Entwicklungspolitik und Rohstoffsicherung

Entwicklungspolitik und Rohstoffsicherung

Im Dienste von Wirtschaft und Machtpolitik

von Lukas Renz

Über ein Jahr feilten 50 Mitglieder des deutschen außen- und sicherheitspolitischen Establishments an dem Papier »Neue Macht – Neue Verantwortung«, das im September 2013 veröffentlicht wurde. Anschließend, im Februar 2014, brachte Bundespräsident Joachim Gauck dem breiten Publikum die Kernaussage des Dokumentes näher: Aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht müsse Deutschland künftig bereit sein, mehr außenpolitische Verantwortung zu übernehmen. Dies erfordere einmal, der angeblich bisher praktizierten »Kultur der (militärischen) Zurückhaltung« den Rücken zuzukehren; zum anderen sei es nötig, sich künftig entschlossener der Durchsetzung deutscher Interessen zu widmen. Des Weiteren hebt das Papier das Konzept der »Vernetzten Sicherheit« hervor, demzufolge zur Umsetzung außenpolitischer Ziele sämtliche zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen seien: „Deutsche Außenpolitik wird sich weiterhin der gesamten Palette der außenpolitischen Instrumente bedienen, von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt.“ 1 Der nachfolgende Artikel beschreibt, wie der deutschen Entwicklungspolitik eine zunehmend größere Rolle bei der Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen zukommt.

Entgegen ihrer hehren Ziele war die Entwicklungspolitik nie unabhängig von den Interessen der gebenden Staaten, sondern schon immer ein Instrument zu deren Durchsetzung. Spielte sie einst eine wichtige Rolle bei der Diplomatie des Kalten-Krieges, dient sie heute den Geberländern etwa zur Erschließung von Absatzmärkten oder zur politischen Einflussnahme über konditionierte Hilfsleistungen, insbesondere aber dem Zugang zu Rohstoffen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Es lohnt ein Blick auf die deutschen (und europäischen) Rohstoffstrategien, die in den letzten Jahren vereinbart wurden.

Deutsche und europäische Rohstoffstrategien

Die wirtschaftliche Produktivitätssteigerung der letzten zwei Jahrhunderte basierte auf der Verfügbarkeit günstiger Rohstoffe. Heute hingegen rechnen Industrielle sowie Politikerinnen und Politiker mit der Verknappung wichtiger Bodenschätze. Somit steht zu befürchten, dass sich der Wettlauf der wirtschaftlich stärksten Staaten um solche Rohstoffe – aber auch um Handelsrouten, Transportinfrastruktur und Absatzmärkte –verschärfen wird, ungeachtet der Kollateralschäden, die dies mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund wächst das Interesse an einem privilegierten Zugang zu Bodenschätzen der Entwicklungsländer, insbesondere an nicht-energetischen industrierelevanten Rohstoffen. Dies gilt besonders für Deutschland, aber auch für die EU als Ganzes, da dort ebenfalls vergleichsweise wenige fossile und metallische Rohstoffe zu finden sind.2

Dementsprechend sieht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD von Ende November 2013 den Staat in der Pflicht, erheblich zur Rohstoffsicherung beizutragen: „Es ist zuallererst Aufgabe der Unternehmen selbst, ihren Bedarf an Rohstoffen am Markt zu decken und sich vorausschauend auf künftige Entwicklungen einzustellen. Wir werden diese Anstrengungen mit politischen Initiativen flankieren, um verlässliche rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb auf den internationalen Rohstoffmärkten zu gewährleisten.“ 3

Hierfür begannen Wirtschaft und Bundesregierung schon vor Jahren einen intensiven »Dialog«, auf dessen Grundlage im Jahr 2010 die deutsche Rohstoffstrategie verabschiedet wurde. Sie benennt als „Kernziele“ unter anderem die „Unterstützung der deutschen Wirtschaft bei der Diversifizierung ihrer Rohstoffbezugsquellen“, den „Abbau von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen“ sowie den „Aufbau bilateraler Rohstoffpartnerschaften mit ausgewählten Ländern“.4 Seither hat Deutschland bereits einige bilaterale Rohstoffabkommen abgeschlossen, unter anderem mit Kasachstan im Jahre 2011 und mit der Mongolei im Jahre 2012. Eine deutsch-chilenische Rohstoffpartnerschaft wurde Anfang 2013 vereinbart.

Die Bundesregierung möchte ferner den Wiedereinstieg in die direkte Rohstoffexploration durch deutsche Unternehmen voranbringen: „Seit Mitte der 1980er Jahre wurde die starke Position der deutschen Rohstoffindustrie im Auslandsbergbau aufgrund unternehmerischer Entscheidungen nach und nach aufgegeben.“ 5 Deshalb sollen nun „Anreize für Explorationsvorhaben“ geschaffen und somit eine „Rückwärtsintegration“ deutscher Unternehmen in den globalen Bergbausektor gefördert werden.6

Die Rohstoffpartnerschaften, die insbesondere eine vollständige Öffnung der Partnerländer für Investitionen im Rohstoffsektor vorsehen, sind eine wichtige Komponente der Außenwirtschaftsförderung, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Die grundsätzliche Forderung der kapitalstarken EU und Deutschlands nach Freihandel ist dabei in Anbetracht ihrer rohstoffintensiven Wirtschaftsweise und der enormen Importabhängigkeit von Rohstoffen wenig überraschend. Es soll – so die Bundesregierung – „das Ziel einer möglichst weit reichenden Liberalisierung der Weltmärkte gerade auch bei Rohstoffen weiter mit Nachdruck verfolgt werden“.7

Aufgrund der ähnlichen Versorgungssituation decken sich die von der EU-Kommission erlassenen Papiere mit jenen der Bundesregierung inhaltlich in ihren wesentlichen Zielen und Maßnahmen. Unter Verweis auf die Nachfragesteigerung kritisiert die EU „die Maßnahmen bestimmter Länder, die der Inlandsindustrie, u. a. durch Exportbeschränkungen, einen privilegierten Zugang zu Rohstoffen sichern“.8 Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagt: „Hier wie dort sehen sich die Unternehmen gegenwärtig beträchtlichen Beschränkungen des Rohstoffzugangs gegenüber, die politischen Ursprungs sind.“ 9

Zu diesen „handelsverzerrenden“ Maßnahmen gehörten insbesondere Exportzölle, Exportquoten und Importvergünstigungen. Die EU-Kommission spricht von über „450 Exportbeschränkungen für mehr als 400 verschiedene Rohstoffe“.10 Die Bundesregierung kündigt an, dass den „Verzerrungen im internationalen Rohstoffhandel noch konsequenter als bisher begegnet wird. Dazu werden sämtliche Möglichkeiten auf multilateraler (v.a. WTO-Beitrittsverhandlungen, Streitschlichtungsverfahren) als auch auf bilateraler EU-Ebene (Freihandelsabkommen, bilateraler Dialog) umfassend genutzt und ausgeschöpft.“ 11

Rohstoffreichtum und Unterentwicklung

Wie die EU-Kommission anmerkt, befinden sich in Ländern mit einem Bruttonationaleinkommen unter zehn US-Dollar pro Kopf und Tag über 50 Prozent der für die EU wichtigen Mineralienvorkommen.12 Geht es nach der EU und Deutschland, sollten Ausfuhrsteuern je nach Land und Gut nur noch begrenzt oder gar nicht mehr erhoben werden. Mark Curtis, Direktor von Curtis Research, weist allerdings darauf hin, es sei zu befürchten, dass Entwicklungsländern so ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument genommen werde, ihre Rohstoffe im Sinne der eigenen Entwicklung zu verwenden, und dass sich ökologische und soziale Probleme in den Entwicklungsländern verschärfen könnten. Dies werde vorangetrieben, obwohl die EU-Kommission anerkenne, dass Ausfuhrbeschränkungen ein wichtiger Bestandteil von Entwicklungsstrategien armer Länder seien. Einen kritischen Blick wirft Curtis auch auf die Erhöhung ausländischer Direktinvestitionen. So seien viele Entwicklungsländer zwar aufgrund von geringem eigenem Kapital auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen. In der Regel brächten sie aber geringe Einkünfte für den Staat – insbesondere bei Sondersteuerabkommen –, würden wenige Arbeitsplätze schaffen, kaum Technologietransfer gewährleisten und teilweise mit der Verdrängung der jeweiligen lokalen Bevölkerung sowie Umweltbelastungen einhergehen.13

Noch kritischer merkt Christian Zeller von der Universität Salzburg an: „Über den Kanal der Direktinvestitionen organisieren die ausländischen Unternehmen direkt die Ausbeutung der lokalen Energieressourcen und Rohstoffe sowie die Produktion von Zwischenprodukten und Konsumgütern in den »Empfängerländern«. Die über Direktinvestitionen finanzierte Übernahme privatisierter Dienstleistungsunternehmen oder lokaler Banken erlaubt es, lukrative Einkommensflüsse auf lokalen Märkten zu erschließen. […] Die transnationalen Konzerne zentralisieren in der Regel zwischen 50 und 70 Prozent der Erträge aus Direktinvestitionen in ihren Ursprungsländern.“ 14

Ein Blick auf die wirtschaftliche Verfassung der unterentwickeltsten Länder verdeutlicht zusätzlich die Korrelation von Armut und der Orientierung auf den Rohstoffexport, wie Curtis erläutert: „Entwicklungsländer […] exportieren hauptsächlich Rohstoffe. Über 100 von ihnen hängen zu 50 oder mehr Prozent von ihren Rohstoffexporten ab – 46 von ihnen, hauptsächlich in Afrika, von nur einem einzigen Gut. Die Exporte von Ländern in Afrika, dem Nahen Osten und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bestehen durchschnittlich zu mehr als 70 Prozent aus Rohstoffen.“ 15 Damit verbleiben die meisten Entwicklungsländer in der unvorteilhaften Rolle als Rohstoffexporteure, die ihnen schon im Kolonialismus und Imperialismus zukam. Und ausgerechnet dieser Status wird durch die zunehmende Vereinnahmung der Entwicklungspolitik im Dienste der Rohstoffsicherung weiter zementiert.

Entwicklungspolitik und Rohstoffsicherung

Wie BDI-Chef Ulrich Grillo verdeutlicht, soll der Zugang zu Rohstoffen von einer ganzen Reihe von Akteuren gewährleistet werden: „Eine erfolgreiche Rohstoffstrategie erfordert einen ganzheitlichen Ansatz mit entsprechend flankierenden Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen und Politikfeldern. Die Versorgung mit Rohstoffen ist nicht lediglich eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik, sondern gleichermaßen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Energie- und Umweltpolitik, der Technologie- und Innovationspolitik, der Wettbewerbspolitik, der Mittelstandspolitik, der Entwicklungspolitik sowie der Europapolitik.“ 16 Ganz ähnlich schreibt der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke: „Auch die wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und geostrategischen Interessen der unterschiedlichen Ressorts der Bundesregierung passen im beschriebenen Feld – Afrika und Rohstoffe – exzellent zusammen. […] Um hier erfolgreiche deutsche Interessenpolitik umzusetzen, braucht es die volle Arbeitskraft der Ressorts, ein Miteinander auf allen Ebenen und kein Gegeneinander.“ 17

Die Bündelung der Kräfte soll sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene erfolgen. So fordert das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), die Rohstoffstrategie der Bundesregierung mit der EU-Rohstoffinitiative zu verzahnen.18 Gleichzeitig erfolgt eine Verquickung der jeweiligen nationalen beziehungsweise europäischen Politikbereiche . Auf deutscher Ebene geschieht dies insbesondere im Interministeriellen Ausschuss Rohstoffe, der dem BMWi untersteht. In diesem sind die Ministerien, die Deutsche Rohstoffagentur, die in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) angesiedelt ist, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Industrie als Sachverständige vertreten.19

Wie groß die Erwartungen an die Entwicklungspolitik seitens der Wirtschaft sind, verdeutlich erneut BDI-Chef Grillo: „[D]ie Entwicklungspolitik bietet viel mehr Möglichkeiten, zur Sicherheit unserer Rohstoffversorgung beizutragen, als gemeinhin angenommen wird. Sie kann in Entwicklungsländern hinwirken auf Rechtssicherheit, Investitionsschutz, Abbau von Exportbeschränkungen oder auch Unterbindung illegalen Exports von Rohstoffen. Das trägt zu privatwirtschaftlichem Engagement dort bei und kann auch uns helfen, unsere Rohstoffimporte sicherer zu machen.“ 20

Der Entwicklungspolitik soll dabei neben etwa dem Liefern von Expertenwissen auch die Aufgabe zufallen, Akzeptanz für westliche Präsenz zu schaffen, wie Lutz Hartmann, Vorstand der Pearl Gold AG, offenherzig ausspricht: „Jedes Minenvorhaben wird im unmittelbaren Umfeld durch die Schaffung einer lokalen Wirtschaft und Infrastruktur Akzeptanz gewinnen müssen. Hier könnte insbesondere eine bessere Zusammenarbeit zwischen europäischen Investoren und europäischer Entwicklungszusammenarbeit allen Parteien zugute kommen.“ 21 Zur Unterstützung der Privatwirtschaft besteht im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mittlerweile eine Servicestelle für die Wirtschaft. Zu lesen ist auf der Homepage des Ministeriums: „Sie wollen sich neue Märkte erschließen oder Ihre Zulieferketten ressourcenschonend gestalten? […] Das BMZ unterstützt Sie nicht nur durch die entwicklungspolitische Arbeit, die das Investitionsklima vor Ort verbessert, sondern wir bieten Ihnen auch unsere regionale und fachliche Expertise und konkrete Förderprogramme an.“ 22 Beratend und praktisch unterstützend möchte das BMZ Kapital gen Entwicklungsländer mobilisieren – insbesondere in Richtung „Chancenkontinent Afrika“. Im Konkreten führen die Deutsche Rohstoffagentur und die BGR schon Projekte im Namen der Entwicklungszusammenarbeit durch. „Maßnahmen der GIZ und der BGR greifen dabei in sämtlichen Stufen – von der Erkundung und Rohstoffgewinnung über den Handel bis zur Weiterverarbeitung und der Wiedergewinnung von Sekundärrohstoffen.“ 23

Auch eine eigene Rohstoffinitiative hat das BMZ in Gang gebracht: »GeRI: Die Globale entwicklungspolitische Rohstoffinitiative. Flexibilität, Sichtbarkeit, Kohärenz der Entwicklungspolitik im Rohstoffsektor.« Heidi Feldt, entwicklungspolitische Beraterin, merkt diesbezüglich kritisch an, dass auch diese Rohstoffinitiative primär von den Interessen der deutschen Wirtschaft ausgehe.24 Ein Blick in die einschlägigen Dokumente macht dies deutlich: „Die Zielsetzung ist eine stärkere Verknüpfung von Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Eine aktive Kooperation mit der Privatwirtschaft im Rohstoffsektor durch Vermittlung (matchmaking) zwischen deutschen und lokalen Unternehmen.“ 25 Die Privilegierung der nationalen Wirtschaftsinteressen ist wenig verwunderlich, ist die GeRI doch „das entwicklungspolitische Instrument zur Begleitung der Rohstoffstrategie der Bundesregierung“. 26 Und Letztere zielt – ebenso wie die europäische Rohstoffinitiative – vorrangig auf die vollständige Öffnung der (vor allem afrikanischen) Wirtschaften des Globalen Südens für ausländisches Kapital ab.

So besehen verwundert es nicht, dass der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, die Neuausrichtung der Entwicklungspolitik aus seiner Sicht positiv bewertet: „Deutschland wird als Wirtschaftsmacht wahrgenommen, man traut uns technologisch und politisch viel zu. Wir sollten diese Erwartungen nicht relativieren, sondern zu erfüllen versuchen. Einige Voraussetzungen sind bereits geschaffen: Unsere Entwicklungszusammenarbeit widmet sich stärker als früher der Umfeldgestaltung für Privatinvestitionen; in mehreren Ländern sind Berater im Rohstoffbereich tätig. Rohstoffsicherheit und Rohstoffgovernance sind bereits oben auf der politischen Agenda.“ 27

Fazit

Bei der Indienstnahme der Entwicklungspolitik für die staatlich geförderte Rohstoffsicherung ist der vorgebliche Zweck, die Armutsbekämpfung, für die sich die Entwicklungspolitik rühmt, bestenfalls das Anhängsel. Hinzu kommt noch, dass von Deutschland und der EU unter dem Banner der Entwicklungspolitik die wirtschaftliche Liberalisierung, insbesondere der afrikanischen Länder, vorangetrieben wird. Dies geschieht, obwohl hinreichende Argumente für die kontraproduktive Wirkung solcher wirtschaftsliberaler Maßnahmen bekannt sind. Zu diesen zählen etwa der Mangel an Schutz vor externen Wirtschaftsschocks, die Volatilität des ausländischen Kapitals, die Verschlechterung der Terms of Trade zuungunsten der Rohstoffexporteure und der in der Regel niedrige Technologietransfer – vor allem im extraktiven Sektor, der sich zu alledem meist auf wenige Exportprodukte beschränkt. Die oben angesprochenen Rohstoffpartnerschaften werden nicht zuletzt dazu führen, die Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom unterprivilegierten Rohstoffextraktivismus zu befördern, und damit die nachteilige Position der weitestgehend kapitalfreien Rohstofflieferanten in der internationalen Arbeitsteilung zu festigen. Die Rohstoffpartnerschaften sind jedoch durchaus eine attraktive Anlagemöglichkeit für deutsches und europäisches Kapital und sichern darüber hinaus den Zugang zu außereuropäischen Rohstoffen.

Anmerkungen

1) Stiftung Wissenschaft und Politik und German Marshall Fund (2013): Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. S.7.

2) Friends of the Earth Europe, Friends of the Earth Austria, GLOBAL 2000, Sustainable Europe Research Institute/SERI (2009): Ohne Maß und Ziel? Über unseren Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde. S.27.

3) CDU, CSU, SPD (2013): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. S.17.

4) Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie/BMWI (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen. S.7.

5) Die Bundesregierung (2007): Elemente einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung. S.6.

6) BMWI, op.cit., S.11.

7) Die Bundesregierung, op.cit., S.2.

8) Europäische Kommission (2011): Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. KOM(2011) 25 endgültig, 2.2.2011, S.6.

9) Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (2010): Für eine strategische und ganzheitliche Rohstoffpolitik. BDI-Strategiepapier zur Rohstoffsicherheit, S.3.

10) Europäische Kommission (2010): Die Rohstoffinitiative ¯ Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Corrigendum. KOM(2008) 699 endgültig/2, 6.5.2010, S.5.

11) BMWI, op.cit., S.9.

12) Europäische Kommission (2010), S.5.

13) Mark Curtis (2010): Die neue Jagd nach Ressourcen: Wie die EU-Handels- und Rohstoffpolitik Entwicklung bedroht. Herausgegeben von Oxfam Deutschland e.V., WEED e.V., Traidcraft Exchange, AITEC und Comhlámh, November 2010, S.6.

14) Christian Zeller (2007): Direktinvestitionen und ungleiche Entwicklung. In: Joachim Becker u.a. (Hrsg.): Kapitalistische Entwicklung in Nord und Süd. Handel, Geld, Arbeit, Staat. Wien: Mandelbaum Verlag, S.126.

15) Mark Curtis, op.cit., S.12.

16) Ulrich Grillo (2007): Die Ewartungen [sic] der Industrie an eine strategische Rohstoffpolitik. In: Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.: Rohstoffsicherheit – Anforderungen an Industrie und Politik. 2. BDI-Rohstoffkongress am 20. März 2007 in Berlin. Ergebnisbericht der BDI-Präsidialgruppe »Internationale Rohstofffragen«. BDI-Drucksache Nr. 395. Berlin: Industrie Förderung GmbH, S.28.

17) Günter Nooke (2013): Welche Rohstoffpolitik wollen wir? Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. In: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. Nachhaltigkeit und Transparenz in der globalisierten Welt. Sankt Augustin/Berlin: Konrad Adenauer Stiftung e.V., S.14.

18) BMWI, op.cit., S.7.

19) Heidi Feldt (2012): Die deutsche Rohstoffstrategie. Eine Bestandsaufnahme. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, S.4.

20) Ulrich Grillo, op.cit., S.30.

21) Lutz Hartmann (2013): Rohstoffinvestitionen und Rohstoffsicherung. In: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. Nachhaltigkeit und Transparenz in der globalisierten Welt. Sankt Augustin/Berlin: KonradAdenauerStiftung e.V., S.35.

22) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2013): Mitmachen! Unser Angebot für die Wirtschaft.

23) Sebastian Paust (2013): Deutsche Rohstoffpartnerschaften für Afrika. In: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. Nachhaltigkeit und Transparenz in der globalisierten Welt. Sankt Augustin/Berlin: KonradAdenauerStiftung e.V., S.39.

24) Heidi Feldt, op.cit., S.9.

25) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2013): GeRI: Die Globale entwicklungspolitische Rohstoffinitiative. Flexibilität, Sichtbarkeit, Kohärenz der Entwicklungspolitik im Rohstoffsektor.

26) Ebd.

27) Günter Nooke, op.cit., S.12.

Lukas Renz studiert Internationale Entwicklung in Wien. Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine stark gekürzte Fassung der Studie »Rohstoffimperialismus: Deutsche und europäische Entwicklungspolitik im Dienste von Wirtschaft und Machtpolitik«, die bei der Informationsstelle Militarisierung erschienen ist und dort abgerufen werden kann (imi-online.de).

Schürt Uranbergbau Konflikte in Afrika?

Schürt Uranbergbau Konflikte in Afrika?

von Janina Laurent und Kerstin Rother

Systematische Studien über den Zusammenhang von Konflikten und Rohstoffen belegen, dass rohstoffreiche Staaten unter spezifischen Voraussetzungen ein signifikant höheres Konfliktrisiko aufweisen (vgl. u.a. Ross 2004; Le Billon 2001). Die Staaten des subsaharischen Afrika werden aufgrund des Ressourcenreichtums sowie häufiger innerstaatlicher Konflikte oft in diesem Kontext genannt. Der Fokus liegt meist auf strategisch bedeutsamen Rohstoffen wie Diamanten und Erdöl. Eine Forschungslücke besteht bei der möglichen Beeinflussung von Konflikten durch Uranvorkommen.

Uran ist ein Rohstoff mit hoher strategischer Relevanz. Uranerz wurde insbesondere während des Kalten Krieges zur Herstellung nuklearer Waffen in großem Umfang abgebaut und aufbereitet. Heute dient aufbereitetes Uran vorwiegend der kommerziellen Energiegewinnung. Derzeit sind weltweit 436 Reaktoren in Betrieb, und 67 weitere Reaktoren befinden sich im Bau (vgl. IAEA 2013).

Inwiefern ist aber ein Zusammenhang zwischen Uranbergbau und Konflikten in Afrika festzustellen? Langfristige Umweltschäden sowie eine ungerechte Verteilung der Profite aus dem Uranexport – letzteres ein möglicher Hinweis auf die Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen – können Konflikte auslösen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Mechanismen zu identifizieren, die diese Konflikte beeinflussen. In einem weiteren Schritt können dann Maßnahmen und Instrumente zur Konfliktprävention erarbeitet werden.

Ein Projekt des Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) der Universität Hamburg und des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) im Jahr 2012 untersuchte den Zusammenhang von Konflikten und Uranbergbau im Zeitraum 1946-2010. Eine raum-zeitliche Analyse von Uranbergbau, Ethnizität und bewaffneten Konflikten im subsaharischen Afrika ergab, dass in vier Ländern (Südafrika, Demokratische Republik Kongo, Namibia und Niger) die genannten Faktoren sowohl zeitlich als auch räumlich relevant sind (hierzu auch Basedau/Koos 2012).

Uranbergbau in der Republik Namibia

In Namibia wird Uranerz seit den 1950er Jahren in der Erongo-Region abgebaut, zunächst unter südafrikanischer Führung, nach der Unabhängigkeit im Jahre 1990 mit Einverständnis der namibischen Machthaber. Spezifische Gesetze, die auf die besonderen Gefahren des Uranbergbaus eingehen, wurden erst 20 Jahre später eingeführt. Mit der »Rössing Mine« der Rio Tinto Zinc Corporation befindet sich in Namibia der größte Urantagebau der Welt, wobei die Republik mit etwa 3.258 Tonnen Uranoxid im Jahr 2012 an fünfter Stelle der uranexportierenden Staaten steht und das Exportpotential weiter ausbaut. Durch die neun produzierenden Uranerzminen gehören die Bergbauunternehmen zu den größten Arbeitgebern im Westen Namibias und stellen somit die Lebensgrundlage für viele Menschen dar. Die Probleme, die Uranbergbau mit sich bringt, werden in Namibia bis dato wenig diskutiert. Dabei entstehen durch den Uranbergbau sowohl Umweltprobleme als auch Spannungen in der Bevölkerung. Ethnische Minderheiten, die in der Umgebung der Minen leben, werden bei der Entscheidungsfindung der Regierung übergangen, was ein Konfliktpotential zur Folge hat.

Namibia wird seit Jahrhunderten von Volksgruppen bewohnt, die bereits vor Ankunft der weißen Siedler Konflikte um Land, Wasser und Vieh austrugen. Diese Konflikte wurden durch die Kolonialmächte und die südafrikanische Verwaltung im 19. und 20. Jahrhundert verstärkt. Ein Zusammenhang zwischen Ethnizität und Konflikten war also schon damals erkennbar. Auch die Unterdrückung bestimmter Volksgruppen durch andere – in Namibia sind unter anderem San, Himba und Topnaar-Nama betroffen – existierte schon vor dem Uranbergbau (vgl. Dierks 2003).

Die bisherigen gewaltsam ausgetragenen Konflikte in Namibia hängen jedoch nicht mit dem Uranbergbau zusammen. Auch der Kampf um die Unabhängigkeit Namibias zwischen 1960 und 1989 wurde weder durch Uranbergbau finanziert noch wegen diesem geführt. Diese Erkenntnis bedeutet aber keineswegs, dass es keine Konflikte um den Uranbergbau in Namibia gibt, sondern lediglich, dass diese unter der Gewaltschwelle liegen. Ein solcher Konflikt liegt zwischen den Topnaar-Nama, der Regierung und den Bergbaugesellschaften in der Erongo-Region vor. Die Topnaar-Nama beanspruchen das Gebiet um den Kuiseb-Fluss, welches sie schon seit Jahrhunderten besiedeln. Die Regierung erkennt weder den Anspruch auf das Land noch die Führer der Topnaar-Nama an. Die Entwicklungs- und Verteilungsungleichgewichte zu Lasten der Topnaar-Nama werden durch den Uranbergbau verschärft, was den bestehenden Konflikt zwischen den Topnaar-Nama und der Regierung verstärken könnte (vgl. Suchanek).

Der Reichtum, der durch Uranbergbau generiert wird, aber weder transparent verteilt wird noch in der Region verbleibt, trägt dazu bei, dass die Regierung sich vom Volk isoliert und die Korruption in Namibia steigt. Dabei spielt eine Rolle, dass Namibia zwar reich an Bodenschätzen ist, jedoch keine ausdifferenzierte Wirtschaft mit ausgeprägtem Binnenhandel besitzt. Die Tendenz wird durch die unzureichende Gesetzgebung bezüglich des Uranbergbaus und den Mangel an Transparenz bei der Entscheidungsfindung sowie die undurchsichtige Vergabe von Bergbaulizenzen durch die zuständigen Behörden verstärkt. Auch die Nichtbeachtung der namibischen Naturschutzgesetze lassen eine Fehlentwicklung erkennen.

Der Uranbergbau generiert in Namibia einerseits Arbeitsplätze und Steuereinahmen. Andererseits haben die Uranerzminen langfristige negative Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung sowie die Entwicklung einer gefestigten Demokratie. Die Folgen für die Umwelt sind kaum abschätzbar, und ein Beweis des Zusammenhangs zwischen Radioaktivität und Krankheiten, die oft erst nach Jahren auftreten, ist schwer zu erbringen. Zudem entzieht der Uranbergbau den Ökosystemen und der ansässigen Bevölkerung das ohnehin schon knappe Wasser. Die betroffenen Arbeiter und Anwohner, Farmer und Topnaar-Nama, finden kein Gehör bei den Bergbaukonzernen und der namibischen Regierung. Da bei der Bevölkerung und vielen namibischen Nichtregierungsorganisationen große Wissenslücken bestehen, was durch eine unzureichende Informationspolitik seitens der Bergbaukonzerne und der namibischen Regierung verschlimmert wird, besteht vor Ort kaum die Möglichkeit, gegen die Fehlentwicklungen vorzugehen.

Die negativen Folgen des Uranbergbaus treffen in Namibia auf Entwicklungs- und Verteilungsungleichgewichte sowie auf die Diskriminierung bestimmter Volksgruppen und eine noch unzureichend gefestigte Demokratie. Dieses Zusammentreffen kann das allgemeine Konfliktrisiko erhöhen sowie vorhandene Konflikte verschärfen.

Uranbergbau in der Demokratischen Republik Kongo

Die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) zählt zu den ärmsten und politisch instabilsten Regionen der Welt. In den Medien wird das Land meist in Verbindung mit Gewaltkonflikten, Menschenrechtsverletzungen und der Ausbeutung von Bodenschätzen genannt. Insbesondere der in der Region des »Kupfergürtels« – eine der größten Lagerstätten wertvoller Bodenschätze – gelegene Osten wird von Rebellen und anderen nicht-staatlichen Akteuren umkämpft. Kinshasa, die Hauptstadt der DR Kongo, befindet sich rund 1.500 Kilometer vom Kupfergürtel entfernt im Westen des Staates und ist über den Landweg nahezu unerreichbar. Staatliche Kontrollen sind dadurch nicht ausreichend gewährleistet, und kurzfristige Einsätze bei einer Konflikteskalation werden erschwert. Umfangreiche Uranerzvorkommen befinden sich hauptsächlich in der Region Katanga, darunter die wohl bekannteste Uranerz-Lagerstätte überhaupt: Die »Shinkolobwe-Kasolo Mine« lieferte das Uran, das zum Bau der ersten Atombomben der USA verwendet wurde.

Uran – das Gold der belgischen Kolonie

Uranbergbau hat in der DR Kongo eine lange Tradition. Die rohstoffreiche Region Katanga im Südosten des Landes zog im frühen 20. Jahrhundert zahlreiche Bergbauunternehmen an. 1906 wurde unter belgischer Kolonialherrschaft die Bergbaugesellschaft »Union Minière du Haut Katanga« (UMHK) gegründet. Besonders profitabel waren die Uranerz-Lagerstätten in Katanga, die seit den 1920er Jahren ausgebeuetet wurden. In der »Shinkolobwe-Kasolo Mine« förderten die Belgier bis 1957 jährlich bis zu 2.500 Tonnen uranhaltigen Gesteins und blieben von 1925 bis 1961 der weltweit wichtigste Lieferant von Uranerz. Der kontinuierliche Eintrag von radioaktiven Substanzen führte in der Umgebung zu einer erheblichen Strahlenbelastung. In der Regel war davon ein Areal von mehreren Kilometern Durchmesser betroffen, bei der »Shinkolobwe-Kasolo Mine« sogar ein Gebiet von rund 300 Hektar. Gefahr ging insbesondere von radioaktivem Staub aus, sowie von Abwässern, die das Grundwasser verseuchten. Unzufriedenheit in der Gesellschaft verbreitete sich durch die fehlende Möglichkeit, die Lebensbedingungen zu verbessern.

Ab 1950 setzte sich das Luba-Volk verstärkt für mehr Machtteilhabe in dem südöstlich gelegenen Distrikt Haut-Katanga ein. Die »Shinkolobwe-Kasolo Mine« befand sich innerhalb des Siedlungsgebietes der Luba. Politische Teilhabebestrebungen seitens dieser Ethnie, aber auch anderer, neu gebildeter »Stammesparteien«, führten dazu, dass die politische Situation in Katanga insbesondere ab 1959 als konfliktreich galt. Das Ziel, die ressourcenreiche Provinz als eigenständigen Staat zu deklarieren und die Kontrolle über die Rohstoffe zu erlangen, spielte dabei eine zentrale Rolle. Zu den neuen Interessenparteien gehörte auch die Partei CONAKAT (Conféderation des Associations du Katanga) des Kongolesen Moïse Kapenda Tschombé. Tschombé, ein hohes Mitglied der Luba-Ethnie, kooperierte mit dem belgischen Unternehmen UMHK, das wiederum im Auftrag Belgiens agierte. Als Kongo 1960 seine Unabhängigkeit bekannt gab, wurden die Sezessionsbestrebungen seitens der CONAKAT konkret. Die Situation eskalierte 1960, als Tschombé Katanga zum unabhängigen Staat erklärte und sich damit gegen die Zentralregierung stellte. Der Staat verlor dadurch wichtige Einnahmen aus dem Minengeschäft (vgl. Kacza 1990). Belgische Armeetruppen kämpften gegen das kongolesische Militär um die Region. Durch den bewaffneten Konflikt kam zum Ende des Jahres 1961 der offiziell geführte Uranbergbau in der DR Kongo zum Erliegen, der Sezessionskrieg fand 1963 ein Ende. Die Provinz Katanga gehörte nun erneut zum administrativen Bereich der kongolesischen Zentralregierung.

Von Konflikten geprägt, entstanden in der Region jedoch weiterhin Aufstände und Volksgruppenkämpfe. Die Akteure hatten überwiegend ein Interesse: Sie wollten die Kontrolle über Provinzen und die damit einhergehende Macht über die Bodenschätze erlangen. Ein offizieller Uranbergbau wurde im Kongo nicht wieder aufgenommen, jedoch etablierte sich ein informeller Rohstoffabbau durch Individualschürfer (artisanal mining). Er steht der industriellen Gewinnung mineralischer Bodenschätze gegenüber, die durch den Einsatz moderner Maschinen und strukturierter Arbeitsprozesse sowohl ökonomisch als auch ökologisch überlegen ist. Der informelle Rohstoffabbau im Osten der DR Kongo gilt aktuell als politisches, wirtschaftliches sowie soziales Problem.1

Welches Fazit kann aus den Fallbeispielen gezogen werden?

In vielen Ländern Afrikas südlich der Sahara ist die Gesetzgebung bezüglich der Gewinnung von Bodenschätzen lückenhaft und undifferenziert. Zum Umgang mit radioaktiven Materialien gibt es anders als in Europa, wo der Umgang mit Uran vom Bergbau bis zur Entsorgung reguliert ist, keine standardisierten Regelungsverfahren. Für ausländische Investoren ist die Möglichkeit des freien Zugangs zu Schürf- und Exportoptionen in Afrika interessant, da Steuerausgaben, Investitionskapital und Umweltauflagen meist gering ausfallen (vgl. Fatal Transactions 2008). Von dieser Politik sind in erster Linie die ansässige Bevölkerung und die Minenarbeiter betroffen, die aufgrund der geringen Distanz zwischen Siedlungsgebiet und Uranerzmine mit einer möglichen Landenteignung und mit den negativen Einflüssen auf Gesundheit und Umwelt konfrontiert sind. Zudem ist die Subsistenzwirtschaft nach radioaktiven Umwelteinträgen und aufgrund des Mangels an Wasser, das in großen Mengen für den Bergbau abgezweigt wird, nur noch begrenzt möglich und mit gesundheitlichen Gefahren verbunden.

Die Einzelfallstudie über den Uranbergbau in Namibia zeigt, dass Uranerz ein Konfliktpotential birgt, welches besonders zum Tragen kommt, wenn Uranbergbau auf unterdrückte Minderheiten und eine ungleiche Ressourcenverteilung trifft. In Namibia wäre beispielsweise eine striktere Gesetzeslage bezüglich des Uranbergbaus und deren Einhaltung durch die Behörden sowie die Partizipation der betroffenen Volksgruppen ein möglicher Ansatz, um das Konfliktpotential zu mindern.

Eine eindeutige Aussage darüber, dass Uranbergbau zu innerstaatlichen Konflikten in der DR Kongo führt, ist wissenschaftlich nicht ausreichend belegbar. Die Konflikte sind vielschichtig, insbesondere ist die Verbindung zum Rohstoff Uran schwer herzustellen. Dennoch zeigen die historischen Ereignisse in der DR Kongo, dass der Sezessionskonflikt (1960-1963) auf das Interesse an den Rohstoffen der Region zurückzuführen ist. Regionen im rohstoffreichen Osten werden heute von bewaffneten Gruppen regiert. Die Folge sind die illegale Ausbeutung der Minen unter unzureichenden Arbeitsbedingungen sowie Schmuggel und Korruption. Offizielle Beweise für den informellen Abbau von Uran liegen nicht vor, internationale Nichtregierungsorganisationen bestätigen aber, dass Uran in Katanga illegal geschürft wird (vgl. u.a. ÖNZ 2011). Eine Revitalisierung des Uranbergbaus in der DR Kongo könnte demnach mit Risiken verbunden sein, die nur schwer abschätzbar sind. Deshalb ist es notwendig, weitere Forschungen in diesem Gebiet anzustellen, um mögliche Verbesserungsvorschläge im Umgang mit dem Uranabbau in Afrika zu entwickeln.

Literatur

Basedau, Matthias; Koos, Carlo (2012): Does Uranium Mining Increase Civil Conflict Risk? Evidence from a Spatiotemporal Analysis of Africa from 1945 to 2010. Hamburg: German Institute of Global and Area Studies, GIGA Working Papers 205/2012.

Dierks, Klaus (2003): Chronologie der Namibischen Geschichte. Von der vorgeschichtlichen Zeit zum unabhängigen Namibia 2000. 2. Auflage, Windhoek.

Fatal Transactions (2008): Mining Regulation in Africa.

International Atomic Energy Agency (2013): Power Reactor Information System. Nuclear Power Reactors in Operation.

Kacza, Thomas (1990): Die Kongo-Krise 1960-1965. Pfaffenweiler: Centaurus-Vertragsgesellschaft.

Koning, Ruben (2011): Conflict Minerals in the Democratic Republic of the Congo Aligning Trade and Security Interventions. In: SIPRI Policy Paper 27/2011.

Le Billon, Philippe (2001): The political ecology of war: Natural resources and armed conflicts. International Political Geography 20, S.561-584.

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Ross, Michael L. (2004): What do we know about natural resources and civil war? Journal of peace research vol. 41(3), S.337–356.

Suchanek, Norbert (2010): Namibia. Ureinwohner kämpfen gegen Uran-Bergbau. naturvoelker.org.

Anmerkung

1) Der Fokus liegt insbesondere auf dem Abbau der Rohstoffe Kassiterit (tin ore), Koltan (colombite–tantalite) und Wolframit (tungsten ore) (vgl. Koning 2011).

Janina Marie Laurent studierte an der Universität Hamburg Geographie (B.Sc.) und absolviert gegenwärtig ihren »Master of Peace and Security Studies« am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg. Kerstin Rother studierte an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg Politikwissenschaften (M.A.) und erwarb am IFSH den »Master of Peace and Security Studies (M.P.S.). Gegenwärtig arbeitet sie als freie Journalistin in Hamburg.

DESERTEC

DESERTEC

Zwischen Heilsanspruch und neokolonialen Befürchtungen

von Boris Schinke, Jens Klawitter und Christof Kögler

Dieser Artikel lotet Chancen und Risiken solarthermischer Großkraftwerke im Mittleren Osten und Nordafrika aus, wie sie u.a. im Rahmen des DESERTEC-Konzepts vorgesehen sind. Er stellt zudem die Idee eines Nachhaltigkeitsrahmenwerks für die interkontinentale Nutzung des nordafrikanischen erneuerbaren Energienpotenzials vor, durch das sich DESERTEC zu weit mehr als einem reinen Energieinfrastrukturkonzept entwickeln und seinem entwicklungspolitischen Nachhaltigkeitsanspruch und damit auch seiner möglichen konfliktpräventiven Wirkung gerecht werden könnte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben die Herausforderungen im Nahen- und Mittleren Osten (Middle East, ME) und Nordafrika (NA) ein kritisches Ausmaß erreicht. Steigende Preise endlicher Energieträger, fehlender Zugang zu und Verteilungskonflikte um Wasser und Nahrung, wachsende Bevölkerungs- und Arbeitslosenzahlen sowie die Auswirkungen des Klimawandels sind allesamt Zeichen dafür, dass ein Festhalten am Status quo und an nicht-nachhaltigen Entwicklungspfaden in der südlichen Mittelmeerregion keine zukunftsfähige Strategie darstellt.

Zusätzlich zeigen die Unruhen im Zuge des »Arabischen Frühlings«, in denen sich die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit den lange vorherrschenden autokratischen Machtverhältnissen, der ökonomischen Perspektivlosigkeit und fehlenden Mitspracherechten bei politischen Entscheidungen artikulierten, die Defizite eines auf Eliten ausgerichteten Entwicklungsmodells auf.

Angesichts der sich in der MENA-Region konzentrierenden Krisenphänomene und der politischen Umbrüche stehen zahlreiche Länder der arabischen Welt gegenwärtig vor einem historischen Scheideweg. Um in der MENA-Region eine vom Verbrauch fossiler Ressourcen entkoppelte Energieversorgung zu erreichen, der drohenden Wasser- und Ernährungskrise entgegen zu steuern sowie die Region vor den Folgen eines gefährlichen Klimawandels zu bewahren und gleichzeitig sozio-ökonomische Entwicklungsperspektiven aufzubauen, bedarf es eines tiefgreifenden Paradigmenwechsels. Es gilt, mit existierenden Pfadabhängigkeiten in technologischen und sozio-politischen Bereichen zu brechen und neue Lösungsansätze zu entwickeln, die den interdependenten Krisenphänomenen und den Forderungen des »Arabischen Frühlings« gerecht werden. Der Erzeugung von und dem Zugang zu nachhaltiger Energie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Das DESERTEC-Konzept

Einen wichtigen Ansatz, durch den ein neuer Ordnungsrahmen zur Modernisierung der südlichen Mittelmeeranrainer und deren Befreiung von nicht-nachhaltigen Pfadabhängigkeiten erreicht werden könnte, stellt DESERTEC dar.

Das Konzept sieht vor, im Rahmen einer EUMENA-Energiepartnerschaft (Europa und MENA-Region) verschiedene Formen erneuerbarer Energieerzeugung zu vernetzten und dadurch beide Regionen dabei zu unterstützen, ihr fossiles Energiesystem strukturell umzubauen und in ein kohlenstoffarmes System zu überführen. Dabei soll das große Einzugsgebiet dazu dienen, lokale Schwankungen aufzufangen und eine stabile Stromversorgung bei minimaler Nutzung fossiler Energieträger zu garantieren. Da ein erheblicher Anteil des erzeugten Stroms mittels einer Vielzahl solarthermischer Großkraftwerke in Nordafrika gewonnen werden soll, konzentriert sich die nachfolgende Analyse auf diese Form der Energieerzeugung.

Die bevorzugten Standorte für solarthermische Kraftwerke befinden sich aufgrund der hohen Sonnenintensität in den Wüsten der MENA-Region. Von dort aus soll ein Teil des Stroms verlustarm über noch zu errichtende Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) u.a. in die Verbraucherzentren Europas exportiert werden, um ab dem Jahr 2050 einen signifikanten Anteil1 des europäischen Strombedarfs mit Solarstromimporten decken zu können.

Auch wenn es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zahlreiche Hürden für eine zeitnahe Realisierung des DESERTEC-Konzepts zu nehmen gilt, so stellt sich das Vorhaben nicht mehr als reine Utopie dar. Im Zusammenhang mit verschiedenen transnationalen Initiativen, z.B. der Dii,2 der Medgrid3 oder des »MENA-CSP Scale-up Investment«-Plans der Weltbank,4 wie auch mit ambitionierten nationalen Plänen zur Förderung erneuerbarer Energien, bspw. in Marokko, knüpft DESERTEC unmittelbar an das im Rahmen des Mittelmeer-Solarplans verfolgte Ziel an, die Partnerschaft der afrikanischen Mittelmeeranrainer mit der EU durch die gemeinsame Nutzung des nordafrikanischen erneuerbaren Energienpotenzials auszubauen.

Chancen und Risiken

Obgleich die Realisierung des DESERTEC-Konzepts mit großen Chancen verbunden ist, ist es derzeit noch zu früh, um zu beurteilen, ob das ambitionierte Zukunftsprojekt so umgesetzt werden kann, dass es seinem visionären Anspruch gerecht wird. Eine erste Annäherung und Bewertung des DESERTEC-Konzepts sollte daher – nicht trotz, sondern gerade wegen all der damit verbundenen euphorischen Assoziationen und entwicklungspolitischen Bedenken – vorsichtig geschehen. Zwar ist das Konzept nach technischen Maßstäben umsetzbar – die Technologien, die eingesetzt werden sollen, sind erprobt und weltweit bereits erfolgreich im Einsatz –, jedoch gibt es erhebliche Unsicherheiten. Diese betreffen vor allem die immer wieder diskutierten Chancen und Risiken von DESERTEC.

Mit Fokus auf solarthermische Großkraftwerke könnte DESERTEC grundsätzlich

durch die Nutzung erneuerbarer Energien erheblich zum Klimaschutz beitragen,

im Zuge neuer grundlastfähiger Energieinfrastrukturen einen Beitrag zur Energiesicherheit in der MENA-Region, in Europa wie in anderen Regionen der Welt5 leisten,

durch die Kombination mit Entsalzungsanlagen der drohenden Wasser- bzw. Nahrungskrise in der MENA-Region entgegenwirken und

ein Motor für den Aufbau neuer Industrien und damit einhergehend für den Transfer technischen Know-hows und die Entstehung von Arbeitsplätzen in den beteiligten arabischen Staaten sein.

Das DESERTEC-Konzept bietet somit für den EUMENA-Raum Möglichkeiten, Antworten auf Fragestellungen von Klima-, Energie-, Wasser- und Ernährungssicherheit sowie sozio-ökomische Entwicklungsperspektiven im Kontext solarthermischer Großkraftwerke in Nordafrika zu geben (siehe auch Abbildung). Hinzu kommt, dass durch den regionenübergreifenden Energieverbund, der die jeweiligen Bedürfnissen und Stärken berücksichtigt, ein wichtiger Beitrag zur Vertrauensbildung und Friedenssicherung in beiden beteiligten Regionen geleistet werden könnte.

Optimal-Szenario des DESERTEC-Konzepts aus entwicklungspolitischer Sicht
(aus Schinke und Klawitter, 2010)

Optimal-Szenario des DESERTEC-Konzepts aus entwicklungspolitischer Sicht

Große (Energie-) Infrastrukturprojekte waren in der Vergangenheit gerade in Entwicklungsländern immer wieder Auslöser für Probleme, bis hin zu gewalttätigen Konflikten, wobei der versprochene Nutzen für die lokale Bevölkerung oftmals in keinem Verhältnis zu den entstandenen Schäden stand (Lustgarten 2009). Auch um solarthermische Großanlagen wurden schon Konflikte zwischen Betreibern und Anwohnern ausgetragen, z.B. im Fall des spanischen Kraftwerks Andasol, wo enteignete Bauern mit der Entschädigung äußerst unzufrieden waren. Unter dem Motto „Das Land gehört unseren Vorfahren“ und mit Verweis auf Wassernutzungsrechte führten Protestaktionen, der öffentliche Druck und die Kompromissbereitschaft auf Seiten der Betreiber schlussendlich zu einer einvernehmlichen Lösung, bei der die Bauern mit alternativen Landflächen bzw. Kompensationszahlungen entschädigt wurden (Perez 2008).

Vor diesem Hintergrund sind immer wieder kritische Stimmen zu vernehmen, die das DESERTEC-Konzept als eine imperialistische und neokoloniale Erscheinung interpretieren, mit einem gewissen Potenzial, Spannungen eher zu verstärken als abzubauen. Aus Sicht der Autoren besitzt DESERTEC durchaus das Potenzial, die Problemkaskaden, die sich in der MENA-Region ergeben, zu verstärken, wenn der Fokus zu einseitig auf die technische und ökonomische Machbarkeit gelegt wird und lokale Menschenrechte und Bedürfnisse missachtet werden.

Risiken, die im Kontext von DESERTEC entstehen könnten, sind z.B.

Konflikte aufgrund der Standortwahl und fehlender Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung,

Umsiedlungen der lokalen Bevölkerung ohne gerechte Entschädigung,

keine adäquate Beteiligung der lokalen Bevölkerung an erwirtschafteten Gewinnen (benefit sharing) durch ungenügende Einbeziehung und Unterstützung lokaler Kapazitäten (local content) im Rahmen eines einseitigen Technologietransfers,

Nichtbeachtung lokaler Begebenheiten, z.B. Landnutzungs- und Wasserrechte, und nativer Lebenszusammenhänge bei Planung, Bau und Betrieb,

exzessiver Stromexport nach Europa bei gleichzeitigem Mangel an Elektrifizierung in der MENA-Region.

Da solarthermische Kraftwerke einen hohen Flächenbedarf 6 und, besonders bei Wasserkühlung, einen hohen Wasserbedarf 7 haben, sind negative Auswirkungen dieser Kraftwerke im lokalen Kontext zumindest denkbar. Werden solarthermische Kraftwerke nicht in Kombination mit Entsalzungsanlagen geplant und gebaut, könnten diese also nicht zur Wassersicherheit, sondern im Gegenteil lokal zu einer Verschärfung der Wasserproblematik beitragen und ebenso regionale Spannungen wie Verstimmungen zwischen der MENA-Region und Europa erzeugen.

Die Beachtung der lokalen Gegebenheiten bei der Umsetzung konkreter Projekte ist also entscheidend dafür, ob das DESERTEC-Konzept bezüglich der Konkurrenz um Wasser- und Landnutzung, der Einbindung lokaler Wertschöpfungsketten sowie des Stromexports nach Europa die versprochenen Nachhaltigkeitskriterien einhält. Die Chancen und Risiken von DESERTEC sind daher eng mit der konkreten Umsetzung der einzelnen Projekte verknüpft.

Die soziale Dimension in der Konfliktprävention

Bisher wurde in der Diskussion über DESERTEC der Fokus vorwiegend auf die technische und ökonomische Machbarkeit des Konzepts gelegt (siehe z.B. Trieb et al. 2012; Dii 2012). Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz, da erneuerbare Energien nicht per se, also allein durch die Bereitstellung klimafreundlichen Stroms, als nachhaltig gelten dürfen. Die Sicherstellung des Nutzens, der sich im Rahmen von DESERTEC für die lokale Bevölkerung im MENA-Raum ergeben soll, und der gerechte Umgang mit Fragen des Eigentums und der Beteiligung sind daher unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung des Konzepts. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in der MENA-Region muss es bei DESERTEC neben Wirtschaftlichkeit, langfristiger Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit daher auch um Verteilungsgerechtigkeit, Sozialverträglichkeit und Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsmöglichkeiten – also um soziale und entwicklungspolitische Dimensionen – im lokalen Kontext gehen.

Den Forderungen des »Arabischen Frühlings« – „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ – und dem neuen sozio-politischen Milieu in der Region müssen auch Investitionen in neue Energie-Infrastrukturprojekte gerecht werden. Welche Entwicklungsperspektiven DESERTEC für die MENA-Region bietet, entscheidet am Ende über seine Akzeptanz in der Bevölkerung diesseits und jenseits des Mittelmeers und damit auch über den Erfolg des Konzepts insgesamt. Bislang jedoch besitzt DESERTEC kaum eine entwicklungspolitische Dimension. Was DESERTEC für die menschliche Entwicklung in Nordafrika zu leisten vermag, bleibt unklar und ist abgesehen von einigen makro-ökonomischen Studien (siehe World Bank 2011) kaum erforscht.

Um so wichtiger ist es zu analysieren, wie solarthermische Großkraftwerke gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung geplant, gebaut und betrieben werden könnten, um die Entwicklungsperspektiven in den Mittelmeerstaaten Afrikas und des Mittleren Ostens zu maximieren bzw. negative Auswirkungen für Menschen und Umwelt zu minimieren. Für eine sichtbare Verbesserung der Lebensqualität für die Menschen vor Ort müssen folgende Faktoren gewährleistet sein: eine gesteigerte lokale Wertschöpfung, die Einbindung der betroffenen Bevölkerung durch klare Beteiligungsmechanismen, die Förderung lokaler Firmen bei Planung, Bau und Betrieb der Kraftwerke, der Transfer von Technologien und Know-how sowie ein gesicherter Zugang zu entsalztem Wasser.

Ein Nachhaltigkeitsrahmenwerk für DESERTEC-Projekte?

Ein viel versprechender Ansatz, die Risiken, die sich aus dem DESERTEC-Konzept ergeben, zu vermindern und die Chancen für die lokale Bevölkerung im MENA-Raum, zu fördern, ist die Formulierung von Nachhaltigkeitsanforderungen an solarthermische Kraftwerke. Dabei können DESERTEC-Projekte auf die Erfahrungen mit der Anwendung von Nachhaltigkeitsanforderungen in ähnlichen Bereichen, z.B. dem Clean Development Mechanism (CDM),8 zurückgreifen.

Eine Basis dafür ist mit Studien zu makro-ökonomischen Fragen sowie dem Entwurf eines ersten Kriterienkatalogs durch die DESERTEC-Stiftung schon gelegt. Die sozio-ökonomischen Bedürfnisse und Stärken der lokalen Anwohner von Solarthermie-Kraftwerken allerdings sind bislang nicht in die Überlegungen zu Nachhaltigkeitsanforderungen an solche Kraftwerke eingeflossen. Solange lokale Akteure – vor allem solche, die gesellschaftlich marginalisiert und unzureichend durch staatliche Institutionen vertreten sind – nicht in die Diskussion einbezogen werden, sind die entwicklungspolitischen Potentiale nicht ausgeschöpft, und es werden Möglichkeiten zur Konfliktprävention im Rahmen von DESERTEC durch eine zu einseitige Betrachtung des Energieerzeugungsaspektes verbaut.

Vor diesem Hintergrund erforscht ein Konsortium aus drei verschiedenen regierungsunabhängigen Institutionen9 momentan in einer empirischen Feldstudie die potenziellen Auswirkungen des DESERTEC-Konzepts auf die Lebensbedingungen, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung der betroffenen lokalen Bevölkerung anhand konkreter, in der Umsetzung begriffener Projekte. Die Untersuchung zielt darauf ab, einen ersten empirisch erarbeiteten Vorschlag geeigneter Leitlinien auszuarbeiten, gepaart mit sozialen Nachhaltigkeitsanforderungen für die Umsetzung von Solarthermie-Projekten in der MENA-Region.

Die Ergebnisse der Studie sollen einen empirisch basierten Diskussionsanstoß für eine faire und inklusive interregionale Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure aus Politik, Industrie, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bevölkerung in Europa und der MENA-Region geben – einer Zusammenarbeit, wie sie aus Sicht der Autoren zukünftig im Rahmen eines Multistakeholder-Dialogs zur Erstellung eines übergeordneten Nachhaltigkeitsrahmens für DESERTEC stattfinden könnte. Dann könnte sich DESERTEC auch zu weit mehr als einem reinen Energieinfrastrukturkonzept entwickeln und seinem entwicklungspolitischen Nachhaltigkeitsanspruch – ökonomisch, ökologisch und sozial – und damit auch seiner möglichen konfliktpräventiven Wirkung gerecht werden.

Literatur

Damerau, K., Williges, K., Patt, A. G. und Gauché, P. (2011): Costs of reducing water use of concentrating solar power to sustainable levels: Scenarios for North Africa. Energy Policy, 39:4391-4398.

DESERTEC Foundation (2009): Clean Power from Deserts. The DESERTEC Concept for Energy, Water and Climate Security. WhiteBook, 4th Edition. Bonn: Desertec Foundation.

Dii GmbH (2012): Desert Power 2050. Perspectives on a Sustainable Power System for EUMENA. München: Dii GmbH.

Lustgarten, A. (2009): Conrad’s Nightmare: The World’s Biggest Dam and Development’s Heart of Darkness. Brüssel: Counter Balance.

Pérez, J. J. (2008): Andasol ofrece tierra a los agricultores de Aldeire como salida al conflicto; online unter ideal.es.

Schinke, B., Klawitter, J. (2010): DESERTEC – Baustein einer neuen Sicherheitsarchitektur innerhalb des MENA-EU-Raums? Bonn: Germanwatch.

Trieb, F., Schillings, C., Pregger, T. und O’Sullivan, M. (2012): Solar electricity imports from the Middle East and North Africa to Europe. Energy Policy, 42:341-353.

The World Bank (2011): Middle East and North Africa Region Assessment of the Local Manufacturing Potential of Concentrated Solar Power (CSP) Projects. Washington, DC: The World Bank.

Anmerkungen

1) Die Angaben darüber, wieviel Strom über Importe aus der MENA-Region nach Europa fließen sollen, unterscheiden sich: Während die DESERTEC-Stiftung ca. 15% des europäischen Strombedarfs nennt (DESERTEC Foundation 2009, S.36), gibt die Dii in ihrer jüngsten Publikation 19% an (Dii 2012, S.54). Dabei ist zu beachten, dass diese Zahl nichts über die Aufteilung des erzeugten Stroms zwischen Europa und der MENA-Region aussagt.

2) Die Dii GmbH (Sitz München, gegründet im Oktober 2009) ist ein internationales Konsortium, das von Unternehmen, Forschungsgesellschaften und Organisationen getragen wird, darunter die DESERTEC Foundation.

3) Medgird (Sitz Paris, gegründet im Juli 2010) ist ein Konsortium von Industriefirmen, die in der Energieerzeugung, -übertragung und –verteilung engagiert sind.

4) CSP steht für Concentrated Solar Power, dt. Solarthermie.

5) Das DESERTEC-Konzept ist grundsätzlich auch auf andere Teile der Welt übertragbar. Dieser Artikel konzentriert sich jedoch ausschließlich auf die MENA-Region.

6) Der Flächenbedarf des spanischen Parabolrinnenkraftwerk Andasol 1 bspw. liegt bei ca. 1,95 km2 bei einer Höchstleistung von 50 MW. Der Flächenverbrauch von solarthermischen Kraftwerken ist abhängig von der verwendeten Technologie und ob ein Wärmespeicher verwendet wird oder nicht.

7) Der geringere Teil des benötigten Wasser wird für die Säuberung der Spiegel verwendet. Der wesentlich größere Teil des Wasserbedarfs ergibt sich aus der Kühlung der Kraftwerke. Hier sind ebenfalls Unterschiede bei der verwendeten Technologie festzustellen. Als Durchschnittswerte geben Damerau et al. (2011, S.4293) 3.000m3/GWh für Parabolrinnenkraftwerke und 2.100m3/GWh für Solarturmkraftwerke bei Benutzung des »wet cooling«-Verfahrens an. Wird das »dry cooling«-Verfahren angewendet, kann der Wasserverbrauch auf ungefähr 300-340m3/GWh reduziert werden.

8) Der Clean Development Mechanism (CEDM, dt. Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) ist einer der Marktmechanismen des Kyoto-Protokolls. Er ermöglicht es Ländern mit Emissionszielen nach dem Kyoto-Protokoll, Emissionsreduktionsprojekte in »Entwicklungsländern« durchzuführen und die Emissionsreduktionsgutschriften aus diesen Projekten für die Erfüllung ihrer Kyoto-Verpflichtungen einzusetzen. Mehr unter dem Stichwort »Clean Development Mechanism« beim Bundesumweltamt bzw. unter dehst.de.

9) Beteiligt an der genannten Studie sind Germanwatch (Bonn), The League of Independent Activists (IndyAct, Libanon) und das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC).

Boris Schinke ist Referent für Klima und Sicherheit bei Germanwatch mit Schwerpunkt erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung in der MENA-Region. Jens Klawitter ist freier Wissenschaftler und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit erneuerbaren Energien und der nachhaltigen Entwicklung der MENA-Region. Christof Kögler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC).

Öl- und Gas vor Zypern

Öl- und Gas vor Zypern

Entsteht ein neuer Krisenherd im östlichen Mittelmeer?

von Hubert Faustmann

Reichhaltige Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer bergen enormes Konfliktpotential. Derzeit zeichnet sich ein Konflikt um die Exploration zwischen der Türkei und der türkisch-zypriotischen Volksgruppe auf der einen Seite und der griechisch-zypriotisch dominierten Republik Zypern auf der anderen ab. Spannungen über diese Ressourcen gibt es ebenfalls zwischen dem Libanon und Israel, in die auch die Republik Zypern hineingezogen werden könnte. Zudem hat Nikosia mit Israel ein bilateralesAbkommen über eine enge Zusammenarbeit bei der Ressourcenausbeute abgeschlossen, und eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern wird zumindest erwogen.. Die Konfliktlage hat unabsehbare Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Zypern, Israel, der Türkei und der arabischen Welt – günstigstenfalls aber auch das Potential, den schwelenden Zypernkonflikt endlich beizulegen und die Kooperation in der Region zu stärken.

Zypern wurde 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Die alte Kolonialmacht garantierte zusammen mit Griechenland und der Türkei die verfassungsmäßige Ordnung und die Unabhängigkeit der Insel. Nach den gewalttätigen innerzypriotischen Auseinandersetzungen von 1963 wurde die Republik Zypern ausschließlich von den griechischen Zyprioten kontrolliert. Durch die türkische Invasion von 1974 wurde die Insel faktisch geteilt: Die Türkische Republik Nordzypern erklärte 1983 ihre Selbstständigkeit, wurde aber bis heute nur von der Türkei anerkannt. Die Republik Zypern gilt international als alleiniger Repräsentant der ganzen Insel und trat 2004 der EU bei. Der Aqcuis Communautaire (die Rechtsgebung der EU) ist für den Norden suspendiert, auch wenn das Gebiet als Teil der Republik Zypern formal Mitglied der Europäischen Union ist.

Zahlreiche Versuche, die Insel auf dem Verhandlungswege wieder zu vereinigen, sind seit 1974 gescheitert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen blieb es in und um Zypern herum friedlich, und zumindest bis zur Aufnahme des EU-Beitrittsverhandlungen mit der Republik Zypern Anfang der 1990er Jahre galt der Zyperndisput als vergessener Konflikt von geringer Intensität. Die Lage auf der Insel galt und gilt als stabil, und der so genannte »Friedhof der Diplomaten« verschliss zahlreiche internationale Vermittler, ohne dass – bei allen Spannungen und Krisen – vom Zypernkonflikt eine ernstliche Bedrohung für Frieden und Stabilität in der Region ausging. Damit könnte es bald vorbei sein.

Viel Streit um viel: die Positionen der beteiligten Parteien

Bereits 2009 wurden vor der Küste Israels größere Erdgasvorkommen entdeckt. Nach Schätzungen des amerikanischen Geological Survey befinden sich im östlichen Mittelmeer etwa 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel Öl (Lakes 2011/12). Wenn sich diese Zahlen bewahrheiten sollten, stellen diese Vorräte eine ernsthafte Alternative zur Energieabhängigkeit Europas von Russland dar. Derzeit wird die Bonanza zwischen den Anrainerstaaten aufgeteilt, und das führt naturgemäß zu Spannungen, die durch das ungelöste Zypernproblem verstärkt werden. Die Vorkommen werden zweifelsohne zu Veränderungen der regionalen geostrategischen Situation und Machtverteilung führen, die – zusammen mit den Ergebnissen des arabischen Frühlings und dem schwelenden Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten, dem Iran sowie der Türkei – die Region in ein Pulverfass verwandeln könnten.

Spätestens seit 2003 gibt es einen offenen Disput zwischen Ankara, den türkischen Zyprioten und der griechisch-zypriotischen Regierung über das Recht der Republik Zypern, Abkommen über die jeweilige exklusive Wirtschaftszone mit anderen Anrainerstaaten des Mittelmeeres abzuschließen. Derartige Vereinbarungen sind Voraussetzung für die konfliktfreie Ausbeutung der vermuteten Vorkommen in der Region. Die türkische Seite steht auf dem Standpunkt, dass die Regierung der Republik Zypern illegitim sei, da sie seit 1963 allein aus griechischen Zyprioten bestünde und die türkischen Zyprioten mit Gewalt um ihre verfassungsmäßigen Rechte gebracht worden seien. Daher verfüge sie über keinerlei Berechtigung, derartige Abkommen ohne Zustimmung und Beteiligung der türkischen Zyprioten abzuschließen. Als eine der drei Garantiemächte der Republik Zypern nimmt die Türkei für sich in Anspruch, die Rechte der türkischen Zyprioten zu repräsentieren. Die türkische Seite verlangt zudem ein Ende aller Explorationsaktivitäten, solange die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel andauern (Akyel 2012).

Als die Republik Zypern Abkommen über ihre exklusive Wirtschaftszone mit Ägypten (2003), dem Libanon (2007) und Israel (2010) abschloss und 2007 eine Bohrlizenz an die amerikanische Firma Noble Energy vergab, begann die Situation zu eskalieren. Neben den oben genannten Argumenten bestehen die türkischen Zyprioten darauf, dass auch sie Rechte an allen Bodenschätzen Zyperns besitzen und es ohne ihre Zustimmung und Beteiligung an den Entscheidungsprozessen sowie einer Beteiligung an den Einnahmen keine Ausbeutung der Ressourcen geben dürfe (Kaymak 2012). Die griechischen Zyprioten ignorierten diese Position, machten aber nach einigem internationalen Druck immerhin das vage Zugeständnis, dass die türkischen Zyprioten auch ohne eine formelle Lösung an den Gewinnen beteiligt würden – allerdings ohne ein eigenes Mitspracherecht.

Die Türkei fügte dem Streit noch eine weitere Dimension hinzu, indem sie eigene Ansprüche formulierte. Nach der 1982 verabschiedeten Seerechtskonvention der Vereinten Nationen hat jeder Küstenstaat das Recht, außerhalb der eigenen Territorialgewässer (zwölf Seemeilen) bis zu 200 Seemeilen als exklusive Wirtschaftszone zu deklarieren und dort etwaige Rohstoffvorkommen auszubeuten. Als international allein anerkannte Regierung ganz Zyperns stehen die griechischen Zyprioten daher in diesem Konflikt auf einer abgesicherten völkerrechtlichen Position. Die Türkei ist als einer von wenigen Staaten dieser Konvention jedoch nicht beigetreten und beharrt daher darauf, dass im östlichen Mittelmeer sämtliche Wirtschaftszonen zwischen allen Anrainerstaaten auf dem Verhandlungswege festgelegt werden müssten. Die Rechtmäßigkeit der drei Abkommen Zyperns mit Ägypten, dem Libanon und Israel wird von Ankara daher prinzipiell bestritten. Insbesondere im Gebiet westlich der Insel, auf das sich das Abkommen der Republik Zypern mit Ägypten bezieht, überlappen sich aus türkischer Sicht fünf Blöcke, die von der Republik Zypern beansprucht werden, mit türkischen Rechten (Akyel&Sezer 2012). Türkischer Druck führte denn auch dazu, dass das Abkommen der Republik Zypern mit dem Libanon bislang vom libanesischen Parlament nicht ratifiziert worden ist.

Im August 2011 gab dann die Republik Zypern bekannt, dass im Block 12, südöstlich von Zypern und an das bereits in Ausbeutung befindliche riesige israelische Gasfeld »Leviathan« angrenzend, die amerikanische Firma Noble Energy Probebohrungen durchführen werde. Die Türkei protestierte heftig. Als sich die griechischen Zyprioten davon nicht einschüchtern ließen und am 19. September 2011 die Probebohrungen begannen, schloss die Türkei im Gegenzug mit der Türkischen Republik Nordzypern ein eigenes Abkommen, in dem die beiderseitigen Wirtschafszonen abgegrenzt wurden, und drohte mit eigenen Bohrungen vor der Nordküste Zyperns. Am 22. September 2011 gestattete die Führung der türkischen Zyprioten der türkischen Ölfirma TPAO, in den Gewässern rund um die ganze Insel nach Gas und Öl zu suchen. Ein von der türkischen Marine begleitetes türkisches Forschungsschiff führte anschließend seismische Messungen in den von der Republik Zypern zur Ausbeutung demarkierten Gewässern südlich der Insel durch.

Im Dezember 2011 gab Noble Energy bekannt, dass in Block 12 große Mengen Erdgas gefunden worden seien. Davon ermutigt, begann die Republik Zypern im Februar 2012 eine zweite Vergaberunde für Bohrlizenzen für alle übrigen zwölf Blöcke, die zur Erkundung und Ausbeutung vorgesehen sind. Die Angebote müssen bis Mai 2012 eingereicht sein (Cyprus Mail, Februar 2012). Damit ist eine weitere Eskalation der Situation vorprogrammiert. Gleichzeitig begann die Türkei mit Probebohrungen im Nordteil der Insel, die im Erfolgsfall wiederum neues Konfliktpotential in sich bergen, da die griechischen Zyprioten eine Ausbeutung etwaiger Funde, die ja völkerrechtlich auf dem von der Türkei besetzten Staatsgebiet der Republik Zypern gemacht würden, zu verhindern suchen werden. Die seit 2008 laufenden Verhandlungen zur Wiedervereinigung der Insel stehen zudem aus verschiedenen Gründen vor dem zumindest vorläufigen Scheitern, womit der eleganteste Ausweg für alle Seiten blockiert ist.

Ausweitung der Interessenallianz

Auch wenn Premierminister Erdogan – wohl unter amerikanischem Druck – öffentlich die Anwendung militärischer Gewalt ausgeschlossen hat , bleibt die Lage angespannt. Durch eine breite Streuung unter Firmen, die aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem aus Ländern kommen werden, die zu den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates gehören, wird die Republik Zypern wohl versuchen, eine möglichst breite Interessen- und Abschreckungsallianz gegen die türkische Seite zu schaffen.

In diesen Kontext gehört auch eine energie- und möglicherweise auch sicherheitspolitische Kooperation zwischen Zypern und Israel. Bei einem Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu auf der Insel im Februar 2012 wurde eine energiepolitische Partnerschaft zwischen Israel und Zypern besiegelt. Beide Länder werden ihre Ressourcen gemeinsam entweder über Zypern nach Europa oder über Israel nach Asien exportieren. Dabei werden eine Gasverflüssigung, die den Transport über Tanker ermöglichen würde, oder eine Tiefseeskabelverbindung, die Strom direkt von Zypern und Israel nach Griechenland und von dort weiter nach Europa leiten würde, favorisiert. Im Vorfeld des Besuchs war in einigen griechisch-zypriotischen Kreisen und in israelischen Zeitungen über ein Sicherheitsbündnis mit Israel spekuliert worden. In diese Allianz könnte auch Griechenland eingebunden werden, das ohnehin mit der Republik Zypern in einem Verteidigungsbündnis steht und in der Ägäis mit der Türkei in einen ähnlichen Disput verwickelt ist. Zu einem derartigen Abkommen kam es bislang nicht, obgleich die griechisch-zypriotische Seite weiterhin versuchen wird, von Israel politischen und militärischen Beistand zu erhalten, um die Türkei von eigenen Aktionen in den fünf umstrittenen Blöcken 1 sowie 4-7 abzuhalten. Eine Nutzung der zypriotischen militärischen Infrastruktur zum Schutz der israelischen Interessen wird wohl zumindest erwogen, mit all den Implikationen, die eine enge Zusammenarbeit mit Jerusalem oder gar eine militärische Nutzung der Insel durch israelische Streitkräfte auf das traditionell gute Verhältnis der Republik Zypern mit den arabischen und islamischen Staaten der Region haben würde.

Während des israelischen Staatsbesuchs führte die Türkei ein Seemanöver mit scharfer Munition im zypriotischen Block 12 durch. Gleichzeitig drohte die Türkei, dass sie „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen werde, um eine Öl- oder Gasförderung in den fünf von der Republik ausgeschriebenen Blöcken, die nach Ansicht Ankaras innerhalb des eigenen Kontinentalsockels liegen, zu verhindern (Cyprus Mail, Februar 2012).

Zypern und der israelisch-libanesische Disput

Die türkische Seite und die griechischen Zyprioten sind nicht die einzigen, die in der Region einen offenen Konflikt über die Rohstoffvorkommen austragen. Es existiert auch ein Disput zwischen dem Libanon und Israel über die genauen Grenzen ihrer exklusiven Wirtschaftszonen und ein Machtkampf zwischen den Palästinensern und Israel über Vorkommen vor Gaza (Lakes 2011).

Der Libanon begann erst 2010 mit den Vorbereitungen für die Ausbeutung der vermuteten Vorkommen vor der eigenen Küste. Dabei legte das libanesische Parlament eine südlichere Seegrenze mit Israel fest als die von Israel bestimmte Demarkationslinie. Dadurch entstand eine 850 Quadratkilometer große Zone, die von beiden Ländern beansprucht wird. Da Zypern den Vertag über die jeweiligen Wirtschaftszonen mit Israel bereits ratifiziert hat, kommt das einer zypriotischen Anerkennung der israelischen Demarkationslinie gleich. Daher versucht der Libanon, eine Änderung des bilateralen Abkommens mit Zypern von 2007 zu erreichen, das vom Parlament der Republik Zypern schon ratifiziert worden ist, aber noch nicht vom libanesischen. Im Juni 2011 beschwerte sich der libanesische Außenminister Adnan Mansur offiziell beim Generalsekretär der Vereinten Nationen und erklärte, dass es sich bei den Vereinbarung zwischen Zypern und Israel um eine „Verletzung der libanesischen Souveränität und ökonomischen Rechte“ handle, die „den Frieden und die Sicherheit in der Region gefährde“ (Lakes 2012).

Während israelische und libanesische Politiker wiederholt vor Bohrungen der anderen Seite in der umstrittenen Zone warnten, versuchte Beirut, Zypern zu einer Konferenz der drei Länder einzuladen, um den Disput beizulegen. Dies hätte die Insel aber nur tiefer in den Konflikt hineingezogen. Nikosia verweigerte sich erfolgreich und man kam überein, das Thema bilateral weiter zu diskutieren. Es gibt jedoch keine Chance, dass sich Zypern der libanesischen Sichtweise anschließen wird, da eine Anerkennung der libanesischen Ansprüche im Widerspruch zur bereits beidseitig ratifizierten Vereinbarung mit Israel stünde und die Beziehungen zwischen Israel und der Republik Zypern eine neue strategische Dimension angenommen haben. Da die zypriotische Wirtschaftzone von dem Disput nicht betroffen ist, wird sich die Insel wohl aus diesem Konflikt heraushalten können.

Ausblick

Im Laufe dieses Jahres werden auf Zypern die Weichen im Hinblick auf die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen gestellt. Auf politischer Ebene wird entscheidend sein, wer die Lizenzen für die ausgeschriebenen zwölf Blöcke bekommt und inwieweit sich diese Lizenzen in politische Unterstützung in der Auseinandersetzung mit der Türkei und den türkischen Zyprioten umwandeln lassen. Israel und die Republik Zypern favorisieren zudem den etwa zehn Milliarden Euro teuren Bau einer Gasverflüssigungsanlage, die beide Länder im Unterschied zu einem Export über Pipelines unabhängig von regionalen Akteuren mache würde. Wer diese Anlage wo bauen, betreiben und kontrollieren wird, ist ebenfalls potentiell von politischer Bedeutung. Auch eine Tiefseekabelverbindung nach Griechenland würde sehr teuer werden. Eine Pipeline in und über die Türkei wäre die beste Option, ist aber ohne Lösung des Zypernproblems und eine Wiederannäherung Israels und der Türkei keine realistische Alternative. Und beides ist in näherer Zukunft unwahrscheinlich.

Sollten die Funde in den 13 Blöcken so reichhaltig ausfallen, wie von Nikosia erhofft, hätte das ohne Zweifel Auswirkungen auf die Machtbalance im östlichen Mittelmeer. Entscheidend wird sein, wie die äußerst selbstbewusste Regionalmacht Türkei mit der Situation umgeht. Ankara dürfte vor einem internationalen Gerichtshof bei den meisten Blöcken südlich von Zypern keine Chancen haben, da die Seerechtskonvention von 1982 mittlerweile gewohnheitsrechtlichen Charakter angenommen hat, und wird den Gang vor Gericht daher wohl scheuen. Da die Türkei aber die Seerechtskonvention nicht unterzeichnet hat, bleibt Verhandlungsspielraum im Norden und in den umstrittenen fünf Blöcken.

Rhetorisch hat sich Ankara so weit aus dem Fenster gelehnt, dass es schwierig sein wird, diesen Disput ohne Gesichtsverlust und eigene Aktionen unterhalb einer gefährlichen Schwelle zu halten. Dennoch bleibt eine bewaffnete Auseinandersetzung das unwahrscheinlichste Szenario, vor allem wenn hinter den Interessenten für die zwölf Blöcke politische und militärische Schwergewichte inklusive der USA stehen sollten; letztere sind ja durch Noble Energy bereits involviert. Die wahrscheinlicheren türkischen Reaktionen werden wohl gewaltfreier Art sein. Neben eigenen Bohrungen im Nordteil und in den nördlichen Gewässern der Insel sind vor allem ein Ende oder eine Aussetzung der Verhandlungen über eine Lösung des Zypernkonflikts und gleichzeitige verstärkte Bemühungen für eine internationale Anerkennung des Nordens zu erwarten. Unwahrscheinlich ist hingegen eine Annexion des Nordens durch die Türkei, die vom türkischen Europaminister Bagis für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen zur Lösung des Zypernkonfliktes als Möglichkeit angekündigt wurde. Gefährlicher sind Gedankenspiele in Ankara, eigene Bohrungen in den fünf umstrittenen Feldern durchzuführen, oder auch – deutlich weniger wahrscheinlich – eine eigene Bohrung im Block 12. Es wird also entscheidend sein, ob die fünf umstrittenen Blöcke Interessenten finden und welche Länder wie stark hinter diesen Interessenten stehen. Bislang gibt es wohl vor allem von chinesischer Seite Angebote für einige der zwölf Blöcke. Für Russland, das traditionell als Interessenwahrer der griechischen Zyprioten innerhalb des UN-Sicherheitsrates fungiert, stellen die Funde im Mittelmeer eine unliebsame Konkurrenz und eine potentielle Schwächung der europäischen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas dar. Daher ist auch von Bedeutung, wie sich Russland in diesem Konflikt positioniert und engagiert. Gleichzeitig könnte gerade die Abhängigkeit von Russland für die Europäer ein bedeutender Anreiz sein, in der Region die eigenen energiepolitischen Interessen zu wahren, was den griechischen Zyprioten in die Karten spielen könnte. Dies würde allerdings auch aus europäischer Sicht eine Lösung des Zypernproblems deutlich dringlicher machen, um eine Konfrontation mit der Türkei zu vermeiden.

Eine Chance für eine Lösung des Zypernproblems eröffnet sich wohl frühestens nach den zypriotischen Präsidentschaftswahlen im Februar 2013. Die derzeitigen, fast schon verzweifelten Versuche der Vereinten Nationen, das Zypernproblem vor der zypriotischen EU-Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember 2012 zu lösen, werden nicht zum Erfolg führen. Die Türkei hat bereits angekündigt, dann die offiziellen Kontakte zur EU – zumindest auf höherer Ebene – einzufrieren, was umgekehrt auch eine sechsmonatige Pause im ohnehin stockenden und derzeit eher aussichtslosen türkischen Beitrittsprozess zur EU bedeuten wird.

Der Konflikt um Öl und Gas und das Zypernproblem werden aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten Jahren weitergehen. Dass dies zum bewaffneten Konflikt eskaliert, erscheint unwahrscheinlich – vor allem wenn es den USA gelingen sollte, die Situation unter Kontrolle zu halten. Dennoch sind erhebliche Spannungen vorprogrammiert, die immer ihre eigene Dynamik entwickeln können. Ob die Energiefunde vor Zypern den drei Konfliktparteien genug Anreiz bieten, den Konflikt in den nächsten Jahren mit einer »win-win-win«-Lösung für beide zypriotischen Volksgruppen und die Türkei beizulegen, ist die große Frage. Derzeit spricht wenig dafür.

Literatur

Akyel, Didem (2012): Hydrocarbons in the Eastern Mediterranen and Turkey’s Position. In: Faustmann, Hubert; Gurel, Ayla; Reichenberg, Greg (Hrsg.) (in Vorbereitung): The Hydrocarbon Wealth of Cyprus: Equitable Distribution and Regional Politics. Nicosia: Peace Research Institute Oslo/Friedrich Ebert Foundation

Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Kaymak, Erol (2012): Wealth Sharing and Geopolitical Strategies: Excluding Hydrocarbons from Cyprus Settlement Negotiations. In: Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Lakes, Gary (2011): Energy Prospects for East Mediterranean. Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen der Reihe »ERPIC Round Table«, 8.3.2011.

Lakes, Gary (2012): Lebanon: Efforts to Establish a Hydrocarbon Sector. In: Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Leventis, Yiorghos (2012): Projecting for Control of Warm Waters. Turkey’s Posturing for Hydrocarbon Hegemony in the Eastern Mediterranean. In: Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Sezer, Sema (2008): Greek Oil Exploration Licenses and Economic Zone Agreements in Eastern Mediterranean. Vortrag gehalten auf der »International Conference on Middle East and North Cyprus Relations: Perspectives in Political, Economic and Strategic Issues«, Famagusta,/Zypern, 20.-21. März 2008.

Shaffer, Brenda (2011): Israel – New Natural Gas Producer in the Mediterranean. In: Energy Policy, Nr. 39, S.5379-5387.

Tukey ramps up sabre rattling over exploration. The Cyprus Mail, 17.2.2012

Landmark visit all about the gas. The Cyprus Mail, 17.2.2012

En route to a natural gas army. Haaretz, 20.2.2012

Hubert Faustmann ist Professor für Politik und Geschichte an der Universität von Nikosia/Zypern.

Territorialkonflikte unter Palmen

Territorialkonflikte unter Palmen

Der Konflikt um die Spratly-und Paracel-Inseln

von Andreas Seifert

Die Diskussion um die Spratly- und Paracel-Inseln taucht seit den 1970er Jahren mit der gleichen Regelmäßigkeit auf der politischen Agenda auf, wie die Wirbelstürme über diese Inseln im Südchinesischen Meer ziehen – mit gefährlicher Tendenz zu einem bewaffneten Konfliktaustrag. Das Streben Beijings nach der Vormachtstellung im Südchinesischen Meer erhöht die Gefahr regionaler Konflikte und beschleunigt die Aufrüstungsspiralen in Ost- und Südostasien. Der folgende Beitrag beleuchtet den Konflikt in seinem jetzigen Stand und untersucht die Auswirkungen auf die Rüstung in den Staaten Südostasiens. Ebenso werden die Implikationen des Konfliktes auf das Verhältnis der Region zu den weiter entfernt liegenden Staaten Indien und Japan angesprochen, um die Bedeutung des Konfliktes für das militärische Gleichgewicht in der Region und darüber hinaus zu verdeutlichen.

Von den knapp 200 Inseln, Sandbänken und Riffen der Spratly- und Paracel-Gruppen sind nur sehr wenige für die dauerhafte Besiedelung geeignet. Die große Mehrheit der Inseln besteht nur aus kleineren Felsspitzen, die sich die meiste Zeit des Jahres unter der Wasseroberfläche befinden. Lediglich auf einigen Inseln sind zumindest temporär Menschen anzutreffen. Gelegen im Südchinesischen Meer zwischen der Volksrepublik China, der Republik China auf Taiwan, den Philippinen, Malaysia, Brunei und Vietnam sind die Inseln Gegenstand von erbitterten Streitereien zwischen den Parteien geworden. Jeder der genannten Staaten erhebt Ansprüche auf die Inseln oder auf Teile der Archipele. Sie liegen strategisch günstig zu den Schifffahrtsrouten der chinesischen, japanischen und koreanischen Häfen auf dem Weg in den Mittleren Osten und Europa. Überdies wird vermutet, dass der sie umgebende Meeresboden Bodenschätze aller Art beherbergt. Die Kontrolle der Inseln geht zudem mit dem Zugriff auf ein gigantisches Areal von Fischgründen einher.

Erstmals eskalierte der Streit um die Inseln in den 1970er Jahren, als sich chinesische Schiffe und Soldaten mit der vietnamesischen Marine Scharmützel lieferten. Dies löste eine ganze Welle von »Besetzungen« aus, die von der Befestigung kleinerer Inseln bis zur Etablierung von Armeestützpunkten reichten. Ende der 1980er Jahre wiederholte sich diese Zuspitzung erneut und führte zu den ersten Toten in dem Konflikt.1 1995 reagierten die Philippinen auf die Einrichtung und Befestigung eines chinesischen Stützpunkts mit einer diplomatischen Offensive und Machtdemonstrationen zur See. Hohe Kosten und geringer ökonomischer Nutzen solcher Besetzungen haben umgekehrt auch immer wieder dafür gesorgt, dass Inseln zeitweise oder komplett wieder geräumt wurden. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts ändert sich dies jedoch dramatisch. Neue technische Möglichkeiten und die verstärkte internationale Konkurrenz um Ressourcen lassen die gezielte Suche nach Rohstoffen im Südchinesischen Meer inzwischen als potentiell lukratives Geschäft erscheinen. Gesteigerte militärische Möglichkeiten vermitteln überdies die Illusion, einmal Erobertes auch behalten zu können. Daher ist die Zahl der auf den Inseln stationierten Soldaten aller Parteien kontinuierlich angewachsen. 2002 einigten sich die Parteien in einem Memorandum darauf, keine weiteren Aktionen zur »Destabilisierung« der Situation zu unternehmen – allerdings mit begrenztem Erfolg.

Chinas territoriale Ansprüche …

Auch die Volksrepublik China hat das Memorandum 2002 unterzeichnet, erhebt gleichzeitig aber die wohl weitreichendsten Ansprüche in der Region. Die VR China reklamiert nicht nur fast alle Inseln beider Inselgruppen für sich, sondern auch noch den Raum dazwischen als eigenes Hoheitsgebiet. Ein Gebiet so groß wie das Mittelmeer. Auf Landkarten, die in der VR China gedruckt werden, wird das Gebiet als Staatsgebiet gekennzeichnet. Einzelne Inseln (Riffe) wurden zu regelrechten Festungen ausgebaut und sind von rotierenden Einheiten der Volksbefreiungsarmee »bewohnt«. Dieses Muster der Okkupation wird von fast allen Anrainern betrieben – doch von niemanden so konsequent wie von China.

Begleitet werden die Besetzungen von einer geradezu grotesken Propaganda in den chinesischen Medien. Regelmäßige Berichte über den Zustand der Inseln und der »aufopfernden Hingabe« ihrer militärischer Bewohner werden im Fernsehen und in Hochglanzmagazinen verbreitet. Zur Untermauerung der Ansprüche wurden Delegationen von Archäologen auf die Inseln entsandt, um anhand von Porzellanscherben eine frühe Besiedelung durch Chinesen nachzuweisen. Dies verweist auf die innenpolitische Dimension, die der Konflikt hat. Seit den erste »Okkupationen« in den 1970er Jahren wird darüber aus einer Militärperspektive berichtet, die den »Kampf« um die Inseln zur nationalen Ehrensache erhebt.

In Taiwan, sonst von Beijing als abtrünnige Provinz bezeichnet, findet die VR China einen gleich gesinnten Verbündeten. Anders als die VR China verfügt Taiwan auf einer der Inseln über eine Landebahn und kann die von ihr beanspruchten Inseln ganzjährig schnell erreichen. Aber auch dort ist man inzwischen besorgt über den Ton, der auf dem Festland angeschlagen wird.

In einem Artikel für die in Beijing auf Englisch erscheinende Zeitung »Global Times« Ende September 2011 kam der Analyst Long Tao zu dem Schluss, es sei Zeit, den Anrainern eine militärische Lektion zu erteilen.2 Die Global Times gilt als ein wichtiges Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas in Fragen der Außenpolitik. Long Tao schlug in dem Artikel vor, dass ein begrenzter Krieg gegen Vietnam und die Philippinen die Möglichkeit böte, dem »aggressiven Verhalten« dieser Staaten ein Ende zu bereiten. In einem Online-Kommentar zwei Tage später wiederholte er seine Kernaussagen und behauptete mit Verweis auf das russische Eingreifen in Georgien 2008, dass die internationale Gemeinschaft ein solches Verhalten hinnehmen würde.3 Auch wenn in Beijing kein Politiker sich öffentlich hinter eine solche Aussage stellen wollte, verfehlte sie ihre Wirkung nicht. In Vietnam und auf den Philippinen war die Aufregung groß, und Taiwan, selbst um seine Inseln besorgt, beeilte sich zu betonen, dass die Lösung des Konfliktes nur friedlich und einvernehmlich erfolgen sollte.4 Longs Ausbruch an Nationalismus unmittelbar vor dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober ist nicht ungewöhnlich für einen Kommentar in der chinesischen Presse, doch in seinem drastischen Ruf nach Krieg und Eskalation einzigartig.

Das Jahr 2011 sah eine stufenweise Eskalation, die vorläufig in Longs Aufruf gipfelte, aber sicher nicht ihr Ende gefunden haben dürfte. Im Februar 2011 bedrohten chinesische Kriegsschiffe vietnamesische Fischer. Im März 2011 attackierten chinesische Schiffe ein philippinisches Explorationsschiff, das in dem Gebiet nach Öl suchen sollte. Im Mai eskalierte der Streit mit Vietnam, das Konzessionen für Explorationen in strittigem Gebiet an eine amerikanische Ölfirma vergeben hatte: Chinesische Schiffe kappten ein Kabel eines Forschungsschiffes. Im gleichen Monat riefen vietnamesische Fischer dazu auf, die Gewässer stärker vor der Überfischung durch chinesische Fabrikboote zu schützen – was Beijing mit der Entsendung eines der größten Fischereischutzboote beantwortete, um seinerseits für die »Pflege« des Bestandes an Fischen zu sorgen. Vietnam reagierte mit einem Seemanöver gemeinsam mit der US Navy vor der Küste als Machtdemonstration. Der Verteidigungsminister der VR China, General Liang Guanlie, stellte im Juni bei einem Treffen der ASEAN in Singapur die Lage im Südchinesischen Meer als stabil und sicher dar – eine Einschätzung, die von keinem der anwesenden Diplomaten geteilt, sondern als Ignoranz gegenüber der tatsächlichen Situation gewertet wurde. Die Reaktionen, insbesondere der Anrainer ans Südchinesische Meer, reichten von Unverständnis bis Protest.

2012-2-Seifert_Spratly-Paracel

… und wachsende Rüstung zur See

Die chinesische Marine wird seit Jahren systematisch aus- und umgebaut. Wie im Bereich des Heeres und der Luftwaffe verfolgt die VR China einen Umbau von der Masse zur Klasse, d.h. eine Reduktion der Mannstärke bei gleichzeitiger technischer Aufrüstung. Dabei erscheint die Ankündigung eines Flugzeugträgers besonders hervorzustechen, ist aber nur ein kleiner Teil der eigentlichen Aufrüstung.5 Neue Fregattenklassen und Verbesserungen bei den U-Booten sind hier letztlich ausschlaggebendere Faktoren. Die Marine baut zudem ihre Kapazitäten bei Landungsbooten aus und erwirbt damit die Fähigkeit, größere Truppenmengen anzulanden – ein wichtiger Faktor sowohl für mögliche Taiwan-Szenarien wie auch für Szenarien im Südchinesischen Meer. Der Ausbau der Basis Sanya zu einem nicht einsehbaren U-Boot-Hafen an der Südspitze von Hainan, dem südlichsten Zipfel des chinesischen Festlandes, erregte viel Aufmerksamkeit.

Mit der Weiterentwicklung der DF-21 Mittelstreckenrakete verfügen die Chinesen erstmals über eine ballistische Rakete, die in der Lage sein soll, fahrende Ziele zur See zu treffen. Diese Waffe, auch als Carrier-Killer bezeichnet, ändert die Spielregeln zur See deutlich und gleicht Defizite, die die chinesische Marine in einer direkten Auseinandersetzung z.B. mit den USA hätte, aus.

Ebenfalls von Bedeutung ist, dass China die Struktur seiner Landesverteidigung ändert. Die Fischereiaufsichtsbehörde, früher eher ein vernachlässigtes Anhängsel der Armee, hat eine höhere Autonomie und neues Material erhalten. Die größten Boote der Behörde kommen in Größe und Geschwindigkeit an ältere Fregatten heran, sind aber nicht in gleicher Weise bewaffnet. Die unmittelbare Küstenverteidigung ist neu organisiert und wird teilweise der Bewaffneten Polizei (People’s Armed Police) überlassen. Auch hier bilden Neuanschaffungen wie die Boote der Houbei-Klasse/Type 22 (schnelle Katamaranboote mit Raketenbewaffnung) einen Zugewinn an Einsatzfähigkeit. Die Marine versucht sich in ihren Einsatz- und Trainingsszenarien zusehends auf Aufgaben zur hohen See zu konzentrieren.

Als Begründung für die Aufrüstung zur See werden die gestiegene Bedeutung Chinas in der Welt und seine Exportabhängigkeit angeführt, die – in Analogie zur Argumentation in Europa – sichere Handelswege erfordere.6 Eines der expliziten Ziele der chinesischen Aufrüstung ist es, in begrenzten, lokalen und hoch technisierten Konflikten bestehen zu können.7

Behält das Land das Tempo und den Fokus seiner Aufrüstungsbemühungen bei, wie es sich mit dem jüngst bekannt gegebenen Zuwachs der Militärausgaben um 11,2% für 2012 andeutet, werden die Nachbarn wohl versuchen, hier mitzuhalten. China verlässt mit dieser Haushaltssteigerung auch die Kopplung an die Steigerungsraten des Brutto-Inlandprodukts (BIP), die in der Region üblich ist. Um der stärker werdenden chinesischen Marine etwas entgegen zu setzen, versuchen jetzt schon fast alle Anrainer, ihre maritimen Fähigkeiten auszubauen.8

Aufrüstung der Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres

Land 2004
in Mio US$
2004
% BIP
2010
in Mio US$
2010
% BIP
Importe 2006-2010*
in Mio US$
Rang*
China** 52.954 2,1 119.400 2,2 7.724 2
Taiwan 7.864 2,2 9.078 2,4 947 32
Malaysia 3.640 2,3 3.626 2,0 3.500 11
Philippinen 1.310 0,9 1.626 0,8 57 91
Singapur 6.382 4,6 8.399 4,3 4.402 7
Vietnam 1.369 2,0 2.385 2,5 793 37
Indien 26.679 2,8 41.284 2,8 11.139 1
Australien 14.705 1,8 23.972 1,9 4.054 9
zum Vergleich
EU 282.000   285.000      
Deutschland 46.183 1,4 45.152 1,4 813 36
USA 527.799 4,0 698.281 4,7 3.995 10
* Volumen der Waffenimporte nach SIPRI-Berechnungen (Trend Indicator Values) 
** Berechnungen von SIPRI
Quelle: SIPRI Yearbook 2011

Rüstungstrends in Asien

Der Konflikt um die Inseln hat nicht zuletzt durch seine Implikationen für die Aufrüstungsbemühungen der Anrainerstaaten eine weit über die Region hinaus gehende Bedeutung erreicht. Dies gilt für zwei große Mächte in der unmittelbaren Nachbarschaft besonders: Japan und Indien.

Mit Japan ist die VR China durch den Streit um die Diaoyu/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer durch einen ähnlichen Konflikt entzweit. Auch hier geht es nicht um die weitestgehend unbewohnbaren Inseln (die seit neuestem alle sowohl einen chinesischen wie ein japanischen Namen tragen), sondern um die Nutzung des Meeresbodens. Das Vorhaben einer gemeinsamen Erkundung der Ressourcen am Meeresgrund durch China und Japan wird immer wieder durch Provokationen der einen wie der anderen Seite unterbrochen. Das Drohgespenst eines hoch gerüsteten China hat in Japan die Diskussion um die Aufrechterhaltung des Artikels 9 der Verfassung befeuert, der Japan eine reguläre Armee untersagt und in der Praxis bisher die Größe und Ausrüstung der japanischen Streitkräfte auf »Selbstverteidigungskräfte« limitiert. Konservative Kräfte in Japan haben bereits die Anschaffung von Hubschrauberträgern der Hyuga-Klasse durchgesetzt, die aufgrund ihrer Größe und Fähigkeiten in China als (gemäß japanischer Verfassung) verbotene, offensive Flugzeugträger gewertet werden. Japans Interesse an sicheren Handelswegen und die Angst, von den Energieströmen aus dem Mittleren Osten abgeschnitten zu werden, spiegeln die Argumente der chinesischen Strategiepapiere wider. Auf beiden Seiten heizt Nationalismus die Debatte an und droht immer wieder gemeinsame Interessen zu verdecken.

Indien perzipiert die Aufrüstung in China und das chinesische Bündnis mit Pakistan als direkte Bedrohung. Die Präsenz der VR China im Indischen Ozean aufgrund seiner Beteiligung an der UN-Flotte vor der somalischen Küste und der Ausbau verschiedener Häfen in Myanmar und Pakistan mit chinesischer Beteiligung9 haben diesen Eindruck verstärkt und zu einer nahezu beispiellosen Aufrüstungsoffensive in Indien geführt. Die angenommene »Einkreisung« durch chinesische Kräfte hat den bisherigen Fokus der Aufrüstung vom Heer – eine Folge der gestörten Beziehungen zum nördlichen Nachbarn Pakistan – auf die Marine verschoben. Der betagte, ehemals britische Flugzeugträger INS Viraat soll 2013 durch ein russisches Modell ersetzt werden, bis die Eigenentwicklung Vikrant in Dienst gestellt werden kann. Angestrebt wird der parallele Betrieb von zwei Flugzeugträgern. Auch bei Atom-U-Booten verfährt Indien in dieser Form. Ein Boot der russischen Akula II-Klasse sollte im Frühjahr 2012 an die indische Marine übergeben werden, während Indien gleichzeitig an einer entsprechenden Eigenentwicklung arbeitet. Die Entwicklung von Lenkwaffen zur Unterstützung des Küstenschutzes wie auch die Verbesserung der Mittelstreckenrakete Agni-IV mit einer Reichweite bis 3.000 Kilometer sind ebenfalls vorgesehen. Die Verstärkung des Militärpostens auf den Nicobaren, direkt vor der Einfahrt in die Straße von Malakka, und auch die Einrichtung einer Basis auf Madagaskar deuten den Einflussrahmen an, den Indien sich für seine Streitkräfte wünscht: Das Land versucht, sich im Indischen Ozean als dominante Militärmacht zu etablieren.

Ohne an dieser Stelle auf die spezifische Rolle und die Motive des US-amerikanischen Engagements in den Seegewässern Ost- und Südostasiens genau eingehen zu können, sei zumindest erwähnt, dass eine stärkere Rolle der USA in der Region nur bedingt als stabilisierender Faktor angesehen werden kann. Der offensive Charakter exklusiver Manöver, die z.B. nur Teile der im Südchinesischen Meer auftretenden Parteien einbinden, wirkt nachhaltig gegen vertrauensbildende Maßnahmen an anderer Stelle. So üben US-Marineverbände zusammen mit südkoreanischen oder vietnamesischen Verbänden in der Reichweite chinesischer Gewässer.

Von einer Lösung weit entfernt

Mit vielen beteiligten Parteien und der Vermischung territorialer Ansprüche und ökonomischer Interessen im Südchinesischen Meer wurde eine prekäre Situation geschaffen, die im Gefüge des militärischen Gleichgewichts in Asien insgesamt die Tendenz zur Eskalation aufweist. Gegenseitige Provokationen und direkte Auseinandersetzungen nehmen an Zahl und Intensität zu. Vorhandene Möglichkeiten, den Konflikt einer friedlichen Regelung zuzuführen, z.B. über die ASEAN, werden nicht genutzt. Grund dafür sind einerseits Vorbehalte gegenüber multilateralen Verträgen (so bei der VR China), andererseits wurden historische Erfahrungen nicht in adäquater Weise aufgearbeitet. Dies betrifft auch die Vermittlung der Ansprüche der jeweiligen Länder auf die einzelnen Inseln. Am Beispiel Chinas wurde mit Verweis auf den Kommentator Long Tao gezeigt, welche autistische und arrogante Weltsicht die Konzentration auf nationalistische Interessen in dem Konflikt hervorbringen kann. Für Vietnam und die anderen Anrainer ließen sich ähnliche, wenngleich weniger gravierende Beispiele aufführen. Die unglückliche chinesische Darstellung des Konflikts gibt Dritten (wie Japan, Indien, den USA oder den europäischen Mächten) die Rechtfertigung, sich ihrerseits in Position zu bringen.

Deutlich wird dabei erkennbar, dass der Konflikt um die Inseln einen Vorwand bietet, Kapazitäten für größer angelegte strategische Programme zu schaffen, um Seeräume (nicht nur in Asien) in Einflusszonen aufzuteilen. »Kontrolle« über Ozeane bestimmten Mächten zuzuschreiben wird jedoch weit mehr Konflikte heraufbeschwören als Sicherheit z.B. für die Handelsschifffahrt schaffen. Letztlich ist es diese Perspektive, die es notwendig macht, den Konflikt um die Spratly- und Paracel-Inseln einer friedlichen und kooperativen Lösung zuzuführen.

Anmerkungen

1) Zentraler Bedeutung kommt dabei der »Schlacht« vom März 1988 zwischen chinesischen und vietnamesischen Kriegsschiffen zu, bei denen neun Tote, 32 Verletzte und über 60 Vermisste gezählt wurden. Der chinesischen Darstellung nach haben die Vietnamesen versucht, auf einem der Riffe die Nationalflagge zu hissen; laut vietnamesischer Darstellung wurden Versorgungseinheiten der Inseln ohne Vorwarnung angegriffen.

2) Long Tao: The Time to Use Force Has Arrived in the South China Sea. Global Times, 27.9.2011.

3) Long Tao: Time to teach those around South China Sea a lesson. Global Times, 29.9.2011.

4) J. Michael Cole: Chinese analyst calls for war in South China Sea. Taipei Times, 30.9.2011.

5) Siehe hierzu genauer: Andreas Seifert und Shi Lang: Chinas erster Flugzeugträger. In: Ausdruck, Ausgabe 3/2011, S.27-29.

6) Information Office of the State Council of the People’s Republic of China: China’s National Defense in 2010. 31. März 2011.

7) Ibid.

8) Beispielsweise baut Taiwan seine Flotte von raketenbestückten Patroullienbooten des Typs Kuang Hua VI aus, und Vietnam schafft umfänglich russische Gepard-Fregatten, Svetlyak-Kanonenboote und Molinya-Raketenboote an.

9) Der Hafen Gwadar in Pakistan wurde mit Hilfe chinesischer Konstrukteure und Mittel gebaut. Äußerungen der pakistanischen Führung, Beijing möge den Hafen doch als Basis nutzen, haben den Eindruck einer Versorgungskette chinesischer Militäreinrichtungen auf dem Weg vom Südchinesischen Meer Richtung Mittleren Osten entstehen lassen, der als »String of Pearls« Eingang in verschiedene europäische Bedrohungsszenarien gefunden hat (z.B. James Rogers: From Suez to Shanghai. European Union Institute for Security Studies/ISS, Occasional Paper 77, März 2009).

Andreas Seifert ist freier Wissenschaftler und im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen.

Gold und Lithium hätt ich gern…

Gold und Lithium hätt ich gern…

von Jürgen Nieth

„Gold und Silber hätt ich gern“, heißt es in einem alten deutschen Volkslied. Aber was ist schon Silber gegenüber Lithium. Schon heute ist der Rohstoff für die Produktion von Akkus für Laptops und Handys heiß begehrt. Lithium wird bisher vor allem aus Salzseen in Südamerika gewonnen sowie mit viel Aufwand in China und Australien aus Mineralien erzeugt. Mit der Zunahme von Hybrid- und Elektroautos sowie dem Ausbau erneuerbarer Energien wird die Nachfrage in den nächsten Jahren enorm steigen. Sonne und Wind liefern nicht kontinuierlich Elektrizität, die Spitzen müssen gespeichert werden. Der Konzern Evonik – der zur Zeit Großspeicher testet – spricht von einem „Megamarkt der Zukunft“ (FR, 15.06.10). Er schätzt das Marktvolumen langfristig auf mehr als zehn Milliarden Euro.

Passgenau kommt da die Meldung, dass sich aus einigen Salzseen unter der afghanischen Provinz Ghazni vermutlich Lithium im Wert von über einer Billion Dollar gewinnen lasse. Die Information stammt aus dem Pentagon. Geologen des US-Verteidigungsministeriums haben jahrelang das afghanische Territorium nach Bodenschätzen untersucht. Gefunden haben sie übrigens nicht nur Lithium, sondern auch Gold und Niobium, ein für Supraleiter benötigtes Metall.

Ein Blick zurück: Als die USA vor fast neun Jahren in Afghanistan einmarschierte, war die Begründung der »Kampf gegen den Terror« und die Zerschlagung von Al Kaida – aber Usama Bin Laden lebt und Al Kaida operiert längst aus anderen Ländern: Somalia, Jemen, Pakistan.

Danach wurden die Menschenrechte bemüht, für deren Verwirklichung die Talibanherrschaft zerschlagen werden musste. Tatsächlich gibt es ein paar Fortschritte: Nach einem Bericht der UNO (UNDPD) gibt es beim Zugang der Kinder zur Grundschule einen Anstieg von 54 auf 60 Prozent, bei der Alphabetisierung einen Anstieg um 2,5 auf 36 Prozent und bei der Kindersterblichkeit einen Rückgang von 257 auf 191 bei 1.000 geborenen Kindern. Insgesamt ist die Bilanz aber erschreckend: Die Zahl der in Armut Lebenden ist von 33 auf 42 Prozent und die Zahl der Unterernährten von 30 auf 39 Prozent gestiegen. Die Zahl der in Slums Wohnenden hat sich von 2,4 Millionen auf 4,5 Millionen fast verdoppelt, während sich der Anteil der Menschen mit Zugang zu sanitären Einrichtungen von 12 auf 5,2 Prozent mehr als halbiert hat. Die Jugendarbeitslosigkeit ist von 26 auf 47 Prozent gestiegen.

Heute ist Afghanistan nicht nur der weltgrößte Hersteller von Opium, Heroin und Haschisch, sondern auch Konsument: Über eine Million Afghanen – das sind acht Prozent der Bevölkerung – sind drogenabhängig. Die Zahl der regelmäßigen Opiumkonsumenten stieg in den letzten fünf Jahren um 53 Prozent, die der Heroinabhängigen sogar um 140 Prozent, Zugang zu medizinischer Hilfe hat nur jeder Zehnte. Das für den Kampf gegen Drogen und organisiertes Verbrechen zuständige UN-Büro in Wien (UNODC) kommt zu dem Schluss, dass viele Afghanen Opiumdevirate konsumieren, um die Härten ihres Lebens zu vergessen. Für die UN-Berichterstatter besonders schockierend, dass im Süden Afghanistans die Hälfte der Opiumkonsumenten ihren Kindern regelmäßig vom Saft des Schlafmohns geben: „Die nächste Generation des Landes ist damit schon zur Sucht verurteilt.“

»Stabilisierungseinsatz« hieß die nächste Begründung für den Einsatz des deutschen Militärs, aber nichts ist stabiler geworden. Die Wahlen wurden gefälscht, ein großer Teil der Gelder für den zivilen Aufbau fließt auf private Konten, die Korruption blüht. Statt Hilfe beim zivilen Aufbau – jahrelang die vorgebliche Hauptaufgabe der Bundeswehr – steht jetzt mehr und mehr die Sicherung der eigenen Truppen im Mittelpunkt. Ein militärischer Sieg ist nicht in Sicht. Mit 102 toten Soldaten ist der Monat Juni 2010 der verlustreichste für die Nato seit Beginn des Krieges.

Was hält die USA und die Nato angesichts dieser Bilanz in Afghanistan?

Es gab sie immer, die Stimmen, die den Afghanistankrieg begründet sahen in den geostrategischen Interessen der USA: von Afghanistan aus die erdöl- und erdgasreiche Region des Mittleren Ostens und der Zentralasiatischen Republiken kontrollieren, sich militärisch festsetzen an der Südflanke Russlands und der Nordostgrenze des Iran.

Diese Stimmen dürften Auftrieb bekommen, wenn sie hören, dass ein Pentagon-Memo von einem „Saudi Arabia of Lithium“ spricht, also von einem strategischen Rohstoff allerersten Ranges; wenn am 14. Juni US-General David H. Petraeus schwärmt: „Das gibt atemberaubende Möglichkeiten… Es gibt zwar noch eine Menge an Wenn und Aber, doch ich denke, dass die Funde sehr bedeutend sind.“

Seit dem 4. Juli ist derselbe Petraeus Oberkommandierender der US- und Isaf-Truppen in Afghanistan. Damit dürfte sich auch für diejenigen, für die ökonomische Interessen bisher kein Kriegsgrund waren, die Frage stellen, ob sie jetzt nicht ein Grund sind, um militärisch einen Fuß in der Tür zu halten. Petraeus hat sich nie zu dem von Obama angekündigten Truppenabzug 2011 bekannt.

Ihr Jürgen Nieth

Konflikt und Kooperation bei der Wassernutzung in Mittelasien

Konflikt und Kooperation bei der Wassernutzung in Mittelasien

von Kai Wegerich

In Mittelasien sind Mensch, Natur und Wirtschaft auf das Wasser zweier Flusssysteme angewiesen: des Syr Darja im Norden und des Amu Darja im Süden. Beide Ströme sind in hohem Maße zur Stromgewinnung und landwirtschaftlichen Bewässerung erschlossen. Die Nutzung des Wassers birgt erhebliches Potential sowohl für Konflikte als auch für Kooperationen zwischen den einzelnen Anrainerstaaten: Am Oberlauf wollen sie die Wasserkraft zur Stromerzeugung nutzen, am Unterlauf sehen sie die Bewässerung ihrer Felder in Gefahr.

Der Syr Darja und der Amu Darja und fast sämtliche ihrer Zubringer fließen durch das Hoheitsgebiet oder entlang der Grenzen von fünf Staaten (vgl. Abb.): Kirgistan (Oberlauf des Syr Darja), Tadschikistan (Oberlauf des Amu Darja), Kasachstan (Unterlauf des Syr Darja), Turkmenistan (Unterlauf des Amu Darja) und Usbekistan (Unterlauf des Amu Darja und Mittellauf des Syr Darja). Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion spielten bei der Wasserbewirtschaftung administrative Grenzverläufe und die gerechte Verteilung des Wassers unter den Republiken keine große Rolle. Von Interesse waren vielmehr die hydrologischen Gegebenheiten.

So bot das Aralseebecken die Möglichkeit, an den Flussoberläufen Projekte zur Flussregulierung und Stromerzeugung zu planen und zum Teil auch umzusetzen, die an den Unterläufen eine Ausweitung der bewässerten Landwirtschaft zuließen. Ein Beispiel für diese Aufteilung ist der Toktogul-Staudamm am Naryn in Kirgistan: 75% des Wasserabflusses wurden für die Bewässerung der Unteranrainer während der Wachstumsperiode im Sommer zugewiesen. Als Folge musste Kirgistan im Winter, wenn sein Energiebedarf besonders hoch ist, Energie aus flussabwärts gelegenen Republiken importieren.

Noch zu sowjetischen Zeiten wurden im Aralseebecken weitere Staudammprojekte konzipiert, um sowohl im Winter die Gewinnung von Hydroenergie als auch im Sommer die Wasserversorgung für die Landwirtschaft sicherzustellen. Der Bau des Rogun-Staudamms am Wachsch in Tadschikistan und der Staudämme Kambarata 1 und 2 am Naryn in Kirgistan kam durch die Auflösung der Sowjetunion allerdings ins Stocken. Und während die Großprojekte an den Flussoberläufen von den Republiken an den Unterläufen zuvor nicht als Bedrohung wahrgenommen wurden, hat sich dies mit der staatlichen Unabhängigkeit der früheren Sowjetrepubliken inzwischen geändert.

Im April 2009 kamen daher die Präsidenten der fünf mittelasiatischen Staaten im kasachischen Almaty zusammen, um die Wasserproblematik zu beraten. Im Vorfeld kristallisierten sich zwei Fronten heraus: auf der einen Seite Kirgistan und Tadschikistan, die an den Oberläufen der Flüsse weitere Staudämme bauen wollten, und auf der anderen Seite die Unteranrainer Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, die sich dagegen wehrten. Am Ende des Treffens konnten sich die fünf Länder nicht auf eine gemeinsame Wasserbewirtschaftung, die allen Seiten gerecht wird, einigen (siehe Karte Seite ).

Geographie im Aralseebecken und Wassernutzung in der Sowjetunion

Der Amu Darja ist 2.450 km lang und hat ein Einzugsgebiet von 309.000 km2. Er entsteht aus dem Pjandsch, der am Vakjdjir-Pass von Gletscherbächen gespeist wird und auf weiten Strecken die Grenzen zwischen Afghanistan und Tadschikistan bildet, und dem Wachsch, der im Gebirge von Kirgistan entspringt, durch Tadschikistan läuft und kurz vor der Grenze zu Usbekistan auf den Pjandsch stößt. Der Syr Darja entsteht durch den Zusammenfluss von Naryn und Kara Darja, die im Tianshan-Gebirge von Kirgistan entspringen und im Ferghana-Tal zusammenfließen. Mit 3.019 km ist der Syr Darja der längste Fluss in Mittelasien; sein Einzugsgebiet beträgt 219.000 km2. Amu Darja und Syr Darja lenken die Fließwasservorräte des gesamten Beckens oder zumindest das, was davon übrig bleibt, in den Aralsee.

Ein Vergleich des Wassereinzugs der beiden Flüsse mit der zur Bewässerung verwendeten Wassermenge zeigt, wie ungleich der Wasserverbrauch für landwirtschaftliche Zwecke zwischen den einzelnen Staaten verteilt ist (vgl. Tab. 1). Wird das Aralseebecken unter Hintanstellung der heutigen Staatsgrenzen als geographische Einheit betrachtet, bietet es sich an, am Oberlauf Staubecken zu bauen, die am Unterlauf die Ausweitung der bewässerten Flächen erlauben. Diese Möglichkeit wurde in der Vergangenheit am Syr Darja stärker genutzt als am Amu Darja. Einige der Staudammprojekte erstrecken sich auch über Republikgrenzen hinweg.

Tabelle 1: Wassereinzug von Syr Darja und Amu Darja
(jährlicher Durchschnitt in km³) und bewässerte Fläche (in ha)
Syr Darja Amu Darja
km³ ha km³ ha
Kasachstan 2,4 786.000
Kirgistan 27,6 410.000 1,6 65.000
Tadschikistan 1 271.000 49,6 467.000
Turkmenistan 1,5 1.700.000
Usbekistan 6,2 1.883.000 5,1 2.250.000
Afghanistan 21,6 385.000
Gesamt 37,2 3.350.000 79,3 4.317.000

Am Syr Darja sind drei Speicherseen von besonderem Interesse (vgl. Tab. 2). Der Toktogul-Stausee bietet Kirgistan die Möglichkeit, die Wassermenge des Naryn und damit des Syr Darja aktiv zu regulieren. Der Andischan-Stausee liegt im Grenzgebiet von Usbekistan und Kirgistan. Der Kairakkum-Stausee wurde in Tadschikistan an einer strategischen Stelle am Ausgang des Ferghana-Tals gebaut, von wo aus Usbekistan und über den Dustlik-Kanal auch ein kleineres Gebiet der kasachischen Provinz Ontüstik (Südkasachstan) mit Wasser versorgt werden, bevor der Syr Darja zum Tschardara-Stausee in Kasachstan weiter fließt. Da die Oberanrainer in sowjetischen Zeiten Energie aus den anderen Republiken geliefert bekamen, dienten die Stauwerke am Syr Darja damals vorwiegend zur Flussregulierung für die landwirtschaftliche Bewässerung. Die Gewinnung von Wasserkraft war eher ein Nebeneffekt.

Tabelle 2: Stauseen am Syr Darja
Syr Darja-Becken
Stausee Land Fluss Gesamtspeicher-
volumen (km³)
Nutzbares Speicher-
volumen (km³)
Toktogul Kirgistan Naryn 19,4 14
Andischan Usbekistan/Kirgistan Kara Darja 1,9 1,8
Kairakkum Tadschikistan Syr Darja 4 2,6
Tscharwak Usbekistan Tschirtschik 2 1,6
Tschardara Kasachstan Syr Darja 5,7 4,7

Im Amu Darja-Becken befindet sich der wichtigste Wasserspeicher für die landwirtschaftliche Bewässerung, der Tujamujun-See am Unterlauf des Flusses (vgl. Tab. 3). Auch er liegt in einem Grenzgebiet, nämlich dem von Usbekistan und Turkmenistan. Der Nurek-Stausee am Wachsch, dem kleineren der Zubringer, hat nur ein relativ kleines nutzbares Speichervolumen und war ursprünglich vor allem zur Gewinnung von Wasserkraft für die Nachbarstaaten gedacht. Da sich der Bau von Übertragungsleitungen aber als sehr teuer erwies, wird ein Teil der Hydroenergie nun doch direkt im Süden von Tadschikistan genutzt, wo ein Aluminiumwerk entstand.

Tabelle 3: Stauseen am Amu Darja
(* Sangtuda 1 ging erst
2009 in Betrieb)
Amu Darja-Becken
Stausee Land Fluss Gesamtspeicher-
volumen (km³)
Nutzbares Speicher-
volumen (km³)
Nurek Tadschikistan Wachsch 10,5 4,5
Baipasa Tadschikistan Wachsch 0,12 0,08
Sangtuda 1* Tadschikistan Wachsch 0,25 0,12
Tujamujun Usbekistan/ Turkmenistan Amu Darja 7,8 5,4

In Mittelasien verfügen die Länder am Oberlauf über erhebliche Wasserkraftpotentiale, während die Anrainerstaaten an den unteren Flussläufen wertvolle Bodenschätze wie Kohle, Gas oder Öl besitzen. Innerhalb der Sowjetunion waren die Länder wirtschaftlich sowohl im Agrarsektor als auch in der Energieerzeugung und -versorgung eng miteinander verflochten. Während die Oberanrainer im Sommer ihre überschüssige Energie in das mittelasiatische Übertragungsnetz einspeisten, wurden sie im Winter von den Unteranrainern mit fossilen Brennstoffen beliefert. So lieferte Tadschikistan 1990, d.h. im letzten Jahr vor der Unabhängigkeit, 2.668 GWh an seine mittelasiatischen Nachbarrepubliken und importierte selbst 3.927 GWh; Kirgistan exportierte 3.080 GWh und importierte im Gegenzug 601 GWh (Weltbank 2004). Auch bei der Nahrungsmittelversorgung wurde von den mittelasiatischen Sowjetrepubliken keine Autarkie erwartet.

Auflösung der Sowjetunion und Unabhängigkeit der mittelasiatischen Staaten

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Privatisierung der Industrie stiegen die Preise für Rohstoffe wie Kohle, Erdgas und Öl auf Weltmarktniveau, während der Energiepreis künstlich niedrig gehalten wurde. Da sich Kirgistan im Winter den Import der fossilen Brennstoffe für Heizung und Energieerzeugung nicht mehr leisten konnte, brachte es dem Land nur Nachteile, die Kapazitäten des Toktogul-Stausees am Syr Darja für die Bewässerung der Unteranrainer vorzuhalten. Also reduzierte Kirgistan in den Jahren 1991-2000 die durchschnittliche Abflussmenge des Toktogul-Sees im Sommer von 75% (8,1 km³) auf durchschnittlich 45% (6,1 km³). Diese Zahlen dürfen allerdings nicht überbewertet werden, da vor 1990 gelegentlich erhebliche Wassermengen abgelassen wurden, um ein Überlaufen des Stausees zu verhindern. Für Bewässerungszwecke wurden damals etwa 6,5 km³ benötigt.

Auch der Kairakkum-Stausee im Norden Tadschikistans wurde in der Sowjetunion zur Kontrolle der Bewässerung genutzt. Dieses Wasserkraftwerk (125 MW) bildet jedoch die einzige Stromquelle im Norden Tadschikistans. Nach der Unabhängigkeit wurde das Nutzungsregime des Stausees auf eine Maximierung der Stromerzeugung ausgerichtet, was für die Unteranrainer des Syr Darja Probleme schafft. Das Stauvolumen des flussabwärts gelegenen Tschardara-Stausees reicht nämlich nicht aus, um im Winter die zusätzlichen Wassermassen aus dem Toktogul-See beziehungsweise Kairakkum-See aufzunehmen. Obendrein ist der ungehinderte Abfluss des überschüssigen Wassers aus dem Tschardara-Stausee Richtung Aralsee blockiert, weil dann der Unterlauf zufriert. Das Hochwasser des Tschardara-Stausees wurde nach Usbekistan abgeleitet und führte zu Überschwemmungen in der Arnasai-Senke.

Um die Wasser- und Wasserkraftnutzung im Syr Darja-Becken besser zu regeln, schlossen die Regierungen von Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan im März 1998 ein zwischenstaatliches Abkommen. Darin sagten die Unteranrainer des Flusses zu, Kirgistan im Sommer Hydroenergie abzukaufen und das Land im Gegenzug im Winter mit anderen Brennstoffen zu beliefern. Wie viel Energie die Unteranrainer aufkauften – und damit auch, wie viel Wasser sie erhielten – sollte jährlich ausgehandelt werden. Im Juni 1998 wurden auch Tadschikistan und der Kairakkum-Stausee in das Abkommen eingebunden.

Eigentlich profitieren Usbekistan und Kasachstan doppelt von diesem Abkommen: Zum einen könnte Usbekistan den billigen Strom während der Wachstumsperiode in Usbekistan für die Pumpbewässerung verwenden, und Usbekistan wie Kasachstan könnten fossile Brennstoffe einsparen und für gutes Geld exportieren. Zum zweiten hätten sie genug Wasser für die Landwirtschaft. Leider sahen die beiden Länder den Zusatznutzen der billigen Stromversorgung nicht und versuchten, sich in der Stromversorgung von Kirgistan unabhängig zu machen. Um ihre Abhängigkeit vom Abfluss des Toktogul-Stausees zu reduzieren, suchten Usbekistan und Kasachstan nach Möglichkeiten, die anderen Zuflüsse des Syr Darja besser auszunutzen. Der Naryn ist zwar der größte Zufluss des Syr Darja (14,5 km³), jedoch ermöglichen kleinere Zuflüsse im Grenzland des Ferghana-Tals (Gesamtabfluss 11,7 km³), beispielsweise der Kara Darja (3,9 km³) oder der Tschirtschik (7,9 km³), Usbekistan einen weitgehenden Verzicht auf Wasser vom Toktogul-Stausee. Dadurch hängt die Menge Hydroenergie, die Kirgistan im Sommer exportieren kann, nun davon ab, wie viel Wasser die anderen Zuflüsse führen. Im Jahresdurchschnitt konnte Kirgistan seit 1998 noch 1.910 GWh exportieren und musste 300 GWh importieren.

Bilaterale Abkommen existieren momentan u.a. zwischen Kasachstan und Kirgistan sowie zwischen Usbekistan und Tadschikistan. Das Abkommen zwischen Kasachstan und Kirgistan regelt den Betrieb des Toktogul-Stausees. Allerdings scheint am Unterlauf des Syr Darja in Kasachstan zu wenig Wasser aus Kirgistan anzukommen. Ryabtsew (2008: 2) führt dies darauf zurück, dass das für Kasachstan bestimmte Wasser „teilweise in Usbekistan und Tadschikistan abgezweigt wird“, also von den Ländern am mittleren Flusslauf. Ein weiteres Abkommen zwischen Usbekistan und Tadschikistan bezüglich des Kairakkum-Stausees sieht wechselseitige Energielieferungen der beiden Partnerländer vor.

Datenerhebungen der Verwaltungseinheit, die für die Wasserzuweisungen an die Anrainerstaaten im Syr Darja-Becken zuständig ist, bestätigen, dass die Wasserzufuhr für Usbekistan im Vergleich zu anderen Anrainern in den meisten Jahren zuverlässiger funktioniert (vgl. Tab. 4). Im mittleren und unteren Amu Darja-Becken liegt die Infrastruktur für die usbekische Wasserversorgung in Turkmenistan. Daher hatte für die Sicherheit von Usbekistan eine zuverlässige Regelung mit Turkmenistan höchste Priorität. Die beiden Staaten einigten sich schon 1996 auf folgenden Modus: Usbekistan bezahlt jährlich 11,4 Millionen US$ als Pacht für die Pumpstationen der Wasserkanäle Richtung Buchara und Karschi sowie für die anteilige Wasserspeicherfläche im Tujamujun-Stausee. Über das Nutzungsregime des Nurek-Stausees in Tadschikistan gibt es keine Verträge mit den Unteranrainern, obwohl der Wasserstand in diesem See während der Winter- und Frühlingsmonate konstant sinkt und im Mai seinen niedrigsten Stand erreicht. 2002 exportierte Tadschikistan lediglich 266 GWh, musste aber 1.058 GWh importieren (World Bank, 2004). Auch zwischen den Provinzen ist das Wasser innerhalb von Usbekistan und Turkmenistan ungleich verteilt (vgl. Tab. 5). Dies ist aber eine innenpolitische Frage und wirkt sich auf den Betrieb des Nurek- oder Tujamujun-Stausees nicht aus.

Tabelle 4: Prozentuale Abweichungen von den
Wasserzuweisungen im Syr Darja-Becken
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Syr Darja (bis zum Tschardara-Stausee) 96 108 86 90 99 106 98 109 78
Kirgistan 125 105 74 52 64 56 56 81 65
Tadschikistan 107 120 91 93 93 90 89 99 66
Usbekistan 97 107 87 91 99 112 98 113 75
Kasachstan 60 81 61 72 86 90 95 99 85
Tabelle 5: Prozentuale Abweichungen von den
Wasserzuweisungen
im mittleren und unteren Amu Darja-Becken
Land Provinz/Region Flussabschnitt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Turkmenistan Karakum-Kanal Mitte unterhalb der Messstation Kerki 79 79 95 95 88 95 92 102 82
Usbekistan Karschi-Kanal 91 117 101 88 97 91 98 112 96
Usbekistan Amu-Buchara-Kanal 86 119 116 102 105 97 117 115 98
Turkmenistan Lebap 82 105 121 100 103 98 101 111 99
Usbekistan Chorezm unterhalb von Tujamujun 64 52 115 100 101 100 102 98 52
Turkmenistan Taschaus 45 54 127 95 103 102 104 102 48
Usbekistan Karakalpakstan 43 37 113 101 90 97 94 95 41

Der aktuelle Konflikt

Auch wenn Kirgistan und Tadschikistan sich um Energieautarkie bemühten, konnten sie doch ihre Spitzenlasten im Winter nicht abdecken. Da sie über ein erhebliches Potential zur Erzeugung von Wasserkraft verfügen, ist es nicht verwunderlich, dass beide Länder alte sowjetische Pläne zum Bau weiterer Wasserkraftwerke aus der Schublade zogen. Dabei geht es um Kambarata 1 und 2 am Naryn sowie Rogun am Wachsch. Bei dem Treffen der fünf Staatspräsidenten im April 2009 waren sowohl Kambarata 1 als auch Rogun umstritten.

Der Protest von Usbekistan und Kasachstan gegen Kambarata 1 scheint zunächst nicht nachvollziehbar zu sein, da etwas weiter flussabwärts der Toktogul-Stausee ohnehin schon den Naryn reguliert. Würde Kirgistan allerdings gleichzeitig Kambarata 1 und den Toktogul-Stausee ablassen, könnte die Überschwemmungsgefahr in der Arnasai-Senke weiter steigen. Tadschikistan wiederum könnte den Pegel des Wachsch vollkommen kontrollieren, sollte der Rogun-Staudamm tatsächlich in voller Höhe (335 m) gebaut werden. Den Unteranrainern scheinen die ersten beiden Baustufen des Stauwerks (auf 225 m bzw. 285 m) keine Sorgen zu machen. Der Wasserablass im Winter könnte auch bei geringerer Dammhöhe so minimiert werden, dass im Sommer mehr Wasser für die Landwirtschaft zur Verfügung stünde. Die entscheidende Frage ist also, ob sich die Ober- und Unteranrainer der beiden Flüsse gegenseitig vertrauen und ob sie miteinander kooperieren.

Russland sagte kürzlich zu, den Bau und auch die Betriebsverantwortung von Kambarata 1 zu übernehmen. In Kirgistan scheint die politische Opposition gegen eine Kontrolle nationaler Infrastruktur durch Russland zu sein. Für die Unteranlieger des Syr Darja könnte dieses Arrangement jedoch eine Garantie für den bedrohungsfreien Betrieb der Staustufen darstellen. Russland sagte außerdem zu, den Rogun-Staudamm zu finanzieren, konnte sich mit Tadschikistan aber weder darauf einigen, bis zu welcher Dammhöhe gebaut werden soll, noch darüber, bei wem nach Fertigstellung des Damms die Entscheidungshoheit in Nutzungsfragen liegen soll. Momentan baut Tadschikistan den Staudamm daher aus eigener Kraft.

Beim Vergleich des Kostenaufwands der einzelnen Projekte mit den gültigen subventionierten Strompreisen fällt auf, dass sich beim momentanen Preisniveau kaum eines der Projekte wirtschaftlich rechnet (vgl. Tab. 6). In den Ländern rings um Mittelasien schwankt der Preis zwischen 3 und 5,6 US-Cent pro kWh (Angaben für Russland und Pakistan). Der durchschnittliche Preis liegt bei 3,5 US-Cent. Daraus ergibt sich, dass am Wachsch Rogun wirtschaftlich betrieben werden könnte und am Naryn höchstens Kambarata 2. Sollte allerdings Kambarata 1 nicht in Betrieb gehen, würden sich die Leistung und somit auch die Wirtschaftlichkeit von Kambarata 2 verringern. Überdies würde Kambarata 2 die Energiesicherheit von Kirgistan im Winter nicht ohne die erste Staustufe sichern können. Momentan ist das ganze Übertragungsnetz auf die usbekische Hauptstadt Taschkent ausgerichtet. Übertragungsleitungen in die mittelasiatischen Länder stecken noch in der Bau- oder sogar Planungsphase. Die Fokussierung des Versorgungsnetzes auf Taschkent könnte sich als Hindernis erweisen, wenn Strom von Tadschikistan Richtung Norden (sogar in die eigenen nördlichen Landesteile) oder von Kirgistan Richtung Süden geleitet werden soll, da die Leitungsgebühren wahrscheinlich aus politischen Gründen steigen würden.

Tabelle 6: Geplante Stauprojekte im Amu Darja- und
Syr-Darja-Becken
(Kapazitäten und Kosten)
Staudamm Land Fluss Gesamt-
speicher­
volumen
(km3)
Nutzbares Speicher-
volumen (km3)
Wasserkraft-
potential
Kosten/kWh (in US-Cent) Durchschnitts-
preis 2003 pro kWh (in US-Cent)
Kambarata 1 Kirgistan Naryn 5,4 3,4 5.200 GWh 7,17 1,4
Kambarata 2 Kirgistan Naryn minimal minimal 1.200 GWh 3,72
Rogun Tadschikistan Wachsch   13.100 GWh 2,46 – 2,83 0,5
  1. Baustufe 2,8 1,9
2. Baustufe 6,8 4,0
3. Baustufe 13,3 10,3

Schlussfolgerungen

Auch wenn sich bei dem Präsidententreffen in Almaty zwei Fronten zu formieren schienen, wird bei genauerer Betrachtung klar, dass dies nur oberflächlich gilt. Dies ist insbesondere bezüglich des Syr Darja-Beckens der Fall, wo der Mittelanrainer Usbekistan und der Unteranrainer Kasachstan jeweils mit unterschiedlichen Oberanrainern Abkommen schlossen. In dieser Konstellation hat Kasachstan die schlechtesten Chancen, ausreichend Wasser abzubekommen. Im Amu Darja-Becken haben sich zwar Turkmenistan und Usbekistan über das Nutzungsregime geeinigt, jedoch beschwert sich Usbekistan unter der Hand häufig, dass Turkmenistan zu viel Wasser abzweigt. Die Unteranrainer sind sich also in beiden Flussbecken nicht einig. Die Oberanrainer eint zwar der Wunsch, jeweils große Stauwerke zu bauen, jedoch unterscheiden sich ihre Interessen und Positionen abhängig von der Geschichte der bereits existierenden Stauwerke, den bestehenden Speichervolumina (und damit der Fähigkeit, den Unterlauf zu regulieren), der Relevanz der Zuflüsse für das jeweilige Flussbecken und der wirtschaftlichen Machbarkeit der geplanten Projekte.

Wie erläutert bringen die unterschiedlichen Nutzungsregime der projektierten Stauwerkkaskaden jeweils bestimmte Vor- oder Nachteile für die Unter- bzw. Oberanrainer der Flussbecken mit sich:

Ein maximaler Wasserabfluss im Winter ist für die Unteranrainer nachteilig.

Ein maximaler Wasserabfluss im Sommer ist für die Unteranrainer vorteilhaft, für die Oberanrainer aber nachteilig.

Ein gestufter Wasserabfluss – im Winter aus dem Stausee am Oberlauf und im Sommer aus dem Stausee am Unterlauf – hat kaum wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unteranrainer, wird von diesen aus politischen Gründen jedoch als Nachteil empfunden, da diese Lösung die Unabhängigkeit und Machtposition der Staaten am Oberlauf stärkt.

Seit der Unabhängigkeit waren die fünf mittelasiatischen Staaten vor allem auf Autarkie bedacht und haben sich deshalb vom integrativen sowjetischen Ansatz verabschiedet, der für einen Nachteilsausgleich zwischen den Nachbarrepubliken sorgte. Eine Beteiligung von außen, z.B. von Russland, könnte in dieser Situation zur Stabilisierung beitragen. Könnte sich Tadschikistan dazu durchringen, den Rogun-Staudamm zusammen mit einem anderen Partner zu bauen, wäre dies ebenfalls ein positives Signal. Dabei sollte allerdings auch kritisch hinterfragt werden, welchen Vorteil sich Russland davon verspricht, im Syr Darja-Becken ein Staudammprojekt mitzufinanzieren, das zumindest vorläufig nicht wirtschaftlich zu betreiben ist.

Literatur

Forschungsstelle Osteuropa (2008): Zentralasienanalysen 08/2008. http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen08.pdf.

Ryabtsev, A.D. (2008): Threats to Water Security in the Republic of Kazakhstan in the Transboundary Context and Possible Ways to Eliminate Them. http://www.icwc-aral.uz/workshop_march08/pdf/ryabtsev_en.pdf.

World Bank (2004): Central Asia. Regional Electricity Export Potential Study. http://siteresources.worldbank.org/INTUZBEKISTAN/Resources/REEPS_Main_Report_Final_English.pdf.

Dr. Kai Wegerich ist Assistant Professor in der Irrigation and Water Engineering Group der Wageningen University in den Niederlanden.

Energiekonflikte auf dem »Eurasischen Schachbrett«

Energiekonflikte auf dem »Eurasischen Schachbrett«

Europas weiche Geopolitik im russischen Hinterhof

von Stephan Heidbrink

Da das fossile Energieregime an seine Grenzen stößt, ohne dass bisher durchsetzbare Alternativen erkennbar wären1, erfahren die erdöl- und erdgasreichen Regionen in den geoökonomischen und geopolitischen Kontrollstrategien der Zentrumsstaaten eine starke Aufwertung. Energiesicherung wird zur Zielgröße strategischer Außen(wirtschafts)politik – der Geostrategie. Es ist ein Konflikt um die Macht, die Spielregeln auf den Energiemärkten definieren zu können.

Im Mittelpunkt steht dabei in erster Linie die sog. »strategische Ellipse«, die den Nahen und Mittleren Osten, den Kaukasus sowie große Teile Russlands und Zentralasiens umfasst. Hier konzentrieren sich etwa 70% der konventionellen Weltölreserven und ca. 68% der Weltgasreserven.2 Für die absehbarer Zukunft bedeutet dies, dass insbesondere die Rolle der Russischen Förderation im Mittelpunkt der US-amerikanischen und europäischen strategischen Überlegungen stehen wird.3

Die Versuche des Westens, die strategische Ellipse zu kontrollieren, sind dabei keineswegs nur jüngsten Datums. In dem Versuch, die einzigartigen Chancen zur Ausweitung und Verstetigung der informellen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten im »unipolar moment« (Charles Krauthammer 1990) während und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu nutzen, verfolgten die USA bzw. »der Westen« eine doppelte Strategie. Einerseits galt es, die russische Ökonomie entlang neoliberaler Vorstellungen für westliches Kapital zu öffnen und so für die Disziplinierung durch den (Welt-)Markt bzw. das transnationale Kapital empfänglich zu machen, andererseits sollte Kontrolle über die kaspischen Staaten – den russischen »Hinterhof« – auch mit Blick auf die fossilen Energiereserven erlangt werden.4

Im Rahmen der US-amerikanischen Geostrategie nimmt die Europäische Union – und innerhalb dieser v.a. die Bundesrepublik Deutschland – zunehmend eine »Brückenkopffunktion« bezüglich der Durchsetzung ihrer Interessen auf dem eurasischen Kontinent ein. Für die Europäische Union hat der ungefährdete Zugriff auf Öl- und Gasreserven eine besonders hohe Bedeutung, die in den letzten Jahren noch einmal stark zugenommen hat. Die EU ist heute bereits der weltgrößte Importeur von fossilen Energieträgern (allen voran Erdöl und Erdgas); dabei stammen derzeit etwa 40% aller europäischen Energieimporte aus der Russischen Förderation (und werden zu 80% durch die Ukraine transportiert). Die Europäische Kommission geht jedoch sogar davon aus, dass sich „die Abhängigkeit von Gasimporten […] bis 2030 voraussichtlich von 57% auf 84%“ und „die Abhängigkeit von Ölimporten von 82% auf 93%“ erhöhen werden.5

Die europäische Strategie zur Sicherung der Energieversorgung besteht aus zwei Aspekten. Neben dem Versuch, die europäische Energieversorgung durch neue Pipelineprojekte zu diversifizieren, hat die Absicherung der mittel- und langfristigen Liefer- und Kooperationsbeziehungen mit den Gas- und Ölförderländern durch ein marktliberales vertragliches Rahmenwerk nach dem Vorbild der WTO oberste Priorität. Im Prinzip existiert ein solcher Rechtsrahmen bereits. Die EU hatte in den 1990er Jahren die Initiative ergriffen, eine Europäische Energiecharta auszuhandeln, die zugleich die Grundlage für den Energiecharta Vertrag (ECV) bildete, der im Dezember 1994 von etwa 50 Staaten unterzeichnet wurde.6 In ihm sind Bestimmungen zum Investitionsschutz, zum Handel mit Energieträgern (Öl- und Gas), zu Transitkonditionen und auch ein internationales Streitbeilegungsverfahren enthalten. Die Wirkung ist jedoch äußerst begrenzt. So haben die USA und Kanada den Vertrag nicht unterzeichnet; China und Saudi-Arabien begnügen sich mit einer Beobachterrolle und Norwegen, Australien, Island, Weißrussland und Russland haben den ECV zwar unterzeichnet, nachfolgend jedoch nicht ratifiziert.

Russische Stabilisierungsversuche

Die Liberalisierungsoffensive der EU stößt gerade in Russland auf ein gegenläufiges Projekt: Nach der chaotischen, geradezu »raubtierkapitalistischen« Jelzin-Ära wird seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin (2000) versucht, die Wirtschaftsstruktur zu stabilisieren und zu diversifizieren sowie die eigenen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen auch international deutlicher zu artikulieren. Im Wesentlichen zielt die Putinsche Agenda darauf, den staatlichen Autoritätsverfall aufzuhalten. Im Zentrum steht dabei die Kontrolle über den Energiesektor.7 Er steht – gemeinsam mit den übrigen Rohstoffsektoren – für etwa 25% der gesamtwirtschaftlichen Produktion Russlands.

Deshalb wurde in den letzten Jahren eine Renationalisierung des Energiesektors eingeleitet. Das Projekt begann mit der Wiedererlangung der staatlichen Kontrollmehrheit bei dem Gasmonopolisten Gazprom, an dem der russische Staat nunmehr eine 50,002-prozentige Mehrheit hält, und der nach Jahren als „Selbstbedienungsladen“ (Alexander Rahr) unter der Führung des Putin-Vertrauten Alexej Miller nunmehr zu einem strategisch agierenden Konzern umgewandelt wurde.8 Gazprom hält einen 25%igen Anteil an der Weltgasproduktion und hat Zugriff auf etwa ein Drittel der weltweiten Erdgasreserven. Der Konzern verfügt über das Monopol in den Bereichen Produktion, Transport und Export von russischem Erdgas. Das Tochterunternehmen Gazeksport ist der weltweit größte Gasexporteur und der wichtigste Gaslieferant Europas mit einem Marktanteil von über 20% in Westeuropa und über 50% in Osteuropa (ohne GUS). Damit erwirtschaftet Gazprom ein Viertel der gesamten russischen Deviseneinnahmen.9

Ab 2003 wurden zudem zentrale Segmente des Ölsektors in staatliche Kontrolle zurückgeführt. Staatliche Ölgesellschaften stellten 2003 nur rund 12% der russischen Ölförderung. Insbesondere in den USA ansässige transnationale Öl-Konzerne wie ExxonMobil und Chevron wurden von der neuen russischen Strategie getroffen. Als besonders aggressive Vertreter im Wettlauf um Zugang zu den russischen Ressourcen hatten sie auf die beiden reichsten Männer Russlands und die mächtigsten innenpolitischen Gegenspieler Putins gesetzt: Auf den Oligarchen Roman Abramowitsch (Besitzer von Sibneft; 2003) und Michail Chodorkowski (Besitzer von Yukos; 2003). Bei der geplanten Mega-Fusion zwischen Sibneft und Yukos zur bei weitem größten russischen Ölfirma sollten zugleich ExxonMobil und Chevron beteiligt werden. Darüber hinaus verhandelte Chodorkowski (an staatlichen Stellen vorbei) mit China über den Bau einer transsibirischen Pipeline. Aus Sicht der russischen Administration drohte damit ein beachtlicher Kontrollverlust über strategisch wichtige Öl- und Gasvorkommen sowie Pipeline-Routen. Die Verhaftung Chodorkowskis 2003 wegen Steuerhinterziehung beendete das Projekt. In den folgenden Jahren wurde Yukos durch Steuernachforderungen (etwa 28 Mrd. $) zum Verkauf gezwungen, die größte Fördergesellschaft von Yukos erwarb der staatlich kontrollierte Rosneft-Konzern.

Ende 2005 wurde auch das Abramowitsch-Unternehmen Sibneft für über 13 Mrd. $ von Gazprom übernommen. Damit entfielen Ende 2005 35% der russischen Ölförderung auf staatliche Gesellschaften (Rosneft, Sibneft, Gasprom sowie Tatneft und Baschneft, die unter Verwaltung der Behörden von Tatarstan und Baschkirien stehen). Gegenüber 2003 hat sich der Produktionsanteil der staatlichen Ölgesellschaften somit etwa verdreifacht. Obwohl man weiterhin an ausländischen Investitionen interessiert ist, sind die Tendenzen unübersehbar, den Zugriff westlicher Konzerne auf russische Ressourcen stärker kontrollieren zu wollen. Im Jahr 2006 erließ der Kreml ein Gesetz, in dem Öl-, Gas- und Metalllagerstätten explizit zu strategischen Reserven aufgewertet wurden. Deren Ausbeutung muss nunmehr unter der Führung russischer Unternehmen stattfinden. Bestehende Mehrheitsbeteiligungen westlicher Firmen an der Exploration werden mit Hilfe der Anwendung bereits vorher bestehender Umweltauflagen oder auch Steuerfahndungen zugunsten russischer Konzerne (allen voran Gazprom) zurückgedrängt.

»Weiche« Geopolitik

Aufgrund der Schwierigkeiten, den russischen Energiesektor für westliches Kapital umfassend zu öffnen, wird nunmehr verstärkt versucht, Gas- und Ölvorkommen durch die Diversifizierung der Energieinfrastruktur unter Umgehung Russlands an Europa zu binden. Hierdurch soll die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen reduziert werden, um so zu verhindern, dass Moskau diese unter Umständen als politisches Druckmittel einsetzen könnte.

Dabei sind in das europäische Projekt zur Energiesicherung schon seit den frühen 1990er Jahren Elemente einer »weichen« Geopolitik eingelassen. Die umkämpfte und konfliktreiche Aufbereitung des Raumes im Energiebereich bezieht sich dabei vor allen Dingen auf die Entwicklung der Energieinfrastruktur, d.h. vor allem Pipelines sowie Verkehrswege in der Türkei und dem Kaukasus. Letztlich geht es aber um den Zugriff auf zentralasiatisches Öl und Erdgas, dessen Transport derzeit nur durch Russland erfolgen kann und daher deutlich unter Weltmarktpreisen erworben und strategisch eingesetzt wird – insbesondere durch Gazprom.

Die durch die EU angestrebte Diversifizierung in der Energieversorgung wurde bislang insbesondere durch zwei (komplementäre) Unterprogramme des TACIS-Programms10 (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) vorangetrieben, wobei sich der Auf- und Ausbau des Pipelinenetzes sowie die Erschließung der dazu gehörigen Verkehrswege als inkohärent erweisen. Zum einen handelt es sich dabei um das Programm INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe), das seit 1994 mittels des Auf- und Ausbaus eines Pipelinenetzes kaspisches Öl und Gas an den europäischen Markt anschließen soll. Zum anderen existiert das TRACECA-Programm (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia), das auf die Entwicklung eines alternativen Transportkorridors zu der traditionellen Handelsroute durch Russland ausgerichtet ist. Die Russische Föderation ist als einziger Staat des eurasischen Raumes nicht Mitglied in dem Programm.11

Vor allem das TRACECA-Programm ist recht eindeutig darauf ausgerichtet, mit der »Neuen Seidenstraße« das Raummonopol Russlands zu brechen. Zwar sind die Ergebnisse bislang bestenfalls bescheiden. Da seit einiger Zeit innerhalb der Europäischen Union die Transatlantiker, die für eine konfrontative Politik gegenüber Russland eintreten, immer mehr die Oberhoheit gewinnen, dürften derartige Versuche künftig jedoch intensiviert werden.

Die Dominanz der transatlantisch orientierten Fraktion im Bereich der »weichen« Geopolitik ist in der europäischen Unterstützung für das Pipeline-Projekt NABUCCO besonders deutlich ausgeprägt. Die über 3.000 Kilometer lange Pipeline ist das zentrale EU-Projekt bei der Suche nach einer „unabhängigen Versorgung durch Erdgasrohrleitungen von der kaspischen Region“.12 Die Pipeline soll von Aserbeidschan durch die Türkei, Rumänien, Bulgarien und Ungarn bis nach Österreich geführt werden. Unter der Führung der österreichischen OMV wird das Projekt von einem Konsortium aus Botas (Türkei), MOL Natural Gas Transmission (Ungarn), Bulgargaz (Bulgarien) und SNTGN Transgaz SA aus Rumänien und inzwischen auch RWE vorangetrieben.13

Das Konsortium kann sich auf die massive Unterstützung durch die EU verlassen, die (genau wie Deutschland) dem Projekt höchste Priorität einräumt.14 Die Machbarkeitsstudie wurde von der EU mit 4,8 Mio. Euro unterstützt und die Europäische Investitionsbank (EIB) sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) signalisieren ihre Bereitschaft, bis zu 70% der Finanzierung zu übernehmen.

Inzwischen mehren sich Überlegungen, die Pipeline bis zur Ostseite des kaspischen Meeres weiterzuführen, um so auch die zentralasiatischen Ressourcen unter Umgehung Russlands aber auch Irans dem Europäischen Markt zuführen zu können.

Das politisch, finanziell und technisch anspruchsvollste Projekt ist jedoch die BTC-Pipeline. Sie ist neben der geplanten NABUCCO-Trasse der bisher größte Erfolg der Atlantiker. Insbesondere die USA als wichtigster Kunde Aserbeidschans wollen damit ihre Abhängigkeit vom nahöstlichen Öl verringern. Gleichzeitig umgeht die Pipeline Russland und den Iran und passt sich insofern in die Diversifizierungsstrategie der Europäischen Union ein. Die jetzige Streckenführung ist die teuerste und technisch aufwendigste Variante, die zudem noch mit enormen Umweltrisiken behaftet ist, da die Trasse durch stark erdbebengefährdetes Gebiet verläuft. Das betreibende Konsortium steht unter der Leitung der britischen BP, der US-amerikanischen Unocal sowie der Turkish Petroleum Inc. Dass die an dem Projekt beteiligte EBRD nicht auf einer Sicherung der Trassenführung nach EU-Standards bestanden hat, zeigt die Dominanz geopolitischer Überlegungen hinter der europäischen Beteiligung an dem Projekt. Die BTC ist ein offensichtlich gegen Moskau gerichtetes Projekt: Die Stationierung US-amerikanischer Truppen schon 2001 in Georgien, die folgende Finanzierung der »Caspian Guard« zum Schutz der Pipeline durch das Pentagon und Pläne zur Errichtung einer Militärbasis in Aserbeidschan können hier als Indizien gelten. Darüber hinaus ist das Projekt nicht nur aus umweltpolitischen Überlegungen höchst zweifelhaft, auch die wirtschaftliche Rentabilität ist in Zweifel zu ziehen. Die ehemals euphorischen Schätzungen des Ölreichtums des Kaspischen Meeres sind nunmehr deutlich ernüchterten Prognosen gewichen. Ob die Pipeline überhaupt ausreichend (lies: rentabel) gefüllt werden kann, ist derzeit eine offene Frage. Gleichzeitig erweisen sich jedoch die Erdgasreserven der Region (zwischen 6% und 8% der Weltreserven) zunehmend als Objekt der Begierde, gerade wenn es darum geht, gegenüber Russland oder genauer: Gazprom unabhängiger zu werden.

Russische Gegenstrategie

In Russland wird das NABUCCO-Projekt als Versuch interpretiert, das russische Raummonopol zu brechen. Hier decken sich die Wahrnehmungen von Gazprom und der russischen Regierung. Der russische Gaskonzern bemüht sich daher, das Projekt überflüssig zu machen und damit gleichzeitig näher an das europäische Verteilersystem heranzurücken. Bereits 1999 hatte Gazprom gemeinsam mit der italienischen ENI und unter heftigen Protesten der US-Administration begonnen, mit dem Blue Stream Projekt unter Umgehung der Ukraine eine Gaspipeline durch das schwarze Meer zur türkischen Stadt Samsun zu verlegen. Dieses Projekt richtete sich (unter Beteiligung japanischer und türkischer Firmen) gegen die Pläne eines anglo-amerikanischen Konsortiums, eine Pipeline (Trans-Caspian Gas Pipeline; TCP) durch das Kaspische Meer nach Turkmenistan zu führen. Das Gazprom-Unterfangen war bereits 2002 erfolgreich und beendete (vorerst) das TCG-Projekt.15 Aktuell plant Gazprom eine Verlängerung von Blue Stream parallel zum NABUCCO-Vorhaben durch Bulgarien und Rumänien bis nach Ungarn.

Gleichzeitig veräußerte E.On Ruhrgas seine Anteile an der ungarischen MOL (Mitglied im NABUCCO-Konsortium) gegen eine 25%-Beteiligung am russischen Yuschno-Russkoje-Feld an Gazprom. Darüber hinaus nutzt Gazprom die deutliche Abkühlung der Verhältnisse zwischen der Türkei und den USA einerseits sowie der EU andererseits. Frustriert über die Ignorierung türkischer Sicherheitsinteressen im Nordirak durch die US-amerikanische Regierung und die Hinhaltetaktik bzw. inzwischen ablehnende Haltung der Europäischen Union in der Beitrittsfrage zeigt sich die Türkei gegenüber dem Billig-Erdgas-Angebot von Gazprom aufgeschlossen. Die Spannungen zwischen Frankreich und der Türkei aufgrund des Armenien-Beschlusses der französischen Nationalversammlung haben bereits dazu geführt, dass Gas de France die Beteiligung an dem NABUCCO-Konsortium verwehrt wurde, obwohl deren Kapital dringend zur Realisierung benötigt wird. Das Projekt, die Türkei zur Energiedrehscheibe vis-a-vis Russland auszubauen, ist ernsthaft bedroht.

Für die Europäische Union kommt erschwerend hinzu, dass NABUCCO, um halbwegs rentabel betrieben werden zu können, auf zentralasiatisches Gas, vor allem aus Turkmenistan angewiesen ist. Insofern war es ein schwerer Schlag, als Wladimir Putin im Mai 2007 mit dem turkmenischen Präsidenten Gurbanguli Berdymuchamedow vereinbarte, dass große Teile des turkmenischen Erdgases über das russische Leitungsnetz geleitet werden.16

Das Vorhaben, mittels NABUCCO die zentralasiatischen Reserven aus der russischen Kontrolle zu lösen, droht damit zu scheitern. Einzig russisches und iranisches Gas könnten die Pipeline nunmehr ausreichend füllen, aber sowohl die iranische Option als auch ein Einstieg von Gazprom in das Konsortium stoßen sowohl auf heftigen Widerstand der Vereinigten Staaten wie auch auf große Skepsis in Europa.

Derzeit führt für die europäische Gasversorgung kein Weg an Gazprom vorbei. Dies ist aus westlicher Sicht umso Besorgnis erregender, als sich Gazprom bemüht, ein integrierter Energiekonzern zu werden. Das zielt sowohl auf die Ausdehnung des Geschäftsfeldes von der Förderung über den Transport bis hin zur Raffinierung von Erdöl als auch auf die Übernahme von Gasinfrastruktur und den direkten Zutritt zu Endverbrauchermärkten in Europa. Die Gazprom-Strategie kann als Lehre aus den Nationalisierungen der Ölgesellschaften im Nahen und Mittleren Osten gedeutet werden. Damals kontrollierten die neuen staatlichen Unternehmen zwar die Ölförderung (upstream), aber der Transport (mid-stream) und die Verarbeitung/Vermarktung (downstream) blieb von westlichen Firmen dominiert. Das gab den mehrheitlich anglo-amerikanischen Unternehmen (sowie dem Westen als dem zentralen Absatzmarkt insgesamt) ein entscheidendes Druckmittel an die Hand.17 Gazprom hingegen versucht, Quellen, Transportwege und Absatzmärkte unter ihrem Dach zu integrieren.

Der Konzern benutzt dazu seine marktdominierende Stellung in Russland und insbesondere seinen exklusiven Zugriff auf billiges zentralasiatisches Gas (und Öl). Die abrupten Preiserhöhungen gegenüber der Ukraine (März 2005/Anfang 2006) und Weisrussland (Ende 2006/Mai 2007) wurden durch Kompromisse beigelegt: Beide Staaten zahlen nicht den vollen Weltmarktpreis, aber sie treten die Kontrolle über ihre Gasinfrastruktur ab.18 Ein ähnliches Bild zeigt sich im Kaukasus: Das westlich orientierte Georgien weigerte sich, seine Infrastruktur abzutreten und zahlt nunmehr Weltmarktpreise. Demgegenüber zeigte sich Armenien kooperativ und zahlt statt 230 $ pro 1000 Kubikmeter Gas nur 110 $. Innerhalb der EU wird dies wiederum als ein gezielter russischer Versuch interpretiert, die europäische Energieversorgung unter Kontrolle zu bringen, um sich so ein erhebliches machtpolitisches Druckmittel zu verschaffen.19

Eskalationsdynamiken – Droht ein neuer Kalter Krieg?

Die geoökonomischen Erfolge des Westens – in erster Linie durch die BTC-Pipeline – sowie die geopolitischen Verschiebungen – insbesondere durch die mit z.T. massiver westlicher Unterstützung erfolgten sog. »bunten Revolutionen« in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisistan (2005) – erweisen sich zunehmend als kontraproduktiv in dem Bestreben, Energiesicherheit herzustellen. Kooperationsangebote Russlands wurden ausgeschlagen, und stattdessen wird auf eine konfrontativere Politik gesetzt, die letztlich der Russischen Förderation nur wenige Optionen ließ. Darüber hinaus erschütterte der Georgienkrieg im August 2008 die Vorstellungen des Westens, in Georgien über einen sicheren Transportkorridor jenseits Russlands zu verfügen, nachhaltig.20

Der Ton wird immer rauer und die Auseinandersetzungen verlagern sich mittlerweile auch in andere Regionen. So richtet sich der Blick der Europäischen Union nach den Rückschlägen im Bereich der »weichen Geopolitik« nunmehr einerseits verstärkt auf Afrika, wo sich derzeit ein neuer Wettlauf zwischen der EU und Gazprom abzeichnet.21 Andererseits intensiviert die EU ihre Anstrengungen, einen globalen Gasmarkt zu errichten. Bislang ist Erdgas fast ausschließlich durch Pipelines zu transportieren; dies soll sich mit der Flüssiggastechnologie ändern. Tiefgekühltes und damit verflüssigtes Gas lässt sich auf Tankschiffen transportieren und würde Erdgas so zu einer global handelbaren Ware wie Öl aufwerten. In Reaktion darauf wurde am 23. Dezember 2008 in Moskau die »Gas-OPEC« als Kartell erdgas-exportierender Länder durch 16 Staaten gegründet. Wie handlungsfähig diese neue Organisation sein wird, ist bislang noch unklar. Doch ihre Existenz wurde vom NATO-Wirtschaftsausschuss in einem Bericht als Bedrohung eingestuft, da Russland hiermit beabsichtige, Energielieferungen als machtpolitisches Druckmittel einzusetzen.22 In diesem Zusammenhang sind die Forderungen etwa des einflussreichen US-Senators Richard Lugar zur Gründung einer »Energie-NATO« zu sehen. Damit würde eine Unterbrechung der Erdöl- und Erdgaslieferungen als Angriff auf das atlantische Bündnis bewertet.23 Noch sind solche Vorschläge nicht mehrheitsfähig, allerdings wurde die sichere Energieversorgung schon vor einiger Zeit in die Sicherheitskonzeptionen des Westens integriert.

An der Energiefrage entzündet sich daher ein europäischer neuimperialer Diskurs. Die bescheidenen Fortschritte in der Internationalisierung des europäischen neoliberalen Binnenmarktregimes in den europäischen Nachbarschaftraum und die Rückschläge in der »weichen« Geopolitik bereiten das Feld, auf dem weit reichendere Vorschläge fruchtbaren Boden finden. Aufgrund der Weigerung der russischen Förderation, auf die Kontrolle über die Energiewirtschaft zugunsten (westlicher) privater Akteure zu verzichten, wird Russland zunehmend als Gefahr für die westliche Energiesicherheit wahrgenommen.

Anmerkungen

1) Vgl. Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Münster; Leggett, Jeremy (2006): Peak Oil. Köln.

2) Barthel, Fritz Gerling, Peter (Koord.) (2003): Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2002. Rohstoffwirtschaftliche Länderstudien XXVIII. Hannover, S.55.

3) Kalicki, Jan H. Goldwyn, David L. (eds.) (2005): Energy Security. Toward a New Foreign Policy Strategy.

4) Vgl. Van der Pijl, Kees (2006): Global Rivalries. From the Cold War to Iraq. London, S.347ff.

5) Europäische Kommission (2007): Eine Energiepolitik für Europa. Brüssel, den 10.1.2007, KOM (2007) 1 endg., 4.

6) Westphal, Kirsten (2006): Energy Policy between Multilateral Governance and Geopolitics: Wither Europe? In: Internationale Politik und Gesellschaft 4/2006, S.53f.

7) Vgl. FN 4, S.347ff.

8) Vgl. Pörzgen, Gemma (2008): Gasprom. Die Macht aus der Pipeline. Hamburg.

9) Windisch, Nancy (2007): Gazprom – Unternehmenspolitik des größten Erdgaskonzerns der Welt. www.weltpolitik.net/

10) Inzwischen wurde das TACIS-Programm durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) ersetzt.

11) Ehlers, Kai (2006): Reicht Europa bis nach Kasachstan? In: Pflüger, Tobias Wagner, Jürgen (Hrsg.): Weltmacht Europa. Hamburg, S.183-197.

12) Europäische Kommission (2005): Grünbuch über Energieeffizienz. Brüssel, S.17

13)Ob es Zufall oder Absicht ist, das Konsortium setzt sich aus eben jenen Staaten zusammen, die im ersten Weltkrieg Verbündete gegen Russland waren.“ Kneissl, Karin (2006): Der Energiepoker. Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen. München, S.38.

14) Vgl. Wagner, Jürgen (2007): Der Russisch-europäische Erdgaskrieg. Studien zur Militarisierung Europas 30/2007.

15) FN 4, S.352

16) Wolkowa, Irina (2007): Masterplan der Energiestrategie. www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Russland/kaspi.html

17) Yergin, Daniel (1991): The Prize. The Epic Quest for Oil, Money Power. New York, S.389-541.

18) Lindner, Rainer (2007): Blockaden der Freundschaft. SWP-aktuell 3. Januar 2007. Dabei erhielt Weissrussland 2,3 Milliarden $ für Beltransgasanteile, deren Wert auf 800 Millionen Dollar geschätzt wurden.

19) Vgl. FN 14. Darüber hinaus bemüht sich Gazprom nunmehr, Anteile an europäischen Verteilernetzen zu erwerben. Die Liberalisierungsstrategie der EU hat dafür die Vorrausetzungen geschaffen und dies erweist sich unter den veränderten Bedingungen nunmehr als zunehmend kontraproduktiv für das Bestreben, die geopolitische Position der EU zu stärken.

20) Vgl. Hantke, Martin (2008): »Alles wieder offen«. Georgienkrieg und imperiale Geopolitik. IMI-Studie 2008-10. Tübingen.

21) Vgl. Wagner, Jürgen (2009): Gas-OPEC und afrikanische Nabucco. http://www.imi-online.de/download/JW-Gas-OPEC-Nabucco.pdf

22) Kreimeier, Nils Wetzel, Hubert (2007): EU und USA zittern vor neuer »Opec«, Financial Times Deutschland, 06.03.2007.

23) U.S. Senate Committee on Foreign Relations, Senator Richard G. Lugar Opening Statement for Hearing on Oil, Oligarchs and Opportunity: Energy from Central Asia to Europe, 12.06.2008.

Stephan Heidbrink promoviert in Marburg über Energiesicherungsstrategien der Europäischen Union und ist Mitglied der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI).

Kampf gegen internationale Bergbaufirmen

Kampf gegen internationale Bergbaufirmen

Ecuador: Indigener Protest im Amazonas

von Miriam Seemann

Der ecuadorianische Regenwald gehört zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Im Oriente – wie das Amazonasgebiet in Ecuador genannt wird – leben heute noch etwa 150.000 »Indigenas«. Die Shuars gehören zu diesen Völkern, die noch vor ca. 40 Jahren in einem der abgeschiedensten Gebiete des Regenwaldes lebten und dadurch ihre traditionelle Lebensweise erhalten konnten. Vor ca. zehn Jahren versuchten internationale Bergbaufirmen, speziell in der Shuar-Gemeinde Warints, wertvolle natürliche Ressourcen großflächig abzubauen. Die Shuars versuchten, sich mit Macheten und Jagdwerkzeugen dagegen zu wehren. Sie fordern die Einhaltung der internationalen Menschenrechte und die Umsetzung der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention zum Schutz indigener Völker.

Die Lebensverhältnisse der Shuar

Es ist 5 Uhr morgens, als Miguel Arutam zusammen mit seinen zwei Frauen und drei Kindern in Wartins, einem kleinen Dorf mitten im ecuadorianischen Regenwald, aufsteht. Miguel gehört zum Volk der Shuar, die auf der Bergkette »Cordillera del Cóndor« im Grenzgebiet zwischen Südecuador und Peru leben. Jedes Familienmitglied – selbst die Kinder – verfolgt nun routiniert seinen gewohnten Tagesablauf. Die Frauen bereiten das Frühstück vor, das aus Yucca-Wurzeln und »Chicha«, einem Getränk aus gegährten Maniok-Wurzeln, besteht. Die Kinder holen frisches Wasser vom kleinen Bach in der Nähe.

Währendessen beratschlagt Miguel mit weiteren Männern, wie sie bezüglich der Bergbauarbeiten in ihrem Dorf vorgehen sollten. Miguel sagt: „Wir Shuars unterscheiden nicht zwischen dem Eigentumsrecht auf Land und Erdboden. Wir sehen uns als Besitzer unseres Landes, in dem schon unsere Urvorfahren gelebt haben. Das beinhaltet alle Resourcen und somit auch den Erdboden. Wir akzeptieren nicht die ecuadorianische Gesetzgebung, die Bergbaukonzessionen für den Erdboden vergibt, insbesondere weil wir dabei gar nicht erst gefragt wurden.“ Warints gehört zu der Shuar-Provinz Nukui, zu der noch fünf weitere Shuar-Gemeinden gehören. Warints hat ungefähr 150 Bewohner. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diese Shuar-Gemeinde zu erreichen: Mit einer kleinen Propellermaschine nach einer halben Stunde Flugzeit oder zu Fuß nach 12 Stunden strammem Fußmarsch von der nächst größeren Stadt, Sucúa, entfernt. Die Shuar allerdings haben selten die finanziellen Mittel zu fliegen. Die Flugpiste wird meistens von den BergbaumitarbeiterInnen genutzt.

Miguels Familie bewohnt ihr eigenes Land und lebt wirtschaftlich autark, wie auch die anderen Shuar-Familien im Dorf. Sie leben von der Landwirtschaft, der Jagd, der Fischerei und dem Sammeln von Insekten, Früchten und Pflanzen. Heutzutage werden auch Rinder gehalten, die zum festen Bestandteil der Ernährung geworden sind. Fast 70% der Nahrungsmittel stammen aus natürlichen Ressourcen, so wie auch Produkte für Haushalt, Gesundheit, sowie Werkzeuge und Baumaterial. Daher ist die die Shuars direkt umgebende Fauna und Flora von essentieller Lebensbedeutung für sie. Trotzdem sind sie darauf angewiesen, einige Dinge aus der Stadt zu besorgen, insbesondere Salz, Kleidung, Bildungsmaterialien und einige Medikamente, was wiederum den finanziellen Druck auf viele Familien erhöht.

Der Einfluss von »Außen«

Berühmt wurden die Shuar durch den Brauch, ihren Feinden den Kopf abzuschlagen und zu einem Schrumpfkopf, der »tsantsa«, zu verarbeiten. Als einziges der bisher »entdeckten« Völker der Welt haben sich die Shuar erfolgreich gegen die europäische Eroberung ihres Lebensraumes durchgesetzt. Erst im 20. Jahrhunders kam es vermehrt zu Kontakten mit Missionaren und Kolonisten. Mit der infrastrukturellen Erschließung der Territorien hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Lebens- und Wirtschaftsweise vieler Shuar weitgehend verändert. In den 1960er Jahren begannen sich die Shuar mit Unterstützung der salesianischen Missionare zu organisieren. Anlass hierfür war eine Agrarreform und die Aufforderung der damaligen Regierung Ecuadors, das Amazonasgebiet zu besiedeln.

Mit der Besiedlung des Regenwaldes und der dadurch verbesserten Infrastruktur erreichten auch vermehrt Vertreter der Öl- und Bergbauindustrie die Gemeinden der indigenen Bevölkerung im Amazonas, um die reichhaltigen natürlichen Ressourcen der Region auszubeuten. Dies hatte letztendlich oft die Rodung von Regenwaldgebieten zu Folge, was wiederum für die Landwirtschaft verheerende ökologische Konsequenzen hatte.

Widerstand gegen die Bergbauunternehmen

In der Region »Cordillera del Cóndor« gibt es mehrere Bergbaukonflikte, die aus dieser Entwicklung entstanden sind. Der letzte Konflikt fand in der Shuar-Gemeinde von Warints statt. Er begann vor ca. zehn Jahren, als internationale Bergbaufirmen1 in Warints eintrafen. Diese versuchten in der Shuar-Gemeinde mit Unterstützung einiger »Mestizos«2 und in einigen Fällen von Vertretern der lokalen Regierung Bergbauaktivitäten aufzunehmen. Ihre Strategie ist simpel, aber effektiv: Sie versuchen, die Shuar-Familien mit finanziellen Mitteln zur Unterzeichnung von Verträge zu überreden, die die Zustimmung zu Bergbauaktivitäten auf ihrem Land bedeuten.

Dies hatte die soziale Spaltung der Shuar-Gemeinden zur Folge. Denn während einige Shuar-Familie weiterhin versuchen, sich gegen den Bergbau in Warints zu währen, profitierten andere Familien in finanzieller Hinsicht von seiner Umsetzung. In diesem Fall war es die Bergbaufirma Lowell, die die Spaltung der Gemeinde Warints ausgenutzt und ihre Bergbauaktivitäten dann auch 2004 begonnen hat. Die anderen 45 Shuar-Gemeinden der Region, die in der Shuar-Regierung »El Consejo de Gobierno Pueblo Shuar Arutam« (CGSHA)3 in der federalen Shuar-Dachorganisation »Federación Interprovincial de Centros Shuar« (FICSH)4 organisiert sind, lehnen Bergbauaktivitäten in der Region strikt ab.

Bereits am 11. September 2001 fand der erste offensive Wiederstand gegen die Bergbaufirma in Warints statt. Während die Zwillingstürme in New York einstürzten, haben die Shuars im tiefsten Regenwald Vertreter der Katholischen Kirche, der die Fluglinie in der Region gehört, spontan davon überzeugen können, alle Flüge nach Warints einzustellen. Das hatte zur Folge, dass alle Bergbaumitarbeiter der Firma EcuaCorriente Resources S.A., die später mit Lowell fusionierte, gezwungen waren, zu Fuß zwölf Stunden aus dem Regenwald zu laufen. Ganze zwei Jahre hatten die Shuars daraufhin Ruhe.

Eskalation des Konfliktes

Im Jahr 2003, nachdem zwei Jahre lang keine Bergbauaktivitäten in Warints zu verzeichnen waren, nahmen einige Shuar-Anführer neue Kontakte mit der amerikanischen Bergbaufirma Lowell Mineral Exploration auf. Ein Jahr später trafen Mitarbeiter der Firma zusammen mit Mitarbeitern des Ecuadorianischen Ministeriums für Bergbau und Energie in Warints ein, um die widerspenstigen Shuar-Familien davon zu überzeugen, ein neues Abkommen zu unterzeichnen und damit den Bergbauaktivitäten auf ihrem Land für die kommenden 30 Jahre zuzustimmen. Zunächst erfolglos. Doch nur sechs Monate später war es soweit: Die Shuar-Anführer unterzeichneten den Vertrag und erhielten dafür eine Zahlungszusage seitens Lowell über $100.000 Dollar. Die Verträge gelten bis heute. Nur: Nicht ein Cent kam bei den Unterzeichnern an.

Der nächste Widerstand war damit vorprogrammiert: Am 1. November 2006 taten sich mehrere Shuar-Gemeinden zusammen und entschieden, die Bergbaufirma Lowell aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Frauen, Kinder und Männer stürmten auf die Fluglandebahn in Warints, bewaffnet mit Macheten, Stöcken und Jagdwerkzeugen. Mit Erfolg. Am nächsten Tag verließen die Mitarbeiter der Firma das Dorf. Bis heute sind die Bergbaufirmen nicht zurückgekommen.

Die weiteren Pläne der Bergbaufirmen

Zwischen 1995 und 2004, als die Bergbauaktivitäten noch in der Explorationsphase waren, wurde eine erste Bestandsaufnahme der vorhandenen Ressourcen gemacht und noch nicht mit dem Abbau von Mineralien begonnen. Eigene Untersuchungen der Bergbaufirmen ergaben, dass die Gebiete, für die sie Bergbaukonzessionen haben, hauptsächlich Kupfer, Molybdän und Gold beinhalten. Die Oberfläche dieses Kupfergürtels soll insgesamt 3.200 m² betragen (Sandoval 2004).

Aller Voraussicht nach wird diese Entdeckung langfristig zum Aufbau einer großflächig angelegten Tagebauindustrie in Ecuador führen. Dies wäre ein weiteres Beispiel in Lateinamerika, wo in naher Zukunft enorme Sozial- und Umweltschäden vorhersehbar sind. Allein der »Import« von Arbeitern durch die Bergbauunternehmen hätte eine enorme soziale Auswirkung auf die Kultur der Shuars. Die von den Konzernen importierte Geld- und Marktwirtschaft würde die nachhaltige Wirtschaftsweise der Shuars verdrängen und einen radikalen Bruch mit ihrer vorherigen Lebensweise darstellen. Darüber hinaus fehlen dem ecuadorianischen Staat die personellen, materiellen und finanziellen Mittel, um die Einhaltung der Umweltgesetze zu kontrollieren und durchzusetzen.

„Wir Shuars stehen dem sozialen und kulturellen Einfluss der »mestizos« kritisch gegenüber“, sagt Miguel Arutam. „Konkret fürchten wir uns vor Problemen wie Prostitution, Krankheiten, Alkohol- und Drogenkonsum und steigenden Preisen der Grundnahrungsmittel. Wir haben Angst davor, dass sie unsere Umwelt schädigen und unser Grundwasser verschmutzen. Wir wissen von den enormen Umweltschäden im Norden Ecuadors, die von internationalen Ölfirmen verursacht worden sind.“ Eine weitere Bergbaufirma (EcuaCorriente Resources S.A.) plant bereits den Bau von Autobahnen and Camps sowie eine Zugstrecke vom Regenwald zur Pazifikküste, um die Mineralien schnellstmöglich über den Hafen Machala zu exportieren. Bis 2001 hatte diese Firma bereits über vier Millionen Dollar in ihre Aktivitäten vor Ort investiert und über zwei Millionen Dollar für Bergbaupatentrechte gezahlt (Sandoval 2004).

Fehlende Konsultation und Verstoß gegen internationale Menschenrechte

Ein Ausgangsproblem des Konfliktes ist die mangelhafte Konsultation der betroffenen Shuar-Gemeinden sowohl durch die Bergbaufirmen als auch durch die ecuadorianische Regierung. Denn laut Artikel sechs der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker „(…) haben die Regierungen die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren könnten, erwogen werden“. Diese Konsultationen sind „mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen“. In Ecuador selbst ist dieser Mechanismus im Artikel 88 der Verfassung verankert.

Da nicht alle Shuar-Vertreter der indigenen Gemeinden dem Projekt zugestimmt haben, ist die Entscheidung der Bergbaufirma Lowell, mit dem Bergbau zu beginnen, nicht in Übereinstimmung mit der Verfassung. Darüber hinaus seien sie nicht ausreichend konsultiert wurden, argumentieren die Shuars. Vor allem seien ihnen wichtige Informationen, wie die möglichen Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt, vorenthalten wurden.

Neben sozialen Menschenrechten, wie dem Recht auf Nahrung oder dem Recht auf Wohnen, werden auch zunehmend die bürgerlichen und politischen Rechte der Shuars beschnitten. In anderen Bergbaukonlifkten Ecuadors wurden bereits Proteste gegen die Minen mehrmals mit Hilfe der Polizei oder des Militärs blutig beendet.

Konkrete Forderungen an die Regierung und an die Bergbauunternehmen

Die Shuars fordern, im frühen Stadium der Planung der Bergbauaktivitäten mit einbezogen zu werden und so ihre freie, auf umfassende Information basierende Zustimmung (free prior informed consent)5 zu ermöglichen. Außerdem fordern sie, dass alle relevanten Dokumente wie Umweltverträglichkeitsprüfungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Projektpläne in die Sprache der Shuars übersetzt und veröffentlicht werden.

Die Shuars sind nicht partout gegen die Bergbauprojekte. Miguel Arutam sagt dazu: „Wir fordern, dass der Reichtum, der aus unserem Boden geschöpft wird, in unsere Gemeinden zurückfließt und nicht einfach abtransportiert wird. Auch wir Shuar-Gemeinden haben das Recht, vom Bergbau zu profitieren.“ Dies könnte durch die Schaffung von Arbeitsplätzen mit angemessenen Löhnen oder durch die Entwicklung der lokalen Infrastruktur (wie den Bau von Schulen und medizinischen Zentren) gelingen.

In Ecuador wurde im Januar diesen Jahres trotz massiver Demonstrationen und Straßenblockaden ein neues Bergbaugesetz verabschiedet. Die Hauptkritikpunkte daran sind, dass es inhaltlich nicht ausreichend debattiert wurde. Seine Umsetzung, so die Angst von Miguel, würde Schäden für die Umwelt nach sich ziehen und gegen die Souveränität der indigenen Bevölkerung verstoßen. Daher bliebe ihnen keine andere Wahl: Miguels Protest und der der anderen Shuars gegen die großflächige Ausbeutung von natürlichen Ressourcen auf ihren angestammten Gebieten und die Zerstörung ihrer Lebenswelt geht weiter.

Literatur

Fundación Natura (2004): Paz y Conservación Binacional en la Cordillera del Cóndor, Ecuador – Peru, Ministerio del Ambiente del Ecuador, CDC-Ecuador and Fundación Acroiris, Quito, Ecuador

Neumann, S. (1994): »Solo unidos somos fueretes«, Entstehung und Festigung ethnisch-politischer Organisationen im Tiefland vom Ecuador am Beispiel der »Federación de Centros Shuar«, Holos Verlag, Bonn.

Sandoval, F. (2004): Análisis de la actividad minera corporative en la Cordillera del Cóndor (Ecuador), Conservation International and Ambiente y Sociedad. Nicht veröffentlicht.

Anmerkungen

1) Diese sind u.a. die Firma Gastro Ecuador Gemsa (Ecuador) (1995), BHP Billington (British) (1999), EcuaCorriente Resources S.A. (Canada) (2000), und Lowell Mineral Exploration (USA) (in 2004 und aktiv bis vor kurzem) (Sandoval 2004).

2) Mestizo ist der spanische Begriff für Nachfahren von Weißen und der indigenen Bevölkerung.

3) Die CGSHA ist ein Pilotprojekt der FICSH mit dem Ziel eine unabhänige indigene Regierung zu gründen und basiert auf dem Ecuadorianischen Dezentralisierungsgesetz von 1997. Es umfasst sechs Shuar-Provinzen (Nunkui, Mayaik, Santiago, Limón y Bomboiza), 60 Shuar-Gemeinden, 8000 Personen und hat eine Fläche von ca. 211.000 Hektar (Fundación Natura, 2004).

4) Die FICSH wurde 1964 in Sucua gegründet. Es ist eine Organsiation mit einer hierarchischen Struktur, demokratisch gewählten Vertretern und einer administrativen Jurisdiktion über ein eingegrenztes Gebiet. Ziel ist der Schutz ihres Landes gegen die Interessen von anderen Siedlern, der Bergbauindustrie und der Regierung sowie der Erhalt ihrer eigenen Kultur. Heute gehören den Shuar rund 80 Prozent ihres angestammten Landes (Neumann 1994).

5) Das Konzept des »Free, Prior and Informed Consent« ist in der Erklärung zu den Rechten der indigenen Völker und in der Indigenenkonvention ILO 169 verankert.

Miriam Seemann, M.A., ist Trägerin des Nachwuchspreises 2008 der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung. Sie studierte Lateinamerikanistik in Portsmouth, England und »Interkulturelles Konfliktmanagement« an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Internationale Menschenrechte, Konfliktmanagement und die Rechte der indigenen Bevölkerung. E-Mail: miriam.seemann@yahoo.com

Ressourcenkonflikte zwischen China und Indien

Ressourcenkonflikte zwischen China und Indien

von Saskia Hieber

Berichte über die Konkurrenz und das gegenseitige »Ausbooten« chinesischer und indischer Energiefirmen im Persischen Golf oder in Afrika haben Diskussionen über mögliche Ressourcenkonflikte zwischen den asiatischen Großmächten befördert. Tatsächlich bewirkt der wirtschaftliche Aufstieg der asiatischen Schwellenländer einen wachsenden Rohstoffbedarf. Asiatische Firmen kaufen Gasfelder, Öllieferungen, Konzessionen, Minen, Metalle, Farmen und Landwirtschaftsprodukte auf der gesamten Südhalbkugel – gleichzeitig suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten.

Einerseits ist diese Entwicklung insofern potentiell problematisch, weil dies in einem größeren sicherheitspolitischen Kontext zu verorten ist und zusätzlich die »Energiekonkurrenz« mit älteren, erfolgreichen Volkswirtschaften in Asien – wie Japan – besteht, das fast 90% seiner Energie importieren muss. Strategische Planungen wie etwa Pipelinerouten und der Ausbau von Verkehrsverbindungen, Kommunikationswegen und militärischen Anlagen in den jeweiligen Nachbarländern tragen genauso zum gegenseitigen Misstrauen bei wie die historischen Feindseligkeiten zwischen China und Indien und alte Machtkonstellationen im asiatischen Raum (Indien und die Sowjetunion gegen China und Pakistan).

Andererseits dürfen die Möglichkeiten und Schritte zu regionaler Kooperation nicht unterschätzt werden. Neben bilateralen Einigungen besteht ein großes Potential, regionale und flexible Lösungen zu entwickeln. Als Beispiel sei der »Code of Conduct« der Anrainer des Südchinesischen Meeres genannt.1 Schließlich sind die Notwendigkeit wirtschaftlichen Handels und der in der Region traditionelle Pragmatismus, der eine Kooperation auch auf wenig institutioneller Ebene ermöglicht, konstruktive Merkmale.

Der politische Rahmen

Die Beziehungen zwischen China und Indien waren schlecht. Als Gründe gelten die Grenzkriege 1962 und die Konkurrenz um Einfluss in Südostasien, in der Himalayaregion und auf der Südhalbkugel. Die Territorialdispute, Atomprogramme und Rüstungsvorhaben sind weitere Belastungsfaktoren, ebenso wie die Instrumentalisierung alter Machtkonstellationen in Bezug auf Strukturen des Kalten Krieges, terroristische Bedrohungen und die Zukunft Pakistans. Ebenfalls für Misstrauen hat der Ausbau von Verkehrs- und Kommunikationswegen und militärischer Anlagen in Nachbarstaaten gesorgt. Hier ist insbesondere Myanmar zu nennen, durch das sich China einen Zugang zum Indischen Ozean verspricht. Auch Chinas Engagement in Pakistan und der Ausbau des Golf-Hafens Gwadar wurden in Neu-Delhi kritisch betrachtet. Umgekehrt trifft Indiens neue Präsenzstrategie, die nicht nur auf die eigenen Küstengewässern abzielt, sondern auf das gesamte Arabische Meer und den Indischen Ozean, auf Besorgnis in ganz Asien. Mohan Malik argumentierte 2004, dass die bilateralen Beziehungen eher von Wettbewerb als von Kooperation geprägt werden, da das Verbindende bzw. die ähnlich gelagerte Herausforderung genau das sei, was China und Indien trenne.2

Nun haben die Piratenüberfälle im Golf von Aden und vor der afrikanischen Küste neue Bedingungen und neue Notwendigkeiten der Kooperation geschaffen. Etwa zwei Drittel des Golf-Öls geht nach Asien. Asiens Volkswirtschaften sind nicht nur abhängig von Energieimporten, sondern auch von den Exportwegen, um die produzierten Güter auf die Märkte der Erde zu bringen. Die Offenhaltung und Freiheit von Seeverkehrswegen ist nirgendwo wichtiger als in Ostasien, das alleine weit über die Hälfte des Weltcontainerverkehrs ableistet. Das indische Militär hat in der Vergangenheit mehrfach Piraten nicht nur vor den eigenen Küsten, sondern auch in internationalen Gewässern bekämpft. Die Indische Marine beschreibt in ihrem »Vision Document« von 2006 etwa die Bedeutung, die ein dreidimensionaler, flexibler Ansatz für die Fähigkeit hat, im gesamten Konfliktspektrum sowohl in den eigenen Küstengewässern, als auch auf hoher See zu operieren.3

Chinas jüngstes maritimes Engagement Richtung Westen hat noch keine Tradition und steht in zeitlichem Zusammenhang mit dem Piratenüberfall auf einen chinesischen Frachter am 16. November 2008 im Indischen Ozean. Zwei Aussagen der Zeitung »China Daily« zu diesem Zwischenfall sind interessant: »Beijing ready to combat pirates« und der fast anklagende Hinweis, dass der Überfall im Verantwortungsgebiet der 5. Amerikanischen Flotte stattgefunden hatte (und nicht verhindert wurde). So kritisch das Pentagon und asiatische Nachbarn Chinas Marineaktivitäten betrachten, so erstaunlich ist es, dass Beijing nicht schon früher Schiffe entsandte. Ein entsprechendes Papier, in dem die Chinesische Regierung beispielsweise ankündigt, Auslandsinvestitionen im Rohstoffsektor nicht nur zu fördern, sondern auch zu schützen, liegt seit 2003 vor.4

Energiepolitik und Energieträger

In China und Indien bestimmen ähnliche Faktoren die Ressourcenproblematik und die Energiepolitik: Auf der Versorgungsseite stehen in beiden Ländern sehr große Kohlevorräte, deren Nutzungsausbau aus Gründen der Luftqualität aber problematisch ist; die eigene Öl- und Gasproduktion und die vorhandenen Anlagen sind nicht ausreichend. Beide Länder müssen immer mehr Öl importieren (Indien ca. 2/3 des Bedarfs, China fast die Hälfte); beide Länder verfügen über noch unerschlossene Energiereserven, diese liegen allerdings z.T. Offshore oder in anderweitig schwierig zu erschließenden geologischen Strukturen. Die Infrastrukturmängel stellen jeweils einen empfindlichem Engpass in der Sicherung der Energieversorgung dar. Beide Länder verfügen über große Wasserkraftpotentiale, die aber aufgrund von Umwelt- und anderen Bedenken nicht mehr so massiv ausgebaut werden können. Hinzu kommt, dass Wasserkraftprojekte die Beziehungen zu den im Vergleich zu Chinas und Indiens Größe immer kleineren Flussnachbarn belasten. Im Falle Chinas sind das südostasiatische Staaten; in Bezug auf Indien sind es Nepal, Pakistan und Bangladesch.

Auf der Bedarfsseite ist zu sehen: Das hohe Wirtschaftswachstum führt zu steigendem Energieverbrauch und der wachsende Transportsektor benötigt immer mehr Treibstoff. Der Wohlstand der wachsenden Mittelschicht vervielfacht den Strombedarf für Haushaltselektronik; Ineffizienz und Stromausfälle zeichneten die staatlichen Versorger aus. Die bisher zu niedrigen Verbraucherpreise haben zu Verschwendung und zu Einkommensverlusten bei den Energiefirmen geführt und die Erfolge von Sparprogrammen geschmälert. Beide Länder sind zunehmend auf Ölimporte angewiesen und haben ihren Jahres-Ölverbrauch in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: China von 160 auf fast 370 Millionen Tonnen, Indien von 75 auf fast 130 Millionen Tonnen. Es geht auch anders – wie der Vergleich mit hochindustrialisierten und produktiven Volkswirtschaften zeigt: Japan konnte seinen Ölverbrauch in den vergangenen 10 Jahren von 268 Millionen Tonnen auf 230 Millionen Tonnen reduzieren. Das industriell hoch entwickelte Deutschland verbraucht »nur« 112 Millionen Tonnen Öl pro Jahr.5 Dies hängt unmittelbar mit den durch die Ölkrisen der 1970er Jahre entstandenen Energiesparmaßnahmen und Effizienzsteigerungen zusammen.

China ist heute nach den USA der zweitgrößte Ölverbraucher und Ölimporteur der Welt. Indien steht an sechster Stelle. Chinas Ölindustrie gehört inzwischen zu den weltgrößten Produzenten, der größte Teil der Produktion wird aber im Land selbst verbraucht. Auch Indiens Ölindustrie muss sich immer mehr um internationale Projekte und Konzessionen bemühen, um den steigenden Ölbedarf des Landes zu decken. Die großen asiatischen Energiefirmen investieren inzwischen auf dem gesamten Globus, um ihre Lieferungen, Lieferanten und Lieferrouten zu diversifizieren. Zwar fließen etwa zwei Drittel des Öls des Persischen Golfs nach Ostasien und die Zahl der »Strategischen Ölpartnerschaften« mit den Öllieferanten der arabischen Welt wächst. Doch werden zunehmend Afrika und Lateinamerika zu wertvollen Energiepartnern. Angola beispielsweise liefert seit 2006 mehr Öl nach China als Saudi-Arabien.6

Die Gasmärkte sind regionalisiert: Südostasien liefert hauptsächlich an die ostasiatischen Großabnehmer, vornehmlich an Japan; Nordafrika und Russland liefern an Europa. Japan hat die Gasnutzung früh ausgebaut, in Südostasien den weltgrößten Flüssiggasmarkt aufgebaut und gehört zu den größten Gasnutzern. Erstaunlich ist der geringe Gas-Anteil von unter 4% in Chinas Energiestruktur und etwa 8% in Indien. Dies hat industrietraditionelle Gründe (Gas wurde zur Düngemittelproduktion verwendet) und mit der fehlenden Infrastruktur zu tun. Zur Gasnutzung ist ein Leitungsnetz von der Quelle bis zum Endverbraucher notwendig, was angesichts der geographischen Ausdehnung und der politisch-strategischen Landschaft Probleme bereitet. Ungeachtet vieler Pipelinepläne und Projekte und mit Ausnahme kleiner nationaler Anschlüsse verbinden bisher keine transkontinentale Leitungen etwa China mit den reichen Gasfeldern Sibiriens oder Indien mit Iran. Russlands Gas fließt bisher fast ausnahmslos nach Westen. Bis 2015 und 2020 sollen jedoch Leitungen von Sibirien nach China und Japan gebaut werden. Ein Grund für die Verzögerungen liegt in der Frage über die Kontrolle und das Aufbringen jeweils zweistelliger Milliardensummen für diese Bauvorhaben. Indien und China sind auch im Gasbereich Konkurrenten. Nicht nur vor Indiens Westküste liegen Gasvorkommen, auch Myanmar verfügt über reiche Offshore-Felder.

China verfeuert über 1.300 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zur Energieerzeugung, Indien 208 Millionen Tonnen. Kohle hat in China immer noch einen Anteil von 68% an der Gesamtenergiestruktur und die chinesische Regierung hat wenig Spielraum, dieses Dilemma zu lösen, ohne den Ölanteil (ca. 20%) und damit die teuren Ölimporte zu erhöhen. In Indien liegt der Kohleanteil bei 53% und der Ölanteil am Gesamtenergieverbrauch ist mit über 30% sogar noch höher als in China. Die erneuerbaren und »sauberen« Formen (dazu gehört Atomkraft) stellen nur einen Anteil von etwa 8% in China und ca. 7% in Indien an der Gesamtstruktur.7 Auf China fällt die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs; nimmt man Indien und das restliche Asien hinzu, entsteht das erschreckende Bild, dass auf Asien ca. drei Viertel des Weltkohleverbrauchs entfallen. Regelungen zur Emissionskontrolle und zum Klimaschutz müssen folglich asiatische Regierungen stärker mit einbeziehen und in Verantwortung nehmen. China steht aber vielen internationalen Vereinbarungen, z.B. über verbindliche Ziele zur Reduzierung von Emissionen, zögerlich gegenüber.8 Indien setzt sich aus Gründen der Armutsbekämpfung gegen Vereinbarungen über Emissionsreduzierungen ein. Weitere indische Interessen beinhalten die Beziehungen zu den USA, auch unter dem Gesichtspunkt des Ausbaus des indischen Nuklearprogramms.

Um die Energieversorgung zu sichern, müssen die Staaten Asiens die vorhandene Energieindustrie ausbauen, Sparmaßnahmen durchsetzen und die Nutzung aller Energieformen und -träger ausbauen.9 So hat die Verwendung von Biomasse in Asien eine gewisse Tradition, wird aber erst langsam entwickelt. Dies liegt zum einen an der Dominanz der Kohle im Versorgungssystem, an der Bedeutung von Ölprodukten für den rasant wachsenden Verkehrssektor und an Mängeln in der Infrastruktur. Wasserkraft wird überall in Asien gefördert. China hat das größte Wasserkraftpotential der Welt und wird in diesen Sektor weiter investieren – ungeachtet ökologischer, sozialer und kulturhistorischer Bedenken. Indiens große Staudammprojekte haben schon früher durch ihre rücksichtslose Durchsetzung gegenüber Einheimischen für Schlagzeilen gesorgt. Nuklearkraft spielt nur in Japan eine große Rolle für die Energiegewinnung. China will zwar in den kommenden Jahren bis zu 40 Atomkraftwerke bauen, da der Energiebedarf insgesamt jedoch so stark steigt, wird diese Energieform auch in Zukunft nur etwa 2% zur Energieversorgung beitragen. In Indien beträgt der Nuklearkraftanteil ca. 1%.

Konflikt und Kooperation im Auslandsengagement

China und – mit etwas Verspätung – Indien betreiben heute eine diversifizierte Wirtschaftspolitik und sorgen durch weltweite Investitionen und den Kauf von Konzessionen im Rohstoffbereich für Versorgungssicherheit. So verschafft sich die Volksrepublik nicht nur in Nachbarstaaten, sondern auch im weiteren Asien, in Ozeanien, Afrika und Südamerika Zugang zu Energie- und Metallvorkommen.10 In Afrika wird beispielsweise ein ganzes Bündel von wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten bemüht, nicht nur Rohstoffausbeutung und Handel, sondern auch die »Süd-Süd-Solidarität« gegen amerikanisches »Hegemoniestreben«, kaum konditionierte Hilfs- und Aufbauleistungen und Schuldenerlässe. Chinas Afrikagipfel hatte seinen Ausgangspunkt 2003, der erste Indien-Afrika Gipfel fand erst 2008 statt. Asiatische Regierungen zeigen hier einerseits neue Machtansprüche, sind aber im Gegensatz zu vielen westlichen Ländern auch bereit, Milliardensummen in den Kontinent zu investieren. Afrikanischen Länder sind alternative Ordnungsmodelle und das Nichteinmischungsprinzip willkommen. Es muss allerdings klar erkannt und kritisch kommuniziert werden, dass Chinas unkonditionierte Leistungen internationale Bemühungen in Bezug auf Korruptionsbekämpfung, »good governance«, Finanztransparenz und damit insgesamt Konfliktprävention unterlaufen.

Die chinesische Regierung hat ihrem Energie- und Rohstoffsektor ein Auswärtsprogramm verordnet und fordert Investitionen im Ausland. Im Ergebnis hat China im Vergleich zu Indien bisher etwa die zehnfache Summe in internationale Ölrechte investiert. Doch auch China hat nicht immer Erfolge – wie das abgewiesene Angebot von CNOOC (China National Offshore Oil Corporation) für Unocal zeigte. Indische Energiefirmen hatten bisher beim Versuch, ihr internationales Engagement zu vergrößern, oft das Nachsehen gegenüber der chinesischen Konkurrenz und wurden beispielsweise bei Ölgeboten in Sudan, Angola, Indonesien und Ecuador von China ausgestochen. Ein Ausdruck der chinesisch-indischen Rivalität war das chinesische Gebot von 2,3 Milliarden US-Dollar für einen 45%-Anteil am Nigerianischen Akpo-Offshore-Feld, wogegen Indien chancenlos war.11 Ein weiteres prominentes Beispiel war der indische Versuch, Ende 2005 die kanadische PetroKazakhstan zu kaufen, dabei jedoch gegen CNPC (China National Petroleum Corporation) verlor.12 Indiens Diplomatie kann sich selten gegen chinesische Interessen durchsetzen, die außerdem massiv durch außenpolitische Initiativen gestützt werden. Dennoch engagieren sich indische Firmen inzwischen in Energieprojekten in Russland, Vietnam, Indonesien, Sri Lanka (offshore), Kasachstan, Algerien, Libyen, Syrien, Yemen und Iran und investieren zunehmend auch in Afrika und Lateinamerika. Mit Iran hat Indien beispielsweise einen 40 Milliarden US-Dollar Vertrag über die Lieferung von 7,5 Millionen Tonnen Flüssiggas über 25 Jahre abgeschlossen und investiert in iranische Häfen und Straßennetze, die Verbindungen nach Afghanistan und Zentralasien verbessern sollen.13 Das indisch-iranische Hafenprojekt Chabahar steht in Konkurrenz zum chinesisch-pakistanischen Hafen Gwadar.

Allerdings erschweren angespannte Beziehungen zu Nachbarstaaten Indiens die Energiepolitik zusätzlich. Eine Gasleitung von Iran oder Turkmenistan nach Indien führt durch pakistanisches Gebiet und ist daher ohne Einigung mit der Regierung in Islamabad nicht zu realisieren. Ähnliches gilt für eine Gasleitung von Myanmar nach Indien, die durch Bangladesh laufen müsste. Myanmar gilt als Schlüsselspieler für Chinas Zugang zum Indischen Ozean – entsprechend wurde der Ausbau von Verkehrswegen von Südwest-China nach Myanmar und der Ausbau von Hafenanlagen betrieben.

China und Indien hoffen auf neue Projekte in Iran, Irak, Zentralasien und im Pazifik. Viele asiatische Länder folgen dem Instrumentenkatalog der Internationalen Energieagentur zur Versorgungssicherung: Energiesparmaßnahmen, Ausbau der eigenen Energieindustrie, Diversifizierung und Investitionen in die Infrastruktur. Offshore-Produktionen haben sowohl im Indischen Ozean als auch in den ostasiatischen Meeren neue Vorkommen erschlossen. Einige dieser Felder sind aber teilweise aufgrund technischer Schwierigkeiten (Tiefe, Qualität) und territorialer Dispute nicht erfolgreich zu bewirtschaften. Ein weiteres Problem bestand und besteht für die relativ jungen chinesischen und indischen Energiefirmen darin, dass sie im Vergleich zu den älteren westlichen Multis wie BP, Royal Dutch Shell oder Exxon Mobil weder am Gewinn der Hochpreisjahre teilhaben konnten noch über ausreichend Erfahrung verfügten und feststellen mussten, dass die »billigen« und leicht zugänglichen Felder in der Welt des Öls schon lange vergeben waren und sie zumindest bis Ende der 1990er Jahre unter einem Mangel an Managementqualifikation und Kapital litten.

Ein weiteres Feld in der Energiekonkurrenz sind ausländische Investitionen in die eigenen Raffinerien und Pipelines. Arabische Länder haben Interesse, insbesondere in China zu investieren: Saudi-Aramco und Kuwait steckten fast 8 Milliarden US-Dollar in südchinesische Raffineriekomplexe. Bei den Pipelineplänen ist auf die hohe Komplexität, die politischen Unsicherheiten, die Interessen der Großmächte und die großen Investitionssummen hinzuweisen. Deshalb erstaunt die Fülle der Projekte nicht. In Ost-West-Richtung verlaufen folgende Planungen: Russland-China-Japan, Russland-Kasachstan-China, Russland-Japan direkt, Iran-Indien und weiter im Westen SouthStream und die BTC-(Baku-Tbilisi-Ceyhan)-Leitung. In Nord-Süd-Richtung verlaufen Pläne, China mit dem Indischen Ozean, Russland mit Iran und Indien und jeweils Iran und Pakistan mit West- und Zentralasien zu verbinden. Zu den kleineren Projekten gehört die White-Oil-Pipeline, die den pakistanischen Hafen Qasim mit dem Norden des Landes verbindet und von der chinesischen China Petroleum Engineering and Construction Company gebaut wurde.14

Inzwischen gibt es aber auch Beispiele für Kooperationen zwischen chinesischen und indischen Energiefirmen. Im Iran haben sich beide Länder für die gemeinsame Nutzung einer Konzession entschieden: Irans größtes Ölfeld, Yadavaran, wird von China (50%), Indien (20%) und Iran (30%) gemeinsam betrieben. In Syrien kauften indische und chinesische Firmen gemeinsam die Rechte der kanadischen Petro-Canada an Al Furat Petroleum.15 Nach der »Strategischen Partnerschaft« 2005 wurde im Januar 2006 endlich ein chinesisch-indisches »Memorandum on Cooperation in Oil and Gas« beschlossen.

Zu der Bekämpfung der Umweltzerstörung stehen in den meisten asiatischen Ländern ausreichende Gesetze zur Verfügung – es hapert an der Umsetzung. Das Prinzip »Öffentlichkeit« birgt Chancen. So ist die chinesische Sepa (State Environmental Protection Agency) zwar relativ machtlos, konnte aber mit der Drohung, Umweltverstöße öffentlich zu machen z.B. einen Stahlproduzenten bewegen, fünf große und veraltete Werke zu schließen. Die indische Regierung tut sich durch eine andere und längere juristische Tradition leichter, Rechtsverstöße zu ahnden. Regionale Kooperation wäre hier wünschenswert, eine über Absichtserklärungen und Machbarkeitsstudien hinausgehende Umsetzung ist allerdings nicht sichtbar.

Fazit

Asien spielt für die internationale Energiesicherheit eine entscheidende Rolle durch seine wirtschaftliche Entwicklung und den anhaltend wachsenden Energiebedarf. Nicht nur China beeindruckt seit fast drei Jahrzehnten mit Wirtschaftswachstumsraten von 8-11%, auch andere asiatische Länder haben die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise von 1996/76 längst überwunden und benötigen immer mehr Energie. Die Sicherung von Asiens Energieversorgung erfordert eine langfristige regionale und internationale Kooperation. Dazu wäre eine Art »asiatische Energieagentur« sinnvoll. China und Indien wären ein machtvolles Käuferkartell auf internationalen Ölmärkten. Ein weiterer Baustein in der regionalen Energiesicherheit wären gemeinsame regionale strategische Lager. Insgesamt ist ein konfrontativer Ansatz nicht förderlich und die Einbeziehung Japans unerlässlich. Für den Westen gibt es Gründe, angesichts des asiatischen Ölverbrauchs dennoch nicht in Panik zu verfallen: Die anlaufenden Sparprogramme und Preissteigerungen, das Produktionspotential der OPEC, die nicht genutzten Produktionskapazitäten in Iran und Irak und die Tatsache, dass mit Ausnahme der USA der Ölbedarf der westlichen Welt nicht mehr wächst. Die IEA sollte die Hand weiter nach Asien ausstrecken. Schließlich kommen von dort nicht nur Nachfragen nach verschiedenen Energieträgern, sondern auch nach der entsprechenden Förder-, Verarbeitungs- und Transporttechnologie und auch gewaltige Investitionen in die internationale Energieindustrie. Die gegenwärtige Situation allerdings lässt trotz gelegentlicher Zusammenarbeit chinesischer und indischer Energiefirmen durch die nationalstaatlich geprägte Interessenpolitik und innenpolitische Zwänge bisher zu wenig Raum für kooperative, regionale Lösungen.

Anmerkungen

1) Joint Declaration on the Conduct of Parties in the South China Sea, 2002, http://www.aseansec.org/13163.htm.

2) Mohan Malik (2004): India-China Relations. Giants Stir, Cooperate and Compete; In: Special Assessment Asia’s Bilateral Relations; APCSS.

3) Headquarters of the Ministry of Defence – Indian Navy: Vision Document 2006; New-Delhi, http://indiannavy.nic.in/vision.pdf.

4) State Council Information Office: China’s Policy on Mineral Resources, Beijing, http://www.china.org.cn/e-white/20031223/index.htm.

5) BP Statistical Review of World Energy 2008, www.bp.com.

6) Vgl. FACTS Inc.: China Oil and Gas Monthly, 2006.

7) Energy Information Administration (EIA): Country Analysis Brief China, Country Analysis Brief India, www.eia.doe.gov.

8) Vgl. G8 Research Group – Oxford: »Outreach Five« Country Objectives Report; Heiligendamm Summit, 2007; www.g7.utoronto.ca/oxford/g8org-ox-objectives2007.pdf, S 7 ff.

9) Chinas moderne Energiepolitik ist beispielsweise im White Paper von 2007 abgebildet: State Council Information Office: White Paper on Energy, www.china.org.cn.

10) Vgl. Saskia Hieber: Chinas Energiesicherheit; In: China aktuell; 33 (April 2004) 4.

11) People’s Daily, 13. Januar 2006.

12) Energy Security, 16. Januar 2006, www.iags.org.

13) India, China locked in energy game; in: Asiatimes, 17. März 2005.

14) www.gasandoil.com, 21. Februar 2002

15) International Herald Tribune, 22. Dezember 2002.

Dr. Saskia Hieber ist als Sinologin und Politikwissenschaftlerin an der Arbeitsstelle Internationale Politik der Akademie für Politische Bildung Tutzing und als Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München tätig.