Rüstungs- und »Dual-use«- Exporte aus Deutschland

Rüstungs- und »Dual-use«- Exporte aus Deutschland*

Probleme und Umfang

von Hendrik Bullens

Auseinandersetzungen um Rüstungs- oder »Dual-use«-Exporte und deren Kontrolle sind nicht neu. Aber spätestens seit 1992/1993 geht es, angesichts massiver Vorstöße und einer Phalanx von Argumenten um eine neue Qualität. Zwar handelt es sich bei dem neuen Regierungsentwurf um juristische Anpassungen an Bestimmungen des Europäischen Binnenmarktes. Im Hintergrund stehen jedoch unverkennbar die sehr viel weiterreichende EU-Harmonisierungsproblematik, die Situation der deutschen wehrtechnischen Industrie und die von ihr erhobenen Forderungen – unter anderem zur Lockerung des deutschen Exportregimes. Dies ist der eigentliche und brisante Kern der teilweise mit großer Polemik geführten Debatten im Deutschen Bundestag seit Ende 1993.

Der entscheidende Punkt scheint mir daher zu sein, ob und inwiefern die Anliegen zur Liberalisierung der derzeit gültigen, vergleichsweise restriktiven Ausfuhrbestimmungen politisch vertretbar, wirtschaftlich unabdingbar und technologisch-wettbewerbsmäßig berechtigt sind – wobei die wesentlichen Argumente zu prüfen und die Folgen eventueller Änderungen abzuschätzen wären.

Zu fragen ist, welchen Sinn es macht, auf der einen Seite strenge, sogar in Grundrechte eingreifende Maßstäbe bei Ausfuhrüberwachungen oder -verstößen anzulegen, und auf der anderen Seite die erlaubten Exporte vereinfachen und damit ausdehnen zu wollen.

Denn gerade in diesem Zusammenhang könnte bisweilen der Eindruck entstanden sein, als ließen sich unerwünschte Implikationen einer Aufweichung der Exportregelung im wesentlichen mit Mitteln des Strafrechts und der geheimdienstlichen oder sonstigen Überwachung verhindern oder drosseln.

Aber so wichtig strenge Kontrolle im Vorfeld sowie Ahndung bei Mißbrauch sind, und so beruhigend der ihr zugrunde liegende Gedanke einer sauberen Trennung von illegalen und legalen Exporten wäre, so sehr ist auch zu befürchten, daß eine solche Unterscheidung mehr Fiktion als Wirklichkeit ist. Zu fließend sind die Übergänge bei den einzelnen Warenkategorien schon heute, und zwar von der Sache wie von den Genehmigungsverfahren und der Kontrollpraxis her.

Verschärft wird das Problem durch weitere Formen des Ineinanderfließens von unerlaubten und erlaubten Ausfuhren: Zum einen durch bestimmte Umgehungspraktiken bei internationalen Kooperationen, zum anderen durch die Koppelung von zivilen und militärischen Geschäften mit Endabnehmern v.a. in außereuropäischen Ländern bzw. nicht-NATO-Staaten.

Auf diese beiden Themenkomplexe: die illegalen und legalen Ausfuhren von Rüstungs- und »Dual-use«-Gütern, einschließlich der Bedeutung der zuletzt genannten für die wehrtechnische Industrie, werden sich die folgende Ausführungen beschränken.

Illegale Ausfuhren

Es scheint nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß Öffentlichkeit und Parlament oft dann erst aufgeschreckt wurden, als Ausfuhrdelikte aufflogen oder man sich plötzlich mit anderen unerwünschten und gefährlichen Seiten der Waffenproliferation (der Terminus wird hier bewußt im erweiterten Sinn, also auch für den konventionellen Bereich verwendet) konfrontiert sah.

So war es beispielsweise beim Falkland-Krieg, als England der vom Westen gelieferten Rüstung gegenüberstand; so war es bei strittigen Lieferungen von Bundeswehr-, NVA-Panzern und anderem Rüstungsmaterial an den NATO-Verbündeten Türkei; so war und ist es immer noch im Falle der Beteiligung deutscher Waffen-, Werkzeug-, Maschinenbau-, Chemie- und Nukleartechnologie an Länder wie etwa Pakistan, Irak, Iran oder Libyen.

Das führte zu den rüstungsexportpolitischen Grundsätzen der Bundesregierung von 1982 oder zum vorübergehenden Lieferstopp für die Türkei, während die Empörung über die Rabta-Affäre eine Verschärfung von Bestimmungen der Außenwirtschaftsverordnung (z.B. § 5d AWV) nach sich zog. Sollte die Halbwertzeit solcher Empörung so kurz gewesen sein, daß, wenn nicht der Geist, so doch die Praxis des »business as usual« bald wieder einkehren konnte?

Von den Leidtragenden hier – horribile dictu – einmal abgesehen, ebenso wie von dem dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zugefügten Schaden, sind für das Thema illegale Ausfuhren und Möglichkeiten, das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und Außenwirtschaftsgesetz (AWG) zu umgehen, die folgenden Phänomene bemerkenswert.

  1. Es ist immer wieder gelungen, derartige Fälle in der Öffentlichkeit als Einzelfall, als bedauerliche und gegebenenfalls zu ahndende Ausnahme darzustellen. Und das, obwohl in den letzten Jahren Dutzende von strafrechtlichen Verfahren abgeschlossen wurden, in Verhandlung oder Vorbereitung sind. Mitte '92 zählte DER SPIEGEL dreißig solcher Verfahren gegen deutsche Firmen, die nachgewiesenermaßen oder im Verdacht standen, allein den Iran unerlaubt mit Rüstungs- und »Dual-use«-Material oder entsprechendem Know-how beliefert zu haben.

Die Darstellung der illegalen sogenannten Einzelfälle als »Schwarze Schafe« hatte den psychologischen und öffentlich wirksamen Effekt, daß von den legalen Rüstungs- und »Dual-use«-Ausfuhren abgelenkt wurde und diese lange Zeit weitgehend an den Rand der Aufmerksamkeit gedrängt wurden.

Dabei ist dieser Komplex, wie die Ereignisse um die Türkei, Indonesien, Taiwan oder Südkorea zeigen, äußerst problematisch und hat auch einen weitaus größeren Umfang als gemeinhin angenommen wird. Rüstungs- und Friedensforscher schätzen das Verhältnis von illegalen zu legalen Ausfuhren aus Deutschland in diesem Bereich auf etwa 1 : 10.

Es wurde bei der strafrechtlichen Behandlung solcher »Affären« auch dem Nichtexperten überdeutlich wie fließend die Grenzen zwischen Kriegswaffen, sonstigen Rüstungsgütern und zivil wie militärisch verwendbaren Technologien sind bzw. gemacht werden können. Dazu einige einschlägige und aktuelle Beispiele:

Im gerade laufenden Prozeß gegen Heckler & Koch war von sachverständigen Zeugen beispielsweise zu erfahren, daß die über eine Zwischenfirma in England an die Vereinigten Arabischen Emirate gelieferten Maschinengewehre bei der Genehmigungsbehörde nicht als Kriegswaffe eingestuft worden waren, da ihnen laut Antragsformulare der Schlagbolzen fehlte. Die nicht komische Pointe: Für das komplette Gewehr wäre eine Genehmigung nach dem strengeren KWKG erforderlich gewesen, während in diesem Fall die sehr viel problemloser erteilte Genehmigung für »Waffen, Munition und Rüstungsmaterial« nach der Ausfuhrliste zur Außenwirtschaftsverordnung (AL-AWV Teil I Abschnitt A) genügte.

Obwohl sehr viele derartige Anträge, auch für Bausätze und Komponenten für Systeme der Kriegswaffenliste (KWL) gestellt wurden, konnten nach Aussagen anderer Zeugen wegen Arbeitsüberlastung außerdem kaum Realkontrollen durchgeführt werden. Man mußte sich bei täglich bis zu hundertfünfzig zu bearbeitenden Anträgen weitgehend auf die Richtigkeit der Firmenangaben verlassen bzw. sich darauf beschränken, die Antragsteller aufzufordern, die Formulare korrekt auszufüllen.

Ähnliches gilt für die gemäß AWV-Ausfuhrliste genehmigungspflichtigen „sonstige(n) Waren und Technologien von strategischer Bedeutung“ (I-C, die typischen »Dual-use«-Güter im engeren Sinne); für Nukleartechnologie der „Kernenergieliste“ (I-B); für „Chemie-Anlagen und Chemikalien“ (I-D) sowie für „Anlagen zur Erzeugung biologischer Stoffe“ (I-E): die letzten drei sind »Dual-use«-Güter im weiteren Sinne. (…)

Die großzügige Genehmigungspraxis belegen die folgenden Zahlen aus dem Bundesministerium für Wirtschaft:

  • Im Jahre 1991 wurden bei einem Gesamtvolumen der AWV-pflichtigen Exportanträge1 in Höhe von knapp 35 Mrd. DM lediglich Genehmigungen im Wert von 1,49 Mrd. DM verweigert; das sind etwa 4,3 %.
  • Im Jahre 1992 waren es bei einer Gesamtantragssumme von etwa 29,5 Mrd. DM Ablehnungen im Wert von nicht ganz 500 Mio.; das waren etwa 1,4 %.
  • Bis 30.09.1993 wurden bei einer Antragssumme von 32,8 Mrd. DM für das 1. bis 3. Quartal '93 Genehmigungen im Wert von etwa 390 Mio. DM verweigert; das entspricht etwa 1,2 % der Antragssumme2.

Auffallend ist nicht nur die niedrige Zahl der Ablehnungen, sondern darüber hinaus der Umstand, daß der ohnehin geringe Umfang der Exportverweigerungen sehr viel stärker zurückging als die entsprechenden Antragssummen in diesem Zeitraum.

Umgehungsgeschäfte

Aber sogar für den Fall, daß ein Ausfuhrverbot klar ausgesprochen wird, findet die Rüstungsindustrie zunehmend Möglichkeiten, auf zwar legale, jedoch mehr als zweifelhafte Weise ein solches Hindernis zu umgehen. Insbesondere ermöglicht die Kooperation mit Partnern eines weniger exportrestriktiven Auslands von dort aus jenen ungehinderten Endabnehmerzugang, der bei einem direkten Export aus Deutschland u.U. blockiert wäre.

Ein Beispiel für solche Art von Umgehungsgeschäften war die Lieferung einer Produktionsanlage über die Niederlande in die Türkei. So hatte der Bundessicherheitsrat, zuständig für den gesamten Umgang mit – also auch Ausfuhren von – Kriegswaffen nach dem KWKG, bekanntlich bereits 1992 eine Lieferung von 18.000 Splittergranaten durch die Liebenauer Niederlassung der deutsch-niederländischen Rüstungsfirma Eurometaal an die Türkei untersagt. Das Verbot wurde damit begründet, daß deren Einsatz im Kurdenkonflikt nicht ausgeschlossen werden könne.

1993 kündigte Eurometaal daraufhin an, den Standort Liebenau (Niedersachsen) bis Ende 1994 zu schließen. Mit Genehmigung des Bundesausfuhramts (BAFA) wurde die M 483 ICM Produktionsanlage dann in die Niederlande transportiert. Von dort aus ging sie Anfang Januar 1994 mit Erlaubnis der niederländischen Regierung, die mit einem Drittel an Eurometaal beteiligt ist, in die Türkei. Dort soll die Anlage in Zusammenarbeit mit dem türkischen Staatsunternehmen MKEK in Kirikkale wiederaufgebaut werden. Auch die niederländische Regierung hatte mit dem Hinweis darauf, daß „die Türkei NATO-Mitglied ist“, keine Bedenken gegen diesen Ausfuhrumweg3.

(…) Nicht nachvollziehbar bleibt freilich, weshalb das dem BMfW nachgeordnete BAFA – trotz des durch die Ausfuhr entstandenen »neuen Warenursprungs«, jedoch in Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Absicht (»reason to know«-Klausel) – genehmigen konnte, was zuvor durch den Bundessicherheitsrat mit gutem Grund untersagt worden war. (…)

Koppelgeschäfte

Nach einer neuen Studie der Forschungsstelle »Kriege, Rüstung und Entwicklung« (Universität Hamburg 1994) verlagert sich ein Teil des Waffen- und Zubehörgeschäfts zunehmend auf sogenannte graue Märkte: einer der wichtigsten Umschlagplätze ist Singapur. Von dort aus findet das Material dann kaum noch kontrollierbar seine Abnehmer, auch und gerade in »sensitive Länder«. Allein Singapur erhielt 1991 Rüstung im Wert von über 85 Mio. DM (AWV I-A).

Das enorme Wirtschaftswachstum der südostasiatischen Staaten findet zurecht in Deutschland zunehmend Beachtung. Unerwähnt bleibt jedoch vielfach, daß dieses Wachstum mit einer bisher ungekannten Aufrüstung in dieser Region und entsprechenden Kaufwünschen verbunden ist. (…)

Hier tut sich eine Gefahr von einer ganz neuen Dimension auf, nämlich die der sogenannten Koppelgeschäfte: Kaufinteressenten stellen Zivilaufträge in Milliardenhöhe in Aussicht und machen sie zugleich (freilich informell) abhängig von Rüstungs- und militärisch relevanten Lieferungen. Aus »Dual-use« wird dann Dual Business.

Es ist nicht auszuschließen, daß ähnliches eine Rolle gespielt hat beim Zuschlag Südkoreas für den französischen TGV. Dies dürfte ebenfalls im Fall der zunächst abgelehnten aber heute doch wieder diskutierten Lieferung von Kriegsschiffen und U-Booten nach Taiwan eine Rolle gespielt haben. Die Proportionen: Neben einem Rüstungsauftrag von etwa 10 Mrd. DM soll es um ein ICE-Geschäft in dreifacher Höhe gehen. (…)

Das deutsche Exportkontrollregime zu restriktiv?

Zwar wird diese Frage von interessierten Kreisen durchgängig mit einem scheinbar selbstverständlichen „Ja“ beantwortet, obwohl sie freilich genauer lauten müßte: Zu restriktiv in Bezug auf wen oder was?

Zunächst, und entgegen verbreiteter Meinung ist Deutschland nicht das einzige Land, dessen Gesetzgebung strenge Klauseln für Rüstungs-, »Dual-use«- oder sogar für sonst genehmigungsfreie Exporte enthält. Auch Großbritannien hat beispielsweise eine »catch all-« oder »reason to know«-Auffangnorm, die ein Exportverbot bzw. eine Genehmigungspflicht für nichtgelistete Waren dann vorsieht, wenn der Exporteur Kenntnis von einem militärischen Verwendungszweck hat. Und anders als in Deutschland sind in Frankreich Rüstungsexporte – de jure – sogar grundsätzlich verboten, und jede Ausfuhr oder Kooperation stellt eine Ausnahme dieser gesetzlichen Regelung dar, die staatlich genehmigt werden muß.

Dennoch würde es wohl kaum jemandem in den Sinn kommen, damit die besondere Exportrestriktivität jener Länder hervorheben zu wollen; denn de facto sind dort Rüstungs- und »Dual-use«-Exporte eher die staatlich geförderte Regel als die Ausnahme. Mithin ist allein der Verweis auf die Gesetze zu pauschal, um daraus Konkreteres zu schließen. So ist auch für Deutschland zwischen der gesetzlichen Lage und der tatsächlichen Praxis zu unterscheiden.

Was die abgelehnten Ausfuhranträge betrifft, so wird man aus den vorgelegten Zahlen jedoch nur schwerlich schließen können, daß die auf dem Papier so restriktiven deutschen Exportbestimmungen tatsächlich ein ernsthaftes Hindernis für die Industrie darstellen.

Dem widerspricht nicht, daß die Verteidigungswirtschaft die derzeitigen Genehmigungsmodalitäten als lästiges Hindernis ansieht und offensiv teils neue Wege zu deren Umgehung bereits eingeschlagen hat, teils Ausfuhrliberalisierungen bei Rüstungskooperationen und »Dual-use«-Gütern noch fordert.

Obwohl als Grund oft angeführt, hat das mit der arbeitsteiligen Kooperation im und für den europäischen Beschaffungsmarkt selber, in deren Folge ein vernünftiger Abbau von nationalen Überkapazitäten und eine Verringerung des Rüstungsexportzwangs möglich wäre, wenig zu tun. Denn für diesen Bereich gibt es schon heute keine maßgeblichen Ausfuhrbehinderungen. Faktisch greifen die Kontrollvorschriften hauptsächlich für den Fall, daß ein deutscher Hersteller oder das kooperierende Ausland Ausfuhren außerhalb dieses Bereichs beabsichtigt – und das zurecht, wenngleich wegen der zwischenstaatlichen Vereinbarungen auch nur noch in beschränktem Maße.

Aber offenbar werden gerade im Bereich der privatwirtschaftlichen Rüstungskooperationen und der »Dual-use«-Exporte beträchtliche Wachstumsmöglichkeiten gesehen, und zwar vor allem außerhalb des europäischen Marktes bzw. des Bündnisgebietes.

Somit geht es im wesentlichen um die Beseitigung von direkten und indirekten Hindernissen, die den Endverbleib solcher Güter außerhalb dieses Raumes betreffen: Das ist der Kern der Forderungen nach Gleichstellung von privatwirtschaftlichen mit staatlichen Rüstungskooperationen, nach Liberalisierung für »Dual-use«-Exporte oder nach Wegfall der »catch all«-Auffangnorm. Deshalb auch die Forderung, daß bei Kooperationsprogrammen „…derjenige Staat über Exportgenehmigungen entscheidet, in dem der Hersteller seinen Sitz hat“ (Lamers et. al: Standortpapier vom 22.11.93, S. 3.).

Was würde es – neben möglichen Vorteilen für Industrie und Arbeitsplätze – bedeuten, solchen Forderungen zu entsprechen?

Bereits die Beispiele zu den Ausfuhrverstößen und Umgehungspraktiken mögen verdeutlicht haben, welche Schwierigkeiten eine effektive Umsetzung der vorhandenen außenwirtschaftsrechtlichen Regelungen schon heute bereitet, und welche sicherheits- und außenpolitischen Belastungen daraus entstehen. Stellvertretend für andere sind solche Fälle deshalb aber auch exemplarisch in der Hinsicht, daß sie eine Vorstellung davon vermitteln, was bei einer gänzlichen Freigabe oder teilweisen Lockerung der Kontrollen der betreffenden Warengruppen passieren könnte und wahrscheinlich auch passieren würde. (…)

Bei den »Dual-use«-Exporten wäre mit einiger Wahrscheinlichkeit eine besondere Problemzuspitzung zu erwarten: Spätestens seit den 80er Jahren ist die Bedeutung von Endprodukten, Komponenten und Know-how-Leistungen aus diesem Bereich für den militärischen Sektor enorm gestiegen. Schon heute dürfte der Aufwand für »Dual-use«-Erzeugnisse den größeren Teil der Rüstungsausgaben für Beschaffungen, Forschung, Entwicklung und Erprobung ausmachen. Dieser Trend hat sich mit dem zweiten Golfkrieg nicht nur beschleunigt. Darüber hinaus muß aus Effizienzgründen künftig für die Herstellung moderner, äußerst kostspieliger Rüstung (v.a. real time Informationserkennungs-, Verarbeitungs- und Weitergabetechnologien für Träger, Waffen und Munition; C3I-Systeme) immer stärker und in einem möglichst frühen Stadium an Innovationen und Entwicklungen des zivilen Bereichs angeknüpft werden. In dem Maße wie der frühere »spin off«-Ansatz so durch die neueren »spin in«- und »add on«-Strategien ersetzt wird, schwindet die ohnehin geringe Trennschärfe zwischen zivilem und militärischem Verwendungszweck abermals. »Spin-in«- und »add-on«-Strategien sind bereits erklärter Bestandteil der BMVg-Forschungs- und Technologieplanung.

Welche Folgen dies alles in Verbindung mit einer Aufweichung der Ausfuhrkontrolle gerade bei »Dual-use«-Gütern zeitigen kann, wird vollends klar wenn vergegenwärtigt wird, daß viele Drittländer – auch in Spannungs- und Krisenregionen – gleichzeitig ihre technischen Fähigkeiten im Umbau und in der Endmontage für militärische Produktionszwecke erheblich gesteigert haben.

Demnach bieten derartige Perspektiven wenig Anlaß von den bisherigen Kontrollmöglichkeiten abzurücken, im Gegenteil. (…) Ist es angesichts der fortschreitenden internationalen Umgehungspraxis und anderen komplementären Entwicklungen nicht fast fahrlässig – wie der Abgeordnete Volker Kauder das getan hat – für Rüstungs- und »Dual-use«-Exporte zu fordern: „Die Endverbleibsklausel (…) in Europa muß fallen?“ (214. BT-Sitzung vom 4.4.94) Was bedeutet es ernsthaft, diese Forderung auf Kooperationsprojekte zu »beschränken«, wo schon heute mehr als vier Fünftel aller Rüstungsprojekte in Kooperation absolviert werden, und die Bundesregierung in den meisten Fällen – vom Alpha Jet über den Tornado und Euromissile bis zum Eurofighter 2000 – ihr Vetorecht beim Export in Drittländer ohnehin weitgehend abgetreten hat? Und ist es nicht inkonsequent oder jedenfalls nur ein frommer Wunsch, sich einerseits „… im Vertrauen auf die Entscheidungskompetenz eines jeden unserer Partner …“ (Lamers-Standort-Papier, S. 2) zu wiegen – während andererseits Frankreich und Großbritannien stets als Paradefall für rege Exportaktivitäten herangezogen werden, und die Beispiele Eurometaal wie Taiwan/Werften zeigen, daß auch die Niederlande und die USA hier wenig Zurückhaltung an den Tag legen?

Nach den Lehren aus Fakten und Möglichkeiten des Proliferationsmißbrauchs bei gleichzeitiger Ungewißheit über die Ausbreitung von bewaffneten Krisen und Krisenregionen (ein zentraler Punkt in den heutigen Bedrohungsanalysen) sprechen in erster Linie sicherheits- und außenpolitische Gründe dafür, an einem möglichst restriktiven Exportregime festzuhalten – anstatt das mit einer Lockerung zweifellos verbundene Risiko einer kaum abschätzbaren Gefahrenausweitung einzugehen. Naheliegend ist ebenfalls, die im Prinzip vorhandenen, aber offenbar zu wenig genutzten gesetzlichen Kontrollmöglichkeiten und die Genehmigungspraxis zu verbessern.

Das bliebe im Übrigen auch ein klares außenpolitisches Zeichen für die europäischen Harmonisierungsverhandlungen; und so ist zu hoffen, daß die Bundesregierung – oder sollte dies auf das Auswärtige Amt zu beschränken sein? – weiterhin bei der von ihr bislang vertretenen Position bleibt.

Über eine Liberalisierung hat der Gesetzgeber zu entscheiden, und mir ist bewußt, daß dabei auch andere Überlegungen und Sachinteressen eine gewichtige Rolle spielen. Das führt zum zweiten Themenkomplex und der Frage, welches Gewicht die wirtschaftlichen Argumente haben.

Die Situation der Wehrtechnischen Industrie

(…) Hintergrund der Praxis und Diskussion um Rüstungsexporte sind die Anpassungsprobleme der Rüstungsindustrie, verbunden mit Planungsunsicherheiten über Art und Umfang ihres Auftrags im Rahmen eines bis dato noch immer nicht vorliegenden Struktur- und Bündniskonzeptes für die Bundeswehr. Dazu kommen Haushaltsprobleme, anhaltend schwierige Konjunkturbedingungen und eine industrielle Strukturkrise mit wachsenden Arbeitslosenzahlen.

Als Ausweg aus dieser Misere fordert die Wirtschaft zum einen Bestandsgarantien oder zumindest – und das ist ihr gutes Recht – Planungssicherheit; zum anderen verlangt sie aber eine Exportliberalisierung für Produkte aus ihrem Geschäftsbereich.

Begründet wird dies mit einer Reihe von Argumenten. Genannt werden u.a.:

  • der gesunkene Verteidigungsetat und der dadurch bedingte Rückgang der Rüstungs-Inlandsnachfrage;
  • drastisch geschrumpfte Kapazitäten: die deutsche Rüstungsindustrie kurz vor dem »Aus«;
  • in großer Zahl deshalb bereits abgebaute und zusätzlich bedrohte Arbeitsplätze;
  • Ausfuhrbenachteiligungen und Kooperationsprobleme durch das restriktive Exportregime Deutschlands für Rüstungs- und »Dual-use«-Güter.

1. Rückgang der Rüstungsaufträge

Maßgeblich für die Auftragsentwicklung der wehrtechnischen Industrie ist weder der immer wieder hervorgehobene Rückgang der investiven Ausgaben im Einzelplan 14 noch der Beschaffungen.

Von den investiven Ausgaben sind abzuziehen die Aufwendungen für Bauten, Konstruktion und Infrastruktur; zu addieren sind die Ausgaben für Materialerhaltung etc. aus der Gruppe der Betriebsausgaben.

Rüstungsaufträge aus Einzelplan 14 setzen sich somit zusammen aus solchen für Forschung, Entwicklung und Erprobung, Beschaffungen und Materialerhaltung. Dazu kommen Beschaffungen aus dem »Golftitel« (EPl 60).

Diese für die wehrtechnische Industrie maßgebliche Auftragssumme – die eigentlichen Rüstungsaufträge – ging zwischen 1989 und Ende 1993 von rund 19,7 Mrd. zurück auf 14,3 Mrd. DM. Das ist ein Minus von rund 27 % in diesem Zeitraum – und nicht von 50 % bis 60 %, wie mit dem Hinweis auf den Rückgang der Beschaffungen immer suggeriert wird.

Der Entwurf für den Verteidigungshaushalt '94 sieht einen Umfang von etwa 13,3 Mrd. DM vor: ein Rückgang von zusätzlichen 5 %. Ab 1996 soll wieder mehr zur Verfügung stehen.

Das heißt: Bei einem verstetigten Verteidigungsplanfond von 47,5 Mrd. DM, Materialerhaltungsausgaben von 4 bis 4,5 Mrd. DM, Anhebung des investiven Teils in Richtung der 30 %-Marke und die angestrebte Umschichtungsfreiheit von eigenen Rationalisierungseinsparungen bei den Personalausgaben zu Gunsten des investiven Teils könnten die Rüstungsausgaben in einigen Jahren wieder zwischen 14 und 15 Mrd. DM liegen. Für die Zeit nach der Jahrtausendwende ist von einer »Beschaffungs-Bugwelle« die Rede.

Es scheint daher irreführend mit dem Verweis auf die angeblich bis auf 10 bis 20 % geschrumpften Fertigungskapazitäten von einem bevorstehenden »Aus« für die deutsche Wehrtechnik zu sprechen. Eher handelt es sich um eine zeitlich begrenzte »Durststrecke«.

Zu bedenken ist auch, daß der inländische Nachfragerückgang bei hohen Überkapazitäten und Auslaufen der großen Beschaffungsprogramme der zweiten Generation spätestens seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre voraussehbar war. Im großen und ganzen hat die wehrtechnische Industrie es jedoch unterlassen, sich mit Konversionsstrategien auf diese Entwicklung einzustellen.

2. Arbeitsplätze

Legt man die in der bekannten Ifo-Studie (1991) errechnete Beschäftigungswirkung von »harten« Rüstungsaufträgen zugrunde, so ergibt sich daraus die Zahl von insgesamt 280.000 wehrtechnisch bedingten Arbeitsplätzen. Allerdings entfallen von diesen 280.000 nur 163.000 Arbeitsplätze auf die Wirkung der inländischen (Bundeswehr-) Nachfrage im eigentlichen Bereich der Rüstungsindustrie und ihrer Zulieferer; der Rest geht auf das Konto der Rüstungsexporte und des Einkommensmultiplikators. Fälschlicherweise werden die zuletztgenannten jedoch meistens mitgezählt, obwohl sie von der gesunkenen Inlandsnachfrage nicht oder kaum betroffen sind. Der oben erwähnte Rückgang bei den Bundeswehraufträgen von 27 % (1993) bzw. von 32 % (1994) kann folglich höchstens für einen Arbeitsplatzabbau in der Größenordnung von 44.000 bis 52.000 ursächlich gewesen sein. Davon betroffen sind im Übrigen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die großen Systemführer, sondern die Unterauftragnehmer und andere kleinere Firmen.

Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum ständig – zuletzt vom Parlamentarischen Staatssekretär beim BMVg, Herrn Schönbohm,– auch in der parlamentarischen Diskussion, die Zahl von 140.000 bis Ende 1993 verlorenen Arbeitsplätzen, die angeblich „… dem Rückgang der Bundeswehraufträge zum Opfer gefallen sind“ ins Feld geführt wird.

Ähnliches gilt für die ebenfalls kursierende Zahl von „…weiteren 40.000 bis 60.000 Stellen, die bis Ende 1995 verloren gehen könnten, wenn sich die Verminderung der Investitionsmittel fortsetzt“ (beide Zitate J. Schönbohm bei der Jahrestagung DWT, Bonn, 12.4.94). Auch dies kann nicht ursächlich auf den oben errechneten maximalen Rückgang von 32 % bis Ende 1994 zurückgeführt werden.

Das bedeutet jedoch nicht, daß ein Abbau in der zitierten Größenordnung nicht stattgefunden haben oder noch erfolgen könnte. Aber das würde dann eher die Folge von anderen Umstrukturierungs-, Rationalisierungs- und Verlagerungsmaßnahmen sein, die ohnehin in der Rüstungsindustrie seit längerem stattfinden.

Möglich ist auch, daß der BDI, von dem diese Hochrechnungen stammen, den Arbeitsplatzabbau im zivilen Bereich der wehrtechnischen Industrie, die bekanntlich in hohem Maße aus zivil und militärisch gemischten Unternehmen besteht, en passant mitgezählt hat. Ein Beispiel wäre die Deutsche Aerospace DASA, bei der die 6.000 (seit 1993 erfolgten) bis über 16.000 (bis 1996 bevorstehenden) Entlassungen zum größten Teil im zivilen und nicht im militärischen Bereich liegen dürften (Luftfahrt/Airbus).

Solange keine systematische Untersuchung vorliegt, die derartige Zahlen über Arbeitsplatzabbau im einzelnen belegen, ist zu wünschen, daß solche Behauptungen, die geeignet sind, das Klima der Angst vor Arbeitsplatzverlusten zu schüren, unterbleiben oder zumindest korrigiert werden.

Rüstungs- und »Dual-use«-Exporte aus Deutschland

Die Werte der AWV-pflichtigen Ausfuhrgenehmigungen (I-A,B,C,D,E) entwickelten sich in den letzten sechs Jahren wie folgt (Mrd. DM):

1988 1989 1990 1991 1992 1993*
EAG 33.7 45.5 20.6 22.4 15.8 15.4
davon I-A 7.0 13.0 5.5 8.4 5.4 4.5
I-C 24.3 29.0 13.0 10.5 7.5 7.1
SAG 10.0 32.0 16.7 11.1 13.2 17.0
Summe EAG und SAG 43.7 77.5 37.3 33.5 29.0 32.4**
**(1.-3. Qt) ** (+ 4. Qt 43 Mrd. DM ?)
EAG Einzelgenehmigungen für endgültige
Ausfuhren=Vollgeschäfte; ohne vorübergehende Ausfuhren u.ä. SAG
Sammelausfuhrgenehmigungen; SAG, erteilt für Kooperationsprojekte meist im OECD-Raum und
für mehrere Jahre, enthalten alle AWV-Warengruppen; I-A Waffen, Munition und sonstige
Rüstungsgüter; I-C Waren und Technologien von strategischer Bedeutung:
»Dual-Use«-Güter im engeren Sinn.
Auf eine Umrechnung der effektiven Wirkung der Sammelgenehmigungen in den einzelnen Jahren (»Kaskadeneffekt«) wurde hier verzichtet; das hier interessierende Gesamtvolumen wäre davon nicht berührt. Über die tatsächliche Inanspruchnahme der Genehmigungen liegen nach Aussage des BMfW keine statistischen Daten vor.
Quelle: verschiedene BT- und Ausschußdrucksachen

Da für die Relation zwischen I-A zu I-C zum Rest (IB,D,E) nur bruchstückhaft Daten vorliegen, könnte vorläufig (nach eigener Berechnung) als grobe Richtschnur über die Jahre ein Verhältnis von 3:6:1 dienen. So läßt sich in etwa abschätzen, wie hoch der Anteil an Rüstungs-(I-A) und »Dual-use«-Gütern im engeren Sinn (nur I-C) im Bereich der Sammelgenehmigungen ist. Diese sind den entsprechenden Einzelausfuhrgenehmigungswerten hinzuzufügen.

Danach ergibt sich folgendes Bild: Sieht man von dem Boomjahr 1989 ab (dessen Ursachen zu klären wären), so hat es allen Anschein, daß sich der Export von dem Einbruch seit dem Zweiten Golfkrieg mehr als erholt hat. Business as usual?

Denn hochgerechnet auf das ganze Jahr 1993 haben die Umsatzwerte der Gesamtausfuhrgenehmigungen (EAG + SAG) den Stand von 1992 schon weit überschritten und könnten sogar die 43 Mrd. DM-Marke von 1988 wieder erreichen oder übersteigen. Davon könnten (mit Hilfe der genannten Schätzweise) ca. 38 Mrd. DM auf Rüstungs- und »Dual-use«-Exporte entfallen.

Interessant ist auch die Entwicklung der Sammelausfuhrgenehmigungen, deren Wert im Jahr 1993 wahrscheinlich erheblich über dem von 1990 liegen wird. Da SAG hauptsächlich für Kooperationsprojekte mit europäischen Partnern erteilt werden, läßt diese Volumenentwicklung wohl kaum auf eine beeinträchtigte Zusammenarbeit schließen.

Fazit

(…)

  • Deutschland steht bei Rüstungs- und »Dual-use«-Ausfuhren auf den vorderen Plätzen. Im Jahr 1991 gingen allein von den einzelgenehmigten Rüstungsexporten ein knappes Drittel in Länder des Nahen und Fernen Ostens sowie in die »Dritte Welt«; die Zahlen für 1992 und 1993 liegen noch nicht vor.
  • Insgesamt dürfte das 1993er Volumen von über 40 Mrd. DM – mit bis zu einem Viertel davon für reine Rüstung – auch einen ausreichenden Spielraum enthalten, um den allem Anschein nach vorübergehenden Rückgang von 5 bis 6 Mrd. DM bei den Bundeswehraufträgen zu verkraften, eine erforderliche nationale Verteidigung zu sichern und in internationaler Kooperation zu bleiben. Offenbar konnte dieses Volumen sogar unter den derzeit gültigen, restriktiven Exportbedingungen wieder ein solches Niveau erreichen; 1992 wurde kein einziger Ausfuhrantrag in den OECD-Raum abgelehnt.

Zu erinnern ist hier nochmals daran, daß der »Dual-use«-Anteil an der Bundeswehr-Rüstung schon heute auf über 50 % geschätzt wird, und daß Rüstungsunternehmen »Dual-use«-Produzenten par excellence sind. Auch hier liegen Ausgleichsmöglichkeiten.

  • Für die u.a. vom Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und (Aus-)Rüstungsindustrie BDLI und Generalbevollmächtigten der DASA, Wolfgang Piller, öffentlich geäußerte Befürchtung: „… Ohne Änderung der Exportpolitik gibt es die Wehrtechnik bald nicht mehr…“ (Süddeutsche Zeitung, 6.11.1993) liefern die vorstehenden Daten jedenfalls keine überzeugende Begründung.
  • Insgesamt ist daher weder aus sicherheits-, noch aus außen- oder wirtschaftspolitischer Sicht zu erkennen, warum das deutsche Exportregime im Sinne der vorgebrachten Forderungen liberalisiert werden sollte.

Anmerkung

* Dieser Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung der Stellungnahme des Autors bei der Sachverständigenanhörung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes am 18. Mai 1994 in Bonn.

Dr. Hendrik Bullens (Bavariaring 43, 80336 München Tel. und Fax 089/ 7470477) arbeitet an der Forschungsstelle Konversion und Friedenswissenschaften, Univ. Augsburg, und am Süddeutschen Institut für angewandte Systemforschung SISYFOS, München-Augsburg.

EG-Exportkodex

EG-Exportkodex

EG-Exporte von Waffen und Gütern mit doppeltem Verwendungszweck

von Saferworld

Dies ist die Zusammenfassung der wichtigsten Punkte eines Berichtes über „Arms and Dual-Use Exports from the EC. A Common Policy for Regulation and Control“. Der Bericht wurde von Harald Bauer (Saferworld), Owen Greene (Fakultät für Friedensstudien, Universität Bradford), Dr. Vaughan Lowe (Forschungszentrumm für Internationales Recht, Universität Cambridge), Dr. Nathalie Prouvez (Forschungszentrum für europäische Gesetzesstudien, Universität Cambridge) Marc Weller (Forschungszentrum für Internationales Recht, Universität Cambridge), verfaßt und von Paul Eavis, Forschungsdirektor von Saferworld, koordiniert und bearbeitet.

Der 1. Januar 1993 steht für einen unwiderruflichen Schritt der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in eine neue Ära. Der Binnenmarkt erlaubt den grenzenlosen Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskraft auf dem Gebiet der Zwölf. Doch sind mit dieser wichtigen politischen Entwicklung einige Risiken verbunden, von denen eine die Unterminierung der nationalen Exportkontrollen für Waffen- und Güter mit doppeltem Verwendungszweck – oder dual-use Gütern – ist.

Der Zweite Golfkrieg hat eine nützliche Überprüfung der Exportkontrollen nach sich gezogen. Das Bewußtsein über die Tatsache, daß die Truppen der Koalition sich Waffen gegenüber gesehen hatten, die von ihren eigenen Regierungen an den Gegner geliefert worden waren, führte zu Forderungen nach strengeren Kontrollen. Im Oktober 1991 verpflichteten sich die fünf Ständigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates, selbst für 85% aller Waffenexporte weltweit verantwortlich, im Prinzip, die Belieferung der Region zu verringern. Viele glaubten, diese Bemühungen könnten zu einer umfassenden Übereinkunft zur Einschränkung des internationalen Waffenhandels führen.

Im Mai 1992 schien der Initiative jedoch der Dampf auszugehen, es gab Schwierigkeiten, sich lediglich auf Konsultationsprozeduren zu einigen. In der Zwischenzeit stiegen die Exporte in den Mittleren Osten. Seit dem Zweiten Golfkrieg wurden Verträge über 35 bis 45 Mrd. Dollar abgeschlossen, verglichen mit 6,8 Mrd. 1990. Auf der Jagd nach Devisen hat Rußland an Regierungen im Mittleren Osten hochwertige Waffensysteme verkauft, darunter Kampfpanzer, -flugzeuge und U-Boote. Kürzlich hat China sich aus den Beratungen der fünf ständigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates zurückgezogen, in Reaktion auf eine us-amerikanische Entscheidung, nach dreizehn Jahren seine Politik zu ändern und Taiwan 150 Kampfflugzeuge vom Typ F-16 zu verkaufen. Die Aussichten für schnelle Fortschritte weltweit sind entsprechend geringer geworden.

Für eine Initiative der Europäischen Gemeinschaft

Die Europäische Gemeinschaft (EG) hat gute Gründe, eine führende Rolle bei den Bestrebungen für ein internationales Kontrollsystem des Rüstungshandels zu übernehmen. Zu allererst sind Mitgliedstaaten, insbesondere Großbritannien, Frankreich und Deutschland, stark in das internationale Waffengeschäft verwickelt. Die fünf größten Waffenexporteure der EG zeichnen gegenwärtig für 19% des weltweiten Handels mit Großwaffen verantwortlich und für 17% der Verkäufe an Länder der Dritten Welt.

Zweitens wird die EG von der Außenwelt zunehmend als beträchtlich mehr als die Summe ihrer Bestandteile wahrgenommen. Ein koordiniertes Herangehen der EG an andere wichtige Waffenexporteure erbrächte weit größere internationale Glaubwürdigkeit als die Initiative eines einzelnen Mitgliedstaates. Dieser Faktor hat angesichts eines immer wiederkehrenden Problems bei Verhandlungen über Rüstungsexportkontrollen besondere Bedeutung. Größere Lieferstaaten können Aufforderungen zur Zurückhaltung, die ihren Konkurrenten leichteren Zugang zu lukrativen Märkten gäben, wenig Anreiz abgewinnen. Solche Argumente wurden oft von Regierungen angeführt, um ihre Legislative und die Öffentlichkeit von der Erwünschtheit eines speziellen Exports zu überzeugen.

Ein dritter und drängender Grund zum Handeln auf Gemeinschaftsebene ist der Binnenmarkt. Die Wirksamkeit bestehender Kontrollvereinbarungen ist an Grenzkontrollen gebunden. Solche Kontrollen werden nun aber an die Außengrenzen der EG verlagert. Für Hersteller in der EG, die verbotene Märkte beliefern wollen, scheint der Weg weit offen, ihre Produkte ungehindert durch die Gemeinschaft zu einem genehmen Ausfuhrpunkt zu transportieren, an dem die Kontrollen als weniger effizient angesehen werden.

Um glaubhaft und effizient zu sein, müßte eine Initiative der EG zwei Bestandteile umfassen. Der erste wäre ein Versuch, die Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates davon zu überzeugen, sich der Gemeinschaft bei der rationalen Handhabung und dem stufenweisen Abbau des internationalen Waffenhandels anzuschließen. Der zweite, in vielerlei Hinsicht eine Voraussetzung für den ersten, würde im Erweis des grundsätzlichen Willens der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der eigenen Praktiken bestehen. Dies umfaßt insbesondere die Definition unzweideutiger Exportrichtlinien und die Anwendung einheitlich hoher Standards bei den Kontrollen an den Außengrenzen.

EG-Kontrollen im Aufbau

Um geeignete Maßnahmen für eine effiziente Exportkontrolle einzuführen und durchzusetzen, muß die Gemeinschaft schnell handeln und einen hohen Grad an Harmonisierung erzielen.

In einer ordnungsgemäß verwalteten Welt wäre es am sinnvollsten, ein einziges Kontrollsystem für Waffen und dual-use Güter aufzubauen. Unglücklicherweise ist diese Möglichkeit der EG gegenwärtig versperrt. Die Römischen Verträge schließen Waffenexportkontrollen explizit von den Kompetenzen der Institutionen der Gemeinschaft aus und eine Revision der Verträge (wobei die Annullierung des relevanten Artikels 223 keineswegs beschlossene Sache ist) ist nicht vor 1996 vorgesehen. Es ist kaum vorstellbar, wie in der Zwischenzeit eine gemeinsame Regelung für Waffenexporte anders als durch gemeinsame Erklärungen der Mitgliedstaaten zustande kommen könnte.

Die Entwicklung einer gemeinsamen Politik für dual-use Güter

Im Januar 1992 präsentierte die Kommission eine Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament, um die lizenzfreie Zone mit effektiven Kontrollen an den Außengrenzen der EG zu ergänzen. Als Kernelemente für die effektive Kontrolle von Exporten wurden bezeichnet: eine gemeinsame Liste von dual-use Gütern und Technologien; eine gemeinsame Liste von Bestimmungsorten; gemeinsame Kriterien für die Ausstellung von Exportlizenzen; ein Forum oder Einrichtung zur Koordinierung der Genehmigungspolitik und der Durchführungsverfahren; festgelegte Verfahren für die administrative Zusammenarbeit von Zoll und Genehmigungsbehörden. Zur Unterstützung dieser Anforderungen forderte die Kommission die Stärkung der Kontrollsysteme der Mitgliedstaaten. Dies soll die Einrichtung eines Informationssystems zwischen den Mitgliedstaaten und die Untersuchung der zollrechtlichen Aspekte von Exporten über andere Mitgliedstaaten umfassen.

Der Europäische Rat beauftragte die Kommission dann mit der Ausarbeitung eines Kontrollsystems für dual-use Exporte. Im August 1992 veröffentlichte die Kommission einen vollständigen „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Kontrolle bei der Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck und bestimmter Nuklearerzeugnisse und Technologien“.

Gegenwärtig erscheint es unwahrscheinlich, daß das Ziel der Kommission, eine lizenzfreie Zone zu schaffen, erreicht wird. Das Kontrollsystem für dual-use Technologien wird nicht eher inkraft gesetzt werden als bis alle Mitgliedstaaten mit den Regelungen der Verordnung übereinstimmen. Der gegenwärtige Stand ist der folgende:

Zu kontrollierende Güter: Die Zwölf werden sich wahrscheinlich auf eine einzige Produktliste einigen, die der deutschen Ausfuhrliste vom Oktober 1992 ähnlich sein wird und die Listen der Nichtweiterverbreitungsregime einschließt. Für einen Übergangszeitraum wird eine Ausschlußliste bestehen, die vier Technologien mit besonders sensitivem Charakter umfaßt (Supercomputer, Unterwasserakustik, Verschlüsselungstechnologie und Materialien zur Absorption von Hochfrequenzen).

Zollkontrollen: Im Rahmen von CoCom wurde vor einiger Zeit festgestellt, die Kontrollen aller Mitglieder seien ausreichend. Der Vorschlag der Kommission, Programme zur Unterstützung einiger Mitgliedstaaten bei der Fortentwicklung ihrer Praktiken einzurichten, scheint dem in gewisser Weise zu widersprechen. Es bleiben Fragen hinsichtlich des Umfangs der Programme. Werden sie ausreichen, um in Ländern mit bekanntermaßen unterbesetzten und schlecht bezahlten Zollbehörden, wie etwa Griechenland, schnelle Verbesserungen zu bewirken? Wird das Computernetz, das die Zolldienste verbinden soll, rechtzeitig fertig sein?

Kriterien und Länderlisten: Neuere Informationen besagen, die sieben von der Kommission in ihrem Vorschlag aufgeführten Kriterien sollen auf vier bis fünf verringert werden. Eine Konsequenz davon ist, daß die Zwölf sich wahrscheinlich nicht auf eine Liste von untersagten Bestimmungsländern einigen können werden. In erster Linie Frankreich und Großbritannien sind gegen solche gemeinsamen Listen. Bis sich das ändert besteht das Problem, Hersteller von Exporten über andere Mitgliedstaaten abzuschrecken, die nicht dieselben Embargos beachten. Es scheint wahrscheinlich, daß sich die Kommission in einer Situation wiederfindet, in der sie ein Kontrollsystem einzurichten hat, ohne über eine gemeinsame Liste untersagter Empfängerländer zu verfügen und mit nicht ausreichenden Kontrollen in einigen Mitgliedstaaten. Das würde bedeuten, das Kontrollsystem für dual-use Exporte der Gemeinschaft nähert sich dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Die Entwicklung einer gemeinsamen Politik für Waffenexporte

Die EPZ gab den Rahmen für die Diskussion bestimmter Embargos ab, zum Beispiel gegen Argentinien 1982, gegen Syrien und Libyen 1985, gegen Südafrika 1986 und gegen Irak 1990.

Während der Regierungskonferenz war eine gemeinsame Politik bei Waffenexporten zum ersten Mal auf der Tagesordnung der EG. Die Streichung des Artikels 223 hätte daraus eine Gemeinschaftsaufgabe gemacht. Aber einige Mitgliedstaaten haben sich dem widersetzt. Der Vertrag erlaubt jedoch die mögliche Entwicklung einer engeren Koordination der Politiken zur Waffenexportkontrolle im Rahmen der zukünftigen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EG. Großbritannien wurde die Verantwortung für die Ausarbeitung der Themenbereiche übertragen, die Gegenstand „gemeinsamer Aktionen“ werden sollen, und soll diesbezüglich beim Gipfel in Edinburgh Vorschläge unterbreiten.

1991 hat der Politische Ausschuß der EPZ eine ad-hoc Arbeitsgruppe gebildet, die sich getroffen hat, um Vorschläge hinsichtlich der Stärkung einer gemeinschaftlichen Herangehensweise und eine gemeinsame Liste konventioneller Waffen zu entwickeln. Darauf aufbauend, hat der Europäische Rat im Juni 1992 sieben Kriterien veröffentlicht, die in bezug auf Waffenexporte in den Mitgliedstaaten angewendet werden. Ein achtes Kriterium wurde beim Gipfel in Lissabon im Juni 1992 hinzugefügt. Schritte zur Definition der genauen Bedeutung der Kriterien wurden eingeleitet. Jedoch konnte sich die Arbeitsgruppe der EPZ bislang noch nicht auf eine gemeinsame Interpretation einigen. Bis zur Erzielung von Fortschritten können die Mitgliedstaaten weiterhin frei entscheiden, an wen sie exportieren und die Aussichten für die Harmonisierung der Kontrollen für Waffenexporte sind somit beschränkt.

Kriterien für Waffen- und dual-use-Exporte

Die Kriterien des Europäischen Rates für Exporte von Waffen und dual-use Gütern werden im Bericht im Detail definiert, um sie so konkret wie möglich zu gestalten und damit die Grundlage für ihre Anwendung im Rahmen einer gemeinsamen EG Exportpolitik zu legen.

Zusammengefaßt ergibt der Report, daß die Kriterien des Europäischen Rates gegenwärtig alle Situationen abdecken, in denen Exportbeschränkungen im Rahmen des Völkerrechts zwingend vorgeschrieben sind. Es handelt sich um Situationen, in denen ein internationales Staatsverbrechen vorliegt (insbesondere der illegitime Einsatz von bewaffneter Gewalt, die Unterdrückung des Rechts auf Selbstbestimmung, Völkermord, etc.) und/oder im Fall der Annahme von bindenden Sanktionen durch den UN Sicherheitsrat. Es ist möglich, das Vorliegen solcher Umstände weiter zu klären, indem international anerkannte Definitionen als Indiz für die Notwendigkeit eines vollständigen Embargos, das Waffen und dual-use Güter umfasst, herangezogen werden.

Eine zweite Gruppe von Kriterien bezieht sich auf Umstände, in denen ein potentielles Importland eine Verletzung internationaler Verpflichtungen begangen hat oder zwischen Staaten eine Situation der Unsicherheit besteht. Es gibt eine Debatte darum, ob in diesen Fällen automatisch die Einschränkung von Waffenexporten erforderlich wird oder nicht. Diese Umstände umfassen Situationen, die von nicht bindenden Sanktionen abgedeckt werden, wie schwere oder fortgesetzte Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts, Verwicklung in Terrorismus oder Drogenhandel, Situationen des internen Aufruhrs und Nichtanerkennung oder -befolgung von Nonproliferationsverpflichtungen.

Die Reaktion auf solche Verletzungen würde unter allen Umständen Beschränkungen bei schweren oder »offensiven« Waffen erfordern, also jenen Waffensystemen, die in dem neu eingerichteten UN Waffenregister erfaßt werden sollen. Zusätzliche Maßnahmen wären erforderlich, um den Erfordernissen einer besonderen Situation gerecht zu werden. Beispielsweise im Fall von groben Verletzungen der Menschenrechte durch ein diktatorisches Regime, das seinen Zugriff auf die Macht mit Unterdrückung und Einschüchterung aufrecht erhält, müßte ein Exportverbot auch Güter umfassen, die diese Regierung bei der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung benutzen könnte. Im Fall von Nichtanerkennung oder -befolgung von Vorkehrungen zur Nichtweiterverbreitung müßte der Export von strategischen Gütern, Materialien und Technologien untersagt werden.

Schließlich sind Situationen möglich, in denen Beschränkungen von Waffenexporten politisch angeraten oder moralisch wünschenswert erscheinen, aber in denen die Anwendung davon weit über das hinaus geht, was nach dem Völkerrecht erforderlich wäre. Zum Beispiel in einem Fall, in dem die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten hoffen, einen Staat zur Aufgabe der Absicht des Kaufs von Waffen zu bewegen, die ein regionales Gleichgewicht stören könnten, oder sich den Maßstäben verantwortlichen Regierens anzuschließen. Hier könnte die Auferlegung selektiver Exportbeschränkungen genutzt werden, um Druck auf die fragliche Regierung auszuüben.

Liste der betroffenen Länder

Die wirkungsvolle Umsetzung der Kriterien für Waffen- und dual-use Exportkontrollen würde erfordern, daß alle Mitgliedstaaten detaillierte Länderlisten beibehalten, in denen die Richtlinien für Exportgenehmigungen an jeden Staat außerhalb der EG festgelegt werden. Im Detail werden die Richtlinien für jeden Staat sich unterscheiden. Die Kategorien werden sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Es ist dennoch möglich, die Länder in vier verschiedene Gruppen einzuteilen.

Gruppe 1: Staaten, für die alle Arten von Waffen- und dual-use Exporten von den EG Mitgliedstaaten genehmigt würden, wie die Mitglieder von CoCom und Länder wie Neuseeland und die Schweiz.

Gruppe 2: Staaten, für die Exporte einiger Kategorien militärischer und dual-use Güter genehmigt würden, unter strengen Anforderungen an den Endverbleib und Bedingungen für den Wiederexport. Diese Gruppe würde beispielsweise Singapur oder Hong Kong umfassen.

Gruppe 3: Staaten, denen Genehmigungen für bestimmte Kategorien von Waffen und dual-use Gütern verweigert würden. Beispielsweise Staaten in Spannungsgebieten, wie dem Mittleren Osten und Südostasien, würden offensive Waffen verweigert. Staaten, die Verpflichtungen aus Nichtweiterverbreitungsverträgen gebrochen haben (wie Indien, Israel und Pakistan), würden alle »sensitiven« dual-use Güter verweigert.

Gruppe 4: Staaten, an die Waffenexporte und die Lieferung von dual-use Technologien vollständig untersagt würden. Beispielsweise Staaten, die Krieg führen (wie Serbien und Kroatien) oder Staaten im Bürgerkrieg (wie Sudan), ausgenommen diejenigen, die sich nach UN Einschätzung gegen einen Angriff verteidigen; Staaten, die systematisch oder vorsätzlich Endverbleibserklärungen verletzen oder versuchen, von der EG verhängte oder unterstützte Embargos zu umgehen; Staaten in Spannungsgebieten, die sich weigern, an von der UNO eingeleiteten regionalen Sicherheitsverhandlungen oder Vermittlungsbemühungen teilzunehmen (wie Irak und Nordkorea); Staaten, die Terrorismus unterstützen oder dulden (wie Libyen); Staaten, die der groben Mißachtung der Menschenrechte für schuldig erachtet werden (wie Burma und Iran).

Alles in allem würde die strikte Durchsetzung dieser Kriterien den Export einiger Kategorien von Waffen und dual-use Technologien an eine ganze Reihe von Staaten außerhalb der EG zulassen. Exporte von offensiven Waffensystemen würden jedoch für fast alle der zehn größten Waffenimporteure in der Dritten Welt untersagt.

Überprüfung und Durchsetzung

Die Annahme gemeinsamer Waren- und Länderlisten hat wenig Zweck, insofern sie nicht von der Harmonisierung der Durchführungsmaßnahmen begleitet wird. Die Mitgliedstaaten müssen eine gemeinsame Herangehensweise nicht nur bei der Entwicklung der Politik, sondern auch bei deren Durchführung anwenden. In dieser Hinsicht empfiehlt der Bericht:

  • Die Mitgliedstaaten sollten ihre Genehmigungsprozeduren harmonisieren, um der bestehenden großen Bandbreite ein Ende zu setzen. Ohne standardisierte Lizenzen werden Diskrepanzen in der Umsetzung von politischen Entscheidungen auf Gemeinschaftsebene die Effizienz von Kontrollen beeinträchtigen.
  • Die Mitgliedstaaten sollten ihre Bemühungen zur Überprüfung des Endverbleibs verstärken, vermittels der Überprüfung der Ankunft der Waren durch die Zollbehörden des Einfuhrlandes und der Kontrolle der Verwendung von Gütern durch Botschafts- oder Konsulatsangehörige.
  • Einen hohen Ausbildungsstand für das gesamte Personal der mit der Überwachung und Genehmigung befaßten Behörden, mit ausreichend Mitteln, Austauschprogrammen und Koordinierung der Genehmigungsinstanzen durch die zwölf Mitgliedstaaten.
  • Hersteller von Waffen und dual-use Gütern sollten einen ihrer Direktoren als verantwortliche Person für die Befolgung der Exportregeln benennen.
  • Eine EG Exportagentur zur Überwachung des Funktionierens des harmonisierten Exportkontrollsystems sollte eingerichtet werden, die gleichzeitig Expertise und technische Hilfestellung für die Mitgliedstaaten bereitstellt.
  • Die Mitgliedstaaten sollten ihre Strafen, die widerrechtliche Exporte wirtschaftlich unrentabel machen sollten, harmonisieren. Strafen, wie Geldbußen bis zum fünffachen des fraglichen Warenwertes, sollten angesetzt, der gesamte Umsatz einer Transaktion sollte beschlagnahmt werden; eine Mindestdauer für Gefängnisstrafen, entsprechend den gegenwärtig in Deutschland angedrohten, sollte eingeführt werden.
  • Die nationalen Parlamente und das Europaparlament sollten verstärkt in die Beobachtung des Exportkontrollsystems einbezogen werden, inklusive einer Vorabbenachrichtigung und einem parlamentarischen Vetorecht bei Exporten über einem gewissen Schwellenwert. Eine solchermaßen erhöhte Transparenz würde auf Waffenhersteller und Regierungsbeamte auf Abwegen abschreckend wirken.

Zusammenfassung

Zur Erzielung bestmöglicher Ergebnisse müßten die Exportkontrollen der EG, wo immer möglich, mit denen anderer Exporteure harmonisiert werden. Einige multilaterale Regime zur Begrenzung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Raketen und destabilisierenden dual-use Technologien bestehen bereits. Diese Regime müssen verstärkt und ausgedehnt werden. Insbesondere müßte ein wirkungsvolles multilaterales Regime in der Art entwickelt werden, daß es die Verbreitung sensibler und destabilisierender Technologien in Teile der Dritten Welt begrenzt, ohne zivile Entwicklungsprogramme zu behindern. Dies würde »höhere Zäune um weniger Güter« erfordern, bei stärkerer Betonung der Überprüfung des Endverbleibs. Die Verordnung der Kommission könnte, falls sie erheblich verbessert wird, hierzu beitragen.

In Hinsicht auf Rüstungsexportkontrollen ist klar, daß die EG kurzfristig mit anderen großen Lieferstaaten zusammenarbeiten muß. Die NATO und die Bemühungen der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates verbindet Mitgliedstaaten der EG mit den USA, Kanada und China, und CoCom bringt Japan in den konsultativen Prozeß. Darüber hinaus wurden Treffen der G7 1991 und '92 dazu genutzt, um Deutschland, Japan, Kanada und Italien lose in die Bemühungen der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates einzubinden. Das Forum für Sicherheitskooperation der KSZE könnte den Rahmen für die wichtige Zusammenarbeit der EG mit Staaten Mittel- und Osteuropas, sowie GUS-Staaten, abgeben. Wegen ihrer besonderen Verbindungen mit den und Einflußmöglichkeiten auf die Staaten Osteuropas und der GUS ist die EG in einer idealen Position, in diesen Foren eine Führungsrolle zu übernehmen.

Der vollständige Bericht kann bei Saferworld, 82 Colston Street, Bristol BS1 5BB, Tel. 00-44-272-276 435, bezogen werden. Preis: £ 60 für Institutionen, £ 15 für Privatpersonen.

„Waffen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten“

„Waffen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten“

Zum U-Boot-Geschäft zwischen Südkorea und der Bundesrepublik Deutschland

von Joo-Hi Lee

1989 war in einer südkoreanischen Zeitung zu lesen, daß die südkoreanische Marine im Jahr 1987 drei Untersee-Boote von der BRD-staatseigenen Howaldtswerke-Deutsche Werft AG (HDW) gekauft hat.1 Die koreanische Regierung hat diesen Kauf bestätigt. Es bleiben einige Fragen und Widersprüche. Die Boote wurden teurer als zum Weltmarktpreis gekauft und der U-Boot-Typ, um den es hier geht, ist für die südkoreanischen Küstengewässer nicht geeignet. Schließlich besteht der begründete Verdacht, daß der Differenzbetrag zwischen Weltmarktpreis und überhöhtem Kaufpreis in die Taschen der regierenden Partei (DJP) von Präsidenten Roh Tae Woo weitergeleitet wird.2

Es stellt sich die Frage, ob der Verkauf der U-Boote an die südkoreanische Marine nicht gegen bundesrepublikanische Gesetze verstößt, z.B. gegen das Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz, da dieses Geschäft „das friedliche Zusammenleben der Völker“, nämlich der Koreaner in Süd- und Nordkorea stört.3

A B C D
Weltmarktpreis lt oppos. Gruppen Kaufpreis lt. kor. Marine Kaufpreis lt. oppos Gruppen Kaufpreis lt.Mierzwa10
1 Stück 150 200 228 120
3 Stück 450 600 684 360
Differenz (B-A)= 150 (C-B)= 84 (C-A)= 234
(B-D)=240 (C-D)= 324 (Mio. US-Dollar)
A u. C: Angaben von oppositionellen
Parteien;
B: Angaben der südkoreanischen Marine;
D: Angaben
von deutschen Quellen

Die Bundesregierung hat inzwischen auf Anfrage mitgeteilt, daß sie „seit Dezember 1987 die Herstellung und den Export von 6 U-Booten für die Marine der Republik Korea genehmigt“ hat. Weiter heißt es: „Die Entscheidungen sind entsprechend den Vorschriften des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen und den »Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« vom 28.04.1982 getroffen worden. Die Bundesregierung hat dabei in Übereinstimmung mit ihrer bisherigen Genehmigungspraxis der Tatsache Rechnung getragen, daß es sich bei U-Booten – anders als bei landgestützten Geräten – um Waffen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten handelt, die insbesondere nicht bei inneren Unruhen im Empfängerland eingesetzt werden können.4

Hier soll zum einen auf die Vorgeschichte der U-Boot-Geschäfte der Bundesregierung mit Südkoreas Regime eingegangen werden, zweitens sollen die während der diesmaligen regulären Parlamentsuntersuchung von einer südkoreanischen Oppositionspartei (PDP) gestellten Anfragen und die Antworten der Regierung behandelt werden.

Zur Vorgeschichte

Einer Meldung des SIPRI-Instituts zufolge bestellte die südkoreanische Regierung im Jahre 1986 2 U-Boote vom Typ 209/3 bei der HDW und plante darüber hinaus, unter einem Lizenzabkommen 12 weitere Unterseeboote in Südkorea zu produzieren5. „Im Zentrum des deutschen Griffs nach den Weltmeeren steht die Firma IKL, das »Ingenieur-Kontor Lübeck, Prof. Gabler Nachf. GmbH«. Die Boote ließ das IKL bisher bei HDW in Kiel, der Howaldtswerke/Deutsche Werft AG, bauen, sowie bei Emdener Thyssen Nordseewerft (TNSW). Neuerdings wird der Bau mehr und mehr exportiert, in die Türkei etwa oder nach Südkorea, wobei die Lübecker Ingenieure nur noch die Blaupausen, das Know-how, verkaufen.“ 6 Der FAZ zufolge „hat die deutsche Wehrtechnik gute Chancen, in absehbarer Zeit einen südkoreanischen Auftrag über 4 Unterseeboote zu erhalten… Unklar ist bisher, ob auch das erste Boot schon in Korea montiert oder noch in der Bundesrepublik gefertigt wird.“7 In der Zeitschrift Wehrtechnik wird allerdings darauf hingewiesen, daß ein U-Boot von der HDW geliefert und zwei in Lizenz in Korea gebaut werden sollen.8 Diese Information scheint verläßlich, da sie sich zum einen mit einer Meldung des SIPRI aus dem Jahr 1989 deckt und auch der südkoreanische Verteidigungsminister Lee Sang Hoon während der parlamentarischen Untersuchung den Kauf dreier U-Boote bestätigte, ohne allerdings die Anzahl der Lizenzbauten zu nennen.9

Zur Frage des Kaufpreises

Unter der Voraussetzung, daß die südkoreanische Marine 3 Untersee-Boote von der BRD gekauft hat, läßt sich obige Rechnung aufmachen:

Diese unterschiedlichen Preise beruhen auf Fragen der Parlamentarier und Antworten des Verteidigungsministers sowie auf bundesdeutschen Erhebungen.11 Der tatsächliche Kaufpreis ist nur auf diesem Wege annähernd zu ermitteln, da er als Staatsgeheimnis behandelt wird. Von diesem Vergleich kann man vorläufig schlußfolgern, daß erstens aufgrund der Beweisführung der oppositionellen Parteien die südkoreanische Marine die U-Boote um 234 oder 150 Mio. US-Dollar zu teuer gekauft hat; daß zweitens unter Zugrundlegung deutscher Quellen der Differenzbetrag sogar mit 240 bis 324 Mio. Dollar zu beziffern ist.12

Die Aussage des südkoreanischen Verteidigungsministers wird aus folgenden zwei Gründe widerlegt:

Einmal bestellte Ende Oktober 1989 die südkoreanische Regierung weitere drei U-Boote zum Stückpreis von 165 Mio. US-Dollar13, der sich dem von der oppositionellen Partei für Frieden und Demokratie behaupteten Weltmarktpreis annäherte. Es ist jedoch normalerweise so, daß wegen der Rüstungsinflation der Beschaffungspreis fast immer teurer wird. Aber er verbilligte sich diesmal von 200 Mio. Dollar auf 165.14 Zum anderen kaufte das vom Volk zurückgedrängte Chun-Regime (1980-1987) eigentlich nur ein komplettes U-Boot, und weitere zwei U-Boote sollen von der Daewoo-Werft in Lizenz gebaut werden.15 D.h. rechnerisch gesehen veranschlagt sich der Kaufumfang mit 200 Mio. DM zuzüglich 42,6 Mio. DM (Preis von Blaupausen)16. Bisher unbekannt blieben die Kosten von Bauhilfe, U-Boot-Komponenten, Provision und Lizenzgebühr.

Daraus ergeben sich folgende Fragen:

  • Wohin sind die Gelder gegangen?
  • Werden sie als Parteispenden mißbraucht, oder haben einige Marinegenerale und für Anschaffung der Waffensysteme Verantwortliche diese Gelder in ihre eigenen Tatschen gesteckt?
  • Hat die HDW eine teurere Quittung für die Generale und Staatsbeamten ausgestellt, und wenn ja, verstößt eine solche doppelte Ausstellung der Quittung gegen irgendein bundesdeutschen Gesetz?

Diese Fragen müssen in einem Untersuchungsausschuß des deutschen Bundestages wie im Fall der Südafrika-Affäre untersucht werden.

Ckarakteristika der gekauften und bestellten U-Boote

Bei dem hier behandelten Waffenhandel geht es um U-Boote des Typs 209-1200, die:

von IKL entworfen und danach von HDW hergestellt werden;

konventionell d.h. mit Dieselmotoren angetrieben werden, die von der Daimler-Benz eigenen MTU gebaut werden;

mit 1200 t Verdrängungsmasse normalerweise in der Seetiefe von 80m laufen, während die koreanische Küstentiefe sich auf ca. 20-40m beläuft, womit ihre Eignung für die Küstenverteidigung Koreas fraglich ist.

Was den zukünftigen Kauf und die Lizenzproduktion der U-Boote seitens Koreas angeht, unterscheiden sich die Angaben:

Den oppositionellen Parteien zufolge werden 6 Stück von der Daewoo-Werft unter Lizenz von HDW gebaut werden17; in dem Bericht von Wehrtechnik (3/88) „bezifferte das Land seinen Bedarf einmal mit etwa zehn Booten.“ (S. 68) Diese Vermutung wird neuerdings dadurch bestätigt, daß der Präsident Roh Tae Woo unmittelbar vor dem Antritt seines Staatsbesuches in Bonn (20-22.11.1989) Ende Oktober 1989 den Auftrag an die HDW für weitere 3 U-Boote gebilligt hat.18

Wie umfangreich dieses Geschäft ist, wird dadurch erkennbar, daß der Umsatz von HDW im Jahr 1983 mit 1.610 Mio. DM beziffert wird.19 Demgegenüber beläuft sich der Umfang des Südkorea-Geschäfts (ausgehend von bisher bestellten 6 U-Booten) auf ca. 1.200- 1.860 Mio. DM20.

Auf der anderen Seite macht das Geschäft, anteilig an den südkoreanischen Rüstungsausgaben für 1990 ca. 6 Prozent bis 9 Prozent aus.21 Dieser Anteil macht den Löwenanteil an den Neuanschaffungen wichtiger Waffengattungen, z.B. Einführung der Frühwarnsysteme AWACS, Kauf und Produktion der 120 Kampfflugzeuge u.a. für die 90er Jahre aus.22 Also wurde neuerdings beschloßen, daß 38.1 Prozent des Militärbudgets des kommenden Jahres für diese Anschaffung neuer Ausrüstung gebraucht werden. Im Vergleich zu den gesamten bundesdeutschen Rüstungsexporten im Jahre 1988 (1,45 Mrd. US-Dollar), ist dieses Geschäft auf 1,08 Mrd. US- Dollar veranschlagt.23

Beziehungen zwischen koreanischen und bundesdeutschen Rüstungsunternehmen

Nach dem Archiv des IFSH lieferte die bundesrepublikanische Regierung im Zeitraum von 1964 bis 1989 14 Staaten der Länder der Dritten Welt 45 U-Boote.24 Zu diesem Rüstungsexport zählten nicht nur komplette Waffensysteme, sondern auch Ersatzteile, Militärhilfe, Produktionstechnik und -technologie mit/ohne Lizenzen sowie Ausbildung.25

Der Friedensforscher und Rüstungsexperte Herbert Wulf bemerkt hierzu: „Kein Land der Welt lieferte so viele U-Boot-Neubauten in Entwicklungsländer wie die Werften aus der Bundesrepublik (besonders die im Besitz der öffentlichen Hand befindliche Howaldtswerke Deutsche Werft).“ 26

Zu den weltbekannten Konstrukteuren und U-Boot-Bauern gehören IKL, HDW und TNSW. Andere führende bundesrepublikanische Rüstungsproduzenten nehmen an diesem Geschäft teil. „An einem U-Boot wie dem 209er hängt eine ganze Kette von wichtigen und einflußreichen Zulieferern: Siemens (Elektromotoren), MTU (Dieselgeneratoren), Krupp Mak (Torpedorohre), AEG (Lenktorpedos), Varta (Batteien), Zeiss (Sehrohre), um nur einige zu nennen.“ 27

Bis zum Jahr 1986 war der Waffenhandel zwischen der BRD und Südkorea von geringerer Bedeutung, ausgenommen die Ausbildung der Offiziere, Lieferung kleinerer Waffen, Waffenteile, Klimaanlagen für eine Korvette und ein Übungssystem für Mörser.24 Dagegen verstärkte sich die Zusammenarbeit der beiden Staaten nach 1986. Außer den U-Booten importierte Südkorea 1987 Such- und Ziel-Radar von Siemens; der südkoreanische Rokit (Repubic of Korea Indigenous Tank)-Panzer wird mit MTU-Motoren angetrieben. 200 Motoren werden geliefert. Dieses Geschäft hat ein Volumen von 400 Mio. DM.25 Bis dahin war es der größte Rüstungsexport der BRD nach Südkorea.

Es ist sehr wichtig hier noch einmal zu fragen, was das hauptsächliche Ziel des Staatsbesuches Roh Tae Woos in der Bundesrepublik Deutschland war. Hervorzuheben ist, daß die „Zusammenarbeit und Kooperation beider Rüstungsindustrien und -unternehmen oben auf der Tagesordung stehen“.26 Der südkoreanische Wissenschafts- und Technikminister traf sich mit dem bundesrepublikanischen Forschungsminister und besuchte u.a. die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V.(DFVLR). Themen der Unterhaltungen sollten „Untersee-Forschung, Forschungssatelliten sowie Luft- und Raumtechnik“ sein.27

Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen bundesdeutsche Gesetze

„Die bundesdeutschen Exportgesetze bieten der Regierung und ihren Kontrollbehörden zahlreiche Möglichkeiten, den Rüstungsexport schärfer als in der Vergangenheit einzuschränken. Offensichtlich fehlt es am politischen Willen, die Gesetze restriktiv anzuwenden. (Hervorhebung von JH) Mit merkwürdig anmutenden Interpretationskünsten wird Rüstungsexporteuren ein großer Handlungsspielraum geschaffen. Rüstungsfirmen konnten sich durchaus ermuntert fühlen, die bestehenden Gesetze nicht allzu eng auszulegen, da sie in vielen Fällen Rückendeckung aus Bonn hatten.“<0> 28

Südkorea gehört zu einem der gefährlichsten Spannungsgebiete der Welt.

Dies läßt sich mit folgenden Argumenten eindeutig belegen:

  1. Der renommierte südkoreanische Friedensforscher Lee Young-Hee stellt fest: „Die koreanische Halbinsel, die in Nord und Süd geteilt ist und sich seit 40 Jahren in ständiger Kriegsbereitschaft (Hervorhebung von JH) befindet, bleibt in Nordostasien der Brennpunkt eines nuklearen Krieges, der auf die ganze Welt überspringen kann.“ 29
  2. Die militärischen Potentiale von Süd- und Nordkorea zusammengenommen zählen zur »Weltspitze«:

    • Die Zahl der Soldaten beläuft sich auf 1,3 Mio. und rangiert damit an vierter Stelle in der Welt nach China, der UdSSR und den USA30;
    • Mit einem Umfang von 7,6 Mrd. US-Dollar (umgerechnet mit Basispreis 1986)31 sind die Militärausgaben im Jahr 1988 die achthöchsten der Welt.
  3. „Die USA haben angeblich etwa 600 Atomwaffen und eine mehr als 40 000 Mann starke Armee in Südkorea stationiert, während es in Nordkorea weder Nuklearwaffen noch Truppen aus der VR China oder der UdSSR gibt.“ 32 „Korea (Süd) ist das einzige Land, in dem die amerikanischen Truppen ständig auf der Alarmstufe DEFCON 4 in Bereitschaft sind, eine Stufe höher als normal.“ 33 Dieses direkte Engagement der USA beinhaltet die besondere Gefahr eines »Überspringens« eines Regionalkonfliktes in Korea auf die globale Ebene.
  4. Seit 1976 fand jährlich das Kriegsmanöver »Team Spirit« in Südkorea statt. Daran nahmen 1989 um 300 000 südkoreanische und US-amerikanische Soldaten teil. Diese Kriegsübung zielt auf die Offensive gegen Nordkorea und die Sowjetunion ab.34

Es spricht alles dafür, daß Korea zu den »Nicht-NATO-Ländern« gehört, das den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen (beschlossen am 28.4.1982)35 zufolge nicht mit Waffen aus der BRD beliefert werden dürfte. Dort heißt es in Punkt 13.: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern darf nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen. Lieferungen an Länder, bei denen eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus.“ (Hervorhebung von JH)

Die negative Bedeutung des U-Boot-Geschäfts zwischen BRD und Südkorea zeigt sich u.a. in der Befürchtungen der Vereinigten Staaten im Jahre 1987, die „sich mit der Entscheidung schwergetan [hatten], weil diese für Korea neuartige Bewaffnung das Spannungsverhältnis auf der koreanischen Halbinsel verändern könnte.“ 36

Es ist nicht auszuschließen, daß der Kauf von 6 U-Booten in drei Jahren (1987-1989) durch die südkoreanische Regierung eine entsprechende Aufrüstung in Nordkorea nach sich zieht und daß infolgendessen die Rüstungsspirale in beiden Teilen gegen den Willen der Bevölkerung37 eine weitere Drehung nach oben macht, und zwar mit Hilfe der Bundesregierung und im Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) vom 20.4.1961 und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) vom 28.4.1961, in denen Rüstungsexporte dieser Art untersagt bzw. beschränkt werden.38 Dort heißt es:

§ 6 Versagung der Genehmigung. (…) (3) Die Genehmigung ist zu versagen, wenn 1. die Gefahr besteht, daß die Kriegswaffen bei einer friedenstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden, 2. Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würden.“ (KWKG)39

§ 7 Schutz der Sicherheit und der auswärtigen Interessen

(1) Rechtsgeschäfte und Handlungen im Außenwirtschaftsverkehr können beschränkt werden, um (…) 2. eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten oder 3. zu verhüten, daß die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich gestört werden.“ (AWG)

Angesichts des Entspannungsprozesses in Europa und im Verhältnis zwischen den USA und der UdSSR ist die m.E. verfassungs- und gesetzeswidrige Genehmigung des U-Boot-Geschäfts durch die Bundesregierung ein verwerflicher Akt, der unterbunden werden muß. In der BRD selbst und weltweit muß ein solcher politischer Druck erzeugt werden, damit weitere Geschäfte gestoppt werden.

Joo-Hi Lee ist Doktorand im Fach Politologie an der Philipps-Universität Marburg.

Vage Absichten und gute Geschäfte

Vage Absichten und gute Geschäfte

Zur aktuellen Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer

von Katrin Fuchs

Saddam Hussein konnte nur deshalb Krieg führen, weil ihm die halbe Welt Waffen geliefert hatte. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Gut 80% der Waffenimporte des Irak stammten von den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates. Und so gab es nach dem Golfkrieg eine Reihe neuer Anstrengungen, das Netz der Rüstungsexport-Kontrollen fester zu knüpfen. Erstmals wurde auch die konventionelle Rüstung in diese Initiativen einbezogen. Die früher in vertraulichen Runden behandelten Themen der Exportkontrolle für Nuklearrüstung, Chemiewaffen und Raketen wurden zur Chefsache erklärt und mit breitestmöglicher Öffentlichkeit erörtert. Die Präsidenten Bush, Mitterrand und Mubarak legten eigene Pläne zur Abrüstung vor.

Ich will der Frage nachgehen, inwieweit diese neuen Initiativen eine Abkehr von der bisherigen Praxis darstellen, den Nahen Osten mit Waffen vollzustopfen, oder ob es sich dabei eher um flankierende Maßnahmen für Optionen militärischer Krisenlösungen handelt.

Der Bush-Plan

Es lohnt sich, insbesondere die Bush-Initiative näher zu betrachten und sie mit der Entwicklung der US-Rüstungsexporte in den Nahost-Raum zu vergleichen.

In einer Rede vor der U.S.-Luftwaffenakademie in Colorado Springs stellte Präsident Bush am 29.5.91 seine Rüstungskontrollinitiative für den Nahen Osten vor1. Bush schlug sehr unterschiedlich strikt gefaßte Abrüstungsziele und Rüstungsexportkontrollen für atomare, chemische, biologische und konventionelle Waffen sowie für Raketen vor2. Die Vorschläge sollten für den ganzen Mittleren Osten unter Einschluß von Irak, Iran, Libyen, Syrien, Ägypten, Libanon, Israel, Jordanien, Saudiarabien und der anderen Staaten des Maghreb und des Golfkooperationsrates gelten und wandten sich zunächst an die „fünf Hauptlieferanten konventioneller Waffen“ Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion, China und USA, und in einem zweiten Schritt an die G-7-Gruppe der führenden westlichen Wirtschaftsmächte.

Land Datum Wert2 Waffensystem/Service
Ägypten 15.10.90 281 Mio. 136.000 Patronen 120mm Munition für die M1A1-Panzer
15.10.90 70 Mio. 40 M88A1 Aufklärungsfahrzeuge und zugehörige Waffen, 40 M2
50-Kaliber Maschinenkanonen und 80 AN/PV9-5 Nachtsichtgeräte
1.3.91 1,6 Mrd. 24 F-16C und D Flugzeuge, 8 Ersatztriebwerke; 100.000
Patronen von 20mm Munition; 240 MK84 und 1.000 MK-82 frei fallende Bomben; 20 GBU-10 und
28 GBU-12 Gleitbomben; 40 AGM-65D und 40 AGM-65G Maverick Luft-Boden-Raketen; und 160
CBU-87 und 80 MK-20 Clusterbomben
Total 1,95 Mrd.
Bahrain 27.9.90 37 Mio. 27 M60A3 Kampfpanzer und 50 AN/PVS-5 Nachtsichtgeräte
5.6.913 8 Apache Hubschrauber
Total 37 Mio.
Israel 10.904 240 Mio. 2 Patriot-Raketenbatterien, 10 Patriot
Raketenabschußgeräte, 128 Patriot Raketen
10.905 13,6 Mio. 10 CH-53A Transporthubschrauber
10.90 67,5 Mio. 15 F-15A und B Kampflugzeuge
22.3.91 350 Mio. 1 Patriot-Batterie – 8 Abschußgeräte und 64 Raketen
31.5.916 65 Mio. 10 F-15A und B Flugzeuge
100 Mio. Eingelagerte Ausrüstung7
Total 836 Mio.
Saudi-Arabien 29.8.90 2,0 Mrd. 24 F-15C und D Flugzeuge (mit Sidewinder und Sparrow
Luft-Luft-Raketen)
29.8.90 206 Mio. 150 M60A3 Kampfpanzer
29.8.90 13 Mio. 15.000 Patronen 105mm Panzerabwehr-Munition für die
M60A3-Panzer
29.8.90 12 Mio. 50 Stinger-Abschußgeräte und 200 Stinger
Boden-Luft-Raketen
27.9.90 33 Mio. 150 TOW II Panzerabwehr-Raketenabschußgeräte und 150 TOW
II Nachtsichtgeräte
27.9.90 307 Mio. Technische und logistische Unterstützung für
Modernisierungs-, Kampfwertsteigerungs- und Wartungsprogramme der Seestreitkräfte
7.9.90 300 Mio. 12 AH-64 Apache Hubschrauber, 155 Hellfire-Raketen mit 24
Abschußgeräten
27.9.90 1,8 Mrd. 10.000 Rad-Fahrzeuge
27.9.90 984 Mio. 6 Patriot-Batterien, 48 Patriot Abschußgeräte und 384
Raketen
27.9.90 121 Mio. 8 UH-60 Medevac Hubschrauber und Ersatztriebwerke
27.9.90 64 Mio. 9 Mehrfachraketenwerfer MLRS und 2.880 MLRS-Raketen
27.9.90 3,14 Mrd. 150 M1A2 Kampfpanzer; 200 Bradley Schützenpanzer (inkl.
TOW-Versionen und 1.750 TOW IIA Raketen); 207 M113 Manschaftstransportwagen; 50 M548
Transportfahrzeuge; 17 M88A1- und 43 M578-Aufklärungsfahrzeuge
22.3.91 158 Mio. Hilfsdienste des US-Armee Corps of Engineers für das
saudische Army Ordnance Corps
22.3.91 300 Mio. Ersatzteile und Wartungsdienste für die saudischen
Streitkräfte
22.3.91 461 Mio. Ersatz und Reparatur von Geräten, die während »Desert
Storm« eingesetzt wurden
Total 9,9 Mrd.
Vereinigte Arabische Emirate 5.6.918 500 Mio. 20 Apache Hubschrauber
Total 500 Mio.

Konventionelle Rüstung

Für den Bereich der konventionellen Rüstung schlug Bush einerseits „allgemeine Verhaltensrichtlinien für verantwortliche Rüstungstransfers“ vor, „um destabilisierende Exporte zu vermeiden“, andererseits betonte er das „legitime Bedürfnis eines jeden Staates auf Selbstverteidigung“. Der Mitterrand-Plan vom 31. Mai 1991 betonte die Notwendigkeit, „ein Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten bzw. herzustellen“ und schlug vor, ein UN-Register für Waffenexporte einzurichten.

Am 8./9.7.91 trafen sich die fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in Paris, um über die amerikanischen und französischen Vorschläge zu beraten. Dabei wurde die Bush-Initiative von den Fünf in fast allen Einzelheiten übernommen.

Der Londoner G-7-Gipfel Mitte Juli 91 veröffentlichte eine umfangreiche Erklärung zum „Transfer konventioneller Waffen“ und zur „Nichtverbreitung“ 3, die sich nicht auf den Nahen Osten beschränkt, sondern allgemein gültige Regeln formulieren will. Für konventionelle Waffenexporte sollen die „drei Grundsätze der Transparenz, der Konsultation und des Handelns“ gelten. Transparenz soll durch die Einrichtung eines allgemeinen Registers für den Transfer von Waffen unter UN-Aufsicht erreicht werden, Konsultation durch die „Aufnahme von Gesprächen zwischen den führenden Rüstungsexporteuren“ mit dem Ziel, „eine gemeinsame Haltung im Hinblick auf die Richtlinien zu vereinbaren, die auf den Transfer konventioneller Waffen Anwendung finden.“ Der Grundsatz des Handelns soll dadurch konkretisiert werden, daß „alle Staaten von Waffenexporten absehen, die sich destabilisierend auswirken oder bestehende Spannungen verschärfen würden.“ In diesem Zusammenhang sollen „spezielle Anstrengungen unternommen werden, um sensitive Gegenstände und Produktionskapazitäten für fortgeschrittene Waffen zu definieren, auf deren Transfer ähnliche Beschränkungen Anwendung finden könnten.“

All dies sind lobenswerte, wenn auch denkbar vage Absichtserklärungen. Aber selbst diese unverbindlichen Vorsätze werden durch die Explosion der Rüstungsexporte in den Nahost-Raum nach dem Ende des Golfkrieges vollständig überrollt. Beispielhaft dafür ist die Entwicklung der amerikanischen Rüstungsexporte nach Nahost: Im Finanzjahr 1989 betrugen sie weniger als 7 Mrd. $, von August 1990 bis Juni 1991 schon über 13,2 Mrd $4, und für das Finanzjahr 1992 hat die amerikanische Regierung mit der Javits-Liste ein Rüstungsexportvolumen nach Nahost von sage und schreibe 25 Mrd. $ angekündigt.5 Der Golfkrieg hat die US-Rüstungsexporte in die Nahost-Region verdoppelt, jetzt sollen sie auf das Dreifache des Vorkriegsstandes steigen. Damit wird dieselbe Politik fortgesetzt, die bereits zum Ausbruch des Golfkrieges beigetragen hat, und diese Politik kann auch den nächsten Krieg dort möglich machen. Ausgerüstet werden immer die jeweiligen »Freunde« gegen die jeweiligen »Feinde«. Dabei kann sich die Zuordnung, siehe Iran oder Syrien, sehr schnell ändern. Einem Rüstungsschub folgt ein Krieg, »heiße Abrüstung«, dann wieder ein neuer Rüstungsschub. Dieser verheerende Zyklus ist, wie die Exportstatistik zeigt, durch den Bush-Vorschlag nicht im mindesten berührt worden, im Gegenteil, der Bush-Vorschlag ist die Begleitmusik für eine wahre Explosion von Rüstungsexporten in eine ohnehin schon hochexplosive Region.

Grundsätzlich ist es eine Anmaßung, daß fünf oder sieben Staaten meinen, entscheiden zu können, was für den Rest der Welt als destabilisierend zu gelten hat und was nicht, während sie für sich selbst nicht die geringste Verpflichtung zur Beendigung des High-Tech-Rüstens eingehen und ihre eigene Klientel mit modernsten Waffen ausrüsten. Rüstungsexport-Kontrollpolitik verkommt so zu einem flankierenden Instrument der Option militärischer Krisenlösungen und zur „Bildung eines Lieferantenkartells für Waffen“, wie der Berliner Friedensforscher Prof. Albrecht schreibt.

Nuklearrüstung

Für den Bereich der Nuklearwaffen schlug Bush ein verifizierbares Verbot des Erwerbs und der Produktion von waffenfähigem Material, den Beitritt aller Staaten der Region zum Nichtverbreitungs-Vertrag (NVV) und die Unterstellung aller Nuklearanlagen unter die Kontrollen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) vor. Ferner sollte eine regionale atomwaffenfreie Zone eingerichtet werden.

Der G-7-Gipfel unterstützte diese Vorschläge, ohne daß kernwaffenfreie Zonen erwähnt wurden.

Hauptziel der Vorschläge ist die Festigung eines weltweiten Regimes, nämlich das des Nichtverbreitungsvertrages (NVV). Allerdings verlieren weder die Bush-Initiative noch die G-7-Erklärung ein Wort über die im NVV niedergelegte und bis jetzt weitestgehend ignorierte Verpflichtung der Kernwaffenstaaten zu „allgemeiner und vollständiger Abrüstung“. Wie destruktiv diese Unterlassung gerade im Sinne der Ziele eines effektiven Rüstungsexport-Kontrollregimes ist, zeigt sich am Verhältnis der Bush-Initiative zur israelischen Atomrüstung. Die Bush-Initiative fordert alle Staaten des Nahen Ostens auf, dem NVV beizutreten. Da aber Art. IX, Abs. 3 NVV einen Kernwaffenstaat als einen Staat definiert, „der vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt und gezündet hat“, würde dies bedeuten, daß Israel dem NVV nur als Nichtkernwaffenstaat beitreten könnte. Dies wiederum hätte zur Folge, daß Israel bei einem Beitritt zum NVV seine Nuklearrüstung zu beseitigen hätte. Um diesen zentralen Aspekt aber mogelt sich die amerikanische Regierung herum, indem sie ihn nicht thematisiert. Der Eindruck der Doppelbödigkeit wird durch den Umstand verstärkt, daß der Bush-Vorschlag lediglich den „Erwerb“ und die „Produktion“ von waffenfähigem Material verbieten will, nicht aber dessen Besitz. D.h. Israel müßte seine Vorräte an waffenfähigem Material nicht aufgeben. Daß dieser Umstand in der Nahost-Region sehr genau erkannt worden ist, zeigt der Mubarak-Plan, der neben dem Verbot der Produktion und des Erwerbs von waffenfähigem Material auch die Verpflichtung fordert, nicht über „Vorräte dieses Materials zu verfügen.“ 6

Die amerikanische Non-Proliferationspolitik setzt sich damit dem Verdacht der Doppelbödigkeit und der einseitigen Bevorzugung der heimlichen Atommacht Israel aus.

Grundsätzlich leiden alle Bemühungen um nukleare Non-Proliferation daran, daß die Kernwaffenstaaten nicht bereit sind, auf ihre eigenen Kernwaffen zu verzichten, ja sie sogar als letztes Unterpfand der eigenen Sicherheit begreifen. An diesem Gedanken hält Bush auch mit seiner jüngsten Abrüstungsinitiative fest: „Aber die Vereinigten Staaten müssen weiter moderne Atomstreitkräfte einschließlich der strategischen Triade unterhalten, um damit die Glaubwürdigkeit unserer Abschreckung zu gewährleisten.“ Solange das so bleibt, werden bestimmte Schwellenländer immer wieder versucht sein, sich eher an den Taten der Kernwaffenstaaten als an deren Worten zu orientieren und daraus den Schluß ziehen, selbst Kernwaffen zu bauen.

Chemische und biologische Waffen

Im Bereich chemischer und biologischer Waffen schlug Bush vor, daß alle Staaten der Region der künftigen C-Waffenkonvention als Erstunterzeichner beitreten, die Implementierung der B-Waffen-Konvention stärken und vertrauensbildende Maßnahmen in beiden Bereichen einleiten sollten. Der G-7-Gipfel beschloß, die B-Waffenkonvention solle durch wirksame Verifizierungsmaßnahmen gestärkt werden. Damit sind die Vorschläge in diesem Bereich am klarsten und weitreichendsten: Ziel ist ein weltweites, für alle Staaten gleichermaßen gültiges Regime der Beseitigung biologischer und chemischer Waffen, das in kritischen Regionen durch Vertrauensbildung ergänzt werden soll.

Raketen(technologie)

Bush schlug vor, den Erwerb, die Produktion und das Testen von Boden-Boden-Raketen in der Nahost-Region einzufrieren mit dem Ziel, diese endgültig zu beseitigen. Die Ankündigung von Präsident Bush, weltweit alle nuklearen Kurzstreckenraketen zu beseitigen und die gleichlautende Antwort Gorbatschows dürften die Chancen für die Beseitigung der Raketen im Nahen Osten verbessern. Der G-7-Gipfel appellierte an alle Staaten, die Richtlinien des Missile Technology Control Regime (MTCR) zu übernehmen.

Grundsätzlich strebt das Missile Technology Control Regime nicht die Errichtung eines weltweiten Regimes an, das mit den Verträgen im atomaren, chemischen und biologischen Bereich vergleichbar wäre. Das Grundprinzip ist hier die Trennung in eine Besitzer- und eine Nichtbesitzergruppe. Im Gegensatz zum atomaren Bereich, wo der Nichtverbreitungsvertrag wenigstens noch ein unverbindliches Bekenntnis der Kernwaffenbesitzer zur allgemeinen Abrüstung enthält, haben die Raketenbesitzer nirgendwo erklärt, daß sie ihre militärisch genutzten Flugkörper abrüsten wollen. Die Nichtbesitzer von Raketen werden zudem auch von deren ziviler Nutzung praktisch ausgesperrt. Zwar ist unter Fachleuten verschiedentlich über eine Internationalisierung der Weltraumforschung und damit der Raketennutzung diskutiert worden, aber die aktuellen Vorschläge der Industrieländer enthalten nicht den geringsten Ansatz in diese Richtung.

Die Wiederbelebung bestehender Rüstungsexportkontrollforen

Bemühungen um Rüstungsexport-Kontrolle im nuklearen und chemischen Bereich und bei der Trägertechnologie hat es bereits seit den siebziger Jahren gegeben. Es trägt zum Verständnis bei, sich diese Ansätze noch einmal in Erinnerung zu rufen, denn seit dem Golfkrieg wurde die Tätigkeit dieser Foren wiederbelebt und intensiviert.

Nuklearrüstung: Nuclear Suppliers Group (Londoner Gruppe)

1974 wurde das Nuclear Exporters Committee der IAEA gegründet, das die nach dem Vorsitzenden des entsprechenden Komitees, dem Schweizer Diplomaten Zangger benannte Zangger-Liste bestimmter Anlagen und Materialien für den Brennstoffkreislauf ausarbeitete, die nur dann an Nichtkernwaffenstaaten exportiert werden durften, wenn diese die Kontrollen der IAEA akzeptierten. Das Nuclear Exporters Committee war der erste Versuch, die in Art. III, Abs. 2 Nichtverbreitungsvertrag niedergelegte Verpflichtung auszufüllen, Nuklearexporte an Nichtkernwaffenstaaten den „erforderlichen Sicherungsmaßnahmen“ zu unterwerfen. Frankreich als Nichtunterzeichner des NVV war nicht beteiligt.

Nicht zuletzt aus diesem Grunde wurde 1975 außerhalb der IAEA die Nuclear Suppliers Group (NSG) gegründet – auch Londoner Gruppe genannt –, an der sich die USA, die Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und Japan beteiligten. Die NSG erarbeitete die Londoner Richtlinien, eine erweiterte Fassung der Zangger-Liste.

1978 stießen Schweden, Polen, Italien, Belgien, die CSSR, die Niederlande, die Schweiz und die DDR zur NSG, später auch Österreich, Luxemburg, Dänemark, Griechenland, Irland, Finnland, Ungarn, Bulgarien und Südafrika dazu. 1978 stellte die Londoner Gruppe ihre regelmäßigen Treffen ein.

Im März 91 trafen sich 26 Staaten, um die NSG wiederzubeleben. Die NSG will sich in Zukunft besonders der Kontrolle doppelt verwendbarer Anlagen widmen. Der G-7-Gipfel appellierte „dringend an alle Nuklearlieferländer, die Richtlinien der Gruppe der Nuklearlieferländer anzunehmen und umzusetzen.“ Wichtige neue Lieferländer wie Argentinien, Brasilien, China, Südkorea, Indien und Pakistan, die sämtlich den Nichtverbreitungsvertrag nicht unterschrieben haben, sind auch nicht Mitglieder der NSG.

C-Waffen: Australische Gruppe

Unter dem Eindruck des Einsatzes von C-Waffen im irakisch-iranischen Krieg gründeten die USA und neun weitere Industrieländer 1984 die australische Gruppe zur Ausarbeitung von Richtlinien zur Exportkontrolle für Stoffe, die zum Bau von C-Waffen nutzbar sind.

Inzwischen gehören der Gruppe 20 Staaten an: Die EG-Staaten, die EG-Kommission, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Norwegen, Österreich und die Schweiz.

Die Gruppe arbeitete zwei Listen aus: eine »Warnliste« mit 50 Stoffen und eine »Kernliste« mit 9 Stoffen, die Ausfuhrbeschränkungen unterworfen werden sollten. Noch Ende 1990 unterlag nur in wenigen Mitgliedsstaaten der Gruppe, darunter in der Bundesrepublik, der Export aller 50 Stoffe der Genehmigungspflicht.

Im Mai 91 einigten sich die Mitgliedstaaten unter dem Eindruck des Golfkrieges und der irakischen C-Waffenpotentiale darauf, alle 50 Stoffe Exportbeschränkungen zu unterwerfen und zwar in alle Staaten außerhalb der Gruppe. Im Dezember 91 will sich die australische Gruppe erneut treffen und sich mit Exportkontrollen für Stoffe und Anlagen beschäftigen, die zur Produktion von B-Waffen benutzt werden könnten.

Raketentechnologie: Missile Technology Control Regime (MTCR)

Nach jahrelangen Geheimverhandlungen hatten die G-7-Staaten 1987 Richtlinien zur Kontrolle des Exports unbemannter Trägersysteme ausgearbeitet, das Missile Technolog Control Regime. Seit Anfang 1990 hält sich auch die Sowjetunion an diese Richtlinien. Kontrolliert werden soll der Export aller Raketensysteme (ballistische Raketen und Cruise Missiles) mit einer Wurflast von mehr als 500 kg und einer Reichweite von mehr als 300 km. Unter Kategorie I werden komplette Raketensysteme, Subsysteme sowie spezielle Produktionsanlagen für Raketen zusammengefaßt. Sie sollen normalerweise überhaupt nicht und wenn, dann nur unter strengen Kontrollen, exportiert werden. Unter Kategorie II werden sonstige relevante Technologien erfaßt, deren Export im Ermessen der Mitglieder steht. Jetzt verlagert sich das Interesse zunehmend auch auf die Erfassung von Anlagen und Technologien unter Kategorie II.

Multilaterale Exportkontrollpolitik?

Aus einer Reihe von Gründen sind die Erfolgsaussichten auch der neuerlichen Rüstungsexport-Kontrollinitiativen eher bescheiden.

Dies zum einen schon wegen der komplizierten technischen Natur des Rüstungstransfers und der wechselnden Interessenlagen von Liefer- und Empfängerländern, die in bestimmten politischen Konstellationen Rüstungsexporte – siehe oben – geradezu als geboten erscheinen lassen. Noch gravierender aber ist, daß die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer durch zentrale innere Widersprüche geprägt ist, die ihre Wirksamkeit von vornherein untergraben.

Der Widerspruch zwischen der Privilegierung der Besitzerstaaten und der Diskriminierung der Nichtbesitzerstaaten führt zu unterschiedlicher und selektiver Behandlung der verschiedenen Rüstungskategorien.

Die Bush-Initiative und die G-7-Erklärung setzen für die verschiedenen Rüstungskategorien unterschiedliche, verschieden weitgehende und teilweise willkürlich interpretierbare Ziele. Während die Vorschläge für den Bereich der atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungsmittel auf den Abschluß bzw. die Stärkung global wirksamer Verträge zielen, strebt man im Bereich der Raketenproliferation und des konventionellen Rüstungsexports nicht Verträge, sondern lediglich einen politischen Konsens der Lieferländer an.

Gemeinsames Grundmuster ist hier, daß die Industrieländer bestimmte Rüstungsgüter und dafür sensible Technologien, die sie besitzen, an die Staaten der Dritten Welt nicht weitergeben, selbst aber behalten wollen. Die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer ist gekennzeichnet durch eine systematische Privilegierung der Besitzerstaaten und die Diskriminierung der Nichtbesitzerstaaten und zielt damit auf „ein selektives strategisches Embargo;7. Dadurch, daß diese Politik bestimmten Staaten bestimmte Waffen gibt, anderen Waffen verweigert und sich selbst alle Rüstungsoptionen offen läßt, trägt sie dazu bei, die Option militärischer Krisenlösungen für Nord-Süd-Konflikte offenzuhalten.

Die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer zielt letztlich auf ein System ungleicher Sicherheit, das keine dauerhafte Stabilität bringen kann. Sie ist in sich brüchig und wird längerfristig wirkungslos bleiben. Vordergründig liegt das daran, daß die vorhandenen Exportkontrollen nicht »hart« genug sind und es zu viele »schwarze Schafe« gibt; im Grunde aber untergraben die Industrieländer selbst, und insbesondere die Atommächte, mit ihrer fortgesetzten Abstützung auf Abschreckung durch Atomwaffen, denen sie eine friedensstiftende Rolle zumessen, jedes wirksame Rüstungsexport-Kontrollregime. Auch in der Dritten Welt wird man die Colorado-Springs-Rede von Präsident Bush, in der er in zehn Zeilen seine Nahost-Rüstungskontrollinitiative ankündigte, während er seitenweise über die Vorzüge von Stealth und Raketenabwehr schwärmte, lesen und eigene Schlüsse ziehen. Es ist zu befürchten, daß trotz aller Exportkontrollanstrengungen gerade die Schwellenländer mit rasch wachsendem eigenen technologischen Potential alles tun werden, um selbst in den Besitz von Massenvernichtungsmitteln und High-Tech-Waffen zu gelangen.

Der diskriminierende Ansatz kommt auch darin zum Tragen, daß sich nirgendwo ein Ansatz für eine kooperative zivile Nutzung kritischer Technologien durch die heutigen Besitzer- und Nichtbesitzerstaaten findet. Die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer tritt damit in Widerspruch zu den Entwicklungsbedürfnissen der 3. Welt.

Denn immer weniger sind es die Waffensysteme selbst, sondern doppelt verwendbare Pro`uktionsanlagen, die in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Die G-7-Erklärung hat diesen Punkt besonders hervorgehoben.

Konkret sind damit etwa numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen, bestimmte Schmieden und Pressen, Supercomputer und fortgeschrittene Kommunikationstechnologien gemeint. All diese Technologien können für die Produktion von High-Tech-Waffen verwendet werden; gleichzeitig machen sie aber auch den Kernbestand jeder fortgeschrittenen zivilen Produktion aus.

Wenn die Industrieländer die Dritte Welt von diesen Technologien aussperren, dann berauben sie diese Länder auch der Möglichkeit des Aufbaus fortgeschrittener Industrien schlechthin und verweigern ihnen damit die Chance dauerhafter Entwicklung. Die Reduktion von Sicherheit auf die militärische Dimension führt langfristig so zu gravierenden Folgen auch in den nichtmilitärischen Sektoren von Sicherheit.

Grundsätze einer erfolgversprechenden Rüstungsexportpolitik

Rüstungsexportkontrollpolitik muß, um längerfristig wirken zu können, in politische Lösungsansätze eingebunden werden, die die Ursachen militärischer Konflikte beseitigen oder zumindest lindern. Gerade die Entwicklung im Nahen Osten zeigt, daß Abrüstung nicht als erstes und nicht voraussetzungslos, sondern erst auf der Grundlage von Vertrauen möglich ist.

Zweitens muß Abrüstung auf dem Prinzip gleicher Rechte und Pflichten für alle Staaten fußen, und das bedeutet in erster Linie die Verpflichtung der Industrieländer, ihre überlegenen Waffenarsenale abzubauen. Voraussetzung dafür ist eine radikale Veränderung des heute immer noch militärisch dominierten Sicherheitsbegriffes, die den zivilen Charakter der heutigen globalen Herausforderungen erkennt und die Konsequenz daraus zieht, die militärische Dimension von Sicherheit langfristig nicht nur zu »kontrollieren«, sondern zu beseitigen.

Der Kern eines solchen Sicherheitsverständnisses ist das Gebot der Kooperation. Fortgeschrittene Technologien sind grundsätzlich doppelt verwendbar und werden dies immer bleiben. Militärischer Mißbrauch wird nur dann auszuschließen sein, wenn die künftige Nutzung solcher Technologien in internationaler Kooperation organisiert wird. Solche kooperativen Elemente müssen auch jetzt schon in Rüstungs(export)-Kontrollabkommen eingeführt werden.

Katrin Fuchs ist Mitglied der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages und dort u.a im Auswärtigen Ausschuß tätig.

Europäische Rüstungspolitik – gibt’s die?

Europäische Rüstungspolitik – gibt’s die?

von Herbert Wulf

Die Rüstungspolitik der Mitgliedsländer der Europäischen Union ist eingebettet in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Doch mit der ESVP verhält es sich zurzeit fast so wie mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation am Ende des 18. Jahrhunderts. Es ist die Beschreibung eines Zustandes durch ihr Gegenteil. Denn es war kein römisches Reich, auch keine deutsche Nation und von Heiligkeit konnte schon gar nicht die Rede sein.

Ähnlich die ESVP: Die Rüstungspolitik in der EU ist von widersprüchlichen Interessen geprägt: von Interessen der europäischen politischen Elite, eine möglichst globale Rolle in Kriegen und Konflikten zu spielen, von egoistischen nationalen und rüstungslobbyistischen Ansprüchen bei Waffenbeschaffungen, beim Rüstungsexport und dem Kampf um Arbeitsplätze und von ambitionierten technologischen Interessen bei der Entwicklung neuer Waffensysteme. Das Ergebnis dieser miteinander konkurrierenden wirtschaftlichen und politischen Wünsche, Eigenwilligkeiten und Steckenpferde ist eine widersprüchliche Politik, die weder als europäisch, noch als Sicherheitspolitik und ebenso wenig als Verteidigungspolitik bezeichnet werden kann. Mit der heutigen Politik des Durchwurstelns auf EU-Ebene wird viel Geld für Streitkräfte und Waffen aufgewendet. Doch das Resultat kann weder die europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitiker, noch die Steuerzahler und erst recht nicht die an Sicherheit und Frieden interessierten Bürger befriedigen. Für die Sicherheits- und Verteidigungspolitiker sind die europäischen militärischen Fähigkeiten zu schwach, für die Steuerzahler ist die Verschwendung öffentlicher Mittel horrend und für die an Frieden und Sicherheit interessierten Bürger ist die Militarisierungstendenz gefährlich.

Zivilmacht im Kampfanzug

Seit Ende der 1990er Jahre ist die ESVP in einem Tempo vorangetrieben worden, wie dies in 50 Jahren zuvor nie der Fall war. Vorrangig soll die Fähigkeit entwickelt werden, international militärisch intervenieren zu können. Die EU-Kommission erhielt Kompetenzen in sicherheitspolitischen Bereichen. Diese Politik setzte primär an institutionellen Veränderungen an, ohne dass diesem Prozess eine abgestimmte und ausformulierte Strategie oder ein gemeinsames außen- oder friedenspolitisches Konzept zugrunde lag. Die Schaffung der Struktur folgte nicht einer Strategie, sondern geradezu umgekehrt. Zunächst schuf man neue Komitees und Institutionen, formulierte globale Ziele für die Streitkräfte und erst im Dezember 2003 einigte sich der Europäische Rat auf eine Strategie.1 Beflügelt wurde dieser Prozess durch den Kosovokrieg 1999 und den Irakkrieg 2003. Der Kosovokrieg verlieh dem Wunsch europäischer Politiker zur Bildung autonomer europäischer Streitkräfte zusätzlichen Schub; denn die Europäer (NATO-Europa wie EU)2 hatten Schwierigkeiten, einen relevanten militärischen Beitrag zu leisten. Es mangelte vor allem an Transportkapazitäten und Aufklärungsmitteln. Die politische Elite in der EU hat daraus die Konsequenz gezogen, für künftige Konfliktfälle und Interventionen militärische Kapazitäten aufzubauen. Die unterschiedlichen Positionen und Politiken der EU-Mitgliedsländer pro und contra einer Beteiligung am Irakkrieg im Frühjahr 2003 verdeutlichten die Zerrissenheit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik drastisch. Von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), in die die ESVP eingebettet sein soll, ist die EU weit entfernt.

Das beträchtliche Tempo, in dem die Europäischen Sicherheitsstrategie formuliert und verabschiedet wurde, innerhalb eines dreiviertel Jahres nach Beginn des Irakkrieges, darf jedoch nicht über die Differenzen in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik hinwegtäuschen. Die französischen und britischen Nuklearwaffen sind nach wie vor ein Tabuthema und werden in der EU-Sicherheitsstrategie nicht einmal erwähnt. Das komplizierte Verhältnis der EU zur NATO und zu deren Führungsmacht USA ist ebenso wenig geklärt, wie der mögliche zivile und militärische Mix bei künftigen internationalen Interventionen der EU. Zwar enthält die EU-Strategie den Hinweis, dass die gesamte Palette der zur Verfügung stehenden Instrumente, „einschließlich unserer Maßnahmen im politischen, diplomatischen, militärischen und zivilen, handels- und entwicklungspolitischen Bereich3 genutzt werden soll, de facto hinkt die zivile Krisenreaktion der EU jedoch hinter der militärischen deutlich hinterher. Die Stärkung militärischer Fähigkeiten und die Aufstockung militärischer Mittel werden als erste Priorität genannt, obwohl sich die EU selbst gerne als Zivilmacht darstellt. Interessanterweise wird das von den EU-Mitgliedsländern, im Gegensatz zur US-Regierung, sonst immer hoch gehaltene Prinzip der Notwendigkeit von Abrüstung und Rüstungskontrolle in der neuen Sicherheitsstrategie nur angesprochen, wenn es um die Abrüstung in Entwicklungsländern geht, vor allem um deren Massenvernichtungsmittel. Im gescheiterten Entwurf einer EU-Verfassung wurde bis ins Detail eine Europäische Rüstungsagentur beschrieben, die inzwischen auch etabliert ist – ein weltweit einmaliger Artikel in einer Verfassung. Die Begriffe »Abrüstung« oder »Rüstungskontrolle« tauchten im Verfassungsentwurf jedoch an keiner Stelle auf.

Papiertiger auf dem Sprung

Die kombinierten Militärausgaben der heutigen 27 EU-Mitgliedsländer betrugen im Jahr 2006 rund Euro 200 Mrd. (über US $ 260 Mrd.),4 pro Einwohner Euro 425 jährlich. Damit wird in der EU knapp unter 2% des Bruttosozialproduktes für die Streitkräfte aufgewendet. In den Streitkräften dienen fast 1,9 Millionen Soldaten und über 450.000 Zivilbeschäftigte.5 Im Jahresdurchschnitt wurden 2005 73.500 Soldaten bei Auslandsinterventionen eingesetzt. Dies sind 4% der gesamten Truppenstärke.6 Die Planer beklagen, dass nicht viel mehr Soldaten eingesetzt werden können. Sie rechnen für die Vorbereitungs-, die Einsatz- und die Rekreationszeiten jeweils die gleiche Zahl. Das heißt, von den rund 2,35 Millionen militärisch und zivil Beschäftigten im Militärbereich der EU können rund 225.000 Soldaten eingesetzt werden. Dieses Bild wird durch die Bundeswehr bestätigt. Es wird immer wieder betont, dass nicht mehr als 10.000 (zurzeit 7.600) Soldaten im Auslandseinsatz sein könnten – bei einer Truppenstärke von 250.000 und rund 100.000 Zivilbeschäftigten.

Die Rüstungspolitik in der EU wird von den Befürwortern erhöhter militärischer Anstrengungen zumeist mit dem Vergleich zu den USA begründet, wo der Haushalt mit knapp US $ 550 Mrd. zur Zeit mehr als doppelt so hoch wie die kombinierten Militärhaushalte in der EU ist; und die Zahl der in Kriegen eingesetzten US-Truppen ist mit 227.000 (von insgesamt 1,4 Millionen) mehr als drei Mal so hoch wie die der EU.7 Die USA reservieren mit 4,1% des Bruttosozialproduktes ebenfalls mehr als doppelt soviel finanzielle Mittel und für jeden US-Bürger ist die jährliche finanzielle Belastung drei Mal so hoch. Betrachtet man aber die Rüstungsanstrengungen aus der Perspektive der Mehrheit der Länder dieser Welt, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Zwar klafft zwischen den USA und der EU bei den Militärausgaben eine beträchtliche Lücke, insgesamt liegt aber der Anteil der Militärausgaben der USA an den weltweiten Militärausgaben bei 47% und der Europas bei 22%. Die übrigen cirka 165 Länder der Welt (einschließlich China, Russland, Indien und Japan) teilen weniger als ein Drittel der Militärausgaben unter sich auf.

Aus den Größenverhältnissen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens zeigen die Höhe der Militärausgaben und die Zahl der in Kriegen eingesetzten Truppen, dass die USA weiterhin die dominierende Militärmacht der Welt sind. Zweitens wird aber deutlich, dass die EU keineswegs primär mit zivilen Mitteln Krisenbewältigung betreibt. Im Gegenteil: Sie folgt militärisch bereits auf Platz zwei. Die militärische Dominanz der NATO wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die meisten EU-Mitgliedsländer auch Mitglieder der NATO sind. Trotzdem klagen die Militärplaner in der EU, dass nicht genügend Personal für Auslandseinsätze vorhanden ist, dass die finanziellen Mittel nicht ausreichen und dass es trotz der großen Zahl der vorhandenen konventionellen Waffensysteme am notwendigen Gerät für die neuen Interventionsaufgaben fehlt.

Nationale Kirchturmpolitik

Gemessen an den eigenen Ansprüchen der EU wird trotz aller politischer Deklarationen und offizieller Berichte die Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur äußerst unvollkommen umgesetzt. Der Grund hierfür ist vor allem in national geprägter egoistischer Kirchturmpolitik zu suchen.

Die Entwicklung der ESVP und mit ihr die europäische Rüstungspolitik wird nachhaltig von den Interessen und dem wirksamen Lobbyismus der Rüstungsindustrie geprägt. Hierbei gehen Politik und rüstungsindustrielle Interessen Hand in Hand und große, an jeweils nationalen Standorten orientierte Rüstungskonzerne spielen eine entscheidende Rolle. Rüstungsindustrielle Vertreter befürworten unisono eine europäisch orientierte Rüstungsindustrie und einen integrierten EU-Binnenmarkt für Waffen und andere militärische Geräte. Gleichzeitig aber wachen dieselben Firmen sorgfältig darüber, dass sie bei der Auftragsvergabe möglichst den Anteil an Aufträgen erhalten, der dem Finanzvolumen ihres Landes in einem Beschaffungsprojekt entspricht.

Über den Umfang der Rüstungsindustrie in Europa, über Umsatz, Forschungs- und Entwicklungsaufwand, Beschäftigtenzahlen oder Gewinne, liegen keine systematischen Zahlen vor. Bekannt ist jedoch, dass von den rund 200 Mrd. Euro in den Militärhaushalten pro Jahr rund 80 Mrd. Euro in Form von Forschungs-, Beschaffungs- und Reparaturaufwendungen an die Industrie fließen. Dieser so genannte investive Anteil am Militärhaushalt ist in den letzten Jahren verhältnismäßig konstant geblieben, obwohl die Rüstungsplaner immer wieder eine Erhöhung der Investitionsausgaben gefordert haben.8

Die Zahl der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie in den 27 EU-Mitgliedsländern beträgt rund 750.000; am Ende des Kalten Krieges waren es mindestens doppelt so viele.9 Die 100 größten Rüstungsfirmen der Welt (ausschließlich chinesischer Firmen) hatten im Jahr 2005 einen Jahresumsatz (Rüstungsbeschaffung und Waffenexport) von US $ 290 Mrd. Der Umsatz der 30 Hauptrüstungsfirmen mit Sitz in der EU beträgt US $ 85 Mrd., also 29% des Gesamtumsatzes dieser Top 100.10 Die 40 amerikanischen Firmen in der Liste der Top 100 zeichnen für fast zwei Drittel des Gesamtumsatzes verantwortlich. Auch diese Zahlen sind ein Hinweis auf die US-Dominanz in der Rüstungsproduktion und auf die globale Bedeutung der Rüstungsproduktion in der EU.

Es ist trotz intensiver und zahlreicher Bemühungen während der letzten Jahrzehnte nicht gelungen, die stark national organisierte Rüstungsindustrie zu einer europäischen Industrie zu verschmelzen, um so eine kosteneffiziente Belieferung mit technologischen Spitzenwaffensystemen zu gewährleisten. Obwohl keines der EU-Mitgliedsländer in der Lage ist, das gesamte Spektrum der Rüstungstechnologie zu finanzieren und eine rüstungstechnologische industrielle Basis national zu gewährleisten, erfolgt die Rüstungsbeschaffung nach wie vor weitgehend national. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weiterhin auseinander, vor allem, weil sich der Lobbyismus der großen Rüstungsfirmen, die sich als »nationale Champions« verstehen, immer wieder durchsetzt. Es werden zudem Waffen beschafft, zum Teil noch während des Kalten Krieges konzipiert, auf die sich die heimische Industrie spezialisiert hat, die aber nicht unbedingt für die Auslandseinsätze geeignet sind.

Die größten Firmen sind in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien lokalisiert. Das Argument, den eigenen Standort, die technologischen Fähigkeiten und Arbeitsplätze zu erhalten, ist bei den meisten Beschaffungsvorhaben ausschlaggebender als wirtschaftliche Überlegungen.11 Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Beschaffung von Fregatten für die Bundesmarine. Von europäischen Lösungen, wie immer wieder beschworen, kann keine Rede sein. Im Juni 2007 gab der Haushaltsausschuss des Bundestages grünes Licht für ein milliardenschweres Rüstungsprojekt. Beschlossen wurde eine rein nationale Lösung. Vier Fregatten vom Typ 125 werden für 2,6 Mrd. Euro beschafft. Die deutsche Werftindustrie zog einen großen Auftrag an Land und die ausländische Konkurrenz hatte das Nachsehen. Die Dänen bauten vor drei Jahren ähnliche Fregatten für ein Drittel des deutschen Preises und auch andere Länder bieten Fregatten preiswerter an. Das Bundesverteidigungsministeriums schloss von vorneherein eine sehr viel kostengünstigere Kooperation aus und setzte auf einen nationalen Alleingang, um die heimische Werftindustrie zu versorgen. Die deutschen Kriegsschiffe werden nicht nur zu teuer eingekauft, die Industrie setzte außerdem durch, dass der Preis jährlich um bis zu 3% steigen kann, obwohl in den Richtlinien des Verteidigungsministeriums maximal 2% vorgesehen sind. Und weiterhin: Bei Lieferung der ersten Fregatte werden 81% des Gesamtpreises fällig. Die drei anderen, dann noch gar nicht fertig gestellten Schiffe, werden zum großen Teil gleich mitbezahlt. Ein ähnlicher ‚nationaler Protektionismus’ ist in fast allen EU-Staaten anzutreffen.

Es sind schon einige Beschaffungsprojekte in der EU durchgeführt worden, an denen zwei oder mehr Länder beteiligt waren. Doch die Erfahrungen mit Kooperationsprojekten sind sehr zwiespältig. Viele Kooperationsprojekte wurden genutzt, um die jeweils heimischen rüstungsindustriellen Interessen zu verwirklichen. Kooperiert wird in der Regel nur, wenn das Projekt die eigenen Finanzierungsmöglichkeiten übersteigt. Das Prinzip des juste retour, mit dem geregelt ist, dass die Aufträge entsprechend dem Finanzierungsanteil im Beschaffungsprojekt verteilt werden, führt zu höheren Kosten, da nicht der technisch versierteste und wirtschaftlich günstigste Anbieter zum Zuge kommt. Meist kommt es aber nicht einmal zu Kooperationsprojekten. In der EU werden vier verschiedene Kampfpanzer gebaut, 7 verschiedene Kampfhubschrauber, 8 verschiedene Luft-Luftraketen; es existieren 16 verschiedene nationale Programme für gepanzerte Mannschaftswagen, drei verschiedene Kampflugzeuge werden – trotz konkurrenzfähiger Angebote aus den USA – entwickelt und Duplizierungen sind vor allem im Bereich von IT und Kommando- und Kontrollsystemen an der Tagesordnung.12

Auch der Rüstungssektor hat in den letzten Jahren Firmenaufkäufe und Firmenzusammenschlüsse erlebt. Neue und größere Firmen sind entstanden, doch grenzüberschreitende Firmenaufkäufe oder Übernahmen sind in dieser Branche die Ausnahme. Das Argument der Sicherung von Standorten, Technologie und Arbeitsplätzen erweist sich als schlagkräftige Legitimation für überteuerte Beschaffungen. Die Folgen der national orientierten Kirchturmpolitik in der Rüstungsbeschaffung sind Überkapazitäten in der Rüstungsindustrie, die auf weitere Aufträge und Waffenexport drängen, Duplizierungen bei Waffensystemen, mangelnde Standardisierung der Waffen in den EU-Ländern, nicht genutztes Potenzial für Rationalisierungen und schließlich deutlich überhöhte Kosten. Die Gründe hierfür sind im Lobbyismus der Industrie zu suchen und in den Entscheidungen der Beschaffungsbehörden, die zwar im Prinzip für europäische Lösungen sind, im Zweifelsfalle aber die „nationalen Champions“ bevorzugen.

Zahlreiche länderübergreifende Projekte verzeichneten Kosten- und Terminüberschreitungen. Artikel 296 des Europäischen Vertrages schließt die Rüstungsindustrie ausdrücklich vom Europäischen Binnenmarkt aus. Schließlich sollte nicht unterschätzt werden, dass es zwischen den militärischen Ambitionen von NATO und EU gravierende Unterschiede gibt, die sich auch in der Rüstungspolitik niederschlagen. Und obwohl es eine Reihe von Organisationen und bürokratischen Ungetümen wie die European Defence Agency, den sogenannten Letter of Intent, ein Framework Agreement, die Harmonisation of Military Requirements, die European Headline Goals und einen Code of Conduct für Rüstungsbeschaffung gibt, die sich samt und sonders um kostengünstige und aus militärischer Sicht effiziente Rüstungsbeschaffung bemühen, kann von einer Europäischen Rüstungspolitik nicht gesprochen werden. Denn weiterhin wird weniger als ein Fünftel aller Beschaffungen in Kooperation mit zwei oder mehr EU-Mitgliedern getätigt.13

Rüstungsexporte

Die globalen Rüstungstransfers sind seit dem Jahr 2003 wieder deutlich gestiegen.14 Zu den Hauptimportländern gehören China, Indien, Griechenland, die Vereinigten Arabischen Emirate und Südkorea. Eine Reihe weiterer Länder des Nahen und Mittleren Ostens zählt zu den Hauptkunden. Die größten Lieferanten waren die USA, Russland, Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

In der Europäischen Union existieren zahlreiche Dokumente, in denen Zurückhaltung im Rüstungsexport angekündigt und gelobt wird. In der Praxis kann jedoch hiervon keine Rede sein. Im Jahr 1998 verabschiedete die EU einen »Verhaltenskodex für Rüstungsexport«, der primär zur Harmonisierung der Exportpolitiken der Mitgliedsländer und zur Schaffung gemeinsamer Standards gedacht ist. Mit ausschlaggebend für diesen Kodex war die schärfere Konkurrenz der Rüstungsindustrie bei damals sinkenden Rüstungsimporten. Diese Rüstungsexportrichtlinien enthalten acht Kriterien, die bei der Vergabe von Rüstungsexportlizenzen an die Rüstungsindustrie berücksichtigt werden sollen. Dazu gehört unter anderem das Respektieren der Menschenrechte in den Empfängerländern (Kriterium 2), die Erhaltung regionaler Stabilität und Frieden (Kriterium 4) und die Vereinbarkeit von Rüstungsexporten mit der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Empfängerlandes (Kriterium 8). Positiv zu bewerten ist, dass die Rüstungsexporte aus der EU transparenter geworden sind, da jährlich einmal ein Rüstungsexportbericht von der EU veröffentlicht wird.15 Kritikwürdig ist, dass sich nicht alle EU-Länder der Berichtspflicht vollständig unterziehen. SIPRI bemängelt, dass auch einige ältere EU-Mitgliedsländer unzureichende Berichte abliefern (so Belgien, Großbritannien, Italien und Schweden), obwohl diese sich für mehr Transparenz einsetzen. Im Gegensatz dazu haben alle 10 Staaten, die 2004 der EU beitraten, ihre Daten vorgelegt, im Wesentlichen deshalb, weil dies eine Voraussetzung für den Beitritt in die EU war.16

Der Verhaltenskodex zum Rüstungsexport in der EU ist eine politische Verpflichtung, die jedoch nicht juristisch bindend ist. So ist auch der große Anteil der Rüstungsimporte des Mittleren Ostens aus den EU-Ländern zu erklären: Dort werden in vielen Ländern die Menschenrechte mit Füßen getreten, und die Region ist nun wirklich nicht durch Stabilität oder Frieden gekennzeichnet. Nach den EU-eigenen Kriterien ist dies eigentlich ein Ausschlussgrund für Waffenlieferungen. EU-Länder sind aber für 35% der Exporte von Großwaffensystemen in diese Region verantwortlich. Deutschland ist nach Angaben von SIPRI der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wenn auch die meisten Waffenexporte von deutschen Rüstungsfirmen in EU- und NATO-Länder gehen, so taucht dennoch eine Reihe von Ländern aus der Krisenregion Mittlerer Osten als Importeur von in Deutschland gefertigten Waffen auf, so etwa Ägypten, Iran, Israel, Jordanien, Katar, Kuwait, Oman, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.17 (siehe Tabelle)

Tabelle Rüstungsimporte aus dem Mittleren Osten ausgewählte Länder, Transfers 1997 – 2006 (nur Großwaffen, in Millionen US $, Preisbasis 1990)
Importeure Exporteure
USA Russland China EU andere Gesamt
Irak 63 68 0 131 135 397
Iran 0 3437 840 10 237 4524
Israel 5503 0 0 1121 0 6624
Saudi Arabien 5253 0 0 3274 108 8635
Syrien 0 512 0 0 92 604
VAE 3220 310 0 5519 314 9363
andere GKR* 1499 94 89 1783 74 3539
Gesamt 15538 4421 929 11838 960 33686
* andere Länder des Golfkooperationsrates ·
Quelle: SIPRI Yearbook 2007, S.398

Widersprüchliche Politik

Die heutige Rüstungspolitik in den Mitgliedsländern der EU kann nicht als europäische Politik bezeichnet werden. Sie ist zwar einerseits durch Ambitionen gekennzeichnet, eine stärkere Rolle in Krisen und Konflikten zu spielen, andererseits aber prägen nationale Egoismen, vor allem wirtschaftliche Interessen die Entscheidungen. Aus der Perspektive der europäischen Steuerzahler handelt es sich hierbei um eine massive Verschwendung öffentlicher Mittel. Aus friedenspolitischer Perspektive muss man die Frage stellen, wie eine europäische Rüstungspolitik aussehen würde, wenn sie kosteneffizient durchgeführt würde. Es ist kaum zu erwarten, dass die dann möglichen Mitteleinsparungen beim Militär für zivile Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit aufgebracht werden würden. Vielmehr muss man befürchten, dass eine Steigerung der Effizienz den vorhandenen Militarisierungstrend verschärfen würde.

Anmerkungen

1) Europäischer Rat 2003, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/031208ESSIIDE.pdf.

2) Folgende EU-Mitgliedsländer gehören nicht der NATO an: Finnland, Irland, Malta, Österreich, Schweden und Zypern.

3) Europäischer Rat 2003, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/031208ESSIIDE.pdf., S.11.

4) SIPRI Yearbook 2007, Oxford, S.314-315.

5) European Defence Agency, European-US Defence Expenditure 2005, http://www.eda.europa.eu/genericitem.aspx?area=Facts&id=178.

6) In den USA betrug der Anteil nach Angaben der European Defence Agency 16%.

7) European Defence Agency, European – US Defence Expenditure 2005, http://www.eda.europa.eu/genericitem.aspx?area=Facts&id=178.

8) Siehe den Forderungskatalog der European Defence Agency, An Initial Long-Term Vision for European Defence Capability and Capacity Needs, 3. Oktober 2006, http://www.eda.europa.eu/genericitem.aspx?area=Organisation&id=146.

9) BICC, BICC Conversion Survey, Anhang, verschiedene Jahrgänge.

10) SIPRI Yearbook 2007, S.376-380.

11) Eine gewisse Ausnahme bildet Großbritannien. Dort holt die Regierung konsequenter als in den übrigen Ländern Konkurrenzangebote ein und vergibt Aufträge eher nach Kostengesichtspunkten. Die größte britische Rüstungsfirma, BA Systems, hat sich inzwischen auch auf dem US-Markt etabliert.

12) UNISYS, Intra-Community Transfer of Defence Products, Bericht für die Europäische Kommission, Brüssel, 2005. http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/inst_sp/defense_en.htm#study.

13) European Defence Agency, European Defence Expenditure 2005, http://www.eda.europa.eu/genericitem.aspx?area=Facts&id=170

14) SIPRI Yearbook 2007, S.387-430.

15) Official Journal of the European Union, C250 (16. Oct. 2006), abrufbar unter http://www.bicc.de/ruestungsexport/pdf/misc/EU_8th%20Annual%20Report%20Code%20of%20Conduct%20Arms%20Exports.pdf.

16) SIPRI Yearbook 2007, S.415.

17) Angaben laut SIPRI für den Zeitraum 1997-2006, http://armstrade.sipri.org/arms_trade/values.php.

Prof. Dr. Herbert Wulf ist Vorsitzender des Vorstandes von W&F und war früher Direktor des Bonn International Centre for Conversion (BICC). Er ist weiterhin Research Associate am BICC und Guest Scholar am Australian Centre for Peace and Conflict Studies (ACPACS) an der Universtiy of Queensland, Brisbane

Rüstungsexporte

Rüstungsexporte

von Bernhard Moltmann, Jerry Sommer, Siemon T. Wezeman, Herbert Wulf

Beilage zu Wissenschaft und Frieden 4/2012
Herausgegeben von der Informationsstelle Wissenschaft und Frieden

Waffenhandel außer Kontrolle?

von Herbert Wulf

Der Waffenhandel boomt. Weltweit werden zig Milliarden umgesetzt. Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI schätzt, dass der Waffenhandel in den letzten fünf Jahren um ein Viertel anstieg (siehe hierzu den Beitrag von Siemon Wezeman in diesem Dossier). Alles, was schwimmt, fährt und fliegt, ist im Angebot: atomwaffentaugliche U-Boote für Israel, Panzer für Saudi-Arabien, Kampfflugzeuge für Indien, Kleinwaffen für die syrischen Rebellen, Waffen aus den geplünderten libyschen Lagern, die jetzt in Mali auftauchen. Wer Geld hat und Waffen kaufen will, hat kein Problem, sich ein modernes Arsenal zuzulegen. Ist der Waffenhandel außer Kontrolle geraten?

Die Antwort darauf ist ein eindeutiges Nein! Nur der geringste Teil der Waffen wird auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Die Waffentransferdaten von SIPRI, das Register der Vereinten Nationen für den Handel mit konventionellen Waffen, der Exportbericht der EU oder auch die jährliche Analyse des Waffenhandels mit Entwicklungsländern durch den amerikanischen Kongress – all diese Datensammlungen und Analysen zeigen, dass das Gros der Waffen mit Wissen und auf der Grundlage von Lizenzen staatlicher Stellen gehandelt wird. Der Waffenhandel ist nicht außer Kontrolle, im Gegenteil: Die Regierungen forcieren die Expansion des Waffenhandels gezielt und geplant. Sowohl die Regierungen der Exportländer als auch die der Importländer wissen sehr wohl Bescheid, was wohin exportiert und importiert wird.

Wie diese Waffenhandelspolitik funktioniert, lässt sich eindrücklich am Beispiel Libyen demonstrieren.1 Fast alle Länder, die 2011 im Namen der NATO libysche Truppen bombardierten, waren vorher maßgeblich an der Bewaffnung dieser Truppen beteiligt gewesen. Und auch Länder, die die Interventionspolitik der NATO kritisierten, waren Komplizen der Aufrüstung Libyens. Im Frühjahr 2011, nach dem Ausbruch der Rebellion, entdeckten die Regierungen plötzlich ihre Empörung über Muammar al-Gaddafi als Mörder am eigenen Volk – zuvor hatte sie nichts davon abgehalten, dem Regime Waffen zum Verkauf anzubieten. Im November 2010, nur wenige Monate vor dem Krieg in Libyen, stellten über 100 Firmen aus 24 Ländern auf der Waffenmesse »Libdex« in Tripolis ihre Waffen aus – darunter Firmen aus Großbritannien, Frankreich, Italien und Russland. Die Regierungschefs dieser Länder wurden bei ihren Besuchen in Libyen von Managern der Rüstungsfirmen begleitet. Italien, das Land, das die Hauptbasis für die militärischen Operationen der NATO gegen Libyen war, fungierte zuvor als Hauptlieferant für Geräte zur Überwachung der libyschen Grenzen. Der damalige französische Präsident Sarkozy war der erste, der die aktive Politik umkehrte und für militärische Aktionen gegen Gaddafi eintrat. Diese Entscheidung fiel unmittelbar nachdem die letzten französischen Ingenieure, die an Rüstungskontrakten arbeiteten, heimgekehrt waren. Die Ukraine lieferte über 100.000 Gewehre. In scharfer Konkurrenz zu einigen EU-Ländern versuchte Russland, Kampfflugzeuge und modernisierte weitreichende S300-Flugabwehrsysteme an Gaddafi zu verkaufen, und bot Reparatur- und Modernisierungspakete für Kampfpanzer und Kampfflugzeuge an. Gemäß dem offiziellen Rüstungsexportbericht der EU genehmigte die deutsche Regierung allein im Jahr 2009 Lizenzen über 53 Millionen Euro für den Export von Rüstungsgütern nach Libyen, vor allem für Fahrzeuge und Elektronik.2

Gesetze und Richtlinien

Seit langem gibt es Bemühungen, im Waffenhandel für mehr Transparenz zu sorgen. Nach jahrelangen Vorbereitungen verhandelten im Juli 2012 die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen über einen Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty) – doch ohne Erfolg. Mehr Transparenz im Waffenhandel wird es vermutlich so schnell nicht geben, und dies ist von zahlreichen Regierungen so gewollt. Denn mehr Transparenz würde sicherlich mehr Gegenwehr gegen die Rüstungsexporte zur Folge haben.

Nehmen wir das Beispiel Deutschland: Kenner der Szene behaupten, dass manches Exportgeschäft nicht zustande gekommen wäre, wenn der Bundessicherheitsrat, der über kritische Ausfuhren von Waffen zu entscheiden hat, nicht im Geheimen beraten und entscheiden könnte, sondern sich gegenüber dem Parlament zu verantworten hätte. Meist werden die Exportgeschäfte erst Jahre nach der Entscheidung publik und dann in den Medien und der Öffentlichkeit skandalisiert, wie beispielsweise die U-Boot-Lieferungen Deutschlands an Israel oder der geplante Leopard-Panzerexport nach Saudi Arabien, möglicherweise auch nach Katar und Indonesien (zu den deutschen Exporten siehe den Beitrag von B. Moltmann in diesem Dossier).

Wenn der Protest gegen die Panzerexporte die Regierung nicht noch zum Einlenken bringt, steht zu erwarten, dass die Rüstungsexportrichtlinien in Zukunft noch lockerer als bisher ausgelegt oder sogar aufgeweicht werden – und dies auf zwei Ebenen.

Erstens arbeitet die Regierung zur Zeit daran, die deutschen Richtlinien den etwas weicheren der EU anzupassen. In der EU werden Entscheidungen über Rüstungsexporte weitgehend der Auslastung der jeweils nationalen Rüstungsproduktionskapazitäten untergeordnet. Angesichts der riesigen öffentlichen Verschuldung sind manche Rüstungsaufträge für die eigenen Streitkräfte gekürzt, verschoben oder gestrichen worden. Auch in Griechenland ist dies entgegen anders lautender Presseberichte geschehen, wie in dem Beitrag von Jerry Sommer in diesem Dossier veranschaulicht wird. Die Industrie versucht diese Politik durch entsprechende Exportanstrengungen zu kompensieren, und die Regierungen zeigen sich für solche Anliegen zunehmend offen. Es ist zu befürchten, dass die Rüstungskontrollmechanismen bei der jetzt fälligen Überprüfung des »Gemeinsamen Standpunktes«3 der EU zum Rüstungsexport weiter geschwächt werden und dass die deutsche Rüstungslobby die Regierung erfolgreich dazu überredet, die deutschen Richtlinien denen der EU anzupassen.

Zweitens hat die Bundesregierung im August 2012 eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vorgelegt. Darin wird u.a. auf die weicheren Richtlinien der EU verwiesen und der erleichterte Export von so genannten Dual-use-Gütern, die militärisch und zivil verwendbar sind, vorgesehen. Vor allem Elektronik und Produktionsgüter, die für die Herstellung von Waffen und anderen Rüstungsgütern verwendbar sind, könnten so in Zukunft noch leichter exportiert werden. Die Konsequenzen sind fatal. Rüstungsgüter sind äußerst langlebig. Noch in 20 oder 30 Jahren könnten Waffen in Kriegen und Konflikten zum Einsatz kommen, die heute mit deutscher Technologie produziert werden. Und einmal gelieferte Produktionstechnologie vermindert die Kontrolle über die anderswo hergestellten Waffen weiter. Das Beispiel der zahlreichen Produktionsstandorte für Gewehre von Heckler & Koch in Krisenländern sollte eine Lehre sein.4

Wie stichhaltig sind die Argumente für Rüstungsexporte?

In Deutschland werden von Befürwortern der Rüstungsexporte ständig drei unterschiedliche Argumente angeführt: der Erhalt von Arbeitsplätzen, die Auslastung der Rüstungsproduktionskapazitäten und (eher hinter vorgehaltener Hand) strategische Überlegungen.

Erstens Arbeitsplätze: Rund 80.000 Arbeitsplätze, so wird geschätzt, hängen in Deutschland von der Rüstungsproduktion ab, vielleicht die Hälfte hiervon vom Export. Damit ist diese Branche in Deutschland gesamtvolkswirtschaftlich marginal. Angesichts des Fachkräftemangels wäre es volkswirtschaftlich sogar nützlich, wenn die in der Regel sehr gut ausgebildeten Fachkräfte aus dem Rüstungsbereich anderen Branchen zur Verfügung stehen würden. Die wenigen Tausend vom Waffenexport abhängigen Beschäftigten würden in der Mehrzahl andere qualifizierte Arbeitsplätze finden. Für einige spezialisierte Unternehmen (z.B. Panzerbau, Kleinwaffen, Werften) sind die Produktion und der Export jedoch existenziell. Aber soll man, darf man, wegen des Geschäftsinteresses einiger weniger Firmen außen- und sicherheitspolitische Erwägungen und Prinzipien zum Schutz der Menschenrechte über Bord werfen und in Krisen- und Spannungsgebiete liefern, wie dies zur Zeit geschieht?

Zweitens Kapazitätsauslastung: Es ist zweifellos richtig, dass der nationale Bedarf der Streitkräfte nirgendwo (mit Ausnahme der USA) ausreicht, die vorhandenen Produktionskapazitäten auszulasten.5 Auf Deutschland und die EU bezogen kann die Konsequenz nur heißen, endlich zu beginnen, die Duplizierung von Waffenentwicklungen und Produktionskapazitäten zu beseitigen und die jeweils nationalen Kapazitäten in den Hauptproduktionsländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien herunterzufahren und so den Druck für weitere Waffenexporte zu reduzieren. Wenn europäische Politiker glauben, weiterhin die gesamte Palette an Waffensystemen für Streitkräfte herstellen zu müssen (und dafür auch weiterhin Mehrheiten in der Bevölkerung zu erhalten und gewählt zu werden), dann sollten sie zumindest die seit langem in der EU propagierte Zusammenarbeit ernst nehmen und nicht mehr zulassen, dass mehr als ein Dutzend unterschiedliche Typen gepanzerter Fahrzeuge, mehrere Kampfpanzer- und Kampfflugzeugmodelle und in einem halben Dutzend EU-Ländern entworfene Fregatten produziert werden, die irgendwann in den Händen von Diktatoren landen.

Drittens strategische Überlegungen: Insider mit Kenntnissen über Entscheidungen des Bundessicherheitsrats behaupten, das ausschlaggebende Argument für Rüstungsexporte seien oftmals strategische Überlegungen. Panzer nach Saudi Arabien und Katar (beide in der Krisenregion Nahost) zu liefern bedeute, die Ölversorgung für die Zukunft zu sichern. Waffen auch in Indien anzubieten, trotz der ungelösten Grenzkonflikte Indiens mit Pakistan und China, bedeute, mit einer aufstrebenden Regional- wenn nicht Globalmacht gute Beziehungen zu pflegen. U-Boote nach Israel zu liefern erklärt die Kanzlerin zur deutschen Staatsräson.

Die verheerenden Folgen von Waffenlieferungen haben vor allem die Menschen in Krisen- und Spannungsgebieten zu tragen. Die Problematik hat sich im arabischen Raum bewiesen. Mehr als drei Jahrzehnte unterstützten die USA korrupte Regime im arabischen Raum, so auch in Ägypten, mit vielen Milliarden Dollar Militärhilfe und der Lieferung moderner Waffen. Deutschland will noch immer mit Fregattenlieferungen an Algerien Politik machen. Wie kurzsichtig derartige Politikkonzepte sind, haben die Umbrüche in der arabischen Welt gezeigt. Die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzten Waffen sind nur der offensichtlichste Beleg für die verfehlte Exportpolitik.

Augenscheinlich will auch die deutsche Regierung davon nicht lassen – trotz der jüngsten Erfahrungen in Libyen und mit den russischen Waffen in Syrien. Es sei denn, sie wird von der Bevölkerung, die mehrheitlich Waffenexporte in Krisengebiete ablehnt, eines Besseren belehrt.

Anmerkungen

1) Herbert Wulf: Libyen: Land voller Waffen. In: Johannes M. Becker und Gert Sommer (Hrsg.) (2012): Der Libyen-Krieg. Berlin: Lit Verlag, S.237-255.

2) European Council: Thirteenth Annual Report According to Article 8(2) of Council Common Position 2008/944/CFSP Defining Common Rules Governing Control of Exports of Military Technolgy and Equipment. Brüssel, 30. Dezember 2011, S.160-162.

3) Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. In: Amtsblatt Nr. L 335 vom 13/12/2008 S.0099-0103. Siehe auch die kritische Analyse in: Bernhard Moltmann: Die Zange, die nicht kneift. Der EU-Gemeinsame Standpunkt zu Rüstungsexporten – Chancen und Risiken seiner Überprüfung. HSFK-Report Nr. 3/2012.

4) Jürgen Grässlin (2003): Versteck dich, wenn sie schießen. Die wahre Geschichte von Samiira, Hayrettin und einem deutschen Gewehr. Droemer Knaur, München 2003.

5) Europäische Kommission (2008): Rüstungsindustrie – Umfassende Sektoranalyse der neuen Kompetenzen und der wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb der Europäischen Union. Brüssel. Siehe ferner Christian Mölling: Pooling and Sharing in the EU and NATO. SWP-Comments 18, Juni 2012.

Prof. Dr. Herbert Wulf war von 1994 bis 2001 Leiter des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), er forschte am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH) und bei SIPRI in Stockholm. Er ist heute Senior Fellow am Käte Hamburger Kolleg, Universität Essen/Duisburg und arbeitet über indische Außen- und Sicherheitspolitik.

Der Waffenhandel 2007-2011

von Siemon T. Wezeman

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI registriert in einer Datenbank den Handel mit Großwaffen seit 1950 (siehe Kasten). Anhand der Daten lässt sich präzise festhalten, welche Länder in welchen Zeiträumen Waffen ein- oder ausführen. Der nachfolgende Artikel zieht Bilanz des globalen Waffenhandels im Zeitraum 2007-2011 und ergänzt die Angaben gelegentlich um Vergleichszahlen aus dem Jahrfünft 2002-2006. Sämtliche Angaben in diesem Artikel beziehen sich ausschließlich auf den Handel mit konventionellen Großwaffen.

SIPRI-Datenbank zu Waffenhandel

Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sammelt und analysiert Daten über den internationalen Handel mit konventionellen Großwaffen. Jährlich werden die neuen Daten veröffentlicht, das letzte Mal im März 2012. Die Datenbank erfasst momentan den Zeitraum von 1950 bis 2011. Da es keine allgemein verbindlichen Definitionen für Großwaffen gibt, legt SIPRI eine eigene Definition zugrunde.

In der Datenbank sind alle Transfers seit 1950 (Verkäufe, Geschenke, Leasing oder Verleih) von und an Staaten, internationale Organisationen und bewaffnete nicht-staatliche Gruppen (Rebellen) erfasst. Da in der Regel keine vollständigen, zuverlässigen und brauchbaren Daten über das Finanzvolumen der Waffendeals verfügbar sind, hat SIPRI zur Darstellung statistischer Trends ein eigenes System entwickelt, den SIPRI Trend Indicator Value (TIV). Der TIV misst relative Veränderungen des Waffenhandels von einem Jahr zum anderen sowie die relative Stellung von Export- und Importländern und deren Waffenhandelsbeziehungen. Die in diesem Artikel verwendeten Zahlen beruhen auf konkreten Lieferungen von Großwaffen gemäß der Definition von SIPRI; die Finanzvolumina und die Prozentsätze basieren auf dem SIPRI TIV.

SIPRI verwendet für seine Datensammlung ausschließlich öffentlich zugängliche Quellen. Der Zugriff auf die SIPRI Arms Transfers Database unter sipri. org ist frei.

Der Waffenhandel nahm laut SIPRI-Statistik in den letzten fünf Jahren um 24% zu (siehe Abb. 1) und erreichte 2011 das höchste Handelsvolumen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Zahlen sind zwar immer noch niedriger als in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, als sie ihr Nachkriegshoch erreicht hatten. Dennoch gefährdet der erneute globale Anstieg des Waffenhandels – vor allem die starke Zunahme in krisenanfälligen Regionen wie Südostasien, Nordafrika, dem Golf und dem indischen Subkontinent – die Stabilität. Die Waffenkäufe sollten politischen Entscheidungsträgern Anlass zu Bedenken geben, besonders in der Handvoll Exportländer, die den Waffenhandel dominieren. Wichtig wären Strategien, um in diesen Spannungsgebieten mehr Vertrauen aufzubauen. Dafür wäre mehr Transparenz bei Waffenkäufen eine wichtige Voraussetzung – genau daran hat es aber in den letzten Jahren mehr denn je gemangelt, ebenso wie an einer politischen Debatte über die Frage, warum Länder eigentlich Waffen kaufen.

Der Handel mit Großwaffen – Trendverlauf 2002-2011

Abb. 1: Der Handel mit Großwaffen – Trendverlauf 2002-2011

Die Lieferländer

SIPRI identifizierte mindestens 59 Länder, die 2007-2011 Großwaffen lieferten. Die Top-20 der Waffenexporteure blieben relativ stabil: Sie lieferten mal mehr, mal weniger Waffen, führen aber fast immer die Liste der größten Waffenexporteure an. Eine Ausnahme ist China: Seine Bedeutung als Waffenexporteur stieg signifikant an.

Die fünf größten Lieferländer waren die Vereinigten Staaten, Russland, Deutschland, Frankreich und Großbritannien (siehe Tab. 1). Die USA und Russland blieben mit 30% bzw. 24% der gesamten Waffenlieferungen mit Abstand die größten Waffenexporteure. Damit veränderte sich bei den Top-5 der Lieferländer fast nichts: 2007-2011 entfielen auf diese fünf Länder 75% des Waffenexports; 2002-2006 waren es 78%. Werden die Mitgliedsländer der Europäischen Union als ein Block gerechnet, so rückte die EU mit 32% sogar an die Spitze der globalen Waffenexporteure.

Tab. 1: Die fünf größten Lieferländer von Großwaffen und ihre Empfängerländer 2007–2011

Lieferland Anteil am Waffenhandel Hauptempfänger
(Anteil am Gesamtexport des Lieferanten)
1. 2. 3.
USA 30% Südkorea (13%) Australien (10%) VAE (7%)
Russland 24% Indien (33%) China (16%) Algerien (14%)
Deutschland 9% Griechenland (13%) Südkorea (10%) Südafrika (8%)
Frankreich 8% Singapur (20%) Griechenland (10%) Marokko (8%)
Großbritannien 4% Saudi-Arabien (28%) USA (21%) Indien (15%)
Quelle: SIPRI Arms Transfers Database; sipri.org

Tab. 2: Die fünf größten Empfängerländer von Großwaffen und ihre Hauptlieferanten 2007–1011

Empfängerland Anteil am Waffenhandel Hauptlieferanten
(Anteil am Gesamtimport der Empfängerländer)
1. 2. 3.
Indien 10% Russland (80%) Großbritannien (6%) Israel (4%)
Südkorea 6% USA (74%) Deutschland (17%) Frankreich (7%)
Pakistan 5% China (42%) USA (36%) Schweden (5%)
China 5% Russland (78%) Frankreich (12%) Schweiz (5%)
Singapur 4% USA (43%) Frankreich (39%) Deutschland (8%)
Quelle: SIPRI Arms Transfers Database; sipri.org

Größter Einzelexporteur blieben die USA mit 30% der globalen Lieferungen; ihre Rüstungsexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 16%. 45% der US-Lieferungen gingen nach Asien und Ozeanien, 27% in den Nahen und Mittleren Osten und 18% nach Europa. Die USA lieferten Waffen in mindestens 79 Länder sowie an die NATO (als Organisation) – und damit an weit mehr Länder als jeder andere Waffenexporteur. 63% der US-Lieferungen waren Flugzeuge (im Durchschnitt aller Lieferländer machen Flugzeuge 46% der Exporte aus). Im Jahr 2011 lieferten die USA 64 Kampfflugzeuge ins Ausland, darunter elf F-15E an Südkorea, sieben F-15SG an Singapur, neun F/A-18E an Australien, zwölf F-16C an die Türkei und 16 F-16C an Marokko. Die größte Lieferung der letzten 20 Jahre gab Saudi-Arabien in Auftrag, das 2011 bei den USA 84 neue F-15SG-Kampflugzeuge sowie die Aufrüstung von 70 F-15E im vorhandenen Arsenal bestellte.

In den letzten Jahren richteten die USA ihre Waffenexportpolitik vor allem an ihren strategischen Prioritäten in Asien aus; dabei ging es hauptsächlich darum, Chinas wachsendem Einfluss etwas entgegenzusetzen. Von ihren fünf größten Kunden – Südkorea (13% des Lieferumfangs), Australien (10%), Vereinigte Arabische Emirate (VAE, 7%), Pakistan (6%) und Singapur (6%) – liegen vier in Asien und Ozeanien. Im August 2011 lehnte die US-Regierung zwar den Verkauf von 66 neuen Kampfflugzeugen des Typs F-16 an Taiwan ab, vor allem um die Beziehungen zu China nicht weiter zu belasten, stimmte aber dem Verkauf von Aufrüstsätzen für 145 F-16 in Taiwans Flotte zu.

Waffenlieferungen an Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates sind integraler Bestandteil der US-Sicherheitspolitik im Nahen Osten, nicht zuletzt als Antwort auf Al Kaida und die vermeintliche Bedrohung durch den Iran. Davon profitiert auch die US-Industrie in erheblichem Maße. Im Jahr 2011 lieferten die USA an die VAE, den drittgrößten Importeur von US-Waffen in den letzten fünf Jahren, vier C-17-Transportflugzeuge, 15 UH-60-Transporthubschrauber, 20 mobile Raketenwerfer M-142 und eine große Anzahl Lenkwaffen für ihre Flugzeuge. Der größte Auftrag der VAE an die USA 2011 umfasste zwei taktische THAAD-Raketenabwehrsysteme, die sich eindeutig gegen das wachsende Arsenal ballistischer Raketen des Iran richten. Saudi-Arabien erteilte einen Auftrag über 29,4 Mrd. US$ für 154 F-15SA-Kampfflugzeuge – vom Auftragsumfang die größte Waffenbestellung eines Landes, den die US-Rüstungsindustrie zumindest seit dem Kalten Krieg verbuchen konnte. Der Deal, abgeschlossen während des »Arabischen Frühlings«, wurde damit gerechtfertigt, dass er mehr als 50.000 amerikanische Jobs sichern und jährlich 3,5 Mrd. US$ zur Wirtschaftsleistung der USA beitragen würde. Saudi-Arabien bestellte noch weitere US-Waffen, u.a. 36 AH-64D-Kampfhubschrauber.

Andere große Waffenbestellungen von Ländern des Nahen und Mittleren Osten im Jahr 2011 kamen aus dem Irak (18 F-16C-Kampfflugzeuge), Oman (zwölf F-16C) und Ägypten (125 M-1A1-Panzer, ein Modell, das während des ägyptischen Aufstands gegen das Mubarak-Regime in den Straßen Kairos aufgefahren wurde).

Aufgrund noch ausstehender Lieferungen und Kaufordern, die Ende 2012 kurz vor der Vertragsunterzeichnung stehen, ist abzusehen, dass die USA auch in den nächsten Jahren der größte Waffenexporteur bleiben werden. Vor allem der Export von Kampfflugzeugen des Typs F-35 (Joint Strike Fighter) wird einen starken Einfluss auf die langfristige Entwicklung desUS-Waffenexports haben. Die Türkei orderte bereits zwei F-35 – eine Absichtserklärung gibt es für insgesamt 100 –, und Japan kündigte eine Bestellung von 42 Stück an. Anfang 2012 hatten bereits neun Länder Bestellungen über insgesamt mehr als 700 F-35 unterzeichnet oder geplant, und weitere Staaten haben ihr Interesse bekundet. Die USA selbst wollen zirka 2.400 dieser Flugzeuge kaufen.

Die russischen Waffenexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 12%. Die Geschäfte mit Asien sind zwar zurückgegangen, machen aber immer noch 63% der russischen Waffenexporte aus. Nach Afrika gingen 17%, vor allem nach Algerien. Als drittgrößte Importregion folgte der Nahe und Mittlere Osten mit 10%. Größtes Empfängerland blieb Indien mit 33% der russischen Waffenexporte. China war in den frühen 2000er Jahren Hauptabnehmer gewesen, diese Geschäfte gingen in den letzten Jahren aber rapide zurück. Osteuropa und Mittelasien nahmen lediglich vier Prozent der russischen Waffenlieferungen ab, im Vergleich zum Zeitraum 2002-2006 sind die Lieferungen aber um 158% gestiegen, vor allem durch steigende Exporte in ehemalige Sowjetrepubliken in Mittelasien und im Kaukasus.

Russland wird zweifellos in den nächsten fünf bis zehn Jahren genug Waffen exportieren, um gemeinsam mit den USA die unangefochtenen Top-2 der globalen Waffenexporteure zu stellen. Allein die offenen Bestellungen von Indien würden ausreichen, um alle anderen Exportländer mit Ausnahme der USA abzuhängen.

Die deutschen Waffenexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 37%. 41% der deutschen Waffen wurden in europäische Länder verkauft – größter Kunde war hier mit 13% Griechenland. Nach Asien und Ozeanien gingen 27% der deutschen Waffenexporte, auf den amerikanischen Kontinent 12%. Mit 13% war Griechenland der größte Einzelempfänger von Waffen aus Deutschland.

2011 gingen nur wenige Großbestellungen bei der deutschen Rüstungsindustrie ein. Allerdings entschied Deutschland im gleichen Jahr, die Lieferung eines sechsten U-Boots der Dolphin-Klasse an Israel mit einem Drittel des Kaufpreises zu subventionieren. Die Bundesregierung gab außerdem grünes Licht für eine Großbestellung für gepanzerte Fahrzeuge, Fregatten, Elektronik und anderes Gerät durch Algerien; ein erster Auftrag über 54 gepanzerte Mannschaftswagen des Typs TPZ-1 wurde 2011 bereits unterzeichnet. Die deutsche Regierung hat auch dem Verkauf von Panzern des Typs Leopard-2A7+ an Saudi-Arabien grundsätzlich zugestimmt – im Gespräch sind insgesamt 200 bis 600 Stück. Allerdings war Mitte 2012 noch kein Vertrag unterzeichnet, und der Deal rief in Deutschland massive Proteste hervor. (Mehr zu den deutschen Waffenexporten im Beitrag von Bernhard Moltmann in diesem Dossier).

Die französischen Exporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 12%, dennoch fiel Frankreich vom 3. Platz der größten Waffenexporteure (den jetzt Deutschland hält) auf den 4. Rang. Auch für französische Waffenexporte waren Länder in Asien und Ozeanien mit 51% Hauptabnehmer. Es folgten Europa mit 22% und der Nahe und Mittlere Osten mit 12%. Zu den größten Abkommen 2011 gehörte ein indischer Auftrag für die Aufrüstung von 51 Kampfflugzeugen des Typs Mirage-2000 auf den Standard der Mirage-2000-5a und die russische Bestellung von zwei Hubschraubträgern des Typs Mistral im Wert von 1,1 Mrd. Euro mit Optionsrecht auf zwei weitere. Nach zwei Rückschlägen, als die VAE wie die Schweiz entschieden, keine Rafale-Kampfflugzeuge von Frankreich zu kaufen, teilte im Januar 2012 Indien mit, es wolle 124 Rafale im Wert von über 10 Mrd. US$ kaufen.

Die britischen Waffenexporte stiegen in den letzten fünf Jahren um 2%. Der Nahe und Mittlere Osten nahm 30% der Waffenexporte ab, gefolgt vom amerikanischen Kontinent (28%) und Asien (23%). Saudi-Arabien war und bleibt Hauptkunde mit einer Bestellung von 72 Kampfflugzeugen des Typs Typhoon. Die Regierung in Riad nahm 93% der britischen Lieferungen in den Nahen und Mittleren Osten ab. Wie andere EU-Mitgliedsstaaten wurde Großbritannien heftig für seinen Waffenhandel mit Ländern des »Arabischen Frühlings« kritisiert. Während Großbritannien einige Waffenexportgenehmigungen aussetzte und Änderungen bei der Exportkontrolle ankündigte, achtete die Regierung gleichzeitig darauf, dass große Verträge mit Ländern im Nahen und Mittleren Osten nicht beeinträchtigt wurden.

Ob Großbritannien auch in Zukunft zu den Top-5 der Waffenexporteure gehört, scheint eher fraglich, da es in den letzten Jahren nur selten einen größeren Auftrag verbuchte. 2011 war die Bestellung von Luftbetankungssystemen für das US-amerikanische Tankflugzeug KC-46 in Höhe von 73 Mio. US$ der größte Auftrag an ein britisches Rüstungsunternehmen.

Während Chinas Rolle als Importeur von Waffen deutlich zurückging, legten chinesische Waffenexporte um 95% zu. Damit wickelte China 4% der globalen Waffenlieferungen ab und landete auf dem 6. Platz der größten Lieferländer. Dieses rasche Exportwachstum ist weitestgehend auf Lieferungen an Pakistan zurückzuführen. Pakistan pflegt seit langem enge militärische Beziehungen zu China und nimmt 64% der chinesischen Exporte ab. China lieferte etwa 50 JF-17-Kampfflugzeuge, drei F-22P-Fregatten und 203 MBT-2000-Kampfpanzer nach Pakistan. 73% der chinesischen Waffenexporte gingen nach Asien, gefolgt vom Nahen und Mittleren Osten (12%), Afrika (9%) und Südamerika (6%).

Obwohl China bei der Militärtechnologie Fortschritte machte, verzeichnete das Land beim Export seiner jüngsten Waffengeneration noch keinen Durchbruch. Für die beiden Kampfflugzeuge der neuesten Generation, das Jagdflugzeug JF-17 und die weiter entwickelte Version J-10, hat sich beispielsweise bislang nur Pakistan interessiert. Zwar konnte China außerhalb von Pakistan nur relativ kleine Aufträge einwerben, es ist jedoch kaum zu verkennen, dass China inzwischen aktiver für seine Waffen wirbt. Es bietet einfachere Waffen zu konkurrenzfähigen Preisen an und hat zum ersten Mal einige Großwaffen im Angebot, die so ausgereift sind, dass sie auf dem Markt durchaus bestehen können.

Die Empfängerländer

SIPRI identifizierte 152 Empfängerländer, die in den letzten fünf Jahren Waffen einführten: Das sind rund drei Viertel aller Länder der Welt. Die regionale Verteilung der Waffenlieferungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Die Hauptempfängerregionen blieben Asien und Ozeanien (44%), Europa (19%), Naher und Mittlerer Osten (17%), der amerikanische Kontinent (11%) und Afrika (9%). Die Top-5-Empfängerländer lagen alle in Asien und Ozeanien: Indien, Südkorea, Pakistan, China und Singapur. In diese fünf Länder gingen 30% aller Waffenlieferungen. Das ist weniger als 2002-2006, als 39% an die damaligen Top-5 (China, Indien, VAE, Griechenland und Südkorea) geliefert wurden. Indien war mit 10% das größte Importland. China, zuvor die Top-1, liegt jetzt auf dem 4. Platz.

Überraschend ist, dass viele der größten Importländer in hohem Maße (zu mehr als drei Vierteln) von nur einem oder zwei Exportländern abhingen. Unter den 10-Top-Importeuren war die Lieferantenstruktur der USA am stärksten diversifiziert. Sie importierten Waffen aus 15 Ländern und aus keinem einzelnen Land mehr als 23%.

Afrika

Die Waffenimporte der afrikanischen Staaten stiegen um 110%, die Empfängerländer verschoben sich aber gegenüber dem vorherigen Jahrfünft. Die Länder des subsaharischen Afrika hatten damals noch 67% der Waffenlieferungen erhalten und steigerten ihre Importe seither um 20%. Die Waffenlieferungen nach Nordafrika schnellten um 273% in die Höhe, so dass in den letzten fünf Jahren 59% der afrikanischen Waffenimporte auf Länder in dieser Region entfielen. Die größten Importländer waren Algerien (43%), Südafrika (17%) und Marokko (16%).

In Nordafrika verzeichnen insbesondere Algerien und Marokko eine Reihe ungelöster Streitigkeiten um die Grenzziehung und den Westsaharakonflikt, was sich bei den Waffenkäufen in einem Aktions-Reaktionsmuster niederschlägt. Beide Länder haben in den vergangenen Jahren erheblich in Waffen investiert. Marokko steigerte seine Waffenimporte um das 5,4-fache, wobei der Anstieg 2011 besonders ausgeprägt war. Große Posten waren die Lieferung von 16 Kampfflugzeugen des Typs F-16C aus den USA, von 27 MF-2000-Kampfflugzeugen aus Frankreich und von einer Fregatte SIGMA-90 aus den Niederlanden; weitere Kampfflugzeuge und Fregatten sind bestellt. Algerien importierte seinerseits 36 Kampfflugzeuge Su-30MK, 185 T-90-Panzer, zwei Flugabwehrsysteme des Typs SAM 300PMU-2 SAM und zwei U-Boote der Klasse Project-636E aus Russland. Eine große Anzahl Hubschrauber, Korvetten, Fregatten und Landsysteme sind in Russland, China, Großbritannien, Italien und Deutschland bestellt oder in Planung.

Unter den subsaharischen Ländern war Südafrika der größte Waffenimporteur. Seine Einfuhren stiegen um 80% und machten 41% der Lieferungen nach Subsahara-Afrika aus. 55% der südafrikanischen Waffenimporte kamen aus Deutschland, darunter zwei Fregatten und zwei U-Boote. Schweden war mit 30% der zweitgrößte Lieferant und lieferte 21 JAS-39-Kampfflugzeuge, sechs davon im Jahr 2011. Manches deutet darauf hin, dass sich Südafrika mit seinen Waffenkäufen übernommen hat: Ein erheblicher Teil der neuen Waffen ist Berichten zufolge wegen finanzieller Engpässe nicht voll einsatzfähig. Allerdings hat Südafrika nach etlichem Zögern jüngst mitgeteilt, zumindest die Kriegsschiffe zur Unterstützung ostafrikanischer Staaten gegen die wachsende Bedrohung durch somalische Piraten seien jetzt einsatzbereit.

Während die Lieferungen nach Ostafrika insgesamt um 29% zurückgingen, ist bei Uganda, Kenia und dem kürzlich unabhängig gewordenen Südsudan ein deutlicher Importanstieg zu beobachten. Ugandas Importe stiegen um 300%, was auf die russische Lieferung von vier Mehrzweckkampfflugzeugen des Typs Su-30MK und dafür geeigneten Lenkwaffen im Jahr 2011 zurückzuführen ist. Kenia, das 2002-2006 keine Waffen importiert hatte, führte nun 15 gebrauchte F-5E-Kampfflugzeuge aus Jordanien, 32 Panzerfahrzeuge des Typs WZ-551 und vier Hubschrauber Z-9WA aus China, drei Mi-171-Hubschrauber aus Russland und 35 Panzerfahrzeuge des Typs Puma M-26 aus Südafrika ein. Kenia setzt einige dieser neu erworbenen Waffen bei den anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Somalia ein. Die ugandischen Waffenkäufe stehen teilweise im Zusammenhang mit der Unterstützung Ugandas für den Südsudan.

Der amerikanische Kontinent

Auf dem amerikanischen Kontinent stiegen die Waffenimporte um 61%; 11% des globalen Waffenimports sind in dieser Region zu verzeichnen.

Nach Nordamerika wurden 54% mehr Waffen geliefert, und zwar hauptsächlich in die USA, dem achtgrößten Empfängerland weltweit. Die Top-3-Lieferanten der USA waren Großbritannien, Kanada und Deutschland; auf sie entfielen 52% der US-amerikanischen Waffeneinfuhren. 82% der eingeführten Waffen wurden in den USA auf Lizenz gefertigt, wobei häufig ein beträchtlicher Teil der Wertschöpfung in den USA selbst erfolgte. Ein erheblicher Teil der Waffen wurde für die militärischen Operationen der USA im Irak und in Afghanistan gekauft, darunter mehrere Hundert gepanzerte Mannschaftswagen des Typs RG-31 aus südafrikanischer Produktion. Allerdings importierten die USA Waffen auch für allgemeinere Zwecke, z.B. Übungsflugzeuge aus Großbritannien und der Schweiz, Tausende gepanzerter Radfahrzeuge des Typs Piranha-3 aus kanadischer Produktion und mehr als Tausend in Großbritannien entwickelte 155mm-Haubitzen des Typs M-777. Die Importe der USA signalisieren eine gewisse Bereitschaft, den Markt für ausländische Konkurrenten zu öffnen. Sie belegen aber auch, dass sogar die Supermacht USA zumindest zu einem gewissen Grad von ausländischer Militärtechnologie abhängig ist, wie im Falle der Luftbetankungssysteme, die 2011 für die US-Tankflugzeuge KC-46 bestellt wurden.

Die Waffenlieferungen nach Südamerika stiegen um 77%; damit steigerte sich in dieser Region der Anteil an den globalen Waffenimporten von 4,4% auf 6,3%.

Der größte Waffenimporteur in Südamerika war Venezuela. Seine Waffenimporte stiegen um 555%, das Land kletterte dadurch vom 46. Platz der größten Waffenimporteure auf Rang 15. Venezuela beschaffte sich in relativ kurzer Zeit vorwiegend russische und chinesische Waffen, um veraltetes westliches Gerät zu ersetzen und die expandierenden Streitkräfte auszurüsten. 2011 lieferte Russland eine ganze Reihe Waffensysteme an Venezuela, so T-72M1M-Panzer und Flugabwehrsysteme des Typs S-125 Pechora-2M. Überdies konnte sich Venezuela für künftige Waffenkäufe einen Kredit in Höhe von 4 Mrd. US$ bei Russland sichern.

Die Regionalmacht Brasilien rangierte weltweit nur auf Platz 32 der größten Waffenimporteure, was weniger als einem Prozent der globalen Waffeneinfuhren entspricht. Doch wird es dabei vermutlich nicht bleiben. Ende 2011 entfiel fast ein Viertel sämtlicher noch nicht ausgelieferter südamerikanischer Waffenbestellungen auf Brasilien. Das Land plant eine umfassende Modernisierung seiner Streitkräfte und hat in Frankreich fünf U-Boote und 50 Hubschrauber bestellt und in Italien mehr als 2.000 gepanzerte Fahrzeuge. Die Regierung gab außerdem bekannt, dass sie mindestens 36 Kampfflugzeuge und eine ganze Flotte neuer Fregatten und Schnellboote sowie einen Flugzeugträger beschaffen will.

Asien und Ozeanien

Die Waffenlieferungen an Länder in Asien und Ozeanien stiegen um 24%. Damit entfielen 44% der globalen Waffenimporte auf diese Region, fast der gleiche Wert wie in den fünf Jahren zuvor. 37% dieser Lieferungen gingen nach Südasien, 29% nach Nordostasien, 23% nach Südostasien und 8% nach Ozeanien. Das verbleibende eine Prozent wurde von Ländern in Mittelasien importiert.

Indien war mit 10% der globalen Waffenimporte TOP-1 der Empfängerländer. Auslöser der indischen Waffenkäufe waren der schwelende Konflikt mit Pakistan, wieder aufgeflammte Spannungen entlang der indisch-chinesischen Grenze und das unverkennbare Streben, in der Region des Indischen Ozeans als Regionalmacht anerkannt zu werden. Die Waffenimporte stiegen um 38% und umfassten ganz unterschiedliche Waffenarten. Die weitaus meisten Waffen für Indien kamen aus Russland, nämlich 80%, darunter 120 Kampfflugzeuge des Typs Su-30MK und 16 des Typs MiG-29K. 20 Kampfflugzeuge Jaguar-S kamen aus Großbritannien, 108 Su-30MK und 91 MiG-29SMT sind bereits bestellt, ebenso 51 Mirage-2000-5. Indien wird zwar auch in Zukunft stark von Russland abhängen – u.a. beteiligt es sich am Programm für das Kampfflugzeug der 5. Generation, dem T-50 PAKFA –, ist aber dabei, seine Lieferantenbasis zu diversifizieren, z.B. durch die Bestellung von 126 Rafale-Kampfflugzeugen bei Frankreich. Gleichzeitig festigte Indien seine Beziehungen zu den USA und vergab zum ersten Mal seit den frühen 1960er Jahren große Aufträge an US-Firmen, u.a. für acht U-Boot-Jagdflugzeuge des Typs P-8A und zehn C-17- sowie sechs C-130J-Transportflugzeuge.

Pakistan ist mit 5% der globalen Importe der drittgrößte Waffenimporteur. Seine Hauptbezugsländer waren China und die USA mit 42% bzw. 35% der Lieferungen. Zu den relevanten Importen gehörten u.a. ungefähr 50 Kampfflugzeuge JF-17 aus China und 30 F-16 aus den USA.

China steigerte im betrachteten Jahrfünft das technische Potential zur Waffenproduktion erheblich – sein Militärkomplex hatte in den letzten 20 Jahren viel von den aus Russland importierten Waffen abgeschaut. Und das Land ist inzwischen weitaus unabhängiger von Waffenimporten geworden. War es im vorherigen Jahrfünft noch mit Abstand der größte Waffenimporteur, sanken seine Waffeneinfuhren 2007-2011 um 58%, so dass das Land jetzt auf Platz 4 der größten Waffenimporteur rangiert. 77% der chinesischen Importe kamen aus Russland. Seit 2011 hat China keine kompletten Kampfflugzeuge oder andere große Waffenplattformen mehr importiert, blieb aber für seine eigene Waffenproduktion zum Teil auf die Einfuhr von Triebwerken und Radarsystemen aus Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland angewiesen.

Das Liefervolumen an südostasiatische Länder stieg um 185% und erreichte damit das höchste Niveau seit dem Ende des Vietnamkrieges 1975. Die Importe nach Singapur wie nach Malaysia stiegen um nahezu 300%, die nach Indonesien um 144% und nach Vietnam um 80%. Das Waffenarsenal vieler südostasiatischer Länder ist ziemlich veraltet, die hohen Einfuhren dienen also teilweise der Modernisierung der Waffenbestände. Die Region ist aber auch durch große Spannungen geprägt, vor allem aufgrund von Streitigkeiten zwischen südostasiatischen Ländern und China um Hoheitsgebiete im Südchinesischen Meer. Entsprechend wurden vor allem Schiffe und Waffen für die Kriegsführung zur See eingeführt sowie Flugzeuge und Waffensysteme, die zur See und zu Land einsetzbar sind. Oftmals weisen die neuen Waffen erheblich bessere Kennwerte und Reichweiten auf als die alten; dadurch wachsen die Optionen, im Südchinesischen Meer militärisch einzugreifen, beträchtlich.

Australien steigerte seine Waffeneinfuhren um 48% und belegte mit 4% Platz 6 der Waffenimporteure. Unter anderem lieferten die USA 24 Kampfflugzeuge F/A-18E, sechs Flugzeuge für die Luftraumüberwachung und fünf C-17-Transportflugzeuge; aus Frankreich kamen A-330-Tankflugzeuge. Diese sowie noch ausstehende Lieferungen und geplante Waffensysteme sollen die Verteidigung und Interventionen über große Distanzen ermöglichen.

Europa

Das Volumen von Waffeneinfuhren in europäische Länder stieg um 13% und damit weniger als in anderen Regionen. Der europäische Anteil am Waffenimport sank daher von 20% im vorherigen Jahrfünft auf jetzt 19%. 15% der globalen Waffenimporte gingen in Länder der Europäischen Union, davon wurden 80% bei westeuropäischen Lieferanten gekauft. Griechenland war in den letzten fünf Jahren der größte Waffenimporteur in Europa und gehörte mit Großbritannien und Norwegen zu den Top-20.

Auch wenn Griechenland immer noch den 10. Platz der Einfuhrländer hält, sind die Waffenimporte im Vergleich zum vorherigen Jahrfünft, als das Land noch Platz 4 belegte, immerhin um 18% gesunken. 2011 wurde von Italien und den Niederlanden das zweite von vier Super-Vita-Patrouillenbooten samt der kompletten Ausrüstung und Munition (darunter auch Lenkwaffen) ausgeliefert, außerdem der erste von 20 NH-90-Hubschraubern aus Frankreich. Aktuell steht noch die Lieferung von fünf U-Booten der Klasse 214 aus Deutschland aus, die zwischen 2000 und 2010 bestellt wurden, seit 2011 hat Griechenland aber keine weiteren Waffen bestellt. (Siehe auch Jerry Sommers Betrag »Griechische Rüstung« in diesem Dossier.)

Auf Russland entfielen in den letzten fünf Jahren nur 0,1% der globalen Waffeneinfuhren. Allerdings unterzeichnete es 2011 einen Vertrag mit Frankreich über die Lieferung von zwei großen Landungsschiffen/Hubschrauberträgern der Mistral-Klasse mit der Option auf den Bau zweier weiterer Schiffe in Russland. Es schloss auch einen Vertrag mit Italien zur Montage von 60 gepanzerten Mehrzweckfahrzeugen ab, längerfristig sollen insgesamt 2.500 dieser Fahrzeuge in Russland gefertigt werden. Russland erhielt einige Drohnen aus Israel und plant weitere Bestellungen.

Sorge bereiten wachsende Waffenimporte von Aserbaidschan, das sich mit Armenien noch immer im Konflikt um die Region Nagorny-Karabach befindet. Aserbaidschans Importe stiegen um 164%; derzeit liegt das Land auf dem 38. Platz der Einfuhrländer (im Vergleich zum 53. Platz im vorherigen Jahrfünft). Zwar sanken die Importe nach Armenien und das Land belegt nur noch den 84. Platz (zuvor den 71.), allerdings kündigte die Regierung 2010/2011 an, sie wolle als Reaktion auf Aserbaidschans Waffenkäufe weit reichende Präzisionswaffen anschaffen. Beide Länder beziehen ihre Waffen vorwiegend aus Russland (Aserbaidschan 55%, Armenien 96%).

Der Nahe und Mittlere Osten

Die Waffenimporte der Länder des Nahen und Mittleren Ostens (einschließlich der Türkei) sanken um 8%. Auf diese Region entfielen 17% der globalen Waffeneinfuhren, im vorherigen Jahrfünft waren es 23%. Der Rückgang ist teilweise darauf zurückzuführen, dass etliche Länder der Region, z.B. die VAE und Israel, schon in den frühen 2000er Jahren große Waffenmengen einführten, um ihre Streitkräfte zu modernisierten. Doch deutet alles darauf hin, dass sich dieser Trend bald wieder umkehrt: Da die regionalen Spannungen mit dem Iran zunehmen und die Profite aus der Öl- und Gasförderung sprudeln, wurden in jüngster Zeit neue Großaufträge erteilt. Insbesondere die Mitgliedsländer des Golf-Kooperationsrates haben weitergehende Waffeneinkaufspläne angekündigt. 20% der Waffeneinfuhren in den Nahen und Mittleren Osten gingen in die VAE, 16% nach Saudi-Arabien, 15% in die Türkei und 11% nach Ägypten. Der »Arabische Frühling« scheint die Lieferländer nicht von Waffenlieferungen in die betroffenen Staaten abzuhalten, auch wenn das Thema in manchen Lieferländern in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird. Über Libyen verhängten die Vereinten Nationen im Februar 2011 ein Waffenembargo, die Lieferungen an Ägypten, Syrien (siehe separaten Artikel von Siemon Wezeman in diesem Dossier) und andere arabische Staaten gingen aber weiter. Geliefert wurden u.a. Waffen, beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge, die wiederholt zur Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt wurden.

Aufgrund der UN-Sanktionen gegen Iran ist der Waffenhandel mit diesem Land offensichtlich drastisch eingebrochen. Auf den Iran entfielen nur noch rund 0,5% der globalen Waffeneinfuhren. SIPRI hatte auch nach der Verhängung der UN-Sanktionen Hinweise auf einige Waffentransfers, die Fertigung der meisten Waffen, zum Beispiel der Panzerfahrzeuge aus Russland, erfolgt aber im Iran mit Komponenten, die ebenfalls im Iran produziert wurden oder bereits vor Inkrafttreten des UN-Embargos geliefert worden waren.

Die VAE hielten Platz 9 der Waffenimporteure. Mit dem Kauf moderner Langstreckenkampfjets aus den USA und Frankreich rüsten die VAE jetzt bei der Luftverteidigung nach. Ab 2012 steht die Lieferung von neun Flugabwehrsystemen Patriot PAC-3 an, und 2011 wurden bei den USA zwei THAAD-Raketenabwehrsysteme bestellt.

Saudi-Arabien rangierte als elftgrößter Waffenimporteur. Es wurden ganz unterschiedliche Waffenarten geliefert; den Löwenanteil machten 24 Typhoon-Kampfflugzeuge aus, die Teil einer Großbestellung von 72 Maschinen bei Großbritannien sind. 2011 wurden von Großbritannien, das insgesamt 41% der Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien abdeckt, außerdem die ersten luftgestützten Marschflugkörper des Typs Storm Shadow geliefert; damit baut Saudi-Arabien seine Fähigkeit aus, Langstreckenschläge durchzuführen. Das Langstreckenpotential erhält ab Mitte des Jahrzehnts nochmals einen deutlichen Schub, wenn wie geplant die Lieferung von 154 mit weitreichenden Luft-Boden-Raketen ausgerüsteten F-15SA-Kampflugzeugen ansteht, die 2011 in den USA bestellt wurden.

Siemon T. Wezeman ist Senior Fellow des Arms Transfer Programme von SIPRI. Seine Expertise erstreckt sich vor allem auf die Überwachung und Transparenz des Waffenhandels, insbesondere im asiatischen Teil des Pazifischen Ozeans und Nordamerika, Militärtechnologie und den Einsatz von Waffen in Konflikten.
Aus dem Englischen übersetzt von Herbert Wulf und Regina Hagen

Deutsche Rüstungsexportpolitik

Widersprüche und Chancen der Veränderung

von Bernhard Moltmann

Panzer nach Saudi-Arabien, U-Boote an Israel, ausgemustertes Bundeswehrmaterial in das verschuldete Griechenland, Gewehre nach Georgien und in mexikanische Kriegsgebiete, militärische Kommunikationsanlagen an das Libyen des ehemaligen Machthabers Gaddafi… Die Liste deutscher Waffenlieferungen, die in Politik und Öffentlichkeit für Irritation gesorgt haben, lässt sich beliebig verlängern. Manche dieser umstrittenen Transfers sind nur zufällig oder erst nachträglich ans Licht gekommen. Andere haben die parlamentarische Opposition auf den Plan gerufen, die mit ihren Nachfragen die Bundesregierung in Bedrängnis bringt.

Auf den ersten Blick stellt sich die deutsche Rüstungsexportpolitik als Chronik von Skandalgeschichten dar. Bei genauerer Prüfung schälen sich jedoch durchaus beständige Konturen der deutschen Rüstungsexporte heraus. Sie sind über Jahre hinweg gestiegen und halten nun mehr oder minder ihr Niveau, ungeachtet der politischen Färbung der jeweils amtierenden Bundesregierung.

Andererseits treten strukturelle Widersprüche zutage, denen sich die deutsche Politik im Umgang mit Rüstungstransfers gegenübersieht. Sie scheint ohnmächtig oder unwillig, Lösungen anzugehen, die geeignet wären, der Skandalträchtigkeit von Rüstungsgeschäften deutscher Unternehmen Einhalt zu gebieten. Sie versagt sich der Gestaltung einer Rüstungsexportpolitik, die den Maßstäben von Frieden, Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechten als Merkmalen deutscher Außenpolitik Genüge tut.

Worum geht es? Deutsche Rüstungsexporte

Bestandteil der deutschen Rüstungsexportpolitik ist nicht allein die staatliche Verantwortung für die Überwachung des Transfers von Waffen. Die Liste der zu kontrollierenden Güter und Leistungen umfasst weitaus mehr als Waffen. So zählen dazu Produkte und Komponenten, die Rüstungs- und Militärzwecken dienen (»sonstige Rüstungsgüter«), Güter mit militärischem oder zivilem Nutzen (Dual-use-Güter) und Gerätschaften und Anlagen zur Herstellung von Rüstungsgütern (Fertigungsanlagen). Auch fallen Waffen und Rüstungsgüter sowie Ersatzteile, die in den Empfängerländern montiert bzw. weiterverarbeitet werden, (»Materialpakete«) und rüstungsrelevantes Wissen (Technologie, Blaupausen) darunter. Ferner profilieren sich deutsche Unternehmen mit der Modernisierung bzw. Aufwertung von vorhandenen Rüstungsgütern (»Veredelungsexporte«) und mit Dienstleistungen und Gütern, die für Vorbereitung, Unterhalt und Einsatz von Rüstungsgütern bestimmt sind (Infrastruktur, Ausbildung, Reparatur und Wartung). Ebenfalls weckt die Nachfrage nach militärbezogenen Dienstleistungen das Interesse einschlägiger Anbieter.

Wieviel und wohin wird geliefert?

Über den Umfang der Rüstungsgüter, die deutsche Hersteller ins Ausland ausführen, herrscht weitgehend Ungewissheit.1 Die Bundesregierung ist unter rot-grüner Ägide im Jahr 2000 zwar die Verpflichtung eingegangen, über die Rüstungsexporte jährlich Auskunft zu geben. Doch erfüllen die offiziellen Rüstungsexportberichte nur bedingt die Erwartungen an Transparenz. Zudem erreichen sie die Öffentlichkeit so zeitfern, dass eine nachträgliche Kritik an einzelnen Lieferungen keine politische Relevanz mehr hat. Statistisch werden allein Anzahl und Volumina der gewährten Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter beziffert und die Empfängerstaaten benannt. Die Transfers, die sich im Rahmen von staatenübergreifenden Rüstungskooperationen vollziehen, tauchen nur pauschal und ohne weitere Detailangaben in der Rubrik »Sammelausfuhrgenehmigungen« in den jährlichen Zahlenwerken auf. Lediglich für den Teilbereich der als »Kriegswaffen« eingestuften Rüstungslieferungen erhebt das Statistische Bundesamt die tatsächlich im Berichtsjahr vollzogenen Ausfuhren. Dual-use-Güter finden im Berichtswesen ohnehin keine Erwähnung, obwohl die einschlägigen Werte durchaus das Niveau der Rüstungsexporte erreichen.

Noch schwieriger ist eine Bewertung der finanziellen Seite der Rüstungstransfers. Hier übernimmt die Regierung in ihren Statistiken die Angaben, die die Hersteller bei der Beantragung einer Ausfuhrgenehmigung machen. Doch ist die Preisbildung bei Waffen, Rüstungsgütern und militärbezogenen Dienstleistungen besonders umstritten. Hinzu kommt, dass zwischen der Anbahnung eines Rüstungsgeschäfts und dessen Vollzug häufig mehrere Jahre vergehen, was auf den Endpreis ebenso Einfluss hat wie die hohe Korruptionsanfälligkeit der Branche.

Angesichts dieser Vorbehalte sind offizielle Daten zu deutschen Rüstungstransfers mit Vorsicht zu behandeln. Umso mehr Gewicht erhalten Informationen und Bewertungen, die unabhängige Einrichtungen vorlegen. Die prominenteste ist das Stockholm International Peace Research Institute. SIPRI wertet in seinen jährlichen Publikationen alle öffentlich zugänglichen Informationen zu Transfers von Großwaffensystemen aus. Um jährliche Schwankungen auszugleichen und längerfristige Trends zu identifizieren, konzentriert sich SIPRI auf mehrjährige Vergleiche. Das mindert nicht die öffentliche Resonanz seiner Publikationen, weckt aber bei hiesigen Genehmigungsbehörden den Abwehrreflex, dass die SIPRI-Daten nicht mit den offiziellen Daten in einen Topf geworfen werden könnten. Das gleiche Schicksal widerfährt oft genug Recherchen zu den deutschen Rüstungsausfuhren, die regelmäßig von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung und dem Bonn International Center for Conversion vorgelegt werden.

Tab. 1: Deutsche Rüstungsexporte 2006-2010

2006 2007 2008 2009 2010
4.198,0 3.667,6 5.788,2 5.043,4 4.754,1
Werte der Einzelausfuhrgenehmigungen, Angaben in Mio. Euro

Tab. 2: Empfänger deutscher Rüstungsexporte

  2006 2007 2008 2009 2010
Europäische Union 1.863,6 1.297,2 1.838,6 1.445,5 2.315,1
Andere europ. Länder 643,6 518,5 298,9 285,7 408,7
Nordamerika 623,5 583,7 541,9 741,0 639,1
Südamerika 162,8 30,4 74,3 282,3 50,5
Naher/Mittlerer Osten 239,3 189,6 445,3 939,5 583,9
Südasien 244,2 433,8 179,1 194,8 227,8
Südostasien 89,9 218,9 393,9 665,5 120,0
Nordostasien 194,1 206,7 1.930,3 209,3 297,4
Ozeanien 90,8 65,4 32,9 106,5 20,1
Nordafrika 4,2 42,8 11,3 102,5 40,8
Sub-Sahara Afrika 27,8 46,9 37,4 60,5 35,0
Gesamt 4.189,0 3.677,6 5.788,2 5.043,3 4.754,1
Werte der Einzelausfuhrgenehmigungen, Angaben in Mio. Euro

Immerhin geben die Daten aus unterschiedlichen Quellen ein ungefähres Bild der Vorgänge und lassen durchgängige Trends erkennen. In Tabelle 1 und 2 werden die offiziellen Angaben für den Zeitraum 2006-2010 genannt.2

Die deutschen Ausfuhren von Großwaffensystemen sind nach Berechnungen von SIPRI 2007-2011 verglichen mit dem Zeitraum 2002-2006 um 37% gestiegen. Der deutsche Anteil am Weltrüstungshandel betrug 2007-2011 etwa 9% (USA 30%, Russland 24%, Frankreich 8% und Großbritannien 4%).3

Wie schon in den Vorjahren ist der Anteil deutscher Lieferungen an NATO-, EU- oder diesen gleichgestellte Staaten im Jahr 2010 mit über 70% im Vergleich zu anderen europäischen Rüstungsherstellern relativ hoch gewesen. Unter den Drittstaaten waren die wichtigsten Empfänger im gleichen Jahr die Vereinigten Arabischen Emirate, Brunei, Südkorea und Singapur. Staaten, die offizielle Entwicklungshilfe erhalten, nahmen im Jahr 2010 ca. 15,6% der deutschen Rüstungslieferungen ab (Einzelgenehmigungen in Höhe von 747,3 Mio. Euro).4 Mit Pakistan, Indien, Ägypten und Afghanistan finden sich auch im Jahr 2010 Entwicklungsländer unter den zehn größten Abnehmern deutscher Rüstungsexporte in Drittstaaten.

Kennzeichen der deutschen Rüstungsexporte

1. Ungeachtet aller Schwankungen auf dem Weltrüstungsmarkt und des Wechsels parlamentarischer Mehrheiten in der deutschen Politik bewegen sich die deutschen Rüstungsausfuhren seit Jahren auf einem fast gleich bleibenden Niveau. Die einzelnen Jahreswerte schwanken nur dann, wenn Unternehmen Aufträge für kostspielige Schiffe eingeworben haben. Deutschland gehört mitsamt den übrigen EU-Staaten inzwischen zu den Großen auf dem Weltrüstungsmarkt. Bezogen auf den Wert der gesamten deutschen Ausfuhren ist der Umfang der Rüstungsexporte jedoch gering: Er liegt unter 1% (Kriegswaffen: 0,3%). Allerdings variieren diese Angaben zwischen Unternehmen und Branchen; bei den auf Kriegsschiffbau spezialisierten Firmen werden etwa zwei Drittel des Umsatzes allein durch den Export erwirtschaftet.

2. Die Entwicklung der Bundeswehr und ihre Rüstungsbeschaffungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Rüstungsausfuhren. Kaufen Heer, Marine und Luftwaffe bestimmte Rüstungsgüter, so dient das Interessenten im Ausland als Qualitätsnachweis. In den letzten Jahren hat die Verkleinerung der Bundeswehr dazu geführt, dass die Streitkräfte überschüssige Waffen und Rüstungsgüter zur Verfügung hatten. Wurden diese zunächst in neu in die NATO aufgenommene Staaten in Osteuropa und nach Griechenland sowie die Türkei transferiert, so stoßen sie inzwischen weltweit auf Nachfrage (in Chile, Brasilien oder Singapur, jüngst zeigte Indonesien ebenfalls Interesse an gebrauchten Panzern aus Deutschland). Diese Lieferungen sind häufig mit Aufträgen zur Modernisierung und Kampfwertsteigerung der Rüstungsgüter verbunden.

3. Aufgrund der Sparzwänge der öffentlichen Haushalte werden nunmehr auch weniger Waffen für die eigenen Truppen bestellt. Umso mehr fordern Rüstungshersteller von der Bundesregierung, Exportanstrengungen zu forcieren, um vorhandene Kapazitäten auszulasten. Gleichzeitig erweitern sie ihre Angebote, verlagern Produktionsstätten ins Ausland und suchen sich durch Zukäufe und internationale Kooperationen neue Absatzmärkte zu erschließen. So bieten Rüstungshersteller wie EADS inzwischen Anlagen zur Überwachung von Grenzen und von Bewegungen größerer Bevölkerungsgruppen an. Dabei handelt es sich nicht mehr um Rüstungsgüter im engeren Sinne, sondern um Lieferungen zur »Sicherheitsvorsorge«. Mit ihrem Export gehen in der Regel Leistungen für die Ausbildung von Personal und für die Wartung der Anlagen einher. Oft genug flankieren zwischenstaatliche Abkommen einer »Sicherheitspartnerschaft« solche Projekte.

4. Die Daten zu den Rüstungsausfuhren zeigen besonders starke Positionen im Marineschiffbau (Fregatten, U-Boote, Küstenschutzboote), bei gepanzerten Fahrzeugen (Kettenpanzer, leichte Kampffahrzeuge) und bei Kleinwaffen, Motorenbau, Fertigungsanlagen, Technologie, Elektronik und Steuerungselementen.5 Neben der Lieferung kompletter Waffensysteme liegt die Stärke der deutschen Rüstungsfertigung in der Zulieferung von Komponenten an Hersteller in anderen Ländern, die dann ihrerseits die Waffen exportieren. Davon zeugen die hohen Werte von Rüstungstransfers in EU- und NATO-Staaten. Im Vergleich zu den gesamten Rüstungsausfuhren wertmäßig weniger relevant, aber friedenspolitisch besonders problematisch ist der hohe Anteil deutscher Hersteller am weltweiten legalen Handel mit kleinen und leichten Waffen. Gleichzeitig steigen die Genehmigungswerte für die Ausfuhr von Munition und Fertigungsanlagen (z.B. die Lieferung einer Fabrik zur Herstellung von G-36-Gewehren nach Saudi-Arabien).

5. Jenseits der Bündnispartner sind die wichtigsten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter solche Staaten, die sich den Kauf finanziell leisten können, vorrangiges Interesse an Komponenten für technologisch anspruchsvolle Waffensysteme haben und zudem an regionalen Rüstungswettläufen teilhaben. Hinzu kommen Staaten im Zentrum internationaler Spannungen und Gewaltkonflikte. Deutsche Rüstungsexporteure haben inzwischen Zugang zu dem lukrativen Markt im Nahen und Mittleren Osten gefunden. Der Stellenwert von Technologietransfers an Staaten, die im Rahmen ihrer Industrialisierungsstrategien selbst am Aufbau einer Rüstungsindustrie interessiert sind, nimmt zu. Deutschland leistet also in aufstrebenden Industriestaaten Hilfe zum Aufbau neuer Rüstungskapazitäten. Die armen und ärmsten Länder zählen nicht zu den Hauptkunden der deutschen Rüstungsindustrie.

Deutsche Rüstungskontrolle: ein System mit Fallstricken

Das Gefüge von Gesetzen, Absichtserklärungen, Absprachen und Verträgen zur Überwachung des Rüstungshandels ist außerordentlich komplex. Grundlage der deutschen Rüstungsexportpolitik bilden das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Sie gelten einerseits für Kriegswaffen, andererseits für die gesamte Breite von Rüstungswaren. Die Gesetze folgen jedoch unterschiedlichen Logiken: Zum einen richten sie Schranken für den Transfer von Kriegswaffen auf (KWKG), zum anderen setzen sie dem staatlichen Eingreifen in den Handel mit Rüstungsgütern aber auch Grenzen (AWG).

Gerahmt werden die nationalen Regelwerke von der EU-Kompetenz beim Transfer von Dual-use-Gütern. Hinzu kommt die Verpflichtung zum abgestimmten Handeln der EU-Mitgliedstaaten. Sie hat im »Gemeinsamen Standpunkt« zum Export von Rüstungsgütern von 2008 ihren Niederschlag gefunden.6 Bei Ausfuhren von militärisch sensiblen Gütern oder Kleinwaffen kommen zudem internationale Absprachen (z.B. Wassenaar-Abkommen, OSZE-Regeln) oder Übereinkünfte auf Ebene der Vereinten Nationen (z.B. Aktionsprogramm gegen die illegale Verbreitung von kleinen und leichten Waffen) zur Geltung.

Eine der Rechtslage vergleichbare Komplexität findet sich beim Genehmigungsverfahren. Von staatlicher Seite sind darin das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie/Abteilung Europa und Außenwirtschaft mit seinem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und das Auswärtige Amt mit dessen Rüstungskontrollreferat sowie mittelbar das Verteidigungsministerium involviert. Das Wirtschaftsressort ist für Genehmigungen nach dem AWG/AWV zuständig, das Auswärtige Amt prüft die Voranfragen nach dem KWKG. Auf politischer Ebene obliegt dem Bundessicherheitsrat, einem Kabinettsausschuss unter Vorsitz der Bundeskanzlerin, die Entscheidung über politisch heikle Fälle. Das Gremium gilt als Ort, an dem die Regierung ihre kollektive Verantwortung für Rüstungsexporte wahrnimmt, die hier verhandelten Geschäfte bleiben jedoch geheim. Das zeigte sich im Jahr 2011. Seinerzeit sickerte die Entscheidung des Bundessicherheitsrates durch, den Export von mehr als 200 Panzern vom Typ Leopard-2 an Saudi Arabien zu genehmigen.

Die »Politischen Grundsätze« von 2000

Einen Weg für den praktischen Umgang mit den teils gegensätzlichen, teils konkurrierenden normativen Ansätzen und durch den Dschungel der Genehmigungsverfahren sollen die »Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« (aktuelle Fassung vom 19.01.2000) bahnen.7 Sie richten sich zunächst an die Exporteure und Importeure deutscher Rüstungsgüter, um ihnen Klarheit über die Aussicht auf Genehmigung ihrer Geschäfte zu geben. Auch die nachgeordneten Genehmigungsinstanzen erhalten gleichsam als Arbeitsanweisung Kriterien an die Hand, wie sie die zur Entscheidung anstehenden Fälle zu behandeln haben. Schließlich dienen die »Politischen Grundsätze« der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit als Ausweis einer eindeutigen Linie im Umgang mit Rüstungsausfuhren.

Doch wie jedes Mehrzeckding, das verschiedene Absichten unter ein Dach zu bringen sucht, enthalten auch die »Politischen Grundsätze« ihre Fallstricke. Als Grundlage des alltäglichen administrativen Handelns sind die »Politischen Grundsätze« abhängig von politischen Konjunkturen. Sie werden von den Parteien bei der Regierungsbildung vereinbart. Sie haben keine Gesetzeskraft, und ihre Einhaltung ist nicht rechtlich überprüfbar. Ihr Wortlaut hat im Laufe der letzten vierzig Jahre immer wieder Überarbeitungen erfahren, die jeweils anstehende Auseinandersetzungen spiegeln.8

So hatte die im Jahr 2000 verabschiedete Fassung im Zeichen der Befriedung eines Streits innerhalb der damaligen rot-grünen Koalition über die Angemessenheit von Panzerlieferungen an die Türkei gestanden. Seinerzeit empörten sich Bündnis 90/Die Grünen darüber, dass die fraglichen Kettenfahrzeuge auch als Mittel der inneren Repression eingesetzt werden konnten. Die SPD verwies wiederum in Analogie zu den vorangegangenen Bundesregierungen darauf, dass die Türkei als NATO-Partner mit einer unbeschränkten Lieferung rechnen dürfe. Beide Koalitionsparteien verständigten sich darauf, dem Land nur einen Panzer zu Zwecken der Vorführung und der Erprobung zu überlassen (was in den nachfolgenden Jahren zu umfangreichen Bestellungen und Lieferungen, teilweise aus Bundeswehrbeständen, führte) und die aus dem Jahr 1983 stammenden »Politischen Grundsätze« zu überarbeiten. Man fügte Passagen ein, um den Menschenrechtstandards im Empfängerland besondere Berücksichtigung beizumessen.

Grundsätzlich sollen Ausfuhrgenehmigungen nicht erteilt werden, wenn das zu liefernde Rüstungsgut zur inneren Repression oder zur Verletzung der Menschenrechte genutzt werden kann. Auch will die Bundesregierung keine Schaffung von zusätzlichen Produktionskapazitäten für Rüstungsexporte dulden. Das Anliegen, heimische Arbeitsplätze durch Exportaufträge zu erhalten, rechtfertige nicht, Ausfuhranträge positiv zu bescheiden. Schließlich hält das Dokument die Absicht der Regierung fest, im Einklang mit EU-Regelungen den Bundestag und damit die Öffentlichkeit in Gestalt offizieller Rüstungsexportberichte jährlich über ihre Rüstungsexportpolitik zu informieren.

Bei der Überarbeitung der »Politischen Grundsätze« werden vorhandene Texte ohne Rücksicht auf die Systematik der Argumente fortgeschrieben. Der im Jahr 2000 erreichte Kompromiss bestand vor allem darin, das Dokument um die Gesichtspunkte, die dem kleineren Koalitionspartner am Herzen lagen, zu ergänzen. Der Druck der Rüstungshersteller und die Macht der Gewohnheit waren aber stark genug, eine grundlegende Revision abzuwehren. Das Ergebnis ist ein Regelwerk mit nicht kompatiblen Elementen, das unterschiedliche Erwartungen bedient: Die Befürworter einer restriktiven Genehmigungspraxis können sich auf prinzipielle Aussagen der »Politischen Grundsätze« berufen, die Rüstungsindustrie sieht ihre Exportinteressen durch viele Ausnahmeregelungen und Kautelen ausreichend gewahrt. Allgemeingültige friedenspolitische Erklärungen konkurrieren mit Listen von Empfängerländern, die mit einer bevorzugten Behandlung rechnen können, und solchen, bei denen eine Detailprüfung geboten ist. Kriegswaffen und kriegswaffennahe Rüstungsgüter werden anders behandelt als sonstige Rüstungsgüter. Alle inhaltlichen Vorbehalte gegenüber einer extensiven Genehmigungspraxis verlieren an Relevanz, wenn deutsche Sicherheitsinteressen oder Bündnisinteressen ins Spiel kommen. Die Achtung politischer Willensbekundungen und Entscheidungsspielräume relativiert sich ohnehin durch internationale Vereinbarungen, die die Regierung auf diesem Feld eingegangen ist. So dienen die »Politischen Grundsätze« als Vehikel, den »Gemeinsamen Standpunkt« der EU mitsamt seinem Kriterienkatalog in die Regelungen für die deutsche Genehmigungspraxis zu inkorporieren.

Die seit Oktober 2009 amtierende Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Fortbestand der »Politischen Grundsätze« von 2000 bekannt. Jenseits dessen verspricht sie aber nur eine „verantwortungsvolle Handhabung“ der Rüstungsexportpolitik – sie bekennt sich nicht mehr wie alle Vorgängerinnen zur Zurückhaltung. Außerdem hat das Bundeswirtschaftsministerium inzwischen eine Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung auf den Weg gebracht. Abgesehen von der Notwendigkeit, das deutsche Ausfuhrrecht in Einklang mit inzwischen auf EU-Ebene getroffenen Regelungen zur Liberalisierung des innereuropäischen Rüstungstransfers zu bringen, weckt das Vorhaben den Verdacht, dass mögliche weitere Hindernisse für eine expansive Rüstungsexportpolitik aus dem Weg geräumt werden sollen. Das Risiko einer Schwächung des deutschen Rüstungsexportkontrollregimes steht damit entgegen aller anders lautenden Bekenntnisse im Raum.

Tab. 3: Empfänger deutscher Rüstungslieferungen, deren
Verhältnisse nicht den Kriterien der Politischen Grundsätze bzw. des
Gemeinsamen Standpunktes der EU entsprechen

Jahr 2006 2007 2008 2009 2010
Zahl der Staaten 53 58 51 62 72
Wert der Einzel­ausfuhr­genehmigungen in Mio. Euro 1.128 1.085 1.147 2.155 1.331

Kontroversen um die Geltung der »Politischen Grundsätze«

Alle diese Ungereimtheiten hindern die gegenwärtige Regierung nicht, sich stets auf die »Politischen Grundsätze« zu berufen, wenn sie umstrittene rüstungsexportpolitische Entscheidungen gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit zu rechtfertigen hat. Deren Widersprüche und fehlende Systematik bieten genügend Lücken, eingegangene Selbstverpflichtungen zu umgehen. Das Missverhältnis zwischen den inhaltlichen Vorgaben und der Praxis zeigt die Auswertung der offiziellen Angaben zu den deutschen Rüstungsausfuhren auf, die das Bonn International Center for Conversion im Licht der Kriterien der »Politischen Grundsätze« Deutschlands und des »Gemeinsamen Standpunktes« der EU von 2008 bzw. dessen Vorgängers, des EU-Verhaltenskodex zu Rüstungsexporten von 1998, regelmäßig vornimmt.9 Tabelle 3 zeigt das Ergebnis der Auswertung.

Die Bundesregierung begegnet dem Vorwurf der Missachtung ihrer selbst gesetzten Maßstäbe mit vier Argumenten.

1. Zum einen verweist sie darauf, dass sie nur den Einzelfall einer Rüstungslieferung im Hinblick auf die inhaltlichen Vorgaben zu prüfen habe. Das setze keine Bewertung der Verhältnisse insgesamt im Empfängerland voraus, was ohnehin gegen die Souveränität der Käuferstaaten verstoße.

2. Zum anderen habe die Bundesregierung nur die Bedingungen zum Zeitpunkt des Transfers zu beurteilen. Antworten auf die Frage, in wessen Hände das zu liefernde Rüstungsgut einmal gelangen und zu welchen Zwecken es in Zukunft eingesetzt werden könne, gehörten in das Reich der Spekulation.

3. Schließlich verweisen Regierungsvertreter in strittigen Fällen häufig auf obwaltende deutsche oder Bündnisinteressen, die Rüstungslieferungen an kritisch einzustufende Empfängerstaaten rechtfertigten, so z.B. im Fall von Ländern, mit denen man eine »strategische Partnerschaft« eingegangen ist oder die sich im Kampf gegen den Terrorismus oder die Piraterie engagieren. Gerade dieses Argument ist besonders dehnbar. So ist in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien« von 2011 von der Absicht die Rede, zur eigenen Sicherheitsvorsorge Krisen und Konflikte auf Distanz zu halten und sich aktiv an deren Vorbeugung und Einhegung zu beteiligen.10 Äußerungen der Bundeskanzlerin lassen vermuten, dass dieses Ansinnen auch die Lieferung von Rüstungsgütern an Regionalmächte einschließen kann, die diese Aufgabe stellvertretend übernehmen.

4. Die letzte Rückzugsbastion besteht in dem Verweis, dass jede Ablehnung eines Ausfuhrantrages einer gerichtlichen Prüfung standhalten müsse. Angesichts der geringen Zahl der tatsächlich jährlich ausgesprochenen Ablehnungen ist jedoch davon auszugehen, dass sich deutsche Verwaltungsgerichte kaum damit zu befassen haben. So wurden im Jahr 2010 insgesamt 16.145 Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 4,757 Mrd. Euro positiv beschieden. Ihnen standen 113 Ablehnungen im Wert von 8,1 Mio. Euro gegenüber. Wie stichhaltig auch immer die offiziellen Argumente sein mögen, sie demonstrieren zumindest das Ausmaß des Mantels, den die »Politischen Grundsätze« und ihre Handhabung über die Diskrepanz zwischen Wollen und Wirklichkeit breiten.

Bei der Verteidigung kontroverser rüstungsexportpolitischen Entscheidungen kommt der gegenwärtigen Bundesregierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit zugute, dass bereits in der rot-grünen Ära (1998–2005) das Volumen der erteilten Ausfuhrgenehmigungen um mehr als eine Milliarde Euro angewachsen war. Dazu hatten unter anderem umfangreiche Schiffslieferungen nach Südafrika, Exporte von U-Booten an Israel, Waffentransfers nach Griechenland und die Rüstungskooperation mit Südkorea beim Bau von U-Booten beigetragen. Auch während der Regierungszeit der Großen Koalition (2005-2009) hatten die deutschen Rüstungsexporte das Niveau mehr oder minder gehalten, gestützt durch ansteigende Nachfrage im Nahen und Mittleren Osten sowie in Südamerika. Zudem waren viele Transfers, die heute Protest auslösen, bereits in den Vorjahren durch positiv beschiedene Voranfragen auf den Weg gebracht worden. Insofern müssen zumindest die früheren Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit leben, wenn sie heute als parlamentarische Opposition einen expansiv erscheinenden Kurs bei der Genehmigung von Rüstungsausfuhren geißeln, ihre eigene Bilanz aber nicht besser aussah. Die »Politischen Grundsätze« von 2000 hatten dieser Entwicklung keinen wirksamen Einhalt geboten oder waren nicht in einem solchen Sinne genutzt worden.

Strukturellen Defiziten auf der Spur

Um die deutsche Rüstungsexportpolitik ist es nicht gut bestellt. Als Grund dafür sind strukturelle Ursachen zu benennen, die sich in fünf Widersprüchen bündeln:

Verbot vs. Erlaubnis

Art. 26, Abs. 2 des Grundgesetzes wie auch das Kriegswaffenkontrollgesetz von 1961 gehen von einem Verbot des Handels mit Rüstungsgütern aus. Deshalb erfordert jeder Transfer von Waffen eine staatliche Erlaubnis. Demgegenüber postuliert das Außenwirtschaftsgesetz den Primat des uneingeschränkten Handels. Der Staat behält sich zwar eine Genehmigung für den Handel mit Rüstungsgütern vor, deren Verweigerung bedarf jedoch einer rechtlich haltbaren Begründung. Diesem Widerspruch versucht die deutsche Rüstungsexportpolitik mit der Unterscheidung zwischen »Kriegswaffen« und »sonstigen Rüstungsgütern« zu entkommen. Für »Kriegswaffen« besteht kein Anspruch auf eine Ausfuhrgenehmigung, bei »Rüstungsgütern« besteht dagegen eine rechtlich garantierte Erwartung, mit ihnen – wenn auch mit Genehmigungspflicht – handeln zu können.

Inhaltliche Kriterien vs. formale Länderlisten

Bei den Kriterien, die die Genehmigung von Rüstungsausfuhren anleiten, konkurrieren inhaltliche und regionale Gesichtspunkte. Die inhaltlichen Kriterien reflektieren neben sicherheits- und friedenspolitischen Bedingungen auch Menschenrechtsstandards und entwicklungswicklungspolitische Orientierungen im Empfängerland. Die Länderlisten unterscheiden dagegen zwischen Käuferländern, in denen jede Ausfuhr als unbedenklich gilt, und solchen, bei denen die inhaltlichen Kriterien angewandt werden sollen. So genannte »deutsche oder Bündnisinteressen« hebeln aber diese Einschränkungen wieder aus.

Nationale vs. internationale Restriktionen

Die Entscheidung über Rüstungsexporte gehört zu den klassischen Prärogativen eines jeden Staates. Die Ausfuhr von Waffen und Rüstungsgütern gilt als legitimes Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Doch je stärker sich die Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Technologiepolitik der einzelstaatlichen Steuerungskompetenz entziehen, desto stärker wird der Bedarf, sich auf dem Feld der Rüstungsexportpolitik international abzustimmen. Im EU-Kontext weist die Verständigung der Mitgliedstaaten auf den »Gemeinsamen Standpunkt« zu Rüstungsausfuhren vom Dezember 2008 bereits in diese Richtung. Inzwischen ist der innereuropäische Rüstungshandel weitgehend liberalisiert. Welche Folgen das für eine strikte Kontrolle von Rüstungsausfuhren in Drittstaaten hat, ist derzeit unklar. Ebenso ist noch offen, ob es auf UN-Ebene zu einem global gültigen Vertrag zum Waffenhandel (Arms Trade Treaty) kommen wird – die vierwöchigen Verhandlungen in New York im Juli 2012 sind nach jahrelangen Vorbereitungen gescheitert – und ob dieser dann solche Erwartungen erfüllen wird.

Staatliche Verantwortung vs. privatwirtschaftliches Interesse

Rüstungstransfers vollziehen sich meist auf der Grundlage von staatlichen Abkommen. Hier versuchen Regierungen, Rüstungsgeschäfte mit politischen Absichten zu verbinden. Inzwischen dreht sich jedoch der Wind: Die Kosten für Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern steigen, die Produzenten und Exporteure sehen sich auf dem Weltrüstungsmarkt erheblicher Konkurrenz gegenüber. Das nutzen potentielle Käufer zu ihren Gunsten aus. Unter diesen Vorzeichen drängen die Rüstungsindustrie und ihre Lobbyisten die Regierungen, ihren Geschäftsinteressen den Weg zu bahnen.

Domäne der Regierungen vs. Transparenz und politische Partizipation

Ungeachtet der konstitutionellen Vorgaben parlamentarischer Demokratien halten Regierungen daran fest, dass rüstungsexportpolitische Entscheidungen in ihren alleinigen Verantwortungsbereich fallen. Entsprechend zögerlich gehen sie mit Informationen über Rüstungsgeschäfte um. Die Folge sind fehlende Transparenz und mangelhafte parlamentarische Partizipation. Regierungen sollen zwar in Demokratien für ihr Handeln gegenüber der Legislative verantwortlich sein, diese kann aber bei deutschen Rüstungsexporten ihrer Pflicht erst nachkommen, wenn die Transfers bereits vollzogen sind. Am Entscheidungsgang sind parlamentarische Gremien nicht beteiligt. Als Zeichen einer angemessenen parlamentarischen Würdigung der Rüstungsexportpolitik und einer effektiven Kontrolle des Regierungshandelns kann man dies nicht werten. Entsprechend rühren sich jetzt im Bundestag Initiativen, diese Missstände abzustellen. Oppositionsparteien verlangen von der Regierung, frühzeitig über sensible Geschäfte informiert zu werden.

Was ist zu tun?

Zwischen den hier beschriebenen Widersprüchen hat die deutsche Rüstungsexportpolitik lange navigieren können, ohne auf Grund zu laufen. Doch nun mehren sich die Zeichen, dass die Gewässer rauer werden. Die bislang einträgliche Symbiose zwischen Rüstungsindustrie und Politik gerät angesichts der Kürzungen von Militärausgaben ins Wanken: Aus ehemaligen Abnehmern von Rüstungsgütern werden Konkurrenten auf dem Weltrüstungsmarkt; die destruktiven Effekte früherer Waffenlieferungen in heutige Konfliktregionen sind unübersehbar; regionale Rüstungswettläufe, die Rüstungstransfers anheizen, wachsen sich zu globalen Sicherheitsbedrohungen aus. Damit ist das Moment zur Erneuerung der Grundlagen und Vollzüge der deutschen Rüstungsexportpolitik gegeben. Um diese demokratieverträglich zu gestalten und vorhandenen Normen Genüge zu tun, steht Folgendes an:

1. Die Rüstungsexportpolitik muss integraler Bestandteil einer kohärenten Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik werden. Ihr Stellenwert wird abgewertet, wenn man sie nur als Appendix einer Industrie-, Außenwirtschafts- oder Sicherheitspolitik behandelt.

2. Es greift zu kurz, die Rüstungsexportpolitik allein als Domäne der Exekutive anzusehen. Schon im Vorfeld anstehender Entscheidungen sind der Bundestag und damit implizit die Öffentlichkeit einzubeziehen. Rüstungsexportpolitik ist auch ein Ausweis für die Achtung demokratischer Standards im Außenverhalten eines Staates. Daher darf der Bundestag dieses Themenfeld nicht allein der administrativen Routine und der Einflussnahme von Lobbygruppen überlassen. Vielmehr muss er die Möglichkeiten einer inhaltlichen Auseinandersetzung erhalten.

3. Die Transparenz über Rüstungstransfers ist zu erhöhen. Einschlägige Daten müssen aussagekräftiger sein und zeitnahe mitgeteilt werden. Die Qualität der statistischen Erhebung ist zu verbessern. Zum Beispiel sind neben den tatsächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen auch die Exporte von Rüstungsgütern insgesamt zu erfassen, von denen bislang nur die Genehmigungswerte bekannt werden. Dabei sind auch präzisere Informationen über Inhalte von Sammelausfuhrgenehmigungen und Re-Exporten vonnöten. Das Gleiche gilt auch für den Komplex der Sammelausfuhrgenehmigungen im Rahmen von Rüstungskooperationen und für den zunehmend relevanter werdenden Bereich militärbezogener Dienstleistungen.

4. Die Bekämpfung der Korruption ist zu intensivieren. Die verschiedenen im letzten Jahrzehnt in Deutschland geführten Gerichtsverfahren haben vermutlich nur die Spitze eines Eisberges aufgedeckt. Zugleich zeigen sie die Schwierigkeiten, mit rechtsstaatlichen Mitteln Ursachen und Praxis der Korruption zu Leibe zu rücken. Insgesamt verweist das Prozessgeschehen auf einen Verlust an ethischen Standards in Wirtschaft und Politik. Dies hat zur Skandalträchtigkeit der Rüstungsexportpolitik beigetragen.

5. Rüstungsexportpolitik ist längst nicht mehr im nationalen Alleingang zu gestalten. Dem widersprechen schon die grenzüberschreitenden Kooperationen der Rüstungshersteller. Deshalb sind eigenstaatliche Sonderwege zu beenden und entsprechende internationale Regelwerke auszubauen. Im Einzelnen ist eine Stärkung des »Gemeinsamen Standpunkts« der EU fällig. Seine Kriterien zeigen durchaus Sympathien für eine friedens- und sicherheitskonforme sowie entwicklungsverträgliche Rüstungsexportpolitik. Die Europäische Union sollte sich nicht nur für eine Koordination von Rüstungsforschung, -produktion und -beschaffung stark machen, sondern ihre »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) auch auf die europäischen Rüstungstransfers im Sinne der Rüstungskontrolle ausdehnen. Ferner sind Ansätze, wie sie auf Ebene der Vereinten Nationen mit den Bemühungen um einen Waffenhandelsvertrag in Gang gekommen sind, weiter zu unterstützen. Das gilt auch für begleitende regionale Abmachungen.

Das alles wird nicht über Nacht geschehen, zumal die Rüstungsexportpolitik kein Gegenstand ist, mit dem sich große Meriten verdienen lassen. Umso entscheidender bleibt der Druck der Öffentlichkeit, um Regierung und Parlament zu einer Änderung der Verhältnisse zu veranlassen. Das Ärgernis der Rüstungsausfuhren mit ihren verhängnisvollen Auswirkungen auf die Chancen eines gewaltfreien Zusammenlebens von Menschen und Gesellschaften währt schon zu lange.

Anmerkungen

1) Näheres in: Bernhard Moltmann: Im Dunkeln ist gut munkeln oder: Die Not mit der Transparenz in der deutschen Rüstungsexportpolitik. Frankfurt am Main, HSFK-Standpunkte 1/2011.

2) Zusammengestellt nach Daten aus dem 9. Jahresbericht (2006) gemäß der operativen Bestimmung 8 des EU-Kodexes für Rüstungsexporte vom 26.10.2007, 10. Jahresbericht (2007) vom 22.11.2008, 11. Jahresbericht (2008) vom 6.11.2009, 12. Jahresbericht (2009)vom 13.01.2011, 13. Jahresbericht (2010) vom 30.12.2011. Quelle: ruestungs export.info.

3) Nach: Paul Holtom/Mark Bromley/Pieter W. Wezeman/Siemon T. Wezeman: Trends in International Arms Transfers 2011. SIPRI-Factsheet March 2012, S.1.

4) Nach: Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (2012): Rüstungsexportbericht 2011 der GKKE. Berlin/Bonn, S.33. Dort findet sich auch eine Abgrenzung zu den Angaben der Bundesregierung, die sich nur auf die Kategorie der Länder beziehen, die am wenigsten entwickelt sind (least developed countries) oder ein niedriges Einkommen je Einwohner aufweisen (other low income countries).

5) Im Jahr 2010 waren die wichtigsten deutschen Ausfuhrgüter laut »Rüstungsexportbericht 2010« der Bundesregierung Kriegsschiffe (eine Mrd. Euro), militärische Rad- und Kettenfahrzeuge (998,5 Mio. Euro) und militärische Elektronik (453,6 Mio. Euro) (Genehmigungswerte für Einzelausfuhren).

6) Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. In: Amtsblatt Nr. L 335 vom 13/12/2008 S.0099-0103.

7) Die »Politischen Grundsätze« sind dem jährlichen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung jeweils als Anlage beigefügt.

8) Der Wortlaut der Fassungen von 1971 und 1983 findet sich in: Thomas Nielebock (Hrsg.) (1984): Rüstungsexport: Analysen – Daten – Stellungnahmen. Tübingen: Verein für Friedenspädagogik, S.161–164.

9) Details der Erhebungen unter ruestungsexport. info. Die Ergebnisse finden sich in: Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung: GKKE-Rüstungsexportbericht, Bonn/Berlin, 2007, S.41 – 2008, S.47 – 2009, S.41 – 2010, S.61 – 2011, S.43.

10) Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien: Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten. Berlin, 18. Mai 2011, S.5.

Dr. Bernhard Moltmann ist Gastforscher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und war von 1996 bis 2012 Vorsitzender der Fachgruppe Rüstungsexport der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE).

Waffenhandel im syrischen Bürgerkrieg

von Siemon T. Wezeman

Der Bürgerkrieg in Syrien zeigt, wie schwierig es ist, innergesellschaftliche Konflikte durch ein Waffenembargo zu stoppen. Trotz der dokumentierten Brüche des humanitären Völkerrechts durch die Regierungsstreitkräfte (wie auch durch die Streitkräfte der Rebellen) wurde die Verhängung eines Waffenembargos durch den UN-Sicherheitsrat von Russland und China blockiert. Und dies, obwohl sie im Falle Libyens zu solchen Sanktionen bereit gewesen waren und obwohl sich die arabischen Staaten eindeutig für ein UN-Embargo stark machen. Doch selbst wenn sich der UN-Sicherheitsrat auf ein Embargo einigen könnte, würde es, wie in fast allen anderen vergleichbaren Fällen, wohl nur wenig zu einem raschen Ende der Kämpfe beitragen. Die meisten Waffen der syrischen Regierungstruppen und der Rebellen wurden schon vor Jahren überwiegend im Ausland beschafft. Bei den Lieferungen von Großwaffen, die das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI in den letzten vier Jahren (2008-2011) identifizieren konnte, handelt es sich überwiegend um Luftverteidigungs- und Anti-Schiffsysteme – sämtlich Waffen, die nicht für interne Konflikte taugen, denen aber im Falle einer Intervention ausländischer Mächte à la Libyen eine wichtige Rolle zukäme.

Waffen aus Russland …

Syrien hat sich seit Mitte der 1950er Jahre die meisten seiner Waffen bei der Sowjetunion und einigen ihrer osteuropäischen Alliierten beschafft. Nach dem Ende des Kalten Krieges verblieben Syrien nur wenige Optionen, um an Waffen zu kommen. Die syrisch-russischen Beziehungen waren u.a. deshalb belastet, weil Russland insistierte, dass Syrien zunächst einmal die Kredite für die Waffeneinkäufe aus der Zeit des Kalten Krieges zurück zahlt, bevor über neue Waffenlieferungen geredet wird. Andere ehemalige Lieferländer aus dem Warschauer Pakt waren ebenso wenig bereit, Syrien weitere Kredit zu gewähren. Die syrischen Importe von Großwaffen fielen daher ab 1991 deutlich und betrugen in den 1990er Jahren nur elf Prozent der Importe der 1980er Jahre. Syrien fiel von Rang fünf der größten Waffenimporteure (1980–1989) zunächst auf den 36. Rang (1990-1999) und dann auf den 56. (2000-2009). In dieser letzten Phase fielen die Waffenimporte im Vergleich zu den 1980er Jahren auf vier Prozent, und Syrien lag beim Waffenimport knapp hinter Sri Lanka und knapp vor Georgien.

Allerdings stiegen die Importe ab 2008 beträchtlich, nachdem Syrien die alten Kredite beglichen hatte und wieder zu einem wachsenden Markt für russische Waffen wurde. Allein im Jahr 2008 wurden mehr Waffen importiert als in den gesamten zehn Jahren zuvor, und dieses Importniveau blieb bis 2011 mehr oder weniger konstant.

Auf Russland entfielen von 2008-2011 72% der Großwaffenimporte Syriens. Russland lieferte u.a. geschätzte 36 Luftverteidigungssysteme des Typs 96K9Pantsyr-S1 und zwei des Typs 9K40 Buk/SA-17 sowie zwei Küstenschutzsysteme des Typs K-300P Bastion-P. Außerdem wurden syrische Waffen in Russland aufgerüstet oder überholt, beispielsweise mehrere Mi-25-Kampfhubschrauber. Weißrussland lieferte im Zeitraum 2008-2011 17% der syrischen Waffenimporte, darunter 33 gebrauchte MiG-23-Kampfflugzeuge. Auf den Iran entfielen 9%, er lieferte ein Küstenschutzsystem des Typs Noor.

Syrien vergab weitere Aufträge für Großwaffen an Russland, darunter im Jahr 2007 für 24 MiG-29M2-Kampfflugzeuge und im Jahr 2011 für leichte Kampfflugzeuge des Typs Yak-130. Mit diesen Aufträgen wurde Syrien als Kunde wichtig genug, dass vermutet werden darf, Russlands Zurückhaltung, Waffenlieferungen zu stoppen, und auch sein Veto gegen das UN-Waffenembargo sei zumindest teilweise der Sorge geschuldet, nach Libyen, Iran und Nordkorea einen weiteren Markt zu verlieren. Der Generaldirektor von Russian Technologies äußerte Ende 2011, Syrien in Notzeiten fallen zu lassen würde einen falschen Eindruck von Russlands Zuverlässigkeit als Lieferant vermitteln. Offiziell behaart Russland darauf, durch die Lieferung weiterer Waffen würden keine völkerrechtlichen Regeln verletzt, und behautet überdies, dass die Waffen zur Selbstverteidigung dienen oder nicht gegen Zivilisten eingesetzt werden können. Für die Luftverteidigungs- und Küstenschutzsysteme ist diese Aussage korrekt, sie ist aber zweifellos nicht wahr für die modernisierten syrischen Mi-25-Hubschrauber, die im Sommer 2012 geliefert wurden: Genau solche Fluggeräte wurden in verschiedenen Städten beim Einsatz gegen die Rebellen beobachtet. Offensichtlich führte internationaler Druck dazu, dass Russland Anfang Juli 2012 erklärte, keine neuen Waffen an Syrien zu liefern, bis sich die Situation stabilisiere.

Es ist schwierig, zuverlässige Daten zu syrischen Bestellungen für Großwaffen bei anderen Lieferanten zu finden. Das gleiche gilt für die Bestellung und Lieferung von Handfeuer- und Kleinwaffen und Munition, die in dem Konflikt die Hauptrolle spielen. Seit Beginn des Konflikts wurden etliche russische Waffenlieferung identifiziert. Einige der Schiffe, so wird vermutet, transportierten Munition.

… und anderen Ländern

Auch der Iran wurde als Lieferant sowohl von Großwaffen als auch von Handfeuer- und Kleinwaffen identifiziert. Diese Lieferungen wurden trotz der UN-Resolution vom März 2007, die ein Verbot des Kaufs iranischer Waffen verhängte, fortgesetzt. Im August 2012 beschuldigte die US-Regierung Iran, auch Trainings für syrische Regierungsmilizen durchzuführen. Es ist nur wenig über den Umfang dieser Handelsbeziehungen bekannt, doch wurden mehrmals iranische Waffen abgefangen, die zu Luft, Land oder See transportiert wurden, darunter Panzermunition, Gewehre, Maschinengewehre, Granatwerfermunition und Explosionsstoffe. Selbst das syrische Fernsehen trug einen Beleg für iranische Rüstungslieferungen bei, als es Ende 2011 den Start eines Anti-Schiff-Flugkörpers zeigte. Dieser konnte als Marschflugkörper C-802 identifizierte werden und wurde vermutlich kurz zuvor vom Iran geliefert; C-802 ist eine chinesische Entwicklung, wird auch im Iran produziert und dort als »Noor« bezeichnet.

China, das sich zusammen mit Russland gegen ein UN-Waffenembargo stemmt, hat Syrien in jüngster Zeit ebenfalls mit Waffen beliefert. Dies wurde erst bekannt, als Rebellen Mitte 2012 einige moderne chinesische Radaranlagen erbeuteten. (Daher ist die Behauptung nicht ganz unplausibel, dass die C-802, deren Lieferung Iran zugeordnet wird, in Wirklichkeit direkt aus China stammt.)

Es wurde außerdem berichtet, dass Syrien in Kontakt mit Weißrussland ist, um eine eigene Serienfertigung für technisch anspruchsvolle Kreiselkompasse für Boden-Boden-Raketen aufzubauen. Syrien hat bereits mehrere Typen derartiger Raketen gebaut, deren Blaupausen vermutlich aus Nordkorea und Iran stammen, höchstwahrscheinlich mit Unterstützung und unter Verwendung von Komponenten aus den beiden Ländern.

Es sind weitere Länder bekannt, die seit 2008 Waffen an Syrien geliefert haben: 2001 lieferte die Ukraine 4.000 Automatikgewehre. EU-Mitgliedsländer hingegen waren im Waffenhandel mit Syrien nicht sehr aktiv. Gemäß offiziellen EU-Daten wurden zwischen 2008 und 2010 kleine Lieferungen von Gütern mit Exportlizensen aus Griechenland, Großbritannien, Irland und Italien abgewickelt. Exportlizenzen werden aber auch für Dual-use-Geräte benötigt, die für nicht-militärische Zwecke vorgesehen sind. Nur im Falle Italiens ist klar, dass Lieferungen konkret militärischer Art waren: Italien lieferte zwischen 1998 und 2009 Feuerleitsysteme für die Aufrüstung von mindestens 122 syrischen T-72-Panzern.

Waffenlieferungen an syrische Rebellen

Über die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die verschiedenen Rebellenstreitkräfte ist wenig bekannt. Die Medien berichten, dass das meiste Gerät, das von Rebellen eingesetzt wird, von den Streitkräften der syrischen Regierung erbeutet wurde oder aus Privatbesitz stammt. Doch einige Länder in der Region, einschließlich Katar, Saudi-Arabien und die Türkei, wurden in Medienberichten als Lieferanten von Waffen und Kommunikationsgeräten genannt, überdies sollen sie die Rebellen mit Geheimdienstinformationen versorgen. Etliche arabische Länder haben deutlich zu erkennen gegeben, dass die Bewaffnung der Rebellen eine Option ist, es ist bislang aber unklar, in welchem Umfang sie der Ankündigung tatsächlich Taten folgen ließen. Als in der Schweiz hergestellte Handgranaten in den Händen der Rebellen entdeckt wurden, war immerhin klar, dass zumindest einige Waffen geliefert wurden. Sie stammen aus einem Kontingent, das einige Jahre zuvor an die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert worden war. Außerdem wurde berichtet, dass auch Kommunikationsgeräte von arabischen Staaten geliefert wurden.

Die USA gaben zu, die Rebellen mit »nicht-tödlicher Ausrüstung« zu unterstützen und, so wurde berichtet, als Koordinator für die Lieferung arabischer Waffen an die Rebellen zu fungieren. Nach anderen Berichten koordinieren die USA und die Türkei den Waffennachschub über die Türkei. Es wird vermutet, dass Waffen und anderes Gerät auch über die Nachbarländer Libanon, Irak und Jordanien zu den Rebellen gelangen. Angesichts der durchlässigen Grenzen und den großen Waffen- und Ausrüstungsvorräten, die im Libanon und Irak nicht unter der Kontrolle der Regierung stehen, sind solche Lieferungen höchst wahrscheinlich.

Siemon T. Wezeman ist Senior Fellow des Arms Transfer Programme von SIPRI. Seine Expertise erstreckt sich vor allem auf die Überwachung und Transparenz des Waffenhandels, insbesondere im asiatischen Teil des Pazifischen Ozeans und Nordamerika, Militärtechnologie und den Einsatz von Waffen in Konflikten. Aus dem Englischen übersetzt von Herbert Wulf

Griechische Rüstung

von Jerry Sommer

Seit vielen Jahren bekennen sich die NATO-Staaten bei ihren Gipfeltreffen zu dem Ziel, jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben. Doch nur wenige setzen dieses Ziel auch um. Darunter sind die USA, Frankreich, Großbritannien – und Griechenland. Die Hellenen, die heute gegen einen Staatsbankrott kämpfen, gaben laut NATO in den 1990er Jahren im Schnitt über vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär aus, 2000-2010 waren es rund drei Prozent.1 Demgegenüber lagen die Rüstungsausgaben der europäischen NATO-Mitglieder im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt nur bei rund 1,8%.

Die NATO und ihre Mitgliedsstaaten haben sich in der Vergangenheit nicht über ihren vermeintlichen europäischen Musterknaben Griechenland beschwert, und internationale Rüstungskonzerne haben von den hohen Militärausgaben profitiert. In den letzten zwölf Jahren (2000-2011) hat Griechenland größere Rüstungsgüter im Wert ca. 15 Milliarden Euro importiert.2 Die größten Lieferländer waren mit 41% die USA, gefolgt von Deutschland (23%) und Frankreich (12%). Insbesondere Kampfflugzeuge, Schiffe – hier besonders U-Boote – sowie gepanzerte Fahrzeuge und Kampfpanzer wurden an Griechenland verkauft.

Deutschland lieferte neue und aufgerüstete gebrauchte Panzer, insgesamt 333 Stück. Die Gesamtkosten dieses Geschäfts mit Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sollen sich inklusive aller Extras und Spezialpanzerungen auf 1,7 Mrd. Euro belaufen haben.3 Noch größer war ein Deal mit Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW, Teil des Werftverbundes ThyssenKrupp Marine Systems) über insgesamt 2,8 Mrd. Euro, der in zwei Tranchen 2000 und 2002 vereinbart wurde. Er sah die Lieferung von vier neuen U-Booten der Klasse 214 sowie die Modernisierung von drei gebrauchten U-Booten vor.

Inzwischen sind die Zeiten vorbei, in denen das griechische Militär aus dem Vollen schöpfen konnte. Die Schuldenkrise und die von der Troika (Europäische Union, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfond) bestimmte drastische Sparpolitik wirken sich nicht nur auf Löhne, Gehälter, Sozialausgaben und zivile staatliche Investitionen aus. Entgegen manch schlecht recherchierter Medienartikel (zum Beispiel auch in »Die Zeit«, in der es Anfang 2012 hieß: „An diesen beiden Bereichen [Militär und Rüstungsindustrie] ist nämlich noch jedes Sparpaket beinahe spurlos vorübergegangen“)4 sind auch die Rüstungsausgaben erheblich zurückgefahren worden.

Der Rüstungshaushalt Griechenlands ist laut Angaben der griechischen Regierung von 6,32 Mrd. Euro im Jahre 2009 auf 3,75 Mrd. Euro 2012 gesunken.5 Das ist eine Reduzierung um 41%. Die NATO und das Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI gehen zwar von höheren Ausgangszahlen aus,6 doch der Trend ist eindeutig: Die griechischen Rüstungsausgaben sind zwischen 2009 und 2011 nach NATO-Berechnungen um 37%, nach SIPRI-Berechnungen um 24% geschrumpft.

Noch immer gab Griechenland 2011 damit laut NATO mit 2,1% einen höheren Anteil seines Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aus als der Durchschnitt der europäischen NATO-Länder (2011: 1,6%). Doch eine weitere Angleichung ist zu erwarten. Bei dem erneuten Sparprogramm der griechischen Regierung für 2013/14, das gegenwärtig ausgearbeitet wird, sind weitere Kürzungen in Höhe von mindestens 500 Mio. Euro gegenüber den bisherigen Haushaltsansätzen im Gespräch.7

Massive Kürzungen im Militärhaushalt…

Die Kürzungen wurden folgendermaßen erreicht: Zum einen wurden durch eine Senkung der Löhne und Gehälter der Militärangehörigen (auch wenn diese nicht so stark ausgefallen ist wie bei den zivilen Staatsbediensteten) die Personalkosten von 2,4 Mrd. Euro im Jahre 2009 auf 2,13 Mrd. Euro 2012 gesenkt.8 Zum anderen wurden die Betriebskosten erheblich zusammengestrichen: von 1,6 Mrd. Euro 2009 auf unter eine Milliarde Euro 2012.9 Es werden weniger Übungen durchgeführt, und bei den jährlichen Militärparaden zum griechischen Nationalfeiertag nehmen weder Panzer noch Kampfflugzeuge teil, um Benzin zu sparen.

Zurückgefahren wurde auch die griechische Beteiligung an NATO-Einsätzen. Im Kosovo wird die Zahl der Soldaten von 670 auf 147, in Afghanistan von 171 auf 43 reduziert. Einsparungen pro Jahr: 90 Mio. Euro. Ebenfalls werden die Militärattaches aus zahlreichen griechischen Botschaften abgezogen. Einsparungen: 22 Mio. Euro.10

Die größten Einsparungen wurden allerdings bei der Beschaffung von Ersatzteilen und neuen Waffensystemen vorgenommen. Betrugen diese Kosten 2009 2,2 Mrd. Euro, lagen sie 2010 nur bei einer Mrd. Euro, 2011 bei 359 Mio. Euro.11 Für 2012 sind zwar 700 Mio. Euro im Haushalt vorgesehen, doch in den ersten sieben Monaten des Jahres wurden nur 143 Mio. Euro für Rüstungsbeschaffungen ausgegeben.12 Deshalb ist zu erwarten, dass – wie schon in den vergangenen Jahren – der Haushaltsansatz für Rüstungsbeschaffungen erneut deutlich unterschritten wird.

Vor einigen Jahren plante Athen noch, 40 neue Kampfflugzeuge, vier neue französische Fregatten und 450 russische Schützenpanzer zu kaufen. Gesamtwert: über zehn Mrd. Euro.13 Diese Pläne liegen nun auf Eis und sind auf absehbare Zeit nicht umsetzbar. Die Rüstungsfirmen reagieren unterschiedlich auf die neue Situation. Das Eurofighter-Konsortium hat im Dezember 2011 sein Verbindungsbüro in Athen geschlossen. Frankreich hingegen schlug vor, die vier Fregatten zu liefern, aber die Bezahlung auszusetzen, bis Griechenland wieder Geld in der Kasse hat. Doch auch dieses Angebot wollte die griechische Regierung bisher nicht aufgreifen.

… und Neuausrichtung der Verteidigungspolitik

Trotz dieser Kürzungen geht der gegenwärtige griechische Verteidigungsminister Abramopoulos (Nea Dimokratia) davon aus, dass die militärische Stärke und Kampffähigkeit der griechischen Streitkräfte nicht beeinträchtigt sind: „Einige könnten denken, dass Griechenland wegen der wirtschaftlichen Krise auch militärisch geschwächt ist. Doch das ist nicht wahr. Mit Professionalität, Opferbereitschaft und hoher Motivation garantieren unsere Truppen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität unseres Landes.“ 14

Auch wenn diese Aussage sicherlich politisch bedingt ist – was soll ein Verteidigungsminister auch anderes sagen? –, so deutet sie doch auf den »Speck« hin, den die griechischen Streitkräfte in den vergangenen Jahrzehnten angesammelt haben.

Auch der vorherige Verteidigungsminister Panos Beglitis (PASOK) hatte 2011 erklärt: „Es mag paradox klingen, ist aber die Wahrheit. Weder die Kürzungen der Betriebsausgaben noch der Rüstungsbeschaffung haben einen negativen Einfluss.“ 15 Zum einen werde die Sicherheit Griechenlands durch Diplomatie und die Bündnisbeziehungen in der EU und der NATO gesichert, erklärte Beglitis. Und zum anderen wären die bisherigen Rüstungsausgaben keineswegs immer sinnvoll gewesen: „Ich habe nie daran geglaubt, dass allein das Geld eine Armee stark macht. In den letzten 40 Jahren war die Armee ein kleiner Staat im Staate. Es gab keinerlei parlamentarische Kontrolle. Im Parlament haben wir alle ohne Diskussion für die Rüstungshaushalte gestimmt.“ 16

Intern bereitete Beglitis 2011 eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik vor. Grundlegende Veränderungen seien in Bezug auf die Wahrnehmung der Sicherheitslage, der Struktur der Streitkräfte und der Verteidigungsstrategie notwendig. Das hält auch Thanos Dokos, der Leiter des außenpolitischen Think-Tanks »Heliamep« in Athen, für überfällig: „Das Militär geht immer noch von Plänen aus, die aus dem Kalten Krieg oder gar aus dem Bürgerkrieg stammen.“ 17

Allerdings wurde diese Reformdiskussion im Herbst 2011 mit der Formierung einer neuen Regierung vorerst beendet und auch nach den Wahlen 2012 nicht wieder aufgenommen.

Deshalb soll es in Griechenland noch immer etwa 500 militärische Standorte geben.18 So sind auf dem Peloponnes wie im Norden und Nordwesten Griechenlands Truppen stationiert, weil nach wie vor von einer »kommunistischen Gefahr« ausgegangen wird – obwohl Albanien und Bulgarien inzwischen Mitglieder der NATO sind und es auf dem Peloponnes keine kommunistischen Partisanen mehr gibt. Gegen eine Zusammenstreichung der Standorte gibt es Widerstand von den betroffenen Kommunen und aus den Streitkräften selbst.

Weiteres Einsparungspotential besteht auch beim Umfang der Streitkräfte. Diese haben eine Stärke von 124.000 bis 140.000 Mann.19 Etwa ein Drittel davon sind Wehrpflichtige. Zum Vergleich: Deutschland soll mit seinen 80 Millionen Einwohnern nach der geplanten Bundeswehrreform ca. 180.000 Soldaten haben – nur 40.000 bis 60.000 mehr, als Griechenland mit seinen elf Millionen Einwohnern gegenwärtig besitzt.

Eine grundlegende Strukturreform und eine einschneidende Reduzierung der Streitkräfte sind gegenwärtig in Griechenland nicht auf der Tagesordnung, obwohl damit zumindest mittelfristig die Rüstungsausgaben weiter gesenkt werden könnten. Auch die linke Oppositionspartei SYRIZA, die prinzipiell seit Jahren eine Kürzung der Rüstungsausgaben befürwortet, hat bisher keine konkreten Vorschläge vorgelegt: Sie sehe sich dazu bisher wegen fehlender Informationen nicht in der Lage.

Hauptbedrohung Türkei?

Angebracht wäre auch eine Neubestimmung der »Bedrohungslage« Griechenlands. Denn obwohl beide Länder Mitglieder der NATO sind, richtet sich die griechische Militärpolitik seit Jahrzehnten vor allem gegen die Türkei.

Tatsächlich gibt es Streitpunkte, zum Beispiel den Konflikt um das geteilte Zypern, Meinungsverschiedenheiten über den Verlauf des Festlandsockels in der Ägäis und über die Zuordnung einzelner kleinerer Inseln, über die Höhe des nationalen Luftraums, den Griechenland auf zehn Meilen beansprucht, während die Türkei ihn nur bis sechs Meilen anerkennt. Auch hatten hochrangige türkische Militärs, die inzwischen wegen Umsturzkomplotten vor Gericht stehen bzw. jüngst verurteilt wurden, Pläne für Angriffe und Überfälle auf griechisches Territorium ausgearbeitet. Diese sollten als Vorwand für einen internen Staatsstreich gegen die Regierung Erdogan dienen.

Doch im letzten Jahrzehnt wurde in der Türkei die Macht des Militärs deutlich eingeschränkt. Die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung ist überdies aufgrund der Nachbarschaftspolitik und der EU-Orientierung der Regierung Erdogan erheblich zurückgegangen. Das allerdings wird in der griechischen Bevölkerung wie in der politischen Elite oft nicht wahrgenommen und spiegelt sich auch nicht in einer entsprechend veränderten Militärstrategie wider. Auch der Direktor des Think-Tanks »Heliamep«, Thanos Dokos, hält die Grundannahmen bisheriger griechischer Verteidigungspolitik für überholt: „Sollten wir uns vorbereiten auf einen großen Krieg oder nur auf einen heißen Zwischenfall? Für einen großen Krieg bräuchten wir natürlich ganz andere Streitkräfte und Waffensysteme. Aber selbst wenn die Türkei nicht der EU beitreten sollte, ist es im 21. Jahrhundert unwahrscheinlich, dass es zu einem großen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei kommen wird.“ 20

Dennoch gehen die militärischen Planungen immer noch von einem möglichen Einmarsch der Türkei in Griechenland aus. So baut das griechische Militär seit 2009 einen 120 Kilometer langen Wassergraben mit dreißig Meter Breite und sieben Meter Tiefe, der sich entlang der gesamten Grenze mit der Türkei bis zum Mittelmeer erstrecken soll. Damit soll ein Panzervormarsch der Türkei über den Evros aufgehalten werden. Begründet wird das Vorhaben mit dem Ankauf von neuen amphibischen Brückenfahrzeugen durch die Türkei. Der Bau des Kanals dürfte mehrere Dutzend Millionen Euro kosten.

Weiteres Einsparpotential bei Waffenimporten

In gewissem Umfang sind weitere Einsparungen auch bei der Rüstungsbeschaffung möglich. So hat Griechenland 2010 als dritte Tranche des U-Boot-Deals von 2000 und 2002 zwei zusätzliche moderne U-Boote bestellt. Diese sollen nach den Blaupausen der Kieler HDW auf der Werft Hellenic Shipyards in Skaramagkas bei Athen gebaut werden. Damit würden sich die Gesamtkosten des Deals soweit öffentlich bekannt von 2,8 auf 3,3 Mrd. Euro erhöhen,21 von denen Griechenland circa 2,5 Mrd. Euro schon bezahlt hat. Militärisch sind die neu bestellten U-Boote „überflüssiger Luxus“ (Thanos Dokos)22.

Allerdings hat HDW 2011 den neuen U-Boot-Vertrag gekündigt, ohne wohl weitere Geldforderungen an die griechische Regierung zu stellen. Es ist auch noch gar nicht mit dem Bau der neuen U-Boote begonnen worden. Die griechische Regierung hält verbal zwar an dem Auftrag für die zwei neuen U-Boote fest, überweist aber seit Mitte 2011 keine weiteren Gelder mehr. Angesichts der Finanzlage Griechenlands wird es wohl bei dieser Situation bleiben. Dadurch kann der griechische Staat geplante Rüstungsbeschaffungskosten in Höhe von 800 Mio. Euro vermeiden.

Einsparungen könnten auch erreicht werden, wenn andere Verträge gekündigt würden, bei denen die Auslieferung noch nicht erfolgt ist.23 Die entsprechenden Rüstungsfirmen müssten von ihren Regierungen gedrängt werden, auf eventuelle Konventionalstrafen zu verzichten. Das käme in Frage für 17 französisch-deutsch-italienische Transporthubschrauber vom Typ NH-90-TTH, die 2003 bestellt wurden und 2011-2015 ausgeliefert werden sollen. Der ursprüngliche Kaufpreis für 20 Hubschrauber belief sich auf 546 Millionen Euro. Sie werden alle in Lizenz in Griechenland hergestellt.

Des Weiteren wurden 2008 zwei »Super Vita«-Angriffsschnellboote im Wert von 299 Mio. Euro in Großbritannien bestellt. Auch sie sollen in der Werft in Skaramagkas gebaut werden und wurden ebenso wie die dazugehörigen Waffensysteme bisher nicht ausgeliefert.24

Die griechischen Streitkräfte kaufen in geringem Umfang auch weiterhin Ersatzteile und neue Waffensysteme an. So wurden 2010 50 Lasersteuerungen für Präzisionswaffen in den USA geordert, von denen erst 25 an Athen geliefert sind. Ein Vertrag mit Israel für den Ankauf von Lasersteuerungen des Typs »Spice« im Wert von 100 Mio. Euro wurde 2011 ausgearbeitet, ist aber wohl noch nicht unterschrieben. Auch möchte das griechische Militär Panzermunition im Wert von 120 Mio. Euro für den Leopard-Panzer kaufen. Auch hierfür wurde noch kein politischer Beschluss gefasst.

Insgesamt ist deutlich, dass trotz der bereits erfolgten starken Reduzierung der griechischen Rüstungsausgaben weitere Einsparungen möglich sind. Auch wenn sich griechische Militärs dagegen stemmen, ist es wegen der desolaten Haushaltslage des Landes wahrscheinlich, dass weitere Streichungen zumindest in gewissen Umfang auch beschlossen werden. Eine grundlegende Reform der Militärstruktur wie auch der Militärstrategie ist jedoch unwahrscheinlich. Eine solche würde jedoch nicht nur Kosten einsparen, sondern, sofern man für Standorte und Militärangehörige eine soziale Abfederung einplant, für Konversionsmaßnahmen kurzfristig auch neue Kosten verursachen.

Anmerkungen

1) NATO: Financial and economic data relating to NATO defence. Press Release, 13 April 2012, S.6. Siehe auch Jan Grebe und Jerry Sommer: Griechenland: Hohe Militärausgaben trotz Finanzkrise. BICC-Fokus 9, 2010, S.1f.

2) Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI): Arms Transfer Database. Die Summe von rund 15 Mrd. Euro ergibt sich aus der Zusammenzählung der in jeweils aktuelle Dollar umgerechneten jährlichen Angaben von SIPRI durch den Autor. Die tatsächlichen Zahlungen für diese Rüstungsexporte können höher oder niedriger liegen, zum Beispiel wegen Schenkungen.

3) Der Spiegel: Ein paar Millionen draufschlagen. 10. Mai 2010.

4) Claas Tatje: Schöne Waffen für Athen. In: Die Zeit vom 7. 1 2012. Dort wurde sogar behauptet: „Der Sozialetat schrumpft, der Verteidigungshaushalt aber steigt.“ Ähnlich ungenaue bzw. falsche Angaben waren im Frühjahr 2012 u. a. in Stern-Online, der Frankfurter Rundschau und im Kölner Stadtanzeiger zu finden.

5) Angaben zu 2009 im Haushaltsplanentwurf Griechenlands 2011, Athen November 2010. Laut Haushaltsentwurf 2012, Athen, November 2011, S.75, waren für 2012 ursprünglich 4,155 Mrd. Euro budgetiert. Im Februar/März wurde der Rüstungshaushalt 2012 durch das neue Abkommen mit der »Troika« und die anschließenden Beschlüsse des griechischen Parlaments um weitere 400 Mio. Euro auf 3,755 Mrd. Euro reduziert. Von Januar bis Juli 2012 hatte das Verteidigungsministerium Ausgaben in Höhe von 1,89 Mrd. Euro getätigt (siehe Griechisches Finanzministerium: Ausführung des Staatshaushaltes, Monatlicher Bericht, Juli 2012. August 2012, S.5). Damit wurde 2012 in den ersten sieben Monate weniger als die Hälfte der budgetierten Gelder ausgegeben, vor allem, weil die Ausgaben für Rüstungsbeschaffungen deutlich unter dem Planansatz lagen.

6) NATO, op.cit., S 4; die entsprechenden Zahlen lauten 7,3 Mrd. Euro für 2009 und 4,6, Mrd. Euro für 2011. SIPRI: SIPRI Yearbook 2012. Oxford: Oxford University Press, 2012, S.193. SIPRI gibt folgende Zahlen an: 7,6 Mrd. Euro für 2009, 5,8 Mrd. Euro für 2011.

7) Package foresees 4.5 bln euros in pension cuts. Englische Ausgabe der Tageszeitung »Kathimerini«, 30.8.2012; ekathimerini.com.

8) Die Zahl für 2009 gab der damalige Verteidigungsminister Evangelos Venizelos in einer Rede im Parlament am 23.12.2009 an. Zur Haushaltsplanung für 2012 siehe Rede von Verteidigungsminister Dimitri Avramopoulos am 4.12.2012. Laut NATO-Angaben (op.cit., S.8), die auch die Pensionen ehemaliger Militärs berücksichtigen, sind die Personalkosten von 4,1 Mrd. Euro 2009 auf 3,4 Mrd. Euro 2011 reduziert worden.

9) Siehe Artikel in »Kathimerini«, op.cit., sowie Rede von Verteidigungsminister Evangelos Venizelos vom 23.12.2009, op.cit.

10) Weniger griechische Soldaten bei internationalen Missionen. Artikel in der griechischen Ausgabe der Tageszeitung »Kathimerini«, 24.12.2011; kathimerini.gr.

11) Griechisches Finanzministerium, op.cit., S.2.

12) Ibid.

13) Vgl. Jan Grebe/Jerry Sommer,. op.cit., S 4.

14) Zit. nach einer Presserklärung des griechischen Verteidigungsministeriums vom 6. April 2012: Defence Minister’s Mr. Dimitris Avramopoulos statement following the completion of the exercise »PYRPOLITIS«; mod.gr.

15) Rede des damaligen Verteidigungsministers Panos Beglitis bei einer Zusammenkunft der griechischen Botschafter, Athen, 28. Juli 2011.

16) Ibid.

17) Thanos Dokos, Direktor des griechischen Forschungsinstitutes Heliamep (Hellenic Foundation for European and Foreign Policy), Gespräch mit dem Autor, 20. Juni 2011.

18) Anzahl nach Wassilis Oikodomou, Abgeordneter der kleinen Regierungspartei »Demokratische Linke«, im Gespräch mit dem Autor, Athen, 7. August 2012.

19) Das griechische Verteidigungsministerium veröffentlicht keine aktuellen Zahlen. Nach Angaben des britischen Think-Tanks International Institute for Strategic Studies (IISS) hatte Griechenland 2011 145.647 Mann unter Waffen (ca. 7.000 mehr als 2010); siehe IISS: Military Balance 2012., London, 2012, S.121. Demgegenüber geht die NATO (op.cit., S.10) von einem Rückgang von 128.000 in 2010 auf 124.000 in 2011 aus.

20) Thanos Dokos, op.cit.

21) Diese Zahlen sind in dem von ThyssenKrupp, HDW, Abu Dhabi Mar und der griechischen Regierung unterschriebenen und veröffentlichten Vorvertrag (Framework Agreement) vom 18. März 2010 enthalten; defencenet.gr/defence/media/pdf_2.pdf). Es ist nicht öffentlich bekannt, ob im endgültigen Vertrag vom September 2010 andere Vereinbarungen getroffen wurden.

22) Thanos Dokos, op.cit.

23) Angaben über ausstehende Lieferungen nach SIPRI Arms Trade Register: Greece: Transfers of major conventional weapons: sorted by supplier. Deals with deliveries or orders made for year range 2008 to 2011.

24) Ob mit dem Bau in Skaramagkas überhaupt begonnen wurde bzw. wie weit er fortgeschritten ist, ist unklar. Auch gibt es Berichte, nach denen das britische Unternehmen BAE Systems im März 2011 den Vertrag wegen griechischer Zahlungsunregelmäßigkeiten gekündigt hat.

Jerry Sommer ist freier Journalist und Research Associate am Bonn International Center for Conversion (BICC).

Deutsche Kampfpanzer nach Chile

Deutsche Kampfpanzer nach Chile

Eine kritische Bestandsaufnahme

von Michael Radseck

Meldungen über Rüstungsgeschäfte fallen in Chile auffällig oft in die Weihnachtszeit und die anschließenden langen Sommerferien. Zum jüngsten Jahreswechsel war es wieder soweit: In ihrer Sonn- und Feiertagsausgabe vom 25. Dezember 2005 berichtete die chilenische Tageszeitung El Mercurio vom bevorstehenden Abschluss eines Panzergeschäfts zwischen Berlin und Santiago. Die deutsche Bundesregierung, so der Bericht, habe dem Verkauf von einhundert gebrauchten Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an Santiago zugestimmt. An weiteren zweihundert Panzern dieses Typs zeigten Chiles Generäle Interesse.1

Berlin musste die Nachricht im Anschluss an die Festtage weder bestätigen noch kommentieren, die Meldung des Mercurio fand keinen Eingang in die deutschen Rundfunk- oder Zeitungsredaktionen. Auf Nachfrage im Verteidigungsministerium wurden Anfang Februar entsprechende Gespräche zwar bestätigt, zugleich aber auf laufende Verhandlungen verwiesen.2 Als Gegenstand laufender Regierungsverhandlungen aber unterliegen Rüstungsgeschäfte wegen des vorgeblichen Schutzes nationaler Sicherheitsbelange einer strengen Geheimhaltung, selbst wenn es in Wahrheit immer auch um handfeste kommerzielle Interessen geht. Allerdings sind diese mit den hehren Zielen einer »restriktiven Rüstungsexportpolitik«, wie sie Berlin offiziell verfolgt, nur in den wenigsten Fällen in Einklang zu bringen.

Inzwischen steht fest: Ein entsprechender Kaufvertrag zwischen Chile und Deutschland wurde bereits am 10. Februar 2006 abgeschlossen, jedoch auf Wunsch Berlins bis Ende März 2006 geheim gehalten. Offenbar wollte man von deutscher Seite aus dem offiziellen Abschluss des Geschäfts solange nicht vorgreifen, wie nicht Washington sein Plazet zu den Panzerlieferungen erteilt hatte. Dieses ist erforderlich, da der Leopard 2 auch US-Bauteile enthält. Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr erst am 24. März 2006 von dem deutsch-chilenischen Panzerdeal. In einer dpa-Kurzmeldung bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums lapidar den Verkauf von 118 Leopard 2 an Santiago.3 Weitere Angaben wurden in Berlin nicht gemacht. Ausführlicher berichtete neuerlich der Mercurio.4 Demnach sieht die Vereinbarung zwischen Berlin und Santiago vor, dass 93 einsatzfähige Leopard 2 in der Version A4 bald den Besitzer wechseln; weitere 25 Exemplare des Panzers sollen zu Schulungszwecken eingesetzt werden und als Ersatzteillager dienen. Geliefert wird in drei Tranchen ab Dezember 2006 zum Preis von 124 Mio. USD.

Öl ins Feuer

Die Lieferung des Bundeswehr-Standardpanzers an Santiago setzt in mehrfacher Hinsicht ein Signal. Es werden Kampfpanzer einer bis dato in Südamerika nicht vorhandenen Gewichtsklasse und Stückzahl in ein klassisches Spannungsgebiet geliefert. Damit verschieben sich die militärischen Kräfteverhältnisse in der Region entscheidend und neuerlich zu Gunsten von Santiago. Die Waffensysteme werden im Norden Chiles, in Reichweite der »heißen« Grenzen zu Bolivien und Peru stationiert.

Es bedarf wohl keines Propheten, um vorauszusehen, dass die seit jeher konfliktträchtige Dreiecksbeziehung zwischen Santiago, La Paz und Lima dadurch weiteren Schaden nehmen wird. Strittige Territorialansprüche, hasserfüllte Ressentiments und wilde Verschwörungstheorien sorgen seit den Tagen des Salpeterkriegs (1879-83), in dessen Folge Bolivien und Peru bedeutende Landesteile an Chile verloren, für permanenten Zündstoff zwischen den drei Anrainern. Dass immer dann besonders gezündelt wird, wenn von innenpolitischen Krisen abgelenkt werden soll, macht Waffenexporte in diese ohnehin instabile Region besonders brisant.

Neben der historischen Forderung Boliviens nach Wiedererlangung eines souveränen Pazifikzugangs steht mit dem Streit um den Verlauf der chilenisch-peruanischen Seegrenze seit einigen Monaten ein zusätzlicher, sich verschärfender Territorialkonflikt im Raum. Mit Zutun des peruanischen Kongresses, der im November 2005 einseitig das eigene Hoheitsgebiet vor der fischreichen Küste »per Gesetz« ausweitete, steuern die latent gespannten chilenisch-peruanischen Beziehungen zusehens auf einen kritischen Punkt zu: Während Lima nach den Worten seines Außenministers „den diplomatischen Verhandlungsweg für mittlerweile ausgeschöpft“ hält, sieht Santiago in puncto Grenzziehung, so in seiner jüngsten Protestnote, weiterhin „nichts zu verhandeln.“5 Paradoxerweise sieht deshalb selbst die deutsche Bundesregierung die Gefahr in der Region „nicht gebannt“. Sie befürchtet, „dass sich diplomatische Auseinandersetzungen über Gebietsansprüche in begrenzte regionale kriegerische Konflikte ausweiten.“6

Wie berechtigt die Sorge über eine Militarisierung der bestehenden zwischenstaatlichen Konflikte und die Gefahr eines Wettrüstens in der Region ist, zeigen erste Reaktionen aus Lima und La Paz auf die Meldung von dem deutsch-chilenischen Panzergeschäft. Erstmals bezichtigte der peruanische Botschafter in Santiago die Chilenen, einen „denkbaren Waffengang“ gegen Lima vorzubereiten.7 Umfragen zufolge glaubt mittlerweile mehr als jeder zweite Peruaner, der südliche Nachbar rüste sich für einen Angriffskrieg gegen sie.8 Unbestritten ist, dass im Norden Chiles bereits heute mit oder ohne Leopard 2 die schlagkräftigste Kampfpanzerflotte auf dem Subkontinent in Stellung gebracht ist.9 Auch die aus den fabrikneuen US-Kampfjets vom Typ F-16 gebildete Elitestaffel der chilenischen Luftwaffe, die ihresgleichen in Südamerika sucht, wird in diesen Tagen unweit der Landesgrenzen zu Bolivien und Peru stationiert.10 Dazu kommt der Kauf von nicht weniger als acht Fregatten und zwei U-Boot-Prototypen, ausgerüstet mit Lenkwaffen einer Reichweite, über die keine andere Kriegsmarine im südlichen Lateinamerika verfügt.11

Angesichts des atemberaubenden Beschaffungsprogramms der chilenischen Streitkräfte (siehe Auflistung) verfangen die gebetsmühlenartigen Beteuerungen aus Santiago immer weniger, es handele sich einzig um die „legitime Modernisierung überholter Rüstungsbestände“. Zweifelsohne muss es als qualitative wie quantitative Aufrüstung gelten, wenn leichte, zur Gefechtsaufklärung und Sicherung taugliche Panzer (18-Tonnen-Modelle der 40er Jahre vom Typ M-24 bzw. 27-Tonnen-Modelle der 50er Jahre vom Typ M-41) durch die doppelte Anzahl schwerer Kampfpanzer (42-Tonnen-Modelle der 70er Jahre vom Typ Leopard 1 A5 bzw. 58-Tonnen-Modelle der 90er Jahre vom Typ Leopard 2 A4) ersetzt werden. Gleiches gilt für den Ersatz gebrauchter, für den Bodennahkampf konzipierter Maschinen (Modelle der 60er Jahre vom Typ Cessna Dragonfly) durch fabrikneue Kampfflugzeuge der vierten Generation – mit integrierten Waffen- und Kampfführungssystemen für den Luft-Luft und den Luft-Boden-Kampf (Modelle der Typen F-16).

Verständlich, dass nicht nur für die Peruaner die Großwaffenkäufe durch Santiago längst „über die Erneuerung veralteten Kriegsmaterials hinausgehen.“12 Angesichts des »militärischen Ungleichgewichts«, das Beobachter in der Region im Allgemeinen und bei Perus Streitkräfte im Besonderen ausmachen, ist es deshalb nur eine Frage der Zeit, bis sich die Rüstungsspirale im südlichen Lateinamerika weiterdreht. Ollanta Humala, derzeit aussichtsreicher Anwärter auf die Präsidentschaft in Peru, kündigte Mitte März 2006 an, er wolle zwar kein Wettrüsten in der Region einleiten, werde aber als Staatsoberhaupt dafür Sorge tragen, dass Perus Streitkräfte über ein hinreichendes »Abschreckungspotential« verfügen.13 Anders als Santiago beschafft Lima seine Großwaffen traditionell in den ehemaligen Ostblockländern. Wie in den NATO-Vertragsstaaten werden auch dort die aufgefüllten Lager von Kriegswaffen angesichts knapper Kassen und internationaler Abrüstungsverpflichtungen seit Jahren geräumt.14

Rüstungsexportpolitik in Theorie und Praxis

Lieferungen von Kriegswaffen in Krisen- und Spannungsgebiete verbieten sich selbstredend. Nicht von ungefähr ist dieser elementare Grundsatz Teil der deutschen wie der europäischen Richtlinien zur Rüstungsexportpolitik. So heißt es in Punkt III.5. der Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahr 2000: „Lieferungen [von Kriegswaffen] an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden … grundsätzlich aus.“ Ebenso hält das Kriterium 4 des Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren von 1998 die Mitgliedstaaten dazu an, bei der Genehmigung von Waffenausfuhren „die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konfliktes zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land“ ebenso zu berücksichtigen wie die „Erfordernis, die regionale Stabilität nicht wesentlich zu beeinträchtigen.“

Im Falle der Lieferung deutscher Leopard 2-Kampfpanzer an Chile wurden darüber hinaus zahlreiche weitere Kriterien verletzt, die sowohl in den deutschen »Politischen Grundsätzen« als auch im »EU-Verhaltenskodex« formuliert sind. Deutsche Regierungsvertreter dürften deshalb an einer öffentlichen Debatte über das genehmigte Panzergeschäft mit Chile keinerlei Interesse haben. Der Erklärungsnotstand der seit November 2005 in Berlin regierenden großen Koalition wie auch der rot-grünen Vorgängerregierung wäre vorprogrammiert.

Tatsächlich müsste die Bundesregierung im Falle des Exports von Leopard 2-Panzern nach Chile „besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen“ geltend machen, um nach eigener Maßgabe die eigentlich nicht zu genehmigende Ausfuhr von Kampfpanzern in einen Drittstaat zu begründen. So legen die »Politischen Grundsätze« in den Punkten III.1. und III.2. unzweideutig fest: „Der Export von Kriegswaffen [in sog. Drittstaaten] wird restriktiv gehandhabt. [Er] wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland … für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen. Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.“ Chile aber fällt einwandfrei unter die Kategorie eines Drittstaates, da es weder EU- noch NATO-Mitglied noch dem Bündnis gleichgestellt ist, so sehr Santiago seit Jahren auch alle Maastricht-Kriterien erfüllen mag und offenbar gewillt ist, die Bewaffnung seiner Streitkräfte im Alleingang auf NATO-Standard anzuheben.

Hinzu kommt: Anders als etwa bei Lieferungen von Kriegsschiffen machen sogenannte „legitime Sicherheitsinteressen von internationalem Belang“ zur Begründung von Kampfpanzerausfuhren in Drittländer keinen Sinn.15 Ein 55-Tonnen-Panzer wie der Leopard 2 A4 ist eine für die konventionelle Kriegsführung gegen feindliche Panzer und Kampfhubschrauber konzipierte Angriffswaffe und eine exzellente dazu: Im Bundeswehrjargon auch als »göttliches Großgerät« bezeichnet, gilt der von Krauss-Maffei bis Anfang der 90er Jahre in Serie produzierte und danach noch einmal kampfwertgesteigerte, voll nachtkampffähige Panzer in puncto Feuerkraft, Mobilität und Panzerung als das Maß aller Dinge.16 Als solcher taugt er allerdings weder dazu, terroristische Bedrohungen abzuwehren, noch den internationalen Drogenhandel zu bekämpfen oder die Seewege für den Welthandel sicherer zu machen.

Selbst beschäftigungspolitische Gründe, wollte sie Berlin als Argument für das Panzergeschäft mit Santiago ins Feld führen, könnten beim Export ausgemusterter Bundeswehrbestände, unbeschadet etwaiger Nachfolgeaufträge an die deutsche wehrtechnische Industrie und dem „besonderen Interesse der Bundesregierung an [deren] Kooperationsfähigkeit“,17 nicht wirklich überzeugen.18 Zumal solche Gründe gemäß den selbstauferlegten Richtlinien bei einer „ausnahmsweise“ zu erteilenden Genehmigung eines Kriegswaffenexports in einen Drittstaat ohnehin „keine ausschlaggebende Rolle“ spielen dürfen.

Keine Rolle bei der Genehmigung des Panzerexports durch Berlin kann demgegenüber Santiagos laxer Umgang mit Waffenembargos und internationalen Verpflichtungen gespielt haben. Verstöße gab es 1991 im Falle Kroatiens sowie 1995 im Falle Ekuadors, seinerzeit im bewaffneten Konflikt mit Peru. Besonders pikant: Santiago wacht seit 1942 als Garant über den zwischenstaatlichen Frieden zwischen Lima und Quito. Gleichermaßen ein Affront: Chiles wenig konstruktive Meldepolitik gegenüber dem VN-Berichtssystem für Militärausgaben und dem VN-Waffenregister, die mitunter Täuschungs- und Verdunklungsmanövern gleichkommt. So fällt bei Chiles Meldungen an das VN-Register für konventionelle Waffen die Häufung falsch klassifizierter Zuläufe auf. In den Meldeberichten für die Jahre 1996-2000 wurden z.B. die aus den Niederlanden und Frankreich importierten Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 A5 und AMX-30 B jeweils als »gepanzerte Kampffahrzeuge« und nicht als »Kampfpanzer« ausgewiesen. In Chiles Mitteilungen an das VN-Berichtssystem für Militärausgaben, sofern überhaupt übermittelt, finden sich regelmäßig weniger als die Hälfte der nach VN-Kriterien zu meldenden Ausgaben wieder. Insbesondere werden den VN aus Santiago grundsätzlich keine Kosten für Pensionszahlungen sowie Ausgaben für den militärischen F&E-Bereich gemeldet. Nach dem Papier ist aber bei der Genehmigung eines Kriegswaffenexports in einen Drittstaat eigentlich dessen „bisheriges Verhalten … im Hinblick auf die … Einhaltung internationaler Verpflichtungen … [und] seine Unterstützung des VN-Waffenregisters“ ebenso zu berücksichtigen wie seine Fähigkeit, „wirksame Ausfuhrkontrollen durchzuführen.“19

Den eigenen Maßstäben gemäß wären bei der Genehmigung eines Kriegswaffenexports am Ende auch „unverhältnismäßige Rüstungsausgaben“ des Empfängerstaates zu berücksichtigen.20 Allerdings scheinen solche für die Bundesregierung auch dann nicht vorzuliegen, wenn wie im Falle Chiles der Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt mit knapp vier Prozent doppelt so hoch liegt wie im südamerikanischen Durchschnitt; gemessen an den Pro-Kopf-Verteidigungsausgaben liegt Chile mit über 160 USD sogar dreimal so hoch.21

Schließlich: Großwaffenkäufe werden in Chile nach dort geltender Gesetzeslage völlig am Parlament vorbei und ohne jedwede öffentliche Debatte über ihr Für und Wider entschieden und finanziert. Grundlage hierfür ist das sogenannte Kupfergesetz. Es sorgt dafür, dass zehn Prozent der Bruttoeinnahmen, welche die staatliche Kupfergesellschaft CODELCO über den Verkauf ihrer Produkte im Ausland erzielt, direkt und zu gleichen Teilen auf geheimen Sonderkonten von Heer, Marine und Luftwaffe landen. Allein in 2005 wurden auf diese Weise 850 Mio. USD in die Kassen der chilenischen Streitkräfte gespült – zusätzlich zum parlamentarisch verabschiedeten Verteidigungshaushalt.22 In letzter Konsequenz entscheidet in Santiago somit der Kupferpreis über Art und Umfang der militärischen Beschaffungsvorhaben – ein Mechanismus, der dafür sorgt, dass Rüstungskäufe angesichts finanziell autonomer Militärs nachgerade zwangsläufig eine Eigendynamik entfalten müssen. Dieser Punkt kann, muss aber deutsche Regierungsvertreter nicht interessieren: Weder die deutschen noch die europäischen Richtlinien für Rüstungsexporte sehen vor, gegenüber der Rüstungs- und Verteidigungspolitik potentieller Empfänger von Kriegswaffen Kriterien der Transparenz, demokratischer Kontrolle und Rechenschaftslegung zu berücksichtigen.

Chiles Großwaffenkäufe 1994-2006

Waffenplattforma/ Lieferland Zulauf Kaufsummeb/
Kampfpanzer
211 Leopard 1 A5 NL (DE) 1998-2001 63 Mio. USD**
21 AMX 30 B2 FR 1998-99 k.A.
118 Leopard 2 A4 DE 2006-07 124 Mio. USD
Kriegsschiffe
1 Fregatte 22-Klasse GB 2004 50 Mio. USD
4 Fregatten L/M-Klasse NL 2005-06 350 Mio. USD
2 U-Boote Scorpène-Klasse* E/ FR 2005-06 450 Mio. USD
3 Fregatten 23-Klasse GB 2006-08 350 Mio. USD
Kampfflugzeuge
25 Mirage V B 1994-96 109 Mio. USD**
10 F-16 C/D* USA 2006 650 Mio. USD
18 F-16 A/B NL (USA) 2006- 185 Mio. USD
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Anmerkungen:
a/ Aufgelistet sind Waffensysteme, die bereits zugelaufen oder vertraglich geordert worden sind. Fabrikneue Waffensysteme sind mit einem * gekennzeichnet. Soweit derzeit bekannt, beabsichtigt die Armee, weitere 200 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2, die Luftwaffe bis zu zwanzig weitere Kampfjets vom Typ F-16 zu beschaffen. Darüber hinaus werden unter der Regierung Bachelet (2006-10) die Bestände an Kampfhubschraubern und Transportmaschinen komplett erneuert und aufgestockt werden.
b/ Die angegebenen Preise beziehen sich allein auf die »nackten« Plattformen, verstehen sich also ausschließlich der Kosten für Bewaffnung und Munition im besonderen für die Fregatten und U-Boote ebenso wie für erfolgte Kampfwertsteigerungen wie im Falle der Leopard 1. Mit ** versehene Summen beinhalten nachgewiesene Schmiergeldzahlungen, 15 Mio. USD im Falle der belgischen Mirage V, 1,5 Mio. USD im Falle der niederländischen Leopard 1.

Anmerkungen

1) Patricio González Cabrera: Tanques. Ejército alemán vendería Leopard 2 a Chile, in: El Mercurio, 25.12.2005.

2) So Oberstleutnant Robert Wilhelm, Sprecher für Rüstung im Verteidigungsministerium, im Gespräch mit meinem Mitarbeiter Georg Strüver am 3. Februar 2006, dem ich für seine Recherchen herzlich danke.

3) Abgedruckt etwa in: Die Welt, 24.3.2006.

4) Patricio González Cabrera: Alemania: Lista compra de 100 Leopard 2, in: El Mercurio, 18.3.2006 und ders.: Leopard 2: Ejército incorpora uno de los mejores tanques del mundo, in: El Mercurio, 25.3.2006.

5) Conflicto de delimitación marítima entre Chile y el Perú, in: Wikipedia. La enciclopedia libre, última revisión, 28.2.2006, http://es.wikipedia.org/w/index.php?title=Conflicto_de_delimitaci%C3%B3n_mar%C3%ADtima_entre_Chile_y_el_Per%C3%BA&oldid=2441101.

6) Auswärtiges Amt: Deutsche Außenpolitik 2004/2005, S. 165, https://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/publikationen/ap2005.pdf.

7) La Nación (Santiago), 28.12.2005.

8) Peru.com, 13.9.2005.

9) Ignacio J. Osacar: Los Leopard II de Chile y el equilibrio regional, Nueva Mayoría.com, 17.1.2006 sowie Macarena López: Pax Chilena. Nada es para siempre, Marzo de 2006, http://www.harrymagazine.com/200603/paxchilena.htm, Zugriff am 28.3.2006. Insoweit muss Santiagos Panzerflotte, die neben den rund 200 kampfwertgesteigerten Leopard 1 A5 ca. 60 französische AMX-30 umfasst, die »feindlichen Armeen im Norden«, nicht fürchten: Boliviens Truppe verfügt über zwei Dutzend österreichische Jagdpanzer (17-Tonnen-Modelle vom Typ SK-105 Kürassier), Peru derzeit über höchstens 200 einsatzfähige Panzer vor allem der sowjetischen Typen T-54/55 (36 Tonnen-Modelle der 60er Jahre).

10) Chiles Luftwaffenchef stritt im Hinblick auf die grenznahe Stationierung der F-16-Staffel im Norden seines Landes jedwede strategischen Zusammenhang ab. Die ersten 10 Exemplare dieses Kampfjets werden auf einer reaktivierten Luftwaffenbasis in Iquique, weitere 18 Maschinen ab September 2006 in Antofagasta stationiert. Dort, so der General, verfüge man über die nötige Infrastruktur und befinde sich in einer Zone, in der keine Flugverbote herrschen, vgl. Macarena Peña: F-16. La FACh presentó ayer los aviones más modernos de Sudamérica, in: El Mercurio, 1.2.2006.

11) López (Anm. 9).

12) So der peruanische Präsidentschaftskandidat Ollanta Humala, zit.n. Rodrigo Alcaíno: Críticas a Chile: Humala insiste en desequilibrio militar, in: El Mercurio, 26.3.2006.

13) El Mercurio, 18.3.2006.

14) Dies gilt im übrigen auch für die Schweiz, wo bis vor kurzem 148 Exemplare des Leopard 2A4 zum Verkauf standen. Ende November 2005 hatten die Eidgenossen eine entsprechende Verkaufsofferte an Chile überraschend zurückgezogen.

15) Die Formel von den »legitimen Sicherheitsinteressen von Drittstaaten« ist dem letzten Rüstungsexportbericht 2004 entnommen, wo es auf Seite 9 heißt: „Im Rahmen [der] restriktiven Genehmigungspraxis für Drittländer können … legitime Sicherheitsinteressen solcher Länder im Einzelfall für die Genehmigung einer Ausfuhr sprechen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die jeweiligen Sicherheitsinteressen auch international von Belang sind. Die Abwehr terroristischer Bedrohungen und die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels sind denkbare Beispiele.“

16) Den Ruf, der »beste Kampfpanzer der Welt« zu sein, erwarb sich der Leopard 2 zuletzt bei simulierten Vergleichstests mit dem russischen T-90, dem britischen Challenger 2 sowie dem amerikanischen M1A2 Abrams, aus denen er jeweils als Sieger hervorging.

17) Zitiert nach dem Rüstungsexportbericht 2004, S. 9.

18) Tatsächlich profitiert die deutsche Rüstungsindustrie nach eigenem Bekunden „auch von Lieferungen gebrauchten Bundeswehr-Materials an andere Nationen“, so jüngst der Vorstandsvorsitzende der Rheinmetall AG, Klaus Eberhardt, nach einem Bericht in den Kieler Nachrichten vom 23.2.2006. Die Wehrtechnik-Sparte des Konzern habe sich, so Eberhardt, durch die Abgabe von Leopard-Panzern an Griechenland, die Türkei und Chile „neues Marktpotential“ erschlossen und dadurch Aufträge im Wert von 200 Millionen Euro erhalten. Die Kieler Tochter Rheinmetall Landsysteme GmbH wird darüber hinaus künftig die Panzer-Munition an diese Länder liefern.

19) Vgl. die Punkte III.7. und IV.2. der Politischen Grundsätze sowie die Kriterien 1 und 7 des EU-Verhaltenskodex. Siehe auch Michael Radseck: Meldeverhalten und Berichterstattungspolitik des Subkontinents gegenüber dem UN-Register für konventionelle Waffen, IIK, Hamburg 2003, S. 23

20) Vgl. Punkt III.6. der Politischen Grundsätze.

21) Entsprechende Daten finden sich in den einschlägigen Veröffentlichungen des SIPRI und des IISS.

22) Michael Radseck: Die undurchsichtigen Verteidigungshaushalte des Cono Sur, IIK, Hamburg 2004, S. 24f.

Michael Radseck, Mitarbeiter am Institut für Iberoamerika-Kunde (IIK) in Hamburg. Das IIK ist Teil des German Institute of Global and Area Studies.

Deutscher Export von Waffen boomt

Deutscher Export von Waffen boomt

Anspruch und Wirklichkeit rot-grüner Politik

von Herbert Wulf

Der im Dezember 2004 für das Jahr 2003 mit der inzwischen üblichen Verspätung veröffentlichte jährliche Rüstungsexportbericht der Bundesregierung dokumentiert, ebenso wie die Waffenhandelsstatistik des Internationalen Friedensforschungsinstituts Stockholm (SIPRI), dass sich die Bundesregierung vom selbst gesteckten Ziel einer restriktiven Rüstungsexportpolitik immer weiter entfernt. Gemessen an den wachsenden Rüstungsexporten seit der Regierungsübernahme von Rot-Grün 1998, bleibt die Glaubwürdigkeit des nach wie vor betonten Ziels einer restriktiven Politik auf der Strecke. Die hehren Ziele von Frieden, Gewaltprävention, Menschenrechten und Entwicklung haben aber in der Theorie noch immer Gültigkeit in den politischen Richtlinien, den Rüstungsexportregeln der Europäischen Union und in wohlgesetzten rot-grünen Sonntagsreden. Sind diese Richtlinien in der Praxis nur Makulatur? Selbst die Grünen haben nur selten an der neuen Exportoffensive etwas auszusetzen.

Dass Deutschland heute zu den Hauptrüstungsexporteuren gehört – weltweit auf Platz vier – belegen die Rüstungstransferstatistiken von SIPRI. Zwar liegt Deutschland deutlich hinter den USA und Russland, immerhin stammten aber rund sechs Prozent des Weltwaffenhandels zwischen 1999 und 2003 aus Deutschland.

Die größten Rüstungsexporteure der Welt

Rang Exportland Mio. US $*
1. USA 29.599
2. Russland 26.198
3. Frankreich 6.372
4. Deutschland 5.240
5. Großbritannien 4.204
Weltweit 88.240
* in Preisen von 1990
Quelle: SIPRI Jahrbuch 2004, S. 479-480

Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung veranschaulicht die steigende Tendenz der Rüstungsexportgenehmigungen. Allein im Jahr 2003 stiegen die Genehmigungen um fast 50 Prozent von 3,3 auf 4,9 Milliarden Euro. Diese Summe enthält aber nicht alle Exportgenehmigungen, sondern nur die »Einzelanträge für die endgültigen Ausfuhren«; hinzu kommen so genannte Sammelgenehmigungen für Exportgeschäfte, anhand derer die Rüstungsindustrie mehrere Ausfuhren an denselben oder verschiedene Empfänger durchführen kann, beispielsweise in Gemeinschaftsprojekten innerhalb der EU. Diese Sammelgenehmigungen, ebenfalls jährlich im Bereich einiger Milliarden Euro, lassen keine präzisen Rückschlüsse auf die tatsächlichen Exporte zu, da sie nicht immer zu Exporten führen.

Rüstungsexportgenehmigungen

Die Bundesregierung wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass diese expansive Exportpraxis gar nicht so problematisch ist, denn die meisten Rüstungsgeschäfte werden innerhalb der EU oder mit NATO-Ländern getätigt. Dennoch: auch die Genehmigungen für Entwicklungsländer sind nicht unbeträchtlich. Deutschland genehmigte 2003 in Staaten außerhalb der EU, des übrigen Europa und Nordamerikas Rüstungsgüter von 1,61 Milliarden Euro (siehe Grafik auf S. 46). Auch zu dieser Entwicklung fügt dann die Bundesregierung entschuldigend hinzu, der Anstieg im Jahr 2003 „ist praktisch ausschließlich auf die Genehmigung der Ausfuhr von Korvetten nach Malaysia und Südafrika zurückzuführen“4 – so als würden diese Rüstungslieferungen keine Ressourcen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung entziehen. Vor allem die Kirchen kritisieren die Aufrüstung in Südafrika angesichts der dort „wachsenden sozialen Disparitäten in der Gesellschaft und den ihnen innewohnenden Risiken für die junge Demokratie im Lande.“5 Entwicklungspolitik hin oder her – wichtig scheinen nur die Aufträge für die gebeutelten deutschen Werften.

Motive: gerüstet zum Kotau6

Warum wurde die von SPD und Grünen vor fast sieben Jahren bei der Übernahme der Regierung gelobte Zurückhaltung aufgegeben? Drei Gründe sind für die Exportoffensive maßgeblich: Waffenüberschüsse der Bundeswehr, industriepolitische und geopolitische Ambitionen.

Erstens Überschussmaterial: Die Bundeswehr wird verkleinert und hat ihre schweren Waffen seit Anfang der 1990er Jahre um rund die Hälfte reduziert. Mit Blick auf die leeren Kassen, und ganz im Sinne des Haushaltsrechts, werden Waffen nicht unbedingt verschrottet (was zusätzliche Mittel erfordert), sondern möglichst exportiert. Das Verteidigungsministerium versucht von den noch vorhandenen über 2.000 Kampfpanzern über 1.100 loszuschlagen; später soll der Bundeswehrbestand möglicherweise auf unter 850 Stück gesenkt werden. Dänemark, Finnland, Griechenland, Polen und Spanien erhielten 2003 Leopard-Kampfpanzer, Schnellboote, Flugzeuge, Kleinwaffen – alles ist im Katalog der Bundeswehr enthalten. An den Leopard-Panzern zeigt sich auch die Türkei interessiert. Verletzung der Menschenrechte in der Türkei hin oder her – gegenüber dem NATO-Partner und EU-Anwärter scheint man in Berlin keine Bedenken bei Rüstungsgeschäften zu haben.

Zweitens Industriepolitik: Bundeskanzler Schröder versucht, mit EU-Gemeinschaftsprojekten und durch großzügige Exportgenehmigungen, die Rüstungsindustrie zu fördern und meinte: „Wir sollten unsere Bemühungen intensivieren, Rüstungsgüter zu standardisieren, ihren innergemeinschaftlichen Handel zu erleichtern, sie den EU-Wettbewerbsvorschriften zu unterziehen, ihre Beschaffung zu optimieren, Forschungsaktivitäten zu koordinieren und eine gemeinsame Exportkontrolle vorzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Rüstungsmarkt zu schaffen.“7 Was dort ein wenig verklausuliert staatsmännisch und pro-europäisch daher kommt, ist nichts anderes als der Versuch, die deutsche Rüstungsindustrie mit Forschungsmitteln, Aufträgen und expansiver Exportpolitik massiv zu unterstützen, damit sie mit den europäischen Konkurrenten mithalten oder sie gar überflügeln kann. Ein Werftenverbund existiert seit Neuestem, die Luftrüstungsindustrie ist bereits seit langem europäisiert und umgeht die deutschen Rüstungsexportrichtlinien, in dem sie aus anderen Ländern (vor allem aus Frankreich) exportiert. Nun soll auch die Heeresindustrie durch Auftragsvergaben und Firmenkooperationen für die kommende Europäisierung und die internationalen Märkte fit gemacht werden.

Die Bundesregierung scheint auch vor Lieferungen in Spannungsgebiete nicht zurück zu schrecken, um Rüstungsunternehmen Aufträge zukommen zu lassen. Schnellboote in Länder des Persischen Golfs erscheinen in Berlin unproblematisch und der Verteidigungsminister betätigte sich auf der Rückreise vom Besuch der Bundeswehr in Afghanistan am Golf als Waffenverkäufer. Israel hat 2003 erneut Interesse an deutschen U-Booten bekundet. Verteidigungsminister Struck äußerte sich hierzu positiv.8 Israel, ein Land im Besitz von Atomwaffen und außerhalb des Atomwaffensperrvertrages, ist an den deutschen U-Booten interessiert, um sie als Atomwaffenträger umzubauen.9 Spannungen, Konflikte und Atomprojekte im Nahen Osten hin oder her – Hauptsache die Rüstungsindustrie floriert.

Drittens Geopolitik: Bundeskanzler Schröder hat im Falle Russlands und Chinas nicht nur die Außenpolitik primär nach kommerziellen Gesichtspunkten ausgerichtet, mit seinem Versuch, – zusammen mit Frankreichs Präsident Chirac – das 1989 nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking über China verhängte Waffenembargo der Europäischen Union aufzuheben, hat er deutlich gemacht, wie wenig die Achtung der Menschenrechte in der Außenpolitik generell und im Rüstungsexport speziell wert sind. Nicht einmal die Verstimmung der US-Regierung und die Belastung für die transatlantischen Beziehungen konnten den Kanzler von seinem Vorstoß abhalten. „Das Embargo ist entbehrlich“, behauptet Kanzler Schröder.10 Von der Opposition wird keine generell andere Politik gefordert. Der Sprecher der CDU, Wolfgang Schäuble, bat lediglich höflich darum, es dürfe „keine Alleingänge geben.“11 Das Waffenembargo der EU soll weg, weil China ein wichtiges Land im Konzert der Großen ist. Dass China mit einem riesigen Modernisierungsprogramm die eigenen Streitkräfte zu einer der schlagkräftigsten Armeen der Welt ausbaut, ist für den Wegfall des Embargos kein Hinderungsgrund. Im Gegenteil: hier winken riesige Geschäfte in der Zukunft, die im Moment vor allem von der russischen Rüstungsindustrie gemacht werden.

Auch wenn Schröders und Chiracs Rechnung zunächst nicht aufging, weil einige EU-Regierungen – vor allem in Großbritannien und Skandinavien – sowie die luxemburgische EU-Präsidentschaft nicht mitspielten, bleibt die Stoßrichtung erhalten: Dem deutschen Streben nach einer Rolle im Konzert der Großmächte, wird vieles untergeordnet. Schließlich ist man auf Chinas Hilfe angewiesen, um den angestrebten ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten.

Unter geopolitisches Kalkül fällt möglicherweise auch die Lieferung von unbewaffneten Fuchs-Schützenpanzern an den Irak. In den oben zitierten politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport heißt es eindeutig: „Genehmigungen für Exporte nach Kriegswaffenkontrollgesetz und/oder Außenwirtschaftsgesetz kommen nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z.B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen…“12 Dass im Irak bewaffnete interne Auseinandersetzungen stattfinden, kann wohl nicht bestritten werden. Dennoch genehmigte der Bundessicherheitsrat im September 2004 den Export der besonders geländegängigen Schützenpanzer für den Neuaufbau der irakischen Streitkräfte. Sollte dies eine kleine Wiedergutmachung in Richtung Washington sein, weil man sich in Berlin 2003 geweigert hatte am Irakkrieg teilzunehmen? Oder will die Bundesregierung der Bevölkerung ernsthaft glauben machen, im Irak fehle es an Waffen, mit denen die neue Regierung für Ruhe, Ordnung und Stabilität sorgen könne?

Kleinwaffen mit großer Wirkung

Die Bundesregierung unterstützt mit großem Engagement die internationalen Bemühungen zur Kontrolle der Kleinwaffen (Handfeuerwaffen wie Maschinengewehre, Gewehre, Pistolen usw.). Gleichzeitig aber exportieren deutsche Firmen Kleinwaffen, Teile hiervon, Munition sowie Produktionslizenzen zu deren Herstellung an zahlreiche Länder. Auch der Wert dieser Exportgenehmigungen ist seit Ende der 1990er deutlich angestiegen.13 Zwar geht die Mehrzahl dieser Waffen in Länder der EU, der NATO oder in NATO-gleichgestellte Länder, auf der Empfängerliste stehen aber auch eine ganze Reihe so genannter Drittländer: Aruba, Ägypten, Bahrain, Hongkong, Jordanien, Südkorea, Kroatien, Kuwait, Lettland, Litauen, Malaysia, Oman, San Marino, Saudi Arabien, Serbien und Montenegro (für UN), Singapur, Slowakei, Slowenien, Thailand und Vereinigte Arabische Emirate.14 In der Berichterstattung hierüber versucht die Regierung ihr Handeln schönzureden, in dem sie betont, dass nur geringe Mengen militärischer Kleinwaffen exportiert werden. Doch auch der Export nicht-militärischer Handfeuerwaffen kann in Ländern, die von inneren Unruhen geprägt sind (hohe Kriminalität, Bandenkriege, bewaffnete Auseinandersetzungen von Milizen und Warlords), fatale Folgen haben.

Im Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« vom 12. Mai 200415 schlägt die Bundesregierung insgesamt 161 Aktionen vor, die den Frieden in der Welt fördern und Krisen verhindern oder lösen sollen. Dies sind sämtlich positive Maßnahmen. Fraglich ist nur, was sie in der Praxis wert sind. Darin enthalten sind beispielsweise die Feststellungen,

  • dass Rüstungsexportkontrolle als relevantes Mittel angesehen wird, um den Einsatz militärischer Mittel in Konflikten zu verringern,
  • dass die Kontrolle der Rüstungsexporte dazu dienen kann, die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln zu verhindern,
  • dass die Bundesregierung die Initiative zur Kennzeichnung von Waffen und Munition unterstützt, um die Transferwege der Kleinwaffen besser kontrollieren zu können,
  • dass sie sich für die Überwachung von Waffenvermittlungsgeschäften (Makler) stark macht,
  • dass sie die Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen und die Reform des Sicherheitssektors im Rahmen der OSZE unterstützt,
  • dass sie sich bei der Überprüfung des EU-Verhaltenskodex für Rüstungsausfuhren für eine restriktive Politik einsetzt.

Im Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung 2004 werden eine Reihe von Anregungen gemacht, wie der Aktionsplan der Bundesregierung wirkungsvoll umgesetzt werden kann, um einen Beitrag zur Krisenprävention zu leisten.16 Würde sich die rot-grüne Bundesregierung an die von ihr selbst gesetzten Maßstäbe halten, wäre vermutlich eine Diskussion über den deutschen Waffenexportboom überflüssig. So lange aber im Bundessicherheitsrat, dem entscheidenden Gremium für deutsche Rüstungsexporte, eine Mehrheit pro Rüstungsexport gewährleistet ist, dürfen die Vertreter des grünen Außenministeriums und des roten Entwicklungshilfeministeriums gerne auch einmal gegen einen Export stimmen.

Die Bundesregierung will – „in dem Bestreben, ihre Rüstungsexportpolitik restriktiv zu gestalten, … durch seine [den Rüstungsexport] Begrenzung und Kontrolle einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention, der Menschenrechte und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt“ leisten.

(Richtlinien zum Export von Waffen und Rüstungsgütern, 20. Oktober 20001)

„Mit ihren Lieferungen [von Waffen und Rüstungsgütern] nimmt die Bundesrepublik erneut einen Spitzenplatz unter den Exportländern ein. Innerhalb der Europäischen Union ist sie – hinter Frankreich – der zweitgrößte Exporteur.“

Rüstungsexportbericht 2004 der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung2)

Anmerkungen

1) http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/ infoservice/download/pdf/friedenspolitik/ abruestung/politischegrundsaetze.pdf2) http://www.gkke.org/cms/upload/pdf/ ruestungsexportbericht_2004.pdf3) http://www.bmwa.bund.de/Redaktion/Inhalte/Pdf/ruestungsexportbericht-2003,property =pdf.pdf4) Bundesregierung, Rüstungsexportbericht 2003, S. 21.5) Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, Rüstungsexportbericht 2004, S. 20. http://www.gkke.org/cms/upload/pdf/ ruestungsexportbericht_2004.pdf6) Matthias Nass verwendete diese Überschrift in Die Zeit vom 17. März 2005 als Bundeskanzler Schröder die Aufhebung des Waffenembargos gegen China forderte – eine Politik, die Nass als „grandiose diplomatische Fehlleistung“ bezeichnete.7) Zitiert in Otfried Nassauer, NDR-Info vom 30.10.2004, http://www.ndrinfo.de/container/ndr_style_file_default/0,2300,OID656702,00.pdf8) Frankfurter Rundschau, 9. September 2004.9) Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz: Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Israel, Berlin, BITS 2003 http://www.bits.de); O. Nassauer, I. Pallade, C. Steinmetz: Geheimnisumwittert – Die deutsch-israelische Rüstungszusammenarbeit, in Wissenschaft & Frieden, 4-2002.10) In: Das Parlament, 18. April 2005, S. 17.11) Ebda.12) Richtlinien zum Export von Waffen und Rüstungsgütern, 20. Oktober 2000, Absatz III, 4.13) Der Rüstungsexportbericht 2003 führt die Genehmigungen der letzten Jahre auf (S. 39). http://www.bmwa.bund.de/Redaktion/ Inhalte/Pdf/ruestungsexportbericht-2003, property=pdf.pdf14) Ebda., S. 42-43.15) http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/ aussenpolitik/friedenspolitik/ziv_km/ aktionsplan.pdf. Eine kritische Würdigung in Tobias Debiel, Wie weiter mit effektiver Krisenprävention? Der Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« der Bundesregierung im Vergleich zu den britischen Conflict Prevention Pools, in: Die Friedens-Warte, Bd. 79, Heft 3-4, 2004, S. 253-298.16) Rüstungsexportbericht 2004 der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, S. 58-61. http://www.gkke.org/cms/upload/pdf/ 0,ruestungsexportbericht_2004.pdf

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Prof. Dr. Herbert Wulf, ehemaliger Leiter des Internationalen Konversionszentrum Bonn, ist Berater der UN zu Abrüstungsfragen in Nordkorea und Vorsitzender des Vorstands von Wissenschaft und Frieden.

Geheimnisumwittert

Geheimnisumwittert

Die deutsch-israelische Rüstungszusammenarbeit

von Otfried Nassauer, Yves Pallade und Christopher Steinmetz

Die Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Israel hat Tradition. Noch bevor die Bundesrepublik offiziell wieder Waffen produzieren durfte, wurden 1955/56 zwei Patrouillenboote an Israel geliefert. Seither ist die Rüstungszusammenarbeit immer wieder ein wichtiger Faktor der bilateralen Beziehungen. Drei Merkmale prägen sie. Der Schleier weitgehender Geheimhaltung, der Nutzen auf Gegenseitigkeit und der Wandel von der staatlichen zur industriellen Zusammenarbeit.

„Seit Beginn der Zusammenarbeit mit Israel ist es ständige Praxis aller Regierungen gewesen, diese Kooperation möglichst wenig öffentlich zu gestalten oder zu formalisieren.“1 Ein altes aber immer noch zutreffendes Zitat des Bundesverteidigungsministeriums aus dem Jahr 1991. Die deutsch-israelische Rüstungskooperation umhüllt ein Mantel des Schweigens. Selbst Vereinbarungen aus den 50er und 60er Jahren unterliegen noch immer der Geheimhaltung. Daran sind schon die Zuständigen interessiert: Zumindest bis Ende der 80er Jahre wurde die Kooperation oft über die Auslandsgeheimdienste, den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) und den israelischen Mossad, koordiniert oder abgewickelt. Damit bewegten sich auch die Geschäfte schnell in einer Grauzone – geduldet von den jeweiligen Regierungen. Das belegen nicht zuletzt skandalträchtige Beispiele wie der CERBERUS-Vorgang Ende der 80er Jahre und die Lieferung von NVA-Waffen als »land- und forstwirtschaftliches Gerät« 1991.

Hintergrund ist das geschichtlich-prekäre deutsch-israelische Verhältnis. Während die Tabuisierung der Ermordung der europäischen Juden die unmittelbaren Nachkriegsjahre in Deutschland kennzeichnete, wurden auf israelischer Seite offizielle Kontakte mit der BRD aufgrund des Holocausts strikt abgelehnt. Verbindungen wurden nur inoffiziell geknüpft, oft durch die Geheimdienste. Auch nach der gegenseitigen diplomatischen Anerkennung 1965 blieb die Kooperation heikel und deshalb unauffällig. Deutsche Kennzeichen und Firmenlogos wurden von Waffen und Komponenten entfernt, die nach Israel geliefert wurden. Deutsche Schiffs- und U-Boot-Typen wurden auf französischen und britischen Werften für Israel gefertigt. Die Kooperation über »kurze und informelle Wege« jenseits einer öffentlichen Kontrolle erwies sich für beide Seiten als vorteilhaft. Deutschland hatte einen Abnehmer für Überschusswaffen und manchmal auch für seine junge Rüstungsindustrie. Mit den Nahostkriegen wurde Israel zudem ein wichtiger Partner bei der Auswertung sowjetischer Waffentechnologien. Israel dagegen hatte eine neue verlässliche Quelle für Ersatzteile und Waffensysteme – selbst in Krisenzeiten. Lieferungen an Israel wurden nicht selten von Deutschland bezahlt. Alle Bundesregierungen –auch die rot-grüne – zeigten kein Interesse, den Umfang und den politischen Stellenwert der Rüstungskooperation mit Israel offen zu legen.

Ein Embargo das keines war

Im Frühjahr 2002 berichtete die Presse über eine vorübergehende Aussetzung der Lieferung von Waffensystemkomponenten nach Israel. Wichtige Ersatzteile für Waffen der israelischen Armee und Komponenten für den neuen Kampfpanzer Merkava 4 würden zurückgehalten. Öffentlich drohte der israelische Verteidigungsminister Deutschland kurz darauf mit einer neuen Holocaustdebatte. Das Thema fand den Weg in die Schlagzeilen während die israelischen Streitkräfte ihre seit Jahren größten und härtesten Operationen in den Autonomiegebieten des Westjordanlandes durchführten. Die Bundesregierung begründete das Ausbleiben deutscher militärischer Lieferungen allerdings nicht mit der angespannten Lage in Israel oder mit einer konsequenten Anwendung der neuen Rüstungsexportrichtlinien und mit den darin niedergelegten Kriterien der Einhaltung der Menschenrechte und der Gewaltprävention. Im Gegenteil, sie beeilte sich klarzustellen, dass von einem Embargo, einer Liefersperre, nicht die Rede sein könne.

Am 25. April beseitigte Bundeskanzler Schröder alle Zweifel am Fortbestand der Rüstungszusammenarbeit mit Israel: „Ich will ganz unmissverständlich sagen: Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht wird.“2 Genauso plötzlich, wie Rüstungsexporte nach Israel im April ihren Weg in die Zeitungen fanden, waren sie nach dem Machtwort Schröders wieder verschwunden. Man gewann den Eindruck, dass es der Bundesregierung unangenehm war, öffentlich Stellung zu beziehen.

Auch in den veröffentlichten Rüstungsexportberichten 1999/2000 finden sich kaum nähere Anhaltspunkte. Außer dem Export von drei dieselgetrieben U-Booten (Typ Dolphin) im Wert von 1,283 Mrd. DM wurden nur tatsächliche Rüstungsexporte im Wert von 4 Mio. DM angeführt. Glaubt man diesen Zahlen, können zwischen Deutschland und Israel keine engeren Rüstungsbeziehungen bestehen.

Mehr als die Addition von Waffenlieferungen

Die Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Sie berücksichtigen nicht den Export von Rüstungsgütern aus Bundeswehrbeständen, die tatsächliche Ausfuhr von sonstigen Rüstungs- und Dual-Use-Gütern, den Export von Komponenten über Drittstaaten im Rahmen von Ausfuhr- und Sammelausfuhrgenehmigungen oder die Genehmigungen für Dual-Use-Exporte. Die Angaben in den Rüstungsexportberichten erlauben keine klare Aussage über das finanzielle Gesamtvolumen des Rüstungsexportes nach Israel und über die Qualität der Kooperation.

Ein anderes Bild entsteht, wenn man die Rüstungsexporte als einen Bestandteil der Rüstungskooperation betrachtet, die wiederum ein Aspekt der sicherheitspolitischen und militärischen Kooperation ist. Zu den Bereichen des Wissens- und Waffentransfers gehören:

  • die Zusammenarbeit im Bereich Forschung, Entwicklung und Erprobung
  • der Export kompletter Waffensysteme
  • der (Re-)Export von Komponenten für Waffensysteme

In diesem Kontext zerfließen – politisch gewollt – oft die Grenzen zwischen der Lieferung von Rüstungsgütern, dem Technologietransfer, dem Austausch von Informationen und der Lieferung von Ersatzteilen, Peripheriegerät und Verbrauchsgütern.

Forschung, Entwicklung und Erprobung

Die Kooperation in diesem Bereich begann Mitte der 60er Jahre. Immer wieder arbeiteten Deutschland und Israel – oft im Verborgenen – bei der Auswertung östlicher Waffensysteme, bei der Entwicklung neuer Waffen und bei der Erforschung neuer Technologien zusammen.

Bis in die Neunzigerjahre kam dem 1967 vereinbarten Austausch bei der Auswertung von Wehrmaterial sowjetischer Herkunft große Bedeutung zu. Israel und Deutschland verpflichteten sich gegenseitig, Auswertungsergebnisse über und Waffen sowjetischer Technik zur Verfügung zu stellen. Israel lieferte der Bundeswehr Kenntnisse und Waffen, die es in drei Kriegen – dem Sechs-Tage-Krieg 1967, dem Jom-Kippur-Krieg 1973 und dem Libanonkrieg 1982 – von Nachbarstaaten erbeutet hatte. So konnten die Ergebnisse der Auswertung russischer Panzer für die Modernisierung der deutschen Gegenstücke genutzt werden. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes revanchierte sich die Bundesregierung und überließ Israel Rüstungsgüter der NVA in erheblichem Umfang, u.a. Ersatzteilpakete für den T-72 Kampfpanzer und die Luft-Luft-Rakete AA-11 sowie das Radar des Trägerflugzeugs MiG-29.

Beide Staaten konnten so ihr Waffenarsenal und ihre Schutzmaßnahmen mit geringerem finanziellem Aufwand qualitativ verbessern. Der umstrittene Störsender CERBERUS/TSPJ zeigt, dass zumindest seit 1972 insgeheim auch Waffensysteme gemeinsam konzipiert und auf Grundlage der Auswertungsergebnisse entwickelt wurden. Die Auswertung der sowjetischen Luft-Luft-Raketen vom Typ AA-11 (Archer) und der MiG 29, ermöglichte es beiden Seiten, modernste Luft-Luft-Raketen – Python 4 (Israel) und IRIS-T (Deutschland) – zu entwickeln.

Während die Auswertung russischen Wehrmaterials an Bedeutung verliert, ist von einer wachsenden Zusammenarbeit bei Forschung & Entwicklung auszugehen. Neben der laufenden »zivilen« F&E-Kooperation, z.B. in der Raumfahrt oder Mikroelektronik, wird künftig auch die offene militärische Kooperation an Bedeutung gewinnen. Seit 1996 kann Israel am Europäischen Rahmenprogrammen für Forschung und Entwicklung der Europäischen Union teilnehmen, das schon heute Dual-Use Vorhaben fördert und nach dem Willen mancher Politiker für europäische Rüstungsforschungsvorhaben geöffnet werden soll. Nach Unterzeichnung eines Geheimschutzabkommens mit der NATO im Jahr 2001 kann sich Israel nun auch an militärischen Forschungsprogrammen der NATO beteiligen. Am 24. November 1998 trat ein Übereinkommen zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und dem israelischen Verteidigungsministerium über die Zusammenarbeit bei der Forschung und Technologie auf dem Gebiet der Verteidigung in Kraft. Es gilt für zehn Jahre. 3

An Bedeutung gewinnt auch die industrielle Entwicklungszusammenarbeit. Traditionsreich ist die Zusammenarbeit in der Panzertechnik. Israelische Rüstungsunternehmen übernahmen in den 70er und 80er Jahren wesentliche technische Neuentwicklungen aus Deutschland, die sie heute teilweise als Eigenentwicklungen erachten. Dazu gehören z.B. die Reaktiv-Panzerung, die 120mm-Glattrohrkanone und Stabilisierungssysteme für den Gefechtsturm. Umgekehrt erhielten deutsche Rüstungsfirmen Mitte der 90er Jahre Einblick in israelische Submunitionstechnologien und haben eigene Produktionslinien aufgebaut. Derzeit scheint die Ende der 80er Jahre begonnene Zusammenarbeit bei der Drohnen-Technologie vor der Wiederbelebung zu stehen.

Großwaffensysteme

Der Export kompletter Waffensysteme ist eine Ausnahme in der deutsch-israelischen Rüstungskooperation. Das einzige nennenswerte Vorhaben in den 90er Jahren war der Export von drei U-Booten des Typs Dolphin (1998-2000). Allerdings eignet sich der Projektverlauf des Vorhabens zur Illustration mancher Besonderheit, die die deutsch-israelische Rüstungskooperation auch bei kleineren Projekten prägt.

Keine israelischen Devisen für Waffensysteme

Israel ist chronisch klamm und leidet unter Devisenmangel. Dies erlaubt keine eigenständige Finanzierung des Imports von Großwaffensystemen, die meist in Dollar bezahlt werden müssen. Das »Dolphin-Geschäft« mit Israel konnte nur durchgeführt werden, weil sich die Bundesregierung bereit erklärte, mit 1,1 Mrd. DM etwa 85% der Gesamtkosten zu übernehmen. Wahrscheinlich wurde der Kostenanteil Israels durch kompensatorische deutsche Rüstungskäufe in Israel abgedeckt. Ähnliches scheint sich gegenwärtig bei der Torpedobewaffnung für die U-Boote fortzusetzen. Israel wollte schwere Torpedos mit US-Geldern finanzieren und plante, US-Torpedos zu kaufen. Als die US-Regierung den Export verweigerte, wurde eine andere Lösung gefunden. Ein deutscher Torpedo der Firma STN Atlas wird nun von der US-Firma Lockheed Martin Tactical Systems als »Seahake« angeboten. Der Umweg ermöglicht die Finanzierung durch das US-Militärhilfeprogramm. Während die Bundesregierung den Export 2000 genehmigte, ist unbekannt, ob das 65 Mio. $-Vorhaben tatsächlich durch die USA finanziert wird.

Vorteile für beide Seiten

Der U-Boot-Export war trotzdem für beide Seiten von Vorteil. Als das Vorhaben 1991 geplant wurde, zeichnete sich bereits ab, dass Deutschland aufgrund seiner Zahlungen für den Golfkrieg und der Kosten der deutschen Einheit militärische Großvorhaben aus Kostengründen verschieben musste. Die Dolphin-Produktion überbrückte die Auslastungslücke bis zum U-212 Bau und erlaubte es, einige Technologien vorab zu testen.

Auf israelischer Seite waren Ingenieure an allen Planungs- und Produktionsschritten beteiligt, so dass am Ende ein eigener U-Boot-Typ entstand, in den auch Komponenten israelischer Firmen eingebaut wurden. Die U-Boote wurden nach der Auslieferung weiter ausgerüstet und verändert. Israelische Komponenten werden sich – angepasst an die Bedürfnisse der deutschen Marine – auch in den U-Booten vom Typ 212 wiederfinden, so z.B. das israelische »EloKa«-System.

Blindes Vertrauen?

Das U-Boot-Geschäft illustriert auch problematische Aspekte der Rüstungskooperation. Mit Vorhaben dieser Art ist immer ein gewisser Technologietransfer und damit die Gefahr der Weiterverbreitung von Technologien verbunden. Israels Beteiligung an der Entwicklung des U-Bootes führte dazu, dass Israel Designrechte und Blaupausen für die U-Boote vom Typ Dolphin besitzt, da es Entwicklungsarbeiten finanzierte. Presseberichten zufolge bemüht sich Israel derzeit, mit Taiwan und/oder den USA über acht geplante U-Boote für Taiwan ins Geschäft zu kommen.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung mit Blick auf die technischen Anforderungen Israels an die neuen Boote offensichtlich beide Augen zugedrückt: Die U-Boote wurden als erste westliche U-Boote mit zwei unterschiedlichen Torpedorohren gebaut – sechs Rohre mit dem Standarddurchmesser von 533mm, vier mit dem in der Sowjetunion für schwere Torpedos und Langstreckenflugkörper genutzten Durchmesser von 650mm. Letztere können mit nuklear bestückten Flugkörpern größerer Reichweite ausgestattet werden oder wurden dies bereits. Damit würde Israel – mit deutscher Hilfe – über eine seegestützte atomare Abschreckung verfügen. Vor Sri Lanka sollen bereits entsprechende Raketentests durchgeführt worden sein. Israel dementiert dies. Gefragt, weshalb die zusätzlichen Rohre installiert wurden, wies die Bundesregierung alle Befürchtungen zurück: Zwar wisse man nicht, was Israel vorhabe, doch seien die großen Torpedorohre vor der Auslieferung mit Metallschienen auf das normale Kaliber von 533mm verjüngt worden. Ein Argument, das angesichts der Mehrkosten für eine neuartige Torpedosektion alle Qualitäten eines »Grundgängers des Jahres« aufweist.

Komponenten für Israel

Solche Besonderheiten finden sich auch bei Geschäften mit Rüstungskomponenten, wenn auch selten so gebündelt. Der Export von Komponenten besitzt einen wachsenden Stellenwert. Es ist ein lukrativer Markt, da viele Staaten dazu übergegangen sind vorhandene Waffen mit modernen Komponenten und Technologien (z.B. Elektronik) zu verbessern.

Drei weitere Faktoren kommen hinzu:

  • Der Import kompletter Waffensysteme wird von Israel als Schwächung der einheimischen Industrie und der nationalen Verteidigungsfähigkeit gesehen.
  • Er ist mit dem Einsatz knapper Devisen verbunden.
  • Die Beschränkung auf den Export von Schlüsseltechnologien reduziert für die deutsche Regierung das Risiko einer öffentlichen Debatte über diese Rüstungsexporte.

Problemlos ist auch diese Art der Rüstungskooperation nicht: Israel reexportiert aus Deutschland erhaltene Komponenten auch in Staaten, in die direkte Lieferungen kaum möglich wären.4 Mit der Mitsprache Deutschlands beim Reexport nimmt es Israel dabei nicht allzu genau.5 Die deutsche Seite ist gezwungen abzuwägen, ob eine Verweigerung des Reexports oder eine rigide Überprüfungspraxis des Endverbleibs das bilaterale Verhältnis belasten würde – wenn dadurch größere israelische Exportgeschäfte scheitern würden.6 Zudem könnte Israel seinerseits Deutschland Komponenten verweigern.

Das aktuellste Beispiel für den Export von Komponenten nach Israel sind die 400 MTU-Motoren mit Renk-Getriebe für den neuen Kampfpanzer Merkava 4. Der Auftragswert beträgt 265 Mio. $. Sie werden über das amerikanische Unternehmen General Dynamics Land Systems geliefert, das eine Lizenz für den Bau dieser Motoren hat. Auch im Vorläufermodell, dem Merkava 3, stecken deutsche Teile: ein Automatikgetriebe von Renk und das Stabilisierungssystem der Firma Extel Systems für den Panzerturm.

Für den Reexport deutscher Komponenten via Israel steht auch folgendes Beispiel: Israel Military Industries IMI/TAAS unterzeichnete am 30. März 2002 einen (Vor-)Vertrag mit der Türkei. In den nächsten sechs Jahren sollen 170 M60 Panzer für etwa 700 Mio. US-$ modernisiert werden. Auch hier sollen Motoren und Getriebe aus Deutschland zum Einsatz kommen.

Gemeinsam sind wir stärker – Kooperation für Drittstaaten

Mit wachsenden Fähigkeiten und leistungsfähigen Technologien wurde die Rüstungsindustrie Israels in den 90er Jahren zu einem Anbieter, mit dem auch für die deutsche Rüstungsindustrie Kooperation zu lohnen versprach. Aus den technologischen Fähigkeiten deutscher und israelischer Firmen kombinierte Angebote besaßen gute Marktchancen. In Zukunft werden solche Vorhaben für die bilaterale Rüstungskooperation an Bedeutung gewinnen.

Kooperationen dieser Art gibt es z.B. zur Modernisierung von Großwaffensystemen. So erhielten die DASA und Elbit 1999 den Auftrag zur Modernisierung von 39 griechischen F-4E Phantom II Kampfflugzeugen. Hauptauftragnehmer ist die DASA. Elbit lieferte das amerikanische APG-65 Radar sowie die Displaytechnologie.

Neben technischen Faktoren existiert auch eine ökonomische Logik für eine veränderte Kooperation. Die israelische Rüstungsindustrie muss neue Absatzmärkte erschließen, um weiterhin für die eigene Regierung finanzierbare Waffensysteme produzieren zu können. Bereits jetzt sind etwa 75% der gesamten Rüstungsproduktion Israels für den Export bestimmt. Nach Angaben der Exportagentur des israelischen Verteidigungsministeriums (SIBAT) wurden in den Jahren 2000 und 2001 Rüstungsexportverträge im Wert von 2,5 und 2,6 Mrd. $ unterzeichnet. Obwohl Israel dem Volumen nach damit zu den zehn größten Waffenlieferanten weltweit gehört, ist es auf dem lukrativen europäischen Markt noch wenig präsent (12% der Exporte).

Für den Einstieg in diesen braucht es europäische Partner. Deutschland könnte aus israelischer Sicht »Brückenkopf« sein. Die deutsche Industrie könnte es attraktiv finden, als »Vermarkter« israelischer Technik Gewinn zu machen, eine breitere Angebotspalette zu haben, deutsche Komponenten beizusteuern und Einblicke in die israelische Technik zu gewinnen.

Eines der ersten Joint-Ventures dieser Art wurde 1995 zwischen der Zeiss Optronik GmbH und der israelischen Rüstungsfirma Rafael vereinbart. Neben der gemeinsamen Produktion von 20 Zielbeleuchtungsbehältern (Litening Pod) für die Luftwaffe sollte Zeiss auch eine Produktionslinie in Deutschland aufbauen und den Verkauf in Europa übernehmen. Dazu wurden Exportvarianten des Systems entwickelt, z.B. der Aufklärungsbehälter Recce-Lite. Inzwischen verhandelt Zeiss mit Griechenland, Norwegen, Schweden und Spanien. Weitere Beispiele sind die Gründung des Eurospike-Konsortiums zur Vermarktung von Panzerabwehrraketensystemen und die Zusammenarbeit zwischen Israel Aircraft Industries und EADS bei Drohnen.

Ausblick

Die kommerziellen Formen der Rüstungskooperation mit Israel werden künftig an Gewicht gewinnen. Addiert führen die angeführten Trends zu einer wachsenden – auch im Sinne politischer Einflussnahme einsetzbaren – gegenseitigen Abhängigkeit. Das müssen auch Rüstungsexport-KritikerInnen bedenken, wenn sie künftig auf die Rüstungsexportpraxis einwirken wollen.

Kommerzielle Rüstungskooperation bedeutet nicht ein größeres Maß an Transparenz. Für gemeinsame F&E-Aktivitäten besteht keine Veröffentlichungspflicht. Die Rüstungskooperation im Blick auf Drittstaaten erschwert wegen der kleinteiligen und zeitversetzten Lieferungen die genaue Identifizierung und Zuordnung der Transfers – erst Recht wenn diese als »unfertige Teile« oder mit anderen nichtssagenden Sammelbezeichnungen im Rüstungsexportbericht erfasst werden. Solange nicht einmal die Geheimhaltung bereits vierzig Jahre zurückliegender Vereinbarungen aufgehoben ist, kann weiter eine besondere konspirative Qualität in den Beziehungen vorausgesetzt werden. Niemand weiß, ob es nicht auch heute CERBERUS-artige Geheimprogramme gibt, zum Beispiel in Technologiebereichen, die – wie U-Boot-gestützte Flugkörper – von beiderseitigem Interesse sind.

Rüstungskooperation zwischen Israel und den USA

von Sean Odlum

Seit der Gründung des Staates Israel sind die USA der engste Verbündete und verlässlichste Unterstützer Israels. Insgesamt haben die USA Israel seit 1948 Hilfe im Wert von 81,3 Mrd. $ gewährt. Mit den Jahren wuchs der Anteil der Militärhilfe. In den letzten zehn Jahren erhielt Israel etwa 30 Mrd. $ an US-Hilfe, davon wurden etwa 18,2 Mrd. $ im Rahmen des Foreign Military Financing Programms (FMF) gewährt. Das vom US-Verteidigungsministeriums verwaltete FMF-Programm gewährt befreundeten Regierungen Mittel, die ausschließlich für den Erwerb amerikanischer Waffensysteme ausgegeben werden dürfen – mit Ausnahme Israels. Israel darf als einziger Staat etwa 475 Mio. $ der jährlich gewährten FMF-Gelder für Waffensysteme der eigenen Rüstungsindustrie ausgeben. Mit anderen Worten, die USA subventionieren die israelische Rüstungsindustrie, die inzwischen eine der wettbewerbsfähigsten auf der Welt ist. Trotzdem hat es sich auch für die amerikanische Rüstungsindustrie gelohnt. Das israelische Waffenarsenal umfasst fast 400 US-Kampfflugzeuge, Tausende verschiedener US-Raketen sowie unzählige US-Kleinwaffen, die häufig umsonst im Rahmen des Excess Defense Articles Programms (EDA) bereitgestellt wurden.

Von dieser Art der Kooperation im Rüstungsbereich profitieren beide Seiten. Israel erhält modernste amerikanische Rüstungsgüter und bezahlt dafür mit Dollars der US-Regierung. Der größte Posten ist nach wie vor der Kauf von amerikanischen Kampfflugzeugen – mehr als 60% im Jahr 1999. Zunehmend werden die US-Gelder auch für Rüstungsprodukte aus dem Bereich Elektronik und Kommunikationstechnik ausgegeben. Außerdem kann die israelische Regierung einen Teil der amerikanischen Gelder in die eigene Rüstungsindustrie stecken – einem zentralen Industriesektor. Aus amerikanischer Perspektive wird mit der Hilfe einer der wichtigsten Verbündeten militärisch gestärkt, ein Absatzmarkt für US-Rüstungsgüter geschaffen und damit auch Arbeitsplätze gesichert.

Doch ganz ohne Probleme gestaltet sich diese Beziehung nicht. Die amerikanische Rechtslage verbietet den »nicht-defensiven« Einsatz in den USA hergestellter Waffen. Wiederholt wurde das US State Department gezwungen den möglichen israelischen Missbrauch amerikanischer Waffen zu untersuchen, zuletzt den Einsatz von Apache-Hubschraubern bei der Ermordung von als Terroristen verdächtigten Palästinensern und den Einsatz von F-16 Kampfflugzeugen bei Angriffen auf Einrichtungen der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Ein zweiter Problembereich für die USA ist die israelische Praxis, sensible Rüstungstechnologien ohne US-Genehmigung zu reexportieren. Vor allem die israelischen Geschäfte mit China sorgten für Dissonanzen. Israel wurde vorgeworfen, Patriot-Raketenabwehrtechnologie sowie hochmoderne Flugzeug- und Raketentechnologie illegal nach China zu reexportieren.

Drittens beginnt die israelische Rüstungsindustrie, die jahrelang von den USA finanziert wurde, nun den amerikanischen Rüstungsunternehmen auf wichtigen Exportmärkten ernsthaft Konkurrenz zu machen. Vor kurzem erhielt eine israelische Firma von der türkischen Regierung den Auftrag zur Modernisierung von Panzern, die ursprünglich von General Dynamics hergestellt wurden, obwohl sich auch die amerikanische Firma selbst um den Auftrag bemüht hatte. Aber trotz dieser Probleme zwischen Israel und den USA wird die Rüstungskooperation auch in Zukunft fortgesetzt werden.

Mit der zunehmenden Integration israelischer Rüstungskomponenten in amerikanische Waffensysteme wächst die gegenseitige Abhängigkeit. Amerikanische und israelische Militärs kooperieren bereits bei der Entwicklung des Raketenabwehrsystems Arrow.

Die FMF-Hilfe soll bis 2008 erhöht werden und dann ein Niveau von 2,4 Mrd. $ pro Jahr erreichen. Die USA sind sich darüber im Klaren, dass eine Aussetzung der FMF-Zahlungen Israels (militärische) Stellung im Nahen Osten schwächen würde – mit der Gefahr, dass Israels Nachbarstaaten diese Situation ausnutzen. Die USA sind nicht bereit, eine solche Entwicklung zuzulassen.

Sean Odlum (Stanford-University) ist zu einem Forschungsaufenthalt beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)

Anmerkungen

1) Schriftliche Antwort des Bundesministeriums der Verteidigung vom 10.12.1991 auf eine Frage des SPD-Abgeordneten Walter Kolbow zum Bericht zur »Überlassung von Wehrmaterial aus Beständen der ehemaligen NVA«.

2) Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/233, S. 23115 (A), 25.4.2002.

3) Am 18. September 2000 wurde die Technische Vereinbarung Nr. 1 zum Übereinkommen abgeschlossen. Die Vereinbarung Nr. 1 regelt die Details eines gemeinsamen Forschungsprogramms zum Schutz vor B- und C-Waffen.

4) China, Sri Lanka und die Türkei gehören beispielsweise zum engeren Kundenkreis Israels – allesamt Staaten, in die deutsche Rüstungsgüter nicht ohne weiteres direkt geliefert werden können. Im Falle Chinas existiert beispielsweise weiterhin ein Embargo.

5) Aus Industriekreisen ist darüber hinaus immer wieder zu hören, dass israelische Partner des Häufigeren versuchen zugelieferte deutsche Komponenten und Technologien zu kopieren bzw. nachzubauen.

6) Bei Staatsaufträgen aus NATO-Staaten verzichtet die Bundesregierung i.d.R. auf einen Reexportvorbehalt, was u.a. auch Lieferungen über die USA nach Israel erleichtert.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), Christopher Steinmetz ist dort Mitarbeiter, Yves Pallade ist Doktorand und arbeitete im Rahmen eines Forschungsaufenthalts bei BITS.

Europäische Rüstungsexportpolitik

Europäische Rüstungsexportpolitik

Bilanz und Trends

von Hans J. Gießmann

Unter den zehn größten Lieferstaaten von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern weltweit wurden von der Statistik des SIPRI im vergangenen Jahr allein sieben europäische Staaten aufgeführt, darunter die Bundesrepublik Deutschland auf Platz fünf. Würde man diese Rangliste um weitere zehn Staaten ergänzen, käme die auffällige Rolle, die ausgerechnet Europa im internationalen Rüstungsgeschäft spielt, noch deutlicher zum Vorschein. Zwar stehen die USA weiterhin mit großem Abstand an der Spitze, jedoch ist bemerkenswert, dass unter den 20 wichtigsten Exportstaaten kein einziger Vertreter Afrikas und Südamerikas und auch nur ein einziges asiatisches Land (China) zu finden ist, hingegen jedoch 16 europäische Staaten.1

Trotz drastischen Produktionsrückganges nach vierzig Jahren Wettrüsten bildet der Rüstungsmarkt für viele europäische Staaten noch immer einen wichtigen Bestandteil des Wirtschaftskreislaufes, in einigen Ländern vor allem Osteuropas sogar eine wesentliche Quelle für die Einnahme dringend benötigter Devisen. Begehrlichkeiten einer deutlich geschrumpften Schar solventer Käufer nach effizienten Waffen und militärischen Ausrüstungen lassen die Produzenten angesichts der Bedarfsumorientierung traditioneller Abnehmer und einer immer erbitterter geführten Konkurrenz um verbliebene Märkte stärker als je zuvor Absatzoptionen durch Export sondieren. Auf Seiten der politisch Verantwortlichen stießen diese Bemühungen auf Verständnis und Unterstützung, da um den Erhalt von rüstungswirtschaftlichen und technologischen Kernfähigkeiten gefürchtet wurde, falls die Umsatzeinbußen auf dem Beschaffungsmarkt nicht anderweitig kompensiert werden konnten, d.h. die Rentabilität von bestimmten Entwicklungs- und Fertigungskreisläufen nicht länger zu garantieren war. Nun ist freilich klar, dass es sich bei Rüstungsprodukten nicht um beliebige Exportgüter handelt. Der Exporteur von Rüstungsprodukten lädt unvermeidlich Mitverantwortung auf sich, wenn seine Güter in unzuverlässige Hände geraten und für die Anwendung bewaffneter Gewalt außerhalb legitimer Verteidigungshandlungen in Auseinandersetzungen zwischen oder innerhalb von Staaten missbraucht werden. Vor allem die durch die Lieferung von Bauteilen und Technologien zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen anfangs der 90er-Jahre produzierten Schlagzeilen deuteten auf die Möglichkeit verhängnisvoller Konsequenzen für Frieden und Sicherheit infolge leichtfertiger oder sogar skrupelloser Geschäftsgebaren einiger Lieferanten hin.

Die plötzliche Aussicht auf den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln am Golf wirkte alarmierend. Einige Länder führten 1991 erstmals Gesetze zur Rüstungsexportkontrolle ein, in anderen wurden bestehende Regelungen neu gefasst oder verschärft, darunter in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden.2 Die Erkenntnis jedoch, dass striktere Kontrollen in nur wenigen Staaten die Gefahr kaum abmildern können, wenn andere dem Beispiel nicht folgen – und zusätzlich die Sorge, dass von Land zu Land ungleiche Regeln Produzenten in Staaten mit restriktiveren Verfahren benachteiligen – ließ vor allem die genannten Exportstaaten in Europa erstmals ernsthaft über die Vereinbarung von Regeln nachdenken, auf deren Basis die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Drittstaaten künftig nach einem übereinstimmenden Maßstab erfolgen könnte. Dies erklärt, warum am Beginn der 90er-Jahre nahezu zeitgleich und in verschiedenen Foren, darunter der UNO, der KSZE und auch der Europäischen Gemeinschaft parellele Anstrengungen zu verzeichnen waren, Verfahren zu bestimmen, durch die eine unkontrollierte Weitergabe von Waffen, sonstigen Rüstungsgütern und militärisch relevanten Technologien vermieden werden konnte. Zu den vergleichsweise rasch erzielten Übereinkünften zählen u.a. das Waffenregister am Sitz der Vereinten Nationen, das zum 1. Januar 1992 eingerichtet wurde, Erklärungen zur Einschränkung des Waffenhandels und der nuklearen Nichtweiterverbreitung im Rahmen der Gruppe der G7-Staaten, die stärkere Anwendung von Waffenembargos als Instrument der Transferbeschränkung, schließlich die Vorstellung politisch zu beachtender Kriterien bei der Durchführung von Rüstungsexporten durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der KSZE.

Knapp zehn Jahre später fällt die Bilanz der Bemühungen um eine Angleichung der Transferregeln und des Exportverhaltens uneinheitlich aus. Wer eine zügige Harmonisierung exportpolitischer Standards zumindest in Europa erwartet hatte, sah sich durch den Widerstand der Staaten, exklusive Kompetenzen zu Gunsten gemeinschaftlicher Verfahren aufzugeben, enttäuscht. Andererseits nährt der Kanon erklärter – und auch schriftlich niedergelegter politischer Absichten – die Hoffnung, dass in Teilbereichen der Exportpraxis und des Exportrechts Fortschritte durchaus erreicht werden können, selbst wenn sie zunächst nicht von allen Staaten umgesetzt werden. Speziell der 1998 formulierte Verhaltenskodex der Europäischen Union über die Durchführung von Rüstungsexporten, stimmt zudem einigermaßen zuversichtlich, dass gerade auch die an einer raschen Mitgliedschaft in der EU interessierten Staaten, ein restriktiveres Exportverhalten an den Tag legen könnten, um ihre Beitrittschancen nicht zu schmälern. Immerhin haben bereits einige mittel- und osteuropäische Staaten vorsorglich erklärt, dass sie die Exportregeln der EU-Staaten für sich als politisch bindend erachten. Trotz der insofern in mancher Hinsicht positiven Signale: Eine stabile Brücke zwischen streng anmutenden normativen Kriterien und der exportpolitischen Wirklichkeit besteht leider noch immer nicht.

Fragmente europäischer Exportkontrolle

Wer den öffentlichen Streit um neue Exportrichtlinien der Bundesregierung, die nach heftigen Querelen im Herbst vergangenen Jahres wegen der Lieferung des Leopard-Testpanzers an die Türkei am 19. Januar 2000 verabschiedet wurden3, verfolgte, mochte vielleicht auf den ersten Blick glauben, dass die Regierungskoalition durch den ausdrücklichen Hinweis auf die Einhaltung der Menschenrechte durch Empfängerländer von Rüstungsgütern einen neuen Meilenstein europäischer Rüstungsexportpolitik gesetzt hatte. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieser Schritt eigentlich als eine Selbstverständlichkeit, die freilich in der Europäischen Union so selbstverständlich aber noch nicht ist: Die Umsetzung einer in der Gemeinschaft durch alle Mitglieder vertretenen politischen Absicht in konkrete Vorgaben nationaler Politik. Bereits im Juni 1991 einigten sich die Mitglieder der EG anlässlich des Europäischen Rates in Luxemburg darauf, in nationaler Verantwortung Ausfuhren in Drittländer zu unterlassen, wenn dadurch droht, dass Konflikte angeheizt oder verlängert werden. Zu den hierfür benannten Kriterien gehörten u.a. die Achtung der Menschenrechte, die Berücksichtigung eventuell vorhandener Spannungen oder bewaffneter Auseinandersetzungen, der regionalen Lage und der Politik des Empfängerlandes hinsichtlich von Gefährdungen der internationalen Sicherheit durch Terrorismus und auch die Einhaltung von Vereinbarungen über den Endverbleib der gelieferten Güter und Technologien.4 Ein Jahr später wurde die Verträglichkeit der Lieferung mit den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Empfängerlandes als weiteres Kriterium hinzugefügt.5

Fast zeitgleich mit der Europäischen Gemeinschaft trugen auch entsprechende Bemühungen im Kreis der KSZE-Staaten deklaratorische Früchte. Im November 1993 verabschiedete die KSZE Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen6, ein Jahr später wurden auf dem Budapester Gipfeltreffen der hier in OSZE umbenannten Organisation Prinzipien zur Regelung der Nichtweiterverbreitung angenommen.7 Die von der OSZE formulierten Prinzipien trugen unverkennbar die Handschrift der EG-Mitgliedstaaten und der Beschlüsse von Luxemburg und Lissabon. Dass ihre Verabschiedung nicht zu weiteren bindenden Schlussfolgerungen führte, konnte kaum überraschen. Das Interesse der Reformstaaten Mittel- und Osteuropas an der OSZE war Mitte der 90er-Jahre spürbar abgekühlt. Stattdessen dominierte eindeutige Präferenz zu Gunsten einer raschen Mitgliedschaft in NATO und Europäischer Union. Andererseits zeigten deren Mitglieder keine Neigung, der OSZE erweiterte Kompetenzen zu übereignen. Die Initiativrolle ging im Folgenden auf die Europäische Union über. Wenn also heute – und auch hier – von »europäischer Rüstungsexportpolitik« die Rede ist, geht es in erster Linie um Vorgaben aus den Reihen der EU-Staaten, ferner um Erfolge oder Misserfolge bei der Harmonisierung nationaler Exportpolitiken innerhalb der Union sowie um die Akzeptanz der EU-Normen durch andere europäische Staaten, insbesondere die EU-Beitrittskandidaten.

Insofern kommt auch dem Verhaltenskodex der EU hinsichtlich der Durchführung von Rüstungsexporten besonderes Gewicht zu. Er präzisiert unter ausdrücklicher Berufung auf die Ratsbeschlüsse von 1991 und 1992 acht konkrete Kriterien, nach denen sich die EU-Staaten verpflichten, vor der Genehmigung von Exporten zu prüfen, ob (1) durch den Empfänger bestehende völkerrechtliche und internationale Verpflichtungen geachtet werden, (2) die Einhaltung der Menschenrechte im Empfängerland gewahrt ist, (3) die innere Lage im Empfängerland hinsichtlich des Vorhandenseins von Spannungen oder bewaffneten Konflikten einer Lieferung nicht entgegen steht, (4) welche regionalen Aspekte von Frieden, Sicherheit und Stabilität von Belang sind, (5) ob nationale Sicherheitsinteressen der EU-Mitglieder und ihrer befreundeten und verbündeten Partner in Rechnung zu stellen sind, (6) wie das Verhalten des Empfängerstaates im Kontext der internationalen Gemeinschaft, insbesondere mit Blick auf Terrorismus, Allianzen und die Achtung internationalen Rechts, zu beurteilen ist, (7) ob die Gefahr einer Abgabe oder Weitergabe der gelieferten Güter besteht und (8) ob die wirtschaftliche und soziale Lage vor dem Hintergrund der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung durch eine Lieferung von Rüstungsgütern ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.

Parallelen zwischen dieser Normierung europäischer Rüstungsexportpolitik und zum Beispiel den neuen Exportrichtlinien der Bundesregierung sind offenkundig. Woran liegt es also, dass sich die Norm noch immer nicht eins zu eins in der exportpolitischen Wirklichkeit widerspiegelt? Das Hauptproblem liegt nicht in der Substanz der Kriterien, sondern in Schwierigkeiten ihrer präzisen und rechtsverbindlichen Übersetzung in den politischen Alltag der Mitgliedsländer und darin, dies in allen Staaten gleichzeitig zu tun. Die wichtigsten Ursachen hierfür resultieren aus drei fundamentalen Schwächen der europäischen Rüstungsexportpolitik:

Erstens formuliert der Kodex lediglich politisch – nicht aber rechtlich – verbindliche Kriterien. Zweitens widerspricht nach der bestehenden Rechtslage der Europäischen Union jeder Versuch einer kollektiven Kodifizierung des Rüstungsexportrechts der nach Artikel 296 EU-Vertrag (EUV) weiterhin garantierten Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Belange ihrer Rüstungsproduktion und des Rüstungsexports. Es ist demnach den Staaten überlassen, in welcher Form und mit welcher Reichweite sie die kollektive politische Norm rechtsverbindlich in nationale Politik übersetzen. Drittens existieren keine Mechanismen zur umfassenden Koordinierung nationaler Zuständigkeiten, schon gar keine Regelungen dahingehend, bestimmte Verstöße gegen den EU-Kodex durch einzelne Mitgliedstaaten zu verfolgen oder zu ahnden.

Artikel 296 EUV begleitet die europäische Rüstungsexportpolitik seit den Römischen Gründungsverträgen der Gemeinschaft. Der unveränderte ehemalige Artikel 223 EGV besagt: „Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht“ und „jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.“8

Während der erste Teil des Artikels jedem Mitglied das ungehinderte Recht zugesteht, im Einzelfall die Reichweite der Transparenz seiner eigenen Politik festzulegen, sofern »Sicherheitsinteressen« als gefährdet beurteilt werden, bestimmt der zweite Teil den Ausschluss der Rüstung aus dem gemeinschaftlichen Binnenmarkt. Im Extremfall könnte angenommen werden, dass solange diese Rechtslage Bestand hat eine wirklich »europäische Rüstungsexportpolitik« eine Schimäre bleiben muss. Jedoch ist zu beachten, dass trotz der Beweggründe einiger Staaten am genannten Vertragsartikel aus Prinzip festzuhalten, die realen Folgen aus der Bildung und Konsolidierung der Europäischen Union zu bestimmten Veränderungen zwingen, um die Beziehungen der Staaten zu einander nicht ungewollt auf die Zerreißprobe zu stellen.

Die EG-Dual-use-Verordnung

Der erste Einbruch in die Domäne exklusiver nationalstaatlicher Zuständigkeit betraf nicht unerwartet den Bereich jener Güter, die militärischen Zwecken zwar dienen können, in den allermeisten Fällen jedoch zivil genutzt werden. Mit dem 1993 geschaffenen Binnenmarkt wurde der freie Verkehr aller Güter – soweit sie nicht durch Artikel 296 (alt: 223) EUV berührt waren – im gemeinsamen Wirtschaftsraum erlaubt. Da von den sogenannten Dual-use-Gütern (DuG) nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass sie militärisch genutzt werden, fielen sie – eine zivile Verwendung vorausgesetzt – unter gemeinschaftliches Recht und damit in die Kompetenz der EU. Mit der anstehenden Bildung des Binnenmarktes lag der unausweichliche Zwang zu rechtlicher und politischer Klarheit auf der Hand. Nach mehrjährigen strittigen Verhandlungen wurde im Dezember 1994 eine entsprechende EU-Ratsverordnung (3381/94) über die Gemeinschaftsregelung der Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck angenommen und gleichzeitig parallel eine entsprechende Gemeinsame Aktion der Mitgliedstaaten (94/942/GASP) beschlossen. Die Zweigleisigkeit der Beschlusslage verdeutlichte jedoch die unverminderte Sensibilität in Bezug auf Artikel 296 EUV. Während es an der Kommission ist, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu kontrollieren, bleibt die Gemeinsame Aktion ausschließliche Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Den Umstand der DuG-Verordnung verdankt die Union weniger der Bereitschaft der Mitglieder, auf originäre hoheitliche Rechte zu Gunsten der Gemeinschaft zu verzichten, sondern schlicht und einfach den immensen Schwierigkeiten, welche die Anwendung einer Flut von Ausnahmeregelungen auf die gemeinschaftliche Produktion und den Warenverkehr letztendlich für die Integration und den Binnenmarkt zur Folge gehabt hätte. Für exportabhängige Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland wären darüber hinaus besonders unverhältnismäßige Wettbewerbsnachteile zu erwarten gewesen, denn immerhin liegt das jährliche Ausfuhrvolumen bei den DuG ungefähr um das 20-fache über dem Durchschnitt der Rüstungsexporte.

Wird die Bedeutung der DuG-Verordnung beurteilt so ist zu beachten, dass hier nicht die Idee der Restriktion von Transfers, wie man z.B. im Falle der Anwendung des EU-Kodexes erwarten könnte, im Vordergrund steht, sondern lediglich eine unkontrollierte Abgabe der Güter oberhalb bestimmter Wertgrenzen vermieden werden soll. Kontrolle – nicht Beschränkung – bestimmt also das Ziel der DuG, übrigens übereinstimmend mit der gemeinschaftsrechtlich fixierten Freizügigkeit des Warenverkehrs. Allerdings enthält die DuG-Verordnung eine nationale Öffnungsklausel, die den Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht zubilligt, die Ausfuhr nicht gelisteter DuG zu untersagen oder unter besonderen Genehmigungsvorbehalt zu stellen.

Export von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern

Da Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter formell vom Binnenmarkt ausgenommen sind, liegt auf den ersten Blick nahe, wechselseitige Lieferungen der EU-Mitglieder untereinander nicht anders zu handhaben als entsprechende Vorhaben mit dritten Staaten. Praktisch führt dieser Ansatz in eine Sackgasse. Zum einen wird ein Großteil der (formellen) nationalen Exportstatistiken durch zwischenstaatliche oder staatenübergreifende Kooperationen aufgefüllt. Zum anderen haben anfangs der 90er-Jahre verstärkt einsetzende Konzentrationen auf dem Rüstungsmarkt die Zahl transnationaler Konzerne deutlich erhöht. Angesichts dieser Entwicklungen tritt der Anachronismus zwischen staatenübergreifender Produktion und nationalstaatlicher Zuständigkeit in zunehmend ganz praktischen Fragen zutage, zum Beispiel dann, wenn unterschiedliche nationale Gesetzgebungen in Bezug auf den Export die Umgehung politischer Normen erlauben und darüber hinaus auch ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit für Produzenten, Lieferanten und Empfänger von Rüstungsgütern bewirken. Wer sich restriktiv an die politischen Normen hält, könnte dafür sogar noch bestraft werden, wenn zum Beispiel Fertigungskapazitäten innerhalb der EU je nach nationaler Rechtslage verschoben und Rüstungsgeschäfte an restriktiv handelnden Staaten vorbei dirigiert werden. Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass gerade bei Kooperationen differenzierte Kontrollstandards in den beteiligten Ländern für die Geschäftsabwicklung unvertretbare Schwierigkeiten oder Verzögerungen in einem Maß bereiten könnten, die laufende und sogar künftige Absprachen erheblich gefährdet würden.

Last not least müsste jeder restriktiv handelnde Staat befürchten, dass seine europäischen Partner – und Konkurrenten (!) – in die Bresche springen, sollte aus politischen Erwägungen heraus eine Exportgenehmigung untersagt werden. (Ein Teil der kritischen Debatte zu den Einwänden gegen den Panzerexport in die Türkei ging und geht bekanntlich um die Frage, ob nicht zum Beispiel Frankreich bedenkenlos von einer deutschen Absage profitieren würde.) Infolge der jahrzehntelang eifersüchtig gehüteten Kapazitäten der einzelnen Staaten ist eine Situation entstanden, in der zum einen die europäischen Partner statt endlich auf Synergien zu setzen um die gleichen Kunden buhlen, zum anderen – selbst auf dem weiterhin wichtigsten Absatzmarkt, den eigenen Beschaffungen – in vielen Bereichen die Konkurrenz aus den USA dominiert.9

Beschränkungen des Rüstungsexports sind – abgesehen von den deklaratorischen Absichten auf der Basis des EU-Kodexes – nur insoweit von Belang und wirksam, wie sie völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen und multilateralen Regimen entstammen. Die ersten Vereinbarungen in dieser Richtung bezogen sich auf Massenvernichtungsmittel und deren Trägersysteme (z.B. Nukleares Nichtweiterverbreitungsregime NPT, Raketentechnologie-Kontrollregime MTCR, später das Chemiewaffenübereinkommen CWÜ). Verpflichtungen aus der Regimeanerkennung werden aber nicht als Gemeinschaftsrecht berücksichtigt, sondern nur als kodifiziertes Recht der Staaten. Natürlich liegt auf der Hand, dass auf der Grundlage paralleler Rechtsvorschriften auch gemeinschaftliche Vereinbarungen zur Vermeidung oder Verfolgung von Rechtsbruch ausschließlich dritter Parteien getroffen werden können.

Im Bereich der konventionellen Waffen und Rüstungstechnologien ist das oft als Nachfolgeregime des früheren COCOM apostrophiere Wassenaar-Arrangement von 1996 von besonderer Bedeutung. Während das COCOM-Regime jedoch vor allem dafür Sorge tragen sollte, dass bestimmte Technologien nicht in den Ostblock gelangten, steht beim Wassenaar-Arrangement der gegenseitige Informationsaustausch über die Genehmigung und die Verweigerung von Exportlizenzen von Rüstungsgütern und DuG im Vordergrund. Das Regime ist wesentlich schwächer konfiguriert als seinerzeit das COCOM, es blendet zudem bisher u.a. jenen Teil der konventionellen Waffen aus, der mittlerweile angesichts der veränderten Natur der (drohenden) Gewaltkonflikte zu einem der gefährlichsten Proliferationsrisiken geworden ist: den Bereich der automatischen und halbautomatischen Kleinwaffen.

Zwar beschloss der Europäische Rat am 17. Dezember 1998 hierzu eine Gemeinsame Aktion über den Beitrag der EU zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen.10 Durch den Rat wurde auch die Veröffentlichung von jährlichen Berichten der EU-Staaten über die jeweilige nationale Ausfuhrpolitik und -praxis beschlossen. Allerdings zeigt der erste Bericht vom 28. September 1999, dass die Mitgliedsländer noch immer höchst unterschiedliche Auffassungen zur Notwendigkeit einer größeren Transparenz vertreten. Von einer Harmonisierung der Auffassungen der EU-Staaten zur Beschränkung von Rüstungsexporten kann also längst nicht die Rede sein.11

Vergemeinschaftung
der Rüstungsexportpolitik?

Der logische Schluss aus den geschilderten Problemen und Anachronismen bestünde wohl in einer Vergemeinschaftung des gesamten Rüstungsbereichs. Wird für den Moment unterstellt, dass auf dem EU-Gipfel in Helsinki die Weichen in Richtung einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) gestellt wurden, ist zu folgern, dass es sich hierbei nur noch um eine Frage der Zeit handelt. Fortbestehende Vorbehalte, das residuale Sanktuarium nationalstaatlicher Souveränität anzutasten, sind aber in keinem Staat völlig verschwunden. Realistischer erscheint angesichts dessen eine Tendenz, die Idee des Europas »unterschiedlicher Geschwindigkeiten« auf den sensiblen Rüstungsbereich zu übertragen, vor allem dort wo die strukturellen Realitäten der politischen Steuerung längst enteilt sind. So wird Ende des Jahres der Abschluss der Vereinbarung zur Harmonisierung der Richtlinien zur Zusammenarbeit und zum Export von Rüstungsgütern unter Beteiligung Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Schwedens und Spaniens) erwartet, die zwar vordergründig auf die Effektivierung des Umgangs mit Fusionen und Kooperationen in den Ländern zielt, zum anderen jedoch praktische Verfahren angleichen und standardisieren soll, wodurch unweigerlich ein Präjudiz auch für andere Staaten entsteht. Mit der vorgesehenen Einbindung der WEU in die EU und dem Aufbau einer Kampftruppe von 60.000 Mann erhalten überhaupt die Protagonisten rüstungswirtschaftlichen Gleichschritts zusätzlichen Rückenwind. Die vier größten Rüstungsproduzenten der EU (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien), die zusammen mehr als drei Viertel aller EU-Kapazitäten binden, haben bereits innerhalb der von ihnen im September 1998 gegründeten OCCAR (Organisme Conjoint de Coopération en Matière d'Armement) damit begonnen, sich institutionell auf Abstimmungsverfahren für gemeinsame Rüstungsvorhaben zu verständigen. Unklar ist, ob die Anliegen einer Beschränkung von Rüstungsexporten zugunsten einer Bündelung exportpolitischer Stärken auf dem Rüstungssektor auf der Strecke bleiben. Trifft letzteres zu, muss befürchtet werden, dass auch die gerade erst beschlossenen Exportrichtlinien der Bundesregierung auf Dauer keinen Bestand haben werden.

Anmerkungen

1) SIPRI-Yearbook 1999, S. 424.

2) Herbert Wulf, Rüstungsexport: Politische Motive und wirtschaftliche Interessen, in: Friedensgutachten 1992 (Hg. von Reinhard Mutz, Gert Krell und Heinz Wismann), Münster-Hamburg 1992, S. 299.

3) Der Wortlaut ist u.a. in der Frankfurter Rundschau vom 20. Januar 2000 dokumentiert.

4) Europe, No. 5524 (Special Edition), 30. Juni 1991.

5) EPC Press Release, 27. Juni 1992.

6) Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen, Vereinbarung der Teilnehmerstaaten des KSZE Forums für Sicherheitskooperation, Wien 25. November 1993, in: Ulrich Fastenrath (Hg.),: KSZE-Dokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Loseblattsammlung, Grundwerk von 1992 (Neuwied u.a.), F.11, S. 1-4.

7) Budapester Dokument 1994 – Der Weg zu echter Partnerschaft in einem neuen Zeitalter, Budapest, 6. Dezember 1994, Titel VI, in: Ulrich Fastenrath (Hg.),: KSZE-Dokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, (Anm. 20), B.5, S. 28 – 32.

8) Bekanntmachung vom 27.12.1957, BGBl 1958 II, S. 1 in: Bekanntmachung vom 6.4.1999, BGBl. 1999 II, S. 296.

9) Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, Sicherheit und Verteidigungspolitik (EP), Arbeitsdokument über die Herausforderungen für die europäische Rüstungsindustrie (KOM(96)0010), Berichterstatter: Gary Titley, Doc-DEDT296845, S. 2.

10) Joint Action of 17 December 1998 adopted by the Council on the basis of Article J.3 of the Treaty on the European Union on the European Union's contribution to combating the destabilising accumulation and spread of small arms and light weapons. 1999/34/CFSP.

11) Rat der Europäischen Union, DG E VIII, Erster Jahresbericht gemäß Nr. 8 der operativen Bestimmungen des Verhaltenskodexes der Europäischen Union für Waffenausfuhren, 11384/99 (PESC 314/COARM 8), Brüssel 28. September 1999, S. 1-8.

PD Dr. Hans J. Giessmann ist stellv. Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Er lehrt Internationale Politik an der Universität Hamburg sowie an der Offizierschule Heer der Bundeswehr in Dresden.