militärischer und ziviler) Friedensmissionen eine deutliche Zunahme von Prostitution und Frauenhandel registriert werden sowie ein drastischer Anstieg von HIV-Erkrankungen. Die Tagungsteilnehmerinnen stimmten darin überein, dass ein umfassendes Gender-Training nicht nur zur Grundausbildung von Friedenspersonal gehören muss, sondern auch praxisorientierter gestaltet werden sollte, als dies bisher geschieht (z.B. mit Rollenspielen).

Im weiteren Diskussionsverlauf wurden auch Maßnahmen der gesellschaftlichen Wiedereingliederung von ehemaligen Kämpfern problematisiert. Die anerkannte und weit verbreitete Methode, Exkombattanten Arbeitsplätze zu verschaffen, um ihre Re-Integration zu unterstützen, kann durchaus ambivalente Wirkungen erzielen. Werden hier möglicherweise unbeabsichtigt Täter bevorzugt behandelt? Welche Signale werden dabei an Frauen gesendet, die Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Folter wurden? Könnte eine – ohne Zweifel notwendige und extrem wichtige – Wiedereingliederung von Exkombattanten dieser Gefahr entgehen, indem z.B. gleichzeitig gezielte Ausbildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Frauen angeboten werden?

Insgesamt waren sich alle Teilnehmerinnen einig in der Feststellung, dass dieses Werkstatt-Gespräch nur der Ausgangspunkt für eine zukünftige intensive Beschäftigung mit geschlechtsspezifischen Fragestellungen innerhalb der zivilen Konfliktbearbeitung sein könne. Zu viele Fragen blieben unbeantwortet; neue wurden aufgeworfen. Die Forschungslücke klafft beträchtlich zwischen der Erkenntnis, dass Konflikte in ihren geschlechtsspezifischen Dimensionen aus der Mainstream-Perspektive nur unvollständig wahrgenommen und erfasst werden können und der Tatsache, dass sich Gender als analytische Kategorie bisher nicht hat etablieren können. Aufgabe der feministischen Forschung muss es demnach sein, die konflikttheoretische Bedeutung der Kategorie Gender und somit die »andere« Betroffenheit von Frauen im Rahmen von Konflikten der Mainstream-Forschung zu vermitteln. Es muss gezeigt werden, warum ein Konflikt nicht vollständig erfasst werden kann, wenn Gender als analytische Kategorie außen vor bleibt. (Bei einer anderen Kategorie, der Ethnie, besteht dieses Vermittlungsproblem offensichtlich nicht. Der explosive Charakter sozialer Ungleichheiten zwischen Ethnien wird angesichts der Erfahrungen vergangener Kriege nicht in Frage gestellt. Soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bleiben dagegen weiterhin unberücksichtigt.)

Abschließend wurde festgehalten, dass zukünftig nicht nur der kontinuierliche Dialog zwischen Theorie und Praxis notwendig sei, um Gender in der zivilen Konfliktbearbeitung fester zu verankern. Es müsste auch ein intensiverer Austausch mit verwandten Disziplinen stattfinden, die mit Gender bereits Erfahrungen gesammelt und entsprechende Instrumente entwickelt haben (wie z.B. die Entwicklungszusammenarbeit). Diese auf ihre Anwendungsmöglichkeiten in der zivilen Konfliktbearbeitung hin zu überprüfen ist eine der nun anstehenden Aufgaben.

Anja Feth und Nana Heidhues studieren Politikwissenschaft an der FU Berlin

Frauen und Gewalt

Frauen und Gewalt

von Christiane Lammers

Mann möchte meinen, die Zeiten hätten sich geändert: Die Emanzipationsprozesse müssten doch inzwischen weit vorangeschritten sein, wenn eine Frau der CDU vorsitzt, wenn eine Frau oberste Verfassungsrichterin ist, wenn Frauen zum Dienst an der Waffe zugelassen sind, wenn Frauen zu Selbstmordattentäterinnen werden oder wenn die Befreiung der Frau sogar nicht hinterfragtes Motiv für einen Krieg geworden ist. Also, was wollen Frauen noch mehr?

Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist …

Die Zulassung der Frau zum Dienst an der Waffe wurde zweifach in der deutschen Öffentlichkeit begründet. Zum einen als Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum anderen als Möglichkeit, ausgehend von der Armee als Teil der Gesellschaft, emanzipatorische Bestrebungen zu forcieren. Studien in Armeen, die schon länger weibliche Soldaten »integriert« haben, zeigen jedoch, dass dies weder eine Demokratisierung noch eine Humanisierung der Armeen mit sich gebracht hat – in sich wohl schon eine paradoxe Zielvorstellung –, noch dass die Frauen gleichberechtigt behandelt werden. Frauen erreichen auch hier nicht die Spitze des hierarchischen Dreiecks und bleiben in der Regel in marginalisierten Positionen.

Ein Attentat einer Palästinenserin hat zu erheblichem Aufsehen geführt. Es wurde interpretiert als weitere Eskalationsstufe des israelisch-palästinensischen Konfliktes im Sinne von „nun beteiligen sich also auch die Frauen aktiv an dem Konflikt“. Nicht die Hintergründe und Motive der Frau spielten eine Rolle, sondern allein ihr Geschlecht. Nicht nur das Phantom von der friedlichen, passiven Frau, sondern auch die Ignoranz gegenüber der tagtäglichen Betroffenheit der palästinensischen Frauen kommt zum Vorschein.

Und nun geht die Instrumentalisierung der Frauen noch einen Schritt weiter. In Anbetracht der Bilder von gefolterten Frauen auf Kabuls Straßen wird zweifach die Akzeptanz des Krieges in Afghanistan hergestellt: Die Männer können ihren Beschützertrieb mobilisieren, emanzipierte Frauen, die vielleicht ein besonders kritisches Potenzial gegenüber militärischen Männerkoalitionen aufbieten würden, werden irritiert und instrumentalisiert.

Hat Mann die Frauen in Afghanistan eigentlich gefragt, ob sie »ihre Befreiung« mit einem solchen Preis bezahlen wollen? Ob sie wiederum verbrannte Erde neu beackern, ihr Leben und das der Kinder gefährdet durch mehr als 40.000 Landminen sehen wollen? Noch nicht einmal die Opferzahlen sind bekannt. Stillschweigen wird erzeugt, um nicht an den ursprünglichen humanitären Zielen gemessen zu werden. Ist nun nach dem »gewonnenen« Krieg sichergestellt, dass der Wiederaufbau Afghanistans sich an den Interessen der Frauen orientiert? Erhebliche Zweifel sind angebracht.

Selbst in Friedensforschungs- und -arbeitsfeldern, die als typisch weiblich eingeordnet werden, bleibt die Genderperspektive bisher noch unbearbeitet liegen. Die zivile Konfliktbearbeitung, die die ganze Gesellschaftswelt und damit die Alltagswelten beider Geschlechter im Blick haben müsste, weist hier noch einige Leerstellen auf. Oftmals drängen sich auch hier die Männerwelten in den Vordergrund: Entwaffnung von Männern, Einrichtung von zivilgesellschaftlichen und politischen Strukturen nach dem Muster männlicher Dominanz, Arbeitsplätze für Männer, insbesondere für Kombattanten. Alles wichtige Arbeitsfelder, die gleichzeitig infolge der Mittelknappheit Richtungsentscheidungen in der Genderfrage sind. Es irritiert, dass auch in diesem Arbeitsfeld, das sich in der Bundesrepublik als das Arbeitsthema insbesondere von Wissenschaftlerinnen und Friedensarbeiterinnen herauskristallisiert hat, die Genderperspektive bisher keine reflektierte und erkennbare Rolle spielt.

Männer sind nicht die Wurzeln allen Übels und Frauen nicht das friedliche Geschlecht. Eine Banalität, die jedoch auf die falsche Fährte führen könnte. Die Thematisierung der Genderfrage sollte auch in friedenswissenschaftlichem Zusammenhang nicht zur Instrumentalisierung der Frauen führen, im Sinne von Frauen an die Macht und das friedliche Paradies auf Erden hat begonnen. Trotzdem – ohne diesen Zustand festzuschreiben oder in Form einer Gleichmacherei aufheben zu wollen – unterscheiden sich vor allem die Alltagswelten der beiden Geschlechter noch immer ganz wesentlich und bieten deshalb unterschiedliche Friedensstrategien an. Friedensprozesse werden nur erfolgreich sein können, wenn sie integrativ, sowohl horizontal wie auch vertikal möglichst breit angelegt sind. Dazu bedarf es eines weiten Blickes. Frauen benötigen keine patriarchalische Fürsprache, sondern Zugänge zu Ressourcen und Machtstrukturen, um ihre Sichtweisen und Interessen einzubringen. Die Geschlechterteilung hängt ohne Zweifel mit der Verfasstheit der staatlichen Strukturen und Institutionen zusammen; die Machtfrage ist gestellt – in der Hoffnung sie konstruktiv beantworten zu können.

Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das ist…

Kein Kinderspiel – und trotzdem möglicherweise ein Spiel ohne Verlierer.

Christiane Lammers

Die Gleichberechtigungsfalle

Die Gleichberechtigungsfalle

»Freiwilliger Waffendienst«: Gleiches Recht auf Unrecht

von Anne Rieger

Der Anti-Diskriminierungsausschuss der UN rügte vor einigen Tagen die Tatsache, dass Frauen in Deutschland nach wie vor in vielen Bereichen diskriminiert werden: Sie erhalten nur 77 Prozent des Durchschnittsverdienstes von Männern, haben mehr als 90 Prozent der prekären und unzureichend bezahlten Teilzeitjobs inne und, obwohl mehr Frauen als Männer ein Studium beginnen, besetzen sie nur neun Prozent aller ProfessorInnenstellen. 94 Prozent der höchstdotierten Posten in Wirtschaft und Wissenschaft sind von Männern besetzt. An dieser Situation hat sich seit zehn Jahren kaum etwas geändert.

Ja, es ist höchste Zeit, Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen auf allen Ebenen unserer Gesellschaft herzustellen. Aber waren das auch die Beweggründe des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) als er 1996 Tanja Kreil seine Hilfe anbot? Wir erinnern uns: Frau Kreil hatte sich damals beim Elektronik-Instandsetzungsdienst der Bundeswehr beworben und war abgelehnt worden, da die damit verbundene Waffenausbildung für Frauen dem Grundgesetz widerspreche. Der DBwV stellte daraufhin Tanja Kreil Rechtsschutz und seinen Vertragsanwalt zur Verfügung. Mit dessen Unterstützung klagte sie vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) auf die Einhaltung der Gleichbehandlungsrichtlinie des Europäischen Rates aus dem Jahre 1976 bezüglich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg. Sie klagte mit Erfolg: Unter großer öffentlicher Beachtung sprachen sich die RichterInnen im Januar für einen Zugang der Frauen in Deutschland zum Dienst mit der Waffe aus.

Der Vorsitzende des DBwV, Oberst Bernhard Gertz, jubelte: „Hier ging es um die Beseitigung eines Berufsverbotes.“ Noch am gleichen Tag veranlasste Peter Wichert, Staatssekretär im Verteidigungsministeriums, die Bildung einer Steuergruppe »Frauen in den Streitkräften«, die bis zum 29. Februar einen Entwurf zum Handlungs- und Entscheidungsbedarf vorlegen sollte. Minister Rudolf Scharping, der bereits im Juli 1999 ankündigte Frauen auch im Wachdienst, also »mit der Waffe« einzusetzen, begrüßte das Urteil und versprach einen abgestimmten Gesetzentwurf zur Kabinettsbehandlung noch vor der Sommerpause. „Eine historische Entscheidung zugunsten der Frauen in Europa, insbesondere aber in Deutschland“, fasste Peter Dreist in »Bundeswehr aktuell« das Ergebnis zusammen.

Bei so viel männlicher Unterstützung in der Gleichberechtigungsfrage wundert frau sich! Noch immer sind die Beschlüsse des EUGH zur Lohngleichheit und gegen mittelbare Diskriminierung von Frauen in der Bezahlung in der Bundesrepublik nicht umgesetzt, noch immer kann von Chancengleichheit im zivilen Bereich, in Familie, Beruf und Gesellschaft keine Rede sein. Hier wird gemauert, doch wenn es um die Bundeswehr geht, werden »einflussreiche« Männer plötzlich schwach und entdecken die Gleichberechtigung. Das ist dann doch mehr als merkwürdig und legt den Schluss nahe, dass hier der Wunsch und das Recht von Frauen auf technisch anspruchsvolle Arbeitsplätze zur Legitimation der Bundeswehr und zur Militarisierung der Gesellschaft missbraucht werden sollen.

Ist der Zugang zum Dienst an der Waffe wirklich „die Nagelprobe auf die Akzeptanz der Unteilbarkeit von BürgerInnenrechten“ wie Christa Schenk (PDS) es sieht? Ist es wirklich ein „weiterer Schritt zum Abbau rechtlicher Benachteiligung von Frauen“ (Deutscher Frauenrat), liegen darin wirklich „neue berufliche Entwicklungsmöglichkeiten in technisch anspruchsvollen Jobs“ (Ursula Engelen-Kefer, DGB)? Ist denn SoldatIn sein – das abgerichtet werden zum Töten auf Kommando – ein Beruf wie jeder andere? Kann frau wirklich die gleichberechtigte »Lizenz zum Töten« als höchste Stufe weiblicher Emanzipation verstehen oder sollte nicht vielleicht doch den Frauen aus Parteien und Gewerkschaften angesichts dieses Schritts zur Gleichberechtigung der Jubel im Halse stecken bleiben? Emanzipation heißt doch nicht Nachahmung männlicher Dummheit, hat doch nichts mit Macho-Gleichstellung in Militärmaschinerien zu tun. Es ist schwer nachvollziehbar, dass es ein Fortschritt für die Frauen aus den USA gewesen sei soll, in Somalia, Haiti, Bosnien, am Golf und anderswo zu töten und getötet zu werden.

Emanzipation heißt Selbstbestimmung. Diesem Interesse dient aber kein Militär der Welt. Nach innen ist es undemokratisch, nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam organisiert, nach außen ist es ein Instrument der Unterdrückung, der Zerstörung von Mensch und Natur. Es dient der Aufrechterhaltung von Macht – auch der Aufrechterhaltung der Macht der Männer über die Frauen. Die US-Armee liefert hierfür den Beweis: Untersuchungen belegen, dass in der US-Armee, die mit 15 Prozent den höchsten Frauenanteil in der NATO hat, zwei Drittel der Frauen brutaler Unterdrückung durch sexuelle Belästigung, Nötigung bis zu Vergewaltigungen ausgesetzt sind.

Es hat auch wenig mit Gleichberechtigung zu tun, wenn frau als Lückenbüßerin Personaldefizite füllen soll. Seit dem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr wollen sich immer weniger Zeitsoldaten für zusätzliche Jahre verpflichten. Glaubt man dem Verteidigungsministerium fehlen 1000 Unteroffiziere und 2000 Offiziere; die Zahl der Kriegsdienstverweigerer hat das historisches Hoch von 174.348 erreicht. Der Begriff »Reservearmee« bekommt da einen neuen, einen makabren Klang.

Viel zu tun hat die Frage »Frauen und der Dienst mit der Waffe« allerdings mit der sozialen Frage. Das wird deutlich, wenn mensch sich die US-Armee ansieht und feststellen muss, dass die schwarzen Frauen in der »Truppe« deutlich in der Mehrzahl sind, während angesichts einer florierenden Wirtschaft sich insbesondere die weißen Frauen vom Militär abwenden um sich im zivilen Bereich nach beruflichen Alternativen umzusehen. In Italien gibt das Verteidigungsministerium offen zu, dass bei den Bewerbungen der Frauen zur Armee die hohe Arbeitslosigkeit im Süden eine große Rolle spiele. Dass sich bei uns vor allem in Ostdeutschland zunehmend Frauen bei der Armee bewerben sagt denn auch weniger aus über die Berufswünsche von Frauen, als über ihre Perspektivlosigkeit auf dem zivilen Arbeitsmarkt angesichts der gewaltigen Massenarbeitslosigkeit.

„Frieden ist der Ernstfall“ hieß der Auftrag der Bundeswehr noch vor 10 Jahren. Doch spätestens seit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1993 gehört zum »Ernstfall« „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“. Die militärische Ergänzung zum politischen und ökonomischen »Weltmachtstreben«. Die Bundeswehr soll weltweit eingesetzt werden können, auch um gegebenenfalls Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Dazu werden die sogenannten Krisenreaktionskräfte hochgerüstet.

Der „Zweck von Waffen ist es, genutzt zu werden“, erklärt Boeing-Sprecherin Karen Vanderloo. Wozu? Um Kriege zu führen, denn das ist die Aufgabe von Armeen, dazu werden Soldaten und Soldatinnen ausgebildet. Das gilt auch für die deutsche Armee und zwar jetzt »out of area«, d.h. unter Umständen weltweit und nicht nur zur Verteidigung. Ich wehre mich aber dagegen, dass in unserem Land Menschen zum Töten ausgebildet werden und dass in unserem Namen Angriffskriege geführt werden. Angesichts unserer Geschichte, angesichts der schrecklichen Sonderrolle, die Deutschland bei den Kriegen dieses Jahrhunderts gespielt hat, kann für mich der Waffendienst für Frauen in anderen Ländern kein Beispiel sein.

Natürlich bin ich für Gleichberechtigung. Der Zugang von Frauen zur Waffe ist aber für mich in erster Linie keine »Frauenfrage«, sondern eine friedenspolitische. Statt in die Gleichberechtigungsfalle zu tappen gilt es sich gegen die weitere Militarisierung der Gesellschaft zu wehren. Weder Frauen noch Männer in die Bundeswehr!

Anne Rieger ist 2. Bevollmächtigte der IG-Metall Waiblingen, aktiv in der VVN-Bund der Antifaschisten und Mitinitiatorin einer Unterschriftensammlung »Frauen ans Gewehr – wir sagen nein!«