Vater im Krieg, Mutter in Pommerland?

Vater im Krieg, Mutter in Pommerland?

BSV-Tagung zu »Geschlechterverhältnissen in Krieg und Frieden«, 16.-18 März 2012, Dortmund

von Judith Conrads

Welche Rolle spielt der Begriff »Macht« in Bezug auf Geschlechterbeziehungen? Wie wirkt sich der Faktor »Geschlecht« auf Konzepte von Sicherheit aus? Diese und andere Fragen diskutierten die etwa 60 Teilnehmenden auf der BSV-Tagung »Vater im Krieg, Mutter in Pommerland? – Geschlechterverhältnisse in Krieg und Frieden«. Der Bund Soziale Verteidigung (BSV) hatte zu der Tagung eingeladen, um Friedensarbeit »durch die Genderbrille« zu betrachten. Damit folgte er der Erkenntnis, dass, solange Gender als Strukturkategorie sozialer Ordnung existiert, auch Fragen zu Krieg und Frieden nicht ohne eine explizite Genderperspektive zu bearbeiten sind. Denn, so die Ausgangsthese, wird der Blick auf die Geschlechterverhältnisse versäumt, so können Strukturen, die zur Eskalation der Gewalt beitragen, unberücksichtigt und als konfliktverschärfende Faktoren bestehen bleiben.

Die Journalistin und Autorin Ute Scheub erteilte in ihrem Einführungsvortrag dem Dualismus »friedfertige Frau – kriegerischer Mann« als vermeintlich biologisch basiertem Determinismus eine Absage: Nicht biologische Faktoren seien für Gewaltneigung bzw. Friedfertigkeit von Menschen ausschlaggebend, sondern die Kultur. Der Grad der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und der Friedfertigkeit einer Gesellschaft korrelierten dabei. Mit dem Fokus auf der Sozialisationsbedingtheit von geschlechtsspezifischem Verhalten war die Stoßrichtung der Tagung skizziert.

Die anschließende Podiumsdiskussion widmete sich der Situation von Frauen in Afghanistan und der Frage, wie ein geschlechtersensibler Friedensprozess aussehen müsste. Hierbei wurden die unterschiedlichen Ansätze der DiskutantInnen deutlich: Jessica Mosbahi von medica mondiale erklärte die Befreiung der afghanischen Frauen für gescheitert, wobei sie gleichzeitig anzweifelte, ob sie auf diesem – militärischen – Weg überhaupt möglich gewesen sei. Während der Herausgeber des Friedensmagazins aixpaix.de, Otmar Steinbicker, die Priorität darin sah, zunächst überhaupt Gespräche zu führen und Verhandlungen zu etablieren, egal mit wem (bzw. der Verfügbarkeit entsprechend ausschließlich mit den männlichen Vertretern der Konfliktparteien), und erst in einem nächsten Schritt auch die Integration von Frauen in den Friedensprozess forderte, betonte Mosbahi die Notwendigkeit einer aktiven Einbeziehung von Frauen auf dem Weg zum Frieden von Anfang an und warnte davor, dass für »schnelle Deals« die Frauenrechte auf der Strecke bleiben könnten. Es sei grundlegend, dass auch Frauen an den Verhandlungstischen säßen und den Friedensprozess aktiv mitgestalten könnten. Die Journalistin Shakiba Babori forderte von der internationalen Gemeinschaft, alle Finanzhilfen an die Garantie von Frauenrechten zu knüpfen. Weitgehend einig war man sich darüber, dass Verhandlungen mit allen Konfliktparteien stattfinden müssten, was Gespräche mit Taliban, aber eben, so Mosbahi und Babori, auch explizit Frauen einschließen müsse. Denn ein Friedensabkommen, welches ohne Frauen geschlossen würde, sei zum Scheitern verurteilt, weil ein Großteil der Bevölkerung damit unberücksichtigt bliebe. Daneben wurde deutlich, dass es in Afghanistan allen Schwierigkeiten zum Trotz politisch aktive Frauen gibt, die ihre Rechte selber formulieren und einfordern wollen und können. Es gilt also, so das Fazit, sie in der Artikulation ihrer Positionen zu unterstützen und Kanäle zu eröffnen, über die sich die afghanischen Frauen Gehör verschaffen können, sowohl in Afghanistan als auch international.

Heide Schütz vom Frauennetzwerk für den Frieden eröffnete den zweiten Tag mit einem Appell für eine sensiblere Wahrnehmung in Bezug auf Geschlechterverhältnisse und ihre Implikationen und kritisierte die Tendenz, Gender mit Frauen bzw. Frauenförderung gleichzusetzen. Heidi Meinzolt von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit hob in ihrem Vortrag über die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates (UNSCR 1325, verabschiedet am 31. Oktober 2000) zu »Frauen, Frieden und Sicherheit« und der von ihr vertretenen Forderung eines Nationalen Aktionsplanes zur besseren Umsetzung der Resolution die Bedeutung der Resolution als völkerrechtliche Grundlage für einen geschlechtersensiblen Umgang in der Konfliktbearbeitung hervor, zeigte aber auch ihre Schwächen auf, insbesondere bezüglich der mangelnden Verbindlichkeit durch fehlende überprüfbare Indikatoren. Hieran schloss sich eine lebhafte Diskussion über das Für und Wider der Resolution an. Kritische Stimmen zeigten etwa das Risiko auf, dass die UNSCR 1325 in Konflikten wie Afghanistan als Legitimations- und Druckmittel für militärische Einsätze herangezogen werden könnte oder stellten das der Resolution zugrunde liegende Friedens- und Sicherheitsverständnis infrage. Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass die UNSCR 1325 immerhin ein erster Ansatz sei, um Veränderungen im Diskurs zu erreichen.

»Militarisierte Männlichkeit« – diesen Begriff stellte Rolf Pohl, Professor am Institut für Soziologie/Fach Sozialpsychologie der Leibniz-Universität Hannover, ins Zentrum seiner Ausführungen, die den Zusammenhang von militärischen Strukturen und der Förderung eines aggressiven und gewaltbereiten Verhaltens herausarbeiteten. Bei Soldaten werde eine „paranoide Abwehr-Kampf-Haltung“ gefördert, die auf die Überwindung der Tötungshemmung abziele. Für ihn stellt Gender mehr als ein soziales Rollenlernmodell dar, vielmehr manifestierten sich die Geschlechterbilder als körperlich verinnerlichte, tief sitzende innere Einstellungen. Die Herausforderung sei nun, Ansätze zu finden, an diese Einstellungen heranzukommen, um sie modifizieren zu können.

Beispiele von »best practice« und »lessons learned« in internationalen Projekten der Friedensarbeit mit einem speziellen Genderfokus lieferten das anschließende Podium sowie der Vortrag am Sonntag. Martina Grasse, Vertreterin von OWEN – Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung e.V., stellte das deutsch-kaukasische Gender-Projekt »OMNIBUS1325« vor, bei dem eine wichtige Erfahrung die je nach kulturellem Hintergrund unterschiedlichen Rollenbilder der verschiedenen Teilnehmenden gewesen sei. Eine große Diskrepanz nahm die ehemalige Friedensfachkraft des Zivilen Friedensdienstes (ZFD), Anne Dietrich, im Sudan zwischen den Erwartungen der geldgebenden Organisation, die Gender als Querschnittsthema entdeckt hätte, und den Gegebenheiten vor Ort wahr. Den größten Erfolg sah Dietrich in den Projekten und Anti-Gewalt-Trainings, welche Frauen und Männer gleichermaßen ansprachen, um mit ihnen über die bestehenden Geschlechterverhältnisse zu reflektieren. Als positives Beispiel gelungener Arbeit an Rollenbildern stellte Rita Schäfer das südafrikanische Männernetzwerk Sonke vor, das bei der Bearbeitung von Männlichkeitskonzeptionen ansetze, indem Männer in Trainings ihre Rollenbilder hinterfragten und sich um den Aufbau von Identitäten bemühten, die nicht auf gegenseitige Gewaltzufügung und Unterdrückung der Frau basieren. Die internationale Friedensorganisation Nonviolent Peaceforce (NP), die am Sonntag von Outi Arajärvi vorgestellt wurde, setzt ihre Teams von Friedensfachkräften geschlechterparitätisch zusammen. Gleichzeitig wies Arajärvi darauf hin, dass die NP bisher, wie viele andere, der Versuchung erlegen sei, darüber hinaus Gender mit Frauen gleichzusetzen und dementsprechend in Gender-Trainings auf Bewusstseinsarbeit bei Frauen, selten aber auch beim übrigen Teil der Bevölkerung abziele.

Der Samstagnachmittag wurde mit einer Arbeitsgruppenphase verbracht, in dem sich die Teilnehmenden mit »Gewalt und Geschlecht in Konflikt- und Postkonflikt-Situationen«, »Konzepten von Gewaltfreiheit im Licht von Gender« und der »Friedensbewegung unter der Genderlupe« beschäftigten bzw. in einer Theater-AG auf darstellerische Weise eigene Rollenbilder und Einstellungen zu Geschlechterverhältnissen reflektierten.

Ein zentraler Begriff, der immer wieder kritisch beleuchtet wurde, war jener der »Sicherheit«: Dessen Relativität machte Rita Schäfer am Beispiel von Nachkriegsgesellschaften deutlich, die häufig ein enormes Ausmaß an geschlechtsspezifischer Gewalt aufwiesen, so dass gerade für Frauen der Unterschied zwischen Kriegs- und Nachkriegszeit marginal sei, was jedoch in vielen herkömmlichen Sicherheitskonzepten nicht erfasst werde. Schäfer führt diese Gewalt auf mangelnde alternative Identifikationsmodelle für Männlichkeit zurück, was dazu beitrage, dass zur Identitätsstiftung auch in Nachkriegszeiten auf das Bild der militarisierten Männlichkeit zurückgegriffen werde. Ein weiterer Aspekt, der in vielen Beiträgen gestreift wurde, war die Frage nach den Geschlechterverhältnissen zugrunde liegenden Machtsstrukturen. So legte Rolf Pohl dar, wie Identität in der binären Geschlechterordnung durch Differenz gestiftet werde und dabei Männlichkeit und Weiblichkeit als hierarchisches System durch die Bewertung der Unterschiede konstruiert würden. Damit klang an, was auch an anderen Stellen dieser Tagung diskutiert wurde: Die Überlegung, wie geschlechtsspezifische Rollen und Bedürfnisse nicht nur speziell berücksichtigt, sondern die gesellschaftlichen Strukturen, durch welche sie erst erzeugt werden, auch hinterfragt und bearbeitet werden können. Zugespitzt wurde das in der Formulierung am Sonntag: „Brauchen wir das Geschlecht als soziale Ordnungskategorie überhaupt?“

Um über die Tagung hinaus die hier entstandenen Denkanstöße und Diskussionsansätze weiterzuverfolgen, wurde auf der anschließenden BSV-Mitgliederversammlung die Einrichtung der AG »Gesprächkreis Gender« beschlossen, die für alle Interessierten offen ist. Nähere Informationen zum ersten Treffen, das für diesen Frühsommer geplant ist, erteilt das BSV-Büro unter info@soziale-verteidigung.de oder 0571/29456. Eine Dokumentation der Tagung mit den Beiträgen der Referierenden wird in Kürze zur Verfügung stehen und kann beim BSV bestellt werden.

Judith Conrads

Kein Frieden ohne Frauen in Afghanistan

Kein Frieden ohne Frauen in Afghanistan

von Monika Hauser

Zehn Jahre werden im Dezember vergangen sein, wenn nach der ersten Afghanistankonferenz auf dem Petersberg in Bonn 2001 afghanische und internationale PolitikerInnen erneut zusammenkommen, um über das Schicksal Afghanistans zu entscheiden. Viel hat die internationale Gemeinschaft in das Land investiert – Hoffnung, Kraft, Wissen, militärisches Engagement und reichlich Geld –, doch noch immer befindet es sich im Krieg. Derzeit ist ein Ende der Gewaltspirale – Kampf gegen Aufständische auf der einen und die Zunahme terroristischer Anschläge auf der anderen Seite – nicht in Sicht.

Von der Aufbruchstimmung nach dem Fall der Taliban ist derzeit nicht mehr viel zu spüren, vielmehr dominieren Unsicherheit, Frustration und Bitterkeit. Zu viele Fehler haben die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung in den vergangenen Jahren gemacht. Ein ganz wesentlicher: Die fehlende Einbeziehung afghanischer Frauen in den Friedens- und Wiederaufbauprozess des Landes. Zwar soll sich bei den Verhandlungen in Bonn im Dezember dieses Jahres die afghanische Delegation bis zu 25 Prozent aus Frauen zusammensetzen. Ob sie eine bestimmende Rolle im Prozess einnehmen werden, ist jedoch stark zu bezweifeln.

Obwohl der Militäreinsatz in Afghanistan immer wieder auch damit legitimiert wurde, afghanische Frauen aus ihrer Unterdrückung befreien zu wollen, sprach die Strategie der Waffen eine ganz andere Sprache. Aufstandsbekämpfung lautete die Devise, und nicht Schutz der Menschenrechte und Demokratieaufbau, von präventivem Schutz von Frauen vor (sexualisierter) Gewalt ganz zu schweigen.

Chancen wurden vertan. Das über Jahrzehnte kriegsgeschüttelte und von Willkür und autoritäter Macht dominierte Land wurde nicht von den Vorteilen einer zivilen Gesellschaft überzeugt. Das Potenzial von Frauen, auf die Schaffung einer geschlechtergerechten Friedensgesellschaft hinzuwirken, wurde viel zu wenig genutzt. Anstelle dessen ging es den westlichen Strategen offensichtlich nur um ihre eigenen Interessen.

Wären 2001 die Hälfte der Konferenz-TeilnehmerInnen Frauen gewesen – anstelle von 95 Prozent Männer, einschließlich der Warlords, die die internationale Gemeinschaft sehenden Auges akzeptiert hatte –, dann sähe es heute in Afghanistan mit Sicherheit anders aus. Statt auf Waffen und Clanchefs zu setzen, hätten Frauen die Realitäten der Zivilbevölkerung im Blick gehabt: Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und der Zugang zu medizinischer Versorgung wären zu wichtigen Zielen geworden. Einige kompetente afghanische Frauen hätten Staatsgeschäfte übernehmen können.

Doch auch elf Jahre nach der Verabschiedung der UN-Resolution 1325, die unter anderem eine stärkere politische Mitbestimmung von Frauen fordert, sind die Afghaninnen weit entfernt von einer realen Beteiligung an der Friedens- und Sicherheitspolitik ihres Landes.

Entgegen der vollmundigen Behauptungen der NATO-Mächte ist die Lage von Mädchen und Frauen in Afghanistan ein Jahrzehnt nach dem 11. September und dem Beginn des NATO-Einsatzes katastrophal. Gab es kurz nach dem Fall der Taliban noch Hoffnung auf mehr Sicherheit und damit größere individuelle Freiheiten und ökonomische Verbesserung, so zeigt sich heute ein weit verbreitetes Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit.

Zwar sieht Artikel 22 der afghanischen Verfassung die Gleichberechtigung von Frauen und Männern vor dem Gesetz vor. In der Realität müssen Frauen und Mädchen jedoch täglich erleben, wie ihre verfassungsgemäßen Rechte mit Füßen getreten werden. Durch konservative und frauenfeindliche Rechtsprechung werden Frauen regelmäßig zu Unrecht angeklagt und verurteilt, wenn sie denn überhaupt einen Prozess bekommen.

Laut einem Bericht von UNIFEM (United Nations Development Fund for Women) werden 87 Prozent aller Frauen „regelmäßig geschlagen“. 80 Prozent aller Ehen werden unter Zwang geschlossen, die Hälfte der Ehefrauen ist bei der Heirat unter 16 Jahre alt. Dementsprechend hoch ist die Zahl der Risikoschwangerschaften und der Müttersterblichkeit. Vergewaltigungen sind laut UNAMA (UN Assistance Mission in Afghanistan) „in allen Teilen des Landes eine Alltagserscheinung“. Neben dieser Alltagsgewalt in den Familien wächst das Risiko für Frauen, die öffentlich um Gleichberechtigung und Demokratie kämpfen: Morde an Frauenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen und weiblichen Parlamentsmitgliedern wurden in den vergangenen Jahren immer häufiger. „Ich lebe jeden Tag in Angst“, erklärte eine Mitarbeiterin einer internationalen Nichtregierungsorganisation (NRO) der Journalistin Ann Jones in einer Reportage zur Lage der afghanischen Frauen. Drei ihrer Kolleginnen wurden entführt, geschlagen, gefoltert und mit dem Tode bedroht, falls sie ihre Arbeit für die NRO fortsetzen würden.

Mit Präsident Karsais zweiter Amtszeit hat sich das Klima für Frauen weiter verschärft. So ist der seit 2010 amtierende Justizminister Habibullah Ghaleb, ein 71-jähriger islamischer Rechtsgelehrter, ein offener Gegner von Frauenrechten. Er fragte, wozu eine islamische Gesellschaft Frauenhäuser brauche, und schloss bereits zwei Zufluchten, die von der internationalen Gemeinschaft finanziert worden waren. Unter dem Vorwurf, Frauenhäuser seien Horte der Prostitution und Sittenlosigkeit, sollten gemäß einer neuen Verordnung die übrigen Schutzhäuser fortan unter strenger Kontrolle der Regierung stehen. Nur durch massiven Protest seitens afghanischer und internationaler Frauenrechtsgruppen, aber auch internationaler Regierungen, konnte die afghanische Regierung zum Einlenken bewegt werden.

Geradezu zynisch und absurd ist ein Erlass des obersten Gerichtshofes in Kabul, der für seine ultra-konservativen Richter bekannt ist. Demnach können Mädchen und Frauen, die – meist aufgrund von Gewalt und Zwangsehen – von Zuhause fliehen, künftig strafrechtlich verfolgt werden. Suchen sie Zuflucht bei Fremden, so auch in einem Frauenhaus, können sie gemäß der neuen Verordnung wegen Ehebruchs oder Prostitution verurteilt werden. Schutzsuchende werden auf diese Weise diffamiert und kriminalisiert – ein eklatanter Rückschritt in Sachen Frauenrechte!

Doch wie soll eine kollektiv traumatisierte Gesellschaft wie die afghanische sich demokratisch entwickeln können, wenn tagtäglich weitere Gewalt stattfindet? Wie soll eine Demokratie aufgebaut werden mit Männern, die Demokratiefeinde sind?

Fest steht: Der Aufbau einer tragfähigen Justiz und einer demokratisch ausgerichteten Polizei wie überhaupt von zivilgesellschaftlichen Strukturen und die Stärkung und Verankerung von Menschen- und Frauenrechten wurden sträflich versäumt. Jahrelang hat Präsident Karsai Familienangehörige und ehemalige Warlords mit Posten versorgt, statt in die Ausbildung von Staatsbeamten zu investieren, für die Menschenrechte und Demokratie keine leeren Worte sind.

Auch der beim NATO-Gipfel in Lissabon 2010 viel beschworene Strategiewechsel der Bündnispartner hin zu mehr zivilem Wiederaufbau ist nicht zu erkennen. Es bleibt die Grundhaltung der internationalen Gemeinschaft, dass Stabilität und Sicherheit ausschließlich über militärische Sicherheit definiert werden. Dabei bedeutet Sicherheit wesentlich mehr, als nur die Abwesenheit von militärischer Gewalt. So sind unter anderem der Schutz von Frauen vor (sexualisierter) Gewalt und ein funktionierendes Justizsystem elementar wichtig für den Aufbau und die Entstehung eines nachhaltigen Friedens. Was zudem fehlt, ist die Einsicht, dass das Wiedererstarken konservativer Kräfte in direktem Zusammenhang mit der weit verbreiteten Straflosigkeit und der mangelnden Gerechtigkeit für die einfache Bevölkerung steht. Dort, wo der Staat seine Verantwortung nicht wahrnimmt, insbesondere in abgelegenen, schwer zugänglichen Gebieten, treibt er die Menschen förmlich in die Arme der Taliban.

Auf der Afghanistankonferenz Anfang Dezember 2011 in Bonn sollen nun erstmals vorrangig zivile Aspekte des Afghanistan-Einsatzes behandelt und die Erfahrungen der ersten sechs Monate des als »Transition« bezeichneten Prozesses der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die AfghanInnen ausgewertet werden. Doch eine solche Auswertung greift zu kurz, wenn sich »Transition« nur auf die Übergabe der Verantwortung im militärischen Sinne, nicht aber auch auf den Staatsaufbau sowie den Aufbau eines tragfähigen Justizsystems bezieht.

Zu befürchten ist, dass sich an der Geringschätzung eines stabilen Justizsystems und eines auf Menschenrechten basierenden Staatswesens für die Stabilität Afghanistans auch weiterhin nichts ändern wird. In den vergangenen Wochen mussten afghanische Frauen sich immer wieder anhören, dass sie mit einem „negativen Frieden“ rechnen müssten, also damit, dass bestenfalls irgendwann die Waffen im Land endlich schweigen, Frauen- und Menschenrechte jedoch weiterhin mit Füssen getreten werden. Mit der „Übergabe in Verantwortung“ stiehlt sich die internationale Politik in einer Weise aus einer Affäre, die an Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten ist.

Trotz der für Frauen äußerst schwierigen Bedingungen hat sich in den vergangenen Jahren eine heterogene afghanische Frauenbewegung entwickelt, die sich von alltäglichen Bedrohungen nicht abhalten lässt, ihre eigenen Vorstellungen von Demokratie und Frieden zu formulieren. Bei einem Runden Tisch des Afghan Women Network Ende Juli konstatierten die Veranstalterinnen klar, dass es ohne eine erfolgreiche Versöhnung keinen erfolgreichen Übergangsprozess geben werde. Dabei kann und darf Versöhnung nicht allein heißen, dass ehemalige Taliban-Kämpfer in die afghanische Gesellschaft reintegriert werden, sondern muss auch ethnische Konflikte und die Unterdrückung afghanischer Frauen bei gleichzeitiger Aufarbeitung der Kriegsverbrechen thematisieren.

Klar ist: Ein dauerhafter Friede in Afghanistan wird nur dann eine reale Chance haben, wenn Frauen bei allen künftigen Friedensgesprächen mit am Tisch sitzen. Und klar ist auch: Bei der bevorstehenden Konferenz im alten Bundestag gehören Frauenrechte auf die Agenda. UN-Resolution 1325 betont, der Ausschluss von Frauen aus der Friedenspolitik bedeute ein Hindernis für den Frieden. Diese sicherheits- und friedenspolitische Relevanz der Resolution wird allerdings bis heute weitestgehend unterschätzt und ignoriert. Auch von den internationalen PolitikerInnen!

Die afghanische Bevölkerung, die mutigen afghanischen Aktivistinnen haben unsere aufrichtige und engagierte Solidarität weiterhin verdient. Jetzt, über die zweite Afghanistankonferenz in Bonn und über 2014 hinaus!

Monika Hauser ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondial und Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2008.

»Im Schatten der Brüder«?

»Im Schatten der Brüder«?

Frauen-Bewegungen im Post-Mubarak-Ägypten

von Renate Kreile

Die führende Rolle von Frauen in den Rebellionen in Tunesien und Ägypten hat verbreitete Imaginationen und Projektionen in der westlichen Öffentlichkeit ein für allemal widerlegt, wonach die Frauen in den arabischen Gesellschaften als bedauernswerte unterdrückte Opfer, als passiv und unmündig wahrgenommen werden. Sie hat Ansprüche, arabische Frauen im Sinne einer »civilizing mission« von »außen« befreien zu wollen, einmal mehr als paternalistische Bevormundungsversuche und Rechtfertigungsversuche für neokolonialistische Hegemonialinteressen diskreditiert. Sie hat zudem Vorstellungen, wonach »der Islam« per se für die Benachteiligung der Frauen in der Region verantwortlich sei, endgültig in die Rumpelkammer des »Orientalismus« verbannt. (vgl. ausführlich Kreile 2009, S.253 ff.)1

Es war ein inspirierender historischer Moment, der kurzzeitig Visionen einer inklusiven, demokratischen, gleichberechtigten Gesellschaft auf dem Tahrir-Platz Wirklichkeit werden ließ, wo Männer und Frauen, Menschen aus allen sozialen Schichten, von Stadt und Land, Muslime und Kopten, jung und alt, Seite an Seite für dasselbe Ziel zu demonstrieren schienen.

Margot Badran, ausgewiesene Kennerin der ägyptischen Frauenbewegung, sah in der „von der Jugend geführten Revolution von 2011 […] einen neuen Feminismus“ aufscheinen: „Die DemonstrantInnen und ihre UnterstützerInnen wollten alle dasselbe: Ein Ende der Tyrannei und des korrupten Regimes. Eine freie Gesellschaft mit Chancengleichheit für alle. Gerechtigkeit unabhängig von Geschlecht und Klasse. Und ein Ende all jener Verbindungen, die das dichte, heimtückische Netz der patriarchalischen Hierarchie ausmachten.“ (Badran 2011) Weit entfernt von solch euphorischen Hoffnungen fragte Isabel Coleman andererseits kritisch: „Sind die Revolutionen im Nahen Osten schlecht für die Frauenrechte?“ Derartige Befürchtungen gründen sich auf Überlegungen, dass eine demokratische Öffnung islamistische Gruppierungen stärken und Frauenrechte schwächen könnte. (Coleman 2011)

Im Folgenden möchte ich einige historische und strukturelle Bestimmungsfaktoren skizzieren, die die Partizipation von Frauen an den Protesten befördert haben und Herausforderungen beleuchten, vor denen ägyptische Frauenrechtlerinnen stehen.

Von »Müttern« und »Vätern«

Wenig bekannt ist hierzulande, dass Frauenbewegungen in der arabischen Welt auf eine reiche eigene Tradition zurückblicken können. (Kreile 1997, S.236 ff.) Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts begannen privilegierte, gebildete Frauen ihre spezifische Situation öffentlich zur Sprache zu bringen, patriarchalische Strukturen infrage zu stellen, vorgegebene Grenzen zu überschreiten und kollektiv im öffentlichen Raum politische Forderungen zu erheben. Radikal und selbstbewusst schrieb die Dichterin Aischa at-Taimuriya 1909:

„Ich habe die Tradition und meine absurde Lage herausgefordert und bin hinausgegangen über das, was Zeit und Ort gestatten.“ (zit. nach Badran/Cooke 1992)

Im Rahmen der antikolonialen Bewegung zu Beginn der 1920er Jahre nahmen Frauen an Massenprotesten teil, organisierten Boykottaktionen und Streiks. Ähnlich wie in Befreiungskämpfen anderswo erkannten die Männer dieses Engagement angesichts der historischen Ausnahmesituation durchaus an. Für ihre Hingabe an die »nationale Sache« wurden die Aktivistinnen lauthals gepriesen. Als die (partielle) Unabhängigkeit erkämpft war und die Frauen politisch nicht mehr gebraucht wurden, änderte sich das Bild. Das ägyptische Wahlgesetz von 1923 garantierte nur den Männern das Wahlrecht.

Die Frauenrechtlerinnen fanden sich mit dem Ausschluss aus der formalen politischen Sphäre keineswegs ab. Bei der Rückkehr von einer internationalen Frauenkonferenz legte Huda Shaarawi, eine der »Mütter« der ägyptischen Frauenbewegung, 1932 auf dem Kairoer Bahnhof öffentlich ihren Gesichtsschleier ab. Mit dieser dramatischen Geste bekundete sie ihre Entschlossenheit, die Beschränkung der Frauen auf den häuslichen Bereich zu beenden. Kurz zuvor war unter Führung Shaarawis die Ägyptische Feministische Union gegründet worden. Sie forderte politische Rechte für Frauen, Veränderungen im Familienrecht (insbesondere bezüglich Scheidung und Polygamie), gleiche Bildungschancen, bessere Beschäftigungsmöglichkeiten, Arbeitsschutzregelungen sowie Kinderbetreuung und Gesundheitsversorgung.

Bereits 1935 kam es zu einer ideologischen Ausdifferenzierung der ägyptischen Frauenbewegung, die in der gesamten arabischen Welt fortdauert. Zainab al-Ghazali, bis heute leuchtendes Vorbild für viele islamistische Frauen, verließ die eher säkular orientierte Ägyptische Feministische Union, weil diese ihrer Meinung nach »westliche« Werte auf die ägyptischen Frauen übertragen wolle. Dem setzte sie die Forderung nach einer »kulturell authentischen« Befreiung der Frauen auf dem Boden »des Islam« entgegen. Ausgehend von dem orthodoxen islamischen Konzept, wonach Frauen und Männer von Gott wesensmäßig verschieden erschaffen worden seien und komplementäre Rollen auszufüllen hätten, betonte sie insbesondere die familiären Aufgaben der Frauen als Ehefrauen und Mütter.

Viele Forderungen der frühen Frauenbewegung wurden seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts »von oben« erfüllt. Die neuen an die Macht gelangten politischen Eliten machten sich daran, die Geschlechterverhältnisse im Interesse von nation building und Modernisierung zu transformieren und die familiären und religiösen Patriarchen zu schwächen. Die Loyalitäten der Menschen sollten umgelenkt werden auf den Staat. Indem der modernisierende Staat den Gemeinschaften die Kontrolle über »ihre Frauen« teilweise entzog, versuchte er, seine Hegemonie über die Gesellschaft durchzusetzen.

In verschiedenen Ländern der Region wurden Frauen nun massenhaft in den Arbeitsmarkt einbezogen. Sie erhielten mehr soziale und politische Rechte, in Ägypten unter Nasser zum Beispiel das Recht, außerhalb des Hauses zu arbeiten und an Wahlen teilzunehmen. In dieser Phase des ägyptischen »Staatsfeminismus« bekamen Frauen auch per Gesetz Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit; an Arbeitsplätzen mit vielen weiblichen Beschäftigten wurden Kinderbetreuungszentren eingerichtet. Frauen konnten wie Männer eine kostenlose Universitätsausbildung erhalten, mit einer staatlichen Arbeitsplatzgarantie nach dem Abschluss.

Die Reformen eröffneten vielen Frauen neue Rollen und Entfaltungsmöglichkeiten und machten sie ökonomisch unabhängiger von ihren Familien. Jedoch ließen auch die staatlichen Modernisierungseliten die familienrechtliche Unterordnung der Frauen unangetastet und verzichteten darauf, diese fest gefügte Bastion der familiären und religiösen Patriarchen zu attackieren. Dass die Frauenpolitik in der Ära des Staatsfeminismus wesentlich dazu diente, die Kontrolle des Staates über die Gesellschaft auf Kosten der familiären, lokalen und religiösen Gemeinschaften auszuweiten, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass autonome politische Initiativen von Frauen unterbunden wurden. So verbot Nasser in Ägypten, unmittelbar nachdem den Frauen 1956 das Wahlrecht gewährt worden war, sämtliche feministischen wie auch alle anderen autonomen Organisationen.

Neoliberale Wende, soziale Krise und Heiratskrise

Im Zuge von Ägyptens wirtschaftlicher Öffnung (infitah) seit Mitte der 1970er Jahre wurde der nasseristische Sozialvertrag zunehmend brüchig, der breiten Bevölkerungsschichten wohlfahrts- und beschäftigungspolitische Leistungen gewährt, aber im Gegenzug politischen Partizipationsverzicht und Loyalität eingefordert hatte. Unter dem Druck von neoliberaler Globalisierung und Strukturanpassung minimierten die Regime der Region ihr wohlfahrtsstaatliches Engagement. Die Kluft zwischen arm und reich stieg dramatisch und augenscheinlich. Im Jahr 2000 lebten 44% der ägyptischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von zwei Dollar am Tag. (Harders 2009) Besonders betroffen von sozialer Krisenentwicklung, Arbeitslosigkeit und Marginalisierung sind junge Frauen und Männer aus den unteren und mittleren Segmenten der modernen Mittelschichten, die sich um ihre Hoffnungen auf sozialen Aufstieg durch Bildung betrogen sehen. (Singerman 2007) Da zahlreiche junge Frauen über qualifizierte Bildungsabschlüsse verfügen, verschärft sich in der Krise die Konkurrenzangst unter den gebildeten Männern und macht sie anfällig für konservative und islamistische Geschlechterdiskurse, die die Frau vorrangig auf ihre häusliche Rolle festlegen wollen. „Zurück in die Küche!“ riefen zahlreiche Männer denjenigen Frauen zu, die in Kairo am Internationalen Frauentag 2011 für gleiche Rechte demonstrierten. (Sholkamy 2011)

Die Mehrzahl der 15-30-Jährigen in der Region verbringt lange Jahre in einem quälenden »Wartezustand«, perspektivlos und abhängig von der Familie. Ihr Zugang zu den Statusmerkmalen, die für die gesellschaftliche Anerkennung als Erwachsene konstitutiv sind, nämlich Beschäftigungsverhältnis, eigene Wohnung und Eheschließung, ist blockiert. Damit bleibt zahlreichen jungen Leuten auch die einzige sozialmoralisch akzeptierte Möglichkeit verwehrt, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen und eine eigene Familie zu gründen. (Singerman 2007)

Die heutige »Generation Facebook« erlebt den strukturellen Widerspruch zwischen den Glücksversprechen einer medial omnipräsenten globalisierten Konsumkultur und fehlenden realen Möglichkeiten, an den verheißenen Gütern teilzuhaben, besonders hautnah und schmerzlich. (Swedenburg 2007). Bayat sieht in den zornigen jungen gebildeten „middle class poor“, die heute die Massenproteste anführen, das „neue Proletariat des Vorderen Orients“. (Bayat 2011, S.53)

Von »Brüdern« und »Schwestern«

Die soziale Krisendynamik und den wohlfahrtspolitischen Rückzug des Staates beantworteten die islamistischen Bewegungen mit ihrem Versprechen einer »gerechten islamischen Ordnung« und dem gleichermaßen umfassenden wie plastischen und deutungsoffenen Krisenrezept „Der Islam ist die Lösung“. In Ägypten üben die Islamisten, angeführt von der historisch verwurzelten, relativ moderaten Muslimbruderschaft, heute die gesellschaftliche Hegemonie aus. Sie füllen mit ihren Wohltätigkeitsorganisationen das wohlfahrtsstaatliche Vakuum, das im Zuge der neoliberalen Wende entstanden ist, und haben klassenübergreifend eine breite Massenbasis gewonnen, nicht zuletzt auch unter Frauen. (Naguib 2009)

Wenngleich die weiblichen Mitglieder der Muslimbruderschaft eine zentrale Rolle bei den sozialen Aktivitäten der Organisation und bei der politischen Mobilisierung spielen, sind sie im 17-köpfigen Leitungsgremium nicht vertreten. (Tadros 2011) Es dominiert die Vorstellung, dass Frauen der »Sache« am besten in ihren spezifischen Rollen als Mütter und Ehefrauen dienen könnten und nicht als politische Akteurinnen. Zwar gibt es unter den Aktivistinnen und unter der jüngeren urbanen Generation der »Brüder« reformorientierte Kräfte, die den Einfluss der »Schwestern« in den politischen Strukturen und Aktivitäten zu stärken suchen, aber sie stoßen auf „entschlossenen Widerstand. […] Es scheint, dass die Mehrheit beider Geschlechter an der Basis eine sehr konservative Sicht von der Rolle von Frauen in der öffentlichen Sphäre hat.“ (Abdel-Latif 2008, 14)

Strategien und Perspektiven

Frauen in Ägypten wie in der gesamten arabischen Welt stehen in alltäglichen sozialen und politischen Kämpfen seit langem an vorderster Front, unverschleiert, im hijab oder auch mit niqab.2 So spielten Arbeiterinnen beispielsweise 2006 und 2007 eine führende Rolle bei Streiks in der Textilindustrie. (Beinin 2009) Auch in den Armenvierteln Kairos oder den Dörfern Oberägyptens nehmen Frauen selbstbewusst ihre Rechte wahr und praktizieren einen „organischen Feminismus“ des Alltags. (Abu-Lughod 2010)

Im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung öffneten sich für einige hoch qualifizierte, professionalisierte Frauen neue formelle Beschäftigungsmöglichkeiten und Potenziale für mehr Autonomie und Selbstverwirklichung. Die meisten Frauen, die einer außerhäuslichen Arbeit im formellen oder informellen Sektor nachgehen, tun dies allerdings aufgrund bitterer Notwendigkeit. Sie müssen für ihre Familien und sich ums alltägliche Überleben kämpfen. Dabei sind sie auf die sozialen Netzwerke von Familie, Nachbarschaft, Viertel und Glaubensgemeinschaft existenziell angewiesen. (Harders 2009)

Die unterschiedlichen sozialen Zugehörigkeiten prägen weithin unterschiedliche Strategien und ideologische Orientierungen in der Frauenbewegung. Auf der einen Seite stehen Aktivistinnen, die sich nachdrücklich für die Rechte der Frauen als Individuen engagieren. Auf der anderen Seite artikulieren sich Frauenrechtlerinnen, die bestrebt sind, Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Gemeinschaften auszuweiten. Auf deren Rückhalt können und wollen ärmere Frauen kaum verzichten; somit müssen sie sich mit den dort geltenden patriarchalen Verhaltensnormen arrangieren, die sie allerdings fortlaufend mit verhandeln. (Joseph 2000)

Dass in Ägypten nur eine kleine Minderheit von Frauen eine Gleichstellung im privaten Bereich und im Familienrecht einfordert und die Mehrheit die »Vormundschaft« des Mannes akzeptiert, mag diese Dynamik spiegeln. Dabei zeigt das Beispiel Marokkos, wo mittlerweile ein Drittel der Erwerbstätigen Frauen sind, dass auch in islamisch geprägten Gesellschaften das patriarchale Familienrecht nicht unantastbar ist. Seit einer grundlegenden Reform 2003 sind Ehegatten dort gleichberechtigt; die bisherige Pflicht der Frau, dem Mann zu gehorchen, wurde abgeschafft. (Sabra 2004)

Perspektivisch dürfte der politische Einfluss der ägyptischen Frauenrechtlerinnen, die sich für Gleichstellung engagieren, nicht zuletzt davon abhängen, wie weit es ihnen gelingt, Antworten auf die brennende soziale Frage zu finden und Forderungen nach individuellen Freiheitsrechten und nach sozialen Rechten zu verknüpfen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Bei einer Konferenz über die rechtlichen Stellung von Frauen, die vor einigen Jahren in Minya stattfand, wurde über die UN-Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen diskutiert. Während der Debatte erhob sich eine junge Frau mit ihrem Baby auf der Hüfte und bemerkte, dass die Konvention und die einschlägigen Diskussionen den Frauen in Oberägypten wenig Hilfe in ihren alltäglichen Kämpfen böten. „Ich bin hierher gekommen, um praktische Lösungen zu finden“. (Masonis El-Ghawary 2000)

Literatur

Omayma Abdel-Latif: In the Shadow of the Brothers. The Women of the Egyptian Muslim Brotherhood. Carnegie Endowment for International Peace, Carnegie Middle East Center, Carnegie Papers Number 13, October 2008.

Lila Abu-Lughod.: The Active Social Life of »Muslim Women’s Rights«: A Plea for Ethnography, Not Polemic, with Cases from Egypt and Palestine. In: Journal of Middle East Women‘s Studies, Volume 6, Number 1, Winter 2010.

Margot Badran: Ägyptens Revolution als Gender-Revolution. In: Inkota-Brief Nr. 155, März 2011.

Margot Badran, Miriam Cooke (1992): Lesebuch der »neuen Frau«. Araberinnen über sich selbst. Reinbek b. Hamburg:Rowohlt.

Asef Bayat: A new Arab street in post-Islamist times. In: Foreign Policy, The Middle East Channel, 26. 01. 2011.

Joel Beinin (2009): Workers’ struggles under »socialism« and neoliberalism. In: Rabab El-Mahdi/Philip Marfleet (eds.) (2009): Egypt. The Moment of Change. London/ New York: Zed Books.

Isobel Coleman: Are the Mideast revolutions bad for women’s rights? In: Washington Post vom 20.02.2011.

Cilja Harders (2009): Politik von unten – Transformation jenseits politischer Eliten. In: Martin Beck/Cilja Harders/Annette Jünemann/Stephan Stetter (Hrsg.) (2009): Der Nahe Osten im Umbruch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Suad Joseph (2000): Gendering Citizenship in the Middle East. In: dies. (Hrsg.) (2000): Gender and Citizenship in the Middle East. New York: Syracuse University Press.

Deniz Kandiyoti: Promise and peril: women and the »Arab spring«. opendemocracy.net, 8 March 2011.

Renate Kreile (1997): Politische Herrschaft, Geschlechterpolitik und Frauenmacht im Vorderen Orient. Pfaffenweiler: Centaurus.

Renate Kreile (2009): Transformation und Gender im Nahen Osten. In: Martin Beck/Cilja Harders/Annette Jünemann/Stephan Stetter (Hrsg.) (2009): Der Nahe Osten im Umbruch, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Krista Masonis El-Ghawary: Egyptian Advocacy NGOs. Catalysts for Social and Political Change. In: The Middle East Report No. 214, Spring 2000.

Sameh Naguib (2009): Islamism(s) old and new. In: Rabab El-Mahdi/Philip Marfleet (eds.) (2009): Egypt. The Moment of Change. London/New York: Zed Books.

Hania Sholkamy: From Tahrir square to my kitchen. opendemocracy.net, 14.03.2011.

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Ted Swedenburg: Imagined Youths. In: Middle East Report 245, Winter 2007.

Mariz Tadros: The Muslim Brotherhood’s Gender Agenda: Reformed or Reframed? In: Institute of Development Studies, IDS Bulletin Vol. 42, Number 1, January 2011.

Anmerkungen

1) Die Überschrift dieses Artikels entstammt Abdel-Latif (2008).

2) Verschleierung, die nur die Augen frei lässt.

Renate Kreile ist Professorin für Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Ihre Habilitationsschrift von 1996 an der Universität Tübingen trug den Titel »Politische Herrschaft, Geschlechterpolitik und Frauenmacht im Vorderen Orient«.

Genderperspektiven in der Friedensforschung

Genderperspektiven in der Friedensforschung

Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen der AFK,
6.-7. April 2011, Schwerte

von Rita Schäfer

Am 6. und 7. April 2011 kamen auf Einladung des Netzwerkes Friedensforscherinnen der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) über vierzig zumeist junge Wissenschaftlerinnen in Schwerte zusammen, um aktuelle Forschungsergebnisse zu diskutieren. Ziel war es, neue empirische oder theoretische Studien vorzustellen und feministische sowie gender-sensible Forschungsansätze abzuwägen. Ausgangspunkt der Überlegungen war die These der Veranstalterinnen, insbesondere der AFK-Frauenbeauftragten Bettina Engels und Sara Clasen, dass Frauen- und Gender-Themen zwar allmählich in der deutschen Friedens- und Konfliktforschung Einzug halten, die Auseinandersetzung sich aber meist auf empirische Untersuchungen beschränkt und es kaum Rückbezüge zur theoriegeleiteten Forschung gibt. Um so mehr galt es nun, theoretische, konzeptionelle und methodische Reflexionen sowie empirische Befunde in vergleichender Perspektive zu erörtern, um differenzierte Auseinandersetzungen innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung voranzutreiben.

Nach einem ernüchternden Einführungsreferat von Ramona Schürmann, Technische Universität Dortmund, über berufliche Perspektiven von Wissenschaftlerinnen, das vor allem den beschleunigten Prozess des Stellenabbaus und der Entfristung von Arbeitsverträgen problematisierte, fokussierte der erste Themenblock auf den so genannten »Embedded Feminism« und die diskursive Legitimation von Gewalt. Andrea Nachtigall von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und Torsten Bewernitz, Universität Münster, präsentierten wesentliche Ergebnisse ihrer Dissertationen. Konkret illustrierten sie mediale Gender-Zuschreibungen in der Berichterstattung über den Kosovo-Konflikt bzw. den Afghanistan-Krieg. Gerade durch die gelungene Bildauswahl, die politische Einordnung und den Vergleich der Darstellungen gelang es diesen Referenten eindrücklich, grundlegende Strukturen sowie länder- und zeitspezifische Besonderheiten herauszuarbeiten. Sie zeigten auf, wie meinungsbildende Massenmedien politische Forderungen zur Verwirklichung von Frauenrechten instrumentalisierten und damit die Wahrnehmung zum Zweck der Legitimierung militärischer Interventionen manipulierten. Für die Lebensrealität der Frauen vor Ort interessierte sich hingegen kaum ein Journalist oder Politiker. In der anschließenden Diskussion wurde erörtert, wie die Friedens- und Konfliktforschung solchen Verzerrungen und Vereinnahmungen gegensteuern kann.

Auch Claudia Brunner, Universität Klagenfurt, stellte anhand einer anschaulichen Bildauswahl und treffend ausgewählten, aussagestarken Zitaten zentrale Erkenntnisse ihrer Dissertation vor. Unter dem provokanten Titel »Wenn die Terrorismusforschung zum Feminismus konvertiert« bot sie eine überzeugende Analyse der Gender-Stereotypen in der vorrangig von US-amerikanischen Wissenschaftlern dominierten Terrorismusforschung. Sie konzentrierte sich auf Studien über Selbstmordattentate und kritisierte die plakative Sexualisierung der Täterinnen und Täter sowie die kontextlose Kulturalisierung ihres Handelns. Unter Bezug auf feministische Ansätze zur Analyse politischer Gewalt verurteilte sie die Instrumentalisierung frauenrechtlicher Forderungen durch staatliche Entscheidungsträger im Spannungsfeld von innerer und äußerer Sicherheit.

Ronja Eberle, Doktorandin der Gender-Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin, skizzierte zentrale Thesen ihres Promotionsprojektes. Darin geht es um öffentliche Debatten über das Anti-Pornographiegesetz in Indonesien. Sie ordnete dieses in die aktuelle politische Situation, konkret in den verstärkten Nationalismus, ein und stellte Rückbezüge zur jahrzehntelangen Militärherrschaft her. Deutlich wurde, dass es für die Friedens- und Konfliktforschung erkenntnisreich sein kann, die Militarisierung von Gesellschaften und deren mittel- und langfristigen Folgen stärker in den Blick zu nehmen. In der anschließenden Diskussion ging es um die Bedeutung von Diskursanalysen für die Friedens- und Konfliktforschung. Herausgearbeitet wurden die nationalistische Funktionalisierung von Gender-Diskursen und die Deutungsmacht von Medien im Dienste politischer Entscheidungsträger. Gleichzeitig wurde die Notwendigkeit unterstrichen, solche Akteure und Institutionen sowie deren Ideologien genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ein zweiter Themenblock widmete sich konzeptionellen und methodischen Forschungsfragen. Hier stellte Ruth Streicher, Doktorandin am Graduiertenkolleg für islamische Gesellschaften der Freien Universität Berlin, methodische Reflexionen über ihre gerade durchgeführte Feldforschung im Süden Thailands vor. Sie eröffnete Einblicke in die Machtdynamiken einer Konfliktregion, in die sie persönlich verstrickt wurde, und erläuterte, wie sie sich in konkreten Situationen dazu positionierte. Aufschlussreich waren ihre Überlegungen zu verschiedenen intersektionalen Identitätskategorien, zumal sie keineswegs nur als junge Forscherin wahrgenommen wurde, sondern von den unterschiedlichen Konfliktparteien auch mit religiösen Zuweisungen versehen wurde. Streicher betonte, dass eine geschlechterpolitische Ethnographie mit einem hohen Maß an Selbstreflexion Gewaltanalysen konzeptionell vertiefen kann.

Bettina Engels und Corinne Gayer, beide Doktorandinnen am Institut für Politikwissenschaften der FU Berlin, boten den Einstieg in eine Grundsatzdebatte über die Frage, wie feministisch die gender-sensible Friedensforschung sein soll. Sie zeigten das Strukturproblem auf, wo Forschungsbeiträge im Spannungsfeld zwischen Empirie und Theorie, zwischen Wissenschaft und Praxis zu verorten seien, zumal die Mainstream-Forschung faktisch immer noch reserviert ist gegenüber Gender-Studien bzw. feministischen Ansätzen. Wichtig sei es, Lagerbildungen zu vermeiden und den Dialog mit der Mainstream-Forschung zu suchen, ohne jedoch zur Verfestigung von Machtverhältnissen beizutragen. Gleichzeitig sind Gender-Forscher und -Forscherinnen, insbesondere diejenigen mit einem feministischen Selbstverständnis, mit dem Paradox konfrontiert, emanzipatorische Ansprüche verwirklichen zu wollen, ohne polarisierte Geschlechterzuschreibungen zu reproduzieren oder gar zu verstärken.

In der anschließenden Diskussion plädierten etliche Wissenschaftlerinnen dafür, eine herrschaftskritische Position beizubehalten und Gender als politischen Begriff zu nutzen, zumal Gender-Zuschreibungen als gesellschaftliche Konstrukte zu erfassen seien. Aus diesem Verständnis heraus könnten auch feministische Forschungen von empirischen und praxisorientierten Gender-Studien profitieren, wobei kritische Selbstreflexionen für feministische Forscherinnen ebenfalls notwendig und sinnvoll seien. Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, wie die Theorieentwicklung vorangetrieben werden kann, zumal sie ein großes Desiderat auch hinsichtlich der mangelnden fachlichen Wertschätzung ist. Abschließend wurde die universitäre Verortung einer gender-kritischen oder feministischen Friedens- und Konfliktforschung problematisiert, wobei die unzureichende Beachtung dieser Themen in der Lehre kritisiert und eine systematischere Institutionalisierung im Lehrbetrieb gefordert wurde.

Insgesamt bot dieser Workshop wichtige Impulse für weitere Forschungen und den fachlichen Dialog. Wünschenswert wäre es, wenn bei kommenden Gender-Veranstaltungen noch mehr männliche Wissenschaftler, insbesondere Vertreter der Mainstream-Forschung, daran partizipieren würden.

Weitere Informationen und Mailingliste u.a. mit Konferenzhinweisen und Stellenausschreibungen: afk-web.de/netzwerk-friedensforscherinnen.

Rita Schäfer

UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit

UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit

Bilanz und Perspektiven

von Margret Otto

Frauen werden in bewaffneten Konflikten in der Regel als Opfer wahrgenommen, dabei sind Frauen vor, während und nach Konflikten auch wichtige Akteurinnen bei der Konfliktvermeidung, in Friedensprozessen und bei der anschließenden Friedensbewahrung. Die Autorin untersucht Wirkung und Schwachpunkte der vor zehn Jahren verabschiedeten UN-Resolution 1325 (Auszüge siehe unten) und nachfolgender UN-Resolutionen zu »Frauen und Frieden und Sicherheit« und formuliert Forderungen an die entsprechende Forschung und Politik.

Die UN-Resolution 13251 »Frauen und Frieden und Sicherheit« wurde am 31. Oktober 2000 auf der 4213. Sitzung des UN-Sicherheitsrats einstimmig verabschiedet. Kernpunkte sind die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive sowohl in der Anerkennung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten als auch in der Rolle von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen zur Beendigung von Kriegen und bewaffneten Konflikten und dem Wiederaufbau der zerstörten Gesellschaften. Zudem formuliert die Resolution völkerrechtlich verbindliche Anforderungen zur Umsetzung dieser Aspekte an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.

Die Resolution ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, der m.E. mit der ersten Weltfrauenkonferenz in Den Haag im Frühjahr 1915, also mitten im Ersten Weltkrieg, begann. Für die Entstehung der UN-Res. 1325 war die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 ein entscheidender Meilenstein. Hier wurde mit dem Abschlussdokument der Konferenz, der Aktionsplattform von Peking, wichtige Weichen gestellt.

Heute, zehn Jahre nach ihrer Beschlussfassung, muss diese Resolution in den weiteren Kontext der nachfolgenden und sie ergänzenden UN-Resolutionen 1820 (2008),2 1888 (2009)3 und 1889 (2009)4 gestellt werden. Diese vertiefen und präzisieren unter ausdrücklichem Verweis auf die Res. 1325 deren Zielstellungen. In der Res. 1820 geht es um den „Schutz von Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Mädchen“. Neu ist hier der Hinweis, dass sexuelle Gewalt zu den Straftaten gehört, die vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden. Sie wird nicht mehr als »Begleiterscheinung« kriegerischer Auseinandersetzungen hingenommen, sondern als spezifisches kriminelles Vergehen gekennzeichnet. Zu den genannten Bereichen – ebenfalls eine sehr wichtige Erweiterung – gehören auch sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch, die sich im Rahmen von UN-Peacekeeping-Operationen ereignen. Die UN-Res.1888 präzisiert dies im Besonderen.

Die UN-Res.1889 wendet sich noch einmal besonders der Rolle von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen zu. In der Präambel heißt es dazu: „mit dem Ausdruck seiner tiefen Besorgnis darüber, dass Frauen in allen Phasen von Friedensprozessen unterrepräsentiert sind… und betonend, dass sichergestellt werden muss, dass eine angemessene Zahl von Frauen auf Entscheidungspositionen … ernannt werden“. Das Jubiläumsjahr der UN-Res. 1325 solle genutzt werden, um verstärkt noch anstehende und neu hinzugekommene Anforderungen zu realisieren. So werden die Mitgliedsstaaten gezielt aufgerufen, „weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Mitwirkung von Frauen an allen Phasen von Friedensprozessen … zu verbessern, indem Frauen verstärkt in die politische und wirtschaftliche Entscheidungsfindung in den frühen Phasen von Wiederherstellungsprozessen einbezogen werden…“

Die UN-Resolution 1325 hat seit ihrer Beschlussfassung eine vielfältige – wenngleich nicht ausreichende – Umsetzungsgeschichte. Es gibt verschiedene nationale Aktionspläne mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 5 In Deutschland, wo es keinen nationalen Aktionsplan gibt, veröffentlicht die Bundesregierung regelmäßig Berichte über Maßnahmen zur Umsetzung der Resolution und über nationale Aktivitäten. Diese Berichte werden von den Vereinten Nationen eingefordert.

Internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen arbeiten mit der Resolution als einem richtungweisenden Grundlagendokument. Auf der Basis ihrer Erfahrungen mit den nicht ausgeschöpften Potentialen der o.g. Resolutionen erheben sie aber auch kontinuierlich Forderungen zur (erweiterten) Umsetzungen. Insbesondere mahnen sie die fehlende Verbindlichkeit an.6 Unter den kritischen Stellungnahmen aus Deutschland sind besonders die Schattenberichte des Frauensicherheitsrats zu den Berichten der Bundesregierung hervorzuheben, in denen Stärken und Schwächen der Umsetzung benannt und kommentiert werden. So auch im letzten Schattenbericht, wo unter dem Stichwort »Problematischer Sicherheitsbegriff« auf das Spannungsverhältnis zwischen Frieden und Sicherheit im Wirkungsbereich der UN-Res. 1325 hingewiesen wird.7

Das Spannungsfeld von Sicherheit und Frieden

Mit Sicherheit und Frieden sind zwei Aspekte genannt, die die Umsetzung der Resolution 1325 entscheidend bestimmen. Allerdings werden sie in ihrer Interdependenz nicht ausdrücklich ausgewiesen. Da gerade dieser Zusammenhang aber für den aktuellen Umgang mit der UN-Res. 1325 von Bedeutung ist, soll er hier genauer beleuchtet werden.

Der Friedensbegriff der UN-Charta, wie er in der Präambel niedergelegt wurde, ist weitreichend. Er umschreibt weit mehr als die Abwesenheit von direkter militärischer Gewalt und umfasst Vorstellungen wie die Gleichheit der Geschlechter und Rassen und die Achtung der universalen Menschenrechte. In der UN-Charta werden der Friedens- und der Sicherheitsbegriff als Synonyme benutzt. So wird als Hauptaufgabe des UN-Sicherheitsrats „die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ benannt.

Diese Formulierung leitet auch die Präambel zur UN-Res.1325 ein. Wiederholt wird in der Resolution sowohl auf die besondere Schutzbedürftigkeit und die mangelnde Sicherheit von Frauen und Mädchen hingewiesen als auch ihre herausragende Rolle für das Gelingen von Friedensprozessen betont.

In der »Agenda für den Frieden«,8 eingebracht vom damaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali und im Januar 1992 von einem Gipfeltreffen des UN-Sicherheitsrats verabschiedet, gibt es eine bemerkenswerte Verschiebung der Konnotation von Frieden und Sicherheit. Angesichts der Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses schien die zwischenstaatliche Konfrontationen zwischen West und Ost damals der Vergangenheit anzugehören und der Frieden gesichert. Was blieb, schienen Sicherheitsfragen zu sein. So heißt es in der »Agenda für den Frieden« unter dem Stichwort »Das sich wandelnde Umfeld«: „Der Begriff des Friedens ist leicht zu fassen, der der internationalen Sicherheit ist jedoch komplexerer Natur…“ Anschließend werden in diesem Dokument vor allem verschiedene Szenarien der Bedrohung der Sicherheit und Maßnahmen, inklusive militärischer, zu ihrer Bekämpfung ausgeführt.

Auch die UN-Res. 1325 und die sie erweiternden Resolutionen basieren auf diesem umdefinierten Verständnis von Sicherheit und Frieden. Sie weisen auf vielfältige Bedrohungen durch die mangelnde Sicherheit der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, hin und fordern verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Der Ausgangspunkt ist immer die starke Bedrohung und Unsicherheit von Frauen und Kindern. Die aktive friedenspolitische Rolle von Frauen wird eher vage erwähnt.

Hieraus ergibt sich eine Problematik, die zu einem sorgfältige(re)n und entschieden friedensorientierten Umgang mit der UN-Res. 1325 auffordert. Die Betonung von Sicherheit und der Verzicht auf die Ausarbeitung von Friedenskonzepten kann dazu führen, dass auch in den Bereichen, die insbesondere Frauen betreffen, der Schutz der Sicherheit zur Aufgabe des Militärs gemacht wird und militärische Operationen unmittelbar als Unterstützungs- und Umsetzungsaktivitäten der UN-Res.1325 angesehen werden.

Diese Tendenz wird deutlich aus Äußerungen des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen mit der Europäischer Union in Brüssel im Januar 2010, das anlässlich des anstehenden zehnjährigen Jahrestags der UN-Res. 1325 stattfand. Er sagte, es sei notwendig „sicherzustellen, dass alle von der Nato geführten Operationen, insbesondere in Afghanistan und auf dem Balkan, die Vorgaben der Resolution 1325 und damit zusammenhängender Resolutionen einhalten und abgestützt werden durch Ausbildung und Training, Überwachungs- und Evaluationsmechanismen, in Übereinstimmung mit den abgestimmten Militärdirektiven der Strategischen Kommandeure der NATO“ [eigene Übersetzung].9

Auf Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten der EU-Friedens- und Sicherheitspolitik ist in Analysen und daraus abgeleiteten Forderungen vielfach hingewiesen worden.10 Das Fazit ist: Den relativ klaren und entschiedenen Formulierungen und Absichtserklärungen in den UN-Resolutionen entspricht keine ebensolche Praxis. In der Realität herrscht ein anderes Bild vor: „Angesichts von weniger als sechs Prozent Frauenanteil in der militärischen und acht Prozent in der zivilen EU-Mission bleiben die Bemühungen der EU um eine geschlechtersensible Friedenskonsolidierung schon in diesem Aspekt in einem beklagenswerten Zustand.“ 11

Frauen als Friedensakteurinnen und als Opfer von Gewalt

Da die UN-Resolution 1325 die Situationen in bewaffneten Konflikten hervorhebt, in denen Frauen Opfer von Gewalt und Missbrauch sind, und alle Staaten auffordert, Maßnahmen zu ihrem besonderen Schutz zu ergreifen, sehen Frauen weltweit die Resolution als einen Meilenstein zur Unterstützung ihrer Rechte an. Allerdings: Die alleinige Betonung des Opferstatus von Frauen würdigt nicht deren aktives Potential als Akteurinnen in Friedensprozessen, und Frauen sind weiterhin von Mitbestimmung und Mitgestaltung nahezu ausgeschlossen, in der Tendenz ist dies sogar immer häufiger der Fall. Friedensforscherinnen und -aktivistinnen haben dies immer wieder hervorgehoben und Kursänderungen angemahnt. Schutz und Sicherheit der Frauen und ihre Mitbestimmung bei der Gestaltung von Friedensprozessen sind wie zwei Seiten einer Medaille. Sie gehören, das zeigen Erfahrungen weltweit, untrennbar zusammen zur Erreichung eines nachhaltigen Friedens. Die Präambel der UN-Resolution 1325 weist auf die Unverzichtbarkeit von Frauen hin. So wird betont „welche wichtige Rolle Frauen bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zukommt… und wie wichtig es ist, dass sie … im vollen Umfang teilhaben und dass ihre Mitwirkung …ausgebaut werden muss.“

Die Forderung, Frauen auf allen Ebenen einzubeziehen, wird zunehmend energischer artikuliert. Heißt es in UN-Res.1325 (2000) noch, dass Frauen stärker einbezogen werden sollen, ist in UN-Res.1820 (2008) von einer gleichberechtigten Einbeziehung die Rede. Da die Berücksichtigung von Frauen auf der politischen Seite der Friedensgestaltung trotz der UN-Res. 1325 weiterhin unterentwickelt blieb, hebt die UN-Resolution 1889 (2009) eindeutig die Notwendigkeit hervor, die Rolle der Frauen als friedenspolitische Akteurinnen zu stärken und sie nicht primär oder gar ausschließlich als schutzbedürftig zu betrachten. Eine gesonderte UN-Resolution zu diesem Aspekt würde allerdings das Anliegen eindeutiger unterstützen.

Die Einbettung der Schutzbedürftigkeit in ein ausgewiesenes Friedenskonzept wäre geeignet, Frauen vor einem politischen Missbrauch zu schützen. Beispiele für eine Instrumentalisierung der Situation von Frauen zur Rechtfertigung von gewalttätigem und militärischem Vorgehen werden seit Jahren, insbesondere auch von der feministischen Friedensforschung, aufgezeigt und angeprangert.

Ein typisches Beispiel für solche Verfahrensweisen und eines, das die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik unmittelbar betrifft, sind strategische Überlegungen der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zu den Kriegseinsätzen in Afghanistan. Hier ist zu beobachten, wie die Verletzung der Menschenrechte von afghanischen Frauen zur Rechtfertigung von militärischem Vorgehen in der Region ausgenutzt wird. In einem entsprechenden Dokument des CIA heißt es dazu bezogen auf Deutschland: „Deutsche wegen Kosten und Prinzipien der ISAF-Mission besorgt. … Nachrichten, die die Folgen einer NATO-Niederlage für spezifische deutsche Interessen dramatisieren, könnten der breit verbreiteten Ansicht, dass Afghanistan nicht Deutschlands Problem ist, entgegenwirken.“ In der Argumentation des CIA-Dokuments gibt es dazu ein probates Mittel: „Afghanische Frauen könnten als ideale Vermittler dienen, die Rolle der ISAF [International Security Assistance Force] im Kampf gegen die Taliban auf eine menschliche Ebene zu heben, da Frauen persönlich und glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter den Taliban, ihre Hoffnungen für die Zukunft und ihre Befürchtungen vor einem Sieg der Taliban reden können.“ [Eigene Übersetzung]12

Solcher Art Versuche, die Öffentlichkeit zu manipulieren, könnten mit einer effektiven friedenspolitischen Strategie zur Umsetzung der UN-Res.1325 ausgehebelt werden. Dann würde auf die Rolle afghanischer Frauen als aktive Akteurinnen im Friedensprozess fokussiert werden, und die Funktion der Militäreinsätze wäre (neben weiteren wichtigen Gründen) auch aus diesem Grund auf dem Prüfstand.13

Schritte zur Erweiterung und Umsetzung der UN-Res.1325

Die Bilanz von zehn Jahren UN-Res. 1325 zeigt eine unübersehbare Diskrepanz zwischen den Intentionen der Resolution und der Umsetzung der in ihr enthaltenen Forderungen in reale Politik. An diesem Umstand haben auch die nachfolgenden Resolutionen nichts Grundsätzliches ändern können.14 Dadurch wird das Potential für einen friedenspolitischen Mehrwert, das in den Resolutionen steckt, in keiner Weise genutzt.

So gibt dieses Jubiläumsjahr Anlass für Würdigungen und kritische Analysen der Resolutionen, die in den verschiedenen Bereichen deutlichen Handlungsbedarf aufzeigen. Diese Bereiche sind miteinander verbunden, aber unterschiedlichen Politikfeldern zugeordnet. Daraus ergeben sich folgende Forderungen:

Die Bundesregierung ist in die Pflicht zu nehmen, dass sie die völkerrechtsverbindliche UN-Res.1325 in ihren nationalen und internationalen Politikstrategien berücksichtigt. Dazu müssen u.a. die einzelnen Aktivitäten der Bundesregierung zur UN-Res.1325 in einer Gesamtstrategie gebündelt werden, und zwar über eine interministerielle Arbeitsgruppe hinaus. Dies geschieht am besten im Rahmen eines nationalen Aktionsplans.

Sicherheitspolitische Maßnahmen, die auf der Grundlage der UN-Res.1325 ergriffen werden, müssen eine deutlich ausgewiesene friedenspolitische Perspektive haben.

Die Rolle des Militärs, der NATO und der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Umsetzung der UN-Res.1325 müssen kritisch überprüft und öffentlich diskutiert werden.

Der Sicherheitsbegriff führt in Analysen politischer Strategien i.d.R. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem als Spannungsfeld wahrgenommenen Unterschied von »zivil« und »militärisch«.15 Der umfassende Friedensbegriff der UN-Charta weist auf weitere Zusammenhänge hin. Frieden scheint doch nicht so „leicht zu fassen“ zu sein, wie in der »Agenda für den Frieden« festgestellt. Sicherheit und Frieden müssen zusammen gedacht werden. Angesichts der aktuellen Diskussion in Deutschland über Kriegseinsätze z.B. in Afghanistan und Somalia und die Auseinandersetzungen über die Verwendung des Begriffs »Krieg« ist die Friedenswissenschaft aufgefordert, sich mit weiterer Forschung an der Auseinandersetzung zu beteiligen, auch im Kontext der UN-Res.1325.

Die Rolle der Frauen als politische Akteurinnen in Friedensprozessen muss weiter gestärkt und ausgeweitet werden, bis hin zu einer Quotierung. Frauen müssen in Krisengebieten ohne Berücksichtigung diplomatischer Hierarchien bereits in die den Frieden vorbereitenden Verhandlungen einbezogen werden. Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die Opfer (surviver) von Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten geworden sind, müssen über die Strafverfolgung der Täter hinaus den Zugang der Opfer zu medizinischer und psychologischer Behandlung und zu Entschädigungszahlungen einschließen.

Dieses Politikfeld, in dem vor allem Nichtregierungsorganisationen wegweisende Arbeit machen, hat bereits jetzt eine starke Eigendynamik entwickelt, was aus der o.g. dargestellten weiteren Ausformulierung der Resolutionen deutlich hervorgeht. In diesem Politikfeld ist das spezifische Spannungsverhältnis von Sicherheit und Frieden besonders relevant, bislang aber nicht sichtbar gemacht.

Die Forschung sollte in allen für die UN-Resolutionen 1325, 1820, 1888 und 1889 relevanten Bereichen intensiviert werden. Bei vielen Fragen ist die Datenlage absolut unzureichend und muss mit Hilfe von quantitativen und qualitativen Studien verbessert werden.

Ein Forschungsfeld, das bisher im Zusammenhang mit der UN-Res. 1325 kaum angesprochen wurde, aber dringend mit einbezogen werden sollte, ist die Komplementarität der Genderspezifik bezogen auf Männer und Frauen. Gender ist in den Resolutionen der Vereinten Nationen, der EU und auch der NATO oft ausschließlich auf Frauen bezogen. Die Spezifik männlichen Verhaltens bleibt dabei unerwähnt, ist aber von großem Einfluss. Männliche Leit- und Rollenbilder im Militär sowie bei militärischen Interventionen und deren Auswirkungen müssen deshalb viel stärker Gegenstand von Forschung werden.

Anmerkungen

1) Deutsche Fassungen von UN-Resolutionen sind auf der Website des deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen unter http://www.un.org/depts/german/ abrufbar.

2) Vom 19. Juni 2008: Frauen und Frieden und Sicherheit.

3) Vom 29. September 2009: Frauen und Frieden und Sicherheit http://www.un.org/depts/german/sr/sr_them/nichtverbr.kernwaff.htm (Sicherheitsrat erteilt Friedenssicherungsmissionen den Auftrag, Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten zu schützen).

4) Vom 29. September 2009: Frauen und Frieden und Sicherheit (Sicherheitsrat fordert nachdrücklich Maßnahmen zur Verbesserung der Mitwirkung von Frauen an Friedensprozessen).

5) Barnes, Karen (2008): Stand der Umsetzung von Resolution 1325 in Europa – Überlegungen zum Status von Nationalen Aktionsplänen. In: Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) (2008): Hoffnungsträger 1325.Resolution für eine geschlechtergerechte Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa. Ulrike Helmer Verlag.

6) Group on Gender Peace and Security (GPS) des European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) in Brüssel (August 2010): 10 points on 10 Years SCR 1325 in Europe; http://www.eplo.org/documents/CSO_10_points_on_10_years_UNSCR_1325_Final_100903.pdf.

7) Schattenbericht des deutschen Frauensicherheitsrats zum Bericht der Bundesregierung „über Maßnahmen zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 1325 (Frieden, Frauen, Sicherheit)“ vom Nov. 2007; http://www.frauensicherheitsrat.de/data/schattenbericht-08.html.

8) Agenda für den Frieden. Vorbeugende Diplomatie, Friedensschaffung und Friedenssicherung. Bericht des Generalsekretärs gemäß der am 31. Januar 1992 von dem Gipfeltreffen des Sicherheitsrats verabschiedeten Erklärung; http://www.un.org/Depts/german/friesi/afried/afried-1.htm.

9) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/Women_Peace_Security_outcomes_ENG.pdf.

10) Vgl. die Beiträge von Wisotzki, Simone (2008): Gender in der EU-Friedens- und Sicherheitspolitik. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.46-51, und Dittmer, Cordula (2008): Gender Mainstreaming in der Europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik – Resolutionen, Berichte, Konzepte. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.52-65.

11) a.a.O. Wisotzki (2008): S.49.

12) Afghanistan: Sustaining West European Support for the NATO-led Mission – Why Counting on Apathy Might not be Enough. A Red Cell Special Memorandum, 11.March 2010; http://wikileaks.org/file/cia-afghanistan.pdf.

13) Vgl. dazu z.B. auch die Diskussion der innerafghanischen Situation bei Notten, Miriam/Scheub, Ute (2008): Die »Befreiung« der afghanischen Frauen – Anspruch und Wirklichkeit. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.176-195

14) Vgl. dazu die Analysen mit einer historischen Einbettung in: Anderlini, Sanam Naraghi (2008): Die Bedeutung der Resolution 1325 für die Europäische Friedens- und Sicherheitspolitik – ein kleiner Schritt für den Sicherheitsrat, ein großer Schritt für die Menschheit. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.10-34

15) Vgl. z.B. Zumach, Andreas (2008): Zur Europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik. Stand – Probleme – Perspektiven. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.38-45.

Resolution 1325 (2000) vom 31. Oktober 2000

Der Sicherheitsrat, […]

eingedenk der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und der Hauptverantwortung des Sicherheitsrats nach der Charta für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit,

mit dem Ausdruck seiner Besorgnis darüber, dass Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Kinder, die weitaus größte Mehrheit der von bewaffneten Konflikten betroffenen Personen stellen, namentlich auch als Flüchtlinge und Binnenvertriebene, und dass sie in zunehmendem Maße von Kombattanten und bewaffneten Elementen gezielt angegriffen werden, sowie in der Erkenntnis, dass dies Folgen für einen dauerhaften Frieden und eine dauerhafte Aussöhnung nach sich zieht,

erneut erklärend, welche wichtige Rolle Frauen bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zukommt, und betonend, wie wichtig es ist, dass sie an allen Anstrengungen zur Wahrung und Förderung von Frieden und Sicherheit gleichberechtigt und in vollem Umfang teilhaben und dass ihre Mitwirkung an den Entscheidungen im Hinblick auf die Verhütung und Beilegung von Konflikten ausgebaut werden muss, […]

in Anerkennung der dringenden Notwendigkeit, in alle Bereiche von Friedenssicherungseinsätzen eine Geschlechterperspektive zu integrieren, […]

1. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass Frauen in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten auf allen Entscheidungsebenen stärker vertreten sind; […]

3. fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, mehr Frauen zu Sonderbeauftragten und Sonderbotschafterinnen zu ernennen, die in seinem Namen Gute Dienste leisten […];

4. fordert den Generalsekretär außerdem nachdrücklich auf, die Ausweitung der Rolle und des Beitrags von Frauen bei den Feldmissionen der Vereinten Nationen anzustreben, insbesondere bei den Militärbeobachtern, der Zivilpolizei, bei Menschenrechts- und humanitärem Personal;

5. bekundet seine Bereitschaft, in die Friedenssicherungseinsätze eine Geschlechterperspektive zu integrieren, und fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, sicherzustellen, dass bei Bedarf auch für Geschlechterfragen zuständige Elemente in Feldmissionen aufgenommen werden;

6. ersucht den Generalsekretär, den Mitgliedstaaten Leitlinien für die Aus- und Fortbildung sowie Material über den Schutz, die Rechte und die besonderen Bedürfnisse von Frauen sowie über die Wichtigkeit der Beteiligung von Frauen an allen Friedenssicherungs- und Friedenskonsolidierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen […];

7. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre freiwillige finanzielle, technische und logistische Unterstützung von Trainingsmaßnahmen zur Sensibilisierung in Geschlechterfragen zu verstärken […];

8. fordert alle beteiligten Akteure auf, bei der Aushandlung und Umsetzung von Friedensübereinkünften eine Geschlechterperspektive zu berücksichtigen, die unter anderem auf Folgendes abstellt:

a) die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen während der Rückführung und Neuansiedlung sowie bei der Normalisierung, der Wiedereingliederung und dem Wiederaufbau nach Konflikten;

b) Maßnahmen zur Unterstützung lokaler Friedensinitiativen von Frauen und autochthoner Konfliktbeilegungsprozesse sowie zur Beteiligung von Frauen an allen Mechanismen zur Umsetzung der Friedensübereinkünfte;

c) Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes und der Achtung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfassung, dem Wahlsystem, der Polizei und der rechtsprechenden Gewalt;

9. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte auf, das auf die Rechte und den Schutz von Frauen und Mädchen, insbesondere als Zivilpersonen, anwendbare Völkerrecht vollinhaltlich zu achten […];

10. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte außerdem auf, spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs und allen anderen Formen der Gewalt in Situationen bewaffneter Konflikte;

11. hebt hervor, dass alle Staaten dafür verantwortlich sind, der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, namentlich auch im Zusammenhang mit sexueller und sonstiger Gewalt gegen Frauen und Mädchen, strafrechtlich zu verfolgen, und betont in diesem Zusammenhang, dass diese Verbrechen soweit möglich von Amnestieregelungen ausgenommen werden müssen; […]

13. legt allen an der Abrüstungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsplanung Beteiligten nahe, die unterschiedlichen Bedürfnisse weiblicher und männlicher Exkombattanten sowie die Bedürfnisse der von ihnen abhängigen Personen zu berücksichtigen; […]

15. bekundet seine Bereitschaft, dafür zu sorgen, dass bei Missionen des Sicherheitsrats die Geschlechterperspektive sowie die Rechte von Frauen berücksichtigt werden, namentlich auch durch Konsultationen mit Frauengruppen auf lokaler wie internationaler Ebene; […]

Margret Otto ist Friedenswissenschaftlerin und 2. Vorsitzende des Frauennetzwerks für Frieden e.V.

Wege zur Gewaltfreiheit

Wege zur Gewaltfreiheit

Eine Praxisstudie zur Friedensarbeit

von Ilona Auer-Frege

Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um den leicht überarbeiteten Einleitungsbeitrag zu einer Studie, die 31 Fallbeispiele der Zivilen Konfliktbearbeitung systematisch dokumentiert. Die Studie erscheint im November im Büttner-Verlag unter dem Titel »Wege zur Gewaltfreiheit«.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD)

Ausgehend von Pilotprojekten und unterstützt durch die nordrhein-westfälische Landesregierung richtete die 1998 neu gewählte rot-grüne Bundesregierung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ die neue Förderlinie »Ziviler Friedensdienst« (ZFD) ein. Unter diesem Siegel werden heute Projekte der anerkannten Entsendedienste Deutscher Entwicklungsdienst (DED), Arbeitsgemeinschaft Entwicklungshilfe (AGEH), Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Weltfriedensdienst (WFD), EIRENE – Internationaler Christlicher Friedensdienst e.V., Dienste in Übersee (DÜ), KURVE Wustrow/Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) sowie peace brigades international (pbi) finanziell gefördert – Projekte, die ausdrücklich Friedensförderung und gewaltfreie Konfliktbearbeitung mit nicht-militärischen Mitteln durch entsandte europäische Friedensfachkräfte zum Inhalt haben. In den zehn Jahren seines Bestehens (1999-2009) entsandte der ZFD nach eigenen Angaben 570 Fachkräfte in 50 Länder. Derzeit sind 241 Friedensfachkräfte in 44 Ländern im Einsatz. Im Haushaltsjahr 2009 ist die Jahresfördersumme von 19 Mio. Euro (2008) auf über 30 Mio. Euro angestiegen.

Siehe auch:
www.ziviler-friedensdienst.org.

Das Spektrum der Friedensarbeit in Deutschland ist weit gefächert. Dies gilt nicht allein für die Organisations- und Kooperationsformen und die Komplexität der Aufgabenfelder, sondern auch für die ethisch-religiöse bzw. politisch-moralische Ausrichtung der Akteure. So liegt die Friedensarbeit nicht nur in den Händen von Institutionen unter staatlicher Trägerschaft, sie wird auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen vorangebracht: Kirchliche Organisationen, politische Parteien und Stiftungen sowie privat geführte zivilgesellschaftliche Institutionen geben den Ton an.

Gegenwärtig setzt die innergesellschaftliche Friedensarbeit in Deutschland selbst ihre Schwerpunkte bei Bildungs- und Jugendprojekten, Versöhnungsinitiativen, der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Anti-Gewalt-Trainings. Zudem geht es darum, die interkulturelle Kommunikation und die Integration von Migrantinnen und Migranten zu fördern. Die nicht-militärische Friedensarbeit im Ausland ist größtenteils an Projekte und Träger der Entwicklungszusammenarbeit gekoppelt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges brachen neue internationale Konfliktszenarien hervor, wie zum Beispiel die Balkankriege, die Golfkriege und die andauernden Brennpunkte der Gewalt in Afrika (Sudan, Angola, Liberia, Kongo, Äthiopien). Damit stand die Friedensarbeit auch Deutschlands vor gewaltigen Herausforderungen. Seit dem Völkermord in Ruanda, der 1994 innerhalb von drei Monaten ca. 800.000 Menschen das Leben kostete, war die gesamte westliche Entwicklungszusammenarbeit um ihr bis dahin unangefochtenes Selbstverständnis gebracht. In Deutschland, den USA und Skandinavien setzte sich die Szene daraufhin intensiv mit der Frage auseinander, inwieweit ihre Förderungsanstrengungen in Krisenregionen sogar Konflikte verschärfend oder verlängernd gewirkt haben könnte.

Die immer noch aktuelle Debatte kreist(e) um den so genannten »Do No Harm«-Ansatz, den Mary B. Anderson in ihrem wegweisenden gleich lautenden Buch (1996) entwickelt hatte. Fortan suchten die Akteure der professionellen Entwicklungszusammenarbeit nach konfliktsensitiveren Instrumentarien.

Diese notwendige Selbstreflexion innerhalb der internationalen zivilen »Friedensszene« brachte auch für die deutsche Friedensarbeit ein fundamental neues Selbstverständnis. Zahlreiche Förderprogramme zur zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung wurden und werden seither von staatlicher Seite initiiert. Ein Erfolg versprechendes Beispiel ist der Zivile Friedensdienst, der seit 1999 besteht und Fachkräfte in internationale Projekte zu Gewaltfreiheit und konstruktiver Konfliktbearbeitung einbindet.

Die Friedensarbeit in Deutschland geht neue Wege

Bis zur Jahrtausendwende wurden Friedensinitiativen staatlicherseits fast ausschließlich als diplomatische oder militärische Aufgaben, z.B. im Rahmen der Unterstützung von NATO, Vereinten Nationen oder OSZE-Missionen, interpretiert. Das Auswärtige Amt setzt seit 1998 mit dem Projekt »zivik – Zivile Konfliktbearbeitung«1 neue Akzente. Mit einem, gemessen an militärischen Ausgaben, kleinen Fonds werden Initiativen in Krisenregionen gefördert und dabei auch die programmatischen Linien der zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung, Krisenprävention und Friedensförderung verfolgt.

In noch größerem Ausmaß als das Auswärtige Amt engagiert sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die staatliche Förderung von Friedensprojekten, allen voran der bereits erwähnte Zivile Friedensdienst, der sich ausdrücklich als „neues Instrument der Entwicklungszusammenarbeit“ versteht.

Friedensarbeit in Deutschland hat mit der Einrichtung staatlich-zivilgesellschaftlicher Strukturen und Förderinstrumentarien einen starken Aufschwung und eine enorme Professionalisierung erfahren. Schon vor diesem Zeitpunkt hatten Kirchen und Bürgerinitiativen innerhalb Deutschlands methodische Grundsteine gelegt und Wissen angesammelt und so die Grundlagen für eine ausgedehnte Projektarbeit im Ausland aufgebaut. Einen guten Überblick über die konkrete Friedensarbeit der in Deutschland tätigen Organisationen, Stiftungen und Bürgerinitiativen bietet die Website der »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung» (www.konfliktbearbeitung.net). Als Netzwerk der Nichtregierungsorganisationen (NRO) und einzelner Akteure übernimmt sie seit 1998 die Aufgabe, den Informationsaustausch untereinander, die Öffentlichkeitsarbeit, die politische Vertretung und das Lobbying für die gewaltfreie Zivile Konfliktbearbeitung zu befördern.

Die Studie »Wege zur Gewaltfreiheit«

Trotz aller Erfolge der Implementierung ist das methodische Instrumentarium der Zivilen Konfliktbearbeitung längst nicht ausgereift. Wie so oft entwickelt sich das zivilgesellschaftliche Handeln eher diffus, dezentral an vielen kleinen Orten, mit unterschiedlichsten Anknüpfungspunkten und Wirkungsbezügen. Umso sinnvoller ist es, den Akteuren der Friedensarbeit bei ihrer konkreten Projektarbeit über die Schulter zu schauen und dabei konkret zu lernen, welche Methoden praxistauglich sind und im Sinne einer nachhaltigen Friedens- und Entwicklungsförderung funktionieren können.

Es erschien mir daher nahe liegend und notwendig, die sich ausdifferenzierte Praxiserfahrung mittels einer vorstrukturierten Methodenstudie zu erörtern. Hieraus ist eine für Kenner und Nichtkenner der Friedensszene hoffentlich lesenswerte Publikation entstanden, geschuldet meinem durch vielfältige Tätigkeit in der Zivilen Konfliktbearbeitung hervorgerufenen Wunsch, das Thema stärker ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

»Weg zur Gewaltfreiheit« soll einen Überblick über den aktuellen Stand der deutschen Friedensarbeit im Inland und Ausland bieten und aufzeigen, wie die Projektträger auf Schwerpunktthemen der Konfliktbearbeitung eingehen. Die einzelnen Fallbeispiele sollen auch Anregung für Projektplanerinnen und -planer sowie für Friedensfachkräfte vor Ort bieten, mit dem Ziel, deren Arbeitsinstrumentarium zu bereichern. Dennoch bleibt offensichtlich: Jede Konfliktsituation, jede Zielgruppe, jede Region und jede Organisation ist anders. Dies erfordert maßgeschneiderte Ansätze und kontextabhängige Arbeitsmethoden. Hier werden keine Rezepte vorgestellt, die sich in jeder Umgebung nachahmen lassen. Stattdessen möchte die Studie aufzeigen, wie weit sich die Friedensarbeit deutscher Institutionen in den letzten Jahren entwickelt hat, und damit Inspiration und Reflexionsstoff für die eigene Arbeit bieten.

Auswahl und Dokumentation der Fallbeispiele

Im Jahr 2007 schrieb ich über 40 deutsche Organisationen an, die sich im In- und Ausland in irgendeiner Form professionell für zivile Konfliktbearbeitung, Gewaltfreiheit und Versöhnung einsetzen. Sie wurden gebeten, aus ihrem Arbeitsbereich solche Projektansätze und Methoden auszusuchen, die sie für besonders wirkungsvoll und lehrreich für andere Fachkräfte hielten. Es ging nicht darum, ganz besondere Glanzstücke der eigenen Projektpraxis ins Rampenlicht zu rücken, sondern es sollte deutlich werden, wie stockend, scheiternd und neu beginnend Friedensarbeit sein kann. Viele Projekte haben eine langjährige Vorgeschichte, wurden mehrfach neu konzipiert und immer wieder dem Bedarf ihrer Zielgruppen angepasst, bis sie wirklich funktionierten. Alle beteiligten Organisationen ließen sich darauf ein, auch diese Aspekte ihrer Arbeit offen mitzuteilen, um somit andere von ihren Erfahrungen profitieren zu lassen.

Über ein Jahr lang wurden schließlich Projektunterlagen, Bilder, Berichte und Evaluierungen zusammengetragen. Dazu kamen Interviews mit Projektleiterinnen und Projektleitern, lokalen Fachkräften, Koordinatorinnen und Koordinatoren und Projektteilnehmenden. Aus diesem Material entstanden die 31 Projekttexte, die jeweils nur ein Schlaglicht auf einen aktuellen Ist-Zustand der Arbeit werfen können. Viele der Projekte haben noch weitaus mehr Facetten und Arbeitsfelder als in diesem begrenzten Rahmen aufgezeigt werden können.

Kategorien der Friedensarbeit

Schwieriger als gedacht gestaltete sich die Aufgabe, die vorgestellten Projekte inhaltlich zu kategorisieren und Kriterien zu finden, welche die jeweiligen Schwerpunkte abbilden. Gilt ein Schulprojekt mit Theaterarbeit als Kunst- oder Bildungsarbeit? Ist Traumabearbeitung bei ehemaligen Kombattanten mit integrierter Berufsausbildung ein medizinisch-psychologischer Ansatz oder geht es dabei eher um Einkommensförderung?

Dennoch ließen sich einige Kategorien finden, die zumindest die Kernaufgaben der heutigen zivilen Friedensarbeit umreißen und ein erstes Angebot zur Systematisierung darstellen:

Reintegration ehemaliger Kombattanten

Demobilisierte Soldaten verkörpern in vielen Krisenregionen ein besonderes Konfliktpotenzial. Oft kennen sie nur die Waffe als Mittel zum Einkommenserwerb, sind durch ihre Vergangenheit traumatisiert und werden von ihrer Herkunftsgemeinde gefürchtet oder abgelehnt. Deshalb geraten viele dieser ehemaligen Kämpfer schnell in die Hände von Sicherheitsfirmen oder finden sich in mafiösen Strukturen, im Drogenhandel oder in anderen paramilitärischen Vereinigungen wieder. Wer ehemalige Kombattanten auffängt, behandelt und ihnen eine positive Zukunftsperspektive ermöglicht, leistet einen wichtigen Beitrag zur Befriedung in besonders von Krieg und Gewalt betroffenen Gesellschaften.

Schutzräume zur Verfügung stellen

In Gesellschaften, die unter staatlicher Repression oder den negativen Begleiterscheinungen eines Bürgerkrieges leiden, können Aktivistinnen und Aktivisten, Menschenrechtsorganisationen, unabhängige Bürgerinitiativen oder Organe der Zivilgesellschaft selten unbehelligt arbeiten. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bedroht, entführt oder ermordet, oft ohne dass die Täterinnen und Täter juristische Konsequenzen befürchten müssten. In dieser Situation können begleitende Organisationen die internationale Aufmerksamkeit für die Bedrohten herstellen und durch persönlichen Schutz deren Arbeit unterstützen.

Medienarbeit

Medien und Journalistinnen und Journalisten haben in Krisenregionen oft einen erheblichen Einfluss auf die Konfliktparteien. Sie können diesen missbrauchen und damit gewollt zur Eskalation beitragen. Sie können aber auch von Friedensorganisationen in einem ethischen und unabhängigen Reportagestil unterstützt werden und damit einen verantwortungsvollen Beitrag zur Informationsvermittlung, zum Abbau von stereotypen Feindbildern und zur Friedenserziehung leisten.

Traumabearbeitung

Durch Gewalterfahrungen traumatisierte Menschen leiden oft lebenslang schwer unter ihren körperlichen und seelischen Wunden. Friedensprojekte können dazu dienen, dass diese Menschen bei der psychologischen Aufarbeitung begleitet werden. Ihnen kann dabei geholfen werden, aus der Opferrolle herauszutreten und den erlebten Konflikt zu bewältigen, eine Arbeit, die sich auch positiv auf ihr gesamtes Umfeld auswirkt. Damit erhält Traumabearbeitung neben der individuellen Hilfe auch eine gesellschaftliche Dimension.

Mediation und Dialog

Wo Justiz nur mangelhaft funktioniert oder Konflikte weniger staatlich-rechtlichen denn kulturellen, ethnischen oder traditionellen Ursprungs sind, können Mediatorinnen und Mediatoren dabei helfen, Gewalt zu vermeiden und Konflikte rasch, unbürokratisch und für alle Parteien befriedigend beizulegen. Mediation ist auf Ausgleich bedacht, allparteilich, kann der Bevölkerung leicht zugänglich gemacht werden und vermittelt eine Kultur der gewaltfreien und konstruktiven Konfliktlösung.

Methodenvermittlung auf Graswurzelebene

In kriegsbetroffenen Gesellschaften gilt oft seit Jahrzehnten das Recht des Stärkeren. Gewalt und Gegengewalt werden zu dominierenden Handlungsmustern in der Bevölkerung. Friedensprojekte helfen dabei, traditionelle Instrumente zur friedlichen Konfliktbeilegung wieder zu beleben und neue Methoden wie Mediation, gewaltfreie Kommunikation oder Ausgleichsmechanismen gesellschaftlich zu integrieren.

Methodenvermittlung auf institutioneller Ebene

Auch in vielen von gewaltsamen Konflikten geprägten Gesellschaften gibt es gewaltfreie Nichtregierungsorganisationen und Friedensgruppen. Diese können dabei unterstützt werden, ihre unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Beiträge zur Friedensförderung zu bündeln, sich zu vernetzen und sich untereinander zu verständigen, um möglichst professionell und effizient zu arbeiten.

Kunst als Friedensmedium

Wo rein intellektuell und kognitiv angelegte Ansätze auf Grenzen stoßen, da können kunst- und insbesondere theaterpädagogische Methoden erstaunliche Erfolge erzielen. Sie öffnen den Zugang zu »schwierigen« Zielgruppen, bauen Hemmschwellen für die Mitarbeit in Friedensprojekten ab und machen die Inhalte der Gewaltfreiheit ganzheitlich erfahrbar.

Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Justiz

Wo Krieg den Alltag bestimmt, entsteht nicht selten eine »Kultur der Gewalt«, in der der Staat als Ordnungsmacht versagt und damit auch die Justiz ihre Aufgaben nicht ausreichend wahrnimmt. Friedensprojekte können dazu beitragen, dass Richterinnen und Richter, Anwältinnen und Anwälte und Gefängnispersonal ausgebildet werden und Gefangene Rechtsbeistand erhalten, Gesetzesreformen eingefordert und Wahrheitskommissionen einberufen werden. Insgesamt geht es im Rahmen der Friedensarbeit darum, eine verbesserte Rechtskultur zu vermitteln.

Jugendarbeit

Mitunter bestehen Konflikte schon seit Jahrzehnten und werden von Generation zu Generation weitergegeben. In vielen Krisenregionen besteht die Bevölkerung zu einem Großteil aus Menschen unter 25 Jahren. Jugendliche Zielgruppen sind oft eher bereit, erlernte Konfliktmuster zu reflektieren und andere Handlungsmöglichkeiten zu finden, die sie später auch an die nächsten Generationen vermitteln. Daher kommt der Jugendpädagogik ein besonderer Stellenwert in der Friedensarbeit zu.

Zivilgesellschaft organisieren

Ohne eine Zivilgesellschaft, in der sich die Menschen organisieren und gemeinsam ihre Interessen formulieren, ist eine gewaltlose Konfliktlösung kaum denkbar. Egal, ob sich das zivilgesellschaftliche Engagement gegen staatliche Maßnahmen oder gegen das Verhalten von Konfliktgruppen richtet, Friedensprojekte tragen dazu bei, dass die Bevölkerung in Krisenregionen in Selbsthilfeinitiativen zusammenfindet. Es geht darum, Strukturen aufzubauen, mit denen Defizite des Staates und der Gesellschaft ausgeglichen werden können: Die Menschen sollen ihre Belange selbst aktiv und dennoch gewaltfrei vertreten und durchsetzen können.

Die Rolle von NROs, Gebern und Fachkräften in der Zivilen Konfliktbearbeitung

In der Friedensarbeit ist, vielleicht noch mehr als in anderen Sparten der Bildungs- oder Entwicklungsarbeit, eine klare Rollendefinition der beteiligten Parteien notwendig. Alle an der Studie teilnehmenden Organisationen betonen, dass sie mit ihren Angeboten nur begleitende und unterstützende Funktionen einnehmen wollen. Gleichwohl wissen sie, dass sie die Verantwortlichkeiten und die Initiative der Zielgruppen zur Selbsthilfe (die so genannte »ownership«) übernehmen oder ersetzen können. Jedoch nur wenn die Betroffenen die Inhalte und Ziele der Projekte annehmen und sich mit diesen so weit identifizieren, dass sie selbst aktiv und engagiert handeln, kann die Projektarbeit tatsächlich zu persönlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führen. Konkret bedeutet dieser Ansatz, dass Projekte oft eine lange Vorlaufzeit benötigen, in der die Bedürfnisse der Betroffenen wie auch die Hintergründe und Konstellationen im Konflikt genau analysiert werden müssen. Ohne enge Kontakte zu den Zielgruppen entsteht kein Vertrauensverhältnis, das die Basis für tief greifende Veränderungen darstellt.

Im Projektprozess bemühen sich die meisten Organisationen sehr darum, nicht selbst in den Friedensprozess einzugreifen. Als allparteiliche, unterstützende Institution wollen sie helfen und begleiten – ohne die Richtung zu dominieren. Friedensprojekte stellen Strukturen und Ressourcen zur Verfügung, die es den Menschen leichter machen, alternative Handlungsweisen auszuprobieren und sich zu verändern: Sie schaffen ein konstruktives Umfeld, ein »environment for peace«, stärken die positiven Elemente (connectors) im Konflikt und grenzen sich von den negativen Faktoren (dividers oder spoilers) ab. Für die Friedensfachkräfte bedeutet dies auch, sich immer wieder zurücknehmen zu müssen bzw. sich nicht instrumentalisieren oder vereinnahmen zu lassen. Für sie ist es wichtig, ihr Fachwissen und ihre materiellen Ressourcen mit ihren Partnerorganisationen und Teammitgliedern zu teilen, ohne selbst aktiv in den Konflikt einzugreifen. Dies kann eine schwierige Gratwanderung bedeuten, belässt aber auf jeden Fall die Verantwortung, aber auch die Gewinne aus den Transformationsprozessen bei den Betroffenen.

Erkenntnisse dieser Materialsammlung

Die Analyseergebnisse der Fallbeispiele und die vielen Gespräche mit den Aktiven in den Projekten – den Koordinatorinnen und Koordinatoren, Projektleiterinnen und Projektleitern und Fachkräften – lassen sich in fünf Thesen zusammenfassen. Diese zeigen auf, welche Herausforderungen für Friedensarbeit heute bestehen und an welche Bedingungen sie geknüpft sind:

Friedensarbeit braucht Zeit

Die Förderdauer ist, vor allem bei Projekten in Krisenregionen mit jahrzehntelanger Konfliktgeschichte, oft viel zu kurz bemessen. Die Vertrauensbildung und der Aufbau von Arbeitsstrukturen benötigen mitunter Jahre, bis sie tragfähig sind und Wirkung zeigen. Ohne lokale Partnerorganisationen, die mit den Menschen vor Ort lange Zeit zusammengearbeitet haben und ihre Bedürfnisse kennen, ist es noch schwieriger, einen engen und belastbaren Kontakt herzustellen. Hier sind vor allem die staatlichen Geberstrukturen aufgefordert, diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Die übliche Förderdauer für Projekte liegt heute bei einem, maximal drei Kalenderjahren. Damit lassen sich weder langfristige Basisarbeit noch intensive Interventionen finanzieren, die notwendig sind, um tatsächlich nachhaltig zu wirken.

Friedensarbeit ist schwer vergleichbar

Der Versuch, Projektarbeit nach ihrer Wirkung zu beurteilen, ist sinnvoll und legitim. Wenn Steuergelder in Millionenhöhe in die Friedensarbeit fließen, sollte dies auf möglichst effiziente und nutzbringende Weise geschehen. Da jedes Projekt individuell auf seinen ganz besonderen Kontext zugeschnitten ist, fällt es schwer, allgemeingültige und vergleichbare Kriterien aufzustellen. Dennoch sollten im Interesse der Qualitätsförderung Wege zur Messung und Bewertung der Projektarten gefördert werden. PCIA (Peace and Conflict Impact Assessment)2 ist ein langsam an Qualität gewinnender Versuch, dieser Notwendigkeit zu entsprechen.

Friedensarbeit muss lernen dürfen

Das relativ abrupte Einsetzen des Zivilen Friedensdienstes 1999, mit einer sehr hohen Anzahl von Projekten innerhalb von nur wenigen Jahren, bedeutet eine sehr kurze Zeit für das Sammeln von Erfahrungen. Internationale Friedensprojekte, aber auch Bildungs- und Gewaltfreiheitsprojekte in Deutschland, brauchen Zeit und Lernanreize, um ihre Methoden weiterentwickeln zu können.

Wir sind es gewohnt, militärische Methoden der »Friedensschaffung« oder »Friedenssicherung« mit Kosten in Milliardenhöhe scheitern zu sehen. Friedensprojekte, die im Vergleich dazu mit nicht einmal einem Prozent der bundesstaatlichen Fördermittel ausgestattet sind, stehen unter einem viel höheren Erfolgsdruck. Dabei leisten gerade sie einen hochgradig spezialisierten und engagierten Beitrag, indem sie auf ständig wechselnde Umweltfaktoren flexibel reagieren und sich ihren Aufgaben mit immensem persönlichem und institutionellem Einsatz verschreiben. Im Sinne der weiteren Qualitätssteigerung der zivilen Konfliktbearbeitung ist hier noch ein langjähriger Erfahrungsaustausch nötig. Die Erfahrungen aus der Projektarbeit, und dies gilt auch für gescheiterte oder nicht vollständig erfolgreiche Projekte, sollten offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungen diskutiert werden. Innerinstitutionelle Lernprozesse, aber auch Netzwerke und gegenseitiger Austausch, unterstützen das Wachstum von Wissen und Sachkompetenz in der Friedensarbeit.

Friedensarbeit muss kohärent sein

Vor allem im Rahmen der internationalen Interventionen fordert die Bundesregierung mit Recht eine »Entwicklungszusammenarbeit aus einem Guss« – ohne Doppelungen oder Lücken im Angebot. Vernetzung ist daher ebenso nötig wie eine ernst gemeinte Zusammenarbeit, in der sich die deutschen und internationalen Organisationen intensiv darüber abstimmen, wo Förderbedarf besteht und wie sie ihre Projektarbeit nutzbringend koordinieren können. Konkurrenzdenken oder schlechte Vorbereitung von Projekten schaden einer bedarfsgerechten Angebotsstruktur und damit den Betroffenen in den Konfliktregionen. In der internationalen Friedensarbeit hat sich auch die Anbindung an klassische Entwicklungsprogramme bewährt. Statt Friedens- und Ernährungssicherungsprojekte als unabhängige oder gar konkurrierende Ansätze zu verstehen, macht es viel mehr Sinn, Friedensarbeit auch als Querschnittsaufgabe in die konventionelle Entwicklungs- und technische Zusammenarbeit einzubinden. Friedensprojekte können in Konfliktregionen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass weitere Investitionen in Entwicklungsprojekte Erfolg versprechend sind. Umgekehrt ist es sinnvoll, die langjährigen Vertrauensbande, die durch Entwicklungsarbeit entstanden sind, zu nutzen, um mit den gleichen Zielgruppen zusätzlich über Gewaltfreiheit und konstruktive Konfliktlösung ins Gespräch zu kommen.

Auf die Zivilgesellschaft kommt es an

Diese Studie stützt sich auf die Beobachtung, dass es in der Friedensarbeit immer stärker um Bildungsarbeit, Förderung von Nichtregierungsorganisationen und deren Vernetzung geht, wobei gerade die NRO in Krisenregionen einen Gegenpol zu versagender oder zu totalitärer staatlicher Macht darstellen. Das schließt Projekte, die gezielt Regierungen fördern, nicht aus, insofern die NRO diese auch dazu ermutigen, mehr Zivilgesellschaft zuzulassen.

Es wird mit wachsender Erfahrung immer deutlicher, dass in der Friedensarbeit nachhaltige Erfolge dort erzielt werden, wo die Bereitschaft zu Dialog und gegenseitiger Akzeptanz unmittelbar in der Bevölkerung verankert ist. Erst wenn auch das Wissen über gewaltfreie Wege der Konfliktlösung allgemein verbreitet ist, kann Frieden Teil des Alltags werden. Denn eine Gesellschaft, in der die Interessen der Menschen durch selbst gebildete Organisationen, Medien, Vereine oder Interessengruppen vertreten werden, kann auf gewaltsame Mittel zu deren Durchsetzung verzichten. Der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, innerhalb derer die einzelnen Akteure darin geschult sind, ihre Anliegen konstruktiv und erfolgreich zu vertreten, scheint der Schlüssel für eine nachhaltige Friedensarbeit zu sein.

Anmerkungen

1) Siehe hierzu http://www.ifa.de/foerderprogramme/zivik sowie den Artikel von Rainer Nolte, »Muss Subsidiarität sein? Optionen der staatlich-zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit« in dieser Ausgabe von W&F.

2) Siehe z.B. den Ansatz von Thania Paffenholz und Luc Reychler oder die »Methodical Guidelines for Peace and Conflict Impact Assessment« der Friedrich- Ebert-Stiftung unter www.Frient.de/downloads/PCIAGuidelines.pdf, 9.11.2009.

Dr. Ilona Auer-Frege ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika.

11 Jahre Widerstand

11 Jahre Widerstand

Frauenwiderstandscamps in Reckershausen im Hunsrück von 1983 bis 1993

von Christiane Leidinger

Sie kamen jedes Jahr nach Reckershausen im Hunsrück – elf Jahre lang. Von 1983 bis 1993 schlugen sie auf »Adeles Wiese« ein bis zwei Monate ihre Zelte auf und machten sich in jeder Hinsicht breit. »Sie«, das waren bis zu 2.000 Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch aus anderen Ländern wie der Schweiz, Österreich und Dänemark, die gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen bzw. Marschflugkörpern und gegen den alltäglichen Krieg gegen Frauen, Lesben und Mädchen protestierten und mit phantasievollen, teils spektakulären Aktionen Widerstand leisteten.

Sie hielten Mahnwachen, übernachteten an Bunkern, störten Fahnenweihen und Manöver, schnitten Absperrungszäune durch, besetzten Baukräne auf Militärgelände, sabotierten militärische Baustellen, blockierten Zufahrtsstraßen, überwanden Nato-Draht mit Teppichen, stellten Gedenktafeln an Kriegsgräbern auf, demonstrierten in Dörfern, produzierten Transparente und Flugblätter, sprühten Parolen im militärischen Absperrgebiet und vieles andere mehr. Im Laufe der Jahre verschob sich der Charakter der Camps zugunsten der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, die Antimilitarismus-Diskussionen und -Aktionen rückten in den Hintergrund. Für den Zusammenhang von »Militarismus und Gewalt« wird im Hunsrück immer wieder auf den »Bewusstseinswandel« hingewiesen, der sich durch die Frauenwiderstandscamps in der Region vollzog.

Der Hunsrück war als Ort für die Camps Anfang der achtziger Jahre mit Bedacht gewählt: Das Bundesland Rheinland-Pfalz wies zu dieser Zeit die dichteste Militärkonzentration in der BRD auf. Speziell im Hunsrück war das Militär der zahlenmäßig größte Arbeitgeber. Zudem war geplant, in diesem Gebiet die landwirtschaftliche Nutzfläche zum Vorteil des Militärs weiter zu reduzieren. Die AnwohnerInnen mussten nicht nur mit der Umstrukturierung der Dörfer zu funktionalen Wohnsiedlungen nach US-amerikanischem Muster leben, sondern mit bis zu 400 militärischen Aktionen im Jahr – und mit deren ökologischen Auswirkungen. Ende des Jahres 1983 sollten 96 Cruise Missiles bei Hasselbach stationiert werden.1

Das erste Hunsrücker Frauenwiderstandscamp

Das erste Frauenwiderstandscamps im Hunsrück 1983 entstand insbesondere vor dem Hintergrund negativer Erfahrungen von Androzentrismus, Sexismus und der Ausblendung feministischer Perspektiven auf Frieden, Gewalt und Krieg in der geschlechtergemischten Friedensbewegung – vor allem im Kontext der Bonner Großdemo und der Großengstingen-Blockade »Schwerter zu Pflugscharen« auf der Schwäbischen Alb im August 1982 (vgl. Einige Frauen, 1984, S.232; Schreiben der Frankfurter Vorbereitungsgruppe, 10.9.1982, Sammlung Finnemann; Frauengruppen, 1983, S.1; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.127f.; Schmid, 2007).

Als Vorbild bezogen sich die ersten Organisatorinnen der Hunsrück-Zeltlager auf die Camps von Frauen in Greenham Common/Großbritannien wie auch auf diejenigen im italienischen Comiso. Nicht zuletzt daher pflegten die Hunsrücker Camperinnen europäische wie US-amerikanische Kontakte, tauschten sich aus und waren teilweise international vernetzt – etwa mit Frauen von den Philippinen und in Nigeria (vgl. Ankündigungsbrief für Herbst 1983, Sammlung Finnemann; Sammlung Braun).

Das Selbstverständnis der Widerstandscamps war „antimilitaristisch[es]“ und wollte „gleichzeitig feministischen Ansprüchen“ „genügen“ (Gilmeister/Finnemann, o.J., S.19).

Forschungslage

Die Forschungsliteratur ist sehr übersichtlich und widmet sich den Camps zumeist nur in kurzen Passagen.2 Des Weiteren werden die Frauencamps durch Artikel in Bewegungszeitschriften begleitet, insbesondere in den Printmedien, die sich an Frauen und Lesben richte(te)n, aber auch im Hunsrück-Forum. Das Gros der Informationen über die ersten Camps lässt sich aus der Camp-eigenen Dokumentation für die Jahre 1983 bis 1985 (Frauenwiderstand, 1985) und aus Erfahrungsberichten (z.B. Koppert/Lindberg, 1984) beziehen.

Schauen wir uns die Aufarbeitung der Campgeschichte in der einschlägigen frauenfriedensbewegten Publikation von Karola Maltry (1993) einmal genauer an: Eine politik-theoretische Einordnung des Camplebens und der politischen Aktionen wird darin nicht geleistet. Die Motivation des Camps reduziert die Politologin auf exklusiven Protest von Frauen: „Einige Feministinnen, die nach ihren Erfahrungen in Großengstingen der Form der direkten gewaltfreien Aktion sehr positiv gegenüber standen, planten für den Sommer 83 ein Frauen-Widerstandscamp, um diese Aktionsform nur mit Frauen praktizieren zu können“, wobei, so Karola Maltry weiter, sie „zusätzliche Motivation“ von den „Beispielen der Frauen in Comiso/Sizilien und vor allem der Frauen in Greenham Common“ erhielten (Maltry, 1993, S.148). In den Selbstverständnispapieren, Dokumentationen und Programmen der Hunsrück-Camps steht dies allerdings explizit anders. Im Programm des Ersten heißt es: „1. Trotz theoretischer Erkenntnis über ein gleichberechtigtes Gruppen-Verhalten kam es zu den üblichen Schwierigkeiten zwischen Frauen und Männern in bezug auf Entscheidungen und Organisation. 2. Zum anderen wurde der Zusammenhang von Patriarchat, Krieg und Militarismus sowie der Zusammenhang von Kriegsbedrohung und Bedrohung im Alltag nicht thematisiert und ausgedrückt.“ (Frauengruppen, 1983, S.1) Diese Begründung reicht weit über das hinaus, was Maltry als Aktionsseparatismus der Camps benennt: Die in Großengstingen beteiligten Frauen waren nicht nur unzufrieden über die Zusammenarbeit mit Männern, die sie als nicht gleichberechtigt kennzeichneten, sondern auch mit den unterschiedlichen Vorstellungen, was sich in den Widerstandsaktionen inhaltlich widerspiegeln sollte. Konkret wurde kritisiert, dass feministische, frauenbewegte Erkenntnisse wie Patriarchats- und Gewaltanalysen sowie die Verbindungen von Krieg und Alltag sowie von Patriarchat und Militarismus nicht miteinbezogen wurden.

Als positive Wirkung des Camps benennt Karola Maltry Innovation, Spektakularität und mediale Repräsentation; die konkreten Störungen des Militäralltags – wie etwa bei der Lance-Raketen-Übung 1983 (vgl. Einige Frauen aus Bärlin, 1984, S.234f.) – verschweigt sie jedoch: „Die Wirkung des Frauencamps lag weniger in seiner tatsächlichen Behinderung der Stationierungsvorbereitungen, als vielmehr in seiner für die Bundesrepublik ‚neuartigen’ und daher spektakulären Form des Protests, die die Aufmerksamkeit auf sich zog und große Resonanz in der Presse erzielte.“ (Maltry, 1993, S.150) Hinsichtlich der „Mobilisierung der Bevölkerung zu eigenen Friedensaktivitäten“ sieht sie wenig Wirkung und kontrastiert dies im Rahmen eines Vergleichs mit einer Fastenaktion, die Jutta Dahl, eine Hunsrücker Pfarrerin initiierte hatte: Diese habe, so ihre These, „gewiß mehr bewirkt, …als das Widerstandscamp, weil sie [die Fastenwoche] einerseits durch die persönliche Anstrengung der Beteiligten beeindruckte und andererseits der Lebensweise der Bevölkerung weniger fremd gegenüberstand“ (Maltry, 1993, S.150). Naheliegenderweise wird hier versteckt abwertend zum einen auf die breite Präsenz von Lesben in den (Zelt-)Dörfern angespielt und zum anderen auf den autonomen Politikstil der Camperinnen; außerdem verweist Maltry hier womöglich implizit auf den wenig bis gar nicht christlich begründeten Widerstand, der von den Camps ausging und der sich von dem stark christlich motivierten der Hunsrücker Friedensbewegung unterschied.

Widerstandsverständnis und politische Theorieproduktion

Der Titel »Frauenwiderstandscamp« war Programm. Anders als etwa in Großengstingen oder Mutlangen wurde jedoch vor dem (ersten) Camp nicht festgelegt, welche Formen des Widerstands praktiziert werden sollten. Der Widerstand wurde aus den Erfahrungen und Diskussionen der Campteilnehmerinnen vor Ort entwickelt (vgl. Perincioli, 1983, S.13).

Das oder präziser: die komplexen Widerstandsverständnisse der Hunsrückcamps müssen noch untersucht werden, ebenso die weitgreifenden feministischen Analysen zu Militär, Sexismus und Patriarchat, die in diesem Rahmen (weiter)entwickelt wurden. Als bemerkenswert festzuhalten bleiben aber bereits beim jetzigen Überblick über das reichhaltige Material die Vielfältigkeit der Perspektiven v.a. der an den ersten Camps Beteiligten und die daraus abzulesende gelungene Bündnispolitik (vgl. dazu auch: Frauen, die kämpfen, 1988, S.85; Piel, 1989; Gruppeninterview, 2010). Diese Bündnisse sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff und die Formen des Widerstands in den Camps stets umkämpft waren. Im Zentrum der (noch im Einzelnen aufzuarbeitenden) Diskussionen standen vor allem in den ersten Jahren Gewaltfragen sowie die Vermittlung des Widerstands an die Hunsrücker Bevölkerung.

In den theoretischen Debatten, die im Rahmen der Camps geführt wurden, wie auch in den politischen Aktionen, rekurrierten die Frauen auf die feministische Erkenntnis eines notwendigerweise weiten Begriffs von Frieden, der nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern generell Gewaltlosigkeit als Kriterium nennt und zudem die verschiedenen Gewaltformen von Männern gegen Frauen als „alltägliche[n] Krieg“ von Frauen mit einbezieht (vgl. Sander, 1980; Schmauch, 1983; Heiliger, 2007). Zumindest in den ersten Jahren wurde offenbar oftmals mit einem weiten Begriff von Patriarchat operiert, der alle Unterdrückungsformen, beispielsweise auch Militarismus, Rassismus, Antisemitismus, Imperialismus, Kapitalismus und Naturzerstörung mit einschloss (vgl. Frauengruppen, 1983, S.37; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.128f.). Ein wichtiger Slogan basierte auf einer Parallelisierung von Gewaltformen wie Militarisierung, Imperialismus, sexualisierte Gewalt/Sexismus und Naturzerstörung: „Zwischen der Vergewaltigung einer Frau und der Eroberung eines Landes und der Zerstörung der Erde besteht kein wesentlicher Unterschied“ (Plakat 1986, Sammlung Finnmann; vgl. ähnlich Handbuch, 1984, S.12).

Über diese Themenkomplexe und Fragen nach Verbindungen von Politik und Spiritualität hinaus, waren weitere Diskussionsthemen: Antisemitismus (etwa Vereinnahmung von Kämpfen, Unsichtbarmachen), Ausländerfeindlichkeit, Faschismus (Verstrickung in Familiengeschichten, historisches Gedenken), Klassismus (soziale Herkunft, Geldfragen), Konsum (Verweigerung, Subsistenz), Ökologie (Atomkraft, Umgang mit Ressourcen, Ernährung), Rassismus (rassistische Sprache und Sozialisation, separate Camp-Räume für Schwarze FrauenLesben), Repression (»Sicherheitsgesetze«), Separatismus von Lesben, sexualisierte Gewalt, Unterschiede unter Frauen sowie immer wieder verschiedene Widerstandsformen, die parallel praktiziert wurden.3

Organisations- und Infrastruktur des Camps

Die Organisationsstruktur der Vor- und Nachbereitungen der Widerstandscamps sowie deren Durchführung wurde zweigleisig aufgebaut: Für jedes Camp gab es zwei bis sechs zumeist mehrtägige überregionale Vorbereitungstreffen sowie lokale Vorbereitungsgruppen in einzelnen Städten, die meist in den Zeltlagern Bezugsgruppen bildeten und einzeln und/oder neu ankommenden Frauen Anschluss bieten sollten (vgl. Handbuch, 1984, S.7-9; Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4; 9). Nachbereitet wurden die Camps in der Regel durch ein bis zwei überregionale Treffen von ein bis zwei Tagen.

Die Beschlüsse wurden im Konsens gefasst (vgl. Gruppeninterview, 2010). Da durch die mehrwöchige, zumeist siebenwöchige Dauer der Camps nur wenige Frauen die gesamte Zeit über teilnehmen konnten und manche dafür keinerlei Kapazitäten hatten, wurden v.a. in den ersten Jahren jeweils zentrale Aktionswochenenden während der Camps bestimmt, damit Frauen anreisen konnten, um sich an den Aktionen zu beteiligen (vgl. Handbuch, 1984, S.4; 7; 76; Sammlung Finnemann).

Protest und Widerstand der Camp-Frauen zogen vielfältige staatliche Repressionen nach sich: Neben kontinuierlicher Polizei-Überwachung wurde insbesondere das Camp von 1984 mit Prozessen wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, aber auch wegen »grobem Unfug« überzogen (Kornfeld, 1985b; vgl. Einige Frauen aus Bärlin, 1984, S.234; 236; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010). Neben Bußgeldern wurden auch mehrwöchige Haftstrafen verhängt (vgl. Prozessbroschüre, 1986; Piel, 1989; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010). Die aus der staatlichen Repression entstandenen Kosten wurden durch private Spenden aufzufangen versucht. Auch die Finanzierung der Camps an sich wurde mit Spenden, Solidaritätsveranstaltungen und einen wöchentlichem Camp-Beitrag sichergestellt (vgl. Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4).

Zur Organisationsstruktur gehörte es auch, die Camp-Öffentlichkeit selbst zu kontrollieren. Presse und Öffentlichkeit hatten daher – von campintern umstrittenen Ausnahmen abgesehen – keinen Zutritt zum Campgelände; Männer grundsätzlich nicht. Am Campeingang befand sich zumindest in den Anfangsjahren ein Presse-Informationszelt (vgl. Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4; 7f.). Die ersten Camps wurden in der Presse regional und überregional wie auch in Zeitschriften größtenteils sehr kritisch bis ablehnend begleitet.

Widerstand im Alltag – alltäglicher Widerstand

Den zentralen Unterschied zu geschlechtergemischten Zeltdörfern beschreibt eine Camp-Frau, die aus gemischten »Anti-Imp«-Zusammenhängen kam und auch auf anderen Camps war, entlang der Frage nach der Umsetzung von „Visionen“ im Alltag: Die Hunsrück-Camps stehen z.B. für einen steten, verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen, der nicht auf die Zeit „nach der Revolution“ verschoben wurde (Gruppeninterview, 2010). Nach dem erfolgreichen ersten Camp 1983 sollte Widerstand auch im städtischen Alltag verankert werden. Dazu veranstalteten Camp-Frauen im November 1984 ein »Asphaltcamp« in Berlin (Kornfeld, 1985a, S.262; Sammlung Finnemann).

Die durch die mehrwöchigen Camps im Hunsrück temporär real gewordene Utopie von „Frauenland“ wünschten sich einige Frauen als alltägliche Lebensrealität (vgl. Frauengruppen, 1983, S.23; Handbuch, 1984, S.9; 17; Gilmeister/Finnemann, o.J., S.17). Daraus entstanden mit intensiver Vorbereitung einige Frauen/Lesbenwohnprojekte und u.a. ein Camp-Haus als Basis im Hunsrück sowie ein Lesbenkollektiv (vgl. Sammlung Finnemann).

Über die Umzüge in den Hunsrück hinaus, entschlossen sich zwei Frauen zu einer Dauermahnwache an der »Todesbasis Hasselbach« im Hunsrück. Diesen Ort des Mahnens richteten sie mit einem ausgebauten Wohnwagen im Oktober 1985 als festen Wohnsitz ein (vgl. Kornfeld, 1985a, S.264). Mitte Juli 1986 wurde die Mahnwache in Abwesenheit der Frauen polizeilich geräumt (vgl. Bogisch, 1986, S.25).

Was Anna Dorothea Brockmann 1984 in ihrem instruktiven, provokanten und kritischen Text zur Gewaltfrage in der Frauen- und in der Friedensbewegung forderte, haben die Frauen der Widerstandscamps im Hunsrück in vielen ihrer Aktionen stets aufs Neue eingelöst und kreativ ausgelotet: „bei Widerstand nicht auf die Grenzen, sondern auf die Angemessenheit zu schauen“ (Brockmann, 1984, S.142).

Gedächtnisschwund oder Geschichtsbemächtigung oder…?

Die aus den Widerstandscamps im Hunsrück entstandenen Aktionen verschafften den Frauen und ihren Anliegen vor allem in der Anfangszeit viel mediale Aufmerksamkeit: in den Tagesschau-Nachrichten der ARD (1983), den Tagesnachrichten des SWR (1983) und in Magazinen wie Brigitte (1985), Quick (1983) und Stern (1983). Aber über die Frauen und ihre friedenspolitische/n und feministische/n Protest- und Widerstandsgeschichte/n wissen heute fast nur noch diejenigen etwas, die das »sie« damals selbst gebildet haben, die dabei waren oder die, die es von »Camp-Frauen« – wie sie sich untereinander nannten – erzählt bekommen haben.

Ein auf den ersten Blick seltsamer Gedächtnisschwund in der Friedensbewegung und in der Frauen- und Lesbenbewegung wie auch in der Sozialen Bewegungsforschung – oder doch nicht? Auch darüber ließe sich ein – sicherlich längerer – Text schreiben, dessen Argumente und Einschätzungen zu Entwicklungen in der Frauen- und Lesben-Bewegung nicht nur auf die Hunsrückcamps zutreffen dürften. Ein solcher Beitrag würde das Verhältnis ausloten: zwischen der bedeutsamen Größe der Camps, ihrer beeindruckenden Kontinuität, der erstaunlichen Bandbreite der (auch medial) aufsehenerregenden Aktionen zur zeitgleich sich entwickelnden politischen Berechenbarkeit der Frauen- wie auch der Friedensbewegung (vgl. Brockmann, 1984, S.132; 135; 141; gwr, 78/1983), zur „Akademisierung des Feminismus“ und der daraus folgenden Marginalisierung radikaler Strömungen in der Frauenbewegung sowie zu deren Homogenisierung (Dackweiler/Holland-Cunz, 1991; Holland-Cunz, 1994, S.23; 31), außerdem zur konfliktualen Beziehung von Frauen- und Friedensbewegung (vgl. Dittmer/Lindner/Träger, 1983; Maltry, 1993; Schmauch, 1983; versöhnlicher bei Wasmuht, 1987, S.149-151). Nicht zuletzt würde sich ein solcher Text mit einem möglichen Interesse an Geschichtsbemächtigung auseinandersetzen, das Bewegungsgeschichtsschreibung nicht selten verzerrt. Dabei geht es auch darum, „nachträglich politische Konflikte durch deren Bewertung für sich zu entscheiden“ – dazu gehören auch Akzentverschiebungen hinsichtlich der Bedeutung von Themen und Perspektiven (Harms, 2005, S.13-15).

Literatur

Baetz, Michaela/Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane (2007): Chronik der Antisemitismusdiskussionen in der (Frauen- und) Lesbenbewegung der BRD der 80er Jahre. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 175-177.

Baldhoff, Scarlett/Schikorra, Christa (1985): Frauenwiderstandscamp/Hunsrück 1983/84 – Mythos vom weiblichen Widerstand. unv. Dipl.-Arbeit am Inst. f. Sozialpädogogik und Erwachsenenbildung an der Freien Universität Berlin, Berlin.

Bogisch, Ute (1986): Dauermahnwache – Ein Nachruf. Hunsrück-Forum. Zeitschrift für Demokratie und Frieden 14 (Okt.-Dez.), S. 25.

Brigitte (1985) – Beitrag von Margret Meyer: Frieden und ein bißchen wunderlich. In: Brigitte 13, S. 86-90.

Brockmann, Anna Dorothea (1984): Alle reden von Gewalt… In: Vorbereitungsgruppe 7. Sommeruniversität für Frauen (Hrsg.): Dokumentation der 7. Sommeruniversität für Frauen, Berlin. „Wollen wir immer noch alles? Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, o.O. [Berlin?], S. 129-142.

Camp-Abschiedsbrief Koppert/Lindberg (1987): Claudia Koppert/Birgit Lindberg 30.6.1987. Sammlung Koppert.

Dackweiler, Regina/Holland-Cunz, Barbara (1991): Strukturwandel feministischer Öffentlichkeit. beiträge zur feministischen theorie und praxis 30/31, S.105-122.

Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (2007): Lesben in Wut – Lesbenbewegung in der BRD der 70er Jahre. In: dies. (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 31-61.

Dittmer, Charlotte/Lindner, Christa/Träger, Hilde (1983): Ein bißchen Frieden – ein bißchen Feminismus… Überlegungen zum Verhältnis von Frauenbewegung und Friedensbewegung. beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, S. 113-115.

Einige Frauen aus Bärlin (1984). Frauenwiderstandscamp ’83 in Reckershausen/Hunsrück, vom 15.7. bis 15.8.83. In: Vorbereitungsgruppe 7. Sommeruniversität für Frauen (Hrsg.): Dokumentation der 7. Sommeruniversität für Frauen, Berlin. „Wollen wir immer noch alles? Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, o.O. [Berlin?], S. 232-239.

Felsenheimer, Katrin/Kornfeld, Ursel/Ulmer, Regine (1986): Frauen-Widerstandscamp im Hunsrück 1985. Leben an den Zäunen. In: Dokumentation der 1. Berliner Lesbenwoche 26.10.-2.11.1985: mit allen sinnen leben! Berlin, Eigenverlag, S. 46-52.

Frauen, die kämpfen (1988): Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben: Ansätze zum revolutionären Frauen- und Lesbenkampf gegen Imperialismus und Patriarchat, Zürich: Selbstverlag.

Frauengruppen (1983): Frauengruppen aus ca. 20. Städten. Frauenwiderstandscamp 83: Frauenwiderstandscamp Sommer ’83, vom 15.7.-15.8.83 in Reckershausen (Hunsrück). Großes Aktionswochenende 30./31.7. V.i.S.d.P. D. Schadow, Berlin, Juni 1983, 2. Aufl. (Broschüre 58 S.)

Frauenwiderstand (Hrsg.) (1985): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o.O., Selbstverlag Frauenwiderstand.

Frauenwiderstand im Hunsrück (1987): Frauenwiderstand im Hunsrück. o.O.

Gilmeister/Finnemann (o.J.) [1983/1984?]: Bericht über das Frauenwiderstandscamp 1983. unv. Manuskript in: Sammlung Finnemann (Typoskript 20 S.).

Gruppeninterview (2010): Gruppeninterview mit Anne, Astrid, Christl, Dorothee, Inge, Maria, Martina, Pia, Ulrike (Hunsrück/Köln) am 10.1.2010 in Simmern, geführt von Christiane Leidinger.

gwr, 78 (1983): graswurzelrevolution. Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft »’Gewaltfrei und ungehorsam’. Kein Frieden mit dem Staat«.

Handbuch (1984): Frauenwiderstand im Hunsrück vom 2.7.-31.8.84. V.i.S.d.P. Jutta Höhmann, o.O. Selbstverlag (76 S.).

Harms, Imma (2005): Der Zwang zur Geschichtsschreibung. Polemik gegen die Vitrinisierung der eigenen Vergangenheit. In: Hüttner, Bernd/Oy, Gottfried/Schepers, Norbert (Hrsg.): Vorwärts und viel vergessen. Beiträge zur Geschichte und Geschichtsschreibung neuer sozialer Bewegungen, Neu-Ulm, S. 13-26.

Heiliger, Anita (2007): Was man(n) Frieden nennt, ist alltäglicher Krieg gegen Frauen – Lesben in der Antigewalt-Arbeit. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 91-94.

Holland-Cunz, Barbara (1994): Soziales Subjekt Natur. Natur- und Geschlechterverhältnis in emanzipatorischen politischen Theorien, Frankfurt/M./New York.

Hollensteiner, Antje (1995): Die aktuelle Rassismusdebatte in der weissen deutschen Lesbenbewegung. In: Schäfer, Anke/Lahusen, Kathrin (Hrsg.): Lesbenjahrbuch 1. Rücksichten auf 20 Jahre Lesbenbewegung, Wiesbaden, S. 127-135.

Kagerbauer, Matthias (2008): Die Friedensbewegung in Rheinland-Pfalz. Der Hunsrück als Zentrum des Protests gegen die Nachrüstung. Magister-Arbeit Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz. URL: http://www.pydna.de/MagisterarbeitKargerbauer/Magisterarbeit.htm (download 6/2009).

Koppert, Claudia/Lindberg, Birgit (1984): Ich lebe Widerstand, weil ich lebendig bin. beiträge zur feministischen theorie und praxis 12, S. 115-118.

Kornfeld, Ursula (1985a): Chronologie. In: Selbstverlag Frauenwiderstand (Hrsg.): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o.O., Selbstverlag Frauenwiderstand, S. 253-264.

Kornfeld, Ursula (1985b): Widerstand soll 35.000 Mark kosten. Frauen aus dem ganzen bundesgebiet betroffen. Strafbefehle und Bußgeldbescheide. Hunsrück-Forum. Zeitschrift für Demokratie und Frieden 8 (April-Juni), S. 23f.

Leidinger, Christiane (2010a): Erste Auswertung der Antworten zum Fragebogen zu den Frauenwiderstandscamps im Hunsrück 1983-1993, Berlin, unv. Manuskript.

Leidinger, Christiane (2010b): Frühe Debatten um Rassismus und Antisemitismus in der (Frauen- und) Lesbenbewegung in den 1980er Jahren der BRD. In: Bois, Marcel/Hüttner, Bernd (Hrsg.): Die Linke. Geschichtsbroschüre 2 (Arbeitstitel) (i.E.).

Lenz, Ilse (Hrsg.) (2008): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden.

Maltry, Karola (1993): Die neue Frauenfriedensbewegung. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt/M./New York.

Müller, Ulrike (2009): Separation, Provokation, Aktion, Meditation – Das Frauenwiderstandscamp. In: Projektteam Frauenforum (Hrsg.): Zwischen Tradition und Aufbruch – Frauen-Geschichte der Hunsrück-Region, Simmern, S. 165-170.

Perincioli, Christina [sic] (1983): Nike vor der Küchentür. Raketen im Hunsrück. Courage. Berliner Frauenzeitung 7, S. 8-10.

Piel, Emma (1989): Frauenwiderstand im Hunsrück. Aktionen gegen Sexismus und Militarismus. graswurzelrevolution. für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft 136 (September), S. 10.

Prozessbroschüre (1986): Selbstverlag Frauenwiderstand (Hrsg.): Prozess-Geschichte(n). Frauenwiderstandscamp Hunsrück, Köln, Selbstverlag, Juni (87 S.).

Quick (1983). Beitrag von Heiner Emde: Frauen proben den heißen Herbst. In: Quick September, S. 82-84.

Sammlung Braun: Privatarchiv Ulrike Braun (Maitzborn).

Sammlung Finnemann: Privatarchiv Maria Finnemann (Steffenshof).

Sammlung Koppert: Privatarchiv Claudia Koppert (Horstedt).

Sander, Helke (1980): Über Beziehungen zwischen Liebesverhältnissen und Mittelstreckenverhältnissen. Courage 4, S. 16-29.

Schmauch, Ulrike (1983): Selbstkritische Überlegungen zu Frauenfriedensaktionen. beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, S. 116-118.

Schmid, Michael (2007): 25 Jahre: »Schwerter zu Pflugscharen« – Einwöchige Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager in Großengstingen im Sommer 1982. 6.8.2007 Online: URL: http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/004561.html (download 1/2010).

Stern (1983): Beitrag von Almut Hielsche: Flötentöne gegen Nato-Raketen: In: Stern August, S. 98f.

SWR (1983): Das Frauencamp im Hunsrück, Bericht von Christa Tornow. Blick ins Land am 1.8.1983, SWR3-Rheinland-Pfalz (5’41’’).

Tagesschau (1983): Friedenscamp im Hunsrück, Bericht von Rutger Eicker. Tagesschau-Nachrichten um 20 Uhr am 23.7.1983 (1’17’’).

Wasmuht, Ulrike C. (1987): Friedensbewegungen der 80er Jahre. Zur Analyse ihrer strukturellen und aktuellen Entstehungsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika nach 1945: Ein Vergleich, Gießen.

Witte, Martina (2007): Lesbische Separatistinnen in der autonomen Szene. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 317f.

Anmerkungen

1) Müller, 2009, S.169 f.; vgl. z.B. Perincioli, 1983, S.13; Frauenwiderstand, 1985; Sammlung Braun; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010; Frauengruppen, 1983, S.25-35; Einige Frauen, 1984, S.234; Felsenheimer/Kornfeld/Ulmer, 1985, S.48. Recherchen, Text und Chronologie wurden ermöglicht durch finanzielle Förderung von Imedana. Institut für Medien- und Projektarbeit e.V. (Nürnberg) in Kooperation mit Frauentraum und Frauenwirklichkeit e.V. (Kludenbach) – herzlichen Dank. Mein herzlicher Dank gilt weiterhin meinen (Gruppen-)Interviewpartnerinnen und den Teilnehmerinnen der Fragebogenaktion, außerdem Maria Finnemann für ihre unermüdliche Unterstützung und in alphabetischer Reihenfolge für Materialien, Hinweise, Lektüren, Kontaktvermittlung etc.: Ingeborg Boxhammer, Ulrike Braun, Gabriele Dennert, Anita Heiliger, Claudia Koppert, Rita Kronauer vom ausZeiten Frauenarchiv (Bochum), Birgit Lindberg, Hanna Lindenberg, Norbert Pütter vom Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit/CILIP, Bürgerrechte & Polizei, Inge Rethfeldt, Astrid Rund, Christa Schikorra, Beate Selders, Trudel Trautner, Vanessa Tuttlies, Ute Weller und Martina Witte.

2) Vgl. Wasmuht, 1987, S.151; Frauen, die kämpfen, 1988, S.85f.; Maltry, 1993, S.148-150; Hollensteiner, 1995, S.130f.; Baetz/Dennert/Leidinger, 2007, S.175; Heiliger, 2007, S.93f.; Kagerbauer, 2008, S.73f.; 78; Textpassage und Fotodokumentation vgl. Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.126-132; 135; ausführlicher: Baldhoff/Schikorra, 1985; Lenz, 2008, S.819; 822; 831-833; Müller 2009.

3) Vgl. Frauengruppen, 1983, S.12; Handbuch, 1984, S.10; 14; 18; Camp-Abschiedsbrief Koppert/Lindberg, 1987; Frauenwiderstand, 1987, S.14; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.129; Baetz/Dennert/Leidinger, 2007, S.175; Witte, 2007, S.317; Sammlungen Braun, Finnemann und Koppert; Gruppeninterview, 2010; Leidinger, 2010a/b.

Christiane Leidinger ist freischaffende, promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lebt, lehrt und forscht v.a. in Berlin. Aktuelles Projekt: Widerstandskonzeptionen von alten und neuen sozialen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

»Gender Counts«

»Gender Counts«

10 Jahre UN-Resolution 1325 – Bilanz, Herausforderungen und Perspektiven

von Rita Schäfer

Ende Oktober 2010 jährt sich zum zehnten Mal die Verabschiedung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Die Resolution verlangt, Frauen und Mädchen vor sexualisierter Kriegsgewalt zu schützen, Frauen in Friedensverhandlungen und -missionen stärker einzubeziehen und »Gender«-Dimensionen bei allen Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogrammen zu berücksichtigen. Auf diese Weise soll der Gewalt Einhalt geboten und die Geschlechtergerechtigkeit in Nachkriegsgesellschaften gefördert werden. Schließlich bedroht die grassierende sexuelle Gewalt in vielen Nachkriegsgesellschaften den oft labilen Frieden.

Umsetzung der UN-Resolution 1325

Selbstkritisch merkte der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem letzten Jahresbericht zur UN-Resolution 1325 an, dass der Frauenanteil in zivilen und militärischen Kontingenten der UN-Friedensmissionen verschwindet gering sei. 2008 waren knapp 3% des militärischen Personals im UN-Auftrag Frauen. Nur eine einzige der weltweit 30 Friedensmissionen wurde von einer Frau geleitet. Bei Friedensverhandlungen betrug der Frauenanteil 7,6%; von einzelnen Ausnahmen abgesehen obliegt die Verhandlungsleitung nach wie vor Männern.

Nur bei den Aus- und Fortbildungsprogrammen zu »Gender«-Themen sieht der UN-Generalsekretär einige Verbesserungen. Wie notwendig »Gender«-Trainingsprogramme sind, illustrieren die zahlreichen sexuellen Misshandlungen durch Blauhelmsoldaten, die ganze Friedensmissionen in Misskredit bringen. Die Folgen sind Misstrauen, Verachtung oder gar Anfeindungen durch die lokale Bevölkerung, die eigentlich geschützt werden sollte. Allein zwischen 2007 und 2009 wurden 450 Fälle registriert, von denen aber nur 29 weiter verfolgt wurden. Allerdings ist die Dunkelziffer weitaus höher und die Überstellung der Täter an die Justiz ihrer Heimatländer bleibt häufig ohne juristische Folgen. Faktisch wird den oft minderjährigen Opfern Gerechtigkeit verwehrt; nicht nur die Eltern der missbrauchten Mädchen, sondern auch nicht-staatliche Frauenorganisationen prangern diese Straflosigkeit an.

Während der letzten Jahre nimmt ein Netzwerk von Nicht-Regierungsorganisationen die Implementierung der UN-Resolution 1325 in den einzelnen UN-Organisationen kritisch unter die Lupe. Es verlangt, dass internationale und nationale Akteure energischer gegen sexualisierte Gewalt vorgehen sollten. Man könne nicht allein den Frauenorganisationen eines Landes zumuten, der Gewalt Einhalt zu gebieten.

Seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre und dem Genozid in Ruanda 1994 forderten Frauenrechtlerinnen und Friedensexpertinnen die strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt. Jahrelang leisteten sie politische Lobbyarbeit für die Resolution 1325. Um so wichtiger sind die Einschätzungen der Vertreterinnen lokaler Organisationen, wenn es darum geht, nun die Umsetzung der Resolution 1325 auf nationaler und internationaler Ebene zu bilanzieren.

»Gender Counts«

Die internationale Konferenz »Gender Counts«, die vom 24.-26. März 2010 in Berlin stattfand, bot ein Forum für den Austausch zwischen Friedensaktivistinnen aus dem Kaukasus, dem Südosten Europas, dem Nahen Osten und aus Ostafrika. Veranstalter der dreitägigen Konferenz mit über 120 Teilnehmer/-innen war OWEN, die mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung. Gemeinsam mit dem deutschen Frauensicherheitsrat und dem Forum Ziviler Friedensdienst zielen sie darauf ab, vor allem zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren Gehör zu verschaffen. So gab es mehrere Arbeitsgruppen zum Erfahrungsaustausch über die konkrete Friedensarbeit und innovative Ansätze gegen Gewalt in den unterschiedlichen Regionen, Dialogforen mit hiesigen Nicht-Regierungs- und Geberorganisationen sowie Diskussionen mit deutschen und internationalen politischen Entscheidungsträgern.

Angesichts der Tatsache, dass es bislang keine genauen Indikatoren und keinen Zeitplan zur Umsetzung der Resolution 1325 gibt, verschleppen viele Länder die Umsetzung. So haben erst einzelne Regierungen nationale Aktionspläne erarbeitet. Mancherorts scheitert deren systematische Implementierung am politischen Willen und an finanziellen Ressourcen. Deshalb fordert der deutsche Frauensicherheitsrat seit langem eine kohärente Gesamtstrategie, eine geschlechterpolitische Konzeption, konkrete Umsetzungsvorgaben und überprüfbare Kriterien im Rahmen eines nationalen Aktionsplans. Diesen Forderungen wurde während der Diskussion mit Regierungsvertretern eine eindeutige Absage erteilt. Sie beriefen sich auf zahlreiche Einzelmaßnahmen, vor allem im Trainingsbereich. Die frühere Bundesregierung hatte einen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 mit dem Hinweis abgelehnt, »Gender« sei im Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention enthalten.

Demgegenüber betonte die ugandische Friedensaktivistin Ruth Ojimbo Ochieng, dass ein nationaler Aktionsplan der deutschen Regierung zur UN-Resolution 1325 einen geeigneten Rahmen schaffe, um den Missbrauch deutscher Entwicklungsgelder durch Eliten in afrikanischen Nachkriegsgesellschaften zu unterbinden und lokale Friedensaktivistinnen zu erreichen. Sie leitet seit vielen Jahren die Organisation ISIS/WICC in Kampala, die Studien zur Problemlage von Frauen in Nachkriegsgebieten durchführt und konkrete Vorschläge für Entwicklungsprogramme formuliert. Deshalb kennt sie die Korruptionsprobleme und sucht nach Gegenstrategien.

Auch Irene Dawa, die vor allem Jugendprojekte im Norden Ugandas und im Süd-Sudan durchführt, bekräftigte, dass die UN-Resolution 1325 ein sinnvolles Instrument sei, um Frauen in peripheren ländlichen Gebieten an Friedens- und Entwicklungsprogrammen zu beteiligen. Ihre Interessen und Bedürfnisse sollten von Entwicklungsplanern und politischen Entscheidungsträgern viel stärker beachtet werden. Sonst würden weiterhin zahllose Workshops zur Demokratieförderung veranstaltet, während gleichzeitig die Gesundheitssituation so problematisch sei, dass viele Frauen an einfach zu behandelnden Krankheiten sterben. Irene Dawa unterstrich, dass es ohne die Überwindung der gravierenden Missachtung von Frauen und der geschlechtsspezifischen Gewalt keine Demokratie und keinen Frieden geben kann.

Vernetzungen auf unterschiedlichen Ebenen

Diese Einschätzung teilte auch Flora Macula, die für UNIFEM im Kosovo arbeitet und grenzübergreifend mit serbischen Frauenorganisationen kooperiert. Zudem pflegt sie Kontakte mit Frauenrechtlerinnen in Bosnien-Herzegowina. Flora Macula erklärte, dass viele Frauenorganisationen ganz gezielt an Demokratisierungsprozessen und inter-ethnischen Dialogen arbeiten. Unter Berufung auf die UN-Resolution 1325 stärkt UNIFEM solche Frauenorganisationen. Flora Macula ist überzeugt, dass auf diese Weise auch geschlechtergerechte Rechtsreformen und politische Strukturveränderungen in Gang gesetzt werden. Sie schlug vor, dass Frauenorganisationen als wichtige zivilgesellschaftliche Interessenvertretungen die Regierungsarbeit im Bereich der Frauenrechte und Geschlechterpolitik kritisch beobachten sollten. Dafür seien Vernetzungen auf regionaler Ebene notwendig. Um das zu erreichen, muss der geschlechtsspezifischen Gewalt Einhalt geboten werden. Die »Gender«-Expertin weiß, dass die Gewalt ein zentrales Problem ist, dass Frauen aller Ethnien betrifft. Ihrer Meinung nach eint die Überwindung der Gewalt Frauen unterschiedlicher Herkunft.

Grenzüberschreitende Dialoge

Verknüpfungen zwischen gewaltgeprägter Männlichkeit und der Militarisierung einer Gesellschaft zeigten auch Friedensaktivistinnen aus dem Nahen Osten auf. So strebt die Organisation New Profile die Überwindung der Militarisierung und des Sexismus in der israelischen Gesellschaft an. Deshalb richtet sich die Kritik der politischen Machthaber auch immer wieder gegen sie. Die Organisation Al-Tariq (übersetzt »Der Weg«) bemüht sich, der Militarisierung der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft gegenzusteuern. Unter schwierigen Bedingungen veranstaltet sie Friedenscamps für palästinensische und israelische Jugendliche. In diesem Rahmen wird versucht, gewaltfreie Konfliktlösungen zu vermitteln. Diana Jarrar, eine junge Palästinenserin, und Noam Tirosh, ein junger Israeli, berichteten über ihre Projekte, die auf Einstellungsveränderungen abzielen. Gleichzeitig wiesen sie eindrücklich auf die großen Probleme hin, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind. So sind die Schwierigkeiten beim Aufbau von Verständigung sowie die Geschlechterkonflikte in ihren Gesellschaften vor allem durch die komplizierten und langjährigen politischen Konflikte begründet.

An grenzüberschreitenden Dialogprogrammen arbeiten auch Frauenorganisationen im Kaukasus. Ihr Bemühen gilt der Sensibilisierung von Lehrerinnen und Journalistinnen, die als Multiplikatorinnen für Versöhnung und Friedensstiftung gestärkt werden. Dabei beziehen sie sich auf die UN-Resolution 1325, die ausdrücklich die Potenziale von Frauenorganisationen in Friedensprozessen anerkennt. Um ihre vielerorts nicht ungefährliche Arbeit fortführen zu können, brauchen lokale Friedensaktivisten/-innen verlässliche Partnerschaften mit hiesigen Nicht-Regierungsorganisationen und internationalen Organisationen. Über bisherige Erfahrungen und zukünftige Erwartungen an solche Partnerschaften wurde während der Konferenz ganz offen diskutiert. Das war auch ein ausdrückliches Anliegen der Veranstalterinnen.

Die Konferenz »Gender Counts« verdeutlichte: Der Schutz vor Gewalt und die Verwirklichung von Frauen/Menschenrechten sind wesentliche Beiträge zur nachhaltigen Befriedung von Gesellschaften. Lokale Frauenorganisationen haben innovative Ansätze zur Überwindung gewaltgeprägter Männlichkeit und zur Demokratisierung im Sinne der UN-Resolution 1325 entwickelt. Diese sollten von politischen Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern beachtet werden.

Rita Schäfer

Gender-Jihad

Gender-Jihad

Grundlage für den islamischen Geschlechterfrieden

von Rabeya Müller

Das Verstehen des Begriffs »Islam« könnte im öffentlichen Leben kaum unterschiedlicher sein. Die einen verbinden damit die Vorstellung von Frieden und Hingabe an Gott, die anderen Gewalt und Terror, aber auch Unterdrückung von Frauen. Beides lässt sich von den jeweiligen ProtagonistInnen belegen, sei es durch qur’anische Texte, sei es durch reale Bilder. Nach außen hin wirkt es so, als würden sich muslimische Mädchen und Frauen in das vorgegebene Rollenschema einfügen und die bestehende Situation verteidigen während auf der anderen Seite sog. Islamkritikerinnen die Situation feministisch erkannt und analysiert haben. Wie sieht die Konstellation innerislamisch tatsächlich aus? Ist es möglich eine Friedenserziehung vom islamischem Verständnis durchzuführen, z.B. als Bestandteil eines konfessionellen islamischen Religionsunterrichts, die auch zu einem friedlichen Zusammenleben der Geschlechter führt? Welche Rolle spielt dabei Feminismus oder Geschlechtergerechtigkeit im Islam?

Kein Frieden ohne Geschlechterfrieden – wenn diese abgewandelte Form des Slogans von Hans Küng („Kein Friede ohne Religionsfrieden“) zitiert wird, reagieren viele muslimische Vertreter, aber auch Vertreterinnen mit einem gewissen Unverständnis.

Im allgemeinen wird der Begriff Islam mit der Konnotation Salam (Frieden) synonym gesetzt, beide haben die gleiche Wortwurzel. Was dies allerdings mit der Rolle der Geschlechter zu tun haben könnte, wird als irrelevant empfunden. Dies ist die offizielle »Heile-Welt-Version«, die seitens vieler muslimischer Gruppierungen vertreten wird. Auf der anderen Seite haben bereits viele muslimische Frauen erkannt, dass die patriarchale Auslegung ein Zustand ist, der Frauen einschränkt, sie domestiziert und von der Partizipation an der Macht abhält.

Traditionell liegt das Ziel darin, bestehende Rollenklischees zu verfestigen und neuere Machtansprüche des weiblichen Geschlechts zu kontaminieren. Dies geschieht auf geradezu subtile Weise unter den Augen der Öffentlichkeit, ja sogar unter deren Beihilfe. So wird z.B. viel über die Ausbildung von Imamen diskutiert und viele Hochschulen möchten diese Ausbildungsgänge zu sich holen. Schließlich geht es hier nicht nur um einen Machtfaktor, sondern auch um die Möglichkeit richtungsweisend für die islamische Theologie der nächsten fünfzig Jahre tätig zu werden. Staatlicherseits wird zwar zaghaft die Frage von Imaminnen vorgebracht, aber viel zu leicht lässt man sich hier mit der Aussage abwiegeln, dass es natürlich Imaminnen bzw. weibliche Hodschas gäbe – wohlwissend, dass diese zwar für den Unterricht, maximal für das Gebet von Frauen, aber keinesfalls für die Leitung einer Gemeinde eingesetzt werden.

Die Kontroverse um die Islamprofessorin Amina Wadud, die 2005 in New York als Frau ein Freitagsgebet von Männern und Frauen leitete, zeigt wie angstbesetzt die nach außen hin so widerstandsfähig wirkenden patriarchalen Kräfte sind. Die Reaktionen gingen quer durch die sog. Islamische Welt, von dem Vorwurf der Häresie, über die Betitelung als »Feindin des Islam« bis zur Abqualifizierung als »verwirrte Frau«. Wadud bekam es, auch persönlich, deutlich zu spüren, wie wenig offen viele muslimische Kreise Veränderungen gegenüber sind, besonders wenn sie die traditionelle Religionsausübung betreffen.

In ihren Büchern, vor allem in dem Werk »Inside the Gender Jihad«1 plädiert sie explizit für eine Pluralität in Bezug auf Meinungen und Lebensentwürfe, insbesondere auch auf die Perspektiven der Qur’aninterpretation. Hierbei stellt sie die dynamische Interaktion zwischen dem Lesenden und dem Text in den Mittelpunkt.

Für Wadud, wie für viele andere Vertreterinnen einer geschlechtergerechten Sichtweise auf den Qur’an, ergibt sich aus dessen Lektüre eine werkimmanente Geschlechtergerechtigkeit, die eine egalitäre Kernbotschaft des Qur’ans verdeutlichen. Viele dieser Ideen konnten in der frühislamischen Zeit nicht unmittelbar umgesetzt werden, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse dafür noch nicht bereit waren. Fatal ist nur, dass offenkundig die Stellen, die augenscheinlich der Gleichheit widersprechen, sofort verwirklicht und etabliert werden konnten.

Dass es sich hierbei um eine kontextuelle Interpretation handelt, möchten viele ausblenden. So wie Übersetzungen stets eine Interpretation des Textes darstellen, sind auch Exegesen nie ein Endprodukt. Die quasi »offene Struktur des Buches« eröffnet die Möglichkeit unterschiedliche Perspektiven zuzulassen ohne sich dem Vorwurf der Beliebigkeit auszusetzen.

Gerade auch deshalb ist es notwendig Gender als eine Denkkategorie wieder ins Bewusstsein zu bringen, um einen zwar kontroversen, aber auch friedlichen Diskurs hinsichtlich der Geschlechterdifferenz zu ermöglichen.

Auf vielen anderen Gebieten sind Reformen zwar kritisiert, aber dennoch zugelassen worden, etwa als Muhammad Abdu Bankzinsen für zulässig erklärte, nur in Bezug auf die sog. Frauenverse und der damit verbundenen Genderfrage scheint weder ein Einlenken noch ein Kompromiss möglich.

Wie erwähnt ist dies allerdings eine Tendenz, die von nichtmuslimischer Seite beabsichtigt oder unbeabsichtigt unterstützt wird.

Exegetischer Friede oder friedliche Exegese?

Ein weiteres Beispiel ist, wenn in zugelassenen Lehrplänen davon die Rede ist, dass die »einschlägigen« Verse zur Erschaffung des Menschen (u.a. Sure 4:1-3 oder 49:13) gekannt werden sollen, aber nirgendwo die Rede davon ist, welche Übersetzung hierfür genutzt werden soll; auch hier besteht die Gefahr patriarchale Strukturen zu verstärken. Denn die vorgegebenen Verse können sowohl geschlechtergerecht als auch patriarchal gelesen werden, wie das Beispiel der Schöpfungsgeschichte belegt (siehe Kasten).

Patriarchale Übersetzung Geschlechtergerechte Übersetzung
Sura An-Nisa‘ (Die Frauen) (offenbart zu Al-Madina) 176 Ayat Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen! O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen; und aus ihm erschuf Er seine Gattin, und aus den beiden ließ Er viele Männer und Frauen entstehen. Und fürchtet Allah, in Dessen Namen ihr einander bittet, sowie (im Namen eurer) Blutsverwandtschaft. Wahrlich, Allah wacht über euch.[4:1] [1] Sura An-Nisa‘ (= Die Frauen, offenbart zu Madina, 176 Ayat)
„Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen! Ihr Menschen, seid ehrfürchtig gegenüber eurem Rabb, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen; Aus ihm erschuf Er das (entsprechende) Partnerwesen und aus den beiden ließ Er viele Männer und Frauen entstehen. Und seid ehrfürchtig gegenüber Gott, in Dessen Namen ihr einander bittet, ……[4:1]“ *
* (Zentrum für Islamische Frauenforschung- und Frauenförderung: „Ein einziges Wort ..“, Köln 2005.)

Zumindest wäre es sinnvoll diese beiden möglichen Übersetzungen miteinander zu vergleichen und deren Wirkung entsprechend zu diskutieren. Statt dessen werden die Verse zu häufig zur Bestätigung und Verfestigung bestehender Rollenklischees genutzt, anstatt einen qur’anhermeneutischen Schwerpunkt zu setzen. Was gänzlich im Lehrplan fehlt und die anderen Verse unter einem entsprechenden Aspekt interpretierbar macht ist, dass der Qur’an die Beziehung der Geschlechter an der gegenseitigen Zuneigung festmacht: „Und zu Seinen Zeichen gehört es, dass Er euch aus Erde erschuf; alsdann, seht, seid ihr Menschen geworden, die sich vermehren.[30:20] Und ebenfalls zu Seinen Zeichen gehört es, dass Er Partner und Partnerinnen für euch aus euch selber schuf, damit ihr Frieden bei ihnen finden möget; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Hierin liegen tatsächlich Zeichen für ein Volk, das nachdenkt.“[30:21]

Erst hier wird der Kontext klar, um den es in den vielen anderen Qur’anstellen geht. Aber diese Kontextualisierung, die damit verbundene Reflexion und kritische Fragestellung sind in vielen Gruppierungen nicht erwünscht und dem wird auch öffentlich Rechnung getragen – eventuell, um ein bestimmtes Bild vom Islam zu erhalten oder um sich die entsprechenden Gruppierungen gewogen zu halten.

Diese klischeehafte Vorstellungen von den Geschlechterrollen durchsetzen viele Themen in den Lehrplänen, auch so harmlos erscheinende wie das Thema Fasten: „Es ist euch erlaubt, euch in der Nacht des Fastens euren Frauen zu nähern; sie sind Geborgenheit für euch und ihr seid Geborgenheit für sie. Allah weiß, dass ihr gegen euch selbst trügerisch gehandelt habt, und Er wandte euch Seine Gnade wieder zu und vergab euch. So pflegt nun Verkehr mit ihnen und trachtet nach dem, was Allah für euch bestimmt hat. Und esst und trinkt, bis der weiße Faden von dem schwarzen Faden der Morgendämmerung für euch erkennbar wird. Danach vollendet das Fasten bis zur Nacht. Und pflegt keinen Verkehr mit ihnen, während ihr euch in die Moscheen zurückgezogen habt. Dies sind die Schranken Allahs, so kommt ihnen nicht nahe! So erklärt Allah den Menschen Seine Zeichen. Vielleicht werden sie (Ihn) fürchten.“[2:187]

Hier wird augenscheinlich von einem aktiven männlichen Part und einem passiven weiblichen ausgegangen. Es ist ein Beispiel für einen Text, der ohne entsprechenden azbabun-nuzul (Grund für die Offenbarung) frauenfeindlich genutzt werden kann. Dabei ist wichtig zu wissen, dass hier offene Fragen in der frühislamischen Gemeinde vorlagen lediglich den Zeitumfang des Fastens betreffend um diesen ähnlich dem anderer Religionsgemeinschaft zu gestalten. Es geht eindeutig um das Aussetzen des Fastens während der Nacht.

Islamischer Religionsunterricht – Basis für Geschlechtergerechtigkeit?

Anhand der Interpretationsmöglichkeiten nur der wenigen, bisher genannten Verse ist erkennbar, welchen Stellenwert die Bearbeitung des Themas Frieden, hier speziell des Geschlechterfriedens im Unterricht haben sollte:

„Im Religionsunterricht werden Kinder oft erstmalig an eine strukturelle Aufarbeitung der Themen Frieden und Gewalt herangeführt. Das bedeutet ihre bisherige Sozialisation hat die Vorkenntnisse und »Vorurteile« zu diesem Thema bereits entscheidend geprägt. Auch die katechetischen Belehrungen haben häufig eine prägende Wirkung.

Umso wichtiger ist es, dass Kinder einen eigenen Zugang zu ihren Quellen erarbeiten, der ihnen auch Instrumentarien an die Hand gibt, selbst diese Quellen zu erschließen und eigene Rückschlüsse für ihr Leben zu ziehen. Das ist im Hinblick auf die Tatsache, dass Elternhaus und Gemeinde oft stärker an der Wahrung der Traditionen der jeweiligen »Volksreligion« interessiert sind, nicht gerade fazil.

Somit hat Religionsunterricht (RU) nicht nur die Funktion theologisches Wissen zu vermitteln, sondern auch das Wissen zu benutzen, um Zusammenhänge erfassen und Komplexität analysieren zu können. Jede Religionsgemeinschaft erhebt den Anspruch ihre Kinder zum Glauben hin erziehen zu wollen, allerdings gehört dazu das Wissen über die Religionen und die zu erlernende Fähigkeit, aus dem eigenen Religionsverständnis heraus gemeinsames, friedliches Zusammenleben in Respekt voreinander miteinander gestalten zu können.

Die verschiedenen Religionsgemeinschaften betrachten diese Voraussetzungen mit unterschiedlicher Gewichtung. Einerseits erschließt sich uns eine klare Sachebene, auf der Friedenskompetenz erarbeitet werden kann. Das lässt sich sowohl im konfessionellen, als auch im interreligiösen Unterricht bewältigen. Andererseits gibt es aber noch die persönliche und damit sehr emotionale Ebene der Friedenskompetenz, die auch abhängig ist vom Friedenswillen, der wiederum durch entsprechendes theologisches Sachwissen unterstützt werden soll.“ 2

Der Respekt vor dem Andersdenkenden ist nicht ausschließlich auf Angehörige anderer Glaubensvorstellungen und Ideologien gerichtet, sondern zugleich grundsätzlicher Natur – denn er beinhaltet z.B. auch den Respekt vor dem jeweils anderen Geschlecht, also bedarf es ebenfalls einer Friedenserziehung in der Geschlechterdifferenz. Wie gezeigt, beginnt dies bereits bei der Schöpfungsgeschichte, wo der jeweilige Schöpfungsbericht entweder durch Interpretation oder durch gezielt gelenkte Übersetzungen frauenfeindlich überliefert wird.3

So wie hinter der Konnotation von Religion und Gewalt meist der Absolutheitsanspruch auf Besitz der Wahrheit steht, setzt sich dies in der Durchsetzung von bestehenden Rollenstrukturen weiter fort. Obwohl weitgehend betont wird, dass der Islam eine körperfreundliche Religion sei, was durch den Qur’an auch durchaus belegbar ist, ist die traditionelle Haltung vieler Musliminnen und Muslime (so wie dies auch in anderen Religionsgemeinschaft als Trend erfasst werden kann) eher geeignet weibliche Sexualität unter Kontrolle zu halten.

Sex, Gender und Gewalt?

Die Differenzierung von »sex« als biologischem Geschlecht und »gender« als sozialem Geschlecht findet nur selten Niederschlag im Bewusstsein muslimischer Schülerinnen und Schüler. Das bedeutet auch wenig Veränderungen im Bewusstsein der alltäglichen religiösen Praxis. Eine Situationen, die viele sog. Islamexperten zu der Ansicht verleitet, dass die patriarchalen Strukturen, durch religiöse Vorgaben begünstigt werden und damit der Religion allein die Schuld für die desolate Situation vieler muslimischer Frauen zukommt. Oft genug gipfelt dies in der Forderung, die Religion möglichst abzuschaffen.

Die von einigen Musliminnen und Muslimen oft vorschnell eingebrachte Absicht religiöse Überzeugungen mit Hilfe von Gewalt oder deren Androhung Nachdruck zu verleihen, führt zu einer Konstellation von Intoleranz gepaart mit extremistischen Vorstellungen, die den sog. IslamkriterkerInnen und deren Einschätzungen Vorschub leistet.

Wenn also das Thema Gewalt in der Vielfalt seiner emotionalen Facetten (wie Angst, Abscheu, aber auch Faszination und Begeisterung) lebensgeschichtlich schon früh eine tragende Rolle spielt, ist damit auch die religiöse und ethische Entwicklung des Menschen angesprochen. Die entscheidende Zuspitzung liegt aber darin, dem Phänomen in seiner geschlechtsspezifischen Dimension Rechnung zu tragen. Allerdings – und das macht die Kombination der Fragestellung nach Religion, Gewalt und Geschlecht besonders brisant – ist dies forschungswissenschaftlich Neuland, denn die Untersuchungen zu Religion und Gewalt blenden zumeist die Genderthematik aus, während die vor allem sozialwissenschaftlich boomenden Studien zur Männlichkeit der Gewalt den religiösen Blickwinkel vernachlässigen. Wir kommen jedoch nicht umhin, beide Stränge im Gewaltdiskurs einzubinden, um auf die Notwendigkeit weiterer Forschung hinzuweisen.

Kinder und Jugendliche sehen sich einer bestimmten Erwartungshaltung seitens der Eltern und der Gemeinschaft ausgesetzt, was sie im Religionsunterricht lernen sollen und leiten diesen Druck bewusst oder unbewusst an die jeweilige Lehrkraft weiter. Eltern ihrerseits sind oft von Ängsten besetzt und fürchten den Verlust religiöser Werte.

Werte sind wissenschaftlich gesehen oft sehr eingeschränkt auf fachimmanente Kategorien bezogen. In der islamischen Theologie z.B. ist jedoch eine Möglichkeit der werkimmanenten Interpretationsmöglichkeit des Qur’an (d.h. die Instrumentarien für die Interpretation liefert das Buch selbst) bekannt.

Die Wahrung der religiösen Werte z.B. im »Volksislam« verlangen augenscheinlich nach ausgeprägter normativer Pädagogik. Dem entgegen steht die Vorstellung einer Schuldidaktik, dass Schülerinnen und Schüler die obligatorischen Werte selbst erarbeiten und analysieren sollten und somit einen eigenen Zugang zu religiöser Wahrheit konzipieren. Ein solcher Unterricht ist prozessorientiert dem spezifisch subjektiven Lernen angepasst. Dieser emanzipatorische Ansatz stellt hohe Anforderungen an die Lehrkräfte und die Zugeständnisfähigkeit der Eltern, die oft ganz andere Erwartungen an einen konfessionellen Religionsunterricht in der Schule haben.

Die Forderungen an die Lehrkräfte, hierbei eine neutrale Rolle einzunehmen, erscheint manchmal als eine Illusion und wahrscheinlich wäre nur die Vermittlung ideologiekritischer Instrumentarien dazu geeignet ein neutrales Element mit einzubringen, welches berücksichtigt, dass Lehren stets mit eigenem Lernen verbunden ein wechselseitiger Prozess ist.

Grundsätzlich sind beide Geschlechter, d.h. Mädchen und Jungen, Mütter und Väter, Lehrerinnen und Lehrer betroffen, wobei sich aber augenscheinlich vornehmlich bei der jüngeren Generation der nicht ausgetragene innerislamische Konflikt um den Geschlechterdiskurs zunehmend nach außen richtet und zu einer Art Radikalisierung führt. Besonders junge Musliminnen empfinden sich in ihrer muslimischen Identität nicht ernst genommen. Sie erleben bei den zarten Versuchen als eigenständige muslimische Persönlichkeiten wahrgenommen und akzeptiert zu werden die Zurückweisung großer Teile der nichtmuslimischen Gesellschaft sehr schmerzhaft. Denn auch in der nichtmuslimischen Gesellschaft verschwimmen die Grenzen zwischen Tradition und Religion nur allzu oft – zu intensiv war die Vorgabe der »IslamkritikerInnen«. Die Antwort der Islamischen Seite ist oft eine Apologetik, die die Selbstkritik zu einem Verrat werden lässt.

Friedensfähigkeit durch Friedenserziehung

Da ist zunächst die persönliche Ebene, die stark auch mit dem Begriff der Identitätsbildung verbunden ist: „Auch religiöse Identitäten stehen immer in bestimmten historischen Zusammenhängen und sind keine anthropologischen Konstanten. Sie haben vielmehr teil an Traditionslinien und -brüchen der je eigenen und der allgemeinen Geschichte und entwickeln sich also immer in bestimmten Erfahrungszusammenhängen von erlebter oder doch wahrgenommener Geschichte….“ 4

Hier ist der Weg zuerst einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und in Einklang mit sich selbst zu kommen. Kindern und Jugendlichen sollte vermittelt werden, dass ein solch eigener Standpunkt, auch vor der eigenen Religion und Religionsgemeinschaft legitim ist, wobei aber dieser eigene Standpunkt keinen Absolutheitsanspruch entwickeln sollte.

Dabei wird sich natürlich immer wieder die Frage nach der Wahrheit bzw. dem Wahrheitsanspruch in den Vordergrund drängen; eine Frage, die, aufgrund der Tatsache, dass entsprechende Vorstellungen Eingang in pädagogisches Handeln bekommen, uns auch weiterhin in hochbrisanter Weise beschäftigen wird.

Traditionsträchtige Werte scheinen meist nicht kombinierbar mit Reflexionsansprüchen. Kinder wollen ihren Eltern gefallen und übernehmen manchmal in geradezu schizophrener Weise die Werte mit einem Teil ihrer Persönlichkeit, sind aber im Alltag oft mit ganz anderen Realitäten konfrontiert und setzen viel daran die traditionellen Werte zu verteidigen, sogar wenn dabei der Wert des Friedenserhalts außen vor gelassen wird. So haben wir eine Rankingliste der Werte, bei der Frieden offensichtlich weit unten rangiert. Unreflektiertes Wissen kann jedoch keinen friedensfördernden Denkprozess in Gang setzen. Wer z.B. nur gelernt hat, dass Islam Frieden heißt, ohne dabei einen Bezug zur eigenen Lebensrealität zu entwickeln, glaubt zunächst, dass dieses Wissen ausreichend sei. Bei der nächstbesten Konfliktsituation jedoch tritt ein realer Mechanismus in Kraft, bei dem das reproduzierte Wissen völlig in den Hintergrund tritt und das »Gesetz der Straße« greift. Das bedeutet, auch Gewalt ist augenscheinlich eine Lösung.

Als nächstes steht »das Frieden-Schließen« mit der eigenen Familie und der eigenen Gruppe an. Wobei auch hierbei wesentlich ist die Problematik nicht im anderen zu sehen, sondern zunächst eine Selbstproblematisierung vorzunehmen, die einen eigenen Lösungsansatz ermöglichen und nicht den Ist-Zustand als gegeben betrachten lassen. Keine Kritik ohne Selbstkritik könnte hier das Motto lauten. Den Mut zu fassen die Deutungshoheit nicht in den Händen einiger Weniger zu lassen und das Recht über die Schrift nachzudenken und darüber zu diskutieren. Das gilt für allgemein theologische Bereiche ebenso wie für alle Tabuthemen und das in jeder Religionsgemeinschaft.

Erst dann ist im eigentlichen Sinn auch eine Friedenserziehung im interreligiösen und interkulturellen Bereich möglich, d.h. Religionsunterricht dient auch der »Entfeindung des Andersdenkenden«. Es gilt das Interreligiöse und Interkulturelle in der eigenen Religion entdecken, was heißt auf der Ebene der Geschöpflichkeit jegliche Dominanzansprüche fallen zu lassen. Wenn der Mensch sich in seiner Subjektivität begreift, aber als ein von Gott gewolltes Wesen, kann er sich ohne Verlust von Selbstachtung seiner eigenen Überzeugung als subjektiv stellen, die anderen mit sich auf gleicher Ebene betrachten und sich beruhigt in »Gott hineinfallen lassen«.

Die Religion an sich benötigt keine Verteidigung, ebenso wie Gott nicht einer Verteidigung durch den Menschen bedarf. Das ist wesentlich im Hinblick auf einen friedlichen Umgang mit sich, der eigenen und anderen Religionsgemeinschaften und der Mehrheitsgesellschaft.

Obwohl es in den einzelnen Religionen und Ideologien verstärkt Ansätze zu interreligiösem und interkulturellem Handeln und Agieren gibt, ist die Umsetzung in die eigene Lebensrealität schwieriger denn je.

Auch im Religionsunterricht ist es mehr denn je nötig verständlich zu vermitteln, dass demokratisches Denken und Handeln nicht im Widerspruch zur eigenen Religion stehen, was jedoch ebenfalls voraussetzt, dass demokratische Strukturen in gleichem Maße für alle Mitglieder der Gesellschaft gelten, was sie zwar formell tun, in der Realität erleben sich jedoch z.B. religiös orientierte Menschen ausgegrenzt und das Bekenntnis zu einer religiösen Orientierung kommt einem Outing gleich, das oft ein Spießrutenlaufen nach sich zieht.

So ergeben sich aus dem Alltag heraus wesentliche Punkte, die Einfluss auf Friedensdenken und somit auch auf den RU haben.Nicht umsonst sprechen wir von einer Bedrohung des sozialen Friedens und damit ist nicht mehr allein der Frieden in den Betrieben etc. gemeint, sondern das Nicht-Vorhandensein sozialer Gerechtigkeit und das stets zunehmende soziale Gefälle durch das Wegbrechen der Mittelschicht. Das erschwert in den meist heterogenen Klassen und Gruppen den Zugang zum Friedensbegriff überhaupt. Eine Gesellschaft, die auf sozialen Ausgleich bedacht ist, hat es auch einfacher mit der Erziehung zum Frieden.

Möglichkeiten und Grenzen

Gerade die Erarbeitung der Unterschiede als Potential für Pluralität und nicht Antagonismus bietet eine Chance in der Friedenserziehung. Wenn Unterschiede bearbeitet und als Thema »normalisiert« werden, wird durch Vielfalt die Aggressivität entzogen. Dabei ergeben sich Möglichkeiten sich auf das Andere, das Fremde einzulassen und dabei eigene grenzenüberwindende Potentiale zu entdecken.

Junge muslimische Männer versuchen ihrer, so oft formuliert »gottgegebenen« Rolle gerecht zu werden. Diese Rolle zeichnet sich durch die Vorstellung einer spezifischen Dominanz in Familie und Gemeinschaft aus, die der augenscheinlichen sozialen Unterlegenheit in der realen Sozialstruktur entgegensteht. Während junge Frauen nach zwei Seiten gegen ihre von außen verordnete Einordnung in ein Rollenklischee kämpfen, tun junge Männer dies zum Erhalt dieses Musters, obwohl auch sie diese ideologischen Vorgaben oft kritisch sehen.

Die von außen verordnete oder an die Zielgruppen herangetragene Kritik bleibt allerdings meist wirkungslos, da diese, zielgerichtet auf die Religion abgestimmt, mehrheitlich als deplaciert empfunden wird, d.h. sie trifft nicht »des Pudels Kern«.

Was tatsächlich in Frage gestellt wird sind die geschlechtsspezifischen Vorgaben im Erziehungsstil. Muslimische Kinder und Jugendliche analysieren bei entsprechender Kenntnis qur’anischer Instrumentarien sehr wohl, dass theologisch keine Grundlage für die strukturelle Rollenvergabe vorhanden sind, denn außer Schwangerschaft und Gebärfähigkeit sieht der Qur’an explizit keine unterschiedliche Rollenverteilung vor. Diese Analyse führt einerseits dazu, dass innerislamisch der Diskurs über religiöse Rollenmuster in Bewegung kommt, dass andererseits durch die von außen angewandten Zuschreibungen das Gewaltpotential wächst, und zwar auch bei Mädchen und jungen Frauen.

Gerade Musliminnen fühlen sich zunehmend durch den Qur’an dahingehend bestätigt, dass Gott, der im Islam selbst als geschlechtslos gilt, da Geschlechtlichkeit eine Eigenschaft des Geschöpfs ist, kein Geschlecht bevorzugt oder benachteiligt. Gott wird zwar oft mit nahezu menschlichen Eigenschaften versehen, aber die sind ebenso männlich wie weiblich einzuordnen und gerade deshalb keinem Geschlecht zuordbar.

Die Aufgabe religiöser Bildung darf allerdings hier nicht stehen bleiben. Es geht darum diese Erkenntnisse in den Alltag zu integrieren und in die Praxis umzusetzen. Ein guter Weg dorthin ist auch die »Ent-Theologisierung« der alltäglichen Probleme, um sie als das zu entlarven, was sie tatsächlich sind, nämlich Genderkonstrukte im Hinblick auf die Fragwürdigkeit von Machtstrukturen. Diese Form der Bildung sollte, ausgehend vom schulischen Bereich, auch auf die Erwachsenenbildung ausgedehnt werden, um auch hier die tradierten Identitätsbilder in Frage stellen zu können. Die Entwicklung einer entsprechenden Diskussionskultur ist die Grundlage nicht nur des Geschlechterfriedens sondern des friedlichen Miteinanders der Gesamtgesellschaft.

Anmerkungen

1) Amina Wadud: Inside the Gender Jihad, One World Publication, Oxford 2006.

2) Rabeya Müller / Reinhold Mokrosch: „Islamische und christliche Perspektiven für Friedenserziehung in der Schule“ in Werner Haußmann u.a.: Handbuch Friedenserziehung, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, S.342ff.

3) siehe auch hierzu: Rabeya Müller: „Wer den Wind sät …den weht dieser an einen fernen Ort“ in Predigthilfe / Ökumenische Friedensdekade, Aktion Sühnezeichen (Hrsg.) , Ausgabe August 2003 (S.II34 ff).

4) Rudolf von Thadden: Identifikation im demokratischen Gemeinwesen in Wolfgang Schultheiß (Hrsg.): Zukunft der Religionen, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003, (S.81-85).

Rabeya Müller ist Leiterin des Instituts für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik in Köln.

Religion, Gewalt, Geschlecht

Religion, Gewalt, Geschlecht

Gender als vernachlässigte Frage im Diskurs religiöser Gewaltforschung

von Elisabeth Naurath

Beim Betrachten der Thematik »Religion und Gewalt« wird zumeist und vorrangig der Aspekt eines absolut gesetzten Wahrheitsanspruchs mit dem Entstehen fundamentalistischer (und damit tendenziell intoleranter) Einstellungen diskutiert. Die religiöse bzw. ethisch-moralische Entwicklung als Baustein der Disposition zu Gewalt(bereitschaft) ist demgegenüber nicht im Blick. Folglich wird auch die im Zuge der ethischen Bildung stark diskutierte Gender-Thematik für den Zusammenhang von Religion und Gewalt weitgehend ignoriert. Beide Perspektiven sollen in der folgenden gebündelten Fragestellung in den Vordergrund treten, um die Dringlichkeit weiterer Forschung aufzuzeigen: Welche Rolle spielen Geschlecht und Religion für die Entwicklung von Gewaltbereitschaft?

Was hat Religion mit »sex and crime« zu tun? Das Thema »Religion, Gewalt, Geschlecht« weckt zunächst Assoziationen an leib- und sexualfeindliche Traditionen christlicher Kirchengeschichte (vgl. Lämmermann 2002; Holl 2005) oder auch an Differenztheorien, die im religiös manifestierten Dualismus zwischen Mann und Frau den Ursprung aller Sünde und Gewalt sehen (vgl. Heininger, Böhm, Sals 2004). Doch diese Perspektive sollte meines Erachtens mit Hilfe der Differenzierung von »sex« und »gender« und im Kontext international und transdisziplinär ausgerichteter Geschlechterstudien erweitert werden: „But gender itself has on many occasions proven to be a very useful interpretive tool in deciphering subtexts of the modern world, analyzing sociological, historical and cultural developments at a point when they have not yet become ‚speakable‘.“ 1

Ein Praxisbeispiel soll diese These illustrierten (Naurath 2007, 30): In einer dritten Grundschulklasse wurde im Religionsunterricht anhand der Jakob-Esau-Geschichte das Thema »Segen« behandelt. Die Kinder sind aufgefordert, ein eigenes Bild zu malen mit der Überschrift »Segen in meinem Leben«. Ein neunjähriger Schüler zeigt der Lehrerin sein Bild, auf dem er Krieg gemalt hat: Panzer, Flugzeuge mit Bomben etc. Die Lehrerin fragt ihn erstaunt, was das mit Segen zu tun habe. Darauf antwortet der Schüler: „Ach, Krieg zu malen ist viel spannender. Ich werde am Schluss alles rot durchstreichen, dann ist es ein Friedensbild!“

Dieses frappierende Beispiel aus dem Religionsunterricht zeigt die Faszination von Gewalt, die ein Segens- oder Friedensbild im Vergleich zu action- geladenen Szenarien auch schon für – nach meiner Erfahrung vorrangig männliche – Grundschulkinder als langweilig erscheinen lässt. Das mag erschrecken, ist aber als Phänomen zunächst wahrzunehmen und nach seinen Hintergründen zu befragen. Könnte es sein, dass vor allem Jungen von Macht, Stärke, Gewalt und medialen Helden fasziniert sind, weil sie eigene Gefühle der Ohnmacht und des »Noch-nicht-Könnens« angesichts impliziter Erwartungen an ihre Geschlechterrolle dadurch kompensieren? Begeistern die magischen Künste Harry Potters die Heranwachsenden so sehr, weil hier Grenzen der Wirklichkeit machtvoll durchbrochen werden können? Drückt sich darin auch eine Sehnsucht nach Befreiung von Konventionen oder Stereotypisierungen aus? Im Blick auf den Religionsunterricht wäre dann zu fragen, inwieweit diese Sehnsucht auch als Sehnsucht nach Gott respektive nach dem Heiligen als Entgrenzendem wahr- und ernst zu nehmen ist. Dies insbesondere, da das Heilige nach Rudolf Otto »fascinosum et tremendum« (also Faszinierendes und Erschreckendes) in sich vereint und sich damit einseitigen Zuschreibungen sperrt. Verständlicherweise wird also eine Religionsdidaktik, die nur den »allzeit lieben Gott« vermitteln will, in ihrer Einäugigkeit Dimensionen des Gottesbildes und der Gottessehnsucht ausblenden, die – religionspsychologisch betrachtet – vor allem für männliche Kinder und Jugendliche bedeutsam sind, wie an dem Praxisbeispiel offensichtlich wurde.

Wenn also das Thema »Gewalt« in der Vielfalt seiner emotionalen Facetten (wie Angst, Abscheu, aber auch Faszination und Begeisterung) lebensgeschichtlich schon früh eine tragende Rolle spielt, ist damit auch die religiöse und ethische Entwicklung des Menschen angesprochen. Die entscheidende Zuspitzung liegt aber nun darin, dem Phänomen in seiner geschlechtsspezifischen Dimension Rechnung zu tragen. Allerdings – und das macht die Kombination der Fragestellung nach Religion, Gewalt und Geschlecht besonders brisant – bewegt man sich hier forschungswissenschaftlich auf Neuland, denn die Untersuchungen zu Religion und Gewalt blenden zumeist die Gender-Thematik aus, während die vor allem sozialwissenschaftlich boomenden Studien zur »Männlichkeit« der Gewalt den religiösen Blickwinkel vernachlässigen. Wir kommen jedoch nicht umhin, beide Stränge im Gewaltdiskurs einzubinden, um auf die Notwendigkeit weiterer Forschung hinzuweisen.

Welche Rolle spielt das Geschlecht für den Gewaltdiskurs?

Es scheint nicht übertrieben, den öffentlichen Diskurs zur Gewaltthematik in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsbedingungen zu sehen: Ob man tatsächlich von einem deutlichen Gewaltanstieg in unserer Gesellschaft sprechen kann oder ob hier ein wahrnehmungspsychologisches Problem vorliegt, das die (vor allem mediale) Bewusstmachung zu einem Prozess ständiger Bewusstwerdung aufgrund höherer Aufmerksamkeit führt, gleicht der Frage nach der Priorität von Huhn oder Ei. Kriminologische Statistiken konstatieren zwar eine Verjüngung und Verrohung von Gewalttaten, machen jedoch die mediale Fokussierung auf gewalttätige Einzelphänomene für den Eindruck einer im Kinder- und Jugendkontext wachsenden Gewalt verantwortlich. Ähnliche Wahrnehmungsprozesse liegen für die Behauptung eines grundsätzlich »männlichen Gesichts« der Gewalt auf der Hand. Während noch in den 1980er Jahren die Geschlechterthematik in der Gewaltforschung weitgehend unbeachtet war, erregt heute die gezielte forschungswissenschaftliche Frage „Wie kommt die Gewalt in die Jungen?“ (Kassis 2003) keinen Widerspruch. Im Zuge der Geschichte des Feminismus, die zum Teil zu einer »Genderisierung« sozialwissenschaftlicher Forschungen geführt hat, begann ein Bewusstseinswandel, der mitunter zu Recht als erneuter Biologismus via ständiger Kategorisierung von »sex« und »gender« gesehen wird. Problematisch ist insbesondere die Flut an Ratgeberliteratur, die die kritische Jungen- und Männerforschung nur verkürzt und damit verfälscht in einseitigen Sichtweisen »unters Volk bringt« und damit weiterhin rollenspezifische Klischees bedient. Hierbei fallen drei Stoßrichtungen der Argumentation auf (vgl. Schultheis, Fuhr 2006, 16ff.): der »Arme-Jungen«-Diskurs, der »Die-Schule-versagt«-Diskurs und der »Wie-Jungen-sind«-Diskurs. Die Probleme männlicher Identitätsentwicklung fokussiert der »Arme-Jungen«-Diskurs, indem resümiert wird, dass der Wandel der Geschlechterrollen für die heranwachsenden Jungen zu einem unlösbaren Paradox geführt habe: einerseits sollten sie Stärke nach dem Muster traditioneller Männlichkeitsvorstellungen und andererseits emotionale Kompetenzen wie Sensibilität und Einfühlungsvermögen entwickeln. Die Konfrontation mit zwei einander widersprechenden Männerbildern führe jedoch zu starker Verunsicherung, welche sich wiederum in wachsender Aggression und Gewaltneigung ausdrücken kann. Daran anknüpfend sieht der »Die-Schule-versagt«-Diskurs eine deutliche Benachteiligung der Jungen in schulischen Lerninhalten und -formen sowie Leistungsmaßstäben, da die Unterrichtsorganisation den eher extrovertierten und raumgreifenden, männlichen Interessen entgegenstünden. Auch diese in gewissem Sinn falschen Anforderungen an Heranwachsende männlichen Geschlechts bergen ein eklatantes Konfliktpotential in sich, die aufgrund der biologischen Disposition – hier wird vor allem mit dem erhöhten Testosteronspiegel als »Männlichkeitshormon« argumentiert – die Gewaltbereitschaft der Jungen stark erhöhe. Diese Argumentation des »Wie-Jungen-sind«-Diskurses hat im pädagogischen Kontext eine auf besonders problematische Weise »entlastende« Funktion, die ideologiekritisch zu entlarven ist: Wenn Eltern von einem Vortrag zum männlichen Testosteronspiegel kommen und sich nun endlich das Aggressionspotential ihres Sohnes erklären können, ist die entschuldigende Wirkung nicht nur eine Absage an pädagogische Bemühungen, sondern erinnert an traditionell-rollenstereotype Einstellungen, die angesichts männlicher (auch sexueller) Gewaltneigung gerne mal ein Auge zudrückt. Demgegenüber verweisen Studien der kritischen Jungen- und Männerforschung darauf, Gewalt nicht vorschnell als Form männlicher Lebensweise bzw. -bewältigung anzusehen, sondern gesellschaftspolitische Zusammenhänge einer „hegemonialen Männlichkeit“ (Kassis 2003, 149) bzw. die weiterhin evidente Rolle von Männlichkeitsmythen in den Blick zu nehmen (Wölfl 2001, 98). Damit also lohnt eine Beschäftigung mit den religiösen und kulturellen Wurzeln von »Männlichkeitsmythen«.

Welche Rolle spielt das Geschlecht für die Religion?

Das Selbstverständnis von Frauen und Männern ist kulturell im Kontext eines religiös-philosophischen Erbes zu sehen, das als gemeinsames Merkmal der Weltreligionen deutlich patriarchale Züge trägt (vgl. Heller 2004). Dies wurde in der feministisch-theologischen Forschung seit den 1980er Jahren für den christlichen Kontext in grundlegenden Studien aufgezeigt. Hierbei wurde auch deutlich, dass im Horizont eines im Abendland philosophiegeschichtlich dualistisch bestimmten Denkens (Mann-Frau, Geist-Leib, Kultur-Natur, Öffentlichkeit-Privatsphäre etc.) nicht nur die Dominanz des Männlichen, sondern auch die Männlichkeit von Dominanz als Stereotyp legitimiert wurde. Damit etablierten sich kulturelle Männlichkeitsmythen, die auf der Basis eines Konzepts hegemonialer Männlichkeit im Prozess geschlechtsspezifischer Identitätsentwicklung als »doing gender« für Jungen und Männer internalisiert werden können und für ein Entstehen aggressiver Rollenmuster verantwortlich sein können. Genetische Dispositionen scheinen daher für einen Zusammenhang von »Männlichkeit und Gewalt« weniger ausschlaggebend als geschlechtsbedingte Rollenstereotypen, deren kulturelle Bedingtheit respektive deren religiöse bzw. theologische Wurzeln ideologiekritisch aufzuarbeiten sind. Dies gilt insbesondere für die Notwendigkeit weiterer Forschungen zur religiösen wie auch ethisch-moralischen Entwicklung, scheint hierbei doch das Bedürfnis nach Anerkennung an die konventionelle Norm (vgl. die Entwicklung des moralischen Urteils nach Kohlberg) und an eine gelingende Autonomieentwicklung (vgl. Fitz Oser, Paul Gmünder) gebunden zu sein. Selbstverständlich spielt – wie emotionspsychologische Forschungen zur kindlichen Entwicklung von Mitgefühl zeigen – die Reflexion geschlechtsspezifischer Prämissen im Erziehungsstil eine Rolle (Naurath 2007, 136ff); in diesem Zusammenhang wurde in der Empathieforschung (Hoffman 2000) auf die hohe Relevanz von Induktionen hingewiesen, die gegenüber Mädchen auffallend häufig gezeigt wurden: Induktionen im erzieherischen Verhalten sind opferzentrierte Erklärungen, d.h. dem Kind werden die verletzten Gefühle einer anderen Person bewusst gemacht, um Empathie bzw. Verantwortungsbewusstsein zu stärken. Im Gegensatz hierzu stehen Disziplinierungsmaßnahmen und Strafen, die die Aufmerksamkeit vom Gegenüber abziehen und Schuldgefühle erzeugen. Diese Emotionskontrolle wirkt sich nach Hoffman besonders negativ auf die Jungen aus, denn unterdrückte Gefühle blockieren die Offenheit und Sensibilität für andere und suchen sich in Aggressionen ein Ventil. Dies gilt für den Zusammenhang von »Religion, Gewalt und Geschlecht« besonders dann, wenn via eines – nun einseitig – fordernden und strafenden Gottesbildes die (väterliche) Autorität im Sinne eines eher an negative oder gar aggressive Emotionen gekoppelten Männlichkeitsmythos transzendiert wird. Wenn „also viele Religionen, insbesondere Religionen von Abstammungsgemeinschaften, sich positiv zur Beauftragung der Männer mit Gewalt verhalten und diese rituell im Mann-Werden verankern (…), können religiöse Lehren von Gewaltlosigkeit nur dann etwas verändern, wenn sie ebenfalls am Ideal von Männlichkeit ansetzen.“ (Feldtkeller 2006: 848) Mit dieser These, der meines Erachtens unbedingt zuzustimmen ist, gilt es nicht nur, die »Gender-Thematik« als ideologiekritisches Paradigma der theologischen wie auch religionswissenschaftlichen Forschung voranzutreiben, sondern im Bereich religiöser Bildung Mädchen und Jungen respektive Frauen und Männer differenziert in den Blick zu nehmen.

Möglichkeiten gender- orientierter Gewaltprävention im Kontext religiöser Bildung

Die religiöse Dimension normativer Festschreibungen von männlichem und weiblichem Rollenverhalten ist im Blick auf die Analyse und Konstruktion präventiver Maßnahmen zur Gewaltentwicklung stärker in den Blick zu nehmen. Zentral ist hierbei die Frage nach den Gottesvorstellungen: Die gängige These Russells (1974), dass ein autoritär-punitives Gottesbild militaristische Einstellungen befördere, ist sicher richtig.2 Andererseits greift auch eine angesichts des Bösen und der entwicklungspsychologisch relevanten Frage nach Gerechtigkeit »verharmlosende Kuscheltheologie« zu kurz. Ziel führend ist demgegenüber eine Religionsdidaktik, die subjektorientiert die Themen von Heranwachsenden – und das heißt eben von Jungen und Mädchen – aufgreift und sich kritisch-konstruktiv auch mit Fragen der (Faszination von) Gewalt auseinandersetzt. Subjektorientierung impliziert hierbei auch die – für die Entwicklung des religiösen wie moralischen Urteils relevante – In-Frage-Stellung von Autorität(en). Christliche Religionsdidaktik kann und sollte dies als Ermöglichung einer diskursiven Auseinandersetzung mit dem Reichtum an biblischen Gottesbildern auf der gemeinsamen Suche nach dem Heiligen verstehen. Religiöse Mythen »hegemonialer Männlichkeit« sind insofern ideologiekritisch zu entlarven als ihnen marginalisierte Gottesbilder gegenüberzustellen sind: Der biblische Fundus weiblicher bzw. mütterlicher Gottesbilder, aber auch eines mitfühlend bzw. fürsorglich konnotierten Vaterbildes (beispielsweise im Gleichnis vom »Barmherzigen Vater« in Lk 15, 11-32) bietet hier eine Fülle möglicher Ansatzpunkte.

Desweiteren ist der Dreischritt „Degendering, Engendering und Regendering“ (Wölfl 2001, 216) auch auf theologische Forschungen transferierbar, indem zunächst geschlechtliche Zuschreibungen aufgedeckt (Degendering), dann im Sinne einer Weitung der Handlungsspielräume problematisiert (Engendering) und schließlich durch – der Komplexität der Wirklichkeit gerechter werdende – differenzierende Symbole (Regendering) ersetzt werden. Folglich müssten also rollenspezifische Denkmuster verändert werden, die wiederum von alltäglich gelebten Zuschreibungen bestimmt sind. Wenn Jungen beispielsweise in ihrer frühkindlichen, sowohl für die emotionale und damit auch für die religiöse Entwicklung zentralen Lebensphase in stärkerem Maß männlich-fürsorgliche Bezugspersonen mit dezidiert induktivem Erziehungsstil erlebten, könnten traditionelle, an Dominanzverhalten gebundene Männlichkeitsmythen im wahrsten Sinne des Wortes aufgeweicht werden. Die Rolle des Vaters erweist sich hier als zentral – dies im Kontext einer gesellschaftlich notwendigen Neuformulierung von Väterlichkeit, die authentisch gelebte Emotionalität und die Übernahme sozialer Verantwortung als geschlechterübergreifende Aufgabe und Kompetenz definiert.

Ebenso ist auch die religiöse Bildung in deutlichem Zusammenhang zur emotionalen Entwicklung zu sehen: Weil religiöse Sozialisation überwiegend von Frauen (Müttern und Großmüttern) tradiert wird und nicht selten männliche Identität in Abgrenzung zu einer an Emotionalität geknüpften Religion von Frauen vollzogen wird, liegt für Jungen eine größere Hürde in der Entwicklung ihrer Religiosität. Insofern sollte für die Religionspädagogik stärker in den Blick kommen, die Kompetenz der Väter im Blick auf religiöse Sozialisationsprozesse zu stärken (Domsgen 2004, 312). Für die Förderung mitfühlender und das heißt eben auch gewaltpräventiver Kompetenzen sollte daher ein besonderer Fokus religiöser Erwachsenenbildung auf der Elternarbeit liegen, um unter anderem auch geschlechtsspezifische Reflexionsmöglichkeiten (als Männer- und Frauenbildung) zu integrieren.

Literatur

Braun et al. (eds.) (2006): »Holy War« and Gender. Gotteskrieg und Geschlecht. Berliner Gender Studies 2. Münster: LIT Verlag.

Domsgen, Michael (2004): Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie, in: Arbeiten zur Praktischen Theologie 26. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Feldtkeller, Andreas (2006): Gewalt und Gewaltlosigkeit als Ideale von Männlichkeit im interreligiösen Vergleich, in: Schweitzer, Friedrich (Hg.): Religion, Politik und Gewalt. Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 29. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Heine, Susanne (2004): Religion als Treibstoff gewaltsamer Politik – Eine religionspsychologische Perspektive, in: Rolett/Herle/Braunschmid (Hg.): Eingebettet ins Menschsein: Beispiel Religion. Bd. 3. Lengerich: Pabst, 139-145.

Heininger, Bernhard/Böhm, Stephanie/Sals, Ulrike (Hg.) (2004): Machtbeziehungen, Geschlechterdifferenz und Religion, in: Geschlecht – Symbol – Religion Bd. 2. Münster: LIT Verlag.

Heller, Birgit (2004): Religionen: Geschlecht und Religion – Revision des homo religiosus, in: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch der Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 610-614.

Hoffman, Martin L. (2000): Empathy and moral development. Cambridge: University Press.

Holl, Adolf (2005): Die unheilige Kirche. Geschlecht und Gewalt in der Religion. Stuttgart: Kreuz.

Kassis, Wassilis (2003): Wie kommt die Gewalt in die Jungen? Soziale und personale Faktoren der Gewaltentwicklung bei männlichen Jugendlichen im Schulkontext. Bern-Stuttgart-Wien: Haupt Verlag.

Lämmermann, Godwin (2002): Wenn die Triebe Trauer tragen. Von der Freiheit eines Christenmenschen I. München: Claudius.

Naurath, Elisabeth (2007/ 22008): Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener.

Pohlmann, Margarete/Ritter, Hans Werner (Hrsg.) (2004): Gut oder böse? Urteilsbildung in Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schultheis, Klaudia/Fuhr, Thomas (2006): Grundfragen und Grundprobleme der Jungenforschung, in: Schultheis/Strobel-Eisele/ Fuhr (Hrsg.): Kinder: Geschlecht männlich. Pädagogische Jungenforschung. Stuttgart: Kohlhammer, 12-79.

Wölfl, Edith (2001): Gewaltbereite Jungen – was kann Erziehung leisten? Ansätze zu einer genderorientierten Pädagogik. München: Reinhardt Verlag.

Anmerkungen

1)Sehr häufig hat sich Gender (Geschlecht im sozialen Sinn) als aufschlussreiches Interpretationsinstrument erwiesen, wenn es darum ging, Subtexte der modernen Welt zu entschlüsseln. Mit diesem Instrument lassen sich nämlich soziologische, historische und kulturelle Entwicklungen analysieren, bereits bevor sie explizit werden.“ (Braun 2006: 10).

2) So zuletzt in: Henseler, Anne-Katrin/Cohrs, J .Christopher: Wie friedfertig sind die Frommen? Christliche Religiosität und militaristische Einstellungen, in: W&F 3 (2008), 6-9.

Dr. Elisabeth Naurath ist Professorin für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. In Ihrer Habilitationsschrift »Mit Gefühl gegen Gewalt« (2007) befasst sie sich mit der (geschlechtsspezifischen) Entwicklung von Mitgefühl als religionspädagogischem Ansatz zur Gewaltprävention.