Der Fluch des »Ressourcenfluchs«
Der Fluch des »Ressourcenfluchs«
Postkoloniale Bedenken zu ökonomischem Determinismus
von Jasper A. Kiepe
Bewaffnete Konflikte im Globalen Süden, insbesondere in Afrika, werden oft mit einem angeblichen »Ressourcenfluch« in Verbindung gebracht. Dieser Begriff ist problematisch, da er in einer rassistischen Tradition steht und vorgibt, das Problem sei im afrikanischen Boden verwurzelt. Zudem macht der Wortgebrauch die kapitalistische Ausbeutung, auf der die Ressourcenausbeutung basiert, sowie die damit verbundene koloniale und neokoloniale Gewalt unsichtbar. Der Begriff steht so einer holistischen Betrachtung von Konflikt, die auch Kritik an den Prämissen des weltweiten Marktes beinhaltet, im Weg.
Bewaffnete Konflikte im Globalen Süden, und damit auch in Subsahara-Afrika, werden oft unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet. Die unter dem Stichwort »Ressourcenfluch« bekannt gewordene Theorie wurde geprägt von Autor*innen wie Humphreys, Sachs und Stiglitz (2007) sowie Collier (z.B. in Bannon und Collier 2003; Collier und Hoeffler 2004). Sie besagt, in aller Kürze, dass das Vorkommen von Rohstoffen, insbesondere Mineralien und Erdöl, die Entwicklung in Ländern des Globalen Südens hemmt und Konflikte begünstigt.
Kritische Wissenschaftler*innen verweisen dagegen auf die Überbewertung wirtschaftlicher Faktoren und die mangelnde Komplexität der Theorie, die insbesondere wenig Raum für nuancierte Erklärungen multidimensionaler Konflikte lässt (Vogel und Havenith 2014). Andere Autor*innen hinterfragen die Beziehung zwischen der Hypothese des »Fluchs« und den verwendeten empirischen Daten, sowie die Übertragbarkeit der Theorie auf beliebige Staaten (Di John 2011).
Das Bild vom »Ressourcenfluch« hält sich allerdings in der journalistischen Berichterstattung und den Populärwissenschaften – z. B. im Artikel »Der Afrikanische Fluch« in der ZEIT (Berbner, Henk und Uchatius 2018). Hier werden zunächst bedeutungsschwere Fragen aufgeworfen: u.a. „Was ist geschehen, das Afrika so verlassenswert macht?“. Diese werden dann (voller Klischees) in direkten Zusammenhang mit dem Ressourcenfluch gestellt. Auch in der populären Kultur, z.B. im Theaterstück »Das Kongo-Tribunal« (2017) und spätestens seit den Hollywood-Filmen »Blood Diamond« (2006) oder »Lord of War« (2005), hat sich das Bild von den »Blutdiamanten« beim europäischen Publikum verfestigt und sogar die Terminologie des Kimberley-Prozesses, dem internationalen Abkommen über die Ausweisung der Herkunft von Diamanten, geprägt (Vogel und Havenith 2014).
Der Mythos des »Ressourcenfluchs«
Der Begriff »Ressourcenfluch« ist zwar eingängig, aber dennoch aus einer Vielzahl von Gründen problematisch, nicht zuletzt aufgrund der Sprache: »Fluch« (engl. curse) behauptet hier einen von außen zugeschriebenen, pseudo-spirituellen Determinismus, der an eine lange Tradition orientalisierender, rassistischer Außenbezeichnungen anknüpft (Mazrui 2005) und Afrika als einen dunklen, bedrohlichen Ort portraitiert, an dem selbst Reichtum zum Fluch wird.
Die vermeintliche Schicksalshaftigkeit des »Fluchs« verlegt die Verantwortung nach Afrika und macht ihn zu einem Phänomen des Globalen Südens – die Folgen kolonialer und neo-kolonialer Praktiken werden zu einem afrikanischen Problem. Dabei wird nur gelegentlich das Augenmerk auf die Rolle früherer Kolonialmächte oder ihrer Unternehmen gerichtet und dies, ohne die Problematik der damit verbundenen Ausbreitung der globalen Weltwirtschaft anzusprechen. Diese Verschiebung spiegelt eine koloniale Fantasie: dass die Gründe für Krieg, Korruption und Elend quasi im afrikanischen (oder generell tropischen) Boden liegen. Dies ist eine Reproduktion rassistischer, kolonialer Stereotype, die die Menschen Afrikas als »brutale Wilde« darstellten. Gleichzeitig untermauert diese Sicht das problematische – und widerlegte – Klischee vom verarmten, chancenlosen, homogenen Kontinent Afrika.
Ökonomische Kritik des Begriffes
Neben der sprachlichen Problematik des Begriffes, gilt es auch die ökonomische Analyse hinter dem Begriff zu kritisieren. Die gewaltsame Kolonialisierung Afrikas war vor allem ein kapitalistisches Projekt, und dieses hat tiefe Wurzeln geschlagen. Diesen Ursprüngen wird allerdings in vielen Forschungsprojekten und Literatur über die Situation Afrikas keine Aufmerksamkeit entgegengebracht und wenn, dann in einer anderen Verpackung (z.B. Armut; siehe Wiegratz 2018). Die Verantwortung für die Auswirkungen des »Ressourcenfluchs« wird »Afrika« zugeschoben.
Ein solcher Fluch muss aber dazu einladen, über Kapitalismus und Ausbeutung zu sprechen, genauer: über Neokolonialismus. Schon 1965 kritisierte der erste Präsident Ghanas, Kwame Nkrumah (1965, S. IX), „dass das wirtschaftliche System und dadurch die Politik eines Staates von außerhalb kontrolliert sind“.
Somit müssten auch die Triebkräfte des Marktes, die Verantwortung der (nicht nur) europäischen Konsument*innen oder die Verantwortung ehemaliger Kolonialmächte in den Fokus der Analyse gestellt werden. Beispielhaft berechnete ein Bericht einiger Nichtregierungsorganisationen für das Jahr 2014 einen jährlichen Finanzzufluss von 134 Mrd. US$ nach Afrika, vor allem in Form von Krediten, Investitionen und Entwicklungshilfe, bei einem gleichzeitigen Abfluss von 192 Mrd. US$ in Form von Profiten (Health Poverty Action et al. 2014). Dies deutet auf etwas anderes als einen »Ressourcenfluch« hin.
Überdies wird Afrika immer noch als europäisches Privileg verstanden. Die zeitgenössische Sorge über die »chinesische Expansionspolitik«, die sich häufig in populären Debatten findet, ist besonders interessant, scheint sie doch oft nicht Sorge über die Selbstbestimmtheit moderner afrikanischer Staaten zu sein, sondern vielmehr Sorge in Bezug auf »europäische Interessen« in Afrika. Die problematische Rolle europäischer Unternehmen und europäischer Entwicklungshilfe, die oft Hand in Hand mit politischen Forderungen kommt, wird dagegen verharmlost. Häufig wird auch unterschlagen, dass vielerorts Menschen von chinesischen Investitionen profitieren (van Mead 2018). Es scheint sich vielmehr um eine »Gefahr-im-Osten-Rhetorik« zu handeln, die der des »Kalten Krieges« ähnelt; eines Krieges der in den oft vergessenen Stellvertreterkriegen in Angola, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Mosambik erschreckend heiß wurde (de Souza 2016).
Der Fluch der Armut: (k)ein Problem Afrikas
Die Bezeichnung »Ressourcenfluch« vernachlässigt außerdem, dass nicht die Ressourcen selbst das Problem darstellen, sondern dass in Regionen, die von struktureller Ungleichheit geprägt sind, Konflikte durch die Dynamik des Marktes (z. B. die Nachfrage nach wertvollen, seltenen Ressourcen) angefacht werden können.
Die Beteiligung am globalen Weltmarkt wurde Afrika in kolonialer Zeit zwangsverordnet. Moderne strukturelle Probleme resultieren aus dieser Zwangsverordnung und sind in der postkolonialen Epoche institutionell verankert in Form von internationalen Organisationen, transnationalen Handelsregimen und auch der Entwicklungshilfe. Zudem werden die Internationalen Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds seit Langem heftig kritisiert, u.a. wegen der Untergrabung demokratischer Strukturen in Förderländern oder wegen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsbedenken bei Projekten, und das nicht nur in Subsahara-Afrika (für einen Überblick vgl. Bretton Woods Project 2019).
Der Anschluss postkolonialer Staaten Afrikas an internationale Märkte ist für diese prägend und, so schreibt der Ökonom Kenneth Amaeshi (2015), „stimmt nicht immer mit den Bedürfnissen von Menschen in Afrika überein. Es bleibt übermäßig beeinflusst und wird von Agenden außerhalb des Kontinents bestimmt“ – ob das nun Europa oder die neuen Weltmächte (zum Beispiel China) sind. Auch wenn die früheren Kolonialmächte sich auf dem Papier verabschiedet haben: Kapitalismus in seiner heutigen, institutionalisierten Form ist ein Exportgut der Kolonialzeit und in modernen Institutionen (politischen Systemen, Regierungen, Bildungssystemen etc.) fest verankert. Die Theorie des »Ressourcenfluchs« lässt außer Acht, dass die Prämissen für Konflikt nicht endogen sind, sondern erst durch ein kapitalistisches System erzeugt wurden.
Diese Kritik ernst zu nehmen hieße, Armut und Chancenlosigkeit als eine problematische Folge des globalen Kapitalismus zu benennen, und diese nicht als ein »Problem Afrikas« zu sehen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Afrika ist nicht per se arm oder chancenlos und war es nie. Weder in einer, in Europa oft vergessenen und als ahistorisch jeder ernsthaften Analyse entzogenen, vorkolonialen Zeit noch seit Beginn des von Anfang an auf Widerstand stoßenden Kolonialismus. Auch die postkoloniale Gegenwart des 21. Jahrhunderts unterliegt der Dynamik von Jahrhunderten systematischer Ausbeutung, Gewalt und kolonialer Vernichtungspolitik, die schwer zu überkommen sind und z. B. in der Demokratischen Republik Kongo in den Tagen nach der Unabhängigkeit durch kleptokratische Eliten fortgeführt wurden (Stearns 2012, S. 338).
Die fragile Gegenwart
Nun bedarf es nicht unbedingt »großer« Armut und Chancenlosigkeit, um Konflikte zu begünstigen. Es reicht, dass einige Menschen sehr wenig haben – es handelt sich eher um ein Klassen- und Stratifizierungsproblem mit hohem Konfliktpotential. Armut und Chancenlosigkeit sind nicht primär Ursache von bewaffnetem Konflikt, sondern zunächst Symptom des Kapitalismus.
Die Kivu-Region in der Demokratischen Republik Kongo wird oft zitiert als Beispiel für den »Ressourcenfluch« und tatsächlich spielen ökonomische Dimensionen in den Konflikten, die die Region erschüttern, eine große Rolle: Das Land leidet in manchen Teilen unter strukturellen Ungleichheiten, Armut und dem Fehlen kritischer Infrastruktur. Hinzu kommen jedoch auch allerhand weitere Faktoren: mehrere Ebola-Epidemien (die von einigen Autor*innen auch eng mit dem Ressourcenfluch in Zusammenhang gebracht werden; Garrett 2019), Naturkatastrophen, koloniale Geister und ein eingeschränkter zivilgesellschaftlicher Raum. Klar ist, dass die Ursachen von Konflikten in dieser Region extrem komplex sind und sich häufig einer schematischen Betrachtung entziehen (vgl. Kalyvas 2003). Die Fluch-Terminologie dagegen simplifiziert komplexe Konfliktursachen, reproduziert antiquierte »Finsternis«-Metaphern und objektifiziert Menschen als »Verfluchte«, anstatt einer differenzierten Analyse struktureller Probleme – und damit auch einer differenzierten Betrachtung von Konflikt selbst Raum zu geben.
Hinzu kommt die mit dem Fluch verbundene Kurzsichtigkeit, die Menschen ihre Handlungsfähigkeit abspricht. Der Anfang einer differenzierten Betrachtung müsste sein, die DR Kongo insgesamt als fragiles, konfliktanfälliges politisches System zu verstehen, in dem »Political Space« noch verhandelt wird (Vogel et al. 2019), anstatt den Staat einfach als »verflucht« abzutun. Denn genau dieses fragile System und den politischen Handlungsraum seiner Bürger*innen zu stabilisieren ist auch ohne »Fluch« schwierig genug. Umso mehr in einem autokratisch regierten, qua Verfassung vermeintlich hochgradig zentralisierten Land, das, in den Wirren internationaler Politik gefangen, nie richtig die Chance hatte, sich von den kolonialen Zerstörungen zu erholen. Verschiedene bewaffnete Gruppen mit unterschiedlichen Interessen und regionalen oder internationalen Allianzen tragen zur Instabilität in einer Region bei, in der eine fundamentale Infrastruktur und ein staatliches Gewaltmonopol fehlen (Vogel und Stearns 2018). Eine simplifizierte Konfliktursache (»der Kampf um Konfliktmineralien«) lädt dann schnell zu eurozentrischen, die oben genannten komplexen Zusammenhänge ignorierenden, vereinfachenden Lösungen ein, die ebenfalls zu kurz greifen: z.B. die Forderung, unspezifisch »Governance« nach europäischem Vorbild zu schaffen (Vircoulon 2011).
Fazit: Sprache und Forschung dekolonisieren
Politikwissenschaftler*innen und auch Journalist*innen, Politiker*innen und Künstler*innen müssen sich von einer passiven, mystifizierenden, die Problematik verschiebenden Terminologie lösen. Stattdessen sollte, unter Einbeziehung postkolonialer Kritik und mit kritischem Blick auf die liberale Weltordnung, die Debatte um Konfliktursachen erweitert werden. Dies muss eine Kritik an den institutionellen kapitalistischen Prämissen und an der begrifflichen Verschiebung der Ursachen »nach Afrika« beinhalten. Ein kleiner, jedoch entscheidender Schritt hierzu wäre eine sensiblere Sprache, die nicht länger suggeriert, dass der Konflikt um Rohstoffe ein »afrikanischer Fluch« sei. Gleichzeitig dürfen wirtschaftliche Interpretationen bewaffneter Konflikte nicht länger eine fundamentale Kritik an der internationalen politischen Ökonomie ausblenden.
Literatur
Amaeshi, K. (2015): Why Africa needs capitalism that is aligned with its development needs. The Conversation. 20.10.2015.
Bannon, I.; Collier, P. (2003): Natural resources and conflict. What can we do. In: Bannon, I.; Collier, P. (Hrsg.): Natural Resources and Violent Conflict. Washington, D. C.: The World Bank, S. 1-16.
Berbner, B.; Henk, M.; Uchatius, W. (2018): Der afrikanische Fluch. DIE ZEIT, 20.6.2018.
Bretton Woods Project (2019): What are the main criticisms of the World Bank and the IMF? 4.6.2019.
Collier, P.; Hoeffler, A. (2004): Greed and grievance in civil war. Oxford Economic Papers, Vol. 56, Nr. 4, S. 563-595.
de Souza, A. N. (2016): Between East and West. The cold war‘s legacy in Africa. Al Jazeera. 22.2.2016.
Di John, J. (2011): Is there really a resource curse? A critical survey of theory and evidence. Global Governance, Vol. 17, Nr. 2, S. 167-184.
Garrett, L. (2019): Your cellphone is spreading Ebola. Foreign Policy, 17.4.2019.
Health Poverty Action et al. (2014): Honest Accounts? The true story of Africa’s billion dollar losses. London.
Humphreys, M.; Sachs, J.; Stiglitz, J. (Hrsg.) (2007): Escaping the Resource Curse. New York: Columbia University Press.
Kalyvas, S. (2003): The ontology of »Political Violence«. Action and identity in civil wars. Perspectives on Politics, Vol. 1, Nr. 3, S. 475-494.
Mazrui, A. (2005): The Re-Invention of Africa: Edward Said, V. Y. Mudimbe, and beyond. Research in African Literatures, Vol. 36, Nr. 3, S. 68-82.
Nkrumah, K. (1965): Neo-Colonialism. New York: International Publishers.
Stearns, J. (2012): Dancing in the glory of monsters. The collapse of the congo and the great war of Africa. New York: Public Affairs.
The Fund for Peace (2020): Fragile States Index – Measuring Fragility: Risk and Vulnerability in 178 Countries. Fragility in the World 2020. fragilestatesindex.org.
Van Mead, N. (2018): China in Africa. Win-win development, or a new colonialism? The Guardian, 31.7.2018.
Vircoulon, T. (2019): Behind the problem of conflict minerals in DR Congo governance. International Crisis Group, 19.4.2011.
Vogel, C.; Havenith, J. (2014): Beyond greed or grievance: understanding conflict in resource-rich states. African Arguments, 17.4.2014.
Vogel, C.; Stearns, J. (2018): Kivu’s intractable security conundrum, revisited. African Affairs, Vol. 117, Nr. 469, S. 695-707.
Vogel, C.; et al. (2019): Cliches can kill in Congo. Foreign Policy, 30.4.2019.
Wiegratz, J. (2018): The silences in academia about capitalism in Africa. africasacountry.com, 13.12.2018.
Jasper A. Kiepe hat einen Master in Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Konflikte und Menschenrechte von der SOAS University of London, arbeitet bei einer humanitären Hilfsorganisation und beschäftigt sich mit gesamtheitlichen, postkolonialen und intersektionalen Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung.