Rüstungsrekord 2018


Rüstungsrekord 2018

von Jürgen Nieth

„Die Militärausgaben haben im Jahr 2018 mit weltweit geschätzt 1822 Milliarden Dollar einen Höchststand erreicht und sind gegenüber dem Vorjahr um 2,6 Prozent gewachsen. Das geht aus einer jährlichen Untersuchung hervor, die das Friedensforschungsinstitut SIPRI am Montag (29.05.2019) in Stockholm veröffentlicht hat. Mit Abstand am meisten Geld wendeten die USA für Verteidigung auf: 649 Milliarden Dollar. Das entsprach 36 Prozent der weltweiten Ausgaben […].

An zweiter Stelle folgt China mit geschätzt 250 Milliarden, was einer Steigerung von fünf Prozent entspricht. Es folgen Saudi-Arabien (geschätzt 67,6 Milliarden Dollar), Indien (66,5 Milliarden) und Frankreich (63,8 Milliarden). Russland liegt mit 61,4 Milliarden Dollar auf Platz sechs und damit erstmals nicht mehr unter den ersten fünf. Deutschland gab demnach 49,5 Milliarden Dollar für Verteidigung aus, 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit überholte die Bundesrepublik Japan und liegt auf Platz acht.“ (SZ 30.4.19, S. 7)

Diese Fakten aus dem SIPRI-Bericht werden fast gleichlautend auch in den anderen ausgewerteten Presseorganen (siehe unten) wiedergegeben. Die NZZ (29.4.19, S. 2) ergänzt, dass die Schweiz mit 4,8 Milliarden Franken wie im Vorjahr auf Rang 38 platziert ist.

SIPRI wertet Daten von 155 Ländern aus und stützt sich seit 1988 – als dem Stockholmer Institut erstmals globale Vergleichsdaten zur Verfügung standen – in seinen jährlichen Berichten nicht nur auf offizielle Regierungsangaben zum Rüstungshaushalt, es berücksichtigt auch andere Quellen, wie Statistiken der Zentralbanken und der NATO sowie Regierungsantworten auf Anfragen der Vereinten Nationen. Die Zahlen werden von SIPRI unbewertet veröffentlicht.

Die Bewertung wäre also Aufgabe der berichtenden Redakteur*innen. Aber auch hier ergibt unsere Auswertung vielfach nur eine Wiedergabe der Zahlen, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

„Trump-Zeit ist Rüstungszeit“

lautet die Headline im nd (30.4.19, S. 6). Die meisten Berichte beleuchten die Rüstungskostensteigerung der USA, allerdings ohne sie kritisch zu kommentieren. Die taz (29.4.19, S. 8) hält fest, die USA steckten trotz niedrigerem Wirtschaftswachstum 4,6 Prozent mehr ins Militär, insgesamt 649 Milliarden Dollar“. Und bei faz.net (29.4.19) heißt es: „Das entspricht mehr als einem Drittel (36 Prozent) der weltweiten Militärausgaben und ist fast so viel wie alle Investitionen der acht darauffolgenden Länder zusammengerechnet.“ Na ja, Fakten sprechen manchmal ja auch für sich.

Russland hinter Frankreich

Das gilt auch für die Tatsache, dass Frankreich 2018 mehr für Rüstung ausgab als Russland. Dazu Die Welt (29.4.19, S. 9): „Dieser Positionswechsel ergibt sich, obwohl Paris seine Militärausgaben leicht verkleinerte (minus 1,5 Prozent). Doch Moskau kürzte noch viel stärker (minus 3,5 Prozent). Dadurch rutschte Russland mit 61,4 Milliarden Dollar Militärausgaben von Platz vier auf sechs ab.“ Und die taz (s.o.) hält fest: „In der globalen Topliste der Militärmächte hatte Russland vor zwei Jahren noch auf dem dritten Platz gelegen, nun ist es hinter Saudi-Arabien, Indien und Frankreich.“ Russlands Militärausgaben entsprachen „weniger als einem Zehntel der US-amerikanischen oder 88 Prozent der osteuropäischen Staaten.“ Denn Letztere rüsteten 2018 mächtig auf: „Polen beispielsweise mit einem Plus von 8,9 Prozent gegenüber 2017, bei der Ukraine waren es 21 Prozent und in Staaten wie Lettland, Litauen, Rumänien und Bulgarien zwischen 18 und 24 Prozent“.

Gäbe Deutschland zwei Prozent seines Bruttosozialprodukts für Rüstung aus, wie von Trump gefordert und von Ministerin von der Leyen immer wieder als Notwendigkeit betont, würde auch die BRD mit rund 80 Milliarden weit vor Russland liegen und hinter den USA und China auf Platz drei.

239 Dollar pro Kopf

1.822 Millionen Dollar für Rüstung, 2018 waren das 239 Dollar pro Kopf der Weltbevölkerung und damit neun Dollar mehr als 2017. „Nach einem Abwärtstrend nach dem Kalten Krieg liegen die globalen Rüstungsausgaben 2018 nun 76 Prozent höher als 1998.“ (taz, s.o.) Und die Welt (s.o.) hält für die Jahre 2009 bis 2018 fest: „Zu den größten Wachstumstreibern im Zehnjahresvergleich gehören China (plus 83 Prozent) und die Türkei (65 Prozent).“ Die Stuttgarter Nachrichten (29.4.19, S. 4) gehen auf regionale Verschiebungen ein: „Die Militärausgaben Asiens und Ozeaniens sind nach Sipri-Angaben seit 1988 jährlich gestiegen. Mittlerweile machen sie 28 Prozent der weltweiten Investitionen ins Militär aus – nach nur 9 Prozent vor 30 Jahren. Als Grund für den kontinuierlichen Anstieg sieht Sipri auch den Konflikt zwischen China und den USA.“

Kritik aus der Zivilgesellschaft

findet nur in zwei Zeitungen Beachtung. Das nd (30.4.19, S. 6) zitiert Martina Fischer, »Brot für die Welt«-Referentin: Höhere Militärausgaben machten die Welt nicht sicherer. Wollte die Bundesregierung ihren eigenen Ansprüchen genügen, „muss deutlich mehr in zivile Krisenprävention und Friedensförderung investiert werden“. Ähnlich auch die Forderung der abrüstungspolitischen Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen: „Deutschland sollte bei der Bekämpfung des Hungers Spitze sein, nicht bei den Ausgaben für Militär und Rüstung.“ (nd, s.o)

Die FR (30.4.19, S. 5) zitiert wie das nd Martina Fischer und Sevim Dagdelen. Darüber hinaus Lucas Wirl vom Internationalen Peace Bureau: Drei Prozent der diesjährigen Rüstungsausgaben würden ausreichen, um das UN-Nachhaltigkeitsziel einer weltweiten universellen Bildung bis mindestens zur zehnten Klasse zu gewährleisten.“ Und Thomas Breuer, Leiter des Friedensteams von Greenpeace: „Ein Teil der Militärausgaben würde reichen, um die Energiewende zu finanzieren und damit den Klimawandel zu bremsen. Nötig seien [dafür] jährliche Investitionen von 1,42 Billionen US-Dollar.“

Zitierte Presseorgane: faz.net – frankfurter allgemeine online, FR – Frankfurter Rundschau, nd – neues deutschland, NZZ – Neue Zürcher Zeitung, StZ – Stuttgarter Zeitung, StN – Stuttgarter Nachrichten, SZ – Süddeutsche Zeitung, süddeutsche-online, taz – die tageszeitung, Die Welt.

Deutsche Waffen, deutsches Geld …


Deutsche Waffen, deutsches Geld …

von Jürgen Nieth

… morden mit in aller Welt. Dieser so oft bei den Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre skandierte Slogan erhält zu Beginn dieses Jahres neue Aktualität.

Im Januar 2014 hatte der damals frisch vereidigte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel noch erklärt: „Es ist eine Schande, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört.“ Daran müsse sich etwas ändern, es brauche eine „restriktive Haltung beim Waffenexport“.

Vier Jahre später zählt Deutschland nicht nur weiterhin zu den größten Exporteuren von Rüstungsgütern weltweit. Die Zahl der Ausfuhrgenehmigungen ist unter der Ägide der Großen Koalition sogar noch gestiegen. Auf ihr Konto gehen zwischen 2014 und 2017 Lieferungen im Gesamtwert von 25,1 Milliarden Euro – das sind 21 Prozent mehr als in den Jahren der schwarz-gelben Regierung von 2010 bis 2013. Besonders eklatant war der Anstieg der Lieferungen in Drittstaaten außerhalb von EU und NATO. Sie nahmen um 47 Prozent auf 14,48 Milliarden Euro zu.“ (Johanna Metz in »Das Parlament«, 5.2.2018, S. 3)

Mehr Waffenexporte in Krisengebiete

Dennoch behauptet die Bundesregierung auch im Januar 2018 noch, sie verfolge „eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik.“ Und: „Der Beachtung der Menschenrechte wird bei Rüstungsexportentscheidungen ein besonderes Gewicht beigemessen.“

„Gehts noch dreister?“, fragt da René Heilig im ND (25.1.2018, S. 6) und verweist darauf, die „Masse der deutschen Exporte geht […] direkt in die größten Spannungsgebiete der Welt“. Er zählt auf, dass unter den zehn größten Importländern (außerhalb der NATO und gleichgestellter Staaten) sich Algerien, Ägypten, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate befinden.

Doch nicht nur die Waffenexporte in Dritt- und Entwicklungsländer – sie machten 2016 immerhin 53 Prozent aus – sind äußerst problematisch, das zeigt der Einsatz deutscher Panzer im Krieg des NATO-Partners Türkei gegen die Kurden, gegen Syrien.

Angriffskrieg mit deutschen Panzern

Christiane Schlötzer zeigt in der SZ (24.1.2018, S. 4) auf, dass es schon immer Kritik an den Panzerlieferungen in die Türkei gegeben habe, „vor allem, wenn Panzer bei Kämpfen gegen die PKK in Anatolien gesichtet wurden. Diese Amateuraufnahmen waren meist verschwommen und es durfte gerätselt werden. Nun verbreitet die halbstaatliche Agentur Anadolu selbst gestochen scharfe Bilder von Leo-2-Panzern auf der Fahrt nach Syrien.

Die „schwarz-gelbe Bundesregierung lieferte in den Achtzigerjahren 274 Kampfpanzer der ersten Modellreihe […] Anfang der Neunzigerjahre gingen noch einmal 150 weitere »Leopard« an das türkische Militär […] Unter Rot-Grün wurde die Waffenhilfe für den Verbündeten fortgesetzt. Ab 2005 lieferte Deutschland noch einmal 354 Stück des 62 Tonnen schweren »Leopard«-Nachfolgemodells […] [Die Türkei bekam] immer neue Modelle des Typs 2 A4, der damals weltweit als modernster Kampfpanzer auf dem Markt begehrt war“, heißt es in SPIEGEL ONLINE (23.1.2018). Die Autoren verweisen darauf, dass es für die ersten Lieferungen noch die Verpflichtung gab, „dass die Türkei die Kampfpanzer nur in Übereinstimmung mit Artikel 5 des Nato-Vertrags, also nur zur Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff, einsetzen durfte“, es für jüngere Leopard-Lieferungen aber keine Auflagen mehr gab.

2017 wünschte die Türkei eine Nachrüstung der Panzer gegen Minen. Johannes Leithäuser – der davon ausgeht, dass die Türkei als Nato-Mitglied Anspruch auf deutsche Rüstungsgüter hat“ – schreibt dazu in der FAZ (24.1.2018, S. 8), Sigmar Gabriel habe beim Besuch des türkischen Außenministers Mitte Januar „geäußert, er sehe keine stichhaltigen Argumente, um der Türkei eine solche Nachrüstung der Leopard-Panzer zu verweigern“. Tobias Schulze sieht das in der taz (24.1.2018, S. 1) kritischer: „Der Öffentlichkeit verkauft er die Nachrüstung türkischer Panzer auch noch als moralische Pflicht im Kampf gegen den IS. Im ersten Moment scheint das nur dreist. Nun, wo die Türkei mit diesen Panzern bei den Kurden in Nordsyrien vorfährt, wird es vermessen.“

Das große Schweigen

„In den internationalen Medien wird es zumeist etwas verharmlosend Militäroffensive genannt, was die Türkei […] gegen die Kurden in Nordsyrien begeht: Eine Aggression gegen einen Nachbarstaat, das UNO-Mitglied Syrien“, schreibt Roland Etzel im ND (25.1.2018, S. 1). Und weiter: „Doch es gibt keinen Aufschrei […] Es werden lediglich Besorgnisse geäußert, und das ermutigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wohl […] [anzukündigen], er werde die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) […] kompromisslos »ausrotten«.“

Skepsis auch bei Arno Widmann (FR 24.1.2018, S. 11): „Das Naheliegendste […] wird nicht getan werden: Es wird keinen Waffenexportstopp für die Türkei geben. Das Land führt zwar seit Jahrzehnten einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und hat diesen Krieg ausgeweitet auf Teile Syriens, aber die Türkei ist nicht nur NATO-Partner. Sie steckt auch einen Teil der Flüchtlinge, die sonst zu uns kämen, in Lager, über deren Qualität wir […] lieber nichts Genaues wissen möchten.

Parlamentskontrolle der Rüstungsexporte

Diese fordert Birgit Marschall (Rheinische Post) in einem Gastkommentar in »Das Parlament« (5.2.2018, S. 2): „Panzer, die Türken gegen Kurden einsetzen, Waffen, die Saudi Arabien im Jemen verwendet, U-Boote, die im Nahost-Konflikt für Verunsicherung sorgen – die Reihe fragwürdiger Lieferungen aus Deutschland ließe sich beliebig fortsetzen. Bei dem drittgrößten Waffenlieferanten der Welt war es bisher immer nur eine Frage der Zeit bis noch mehr Beschämendes ans Licht kommt. Deshalb reicht es nicht mehr, die Entscheidungen über Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter dem Bundessicherheitsrat zu überlassen, einem Geheimgremium aus Spitzenvertretern der Regierung. Es bedarf einer wirksamen parlamentarischen Kon­trolle […] Deshalb [müssen] die bisherigen Rüstungsexportkontroll-Richtlinien in ein richtiges Gesetz überführt werden.“

Zitierte Presseorgane: Das Parlament, FAZ – Frankfurter Allgemeine, FR – Frankfurter Rundschau, ND – neues deutschland, SPIEGEL ONLINE, SZ – Süddeutsche Zeitung, taz – die tageszeitung.

Neoliberale Rüstungsexportpolitik?

Neoliberale Rüstungsexportpolitik?

Markt und Staat im globalen Rüstungsmarkt

von Michael Brzoska

Waffen werden, global gesehen, vorwiegend im Norden hergestellt. Der internationale Handel mit Rüstungsgütern erfolgt vornehmlich in Nord-Süd-Richtung, mit Staaten wie Indien als den größten Abnehmern.1 Der überwiegende Teil des globalen Exports wird von Staaten kontrolliert, erfolgt aber weitgehend nach den Regeln offener Märkte, wie sie auch für die meisten zivilen Güter gelten. Allerdings werden zentrale Bereiche des Rüstungsexports von den Regierungen exportierender Staaten nicht nur kontrolliert, sondern unmittelbar gesteuert. Und es gibt einen kleinen, aber nicht unwichtigen Handel mit Rüstungsgütern, in dem private Akteure sich staatlichen Kontrollen entziehen und illegal mit Waffen handeln.

Markt- und Machtinteressen, private und staatliche Akteure mischen sich im internationalen Waffenhandel. Er wird weder nur von wirtschaftlichen noch nur von politischen Faktoren beschleunigt, sondern von unterschiedlichen Mischungen der treibenden Elemente.

Im Folgenden sollen zwei Aspekte besondere Beachtung finden, an denen sowohl die grundlegenden Strukturen des globalen Rüstungsmarktes als auch die Unterschiede in konkreten Situation deutlich werden: die Lieferung von Waffen an Kriegsbeteiligte und die Aufrüstung potentieller Herausforderer der Hauptlieferanten von Waffen durch Rüstungsimporte. Dazu scheint es sinnvoll, zunächst einige Rahmenbedingungen des globalen Rüstungsmarktes zu beschreiben.

Staaten und Firmen als Treiber des Waffenexports

Aus statistischen Erfassungen des globalen Rüstungshandels lässt sich leicht der Eindruck gewinnen, dass es nur Staaten sind, die den Rüstungsexport beherrschen. Denn in diesen Statistiken, die zum Beispiel vom schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI kommen, sind ausschließlich Zahlen für Staaten erfasst.2

Hauptgrund dafür, dass in den genannten Statistiken Staaten, und nur Staaten, auftauchen, ist die Kontrolle, die Regierungen über den internationalen Rüstungshandel ausüben oder zumindest, völkerrechtlich verpflichtend, ausüben sollen. Das übliche Verfahren dafür sind staatliche Genehmigungsverfahren auf Antrag von Rüstungsfirmen. Allerdings steht es im Benehmen der einzelnen Staaten, wie sie diese Verpflichtung konkret umsetzen.

Ein weiterer Grund, warum Staaten und nicht die Herstellerfirmen von Rüstungswaren in diesen Statistiken als Exporteure geführt werden, ist das geringe Interesse, das die meisten Rüstungsfirmen haben, ihr gesamtes Portfolio an Rüstungsexporten öffentlich zu präsentieren.

Konfrontiert mit Kritik am Handel mit problematischen Empfängern, verweisen die Firmen häufig darauf, dass ihre Geschäfte staatlich genehmigt seien. Praktisch aber sind die Abläufe komplexer. Rüstungsfirmen setzen ein ganzes Instrumentarium an Lobbyinstrumenten ein. Die wichtigsten Argumente, die dabei ins Feld geführt werden, sind strukturelle: Da geht es regelmäßig um Arbeitsplätze, Hochtechnologie und wirtschaftsschwache Branchen und Regionen. Aber auch enge Beziehungen zu Politikern werden genutzt, um Genehmigungsverfahren zu beeinflussen. All dies ist keine Besonderheit der Rüstungsbranche, sondern das übliche Handwerkszeug von Interessenvertretern. Was aber anders ist als zumindest in den meisten Politikfeldern, ist die Abwesenheit einer starken Gegenlobby. Nur wenige und eher schwache rüstungsexportkritische Nichtregierungsorganisation versuchen ihrerseits, Genehmigungsverfahren zu beeinflussen.

Für die meisten großen Rüstungsfirmen ist der Export von Rüstungsgütern zwar ein wichtiges, aber nicht das wichtigste Geschäft. Mit einer Reihe von Ausnahmen von Nischenherstellern, wie ThyssenKrupp Marine Systems in Deutschland, oder Herstellern aus kleineren Ländern, sind die nationalen Beschaffungsmärkte quantitativ und qualitativ wichtiger. Besonders ausgeprägt gilt dies für US-amerikanische Hersteller. Obwohl die USA in den gängigen Statistiken als Rüstungsexporteur Nummer 1 stehen, ist der Exportanteil der großen US-amerikanischen Hersteller eher gering. Der nationale Beschaffungsmarkt ist mit einem Volumen von immer noch weit über 100 Milliarden US$ deutlich größer als das Exportvolumen. Auch in EU-Europa liegt das Beschaffungsvolumen der Nationalstaaten höher als der Export, wenn auch nicht so deutlich wie in den USA. Etwa 40% des Produktionsvolumens gehen hier in den Export.3

Der nationale Rüstungsmarkt ist für die meisten Rüstungsfirmen auch deshalb wichtig, weil er eine sichere Bank darstellt. Trotz vielfältiger Bemühungen, etwa der EU-Kommission in Brüssel, den internen Rüstungsmarkt zu liberalisieren, dominiert auch in der EU die Praxis der nationalen Bevorzugung, ein weiteres Zeichen der Bedeutung des Rüstungslobbyismus, der vor allem auf nationaler Ebene durchschlägt. In anderen Weltregionen findet die Vorzugsbehandlung der nationalen Rüstungsindustrie noch offener statt. In den USA etwa reguliert ein »Buy America Act« die Bevorzugung der nationalen Streitkräfte. Nur wenn US-amerikanische Firmen nicht liefern können oder wollen, darf im Ausland gekauft werden.

Die politische Steuerung der privatwirtschaftlichen Rüstungsproduktion zeigt sich auch in der Struktur der Rüstungsindustrie in vielen Ländern. Auffällig an der Liste der größten Rüstungsfirmen (SIPRI Top-100) ist etwa, dass es nicht einen oder wenige Weltmarktführer gibt, sondern dass relativ viele Firmen mit nicht weit auseinanderliegenden Rüstungsumsätzen unter den weltweiten TOP-10 zu finden sind.4 Das Verteidigungsministerium in den USA versucht sehr bewusst zu verhindern, dass Rüstungsfirmen Monopolisten werden. Auch in anderen Ländern, wie Russland, steuert die Regierung durch die Praxis der Vergabe von Aufträgen die Struktur der nationalen Rüstungsindustrie. Hersteller aus Staaten mit kleinen nationalen Beschaffungshaushalten wiederum haben es schwer, nur über den Export so groß zu werden, wie es die Firmen aus den Ländern mit großen Beschaffungshaushalten werden können.

Waffen an Kriegsbeteiligte

Es ist umstritten, ob Waffenlieferungen generell die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Kriege begonnen werden. Relativ offensichtlich ist hingegen, dass sie zur Verlängerung von Kriegen beitragen. Die meisten Kriege enden mit der »Erschöpfung« der Beteiligten, die sie verhandlungsbereit macht. Mangelnder Nachschub an Waffen und Munition ist ein Faktor, der zu einer solchen Erschöpfung führen kann.

Diese Erkenntnis führt dazu, dass in vielen Fällen nach Waffenembargos gerufen wird, um bewaffnete Konflikte möglichst frühzeitig »auszutrocknen«. Die Vereinten Nationen verbieten gegenwärtig den Rüstungsexport an elf Staaten, die EU hat darüber hinaus weitere Waffenembargos verhängt. In den meisten Fällen handelt es sich um aktuelle oder potenzielle Kriegsgebiete, die nicht mit Waffen beliefert werden sollen.

Trotzdem lässt sich immer wieder feststellen, dass Kriegsparteien über hinreichend Waffen und Munition für militärische Kampagnen verfügen. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass Veränderungen der Art der Kriegführung, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges feststellen lassen und für die der Begriff »neue Kriege« geprägt wurde,5 möglicherweise mit Zyklen im internationalen Rüstungshandel zu tun haben.

Ein Kennzeichen der »neuen Kriege« ist, dass sie mit relativ einfachen Waffen geführt werden, insbesondere mit automatischen Gewehren und leichter Artillerie. Die Verwendung solcher Waffen erfordert wenig Ausbildung; auch Kinder können leicht mit ihnen umgehen.

Wo kommen nun die Kleinwaffen für solche Kriege her? Zu einem Gutteil handelt es sich um Waffen, die zu Zeiten des Kalten Krieges geliefert wurden. Viele Typen von Kleinwaffen, wie Gewehre, sind leicht über lange Zeit gebrauchsfähig zu halten. Sie wurden während des Kalten Krieges in großen Stückzahlen weltweit an die jeweils verbündeten Staaten geliefert. Häufig blieben sie allerdings nicht in den Lagern dieser Staaten, sondern wurden weiterverkauft, gestohlen oder von Rebellen erbeutet.

Eine weitere Quelle für Waffen an Kriegsbeteiligte eröffnete sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Hersteller in den Hauptländern des Ost-West-Konflikts hatten riesige Überkapazitäten; auch die Armeen hatten Überschussbestände. Der Schwarzmarkt blühte, weil insbesondere in Osteuropa und den neu entstandenen Staaten auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion die staatliche Kontrolle schwach und die wirtschaftliche Not groß war.

Ab Mitte der 1990er Jahre stieg international das Bewusstsein für die Probleme, die die Verbreitung von Kleinwaffen mit sich brachte. Kontrollbemühungen setzten ein, unter anderem wurden international die Kontrollen von Waffenembargos verbessert und ein spezielles Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen begonnen. Tatsächlich wurde damit eine Einschränkung des illegalen Handels erreicht. Auch die Exporte von Kleinwaffen aus den wichtigsten Herstellerländern in Kriegsgebiete nahmen ab.

Für die Rüstungsindustrie war dies ein geringer Preis, um ihre Glaubwürdigkeit angesichts der Brutalität vieler »neuer Kriege«, wie etwa in Sierra Leone oder dem Kongo, zu bewahren. Denn mit Kleinwaffen lässt sich deutlich weniger Geld verdienen als mit großen Waffensystemen. Zudem wurde der Handel zunehmend von osteuropäischen Herstellern und Schwarzmarkthändlern dominiert– wenn denen die Geschäfte verboten wurden, konnte das den etablierten Firmen egal sein.

Wenn heute Kleinwaffen in Kriegsgebiete gelangen, kommen sie selten aus der Produktion in den großen Herstellerländern. Meist handelt es sich um »gebrauchte« Waffen aus den Lagerbeständen von Nachbarstaaten, die entweder eine der Kriegsparteien unterstützen oder aus denen die Waffen gestohlen werden. Eine weitere Quelle sind Länder, in denen es zu Friedensschlüssen kommt: Waffen werden von einer Kriegsregion in die nächste verkauft.

Anders sieht es bei Munition aus. Sie muss in der Regel aus neuer Produktion nachgeliefert werden. Obwohl immer wieder internationale Initiativen zur Kontrolle des Handels mit Munition gestartet wurden, bleibt Munition die Schwachstelle, wenn es darum geht, die Belieferung von Kriegsbeteiligten zu unterbinden. Munition lässt sich leicht verstecken, für wichtige Munitionstypen gibt es sowohl zivile als auch militärische Verwendung. Auch wurden insbesondere in Afrika neue Produktionsanlagen aufgebaut. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass Munition auch aus den großen Herstellerländern weiter in Kriegsgebiete gelangt.

Waffenlieferungen an »neue Mächte«

Auf der Empfängerseite von Waffen im globalen Süden lassen sich grundsätzlich drei Kategorien von Abnehmern unterscheiden.

Die erste umfasst Staaten, an die die Lieferung von Waffen völkerrechtlich untersagt ist. Für viele exportierende Staaten sind auch Lieferungen an nicht-staatliche bewaffnete Gruppen ein Tabu. Diese potentiellen Abnehmer sind vor allem auf nahe politische Verbündete oder den kleiner gewordenen Schwarzmarkt angewiesen, auf dem sich private Waffenhändler und Geheimdienste betätigen.

Die zweite Gruppe umfasst Staaten des globalen Südens, die sich, entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten, frei unter den verschiedenen Anbietern entscheiden. Für sie ist der globale Rüstungsmarkt ein Käufermarkt. Die potentiellen Abnehmer werden von Verkäufern umschwärmt und umgarnt, mit zulässigen und nicht zulässigen Mitteln. Korruption ist weit verbreitet, und nicht selten sind Beschaffungsentscheidungen vor allem auf persönliche Interessen beteiligter Offizieller zurückzuführen.6.

Schließlich gibt es Staaten, deren Einkaufsmöglichkeiten aus machtpolitischen Gründen eingeschränkt sind. Zumeist sind dies Staaten, die westliche Regierungen nur ungern oder gar nicht militärisch stärken wollen. Kuba und Venezuela etwa gehören zu dieser Gruppe. Sie sind weitgehend darauf angewiesen, Waffen von Herstellern aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu importieren.

Besonders ausgeprägt ist die westliche Zurückhaltung bei China. Die chinesischen Militärausgaben steigen rasant, die Streitkräfte werden mit hohem Kostenaufwand modernisiert. Daran verdienen russische Hersteller gut; westliche Hersteller sind nur am Rande mit Dual-use-Technologie vertreten. Für die US-Regierung ist China der militärische Herausforderer, und auch die EU hat ein Waffenembargo gegen China verhängt.

Dieses Waffenembargo ist vielen europäischen Rüstungsherstellern allerdings ein Dorn im Auge, denn der chinesische Rüstungsmarkt böte gute Geschäftsmöglichkeiten. Wiederholt wurden politische Initiativen gestartet, das EU-Waffenembargo gegen China aufzuheben. Dies ist mit Rücksicht auf die USA und wegen des politischen Widerstandes in einigen europäischen Staaten nicht erfolgt, aber das Waffenembargo wurde an einigen Stellen aufgeweicht. So fahren etwa zahlreiche chinesische Kriegsschiffe mit Motoren aus deutscher Produktion, die aber als Dual-use- und nicht als Rüstungsgüter gelten.

Was bei China noch nicht gelang, ist bei Indien, einem weiteren Staat mit Ambitionen auf eine stärkere, auch militärische Rolle in der Welt bereits erfolgt. Indien hatte bis in die 1990er Jahren Waffen vor allem aus der Sowjetunion bezogen. Seitdem wurde die Palette an Rüstungslieferanten erweitert. Seit einigen Jahren können auch US-amerikanische Rüstungsfirmen ihre Produkte in Indien anbieten. Indien ist trotz seiner machtpolitischen Ambitionen aus der dritten Kategorie von Abnehmerländern in die zweite Kategorie gerutscht.

Über die Gründe für diese Erweiterung der indischen Möglichkeiten lässt sich nur spekulieren. Ein wichtiger Grund dürfte die US-amerikanische Absicht sein, Indien zum Gegengewicht gegen China aufzubauen. Aber auch der Lobbyismus der US-amerikanischen Rüstungsindustrie, die einen neuen Markt erschließen möchte, dürfte eine Rolle gespielt haben.

Wer, auch in Moskau oder Washington, über den Tag hinaus denkt, muss sich die Frage stellen, ob es klug ist, potenziellen militärischen Rivalen bei der Aufrüstung zu helfen. Aber kurzfristige wirtschaftliche und politische Interessen sind offensichtlich zumindest bei den russischen Lieferungen an China und den US-amerikanischen an Indien entscheidend. Eine große Rolle spielt dabei auch das nicht zuletzt von Rüstungslobbyisten gerne vorgetragene Argument: Wenn wir nicht liefern, tun es andere, dann doch lieber wir.

Zukunftstrend

Es gibt wenig Anlass, davon auszugehen, dass die Komplexität des internationalen Waffenhandels mit seinen unterschiedlichen Akteuren und Interessen abnehmen wird. Waffenhandel wird auch weiterhin nicht nur Geschäft oder nur Politik sein. Rüstungshersteller, zumindest die Großen und die, die länger im Geschäft bleiben wollen, werden auch in Zukunft auf ihre Heimatregierungen Rücksicht nehmen müssen. Und Regierungen werden weiterhin von Rüstungsfirmen bedrängt werden, den Rüstungshandel möglichst wenig zu beschränken, weitgehend ohne Rücksicht darauf, dass damit Aufrüstungsprozesse im globalen Süden befördert werden.

Daran wird auch der im März 2013 abgeschlossene Waffenhandelsvertrag nichts ändern. Allerdings könnte durch den Vertrag die Begrenzung in besonders eklatanten Fällen gestärkt werden, wie dort, wo Kriege durch die Lieferung von Waffen und Munition verlängert werden.

Anmerkungen

1) Stockholm International Peace Research Institute (2013): SIPRI Yearbook 2013. Armaments, Disarmament and International Security. Oxford. Oxford University Press, S.248, 260.

2) Ibid.

3) Sam Petrol-Freeman und Pieter D. Wiseman: SIPRI TOP 100 Arms-producing and Military Services Companies, 2010. SIPRI Fact Sheet, January 2014.

4) Ibid.

5) Mary Kaldor (2000): Neue und alte Kriege: Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung. Frankfurt: Suhrkamp.

6) Transparency International hat neben einigen Untersuchungen zur Korruption im internationalen Waffenhandel auch eine Bewertung der Korruptionsanfälligkeit zahlreicher Rüstungsfirmen und Abnehmerstaaten veröffentlicht; defenceindex.org.

Michael Brzoska ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) und Professor an der Universität Hamburg.

Panzer für Despoten

Panzer für Despoten

von Jürgen Nieth

„Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.

Genehmigungen […] werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression […] missbraucht werden. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.“

(Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern – Auszüge)

Panzer für Saudi-Arabien

„Damit ändert die Bundesregierung eine jahrzehntealte Linie, dem autoritär geführten Königreich keine schweren Waffen zu liefern. Der Bundessicherheitsrat billigte in der vergangenen Woche grundsätzlich den Export. Die Saudis haben Interesse an 200 Stück auf Basis der modernsten »Leopard«-Variante, dem Typ 2A7+.“ (Spiegel 04.07.2011, S.14) Die Zeit berichtet: „44 Exemplare sind bereits ausgeliefert.“ (07.07.2011, S.1) In den Medien dominiert die Position, dass dieser Panzer-Deal gegen die o.g. Grundsätze der Rüstungsexportpolitik verstößt.

Panzer gegen das Volk

So schreibt Rüdiger Wenzel im den Lübecker Nachrichten (15.07.2011, S.2): „Kanzlerin Merkel scheint entschlossen, hier [bei den Rüstungsexporten, J.N.] Hürden wegzuräumen, Wälle zu schleifen. Die Einhaltung der Menschenrechte… wiegt bei ihr offensichtlich nur noch leicht oder gar nicht mehr.“

Für Guido Steinberg, den Nahost-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik, besteht „die wichtigste Funktion der saudi-arabischen Streitkräfte in der Sicherung des Regimes gegen innenpolitische Gegner“. (SZ 11.07.2011, S.2) Für ihn macht das Geschäft fragwürdig, dass „deutsche Panzer genutzt werden könnten, wenn saudi-arabische Truppen künftig einmal die Zivilbevölkerung des eigenen oder eines der kleinen Nachbarstaaten bekämpfen.“ Amerikanische Panzer wurden für Letzteres bereits genutzt. „Die Saudis ließen Anfang März ihre Panzer nach Bahrain rollen, um dort der Demokratiebewegung den Garaus zu machen“, schreibt Jörg Lau. (Die Zeit 07.07.2011, S.1) Und er fragt: „ Werden wir demnächst auf al-Dschasira das Spitzenprodukt der deutschen Rüstungsindustrie in Aktion sehen?“ „Der Leopard 2A7+ [ist] ein Panzer, der speziell für den Einsatz in dicht bebauten Städten konstruiert wurde. Deshalb hat er eine verkürzte Kanone und ist sehr wendig, um in engen Straßen operieren zu können. Der Hersteller Krauss Maffei wirbt sogar ausdrücklich damit, dass dieser Panzer gegen »individuals«, also gegen Einzelpersonen, besonders effektiv ist“, so Jan Grebe vom Bonner Konversionszentrum. (Der Neue Tag 13.07.2011, S.8)

»Leoparden« und Geopolitik

Es gibt nur wenige Stimmen, die den Panzer-Deal aus geopolitischen oder ökonomischen Gründen erörternswert finden. So schreibt Josef Joffe im Handelsblatt (14.07.2011, S.8): „Wenn sie denn geliefert werden, sind die Leos 200 mal 67 Tonnen Abschreckung, was gegenüber Teheran nicht zu verachten sei. Oder Petrodollar-Recycling im Wert von bis zu 2,5 Milliarden Euro. Oder Offenhaltung der Produktionslinien, nachdem die Bundeswehr 1.700 Leos ausgemustert hat. Alles zumindest diskussionswürdige Ziele.“

Zu einer anderen geopolitischen Einschätzung kommt Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung (09.07.2011, S.4): „Die ökonomische Begründung für den Panzer-Deal ist altbacken und falsch. Die politische Begründung [die Stärkung der geopolitischen Rolle Saudi-Arabiens gegenüber dem Iran, J.N.] ist so fadenscheinig, dass sich die Kanzlerin nicht einmal traut, sie öffentlich zu vertreten. […] Die Weltpolitik lehrt, dass autoritäre Regime, die der Westen oder der Osten mit Rüstungsgütern »stabilisieren« wollte, dem Untergang oft näher waren, als ihrem Fortbestand.“

Ähnlich sieht das Jörg Lau in der Wochenzeitung Die Zeit (07.07.2011, S.1): „Die schlimmsten Kriege der vergangenen drei Jahrzehnte resultieren aus der Hybris der Gleichgewichtspolitik: die Feinde unserer Feinde aufzurüsten – Saddam gegen die Ajatollahs in Iran, die Taliban gegen die Russen. Am Ende führte der Westen stets gegen die Freunde von gestern Krieg […] Wer ein Land als Waffe betrachtet, muss darauf gefasst sein, dass sie sich dereinst gegen ihn selbst richtet.“

Das Schweigen Israels

Dass Israel in der Debatte bisher schweigt, ist für mehrere Journalisten Ausdruck dafür, dass für Israel heute ein militärisch starkes Saudi-Arabien als Gegengewicht zum Iran wichtiger ist als die Gefahren, die davon ausgehen könnten. In der taz (06.07.2011, S.4) ergänzt Otfried Nassauer: „Israel könnte aber auch deutsche Gegenleistungen erwarten. Israel wünscht sich schon länger eine deutsche finanzielle Beteiligung bei der Beschaffung eines sechsten Dolphin U-Bootes und von Korvetten.“ Er sollte Recht behalten. „Deutschland fördert den Verkauf eines sechsten U-Bootes der «Dolphin»-Klasse an Israel. In den kommenden vier Jahren unterstützt der Bund das Rüstungsgeschäft mit insgesamt 135 Millionen Euro… [Die U-Boote haben] eine große Reichweite und könnten auch zum Abschuss nuklear bewaffneter Marschflugkörper benutzt werden.“ (Der Spiegel 18.07.2011, S.15)

Rüstungsexport mit Tradition

Mehrere Autoren weisen darauf hin, dass bereits unter Rot-Grün und Schwarz-Rot das Waffengeschäft mit Saudi-Arabien florierte. Es ging unter Schröder vor allem um „Handfeuerwaffen und die Munition für Maschinenpistolen, Kanonen, Mörser, Jagd- und Sportwaffen“. (SZ 06.07.2011, S.4) Am 14.07.2011 berichtet der Stern über einen Geheimpakt von 2009 – eingefädelt vom ehemaligen Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) und dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Es geht um die Sicherung der 9.000 km langen Grenze Saudi-Arabiens durch den deutsch-französischen Rüstungskonzern EADS und die Ausbildung der Grenzschützer durch die deutsche Bundespolizei. Der auf saudi-arabischer Seite bereits vor zwei Jahren ratifizierte Vertrag wurde auf deutscher Seite bisher geheim gehalten obwohl die Bundespolizei längst im Einsatz ist.

„Der Export von Rüstungsgütern“, schreibt Eric Chauvistré (taz, 06.07.2011, S.1) ist „Teil der Außenpolitik – und darf nicht länger der demokratischen Kontrolle entzogen werden.“

Jürgen Nieth

Rüstungsgeschäfte und Korruption

Rüstungsgeschäfte und Korruption

von Tobias Bock und Anne-Christine Wegener

Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehören zu den korruptionsanfälligsten Sektoren überhaupt. Die in diesem Bereich omnipräsente Korruption ist eine beständige Geißel von Entwicklung und Demokratisierung. Sie verschwendet knappe Ressourcen und reduziert das öffentliche Vertrauen, welches die Bürger der Regierung, den Streitkräften sowie der Polizei entgegenbringen. Nachhaltige Verbesserungen sind nur dann zu erwarten, wenn mehr Staaten und internationale Organisationen robuste Anti-Korruptionsmechanismen einführen und umsetzen, die Rüstungsindustrie sich in internen Compliance-Programmen klar und deutlich zu korruptionsfreien Geschäftsgebaren und -strategien bekennt und die Zivilgesellschaft in weitaus größerem Maße als im Moment die Möglichkeit erhält, mittels erhöhter Transparenz ihrer demokratischen Kontrollfunktion gerecht zu werden.

Sir Dick Evans ließ im vergangenen Jahr folgendes verlauten: „Ich habe den Großteil meiner Karriere in der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie zugebracht und weiß deshalb eine Menge über Korruption. Ich bin bei diesem Thema vermutlich kompetenter als viele andere.“1, Dick Evans ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender von BAE Systems, einem britischen Rüstungsunternehmen und dem zweitgrößten Rüstungshersteller der Welt. Transparency International definiert Korruption als den „Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“. Dies beinhaltet sowohl „Bestechung und Bestechlichkeit in der öffentlichen Verwaltung, bei der Vorbereitung von Gesetzen und Regulierungen oder beim Einfluss auf politische Entscheidungen“ als auch „Korruption zwischen Firmen (»privat-zu-privat«) und Geldwäsche“.2

Insbesondere Rüstungstransfers unterliegen oftmals einem Höchstmaß an kommerzieller und nationaler Geheimhaltung, was zu einem erhöhten Korruptionsrisiko führt. Korruption hat zweierlei negative Auswirkungen auf Rüstungsgeschäfte: Einerseits verteuert sie die Kosten für legale Rüstungsgüter, die Staaten zur (legitimen) Wahrung ihrer Interessen erwerben.3 Die Verschwendung von staatlichen Geldern für überteuerte Rüstungsgüter läuft Artikel 26 der VN-Charta diametral zuwider, demgemäß „die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern“ sei, „dass von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird.“ Andererseits erschwert Korruption Staaten den sorgfältigen Umgang mit den in ihrem Besitz befindlichen Rüstungsgütern, die nur den rechtmäßigen Endnutzern zur Verfügung stehen dürfen, aber oftmals in die Hände von organisierter Kriminalität oder terroristischen Organisationen gelangen. Die VN-Konvention gegen Korruption ist zwar als internationales Instrument rechtlich bindend (wenn sie, was in Deutschland noch aussteht, auch ratifiziert worden ist) und verlangt, dass Staaten rechtliche, institutionelle und praktische Anti-Korruptionsmechanismen einführen. Sie befasst sich aber nicht gezielt mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Ausmaß und Konsequenzen von Rüstungskorruption

Neben der Verschwendung von öffentlichen Geldern hat Korruption auch schwerwiegende Konsequenzen für den Wettbewerb im Rüstungssektor. Eine Erhebung von Control Risks, einer unabhängigen Beratungsfirma für Sicherheitsrisiken, aus dem Jahr 2006 ergab, dass ungefähr ein Drittel aller Rüstungsunternehmen angaben, im Vorjahr einen Auftrag nicht bekommen zu haben, weil ein Mitbewerber sich korrupter Mittel bediente.4 Gemäß eines Berichts des US-amerikanischen Wirtschaftsministeriums kamen 50 Prozent der Korruptionsvorwürfe von 1994 bis 1999 aus dem Sicherheits- und Verteidigungssektor, obwohl dieser weniger als ein Prozent des Welthandels ausmachte.5 Schätzungen zufolge wurden in den 1990er Jahren Bestechungsgelder im Wert von 15 Prozent der Gesamtausgaben im Rüstungsbereich getätigt.6 Das Sicherheits- und Verteidigungsprogramm von Transparency International schätzt die jährlichen Kosten von Korruption im Sicherheits- und Verteidigungsbereich auf 20 Milliarden US-Dollar.7 Dies entspricht der Summe der offiziellen Entwicklungshilfe, die Irak, Afghanistan, die Demokratische Republik Kongo, Pakistan und Bangladesch erhalten,8 oder auch der Summe, die die G8 in L’Aquila 2009 zur Bekämpfung des Hungers in der Welt zusagten.9

Eine Reihe weiterer Zahlen untermauert das Ausmaß von Korruption im Rüstungsbereich nachdrücklich:

136.000% – die Profitrate für einen einzelnen, funktionsunfähigen Bombendetektor, der nach Angaben eines Herstellers (Alpha 6) bei Herstellungskosten von 11 £ für 15.000 £ verkauft wurde. Es wird gemutmaßt, dass Exemplare dieses unbrauchbaren Bombendetektors für Hunderte von Todesfällen im Irak verantwortlich sind. Eine umfassende Betrugsermittlung der City of London Police ist angelaufen.10

30 Gefechtspanzer des Typs T-90 – laut Generalmajor Alexander Sorotschkin der Gegenwert von 2,2 Milliarden Rubel (80 Millionen US-Dollar), die im russischen Militär 2008 durch Korruption verschwendet wurden.11

22 – Anzahl von hochrangigen Managern von größtenteils kleineren Leichtwaffenherstellern, die im Januar 2010 festgenommen wurden, nachdem sie verdeckten FBI-Ermittlern Bestechungsgelder im Rahmen von 20% eines fiktiven Gesamtauftrages zugesagt hatten, um die Präsidentengarde eines nicht näher genannten afrikanischen Staates ausrüsten zu können.12

Korruptionsrisiken in Sicherheit und Verteidigung

Korruption im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich kann sich auf vielerlei Art äußern.13 Welche Risiken vorhanden sind, ist von Land zu Land unterschiedlich. Transparency International identifizierte nach ausgiebiger Diskussion mit Verteidigungsministern, hochrangigen Offizieren und Vertretern der Zivilgesellschaft etliche Kernbereiche für solche Risiken, so z.B. im politischen Bereich, im Personalbereich, im Verteidigungshaushalt und bei militärischen Operationen.

Politischer Bereich

Wenn es einem korrupten Individuum gelingt, Einfluss auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik auszuüben, kann dies gravierende Konsequenzen haben. Ein Beispiel für Korruptionsrisiken im politischen Bereich ist eine Auftragsvergabe für falsches oder so nicht benötigtes Rüstungsmaterial. Oft werden Prozesse verkompliziert oder gar manipuliert, um Korruption und ungerechtfertigte Bereicherung zu verdecken. In Extremfällen kann Korruption auf höchster Ebene dazu führen, dass es einer Elite gelingt, sämtliche Entscheidungen in einem Schlüsselbereich des Staates zu treffen (state capture). Dies ist besonders problematisch in ressourcenreichen Ländern, wo das Militärs oder Sicherheitskräfte an der Ausbeutung der Ressourcen beteiligt sind.

Bedeutend im politischen Bereich ist zudem die Verbindung zwischen organisierter Kriminalität und Korruption: Kriminelle Netzwerke benutzen Korruption in verschiedensten Formen, um möglichst ungestört ihren kriminellen Aktivitäten nachgehen zu können und Ermittlungen sowie Strafverfolgung zu vermeiden. Organisierte Kriminalität und Korruption bedingen einander und sollten in einem ganzheitlichen Ansatz analysiert werden. Ohne Gegenwehr gelingt es der organisierten Kriminalität national wie auch international, effektives Regieren, effizientes Wirtschaften und den Alltag unbescholtener Bürger zu unterminieren.14

Verteidigungshaushalte

Der Missbrauch von Verteidigungshaushalten ist eines der am häufigsten auftretenden Probleme. Eine Kultur der Geheimhaltung resultiert oftmals darin, dass Vorgänge mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit ohne externe Prüfung bleiben. Der Umgang mit nicht mehr benötigten Rüstungsgütern, aber auch mit Gebäuden und Grundstücken, ist ebenfalls durch Korruptionsrisiken gekennzeichnet, z.B. durch das »Verschwinden« von überschüssigen Waffen oder die gezielte Unterbewertung von Immobilien. Geheime Budgets stellen ein besonders großes Risiko dar, da sie sich jeglicher Kontrolle entziehen.

Personalbereich

Die Rekrutierung von Personal ist ein weiterer Bereich, der sich durch ein hohes Korruptionsrisiko auszeichnet. Bestechungsgelder zur Umgehung der Wehrpflicht sind bereits aus Napoleonischen Zeiten bekannt und noch heute ein großes Problem, z.B. in Russland.15 Andere Beispiele sind »Karteileichen«, deren Einkünfte von anderen Soldaten oder Offizieren einbehalten werden, sowie das Zwingen von Untergebenen zur Ausführung verschiedenster Gefälligkeiten bis hin zu harter körperlicher Arbeit.

Militäroperationen

Militäroperationen stellen die höchstmögliche Interaktion des Militärs mit der Bevölkerung dar, sowohl für Angehörige der regulären Streitkräfte als auch für private Sicherheitsanbieter. Wenn internationale Einsatzkräfte in Konfliktgebieten intervenieren, ist ihr Umgang mit Korruption maßgeblich für eine erfolgreiche Mission. Korruption zu ignorieren, führt hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass Soldaten als Teil korrupter Gesamtstrukturen betrachtet werden. Die Situation in Afghanistan, aber auch die Erkenntnisse aus Bosnien und Kolumbien haben dazu geführt, dass Korruption mittlerweile als entscheidender Faktor in Militäroperationen wahrgenommen wird.

Korruption im Sicherheits- und Verteidigungsbereich ist kein Einzelfall und hat weitreichende Kosten und Folgen, sowohl für die Export- als auch die Importstaaten, wie die folgenden Fälle exemplarisch aufzeigen.

Korruption bei internationalen Rüstungstransfers

2010 durchsuchte die Stuttgarter Polizei die Büros von Heckler & Koch, dem größten deutschen Hersteller von kleinen und leichten Waffen. Heckler & Koch wird beschuldigt, illegal Handfeuerwaffen und Maschinengewehre in Regionen Mexikos exportiert zu haben, die einem Embargo unterliegen, und somit den Bundessicherheitsrat unter Vorsitz von Kanzlerin Merkel getäuscht zu haben – also das Regierungsgremium, welches über heikle Rüstungsexporte entscheidet. Es wird spekuliert, dass eine nicht näher zu bestimmende Anzahl der 8.000 Gewehre vom Typ G36, die von 2006 bis 2009 an die mexikanische Polizei geliefert wurden, jene vier der 27 mexikanischen Regionen zum Zielort hatten, die aufgrund von Menschenrechtsverletzungen einem deutschen Embargo unterliegen: Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco.16 Der Geschäftsführer von Heckler & Koch ist mittlerweile aus »persönlichen Gründen« zurückgetreten.

Ein Beispiel für die negativen Auswirkungen, die Korruption im Rüstungsbereich auf entwicklungspolitische Ziele haben kann, stammt aus dem Jahr 2001. Tansania, ein Land, das im Human Development Report 2009 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) Rang 151 von 182 belegte,17 erwarb ein militärisches Flugsicherungssystem vom britischen Rüstungshersteller BAE Systems im Wert von 32 Millionen Euro. Ein ehemaliger Industriemitarbeiter soll laut einem Bericht der Tageszeitung Telegraph acht Millionen £, also fast ein Drittel des gesamten Deals, als Bestechungsgeld erhalten haben.18 Die Internationale Zivile Luftfahrtbehörde der Vereinten Nationen hatte das System zuvor als „nicht adäquat und zu teuer“ bezeichnet.19 Tansania hätte für die Kosten des Deals fast jede an Malaria leidende Person im Land behandeln lassen können.20 Der Deal stieß ebenfalls auf den Widerstand der damaligen britischen Entwicklungsministerin, die sich beklagte, dass ein Bildungspaket im Wert von 35 Millionen £ durch das Rüstungsgeschäft „verschlungen worden sei“.21

1999 wurde in Südafrika ein Geschäft zwischen der Regierung und einer Reihe europäischer Rüstungsunternehmen abgeschlossen, das eine Vielzahl von Korruptionsanschuldigungen mit sich brachte. Bei dem größten dieser Geschäfte handelte es sich um einen Vertrag für Kampf- und Trainingsflugzeuge, der ob der bereits ungenutzt vorhandenen Flugzeuge der Südafrikanischen Luftwaffe für Verwunderung sorgte. Es verblüffte darüber hinaus, dass BAE Systems und Saab den Zuschlag bekamen, obwohl ihr Angebot über Mehrzweckkampflugzeuge vom Typ Gripen in mehrerlei Hinsicht nicht der ursprünglichen Ausschreibung entsprach.22 Das anfangs veranschlagte Budget von 9,2 Milliarden Rand (900 Millionen Euro) für die Rüstungsgeschäfte war bis 2005 bereits auf 66 Milliarden Rand (7 Milliarden Euro) angewachsen.23 Zum Vergleich: 2008 wurden für jeden Rand, den der Staat für die unter AIDS leidende Bevölkerung Südafrikas ausgab, 7,63 Rand zur Finanzierung des Rüstungsdeals benötigt.24

(Post-) Konfliktgesellschaften und Korruption

Besonders verheerende Auswirkungen hat Korruption in Konfliktländern.25 Internationales Peacekeeping und -building konzentriert sich zu häufig lediglich auf die Bedürfnisse der Hauptkonfliktparteien, anstatt einen Plan hin zu Stabilität und einem funktionierenden Staat zu entwerfen. Unter diesen Bedingungen wird individuelle Gier zu einem Faktor in den Überlegungen wichtiger Akteure und Powerbroker, und Korruption wird zur Handlungsoption. Die Rolle des Militärs und der Sicherheitskräfte ist hierbei von besonderer Bedeutung. Einige Beobachter gehen so weit vorzuschlagen, dass Peacekeeping-Truppen auch umfassendere staatliche Aufgaben übernehmen sollten, wie z.B. die Sicherung von Grenzen oder die Verbrechensbekämpfung – als Koordinator anderer Akteure und als Anlaufstelle für den Aufbau langfristiger Kapazitäten.26 Unter diesen Umständen müssen der Polizei und Justiz besondere Bedeutung zukommen27 – nicht nur aufgrund ihrer Rolle für den Aufbau nachhaltiger staatlicher Institutionen, sondern auch, da sie oftmals über die meisten Ressourcen verfügen. Klare Strategien sind notwendig, um zu verhindern, dass der Aufbau staatlicher Institutionen als Mittel zur Zementierung der Interessen einflussreicher Akteure missbraucht wird, was wiederum Korruption und organisiertem Verbrechen Vorschub leistet.

Ansätze zur Korruptionsbekämpfung

Sowohl die beschriebenen konkreten Korruptionsfälle als auch die Auswirkung von Korruption und Korruptionsrisiken in Konfliktgesellschaften unterstreichen exemplarisch, dass noch ein langer Weg zurück zu legen ist, bis sich die verheerenden Auswirkungen von Korruption in diesem Sektor eindämmen lassen. Lösungsansätze hierfür liegen auf internationaler wie auf nationaler Ebene.

Auf internationaler Ebene sind insbesondere Waffenexportkontrollen durch Korruptionsrisiken gefährdet: Korruption ermöglicht illegale Waffentransfers mit schwerwiegenden negativen Konsequenzen für Humanitäres Völkerrecht und nachhaltige Entwicklung und erschwert es Staaten, die Entwendung von Waffen zu verhindern, so dass diese in den Besitz von organisierter Kriminalität oder terroristischen Gruppen gelangen können.

Um die Kontrolle von Rüstungsgütern zu stärken, die aus »westlichen« Beständen in den Besitz autokratischer Regime im Nahen und Mittleren Osten gelangten und in diesen Tagen im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit stehen,28 wird zur Zeit von den Vereinten Nationen ein gesetzlich bindender »Waffenhandelsvertrag« (Arms Trade Treaty) verhandelt.

Ein robuster Arms Trade Treaty soll Standards und Kontrollen enthalten, die es Staaten ermöglichen, sich gegenseitig zu garantieren, dass sie die in ihrem Besitz befindlichen Waffen und Rüstungsgüter kontrollieren. Korruption ist jedoch darauf ausgerichtet, diese gegenseitigen Garantien zu unterlaufen. Ein Arms Trade Treaty muss daher Antikorruptionsmechanismen enthalten, die Staaten in die Lage versetzen, spezifische Waffentransfers einer Einzelfallprüfung unter Einbezug von Korruptionsrisiken zu unterziehen. Die Genehmigung von Waffentransfers sollte unter anderem von der Fähigkeit eines Staates abhängen, die Korruptionsrisiken abzuschwächen.

Auch auf nationaler Ebene kann eine Reihe von Reformen vorgenommen werden, die das Korruptionsrisiko im Sicherheits- und Verteidigungsbereich reduziert und die Integrität stärken. Durch gezielte Risikoanalyse, beispielsweise durch Anwendung von Korruptionstypologien und Analysesystemen von Nichtregierungsorganisationen oder multilateralen Organisationen (z.B. der »Building Integrity«-Initiative der NATO), und den gezielten Einsatz von Umfragen und Erhebungen kann ein erster Schritt zur Korruptionsbekämpfung vorgenommen werden. Besondere Beachtung sollte zudem die Aus- und Weiterbildung von militärischem und zivilem Personal finden: Ein klarer Verhaltenskodex, die Möglichkeit, Korruption zu melden (»whistleblowing«), Fortbildungsmaßnahmen mit speziell auf Korruptionsrisiken zugeschnittenen Kursen und beispielhaftes Verhalten der Führungsschicht sind hierfür einige Ansätze. Zudem mindern konkrete Reformen in der Bearbeitung von Auftragsvergaben, bei Militäroperationen und im Umgang mit dem Verteidigungshaushalt Korruptionsrisiken nachhaltig.29 Nichtregierungsorganisationen können hierbei sowohl als kompetente Fachleute unterstützend zur Seite stehen als auch als externe Akteure Regierungen zu Reformen anhalten.

Auch die Einbeziehung von Rüstungsunternehmen ist Teil eines holistischen Ansatzes zur Korruptionsreduzierung. Rüstungsverbände in Europe und den USA haben nach Anregung durch einige der führenden internationalen Rüstungshersteller freiwillige Selbstverpflichtungen für Unternehmen formuliert, die zunehmend eingeführt werden.30 Es ist hierbei Aufgabe der Unternehmen und Verbände selbst, diese freiwilligen Selbstverpflichtungen längerfristig verbindlich zu machen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Nichtregierungsorganisationen kommt aber auch hierbei eine wichtige Kontrollfunktion zu.

Abschließend ist festzuhalten, dass nachhaltige und tief greifende Verbesserungen nur dann zu erwarten sind, wenn noch mehr Staaten und internationale Organisationen robuste Anti-Korruptionsmechanismen einführen und umsetzen, die Rüstungsindustrie sich in internen Compliance-Programmen klar und deutlich zu korruptionsfreien Geschäftsgebaren und -strategien bekennt und die Zivilgesellschaft in weitaus größerem Maße als im Moment die Möglichkeit erhält, mittels erhöhter Transparenz ihrer demokratischen Kontrollfunktion gerecht zu werden und diese auch tatsächlich verantwortungsvoll ausführt.

Literatur

Campos, J. Edgardo und Pradhan, Sanjay (2007): The Many Faces of Corruption: Tracking Vulnerabilities at the Sector Level. Washington D.C.: The World Bank.

Karklins, Rasma (2005): The System made me do it. Corruption in post-communist societies. Armonk, NY: Sharpe.

Transparency International (2000): TI Source Book 2000. Confronting Corruption: The Elements of a National Integrity System. London.

Transparency International (2011): Building Integrity and ReducingCorruption in Defence and Security. 20 Practical Reforms. London.

Anmerkungen

1) „As a guy who’s spent most of his career in the aerospace and defence industry, I know a lot about corruption. I’m probably better qualified than a lot of people to talk about it. I think it will increasingly become a barrier into investment, not just into Kazakhstan, but in other developing countries.“ Zitiert nach The Telegraph vom 14. Juni 2010.

2) www.transparency.de/FAQ.1224.0.html.

3) Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (VN) bestätigt das Recht auf Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs.

4) Control Risks (2006): International business attitudes to corruption. London, S.5.

5) Perlo-Freeman, Sam und Perdomo, Catalina (2008): The developmental impact of military budgeting and procurement – implications for an arms trade treaty. Stockholm: SIPRI.

6) Tanzi, Vito (1998): Corruption Around the World: Causes, Consequences, Scope, and Cures. International Monetary Fund Staff Papers, Vol. 45, No. 4, S.559-594.

7) Berechnet auf Grundlage von Daten vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) und der Weltbank; siehe z.B.: UK Strategic Export Controls, Session 2010-11. Evidence submitted by Transparency International; www.publications.parliament.uk/pa/cm201011/cmselect/cmquad/writev/arms/m4.htm. Dies ist eine konservative Schätzung, die annimmt, dass der Rüstungsbereich nicht korrupter als andere Sektoren ist – eine Annahme, zu der man in Anbetracht aller bisher dargelegten Fakten und Beispiele nicht zwangsläufig kommen muss.

8) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): Development Database on Aid from DAC Members. Vgl. IECD Development Co-operation Directorate (DCD-DAC): Development Database on Aid from DAC Members; www.oecd.org.

9) Dinmore, Guy (2009): G8 to commit $20bn for food security, Financial Times vom 10. Juli 2009.

10) Jones, Meirion. und Hawley, Caroline (2011): UK promoted failed bomb detectors. BBC Newsnight vom 27. Januar 2011.

11) Military corruption costs Russia almost $80 million in 2008. Ria Novosti vom 2. Dezember 2008.

12) Henriques, Diana B. (2010): F.B.I. Charges Arms Sellers With Foreign Bribes. The vom 20. Januar 2010.

13) Der folgende Abschnitt basiert auf Pyman, Mark und Wegener, A.-C. (2011): Building Integrity and Countering Corruption in Defence & Security. Genf: Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Kapitel 1.

14) Dieser Abschnitt bezieht sich auf die Rede »Corruption and organised crime – the need for a new international coalition«, die Bill Hughes, ehemals Director General der UK Serious and Organised Crime Agency (SOCA), in Zusammenarbeit mit Transparency International verfasste und am 10. November 2010 auf der 14. Internationalen Anti-Korruptions-Konferenz in Bangkok, Thailand, hielt; . Siehe auch: Center for the Study of Democracy (CSD) (2004): Partners in Crime. The Risks of Symbiosis Between the Security Sector and Organised Crime in Southeast Europe. Sofia, S.34.

15) McDermott, Roger N. (2009): Russia’s Military Reform Plan Falters. Asia Times Online vom 10. März 2009.

16) Wie Gewehre von Heckler & Koch in Krisengebiete gelangen. Südwestrundfunk, Report Mainz, 14.12.2010.

17) United Nations Development Programme (UNDP) (2009): Human Development Report 2009. Overcoming barriers: Human mobility and development. http://hdr.undp.org/en/reports/global/hdr2009/.

18) Neate, Rupert (2010): BAE radar verdict. The Telegraph vom 20. Dezember 2010.

19) Hosken, Andrew (2009): BAE: The Tanzanian connection. BBC Radio 4 vom 1. Oktober 2009.

20) WHO (2006): Facts on ACTs. January 2006 Update.

21) Ibid.

22) Hoffman, Paul (2010): South African Arms Deal. The Genie is out of the Bottle. The Institute for Accountability in Southern Africa (IFAISA); www.ifaisa.org/The_genie_is_out_of_the_bottle.html.

23) Feinstein, Andrew (2007): After the Party. A Personal and Political Journey Inside the ANC. Johannesburg: Jonathan Ball, S.208-236. Cilliers, Jakkie (1998): Defence Acquisitions – Unpacking the Package Deals. Pretoria: Institute for Security Studies (ISS), Occasional Paper Nr. 29.

24) Ibid.

25) Dieser Abschnitt basiert auf dem Kapitel »Strategic and Planning Considerations for Conflict Environments«, in: Pyman, Mark und Wegener, A.-C. (2011): Building Integrity and Countering Corruption in Defence & Security. Genf: Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF).

26) Vgl. Cockayne, James und Pfister, Daniel R. (2008): Peace Operations and Organised Crime. Geneva: Geneva Center for Security Policy (GCSP), Geneva Papers 2.

27) Vgl.u.a. Synnoth, Hilary (2009): Transforming Pakistan. Ways out of Instability. London: Routledge.

28) Vgl. exemplarisch: Wali, Sarah O. und Sami, Deena A. (2011): Egyptian Police Using U.S.-Made Tear Gas Against Demonstrators. ABC News vom 28. Januar 2011. Beaumont, Peter und Booth, Robert (2011): Bahrain uses UK-supplied weapons in protest crackdown. The Guardian vom 17. Februar 2011. Böcking, David (2011): Libyan Arms Deals Come Back to Haunt Europe. Spiegel Online vom 24. Februar 2011.

29) Weitere Informationen zu konkreten Reformmaßnahmen sind hier zu finden: Transparency International (2011): Building Integrity and Reducing Corruption in Defence and Security. 20 Practical Reforms; www.defenceagainstcorruption.org.

30) Beispiele hierfür sind die Common Industry Standards in Europa und das International Forum for Business Ethics zwischen europäischen und US-amerikanischen Unternehmen und den Dachverbänden der Industrie.

Tobias Bock ist Project Officer, Anne-Christine Wegener ist Programme Managerin des sicherheits- und verteidigungspolitischen Programms von Transparency International in London.

Geschäfte mit Haken und Ösen

Geschäfte mit Haken und Ösen

Der Rüstungsexportbericht 2009 gegen den Strich gelesen

von Bernhard Moltmann

Im politischen Alltag fristen Rüstungsexporte aus Deutschland ein Aschenputtel-Dasein. Sie steigen zwar nahezu unbemerkt seit Jahren kontinuierlich an; doch erst, wenn deutsche Waffen an Orten auftauchen, wohin sie der politischen Logik und des öffentlichen Konsenses zufolge eigentlich nicht hingelangt sein sollten, kommt es zu einem Aufschrei in Politik und Medien. Jüngste Beispiele sind die deutschen Rüstungstransfers nach Ägypten und Libyen. Der Rüstungsexportbericht 2009 der Bundesregierung vom 15. Dezember 2010 gibt ein detailliertes Bild des labilen Zustandes, in dem sich das Rüstungsexportkontrollregime im Vergleich zu den normativen und politischen Vorgaben befindet. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass die einstige Politik der Zurückhaltung einer weniger restriktiven Exportpolitik Platz machen wird. Den Zielen von Frieden, Sicherheit und Entwicklung ist damit nicht gedient.

Die Menschen auf hiesigen Wohlstandsinseln reagieren verstört auf Bilder von Soldaten, die Volksaufstände niederkämpfen. Noch irritierender sind Bilder solcher Geschehnisse, wenn der Einsatz von Waffen und Fahrzeugen deutscher Herkunft zu erkennen ist. Das scheint so gar nicht im Einklang mit den normativen und politischen Vorgaben der deutschen Rüstungsexportpolitik zu stehen. Ihnen zufolge dürfen Rüstungsausfuhren nur an Staaten genehmigt werden, die internationale Verträge befolgen, Menschenrechtsstandards achten, keine inneren Gewaltkonflikte haben, die regionale Stabilität nicht gefährden und die Waffen nicht unerlaubt weiter geben. Förderlich ist auch, wenn der Empfänger sich zum Kampf gegen den Terrorismus verpflichtet hat. Schließlich sollen Rüstungskäufe nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung beeinträchtigen. Ihren Niederschlag haben diese Gesichtspunkte in dem Kriterienkatalog gefunden, auf den sich die EU-Staaten in ihrem »Gemeinsamen Standpunkt« vom 8. Dezember 2008 geeinigt hatten.1

Die Bilder aus Ägypten im Januar 2011 offenbarten jedoch anderes. Zwischen 2002 und 2009 haben wechselnde Bundesregierungen Rüstungsausfuhren an das Land in Höhe von 227 Mio. Euro genehmigt, unter anderem für die Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen, Lastwagen, Gewehren und Munition. Die zwischen 2006 und 2009 nach Libyen exportierten deutschen Rüstungsgüter im Wert von 83 Mio. Euro werden die deutschen Fernsehzuschauer jedoch kaum sehen. Hier handelte es sich überwiegend um Kommunikationsausrüstung, also um Infrastruktur für militärische Operationen. Ohnehin stehen im Fall von Libyen die deutschen Transfers im Schatten der Rüstungslieferungen aus Russland (2009: 1,5 Mrd. Euro) und anderen EU-Staaten wie Frankreich (Flugzeuge, Hubschrauber, Panzer), Großbritannien (Polizeiausrüstung mit Panzern und Tränengas) und Italien sowie Belgien (Handfeuerwaffen). Norm und Realität klaffen auseinander.

Prekäre Informationslage

Die widersprüchlichen Befunde, die sich durch zahlreiche Beispiele aus früheren Jahren und für andere Empfängerländer ergänzen ließen, leiten die folgende kritische Durchsicht der offiziellen Informationen über deutsche Rüstungsexporte an. Seit 2000 informiert die Bundesregierung jährlich in ihrem »Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter« (Rüstungsexportbericht), der in der Regel erst 12-18 Monate nach dem Berichtszeitraum veröffentlicht wird.2 Das führt dazu, dass aktuelle Kontroversen notgedrungen mit Daten über Vorgänge hantieren, die bereits weit zurückliegen.

Eine weitere Schwäche des Berichtswesens liegt darin, dass es nur die Genehmigungswerte beziffert, aber nicht die realen Exporte. Nur für die Untergruppe der Rüstungsgüter, die als »Kriegswaffen« eingestuft sind, erfasst das Statistische Bundesamt den Wert der tatsächlichen Ausfuhren. Sie machen etwa ein Drittel aller genehmigten Transfers aus. Außerdem schlüsselt der Bericht nicht die Warengruppen im Einzelnen auf, sondern nennt nur Gesamtwerte aller erteilten Ausfuhrgenehmigungen für das Empfängerland, ergänzt durch Angaben der Prozentanteile der wichtigsten Güterkategorien. Als Fazit bleibt die Feststellung, dass die Informationslage über die deutschen Rüstungsausfuhren unbefriedigend ist: Niemand weiß genau, wie viele Waffen und Rüstungsgüter wann exportiert werden.

Deutsche Rüstungsausfuhren im Jahr 2009

Nachfolgend werden die Informationen zu den Rüstungsausfuhren im Berichtsjahr genauer beleuchtet.3

Einzelausfuhrgenehmigungen

Im Jahr 2009 erteilte die Bundesregierung insgesamt 16.202 Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 5,043 Mrd. Euro. Im Jahr 2008 hatten sie einen Gesamtwert von 5,788 Mrd. Euro erreicht. Die wichtigsten Ausfuhrgüter im Jahr 2009 waren militärische Rad- und Kettenfahrzeuge (1,29 Mrd. Euro), Kriegsschiffe (613,5 Mio. Euro), Munition (460,6 Mio. Euro) und militärische Elektronik (455 Mio. Euro).

Ausfuhr von Kriegswaffen

Im Jahr 2009 wurden Kriegswaffen im Wert von 1,34 Mrd. Euro aus Deutschland exportiert. Im Jahr 2008 hatte der Wert dieser Transfers 1,43 Mrd. Euro erreicht. Diese Summe beziffert kommerzielle Exporte und Lieferungen aus Beständen der Bundeswehr. Letztere hatten im Berichtsjahr einen Wert von 131,1 Mio. Euro (etwa 10% der gesamten Ausfuhren von Kriegswaffen).

Sammelausfuhrgenehmigungen

Im Jahr 2009 wurden 117 Sammelausfuhrgenehmigungen im Wert von knapp 2 Mrd. Euro erteilt. Sammelausfuhrgenehmigungen werden im Blick auf Adressaten, Güter und Einzelumfang nicht weiter aufgeschlüsselt. Grundsätzlich beziehen sie sich auf Rüstungskooperationen zwischen NATO- und EU-Staaten, beschränken sich aber inzwischen nicht mehr auf diese Adressaten. Zwischen 2005 und 2008 ergingen solche Genehmigungen auch für Rüstungstransfers auf die Bermuda-Inseln, nach Chile, Indien, Israel, Kolumbien, Malaysia, Mexiko, Oman, Pakistan, Peru, Saudi-Arabien, Singapur, Südafrika und Tunesien.4 Sie galten gemeinsamen Projekten im Flugzeug- und Schiffsbau sowie der Lieferung von Anlagen, um Waffen und Munition herzustellen.

Ausfuhrgenehmigungen für kleine und leichte Waffen

Die deutschen Ausfuhrgenehmigungen für kleine und leichte Waffen bewegten sich im Jahr 2009 auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr.

So wurde im Jahr 2009 die Ausfuhr von 34.401 Kleinwaffen genehmigt. Davon gingen 8.363 Kleinwaffen an Staaten, die nicht der NATO oder EU angehören bzw. diesen gleichgestellt waren (»Drittstaaten«). Die wichtigsten Abnehmerstaaten sind in Tab. 1 aufgelistet.

Tab. 1: Lieferzusagen für kleine Waffen an »Drittstaaten« (2009)

Saudi-Arabien 2.500 Sturmgewehre
Indien 307 Maschinenpistolen
425 Sturmgewehre
Ägypten 884 Sturmgewehre
Chile 384 Sturmgewehre
Serbien 335 Maschinenpistolen
300 Sturmgewehre
Indonesien 318 Maschinenpistolen
Kuwait 300 Maschinenpistolen

Tab. 2: Lieferzusagen für leichte Waffen an »Drittstaaten« (2009)

Südkorea 1.940 rückstoßfreie Waffen
Singapur 1.500 rückstoßfreie Waffen
Kuwait 335 rückstoßfreie Waffen
Jordanien 300 Granatwerfer

Tab. 3: Die größten Einzelausfuhrgenehmigungen an »Drittstaaten« (2009)

Vereinigte Arabische Emirate 540,7 Mio. Euro
Brunei 437,9 Mio. Euro
Südkorea 190,0 Mio. Euro
Saudi-Arabien 167,9 Mio. Euro
Singapur 165,8 Mio. Euro
Brasilien 115,0 Mio. Euro
Ägypten 77,5 Mio. Euro
Chile 72,4 Mio. Euro

Für 9.174 leichte Waffen wurden im Jahr 2009 Ausfuhrgenehmigungen erteilt, davon 4.177 an »Drittstaaten«. Die wichtigsten Abnehmerstaaten sind in Tab. 2 aufgeführt.

Abnehmer deutscher Rüstungslieferungen

An Staaten, die der EU bzw. der NATO angehören oder diesen gleichgestellt sind, sind im Jahr 2009 Rüstungsausfuhren im Wert von 2,55 Mrd. Euro genehmigt worden (Einzelgenehmigungen; 2008: 2,65 Mrd. Euro). Das entspricht 51% aller erteilten Einzelgenehmigungen.

An alle übrigen Staaten (»Drittstaaten«) sind Rüstungsausfuhren in Höhe von 2,49 Mrd. Euro genehmigt worden (2008: 3,14 Mrd. Euro). Tab. 3. listet die relevantesten Abnehmer deutscher Rüstungslieferungen an »Drittstaaten« auf.

Im Jahr 2008 waren die größten Abnehmer Südkorea (1,88 Mrd. Euro), Singapur (339 Mio. Euro), Saudi-Arabien (170,4 Mio. Euro) und die Vereinigten Arabischen Emirate (142 Mio. Euro) gewesen.

An Staaten, die offizielle Entwicklungshilfe erhielten, wurden im Jahr 2009 Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 920,33 Mio. Euro erteilt. Das entspricht 18,2% des Wertes aller Einzelgenehmigungen. Im Jahr 2008 waren Einzelausfuhrgenehmigungen an diese Ländergruppe im Wert von 503,5 Mio. Euro ergangen (8,8%). Diese Angaben schließen auch Exporte an NATO-Staaten wie Albanien, Kroatien und die Türkei ein, die die OECD als Entwicklungsländer einstuft. Gleichfalls sind Lieferzusagen an Malaysia, Oman und Südafrika darin eingegangen, die die Bundesregierung in ihrer Berichterstattung nicht als Entwicklungsländer klassifiziert. Auch Lieferungen für Einsätze der Vereinten Nationen und an verbündete Streitkräfte im Afghanistan-Einsatz finden Berücksichtigung.

Insgesamt wurden im Jahr 2009 staatliche Ausfallbürgschaften (»Hermes Kredite«) in Höhe von 1,9 Mrd. Euro gewährt für Rüstungsausfuhren nach Abu Dhabi, Bangladesch, Indien, Irak, Südkorea, Libyen, Pakistan und Saudi-Arabien.5

EU-Kriterien für Rüstungsausfuhren

Auch im Jahr 2009 sind deutsche Rüstungsausfuhren an Staaten genehmigt worden, die den Kriterien des »Gemeinsamen Standpunkts« der Europäischen Union von 2008 zum Export von Militärtechnologie und Militärgütern nicht genügen. Nach Erhebungen des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) trifft dies für 62 Staaten zu, für die 3.118 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von 2,155 Mrd. Euro erteilt wurden.

Der Wert von genehmigten Rüstungslieferungen in Länder, die mindestens vier der Kriterien nicht erfüllen (u. a. Menschenrechtssituation, regionale Stabilität, innere Lage, Verhältnis von Rüstungsausgaben zu Entwicklungsanstrengungen), ist von 106,3 Mio. Euro im Jahr 2008 auf 269,2 Mio. Euro gestiegen. Zu den unter diesen Gesichtspunkten als kritisch zu bewertenden Empfängerländern gehören Saudi Arabien, Ägypten, Angola und Algerien.

Bewertung

Sowohl der Rüstungsexportbericht der Deutschen Bundesregierung als auch die Rüstungsexportpraxis verweisen auf kritische Aspekte im Exportkontrollregime.

Begrenzte Aussagekraft der Zahlen

Der Rückgang deutscher Rüstungstransfers im Jahr 2009, so die um 15% gesunkenen Werte für die Einzelausfuhrgenehmigungen im Jahr 2009 gegenüber 2008, ist noch nicht als Indikator für eine Umkehr des seit Jahren ansteigenden Trends der deutschen Rüstungsausfuhren anzusehen. Vielmehr spiegelt er statistische Schwankungen angesichts des Gewichts, den kostspielige Transfers von Kriegsschiffen in dem jährlichen Zahlenwerk einnehmen. Bleiben sie einmal aus, sinken die Zahlen; werden neue Ausfuhren für dieses Produktsegment genehmigt, steigen sie an. Relativ stabil auf kontinuierlich hohem Niveau bleiben dagegen die Ausfuhren von gepanzerten Fahrzeugen und Panzern sowie von kleinen und leichten Waffen, Munition und Herstellungsanlagen. Insgesamt müssen bei der Bewertung der Rüstungsausfuhren die Sammelausfuhrgenehmigungen ebenso berücksichtigt werden wie der Anteil der Dual-use-Güter und sonstiger militärrelevanter Leistungen. Außerdem ist bei deutschen Zulieferungen an andere europäische Länder und Rüstungsproduzenten davon auszugehen, dass dort mit deutschen Komponenten gefertigte Kriegswaffen und Rüstungsgüter anschließend an andere Länder exportiert werden.

Von der »Zurückhaltung« zu »verantwortungsbewusstem« Handeln

Die im Jahr 2009 genehmigten Rüstungsausfuhren hat überwiegend noch die bis November des Jahres amtierende Bundesregierung der Großen Koalition (CDU/CSU und SPD) auf den Weg gebracht. So erlaubt das vorliegende Datenmaterial keine Schlussfolgerungen, ob sich mit dem Regierungswechsel auch der Kurs in der deutschen Rüstungsexportpolitik geändert hat. Jedoch lässt die jetzige Bundesregierung erkennen, dass sie für das Anliegen von Rüstungsherstellern, die Rüstungsexportbestimmungen lockerer zu handhaben, durchaus ein offenes Ohr hat. Hinweise auf die Rechtslage und die »Politischen Grundsätze«von 2000,6 die ihr Zurückhaltung auferlegen, koppelt sie mit einer Formulierung aus dem Koalitionsvertrag vom 26.10.2009, nämlich mit dem Bekenntnis zu einer „verantwortungsbewussten Genehmigungspolitik“. Hier findet sich auch die Zusage, die Flugzeugindustrie und den Marineschiffsbau zu fördern, da beide bei einer anzustrebenden Systemführerschaft in der Waffenproduktion von Bedeutung seien.

Das Postulat der Zurückhaltung gibt dem Regierungshandeln eine eindeutige Richtung vor: Es ist nicht jedes Rüstungsgeschäft zu genehmigen, das möglich wäre. Demgegenüber öffnet der Verweis auf eine „verantwortungsbewusste Genehmigungspolitik“ die Tür, Opportunitätsgesichtspunkte ins Spiel zu bringen. Falls dann noch das Argument nachgeschoben wird, man bewege sich bei der Genehmigung von Rüstungsgeschäften auf legalem Boden, vergrößert sich der Handlungsspielraum weiter. Doch hat die Regierung bei ihrer Befürwortung von Rüstungsgeschäften, die vor allem wirtschaftlichen Interessen dienen, zu beantworten, ob dennoch friedens-, entwicklungs- und sicherheitspolitische Kriterien bei der Entscheidungsfindung angemessen berücksichtig worden sind. Nicht alles, was legal ist, muss auch politisch klug sein. Eine semantische Erweiterung von der »Zurückhaltung« zum »verantwortungsbewussten Handeln« weicht die Standards auf, die jahrzehntelang ein Merkmal deutscher Rüstungsexportpolitik gewesen sind. Sie waren immerhin eine, wenn auch nur brüchige, Barriere gegen aktualistisches und einseitig interessengeleitetes Handeln im Umgang mit Rüstungsgeschäften.

Doch mittlerweile drohen weitere Angriffe auf die einstige Bastion der Zurückhaltung. Mit dem Umbau der Bundeswehr zu einer »Armee im Einsatz« verändern sich auch die Parameter der Rüstungsbeschaffung und -vermarktung. Da die Bundeswehr, wie es die Strukturkommission im Oktober 2010 empfahl, in Zukunft nur Rüstungsgüter erwerben wird, die sie tatsächlich und zeitnah benötigt, erwarten Rüstungshersteller von der Bundesregierung Hilfestellung, um überschüssige Produktionskapazitäten durch erleichterte Exporte auslasten zu können. Außerdem ist absehbar, dass die Bundeswehr weiter darauf dringt, überschüssige Waffen und Rüstungsgüter weiterzuverkaufen. Über die Entwicklung dieser Trends werden kommende Rüstungsexportberichte, wenn auch erst in der Rückschau, Auskunft geben.

Gefährdung von Frieden und Sicherheit

Außerdem decken die offiziellen Daten für 2009 auf, dass aktuelle Gewaltkonflikte und regionale Rüstungsdynamiken in Mittel- und Südasien (Afghanistan, Indien, Pakistan), im Fernen Osten oder auf der arabischen Halbinsel, im Nahen Osten, in Nordafrika und in Südamerika erhebliche Rüstungstransfers nach sich ziehen. Ebenfalls fordert die hohe Zahl an internationalen Friedensmissionen ihren Tribut an Rüstungslieferungen. Der Stellenwert derartiger Exporte ist ein gewichtiges Indiz für den prekären Zustand von Frieden, Sicherheit und Entwicklung für Menschen und Gesellschaften in den betroffenen Ländern.

Rüstungstransfers verweisen schon frühzeitig auf sich anbahnende Gewaltkonflikte oder schon stattfindende regionale Rüstungswettläufe. Ihnen zu begegnen, erfordert anstelle von Waffentransfers Maßnahmen der Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung. Lieferungen von Kriegswaffen und Rüstungsgütern erhöhen das Risiko, dass Konflikte gewaltförmig ausgetragen werden. Dieser Widerspruch begleitet die deutsche Rüstungsexportpolitik seit langem. Er stellt dem deutschen Bemühen um Frieden, Sicherheit und Entwicklung für Menschen und Gesellschaften in den betroffenen Ländern ein schlechtes Zeugnis aus.

Anmerkungen

1) Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des [Europäischen] Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Amtsblatt Nr. L 335 vom 13/12/2008, S.0099–0103; http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= OJ:L:2008:335:0099:01:DE:HTML.

2) Als letzter Bericht liegt vor: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2009. Rüstungsexportbericht 2009. Der Bericht wurde von der Bundesregierung am 15.12.2010 vorgelegt; www.bmwi.de/BMWI/Navigation/Service/suche/html.

3) Die folgenden Daten entstammen dem Rüstungsexportbericht 2009 der Bundesregierung . Die Bewertungen stützen sich auf Arbeitsergebnisse der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) und den jüngsten Rüstungsexportbericht der GKKE vom 13. Dezember 2009; www.gkke.org.

4) Bundestagsdrucksache 17/82 vom 15. Dezember 2009, Frage 16 und 17.

5) Bundestagsdrucksache 17/2693 vom 3. August 2010, Frage 19.

6) Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Verabschiedet am 19. Januar 2000.

Dr. Bernhard Moltmann ist Gastforscher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt am Main und Vorsitzender der Fachgruppe Rüstungsexport der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE).

Jenseits von Irak und Afghanistan

Jenseits von Irak und Afghanistan

Die Marinestrategie des Exportweltmeisters Deutschland reicht weit in die Zukunft hinein

von Hermannus Pfeiffer

Die internationale Fachmesse zur maritimen Sicherheit und Verteidigung MS&D war ein voller Erfolg. Bereits im ersten Anlauf hat sich diese ungewöhnliche und in Deutschland einmalige Militärmesse erfolgreich durchgesetzt. „Die MS&D war der erwartete Magnet für die internationale Fachwelt“, freut sich Veranstalter Bernd Aufderheide. Aufderheide führt die Hamburg Messe und Congress GmbH, die dieses neue »Produkt« zusammen mit einer Fachzeitschrift, Bundesverteidigungs- und Wirtschaftministerium aus der Taufe hob.

Deutschland ist längst wieder eine Seemacht. Eine Tatsache, die selbst an der Waterkant von Bremen, Hamburg oder Rostock kaum wahrgenommen wird. Dabei ist die deutsche Containerflotte die größte auf den Weltmeeren: Jeder dritte Frachter der Globalisierung gehört hiesigem Kapital. Der Hamburger Hafen hat längst London, Tokio und New York weit hinter sich gelassen, und in Duisburg pulsiert der weltweit gigantischste Binnenschiffhafen. Der Schiffbau, eine Hightech-Branche auf Augenhöhe mit der Luft- und Raumfahrtindustrie, liegt in Europa auf Platz eins. Schiffbau ist übrigens weit mehr als (kriselnde) Werften im Norden: Wichtige Zulieferer wie MAN, MMG oder Siemens produzieren in Süd- oder Ostdeutschland.

Den neuen Kurs für einen beispiellosen Wachstumsprozess hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000 mit seinen »Leitlinien zur Förderung der maritimen Wirtschaft« vorgegeben. Damit stellten sich Staat und Regierung an die Spitze des ehrgeizigen Projekts »Maritimer Komplex«, in das Unternehmen und Verbände, Maschinenbau- und Logistikindustrie, Zulieferfirmen, Banken, Dienstleister vom Reeder bis zum Makler, aber auch Hochschulen, Gewerkschaften und die Deutsche Marine eingebunden sind. Alle zwei Jahre feiert der Maritime Komplex sei Hochamt auf einer Nationalen Maritimen Konferenz, zuletzt im Frühjahr in Rostock mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Handel und Krieg hängen seit je eng zusammen. Und so könnte aus der merkantilen Seemacht bald eine militärische Seemacht auftauchen. Doch das bundesdeutsche Flottenprogramm und der damit einhergehende Rüstungsboom erregen bislang erstaunlich geringe Aufmerksamkeit. Dabei sind die neuen Hochtechnologie-Korvetten und Marathon-Fregatten die schlagkräftigsten und mit fünf Milliarden Euro teuersten Waffensysteme in der deutschen Geschichte. Die Kriegsmarine wird damit erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm um 1900 wieder ins Zentrum der Militärstrategie und der Außenpolitik gerückt. Damals endete der maritime Wahn im Weltkrieg.

Einblicke in aktuelle Strategiediskussionen erlaubte Anfang Oktober die erste internationale Konferenz und Fachmesse »Maritime Security & Defence« (MS&D) in Hamburg, die vom Bundesverteidigungs- und Wirtschaftministerium unterstützt wird. Ein Brennpunkt der Messe und einer parallel tagenden Expertenkonferenz war selbstverständlich die Piraterie. 2008 beliefen sich die Schäden für die Weltwirtschaft auf schätzungsweise elf Milliarden Euro und jede fünfte deutsche Reederei wurde bereits von Piraten-Angriffen getroffen. Mit dieser Warnung zeigt das Bundeswirtschaftsministerium jedoch gleichzeitig neue Chancen auf: „Angesichts der aktuellen Sicherheitslage hat unsere Industrie große Chancen zur Entwicklung von Abwehrsystemen in diesem Bereich“, eröffnete die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Dagmar Wöhrl, die Fachmesse.

Auf ihrem Rundgang sah die CSU-Politikerin, dass Industrie und Wissenschaft einiges zu bieten haben. So sollen sich Reeder mit Glitschgel und Schallkanonen gegen Attacken von Seeräubern bewaffnen. Bei einem Angriff kann die Schiffscrew dann durch ein Schlauchsystem grüne und rote Flüssigkeiten versprühen, auf denen die Piraten ausrutschen. Oder die Mannschaft kann mit Knallkanonen bei den Angreifern ein unangenehmes Schwindelgefühl erzeugen.

Kreuzfahrtschiffe und einige Dutzend Frachter sollen mittlerweile mit solchen neuen Systemen ausgerüstet worden sein. Dazu trug auch Druck aus der Versicherungsbranche bei, die weit höhere Prämien von den Schiffseignern für gefährdete Routen verlangt. Für Konteradmiral Heinrich Lange reichen Glitschgel und Knallkanonen allerdings nicht aus: „Man sollte immer noch ein As in der Hinterhand haben.“ Dieses As könnte die Deutsche Marine sein. Den deutschen Militärs wurde auf der erstmals stattfindenden MS&D einiges Neue geboten. Die Industrie zeigte, was sie zu bieten hat.

Ein Trend: Unbemannte Fluggeräte und maritime Drohnen, die vollautomatisch fliegen, aufklären und schießen. Der sensorbestückte Hubschrauber »CamCopter« von Diehl kann im Unterschied zu den bisherigen Drohnen über dem Landziel in der Luft stehen bleiben, wird von einer Kontrollstation an Bord gesteuert und kann auf einer Korvette problemlos landen, versichert der Hersteller. Das Fluggerät wurde bereits bei der Deutschen Marine erfolgreich getestet. Die Technische Universität Clausthal-Zellerfeld stellte eine kleinere Hubschrauberdrohne serienreif vor. Sie könne gegebenenfalls auch bewaffnet werden, um beispielsweise Piratenangriffe abzuwehren. Die Fluggeräte suchen sich dabei ihr Ziel selbsttätig über Thermokameras.

Der zweite Trend: Bis vor kurzem konnten deutsche Kriegschiffe nur See- und Luftziele beschießen. Jetzt rücken Landziele für die Marine immer näher und damit ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für eine weltweit operierende Krisenreaktionskraft. Lenkflugkörper von der Firma MBDA starten von U-Booten und Fregatten aus und weisen immer häufiger in Richtung Küste. MBDA, das zum Imperium des deutsch-französischen Flugzeugbauers EADS/Airbus gehört, sieht bei seinen Kunden denn auch einen „Trend zu Landzielen“. Und die neuesten See-Land-Raketen werden mit eigener Optik ausgerüstet. „Dann kann man dokumentieren, dass man keine Schule getroffen hat“, lobt ein Aussteller.

Der dritte Trend nimmt die Globalisierung beim militärischem Wort. Energie und Rohstoffe werden zukünftig immer häufiger im Meer gewonnen. Thyssen-Krupp Marine Systems hatte daher auf die Hamburg-Messe seine Modellstudien für 81 Meter lange Offshore-Korvetten mitgebracht. Deren Aufgabe könnte in naher Zukunft der militärische oder bundespolizeiliche Schutz von Ölplattformen im Atlantik oder von Windparks vor Rügen sein. Zu Thyssen-Krupp gehören die norddeutschen Werften Blohm+Voss, HDW und die Nordseewerke in Emden, in der zukünftig Offshore-Windkraftanlagen gebaut werden. Die Deutsche Marine sieht hier ein weiteres neues Betätigungsfeld heranwachsen.

Die multinationale Marine-Messe MS&D war zugleich eine internationale Verkaufsshow. Zu den Besuchern gehörten 22 Marinedelegationen von allen Kontinenten. „Die Partnerschaft zwischen Bundeswehr und Verteidigungsindustrie ist die Basis für ein erfolgreiches Exportgeschäft“, sagte Rüdiger Wolf, Staatsekretär von Bundesverteidigungsminister Jung. Und da die deutsche Werftindustrie gerade ökonomisch schwächelt, versichert die Maritime Koordinatorin der Bundesregierung, Dagmar Wöhrl, ihre Unterstützung. Alle Ressorts wurden aufgefordert, der „Zukunftsbranche“ zu helfen.

Die Marine wird mit Reparaturaufträgen und kleineren Bauaufträgen die Hochtechnologieindustrie stützen. Vielleicht wird ein seit längerem angedachter neuer Korvettentyp gegenüber den ursprünglichen Planungen vorgezogen. Marine-Vizechef Lange will jedoch keine Schnellschüsse: Kriegsschiffe »leben« drei Jahrzehnte und länger. Und außerdem war die vergangene Legislaturperiode wohl die erfolgreichste in der Geschichte der Marinebeschaffung: zwei U-Boote, der dritte Einsatzgruppenversorger und vier neuartige Fregatten wurden für die kommenden Jahre bewilligt. Fünf neuartige Korvetten wurden außerdem zu Wasser gelassen.

Der alten, wie absehbar der neuen Bundesregierung geht es allerdings um mehr als um eine industriepolitische Hightech-Strategie, wie sie auch im Automobilbau oder der Luftfahrtindustrie angewandt wird. Es geht vor allem um Deutschlands künftige geopolitische Rolle in der Welt. Als „Exportweltmeister und rohstoffarmes Land, das von Importen abhängt“ sei das „Arteriensystem der Weltwirtschaft“ und damit die Marine von grundsätzlicher Bedeutung, versicherte Admiral Lange. So steckten in jedem Auto Teile, die in Dutzenden von Schiffstransporten nach Deutschland geliefert wurden, und am Ende wird das gebaute Auto wieder per Schiff aus Deutschland heraus transportiert. Vier der fünf Millionen hierzulande produzierten Automobile werden exportiert.

»Basis See«

Andere Betätigungsfelder hat die Marine längst für sich reklamiert. Inzwischen schafft die Marine Fakten für die künftige deutsche Außenpolitik. Anders als mancher Außen- und Sicherheitspolitiker in Berlin kämpft die Chefetage der Marine allerdings mit offenem Visier: Mit der Weiterentwicklung der Marine würden zwei Leitlinien verfolgt, heißt es aus dem Flottenkommando bei Flensburg.

Die internationale Krisenbewältigung werde zukünftig noch stärker auf gemeinsame Aktionen von Heer, Luftwaffe und Marine setzen. Und dabei soll die frei von Landesgrenzen und anderen Hemmnissen operierende Marine eine Schlüsselrolle spielen: Die See soll als Basis für zukünftige gemeinsame Operationen der Bundeswehr erschlossen werden. Der neue konzeptionelle Ansatz heißt darum »Basis See«. Gemeinsam mit den »Landratten« vom Heer arbeitet die Marineführung an ihrem Projekt »Führen von See«. Beispielsweise die Feuerunterstützung vom Meer aus gewinnt militärstrategisch dadurch zunehmende Bedeutung. Darum wird die Marine ihre Fähigkeiten ausbauen, so Admiral Nolting, „Kräfte an Land von See aus zu unterstützen“.1

Ihren zweiten Schwerpunkt sieht die Marine künftig im Schutz der Handelswege. Das klingt zunächst keineswegs originell. Aber fortan verteidigt die Marine nicht mehr allein den Ostseeraum und die Deutsche Bucht, sondern will die globalen Handelswege absichern. Da Deutschland hochgradig auf den Außenhandel und den Import von Rohstoffen angewiesen ist, befindet sich die Nation in einer „maritimen Abhängigkeit“, hebt Marineinspekteur Nolting hervor. Weltweit! Der oberste Marinesoldat kann sich auch in diesem Fall auf das »Weißbuch« der Bundesregiering stützen. Deutschland habe infolge der Globalisierung „besonderes Interesse an ungehindertem Warenaustausch“, und die sichere Energieversorgung sei von „strategischer Bedeutung“. Darum müsse die Marine „in großer Entfernung vor fremden Küsten“ operieren können, um Krisen und Konflikte „bereits am Ort ihres Entstehens einzudämmen und zu bewältigen“. Dazu soll sich die Marine im Zuge der Transformation der Bundeswehr zu einer »Expeditionary Navy« entwickeln – zu einer Expeditions-Marine.2

Zumindest assoziativ ist es da nicht mehr weit bis zur Kanonenboot-Politik vor dem Ersten Weltkrieg. Mit der Neuausrichtung wird eine deutsche Marine erstmals seit dem kaiserlichen Flottenprogramm vor einem Jahrhundert wieder ins Zentrum der Militärstrategie rücken. Und die Politik könnte noch tiefer ins Kielwasser von Marine und Industrie geraten, denn die neuen militärischen Möglichkeiten werden neue Begehrlichkeiten bei Politikern und NATO-Partnern wecken. Das Kreuzen vor fremden Küsten könnte zur Standardaufgabe der Bundeswehr werden. Eine weitreichende Globalisierung der deutschen Außenpolitik wäre Bedingung und Folge dieses Kurswechsels zugleich.

Was zunächst defensiv klingen mag, bedeutet, den Radius der Marine auszudehnen nach dem Motto des Hapag-Lloyd-Gründers Alfred Ballin: „Unser Feld ist die Welt“. Dabei sind die Weltmeere nicht so offen, wie sie mancher »Landratte« erscheinen mögen. Nicht allein am Horn von Afrika, sondern auch vor Gibraltar, Malakka oder im chinesischen Meer durchlaufen die blaue Meeresstraßen »Flaschenhälse«, die militärisch gesichert werden sollen.

Neue Kriegsschiffe

Auf der Konferenzmesse MS&D zeigten sich die Spitzenmilitärs zufrieden über technologische Entwicklungen für kommende Kriegsszenarien jenseits von Irak und Afghanistan: Unbemannte Hubschrauber, die selbständig entscheiden und auf jeder Korvette landen können, sehende Flugkörper, die vom U-Boot aus Landziele anpeilen und bahnbrechende Kriegsschiffe. Im kommenden Jahr werden die fünf neuen Korvetten K 130 einsatzbereit sein. Ursprünglich hatten sie bereits in diesem Herbst starten sollen, aber aufgrund technischer Probleme wurden sie zurück in die Werften von Thyssen-Krupp und Lürssen gerufen. Angeblich sollen sie nicht einmal die projektierte Geschwindigkeit erreicht haben, was den Werften kein gutes Zeugnis ausstellen würde. Wenn die Korvetten auf Vordermann gebracht sind, können sie global operieren und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg Landziele beschießen. Damit entsteht ein qualitativ neues Drohpotential, schließlich liegen acht von zehn der größten Städte auf der Erde am Meer.

Voll zur Entfaltung werden die neuartigen militärischen Möglichkeiten durch weitere U-Boote und vor allem durch vier noch größere Fregatten F 125 kommen, mit deren Bau im Mai 2011 auf den Thyssen-Krupp-Werften begonnen wird. Diese Marathon-Fregatten werden sich extrem lange im Einsatzgebiet aufhalten können, vierundzwanzig Monate statt sechs. Sie benötigen nur 110 Besatzungsmitglieder anstatt der sonst für Schiffe dieser Größe üblichen 220 bis 240 und dies erlaubt ein Zwei-Besatzungen-Konzept. Statt des Schiffes wird regelmäßig die Besatzung gegen eine zweite ausgetauscht. Und während die alten Fregatten oft noch für die U-Boot-Bekämpfung gebaut wurden, sind die neuen speziell zur Bekämpfung asymmetrischer Ziele und Bedrohungen ausgerüstet und für sogenannte Stabilisierungseinsätze vorbestimmt.

Die Marine wird mit den neuen Fregatten und Waffensystemen die technischen Mittel dafür bekommen. Mit ihrem neuen, nur in Teilen bekannten Konzept »Zielvorstellungen Marine 2025+« hat sie zudem das langfristige taktisch-strategische Rüstzeug dafür. Darin hat die Deutsche Marine ihre zukünftigen Aufgaben analysiert und daraus neue Zielvorstellungen abgeleitet, als Grundlage für marine-interne Planungen. Ein zukünftiges ehrgeiziges Ziel ist Modularität. Schiffe sollen nur noch als Plattform dienen, die je nach Einsatzanforderung mit diversen standardisierten Modulen komplettiert werden. Mit Blick auf die laufenden Beschaffungen und Planungen sowie auf den Verteidigungshaushalt wird die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele nur in kleinen Schritten, durch Festlegung von Prioritäten und Hinnahme von Kompromissen erfolgen können. Das weiß auch das Flottenkommando.

Politische Alternativen

Alle wesentlichen Wünsche der Marine wurden in der vergangenen Legislaturperiode erfüllt. Weißbuch, Korvetten, Fregatten und Waffensysteme für den Landbeschuss werden die Marine bald zu einem potentiellen Global-Player machen. Doch es ginge auch anders. Immer noch ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee.

In den aktuellen Koalitionsverhandlungen geht es zunächst nur darum, ob die Marine Polizeibefugnisse für die Seesicherheit erhält. Dazu wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Alternativ könnte jedoch eine aufzubauende Bundespolizei-See diese Militarisierung nach Innen stoppen.

Weit wichtiger, die globale Ausdehnung der Seemacht sollte das Parlament beenden. Kernaufgabe der Marine muss wieder der militärische Schutz der heimischen Küste werden. Die Sicherheit Deutschlands sollte weder am Hindukusch noch am Horn von Afrika oder im chinesischen Meer verteidigt werden.

Eine Fachillustrierte titelte auf der Messe: „Deutsche Marine: The Way Ahead“ – Deutsche Marine auf dem Weg vorwärts. Mit „zufriedenen Gesichtern“ – so die Veranstalter – verließen 1.300 Teilnehmer aus allen Kontinenten und mehr als 60 Aussteller nach drei Tagen Hamburg. Die MS&D werde künftig das Forum für internationale Marinen, Politik und Industrie sein, hofft die Messegesellschaft.

Anmerkungen

1) Nolting, Wolfgang E., Maritime Sicherheit im Fokus der konzeptionellen Überlegungen, in Marine-Forum 3-2008 (Internetausgabe).

2) Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006, Berlin 2006, S.131ff.

Dr. Hermannus Pfeiffer ist Soziologe und Wirtschaftwissenschaftler und spürt in seinem gleichnamigen Buch der »Seemacht Deutschland« über ein Jahrtausend nach – von der Hanse bis zum heutigen Maritimen Komplex (Ch. Links Verlag).

Rüstung auf Rekordhöhe

Rüstung auf Rekordhöhe

von Jürgen Nieth

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat am 12.
Juni 2006 sein neues Jahrbuch vorgestellt. Danach wurden im Jahr 2005 rund 950
Milliarden Euro (1.118 Mrd. Dollar) für Rüstung und Verteidigung ausgegeben.
Das ist ein Drittel mehr als noch vor 10 Jahren. Hauptverantwortlich für die
Steigerung sind die USA, die alleine für 48 Prozent der weltweiten
Rüstungsausgaben stehen.
Eine Reihe deutscher Tageszeitungen zitiert aus dem SIPRI-Bericht und
kommentiert z.T. unterschiedliche Details. So schreibt die Berliner Zeitung
(13.06.06) unter der Überschrift:

Höhere Rüstungsbudgets als im Kalten Krieg

„Ein beängstigender Rekord wird vermeldet: Die
Ausgaben für Rüstung und Verteidigung lagen im Jahr 2005 erstmals über den
Militärausgaben von 1987/88, dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Kurz vor Ende
der Ost-West-Konfrontation waren es Expertenschätzungen zufolge umgerechnet
etwa 900 Milliarden Euro.
Im Vergleich zum Vorjahr stiegen 2005 die weltweiten Ausgaben um 33 Milliarden
Dollar oder 3,7 Prozent. Das entspricht 2,5 Prozent des globalen
Bruttosozialprodukts oder pro Kopf 173 US-Dollar (137 Euro).“
Nach der Süddeutschen Zeitung (13.06.06) gab Deutschland „im Jahr 2005 etwa
317 Euro pro Einwohner für Militärgüter aus.“
„Die größten Bürden des Rüstens trägt jedoch die Bevölkerung in einigen
Regionen Afrikas und des nahen Ostens,“
schreibt die Frankfurter Rundschau
(13.06.06). „In Eritrea, Äthiopien, Burundi, Jordanien, Jemen, Syrien,
Libanon und Sri Lanka werden zwischen zehn und zwanzig Prozent der
Produktionserträge für Waffen und Truppen ausgegeben.“

USA kurbeln Waffenmarkt an…

…schreiben die Stuttgarter Nachrichten (12.06.06). Fritz
Kayser hebt hervor, dass „die USA im abgelaufenen Jahr für 80 Prozent aller
zusätzlichen militärischen Aufwendungen“
verantwortlich sind. „Als
Hintergrund für die massiven Ausgabensteigerungen der Vereinigten Staaten
(werden bei SIPRI) …vor allem die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan“

genannt.
Diesen Einsätzen widmet die Frankfurter Rundschau (13.06.06) einen eigenen
Kommentar.

Irak-Einsatz auf Pump

„288 Mrd. Dollar hat der Irakkrieg die USA laut dem
Privaten Zentrum für Nationale Prioritäten (NPC) bislang gekostet. Jeden Monat
kommen acht Milliarden dazu, fast doppelt so viel wie zu Kriegsbeginn im Jahr
2003“,
schreibt US-Korrespondent D. Ostermann. Und weiter: „Mit dem in
Irak verkämpften Geld (hätten die USA) 38 Millionen US-Kinder ein Jahr zur
Vorschule schicken können – oder die Welthungerhilfe elf Jahre finanzieren, 28
Jahre alle Aids-Programme, 95 Jahre weltweite Kinderimpfungen.“

Bislang, so Ostermann, haben die US-Bürger aber „keinen Cent für Irak
bezahlt. Die Kosten für die Militäreinsätze dort wie in Afghanistan , allein in
diesem Jahr über 100 Milliarden Dollar, werden ausschließlich über Schulden
finanziert.“
Der FR-Korrespondent zitiert den Nobelpreisträgers Joseph Stieglitz, der „ein
böses Erwachen“
voraus sieht. Der Ökonom schätzt, dass der Irakkrieg die
USA „langfristig 2,6 Billionen Dollar kosten“ wird, darin enthalten die „Folgekosten
wie Behandlung und Rente von Kriegsinvaliden oder die Auswirkungen des Krieges
auf den Ölpreis und damit die US-Konjunktur.“

Waffen nicht per se schlecht

Die Financial Times Deutschland (13.06.06) zitiert die
SIPRI-Direktorin Alyson Bailes, nach der „Aufrüstung von Friedensforschern
nicht mehr per se als Bedrohung gesehen werde. Nahezu alle internationalen
Organisationen wollten ihr Militär für »gutartige« Aufgaben ausbauen. Mehr und
mehr gelte der Grundsatz
: ‘Waffen sind nicht per se schlecht, aber ihre
Nutzung durch schlechte Leute für schlechte Zwecke’.“

Anti-Terror-Strategie gescheitert

„Passend zum SIPRI-Bericht erschien am selben Tag in
London eine Studie der unabhängigen Oxford Research Group, die Bushs so
genannten Krieg gegen den Terrorismus scharf kritisiert,“
schreibt die
Berliner Zeitung (13.06.06). Und weiter: „Washington und London seien mehr
darauf aus, ihre Stellung in der Welt durch militärische Gewalt zu sichern, als
sich Gedanken um die eigentlichen Ursachen der weltweiten Unsicherheiten und
Bedrohungen zu machen… Der so genannte Krieg gegen den Terrorismus verschlinge
nicht nur hunderte Milliarden von Dollar, er habe auch mehr ‘Unterstützer des
Terrorismus geschaffen als ausgeschaltet’ und den Blick auf weitaus größere
Bedrohungen der Weltsicherheit verstellt.“

Zunehmende Rüstungsexporte

Nach dem SIPRI-Bericht hat sich „neben Russland und den
USA… die EU als globaler Akteur auf dem Waffenmarkt etabliert,“
schreibt
die FR (13.06.06).

„SIPRI, das einen Fünfjahresrahmen als Referenz
heranzieht, reiht die EU-Staaten für 2001- 2005 auf Platz drei… Im Vorjahr
lagen die Rüstungsexporte der EU-Länder mit 7.821 Millionen Dollar jedoch höher
als die der USA (7.101 Mio.) und Russlands (5.771 Mio.), mit Frankreich und
Deutschland als Hauptlieferanten.“

Exportierte Gewalt

Die zehn größten Rüstungsexporteure der Welt für die Jahre
2001 bis 2005:

Die Stuttgarter Nachrichten (12.06.06) weisen darauf hin,
das 2004 „die Hundert größten Rüstunskonzerne der Welt… Güter für 212
Milliarden Euro (verkauften, sie) steigerten ihren Absatz damit gegenüber 2003
um 15 Prozent.“

Keine Notiz…

…von dem SIPRI-Bericht nahmen solch überregionale
Tageszeitungen wie die Welt und die Frankfurter Allgemeine. Enthaltsamkeit auch
bei früher rüstungspolitisch informativen Magazinen wie Stern und Spiegel.
»Keine Information« ist auch eine Aussage.

Kampf um den Weltrüstungsmarkt

Kampf um den Weltrüstungsmarkt

von Arno Neuber

Der Handel mit Waffen boomt wieder. Nach einem zwischenzeitlich deutlichen Rückgang, vor allem infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Warschauer Paktes, sind seit 1994 wieder kräftige Zuwächse zu verzeichnen. Hauptlieferant sind die USA und die US-Rüstungskonzerne dürfen sich als Gewinner bei der Neuordnung des Rüstungsweltmarktes nach dem Sieg im Kalten Krieg fühlen.

Das schwedische Forschungsinstitut SIPRI beziffert den Umfang der internationalen Transfers von konventionellen Großwaffen auf 25 Milliarden Dollar im Jahr 1997.1 Zwar sind das nur 62 Prozent im Vergleich zum Jahr 1987 (dem Jahr mit den höchsten Rüstungsexporten überhaupt), aber seit 1994 ist wieder ein deutliches Wachstum des Waffenhandels zu verzeichnen.

Andere Zahlen, aber die gleichen Tendenzen ermittelt das Londoner Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) in seinem Jahresbericht 1998.2 IISS beschränkt sich in seiner Einschätzung nicht nur auf die konventionellen Großwaffen. Das Londoner Institut registriert für 1997 Waffenverkäufe im Wert von 46 Milliarden Dollar. 12 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Bereits für die Jahre 1995 bis 1997 verbuchte das IISS ein Anwachsen der Rüstungsexporte um 36 Prozent.

Im Ländervergleich belegen die Zahlen beider Institute, dass die USA den globalen Rüstungsmarkt deutlich beherrschen. SIPRI berechnet für die USA einen Marktanteil von 43 Prozent. Es folgen als weitere Hauptlieferanten (seit 1993) Russland, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und China. Nach dem IISS-Bericht hatten die USA 1997 einen Marktanteil von 45 Prozent. Es folgen Großbritannien mit 18,5 Prozent, Frankreich 16 Prozent, Russland 5,4 Prozent, Israel 3,3 Prozent, China 2,2 Prozent und Deutschland mit 1,6 Prozent.

Noch deutlicher fällt das US-Übergewicht bei der Betrachtung der großen Rüstungskonzerne aus. SIPRI schätzt den Umfang des Waffenhandels der 100 größten Produzenten der Welt auf 156 Milliarden Dollar im Jahr 1996 (genau wie 1995). Von den Verkäufen der »Top-Hundert« haben US-Firmen 55 Prozent und westeuropäische Firmen 35 Prozent getätigt. Die restlichen 10 Prozent teilen sich 14 Konzerne aus anderen OECD-Staaten und 8 aus Indien, Israel und Süd-Afrika.

Entwicklung der Militärausgaben

Das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) geht davon aus, dass in der Zeit von 1986 bis 1995 die weltweiten Militärausgaben von damals über 1.000 Mrd. Dollar um 30 Prozent zurückgegangen sind.3

SIPRI beziffert die weltweiten Militärausgaben für 1997 mit ca. 740 Milliarden Dollar und spricht von einem Rückgang im Zehnjahreszeitraum 1988-97 in Höhe von durchschnittlich 4,5 Prozent pro Jahr. Die Rate hat sich allerdings in den letzten Jahren deutlich verlangsamt und betrug 1996 und 1997 nur noch 1 Prozent.

Der Blick auf den globalen Trend sagt aber nur wenig über die Hintergründe. So gab es den stärksten Rückgang der Rüstungsausgaben in Russland und den anderen SU-Nachfolgestaaten. Sie gaben nach SIPRI-Berechnungen 1997 nur noch 10 Prozent dessen aus, was die UdSSR 1988 verausgabte. Betrugen die Rüstungsausgaben der UdSSR 1987 noch 257 Milliarden Dollar, so waren es in Russland 1997 nur noch 24,1 Milliarden Dollar.

Die vergleichbaren Werte für die USA und die anderen NATO-Staaten fielen dagegen wesentlich anders aus.

Nach eigenen Zahlen gaben 1988 die NATO-Staaten 460,1 Milliarden Dollar für Rüstung aus, 1997 waren sogar 465,5 Milliarden Dollar veranschlagt. Das Jahr der höchsten Militärausgaben der NATO war 1990 mit 503,9 Milliarden Dollar.

Im gleichen Zeitraum sanken die Militärausgaben der USA von 293,1 Mrd. Dollar auf veranschlagte 273 Milliarden Dollar für 1997. Ein Rückgang von 6,9 Prozent.4

Eine Untersuchung des Bonner Konversionsinstitutes belegt, dass überhaupt nur 86 von 156 untersuchten Ländern im letzten Jahrzehnt ihren Militärhaushalt verringerten, 60 haben ihn im gleichen Zeitraum erhöht und 10 ließen ihn stabil.5

Drei Viertel des Rückgangs dürften also auf das Konto Russlands und der anderen SU-Nachfolgestaaten gehen. Was in der globalen Übersicht als weltweiter Abrüstungsprozess erscheint, stellt sich damit bei näherem Hinsehen eher als »Entwaffnung der Verlierer« im Kalten Krieg dar. Da es sich um einen ökonomischen und nicht um einen militärischen Sieg handelte, blieb die Aufgabe der (teilweisen) Entwaffnung dem Verlierer selbst überlassen.

Die globale Übersicht lässt (notwendigerweise) auch einen zweiten Aspekt außer Acht: Die Tatsache, dass die Reduzierung der Rüstungsausgaben in den hochentwickelten Ländern – und hier wiederum vor allem den NATO-Staaten – mit einer Veränderung der Militärstrategien, mit Rationalisierungsprozessen in der Rüstungsindustrie und mit einer Revolution der Militärtechnologie (RMA, C4I) einhergeht. So ist also auch bei reduzierten Kosten eine Erhöhung der Feuerkraft und militärischer Effektivität möglich.

Dominanz von USA
und NATO

Die NATO-Staaten dürften heute rund drei Mal so viel in Rüstung investieren wie alle sogenannten »Feindstaaten« von Russland über Irak bis China zusammengenommen. Sie leisten sich mit ihren 11 Prozent der Weltbevölkerung ca. 56 Prozent der Rüstungsausgaben und bestreiten über 80% des Waffenhandels.

Statt nach dem Kalten Krieg die Konversion der Rüstungsindustrie zu forcieren, setzte die Clinton-Regierung zuerst einmal stärker auf Rüstungsexporte. So billigte sie 1993 Waffenexporte in einem Umfang von rund 36 Milliarden Dollar, eine Steigerung um ca. 100 Prozent gegenüber denen der Bush-Regierung 1992.6

Der Conversion Survey 1998 des BICC stellt dazu fest, dass die Clinton-Regierung 1993 zwar einen Konversionsplan im Umfang von 20 Mrd. Dollar ankündigte, aber schon 1994 begann, daran Abstriche zu machen. „Inzwischen wird »dual use« Technologie nur noch gefördert, wenn der militärische Nutzen eindeutig im Vordergrund steht. Parallel dazu begann die Regierung Clinton auch, die Konzentration der Rüstungsindustrie zu beschleunigen, zum Beispiel durch die Erstattung der Kosten von Firmenzusammenschlüssen und die verstärkte Förderung von Rüstungsexporten.“7

Die Doppelstrategie der Anpassung an einen (zumindest zeitweise) weniger aufnahmefähigen Rüstungsmarkt bei gleichzeitiger Sicherung der globalen Vormachtstellung bezeichnet Jürgen Bruhn in seinem Buch »Der Kalte Krieg oder: Die Totrüstung der Sowjetunion« mit dem Slogan: „Lieber fusionieren als konvertieren“.

In der Praxis sieht das so aus: 1996 übernahm der Luftfahrtriese Boeing den Konkurrenten McDonnel Douglas und das Rüstungsgeschäft von Rockwell International. Geschätzter Jahresumsatz 48 Mrd. Dollar. Raytheon hat sich durch Zukäufe von Hughes Electronics und Texas Instruments auf einen Umsatz von 21 Mrd. Dollar katapultiert. Im Juli 1997 wollte Amerikas größter Luft- und Raumfahrtkonzern Lockheed Martin für 11,6 Mrd. Dollar den kalifornischen Rivalen Northrop Grumman übernehmen.8

Doch im Frühjahr 1998 trat plötzlich und in krassem Widerspruch zu der bis dato verfolgten Fusionssubventionierungspolitik die US-Regierung als Übernahmegegner auf den Plan. Das Verteidigungs- und das Finanzministerium reichten Klage gegen den Deal ein, weil sie nationale Sicherheitsinteressen bedroht sahen. „Bei dieser Fusion geht es nicht nur um Dollars und Cents. Hier geht es um das Gewinnen von Kriegen und um die Rettung von Leben“, erklärte Justizministerin Reno.9 Die Regierung wollte nach eigenen Aussagen ein Monopol bei der Produktion von Kampfflugzeugen und ihrer Ausstattung mit Elektronik verhindern. Lockheed hätte zusätzlich eine beherrschende Stellung auf einigen Feldern der Raketenabwehr bekommen.

Die NATO-Länder und insbesondere die USA haben die Situation nach der Selbstauflösung des Warschauer Paktes genutzt, um ihre totale militärische Überlegenheit über jeden denkbaren Gegner zu festigen und den Weltrüstungsmarkt zu ihren Gunsten neu zu ordnen. Diese Machtposition weiter auszubauen ist das erklärte Ziel der US-Regierung. „Wir wollen, daß unsere Streitkräfte bis ins nächste Jahrhundert die bestausgerüsteten der Welt bleiben“, erklärte Clinton im Rundfunk.10

Die mittelfristige Finanzplanung des US-Verteidigungsministeriums sieht entsprechend aus. Für das Jahr 2000 ist ein Militärhaushalt von 275,9 Milliarden Dollar vorgesehen (2001: 283,8 Mrd. / 2002: 287,1 Mrd. / 2003: 297,1 Mrd.).11

Zu Jahresbeginn kündigte Clinton aber bereits für den Haushalt 1999/ 2000 eine Erhöhung um 12 Milliarden Dollar an, Einstieg in ein Sechs-Jahres-Programm in Höhe von 100 Milliarden Dollar, aus dem die Erhöhung des Wehrsolds, vor allem aber neue Waffenprogramme finanziert werden sollen.

Europäisierung der Rüstungsindustrie?

Mit der Auflösung des östlichen Militärbündnisses und der Feststellung einer fehlenden militärischen Bedrohung im Bundeswehr-Weißbuch 1994 hat sich hierzulande auch die Möglichkeit aufgelöst, neue Rüstungsprojekte generell mit sowjetischer Überlegenheit und westlichen Ausrüstungslücken zu begründen. Das führte in der Vergangenheit bereits zu bizarren Varianten der Bedrohungslegende. Eine davon lieferte 1994 der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann: „Hohe und höchste Qualität in vielen Bereichen der Rüstungsplanung ist dagegen unverändert wichtig, denn mit dem Ende des Ost-West-Konflikts hat die Proliferation modernster Waffentechnologie sogar noch zugenommen. Konnten wir im Ost-West-Konflikt darauf setzen, dass es Bereiche gab, in denen unsere Kontrahenten technologisch unterlegen waren, so müssen wir heute damit rechnen, gegen exportiertes westliches oder östliches Material oder gegen Kombinationen aus beiden im Duell bestehen zu müssen.“12

In Europa werden Rüstungsprojekte immer häufiger mit dem Interesse am Erhalt der nationalen Rüstungskapazitäten und mit dem Argument begründet, eine US-Dominanz abwehren und europäische Unabhängigkeit sichern zu müssen. So warnte Helmut Kohl als Bundeskanzler auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 1998 vor der Übermacht der amerikanischen Rüstungskonzerne. „Unser Bekenntnis zum freien Wettbewerb verträgt sich nicht mit der Entstehung von Monopolen.“13

Professor Hacke von der Bundeswehr-Universität in Hamburg hielt auf dem Petersberger Forum im Frühjahr 1998 einen Vortrag mit dem Titel: »Der schöne Schein der Freundschaft – Trügt das Bild?« Darin kam er zu dem Schluss: „Es gibt weniger ein Auseinanderdriften des transatlantischen Bündnisses, vielmehr schreiten die Amerikaner einfach über Europa hinweg.“14

In der Zeitschrift »Soldat und Technik« Nr. 2/96 begründet ein Referent der Hauptabteilung Rüstung des Bundesverteidigungsministeriums, warum für den Eurofighter die Beschaffung amerikanischer Mittelstreckenlenkflugkörper (AMRAAM) nicht in Frage kommt. Der Autor legte „Wert darauf, den Appell eines Mitarbeiters eines bedeutenden amerikanischen Rüstungsunternehmens zu kommentieren, der die Auffassung geäußert hat, dass der Realisierung von transatlantischen – d.h. US-Europäischen-Rüstungsprogrammen die Zukunft gehöre. Im Prinzip möchte der Autor, der viele Jahre seines Berufslebens diesem Anliegen gewidmet hat, einem solchen Ansatz ohne Vorbehalt zustimmen. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Europäer – und insbesondere die Deutschen – ihre Anstrengungen seit Beginn der Zusammenarbeit im NATO-Rahmen auf dieses Ziel gerichtet haben, dass aber die meisten Bemühungen um gleichberechtigte partnerschaftliche Rüstungskooperationen vergeblich waren. Wenn eine Zusammenarbeit überhaupt einmal über die erste Programmphase … hinaus gekommen war, mündete sie schließlich immer in eine Senior-Junior-Partnerschaft. Wer dabei der Senior war, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Warum sollte sich in Zukunft – so meint der Autor – an diesem Verhältnis etwas ändern, gerade jetzt, wo der zu verteilende »Kuchen« immer kleiner geworden ist und wo amerikanische Firmen, die sich zu gigantischen Konzernen zusammengeschlossen haben, um die noch verbliebenen Kuchenstücke mit allen Mitteln kämpfen?“

Bei der Bewaffnung des Eurofighters mit Lenkflugkörpern, bei der Beschaffung eines Militärtransporters oder beim künftigen Transportpanzer versuchen die Europäer und namentlich deutsche Industrievertreter die US-Konkurrenz draußen zu halten mit dem Verweis auf die notwendige Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie und der Gefahr der Behinderung von Exporten bei US-Beteiligungen.

Im Dezember 1997 beauftragten die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands ihre nationalen Industrien, sich zu einem europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern zusammenzuschließen. Im März 1998 verfassten die vier Airbus-Partner DASA, Aerospatiale (F), CASA (Spanien) und die British Aerospace einen gemeinsamen Bericht, wonach sie nicht nur den militärischen Flugzeugbau, sondern alle Sparten ihres Geschäftes – Verkehrs- und Militärflugzeuge, Zivil- und Militärhubschrauber, Lenkwaffen und Raumfahrtausrüstung zu einem Euro-Konzern, einer European Aerospace and Defence Company zusammenfassen wollten. Seither tobt der Kampf um die Kommandohöhen im künftigen Superrüstungskonzern.

Zum ersten Zusammenprall kam es auf einem Treffen der Verteidigungsminister im Juli 1998, als es um die Organisationsform des Konzerns ging. Der britische Verteidigungsminister schlug vor, das Unternehmen um das Eurofighter-Konsortium herum aufzubauen. Dort ist Frankreich bekanntlich gar nicht beteiligt, weshalb der französische Verteidigungsminister auch von Betrug sprach. Er schlug im Gegenzug vor, eine Militärsparte bei Airbus Industries zu gründen. Hier sind die französische Aerospatiale und die DASA mit jeweils 37,7 Prozent beteiligt, die Briten nur mit 20 Prozent. Nach Aussagen des französischen Verteidigungsministers ist der eigentliche Streitpunkt die Rolle der Deutschen. „In diesen Verhandlungen zu dritt ist es nicht selbstverständlich, den Deutschen die Führung einer Industriesparte zu geben. Andererseits ist es aus Sicht der Deutschen aber auch nicht selbstverständlich zu akzeptieren, dass alle Sparten von Franzosen oder Briten geleitet werden.“ (FAZ 9.7.98)

Zwar betonen alle beteiligten Unternehmen und Regierungen, dass es mit Blick auf die US-Konkurrenz bei der Eroberung von Weltmarktanteilen keine Alternative zu einem europäischen Zusammenschluß gebe, zunächst versucht aber jeder Partner/Konkurrent sich in die günstigste Startposition zu manövrieren. Das Stichwort dazu heißt »nationale Konsolidierung«. In Deutschland ist nach dem Erwerb der Siemens-Rüstungselektronik durch die DASA fast die ganze Branche unter den Daimler-Chrysler-Sternen vereinigt. Es fehlt noch der zur Diehl-Gruppe gehörende Lenkwaffenproduzent Bodenseewerk Gerätetechnik (BGT).

In Frankreich wird der einst mehrheitlich staatliche Rüstungskonzern Thomson-CSF an ein Konsortium angebunden, zu dem die Privatunternehmen Alcatel und Dassault, sowie der staatliche Luft- und Raumfahrtkonzern Aerospatiale gehören. Die französische Regierung begründet diesen Schritt ausdrücklich mit der Notwendigkeit, Thomson-CSF langfristig vor feindlichen Übernahmen zu bewahren.

Jüngster Coup ist die geplante Fusion von British Aerospace mit dem Elektronik- und Rüstungskonzern GEC. Monatelang war die französische Industrie mit Gerüchten über einen Zusammenschluß von DASA und BAe unter Druck gesetzt worden. Jetzt bevorzugt auch British Aerospace eine nationale Konzentration, um das eigene Gewicht in einem künftigen Euro-Konzern zu erhöhen.15

Mit dem Eurofighter auch an den Golf?

Einer der lukrativsten Rüstungs-Märkte ist der für Kampfflugzeuge. In den nächsten 20 bis 30 Jahren wird weltweit ein Absatz von 800 Maschinen für möglich gehalten. Diese Zahl schließt die USA, China, Russland und die vier Eurofighter-Partnerländer Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien nicht ein. Eurofighter will davon mehr als die Hälfte für sich erobern. Der erste Kunde soll Norwegen werden. Um dem Konkurrenten Lockheed-Martin Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde den Skandinaviern angeboten, fünfter Partner beim Eurofighter zu werden. Norwegen soll zunächst rund 35 Maschinen kaufen und langfristig nochmals 50 bis 60.

Die Eurofighter-Konzerne haben inzwischen die Märkte unter sich aufgeteilt: Alenia (I) ist für Brasilien, Philippinen, Südafrika zuständig, British Aerospace für Australien, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrein, Kanada, Kuwait, Malaysia, Saudi Arabien, CASA (Spanien) für Südkorea, Chile, Thailand, Türkei und die DASA für Norwegen, Griechenland, Belgien, Dänemark, Niederlande, Polen, Ungarn und Tschechien.

Im Frühjahr 1997 hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Fuchs die Bundesregierung nach Exportvorhaben für den Eurofighter gefragt. In der Antwort wurde erklärt, „dass sich die an dem Projekt beteiligten Staaten in einem Grundsatzmemorandum verständigt hätten, dass grundsätzlich kein Teilnehmerstaat einen anderen am Verkauf/Export von Produkten und Systemen aus dem gemeinsamen Programm an Dritte hindern darf. Es sei jedoch vorgesehen, dass der betroffene Teilnehmerstaat aus ernsthaften nationalen Gründen und nach Konsultation der Programmpartner seiner nationalen Industrie die Exportgenehmigung versagen kann. In diesem Fall müsse aber sichergestellt werden, dass der Exporteur die Möglichkeit erhalte, die Gegenstände anderweitig herstellen zu lassen.“16

Gleich für den Export mit geplant wird auch bei anderen europäischen Großvorhaben. Beim zukünftigen Transportflugzeug FLA/FTA (Future Large/Transport Aircraft) wird neben dem Bedarf von sieben NATO-Staaten (inclusive Türkei) auch mit einem weltweiten Absatz von weiteren 400 Maschinen gerechnet. FLA könnte in Deutschland zum ersten rot-grünen Rüstungsprojekt werden. Verteidigungsminister Scharping hat sich bereits für eine Anschaffung ausgesprochen.

Beim Projekt Gepanzertes Transportfahrzeug (GTK) geht es um 3.000 Exemplare für die Bundeswehr zur Ausrüstung der Krisenreaktionskräfte und als Ersatz für veraltete amerikanische M 113, „einige weitere tausend“ für Großbritannien, Frankreich und die Niederlande und darüber hinaus um einen weltweiten Absatzmarkt von rund 20.000 Fahrzeugen in den nächsten Jahren.17

Besonders interessante Märkte für Waffenproduzenten sind der Mittlere Osten und Süd-Ostasien. Beide Regionen sind die Hauptimporteure von Großwaffen und haben in den letzten 10 Jahren ihre Rüstungskäufe um rund 25 Prozent gesteigert.

Gilt Saudi-Arabien als treuester Partner der USA am Golf (Rüstungshaushalt 1997 rund 18 Mrd. Dollar, davon allein 11 Mrd. für Waffenkäufe im Ausland), so richten sich europäische Interessen vor allem auf die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Emirate, die über rund 65 Prozent der Welterdölvorräte verfügen, wollen in den nächsten 3-5 Jahren Waffenkäufe im Gesamtwert von 75 Milliarden Dollar tätigen.18 Die DASA ist in Abu Dhabi mit einem eigenen Büro vertreten. Die Bundesregierung hat 1997 eine Regierungsvereinbarung über die Zusammenarbeit bei Rüstungsforschung, Entwicklung, Erprobung und künftigen Beschaffungsvorhaben unterzeichnet.

Im asiatisch-pazifischen Raum sehen Experten der Rüstungsindustrie gewaltige Absatzchancen für U-Boote, Kampfflugzeuge, Flugabwehrsysteme, Systeme zur elektronischen Kampfführung, Kampfhubschrauber, Transportflugzeuge, Kampfpanzer, Schnellboote und etliches mehr. In den nächsten Jahren wird mit Waffenkäufen im Wert von 40 Mrd. Dollar gerechnet.

Mit harten Bandagen wird auch um die Märkte in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten gekämpft. Derzeit konkurrieren europäische und US-Firmen z.B. um die Neuausrüstung der polnischen Luftwaffe (langfristig 150-250 neue Maschinen). Während die Amerikaner gebrauchte Kampfflugzeuge offerieren, setzen DASA, BAe und Saab auf ganze Angebotspakete mit Ausbildungshilfen und Beteiligungen der polnischen Industrie an europäischen Programmen. Die europäischen Rüstungskonzerne haben bereits ihr Interesse an der Privatisierung der polnischen Rüstungsindustrie angemeldet.

Anmerkungen

1) SIPRI YEARBOOK 1998 – Military expenditure and arms production, http://www.sipri.se.

2) FR 23.10.98 und Soldat und Technik 1/99.

3) Brzoska/Wulf: Abrüstung und Konversion. Erfolgreich trotz Waffen im Überfluss, in: Sicherheit und Frieden 2/97.

4) NATO-Brief 1/98 und 1/93.

5) Brzoska/Wulf: Abrüstung und Konversion, a.a.O.

6) Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg oder: Die Totrüstung der Sowjetunion, Gießen 1995.

7) BICC Jahrbuch: Conversion Survey 1998 – Zusammenfassung und Empfehlungen, http://bicc.uni-bonn.de.

8) FAZ 04.07.97.

9) FR 25.03.98.

10) Die Welt 04.01.99.

11) Office of the Under Secretary of Defence, National Defense Budget Estimates For FY 1999, März 1998, http://www.defenselink.mil.

12) Klaus Naumann: Die Bundeswehr in einer Welt im Umbruch, Berlin 1994.

13) DASA aktuell März 1998.

14) Soldat und Technik 4/1998.

15) Ausführlicher dazu vgl. Neuber: Auf dem Weg zur Europäisierung der Rüstungsindustrie?, Friedensblätter Baden-Württemberg, Dez 98/ Jan 99.

16) Soldat und Technik 3/1997.

17) Vergleiche IMI-Spezial 9: Das Projekt »GTK«.

18) Wehrtechnik 5/1997.

Arno Neuber ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V..

EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte

EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte

(K)eine Antwort auf die Kleinwaffenproblematik?

von Sibylle Bauer

Während der letzten Jahre findet der Problemkomplex Kleinwaffen bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Akademikern und Politikern zunehmend Beachtung. Die Bandbreite der NGOs, die inzwischen zu verschiedenen Aspekten dieses Themas arbeiten, umfaßt u. a. die Bereiche Menschenrechte, Entwicklung, humanitäre Hilfe sowie Frieden und Abrüstung. Seit etwa einem Jahr nimmt auch die Vernetzung und Koordinierung der Aktivitäten deutlich zu, so daß sogar von einer im Entstehen begriffenen Kleinwaffenkampagne gesprochen wird. In dem Beitrag von Sibylle Bauer geht es um eine dieser Initiativen, konkret um den am 25.5.1998 von den EU-Außenministern beschlossenen EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte. Ein solcher Kodex gehört als Möglichkeit zur Einschränkung und besseren Kontrolle von Kleinwaffenexporten seit Langem zu den Standardforderungen vieler NGOs.

Es ist zum Allgemeinplatz geworden, daß heute primär oder ausschließlich Kleinwaffen1 in gewaltsamen Konflikten eingesetzt werden. Diese Waffen sind billig, lange funktionsfähig, im Übermaß verfügbar, leicht zu handhaben (auch von Kindern), leicht zu transportieren und erfordern wenig Wartung. Auswirkungen der Proliferation von Kleinwaffen sind inzwischen weithin anerkannt: die Verlängerung gewaltsamer Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, humanitäre Krisen, sie erschweren die Suche nach gewaltfreier Konfliktlösung etc. Weitaus langsamer als das Ausmaß an Wissenszuwachs und politischer Rhetorik ist jedoch die Einleitung konkreter Schritte zur Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse fortgeschritten. Die Komplexität der Kleinwaffenproblematik und die spezifischen Charakteristika der Angebots- und Nachfrageseite, der innenpolitischen, regionalen und internationalen Dimensionen und des legalen und illegalen Handels erfordert ein breites Spektrum an Konzepten und Programmen zur Problemlösung. In den letzten Jahren gibt es eine Reihe neuer politischer Initiativen im Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle, in deren Folge auch der von den EU-Außenministern beschlossene Verhaltenskodex für Rüstungsexporte gesehen werden kann. Doch welche praktische Bedeutung hat dieser Kodex für die Kleinwaffenproblematik wirklich?

Grundzüge des EU-Verhaltenskodexes

1991/92 hat der EU-Ministerrat erstmals acht gemeinsame Kriterien für Rüstungsexporte beschlossen, die jedoch völlig unverbindlich und äußerst vage formuliert sind. Auf Grundlage dieser Kriterien erarbeitete eine Gruppe britischer NGOs einen Entwurf für einen EU-Verhaltenskodex.2 Dieser besteht aus einer detaillierten Interpretation der acht Kriterien und einer Reihe zusätzlicher Maßnahmen, v.a. im Bereich der parlamentarischen Kontrolle und öffentlichen Transparenz von Rüstungsexporten. Hinter der NGO-Initiative steht somit das Bestreben, angesichts der zunehmenden Europäisierung der Rüstungsindustrie und des Wegfalls der Binnengrenzen, eine Aushebelung restriktiverer nationaler Rüstungsexportkontrollen zu verhindern. Gemeinsame europäische Rüstungsexportrichtlinien auf hohem Niveau sollen zur Verhinderung gewaltsamer Konflikte, zur Beachtung der Menschenrechte und zur Förderung nachhaltiger Entwicklung beitragen.

Seit Februar 1998 wird im zuständigen Gremium des EU-Ministerrats, der Arbeitsgruppe für konventionelle Waffen (COARM), konkret über einen Verhaltenskodex verhandelt.3 Das schließlich Anfang Juni 1998 verabschiedete Dokument besteht, neben einer Präambel, aus zwei Teilen: einer expliziten Formulierung der »Acht Kriterien« von 1991/92 und einer Reihe von operativen Maßnahmen. Die Kriterien umfassen folgende Punkte:

  • Die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten (Rüstungskontrollabkommen, Embargos etc.).
  • Die Achtung der Menschenrechte.
  • Die innere Lage im Endbestimmungsland, als Ergebnis von Spannungen oder bewaffneter Konflikte.
  • Erhalt von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region.
  • Die nationale Sicherheit der Mitgliedsstaaten sowie der befreundeten und verbündeten Länder.
  • Das Verhalten des Käuferlandes gegenüber der internationalen Gemeinschaft (Haltung zum Terrorismus, Einhaltung des Völkerrechts etc.).
  • Das Risiko der Umleitung der Ausrüstung im Käuferland oder der Wiederausfuhr unter unerwünschten Bedingungen.
  • Die Vereinbarkeit der Rüstungsexporte mit der technischen und wirtschaftlichen Kapazität des Empfängerlandes.

Die operativen Bestimmungen enthalten u.a. ein Verfahren zur Unterrichtung über abgelehnte Exporte und die jeweiligen Ablehnungsgründe. Wenn ein Mitgliedsstaat beabsichtigt, die Genehmigungsverweigerung eines anderen Staates zu unterlaufen (undercutting), sollen bilaterale Konsultationen stattfinden. Die Ausfuhr kann durch einen anderen EU-Staat letztendlich dennoch erfolgen, muß aber begründet werden. Darüber hinaus ist die Erstellung vertraulicher nationaler Berichte über Rüstungsexporte sowie die Umsetzung des Kodexes vorgesehen. Im Rahmen eines jährlichen Treffens auf intergouvernementaler Ebene sollen die Berichte wie auch Nachbesserungsvorschläge für den Kodex diskutiert werden.

Relevanz des EU-Verhaltenskodexes für Kleinwaffentransfers

Ein EU-Verhaltenskodex kann sich per Definition nur auf einen Aspekt der Kleinwaffenproblematik auswirken: legale Transfers aus den EU-Mitgliedsstaaten. Das Ausmaß des illegalen Waffenhandels ist beträchtlich, genauere Angaben sind aufgrund der Natur der Sache nicht möglich. Hinzu kommt die leichte Verfügbarkeit von Kleinwaffen. Da diese bereits in Massen vorhanden und lange funktionsfähig sind, würde selbst ein Produktionsstop keine schnelle Lösung darstellen. Die Zahl der Anbieter ist zudem ungleich höher als bei schwereren Waffen, so daß sich bei Exportverweigerung eines EU-Staates problemlos ein anderer Anbieter mit weniger strengen Exportkontrollen finden lassen dürfte. Viele Lizenzen für die Produktion von Kleinwaffen wurden – u.a. von der Bundesrepublik – schon vor Jahrzehnten auch an Entwicklungsländer vergeben. So werden z.B. Heckler und Koch Gewehre heute in einer ganzen Reihe von Staaten in Lizenz produziert. Letztendlich ist ein Exportkodex auf den Angebotsaspekt beschränkt. Dies macht deutlich, daß von Seiten der EU-Staaten eine ganze Bandbreite von Maßnahmen beschlossen bzw. wenn sie beschlossen wurden, auch umgesetzt werden müssen.4

Die praktische Relevanz des EU-Kodexes in seiner gegenwärtigen Form ist jedoch nicht nur durch die aufgeführten inhärenten Grenzen beeinträchtigt – theoretisch könnte er weitaus mehr leisten. Aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen und Traditionen in den EU-Mitgliedsstaaten ist auf Basis des Konsensprinzips innerhalb der »Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik« (GASP) ein Dokument voller Schlupflöcher entstanden. Es fehlen genau die Elemente und Formulierungen, welche die Vereinbarung zu einem effektiven Instrument restriktiver Rüstungsexportpolitik machen würden.5 Die vielen Schwächen zeigen, daß der Kodex weder verbindlich, restriktiv, überprüfbar, noch umfassend ist.

Rechtliche Verbindlichkeit

Der Kodex ist eine Erklärung des Rates. Sie ist rechtlich nicht verbindlich. Verzichtet wird auf die Verabschiedung als politisch verbindlichere »gemeinsame Position«. Es bestehen keine Sanktionsmechanismen im Falle einer Nichteinhaltung des Kodexes.

Überprüfbare restriktive Kriterien

Die Erläuterungen lassen noch immer einen beträchtlichen Spielraum für Interpretation und Anwendung. Es wird zwar eine Reihe von Faktoren benannt, die bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden müssen, doch welche Konsequenzen für die Vergabe von Exportlizenzen konkret gezogen werden, können letztlich die jeweiligen nationalen Behörden entscheiden. Dies ist um so problematischer, weil unzureichende Transparenzmechanismen vereinbart wurden. Diese verhindern die Überprüfung, inwiefern die Interpretationsspielräume tatsächlich ausgenutzt werden. Der v.a. von Schweden unterstützte Vorschlag, die Umsetzung der Kriterien parlamentarischer und öffentlicher Kritik auszusetzen, hat keinen Konsens gefunden.

NGOs kritisieren zudem eine Reihe von Schlupflöchern, beispielsweise in den Menschenrechtskriterien. Diese sind von besonderer Bedeutung für Kleinwaffen, die häufiger zu Menschenrechtsverletzungen und gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden als z.B. Kriegsschiffe. Nur „wenn eindeutig das Risiko besteht“ , daß die gelieferten Güter zur „internen Repression“ verwendet werden, darf keine Exportgenehmigung erteilt werden. Auch Rüstungsexporte an Staaten, in denen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen werden, sind weiterhin erlaubt, nur soll bei der Erteilung von Exportgenehmigungen „besondere Vorsicht und Wachsamkeit“ ausgeübt werden.

Parlamentarische Kontrolle und öffentliche Transparenz

Der Kodex sieht keinerlei Beteiligung von Legislative und Öffentlichkeit vor, weder beim vorgesehenen Informationsaustausch noch bei der Überprüfung und möglichen Verbesserung des Kodexes. Der einzige explizite Bezug auf Transparenz ist sehr unverbindlich: die „Verstärkung des Austausches relevanter Informationen mit dem Ziel, größere Transparenz zu erreichen.“ Damit wird Transparenz lediglich als Zukunftsziel benannt, für die Gegenwart aber offensichtlich abgelehnt.

Transparenz in bezug auf Vergabe und Verweigerung von Exportlizenzen ist jedoch die Voraussetzung für eine parlamentarische und öffentliche Diskussion. Eine parlamentarische Kontrolle über Rüstungsexporte ist zudem nur durch eine Vorabinformation möglich, wie dies in Schweden und den USA praktiziert wird. Derartige Regelungen wären insbesondere in Deutschland von Bedeutung, da hier das Demokratiedefizit in bezug auf den Rüstungsbereich besonders stark ausgeprägt ist. So legt die Bundesregierung dem Parlament nicht einmal einen jährlichen Bericht über Rüstungstransfers vor, wie dies (mit sehr unterschiedlicher Aussagekraft) in den meisten EU-Staaten der Fall ist bzw. angekündigt wurde. Parlament und Öffentlichkeit erhalten über deutsche Rüstungsexporte bislang nur Auskunft, wenn eine der Bundestagsfraktionen eine entsprechende Anfrage an die Regierung stellt. Oft mangelt es den Antworten der Bundesregierung dann aber auch noch an konkreten Angaben über Empfänger und gelieferte Waren, da solche Angaben nach deutschem Recht Geschäftsgeheimnis der Firmen sind. Details über den Export von Kleinwaffen s<2>ind daraus nicht erschließbar.<0>

<2>Mit dem EU-Kodex muß die Bundesregierung erstmals einen Rüstungsexportbericht erstellen. Offen ist jedoch, ob der deutsche Bericht öffentlich gemach<0>t und damit auch vom Bundestag bzw. in den zuständigen Ausschüssen debattiert werden wird. Offen ist auch, inwieweit der Bericht über die begrenzten Mitteilungen an das UN-Waffenregister6 hinausgehen wird. Das Register umfaßt lediglich sieben Kategorien größerer konventioneller Waffen, aber keine Kleinwaffen. Transparenz im Kleinwaffenbereich ist allgemein noch geringer als bei schwere<2>re<0>n Waffen. Weder regierungsamtliche Berichte noch Statistiken der Forschungsinstitute SIPRI und IISS enthalten entsprechende (detaillierte) Angaben.

Intergouvernementale Transparenz

Über die Schlüsselfrage, den Inhalt und damit die Aussagekraft der vorgesehenen nationalen Berichte konnte keine Einigung erzielt werden. Nationale Berichte enthalten bisher eher lückenhafte oder gar keine detaillierten Informationen über Stückzahlen, Kategorie und Typ der gelieferten Waffen, ihre Empfänger, den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der tatsächlichen Lieferung, die Finanzierungsbedingungen/Bürgschaften etc. Keiner der EU-Staaten stellt bisher aussagekräftige Angaben zu Kleinwaffen zur Verfügung.

Umfassende multilaterale Konsultationsmechanismen

Das vorgesehene Notifikationsverfahren über das Unterlaufen von Genehmigungsverweigerungen stellt eine bemerkenswerte Neuerung dar. Nur umfassende Konsultationsmechanismen auf der Basis restriktiver Kriterien können jedoch das altbekannte Argument entwerten: „Wenn wir nicht liefern, liefern die anderen.“ Um zu verhindern, daß der Kodex national unterschiedlich umgesetzt wird und insbesondere sensitive Exporte unbemerkt vonstatten gehen, sind rechtzeitige Information und Konsultationen zwischen allen Mitgliedsstaaten über Ablehnung sowie Genehmigung von Ausfuhranträgen erforderlich. Zudem fehlt die Festlegung einer Frist für die Notifikation über Exportverweigerungen. Die Regelung kann also durch rasches Beantragen einer Genehmigung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat möglicherweise unbemerkt umgangen werden. Ferner basieren die Angaben bis zur Einigung auf gemeinsamen Kontrollisten auf unterschiedlichen nationalen Listen. Nicht nur der öffentliche Zugang zu relevanten Daten, sondern auch der vertrauliche Informationsaustausch zwischen den Regierungen ist somit sehr begrenzt.

Gemeinsame Kontrollisten

Bisher kann auch keine Einigung darüber erzielt werden, auf welche Rüstungsgüter der Kodex Anwendung finden soll. Vor allem Frankreich, der Hauptgegner eines effektiven Kodex, spricht sich gegen eine Verwendung der relativ umfassenden Wassenaar-Liste aus. Deshalb wird bis zu einer möglichen späteren Einigung innerhalb von COARM auf die jeweiligen, mehr oder weniger lückenhaften, nationalen Kontrollisten zurückgegriffen. NGOs fordern, daß gemeinsame Listen alle Rüstungsgüter umfassen (inklusive Kleinwaffen, Munition, Ausrüstungs- und Ausbildungshilfen) sowie für Militär, paramilitärische Gruppen und Polizei bestimmte Dual-Use-Güter und ausdrücklich auch auf Lizenzproduktion zutreffen. Zudem soll eine Liste von Rüstungsgütern bzw. Unterdrückungstechnologie vereinbart werden, deren Export verboten ist, wie z.B. Landminen und Elektroschlagstöcke.7 Eine derartige Liste wird gegenwärtig in EU-Kommission und Rat diskutiert.

Wichtige Fragen blieben ausgeklammert

Folgende Elemente wurden in den Verhandlungen nicht einmal als Optionen eingebracht:

Wirksame Endverbleibskontrollen und Verbot des ungenehmigten Weiterexports

Vereinbarungen über den Endverbleib der Exporte sollen rechtlich verbindlich sein und deren Einhaltung durch Verifikationsmechanismen überprüft werden. Darüber hinaus soll vertraglich festgeschrieben werden, daß ein Weiterexport ohne Genehmigung des Lieferlandes ausgeschlossen ist – auch dann, wenn die Waffen nach jahrelanger Benutzung als Überschuß weiterverkauft oder auch verschenkt werden sollen. Der Endverbleib von Kleinwaffen ist besonders wichtig, aber schwerer verifizierbar. Aufgrund ihrer langen »Lebensdauer« und hohen »Mobilität« sind Kleinwaffen auch nach Beendigung von gewaltsamen Konflikten jahrzehntelang einsetzbar und werden häufig von einem Krisengebiet zum nächsten transferiert. In diesem Zusammenhang sind auch verstärkte Bemühungen sinnvoll, die Traceability von Waffen, d.h. die Verfolgbarkeit der Wege, durch Maßnahmen zu erhöhen, die v.a. in Zusammenhang mit Initiativen zur Bekämpfung des illegalen Waffenhandels diskutiert werden. Ein Weg könnte z.B. in der Verbesserung von Markierungen und Registrierungen von Waffen bestehen.

Kontrollmechanismen für die Weitervermittlung von Waffengeschäften

Die Problematik der Weitervermittlung von Waffengeschäften (Brokering) ist durch den Skandal um die Beteiligung der britischen Söldnerfirma »Sandline International« an Lieferungen von Kleinwaffen von Bulgarien nach Sierra Leone in die öffentliche Debatte geraten. Die Kontrolle der Vermittlung von Rüstungsgeschäften durch Einzelpersonen oder Firmen innerhalb der EU ist unzureichend. Entsprechende Vorschläge von NGOs sind die Einrichtung eines EU-weiten Registers für Waffenhändler und die Einführung einer Genehmigungspflicht für derartige Waffengeschäfte.

Ausblick

Der Kodex könnte eine Reihe von Lösungsansätzen zur effektiven Kontrolle und Beschränkung von Kleinwaffenexporten aus der EU beinhalten, insbesondere in bezug auf die dringend erforderliche Transparenz. In seiner gegenwärtigen Fassung stellt der Kodex jedoch lediglich ein Rahmenwerk dar, in dem die wesentlichen Schlüsselelemente fehlen. Es ist anzunehmen, daß er eher deklarativen Charakter als substantiellen Einfluß auf Umfang und Empfänger von EU-Rüstungsexporten haben wird. Doch zumindest macht die vorgesehene jährliche Überarbeitung diesen Themenkomplex zu einem regelmäßigen Tagesordnungspunkt des Rates. Es gilt nun, das Potential des Dokuments möglichst frühzeitig für eine kontinuierliche Fortschreibung im Sinne restriktiver, transparenter und effektiver Rüstungsexportkontrollen der EU-Staaten zu nutzen. Die Überprüfungsnotwendigkeit bezieht sich zum einen auf allgemeine Schwächen des Kodexes, die auch auf Kleinwaffen zutreffen, zum anderen auf kleinwaffenspezifische Maßnahmen. Zu letzteren gehört z.B. die Transparenz der Wege durch entsprechende Markierungen, ein bisher vernachlässigter Bereich. Auch ist noch vor einer Überprüfungskonferenz zu klären, ob gemeinsame Kontroll-Listen die volle Bandbreite an Rüstungsgütern, inklusive Polizeiausrüstung enthalten werden und ob die EU-Regierungen in den zu verfassenden Berichten erstmals detaillierte Angaben zu Kleinwaffentransfers zur Verfügung stellen müssen. Erstmals nachgebessert werden kann der Kodex im Juni 1999, während der deutschen EU-Präsidentschaft. Die Bundesregierung ist im Rahmen der UNO positiv als Initiator von Resolutionen und Unterstützer von Initiativen im Kleinwaffenbereich aufgetreten. Es wird sich zeigen, ob sie diese Vorreiterrolle auch im Rahmen der Entwicklung des EU-Kodexes einnehmen wird.

Anmerkungen

1 Es gibt unterschiedliche definitorische Abgrenzungen des Begriffs Kleinwaffen. In diesem Artikel wird auf folgende häufig verwendete, relativ anschauliche Erläuterung zurückgegriffen: Alle Waffen, die von ein oder zwei Personen oder einem leichten Fahrzeug transportiert werden können, sowie Munition. Zurück

2 British American Security Information Council, BASIC, Saferworld und World Development Movement, WDM, A European Code of Conduct on the Arms Trade, Januar 1995. Zurück

3 Zum Verhandlungsprozeß und den nationalen Positionen vgl. ami, Berlin, Juli 1998. Zurück

4 Vgl. z.B. Owen Greene, Tackling light weapons proliferation: Issues and priorities for the EU, Saferworld Report, London, April 1997. Zurück

5 Vgl. z.B. Amnesty International, BASIC, Oxfam and Saferworld: Proposals for an Effective Code of Conduct on the Arms Trade, London, Februar 1998; Eurostep, Position Paper on Arms Exports Control, Brussels 1998, Amnesty International, BASIC, Christian Aid, Oxfam, Saferworld, WDM, The EU Code of Conduct on the Arms Trade: Final Analysis, London, 5 June 1998. Zurück

6 Vgl. http://www.un.org/Depts/dda/Register/Register.htm. Zurück

7 Vgl. Amnesty International et.al. 1998. Zurück

Sibylle Bauer ist Mitarbeiterin bei ISIS Europe (International Security Information Service, Brüssel), einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation, deren Ziel darin besteht, die parlamentarische Kontrolle im Sicherheits- und Verteidigungsbereich durch die Bereitstellung von Dokumenten, Hintergrundinformationen und Analysen zu verbessern.