UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit

UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit

Bilanz und Perspektiven

von Margret Otto

Frauen werden in bewaffneten Konflikten in der Regel als Opfer wahrgenommen, dabei sind Frauen vor, während und nach Konflikten auch wichtige Akteurinnen bei der Konfliktvermeidung, in Friedensprozessen und bei der anschließenden Friedensbewahrung. Die Autorin untersucht Wirkung und Schwachpunkte der vor zehn Jahren verabschiedeten UN-Resolution 1325 (Auszüge siehe unten) und nachfolgender UN-Resolutionen zu »Frauen und Frieden und Sicherheit« und formuliert Forderungen an die entsprechende Forschung und Politik.

Die UN-Resolution 13251 »Frauen und Frieden und Sicherheit« wurde am 31. Oktober 2000 auf der 4213. Sitzung des UN-Sicherheitsrats einstimmig verabschiedet. Kernpunkte sind die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive sowohl in der Anerkennung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten als auch in der Rolle von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen zur Beendigung von Kriegen und bewaffneten Konflikten und dem Wiederaufbau der zerstörten Gesellschaften. Zudem formuliert die Resolution völkerrechtlich verbindliche Anforderungen zur Umsetzung dieser Aspekte an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.

Die Resolution ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, der m.E. mit der ersten Weltfrauenkonferenz in Den Haag im Frühjahr 1915, also mitten im Ersten Weltkrieg, begann. Für die Entstehung der UN-Res. 1325 war die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 ein entscheidender Meilenstein. Hier wurde mit dem Abschlussdokument der Konferenz, der Aktionsplattform von Peking, wichtige Weichen gestellt.

Heute, zehn Jahre nach ihrer Beschlussfassung, muss diese Resolution in den weiteren Kontext der nachfolgenden und sie ergänzenden UN-Resolutionen 1820 (2008),2 1888 (2009)3 und 1889 (2009)4 gestellt werden. Diese vertiefen und präzisieren unter ausdrücklichem Verweis auf die Res. 1325 deren Zielstellungen. In der Res. 1820 geht es um den „Schutz von Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Mädchen“. Neu ist hier der Hinweis, dass sexuelle Gewalt zu den Straftaten gehört, die vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden. Sie wird nicht mehr als »Begleiterscheinung« kriegerischer Auseinandersetzungen hingenommen, sondern als spezifisches kriminelles Vergehen gekennzeichnet. Zu den genannten Bereichen – ebenfalls eine sehr wichtige Erweiterung – gehören auch sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch, die sich im Rahmen von UN-Peacekeeping-Operationen ereignen. Die UN-Res.1888 präzisiert dies im Besonderen.

Die UN-Res.1889 wendet sich noch einmal besonders der Rolle von Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen zu. In der Präambel heißt es dazu: „mit dem Ausdruck seiner tiefen Besorgnis darüber, dass Frauen in allen Phasen von Friedensprozessen unterrepräsentiert sind… und betonend, dass sichergestellt werden muss, dass eine angemessene Zahl von Frauen auf Entscheidungspositionen … ernannt werden“. Das Jubiläumsjahr der UN-Res. 1325 solle genutzt werden, um verstärkt noch anstehende und neu hinzugekommene Anforderungen zu realisieren. So werden die Mitgliedsstaaten gezielt aufgerufen, „weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Mitwirkung von Frauen an allen Phasen von Friedensprozessen … zu verbessern, indem Frauen verstärkt in die politische und wirtschaftliche Entscheidungsfindung in den frühen Phasen von Wiederherstellungsprozessen einbezogen werden…“

Die UN-Resolution 1325 hat seit ihrer Beschlussfassung eine vielfältige – wenngleich nicht ausreichende – Umsetzungsgeschichte. Es gibt verschiedene nationale Aktionspläne mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 5 In Deutschland, wo es keinen nationalen Aktionsplan gibt, veröffentlicht die Bundesregierung regelmäßig Berichte über Maßnahmen zur Umsetzung der Resolution und über nationale Aktivitäten. Diese Berichte werden von den Vereinten Nationen eingefordert.

Internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen arbeiten mit der Resolution als einem richtungweisenden Grundlagendokument. Auf der Basis ihrer Erfahrungen mit den nicht ausgeschöpften Potentialen der o.g. Resolutionen erheben sie aber auch kontinuierlich Forderungen zur (erweiterten) Umsetzungen. Insbesondere mahnen sie die fehlende Verbindlichkeit an.6 Unter den kritischen Stellungnahmen aus Deutschland sind besonders die Schattenberichte des Frauensicherheitsrats zu den Berichten der Bundesregierung hervorzuheben, in denen Stärken und Schwächen der Umsetzung benannt und kommentiert werden. So auch im letzten Schattenbericht, wo unter dem Stichwort »Problematischer Sicherheitsbegriff« auf das Spannungsverhältnis zwischen Frieden und Sicherheit im Wirkungsbereich der UN-Res. 1325 hingewiesen wird.7

Das Spannungsfeld von Sicherheit und Frieden

Mit Sicherheit und Frieden sind zwei Aspekte genannt, die die Umsetzung der Resolution 1325 entscheidend bestimmen. Allerdings werden sie in ihrer Interdependenz nicht ausdrücklich ausgewiesen. Da gerade dieser Zusammenhang aber für den aktuellen Umgang mit der UN-Res. 1325 von Bedeutung ist, soll er hier genauer beleuchtet werden.

Der Friedensbegriff der UN-Charta, wie er in der Präambel niedergelegt wurde, ist weitreichend. Er umschreibt weit mehr als die Abwesenheit von direkter militärischer Gewalt und umfasst Vorstellungen wie die Gleichheit der Geschlechter und Rassen und die Achtung der universalen Menschenrechte. In der UN-Charta werden der Friedens- und der Sicherheitsbegriff als Synonyme benutzt. So wird als Hauptaufgabe des UN-Sicherheitsrats „die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ benannt.

Diese Formulierung leitet auch die Präambel zur UN-Res.1325 ein. Wiederholt wird in der Resolution sowohl auf die besondere Schutzbedürftigkeit und die mangelnde Sicherheit von Frauen und Mädchen hingewiesen als auch ihre herausragende Rolle für das Gelingen von Friedensprozessen betont.

In der »Agenda für den Frieden«,8 eingebracht vom damaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali und im Januar 1992 von einem Gipfeltreffen des UN-Sicherheitsrats verabschiedet, gibt es eine bemerkenswerte Verschiebung der Konnotation von Frieden und Sicherheit. Angesichts der Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses schien die zwischenstaatliche Konfrontationen zwischen West und Ost damals der Vergangenheit anzugehören und der Frieden gesichert. Was blieb, schienen Sicherheitsfragen zu sein. So heißt es in der »Agenda für den Frieden« unter dem Stichwort »Das sich wandelnde Umfeld«: „Der Begriff des Friedens ist leicht zu fassen, der der internationalen Sicherheit ist jedoch komplexerer Natur…“ Anschließend werden in diesem Dokument vor allem verschiedene Szenarien der Bedrohung der Sicherheit und Maßnahmen, inklusive militärischer, zu ihrer Bekämpfung ausgeführt.

Auch die UN-Res. 1325 und die sie erweiternden Resolutionen basieren auf diesem umdefinierten Verständnis von Sicherheit und Frieden. Sie weisen auf vielfältige Bedrohungen durch die mangelnde Sicherheit der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, hin und fordern verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Der Ausgangspunkt ist immer die starke Bedrohung und Unsicherheit von Frauen und Kindern. Die aktive friedenspolitische Rolle von Frauen wird eher vage erwähnt.

Hieraus ergibt sich eine Problematik, die zu einem sorgfältige(re)n und entschieden friedensorientierten Umgang mit der UN-Res. 1325 auffordert. Die Betonung von Sicherheit und der Verzicht auf die Ausarbeitung von Friedenskonzepten kann dazu führen, dass auch in den Bereichen, die insbesondere Frauen betreffen, der Schutz der Sicherheit zur Aufgabe des Militärs gemacht wird und militärische Operationen unmittelbar als Unterstützungs- und Umsetzungsaktivitäten der UN-Res.1325 angesehen werden.

Diese Tendenz wird deutlich aus Äußerungen des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen mit der Europäischer Union in Brüssel im Januar 2010, das anlässlich des anstehenden zehnjährigen Jahrestags der UN-Res. 1325 stattfand. Er sagte, es sei notwendig „sicherzustellen, dass alle von der Nato geführten Operationen, insbesondere in Afghanistan und auf dem Balkan, die Vorgaben der Resolution 1325 und damit zusammenhängender Resolutionen einhalten und abgestützt werden durch Ausbildung und Training, Überwachungs- und Evaluationsmechanismen, in Übereinstimmung mit den abgestimmten Militärdirektiven der Strategischen Kommandeure der NATO“ [eigene Übersetzung].9

Auf Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten der EU-Friedens- und Sicherheitspolitik ist in Analysen und daraus abgeleiteten Forderungen vielfach hingewiesen worden.10 Das Fazit ist: Den relativ klaren und entschiedenen Formulierungen und Absichtserklärungen in den UN-Resolutionen entspricht keine ebensolche Praxis. In der Realität herrscht ein anderes Bild vor: „Angesichts von weniger als sechs Prozent Frauenanteil in der militärischen und acht Prozent in der zivilen EU-Mission bleiben die Bemühungen der EU um eine geschlechtersensible Friedenskonsolidierung schon in diesem Aspekt in einem beklagenswerten Zustand.“ 11

Frauen als Friedensakteurinnen und als Opfer von Gewalt

Da die UN-Resolution 1325 die Situationen in bewaffneten Konflikten hervorhebt, in denen Frauen Opfer von Gewalt und Missbrauch sind, und alle Staaten auffordert, Maßnahmen zu ihrem besonderen Schutz zu ergreifen, sehen Frauen weltweit die Resolution als einen Meilenstein zur Unterstützung ihrer Rechte an. Allerdings: Die alleinige Betonung des Opferstatus von Frauen würdigt nicht deren aktives Potential als Akteurinnen in Friedensprozessen, und Frauen sind weiterhin von Mitbestimmung und Mitgestaltung nahezu ausgeschlossen, in der Tendenz ist dies sogar immer häufiger der Fall. Friedensforscherinnen und -aktivistinnen haben dies immer wieder hervorgehoben und Kursänderungen angemahnt. Schutz und Sicherheit der Frauen und ihre Mitbestimmung bei der Gestaltung von Friedensprozessen sind wie zwei Seiten einer Medaille. Sie gehören, das zeigen Erfahrungen weltweit, untrennbar zusammen zur Erreichung eines nachhaltigen Friedens. Die Präambel der UN-Resolution 1325 weist auf die Unverzichtbarkeit von Frauen hin. So wird betont „welche wichtige Rolle Frauen bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zukommt… und wie wichtig es ist, dass sie … im vollen Umfang teilhaben und dass ihre Mitwirkung …ausgebaut werden muss.“

Die Forderung, Frauen auf allen Ebenen einzubeziehen, wird zunehmend energischer artikuliert. Heißt es in UN-Res.1325 (2000) noch, dass Frauen stärker einbezogen werden sollen, ist in UN-Res.1820 (2008) von einer gleichberechtigten Einbeziehung die Rede. Da die Berücksichtigung von Frauen auf der politischen Seite der Friedensgestaltung trotz der UN-Res. 1325 weiterhin unterentwickelt blieb, hebt die UN-Resolution 1889 (2009) eindeutig die Notwendigkeit hervor, die Rolle der Frauen als friedenspolitische Akteurinnen zu stärken und sie nicht primär oder gar ausschließlich als schutzbedürftig zu betrachten. Eine gesonderte UN-Resolution zu diesem Aspekt würde allerdings das Anliegen eindeutiger unterstützen.

Die Einbettung der Schutzbedürftigkeit in ein ausgewiesenes Friedenskonzept wäre geeignet, Frauen vor einem politischen Missbrauch zu schützen. Beispiele für eine Instrumentalisierung der Situation von Frauen zur Rechtfertigung von gewalttätigem und militärischem Vorgehen werden seit Jahren, insbesondere auch von der feministischen Friedensforschung, aufgezeigt und angeprangert.

Ein typisches Beispiel für solche Verfahrensweisen und eines, das die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik unmittelbar betrifft, sind strategische Überlegungen der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zu den Kriegseinsätzen in Afghanistan. Hier ist zu beobachten, wie die Verletzung der Menschenrechte von afghanischen Frauen zur Rechtfertigung von militärischem Vorgehen in der Region ausgenutzt wird. In einem entsprechenden Dokument des CIA heißt es dazu bezogen auf Deutschland: „Deutsche wegen Kosten und Prinzipien der ISAF-Mission besorgt. … Nachrichten, die die Folgen einer NATO-Niederlage für spezifische deutsche Interessen dramatisieren, könnten der breit verbreiteten Ansicht, dass Afghanistan nicht Deutschlands Problem ist, entgegenwirken.“ In der Argumentation des CIA-Dokuments gibt es dazu ein probates Mittel: „Afghanische Frauen könnten als ideale Vermittler dienen, die Rolle der ISAF [International Security Assistance Force] im Kampf gegen die Taliban auf eine menschliche Ebene zu heben, da Frauen persönlich und glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter den Taliban, ihre Hoffnungen für die Zukunft und ihre Befürchtungen vor einem Sieg der Taliban reden können.“ [Eigene Übersetzung]12

Solcher Art Versuche, die Öffentlichkeit zu manipulieren, könnten mit einer effektiven friedenspolitischen Strategie zur Umsetzung der UN-Res.1325 ausgehebelt werden. Dann würde auf die Rolle afghanischer Frauen als aktive Akteurinnen im Friedensprozess fokussiert werden, und die Funktion der Militäreinsätze wäre (neben weiteren wichtigen Gründen) auch aus diesem Grund auf dem Prüfstand.13

Schritte zur Erweiterung und Umsetzung der UN-Res.1325

Die Bilanz von zehn Jahren UN-Res. 1325 zeigt eine unübersehbare Diskrepanz zwischen den Intentionen der Resolution und der Umsetzung der in ihr enthaltenen Forderungen in reale Politik. An diesem Umstand haben auch die nachfolgenden Resolutionen nichts Grundsätzliches ändern können.14 Dadurch wird das Potential für einen friedenspolitischen Mehrwert, das in den Resolutionen steckt, in keiner Weise genutzt.

So gibt dieses Jubiläumsjahr Anlass für Würdigungen und kritische Analysen der Resolutionen, die in den verschiedenen Bereichen deutlichen Handlungsbedarf aufzeigen. Diese Bereiche sind miteinander verbunden, aber unterschiedlichen Politikfeldern zugeordnet. Daraus ergeben sich folgende Forderungen:

Die Bundesregierung ist in die Pflicht zu nehmen, dass sie die völkerrechtsverbindliche UN-Res.1325 in ihren nationalen und internationalen Politikstrategien berücksichtigt. Dazu müssen u.a. die einzelnen Aktivitäten der Bundesregierung zur UN-Res.1325 in einer Gesamtstrategie gebündelt werden, und zwar über eine interministerielle Arbeitsgruppe hinaus. Dies geschieht am besten im Rahmen eines nationalen Aktionsplans.

Sicherheitspolitische Maßnahmen, die auf der Grundlage der UN-Res.1325 ergriffen werden, müssen eine deutlich ausgewiesene friedenspolitische Perspektive haben.

Die Rolle des Militärs, der NATO und der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Umsetzung der UN-Res.1325 müssen kritisch überprüft und öffentlich diskutiert werden.

Der Sicherheitsbegriff führt in Analysen politischer Strategien i.d.R. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem als Spannungsfeld wahrgenommenen Unterschied von »zivil« und »militärisch«.15 Der umfassende Friedensbegriff der UN-Charta weist auf weitere Zusammenhänge hin. Frieden scheint doch nicht so „leicht zu fassen“ zu sein, wie in der »Agenda für den Frieden« festgestellt. Sicherheit und Frieden müssen zusammen gedacht werden. Angesichts der aktuellen Diskussion in Deutschland über Kriegseinsätze z.B. in Afghanistan und Somalia und die Auseinandersetzungen über die Verwendung des Begriffs »Krieg« ist die Friedenswissenschaft aufgefordert, sich mit weiterer Forschung an der Auseinandersetzung zu beteiligen, auch im Kontext der UN-Res.1325.

Die Rolle der Frauen als politische Akteurinnen in Friedensprozessen muss weiter gestärkt und ausgeweitet werden, bis hin zu einer Quotierung. Frauen müssen in Krisengebieten ohne Berücksichtigung diplomatischer Hierarchien bereits in die den Frieden vorbereitenden Verhandlungen einbezogen werden. Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die Opfer (surviver) von Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten geworden sind, müssen über die Strafverfolgung der Täter hinaus den Zugang der Opfer zu medizinischer und psychologischer Behandlung und zu Entschädigungszahlungen einschließen.

Dieses Politikfeld, in dem vor allem Nichtregierungsorganisationen wegweisende Arbeit machen, hat bereits jetzt eine starke Eigendynamik entwickelt, was aus der o.g. dargestellten weiteren Ausformulierung der Resolutionen deutlich hervorgeht. In diesem Politikfeld ist das spezifische Spannungsverhältnis von Sicherheit und Frieden besonders relevant, bislang aber nicht sichtbar gemacht.

Die Forschung sollte in allen für die UN-Resolutionen 1325, 1820, 1888 und 1889 relevanten Bereichen intensiviert werden. Bei vielen Fragen ist die Datenlage absolut unzureichend und muss mit Hilfe von quantitativen und qualitativen Studien verbessert werden.

Ein Forschungsfeld, das bisher im Zusammenhang mit der UN-Res. 1325 kaum angesprochen wurde, aber dringend mit einbezogen werden sollte, ist die Komplementarität der Genderspezifik bezogen auf Männer und Frauen. Gender ist in den Resolutionen der Vereinten Nationen, der EU und auch der NATO oft ausschließlich auf Frauen bezogen. Die Spezifik männlichen Verhaltens bleibt dabei unerwähnt, ist aber von großem Einfluss. Männliche Leit- und Rollenbilder im Militär sowie bei militärischen Interventionen und deren Auswirkungen müssen deshalb viel stärker Gegenstand von Forschung werden.

Anmerkungen

1) Deutsche Fassungen von UN-Resolutionen sind auf der Website des deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen unter http://www.un.org/depts/german/ abrufbar.

2) Vom 19. Juni 2008: Frauen und Frieden und Sicherheit.

3) Vom 29. September 2009: Frauen und Frieden und Sicherheit http://www.un.org/depts/german/sr/sr_them/nichtverbr.kernwaff.htm (Sicherheitsrat erteilt Friedenssicherungsmissionen den Auftrag, Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten zu schützen).

4) Vom 29. September 2009: Frauen und Frieden und Sicherheit (Sicherheitsrat fordert nachdrücklich Maßnahmen zur Verbesserung der Mitwirkung von Frauen an Friedensprozessen).

5) Barnes, Karen (2008): Stand der Umsetzung von Resolution 1325 in Europa – Überlegungen zum Status von Nationalen Aktionsplänen. In: Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) (2008): Hoffnungsträger 1325.Resolution für eine geschlechtergerechte Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa. Ulrike Helmer Verlag.

6) Group on Gender Peace and Security (GPS) des European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) in Brüssel (August 2010): 10 points on 10 Years SCR 1325 in Europe; http://www.eplo.org/documents/CSO_10_points_on_10_years_UNSCR_1325_Final_100903.pdf.

7) Schattenbericht des deutschen Frauensicherheitsrats zum Bericht der Bundesregierung „über Maßnahmen zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 1325 (Frieden, Frauen, Sicherheit)“ vom Nov. 2007; http://www.frauensicherheitsrat.de/data/schattenbericht-08.html.

8) Agenda für den Frieden. Vorbeugende Diplomatie, Friedensschaffung und Friedenssicherung. Bericht des Generalsekretärs gemäß der am 31. Januar 1992 von dem Gipfeltreffen des Sicherheitsrats verabschiedeten Erklärung; http://www.un.org/Depts/german/friesi/afried/afried-1.htm.

9) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/Women_Peace_Security_outcomes_ENG.pdf.

10) Vgl. die Beiträge von Wisotzki, Simone (2008): Gender in der EU-Friedens- und Sicherheitspolitik. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.46-51, und Dittmer, Cordula (2008): Gender Mainstreaming in der Europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik – Resolutionen, Berichte, Konzepte. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.52-65.

11) a.a.O. Wisotzki (2008): S.49.

12) Afghanistan: Sustaining West European Support for the NATO-led Mission – Why Counting on Apathy Might not be Enough. A Red Cell Special Memorandum, 11.March 2010; http://wikileaks.org/file/cia-afghanistan.pdf.

13) Vgl. dazu z.B. auch die Diskussion der innerafghanischen Situation bei Notten, Miriam/Scheub, Ute (2008): Die »Befreiung« der afghanischen Frauen – Anspruch und Wirklichkeit. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.176-195

14) Vgl. dazu die Analysen mit einer historischen Einbettung in: Anderlini, Sanam Naraghi (2008): Die Bedeutung der Resolution 1325 für die Europäische Friedens- und Sicherheitspolitik – ein kleiner Schritt für den Sicherheitsrat, ein großer Schritt für die Menschheit. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.10-34

15) Vgl. z.B. Zumach, Andreas (2008): Zur Europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik. Stand – Probleme – Perspektiven. In: Hoffnungsträger 1325 op.cit., S.38-45.

Resolution 1325 (2000) vom 31. Oktober 2000

Der Sicherheitsrat, […]

eingedenk der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen und der Hauptverantwortung des Sicherheitsrats nach der Charta für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit,

mit dem Ausdruck seiner Besorgnis darüber, dass Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Kinder, die weitaus größte Mehrheit der von bewaffneten Konflikten betroffenen Personen stellen, namentlich auch als Flüchtlinge und Binnenvertriebene, und dass sie in zunehmendem Maße von Kombattanten und bewaffneten Elementen gezielt angegriffen werden, sowie in der Erkenntnis, dass dies Folgen für einen dauerhaften Frieden und eine dauerhafte Aussöhnung nach sich zieht,

erneut erklärend, welche wichtige Rolle Frauen bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zukommt, und betonend, wie wichtig es ist, dass sie an allen Anstrengungen zur Wahrung und Förderung von Frieden und Sicherheit gleichberechtigt und in vollem Umfang teilhaben und dass ihre Mitwirkung an den Entscheidungen im Hinblick auf die Verhütung und Beilegung von Konflikten ausgebaut werden muss, […]

in Anerkennung der dringenden Notwendigkeit, in alle Bereiche von Friedenssicherungseinsätzen eine Geschlechterperspektive zu integrieren, […]

1. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass Frauen in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten auf allen Entscheidungsebenen stärker vertreten sind; […]

3. fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, mehr Frauen zu Sonderbeauftragten und Sonderbotschafterinnen zu ernennen, die in seinem Namen Gute Dienste leisten […];

4. fordert den Generalsekretär außerdem nachdrücklich auf, die Ausweitung der Rolle und des Beitrags von Frauen bei den Feldmissionen der Vereinten Nationen anzustreben, insbesondere bei den Militärbeobachtern, der Zivilpolizei, bei Menschenrechts- und humanitärem Personal;

5. bekundet seine Bereitschaft, in die Friedenssicherungseinsätze eine Geschlechterperspektive zu integrieren, und fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, sicherzustellen, dass bei Bedarf auch für Geschlechterfragen zuständige Elemente in Feldmissionen aufgenommen werden;

6. ersucht den Generalsekretär, den Mitgliedstaaten Leitlinien für die Aus- und Fortbildung sowie Material über den Schutz, die Rechte und die besonderen Bedürfnisse von Frauen sowie über die Wichtigkeit der Beteiligung von Frauen an allen Friedenssicherungs- und Friedenskonsolidierungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen […];

7. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre freiwillige finanzielle, technische und logistische Unterstützung von Trainingsmaßnahmen zur Sensibilisierung in Geschlechterfragen zu verstärken […];

8. fordert alle beteiligten Akteure auf, bei der Aushandlung und Umsetzung von Friedensübereinkünften eine Geschlechterperspektive zu berücksichtigen, die unter anderem auf Folgendes abstellt:

a) die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen während der Rückführung und Neuansiedlung sowie bei der Normalisierung, der Wiedereingliederung und dem Wiederaufbau nach Konflikten;

b) Maßnahmen zur Unterstützung lokaler Friedensinitiativen von Frauen und autochthoner Konfliktbeilegungsprozesse sowie zur Beteiligung von Frauen an allen Mechanismen zur Umsetzung der Friedensübereinkünfte;

c) Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes und der Achtung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfassung, dem Wahlsystem, der Polizei und der rechtsprechenden Gewalt;

9. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte auf, das auf die Rechte und den Schutz von Frauen und Mädchen, insbesondere als Zivilpersonen, anwendbare Völkerrecht vollinhaltlich zu achten […];

10. fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte außerdem auf, spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs und allen anderen Formen der Gewalt in Situationen bewaffneter Konflikte;

11. hebt hervor, dass alle Staaten dafür verantwortlich sind, der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, namentlich auch im Zusammenhang mit sexueller und sonstiger Gewalt gegen Frauen und Mädchen, strafrechtlich zu verfolgen, und betont in diesem Zusammenhang, dass diese Verbrechen soweit möglich von Amnestieregelungen ausgenommen werden müssen; […]

13. legt allen an der Abrüstungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsplanung Beteiligten nahe, die unterschiedlichen Bedürfnisse weiblicher und männlicher Exkombattanten sowie die Bedürfnisse der von ihnen abhängigen Personen zu berücksichtigen; […]

15. bekundet seine Bereitschaft, dafür zu sorgen, dass bei Missionen des Sicherheitsrats die Geschlechterperspektive sowie die Rechte von Frauen berücksichtigt werden, namentlich auch durch Konsultationen mit Frauengruppen auf lokaler wie internationaler Ebene; […]

Margret Otto ist Friedenswissenschaftlerin und 2. Vorsitzende des Frauennetzwerks für Frieden e.V.

Wege zur Gewaltfreiheit

Wege zur Gewaltfreiheit

Eine Praxisstudie zur Friedensarbeit

von Ilona Auer-Frege

Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um den leicht überarbeiteten Einleitungsbeitrag zu einer Studie, die 31 Fallbeispiele der Zivilen Konfliktbearbeitung systematisch dokumentiert. Die Studie erscheint im November im Büttner-Verlag unter dem Titel »Wege zur Gewaltfreiheit«.

Der Zivile Friedensdienst (ZFD)

Ausgehend von Pilotprojekten und unterstützt durch die nordrhein-westfälische Landesregierung richtete die 1998 neu gewählte rot-grüne Bundesregierung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ die neue Förderlinie »Ziviler Friedensdienst« (ZFD) ein. Unter diesem Siegel werden heute Projekte der anerkannten Entsendedienste Deutscher Entwicklungsdienst (DED), Arbeitsgemeinschaft Entwicklungshilfe (AGEH), Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Weltfriedensdienst (WFD), EIRENE – Internationaler Christlicher Friedensdienst e.V., Dienste in Übersee (DÜ), KURVE Wustrow/Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) sowie peace brigades international (pbi) finanziell gefördert – Projekte, die ausdrücklich Friedensförderung und gewaltfreie Konfliktbearbeitung mit nicht-militärischen Mitteln durch entsandte europäische Friedensfachkräfte zum Inhalt haben. In den zehn Jahren seines Bestehens (1999-2009) entsandte der ZFD nach eigenen Angaben 570 Fachkräfte in 50 Länder. Derzeit sind 241 Friedensfachkräfte in 44 Ländern im Einsatz. Im Haushaltsjahr 2009 ist die Jahresfördersumme von 19 Mio. Euro (2008) auf über 30 Mio. Euro angestiegen.

Siehe auch:
www.ziviler-friedensdienst.org.

Das Spektrum der Friedensarbeit in Deutschland ist weit gefächert. Dies gilt nicht allein für die Organisations- und Kooperationsformen und die Komplexität der Aufgabenfelder, sondern auch für die ethisch-religiöse bzw. politisch-moralische Ausrichtung der Akteure. So liegt die Friedensarbeit nicht nur in den Händen von Institutionen unter staatlicher Trägerschaft, sie wird auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen vorangebracht: Kirchliche Organisationen, politische Parteien und Stiftungen sowie privat geführte zivilgesellschaftliche Institutionen geben den Ton an.

Gegenwärtig setzt die innergesellschaftliche Friedensarbeit in Deutschland selbst ihre Schwerpunkte bei Bildungs- und Jugendprojekten, Versöhnungsinitiativen, der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und Anti-Gewalt-Trainings. Zudem geht es darum, die interkulturelle Kommunikation und die Integration von Migrantinnen und Migranten zu fördern. Die nicht-militärische Friedensarbeit im Ausland ist größtenteils an Projekte und Träger der Entwicklungszusammenarbeit gekoppelt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges brachen neue internationale Konfliktszenarien hervor, wie zum Beispiel die Balkankriege, die Golfkriege und die andauernden Brennpunkte der Gewalt in Afrika (Sudan, Angola, Liberia, Kongo, Äthiopien). Damit stand die Friedensarbeit auch Deutschlands vor gewaltigen Herausforderungen. Seit dem Völkermord in Ruanda, der 1994 innerhalb von drei Monaten ca. 800.000 Menschen das Leben kostete, war die gesamte westliche Entwicklungszusammenarbeit um ihr bis dahin unangefochtenes Selbstverständnis gebracht. In Deutschland, den USA und Skandinavien setzte sich die Szene daraufhin intensiv mit der Frage auseinander, inwieweit ihre Förderungsanstrengungen in Krisenregionen sogar Konflikte verschärfend oder verlängernd gewirkt haben könnte.

Die immer noch aktuelle Debatte kreist(e) um den so genannten »Do No Harm«-Ansatz, den Mary B. Anderson in ihrem wegweisenden gleich lautenden Buch (1996) entwickelt hatte. Fortan suchten die Akteure der professionellen Entwicklungszusammenarbeit nach konfliktsensitiveren Instrumentarien.

Diese notwendige Selbstreflexion innerhalb der internationalen zivilen »Friedensszene« brachte auch für die deutsche Friedensarbeit ein fundamental neues Selbstverständnis. Zahlreiche Förderprogramme zur zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung wurden und werden seither von staatlicher Seite initiiert. Ein Erfolg versprechendes Beispiel ist der Zivile Friedensdienst, der seit 1999 besteht und Fachkräfte in internationale Projekte zu Gewaltfreiheit und konstruktiver Konfliktbearbeitung einbindet.

Die Friedensarbeit in Deutschland geht neue Wege

Bis zur Jahrtausendwende wurden Friedensinitiativen staatlicherseits fast ausschließlich als diplomatische oder militärische Aufgaben, z.B. im Rahmen der Unterstützung von NATO, Vereinten Nationen oder OSZE-Missionen, interpretiert. Das Auswärtige Amt setzt seit 1998 mit dem Projekt »zivik – Zivile Konfliktbearbeitung«1 neue Akzente. Mit einem, gemessen an militärischen Ausgaben, kleinen Fonds werden Initiativen in Krisenregionen gefördert und dabei auch die programmatischen Linien der zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung, Krisenprävention und Friedensförderung verfolgt.

In noch größerem Ausmaß als das Auswärtige Amt engagiert sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die staatliche Förderung von Friedensprojekten, allen voran der bereits erwähnte Zivile Friedensdienst, der sich ausdrücklich als „neues Instrument der Entwicklungszusammenarbeit“ versteht.

Friedensarbeit in Deutschland hat mit der Einrichtung staatlich-zivilgesellschaftlicher Strukturen und Förderinstrumentarien einen starken Aufschwung und eine enorme Professionalisierung erfahren. Schon vor diesem Zeitpunkt hatten Kirchen und Bürgerinitiativen innerhalb Deutschlands methodische Grundsteine gelegt und Wissen angesammelt und so die Grundlagen für eine ausgedehnte Projektarbeit im Ausland aufgebaut. Einen guten Überblick über die konkrete Friedensarbeit der in Deutschland tätigen Organisationen, Stiftungen und Bürgerinitiativen bietet die Website der »Plattform Zivile Konfliktbearbeitung» (www.konfliktbearbeitung.net). Als Netzwerk der Nichtregierungsorganisationen (NRO) und einzelner Akteure übernimmt sie seit 1998 die Aufgabe, den Informationsaustausch untereinander, die Öffentlichkeitsarbeit, die politische Vertretung und das Lobbying für die gewaltfreie Zivile Konfliktbearbeitung zu befördern.

Die Studie »Wege zur Gewaltfreiheit«

Trotz aller Erfolge der Implementierung ist das methodische Instrumentarium der Zivilen Konfliktbearbeitung längst nicht ausgereift. Wie so oft entwickelt sich das zivilgesellschaftliche Handeln eher diffus, dezentral an vielen kleinen Orten, mit unterschiedlichsten Anknüpfungspunkten und Wirkungsbezügen. Umso sinnvoller ist es, den Akteuren der Friedensarbeit bei ihrer konkreten Projektarbeit über die Schulter zu schauen und dabei konkret zu lernen, welche Methoden praxistauglich sind und im Sinne einer nachhaltigen Friedens- und Entwicklungsförderung funktionieren können.

Es erschien mir daher nahe liegend und notwendig, die sich ausdifferenzierte Praxiserfahrung mittels einer vorstrukturierten Methodenstudie zu erörtern. Hieraus ist eine für Kenner und Nichtkenner der Friedensszene hoffentlich lesenswerte Publikation entstanden, geschuldet meinem durch vielfältige Tätigkeit in der Zivilen Konfliktbearbeitung hervorgerufenen Wunsch, das Thema stärker ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

»Weg zur Gewaltfreiheit« soll einen Überblick über den aktuellen Stand der deutschen Friedensarbeit im Inland und Ausland bieten und aufzeigen, wie die Projektträger auf Schwerpunktthemen der Konfliktbearbeitung eingehen. Die einzelnen Fallbeispiele sollen auch Anregung für Projektplanerinnen und -planer sowie für Friedensfachkräfte vor Ort bieten, mit dem Ziel, deren Arbeitsinstrumentarium zu bereichern. Dennoch bleibt offensichtlich: Jede Konfliktsituation, jede Zielgruppe, jede Region und jede Organisation ist anders. Dies erfordert maßgeschneiderte Ansätze und kontextabhängige Arbeitsmethoden. Hier werden keine Rezepte vorgestellt, die sich in jeder Umgebung nachahmen lassen. Stattdessen möchte die Studie aufzeigen, wie weit sich die Friedensarbeit deutscher Institutionen in den letzten Jahren entwickelt hat, und damit Inspiration und Reflexionsstoff für die eigene Arbeit bieten.

Auswahl und Dokumentation der Fallbeispiele

Im Jahr 2007 schrieb ich über 40 deutsche Organisationen an, die sich im In- und Ausland in irgendeiner Form professionell für zivile Konfliktbearbeitung, Gewaltfreiheit und Versöhnung einsetzen. Sie wurden gebeten, aus ihrem Arbeitsbereich solche Projektansätze und Methoden auszusuchen, die sie für besonders wirkungsvoll und lehrreich für andere Fachkräfte hielten. Es ging nicht darum, ganz besondere Glanzstücke der eigenen Projektpraxis ins Rampenlicht zu rücken, sondern es sollte deutlich werden, wie stockend, scheiternd und neu beginnend Friedensarbeit sein kann. Viele Projekte haben eine langjährige Vorgeschichte, wurden mehrfach neu konzipiert und immer wieder dem Bedarf ihrer Zielgruppen angepasst, bis sie wirklich funktionierten. Alle beteiligten Organisationen ließen sich darauf ein, auch diese Aspekte ihrer Arbeit offen mitzuteilen, um somit andere von ihren Erfahrungen profitieren zu lassen.

Über ein Jahr lang wurden schließlich Projektunterlagen, Bilder, Berichte und Evaluierungen zusammengetragen. Dazu kamen Interviews mit Projektleiterinnen und Projektleitern, lokalen Fachkräften, Koordinatorinnen und Koordinatoren und Projektteilnehmenden. Aus diesem Material entstanden die 31 Projekttexte, die jeweils nur ein Schlaglicht auf einen aktuellen Ist-Zustand der Arbeit werfen können. Viele der Projekte haben noch weitaus mehr Facetten und Arbeitsfelder als in diesem begrenzten Rahmen aufgezeigt werden können.

Kategorien der Friedensarbeit

Schwieriger als gedacht gestaltete sich die Aufgabe, die vorgestellten Projekte inhaltlich zu kategorisieren und Kriterien zu finden, welche die jeweiligen Schwerpunkte abbilden. Gilt ein Schulprojekt mit Theaterarbeit als Kunst- oder Bildungsarbeit? Ist Traumabearbeitung bei ehemaligen Kombattanten mit integrierter Berufsausbildung ein medizinisch-psychologischer Ansatz oder geht es dabei eher um Einkommensförderung?

Dennoch ließen sich einige Kategorien finden, die zumindest die Kernaufgaben der heutigen zivilen Friedensarbeit umreißen und ein erstes Angebot zur Systematisierung darstellen:

Reintegration ehemaliger Kombattanten

Demobilisierte Soldaten verkörpern in vielen Krisenregionen ein besonderes Konfliktpotenzial. Oft kennen sie nur die Waffe als Mittel zum Einkommenserwerb, sind durch ihre Vergangenheit traumatisiert und werden von ihrer Herkunftsgemeinde gefürchtet oder abgelehnt. Deshalb geraten viele dieser ehemaligen Kämpfer schnell in die Hände von Sicherheitsfirmen oder finden sich in mafiösen Strukturen, im Drogenhandel oder in anderen paramilitärischen Vereinigungen wieder. Wer ehemalige Kombattanten auffängt, behandelt und ihnen eine positive Zukunftsperspektive ermöglicht, leistet einen wichtigen Beitrag zur Befriedung in besonders von Krieg und Gewalt betroffenen Gesellschaften.

Schutzräume zur Verfügung stellen

In Gesellschaften, die unter staatlicher Repression oder den negativen Begleiterscheinungen eines Bürgerkrieges leiden, können Aktivistinnen und Aktivisten, Menschenrechtsorganisationen, unabhängige Bürgerinitiativen oder Organe der Zivilgesellschaft selten unbehelligt arbeiten. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bedroht, entführt oder ermordet, oft ohne dass die Täterinnen und Täter juristische Konsequenzen befürchten müssten. In dieser Situation können begleitende Organisationen die internationale Aufmerksamkeit für die Bedrohten herstellen und durch persönlichen Schutz deren Arbeit unterstützen.

Medienarbeit

Medien und Journalistinnen und Journalisten haben in Krisenregionen oft einen erheblichen Einfluss auf die Konfliktparteien. Sie können diesen missbrauchen und damit gewollt zur Eskalation beitragen. Sie können aber auch von Friedensorganisationen in einem ethischen und unabhängigen Reportagestil unterstützt werden und damit einen verantwortungsvollen Beitrag zur Informationsvermittlung, zum Abbau von stereotypen Feindbildern und zur Friedenserziehung leisten.

Traumabearbeitung

Durch Gewalterfahrungen traumatisierte Menschen leiden oft lebenslang schwer unter ihren körperlichen und seelischen Wunden. Friedensprojekte können dazu dienen, dass diese Menschen bei der psychologischen Aufarbeitung begleitet werden. Ihnen kann dabei geholfen werden, aus der Opferrolle herauszutreten und den erlebten Konflikt zu bewältigen, eine Arbeit, die sich auch positiv auf ihr gesamtes Umfeld auswirkt. Damit erhält Traumabearbeitung neben der individuellen Hilfe auch eine gesellschaftliche Dimension.

Mediation und Dialog

Wo Justiz nur mangelhaft funktioniert oder Konflikte weniger staatlich-rechtlichen denn kulturellen, ethnischen oder traditionellen Ursprungs sind, können Mediatorinnen und Mediatoren dabei helfen, Gewalt zu vermeiden und Konflikte rasch, unbürokratisch und für alle Parteien befriedigend beizulegen. Mediation ist auf Ausgleich bedacht, allparteilich, kann der Bevölkerung leicht zugänglich gemacht werden und vermittelt eine Kultur der gewaltfreien und konstruktiven Konfliktlösung.

Methodenvermittlung auf Graswurzelebene

In kriegsbetroffenen Gesellschaften gilt oft seit Jahrzehnten das Recht des Stärkeren. Gewalt und Gegengewalt werden zu dominierenden Handlungsmustern in der Bevölkerung. Friedensprojekte helfen dabei, traditionelle Instrumente zur friedlichen Konfliktbeilegung wieder zu beleben und neue Methoden wie Mediation, gewaltfreie Kommunikation oder Ausgleichsmechanismen gesellschaftlich zu integrieren.

Methodenvermittlung auf institutioneller Ebene

Auch in vielen von gewaltsamen Konflikten geprägten Gesellschaften gibt es gewaltfreie Nichtregierungsorganisationen und Friedensgruppen. Diese können dabei unterstützt werden, ihre unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Beiträge zur Friedensförderung zu bündeln, sich zu vernetzen und sich untereinander zu verständigen, um möglichst professionell und effizient zu arbeiten.

Kunst als Friedensmedium

Wo rein intellektuell und kognitiv angelegte Ansätze auf Grenzen stoßen, da können kunst- und insbesondere theaterpädagogische Methoden erstaunliche Erfolge erzielen. Sie öffnen den Zugang zu »schwierigen« Zielgruppen, bauen Hemmschwellen für die Mitarbeit in Friedensprojekten ab und machen die Inhalte der Gewaltfreiheit ganzheitlich erfahrbar.

Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Justiz

Wo Krieg den Alltag bestimmt, entsteht nicht selten eine »Kultur der Gewalt«, in der der Staat als Ordnungsmacht versagt und damit auch die Justiz ihre Aufgaben nicht ausreichend wahrnimmt. Friedensprojekte können dazu beitragen, dass Richterinnen und Richter, Anwältinnen und Anwälte und Gefängnispersonal ausgebildet werden und Gefangene Rechtsbeistand erhalten, Gesetzesreformen eingefordert und Wahrheitskommissionen einberufen werden. Insgesamt geht es im Rahmen der Friedensarbeit darum, eine verbesserte Rechtskultur zu vermitteln.

Jugendarbeit

Mitunter bestehen Konflikte schon seit Jahrzehnten und werden von Generation zu Generation weitergegeben. In vielen Krisenregionen besteht die Bevölkerung zu einem Großteil aus Menschen unter 25 Jahren. Jugendliche Zielgruppen sind oft eher bereit, erlernte Konfliktmuster zu reflektieren und andere Handlungsmöglichkeiten zu finden, die sie später auch an die nächsten Generationen vermitteln. Daher kommt der Jugendpädagogik ein besonderer Stellenwert in der Friedensarbeit zu.

Zivilgesellschaft organisieren

Ohne eine Zivilgesellschaft, in der sich die Menschen organisieren und gemeinsam ihre Interessen formulieren, ist eine gewaltlose Konfliktlösung kaum denkbar. Egal, ob sich das zivilgesellschaftliche Engagement gegen staatliche Maßnahmen oder gegen das Verhalten von Konfliktgruppen richtet, Friedensprojekte tragen dazu bei, dass die Bevölkerung in Krisenregionen in Selbsthilfeinitiativen zusammenfindet. Es geht darum, Strukturen aufzubauen, mit denen Defizite des Staates und der Gesellschaft ausgeglichen werden können: Die Menschen sollen ihre Belange selbst aktiv und dennoch gewaltfrei vertreten und durchsetzen können.

Die Rolle von NROs, Gebern und Fachkräften in der Zivilen Konfliktbearbeitung

In der Friedensarbeit ist, vielleicht noch mehr als in anderen Sparten der Bildungs- oder Entwicklungsarbeit, eine klare Rollendefinition der beteiligten Parteien notwendig. Alle an der Studie teilnehmenden Organisationen betonen, dass sie mit ihren Angeboten nur begleitende und unterstützende Funktionen einnehmen wollen. Gleichwohl wissen sie, dass sie die Verantwortlichkeiten und die Initiative der Zielgruppen zur Selbsthilfe (die so genannte »ownership«) übernehmen oder ersetzen können. Jedoch nur wenn die Betroffenen die Inhalte und Ziele der Projekte annehmen und sich mit diesen so weit identifizieren, dass sie selbst aktiv und engagiert handeln, kann die Projektarbeit tatsächlich zu persönlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führen. Konkret bedeutet dieser Ansatz, dass Projekte oft eine lange Vorlaufzeit benötigen, in der die Bedürfnisse der Betroffenen wie auch die Hintergründe und Konstellationen im Konflikt genau analysiert werden müssen. Ohne enge Kontakte zu den Zielgruppen entsteht kein Vertrauensverhältnis, das die Basis für tief greifende Veränderungen darstellt.

Im Projektprozess bemühen sich die meisten Organisationen sehr darum, nicht selbst in den Friedensprozess einzugreifen. Als allparteiliche, unterstützende Institution wollen sie helfen und begleiten – ohne die Richtung zu dominieren. Friedensprojekte stellen Strukturen und Ressourcen zur Verfügung, die es den Menschen leichter machen, alternative Handlungsweisen auszuprobieren und sich zu verändern: Sie schaffen ein konstruktives Umfeld, ein »environment for peace«, stärken die positiven Elemente (connectors) im Konflikt und grenzen sich von den negativen Faktoren (dividers oder spoilers) ab. Für die Friedensfachkräfte bedeutet dies auch, sich immer wieder zurücknehmen zu müssen bzw. sich nicht instrumentalisieren oder vereinnahmen zu lassen. Für sie ist es wichtig, ihr Fachwissen und ihre materiellen Ressourcen mit ihren Partnerorganisationen und Teammitgliedern zu teilen, ohne selbst aktiv in den Konflikt einzugreifen. Dies kann eine schwierige Gratwanderung bedeuten, belässt aber auf jeden Fall die Verantwortung, aber auch die Gewinne aus den Transformationsprozessen bei den Betroffenen.

Erkenntnisse dieser Materialsammlung

Die Analyseergebnisse der Fallbeispiele und die vielen Gespräche mit den Aktiven in den Projekten – den Koordinatorinnen und Koordinatoren, Projektleiterinnen und Projektleitern und Fachkräften – lassen sich in fünf Thesen zusammenfassen. Diese zeigen auf, welche Herausforderungen für Friedensarbeit heute bestehen und an welche Bedingungen sie geknüpft sind:

Friedensarbeit braucht Zeit

Die Förderdauer ist, vor allem bei Projekten in Krisenregionen mit jahrzehntelanger Konfliktgeschichte, oft viel zu kurz bemessen. Die Vertrauensbildung und der Aufbau von Arbeitsstrukturen benötigen mitunter Jahre, bis sie tragfähig sind und Wirkung zeigen. Ohne lokale Partnerorganisationen, die mit den Menschen vor Ort lange Zeit zusammengearbeitet haben und ihre Bedürfnisse kennen, ist es noch schwieriger, einen engen und belastbaren Kontakt herzustellen. Hier sind vor allem die staatlichen Geberstrukturen aufgefordert, diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Die übliche Förderdauer für Projekte liegt heute bei einem, maximal drei Kalenderjahren. Damit lassen sich weder langfristige Basisarbeit noch intensive Interventionen finanzieren, die notwendig sind, um tatsächlich nachhaltig zu wirken.

Friedensarbeit ist schwer vergleichbar

Der Versuch, Projektarbeit nach ihrer Wirkung zu beurteilen, ist sinnvoll und legitim. Wenn Steuergelder in Millionenhöhe in die Friedensarbeit fließen, sollte dies auf möglichst effiziente und nutzbringende Weise geschehen. Da jedes Projekt individuell auf seinen ganz besonderen Kontext zugeschnitten ist, fällt es schwer, allgemeingültige und vergleichbare Kriterien aufzustellen. Dennoch sollten im Interesse der Qualitätsförderung Wege zur Messung und Bewertung der Projektarten gefördert werden. PCIA (Peace and Conflict Impact Assessment)2 ist ein langsam an Qualität gewinnender Versuch, dieser Notwendigkeit zu entsprechen.

Friedensarbeit muss lernen dürfen

Das relativ abrupte Einsetzen des Zivilen Friedensdienstes 1999, mit einer sehr hohen Anzahl von Projekten innerhalb von nur wenigen Jahren, bedeutet eine sehr kurze Zeit für das Sammeln von Erfahrungen. Internationale Friedensprojekte, aber auch Bildungs- und Gewaltfreiheitsprojekte in Deutschland, brauchen Zeit und Lernanreize, um ihre Methoden weiterentwickeln zu können.

Wir sind es gewohnt, militärische Methoden der »Friedensschaffung« oder »Friedenssicherung« mit Kosten in Milliardenhöhe scheitern zu sehen. Friedensprojekte, die im Vergleich dazu mit nicht einmal einem Prozent der bundesstaatlichen Fördermittel ausgestattet sind, stehen unter einem viel höheren Erfolgsdruck. Dabei leisten gerade sie einen hochgradig spezialisierten und engagierten Beitrag, indem sie auf ständig wechselnde Umweltfaktoren flexibel reagieren und sich ihren Aufgaben mit immensem persönlichem und institutionellem Einsatz verschreiben. Im Sinne der weiteren Qualitätssteigerung der zivilen Konfliktbearbeitung ist hier noch ein langjähriger Erfahrungsaustausch nötig. Die Erfahrungen aus der Projektarbeit, und dies gilt auch für gescheiterte oder nicht vollständig erfolgreiche Projekte, sollten offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungen diskutiert werden. Innerinstitutionelle Lernprozesse, aber auch Netzwerke und gegenseitiger Austausch, unterstützen das Wachstum von Wissen und Sachkompetenz in der Friedensarbeit.

Friedensarbeit muss kohärent sein

Vor allem im Rahmen der internationalen Interventionen fordert die Bundesregierung mit Recht eine »Entwicklungszusammenarbeit aus einem Guss« – ohne Doppelungen oder Lücken im Angebot. Vernetzung ist daher ebenso nötig wie eine ernst gemeinte Zusammenarbeit, in der sich die deutschen und internationalen Organisationen intensiv darüber abstimmen, wo Förderbedarf besteht und wie sie ihre Projektarbeit nutzbringend koordinieren können. Konkurrenzdenken oder schlechte Vorbereitung von Projekten schaden einer bedarfsgerechten Angebotsstruktur und damit den Betroffenen in den Konfliktregionen. In der internationalen Friedensarbeit hat sich auch die Anbindung an klassische Entwicklungsprogramme bewährt. Statt Friedens- und Ernährungssicherungsprojekte als unabhängige oder gar konkurrierende Ansätze zu verstehen, macht es viel mehr Sinn, Friedensarbeit auch als Querschnittsaufgabe in die konventionelle Entwicklungs- und technische Zusammenarbeit einzubinden. Friedensprojekte können in Konfliktregionen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass weitere Investitionen in Entwicklungsprojekte Erfolg versprechend sind. Umgekehrt ist es sinnvoll, die langjährigen Vertrauensbande, die durch Entwicklungsarbeit entstanden sind, zu nutzen, um mit den gleichen Zielgruppen zusätzlich über Gewaltfreiheit und konstruktive Konfliktlösung ins Gespräch zu kommen.

Auf die Zivilgesellschaft kommt es an

Diese Studie stützt sich auf die Beobachtung, dass es in der Friedensarbeit immer stärker um Bildungsarbeit, Förderung von Nichtregierungsorganisationen und deren Vernetzung geht, wobei gerade die NRO in Krisenregionen einen Gegenpol zu versagender oder zu totalitärer staatlicher Macht darstellen. Das schließt Projekte, die gezielt Regierungen fördern, nicht aus, insofern die NRO diese auch dazu ermutigen, mehr Zivilgesellschaft zuzulassen.

Es wird mit wachsender Erfahrung immer deutlicher, dass in der Friedensarbeit nachhaltige Erfolge dort erzielt werden, wo die Bereitschaft zu Dialog und gegenseitiger Akzeptanz unmittelbar in der Bevölkerung verankert ist. Erst wenn auch das Wissen über gewaltfreie Wege der Konfliktlösung allgemein verbreitet ist, kann Frieden Teil des Alltags werden. Denn eine Gesellschaft, in der die Interessen der Menschen durch selbst gebildete Organisationen, Medien, Vereine oder Interessengruppen vertreten werden, kann auf gewaltsame Mittel zu deren Durchsetzung verzichten. Der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, innerhalb derer die einzelnen Akteure darin geschult sind, ihre Anliegen konstruktiv und erfolgreich zu vertreten, scheint der Schlüssel für eine nachhaltige Friedensarbeit zu sein.

Anmerkungen

1) Siehe hierzu http://www.ifa.de/foerderprogramme/zivik sowie den Artikel von Rainer Nolte, »Muss Subsidiarität sein? Optionen der staatlich-zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit« in dieser Ausgabe von W&F.

2) Siehe z.B. den Ansatz von Thania Paffenholz und Luc Reychler oder die »Methodical Guidelines for Peace and Conflict Impact Assessment« der Friedrich- Ebert-Stiftung unter www.Frient.de/downloads/PCIAGuidelines.pdf, 9.11.2009.

Dr. Ilona Auer-Frege ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika.

11 Jahre Widerstand

11 Jahre Widerstand

Frauenwiderstandscamps in Reckershausen im Hunsrück von 1983 bis 1993

von Christiane Leidinger

Sie kamen jedes Jahr nach Reckershausen im Hunsrück – elf Jahre lang. Von 1983 bis 1993 schlugen sie auf »Adeles Wiese« ein bis zwei Monate ihre Zelte auf und machten sich in jeder Hinsicht breit. »Sie«, das waren bis zu 2.000 Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch aus anderen Ländern wie der Schweiz, Österreich und Dänemark, die gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen bzw. Marschflugkörpern und gegen den alltäglichen Krieg gegen Frauen, Lesben und Mädchen protestierten und mit phantasievollen, teils spektakulären Aktionen Widerstand leisteten.

Sie hielten Mahnwachen, übernachteten an Bunkern, störten Fahnenweihen und Manöver, schnitten Absperrungszäune durch, besetzten Baukräne auf Militärgelände, sabotierten militärische Baustellen, blockierten Zufahrtsstraßen, überwanden Nato-Draht mit Teppichen, stellten Gedenktafeln an Kriegsgräbern auf, demonstrierten in Dörfern, produzierten Transparente und Flugblätter, sprühten Parolen im militärischen Absperrgebiet und vieles andere mehr. Im Laufe der Jahre verschob sich der Charakter der Camps zugunsten der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, die Antimilitarismus-Diskussionen und -Aktionen rückten in den Hintergrund. Für den Zusammenhang von »Militarismus und Gewalt« wird im Hunsrück immer wieder auf den »Bewusstseinswandel« hingewiesen, der sich durch die Frauenwiderstandscamps in der Region vollzog.

Der Hunsrück war als Ort für die Camps Anfang der achtziger Jahre mit Bedacht gewählt: Das Bundesland Rheinland-Pfalz wies zu dieser Zeit die dichteste Militärkonzentration in der BRD auf. Speziell im Hunsrück war das Militär der zahlenmäßig größte Arbeitgeber. Zudem war geplant, in diesem Gebiet die landwirtschaftliche Nutzfläche zum Vorteil des Militärs weiter zu reduzieren. Die AnwohnerInnen mussten nicht nur mit der Umstrukturierung der Dörfer zu funktionalen Wohnsiedlungen nach US-amerikanischem Muster leben, sondern mit bis zu 400 militärischen Aktionen im Jahr – und mit deren ökologischen Auswirkungen. Ende des Jahres 1983 sollten 96 Cruise Missiles bei Hasselbach stationiert werden.1

Das erste Hunsrücker Frauenwiderstandscamp

Das erste Frauenwiderstandscamps im Hunsrück 1983 entstand insbesondere vor dem Hintergrund negativer Erfahrungen von Androzentrismus, Sexismus und der Ausblendung feministischer Perspektiven auf Frieden, Gewalt und Krieg in der geschlechtergemischten Friedensbewegung – vor allem im Kontext der Bonner Großdemo und der Großengstingen-Blockade »Schwerter zu Pflugscharen« auf der Schwäbischen Alb im August 1982 (vgl. Einige Frauen, 1984, S.232; Schreiben der Frankfurter Vorbereitungsgruppe, 10.9.1982, Sammlung Finnemann; Frauengruppen, 1983, S.1; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.127f.; Schmid, 2007).

Als Vorbild bezogen sich die ersten Organisatorinnen der Hunsrück-Zeltlager auf die Camps von Frauen in Greenham Common/Großbritannien wie auch auf diejenigen im italienischen Comiso. Nicht zuletzt daher pflegten die Hunsrücker Camperinnen europäische wie US-amerikanische Kontakte, tauschten sich aus und waren teilweise international vernetzt – etwa mit Frauen von den Philippinen und in Nigeria (vgl. Ankündigungsbrief für Herbst 1983, Sammlung Finnemann; Sammlung Braun).

Das Selbstverständnis der Widerstandscamps war „antimilitaristisch[es]“ und wollte „gleichzeitig feministischen Ansprüchen“ „genügen“ (Gilmeister/Finnemann, o.J., S.19).

Forschungslage

Die Forschungsliteratur ist sehr übersichtlich und widmet sich den Camps zumeist nur in kurzen Passagen.2 Des Weiteren werden die Frauencamps durch Artikel in Bewegungszeitschriften begleitet, insbesondere in den Printmedien, die sich an Frauen und Lesben richte(te)n, aber auch im Hunsrück-Forum. Das Gros der Informationen über die ersten Camps lässt sich aus der Camp-eigenen Dokumentation für die Jahre 1983 bis 1985 (Frauenwiderstand, 1985) und aus Erfahrungsberichten (z.B. Koppert/Lindberg, 1984) beziehen.

Schauen wir uns die Aufarbeitung der Campgeschichte in der einschlägigen frauenfriedensbewegten Publikation von Karola Maltry (1993) einmal genauer an: Eine politik-theoretische Einordnung des Camplebens und der politischen Aktionen wird darin nicht geleistet. Die Motivation des Camps reduziert die Politologin auf exklusiven Protest von Frauen: „Einige Feministinnen, die nach ihren Erfahrungen in Großengstingen der Form der direkten gewaltfreien Aktion sehr positiv gegenüber standen, planten für den Sommer 83 ein Frauen-Widerstandscamp, um diese Aktionsform nur mit Frauen praktizieren zu können“, wobei, so Karola Maltry weiter, sie „zusätzliche Motivation“ von den „Beispielen der Frauen in Comiso/Sizilien und vor allem der Frauen in Greenham Common“ erhielten (Maltry, 1993, S.148). In den Selbstverständnispapieren, Dokumentationen und Programmen der Hunsrück-Camps steht dies allerdings explizit anders. Im Programm des Ersten heißt es: „1. Trotz theoretischer Erkenntnis über ein gleichberechtigtes Gruppen-Verhalten kam es zu den üblichen Schwierigkeiten zwischen Frauen und Männern in bezug auf Entscheidungen und Organisation. 2. Zum anderen wurde der Zusammenhang von Patriarchat, Krieg und Militarismus sowie der Zusammenhang von Kriegsbedrohung und Bedrohung im Alltag nicht thematisiert und ausgedrückt.“ (Frauengruppen, 1983, S.1) Diese Begründung reicht weit über das hinaus, was Maltry als Aktionsseparatismus der Camps benennt: Die in Großengstingen beteiligten Frauen waren nicht nur unzufrieden über die Zusammenarbeit mit Männern, die sie als nicht gleichberechtigt kennzeichneten, sondern auch mit den unterschiedlichen Vorstellungen, was sich in den Widerstandsaktionen inhaltlich widerspiegeln sollte. Konkret wurde kritisiert, dass feministische, frauenbewegte Erkenntnisse wie Patriarchats- und Gewaltanalysen sowie die Verbindungen von Krieg und Alltag sowie von Patriarchat und Militarismus nicht miteinbezogen wurden.

Als positive Wirkung des Camps benennt Karola Maltry Innovation, Spektakularität und mediale Repräsentation; die konkreten Störungen des Militäralltags – wie etwa bei der Lance-Raketen-Übung 1983 (vgl. Einige Frauen aus Bärlin, 1984, S.234f.) – verschweigt sie jedoch: „Die Wirkung des Frauencamps lag weniger in seiner tatsächlichen Behinderung der Stationierungsvorbereitungen, als vielmehr in seiner für die Bundesrepublik ‚neuartigen’ und daher spektakulären Form des Protests, die die Aufmerksamkeit auf sich zog und große Resonanz in der Presse erzielte.“ (Maltry, 1993, S.150) Hinsichtlich der „Mobilisierung der Bevölkerung zu eigenen Friedensaktivitäten“ sieht sie wenig Wirkung und kontrastiert dies im Rahmen eines Vergleichs mit einer Fastenaktion, die Jutta Dahl, eine Hunsrücker Pfarrerin initiierte hatte: Diese habe, so ihre These, „gewiß mehr bewirkt, …als das Widerstandscamp, weil sie [die Fastenwoche] einerseits durch die persönliche Anstrengung der Beteiligten beeindruckte und andererseits der Lebensweise der Bevölkerung weniger fremd gegenüberstand“ (Maltry, 1993, S.150). Naheliegenderweise wird hier versteckt abwertend zum einen auf die breite Präsenz von Lesben in den (Zelt-)Dörfern angespielt und zum anderen auf den autonomen Politikstil der Camperinnen; außerdem verweist Maltry hier womöglich implizit auf den wenig bis gar nicht christlich begründeten Widerstand, der von den Camps ausging und der sich von dem stark christlich motivierten der Hunsrücker Friedensbewegung unterschied.

Widerstandsverständnis und politische Theorieproduktion

Der Titel »Frauenwiderstandscamp« war Programm. Anders als etwa in Großengstingen oder Mutlangen wurde jedoch vor dem (ersten) Camp nicht festgelegt, welche Formen des Widerstands praktiziert werden sollten. Der Widerstand wurde aus den Erfahrungen und Diskussionen der Campteilnehmerinnen vor Ort entwickelt (vgl. Perincioli, 1983, S.13).

Das oder präziser: die komplexen Widerstandsverständnisse der Hunsrückcamps müssen noch untersucht werden, ebenso die weitgreifenden feministischen Analysen zu Militär, Sexismus und Patriarchat, die in diesem Rahmen (weiter)entwickelt wurden. Als bemerkenswert festzuhalten bleiben aber bereits beim jetzigen Überblick über das reichhaltige Material die Vielfältigkeit der Perspektiven v.a. der an den ersten Camps Beteiligten und die daraus abzulesende gelungene Bündnispolitik (vgl. dazu auch: Frauen, die kämpfen, 1988, S.85; Piel, 1989; Gruppeninterview, 2010). Diese Bündnisse sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff und die Formen des Widerstands in den Camps stets umkämpft waren. Im Zentrum der (noch im Einzelnen aufzuarbeitenden) Diskussionen standen vor allem in den ersten Jahren Gewaltfragen sowie die Vermittlung des Widerstands an die Hunsrücker Bevölkerung.

In den theoretischen Debatten, die im Rahmen der Camps geführt wurden, wie auch in den politischen Aktionen, rekurrierten die Frauen auf die feministische Erkenntnis eines notwendigerweise weiten Begriffs von Frieden, der nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern generell Gewaltlosigkeit als Kriterium nennt und zudem die verschiedenen Gewaltformen von Männern gegen Frauen als „alltägliche[n] Krieg“ von Frauen mit einbezieht (vgl. Sander, 1980; Schmauch, 1983; Heiliger, 2007). Zumindest in den ersten Jahren wurde offenbar oftmals mit einem weiten Begriff von Patriarchat operiert, der alle Unterdrückungsformen, beispielsweise auch Militarismus, Rassismus, Antisemitismus, Imperialismus, Kapitalismus und Naturzerstörung mit einschloss (vgl. Frauengruppen, 1983, S.37; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.128f.). Ein wichtiger Slogan basierte auf einer Parallelisierung von Gewaltformen wie Militarisierung, Imperialismus, sexualisierte Gewalt/Sexismus und Naturzerstörung: „Zwischen der Vergewaltigung einer Frau und der Eroberung eines Landes und der Zerstörung der Erde besteht kein wesentlicher Unterschied“ (Plakat 1986, Sammlung Finnmann; vgl. ähnlich Handbuch, 1984, S.12).

Über diese Themenkomplexe und Fragen nach Verbindungen von Politik und Spiritualität hinaus, waren weitere Diskussionsthemen: Antisemitismus (etwa Vereinnahmung von Kämpfen, Unsichtbarmachen), Ausländerfeindlichkeit, Faschismus (Verstrickung in Familiengeschichten, historisches Gedenken), Klassismus (soziale Herkunft, Geldfragen), Konsum (Verweigerung, Subsistenz), Ökologie (Atomkraft, Umgang mit Ressourcen, Ernährung), Rassismus (rassistische Sprache und Sozialisation, separate Camp-Räume für Schwarze FrauenLesben), Repression (»Sicherheitsgesetze«), Separatismus von Lesben, sexualisierte Gewalt, Unterschiede unter Frauen sowie immer wieder verschiedene Widerstandsformen, die parallel praktiziert wurden.3

Organisations- und Infrastruktur des Camps

Die Organisationsstruktur der Vor- und Nachbereitungen der Widerstandscamps sowie deren Durchführung wurde zweigleisig aufgebaut: Für jedes Camp gab es zwei bis sechs zumeist mehrtägige überregionale Vorbereitungstreffen sowie lokale Vorbereitungsgruppen in einzelnen Städten, die meist in den Zeltlagern Bezugsgruppen bildeten und einzeln und/oder neu ankommenden Frauen Anschluss bieten sollten (vgl. Handbuch, 1984, S.7-9; Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4; 9). Nachbereitet wurden die Camps in der Regel durch ein bis zwei überregionale Treffen von ein bis zwei Tagen.

Die Beschlüsse wurden im Konsens gefasst (vgl. Gruppeninterview, 2010). Da durch die mehrwöchige, zumeist siebenwöchige Dauer der Camps nur wenige Frauen die gesamte Zeit über teilnehmen konnten und manche dafür keinerlei Kapazitäten hatten, wurden v.a. in den ersten Jahren jeweils zentrale Aktionswochenenden während der Camps bestimmt, damit Frauen anreisen konnten, um sich an den Aktionen zu beteiligen (vgl. Handbuch, 1984, S.4; 7; 76; Sammlung Finnemann).

Protest und Widerstand der Camp-Frauen zogen vielfältige staatliche Repressionen nach sich: Neben kontinuierlicher Polizei-Überwachung wurde insbesondere das Camp von 1984 mit Prozessen wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, aber auch wegen »grobem Unfug« überzogen (Kornfeld, 1985b; vgl. Einige Frauen aus Bärlin, 1984, S.234; 236; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010). Neben Bußgeldern wurden auch mehrwöchige Haftstrafen verhängt (vgl. Prozessbroschüre, 1986; Piel, 1989; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010). Die aus der staatlichen Repression entstandenen Kosten wurden durch private Spenden aufzufangen versucht. Auch die Finanzierung der Camps an sich wurde mit Spenden, Solidaritätsveranstaltungen und einen wöchentlichem Camp-Beitrag sichergestellt (vgl. Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4).

Zur Organisationsstruktur gehörte es auch, die Camp-Öffentlichkeit selbst zu kontrollieren. Presse und Öffentlichkeit hatten daher – von campintern umstrittenen Ausnahmen abgesehen – keinen Zutritt zum Campgelände; Männer grundsätzlich nicht. Am Campeingang befand sich zumindest in den Anfangsjahren ein Presse-Informationszelt (vgl. Gilmeister/Finnemann, o.J., S.4; 7f.). Die ersten Camps wurden in der Presse regional und überregional wie auch in Zeitschriften größtenteils sehr kritisch bis ablehnend begleitet.

Widerstand im Alltag – alltäglicher Widerstand

Den zentralen Unterschied zu geschlechtergemischten Zeltdörfern beschreibt eine Camp-Frau, die aus gemischten »Anti-Imp«-Zusammenhängen kam und auch auf anderen Camps war, entlang der Frage nach der Umsetzung von „Visionen“ im Alltag: Die Hunsrück-Camps stehen z.B. für einen steten, verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen, der nicht auf die Zeit „nach der Revolution“ verschoben wurde (Gruppeninterview, 2010). Nach dem erfolgreichen ersten Camp 1983 sollte Widerstand auch im städtischen Alltag verankert werden. Dazu veranstalteten Camp-Frauen im November 1984 ein »Asphaltcamp« in Berlin (Kornfeld, 1985a, S.262; Sammlung Finnemann).

Die durch die mehrwöchigen Camps im Hunsrück temporär real gewordene Utopie von „Frauenland“ wünschten sich einige Frauen als alltägliche Lebensrealität (vgl. Frauengruppen, 1983, S.23; Handbuch, 1984, S.9; 17; Gilmeister/Finnemann, o.J., S.17). Daraus entstanden mit intensiver Vorbereitung einige Frauen/Lesbenwohnprojekte und u.a. ein Camp-Haus als Basis im Hunsrück sowie ein Lesbenkollektiv (vgl. Sammlung Finnemann).

Über die Umzüge in den Hunsrück hinaus, entschlossen sich zwei Frauen zu einer Dauermahnwache an der »Todesbasis Hasselbach« im Hunsrück. Diesen Ort des Mahnens richteten sie mit einem ausgebauten Wohnwagen im Oktober 1985 als festen Wohnsitz ein (vgl. Kornfeld, 1985a, S.264). Mitte Juli 1986 wurde die Mahnwache in Abwesenheit der Frauen polizeilich geräumt (vgl. Bogisch, 1986, S.25).

Was Anna Dorothea Brockmann 1984 in ihrem instruktiven, provokanten und kritischen Text zur Gewaltfrage in der Frauen- und in der Friedensbewegung forderte, haben die Frauen der Widerstandscamps im Hunsrück in vielen ihrer Aktionen stets aufs Neue eingelöst und kreativ ausgelotet: „bei Widerstand nicht auf die Grenzen, sondern auf die Angemessenheit zu schauen“ (Brockmann, 1984, S.142).

Gedächtnisschwund oder Geschichtsbemächtigung oder…?

Die aus den Widerstandscamps im Hunsrück entstandenen Aktionen verschafften den Frauen und ihren Anliegen vor allem in der Anfangszeit viel mediale Aufmerksamkeit: in den Tagesschau-Nachrichten der ARD (1983), den Tagesnachrichten des SWR (1983) und in Magazinen wie Brigitte (1985), Quick (1983) und Stern (1983). Aber über die Frauen und ihre friedenspolitische/n und feministische/n Protest- und Widerstandsgeschichte/n wissen heute fast nur noch diejenigen etwas, die das »sie« damals selbst gebildet haben, die dabei waren oder die, die es von »Camp-Frauen« – wie sie sich untereinander nannten – erzählt bekommen haben.

Ein auf den ersten Blick seltsamer Gedächtnisschwund in der Friedensbewegung und in der Frauen- und Lesbenbewegung wie auch in der Sozialen Bewegungsforschung – oder doch nicht? Auch darüber ließe sich ein – sicherlich längerer – Text schreiben, dessen Argumente und Einschätzungen zu Entwicklungen in der Frauen- und Lesben-Bewegung nicht nur auf die Hunsrückcamps zutreffen dürften. Ein solcher Beitrag würde das Verhältnis ausloten: zwischen der bedeutsamen Größe der Camps, ihrer beeindruckenden Kontinuität, der erstaunlichen Bandbreite der (auch medial) aufsehenerregenden Aktionen zur zeitgleich sich entwickelnden politischen Berechenbarkeit der Frauen- wie auch der Friedensbewegung (vgl. Brockmann, 1984, S.132; 135; 141; gwr, 78/1983), zur „Akademisierung des Feminismus“ und der daraus folgenden Marginalisierung radikaler Strömungen in der Frauenbewegung sowie zu deren Homogenisierung (Dackweiler/Holland-Cunz, 1991; Holland-Cunz, 1994, S.23; 31), außerdem zur konfliktualen Beziehung von Frauen- und Friedensbewegung (vgl. Dittmer/Lindner/Träger, 1983; Maltry, 1993; Schmauch, 1983; versöhnlicher bei Wasmuht, 1987, S.149-151). Nicht zuletzt würde sich ein solcher Text mit einem möglichen Interesse an Geschichtsbemächtigung auseinandersetzen, das Bewegungsgeschichtsschreibung nicht selten verzerrt. Dabei geht es auch darum, „nachträglich politische Konflikte durch deren Bewertung für sich zu entscheiden“ – dazu gehören auch Akzentverschiebungen hinsichtlich der Bedeutung von Themen und Perspektiven (Harms, 2005, S.13-15).

Literatur

Baetz, Michaela/Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane (2007): Chronik der Antisemitismusdiskussionen in der (Frauen- und) Lesbenbewegung der BRD der 80er Jahre. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 175-177.

Baldhoff, Scarlett/Schikorra, Christa (1985): Frauenwiderstandscamp/Hunsrück 1983/84 – Mythos vom weiblichen Widerstand. unv. Dipl.-Arbeit am Inst. f. Sozialpädogogik und Erwachsenenbildung an der Freien Universität Berlin, Berlin.

Bogisch, Ute (1986): Dauermahnwache – Ein Nachruf. Hunsrück-Forum. Zeitschrift für Demokratie und Frieden 14 (Okt.-Dez.), S. 25.

Brigitte (1985) – Beitrag von Margret Meyer: Frieden und ein bißchen wunderlich. In: Brigitte 13, S. 86-90.

Brockmann, Anna Dorothea (1984): Alle reden von Gewalt… In: Vorbereitungsgruppe 7. Sommeruniversität für Frauen (Hrsg.): Dokumentation der 7. Sommeruniversität für Frauen, Berlin. „Wollen wir immer noch alles? Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, o.O. [Berlin?], S. 129-142.

Camp-Abschiedsbrief Koppert/Lindberg (1987): Claudia Koppert/Birgit Lindberg 30.6.1987. Sammlung Koppert.

Dackweiler, Regina/Holland-Cunz, Barbara (1991): Strukturwandel feministischer Öffentlichkeit. beiträge zur feministischen theorie und praxis 30/31, S.105-122.

Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (2007): Lesben in Wut – Lesbenbewegung in der BRD der 70er Jahre. In: dies. (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 31-61.

Dittmer, Charlotte/Lindner, Christa/Träger, Hilde (1983): Ein bißchen Frieden – ein bißchen Feminismus… Überlegungen zum Verhältnis von Frauenbewegung und Friedensbewegung. beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, S. 113-115.

Einige Frauen aus Bärlin (1984). Frauenwiderstandscamp ’83 in Reckershausen/Hunsrück, vom 15.7. bis 15.8.83. In: Vorbereitungsgruppe 7. Sommeruniversität für Frauen (Hrsg.): Dokumentation der 7. Sommeruniversität für Frauen, Berlin. „Wollen wir immer noch alles? Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, o.O. [Berlin?], S. 232-239.

Felsenheimer, Katrin/Kornfeld, Ursel/Ulmer, Regine (1986): Frauen-Widerstandscamp im Hunsrück 1985. Leben an den Zäunen. In: Dokumentation der 1. Berliner Lesbenwoche 26.10.-2.11.1985: mit allen sinnen leben! Berlin, Eigenverlag, S. 46-52.

Frauen, die kämpfen (1988): Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben: Ansätze zum revolutionären Frauen- und Lesbenkampf gegen Imperialismus und Patriarchat, Zürich: Selbstverlag.

Frauengruppen (1983): Frauengruppen aus ca. 20. Städten. Frauenwiderstandscamp 83: Frauenwiderstandscamp Sommer ’83, vom 15.7.-15.8.83 in Reckershausen (Hunsrück). Großes Aktionswochenende 30./31.7. V.i.S.d.P. D. Schadow, Berlin, Juni 1983, 2. Aufl. (Broschüre 58 S.)

Frauenwiderstand (Hrsg.) (1985): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o.O., Selbstverlag Frauenwiderstand.

Frauenwiderstand im Hunsrück (1987): Frauenwiderstand im Hunsrück. o.O.

Gilmeister/Finnemann (o.J.) [1983/1984?]: Bericht über das Frauenwiderstandscamp 1983. unv. Manuskript in: Sammlung Finnemann (Typoskript 20 S.).

Gruppeninterview (2010): Gruppeninterview mit Anne, Astrid, Christl, Dorothee, Inge, Maria, Martina, Pia, Ulrike (Hunsrück/Köln) am 10.1.2010 in Simmern, geführt von Christiane Leidinger.

gwr, 78 (1983): graswurzelrevolution. Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft »’Gewaltfrei und ungehorsam’. Kein Frieden mit dem Staat«.

Handbuch (1984): Frauenwiderstand im Hunsrück vom 2.7.-31.8.84. V.i.S.d.P. Jutta Höhmann, o.O. Selbstverlag (76 S.).

Harms, Imma (2005): Der Zwang zur Geschichtsschreibung. Polemik gegen die Vitrinisierung der eigenen Vergangenheit. In: Hüttner, Bernd/Oy, Gottfried/Schepers, Norbert (Hrsg.): Vorwärts und viel vergessen. Beiträge zur Geschichte und Geschichtsschreibung neuer sozialer Bewegungen, Neu-Ulm, S. 13-26.

Heiliger, Anita (2007): Was man(n) Frieden nennt, ist alltäglicher Krieg gegen Frauen – Lesben in der Antigewalt-Arbeit. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 91-94.

Holland-Cunz, Barbara (1994): Soziales Subjekt Natur. Natur- und Geschlechterverhältnis in emanzipatorischen politischen Theorien, Frankfurt/M./New York.

Hollensteiner, Antje (1995): Die aktuelle Rassismusdebatte in der weissen deutschen Lesbenbewegung. In: Schäfer, Anke/Lahusen, Kathrin (Hrsg.): Lesbenjahrbuch 1. Rücksichten auf 20 Jahre Lesbenbewegung, Wiesbaden, S. 127-135.

Kagerbauer, Matthias (2008): Die Friedensbewegung in Rheinland-Pfalz. Der Hunsrück als Zentrum des Protests gegen die Nachrüstung. Magister-Arbeit Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz. URL: http://www.pydna.de/MagisterarbeitKargerbauer/Magisterarbeit.htm (download 6/2009).

Koppert, Claudia/Lindberg, Birgit (1984): Ich lebe Widerstand, weil ich lebendig bin. beiträge zur feministischen theorie und praxis 12, S. 115-118.

Kornfeld, Ursula (1985a): Chronologie. In: Selbstverlag Frauenwiderstand (Hrsg.): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o.O., Selbstverlag Frauenwiderstand, S. 253-264.

Kornfeld, Ursula (1985b): Widerstand soll 35.000 Mark kosten. Frauen aus dem ganzen bundesgebiet betroffen. Strafbefehle und Bußgeldbescheide. Hunsrück-Forum. Zeitschrift für Demokratie und Frieden 8 (April-Juni), S. 23f.

Leidinger, Christiane (2010a): Erste Auswertung der Antworten zum Fragebogen zu den Frauenwiderstandscamps im Hunsrück 1983-1993, Berlin, unv. Manuskript.

Leidinger, Christiane (2010b): Frühe Debatten um Rassismus und Antisemitismus in der (Frauen- und) Lesbenbewegung in den 1980er Jahren der BRD. In: Bois, Marcel/Hüttner, Bernd (Hrsg.): Die Linke. Geschichtsbroschüre 2 (Arbeitstitel) (i.E.).

Lenz, Ilse (Hrsg.) (2008): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden.

Maltry, Karola (1993): Die neue Frauenfriedensbewegung. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt/M./New York.

Müller, Ulrike (2009): Separation, Provokation, Aktion, Meditation – Das Frauenwiderstandscamp. In: Projektteam Frauenforum (Hrsg.): Zwischen Tradition und Aufbruch – Frauen-Geschichte der Hunsrück-Region, Simmern, S. 165-170.

Perincioli, Christina [sic] (1983): Nike vor der Küchentür. Raketen im Hunsrück. Courage. Berliner Frauenzeitung 7, S. 8-10.

Piel, Emma (1989): Frauenwiderstand im Hunsrück. Aktionen gegen Sexismus und Militarismus. graswurzelrevolution. für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft 136 (September), S. 10.

Prozessbroschüre (1986): Selbstverlag Frauenwiderstand (Hrsg.): Prozess-Geschichte(n). Frauenwiderstandscamp Hunsrück, Köln, Selbstverlag, Juni (87 S.).

Quick (1983). Beitrag von Heiner Emde: Frauen proben den heißen Herbst. In: Quick September, S. 82-84.

Sammlung Braun: Privatarchiv Ulrike Braun (Maitzborn).

Sammlung Finnemann: Privatarchiv Maria Finnemann (Steffenshof).

Sammlung Koppert: Privatarchiv Claudia Koppert (Horstedt).

Sander, Helke (1980): Über Beziehungen zwischen Liebesverhältnissen und Mittelstreckenverhältnissen. Courage 4, S. 16-29.

Schmauch, Ulrike (1983): Selbstkritische Überlegungen zu Frauenfriedensaktionen. beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, S. 116-118.

Schmid, Michael (2007): 25 Jahre: »Schwerter zu Pflugscharen« – Einwöchige Sitzblockade vor dem Atomwaffenlager in Großengstingen im Sommer 1982. 6.8.2007 Online: URL: http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/004561.html (download 1/2010).

Stern (1983): Beitrag von Almut Hielsche: Flötentöne gegen Nato-Raketen: In: Stern August, S. 98f.

SWR (1983): Das Frauencamp im Hunsrück, Bericht von Christa Tornow. Blick ins Land am 1.8.1983, SWR3-Rheinland-Pfalz (5’41’’).

Tagesschau (1983): Friedenscamp im Hunsrück, Bericht von Rutger Eicker. Tagesschau-Nachrichten um 20 Uhr am 23.7.1983 (1’17’’).

Wasmuht, Ulrike C. (1987): Friedensbewegungen der 80er Jahre. Zur Analyse ihrer strukturellen und aktuellen Entstehungsbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika nach 1945: Ein Vergleich, Gießen.

Witte, Martina (2007): Lesbische Separatistinnen in der autonomen Szene. In: Dennert, Gabriele/Leidinger, Christiane/Rauchut, Franziska (Hrsg.): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Unter Mitarbeit von Stefanie Soine, Berlin, S. 317f.

Anmerkungen

1) Müller, 2009, S.169 f.; vgl. z.B. Perincioli, 1983, S.13; Frauenwiderstand, 1985; Sammlung Braun; Sammlung Finnemann; Gruppeninterview, 2010; Frauengruppen, 1983, S.25-35; Einige Frauen, 1984, S.234; Felsenheimer/Kornfeld/Ulmer, 1985, S.48. Recherchen, Text und Chronologie wurden ermöglicht durch finanzielle Förderung von Imedana. Institut für Medien- und Projektarbeit e.V. (Nürnberg) in Kooperation mit Frauentraum und Frauenwirklichkeit e.V. (Kludenbach) – herzlichen Dank. Mein herzlicher Dank gilt weiterhin meinen (Gruppen-)Interviewpartnerinnen und den Teilnehmerinnen der Fragebogenaktion, außerdem Maria Finnemann für ihre unermüdliche Unterstützung und in alphabetischer Reihenfolge für Materialien, Hinweise, Lektüren, Kontaktvermittlung etc.: Ingeborg Boxhammer, Ulrike Braun, Gabriele Dennert, Anita Heiliger, Claudia Koppert, Rita Kronauer vom ausZeiten Frauenarchiv (Bochum), Birgit Lindberg, Hanna Lindenberg, Norbert Pütter vom Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit/CILIP, Bürgerrechte & Polizei, Inge Rethfeldt, Astrid Rund, Christa Schikorra, Beate Selders, Trudel Trautner, Vanessa Tuttlies, Ute Weller und Martina Witte.

2) Vgl. Wasmuht, 1987, S.151; Frauen, die kämpfen, 1988, S.85f.; Maltry, 1993, S.148-150; Hollensteiner, 1995, S.130f.; Baetz/Dennert/Leidinger, 2007, S.175; Heiliger, 2007, S.93f.; Kagerbauer, 2008, S.73f.; 78; Textpassage und Fotodokumentation vgl. Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.126-132; 135; ausführlicher: Baldhoff/Schikorra, 1985; Lenz, 2008, S.819; 822; 831-833; Müller 2009.

3) Vgl. Frauengruppen, 1983, S.12; Handbuch, 1984, S.10; 14; 18; Camp-Abschiedsbrief Koppert/Lindberg, 1987; Frauenwiderstand, 1987, S.14; Dennert/Leidinger/Rauchut, 2007, S.129; Baetz/Dennert/Leidinger, 2007, S.175; Witte, 2007, S.317; Sammlungen Braun, Finnemann und Koppert; Gruppeninterview, 2010; Leidinger, 2010a/b.

Christiane Leidinger ist freischaffende, promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lebt, lehrt und forscht v.a. in Berlin. Aktuelles Projekt: Widerstandskonzeptionen von alten und neuen sozialen Bewegungen im 20. Jahrhundert.

»Gender Counts«

»Gender Counts«

10 Jahre UN-Resolution 1325 – Bilanz, Herausforderungen und Perspektiven

von Rita Schäfer

Ende Oktober 2010 jährt sich zum zehnten Mal die Verabschiedung der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats zu Frauen, Frieden und Sicherheit. Die Resolution verlangt, Frauen und Mädchen vor sexualisierter Kriegsgewalt zu schützen, Frauen in Friedensverhandlungen und -missionen stärker einzubeziehen und »Gender«-Dimensionen bei allen Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogrammen zu berücksichtigen. Auf diese Weise soll der Gewalt Einhalt geboten und die Geschlechtergerechtigkeit in Nachkriegsgesellschaften gefördert werden. Schließlich bedroht die grassierende sexuelle Gewalt in vielen Nachkriegsgesellschaften den oft labilen Frieden.

Umsetzung der UN-Resolution 1325

Selbstkritisch merkte der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seinem letzten Jahresbericht zur UN-Resolution 1325 an, dass der Frauenanteil in zivilen und militärischen Kontingenten der UN-Friedensmissionen verschwindet gering sei. 2008 waren knapp 3% des militärischen Personals im UN-Auftrag Frauen. Nur eine einzige der weltweit 30 Friedensmissionen wurde von einer Frau geleitet. Bei Friedensverhandlungen betrug der Frauenanteil 7,6%; von einzelnen Ausnahmen abgesehen obliegt die Verhandlungsleitung nach wie vor Männern.

Nur bei den Aus- und Fortbildungsprogrammen zu »Gender«-Themen sieht der UN-Generalsekretär einige Verbesserungen. Wie notwendig »Gender«-Trainingsprogramme sind, illustrieren die zahlreichen sexuellen Misshandlungen durch Blauhelmsoldaten, die ganze Friedensmissionen in Misskredit bringen. Die Folgen sind Misstrauen, Verachtung oder gar Anfeindungen durch die lokale Bevölkerung, die eigentlich geschützt werden sollte. Allein zwischen 2007 und 2009 wurden 450 Fälle registriert, von denen aber nur 29 weiter verfolgt wurden. Allerdings ist die Dunkelziffer weitaus höher und die Überstellung der Täter an die Justiz ihrer Heimatländer bleibt häufig ohne juristische Folgen. Faktisch wird den oft minderjährigen Opfern Gerechtigkeit verwehrt; nicht nur die Eltern der missbrauchten Mädchen, sondern auch nicht-staatliche Frauenorganisationen prangern diese Straflosigkeit an.

Während der letzten Jahre nimmt ein Netzwerk von Nicht-Regierungsorganisationen die Implementierung der UN-Resolution 1325 in den einzelnen UN-Organisationen kritisch unter die Lupe. Es verlangt, dass internationale und nationale Akteure energischer gegen sexualisierte Gewalt vorgehen sollten. Man könne nicht allein den Frauenorganisationen eines Landes zumuten, der Gewalt Einhalt zu gebieten.

Seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre und dem Genozid in Ruanda 1994 forderten Frauenrechtlerinnen und Friedensexpertinnen die strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt. Jahrelang leisteten sie politische Lobbyarbeit für die Resolution 1325. Um so wichtiger sind die Einschätzungen der Vertreterinnen lokaler Organisationen, wenn es darum geht, nun die Umsetzung der Resolution 1325 auf nationaler und internationaler Ebene zu bilanzieren.

»Gender Counts«

Die internationale Konferenz »Gender Counts«, die vom 24.-26. März 2010 in Berlin stattfand, bot ein Forum für den Austausch zwischen Friedensaktivistinnen aus dem Kaukasus, dem Südosten Europas, dem Nahen Osten und aus Ostafrika. Veranstalter der dreitägigen Konferenz mit über 120 Teilnehmer/-innen war OWEN, die mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung. Gemeinsam mit dem deutschen Frauensicherheitsrat und dem Forum Ziviler Friedensdienst zielen sie darauf ab, vor allem zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren Gehör zu verschaffen. So gab es mehrere Arbeitsgruppen zum Erfahrungsaustausch über die konkrete Friedensarbeit und innovative Ansätze gegen Gewalt in den unterschiedlichen Regionen, Dialogforen mit hiesigen Nicht-Regierungs- und Geberorganisationen sowie Diskussionen mit deutschen und internationalen politischen Entscheidungsträgern.

Angesichts der Tatsache, dass es bislang keine genauen Indikatoren und keinen Zeitplan zur Umsetzung der Resolution 1325 gibt, verschleppen viele Länder die Umsetzung. So haben erst einzelne Regierungen nationale Aktionspläne erarbeitet. Mancherorts scheitert deren systematische Implementierung am politischen Willen und an finanziellen Ressourcen. Deshalb fordert der deutsche Frauensicherheitsrat seit langem eine kohärente Gesamtstrategie, eine geschlechterpolitische Konzeption, konkrete Umsetzungsvorgaben und überprüfbare Kriterien im Rahmen eines nationalen Aktionsplans. Diesen Forderungen wurde während der Diskussion mit Regierungsvertretern eine eindeutige Absage erteilt. Sie beriefen sich auf zahlreiche Einzelmaßnahmen, vor allem im Trainingsbereich. Die frühere Bundesregierung hatte einen Aktionsplan zur UN-Resolution 1325 mit dem Hinweis abgelehnt, »Gender« sei im Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention enthalten.

Demgegenüber betonte die ugandische Friedensaktivistin Ruth Ojimbo Ochieng, dass ein nationaler Aktionsplan der deutschen Regierung zur UN-Resolution 1325 einen geeigneten Rahmen schaffe, um den Missbrauch deutscher Entwicklungsgelder durch Eliten in afrikanischen Nachkriegsgesellschaften zu unterbinden und lokale Friedensaktivistinnen zu erreichen. Sie leitet seit vielen Jahren die Organisation ISIS/WICC in Kampala, die Studien zur Problemlage von Frauen in Nachkriegsgebieten durchführt und konkrete Vorschläge für Entwicklungsprogramme formuliert. Deshalb kennt sie die Korruptionsprobleme und sucht nach Gegenstrategien.

Auch Irene Dawa, die vor allem Jugendprojekte im Norden Ugandas und im Süd-Sudan durchführt, bekräftigte, dass die UN-Resolution 1325 ein sinnvolles Instrument sei, um Frauen in peripheren ländlichen Gebieten an Friedens- und Entwicklungsprogrammen zu beteiligen. Ihre Interessen und Bedürfnisse sollten von Entwicklungsplanern und politischen Entscheidungsträgern viel stärker beachtet werden. Sonst würden weiterhin zahllose Workshops zur Demokratieförderung veranstaltet, während gleichzeitig die Gesundheitssituation so problematisch sei, dass viele Frauen an einfach zu behandelnden Krankheiten sterben. Irene Dawa unterstrich, dass es ohne die Überwindung der gravierenden Missachtung von Frauen und der geschlechtsspezifischen Gewalt keine Demokratie und keinen Frieden geben kann.

Vernetzungen auf unterschiedlichen Ebenen

Diese Einschätzung teilte auch Flora Macula, die für UNIFEM im Kosovo arbeitet und grenzübergreifend mit serbischen Frauenorganisationen kooperiert. Zudem pflegt sie Kontakte mit Frauenrechtlerinnen in Bosnien-Herzegowina. Flora Macula erklärte, dass viele Frauenorganisationen ganz gezielt an Demokratisierungsprozessen und inter-ethnischen Dialogen arbeiten. Unter Berufung auf die UN-Resolution 1325 stärkt UNIFEM solche Frauenorganisationen. Flora Macula ist überzeugt, dass auf diese Weise auch geschlechtergerechte Rechtsreformen und politische Strukturveränderungen in Gang gesetzt werden. Sie schlug vor, dass Frauenorganisationen als wichtige zivilgesellschaftliche Interessenvertretungen die Regierungsarbeit im Bereich der Frauenrechte und Geschlechterpolitik kritisch beobachten sollten. Dafür seien Vernetzungen auf regionaler Ebene notwendig. Um das zu erreichen, muss der geschlechtsspezifischen Gewalt Einhalt geboten werden. Die »Gender«-Expertin weiß, dass die Gewalt ein zentrales Problem ist, dass Frauen aller Ethnien betrifft. Ihrer Meinung nach eint die Überwindung der Gewalt Frauen unterschiedlicher Herkunft.

Grenzüberschreitende Dialoge

Verknüpfungen zwischen gewaltgeprägter Männlichkeit und der Militarisierung einer Gesellschaft zeigten auch Friedensaktivistinnen aus dem Nahen Osten auf. So strebt die Organisation New Profile die Überwindung der Militarisierung und des Sexismus in der israelischen Gesellschaft an. Deshalb richtet sich die Kritik der politischen Machthaber auch immer wieder gegen sie. Die Organisation Al-Tariq (übersetzt »Der Weg«) bemüht sich, der Militarisierung der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft gegenzusteuern. Unter schwierigen Bedingungen veranstaltet sie Friedenscamps für palästinensische und israelische Jugendliche. In diesem Rahmen wird versucht, gewaltfreie Konfliktlösungen zu vermitteln. Diana Jarrar, eine junge Palästinenserin, und Noam Tirosh, ein junger Israeli, berichteten über ihre Projekte, die auf Einstellungsveränderungen abzielen. Gleichzeitig wiesen sie eindrücklich auf die großen Probleme hin, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind. So sind die Schwierigkeiten beim Aufbau von Verständigung sowie die Geschlechterkonflikte in ihren Gesellschaften vor allem durch die komplizierten und langjährigen politischen Konflikte begründet.

An grenzüberschreitenden Dialogprogrammen arbeiten auch Frauenorganisationen im Kaukasus. Ihr Bemühen gilt der Sensibilisierung von Lehrerinnen und Journalistinnen, die als Multiplikatorinnen für Versöhnung und Friedensstiftung gestärkt werden. Dabei beziehen sie sich auf die UN-Resolution 1325, die ausdrücklich die Potenziale von Frauenorganisationen in Friedensprozessen anerkennt. Um ihre vielerorts nicht ungefährliche Arbeit fortführen zu können, brauchen lokale Friedensaktivisten/-innen verlässliche Partnerschaften mit hiesigen Nicht-Regierungsorganisationen und internationalen Organisationen. Über bisherige Erfahrungen und zukünftige Erwartungen an solche Partnerschaften wurde während der Konferenz ganz offen diskutiert. Das war auch ein ausdrückliches Anliegen der Veranstalterinnen.

Die Konferenz »Gender Counts« verdeutlichte: Der Schutz vor Gewalt und die Verwirklichung von Frauen/Menschenrechten sind wesentliche Beiträge zur nachhaltigen Befriedung von Gesellschaften. Lokale Frauenorganisationen haben innovative Ansätze zur Überwindung gewaltgeprägter Männlichkeit und zur Demokratisierung im Sinne der UN-Resolution 1325 entwickelt. Diese sollten von politischen Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern beachtet werden.

Rita Schäfer

Gender-Jihad

Gender-Jihad

Grundlage für den islamischen Geschlechterfrieden

von Rabeya Müller

Das Verstehen des Begriffs »Islam« könnte im öffentlichen Leben kaum unterschiedlicher sein. Die einen verbinden damit die Vorstellung von Frieden und Hingabe an Gott, die anderen Gewalt und Terror, aber auch Unterdrückung von Frauen. Beides lässt sich von den jeweiligen ProtagonistInnen belegen, sei es durch qur’anische Texte, sei es durch reale Bilder. Nach außen hin wirkt es so, als würden sich muslimische Mädchen und Frauen in das vorgegebene Rollenschema einfügen und die bestehende Situation verteidigen während auf der anderen Seite sog. Islamkritikerinnen die Situation feministisch erkannt und analysiert haben. Wie sieht die Konstellation innerislamisch tatsächlich aus? Ist es möglich eine Friedenserziehung vom islamischem Verständnis durchzuführen, z.B. als Bestandteil eines konfessionellen islamischen Religionsunterrichts, die auch zu einem friedlichen Zusammenleben der Geschlechter führt? Welche Rolle spielt dabei Feminismus oder Geschlechtergerechtigkeit im Islam?

Kein Frieden ohne Geschlechterfrieden – wenn diese abgewandelte Form des Slogans von Hans Küng („Kein Friede ohne Religionsfrieden“) zitiert wird, reagieren viele muslimische Vertreter, aber auch Vertreterinnen mit einem gewissen Unverständnis.

Im allgemeinen wird der Begriff Islam mit der Konnotation Salam (Frieden) synonym gesetzt, beide haben die gleiche Wortwurzel. Was dies allerdings mit der Rolle der Geschlechter zu tun haben könnte, wird als irrelevant empfunden. Dies ist die offizielle »Heile-Welt-Version«, die seitens vieler muslimischer Gruppierungen vertreten wird. Auf der anderen Seite haben bereits viele muslimische Frauen erkannt, dass die patriarchale Auslegung ein Zustand ist, der Frauen einschränkt, sie domestiziert und von der Partizipation an der Macht abhält.

Traditionell liegt das Ziel darin, bestehende Rollenklischees zu verfestigen und neuere Machtansprüche des weiblichen Geschlechts zu kontaminieren. Dies geschieht auf geradezu subtile Weise unter den Augen der Öffentlichkeit, ja sogar unter deren Beihilfe. So wird z.B. viel über die Ausbildung von Imamen diskutiert und viele Hochschulen möchten diese Ausbildungsgänge zu sich holen. Schließlich geht es hier nicht nur um einen Machtfaktor, sondern auch um die Möglichkeit richtungsweisend für die islamische Theologie der nächsten fünfzig Jahre tätig zu werden. Staatlicherseits wird zwar zaghaft die Frage von Imaminnen vorgebracht, aber viel zu leicht lässt man sich hier mit der Aussage abwiegeln, dass es natürlich Imaminnen bzw. weibliche Hodschas gäbe – wohlwissend, dass diese zwar für den Unterricht, maximal für das Gebet von Frauen, aber keinesfalls für die Leitung einer Gemeinde eingesetzt werden.

Die Kontroverse um die Islamprofessorin Amina Wadud, die 2005 in New York als Frau ein Freitagsgebet von Männern und Frauen leitete, zeigt wie angstbesetzt die nach außen hin so widerstandsfähig wirkenden patriarchalen Kräfte sind. Die Reaktionen gingen quer durch die sog. Islamische Welt, von dem Vorwurf der Häresie, über die Betitelung als »Feindin des Islam« bis zur Abqualifizierung als »verwirrte Frau«. Wadud bekam es, auch persönlich, deutlich zu spüren, wie wenig offen viele muslimische Kreise Veränderungen gegenüber sind, besonders wenn sie die traditionelle Religionsausübung betreffen.

In ihren Büchern, vor allem in dem Werk »Inside the Gender Jihad«1 plädiert sie explizit für eine Pluralität in Bezug auf Meinungen und Lebensentwürfe, insbesondere auch auf die Perspektiven der Qur’aninterpretation. Hierbei stellt sie die dynamische Interaktion zwischen dem Lesenden und dem Text in den Mittelpunkt.

Für Wadud, wie für viele andere Vertreterinnen einer geschlechtergerechten Sichtweise auf den Qur’an, ergibt sich aus dessen Lektüre eine werkimmanente Geschlechtergerechtigkeit, die eine egalitäre Kernbotschaft des Qur’ans verdeutlichen. Viele dieser Ideen konnten in der frühislamischen Zeit nicht unmittelbar umgesetzt werden, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse dafür noch nicht bereit waren. Fatal ist nur, dass offenkundig die Stellen, die augenscheinlich der Gleichheit widersprechen, sofort verwirklicht und etabliert werden konnten.

Dass es sich hierbei um eine kontextuelle Interpretation handelt, möchten viele ausblenden. So wie Übersetzungen stets eine Interpretation des Textes darstellen, sind auch Exegesen nie ein Endprodukt. Die quasi »offene Struktur des Buches« eröffnet die Möglichkeit unterschiedliche Perspektiven zuzulassen ohne sich dem Vorwurf der Beliebigkeit auszusetzen.

Gerade auch deshalb ist es notwendig Gender als eine Denkkategorie wieder ins Bewusstsein zu bringen, um einen zwar kontroversen, aber auch friedlichen Diskurs hinsichtlich der Geschlechterdifferenz zu ermöglichen.

Auf vielen anderen Gebieten sind Reformen zwar kritisiert, aber dennoch zugelassen worden, etwa als Muhammad Abdu Bankzinsen für zulässig erklärte, nur in Bezug auf die sog. Frauenverse und der damit verbundenen Genderfrage scheint weder ein Einlenken noch ein Kompromiss möglich.

Wie erwähnt ist dies allerdings eine Tendenz, die von nichtmuslimischer Seite beabsichtigt oder unbeabsichtigt unterstützt wird.

Exegetischer Friede oder friedliche Exegese?

Ein weiteres Beispiel ist, wenn in zugelassenen Lehrplänen davon die Rede ist, dass die »einschlägigen« Verse zur Erschaffung des Menschen (u.a. Sure 4:1-3 oder 49:13) gekannt werden sollen, aber nirgendwo die Rede davon ist, welche Übersetzung hierfür genutzt werden soll; auch hier besteht die Gefahr patriarchale Strukturen zu verstärken. Denn die vorgegebenen Verse können sowohl geschlechtergerecht als auch patriarchal gelesen werden, wie das Beispiel der Schöpfungsgeschichte belegt (siehe Kasten).

Patriarchale Übersetzung Geschlechtergerechte Übersetzung
Sura An-Nisa‘ (Die Frauen) (offenbart zu Al-Madina) 176 Ayat Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen! O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen; und aus ihm erschuf Er seine Gattin, und aus den beiden ließ Er viele Männer und Frauen entstehen. Und fürchtet Allah, in Dessen Namen ihr einander bittet, sowie (im Namen eurer) Blutsverwandtschaft. Wahrlich, Allah wacht über euch.[4:1] [1] Sura An-Nisa‘ (= Die Frauen, offenbart zu Madina, 176 Ayat)
„Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Barmherzigen! Ihr Menschen, seid ehrfürchtig gegenüber eurem Rabb, Der euch erschaffen hat aus einem einzigen Wesen; Aus ihm erschuf Er das (entsprechende) Partnerwesen und aus den beiden ließ Er viele Männer und Frauen entstehen. Und seid ehrfürchtig gegenüber Gott, in Dessen Namen ihr einander bittet, ……[4:1]“ *
* (Zentrum für Islamische Frauenforschung- und Frauenförderung: „Ein einziges Wort ..“, Köln 2005.)

Zumindest wäre es sinnvoll diese beiden möglichen Übersetzungen miteinander zu vergleichen und deren Wirkung entsprechend zu diskutieren. Statt dessen werden die Verse zu häufig zur Bestätigung und Verfestigung bestehender Rollenklischees genutzt, anstatt einen qur’anhermeneutischen Schwerpunkt zu setzen. Was gänzlich im Lehrplan fehlt und die anderen Verse unter einem entsprechenden Aspekt interpretierbar macht ist, dass der Qur’an die Beziehung der Geschlechter an der gegenseitigen Zuneigung festmacht: „Und zu Seinen Zeichen gehört es, dass Er euch aus Erde erschuf; alsdann, seht, seid ihr Menschen geworden, die sich vermehren.[30:20] Und ebenfalls zu Seinen Zeichen gehört es, dass Er Partner und Partnerinnen für euch aus euch selber schuf, damit ihr Frieden bei ihnen finden möget; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Hierin liegen tatsächlich Zeichen für ein Volk, das nachdenkt.“[30:21]

Erst hier wird der Kontext klar, um den es in den vielen anderen Qur’anstellen geht. Aber diese Kontextualisierung, die damit verbundene Reflexion und kritische Fragestellung sind in vielen Gruppierungen nicht erwünscht und dem wird auch öffentlich Rechnung getragen – eventuell, um ein bestimmtes Bild vom Islam zu erhalten oder um sich die entsprechenden Gruppierungen gewogen zu halten.

Diese klischeehafte Vorstellungen von den Geschlechterrollen durchsetzen viele Themen in den Lehrplänen, auch so harmlos erscheinende wie das Thema Fasten: „Es ist euch erlaubt, euch in der Nacht des Fastens euren Frauen zu nähern; sie sind Geborgenheit für euch und ihr seid Geborgenheit für sie. Allah weiß, dass ihr gegen euch selbst trügerisch gehandelt habt, und Er wandte euch Seine Gnade wieder zu und vergab euch. So pflegt nun Verkehr mit ihnen und trachtet nach dem, was Allah für euch bestimmt hat. Und esst und trinkt, bis der weiße Faden von dem schwarzen Faden der Morgendämmerung für euch erkennbar wird. Danach vollendet das Fasten bis zur Nacht. Und pflegt keinen Verkehr mit ihnen, während ihr euch in die Moscheen zurückgezogen habt. Dies sind die Schranken Allahs, so kommt ihnen nicht nahe! So erklärt Allah den Menschen Seine Zeichen. Vielleicht werden sie (Ihn) fürchten.“[2:187]

Hier wird augenscheinlich von einem aktiven männlichen Part und einem passiven weiblichen ausgegangen. Es ist ein Beispiel für einen Text, der ohne entsprechenden azbabun-nuzul (Grund für die Offenbarung) frauenfeindlich genutzt werden kann. Dabei ist wichtig zu wissen, dass hier offene Fragen in der frühislamischen Gemeinde vorlagen lediglich den Zeitumfang des Fastens betreffend um diesen ähnlich dem anderer Religionsgemeinschaft zu gestalten. Es geht eindeutig um das Aussetzen des Fastens während der Nacht.

Islamischer Religionsunterricht – Basis für Geschlechtergerechtigkeit?

Anhand der Interpretationsmöglichkeiten nur der wenigen, bisher genannten Verse ist erkennbar, welchen Stellenwert die Bearbeitung des Themas Frieden, hier speziell des Geschlechterfriedens im Unterricht haben sollte:

„Im Religionsunterricht werden Kinder oft erstmalig an eine strukturelle Aufarbeitung der Themen Frieden und Gewalt herangeführt. Das bedeutet ihre bisherige Sozialisation hat die Vorkenntnisse und »Vorurteile« zu diesem Thema bereits entscheidend geprägt. Auch die katechetischen Belehrungen haben häufig eine prägende Wirkung.

Umso wichtiger ist es, dass Kinder einen eigenen Zugang zu ihren Quellen erarbeiten, der ihnen auch Instrumentarien an die Hand gibt, selbst diese Quellen zu erschließen und eigene Rückschlüsse für ihr Leben zu ziehen. Das ist im Hinblick auf die Tatsache, dass Elternhaus und Gemeinde oft stärker an der Wahrung der Traditionen der jeweiligen »Volksreligion« interessiert sind, nicht gerade fazil.

Somit hat Religionsunterricht (RU) nicht nur die Funktion theologisches Wissen zu vermitteln, sondern auch das Wissen zu benutzen, um Zusammenhänge erfassen und Komplexität analysieren zu können. Jede Religionsgemeinschaft erhebt den Anspruch ihre Kinder zum Glauben hin erziehen zu wollen, allerdings gehört dazu das Wissen über die Religionen und die zu erlernende Fähigkeit, aus dem eigenen Religionsverständnis heraus gemeinsames, friedliches Zusammenleben in Respekt voreinander miteinander gestalten zu können.

Die verschiedenen Religionsgemeinschaften betrachten diese Voraussetzungen mit unterschiedlicher Gewichtung. Einerseits erschließt sich uns eine klare Sachebene, auf der Friedenskompetenz erarbeitet werden kann. Das lässt sich sowohl im konfessionellen, als auch im interreligiösen Unterricht bewältigen. Andererseits gibt es aber noch die persönliche und damit sehr emotionale Ebene der Friedenskompetenz, die auch abhängig ist vom Friedenswillen, der wiederum durch entsprechendes theologisches Sachwissen unterstützt werden soll.“ 2

Der Respekt vor dem Andersdenkenden ist nicht ausschließlich auf Angehörige anderer Glaubensvorstellungen und Ideologien gerichtet, sondern zugleich grundsätzlicher Natur – denn er beinhaltet z.B. auch den Respekt vor dem jeweils anderen Geschlecht, also bedarf es ebenfalls einer Friedenserziehung in der Geschlechterdifferenz. Wie gezeigt, beginnt dies bereits bei der Schöpfungsgeschichte, wo der jeweilige Schöpfungsbericht entweder durch Interpretation oder durch gezielt gelenkte Übersetzungen frauenfeindlich überliefert wird.3

So wie hinter der Konnotation von Religion und Gewalt meist der Absolutheitsanspruch auf Besitz der Wahrheit steht, setzt sich dies in der Durchsetzung von bestehenden Rollenstrukturen weiter fort. Obwohl weitgehend betont wird, dass der Islam eine körperfreundliche Religion sei, was durch den Qur’an auch durchaus belegbar ist, ist die traditionelle Haltung vieler Musliminnen und Muslime (so wie dies auch in anderen Religionsgemeinschaft als Trend erfasst werden kann) eher geeignet weibliche Sexualität unter Kontrolle zu halten.

Sex, Gender und Gewalt?

Die Differenzierung von »sex« als biologischem Geschlecht und »gender« als sozialem Geschlecht findet nur selten Niederschlag im Bewusstsein muslimischer Schülerinnen und Schüler. Das bedeutet auch wenig Veränderungen im Bewusstsein der alltäglichen religiösen Praxis. Eine Situationen, die viele sog. Islamexperten zu der Ansicht verleitet, dass die patriarchalen Strukturen, durch religiöse Vorgaben begünstigt werden und damit der Religion allein die Schuld für die desolate Situation vieler muslimischer Frauen zukommt. Oft genug gipfelt dies in der Forderung, die Religion möglichst abzuschaffen.

Die von einigen Musliminnen und Muslimen oft vorschnell eingebrachte Absicht religiöse Überzeugungen mit Hilfe von Gewalt oder deren Androhung Nachdruck zu verleihen, führt zu einer Konstellation von Intoleranz gepaart mit extremistischen Vorstellungen, die den sog. IslamkriterkerInnen und deren Einschätzungen Vorschub leistet.

Wenn also das Thema Gewalt in der Vielfalt seiner emotionalen Facetten (wie Angst, Abscheu, aber auch Faszination und Begeisterung) lebensgeschichtlich schon früh eine tragende Rolle spielt, ist damit auch die religiöse und ethische Entwicklung des Menschen angesprochen. Die entscheidende Zuspitzung liegt aber darin, dem Phänomen in seiner geschlechtsspezifischen Dimension Rechnung zu tragen. Allerdings – und das macht die Kombination der Fragestellung nach Religion, Gewalt und Geschlecht besonders brisant – ist dies forschungswissenschaftlich Neuland, denn die Untersuchungen zu Religion und Gewalt blenden zumeist die Genderthematik aus, während die vor allem sozialwissenschaftlich boomenden Studien zur Männlichkeit der Gewalt den religiösen Blickwinkel vernachlässigen. Wir kommen jedoch nicht umhin, beide Stränge im Gewaltdiskurs einzubinden, um auf die Notwendigkeit weiterer Forschung hinzuweisen.

Kinder und Jugendliche sehen sich einer bestimmten Erwartungshaltung seitens der Eltern und der Gemeinschaft ausgesetzt, was sie im Religionsunterricht lernen sollen und leiten diesen Druck bewusst oder unbewusst an die jeweilige Lehrkraft weiter. Eltern ihrerseits sind oft von Ängsten besetzt und fürchten den Verlust religiöser Werte.

Werte sind wissenschaftlich gesehen oft sehr eingeschränkt auf fachimmanente Kategorien bezogen. In der islamischen Theologie z.B. ist jedoch eine Möglichkeit der werkimmanenten Interpretationsmöglichkeit des Qur’an (d.h. die Instrumentarien für die Interpretation liefert das Buch selbst) bekannt.

Die Wahrung der religiösen Werte z.B. im »Volksislam« verlangen augenscheinlich nach ausgeprägter normativer Pädagogik. Dem entgegen steht die Vorstellung einer Schuldidaktik, dass Schülerinnen und Schüler die obligatorischen Werte selbst erarbeiten und analysieren sollten und somit einen eigenen Zugang zu religiöser Wahrheit konzipieren. Ein solcher Unterricht ist prozessorientiert dem spezifisch subjektiven Lernen angepasst. Dieser emanzipatorische Ansatz stellt hohe Anforderungen an die Lehrkräfte und die Zugeständnisfähigkeit der Eltern, die oft ganz andere Erwartungen an einen konfessionellen Religionsunterricht in der Schule haben.

Die Forderungen an die Lehrkräfte, hierbei eine neutrale Rolle einzunehmen, erscheint manchmal als eine Illusion und wahrscheinlich wäre nur die Vermittlung ideologiekritischer Instrumentarien dazu geeignet ein neutrales Element mit einzubringen, welches berücksichtigt, dass Lehren stets mit eigenem Lernen verbunden ein wechselseitiger Prozess ist.

Grundsätzlich sind beide Geschlechter, d.h. Mädchen und Jungen, Mütter und Väter, Lehrerinnen und Lehrer betroffen, wobei sich aber augenscheinlich vornehmlich bei der jüngeren Generation der nicht ausgetragene innerislamische Konflikt um den Geschlechterdiskurs zunehmend nach außen richtet und zu einer Art Radikalisierung führt. Besonders junge Musliminnen empfinden sich in ihrer muslimischen Identität nicht ernst genommen. Sie erleben bei den zarten Versuchen als eigenständige muslimische Persönlichkeiten wahrgenommen und akzeptiert zu werden die Zurückweisung großer Teile der nichtmuslimischen Gesellschaft sehr schmerzhaft. Denn auch in der nichtmuslimischen Gesellschaft verschwimmen die Grenzen zwischen Tradition und Religion nur allzu oft – zu intensiv war die Vorgabe der »IslamkritikerInnen«. Die Antwort der Islamischen Seite ist oft eine Apologetik, die die Selbstkritik zu einem Verrat werden lässt.

Friedensfähigkeit durch Friedenserziehung

Da ist zunächst die persönliche Ebene, die stark auch mit dem Begriff der Identitätsbildung verbunden ist: „Auch religiöse Identitäten stehen immer in bestimmten historischen Zusammenhängen und sind keine anthropologischen Konstanten. Sie haben vielmehr teil an Traditionslinien und -brüchen der je eigenen und der allgemeinen Geschichte und entwickeln sich also immer in bestimmten Erfahrungszusammenhängen von erlebter oder doch wahrgenommener Geschichte….“ 4

Hier ist der Weg zuerst einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und in Einklang mit sich selbst zu kommen. Kindern und Jugendlichen sollte vermittelt werden, dass ein solch eigener Standpunkt, auch vor der eigenen Religion und Religionsgemeinschaft legitim ist, wobei aber dieser eigene Standpunkt keinen Absolutheitsanspruch entwickeln sollte.

Dabei wird sich natürlich immer wieder die Frage nach der Wahrheit bzw. dem Wahrheitsanspruch in den Vordergrund drängen; eine Frage, die, aufgrund der Tatsache, dass entsprechende Vorstellungen Eingang in pädagogisches Handeln bekommen, uns auch weiterhin in hochbrisanter Weise beschäftigen wird.

Traditionsträchtige Werte scheinen meist nicht kombinierbar mit Reflexionsansprüchen. Kinder wollen ihren Eltern gefallen und übernehmen manchmal in geradezu schizophrener Weise die Werte mit einem Teil ihrer Persönlichkeit, sind aber im Alltag oft mit ganz anderen Realitäten konfrontiert und setzen viel daran die traditionellen Werte zu verteidigen, sogar wenn dabei der Wert des Friedenserhalts außen vor gelassen wird. So haben wir eine Rankingliste der Werte, bei der Frieden offensichtlich weit unten rangiert. Unreflektiertes Wissen kann jedoch keinen friedensfördernden Denkprozess in Gang setzen. Wer z.B. nur gelernt hat, dass Islam Frieden heißt, ohne dabei einen Bezug zur eigenen Lebensrealität zu entwickeln, glaubt zunächst, dass dieses Wissen ausreichend sei. Bei der nächstbesten Konfliktsituation jedoch tritt ein realer Mechanismus in Kraft, bei dem das reproduzierte Wissen völlig in den Hintergrund tritt und das »Gesetz der Straße« greift. Das bedeutet, auch Gewalt ist augenscheinlich eine Lösung.

Als nächstes steht »das Frieden-Schließen« mit der eigenen Familie und der eigenen Gruppe an. Wobei auch hierbei wesentlich ist die Problematik nicht im anderen zu sehen, sondern zunächst eine Selbstproblematisierung vorzunehmen, die einen eigenen Lösungsansatz ermöglichen und nicht den Ist-Zustand als gegeben betrachten lassen. Keine Kritik ohne Selbstkritik könnte hier das Motto lauten. Den Mut zu fassen die Deutungshoheit nicht in den Händen einiger Weniger zu lassen und das Recht über die Schrift nachzudenken und darüber zu diskutieren. Das gilt für allgemein theologische Bereiche ebenso wie für alle Tabuthemen und das in jeder Religionsgemeinschaft.

Erst dann ist im eigentlichen Sinn auch eine Friedenserziehung im interreligiösen und interkulturellen Bereich möglich, d.h. Religionsunterricht dient auch der »Entfeindung des Andersdenkenden«. Es gilt das Interreligiöse und Interkulturelle in der eigenen Religion entdecken, was heißt auf der Ebene der Geschöpflichkeit jegliche Dominanzansprüche fallen zu lassen. Wenn der Mensch sich in seiner Subjektivität begreift, aber als ein von Gott gewolltes Wesen, kann er sich ohne Verlust von Selbstachtung seiner eigenen Überzeugung als subjektiv stellen, die anderen mit sich auf gleicher Ebene betrachten und sich beruhigt in »Gott hineinfallen lassen«.

Die Religion an sich benötigt keine Verteidigung, ebenso wie Gott nicht einer Verteidigung durch den Menschen bedarf. Das ist wesentlich im Hinblick auf einen friedlichen Umgang mit sich, der eigenen und anderen Religionsgemeinschaften und der Mehrheitsgesellschaft.

Obwohl es in den einzelnen Religionen und Ideologien verstärkt Ansätze zu interreligiösem und interkulturellem Handeln und Agieren gibt, ist die Umsetzung in die eigene Lebensrealität schwieriger denn je.

Auch im Religionsunterricht ist es mehr denn je nötig verständlich zu vermitteln, dass demokratisches Denken und Handeln nicht im Widerspruch zur eigenen Religion stehen, was jedoch ebenfalls voraussetzt, dass demokratische Strukturen in gleichem Maße für alle Mitglieder der Gesellschaft gelten, was sie zwar formell tun, in der Realität erleben sich jedoch z.B. religiös orientierte Menschen ausgegrenzt und das Bekenntnis zu einer religiösen Orientierung kommt einem Outing gleich, das oft ein Spießrutenlaufen nach sich zieht.

So ergeben sich aus dem Alltag heraus wesentliche Punkte, die Einfluss auf Friedensdenken und somit auch auf den RU haben.Nicht umsonst sprechen wir von einer Bedrohung des sozialen Friedens und damit ist nicht mehr allein der Frieden in den Betrieben etc. gemeint, sondern das Nicht-Vorhandensein sozialer Gerechtigkeit und das stets zunehmende soziale Gefälle durch das Wegbrechen der Mittelschicht. Das erschwert in den meist heterogenen Klassen und Gruppen den Zugang zum Friedensbegriff überhaupt. Eine Gesellschaft, die auf sozialen Ausgleich bedacht ist, hat es auch einfacher mit der Erziehung zum Frieden.

Möglichkeiten und Grenzen

Gerade die Erarbeitung der Unterschiede als Potential für Pluralität und nicht Antagonismus bietet eine Chance in der Friedenserziehung. Wenn Unterschiede bearbeitet und als Thema »normalisiert« werden, wird durch Vielfalt die Aggressivität entzogen. Dabei ergeben sich Möglichkeiten sich auf das Andere, das Fremde einzulassen und dabei eigene grenzenüberwindende Potentiale zu entdecken.

Junge muslimische Männer versuchen ihrer, so oft formuliert »gottgegebenen« Rolle gerecht zu werden. Diese Rolle zeichnet sich durch die Vorstellung einer spezifischen Dominanz in Familie und Gemeinschaft aus, die der augenscheinlichen sozialen Unterlegenheit in der realen Sozialstruktur entgegensteht. Während junge Frauen nach zwei Seiten gegen ihre von außen verordnete Einordnung in ein Rollenklischee kämpfen, tun junge Männer dies zum Erhalt dieses Musters, obwohl auch sie diese ideologischen Vorgaben oft kritisch sehen.

Die von außen verordnete oder an die Zielgruppen herangetragene Kritik bleibt allerdings meist wirkungslos, da diese, zielgerichtet auf die Religion abgestimmt, mehrheitlich als deplaciert empfunden wird, d.h. sie trifft nicht »des Pudels Kern«.

Was tatsächlich in Frage gestellt wird sind die geschlechtsspezifischen Vorgaben im Erziehungsstil. Muslimische Kinder und Jugendliche analysieren bei entsprechender Kenntnis qur’anischer Instrumentarien sehr wohl, dass theologisch keine Grundlage für die strukturelle Rollenvergabe vorhanden sind, denn außer Schwangerschaft und Gebärfähigkeit sieht der Qur’an explizit keine unterschiedliche Rollenverteilung vor. Diese Analyse führt einerseits dazu, dass innerislamisch der Diskurs über religiöse Rollenmuster in Bewegung kommt, dass andererseits durch die von außen angewandten Zuschreibungen das Gewaltpotential wächst, und zwar auch bei Mädchen und jungen Frauen.

Gerade Musliminnen fühlen sich zunehmend durch den Qur’an dahingehend bestätigt, dass Gott, der im Islam selbst als geschlechtslos gilt, da Geschlechtlichkeit eine Eigenschaft des Geschöpfs ist, kein Geschlecht bevorzugt oder benachteiligt. Gott wird zwar oft mit nahezu menschlichen Eigenschaften versehen, aber die sind ebenso männlich wie weiblich einzuordnen und gerade deshalb keinem Geschlecht zuordbar.

Die Aufgabe religiöser Bildung darf allerdings hier nicht stehen bleiben. Es geht darum diese Erkenntnisse in den Alltag zu integrieren und in die Praxis umzusetzen. Ein guter Weg dorthin ist auch die »Ent-Theologisierung« der alltäglichen Probleme, um sie als das zu entlarven, was sie tatsächlich sind, nämlich Genderkonstrukte im Hinblick auf die Fragwürdigkeit von Machtstrukturen. Diese Form der Bildung sollte, ausgehend vom schulischen Bereich, auch auf die Erwachsenenbildung ausgedehnt werden, um auch hier die tradierten Identitätsbilder in Frage stellen zu können. Die Entwicklung einer entsprechenden Diskussionskultur ist die Grundlage nicht nur des Geschlechterfriedens sondern des friedlichen Miteinanders der Gesamtgesellschaft.

Anmerkungen

1) Amina Wadud: Inside the Gender Jihad, One World Publication, Oxford 2006.

2) Rabeya Müller / Reinhold Mokrosch: „Islamische und christliche Perspektiven für Friedenserziehung in der Schule“ in Werner Haußmann u.a.: Handbuch Friedenserziehung, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, S.342ff.

3) siehe auch hierzu: Rabeya Müller: „Wer den Wind sät …den weht dieser an einen fernen Ort“ in Predigthilfe / Ökumenische Friedensdekade, Aktion Sühnezeichen (Hrsg.) , Ausgabe August 2003 (S.II34 ff).

4) Rudolf von Thadden: Identifikation im demokratischen Gemeinwesen in Wolfgang Schultheiß (Hrsg.): Zukunft der Religionen, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003, (S.81-85).

Rabeya Müller ist Leiterin des Instituts für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik in Köln.

Religion, Gewalt, Geschlecht

Religion, Gewalt, Geschlecht

Gender als vernachlässigte Frage im Diskurs religiöser Gewaltforschung

von Elisabeth Naurath

Beim Betrachten der Thematik »Religion und Gewalt« wird zumeist und vorrangig der Aspekt eines absolut gesetzten Wahrheitsanspruchs mit dem Entstehen fundamentalistischer (und damit tendenziell intoleranter) Einstellungen diskutiert. Die religiöse bzw. ethisch-moralische Entwicklung als Baustein der Disposition zu Gewalt(bereitschaft) ist demgegenüber nicht im Blick. Folglich wird auch die im Zuge der ethischen Bildung stark diskutierte Gender-Thematik für den Zusammenhang von Religion und Gewalt weitgehend ignoriert. Beide Perspektiven sollen in der folgenden gebündelten Fragestellung in den Vordergrund treten, um die Dringlichkeit weiterer Forschung aufzuzeigen: Welche Rolle spielen Geschlecht und Religion für die Entwicklung von Gewaltbereitschaft?

Was hat Religion mit »sex and crime« zu tun? Das Thema »Religion, Gewalt, Geschlecht« weckt zunächst Assoziationen an leib- und sexualfeindliche Traditionen christlicher Kirchengeschichte (vgl. Lämmermann 2002; Holl 2005) oder auch an Differenztheorien, die im religiös manifestierten Dualismus zwischen Mann und Frau den Ursprung aller Sünde und Gewalt sehen (vgl. Heininger, Böhm, Sals 2004). Doch diese Perspektive sollte meines Erachtens mit Hilfe der Differenzierung von »sex« und »gender« und im Kontext international und transdisziplinär ausgerichteter Geschlechterstudien erweitert werden: „But gender itself has on many occasions proven to be a very useful interpretive tool in deciphering subtexts of the modern world, analyzing sociological, historical and cultural developments at a point when they have not yet become ‚speakable‘.“ 1

Ein Praxisbeispiel soll diese These illustrierten (Naurath 2007, 30): In einer dritten Grundschulklasse wurde im Religionsunterricht anhand der Jakob-Esau-Geschichte das Thema »Segen« behandelt. Die Kinder sind aufgefordert, ein eigenes Bild zu malen mit der Überschrift »Segen in meinem Leben«. Ein neunjähriger Schüler zeigt der Lehrerin sein Bild, auf dem er Krieg gemalt hat: Panzer, Flugzeuge mit Bomben etc. Die Lehrerin fragt ihn erstaunt, was das mit Segen zu tun habe. Darauf antwortet der Schüler: „Ach, Krieg zu malen ist viel spannender. Ich werde am Schluss alles rot durchstreichen, dann ist es ein Friedensbild!“

Dieses frappierende Beispiel aus dem Religionsunterricht zeigt die Faszination von Gewalt, die ein Segens- oder Friedensbild im Vergleich zu action- geladenen Szenarien auch schon für – nach meiner Erfahrung vorrangig männliche – Grundschulkinder als langweilig erscheinen lässt. Das mag erschrecken, ist aber als Phänomen zunächst wahrzunehmen und nach seinen Hintergründen zu befragen. Könnte es sein, dass vor allem Jungen von Macht, Stärke, Gewalt und medialen Helden fasziniert sind, weil sie eigene Gefühle der Ohnmacht und des »Noch-nicht-Könnens« angesichts impliziter Erwartungen an ihre Geschlechterrolle dadurch kompensieren? Begeistern die magischen Künste Harry Potters die Heranwachsenden so sehr, weil hier Grenzen der Wirklichkeit machtvoll durchbrochen werden können? Drückt sich darin auch eine Sehnsucht nach Befreiung von Konventionen oder Stereotypisierungen aus? Im Blick auf den Religionsunterricht wäre dann zu fragen, inwieweit diese Sehnsucht auch als Sehnsucht nach Gott respektive nach dem Heiligen als Entgrenzendem wahr- und ernst zu nehmen ist. Dies insbesondere, da das Heilige nach Rudolf Otto »fascinosum et tremendum« (also Faszinierendes und Erschreckendes) in sich vereint und sich damit einseitigen Zuschreibungen sperrt. Verständlicherweise wird also eine Religionsdidaktik, die nur den »allzeit lieben Gott« vermitteln will, in ihrer Einäugigkeit Dimensionen des Gottesbildes und der Gottessehnsucht ausblenden, die – religionspsychologisch betrachtet – vor allem für männliche Kinder und Jugendliche bedeutsam sind, wie an dem Praxisbeispiel offensichtlich wurde.

Wenn also das Thema »Gewalt« in der Vielfalt seiner emotionalen Facetten (wie Angst, Abscheu, aber auch Faszination und Begeisterung) lebensgeschichtlich schon früh eine tragende Rolle spielt, ist damit auch die religiöse und ethische Entwicklung des Menschen angesprochen. Die entscheidende Zuspitzung liegt aber nun darin, dem Phänomen in seiner geschlechtsspezifischen Dimension Rechnung zu tragen. Allerdings – und das macht die Kombination der Fragestellung nach Religion, Gewalt und Geschlecht besonders brisant – bewegt man sich hier forschungswissenschaftlich auf Neuland, denn die Untersuchungen zu Religion und Gewalt blenden zumeist die Gender-Thematik aus, während die vor allem sozialwissenschaftlich boomenden Studien zur »Männlichkeit« der Gewalt den religiösen Blickwinkel vernachlässigen. Wir kommen jedoch nicht umhin, beide Stränge im Gewaltdiskurs einzubinden, um auf die Notwendigkeit weiterer Forschung hinzuweisen.

Welche Rolle spielt das Geschlecht für den Gewaltdiskurs?

Es scheint nicht übertrieben, den öffentlichen Diskurs zur Gewaltthematik in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsbedingungen zu sehen: Ob man tatsächlich von einem deutlichen Gewaltanstieg in unserer Gesellschaft sprechen kann oder ob hier ein wahrnehmungspsychologisches Problem vorliegt, das die (vor allem mediale) Bewusstmachung zu einem Prozess ständiger Bewusstwerdung aufgrund höherer Aufmerksamkeit führt, gleicht der Frage nach der Priorität von Huhn oder Ei. Kriminologische Statistiken konstatieren zwar eine Verjüngung und Verrohung von Gewalttaten, machen jedoch die mediale Fokussierung auf gewalttätige Einzelphänomene für den Eindruck einer im Kinder- und Jugendkontext wachsenden Gewalt verantwortlich. Ähnliche Wahrnehmungsprozesse liegen für die Behauptung eines grundsätzlich »männlichen Gesichts« der Gewalt auf der Hand. Während noch in den 1980er Jahren die Geschlechterthematik in der Gewaltforschung weitgehend unbeachtet war, erregt heute die gezielte forschungswissenschaftliche Frage „Wie kommt die Gewalt in die Jungen?“ (Kassis 2003) keinen Widerspruch. Im Zuge der Geschichte des Feminismus, die zum Teil zu einer »Genderisierung« sozialwissenschaftlicher Forschungen geführt hat, begann ein Bewusstseinswandel, der mitunter zu Recht als erneuter Biologismus via ständiger Kategorisierung von »sex« und »gender« gesehen wird. Problematisch ist insbesondere die Flut an Ratgeberliteratur, die die kritische Jungen- und Männerforschung nur verkürzt und damit verfälscht in einseitigen Sichtweisen »unters Volk bringt« und damit weiterhin rollenspezifische Klischees bedient. Hierbei fallen drei Stoßrichtungen der Argumentation auf (vgl. Schultheis, Fuhr 2006, 16ff.): der »Arme-Jungen«-Diskurs, der »Die-Schule-versagt«-Diskurs und der »Wie-Jungen-sind«-Diskurs. Die Probleme männlicher Identitätsentwicklung fokussiert der »Arme-Jungen«-Diskurs, indem resümiert wird, dass der Wandel der Geschlechterrollen für die heranwachsenden Jungen zu einem unlösbaren Paradox geführt habe: einerseits sollten sie Stärke nach dem Muster traditioneller Männlichkeitsvorstellungen und andererseits emotionale Kompetenzen wie Sensibilität und Einfühlungsvermögen entwickeln. Die Konfrontation mit zwei einander widersprechenden Männerbildern führe jedoch zu starker Verunsicherung, welche sich wiederum in wachsender Aggression und Gewaltneigung ausdrücken kann. Daran anknüpfend sieht der »Die-Schule-versagt«-Diskurs eine deutliche Benachteiligung der Jungen in schulischen Lerninhalten und -formen sowie Leistungsmaßstäben, da die Unterrichtsorganisation den eher extrovertierten und raumgreifenden, männlichen Interessen entgegenstünden. Auch diese in gewissem Sinn falschen Anforderungen an Heranwachsende männlichen Geschlechts bergen ein eklatantes Konfliktpotential in sich, die aufgrund der biologischen Disposition – hier wird vor allem mit dem erhöhten Testosteronspiegel als »Männlichkeitshormon« argumentiert – die Gewaltbereitschaft der Jungen stark erhöhe. Diese Argumentation des »Wie-Jungen-sind«-Diskurses hat im pädagogischen Kontext eine auf besonders problematische Weise »entlastende« Funktion, die ideologiekritisch zu entlarven ist: Wenn Eltern von einem Vortrag zum männlichen Testosteronspiegel kommen und sich nun endlich das Aggressionspotential ihres Sohnes erklären können, ist die entschuldigende Wirkung nicht nur eine Absage an pädagogische Bemühungen, sondern erinnert an traditionell-rollenstereotype Einstellungen, die angesichts männlicher (auch sexueller) Gewaltneigung gerne mal ein Auge zudrückt. Demgegenüber verweisen Studien der kritischen Jungen- und Männerforschung darauf, Gewalt nicht vorschnell als Form männlicher Lebensweise bzw. -bewältigung anzusehen, sondern gesellschaftspolitische Zusammenhänge einer „hegemonialen Männlichkeit“ (Kassis 2003, 149) bzw. die weiterhin evidente Rolle von Männlichkeitsmythen in den Blick zu nehmen (Wölfl 2001, 98). Damit also lohnt eine Beschäftigung mit den religiösen und kulturellen Wurzeln von »Männlichkeitsmythen«.

Welche Rolle spielt das Geschlecht für die Religion?

Das Selbstverständnis von Frauen und Männern ist kulturell im Kontext eines religiös-philosophischen Erbes zu sehen, das als gemeinsames Merkmal der Weltreligionen deutlich patriarchale Züge trägt (vgl. Heller 2004). Dies wurde in der feministisch-theologischen Forschung seit den 1980er Jahren für den christlichen Kontext in grundlegenden Studien aufgezeigt. Hierbei wurde auch deutlich, dass im Horizont eines im Abendland philosophiegeschichtlich dualistisch bestimmten Denkens (Mann-Frau, Geist-Leib, Kultur-Natur, Öffentlichkeit-Privatsphäre etc.) nicht nur die Dominanz des Männlichen, sondern auch die Männlichkeit von Dominanz als Stereotyp legitimiert wurde. Damit etablierten sich kulturelle Männlichkeitsmythen, die auf der Basis eines Konzepts hegemonialer Männlichkeit im Prozess geschlechtsspezifischer Identitätsentwicklung als »doing gender« für Jungen und Männer internalisiert werden können und für ein Entstehen aggressiver Rollenmuster verantwortlich sein können. Genetische Dispositionen scheinen daher für einen Zusammenhang von »Männlichkeit und Gewalt« weniger ausschlaggebend als geschlechtsbedingte Rollenstereotypen, deren kulturelle Bedingtheit respektive deren religiöse bzw. theologische Wurzeln ideologiekritisch aufzuarbeiten sind. Dies gilt insbesondere für die Notwendigkeit weiterer Forschungen zur religiösen wie auch ethisch-moralischen Entwicklung, scheint hierbei doch das Bedürfnis nach Anerkennung an die konventionelle Norm (vgl. die Entwicklung des moralischen Urteils nach Kohlberg) und an eine gelingende Autonomieentwicklung (vgl. Fitz Oser, Paul Gmünder) gebunden zu sein. Selbstverständlich spielt – wie emotionspsychologische Forschungen zur kindlichen Entwicklung von Mitgefühl zeigen – die Reflexion geschlechtsspezifischer Prämissen im Erziehungsstil eine Rolle (Naurath 2007, 136ff); in diesem Zusammenhang wurde in der Empathieforschung (Hoffman 2000) auf die hohe Relevanz von Induktionen hingewiesen, die gegenüber Mädchen auffallend häufig gezeigt wurden: Induktionen im erzieherischen Verhalten sind opferzentrierte Erklärungen, d.h. dem Kind werden die verletzten Gefühle einer anderen Person bewusst gemacht, um Empathie bzw. Verantwortungsbewusstsein zu stärken. Im Gegensatz hierzu stehen Disziplinierungsmaßnahmen und Strafen, die die Aufmerksamkeit vom Gegenüber abziehen und Schuldgefühle erzeugen. Diese Emotionskontrolle wirkt sich nach Hoffman besonders negativ auf die Jungen aus, denn unterdrückte Gefühle blockieren die Offenheit und Sensibilität für andere und suchen sich in Aggressionen ein Ventil. Dies gilt für den Zusammenhang von »Religion, Gewalt und Geschlecht« besonders dann, wenn via eines – nun einseitig – fordernden und strafenden Gottesbildes die (väterliche) Autorität im Sinne eines eher an negative oder gar aggressive Emotionen gekoppelten Männlichkeitsmythos transzendiert wird. Wenn „also viele Religionen, insbesondere Religionen von Abstammungsgemeinschaften, sich positiv zur Beauftragung der Männer mit Gewalt verhalten und diese rituell im Mann-Werden verankern (…), können religiöse Lehren von Gewaltlosigkeit nur dann etwas verändern, wenn sie ebenfalls am Ideal von Männlichkeit ansetzen.“ (Feldtkeller 2006: 848) Mit dieser These, der meines Erachtens unbedingt zuzustimmen ist, gilt es nicht nur, die »Gender-Thematik« als ideologiekritisches Paradigma der theologischen wie auch religionswissenschaftlichen Forschung voranzutreiben, sondern im Bereich religiöser Bildung Mädchen und Jungen respektive Frauen und Männer differenziert in den Blick zu nehmen.

Möglichkeiten gender- orientierter Gewaltprävention im Kontext religiöser Bildung

Die religiöse Dimension normativer Festschreibungen von männlichem und weiblichem Rollenverhalten ist im Blick auf die Analyse und Konstruktion präventiver Maßnahmen zur Gewaltentwicklung stärker in den Blick zu nehmen. Zentral ist hierbei die Frage nach den Gottesvorstellungen: Die gängige These Russells (1974), dass ein autoritär-punitives Gottesbild militaristische Einstellungen befördere, ist sicher richtig.2 Andererseits greift auch eine angesichts des Bösen und der entwicklungspsychologisch relevanten Frage nach Gerechtigkeit »verharmlosende Kuscheltheologie« zu kurz. Ziel führend ist demgegenüber eine Religionsdidaktik, die subjektorientiert die Themen von Heranwachsenden – und das heißt eben von Jungen und Mädchen – aufgreift und sich kritisch-konstruktiv auch mit Fragen der (Faszination von) Gewalt auseinandersetzt. Subjektorientierung impliziert hierbei auch die – für die Entwicklung des religiösen wie moralischen Urteils relevante – In-Frage-Stellung von Autorität(en). Christliche Religionsdidaktik kann und sollte dies als Ermöglichung einer diskursiven Auseinandersetzung mit dem Reichtum an biblischen Gottesbildern auf der gemeinsamen Suche nach dem Heiligen verstehen. Religiöse Mythen »hegemonialer Männlichkeit« sind insofern ideologiekritisch zu entlarven als ihnen marginalisierte Gottesbilder gegenüberzustellen sind: Der biblische Fundus weiblicher bzw. mütterlicher Gottesbilder, aber auch eines mitfühlend bzw. fürsorglich konnotierten Vaterbildes (beispielsweise im Gleichnis vom »Barmherzigen Vater« in Lk 15, 11-32) bietet hier eine Fülle möglicher Ansatzpunkte.

Desweiteren ist der Dreischritt „Degendering, Engendering und Regendering“ (Wölfl 2001, 216) auch auf theologische Forschungen transferierbar, indem zunächst geschlechtliche Zuschreibungen aufgedeckt (Degendering), dann im Sinne einer Weitung der Handlungsspielräume problematisiert (Engendering) und schließlich durch – der Komplexität der Wirklichkeit gerechter werdende – differenzierende Symbole (Regendering) ersetzt werden. Folglich müssten also rollenspezifische Denkmuster verändert werden, die wiederum von alltäglich gelebten Zuschreibungen bestimmt sind. Wenn Jungen beispielsweise in ihrer frühkindlichen, sowohl für die emotionale und damit auch für die religiöse Entwicklung zentralen Lebensphase in stärkerem Maß männlich-fürsorgliche Bezugspersonen mit dezidiert induktivem Erziehungsstil erlebten, könnten traditionelle, an Dominanzverhalten gebundene Männlichkeitsmythen im wahrsten Sinne des Wortes aufgeweicht werden. Die Rolle des Vaters erweist sich hier als zentral – dies im Kontext einer gesellschaftlich notwendigen Neuformulierung von Väterlichkeit, die authentisch gelebte Emotionalität und die Übernahme sozialer Verantwortung als geschlechterübergreifende Aufgabe und Kompetenz definiert.

Ebenso ist auch die religiöse Bildung in deutlichem Zusammenhang zur emotionalen Entwicklung zu sehen: Weil religiöse Sozialisation überwiegend von Frauen (Müttern und Großmüttern) tradiert wird und nicht selten männliche Identität in Abgrenzung zu einer an Emotionalität geknüpften Religion von Frauen vollzogen wird, liegt für Jungen eine größere Hürde in der Entwicklung ihrer Religiosität. Insofern sollte für die Religionspädagogik stärker in den Blick kommen, die Kompetenz der Väter im Blick auf religiöse Sozialisationsprozesse zu stärken (Domsgen 2004, 312). Für die Förderung mitfühlender und das heißt eben auch gewaltpräventiver Kompetenzen sollte daher ein besonderer Fokus religiöser Erwachsenenbildung auf der Elternarbeit liegen, um unter anderem auch geschlechtsspezifische Reflexionsmöglichkeiten (als Männer- und Frauenbildung) zu integrieren.

Literatur

Braun et al. (eds.) (2006): »Holy War« and Gender. Gotteskrieg und Geschlecht. Berliner Gender Studies 2. Münster: LIT Verlag.

Domsgen, Michael (2004): Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie, in: Arbeiten zur Praktischen Theologie 26. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Feldtkeller, Andreas (2006): Gewalt und Gewaltlosigkeit als Ideale von Männlichkeit im interreligiösen Vergleich, in: Schweitzer, Friedrich (Hg.): Religion, Politik und Gewalt. Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 29. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Heine, Susanne (2004): Religion als Treibstoff gewaltsamer Politik – Eine religionspsychologische Perspektive, in: Rolett/Herle/Braunschmid (Hg.): Eingebettet ins Menschsein: Beispiel Religion. Bd. 3. Lengerich: Pabst, 139-145.

Heininger, Bernhard/Böhm, Stephanie/Sals, Ulrike (Hg.) (2004): Machtbeziehungen, Geschlechterdifferenz und Religion, in: Geschlecht – Symbol – Religion Bd. 2. Münster: LIT Verlag.

Heller, Birgit (2004): Religionen: Geschlecht und Religion – Revision des homo religiosus, in: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch der Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 610-614.

Hoffman, Martin L. (2000): Empathy and moral development. Cambridge: University Press.

Holl, Adolf (2005): Die unheilige Kirche. Geschlecht und Gewalt in der Religion. Stuttgart: Kreuz.

Kassis, Wassilis (2003): Wie kommt die Gewalt in die Jungen? Soziale und personale Faktoren der Gewaltentwicklung bei männlichen Jugendlichen im Schulkontext. Bern-Stuttgart-Wien: Haupt Verlag.

Lämmermann, Godwin (2002): Wenn die Triebe Trauer tragen. Von der Freiheit eines Christenmenschen I. München: Claudius.

Naurath, Elisabeth (2007/ 22008): Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener.

Pohlmann, Margarete/Ritter, Hans Werner (Hrsg.) (2004): Gut oder böse? Urteilsbildung in Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schultheis, Klaudia/Fuhr, Thomas (2006): Grundfragen und Grundprobleme der Jungenforschung, in: Schultheis/Strobel-Eisele/ Fuhr (Hrsg.): Kinder: Geschlecht männlich. Pädagogische Jungenforschung. Stuttgart: Kohlhammer, 12-79.

Wölfl, Edith (2001): Gewaltbereite Jungen – was kann Erziehung leisten? Ansätze zu einer genderorientierten Pädagogik. München: Reinhardt Verlag.

Anmerkungen

1)Sehr häufig hat sich Gender (Geschlecht im sozialen Sinn) als aufschlussreiches Interpretationsinstrument erwiesen, wenn es darum ging, Subtexte der modernen Welt zu entschlüsseln. Mit diesem Instrument lassen sich nämlich soziologische, historische und kulturelle Entwicklungen analysieren, bereits bevor sie explizit werden.“ (Braun 2006: 10).

2) So zuletzt in: Henseler, Anne-Katrin/Cohrs, J .Christopher: Wie friedfertig sind die Frommen? Christliche Religiosität und militaristische Einstellungen, in: W&F 3 (2008), 6-9.

Dr. Elisabeth Naurath ist Professorin für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. In Ihrer Habilitationsschrift »Mit Gefühl gegen Gewalt« (2007) befasst sie sich mit der (geschlechtsspezifischen) Entwicklung von Mitgefühl als religionspädagogischem Ansatz zur Gewaltprävention.

Gender, Flüchtlinge und bewaffnete Konflikte

Gender, Flüchtlinge und bewaffnete Konflikte

von Annelise Ebbe

Bilder von Menschen, die in überfüllten Booten das Mittelmeer passieren und dabei ihr Leben riskieren, zeigen uns vorwiegend Männer, die auf der Flucht sind oder zur Migration getrieben werden. Die Vorstellung, dass Migration ein männliches Phänomen ist, täuscht allerdings.

Während Armeen zu 90% aus männlichen Soldaten bestehen, sind es in Flüchtlingslagern die Frauen, die 80% der Erwachsenen stellen. Diese Beobachtung ist für die folgende, genderwissenschaftliche Betrachtung der Flüchtlingsthematik grundlegend, da sie Aufschluss auf die Rollenverteilung in der heutigen Welt gibt. Eigenschaften wie Stärke und Ehre gelten als typisch für Männer und werden mit Gewalt und Dominanz in Zusammenhang gebracht. Demgegenüber werden Eigenschaften wie Sanftheit oder Fürsorglichkeit generell Frauen zugedacht und gelten als Zeichen der Schwäche und Unterwerfung. Die Geschlechterforschung über bewaffnete Konflikte hebt insbesondere die Unterschiede zwischen Frauen und Männern hinsichtlich ihrer Verhaltensweisen und Bedürfnisse sowie ihres Zugangs zu Ressourcen und Entscheidungsprozessen in Post-Konfliktsituationen hervor.

Infolge von bewaffneten Konflikten steigt der Anteil der von Frauen geführten Haushalte. Wenn ihre Männer einberufen, verhaftet oder im Krieg verschleppt werden, müssen die Frauen die Verantwortung für Kinder und Angehörige übernehmen. Sie sind dann zugleich Familienoberhaupt und Ernährerin, sorgen für Haushalt und Lebensunterhalt und übernehmen Aktivitäten außerhalb des Hauses. Da sie ohne ihre Männer größeren Gefahren ausgesetzt sind, veranlasst sie die prekäre Sicherheitslage häufig zur Flucht. Daher stellen sie 80% der weltweiten Flüchtlingszahlen.

Flüchtlinge in Tuzla

1995 besuchte ich ein Flüchtlingslager in Tuzla, einer Stadt im Osten Bosnien-Herzegowinas, wo sich vor allem Flüchtlinge aus Srebrenica aufhielten. Da der Großteil der männlichen Bevölkerung Srebrenicas dem Massaker der Serben zum Opfer gefallen war, befanden sich in dem Flüchtlingslager hauptsächlich Frauen. Durch die Gespräche mit ihnen bekam ich erstmals eine Vorstellung davon, was es bedeutete, auf der Flucht zu sein. Sie alle hatten ihr Hab und Gut verloren, ihre Ehemänner und Söhne, ihre Existenzgrundlage und ihre Heimat. Ihre Not schien mir endlos. Eine Frau aber sorgte sich um ein Problem, das keine der anderen erwähnt hatte: Sie beklagte, dass sie sich nun einen neuen Zahnarzt suchen müsse. Es war nicht so, als ob ein neuer Zahnarzt irgendeine Bedeutung für sie gehabt hätte. Doch später wurde mir klar, dass in diesem Moment ihr ganzes Trauma zur Sprache kam. Verglichen mit dem Verlust ihres Ehemanns, ihres Sohns, ihres Hauses und ihrer Existenzgrundlage war der Wechsel des Zahnarzt nichts dagegen. Dennoch musste sie ihn hinzufügen, denn alles andere war für sie unfassbar, erdrückend und in höchstem Maße traumatisierend. Sie konnte ihre Not nicht wirklich begreifen, doch um sie mir gegenüber zu kommunizieren, musste sie von Dingen erzählen, die nichts mit ihren traumatisierenden Erfahrungen zu tun hatten. Diese Begegnung hinterließ einen tiefen Eindruck auf mich.

Den Frauen von Srebrenica boten sich in Tuzla nur sehr wenige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele von ihnen fertigten Stickarbeiten, doch diese Arbeit verlieh ihnen vielmehr ein Gefühl der Nutzlosigkeit, da sie von dem, was sie produzierten, unmöglich leben konnten. Lediglich Besucher aus dem Ausland, die die multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Stadt Tuzla besuchten, nahmen ihre Produkte ab; andere Absatzmöglichkeiten gab es nicht.

Die Männer, die den Krieg überlebt hatten und nach Tuzla zurückkehrten, fanden nun eine von Frauen dominierte Stadt vor. Infrastruktur, Schulen und andere öffentliche Bereiche – vormals Domänen der Männer – wurden im Laufe des Krieges von Frauen übernommen. Viele der zurückgekehrten, traumatisierten Männer konnten sich in dieser »neuen«, von Frauen bestimmten Gesellschaft nicht mehr zurechtfinden. Hinzu kam, dass jetzt die US-Soldaten das Kommando von der NordBat Truppe übernahmen. Während die skandinavische NordBat Truppe bislang ohne Waffen in den Straßen patrouilliert hatte, waren die US-Soldaten niemals unbewaffnet. Dadurch wurde die Situation für Frauen – sowohl für die lokal ansässigen Frauen, als auch für die Flüchtlingsfrauen aus Srebrenica – extrem gefährlich. Der Grad an Gewalt in der Gesellschaft als solche sowie konkret die Gewalt gegen Frauen nahm extreme Ausmaße an.

Vertreibung, soziale Exklusion und Armut

Die Erfahrungen aus Tuzla zeigen, dass Flüchtlingsfrauen unverhältnismäßig benachteiligt werden. Dies gilt für ihre begrenzten Möglichkeiten, die Verantwortung für ihre Familien zu erfüllen, sowie für das gewachsene Maß an körperlicher und emotionaler Gewalt, dem sie ausgesetzt werden.

Flucht und Vertreibung implizieren soziale Exklusion und Armut. Wenn Probleme wie Lebensmittelknappheit oder die ungleiche Verteilung von Hilfsmitteln in Zeiten bewaffneter Konflikte verstärkt werden, sind Frauen und Mädchen in besonderem Maße von Unterernährung betroffen. Dies gilt vor allem für Schwangere und für stillende Mütter und muss beachtet werden, wenn Flüchtlingslager mit nationalen oder internationalen Hilfspaketen versorgt werden.

Mit dem Verlust ihrer Heimat verlieren viele Frauen auch ihr zu Hause als den traditionellen Ort ihrer Autorität und Privatsphäre. Dies bekommen sie besonders dann zu spüren, wenn sie sich in der öffentlichen Sphäre nicht ungezwungen bewegen können. Die fehlende Privatsphäre führt bei Vielen zu Gefühlen der Verzweiflung, die die äußeren Unannehmlichkeiten weit überwiegen. Nicht nur die eigenen Belange erfüllen sie mit Sorge, sondern vor allem diejenigen ihrer Kinder und ihrer weiteren Angehörigen.

Das UNHCR und geschlechtsspezifische Rechtsansprüche

In einem Diskussionspapier über „Richtlinien zur geschlechtsspezifischen Verfolgung“ des UNHCR wird konstatiert: „Die gewaltsame oder trügerische Rekrutierung von Frauen oder Minderjährigen zum Zwecke der Zwangsprostitution ist eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt. Frauen, die davor flüchten, müssen mit ernsthaften Konsequenzen rechnen, wie mit Vergeltungsschlägen von Schlepperbanden oder mit schweren Diskriminierungen. In einzelnen Fällen können daher Menschen, die Opfer des illegalen Handels zum Zweck der Zwangsprostitution wurden, Anspruch auf den Flüchtlingsstatus erheben, wenn ihr Heimatland nicht willens oder nicht fähig war, sie vor solchem Unrecht zu schützen.“ (UNHCR, Diskussionspaper 1/ 2005).

Frauenhandel

Bei einem Workshop in Serbien im Jahr 2004 zum Thema »Frauenhandel« stellte sich heraus, dass sowohl die jungen binnenvertriebenen Frauen, als auch die jungen serbischen Frauen vor Ort massiv von Schlepperbanden bedroht waren. Diese warben in Zeitungen um Frauen, die bei der „Betreuung von Kindern im Ausland“ etc. mithelfen sollten. In Wahrheit erwiesen sich die meisten dieser Anzeigen als Vorwand, um mit Frauen in Kontakt zu kommen, die dann zu Zwecken der Zwangsprostitution verschleppt wurden.

Wenn es kaum Zukunftsperspektiven gibt, was für viele junge Frauen – und vor allem für die binnenvertriebenen Frauen – in Serbien gilt, ist das Risiko, an eine Schlepperbande zu geraten, extrem hoch. Ich begegnete Frauen, die in ganz Serbien Workshops für Schulmädchen veranstalteten, um vor den Praktiken solcher Banden zu warnen.

Flüchtlingsfrauen und reproduktive Gesundheit

Diverse Studien zeigen, dass Frauen, die Vertreibung und Exil erfahren, verschiedenen gesundheitlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Das größte Problem stellt der Kontrollverlust über den eigenen Körper dar. Der Mangel an Nahrung wirkt sich beispielsweise auf Frauen und Männer unterschiedlich aus. Frauen sind besonders von dem Mangel an Eisen, Kalzium, Jod und Vitamin C betroffen. Gerade der Eisenmangel kann für schwangere Frauen lebensbedrohlich sein. In der Schwangerschaft oder in der Stillzeit können unterernährte Frauen ihre Kinder nur unzureichend mit Nährstoffen versorgen und damit ihr Überleben kaum sichern. Hilfslieferungen müssen daher vor allem die Bedürfnisse dieser speziell gefährdeten Gruppen berücksichtigen. Allerdings hilft das bloße Bereitstellen der am meisten benötigten Nahrungsmittel nicht, das Problem der Unterernährung an sich zu lösen. In vielen Gemeinschaften ist es üblich, die Männer als erstes zu versorgen, was wiederum bedeutet, dass die Frauen und Kinder am meisten leiden, sobald die Vorräte knapp werden. Wenn Nahrung zu einer stark begrenzten Ressource wird, entsteht ein Wettbewerb um den Zugang und um die Kontrolle von Nahrungsmitteln, bei dem die Frauen in der Regel verlieren.

Der Zusammenhang zwischen Flüchtlingen, Maskulinität und Krieg

Es gilt, die Beziehung zwischen Männern, Patriarchat und Krieg ebenso zu untersuchen wie das Verhältnis zwischen Frauen und Frieden. Männer und Frauen erleben den Krieg sehr unterschiedlich, von Phasen des Konflikts bis hin zu Phasen des Friedens und diversen Übergangsphasen. Frauen sind dabei einem weit höheren Risiko ausgesetzt, zur Flucht getrieben zu werden, wohingegen Männer wesentlich mehr gefährdet sind, einberufen zu werden und im Krieg umzukommen. Der bereits erwähnte Prozentsatz der Männer (90) in Armeen muss im Vergleich zum Anteil der Frauen (80) in Flüchtlingslagern näher analysiert werden. Wenn die Eigenschaften, die traditionell Männern zugeordnet werden, tatsächlich Stärke und Ehre sein sollen, und die Merkmale, die Frauen zugeordnet werden, Zartheit und Fürsorge sein sollen – was im Kontext von Flüchtlingsfrauen von höchster Bedeutung ist -, zeichnet sich am Ende auf beiden Seiten ein unvollständiges Bild des Menschen ab.

Das Patriachat ist nicht nur von hierarchischen, pyramidenförmigen Machtstrukturen gekennzeichnet, sondern auch von aggressiven Rollenkonzeptionen. Patriachale Strukturen implizieren neben der Bevorzugung von Männern bzw. von klassischen, männlichen Verhaltensmustern auch eine Kultur des Krieges. Männer nehmen diese patriachale Kultur des Krieges von frühester Kindheit an. Auch wenn die meisten ihre Spielzeugwaffe oder auch jede andere Waffe später wieder ablegen, bleibt die patriarchale Gewalt in ihrem Inneren weiterhin bestehen.

Es ist unsere Pflicht und Verantwortung als Frauen- und/oder Feministinnen, die für eine Kultur des Friedens eintreten, über diese Problematik zu sprechen, sich der Strukturen bewusst zu werden und gegen sie anzugehen. Wir müssen die Frauen, Mädchen, Männern und Jungen in unserer Umgebung lehren, dass wir eine bessere Welt erschaffen können, gemeinsam, ohne eine Kultur des Krieges. Wenn wir nach einer sicheren Welt streben, brauchen wir Frauen wie Männer, die als gleichberechtigte Partner die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit übernehmen. Das Wissen über Geschlechterrollen kann dazu beitragen, Frieden zu erreichen.

Literatur

Ebbe, Annelise (2005): Women, Non-Violence and a Patriarchal Culture of War, in: International Peace Update 70 (2005) 2.

UN ESCWA Centre for Women (2006): ESCWA Newsletter, Vol. 1, Issue 1.

UNHCR (2005): The UN Refugee Agency, Discussion Paper 1 (2005).

United Nations Security Council (2006): Resolution 1674 on Protection of Civilians in Armed Conflicts.

Walker, Bridget (1995): The question on gender, RPN 20, Oxfam.

Women's International League for Peace and Freedom (2008): International Women's Day Disarmament Seminar. Statement and Report.

Annelise Ebbe, M.A., ist Präsidentin der Internationalen Frauenliga für den Frieden (WILPF) und lebt in Kopenhagen. Im Jahr 2005 wurde sie als eine der »1000 Frauen für den Frieden« für den Friedensnobelpreis nominiert. Übersetzung: Editha von Colberg

Militär und Geschlechterverhältnis

Militär und Geschlechterverhältnis

Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung

von Marianne Zepp

Im Herbst 1998 veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung einen Kongress mit dem Titel »Militär und Geschlechterverhältnis« (16. bis 18. Oktober in Berlin). Er war die gemeinsame Arbeit einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die sich die Aufgabe gestellt hatte, die Verschränkung von Militär, militaristischen Strukturen und dem Geschlechterverhältnis zu thematisieren. Diese Arbeitsgruppe, bestehend aus 8 Wissenschaftlerinnen – Soziologinnen, Historikerinnen, Journalistinnen und Politologinnen – hatte sich zum Ziel gesetzt, neben der Genese militärischer Strukturen und Gewalt, die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit in diesem Prozess zu erörtern, aber auch aktuelle Erfahrungen in Kriegs- und Krisengebieten wie Ex-Jugoslawien unter geschlechterspezifischer Perspektive vorzustellen. Gewalt gegen Frauen, die Rolle von Hilfsorganisationen sowie die juristischen Folgen und deren Bearbeitung waren Teil des Veranstaltungsprogramms.
Im Folgenden sollen einige der wichtigsten Beiträge kurz referiert und ein Einblick in die wichtigsten Debatten gegeben werden.

Zum Auftakt des Kongresses gab Monika Hauser als Initiatorin und Organisatorin von medica mondiale einen Bericht über ihr Projekt, ein Zentrum für vergewaltigte und schwer traumatisierte Frauen in Bosnien. Sie erläuterte darin die äußeren Bedingungen, unter denen sie im ersten Kriegsverlauf in Zenica 1992 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Ihr Ausgangspunkt waren die spezifischen Erfahrungen und Traumatisierungen von Frauen in diesem Krieg. Unter Kriegsbedingungen gelang es ihr mit den bosnischen Frauen vor Ort, im April 1993 ein ganzheitliches Frauentherapiezentrum ins Leben zu rufen. Das gewährleistete auf Dauer neben der gynäkologischen Behandlung auch eine kontinuierliche psychosomatische Betreuung und garantierte neben der direkten ambulanten Hilfe eine langfristige Zusammenarbeit.

Vorausgegangen war die klare Entscheidung für einen frauenzentrierten Ansatz, die gezielte Hilfeleistung für vergewaltige Frauen. Hatten die Massenvergewaltigungen der Frauen in Bosnien zum ersten Mal international Medieninteresse geweckt, so wurde hier mit den Frauen selbst ein den äußeren und mentalen Bedingungen angepasstes Hilfsangebot entwickelt, das dem voyeuristischen Interesse an den Opfern etwas entgegensetzte.

Die Schwierigkeit, in einer vom Krieg zerstörten multitraumatisierten Gesellschaft einen Übergang in eine befriedete und zivilisierte Gesellschaft zu finden, war u.a. Gegenstand der Debatte während des Kongresses. Dazu gehört neben dem Zeuginnenschutz bei den Haager Kriegsverbrechenprozessen ebenso die Durchsetzung von elementaren Frauenrechten in der sich organisierenden Nachkriegsgesellschaft. Die Skandalisierung von Vergewaltigungen unter Kriegsbedingungen, nicht zuletzt wie im Falle medica mondiale durch Intervention von außen, thematisiere Gewalt gegen Frauen, die nach Beendigung der Kriegshandlungen nicht vergessen sei. Die Angriffe gegen die Schutz suchenden Frauen („Man muss sich nur vergewaltigen lassen, dann bekommt man Unterkunft und Essen“) verschärften den Geschlechterkonflikt und lösten unter Nichtkriegsbedingungen verstärkte (Re-)Tabuisierungen von geschlechtlicher Gewalt, nicht zuletzt im häuslichen Bereich, aus. Die Frage, wann eine Gesellschaft vom Kriegszustand in einen befriedeten Nachkriegszustand übergeleitet ist, sollte auch an dem Ausmaß der Rechte von Frauen gemessen werden, wie überhaupt bei der (Re-)Organisation von Nachkriegsgesellschaften und der Frage nach den Maßstäben der Zivilität einer Gesellschaft die Organisation des Geschlechterverhältnisses ein entscheidendes Indiz sein sollte.

Astrid Albrecht-Heide, Politologin und ausgewiesene Friedensforscherin stellte ihren Beitrag in den Zusammenhang einer kritischen Militärforschung in der Bundesrepublik. Sie verwies zu Recht auf die begrenzten Zugänge zu Informationen über innermilitärische Strukturen und Einrichtungen und bezeichnete sie als „herrschaftlich gemacht“. Sie wertete diese Tatsache als demokratisches Defizit, das nicht unerhebliche Folgen für den Forschungsgegenstand wie für Verifizierungen bestimmter Hypothesen habe, im Gegensatz zu amerikanischen Zugangsmöglichkeiten durch den Freedom of Information Act. Dies sei nur ein Indiz für den Zustand einer kritischen Friedens- und Konfliktforschung und deren Bedingungen in der deutschen Forschungslandschaft und in der politischen Entwicklung der letzten Jahre. Darüber hinaus konstatierte sie eine zunehmende Militarisierung der deutschen Gesellschaft, die verschiedene Ausgrenzungs- und Ausschlussmechanismen produziere. Diese Ausschlussmechanismen begründeten sich durch rassistische und nationalistische Feindbilder sowie ein sich polarisierendes Geschlechterverhältnis.

Damit einher ging ihres Erachtens die Umwandlung der deutschen Armee nach der Wende von einer Verteidigungs- in eine Interventionsarmee. Das zunehmende Aggressionspotential drücke sich auch in der bei der deutsch-deutschen Vereinigung benutzten Geschlechteranalogie aus, bei der einer selbstermächtigten Bundesrepublik als siegreichem Bräutigam die unterworfene, entmächtigte DDR zugeordnet werde.

Als Indizien für diese als »Normalisierungsstrategien« benannten Entwicklungen wurden u.a. die Präsenz des Militärischen im öffentlichen Raum, z.B. als Gelöbnisfeiern u.ä., angeführt. Die Referentin verknüpfte die von ihr beschriebenen Militarisierungsstrategien sowie die sich ihrer Meinung nach verstärkenden Rassismen und Nationalismen mit einem funktional und ideologisch hierarchisch angeordneten Geschlechterverhältnis. Dabei hätten innermilitärische Unterwerfungs- und Dominanzmechanismen eher noch die Funktion einer Dramatisierung bzw. Radikalisierung des Geschlechterdualismus. Beispiele seien hier die schon mehrmals beschriebenen Simplifizierungen und Brutalisierungen des Verhältnisses von Soldaten gegenüber Frauen, verbunden mit (legitimierter) Gewaltausübung.

Zugleich erlebten wir eine erneutes Aufleben der Debatte um die Aufnahme von Frauen in die Bundeswehr. Dies beschrieb die Referentin als den Regelmechanismus für die Teilhabe der Frauen an der Beute, ein sehr zwiespältiges und im Grunde sehr eingeschränktes und statisches Bild von weiblichen Handlungsmöglichkeiten.

Albrecht-Heides aktuelle Zustandsbeschreibung ging von der Re-Nationalisierung nach der »Wende« aus. Sie beschrieb diese als eine teilweise Wiederbelebung alter Ideologismen einer neuen deutschen nationalen Identität und vertrat die These, dass nicht nur das Geschlechterverhältnis dramatisiert werde, sondern es zu einer Radikalisierung eines spezifisch deutschen Ethnozentrismus komme. Dieser gehe Hand in Hand mit der oben schon zitierten zunehmenden Militarisierung des öffentlichen Raumes. Zusammen seien diese die Inszenierungen einer neuen nationalen Identitätsbehauptung, die einhergingen mit einer »Oberflächenhomogenisierung« und mit den schon zitierten ethnischen und rassistischen Feindbildern unterlegt seien. Belege hierfür seien die rassistischen Zwischenfälle bei der Bundeswehr, die in letzter Zeit in die Öffentlichkeit kamen.

Ein auf den ersten Blick eher exotisches Beispiel für das Verhältnis von Männlichkeit und Gewalt schilderte Susanne Schröter in ihrer ethnologischen Studie über männliche Initiation bei den Bimin Kuskusmin in Papua Neuguinea. Verallgemeinernd ging sie von der kategorialen These des »universal soldier« aus, den sie als interkulturelles Phänomen sieht. Die Merkmale dieses Phänomens seien eine durch Dominanz, Härte und Gewalt gekennzeichnete Männlichkeit sowie eine Gemeinschaft der Männer als emotionaler und sozialer Bezugspunkt, als Herrschaftsverband, der zivilgesellschaftlichen Organisationen diametral entgegenstehe. Für die eingangs behauptete Interkulturalität führte sie bespielhaft ihren Forschungsgegenstand an. Sie beschrieb die Initiation zum Krieger innerhalb des von ihr untersuchten indigenen Stammes als sadomasochistisches Ritual und die Erschaffung eines auf Gewalt und Frauenverachtung beruhenden Männerbundes innerhalb einer Gesellschaft, die z.B. kein Privateigentum kennt.

Die Folge eines solchen Initiationsrituals sei die Ambivalenz zwischen Unterwerfung und inhärentem Versprechen der Teilhabe an der (männlichen) Macht.
Parallelen dazu sah sie in den hauptsächlich von Theweleit herausgearbeiteten Männlichkeitsritualen der deutschen Soldaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Während beide Referentinnen von einer kategorialen binären Geschlechterkonstruktion als Konstante ausgingen, die darüber hinaus besonders bei Albrecht-Heide noch implizit normativ gesetzt ist, setzte die Analyse von Ruth Seifert an der historischen Genese der Geschlechterbeziehung an. Die Entwicklung hin zu den modernen Kriegen – und damit verbunden die Bildung moderner Nationalstaaten – sei gekennzeichnet durch einen zunehmenden Ausschluss der Frauen vom Kriegsgeschehen einhergehend mit der Ausdifferenzierung der Geschlechtercharaktere. Die daraus resultierende symbolische Ordnung schreibe Männlichkeit eine (legitimierte) Gewaltausübung zu und konstruiere sie als zur männlichen Natur gehörig, während Weiblichkeit nicht nur ontologisch Friedfertigkeit und Zivilität zugeschrieben werde, sondern dieses Verhältnis sei auch, wie dies die anderen Referentinnen bereits beschrieben hatten, hierarchisch angeordnet. Damit seien Frauen durch die „männerbündische Fundierung des Politischen“ nicht nur zunehmend von den Machtzentren und staatlichen Institutionen ausgeschlossen, sondern während das Militär »vermännlicht« und Männlichkeit die Gewaltausübung qua Natur zugeschrieben werde, würden andererseits weibliche Erfahrungen von Krieg nicht in das kulturelle Gedächtnis aufgenommen.

Seifert sieht, im Rahmen der beschriebenen binären Geschlechterordnung, Frauen in vielfältiger Weise in dieses System der Friedlosigkeit eingebunden. Die logische Schlussfolgerung, die Ruth Seifert u.a. Autorinnen ziehen und die ihnen als Skandalon vorgeworfen wird, ist, Frauen an militärischen Zwangsapparaten zu beteiligen, um die sich reproduzierende Geschlechterpolarität dadurch zu dekonstruieren. So wird der unbeschränkte Zugang von Frauen zum Militär gefordert, das dadurch seine Bedeutung als männlichkeitsdefinierende Institution verlieren würde. Darüber hinaus biete dies die Chance einer allmählichen Beteiligung von Frauen an der Reformulierung eines neuen Politikverständnisses. Die feministischen Pazifistinnen argumentieren dem gegenüber, dass dadurch das weibliche Friedenspotential gesellschaftlich wirkungslos gemacht werde, und dass die Beteiligung am Militär von der Tatsache ablenkte, dass es sich um eine zutiefst amoralische patriarchalische und sexistische Einrichtung handele.

Ruth Seiferts Kritik an den feministischen von ihr so genannten »Friedensethikerinnen« setzte an dem Vorwurf der normativen und vereinheitlichenden Setzung von Weiblichkeit an. Diese reproduziere die attackierte binäre Geschlechterordnung. Die symbolische kulturelle Ordnung, die Männlichkeit Gewalt und Krieg und Weiblichkeit Friedfertigkeit zuschreibt, sah sie nicht nur in einer Friedensstrategie reproduziert, die mit weiblicher Friedfertigkeit argumentiert, sondern in jeglicher Identitätspolitik. Hier komme dann nicht nur der von ihr zitierte empirische Befund einer uneinheitlichen gebrochenen Männlichkeit in militärischen Gewaltapparaten zum Tragen, sondern auch eine weibliche Interventionsstrategie in eben diese „Männlichkeitsmaschine“ (Albrecht-Heide) hinein.

Die These der Intervention durch Teilnahme hat den Dekonstruktivistinnen den Vorwurf der politischen Naivität eingebracht. Ruth Seifert wies darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine ausgeklügelte Friedensstrategie handele und die Frage, ob weibliche Partizipation eine zivilisierende Wirkung entfalten kann, auch von anderen politischen Veränderungspotentialen abhänge.

Eine ausführliche Dokumentation des Kongresses mit den einzelnen Vorträgen ist in Vorbereitung und wird in diesem Frühjahr als Heft 10 der HYPATIA von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben (Heinrich-Böll-Stiftung, Bereich Inland, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin, Tel.: 030-285 34-230, FAX:-108)

Marianne Zepp

Frauen an den »Brand«-Herd?

Frauen an den »Brand«-Herd?

Kriegsdienst und Gleichberechtigung

von Mechtild Jansen

Links – Rechts, Mann – Frau, Pazifist – Militarist sind Dichotomien, deren Realitätsnähe heute sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Der Umgang mit schematischen Einordnungen bietet jedoch – es sei denn, sie werden als gänzlich überholt angesehen – die Chance, Tendenzen klarer zu erkennen. Mag sein, daß der folgende Beitrag von Mechtild Jansen manchem/mancher LeserIn Mühe macht, weniger weil seine Form für W&F ungewöhnlich ist, als vielmehr, weil Verwicklungen, Widersprüchlichkeiten und Ansprüche thematisiert werden, die unbequem zu reflexieren sind in Zeiten, in denen mit alter Eindeutigkeit auch zukunftsentwickelnde Positionen verloren gegangen sind.

Frauen und die Bundeswehr, Frauen, Männer und das Militär – das Thema ist mythologisch und ein politisches Exempel. Wieder einmal beschäftigt es die Öffentlichkeit, wenn auch ob der momentanen Lage der Dinge nur als Abglanz dramatischerer Augenblicke. Das Lied vom »raus oder rein«, das da gespielt wird, ist schon alt. Das nennenswerte Ereignis liegt allein darin, daß heute die Rechte den Ton der Musik angibt, den sie der Linken abgehört und für ihre Interpretation geklaut hat. Das Blatt hat sich gewendet. Auch die Frauenbewegung übertönt nicht den Gesang. Tonangebend war sie sowieso noch nie, obwohl sie reichlich eigene gute Töne hatte. Aber die Frauen hatten schon mal lauter gesungen als die richtigen Männer. Wenn man die politische Welt des Landes einmal grob aufteilt, so stellt man fest: Die Rechte ist sich treu und treuer und die Linke weiß nicht mehr, wer sie ist.

Die Rechte hat den Frauen immer eine klare Rolle zugewiesen, ihren Teil an einem Ganzen, das auf Tradition und Herrschaft der Oberen basiert. Gebärerin, Mutter, Familienstifterin, Arbeitskraft, Reservearmee – von da aus ließ sich die Frau einsetzen. Und wenn die Frau tat, was man verlangte, hatte sie auch ihren (Vor-)Teil davon. Die Rechte ist sogar mit der Zeit gegangen und hat ihre Rolle modernisiert. Gleichberechtigung und Partnerschaft von zweien, die nicht als dasselbe aufgehen, sondern auch Verschiedenes bleiben, nennt sie das. Dabei übersetzt sich unter der Hand »Recht« in »Wert« und Wert in »Moral«, die vor allem immer dann beansprucht wird, wenn die Verhältnisse nicht so sind, wie sie sein sollen. Die inneren Ungereimtheiten und Widersprüche dieses Modells sind dennoch vergleichweise gering.

Modern ist die Rechte auch in ihrem Militärkonzept. Der Sicherheitsbegriff ist längst umfassend – ökologisch, sozial, politisch und militärisch. Das Instrumentarium wird demgemäß umgebaut, und die Bundeswehr rüstet sich für strategische, chirurgische, flexible und vor allem schnelle Eingriffe an möglichst jedem Ort der Welt. Was fehlt, sind nur noch die ausreichenden Finanzmittel, das qualifizierte (weibliche und männliche) Personal und die öffentliche Billigung für die Verwirklichung und Anwendung dieses militärpolitischen Konzepts.

Die Linke sagt, sie sei für »Gleichberechtigung der Frau«. Sie empfiehlt damit, als Frau zu leben wie ein Mann obendrein. Das aber bedeutet, beide sollen patriarchal leben, was verallgemeinert gar nicht machbar ist und zudem das konterkariert, was sein soll. Die Linke hat die Frauenbewegung bis heute nicht richtig verstanden und sich ihr Anliegen nicht wirklich zu eigen gemacht. Sie hat sich eher nur deren Worten und Forderungen angehängt, um schöner dazustehen.

Die Linke hat auch kein modernes sicherheits- und friedenspolitisches Konzept. »Abrüsten in Ost und West« ist passé, seit kein Ostblock mehr existiert. Das Konzept von »Gegenmacht gegen Macht« für das »ganz andere« und die gute Gesellschaft hat sein realsozialistisches Hinterland verloren und trägt im übrigen so oder so nicht. »Weg mit all dem Schrott« von Militär, diese Idee ist wünschenswert oder auch nur ein frommer Wunsch, jedenfalls kein Weg. Ein oder besser mehrere ausgearbeitete Konzepte für Entmilitarisierung, Deeskalation und zivile Konfliktlösung im Kontext mit gesellschaftlichem Umbau als einer Aufgabe von Dauer hat die Linke als ihr Allgemeingut nicht. Deshalb bleibt der Linken unter dem Strich häufig nur ein hilfloser Pazifismus oder ein Überlaufen zur anderen Seite. Sie verwickelt sich in innere Widersprüche, die die eigene Sache aus dem Lot bringen.

Aus all dem ergibt sich eine paradoxe Situation. Die Gesellschaft ist so unmilitärisch wie kaum je und die regionalen, komplexen, hochdifferenzierten Sicherheitskonflikte oder Kriege laden so wenig zur Intervention ein wie selten. Die Bereitschaft, Notwendigkeit und Überzeugung zum Krieg scheint auf einem historischen Tiefpunkt. Aber die Linke, die die öffentliche Billigung hat, kann diese nicht für sich nutzen. Die Rechte dagegen tut es peu à peu und sehr geschickt. Der Fortschritt ist zur Routine und zum Klischee geworden, so aber kann er nicht mehr tragen.

Völlig logisch kommt da erneut die Diskussion um Frauen in die Bundeswehr auf. Die Frauen sind Seismograph für die Verfassung einer Gesellschaft. Die grundsätzlichen Argumentationsmuster um die Position der Frau wie um die des Militärs sind alt, interessant ist allein ihre Kleidermode und die politischen Gewichtsverlagerungen hinter ihnen.

Die grundsätzlichen Tabus von einst sind längst gebrochen. Die Frau gehört nicht nur an den heimatlichen Herd, sondern auch an alle öffentlichen Herde, bis hin zum Brandherd des Kriegs.

Die Rechte will die Frauen in die Bundeswehr einbeziehen und empört damit niemanden mehr. Man läßt sich öffentlich damit unterhalten, wie die moderne Rechte von heute mit den eigenen Altkonservativen von gestern aufräumt. Die grundsätzlichen Tabus von einst sind längst gebrochen. Die Frau gehört nicht nur an den heimatlichen Herd, sondern auch an alle öffentlichen Herde, bis hin zum Brandherd des Kriegs. Der Krieg gilt wieder als führbar, das Militär ist relegitimiert. Daß Frauen genauso »schlecht« sein können wie Männer, erschreckt dort niemanden besonders, wo der Mensch sowieso eher als »schlecht« angesehen und die Frau im besonderen im heftigen Bilderwechsel zwischen Heiliger und Sünderin im Zweifel allemal als die »schlechtere« gegenüber dem Mann eingeschätzt wird. Die Frauen mischen bei allem fröhlich mit, umso mehr. Die Anhängerinnen der Bundeswehr treten auf als Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung. Deren Vorkämpferinnen wiederum sind die Zögerlichen und erscheinen deshalb als die von gestern. Sie wenden ein, daß Frauen immer noch die höheren Lasten tragen, während es doch schon längst um mehr Teilhabe durch größere Unterwerfung geht.

Die Linke, das heißt linke Männer – sofern sie nicht die ganze Sprache verloren haben – empören sich, daß Frauen nun genauso scheußliche Soldaten sein sollen, ja sogar sein wollen, wie Männer. Aber irgendeinen Rat haben sie nicht. Sie verschieben das Problem auf die Frauen. Die feministische Diskussion, deren Analyse umfassender Gewalt bis hinein ins vermeintlich Private und der sich bedingenden Männlichkeits- bzw. Weiblichkeitsmythen, kennen sie immer noch nicht wirklich. Unter den Frauen »protestieren« einige wenige wacker und mit einem bisweilen seltsamen Gemisch von Argumentationen, die sich aus Frauen »als Opfer von Sozialabbau und Krieg« und, gewendet, als Friedensbringerinnen per se zusammensetzen. Diese Frauen haben die linke Lektion zu gut gelernt. Andere wollen munter hinein in die Bundeswehr, der Männlichkeit und Weiblichkeit gleichzeitig den Garaus machen. Die meisten finden allem Anschein nach weder das eine noch das andere sonderlich überzeugend. Die Linke also gibt ein Bild der Verwirrung und Handlungsunfähigkeit.

Ihre klare Antwort auf die Problematik »Frauen und Militär« hatte nur Bestand, solange es hinter und unter dem männlichen Antimilitarismus, der seinem Gegenüber noch spiegelbildlich verhaftet blieb, einen weiblichen Pazifismus gab, der traditionelle Rollenbilder mit sich trug, und beide die männliche bzw. weibliche Friedensbewegung dominierte.Die Frauenfriedensbewegung war dabei ein höchst eigenes Gemisch aus konservativen und partnerschaftsorientierten Frauen und Feministinnen zweier Schulen, einer antipatriarchalen und einer, die die Vielfalt des Menschen betont. Die Enttäuschung über »die Friedensbewegung« und »die Frauenbewegung«, in der pauschalisierenden Quintessenz, ist groß.

Eine laute Diskussion um Gleichberechtigung auf dem Exerzierplatz entflammt, wo dieselbe in der Gesellschaft leise, still und heimlich demontiert wird.

Vor diesem Hintergrund erklären sich Erscheinung und Verlauf der verwirrenden aktuellen Diskussion um das Thema »Frauen in die Bundeswehr – ja oder nein?«, das seltsam verteilte Schweigen und Reden und deren Inhalt. Rechte argumentieren dabei »links« und Linke »rechts«. Es scheint zu schlingern, wer sich schlichtem Pro und Contra verweigert. Frauen in die Bundeswehr, Gleichberechtigung in der Armee – ja oder nein? Die Fragestellung und Argumentationsmuster sind retardierend. Hinsichtlich der Akzeptanz der Bundeswehr sind sie ein »Nachhutgefecht«, bezogen auf die Gleichberechtigung im hier und heute ein »Nebenkriegsschauplatz«.

Merkwürdig ist allenfalls, welche Notfälle sich da gegenseitig aus derPatsche helfen sollen. Junge Männer haben keinen Bock mehr und lassen die Bundeswehr leerlaufen. Junge Frauen haben dagegen noch richtig Power und finden keinen Platz, sie auszutoben. Eine laute Diskussion um Gleichberechtigung auf dem Exerzierplatz entflammt, wo dieselbe in der Gesellschaft leise, still und heimlich demontiert wird.

Zwei Positionen lassen die Sache – trotz mangelnder Originalität – für manche reflexartig spannend erscheinen, eben weil mit ihnen die gewohnten Einteilungsmuster durchbrochen werden. LobbyistInnen der Bundeswehr fechten gegen das Traditionsmilitär und deren zurückgebliebenes Frauenbild und Feministinnen wenden ihre Patriarchatskritik gegen linken Antimilitarismus. Die Debatte wäre schnell zu den Akten zu legen, wären nicht doch noch neue Anstöße aus ihr herauszuschälen.

Diskriminiert werden Frauen im Militär noch mehr als außerhalb. Die sich trotzdem durchsetzen, schaffen es nur als gesteigerter Mann.

Taucht das Wort »Frau« auf, läßt – im Kontext der Bundeswehr anders als bei schöpferischer Arbeit, Geld und Macht – das Wort Gleichberechtigung nie auf sich warten. Ersatzobjekt, Trick oder Überzeugung? Jedenfalls sind Zweifel angebracht, wo Gleichberechtigung angedient und nachgetragen wird. Selten steht noch zur Debatte, worin und wofür da wer mit wem gleichberechtigt sein soll und ob die Sache selbst gleichberechtigt funktionieren kann. Stattdessen wird Gleichstellung als Gleichberechtigung untergejubelt. Nicht jede Gleichstellung endet aber schon in Gleichberechtigung, die ihrem Wesen nach unteilbar ist. Sachlich bemessen darf die Metapher bislang fast ausschließlich als Vorwand und Instrumentalisierung qualifiziert werden.

Die Armeen funktionieren nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Noch keine Regierung oder Parlamentsfraktion hat quantitativ die hälftige Beteiligung und qualitativ den gleichen Kombatantenstatus für Frauen gefordert. Frauen sind Minderheiten in den Armeen. Ihre freiwilligen Dienste schließen Lücken, die Männer lassen. Diese »Chance« wird erfahrungsgemäß meist von den Deprivilegiertesten oder den Aufstiegsseligsten wahrgenommen. Diskriminiert werden Frauen im Militär noch mehr als außerhalb. Die sich trotzdem durchsetzen, schaffen es nur als gesteigerter Mann. Gleiche Aufstiegschancen müssen sie sich im Zweifel vor Gericht erkämpfen, nachdem ihnen die Gleichstellungspolitik dazu die Chance überhaupt erst eröffnet hat.

Alles wie überall im Patriarchat, nur halt seine letzte Domäne? Oder noch mehr, eine andere Systematik? Zieht die Soldatinnen militärtechnische Macht und Stärke oder Demokratie und Emanzipation an? Jedenfalls haben sich Frauen im Militär bisher nicht als »Speerspitze« des Feminismus ausgezeichnet, eher als dessen Troß oder Nutznießerinnen.

Das Argument der Gleichberechtigung fungierte bislang vor allem als Hilfsargument zur Bejahung des Militärs. Es können aber auch die zu ihm stehen, die der Bundeswehr Positives so oder so zubilligen: Aus Überzeugung vom Sinn von Armeen, von dieser Bundeswehr und ihren Militärstrategien; als unvermeidbares Übel oder schlichte Realität, von denen niemand abgehalten werden soll; als Tabubruch gegen das offizielle Waffenverbot für Frauen, das ausschließt vom Können und der Macht auch zum Töten; im Glauben, Frauen humanisierten qua Natur das Militär, aus der Erkenntnis, daß polare Geschlechterbilder – männliche Stärke und weibliche Schwäche, Beschützer und Beschützte – selbst Bestandteil des Militarismus sind, und sie zu dementieren ihn schwächt.

Unter dem Aspekt der Gleichberechtigung gab es gegen die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr nie ein Argument, außer daß Militär und Militarismus mit Gleichberechtigung und Emanzipation nicht viel zu tun hatten. Die Frage lautet deshalb, ob Gleichberechtigung das Militär verändern kann oder das Militär die Gleichberechtigung. Wer Militärapperate für teuer, unproduktiv, gefährlich oder gar überflüssig hält, sollte sie minimieren. Wer den Einsatz von Gewaltmitteln zum Töten und Besiegen möglichst ausschließen will, sollte entmilitarisieren. Wer »Out of area«-Einsätze nicht sinnvoll findet, braucht nicht unbedingt Frauen noch hinterherzuschicken. Wer die »Natur der Frau« nicht umgedreht mythologisieren will, sollte Männer ihre humanen Potentiale entfalten lassen. Wer Machttabus brechen will, sollte Friedenspolitikerinnen zu Regierungschefs machen. Wer polare Geschlechtermuster abschaffen, zugleich neue Überlegen- und Unterlegenheits-Muster vermeiden will, muß auch ihre Institutionen umwandeln. Wer auf den Zusammenhang von Hierarchie und Spaltung zwischen den Geschlechtern, zwischen personaler, kultureller, struktureller und militärischer Gewalt pochen will, muß alle diese Gewaltverhältnisse zurücknehmen und für allgemeine Gleichberechtigung sorgen. Andernfalls wird mensch hinnehmen müssen, daß Frauen im Militär nicht den Effekt haben, dieses einzuschläfern, sondern zu beleben.

Mit einem bestimmten Quantum Frau funktioniert heute fast alles besser als ohne sie: Klima, Organisation, Disziplin, Motivation etc., während gleichzeitig soziale Spaltung, politische Regression und verdeckte Handelskriege wachsen. Vorsorglich wäre deshalb das Ziel der Gleichberechtigung auf das Militär selbst anzuwenden. Es müßte ihr dienen und so gestaltet werden, daß es das vermag. Notwendigerweise würde es dann als Militär transformiert und als Exekutionsmaschine von Gewalt demobilisiert. In diesem Fall würde Gleichberechtigung mit der Entmilitarisierung der männlichen Soldaten beginnen.

Wer Männer aus der Wehrpflicht nicht herausholt, kann die Bundeswehr Frauen nicht verweigern. Wer zivile Konfliktlösung nicht verwirklicht, kann Frauen keinen Waffenstatus und Generalstab versagen. Wer gleiche Menschenrechte nicht zu realisieren sucht, kann Frauen nicht verwehren, zu befehlen oder zu gehorchen. Die zeitgemäße Frage heißt: Mit welcher demilitarisierten Sicherheitspolitik in welcher konvertierten »Armee« können oder müssen Frauen und Männer welchen demokratischen Dienst tun, um gewaltträchtige oder -tätige Konflikte zu deeskalieren und friedlich zu lösen? Wünschenswert wäre eine neue Diskussion etwa über defensive Umrüstung, zivile Konfliktlösung, Berufsarmee auf Zeit, einen Grunddienst für alle in Selbstverteidigung, im Schutz Angegriffener und Unterstützung zur Selbsthilfe, in der Sorge für Alte, Kinder, Kranke. Das wäre eine neue Sicherheitspolitik und mehr und tiefere Gleichberechtigung.

Mechtild Jansen arbeitet als freie Publizistin

Kein Rückschritt und kein Meilenstein

Kein Rückschritt und kein Meilenstein

Die 4. Weltfrauenkonferenz zwischen Neuinterpretation und Erweiterung des Menschenrechtskonzepts

von Ruth Klingebiel

In der Charta der Vereinten Nationen von 1945 setzen sich die Vereinten Nationen das unmißverständliche Ziel, „ … die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen.“1. Fünfzig Jahre später verabschiedet die 4. Weltfrauenkonferenz ein Abschlußdokument und stellt in einem Paragraphen kurz und bündig fest: „Frauenrechte sind Menschenrechte.“2 Übersetzt in eine simple mathematische Gleichung ergibt sich die Formel FRAUEN + RECHTE=MENSCHEN + RECHTE. Dividieren und kürzen wir dann RECHTE auf beiden Seiten der Gleichung, bleibt FRAUEN=MENSCHEN.

Die Wahrheit dieser reduzierten Gleichung wird wohl auch nicht in Beijing von den Regierungsdelegierten ernsthaft bestritten und diskutiert worden sein. Gerade deshalb verwundert diese tautologisch anmutende Aussage um so mehr. Was hat die Delegierten dazu bewogen, eine solche Formel in ein UN-Dokument zu schreiben, das mit der Serie der Weltfrauenkonferenzen seit 1975 auf 20 Jahre Frauenförderpolitik der UN zurückblicken kann? Und was hat Frauen dazu bewogen, eine weltweite Mobilisierungskampagne unter dem Motto „Frauenrechte sind Menschenrechte“ zu organisieren, wenn doch bereits in der Charta die Menschenrechte ohne Unterscheidung durch das Geschlecht festgeschrieben wurden?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es notwendig, der Verankerung von Menschenrechten von Frauen in den Instrumenten der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen nachzuspüren. Wie wurden sie ausgestaltet und wo lag das Defizit, das offensichtlich die Kampagne beförderte?

UN-Politik zur Beseitigung von Frauendiskriminierung3

Die Frauenpolitik der Vereinten Nationen läßt sich anhand ihrer inhaltlichen Ausrichtung in unterschiedliche Phasen einteilen. Von 1945 bis zum Beginn der 60er Jahre stand die rechtliche und politische Gleichstellung der Frau im Vordergrund. Nachdem in der Charta die Gleichberechtigung der Frau festgehalten worden war (s. Artikel 1 der Charta), wurde 1946 mit der Menschenrechtskommission zugleich eine Unterkommission für die Rechtsstellung der Frau eingerichtet, die im selben Jahr noch den vollen Status einer Fachkommission (Commission on the Status of Women, kurz Frauenrechtskommission) des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) erhielt. Die Frauenrechtskommission stellte sicher, daß die Gleichberechtigung der Frau in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert wurde und benutzte die Prinzipien der Menschenrechtserklärung gleichzeitig als Basis ihrer Arbeit. Die frühen Jahre waren geprägt von Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung in den Bereichen der politischen Partizipation4, Arbeit5, Erziehung6, Nationalität7 und Ehe8.

Nach der Phase der rechtlichen »Grundsteinlegung« beginnt mit den Vorarbeiten zur Erklärung über die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen eine Phase, in der zum einen das Rechtsinstrumentarium verfeinert werden soll und zum anderen Frauen für den Entwicklungsprozeß »entdeckt« werden. Nachdem die beiden Menschenrechtspakte von 1966 verabschiedet worden waren, nahm die Generalversammlung 1967 die Erklärung zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen an und erklärt darin, daß die vollständige Entwicklung eines Landes, die Wohlfahrt der Welt und die Herstellung von Frieden die größtmögliche Partizipation von Frauen und Männern gleichermaßen auf allen Gebieten erfordere.9 Zum Ende der ersten Entwicklungsdekade wurde die Schlüsselrolle von Frauen zum Thema in der Entwicklungspolitik und beeinflußte die Entwicklungsstrategien für die zweite Entwicklungsdekade. 1972 stellte die Frauenrechtskommission nach 25jähriger Tätigkeit einen akuten Handlungsbedarf zur Beseitigung der eklatanten Diskriminierung von Frauen weltweit fest. 1975, dem Internationalen Jahr der Frau, fand dann auch die erste Weltfrauenkonferenz (WFK) in Mexiko unter dem Motto Gleichberechtigung, Entwicklung, Frieden statt.

Diese erste WFK eröffnete eine dritte Phase. Das Abschlußdokument, der Weltaktionsplan von Mexiko10, enthielt umfassende Richtlinien zur Frauenförderung bis 1985. Die Frauendekade der Vereinten Nationen (1976-1985) konkretisierte vor allem das UN-Instrumentarium zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau. Ins Leben gerufen wurde ein Voluntary Fund for the UN Decade for Women (1976), der im Februar 1985 als United Nations Development Fund for Women (UNIFEM) in die UN-Familie aufgenommen wurde. Parallel wurde ein International Research and Training Institute for the Advancement of Women (INSTRAW) installiert. Damit wurde eine Dekade der Frauenförderpläne eingeleitet, die von einer Sichtweise von Frauen als menschlicher Ressource für Entwicklung geprägt waren. Zwölf Jahre nach der Erklärung zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen und nach unzähligen Verhandlungen und jahrelangen Diskussionen nahm die Generalversammlung am 18. Dezember 1979 endlich die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (kurz Frauenrechtskonvention genannt) an.

Die Frauenrechtskonvention ist das erste internationale Rechtsinstrument, das Diskriminierung von Frauen definiert: „In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck »Diskriminierung der Frau« jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, daß die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau – ungeachtet ihres Familienstandes – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitel wird.“ 11

Die Konvention trat als bisher einziges umfassendes frauenspezifisches Menschenrechtsinstrument der Vereinten Nationen am 3.9.1981 in Kraft, nachdem sie durch 20 Staaten ratifiziert worden war. Im Anschluß konnte das Committee on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW, kurz Frauenrechtskommission) damit beginnen, die Umsetzung der Konvention zu überwachen. Die Hauptaufgabe der Kommission besteht darin, die Länderberichte der Mitgliedsstaaten auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen, bei ihren jährlichen Tagungen die Regierungsdelegierten kritisch zu befragen und Informationen von NGOs einzuholen. Neben diesen neugeschaffenen Instrumenten wurde 1980 eine zweite WFK in Kopenhagen durchgeführt, deren Hauptaufgabe in der Zwischenbilanzierung der Frauendekade bestand. Beschlossen wurden gezielte Fördermaßnahmen in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Gesundheit, ohne die die Hauptziele von Entwicklung – Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden – nicht erreichbar seien.

Den Abschluß der Dekade, eine Trendwende in der Frauenpolitik der Vereinten Nationen und damit den Übergang in eine vierte Phase bildete die 3. WFK in Nairobi 1985. Ein neues Entwicklungsparadigma bildete sich heraus, das Frauen nicht länger als Objekt und menschliche Ressource betrachtete. Frauen wurden zu Handlungsträgerinnen, zu Individuen, die eine zentrale Rolle spielen sollten, „als Intellektuelle, Politikerin, Entscheidungsträgerin, Planerin sowie als Trägerin und Nutznießerin der Entwicklung12. Die in Nairobi gezogene Bilanz der Frauendekade zeigte, daß es gelungen war, Öffentlichkeit herzustellen und eine Vielzahl von rechtlichen Diskriminierungen abzubauen. Gleichzeitig wurde es offensichtlich, daß die Alltagssituation der meisten Frauen sich nicht nur nicht verbessert hatte, sondern daß die wirtschaftliche Misere vieler Länder des sogenannten Südens ihre Situation weiter verschlechterte. Die Zukunftsstrategien von Nairobi benannten ein ganzes Maßnahmenbündel zur Umsetzung von Gleichberechtigungsmaßnahmen in nationale Politik. Die Generalversammlung betraute die Frauenrechtskommission mit der Überwachung der Implementierung der beschlossenen Strategien und forderte gleichzeitig alle Organisationen der Vereinten Nationen dazu auf, spezielle Abteilungen für frauenrelevante Fragen einzurichten.

Trotz der greifbaren Ergebnisse, wie z.B. der völkerrechtlich bindenden Frauenrechtskonvention und der frauenspezifischen Entwicklungsorganisation (UNIFEM) ist die Verankerung von Frauenrechten im Menschenrechtssystem der UN unzureichend. „Instead of having high priority at the United Nations, women's human rights are given little attention; »women's issues« are marginalized into under-funded and ineffective machineries. As a result, women around the world are demanding an extensive transformation of the existing deficient human rights framework.“ (Kerr 1993: 6)13 Gründe für dieses Defizit liegen in der strukturellen Schwäche der Frauenrechtskonvention: CEDAW verfügt über keine Sanktionsinstrumente – das seit Jahren geforderte Fakultativprotokoll existiert nur im Entwurf.14 Kaum ein UN-Dokument wurde mit so vielen Vorbehalten gezeichnet (Tomasevski 1993: 116 ff.; Cook 1990). Darüber hinaus enthält die Konvention keine explizite Verurteilung von Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung.

Gegen die Unsichtbarkeit von Frauen

Die Frauenpolitik der Vereinten Nationen verbesserte vor allem die Datenlage zur Situation von Frauen und erfüllte damit ein selbstgestecktes Ziel, Frauen durch Daten sichtbar zu machen. 1985 erschien erstmals der World Survey on the Role of Women in Development, der seitdem alle fünf Jahre aktualisiert wird. 1990 erschien The World's Women: Trends and Statistics, 1970-199015. Geschlechtsspezifische Daten werden erst seit kurzem gezielt erhoben. Exemplarisch läßt sich die Datenlage an den Berichten zur menschlichen Entwicklung ablesen, die das UNDP (United Nations Development Programm) alljährlich herausgibt. Seit 1990 werden die Daten zunehmend desaggregiert. Der UNDP-Report für 1995 legt den Schwerpunkt des gesamten Berichtes auf die Lage der Frauen weltweit und stellt zwei neu- bzw. weiterentwickelte geschlechtsspezifische Entwicklungsindikatoren vor (UNDP 1995: 72 ff.). Desaggregierte Daten zeigen: Frauen partizipieren weniger an Entwicklungsprozessen als Männer, sie sind stärker von Strukturanpassungen betroffen und Armut ist »weiblich«. Desaggregierte Daten zeigen auch, daß die Partizipation von Frauen nicht notwendigerweise an den Reichtum eines Landes, sondern hauptsächlich an den politischen Willen der Regierungen gekoppelt ist (UNDP 1995: 3). Die Bilanz des UNDP-Berichtes 1995 für die letzten 20 Jahre sieht düster aus: Zwischen 1975 und 1995 stieg zwar die Einschulungsrate von Mädchen um zwei Drittel, stieg auch die Lebenserwartung von Frauen um neun Jahre und fiel die Geburtenrate um ein Drittel; die Rate der wirtschaftlichen Aktivität wuchs aber im selben Zeitraum lediglich um 3,9 Prozentpunkte, Frauen besetzen heute weltweit nur 10<0> <>% der Parlamentssitze und 6<0> <>% der Regierungsämter, rechtliche Diskriminierungen sind immer noch nicht vollständig abgebaut worden, 41 Staaten sind der Frauenrechtskonvention immer noch nicht beigetreten und die Vorbehalte nicht zurückgenommen worden.

Die Dekade der Frau hat aber nicht nur die Datenlage verbessert; sie hat zugleich einen blinden Fleck sichtbar gemacht. Gewalt an Frauen taucht in nationalen und internationalen Statistiken kaum auf, doch ein Umdenkprozeß hat begonnen.16 Geschlechtsspezifische Gewalt existiert in allen Ländern der Welt und ist keine kulturspezifische Eigenart. In den meisten Ländern gibt es keine gesetzliche Grundlage gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Sie wird als private Familienangelegenheit nicht nur ignoriert, sondern staatlich sanktioniert. Dabei kann die Privatsphäre ein geradezu mörderischer Ort für Frauen sein. Weltweit verschwinden schätzungsweise 100 Millionen Frauen, die aufgrund geschlechtspezifischer Diskriminierung sterben oder gar nicht erst geboren werden (Klasen 1993: 27). In Befragungen berichteten zwei Drittel aller Frauen über sexuelle Mißbrauchserfahrung in ihrer Kindheit und Jugend. In Chile, Mexiko, der Republik von Korea berichten über zwei Drittel der Frauen von Gewalt in der Ehe. In Deutschland wurde schätzungsweise jede siebte Frau in ihrer Ehe vergewaltigt. In Kanada, Neuseeland, Großbritannien und den USA wird eine von sechs Frauen in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung. Die Hälfte aller Morde an Frauen wird von einem ehemaligen oder dem derzeitigen Partner begangen. Kulturübergreifende Untersuchungen weisen Gewalt in der Ehe als häufigste Ursache für Selbstmorde von Frauen aus. Gewalt durch Kriege etc. betrifft vor allem Frauen und Kinder: 80<0> <>% der weltweiten Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Frauen werden Opfer sogenannter Massenvergewaltigungen. Frauen erhalten selten politisches Asyl, da ihre geschlechtspezifischen Gewalterfahrungen nicht als politische Verfolgung eingestuft werden.

Die Beispiele zeigen die Spannbreite und das systemische Ausmaß der Gewalt gegen Frauen.

Menschenrechte – feministisch betrachten!

Die Kampagne Frauenrechte sind Menschenrechte setzt an der Alltäglichkeit und Bagatellisierung dieser Gewaltformen an. Charlotte Bunch vom Center for Women's Global Leadership, eine der Initiatorinnen der Kampagne, kritisiert die Ausgrenzung von Frauen aus dem herrschenden Menschenrechtsverständnis und benennt das Ziel der Menschenrechtskampagne für Frauen: „Wir glauben, daß es Frauen ohne weiteres klar ist, was ihre Menschenrechte sind, aber sie brauchen Konzepte, um das auszudrücken. … Wir sagen, daß die Weltgemeinschaft nicht nur die Frauen miteinbeziehen, sondern auch ihr Verständnis von Menschenrechten verändern muß. Mit anderen Worten, können wir das, was Frauen als Menschenrechtsthemen ansehen, nicht in die bestehende Form der Menschenrechte integrieren, ohne diese zu verändern.“ (Bunch 1993: 10, 11)

Das Konzept der allgemeinen Menschenrechte entstand vor rund 200 Jahren im Kampf um die individuellen Freiheitsrechte des bürgerlichen Individuums gegen einen übermächtigen Staat. Als zivilisatorische Errungenschaften gelten seitdem das Gewaltmonopol einerseits und die Schutzwürdigkeit der Privatsphäre andererseits. Das bürgerliche Individuum wurde aber als Mann gedacht. Frauen, als unpolitische Wesen gedacht, wurden der Privatsphäre zugerechnet. Diese Trennung von Politik und Privatsphäre wirkt bis heute und führte dazu, daß die Lebenswelt von Frauen nicht in den selbstdefinierten Zuständigkeitsbereich der Vereinten Nationen fielen. Die feministische Kritik daran ist recht jung. Für Charlesworth (1994: 63) drängt sich deshalb die Frage auf, warum die andozentrische Natur der Menschenrechte erst jetzt analysiert wird. Ihre Antwort beschreibt als simpelsten Grund den Ausschluß von Frauen aus der Normbildung, der Implementierung und dem Monitoring des Menschenrechtsbereichs. Ein zweiter Grund liegt im Anspruch des Menschenrechtsansatzes selbst, dessen vordergründige Eindeutigkeit und Radikalität Kritik sehr fragwürdig erscheinen läßt. Seit dem Beginn der 90er Jahre wagen sich verstärkt VölkerrechtlerInnen an eine bis dahin nahezu tabuisierte Kritik des Menschenrechtskonzeptes. Dabei sind unterschiedliche Richtungen auszumachen. Zum einen wird das Menschenrechtsinstrumentarium daraufhin untersucht, wie es für Frauen in der bestehenden Form nutzbar ist (Byrnes 1994; Tomasevski 1995; Ashworth 1992 etc.). Die Vorschläge stellen auf eine Neuinterpretation ab und sehen viele Möglichkeiten, Frauen Zugang zu internationalen Menschenrechtsverfahren zu verschaffen. So ließe sich z.B. Gewalt im Privatbereich unter den Tatbestand der Folter subsummieren; Frauenhandel und Zwangsprostitution fielen unter das Verbot der Sklaverei; geschlechtsspezifische Verfolgung ließe sich auch als politische Verfolgung interpretieren, so bald staatliche Duldung, mangelhafte gesetzliche Schutzvorschriften usw. nachgewiesen werden würden. Neben diesen Bemühungen, das Bestehende geschlechtsspezifisch anzuwenden, gibt es eine feministische Auseinandersetzung mit dem Nichtdiskriminierungs-Gebot der Konvention und der dahinter vermuteten Gleichheits-Differenz-Hypothese. Das Nichtdiskriminierungs-Gebot wird verdächtigt, ein weibliches Abziehbild des männlichen Vorbilds anzustreben mit dem Effekt, daß „… women are forced to argue either that they are the same as men and should be treated the same, that they are different but should be treated as if they are the same, or that they are different and should be accorded special treatment. The model does not allow for questioning the ways in which laws, cultures, or religious traditions have constructed and maintained the disadvantage of women, or the extent to which the institutions are male-defined and built on male conceptions of challenges and harms.“ (Cook 1993: 239).

Eine andere Richtung kritisiert das westlich-feministische Grundverständnis, das im Nichtdiskriminierungs-Gebot angelegt sei. Abgehoben würde auf die privilegierte, freie und unabhängige Frau. Außen vor bliebe der Kontext von Klassen, Kasten und ethnischen Zugehörigkeiten (Coomaraswamy 1994: 40f.). Die neuen und recht unterschiedlichen Ansätze zum Thema Frauenrechte im Völkerrecht stehen nicht konfrontativ gegeneinander, sondern sie suchen den Austausch miteinander.17

Die Kampagne sowie die völkerrechtliche Debatte blieben nicht ohne Einfluß auf die Politik der Vereinten Nationen. Deutlich wird dieser Einfluß an den Abschlußdokumenten der UN-Weltkonferenzen 1990-1995, dem Weltkindergipfel 1990 in New York, dem Umweltgipfel 1992 in Rio, der Menschenrechtsweltkonferenz 1993 in Wien, der Bevölkerungskonferenz 1994 in Kairo, dem Sozialgipfel 1995 in Kopenhagen und natürlich der 4. WFK in Beijing.18 Die Konferenzen sollten aufeinander aufbauen und in der Zusammenschau zu allen globalen Fragen Antworten suchen. Eine Antwort aller Konferenzen ist die Forderung nach mehr Partizipation für Frauen bei der Lösung globaler Krisen, was KritikerInnen auch als Abwälzung von Verantwortung werten. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Menschenrechtsweltkonferenz ein, da sie das Menschenrechtskonzept geschlechtsspezifisch definierte. Es ist das erste UN-Dokument, das Gewalt auch im privaten Bereich als Menschenrechtsverletzung ächtet. Die Konferenz brachte auch konkrete Ergebnisse. Im Anschluß verabschiedete die Generalversammlung die Erklärung zu Gewalt an Frauen, die Gewalt in der Familie, in der Gesellschaft und vom Staat verübte oder staatlich geduldete Gewalt scharf verurteilt.19 Der Menschenrechtsausschuß setzte eine Sonderberichterstatterin zu Gewalt an Frauen ein, in deren Mandat alle in der Erklärung genannten Formen der Gewalt fallen.20 Damit war das Hauptanliegen der Frauen-Menschenrechtskampagne erreicht. Auf der Bevölkerungskonferenz kämpften Frauen erfolgreich für das Konzept der reproduktiven Gesundheit, während die sexuellen Rechte der Frau in Kairo nicht durchgesetzt werden konnten. Sowohl die Ergebnisse von Wien als auch von Kairo standen in Beijing wieder zur Disposition.

Das Abschlußdokument der 4. WFK – eine Bilanz

Zum Auftakt der Regierungskonferenz in Beijing verkündete Gertrude Mongella: „Die Vierte Weltfrauenkonferenz ist eine Revolution für Frauen!“ Das war sie sicherlich nicht, soweit sind sich die meisten KommentatorInnen der Konferenz einig. Verabschiedet wurde ein Dokument, das bestehende Sprachregelungen aus den vorausgegangenen UN-Konferenzen halten konnte und winzige Weiterentwicklungen brachte. Das hehre Ziel, nun konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der seit Nairobi aufgestellten Anforderungen an eine effiziente Frauenpolitik zu verabreden, wurde verfehlt. Obwohl das Abschlußdokument eine Plattform für Aktionen enthält, ist erstaunlich wenig Aktion verabredet worden. Das Dokument ist mehr als mühsame 160 Seiten lang geraten; und viele Formulierungen sind so umständlich, daß die deutsche Übersetzung einiges Kopfzerbrechen bereitet.21 Nicht allein an den Formulierungen ist der zähe und konfrontative Verhandlungsverlauf ablesbar. Anders als in Nairobi 1985 werden kaum strukturelle Rahmenbedingungen genannt, d.h. eine Auseinandersetzung mit ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen, einer Neuen Weltwirtschaftordnung etc. blieb in Beijing außen vor. Die Betonung des gesamten Dokumentes liegt in einem sehr individualistischen Ansatz, der ganz auf das persönliche »empowerment« von Frauen abhebt und eine Politik der kleinen Schritte praktiziert. Der alte Nord-Süd-Konflikt, der Nairobi beherrschte, war weniger entscheidend für den Konferenzverlauf als der offen ausgetragene Konflikt zwischen den säkularisierten und den religiös-traditionell bestimmten Delegationen. Islamisch und katholisch bestimmte Länder stellten die Gleichberchtigung der Geschlechter ganz offen in Frage, beklagten die Familienfeindlichkeit der emanzipierten Frau und beschrieben die Gefahren, die vom Feminismus generell ausgingen. Infrage gestellt wurde der Erfolg der Frauen-Menschenrechtskampagne. Erst am letzten Tag gelang noch ein »package-deal« (Stichwort Sexualität, s. Kasten), der einen Kompromiß zur kulturellen Relativierung einschloß.

Ergebnisse der 4. Weltfrauenkonferenz

Armut: Über 900 Millionen Frauen
leben in extremer Armut. Ihr Zugang zu Landbesitz und zu Krediten soll verbessert werden,
ihre Ausbildung gefördert werden. Da Frauen viel häufiger arbeitslos sind als Männer,
sollen Beschäftigungsprogramme auch in den Industrieländern Abhilfe schaffen. NEU:
Gefordert wird die Erfassung, Bewertung und Anerkennung unbezahlter Arbeit im Haushalt und
in der Gesellschaft. Unbezahlte Arbeit soll in sogenannten Nebenkonten zum BSP ausgewiesen
werden. (Laut UNDP-Bericht 95 sind 16 Billiarden der globalen Gesamtproduktion
»unsichtbar«, der Beitrag der Frauen erreicht 11 Billiarden Dollar.)

Gesundheit: Frauen und Mädchen sollen
einen besseren Zugang zu medizinischer Betreuung erhalten, die vor allem erschwinglich
sein muß. Weibliche Jugendliche haben das Recht auf Information und Aufklärung –
entsprechend ihrer Entwicklungsstufe – sowie ein Recht auf Privatsphäre und
Vertraulichkeit. Frauen und Mädchen sind in Aidsprogramme einzubeziehen. In diesem
Zusammenhang gab der Vatikan seinen Widerstand gegen die Erwähnung von Kondomen auf.

Abtreibung: Das Ergebnis der
Weltbevölkerungskonferenz in Kairo wurde bestätigt: Ein Schwangerschaftsabbruch darf
kein Mittel der Familienplanung sein, doch wo er erlaubt ist, soll er so sicher wie
möglich durchgeführt werden. Die Regierungen werden aufgefordert, ihre Bestimmungen
über die Strafbarkeit illegaler Schwangerschaftsabbrüche zu überdenken.

Sexualität: NEU: Das Konzept der
reproduktiven Rechte und reproduktiven Gesundheit von Kairo wird ergänzt durch das
Konzept der sexuellen Selbstbestimmung der Frau. „Die Menschenrechte von Frauen
schließen ihr Recht ein, über Fragen, die mit ihrer Sexualität zusammenhängen,
Kontrolle auszuüben und frei und verantwortlich zu entscheiden. Das umfaßt auch sexuelle
und reproduktive Gesundheit und beinhaltet die Freiheit von Zwang, Diskriminierung und
Gewalt.“
Die Aufnahme sexueller Orientierung und sexueller Rechte (Position
westlicher Staaten), d.h. ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot für Lesben, wurde
gestrichen. Im Gegenzug wurde eine Fußnote gestrichen, die Menschenrechte für Frauen
kulturell relativierte (Position vor allem der islamischen Staaten).

Gewalt: Gewalt gegen Frauen wird als
Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt, ob in der Familie, in der Gesellschaft oder ob
durch den Staat praktiziert bzw. geduldet. Damit wurden die seit der Wiener
Menschenrechtsweltkonferenz erzielten Definitionserfolge (s. UN-Erklärung zu Gewalt an
Frauen
von 1993) ausdrücklich bekräftigt. Vergewaltigungen im Krieg sollen als
Kriegsverbrechen geahndet werden. Das Mandat der 1994 eingesetzten
UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt an Frauen soll zwar über 1997 hinaus verlängert
werden, ihre mangelhafte Ausstattung mit Ressourcen wurde nicht diskutiert.

Menschenrechte: Die Menschenrechte von
Frauen und Mädchen sind ein unveräußerlicher, integraler und untrennbarer Teil der
allgemeinen Menschenrechte. Jedwede Relativierung konnte nach zähen Verhandlungen
zurückgewiesen und die vorangegangenen UN-Weltkonferenzen vollinhaltlich einbezogen
werden.

Gleichberechtigte Teilhabe: Nur ein
Teilen von Macht und Verantwortung zwischen den Geschlechtern, d.h. zu Hause, am
Arbeitsplatz und in allen Bereichen der Gesellschaft, ermöglicht Gleichberechtigung
zwischen Männern und Frauen, soziale Gerechtigkeit und eine dauerhafte menschliche
Entwicklung, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Weder
Quotenregelungen noch der Begriff »Parität« fanden Eingang in die Aktionsplattform.
Allerdings wurden die Ziele einer Quotenregelung umschrieben mit der Forderung nach
gleicher Repräsentanz von Frauen und Männern sowie der Gleichberechtigung der
Geschlechter.

Mädchen: Die gezielte Abtreibung
aufgrund des Geschlechts wird verurteilt. Die Diskriminierung von Mädchen bei der
Ernährung, Bildung, Gesundheitsbetreuung soll bekämpft werden. Scharf verurteilt wird
die genitale Verstümmelung von Mädchen. NEU: Die Erbrechte von Mädchen fanden
als Kompromiß doch noch Eingang ins Dokument: Die Ungerechtigkeiten und die Hindernisse
beim Erbrecht von Mädchen müssen beseitigt werden. Regierungen sollen dazu Gesetze
– soweit angemessen – erlassen und durchsetzen, die das gleichberechtigte Recht
auf Erben sicherstellt ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Kindes. (Das gleiche
Erbrecht wurde nicht für Frauen formuliert, gefordert wurde lediglich ein Zugang zum
Erbrecht.)

Finanzen: Zur Finanzierung der
Aktionsplattform wurde kein Durchbruch erzielt. Die Entwicklungsländer hatten von den
reichen Geberländern gefordert, zusätzliche Finanzmittel für den Fortschritt der Frauen
zur Verfügung zu stellen. Die Industrieländer sind dazu nicht bereit. „Neue und
zusätzliche“
Mittel sollen durch Umschichtung aus allen verfügbaren
Finanzierungsquellen (einschließlich multilateraler, bilateraler und privater Quellen)
zugunsten der Aktionsplattform erreicht werden. Regierungen sollen zur Finanzierung
nationaler Aktionspläne ihre exzessiven Militäretats kürzen, wenn es angebracht ist und
die nationale Sicherheit nicht gefährdet wird.

Literatur

Ashworth, Georgina 1992: Women and Human Rights, Background Paper for the DAC Expert Group on Women in Development Organisation for Economic Co-operation and Develpoment, London.

Bunch, Charlotte 1993: Die Entstehung der Kampagne für Frauenrechte (Interview mit Charlotte Bunch), in: epd-Entwicklungspolitik, Materialien IV/ 93, S. 10-12.

Byrnes, Andrew 1994: Toward More Effective Enforcement of Women's Human Rights Through the Use of International Human Rights Law and Procedures, in: Cook 1994, pp. 189-227.

Charlesworth, Hilary 1994: What are »Women's International Human Rights«?, in: Cook 1994, pp. 59-84.

Cook, Rebecca J. 1990: Reservations to the Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women, in: Virginia Journal of International Law, Vol. 30 (1990), No.4, pp. 643-716.

Cook, Rebecca J. 1993: Women's International Human Rights Law: The Way Forward, in: Human Rights Quaterly 15 (1993), pp. 230-261.

Cook, Rebecca J. (Hrsg.) 1994: Human Rights of Women, National and International Perspectives, Philadelphia.

Coomaraswmy, Radhika 1994: To Bellow like a Cow: Women, Ethnicity, and the Discourse of Rights, in: Cook 1994, pp. 39-57.

Kerr, Joanna (Hrsg.) 1993: Ours by Right, Women's Rights as Human Rights, London.

Tomasevski, Katarina 1993: Women and Human Rights, London/ New Jersey.

Tomasevski, Katarina 1995: Women, in: A. Eide/ C. Krause/ A. Rosas (Eds.): Economic, Social and cultural Rights. A Textbook, Dordrecht/ London/ Boston, pp. 273-288.

UNDP 1995: Human Development Report 1995, New York/Oxford.

United Nations 1995: The United Nations and the Advancement of Women 1945 – 1995, New York.

Anmerkungen

1) Charta der Vereinten Nationen, in Kraft getreten am 24.10.1945, Artikel 1. Zurück

2) Beijing Declaration, § 14. Zurück

3) Zum 50. Geburtstag schenkten die Vereinten Nationen sich neben diversen Feiern und Laudatien auch eine Bilanz ihrer eigenen Frauenpolitik, die alle »frauenrelevanten« Konferenzen und Auszüge aus Dokumenten, bzw. komplette Dokumente von 1945 bis kurz vor der 4. WFK enthält (United Nations 1995). Zurück

4) Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau, angenommen durch Resolution 640 (VII) der Generalversammlung vom 20.12.1952. Zurück

5) Übereinkommen Nr. 100 der ILO über die Gleichheit des Entgelds männlicher und weiblicher Arbeitskräft für gleichwertige Arbeit, 1951. Zurück

6) UNESCO-Report E/CN.6/146, 9. Mai 1950. Zurück

7) Übereinkommen über die Nationalität verheirateter Frauen, angenommen durch die Generalversammlung am 29.1.1957. Zurück

8) Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen, angenommen durch Resolution 1763 (XVII) vom 7.11.1962. Zurück

9) A/RES/2263 (XXII), 7. November 1967. Zurück

10) Report of the World Conference of the International Women's Year, held in Mexico City from 19 June to 2 July 1975; including the Agenda, the World Plan of Action for the Implementation of the Objectives of the International Women's Year, the Declaration of Mexico on the Equality of Women and Their Contribution to Development and Peace, and resolutions and decisions adopted by the Conference; E/CONF.66/34 (76.IV.1), 1976. Zurück

11) Artikel 1 der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, angenommen auf der Generalversammlung am 18. Dezember 1979, UN Treaty Series, vol. 1249, no. 20378, S. 13. Zurück

12) Report of the World Conference to Review and Appraise the Achievements of the United Nations Decade for Women: Equality, Development and Peace, held in Nairobi from 15 to 26 July 1985; including the Agenda and the Forward-looking Strategies for the Advancement of Women, A/CONF.116/28/Rev.1 (85.IV.10), 1986. Zurück

13) Das Defizit wird auch innerhalb der Vereinten Nationen gesehen und schlug sich in Resolution 1994/45 der Frauenrechtskommission nieder: „The question of integrating the rights of women into the human rights mechanisms of the United Nations and the elimination of violence against women.“ Zurück

14) Ein Fakultativprotokoll zur Konvention, dem die Staaten eigens beitreten müssen, würde ermöglichen, aufgrund einer schriftlichen, nicht anonymen Mitteilung einer Person über Menschenrechtsverletzungen nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges ein Individualbeschwerdeverfahren im UN-Menschenrechtsausschuß einzuleiten und dort Regierungen mit Beschwerden über frauenspezifische Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land zu konfrontieren. Zurück

15) Beide Datensammlungen werden von den Vereinten Nationen erstellt und herausgegeben. 1995 erschienen beide in aktualisierter Fassung und sollten als Datengrundlage für die 4. WFK dienen, doch wurden sie erst kurz vor Konferenzbeginn fertiggestellt. Zurück

16) Dieser Umdenkprozeß hat auch klassische Menschenrechtsorganisationen erreicht. 1995 erschien z.B. zum ersten Mal der Human Rights Watch Global Report on Women's Human Rights. Auch Amnesty International brachte 1995 ein Buch zum Thema heraus (ai 1995: Frauen in Aktion – Frauen in Gefahr, Bonn). Zurück

17) Obwohl erst 1994 erschienen, wurde der Sammelband von Rebecca J. Cook (Cook 1994) bereits zum »Klassiker« der Debatte. Er bietet in 23 Beiträgen Sichtweisen aus allen Regionen der Erde sowie die unterschiedlichen Richtungen des Menschenrechtsansatzes für Frauen. Zurück

18) Die zentralen Passagen aller genannten Konferenzen sind abgedruckt in: United Nations 1995. Zurück

19) A/RES/48/104, 20 December 1993. Zurück

20) Resolution 1994/45 des Menschenrechtsausschusses (ESCOR, 1994, Suppl. No.4, p.140), 11 March 1994. Zurück

21) Das Abschlußdokument besteht aus einer 38 Paragraphen umfassenden Beijing Declaration und der 362 Paragraphen umfassenden Platform for Action. § 47-258 der Aktionsplattform greifen die vorher im Dokument aufgelisteten 12 Aktionsfelder auf. Für jedes der „critical areas of concern“ folgen nach der Darstellung der Ist-Situation und der Benennung der Hindernisse die geforderten Handlungsansätze auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene. Die 12 Aktionsfelder sind Armut, Bildung/Ausbildung, Gesundheit, Gewalt, Bewaffnete Konflikte, Wirtschaft, Macht-/Entscheidungsstrukturen, Mechanismen zur Frauenförderung, Menschenrechte, Medien, Umwelt und Mädchen. Zurück

Ruth Klingebiel (Politologin) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Entwicklung und Frieden (Geibelstr. 41, 47057 Duisburg, Tel: 0203/ 3789-426, Fax: 0203/ 3789-425).