Wem gehört das Land?

Wem gehört das Land?

Landgrabbing aus afrikanischer Perspektive

von Anne Hennings und Annette Schramm

Die akademische Debatte um das globale Phänomen Landgrabbing erreicht in Europa und Nordamerika gerade ihren Höhepunkt. Bei uns bislang weitgehend unbeachtet bleibt die Diskussion um die Problematik im Globalen Süden. Insbesondere in Subsahara-Afrika, wo die sozialen, kulturellen und ökologischen Konsequenzen der Landnahme zunehmend sichtbar werden, findet ein reger Austausch zwischen AkademikerInnen und AktivistInnen statt. Zwar weist die innerafrikanische Debatte Parallelen zu der im Globalen Norden auf, unterscheidet sich aber in zwei Aspekten deutlich: der generellen Legitimität von Auslandsinvestitionen und der Rolle nationaler Regierungen. Durch diese Ausweitung des Themas wird deutlich, dass es bei Landgrabbing nicht nur um Landrechte geht, sondern auch um eine effektive Teilhabe am Prozess.

Seit 2007 ist weltweit geradezu ein Landrausch nach fruchtbaren Böden, Rohstoffen und Mineralien zu beobachten. Über die Hälfte der seit 2000 weltweit getätigten großflächigen Landinvestitionen fanden in afrikanischen Ländern statt (Land Matrix 2015). Häufig von den Regierungen willkommen geheißen und großzügig mit Steuerfreiheit und sonstigen ökonomischen Anreizen unterstützt, finden Investoren hier optimale Bedingungen. Neben günstigen Arbeitskräften und niedrigen Umweltstandards bzw. mangelnder Umweltkontrolle kommt den Investoren zugute, dass ihnen viele Regierungen große, offiziell ungenutzte Flächen für die kommerzielle Agrarwirtschaft oder die Ausbeute von Rohstoffen, wie Kupfer, Gold oder Uran, bieten.

Von Landgrabbing spricht man, wenn Landakquisen ohne den Konsens der betroffenen Gemeinden stattfinden, keine Kompensation gezahlt wird, Gutachten zu sozialen und ökologischen Folgen fehlen und/oder Menschenrechte verletzt werden. Von Landgrabbing sind sowohl Staaten in Ost- und Westafrika wie Länder im südlichen Afrika betroffen. Die ökologischen Konsequenzen sind oft massiv, und insbesondere Kleinbauern und Pastoralisten sind mit einer ganzen Reihe negativer Folgen konfrontiert. Die sozioökonomischen Auswirkungen sind vielfältig und äußern sich u.a. in Vertreibung, Enteignung und einem daraus resultierenden steigenden Urbanisierungsdruck auf die ohnehin am Rande ihrer Kapazität stehenden Haupt- und Regionalstädte. So findet ein Wandel gesellschaftlicher Strukturen statt, in dessen Folge auch zentrale soziale Sicherheitsmechanismen an Bedeutung verlieren. Darüber hinaus sehen sich inbesondere indigene Gruppen sowie (ethnische) Minderheiten mit dem Verlust ihrer Lebensgrundlage und ihrer kulturellen Identität konfrontiert.

Während die Regierungen neue Möglichkeiten zur Förderung von Entwicklung und wirtschaftlichem Wachstum suchen, steigt in der Bevölkerung der Widerstand gegen Bergbau, kommerzielle Landwirtschaft und Staudamm- oder Forstprojekte im Rahmen des globalen Emmissionshandels. Auf der einen Seite kommt es dabei zunehmend zu Auseinandersetzungen zwischen (staatlichen) Sicherheitskräften und der lokalen Bevölkerung, die sich teilweise auch entlang ethnischer Konfliktlinien entladen (Global Witness 2014, S.13f.). Auf der anderen Seite wächst das zivilgesellschaftliche Engagement. Transnationale Bewegungen sind traditionell in Südostasien und Lateinamerika stärker verankert, in afrikanischen Ländern nehmen lokale und nationale Proteste gegen Landgrabbing aber ebenfalls signifikant zu. Zugleich steigt in Afrika das wissenschaftliche und intellektuelle Interesse an der Debatte. Bislang wird der Landgrabbing-Diskurs jedoch von europäischen und nordamerikanischen Forschungseinrichtungen, Think-Tanks und Nichtregierungsorganisationen dominiert. Daher möchten wir in unserem Beitrag Impressionen von der ersten Afrikanischen Landgrabbing-Konferenz (Africa Conference on Land Grabs) beschreiben.

Die Konferenz brachte im Oktober 2014 WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus dem gesamten afrikanischen Kontinent im Midrand Conference Center von Johannesburg zusammen, um Landgrabbing im Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Selbstbestimmung zu diskutieren. Wie also steht es aus afrikanischer Perspektive um die Legitimität der derzeitigen Entwicklungen? Welche Rolle spielt »Ownership« bei der Vergabe von Land und Ressourcen an internationale Investoren bzw. an die nationale Elite? Ownership wurde bisher vor allem mit Landrechten in Verbindung gebracht, die Frage geht jedoch weit über juristische Aspekte hinaus: Ownership umfasst auch die Teilhabe am Prozess der Politikgestaltung – sei es durch Partizipation oder durch Widerstand.

Wie legitim sind ausländische Investitionen in Land?

Vor diesem Hintergrund zeichneten sich auf der Konferenz zwei relevante Diskursstränge ab, um die Legitimität und um das Maß der Teilhabe.

Die Frage nach der Legitimität ausländischer Direktinvestitionen in Land und Ressourcen wurde äußerst kontrovers diskutiert. Die meisten sprachen ausländischen Investition die Legitimität nicht grundsätzlich ab, kritisierten aber scharf die Art und Weise, wie diese erfolgen, sprich: das Phänomen Landgrabbing. Andere erhoffen sich von ausländischen Investitionen und Großprojekten in afrikanischen Ländern Wirtschaftswachstum und Entwicklung. Letztere umfasst nicht nur die Infrastrukturentwicklung (in den ländlichen Gebieten), sondern auch einen umfassenden Technologie- und Wissenstransfer, von dem u.a. die Landwirtschafts- und Bergbausektoren langfristig profitieren würden. Die aktuellen Erscheinungsformen von Landakquisen weisen allerdings auf gegenteilige Entwicklungen hin.

Der zentrale Kritikpunkt an der aktuellen Situation ist die mangelnde Teilhabemöglichkeit an Entscheidungs- und Mitgestaltungsprozessen im Hinblick auf die Konditionen der Landvergabe und die Einbindung der betroffenen Bevölkerung. Dieser Kritikpunkt wird von Befürwortern und Gegnern großflächiger Land- und Ressourceninvestitionen gleichermaßen geteilt; die Gegner gehen noch einen Schritt weiter und lehnen jegliche Form der Landverpachtung an internationale Unternehmen ab, da es sich um eine neokoloniale Praxis handle. Sie sehen in der historischen Landnahme durch die Kolonialmächte eine Parallele zur aktuellen Situation, in der sich Unternehmen die niedrigen Land- und Arbeitskosten in vielen afrikanischen Ländern zur wirtschaftlichen Ausbeutung zu Nutze machen. Diese Position scheint jedoch unter afrikanischen AkademikerInnen umstritten und wird nur selten als Argument genutzt, um auf die (global-) politischen Konsequenzen von Landgrabbing aufmerksam zu machen. Im Großen und Ganzen scheinen ausländische Direktinvestitionen in Landflächen und natürliche Rohstoffe unter Berücksichtigung des lokalen Konsenses sowie des Teilhabegedankens durchaus erwünscht zu sein.

Wer ist verantwortlich?

Neben der Frage nach dem generellen Umgang mit Auslandsinvestitionen stellt sich auch die nach den relevanten Akteuren für eine zukünftige Regelung bzw. für die Verhinderung von Landgrabbing. Der Fokus der akademischen Debatte sowie der Aktivitäten der transnationalen zivilgesellschaftlichen Netzwerke, wie z.B. der International Land Coalition, liegt auf der internationalen Ebene. Vom Komitee für Ernährungssicherheit der Vereinten Nationen (Committee on World Food Security) wurden 2012 Leitlinien für verantwortungsvolle Landpolitik (Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests) verabschiedet. Dort wird den betroffenen Bevölkerungsgruppen Mitspracherecht bei der Entscheidung über Landverpachtung zugesprochen, die Einhaltung von Menschenrechten eingefordert und zur Berücksichtigung sozialer sowie ökologischer Folgen von Landinvestitionen aufgerufen. Allerdings sehen die Leitlinien weder ein generelles Gebot der Zustimmung durch lokale Gruppen noch eine Obergrenze für die Fläche und Dauer von Verträgen vor, auch sind die Leitlinien nicht bindend. Dennoch gelten sie als wichtiger Schritt in Richtung einer Verregelung transnationaler Pachtverträge und als Orientierungshilfe für Zielländer bzw. Investoren (Bernstorff 2012).

In den betroffenen Staaten scheinen die Leitlinien jedoch keine Rolle zu spielen, zumindest nicht bei der ersten Afrikanischen Landgrabbing-Konferenz: Die Leitlinien seien zwar in der Regel bekannt, wirkten sich jedoch kaum auf das Verhalten von Unternehmen und Regierungen aus, war dort zu hören. Das wirkliche Problem liege außerdem bei den nationalen Regierungen, die das eigene Land gewissermaßen »ausverkauften«. Landgrabbing wird also auf unzureichende Demokratisierung, Korruption und schlechte Regierungsführung zurückgeführt. Proteste gegen das Phänomen finden häufig im Rahmen des Kampfes für mehr Demokratie und Transparenz statt. Eine zentrale Forderung ist dabei, dass afrikanische Staaten für sich selbst effektive gesetzliche Regelungen schaffen, um Landnahmen zu verhindern oder so zu gestalten, dass die Bevölkerung nachhaltig profitiert.

In vielen afrikanischen Staaten wird die Debatte über Landgrabbing überdies vor dem Hintergrund ungeklärter Landbesitz- und -nutzungsrechte geführt. Der Umgang mit parallel existierenden Systemen – gesetzliche Eigentumsrechte einerseits, traditionell verankerte Nutzungsrechte andererseits – sowie die Aufarbeitung unrechtmäßiger Landnahmen während der Kolonial- und neueren Geschichte ist häufig ein hart umkämpftes und bei weitem nicht abgeschlossenes Thema. Immer wieder werden daher Moratorien auf großflächige Landverpachtungen gefordert, bis die Frage, wem das Land eigentlich gehört und wie man mit ausländischen Investitionen im Agrarbereich umgehen möchte, in den jeweiligen Gesellschaften geklärt ist. In diesem Kontext erscheint die »Landfrage« wesentlich vielschichtiger als die bloße Klärung von Besitzverhältnissen, denn darüber hinaus geht es um den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit, um die Stellung von traditionellen Rechten in der Gesellschaft und nicht zuletzt um die Aushandlung einer »afrikanischen Identität«.

Einerseits wird also eine Verregelung auf internationaler Ebene gefordert, andererseits liegt der Fokus auf den betroffenen Gesellschaften selbst. Der Nationalstaat bleibt jedoch ein wichtiger Akteur: Im einen Fall wird auf die Wirkung internationaler Regelungen gesetzt, die auf nationaler Ebene umzusetzen sind; im anderen Fall sollen die Regierungen »von unten« zum Handeln motiviert werden. Letzteres entspricht dem Gedanken von Ownership in der Prozessgestaltung: Die betroffenen Gesellschaften sollen für sich selbst Regeln erarbeiten und entscheiden, wie sie mit Auslandsinvestitionen in Land umgehen möchten.

Landgrabbing verhindern, sozialen Frieden bewahren

Aktuelle Bestrebungen zivilgesellschaftlicher Akteure, Landgrabbing zurückzudrängen, finden im Spannungsfeld der beschriebenen Debatten statt. Die historische Landnahme während der Kolonialzeit dient immer wieder als Referenzpunkt für die aktuelle Diskussion, wobei daraus nicht automatisch die Ablehnung von Auslandsinvestitionen folgt. Vielmehr wird betont, dass »afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme« benötigt würden und Fehler der Vergangenheit vermieden werden sollten. Auf der Konferenz im Oktober wurde die Afrikanische Koalition gegen Landnahme (African Coalition Against Land Grabs) gegründet und die »Midrand Declaration« verabschiedet. In dieser wird betont, es müsse ein gemeinsamer afrikanischer Weg eingeschlagen werde, um eine »afrikanische« Lösung für das Phänomen zu finden, und zwar auf der Basis des Leitfadens zur Landpolitik der Afrikanischen Union. Adressaten der Forderungen sind in erster Linie nationale Regierungen, aber auch das Panafrikanische Parlament der Afrikanischen Union.

Es geht also um Ownership in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ist es zentral, Fragen von Landbesitz und -verpachtung zu klären. Zum anderen muss die Teilhabe betroffener Gruppen an den Verhandlungen und an der Ausgestaltung von Auslandsinvestitionen sichergestellt werden. Diese Forderungen werden auch in den westlichen zivilgesellschaftlichen und akademischen Debatten immer wieder erhoben, die afrikanische Perspektive öffnet den Blick aber für eine weitere Dimension von Ownership: Betroffene Gesellschaften müssen für sich selbst einen Weg finden, mit Landgrabbing umzugehen und Widerstand zu leisten. Hier geht es nicht darum, die wichtige Arbeit von Anti-Landgrabbing-Initiativen auf internationaler Ebene zu unterminieren. Es ist aber zentral, dass sich – wie bereits in vielen Fällen geschehen – auf nationaler und lokaler Ebene Protest gegen Landnahme formiert, der nur durch Ownership im Sinne einer lokalen Gestaltungsmacht effektiv werden kann.

Das Thema drängt

Sollte das Problem Landgrabbing nicht gezielt angegangen werden, könnte das dramatische Folgen haben. Soziale Probleme in den betroffenen Gebieten – von weiter wachsender ökonomischer Ungleichheit über steigenden Urbanisierungsdruck bis hin zu zunehmenden Konflikten in und zwischen lokalen Gruppen – stellen die Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Schon jetzt führen Proteste gegen Landgrabbing vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit staatlichen Sicherheitskräften. Auf der Landgrabbing-Konferenz in Johannesburg wurde eindringlich davor gewarnt, dass diese Proteste in Zukunft in gewaltsame Konflikte zwischen Bevölkerung und Regierungen umschlagen könnten, denn eine Verknappung der wichtigen Ressource Land erhöhte insgesamt das Konfliktpotential. Effektiver Protest gegen das Phänomen sowie eine veränderte Landpolitik auf nationaler wie internationaler Ebene wird deshalb als unerlässlich angesehen, um den sozialen Frieden in den betroffenen Ländern Afrikas nicht weiter zu gefährden.

Literatur

Land Matrix – The Online Public Database on Land Deals; landmatrix.org/en/get-the-detail.

Global Witness (2014): Deadly Environment – The Dramatic Rise of Killings of Environmental and Land Defenders 1.1.2002-31.12.2013. London.

Jochen von Bernstorff (2012): »Land Grabbing« und Menschenrechte: die FAO Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure. Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden, INEF Forschungsreihe Menschenrechte, Unternehmensverantwortung und Nachhaltige Entwicklung.

The Midrand Declaration, Made During the First Africa Land Grabs Conference, 28.-29. Oktober 2014; africalandgrabs.co.za.

Anne Hennings ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und promoviert zu Auswirkungen von und Widerstand gegen Land- und Ressourceninvestitionen in Nachkriegskontexten. Annette Schramm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen und promoviert zu den Auswirkungen von Landgrabbing in Nachkriegsgesellschaften.

Konfliktfeld Wasser

Konfliktfeld Wasser

Argumente für mehr Kooperation am Nil

von P. Michael Link und Jürgen Scheffran

Die Wasserverteilung zwischen den Anrainerstaaten des Nils war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Streit und Auseinandersetzungen, trotz bestehender Abkommen und einer übergeordneten Initiative zur Kooperation. Das Spannungsverhältnis gründet auf der hydro-hegemonialen Stellung Ägyptens, gegen die in den letzten Jahren der Widerstand deutlich gewachsen ist. Faktoren wie der Klimawandel, die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung und das anhaltende Bevölkerungswachstum können die Spannungen noch verstärken. Vor diesem Hintergrund birgt die Errichtung neuer Staudämme am Oberlauf des Nils weiteres Konfliktpotential. Um dies zu vermeiden, müssten die historischen Ansprüche Ägyptens mit der politischen Realität und den Interessen der Staaten am Oberlauf des Nils in Einklang gebracht werden.

Veränderungen der Umweltbedingungen in der Nilregion durch externe Faktoren, z.B. den Klimawandel oder große Staudammprojekte, wirken sich auf die Verfügbarkeit von Wasser und agrarisch nutzbarem Land aus. Dies wiederum hat Rückwirkung auf die landwirtschaftliche Produktivität, die Wirtschaftskraft der Anrainerstaaten und den Wohlstand der Menschen. Ob die zu erwartende Entwicklung eher zu Konflikten oder zu einer engeren regionalen Zusammenarbeit führt, hängt von politischen Konstellationen ebenso ab wie von der Verwundbarkeit und Anpassungsfähigkeit der betroffenen Länder (Link et al. 2013).

Bereits heute besteht in der Nilregion ein Spannungsverhältnis, das sich aus der historischen Asymmetrie zwischen dem dominanten Ägypten am Unterlauf des Nils und den Staaten des Oberlaufs ergibt. Die hegemoniale Vormachtstellung Ägyptens gründet auf seiner relativen wirtschaftlichen und politischen Macht, die den Diskurs über die Verteilung des Nilwassers maßgeblich geprägt hat. Dabei ist von Bedeutung, dass Ägypten in kolonialer Zeit sehr von der umfangreichen Unterstützung durch Großbritannien profitierte und anschließend von der Sowjetunion unterstützt wurde, was beim Bau des Assuan-Staudamms eine wichtige Rolle spielte.

Ungleiche Wasserverteilung

Das erste Abkommen zwischen Ägypten und Großbritannien über die Verteilung des Nilwassers aus dem Jahre 1929 sichert Ägypten die Entnahme von 48 km3 pro Jahr und dem Sudan vier km3 pro Jahr zu. Die anderen Anrainerstaaten des Nils hatten dieses Abkommen nie anerkannt, dennoch entstand dadurch der Eindruck, die zwei Staaten am Unterlauf hätten quasi ein natürliches bzw. historisches Recht auf das Nilwasser (Cascão 2009).

Im Zuge des Baus des Assuan-Staudamms und der Entstehung des im ägyptisch-sudanesischen Grenzgebiet gelegenen Stausees musste die Wasserverteilung neu geregelt werden. Das bilaterales Abkommen von 1959 gewährte Ägypten 55,5 km3 pro Jahr und dem Sudan 18,5 km3 pro Jahr. Die Verdunstungsverluste betragen rund 10 km3 pro Jahr. Damit bleibt praktisch keine Quote für die Entnahme von Wasser durch die Anrainerstaaten am Oberlauf des Nils bzw. seiner Zubringerflüsse Weißer und Blauer Nil übrig. Dies förderte ein tiefes Zerwürfnis zwischen den Staaten am Oberlauf (Äthiopien, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Kenia, Ruanda, Tansania, Uganda, inzwischen als unabhängiger Staat auch Südsudan) und den zwei Staaten am Unterlauf. Ägypten und Sudan wollen die Gültigkeit dieses Abkommens langfristig sichern, während die übrigen Staaten eine Vereinbarung anstreben, die allen Anrainern einen gerechten Anteil am Nilwasser sichert.

Ungeachtet ihrer je eigenen politischen Ziele gründeten sämtliche Nilanrainer im Jahre 1999 die Nile Basin Initiative (NBI), die damit beauftragt wurde, langfristig ein neues Abkommen zur Wasserverteilung zu erarbeiten, das eine nachhaltige sozio-ökonomische Entwicklung der Region ermöglichen soll. Die NBI fördert Kooperationsprojekte und legte 2007 einen ersten Entwurf für ein neues Rahmenabkommen zur Wasserverteilung vor (NBI 2007), dem bereits mehrere Staaten am Oberlauf ihre Zustimmung erteilten. Ägypten und Sudan hingegen lehnen das Abkommen ab, da es ihre Einflussmöglichkeiten auf die Wasserverteilung deutlich einschränkt (Nicol und Cascão 2011). Die Staaten am Oberlauf des Nils fechten die hegemoniale Stellung Ägyptens zunehmend an und arbeiten darauf hin, ihre eigenen Interessen an der Nutzung des Nilwassers durchzusetzen.

Insbesondere der Bau großer Staudämme am Oberlauf kann weitreichende Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit am Unterlauf und somit auf das Machtgefüge zwischen den Anrainern in der gesamten Region haben. Zusätzlich haben sich durch die jüngsten politischen Entwicklungen in der Region, insbesondere den Arabischen Frühling in Ägypten und die Unabhängigkeit des Südsudan, die politischen Koordinaten verschoben, was den Einigungsprozess weiter erschwert.

Der Grand-Renaissance-Staudamm in Äthiopien

Besondere Aufmerksamkeit kommt in diesem Kontext dem Grand Renaissance Dam am Blauen Nil zu. Dieses Wasserkraftwerk – mit mehr als fünf Gigawatt das größte Afrikas – wird von Äthiopien zwischen 2011 und 2015 mit geplanten Kosten von 4,8 Milliarden US$ errichtet, wobei 1,8 Milliarden US$ von chinesischen Banken finanziert werden. Neben der Wasserspeicherung und -regulierung liegt der Hauptnutzen des Staudamms in der Produktion von Strom, der über neue Übertragungsleitungen auch an Nachbarstaaten geliefert werden soll. Diese Talsperre sowie andere im Bau befindliche Wasserprojekte sind für die wirtschaftliche Entwicklung Äthiopiens und ganz Nordostafrikas von großer Bedeutung (Chen und Swain 2014). Allerdings sind die Folgen des Grand-Renaissance-Projekts nur schwer abschätzbar und gegen den erhofften Nutzen abzuwägen.

Der Grand Renaissance Dam führt zu vielschichtigen Veränderungen, die für die betroffenen ökologischen und sozialen Systeme durchaus problematisch sein können. Signifikante Veränderungen im Fließverhalten und im Wasserhaushalt eines Flusses von der Größe des Nils können zu Rückwirkungen auf das regionale Klima, die Niederschlagsverteilung und die Grundwasserspeicherung führen, die schwer bzw. nicht vorherzusehen sind (Veilleux 2013). Weitere langfristige Veränderungen sind nicht auszuschließen.

Angaben zu den möglichen Auswirkungen auf die Staaten des Unterlaufs führten in der Vergangenheit zu Differenzen zwischen Äthiopien und Ägypten, die oft eher auf politischen Erwägungen als auf wissenschaftlichen Fakten basierten (Yahia 2013). Meist wird für den entstehenden Stausee ein Speichervolumen von rund 63 km3 angegeben. Hydrologische Simulationen mit digitalen Geländemodellen zeigen jedoch, dass das Fassungsvermögen maßgeblich von der Tiefe Sees abhängen wird. Große Wassermengen von bis zu 173 km3 Wasser bei einer Stauseetiefe von maximal 180 m sind nur dann erzielbar, wenn ein zusätzlicher Hilfsdamm errichtet wird, der bei einem Wasserstand von mehr als 100 m ein Überfließen des Stausees in ein benachbartes Becken verhindert (Bastawesy 2014). Diese theoretisch maximal speicherbare Wassermenge entspricht in etwa der eineinhalbfachen Jahresdurchflussmenge des Nils. Das Wasser, das während der Aufstauung gespeichert wird, steht den Staaten am Unterlauf in dieser Phase nicht zur Verfügung, wodurch die strategischen Wasserreserven in den Reservoirs von Ägypten und dem Sudan gefährdet sind.

Vor diesem Hintergrund überrascht die strikte Ablehnung des Bauvorhabens durch Ägypten nicht. Der Nil gilt den Ägyptern nicht nur als lebenswichtige Ressource mit erheblicher wirtschaftlicher Relevanz, sondern hat aufgrund der mehrere Jahrtausende zurückreichenden Geschichte auch eine hohe symbolische Bedeutung: Der Nil ist die Lebensader Ägyptens (Gebreluel 2014) – allerdings trifft dies auch auf Äthiopien zu, dessen Hochland den Blauen Nil speist und das in der Nutzung des Nils ebenfalls einen Schlüssel sieht, um seine Unterentwicklung zu überwinden. In Ägypten wird der Bau des Staudamms auf politischer Ebene von verbalem Säbelrasseln begleitet, das bis zur Androhung militärischer Gewalt reicht (Naceur 2013). Allerdings scheint die strikte Ablehnung des Bauvorhabens zum Teil auf einer Fehleinschätzung der Risiken für die Staaten am Unterlauf des Nils zu beruhen (Whittington, Waterbury and Jeuland 2014). Während Ägypten eine Verringerung seiner Wassermenge und Auswirkungen auf den Assuan-Staudamm befürchtet (Mulat und Moges 2014), argumentiert die Regierung Äthiopiens, durch den Staudamm werde die Verfügbarkeit des Wassers im Unterlauf nicht reduziert, sondern die Regulierung der Bewässerung vielmehr erleichtert.

Es darf bezweifelt werden, dass die martialischen Drohungen Ägyptens der Sicherung seiner Wasserressourcen wirklich dienlich sind. In der Vergangenheit war Wasser selten ein Auslöser für internationale Krisen oder bewaffnete Konflikte, weder in der Nilregion noch an anderen Flussläufen (Wolf 1998). Ein Krieg um den Nil wäre für Ägypten überdies nicht finanzierbar und der Ausgang zweifelhaft (Gebreluel 2014).

Deutlich billiger und Erfolg versprechender für die betroffenen Staaten sind kooperative Lösungen. Ein grundlegender Aspekt ist dabei die Frage, wer wieviel Wasser des Nils in welchen Reservoiren speichern darf. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Mit einem Abkommen, das die Fassungsvermögen sämtlicher Reservoire in der Nilregion berücksichtigt, kann die Grundlage für eine gerechte Verteilung des Nilwassers geschaffen werden, auf deren Basis dann weiterführende Kooperation zwischen den Anrainerstaaten möglich ist (Bastawesy 2014).

Vielschichtige Interessenlagen

Neben der Umwelt werden von derartigen Großprojekten vielfältige wirtschaftliche, politische und kulturelle Interessen berührt. Dies gilt insbesondere für die Menschen, die im Zuge des Staudammbaus ihre angestammten Wohnorte verlassen müssen und sich in einem vollkommen anderen sozialen Umfeld wiederfinden (Veilleux 2013). Dies kann zu unvorhersehbaren Reaktionen führen, wenn die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Gemeinschaften überschritten wird. Solche Unwägbarkeiten bestärken Zweifel an der Nachhaltigkeit des Grand-Renaissance-Projektes (Chen and Swain 2014) ebenso wie an der Art und Weise, in der Äthiopien das Projekt vorantreibt. In der Kritik stehen vor allem die fehlende Transparenz bei wichtigen Entscheidungen zum Bauvorhaben sowie die mangelhafte Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsrichtlinien der World Commission on Dams (2000), insbesondere im Hinblick auf die öffentliche Akzeptanz des Projektes sowie die Sicherung der Lebensgrundlagen betroffener Menschen (Chen and Swain 2014).

Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Staudammbaus sind nur schwer zu prognostizieren. Bei der Planung blieben beispielsweise die Effekte möglicher Klimaänderungen in der Region bislang unberücksichtigt (Block und Strzepek 2010). Die Profite aus der Energiegewinnung sowie die Abflussmengen in den Unterlauf des Nils werden hingegen meist überschätzt. Unter Berücksichtigung des bereits zu beobachtenden veränderten Auftretens des El-Niño-Wetterphänomens, das sich maßgeblich auf die Niederschlagsverteilung in der Nilregion auswirkt, kommt es in einzelnen Szenarien sogar dazu, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Staudamms negativ ausfällt, da selbst im Falle der Vorhersagbarkeit von Dürreperioden in solchen Zeiten ein kostendeckender Betrieb nicht gewährleistet werden kann.

Trotz Unsicherheiten mehr Chance als Risiko?

Ungeachtet der Probleme zeigen Untersuchungen, dass sich der Bau des Grand Renaissance Dam sowohl für Äthiopien als auch für Ägypten und Sudan vorteilhaft auswirken kann (Veilleux 2013; Whittington et al. 2014), allerdings nur unter zwei Voraussetzungen: Zum einen müssen zwischen Äthiopien und den beiden Staaten des Unterlaufs Regeln für das Füllen und den Betrieb des zum Grand Renaissance Dam gehörigen Stausees vereinbart werden, die klar festlegen, wie in Dürrezeiten zu verfahren ist. Zum anderen müsste Ägypten seinen Widerstand gegen den Staudamm aufgeben und es zulassen, dass Äthiopien und der Sudan ein Abkommen über den Transfer der Wasserenergie treffen, denn nur dann ist der Staudamm langfristig finanzierbar. Der Sudan würde vom Import der Hydroenergie profitieren und hat daher ein Interesse an einer solchen Win-Win-Situation. Es wäre ein Meilenstein, sollte es Äthiopien gelingen, den Sudan und Ägypten zu einem gemeinsamen Management der Nilreservoire zu bewegen (Chen and Swain 2014).

Sobald der Grand Renaissance Dam fertig gestellt und in Betrieb genommen ist, könnte sich die langfristige Rivalität zwischen Ägypten und Äthiopien grundlegend verändern (Gebreluel 2014). Stand bislang der Disput über das Wasser des Nils zwischen diesen beiden Staaten im Mittelpunkt, wird dann mehr Kooperation in der Region wahrscheinlicher, was auch zur Stabilisierung von Staaten wie Somalia und Eritrea beitragen kann.

Langfristig wird Ägypten seine Position als Hydro-Hegemon in der Nilregion nicht aufrechterhalten können. Es wird notwendig sein, auf die anderen Anrainerstaaten zuzugehen und die bislang häufig praktizierte Blockadehaltung aufzugeben, um kooperative Lösungen zu ermöglichen, die allen Parteien nützen (Chen and Swain 2014). Ohne diesen Schwenk in der ägyptischen Wasserpolitik wird es nicht möglich sein, ein nachhaltiges und langfristig tragfähiges institutionelles Regime für das gemeinsame Wassermanagement aufzubauen. Nur mit einer gerechten Verteilung der wertvollen Ressource Wasser in der Nilregion können Frieden, internationale Sicherheit und gesellschaftliche Stabilität gesichert werden.

Literatur

M.E. Bastawesy (2014): Hydrological Scenarios of the Renaissance Dam in Ethiopia and Ist Hydro-Environmental Impact on the Nile Downstream. Journal of Hydrologic Engineering, 04014083. doi: 10.1061/(ASCE)HE.1943-5584.0001112.

P. Block and K. Strzepek (2010): Economic analysis of large-scale upstream river basin development on the Blue Nile in Ethiopia considering transient conditions, climate variability, and climate change. Journal of Water Resources Planning and Management, 136(2), S.156-166.

A.E. Cascão (2009): Changing power relations in the Nile river basin: Unilateralism vs. cooperation? Water Alternatives, 2(2), S.245 – 268.

H. Chen and A. Swain (2014): The Grand Ethiopian Renaissance Dam: Evaluating Its Sustainability Standard and Geopolitical Significance. Energy Development Frontier, 3(1), S.11-19.

G. Gebreluel (2014). Ethiopia’s Grand Renaissance Dam: Ending Africa’s Oldest Geopolitical Rivalry? The Washington Quarterly, 37(2), S.25-37.

P.M. Link, F. Piontek, J. Scheffran and J. Schilling (2013). On foes and flows: vulnerabilities, adaptive capacities and transboundary relations in the Nile river basin in times of climate change. L’Europe en formation(3), S.99-138.

A.G. Mulat and S.A. Moges (2014). Assessment of the Impact of the Grand Ethiopian Renaissance Dam on the Performance of the High Aswan Dam. Journal of Water Resource and Protection, 6, S.583-598.

S.P. Naceur: Wem gehört der Nil? Telepolis, 28.06.2013.

Nile Basin Initiative (2007). The Nile Council of Ministers responsible for Water Affairs (NILE-COM) concluded negotiations; nilebasin.org.

A. Nicol and A.E. Cascão (2011): Against the flow – new power dynamics and upstream mobilisation in the Nile Basin. Review of African Political Economy, 38(128), S.317–325.

J.C. Veilleux (2013): The Human Security Dimensions of Dam Development: The Grand Ethiopian Renaissance Dam. GLOBAL DIALOGUE, 15(2).

D. Whittington, J. Waterbury and M. Jeuland (2014): The Grand Renaissance Dam and prospects for cooperation on the Eastern Nile. Water Policy, 16(4), 595-608.

A.T. Wolf (1998): Conflict and cooperation along international waterways. Water Policy, 1(2), 251-265.

World Commission on Dams. (2000): Dams and development: a new framework for decision-making. London: Earthscan Publications Ltd.

M. Yahia (2013): Leaked report sparks disagreement between Egypt and Ethiopia over dam. Nature Middle East. doi: 10.1038/nmiddleeast. 2013.99

Dr. P. Michael Link ist PostDoc bei der Research Group Climate Change and Security (CLISEC) am KlimaCampus Hamburg. Prof. Dr. Jürgen Scheffran leitet CLISEC und unterrichtet am Institut für Geographie der Universität Hamburg.

Konflikte durch Rohstoffausbeutung?

Konflikte durch Rohstoffausbeutung?

Interne und externe Auslöser des »Ressourcenfluchs«

von Matthias Basedau

Die Frage, ob ein ressourcenreicher Staat besonders anfällig ist für interne Konflikte, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Der Autor beleuchtet interne wie externe Faktoren, die Gewalt in solchen Staaten eher befördern, ebenso wie solche, die eher befriedend wirken. Und er fordert, dass sich die Forschung mehr mit diesem Thema befasst.

Ressourcen scheinen für viele Staaten einen »Fluch« zu bedeuten. Länder, die über große Mengen an nicht-erneuerbaren natürlichen Ressourcen verfügen, wie an Erdöl, seltenen Metallen oder Diamanten, leiden häufig unter wirtschaftlichen und sozialen Problemen sowie unter gewaltsamen Konflikten, die z.B. durch Umweltschäden oder Streit um die Verteilung der Erlöse ausgelöst werden. Klassische Beispiele dafür sind die anhaltenden blutigen Auseinandersetzungen in der Demokratischen Republik Kongo oder die früheren »Diamond Wars« in Sierra Leone und Liberia. Die internen Konflikte im Sudan oder im unabhängig gewordenen Südsudan werden häufig mit dem Vorhandensein von Erdölreserven erklärt.

Natürliche Ressourcen führen aber nicht über Nacht zu Bürgerkriegen oder anderen internen Konflikten. Grundsätzlich gibt es zwei Kausalmechanismen, die natürliche Ressourcen und kollektives Gewalthandeln miteinander verbinden (Le Billon 2012; Ross 2012):

  • Verschiedene Merkmale des Ressourcenbereichs können zur Gewalt motivieren bzw. die Ressourcen selbst werden zum Konfliktgegenstand. So ist häufig die Verteilung der Einkünfte aus dem Ressourcenverkauf zwischen verschiedenen Gruppen umstritten. Ressourcenreiche Erdölregionen, wie in Nigeria oder Angola, streben in manchen Fällen die Unabhängigkeit vom Zentralstaat an. Motive zur Gewaltanwendung und Rebellion können sich auch aus den Begleitfolgen der Ressourcenextraktion ergeben. Umweltverschmutzung oder ausbleibende Kompensationszahlungen führen zu Unmut und Groll. Diese Motive können verstärkt werden, wenn die Region, in der die Ressourcen vorkommen, sich kulturell bzw. ethnisch vom Rest des Landes unterscheidet und/oder von der Regierung politisch und ökonomisch benachteiligt wird.
  • Ressourcen können Ermöglicher interner Konflikten sein. Mittels des Handels mit Ressourcen können Rebellengruppen oder Regierungen ihre kostspieligen gewaltsamen Auseinandersetzungen finanzieren. Oft werden illegal Diamanten aus Flussbetten geschürft oder Erdölpipelines angezapft. In Kolumbien, Nigeria oder Aceh (Indonesien) beispielsweise wurde Personal entführt und Lösegeld gefordert, andernorts wurden »Revolutionssteuern« erpresst. Manche Rebellenführer, wie der spätere Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Laurent Kabila, verkaufen Schürfrechte schon vor einem möglichen Sieg an ausländische Interessenten – und bisweilen dieselben Schürfrechte gleich an mehrere Interessenten. Neben der finanziellen Möglichkeit bieten Ressourcen (potentiellen) Rebellen häufig auch lohnende Ziele ihrer militärischen Aktivität, dazu zählen Ressourcenförderanlagen, Transportwege oder das Personal. So haben Tuareg-Rebellen im Niger immer wieder die Einrichtungen zur Urangewinnung im Norden des Landes angegriffen.

Neben diesen direkten Kausalmechanismen können Ressourcen indirekt zu Gewaltkonflikten beitragen. Häufig sind Regierungen in Afrika und anderen Regionen des »Globalen Südens« besonders abhängig vom Ressourcensektor. Exportabhängigkeiten von über 90% sind keine Seltenheit. Solche Volkswirtschaften werden von plötzlichen Preisschocks auf dem Weltmarkt schwer getroffen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden dann zum Nährboden für gewaltsame Auseinandersetzungen. Ein anderer Faktor ist der Inflationseffekt, der aus hohen Einnahmen aus Ressourcenhandel entsteht und andere Exportsektoren teurer und damit weniger wettbewerbsfähig macht. Als Resultat dieser »Holländischen Krankheit«, wie der Effekt nach den Krisensymptomen der niederländischen Volkswirtschaft nach den Erdgasfunden der 1950er Jahre genannt wird, steigt die Konfliktanfälligkeit. Hohe Ressourceneinnahmen können außerdem die Qualität der Institutionen schädigen, wenn der Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung nicht für nötig gehalten wird oder eine Regierung sich unabhängig von ihrer Bevölkerung glaubt und meint, keine Rechenschaft ablegen zu müssen. Schwache Institutionen erhöhen die Unzufriedenheit der Bevölkerung und bereiten den Boden für gewaltsame Erhebungen.

Kontextbedingungen sind wichtig

Die oben skizzierten Zusammenhänge klingen auf theoretischer Ebene überzeugend, und es gibt zahlreiche praktische Beispiele, die diese belegen. Allerdings ist die empirische Untermauerung des konfliktbezogenen »Ressourcenfluchs« insgesamt wesentlich schwächer, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die »Mutter aller Ressourcenkonfliktstudien« von Paul Collier und Anke Hoeffler (zuerst 1998, aktualisiert 2004) hatte erbracht, dass Primärgüter allgemein das Konfliktrisiko erhöhen. Spätere Arbeiten konnten dies nur zum Teil bestätigen. Ross zeigte 2004, dass sich nur die Ressource Erdöl robust mit einem erhöhten Bürgerkriegsrisiko verbinden lässt. Weitere Arbeiten erbrachten deutliche Hinweise, dass es bestimmte Kontextbedingungen sind, die darüber entscheiden, ob es zu Gewalt kommt oder nicht (siehe auch Ross 2012). Lujala (2008, 2009) zeigt auf, dass Erdöl nur dann ein erhöhtes Konfliktrisiko bedeutet, wenn es auf dem Festland abgebaut wird, nicht aber offshore, d.h. aus dem Meer.

Andere Arbeiten zeigen auf, dass Ressourcen auch friedensfördernd und stabilisierend wirken können: Länder, die über sehr hohe Einnahmen aus dem Erdölgeschäft verfügen, sind in der Lage, durch eine großzügige Verteilungspolitik gewaltsames Aufbegehren erst gar nicht entstehen zu lassen (Basedau/Lay 2009). Friedenspolitisch wenig wünschenswerte Praktiken zur Stabilisierung zumeist autoritärer Regime sind die ressourcenfinanzierte Korruption und Repression. Korruption kann das Konfliktrisiko mindern, indem potentielle Oppositionelle in klientelistische Netzwerke eingebunden werden (Fjelde 2009). Nicht selten wird die Stabilität autoritärer Regime durch massiv ausgebaute Sicherheitsapparate aufrechterhalten, die aus Ressourcengeldern finanziert werden.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die griffige Formel »reich an Ressourcen, aber dennoch von Gewalt geplagt« nur bedingt stimmt. Länder mit sehr hohen Einnahmen pro Kopf aus Ölexporten – wie viele reiche Erdölemirate im Persischen Golf, aber auch Brunei oder Äquatorial-Guinea – haben selten Gewaltprobleme, weil sie sich die teuren Verteilungs- und Repressionspolitiken leisten können. Länder wie Nigeria oder neuerdings der Südsudan hingegen haben bezogen auf die Bevölkerungsgröße oft wenig zur Verfügung. So erwirtschaftet Äquatorial-Guinea aus seinem Erdöl pro Jahr und Kopf geschätzte 15.000 US$. Das ist mehr als 30 mal so viel wie man für den Südsudan oder Nigeria schätzt, wo es jeweils nur wenige Hundert Dollar sind.

Neben Faktoren wie dem Grad der Abhängigkeit und des Reichtums oder dem Ort und der Art des Ressourcenabbaus kommen viele weitere Kontextbedingungen infrage, insbesondere aus dem Bereich des Ressourcenmanagements. Naheliegenderweise ist eine zufriedenstellende Verteilung der Einnahmen wichtig. Jüngere Studien gehen noch weiter und haben Hinweise gefunden, dass der »Ressourcenfluch« überhaupt nicht existiert und es sich lediglich um Scheinzusammenhänge handelt, die verschwinden, wenn Variablen wie der Umfang der Ressourcenvorkommen oder politische Entwicklungen berücksichtigt werden (z.B. Cotet/Tsui 2013).

Vor allem aber gibt es konzeptionelle bzw. theoretische Gründe, eine allzu simple Auffassung vom »Ressourcenfluch« im Sinne eines »Ressourcendeterminismus« nicht zu teilen. Dabei handelt es sich um die fehlende Berücksichtigung wichtiger Bedingungen, die entweder im Ressourcenbereich selbst (Ort und Art der Ausbeutung, Umfang des Reichtums und Grad der Abhängigkeit, Verteilung und Verwendung der Erlöse etc.) oder in den umgebenden Faktoren zu finden sind. Zu letzteren gehören praktisch alle nicht-ressourcenspezifischen Faktoren, die als mögliche Ursachen für Gewalt infrage kommen können, u.a. die grundsätzlichen Merkmale der Ökonomie, das Verhältnis zwischen ethnischen oder anderen Identitätsgruppen, die Gestaltung politischer und anderer Institutionen sowie das Verhalten von Eliten.

Externe Kontextbedingungen bisher wenig beachtet

Ein weiteres Bündel an Einflussfaktoren hat in der empirischen Forschung relativ wenig Widerhall gefunden, nämlich externe Bedingungen. Das überrascht, wenn man bedenkt, dass Ressourcen letztlich erst durch den internationalen Handel wertvoll und damit zu möglichen Konfliktgegenständen werden. So werden die ökologischen Schäden, die zum Unmut der lokalen Bevölkerung beitragen, oft von großen transnationalen Konzernen verursacht, die sich wie Shell im Niger-Delta erst nach langen Jahren zu Kompensationszahlungen bewegen lassen. Es kommt auch deshalb wenig von den Ressourceneinnahmen bei der einheimischen Bevölkerung an, weil die Anteile, die den Regierungen verbleiben, oft auf beschämend niedrigem Niveau liegen, z. B. im Falle des Tschad zu Beginn der Erdölförderung 2003 bei nur etwa 13% (obgleich hier auch die Kosten für die Errichtung der Infrastruktur mitbedacht werden müssen).

Die Finanzierung von Rebellengruppen durch den internationalen Diamanten- oder Coltanhandel, wie wir das aus der Demokratischen Republik Kongo kennen, heizt vorhandene Konflikte an und verlängert sie häufig. Diese Verstetigung von Konflikten wird auch mit dem Begriff der »Kriegsökonomie« beschrieben. Schlimme Auswirkungen kann die rivalisierende Parteinahme in internen Konflikten haben. Amerikanische und französische Ölfirmen konkurrierten um das Öl der Republik Kongo (nicht zu verwechseln mit der Demokratischen Republik Kongo). Dank französischer und angolanischer Unterstützung konnte Denis Sassou-Nguesso, der bereits 1979-1992 Präsident des Landes gewesen war, 1997 den ersten demokratisch gewählten Präsidenten aus dem Amt jagen und den Posten wieder selbst übernehmen. Ressourcen können Konflikte besonders dann anheizen, wenn externe Akteure deren Kontrolle anstreben und dafür militärische Mittel einsetzen. Dies scheint etwa im Irakkrieg zumindest teilweise der Fall gewesen zu sein. Allerdings ist die externe Einmischung meist indirekter und weniger sichtbar, deshalb aber nicht weniger problematisch.

Externe und interne Bedingungen zählen

Die Aufzählungen solcher Beispiele darf gleichwohl nicht mit einer generellen empirischen Bestätigung verwechselt werden. Ob hauptsächlich externe Faktoren den »Ressourcenfluch« auslösen, muss angesichts fehlender verallgemeinerungsfähiger Studien vorläufig als offen angesehen werden. Zudem gibt es Hinweise, dass externe Faktoren nicht notwendigerweise negativ auf den internen Frieden in den betreffenden Ländern wirken. Eine Studie (Wegenast 2013) zeigt, dass negative Effekte des »Ressourcenfluchs« vor allem in Ländern auftreten, die ihre Ressourcenvorkommen verstaatlicht haben. Mächtige und undurchsichtige Staatsfirmen dienen oft dem Machterhalt der Regierung und nicht der nachhaltigen Entwicklung. Offenbar sind Bürgerkriege dort wahrscheinlicher, wo die Ressourcenvorkommen nicht privat ausgebeutet werden. Im Gegensatz zu Regierungen sind international bekannte Konzerne viel anfälliger für internationale zivilgesellschaftliche Kampagnen und deshalb eher auf ihren guten Ruf bedacht.

Selbst die direkte politische Einmischung muss nicht notwendigerweise Stabilität und Frieden bedrohen: In vielen Fällen genießen ressourcenreiche Regierungen gerade aufgrund des Besitzes strategischer Ressourcen externe Unterstützung (vgl. Basedau/Lay 2009; Le Billon 2012). Diese wiederum führt zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer Rebellion. Viele Staaten im Persischen Golf, insbesondere Saudi Arabien, genießen den besonderen Schutz der USA. Frankreich hat in der Vergangenheit das Regime im zentralafrikanischen Gabun geschützt. Dabei gibt es ohne Zweifel auch unerwünschte Effekte. Die externe Unterstützung mag den Frieden sichern, stabilisiert aber allzu oft autoritäre Regime, deren Mangel an Achtung von Menschenrechten und Allgemeinwohl orientierter Regierungsweise achselzuckend als »Kollateralschäden« hingenommen werden.

In Zukunft könnten die Karten zumindest im Erdölbereich komplett neu gemischt werden. Mit der »Ölsand- und Schiefergasrevolution« könnten sich wesentliche Parameter ändern. Neue Technologien, wie das Fracking – in Deutschland vor allem wegen möglicher Umweltschäden in der Diskussion –, ermöglichen den Abbau bisher schlecht zugänglicher Energierohstoffe. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass die USA, bislang massiv abhängig vom Import von Energieressourcen, im Jahre 2040 zu den Energieexporteuren gehören könnten (EIA 2013). Diese Entwicklungen mögen externe Interventionen weniger wahrscheinlich machen. Sie könnten aber erdölreiche Staaten auch um jene Mittel bringen, die sie zur internen Befriedung benötigen. Insgesamt sollte man daher mit Prognosen im Erdölbereich und den politischen Konsequenzen vorsichtig sein (Basedau 2007).

Die Frage, ob hauptsächlich externe oder interne Faktoren einen »Ressourcenfluch« herbeiführen, ist vorerst offen. Wahrscheinlich sind unterschiedliche Faktoren beteiligt. Die Forschung bleibt aufgerufen, diesbezüglich neue und belastungsfähige Erkenntnisse zu erzielen. Die Resultate solcher Forschung sind überdies keine Angelegenheit für den Elfenbeinturm der Gelehrten. Vielmehr ist die Identifizierung der problematischen oder positiven ressourcenspezifischen und anderen Kontextbedingungen Voraussetzung für die Entwicklung wirksamer Vermittlungs- und Lösungsstrategien.

Literatur

Matthias Basedau (2007): Erdölkriege – Kriege der Zukunft? Hamburg: GIGA, GIGA Focus Global, 06/2007.

Matthias Basedau and Jann Lay (2009): Resource curse or rentier peace? The ambiguous effect of oil wealth and oil dependence on violent conflict. Journal of Peace Research, Vol. 46, S.757-776.

Paul Collier and Anke Hoeffler (2004): Greed and grievance in civil war. Oxford Economic Papers, Vol. 56, S.563-595.

Anca M. Cotet and Kevin A. Tsui (2013): Oil and conflict: What does the cross country evidence really show? American Economic Journal: Macroeconomics, Vol 5, S.49-80.

U.S. Energy Information Administration (2013): Annual Energy Outlook 2013 – Natural Gas, from Executive Summary. Release Dates: April 15-May 2, 2013.

Hanne Fjelde (2009): Buying peace? Oil wealth, corruption and civil war, 1985-99. Journal of Peace Research, Vol. 46, S.199-218.

Philippe Le Billon, (2012): Wars of Plunder. Conflicts, Profits and The Politics of Resources. New York: Columbia University Press.

Paivi Lujala (2010): The spoils of nature: Armed conflict and rebel access to natural resources. Journal of Peace Research, Vol. 47, S.15-28.

Michael L. Ross (2004): What do we know about natural resources and civil war? Journal of Peace Research, Vol. 41, S.337-356.

Michael L. Ross (2012): The Oil Curse. How Petroleum Wealth Shapes the Development of Nations. Princeton: Princeton University.

Tim Wegenast (2013): The Impact of Fuel Ownership on Intrastate Violence. Hamburg: GIGA, GIGA Working Paper No. 225, May 2013.

Prof. Dr. Matthias Basedau arbeitet seit 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Afrika-Studien und ist seit 2005 Forschungsschwerpunktleiter »Gewalt, Macht und Sicherheit« am GIGA German Institut of Global and Area Studies.

Entwicklungspolitik und Rohstoffsicherung

Entwicklungspolitik und Rohstoffsicherung

Im Dienste von Wirtschaft und Machtpolitik

von Lukas Renz

Über ein Jahr feilten 50 Mitglieder des deutschen außen- und sicherheitspolitischen Establishments an dem Papier »Neue Macht – Neue Verantwortung«, das im September 2013 veröffentlicht wurde. Anschließend, im Februar 2014, brachte Bundespräsident Joachim Gauck dem breiten Publikum die Kernaussage des Dokumentes näher: Aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht müsse Deutschland künftig bereit sein, mehr außenpolitische Verantwortung zu übernehmen. Dies erfordere einmal, der angeblich bisher praktizierten »Kultur der (militärischen) Zurückhaltung« den Rücken zuzukehren; zum anderen sei es nötig, sich künftig entschlossener der Durchsetzung deutscher Interessen zu widmen. Des Weiteren hebt das Papier das Konzept der »Vernetzten Sicherheit« hervor, demzufolge zur Umsetzung außenpolitischer Ziele sämtliche zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen seien: „Deutsche Außenpolitik wird sich weiterhin der gesamten Palette der außenpolitischen Instrumente bedienen, von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt.“ 1 Der nachfolgende Artikel beschreibt, wie der deutschen Entwicklungspolitik eine zunehmend größere Rolle bei der Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen zukommt.

Entgegen ihrer hehren Ziele war die Entwicklungspolitik nie unabhängig von den Interessen der gebenden Staaten, sondern schon immer ein Instrument zu deren Durchsetzung. Spielte sie einst eine wichtige Rolle bei der Diplomatie des Kalten-Krieges, dient sie heute den Geberländern etwa zur Erschließung von Absatzmärkten oder zur politischen Einflussnahme über konditionierte Hilfsleistungen, insbesondere aber dem Zugang zu Rohstoffen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Es lohnt ein Blick auf die deutschen (und europäischen) Rohstoffstrategien, die in den letzten Jahren vereinbart wurden.

Deutsche und europäische Rohstoffstrategien

Die wirtschaftliche Produktivitätssteigerung der letzten zwei Jahrhunderte basierte auf der Verfügbarkeit günstiger Rohstoffe. Heute hingegen rechnen Industrielle sowie Politikerinnen und Politiker mit der Verknappung wichtiger Bodenschätze. Somit steht zu befürchten, dass sich der Wettlauf der wirtschaftlich stärksten Staaten um solche Rohstoffe – aber auch um Handelsrouten, Transportinfrastruktur und Absatzmärkte –verschärfen wird, ungeachtet der Kollateralschäden, die dies mit sich bringt. Vor diesem Hintergrund wächst das Interesse an einem privilegierten Zugang zu Bodenschätzen der Entwicklungsländer, insbesondere an nicht-energetischen industrierelevanten Rohstoffen. Dies gilt besonders für Deutschland, aber auch für die EU als Ganzes, da dort ebenfalls vergleichsweise wenige fossile und metallische Rohstoffe zu finden sind.2

Dementsprechend sieht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD von Ende November 2013 den Staat in der Pflicht, erheblich zur Rohstoffsicherung beizutragen: „Es ist zuallererst Aufgabe der Unternehmen selbst, ihren Bedarf an Rohstoffen am Markt zu decken und sich vorausschauend auf künftige Entwicklungen einzustellen. Wir werden diese Anstrengungen mit politischen Initiativen flankieren, um verlässliche rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb auf den internationalen Rohstoffmärkten zu gewährleisten.“ 3

Hierfür begannen Wirtschaft und Bundesregierung schon vor Jahren einen intensiven »Dialog«, auf dessen Grundlage im Jahr 2010 die deutsche Rohstoffstrategie verabschiedet wurde. Sie benennt als „Kernziele“ unter anderem die „Unterstützung der deutschen Wirtschaft bei der Diversifizierung ihrer Rohstoffbezugsquellen“, den „Abbau von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen“ sowie den „Aufbau bilateraler Rohstoffpartnerschaften mit ausgewählten Ländern“.4 Seither hat Deutschland bereits einige bilaterale Rohstoffabkommen abgeschlossen, unter anderem mit Kasachstan im Jahre 2011 und mit der Mongolei im Jahre 2012. Eine deutsch-chilenische Rohstoffpartnerschaft wurde Anfang 2013 vereinbart.

Die Bundesregierung möchte ferner den Wiedereinstieg in die direkte Rohstoffexploration durch deutsche Unternehmen voranbringen: „Seit Mitte der 1980er Jahre wurde die starke Position der deutschen Rohstoffindustrie im Auslandsbergbau aufgrund unternehmerischer Entscheidungen nach und nach aufgegeben.“ 5 Deshalb sollen nun „Anreize für Explorationsvorhaben“ geschaffen und somit eine „Rückwärtsintegration“ deutscher Unternehmen in den globalen Bergbausektor gefördert werden.6

Die Rohstoffpartnerschaften, die insbesondere eine vollständige Öffnung der Partnerländer für Investitionen im Rohstoffsektor vorsehen, sind eine wichtige Komponente der Außenwirtschaftsförderung, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Die grundsätzliche Forderung der kapitalstarken EU und Deutschlands nach Freihandel ist dabei in Anbetracht ihrer rohstoffintensiven Wirtschaftsweise und der enormen Importabhängigkeit von Rohstoffen wenig überraschend. Es soll – so die Bundesregierung – „das Ziel einer möglichst weit reichenden Liberalisierung der Weltmärkte gerade auch bei Rohstoffen weiter mit Nachdruck verfolgt werden“.7

Aufgrund der ähnlichen Versorgungssituation decken sich die von der EU-Kommission erlassenen Papiere mit jenen der Bundesregierung inhaltlich in ihren wesentlichen Zielen und Maßnahmen. Unter Verweis auf die Nachfragesteigerung kritisiert die EU „die Maßnahmen bestimmter Länder, die der Inlandsindustrie, u. a. durch Exportbeschränkungen, einen privilegierten Zugang zu Rohstoffen sichern“.8 Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagt: „Hier wie dort sehen sich die Unternehmen gegenwärtig beträchtlichen Beschränkungen des Rohstoffzugangs gegenüber, die politischen Ursprungs sind.“ 9

Zu diesen „handelsverzerrenden“ Maßnahmen gehörten insbesondere Exportzölle, Exportquoten und Importvergünstigungen. Die EU-Kommission spricht von über „450 Exportbeschränkungen für mehr als 400 verschiedene Rohstoffe“.10 Die Bundesregierung kündigt an, dass den „Verzerrungen im internationalen Rohstoffhandel noch konsequenter als bisher begegnet wird. Dazu werden sämtliche Möglichkeiten auf multilateraler (v.a. WTO-Beitrittsverhandlungen, Streitschlichtungsverfahren) als auch auf bilateraler EU-Ebene (Freihandelsabkommen, bilateraler Dialog) umfassend genutzt und ausgeschöpft.“ 11

Rohstoffreichtum und Unterentwicklung

Wie die EU-Kommission anmerkt, befinden sich in Ländern mit einem Bruttonationaleinkommen unter zehn US-Dollar pro Kopf und Tag über 50 Prozent der für die EU wichtigen Mineralienvorkommen.12 Geht es nach der EU und Deutschland, sollten Ausfuhrsteuern je nach Land und Gut nur noch begrenzt oder gar nicht mehr erhoben werden. Mark Curtis, Direktor von Curtis Research, weist allerdings darauf hin, es sei zu befürchten, dass Entwicklungsländern so ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument genommen werde, ihre Rohstoffe im Sinne der eigenen Entwicklung zu verwenden, und dass sich ökologische und soziale Probleme in den Entwicklungsländern verschärfen könnten. Dies werde vorangetrieben, obwohl die EU-Kommission anerkenne, dass Ausfuhrbeschränkungen ein wichtiger Bestandteil von Entwicklungsstrategien armer Länder seien. Einen kritischen Blick wirft Curtis auch auf die Erhöhung ausländischer Direktinvestitionen. So seien viele Entwicklungsländer zwar aufgrund von geringem eigenem Kapital auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen. In der Regel brächten sie aber geringe Einkünfte für den Staat – insbesondere bei Sondersteuerabkommen –, würden wenige Arbeitsplätze schaffen, kaum Technologietransfer gewährleisten und teilweise mit der Verdrängung der jeweiligen lokalen Bevölkerung sowie Umweltbelastungen einhergehen.13

Noch kritischer merkt Christian Zeller von der Universität Salzburg an: „Über den Kanal der Direktinvestitionen organisieren die ausländischen Unternehmen direkt die Ausbeutung der lokalen Energieressourcen und Rohstoffe sowie die Produktion von Zwischenprodukten und Konsumgütern in den »Empfängerländern«. Die über Direktinvestitionen finanzierte Übernahme privatisierter Dienstleistungsunternehmen oder lokaler Banken erlaubt es, lukrative Einkommensflüsse auf lokalen Märkten zu erschließen. […] Die transnationalen Konzerne zentralisieren in der Regel zwischen 50 und 70 Prozent der Erträge aus Direktinvestitionen in ihren Ursprungsländern.“ 14

Ein Blick auf die wirtschaftliche Verfassung der unterentwickeltsten Länder verdeutlicht zusätzlich die Korrelation von Armut und der Orientierung auf den Rohstoffexport, wie Curtis erläutert: „Entwicklungsländer […] exportieren hauptsächlich Rohstoffe. Über 100 von ihnen hängen zu 50 oder mehr Prozent von ihren Rohstoffexporten ab – 46 von ihnen, hauptsächlich in Afrika, von nur einem einzigen Gut. Die Exporte von Ländern in Afrika, dem Nahen Osten und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bestehen durchschnittlich zu mehr als 70 Prozent aus Rohstoffen.“ 15 Damit verbleiben die meisten Entwicklungsländer in der unvorteilhaften Rolle als Rohstoffexporteure, die ihnen schon im Kolonialismus und Imperialismus zukam. Und ausgerechnet dieser Status wird durch die zunehmende Vereinnahmung der Entwicklungspolitik im Dienste der Rohstoffsicherung weiter zementiert.

Entwicklungspolitik und Rohstoffsicherung

Wie BDI-Chef Ulrich Grillo verdeutlicht, soll der Zugang zu Rohstoffen von einer ganzen Reihe von Akteuren gewährleistet werden: „Eine erfolgreiche Rohstoffstrategie erfordert einen ganzheitlichen Ansatz mit entsprechend flankierenden Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen und Politikfeldern. Die Versorgung mit Rohstoffen ist nicht lediglich eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik, sondern gleichermaßen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Energie- und Umweltpolitik, der Technologie- und Innovationspolitik, der Wettbewerbspolitik, der Mittelstandspolitik, der Entwicklungspolitik sowie der Europapolitik.“ 16 Ganz ähnlich schreibt der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke: „Auch die wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und geostrategischen Interessen der unterschiedlichen Ressorts der Bundesregierung passen im beschriebenen Feld – Afrika und Rohstoffe – exzellent zusammen. […] Um hier erfolgreiche deutsche Interessenpolitik umzusetzen, braucht es die volle Arbeitskraft der Ressorts, ein Miteinander auf allen Ebenen und kein Gegeneinander.“ 17

Die Bündelung der Kräfte soll sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene erfolgen. So fordert das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), die Rohstoffstrategie der Bundesregierung mit der EU-Rohstoffinitiative zu verzahnen.18 Gleichzeitig erfolgt eine Verquickung der jeweiligen nationalen beziehungsweise europäischen Politikbereiche . Auf deutscher Ebene geschieht dies insbesondere im Interministeriellen Ausschuss Rohstoffe, der dem BMWi untersteht. In diesem sind die Ministerien, die Deutsche Rohstoffagentur, die in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) angesiedelt ist, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Industrie als Sachverständige vertreten.19

Wie groß die Erwartungen an die Entwicklungspolitik seitens der Wirtschaft sind, verdeutlich erneut BDI-Chef Grillo: „[D]ie Entwicklungspolitik bietet viel mehr Möglichkeiten, zur Sicherheit unserer Rohstoffversorgung beizutragen, als gemeinhin angenommen wird. Sie kann in Entwicklungsländern hinwirken auf Rechtssicherheit, Investitionsschutz, Abbau von Exportbeschränkungen oder auch Unterbindung illegalen Exports von Rohstoffen. Das trägt zu privatwirtschaftlichem Engagement dort bei und kann auch uns helfen, unsere Rohstoffimporte sicherer zu machen.“ 20

Der Entwicklungspolitik soll dabei neben etwa dem Liefern von Expertenwissen auch die Aufgabe zufallen, Akzeptanz für westliche Präsenz zu schaffen, wie Lutz Hartmann, Vorstand der Pearl Gold AG, offenherzig ausspricht: „Jedes Minenvorhaben wird im unmittelbaren Umfeld durch die Schaffung einer lokalen Wirtschaft und Infrastruktur Akzeptanz gewinnen müssen. Hier könnte insbesondere eine bessere Zusammenarbeit zwischen europäischen Investoren und europäischer Entwicklungszusammenarbeit allen Parteien zugute kommen.“ 21 Zur Unterstützung der Privatwirtschaft besteht im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mittlerweile eine Servicestelle für die Wirtschaft. Zu lesen ist auf der Homepage des Ministeriums: „Sie wollen sich neue Märkte erschließen oder Ihre Zulieferketten ressourcenschonend gestalten? […] Das BMZ unterstützt Sie nicht nur durch die entwicklungspolitische Arbeit, die das Investitionsklima vor Ort verbessert, sondern wir bieten Ihnen auch unsere regionale und fachliche Expertise und konkrete Förderprogramme an.“ 22 Beratend und praktisch unterstützend möchte das BMZ Kapital gen Entwicklungsländer mobilisieren – insbesondere in Richtung „Chancenkontinent Afrika“. Im Konkreten führen die Deutsche Rohstoffagentur und die BGR schon Projekte im Namen der Entwicklungszusammenarbeit durch. „Maßnahmen der GIZ und der BGR greifen dabei in sämtlichen Stufen – von der Erkundung und Rohstoffgewinnung über den Handel bis zur Weiterverarbeitung und der Wiedergewinnung von Sekundärrohstoffen.“ 23

Auch eine eigene Rohstoffinitiative hat das BMZ in Gang gebracht: »GeRI: Die Globale entwicklungspolitische Rohstoffinitiative. Flexibilität, Sichtbarkeit, Kohärenz der Entwicklungspolitik im Rohstoffsektor.« Heidi Feldt, entwicklungspolitische Beraterin, merkt diesbezüglich kritisch an, dass auch diese Rohstoffinitiative primär von den Interessen der deutschen Wirtschaft ausgehe.24 Ein Blick in die einschlägigen Dokumente macht dies deutlich: „Die Zielsetzung ist eine stärkere Verknüpfung von Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Eine aktive Kooperation mit der Privatwirtschaft im Rohstoffsektor durch Vermittlung (matchmaking) zwischen deutschen und lokalen Unternehmen.“ 25 Die Privilegierung der nationalen Wirtschaftsinteressen ist wenig verwunderlich, ist die GeRI doch „das entwicklungspolitische Instrument zur Begleitung der Rohstoffstrategie der Bundesregierung“. 26 Und Letztere zielt – ebenso wie die europäische Rohstoffinitiative – vorrangig auf die vollständige Öffnung der (vor allem afrikanischen) Wirtschaften des Globalen Südens für ausländisches Kapital ab.

So besehen verwundert es nicht, dass der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, die Neuausrichtung der Entwicklungspolitik aus seiner Sicht positiv bewertet: „Deutschland wird als Wirtschaftsmacht wahrgenommen, man traut uns technologisch und politisch viel zu. Wir sollten diese Erwartungen nicht relativieren, sondern zu erfüllen versuchen. Einige Voraussetzungen sind bereits geschaffen: Unsere Entwicklungszusammenarbeit widmet sich stärker als früher der Umfeldgestaltung für Privatinvestitionen; in mehreren Ländern sind Berater im Rohstoffbereich tätig. Rohstoffsicherheit und Rohstoffgovernance sind bereits oben auf der politischen Agenda.“ 27

Fazit

Bei der Indienstnahme der Entwicklungspolitik für die staatlich geförderte Rohstoffsicherung ist der vorgebliche Zweck, die Armutsbekämpfung, für die sich die Entwicklungspolitik rühmt, bestenfalls das Anhängsel. Hinzu kommt noch, dass von Deutschland und der EU unter dem Banner der Entwicklungspolitik die wirtschaftliche Liberalisierung, insbesondere der afrikanischen Länder, vorangetrieben wird. Dies geschieht, obwohl hinreichende Argumente für die kontraproduktive Wirkung solcher wirtschaftsliberaler Maßnahmen bekannt sind. Zu diesen zählen etwa der Mangel an Schutz vor externen Wirtschaftsschocks, die Volatilität des ausländischen Kapitals, die Verschlechterung der Terms of Trade zuungunsten der Rohstoffexporteure und der in der Regel niedrige Technologietransfer – vor allem im extraktiven Sektor, der sich zu alledem meist auf wenige Exportprodukte beschränkt. Die oben angesprochenen Rohstoffpartnerschaften werden nicht zuletzt dazu führen, die Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom unterprivilegierten Rohstoffextraktivismus zu befördern, und damit die nachteilige Position der weitestgehend kapitalfreien Rohstofflieferanten in der internationalen Arbeitsteilung zu festigen. Die Rohstoffpartnerschaften sind jedoch durchaus eine attraktive Anlagemöglichkeit für deutsches und europäisches Kapital und sichern darüber hinaus den Zugang zu außereuropäischen Rohstoffen.

Anmerkungen

1) Stiftung Wissenschaft und Politik und German Marshall Fund (2013): Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. S.7.

2) Friends of the Earth Europe, Friends of the Earth Austria, GLOBAL 2000, Sustainable Europe Research Institute/SERI (2009): Ohne Maß und Ziel? Über unseren Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde. S.27.

3) CDU, CSU, SPD (2013): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. S.17.

4) Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie/BMWI (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen. S.7.

5) Die Bundesregierung (2007): Elemente einer Rohstoffstrategie der Bundesregierung. S.6.

6) BMWI, op.cit., S.11.

7) Die Bundesregierung, op.cit., S.2.

8) Europäische Kommission (2011): Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. KOM(2011) 25 endgültig, 2.2.2011, S.6.

9) Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (2010): Für eine strategische und ganzheitliche Rohstoffpolitik. BDI-Strategiepapier zur Rohstoffsicherheit, S.3.

10) Europäische Kommission (2010): Die Rohstoffinitiative ¯ Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Corrigendum. KOM(2008) 699 endgültig/2, 6.5.2010, S.5.

11) BMWI, op.cit., S.9.

12) Europäische Kommission (2010), S.5.

13) Mark Curtis (2010): Die neue Jagd nach Ressourcen: Wie die EU-Handels- und Rohstoffpolitik Entwicklung bedroht. Herausgegeben von Oxfam Deutschland e.V., WEED e.V., Traidcraft Exchange, AITEC und Comhlámh, November 2010, S.6.

14) Christian Zeller (2007): Direktinvestitionen und ungleiche Entwicklung. In: Joachim Becker u.a. (Hrsg.): Kapitalistische Entwicklung in Nord und Süd. Handel, Geld, Arbeit, Staat. Wien: Mandelbaum Verlag, S.126.

15) Mark Curtis, op.cit., S.12.

16) Ulrich Grillo (2007): Die Ewartungen [sic] der Industrie an eine strategische Rohstoffpolitik. In: Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.: Rohstoffsicherheit – Anforderungen an Industrie und Politik. 2. BDI-Rohstoffkongress am 20. März 2007 in Berlin. Ergebnisbericht der BDI-Präsidialgruppe »Internationale Rohstofffragen«. BDI-Drucksache Nr. 395. Berlin: Industrie Förderung GmbH, S.28.

17) Günter Nooke (2013): Welche Rohstoffpolitik wollen wir? Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. In: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. Nachhaltigkeit und Transparenz in der globalisierten Welt. Sankt Augustin/Berlin: Konrad Adenauer Stiftung e.V., S.14.

18) BMWI, op.cit., S.7.

19) Heidi Feldt (2012): Die deutsche Rohstoffstrategie. Eine Bestandsaufnahme. Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, S.4.

20) Ulrich Grillo, op.cit., S.30.

21) Lutz Hartmann (2013): Rohstoffinvestitionen und Rohstoffsicherung. In: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. Nachhaltigkeit und Transparenz in der globalisierten Welt. Sankt Augustin/Berlin: KonradAdenauerStiftung e.V., S.35.

22) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2013): Mitmachen! Unser Angebot für die Wirtschaft.

23) Sebastian Paust (2013): Deutsche Rohstoffpartnerschaften für Afrika. In: Gerhard Wahlers (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsinteressen und afrikanische Rohstoffe. Nachhaltigkeit und Transparenz in der globalisierten Welt. Sankt Augustin/Berlin: KonradAdenauerStiftung e.V., S.39.

24) Heidi Feldt, op.cit., S.9.

25) Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2013): GeRI: Die Globale entwicklungspolitische Rohstoffinitiative. Flexibilität, Sichtbarkeit, Kohärenz der Entwicklungspolitik im Rohstoffsektor.

26) Ebd.

27) Günter Nooke, op.cit., S.12.

Lukas Renz studiert Internationale Entwicklung in Wien. Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine stark gekürzte Fassung der Studie »Rohstoffimperialismus: Deutsche und europäische Entwicklungspolitik im Dienste von Wirtschaft und Machtpolitik«, die bei der Informationsstelle Militarisierung erschienen ist und dort abgerufen werden kann (imi-online.de).

Schürt Uranbergbau Konflikte in Afrika?

Schürt Uranbergbau Konflikte in Afrika?

von Janina Laurent und Kerstin Rother

Systematische Studien über den Zusammenhang von Konflikten und Rohstoffen belegen, dass rohstoffreiche Staaten unter spezifischen Voraussetzungen ein signifikant höheres Konfliktrisiko aufweisen (vgl. u.a. Ross 2004; Le Billon 2001). Die Staaten des subsaharischen Afrika werden aufgrund des Ressourcenreichtums sowie häufiger innerstaatlicher Konflikte oft in diesem Kontext genannt. Der Fokus liegt meist auf strategisch bedeutsamen Rohstoffen wie Diamanten und Erdöl. Eine Forschungslücke besteht bei der möglichen Beeinflussung von Konflikten durch Uranvorkommen.

Uran ist ein Rohstoff mit hoher strategischer Relevanz. Uranerz wurde insbesondere während des Kalten Krieges zur Herstellung nuklearer Waffen in großem Umfang abgebaut und aufbereitet. Heute dient aufbereitetes Uran vorwiegend der kommerziellen Energiegewinnung. Derzeit sind weltweit 436 Reaktoren in Betrieb, und 67 weitere Reaktoren befinden sich im Bau (vgl. IAEA 2013).

Inwiefern ist aber ein Zusammenhang zwischen Uranbergbau und Konflikten in Afrika festzustellen? Langfristige Umweltschäden sowie eine ungerechte Verteilung der Profite aus dem Uranexport – letzteres ein möglicher Hinweis auf die Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen – können Konflikte auslösen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Mechanismen zu identifizieren, die diese Konflikte beeinflussen. In einem weiteren Schritt können dann Maßnahmen und Instrumente zur Konfliktprävention erarbeitet werden.

Ein Projekt des Zentrums für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) der Universität Hamburg und des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) im Jahr 2012 untersuchte den Zusammenhang von Konflikten und Uranbergbau im Zeitraum 1946-2010. Eine raum-zeitliche Analyse von Uranbergbau, Ethnizität und bewaffneten Konflikten im subsaharischen Afrika ergab, dass in vier Ländern (Südafrika, Demokratische Republik Kongo, Namibia und Niger) die genannten Faktoren sowohl zeitlich als auch räumlich relevant sind (hierzu auch Basedau/Koos 2012).

Uranbergbau in der Republik Namibia

In Namibia wird Uranerz seit den 1950er Jahren in der Erongo-Region abgebaut, zunächst unter südafrikanischer Führung, nach der Unabhängigkeit im Jahre 1990 mit Einverständnis der namibischen Machthaber. Spezifische Gesetze, die auf die besonderen Gefahren des Uranbergbaus eingehen, wurden erst 20 Jahre später eingeführt. Mit der »Rössing Mine« der Rio Tinto Zinc Corporation befindet sich in Namibia der größte Urantagebau der Welt, wobei die Republik mit etwa 3.258 Tonnen Uranoxid im Jahr 2012 an fünfter Stelle der uranexportierenden Staaten steht und das Exportpotential weiter ausbaut. Durch die neun produzierenden Uranerzminen gehören die Bergbauunternehmen zu den größten Arbeitgebern im Westen Namibias und stellen somit die Lebensgrundlage für viele Menschen dar. Die Probleme, die Uranbergbau mit sich bringt, werden in Namibia bis dato wenig diskutiert. Dabei entstehen durch den Uranbergbau sowohl Umweltprobleme als auch Spannungen in der Bevölkerung. Ethnische Minderheiten, die in der Umgebung der Minen leben, werden bei der Entscheidungsfindung der Regierung übergangen, was ein Konfliktpotential zur Folge hat.

Namibia wird seit Jahrhunderten von Volksgruppen bewohnt, die bereits vor Ankunft der weißen Siedler Konflikte um Land, Wasser und Vieh austrugen. Diese Konflikte wurden durch die Kolonialmächte und die südafrikanische Verwaltung im 19. und 20. Jahrhundert verstärkt. Ein Zusammenhang zwischen Ethnizität und Konflikten war also schon damals erkennbar. Auch die Unterdrückung bestimmter Volksgruppen durch andere – in Namibia sind unter anderem San, Himba und Topnaar-Nama betroffen – existierte schon vor dem Uranbergbau (vgl. Dierks 2003).

Die bisherigen gewaltsam ausgetragenen Konflikte in Namibia hängen jedoch nicht mit dem Uranbergbau zusammen. Auch der Kampf um die Unabhängigkeit Namibias zwischen 1960 und 1989 wurde weder durch Uranbergbau finanziert noch wegen diesem geführt. Diese Erkenntnis bedeutet aber keineswegs, dass es keine Konflikte um den Uranbergbau in Namibia gibt, sondern lediglich, dass diese unter der Gewaltschwelle liegen. Ein solcher Konflikt liegt zwischen den Topnaar-Nama, der Regierung und den Bergbaugesellschaften in der Erongo-Region vor. Die Topnaar-Nama beanspruchen das Gebiet um den Kuiseb-Fluss, welches sie schon seit Jahrhunderten besiedeln. Die Regierung erkennt weder den Anspruch auf das Land noch die Führer der Topnaar-Nama an. Die Entwicklungs- und Verteilungsungleichgewichte zu Lasten der Topnaar-Nama werden durch den Uranbergbau verschärft, was den bestehenden Konflikt zwischen den Topnaar-Nama und der Regierung verstärken könnte (vgl. Suchanek).

Der Reichtum, der durch Uranbergbau generiert wird, aber weder transparent verteilt wird noch in der Region verbleibt, trägt dazu bei, dass die Regierung sich vom Volk isoliert und die Korruption in Namibia steigt. Dabei spielt eine Rolle, dass Namibia zwar reich an Bodenschätzen ist, jedoch keine ausdifferenzierte Wirtschaft mit ausgeprägtem Binnenhandel besitzt. Die Tendenz wird durch die unzureichende Gesetzgebung bezüglich des Uranbergbaus und den Mangel an Transparenz bei der Entscheidungsfindung sowie die undurchsichtige Vergabe von Bergbaulizenzen durch die zuständigen Behörden verstärkt. Auch die Nichtbeachtung der namibischen Naturschutzgesetze lassen eine Fehlentwicklung erkennen.

Der Uranbergbau generiert in Namibia einerseits Arbeitsplätze und Steuereinahmen. Andererseits haben die Uranerzminen langfristige negative Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung sowie die Entwicklung einer gefestigten Demokratie. Die Folgen für die Umwelt sind kaum abschätzbar, und ein Beweis des Zusammenhangs zwischen Radioaktivität und Krankheiten, die oft erst nach Jahren auftreten, ist schwer zu erbringen. Zudem entzieht der Uranbergbau den Ökosystemen und der ansässigen Bevölkerung das ohnehin schon knappe Wasser. Die betroffenen Arbeiter und Anwohner, Farmer und Topnaar-Nama, finden kein Gehör bei den Bergbaukonzernen und der namibischen Regierung. Da bei der Bevölkerung und vielen namibischen Nichtregierungsorganisationen große Wissenslücken bestehen, was durch eine unzureichende Informationspolitik seitens der Bergbaukonzerne und der namibischen Regierung verschlimmert wird, besteht vor Ort kaum die Möglichkeit, gegen die Fehlentwicklungen vorzugehen.

Die negativen Folgen des Uranbergbaus treffen in Namibia auf Entwicklungs- und Verteilungsungleichgewichte sowie auf die Diskriminierung bestimmter Volksgruppen und eine noch unzureichend gefestigte Demokratie. Dieses Zusammentreffen kann das allgemeine Konfliktrisiko erhöhen sowie vorhandene Konflikte verschärfen.

Uranbergbau in der Demokratischen Republik Kongo

Die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) zählt zu den ärmsten und politisch instabilsten Regionen der Welt. In den Medien wird das Land meist in Verbindung mit Gewaltkonflikten, Menschenrechtsverletzungen und der Ausbeutung von Bodenschätzen genannt. Insbesondere der in der Region des »Kupfergürtels« – eine der größten Lagerstätten wertvoller Bodenschätze – gelegene Osten wird von Rebellen und anderen nicht-staatlichen Akteuren umkämpft. Kinshasa, die Hauptstadt der DR Kongo, befindet sich rund 1.500 Kilometer vom Kupfergürtel entfernt im Westen des Staates und ist über den Landweg nahezu unerreichbar. Staatliche Kontrollen sind dadurch nicht ausreichend gewährleistet, und kurzfristige Einsätze bei einer Konflikteskalation werden erschwert. Umfangreiche Uranerzvorkommen befinden sich hauptsächlich in der Region Katanga, darunter die wohl bekannteste Uranerz-Lagerstätte überhaupt: Die »Shinkolobwe-Kasolo Mine« lieferte das Uran, das zum Bau der ersten Atombomben der USA verwendet wurde.

Uran – das Gold der belgischen Kolonie

Uranbergbau hat in der DR Kongo eine lange Tradition. Die rohstoffreiche Region Katanga im Südosten des Landes zog im frühen 20. Jahrhundert zahlreiche Bergbauunternehmen an. 1906 wurde unter belgischer Kolonialherrschaft die Bergbaugesellschaft »Union Minière du Haut Katanga« (UMHK) gegründet. Besonders profitabel waren die Uranerz-Lagerstätten in Katanga, die seit den 1920er Jahren ausgebeuetet wurden. In der »Shinkolobwe-Kasolo Mine« förderten die Belgier bis 1957 jährlich bis zu 2.500 Tonnen uranhaltigen Gesteins und blieben von 1925 bis 1961 der weltweit wichtigste Lieferant von Uranerz. Der kontinuierliche Eintrag von radioaktiven Substanzen führte in der Umgebung zu einer erheblichen Strahlenbelastung. In der Regel war davon ein Areal von mehreren Kilometern Durchmesser betroffen, bei der »Shinkolobwe-Kasolo Mine« sogar ein Gebiet von rund 300 Hektar. Gefahr ging insbesondere von radioaktivem Staub aus, sowie von Abwässern, die das Grundwasser verseuchten. Unzufriedenheit in der Gesellschaft verbreitete sich durch die fehlende Möglichkeit, die Lebensbedingungen zu verbessern.

Ab 1950 setzte sich das Luba-Volk verstärkt für mehr Machtteilhabe in dem südöstlich gelegenen Distrikt Haut-Katanga ein. Die »Shinkolobwe-Kasolo Mine« befand sich innerhalb des Siedlungsgebietes der Luba. Politische Teilhabebestrebungen seitens dieser Ethnie, aber auch anderer, neu gebildeter »Stammesparteien«, führten dazu, dass die politische Situation in Katanga insbesondere ab 1959 als konfliktreich galt. Das Ziel, die ressourcenreiche Provinz als eigenständigen Staat zu deklarieren und die Kontrolle über die Rohstoffe zu erlangen, spielte dabei eine zentrale Rolle. Zu den neuen Interessenparteien gehörte auch die Partei CONAKAT (Conféderation des Associations du Katanga) des Kongolesen Moïse Kapenda Tschombé. Tschombé, ein hohes Mitglied der Luba-Ethnie, kooperierte mit dem belgischen Unternehmen UMHK, das wiederum im Auftrag Belgiens agierte. Als Kongo 1960 seine Unabhängigkeit bekannt gab, wurden die Sezessionsbestrebungen seitens der CONAKAT konkret. Die Situation eskalierte 1960, als Tschombé Katanga zum unabhängigen Staat erklärte und sich damit gegen die Zentralregierung stellte. Der Staat verlor dadurch wichtige Einnahmen aus dem Minengeschäft (vgl. Kacza 1990). Belgische Armeetruppen kämpften gegen das kongolesische Militär um die Region. Durch den bewaffneten Konflikt kam zum Ende des Jahres 1961 der offiziell geführte Uranbergbau in der DR Kongo zum Erliegen, der Sezessionskrieg fand 1963 ein Ende. Die Provinz Katanga gehörte nun erneut zum administrativen Bereich der kongolesischen Zentralregierung.

Von Konflikten geprägt, entstanden in der Region jedoch weiterhin Aufstände und Volksgruppenkämpfe. Die Akteure hatten überwiegend ein Interesse: Sie wollten die Kontrolle über Provinzen und die damit einhergehende Macht über die Bodenschätze erlangen. Ein offizieller Uranbergbau wurde im Kongo nicht wieder aufgenommen, jedoch etablierte sich ein informeller Rohstoffabbau durch Individualschürfer (artisanal mining). Er steht der industriellen Gewinnung mineralischer Bodenschätze gegenüber, die durch den Einsatz moderner Maschinen und strukturierter Arbeitsprozesse sowohl ökonomisch als auch ökologisch überlegen ist. Der informelle Rohstoffabbau im Osten der DR Kongo gilt aktuell als politisches, wirtschaftliches sowie soziales Problem.1

Welches Fazit kann aus den Fallbeispielen gezogen werden?

In vielen Ländern Afrikas südlich der Sahara ist die Gesetzgebung bezüglich der Gewinnung von Bodenschätzen lückenhaft und undifferenziert. Zum Umgang mit radioaktiven Materialien gibt es anders als in Europa, wo der Umgang mit Uran vom Bergbau bis zur Entsorgung reguliert ist, keine standardisierten Regelungsverfahren. Für ausländische Investoren ist die Möglichkeit des freien Zugangs zu Schürf- und Exportoptionen in Afrika interessant, da Steuerausgaben, Investitionskapital und Umweltauflagen meist gering ausfallen (vgl. Fatal Transactions 2008). Von dieser Politik sind in erster Linie die ansässige Bevölkerung und die Minenarbeiter betroffen, die aufgrund der geringen Distanz zwischen Siedlungsgebiet und Uranerzmine mit einer möglichen Landenteignung und mit den negativen Einflüssen auf Gesundheit und Umwelt konfrontiert sind. Zudem ist die Subsistenzwirtschaft nach radioaktiven Umwelteinträgen und aufgrund des Mangels an Wasser, das in großen Mengen für den Bergbau abgezweigt wird, nur noch begrenzt möglich und mit gesundheitlichen Gefahren verbunden.

Die Einzelfallstudie über den Uranbergbau in Namibia zeigt, dass Uranerz ein Konfliktpotential birgt, welches besonders zum Tragen kommt, wenn Uranbergbau auf unterdrückte Minderheiten und eine ungleiche Ressourcenverteilung trifft. In Namibia wäre beispielsweise eine striktere Gesetzeslage bezüglich des Uranbergbaus und deren Einhaltung durch die Behörden sowie die Partizipation der betroffenen Volksgruppen ein möglicher Ansatz, um das Konfliktpotential zu mindern.

Eine eindeutige Aussage darüber, dass Uranbergbau zu innerstaatlichen Konflikten in der DR Kongo führt, ist wissenschaftlich nicht ausreichend belegbar. Die Konflikte sind vielschichtig, insbesondere ist die Verbindung zum Rohstoff Uran schwer herzustellen. Dennoch zeigen die historischen Ereignisse in der DR Kongo, dass der Sezessionskonflikt (1960-1963) auf das Interesse an den Rohstoffen der Region zurückzuführen ist. Regionen im rohstoffreichen Osten werden heute von bewaffneten Gruppen regiert. Die Folge sind die illegale Ausbeutung der Minen unter unzureichenden Arbeitsbedingungen sowie Schmuggel und Korruption. Offizielle Beweise für den informellen Abbau von Uran liegen nicht vor, internationale Nichtregierungsorganisationen bestätigen aber, dass Uran in Katanga illegal geschürft wird (vgl. u.a. ÖNZ 2011). Eine Revitalisierung des Uranbergbaus in der DR Kongo könnte demnach mit Risiken verbunden sein, die nur schwer abschätzbar sind. Deshalb ist es notwendig, weitere Forschungen in diesem Gebiet anzustellen, um mögliche Verbesserungsvorschläge im Umgang mit dem Uranabbau in Afrika zu entwickeln.

Literatur

Basedau, Matthias; Koos, Carlo (2012): Does Uranium Mining Increase Civil Conflict Risk? Evidence from a Spatiotemporal Analysis of Africa from 1945 to 2010. Hamburg: German Institute of Global and Area Studies, GIGA Working Papers 205/2012.

Dierks, Klaus (2003): Chronologie der Namibischen Geschichte. Von der vorgeschichtlichen Zeit zum unabhängigen Namibia 2000. 2. Auflage, Windhoek.

Fatal Transactions (2008): Mining Regulation in Africa.

International Atomic Energy Agency (2013): Power Reactor Information System. Nuclear Power Reactors in Operation.

Kacza, Thomas (1990): Die Kongo-Krise 1960-1965. Pfaffenweiler: Centaurus-Vertragsgesellschaft.

Koning, Ruben (2011): Conflict Minerals in the Democratic Republic of the Congo Aligning Trade and Security Interventions. In: SIPRI Policy Paper 27/2011.

Le Billon, Philippe (2001): The political ecology of war: Natural resources and armed conflicts. International Political Geography 20, S.561-584.

Ökomenisches Netz Zentralafrika (2011): Uranium Mining in the DR Congo. A Radiant Business for European Companies? Juni 2011.

Ross, Michael L. (2004): What do we know about natural resources and civil war? Journal of peace research vol. 41(3), S.337–356.

Suchanek, Norbert (2010): Namibia. Ureinwohner kämpfen gegen Uran-Bergbau. naturvoelker.org.

Anmerkung

1) Der Fokus liegt insbesondere auf dem Abbau der Rohstoffe Kassiterit (tin ore), Koltan (colombite–tantalite) und Wolframit (tungsten ore) (vgl. Koning 2011).

Janina Marie Laurent studierte an der Universität Hamburg Geographie (B.Sc.) und absolviert gegenwärtig ihren »Master of Peace and Security Studies« am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität Hamburg. Kerstin Rother studierte an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg Politikwissenschaften (M.A.) und erwarb am IFSH den »Master of Peace and Security Studies (M.P.S.). Gegenwärtig arbeitet sie als freie Journalistin in Hamburg.

DESERTEC

DESERTEC

Zwischen Heilsanspruch und neokolonialen Befürchtungen

von Boris Schinke, Jens Klawitter und Christof Kögler

Dieser Artikel lotet Chancen und Risiken solarthermischer Großkraftwerke im Mittleren Osten und Nordafrika aus, wie sie u.a. im Rahmen des DESERTEC-Konzepts vorgesehen sind. Er stellt zudem die Idee eines Nachhaltigkeitsrahmenwerks für die interkontinentale Nutzung des nordafrikanischen erneuerbaren Energienpotenzials vor, durch das sich DESERTEC zu weit mehr als einem reinen Energieinfrastrukturkonzept entwickeln und seinem entwicklungspolitischen Nachhaltigkeitsanspruch und damit auch seiner möglichen konfliktpräventiven Wirkung gerecht werden könnte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben die Herausforderungen im Nahen- und Mittleren Osten (Middle East, ME) und Nordafrika (NA) ein kritisches Ausmaß erreicht. Steigende Preise endlicher Energieträger, fehlender Zugang zu und Verteilungskonflikte um Wasser und Nahrung, wachsende Bevölkerungs- und Arbeitslosenzahlen sowie die Auswirkungen des Klimawandels sind allesamt Zeichen dafür, dass ein Festhalten am Status quo und an nicht-nachhaltigen Entwicklungspfaden in der südlichen Mittelmeerregion keine zukunftsfähige Strategie darstellt.

Zusätzlich zeigen die Unruhen im Zuge des »Arabischen Frühlings«, in denen sich die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit den lange vorherrschenden autokratischen Machtverhältnissen, der ökonomischen Perspektivlosigkeit und fehlenden Mitspracherechten bei politischen Entscheidungen artikulierten, die Defizite eines auf Eliten ausgerichteten Entwicklungsmodells auf.

Angesichts der sich in der MENA-Region konzentrierenden Krisenphänomene und der politischen Umbrüche stehen zahlreiche Länder der arabischen Welt gegenwärtig vor einem historischen Scheideweg. Um in der MENA-Region eine vom Verbrauch fossiler Ressourcen entkoppelte Energieversorgung zu erreichen, der drohenden Wasser- und Ernährungskrise entgegen zu steuern sowie die Region vor den Folgen eines gefährlichen Klimawandels zu bewahren und gleichzeitig sozio-ökonomische Entwicklungsperspektiven aufzubauen, bedarf es eines tiefgreifenden Paradigmenwechsels. Es gilt, mit existierenden Pfadabhängigkeiten in technologischen und sozio-politischen Bereichen zu brechen und neue Lösungsansätze zu entwickeln, die den interdependenten Krisenphänomenen und den Forderungen des »Arabischen Frühlings« gerecht werden. Der Erzeugung von und dem Zugang zu nachhaltiger Energie kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Das DESERTEC-Konzept

Einen wichtigen Ansatz, durch den ein neuer Ordnungsrahmen zur Modernisierung der südlichen Mittelmeeranrainer und deren Befreiung von nicht-nachhaltigen Pfadabhängigkeiten erreicht werden könnte, stellt DESERTEC dar.

Das Konzept sieht vor, im Rahmen einer EUMENA-Energiepartnerschaft (Europa und MENA-Region) verschiedene Formen erneuerbarer Energieerzeugung zu vernetzten und dadurch beide Regionen dabei zu unterstützen, ihr fossiles Energiesystem strukturell umzubauen und in ein kohlenstoffarmes System zu überführen. Dabei soll das große Einzugsgebiet dazu dienen, lokale Schwankungen aufzufangen und eine stabile Stromversorgung bei minimaler Nutzung fossiler Energieträger zu garantieren. Da ein erheblicher Anteil des erzeugten Stroms mittels einer Vielzahl solarthermischer Großkraftwerke in Nordafrika gewonnen werden soll, konzentriert sich die nachfolgende Analyse auf diese Form der Energieerzeugung.

Die bevorzugten Standorte für solarthermische Kraftwerke befinden sich aufgrund der hohen Sonnenintensität in den Wüsten der MENA-Region. Von dort aus soll ein Teil des Stroms verlustarm über noch zu errichtende Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) u.a. in die Verbraucherzentren Europas exportiert werden, um ab dem Jahr 2050 einen signifikanten Anteil1 des europäischen Strombedarfs mit Solarstromimporten decken zu können.

Auch wenn es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zahlreiche Hürden für eine zeitnahe Realisierung des DESERTEC-Konzepts zu nehmen gilt, so stellt sich das Vorhaben nicht mehr als reine Utopie dar. Im Zusammenhang mit verschiedenen transnationalen Initiativen, z.B. der Dii,2 der Medgrid3 oder des »MENA-CSP Scale-up Investment«-Plans der Weltbank,4 wie auch mit ambitionierten nationalen Plänen zur Förderung erneuerbarer Energien, bspw. in Marokko, knüpft DESERTEC unmittelbar an das im Rahmen des Mittelmeer-Solarplans verfolgte Ziel an, die Partnerschaft der afrikanischen Mittelmeeranrainer mit der EU durch die gemeinsame Nutzung des nordafrikanischen erneuerbaren Energienpotenzials auszubauen.

Chancen und Risiken

Obgleich die Realisierung des DESERTEC-Konzepts mit großen Chancen verbunden ist, ist es derzeit noch zu früh, um zu beurteilen, ob das ambitionierte Zukunftsprojekt so umgesetzt werden kann, dass es seinem visionären Anspruch gerecht wird. Eine erste Annäherung und Bewertung des DESERTEC-Konzepts sollte daher – nicht trotz, sondern gerade wegen all der damit verbundenen euphorischen Assoziationen und entwicklungspolitischen Bedenken – vorsichtig geschehen. Zwar ist das Konzept nach technischen Maßstäben umsetzbar – die Technologien, die eingesetzt werden sollen, sind erprobt und weltweit bereits erfolgreich im Einsatz –, jedoch gibt es erhebliche Unsicherheiten. Diese betreffen vor allem die immer wieder diskutierten Chancen und Risiken von DESERTEC.

Mit Fokus auf solarthermische Großkraftwerke könnte DESERTEC grundsätzlich

durch die Nutzung erneuerbarer Energien erheblich zum Klimaschutz beitragen,

im Zuge neuer grundlastfähiger Energieinfrastrukturen einen Beitrag zur Energiesicherheit in der MENA-Region, in Europa wie in anderen Regionen der Welt5 leisten,

durch die Kombination mit Entsalzungsanlagen der drohenden Wasser- bzw. Nahrungskrise in der MENA-Region entgegenwirken und

ein Motor für den Aufbau neuer Industrien und damit einhergehend für den Transfer technischen Know-hows und die Entstehung von Arbeitsplätzen in den beteiligten arabischen Staaten sein.

Das DESERTEC-Konzept bietet somit für den EUMENA-Raum Möglichkeiten, Antworten auf Fragestellungen von Klima-, Energie-, Wasser- und Ernährungssicherheit sowie sozio-ökomische Entwicklungsperspektiven im Kontext solarthermischer Großkraftwerke in Nordafrika zu geben (siehe auch Abbildung). Hinzu kommt, dass durch den regionenübergreifenden Energieverbund, der die jeweiligen Bedürfnissen und Stärken berücksichtigt, ein wichtiger Beitrag zur Vertrauensbildung und Friedenssicherung in beiden beteiligten Regionen geleistet werden könnte.

Optimal-Szenario des DESERTEC-Konzepts aus entwicklungspolitischer Sicht
(aus Schinke und Klawitter, 2010)

Optimal-Szenario des DESERTEC-Konzepts aus entwicklungspolitischer Sicht

Große (Energie-) Infrastrukturprojekte waren in der Vergangenheit gerade in Entwicklungsländern immer wieder Auslöser für Probleme, bis hin zu gewalttätigen Konflikten, wobei der versprochene Nutzen für die lokale Bevölkerung oftmals in keinem Verhältnis zu den entstandenen Schäden stand (Lustgarten 2009). Auch um solarthermische Großanlagen wurden schon Konflikte zwischen Betreibern und Anwohnern ausgetragen, z.B. im Fall des spanischen Kraftwerks Andasol, wo enteignete Bauern mit der Entschädigung äußerst unzufrieden waren. Unter dem Motto „Das Land gehört unseren Vorfahren“ und mit Verweis auf Wassernutzungsrechte führten Protestaktionen, der öffentliche Druck und die Kompromissbereitschaft auf Seiten der Betreiber schlussendlich zu einer einvernehmlichen Lösung, bei der die Bauern mit alternativen Landflächen bzw. Kompensationszahlungen entschädigt wurden (Perez 2008).

Vor diesem Hintergrund sind immer wieder kritische Stimmen zu vernehmen, die das DESERTEC-Konzept als eine imperialistische und neokoloniale Erscheinung interpretieren, mit einem gewissen Potenzial, Spannungen eher zu verstärken als abzubauen. Aus Sicht der Autoren besitzt DESERTEC durchaus das Potenzial, die Problemkaskaden, die sich in der MENA-Region ergeben, zu verstärken, wenn der Fokus zu einseitig auf die technische und ökonomische Machbarkeit gelegt wird und lokale Menschenrechte und Bedürfnisse missachtet werden.

Risiken, die im Kontext von DESERTEC entstehen könnten, sind z.B.

Konflikte aufgrund der Standortwahl und fehlender Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung,

Umsiedlungen der lokalen Bevölkerung ohne gerechte Entschädigung,

keine adäquate Beteiligung der lokalen Bevölkerung an erwirtschafteten Gewinnen (benefit sharing) durch ungenügende Einbeziehung und Unterstützung lokaler Kapazitäten (local content) im Rahmen eines einseitigen Technologietransfers,

Nichtbeachtung lokaler Begebenheiten, z.B. Landnutzungs- und Wasserrechte, und nativer Lebenszusammenhänge bei Planung, Bau und Betrieb,

exzessiver Stromexport nach Europa bei gleichzeitigem Mangel an Elektrifizierung in der MENA-Region.

Da solarthermische Kraftwerke einen hohen Flächenbedarf 6 und, besonders bei Wasserkühlung, einen hohen Wasserbedarf 7 haben, sind negative Auswirkungen dieser Kraftwerke im lokalen Kontext zumindest denkbar. Werden solarthermische Kraftwerke nicht in Kombination mit Entsalzungsanlagen geplant und gebaut, könnten diese also nicht zur Wassersicherheit, sondern im Gegenteil lokal zu einer Verschärfung der Wasserproblematik beitragen und ebenso regionale Spannungen wie Verstimmungen zwischen der MENA-Region und Europa erzeugen.

Die Beachtung der lokalen Gegebenheiten bei der Umsetzung konkreter Projekte ist also entscheidend dafür, ob das DESERTEC-Konzept bezüglich der Konkurrenz um Wasser- und Landnutzung, der Einbindung lokaler Wertschöpfungsketten sowie des Stromexports nach Europa die versprochenen Nachhaltigkeitskriterien einhält. Die Chancen und Risiken von DESERTEC sind daher eng mit der konkreten Umsetzung der einzelnen Projekte verknüpft.

Die soziale Dimension in der Konfliktprävention

Bisher wurde in der Diskussion über DESERTEC der Fokus vorwiegend auf die technische und ökonomische Machbarkeit des Konzepts gelegt (siehe z.B. Trieb et al. 2012; Dii 2012). Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz, da erneuerbare Energien nicht per se, also allein durch die Bereitstellung klimafreundlichen Stroms, als nachhaltig gelten dürfen. Die Sicherstellung des Nutzens, der sich im Rahmen von DESERTEC für die lokale Bevölkerung im MENA-Raum ergeben soll, und der gerechte Umgang mit Fragen des Eigentums und der Beteiligung sind daher unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung des Konzepts. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in der MENA-Region muss es bei DESERTEC neben Wirtschaftlichkeit, langfristiger Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit daher auch um Verteilungsgerechtigkeit, Sozialverträglichkeit und Beteiligungs- bzw. Mitbestimmungsmöglichkeiten – also um soziale und entwicklungspolitische Dimensionen – im lokalen Kontext gehen.

Den Forderungen des »Arabischen Frühlings« – „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ – und dem neuen sozio-politischen Milieu in der Region müssen auch Investitionen in neue Energie-Infrastrukturprojekte gerecht werden. Welche Entwicklungsperspektiven DESERTEC für die MENA-Region bietet, entscheidet am Ende über seine Akzeptanz in der Bevölkerung diesseits und jenseits des Mittelmeers und damit auch über den Erfolg des Konzepts insgesamt. Bislang jedoch besitzt DESERTEC kaum eine entwicklungspolitische Dimension. Was DESERTEC für die menschliche Entwicklung in Nordafrika zu leisten vermag, bleibt unklar und ist abgesehen von einigen makro-ökonomischen Studien (siehe World Bank 2011) kaum erforscht.

Um so wichtiger ist es zu analysieren, wie solarthermische Großkraftwerke gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung geplant, gebaut und betrieben werden könnten, um die Entwicklungsperspektiven in den Mittelmeerstaaten Afrikas und des Mittleren Ostens zu maximieren bzw. negative Auswirkungen für Menschen und Umwelt zu minimieren. Für eine sichtbare Verbesserung der Lebensqualität für die Menschen vor Ort müssen folgende Faktoren gewährleistet sein: eine gesteigerte lokale Wertschöpfung, die Einbindung der betroffenen Bevölkerung durch klare Beteiligungsmechanismen, die Förderung lokaler Firmen bei Planung, Bau und Betrieb der Kraftwerke, der Transfer von Technologien und Know-how sowie ein gesicherter Zugang zu entsalztem Wasser.

Ein Nachhaltigkeitsrahmenwerk für DESERTEC-Projekte?

Ein viel versprechender Ansatz, die Risiken, die sich aus dem DESERTEC-Konzept ergeben, zu vermindern und die Chancen für die lokale Bevölkerung im MENA-Raum, zu fördern, ist die Formulierung von Nachhaltigkeitsanforderungen an solarthermische Kraftwerke. Dabei können DESERTEC-Projekte auf die Erfahrungen mit der Anwendung von Nachhaltigkeitsanforderungen in ähnlichen Bereichen, z.B. dem Clean Development Mechanism (CDM),8 zurückgreifen.

Eine Basis dafür ist mit Studien zu makro-ökonomischen Fragen sowie dem Entwurf eines ersten Kriterienkatalogs durch die DESERTEC-Stiftung schon gelegt. Die sozio-ökonomischen Bedürfnisse und Stärken der lokalen Anwohner von Solarthermie-Kraftwerken allerdings sind bislang nicht in die Überlegungen zu Nachhaltigkeitsanforderungen an solche Kraftwerke eingeflossen. Solange lokale Akteure – vor allem solche, die gesellschaftlich marginalisiert und unzureichend durch staatliche Institutionen vertreten sind – nicht in die Diskussion einbezogen werden, sind die entwicklungspolitischen Potentiale nicht ausgeschöpft, und es werden Möglichkeiten zur Konfliktprävention im Rahmen von DESERTEC durch eine zu einseitige Betrachtung des Energieerzeugungsaspektes verbaut.

Vor diesem Hintergrund erforscht ein Konsortium aus drei verschiedenen regierungsunabhängigen Institutionen9 momentan in einer empirischen Feldstudie die potenziellen Auswirkungen des DESERTEC-Konzepts auf die Lebensbedingungen, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung der betroffenen lokalen Bevölkerung anhand konkreter, in der Umsetzung begriffener Projekte. Die Untersuchung zielt darauf ab, einen ersten empirisch erarbeiteten Vorschlag geeigneter Leitlinien auszuarbeiten, gepaart mit sozialen Nachhaltigkeitsanforderungen für die Umsetzung von Solarthermie-Projekten in der MENA-Region.

Die Ergebnisse der Studie sollen einen empirisch basierten Diskussionsanstoß für eine faire und inklusive interregionale Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure aus Politik, Industrie, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bevölkerung in Europa und der MENA-Region geben – einer Zusammenarbeit, wie sie aus Sicht der Autoren zukünftig im Rahmen eines Multistakeholder-Dialogs zur Erstellung eines übergeordneten Nachhaltigkeitsrahmens für DESERTEC stattfinden könnte. Dann könnte sich DESERTEC auch zu weit mehr als einem reinen Energieinfrastrukturkonzept entwickeln und seinem entwicklungspolitischen Nachhaltigkeitsanspruch – ökonomisch, ökologisch und sozial – und damit auch seiner möglichen konfliktpräventiven Wirkung gerecht werden.

Literatur

Damerau, K., Williges, K., Patt, A. G. und Gauché, P. (2011): Costs of reducing water use of concentrating solar power to sustainable levels: Scenarios for North Africa. Energy Policy, 39:4391-4398.

DESERTEC Foundation (2009): Clean Power from Deserts. The DESERTEC Concept for Energy, Water and Climate Security. WhiteBook, 4th Edition. Bonn: Desertec Foundation.

Dii GmbH (2012): Desert Power 2050. Perspectives on a Sustainable Power System for EUMENA. München: Dii GmbH.

Lustgarten, A. (2009): Conrad’s Nightmare: The World’s Biggest Dam and Development’s Heart of Darkness. Brüssel: Counter Balance.

Pérez, J. J. (2008): Andasol ofrece tierra a los agricultores de Aldeire como salida al conflicto; online unter ideal.es.

Schinke, B., Klawitter, J. (2010): DESERTEC – Baustein einer neuen Sicherheitsarchitektur innerhalb des MENA-EU-Raums? Bonn: Germanwatch.

Trieb, F., Schillings, C., Pregger, T. und O’Sullivan, M. (2012): Solar electricity imports from the Middle East and North Africa to Europe. Energy Policy, 42:341-353.

The World Bank (2011): Middle East and North Africa Region Assessment of the Local Manufacturing Potential of Concentrated Solar Power (CSP) Projects. Washington, DC: The World Bank.

Anmerkungen

1) Die Angaben darüber, wieviel Strom über Importe aus der MENA-Region nach Europa fließen sollen, unterscheiden sich: Während die DESERTEC-Stiftung ca. 15% des europäischen Strombedarfs nennt (DESERTEC Foundation 2009, S.36), gibt die Dii in ihrer jüngsten Publikation 19% an (Dii 2012, S.54). Dabei ist zu beachten, dass diese Zahl nichts über die Aufteilung des erzeugten Stroms zwischen Europa und der MENA-Region aussagt.

2) Die Dii GmbH (Sitz München, gegründet im Oktober 2009) ist ein internationales Konsortium, das von Unternehmen, Forschungsgesellschaften und Organisationen getragen wird, darunter die DESERTEC Foundation.

3) Medgird (Sitz Paris, gegründet im Juli 2010) ist ein Konsortium von Industriefirmen, die in der Energieerzeugung, -übertragung und –verteilung engagiert sind.

4) CSP steht für Concentrated Solar Power, dt. Solarthermie.

5) Das DESERTEC-Konzept ist grundsätzlich auch auf andere Teile der Welt übertragbar. Dieser Artikel konzentriert sich jedoch ausschließlich auf die MENA-Region.

6) Der Flächenbedarf des spanischen Parabolrinnenkraftwerk Andasol 1 bspw. liegt bei ca. 1,95 km2 bei einer Höchstleistung von 50 MW. Der Flächenverbrauch von solarthermischen Kraftwerken ist abhängig von der verwendeten Technologie und ob ein Wärmespeicher verwendet wird oder nicht.

7) Der geringere Teil des benötigten Wasser wird für die Säuberung der Spiegel verwendet. Der wesentlich größere Teil des Wasserbedarfs ergibt sich aus der Kühlung der Kraftwerke. Hier sind ebenfalls Unterschiede bei der verwendeten Technologie festzustellen. Als Durchschnittswerte geben Damerau et al. (2011, S.4293) 3.000m3/GWh für Parabolrinnenkraftwerke und 2.100m3/GWh für Solarturmkraftwerke bei Benutzung des »wet cooling«-Verfahrens an. Wird das »dry cooling«-Verfahren angewendet, kann der Wasserverbrauch auf ungefähr 300-340m3/GWh reduziert werden.

8) Der Clean Development Mechanism (CEDM, dt. Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) ist einer der Marktmechanismen des Kyoto-Protokolls. Er ermöglicht es Ländern mit Emissionszielen nach dem Kyoto-Protokoll, Emissionsreduktionsprojekte in »Entwicklungsländern« durchzuführen und die Emissionsreduktionsgutschriften aus diesen Projekten für die Erfüllung ihrer Kyoto-Verpflichtungen einzusetzen. Mehr unter dem Stichwort »Clean Development Mechanism« beim Bundesumweltamt bzw. unter dehst.de.

9) Beteiligt an der genannten Studie sind Germanwatch (Bonn), The League of Independent Activists (IndyAct, Libanon) und das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC).

Boris Schinke ist Referent für Klima und Sicherheit bei Germanwatch mit Schwerpunkt erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung in der MENA-Region. Jens Klawitter ist freier Wissenschaftler und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit erneuerbaren Energien und der nachhaltigen Entwicklung der MENA-Region. Christof Kögler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC).

Öl- und Gas vor Zypern

Öl- und Gas vor Zypern

Entsteht ein neuer Krisenherd im östlichen Mittelmeer?

von Hubert Faustmann

Reichhaltige Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer bergen enormes Konfliktpotential. Derzeit zeichnet sich ein Konflikt um die Exploration zwischen der Türkei und der türkisch-zypriotischen Volksgruppe auf der einen Seite und der griechisch-zypriotisch dominierten Republik Zypern auf der anderen ab. Spannungen über diese Ressourcen gibt es ebenfalls zwischen dem Libanon und Israel, in die auch die Republik Zypern hineingezogen werden könnte. Zudem hat Nikosia mit Israel ein bilateralesAbkommen über eine enge Zusammenarbeit bei der Ressourcenausbeute abgeschlossen, und eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern wird zumindest erwogen.. Die Konfliktlage hat unabsehbare Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Zypern, Israel, der Türkei und der arabischen Welt – günstigstenfalls aber auch das Potential, den schwelenden Zypernkonflikt endlich beizulegen und die Kooperation in der Region zu stärken.

Zypern wurde 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Die alte Kolonialmacht garantierte zusammen mit Griechenland und der Türkei die verfassungsmäßige Ordnung und die Unabhängigkeit der Insel. Nach den gewalttätigen innerzypriotischen Auseinandersetzungen von 1963 wurde die Republik Zypern ausschließlich von den griechischen Zyprioten kontrolliert. Durch die türkische Invasion von 1974 wurde die Insel faktisch geteilt: Die Türkische Republik Nordzypern erklärte 1983 ihre Selbstständigkeit, wurde aber bis heute nur von der Türkei anerkannt. Die Republik Zypern gilt international als alleiniger Repräsentant der ganzen Insel und trat 2004 der EU bei. Der Aqcuis Communautaire (die Rechtsgebung der EU) ist für den Norden suspendiert, auch wenn das Gebiet als Teil der Republik Zypern formal Mitglied der Europäischen Union ist.

Zahlreiche Versuche, die Insel auf dem Verhandlungswege wieder zu vereinigen, sind seit 1974 gescheitert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen blieb es in und um Zypern herum friedlich, und zumindest bis zur Aufnahme des EU-Beitrittsverhandlungen mit der Republik Zypern Anfang der 1990er Jahre galt der Zyperndisput als vergessener Konflikt von geringer Intensität. Die Lage auf der Insel galt und gilt als stabil, und der so genannte »Friedhof der Diplomaten« verschliss zahlreiche internationale Vermittler, ohne dass – bei allen Spannungen und Krisen – vom Zypernkonflikt eine ernstliche Bedrohung für Frieden und Stabilität in der Region ausging. Damit könnte es bald vorbei sein.

Viel Streit um viel: die Positionen der beteiligten Parteien

Bereits 2009 wurden vor der Küste Israels größere Erdgasvorkommen entdeckt. Nach Schätzungen des amerikanischen Geological Survey befinden sich im östlichen Mittelmeer etwa 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel Öl (Lakes 2011/12). Wenn sich diese Zahlen bewahrheiten sollten, stellen diese Vorräte eine ernsthafte Alternative zur Energieabhängigkeit Europas von Russland dar. Derzeit wird die Bonanza zwischen den Anrainerstaaten aufgeteilt, und das führt naturgemäß zu Spannungen, die durch das ungelöste Zypernproblem verstärkt werden. Die Vorkommen werden zweifelsohne zu Veränderungen der regionalen geostrategischen Situation und Machtverteilung führen, die – zusammen mit den Ergebnissen des arabischen Frühlings und dem schwelenden Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten, dem Iran sowie der Türkei – die Region in ein Pulverfass verwandeln könnten.

Spätestens seit 2003 gibt es einen offenen Disput zwischen Ankara, den türkischen Zyprioten und der griechisch-zypriotischen Regierung über das Recht der Republik Zypern, Abkommen über die jeweilige exklusive Wirtschaftszone mit anderen Anrainerstaaten des Mittelmeeres abzuschließen. Derartige Vereinbarungen sind Voraussetzung für die konfliktfreie Ausbeutung der vermuteten Vorkommen in der Region. Die türkische Seite steht auf dem Standpunkt, dass die Regierung der Republik Zypern illegitim sei, da sie seit 1963 allein aus griechischen Zyprioten bestünde und die türkischen Zyprioten mit Gewalt um ihre verfassungsmäßigen Rechte gebracht worden seien. Daher verfüge sie über keinerlei Berechtigung, derartige Abkommen ohne Zustimmung und Beteiligung der türkischen Zyprioten abzuschließen. Als eine der drei Garantiemächte der Republik Zypern nimmt die Türkei für sich in Anspruch, die Rechte der türkischen Zyprioten zu repräsentieren. Die türkische Seite verlangt zudem ein Ende aller Explorationsaktivitäten, solange die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel andauern (Akyel 2012).

Als die Republik Zypern Abkommen über ihre exklusive Wirtschaftszone mit Ägypten (2003), dem Libanon (2007) und Israel (2010) abschloss und 2007 eine Bohrlizenz an die amerikanische Firma Noble Energy vergab, begann die Situation zu eskalieren. Neben den oben genannten Argumenten bestehen die türkischen Zyprioten darauf, dass auch sie Rechte an allen Bodenschätzen Zyperns besitzen und es ohne ihre Zustimmung und Beteiligung an den Entscheidungsprozessen sowie einer Beteiligung an den Einnahmen keine Ausbeutung der Ressourcen geben dürfe (Kaymak 2012). Die griechischen Zyprioten ignorierten diese Position, machten aber nach einigem internationalen Druck immerhin das vage Zugeständnis, dass die türkischen Zyprioten auch ohne eine formelle Lösung an den Gewinnen beteiligt würden – allerdings ohne ein eigenes Mitspracherecht.

Die Türkei fügte dem Streit noch eine weitere Dimension hinzu, indem sie eigene Ansprüche formulierte. Nach der 1982 verabschiedeten Seerechtskonvention der Vereinten Nationen hat jeder Küstenstaat das Recht, außerhalb der eigenen Territorialgewässer (zwölf Seemeilen) bis zu 200 Seemeilen als exklusive Wirtschaftszone zu deklarieren und dort etwaige Rohstoffvorkommen auszubeuten. Als international allein anerkannte Regierung ganz Zyperns stehen die griechischen Zyprioten daher in diesem Konflikt auf einer abgesicherten völkerrechtlichen Position. Die Türkei ist als einer von wenigen Staaten dieser Konvention jedoch nicht beigetreten und beharrt daher darauf, dass im östlichen Mittelmeer sämtliche Wirtschaftszonen zwischen allen Anrainerstaaten auf dem Verhandlungswege festgelegt werden müssten. Die Rechtmäßigkeit der drei Abkommen Zyperns mit Ägypten, dem Libanon und Israel wird von Ankara daher prinzipiell bestritten. Insbesondere im Gebiet westlich der Insel, auf das sich das Abkommen der Republik Zypern mit Ägypten bezieht, überlappen sich aus türkischer Sicht fünf Blöcke, die von der Republik Zypern beansprucht werden, mit türkischen Rechten (Akyel&Sezer 2012). Türkischer Druck führte denn auch dazu, dass das Abkommen der Republik Zypern mit dem Libanon bislang vom libanesischen Parlament nicht ratifiziert worden ist.

Im August 2011 gab dann die Republik Zypern bekannt, dass im Block 12, südöstlich von Zypern und an das bereits in Ausbeutung befindliche riesige israelische Gasfeld »Leviathan« angrenzend, die amerikanische Firma Noble Energy Probebohrungen durchführen werde. Die Türkei protestierte heftig. Als sich die griechischen Zyprioten davon nicht einschüchtern ließen und am 19. September 2011 die Probebohrungen begannen, schloss die Türkei im Gegenzug mit der Türkischen Republik Nordzypern ein eigenes Abkommen, in dem die beiderseitigen Wirtschafszonen abgegrenzt wurden, und drohte mit eigenen Bohrungen vor der Nordküste Zyperns. Am 22. September 2011 gestattete die Führung der türkischen Zyprioten der türkischen Ölfirma TPAO, in den Gewässern rund um die ganze Insel nach Gas und Öl zu suchen. Ein von der türkischen Marine begleitetes türkisches Forschungsschiff führte anschließend seismische Messungen in den von der Republik Zypern zur Ausbeutung demarkierten Gewässern südlich der Insel durch.

Im Dezember 2011 gab Noble Energy bekannt, dass in Block 12 große Mengen Erdgas gefunden worden seien. Davon ermutigt, begann die Republik Zypern im Februar 2012 eine zweite Vergaberunde für Bohrlizenzen für alle übrigen zwölf Blöcke, die zur Erkundung und Ausbeutung vorgesehen sind. Die Angebote müssen bis Mai 2012 eingereicht sein (Cyprus Mail, Februar 2012). Damit ist eine weitere Eskalation der Situation vorprogrammiert. Gleichzeitig begann die Türkei mit Probebohrungen im Nordteil der Insel, die im Erfolgsfall wiederum neues Konfliktpotential in sich bergen, da die griechischen Zyprioten eine Ausbeutung etwaiger Funde, die ja völkerrechtlich auf dem von der Türkei besetzten Staatsgebiet der Republik Zypern gemacht würden, zu verhindern suchen werden. Die seit 2008 laufenden Verhandlungen zur Wiedervereinigung der Insel stehen zudem aus verschiedenen Gründen vor dem zumindest vorläufigen Scheitern, womit der eleganteste Ausweg für alle Seiten blockiert ist.

Ausweitung der Interessenallianz

Auch wenn Premierminister Erdogan – wohl unter amerikanischem Druck – öffentlich die Anwendung militärischer Gewalt ausgeschlossen hat , bleibt die Lage angespannt. Durch eine breite Streuung unter Firmen, die aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem aus Ländern kommen werden, die zu den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates gehören, wird die Republik Zypern wohl versuchen, eine möglichst breite Interessen- und Abschreckungsallianz gegen die türkische Seite zu schaffen.

In diesen Kontext gehört auch eine energie- und möglicherweise auch sicherheitspolitische Kooperation zwischen Zypern und Israel. Bei einem Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu auf der Insel im Februar 2012 wurde eine energiepolitische Partnerschaft zwischen Israel und Zypern besiegelt. Beide Länder werden ihre Ressourcen gemeinsam entweder über Zypern nach Europa oder über Israel nach Asien exportieren. Dabei werden eine Gasverflüssigung, die den Transport über Tanker ermöglichen würde, oder eine Tiefseeskabelverbindung, die Strom direkt von Zypern und Israel nach Griechenland und von dort weiter nach Europa leiten würde, favorisiert. Im Vorfeld des Besuchs war in einigen griechisch-zypriotischen Kreisen und in israelischen Zeitungen über ein Sicherheitsbündnis mit Israel spekuliert worden. In diese Allianz könnte auch Griechenland eingebunden werden, das ohnehin mit der Republik Zypern in einem Verteidigungsbündnis steht und in der Ägäis mit der Türkei in einen ähnlichen Disput verwickelt ist. Zu einem derartigen Abkommen kam es bislang nicht, obgleich die griechisch-zypriotische Seite weiterhin versuchen wird, von Israel politischen und militärischen Beistand zu erhalten, um die Türkei von eigenen Aktionen in den fünf umstrittenen Blöcken 1 sowie 4-7 abzuhalten. Eine Nutzung der zypriotischen militärischen Infrastruktur zum Schutz der israelischen Interessen wird wohl zumindest erwogen, mit all den Implikationen, die eine enge Zusammenarbeit mit Jerusalem oder gar eine militärische Nutzung der Insel durch israelische Streitkräfte auf das traditionell gute Verhältnis der Republik Zypern mit den arabischen und islamischen Staaten der Region haben würde.

Während des israelischen Staatsbesuchs führte die Türkei ein Seemanöver mit scharfer Munition im zypriotischen Block 12 durch. Gleichzeitig drohte die Türkei, dass sie „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen werde, um eine Öl- oder Gasförderung in den fünf von der Republik ausgeschriebenen Blöcken, die nach Ansicht Ankaras innerhalb des eigenen Kontinentalsockels liegen, zu verhindern (Cyprus Mail, Februar 2012).

Zypern und der israelisch-libanesische Disput

Die türkische Seite und die griechischen Zyprioten sind nicht die einzigen, die in der Region einen offenen Konflikt über die Rohstoffvorkommen austragen. Es existiert auch ein Disput zwischen dem Libanon und Israel über die genauen Grenzen ihrer exklusiven Wirtschaftszonen und ein Machtkampf zwischen den Palästinensern und Israel über Vorkommen vor Gaza (Lakes 2011).

Der Libanon begann erst 2010 mit den Vorbereitungen für die Ausbeutung der vermuteten Vorkommen vor der eigenen Küste. Dabei legte das libanesische Parlament eine südlichere Seegrenze mit Israel fest als die von Israel bestimmte Demarkationslinie. Dadurch entstand eine 850 Quadratkilometer große Zone, die von beiden Ländern beansprucht wird. Da Zypern den Vertag über die jeweiligen Wirtschaftszonen mit Israel bereits ratifiziert hat, kommt das einer zypriotischen Anerkennung der israelischen Demarkationslinie gleich. Daher versucht der Libanon, eine Änderung des bilateralen Abkommens mit Zypern von 2007 zu erreichen, das vom Parlament der Republik Zypern schon ratifiziert worden ist, aber noch nicht vom libanesischen. Im Juni 2011 beschwerte sich der libanesische Außenminister Adnan Mansur offiziell beim Generalsekretär der Vereinten Nationen und erklärte, dass es sich bei den Vereinbarung zwischen Zypern und Israel um eine „Verletzung der libanesischen Souveränität und ökonomischen Rechte“ handle, die „den Frieden und die Sicherheit in der Region gefährde“ (Lakes 2012).

Während israelische und libanesische Politiker wiederholt vor Bohrungen der anderen Seite in der umstrittenen Zone warnten, versuchte Beirut, Zypern zu einer Konferenz der drei Länder einzuladen, um den Disput beizulegen. Dies hätte die Insel aber nur tiefer in den Konflikt hineingezogen. Nikosia verweigerte sich erfolgreich und man kam überein, das Thema bilateral weiter zu diskutieren. Es gibt jedoch keine Chance, dass sich Zypern der libanesischen Sichtweise anschließen wird, da eine Anerkennung der libanesischen Ansprüche im Widerspruch zur bereits beidseitig ratifizierten Vereinbarung mit Israel stünde und die Beziehungen zwischen Israel und der Republik Zypern eine neue strategische Dimension angenommen haben. Da die zypriotische Wirtschaftzone von dem Disput nicht betroffen ist, wird sich die Insel wohl aus diesem Konflikt heraushalten können.

Ausblick

Im Laufe dieses Jahres werden auf Zypern die Weichen im Hinblick auf die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen gestellt. Auf politischer Ebene wird entscheidend sein, wer die Lizenzen für die ausgeschriebenen zwölf Blöcke bekommt und inwieweit sich diese Lizenzen in politische Unterstützung in der Auseinandersetzung mit der Türkei und den türkischen Zyprioten umwandeln lassen. Israel und die Republik Zypern favorisieren zudem den etwa zehn Milliarden Euro teuren Bau einer Gasverflüssigungsanlage, die beide Länder im Unterschied zu einem Export über Pipelines unabhängig von regionalen Akteuren mache würde. Wer diese Anlage wo bauen, betreiben und kontrollieren wird, ist ebenfalls potentiell von politischer Bedeutung. Auch eine Tiefseekabelverbindung nach Griechenland würde sehr teuer werden. Eine Pipeline in und über die Türkei wäre die beste Option, ist aber ohne Lösung des Zypernproblems und eine Wiederannäherung Israels und der Türkei keine realistische Alternative. Und beides ist in näherer Zukunft unwahrscheinlich.

Sollten die Funde in den 13 Blöcken so reichhaltig ausfallen, wie von Nikosia erhofft, hätte das ohne Zweifel Auswirkungen auf die Machtbalance im östlichen Mittelmeer. Entscheidend wird sein, wie die äußerst selbstbewusste Regionalmacht Türkei mit der Situation umgeht. Ankara dürfte vor einem internationalen Gerichtshof bei den meisten Blöcken südlich von Zypern keine Chancen haben, da die Seerechtskonvention von 1982 mittlerweile gewohnheitsrechtlichen Charakter angenommen hat, und wird den Gang vor Gericht daher wohl scheuen. Da die Türkei aber die Seerechtskonvention nicht unterzeichnet hat, bleibt Verhandlungsspielraum im Norden und in den umstrittenen fünf Blöcken.

Rhetorisch hat sich Ankara so weit aus dem Fenster gelehnt, dass es schwierig sein wird, diesen Disput ohne Gesichtsverlust und eigene Aktionen unterhalb einer gefährlichen Schwelle zu halten. Dennoch bleibt eine bewaffnete Auseinandersetzung das unwahrscheinlichste Szenario, vor allem wenn hinter den Interessenten für die zwölf Blöcke politische und militärische Schwergewichte inklusive der USA stehen sollten; letztere sind ja durch Noble Energy bereits involviert. Die wahrscheinlicheren türkischen Reaktionen werden wohl gewaltfreier Art sein. Neben eigenen Bohrungen im Nordteil und in den nördlichen Gewässern der Insel sind vor allem ein Ende oder eine Aussetzung der Verhandlungen über eine Lösung des Zypernkonflikts und gleichzeitige verstärkte Bemühungen für eine internationale Anerkennung des Nordens zu erwarten. Unwahrscheinlich ist hingegen eine Annexion des Nordens durch die Türkei, die vom türkischen Europaminister Bagis für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen zur Lösung des Zypernkonfliktes als Möglichkeit angekündigt wurde. Gefährlicher sind Gedankenspiele in Ankara, eigene Bohrungen in den fünf umstrittenen Feldern durchzuführen, oder auch – deutlich weniger wahrscheinlich – eine eigene Bohrung im Block 12. Es wird also entscheidend sein, ob die fünf umstrittenen Blöcke Interessenten finden und welche Länder wie stark hinter diesen Interessenten stehen. Bislang gibt es wohl vor allem von chinesischer Seite Angebote für einige der zwölf Blöcke. Für Russland, das traditionell als Interessenwahrer der griechischen Zyprioten innerhalb des UN-Sicherheitsrates fungiert, stellen die Funde im Mittelmeer eine unliebsame Konkurrenz und eine potentielle Schwächung der europäischen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas dar. Daher ist auch von Bedeutung, wie sich Russland in diesem Konflikt positioniert und engagiert. Gleichzeitig könnte gerade die Abhängigkeit von Russland für die Europäer ein bedeutender Anreiz sein, in der Region die eigenen energiepolitischen Interessen zu wahren, was den griechischen Zyprioten in die Karten spielen könnte. Dies würde allerdings auch aus europäischer Sicht eine Lösung des Zypernproblems deutlich dringlicher machen, um eine Konfrontation mit der Türkei zu vermeiden.

Eine Chance für eine Lösung des Zypernproblems eröffnet sich wohl frühestens nach den zypriotischen Präsidentschaftswahlen im Februar 2013. Die derzeitigen, fast schon verzweifelten Versuche der Vereinten Nationen, das Zypernproblem vor der zypriotischen EU-Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember 2012 zu lösen, werden nicht zum Erfolg führen. Die Türkei hat bereits angekündigt, dann die offiziellen Kontakte zur EU – zumindest auf höherer Ebene – einzufrieren, was umgekehrt auch eine sechsmonatige Pause im ohnehin stockenden und derzeit eher aussichtslosen türkischen Beitrittsprozess zur EU bedeuten wird.

Der Konflikt um Öl und Gas und das Zypernproblem werden aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten Jahren weitergehen. Dass dies zum bewaffneten Konflikt eskaliert, erscheint unwahrscheinlich – vor allem wenn es den USA gelingen sollte, die Situation unter Kontrolle zu halten. Dennoch sind erhebliche Spannungen vorprogrammiert, die immer ihre eigene Dynamik entwickeln können. Ob die Energiefunde vor Zypern den drei Konfliktparteien genug Anreiz bieten, den Konflikt in den nächsten Jahren mit einer »win-win-win«-Lösung für beide zypriotischen Volksgruppen und die Türkei beizulegen, ist die große Frage. Derzeit spricht wenig dafür.

Literatur

Akyel, Didem (2012): Hydrocarbons in the Eastern Mediterranen and Turkey’s Position. In: Faustmann, Hubert; Gurel, Ayla; Reichenberg, Greg (Hrsg.) (in Vorbereitung): The Hydrocarbon Wealth of Cyprus: Equitable Distribution and Regional Politics. Nicosia: Peace Research Institute Oslo/Friedrich Ebert Foundation

Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Kaymak, Erol (2012): Wealth Sharing and Geopolitical Strategies: Excluding Hydrocarbons from Cyprus Settlement Negotiations. In: Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Lakes, Gary (2011): Energy Prospects for East Mediterranean. Unveröffentlichter Vortrag im Rahmen der Reihe »ERPIC Round Table«, 8.3.2011.

Lakes, Gary (2012): Lebanon: Efforts to Establish a Hydrocarbon Sector. In: Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Leventis, Yiorghos (2012): Projecting for Control of Warm Waters. Turkey’s Posturing for Hydrocarbon Hegemony in the Eastern Mediterranean. In: Faustmann, Hubert et.al., a.a.O.

Sezer, Sema (2008): Greek Oil Exploration Licenses and Economic Zone Agreements in Eastern Mediterranean. Vortrag gehalten auf der »International Conference on Middle East and North Cyprus Relations: Perspectives in Political, Economic and Strategic Issues«, Famagusta,/Zypern, 20.-21. März 2008.

Shaffer, Brenda (2011): Israel – New Natural Gas Producer in the Mediterranean. In: Energy Policy, Nr. 39, S.5379-5387.

Tukey ramps up sabre rattling over exploration. The Cyprus Mail, 17.2.2012

Landmark visit all about the gas. The Cyprus Mail, 17.2.2012

En route to a natural gas army. Haaretz, 20.2.2012

Hubert Faustmann ist Professor für Politik und Geschichte an der Universität von Nikosia/Zypern.

Territorialkonflikte unter Palmen

Territorialkonflikte unter Palmen

Der Konflikt um die Spratly-und Paracel-Inseln

von Andreas Seifert

Die Diskussion um die Spratly- und Paracel-Inseln taucht seit den 1970er Jahren mit der gleichen Regelmäßigkeit auf der politischen Agenda auf, wie die Wirbelstürme über diese Inseln im Südchinesischen Meer ziehen – mit gefährlicher Tendenz zu einem bewaffneten Konfliktaustrag. Das Streben Beijings nach der Vormachtstellung im Südchinesischen Meer erhöht die Gefahr regionaler Konflikte und beschleunigt die Aufrüstungsspiralen in Ost- und Südostasien. Der folgende Beitrag beleuchtet den Konflikt in seinem jetzigen Stand und untersucht die Auswirkungen auf die Rüstung in den Staaten Südostasiens. Ebenso werden die Implikationen des Konfliktes auf das Verhältnis der Region zu den weiter entfernt liegenden Staaten Indien und Japan angesprochen, um die Bedeutung des Konfliktes für das militärische Gleichgewicht in der Region und darüber hinaus zu verdeutlichen.

Von den knapp 200 Inseln, Sandbänken und Riffen der Spratly- und Paracel-Gruppen sind nur sehr wenige für die dauerhafte Besiedelung geeignet. Die große Mehrheit der Inseln besteht nur aus kleineren Felsspitzen, die sich die meiste Zeit des Jahres unter der Wasseroberfläche befinden. Lediglich auf einigen Inseln sind zumindest temporär Menschen anzutreffen. Gelegen im Südchinesischen Meer zwischen der Volksrepublik China, der Republik China auf Taiwan, den Philippinen, Malaysia, Brunei und Vietnam sind die Inseln Gegenstand von erbitterten Streitereien zwischen den Parteien geworden. Jeder der genannten Staaten erhebt Ansprüche auf die Inseln oder auf Teile der Archipele. Sie liegen strategisch günstig zu den Schifffahrtsrouten der chinesischen, japanischen und koreanischen Häfen auf dem Weg in den Mittleren Osten und Europa. Überdies wird vermutet, dass der sie umgebende Meeresboden Bodenschätze aller Art beherbergt. Die Kontrolle der Inseln geht zudem mit dem Zugriff auf ein gigantisches Areal von Fischgründen einher.

Erstmals eskalierte der Streit um die Inseln in den 1970er Jahren, als sich chinesische Schiffe und Soldaten mit der vietnamesischen Marine Scharmützel lieferten. Dies löste eine ganze Welle von »Besetzungen« aus, die von der Befestigung kleinerer Inseln bis zur Etablierung von Armeestützpunkten reichten. Ende der 1980er Jahre wiederholte sich diese Zuspitzung erneut und führte zu den ersten Toten in dem Konflikt.1 1995 reagierten die Philippinen auf die Einrichtung und Befestigung eines chinesischen Stützpunkts mit einer diplomatischen Offensive und Machtdemonstrationen zur See. Hohe Kosten und geringer ökonomischer Nutzen solcher Besetzungen haben umgekehrt auch immer wieder dafür gesorgt, dass Inseln zeitweise oder komplett wieder geräumt wurden. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts ändert sich dies jedoch dramatisch. Neue technische Möglichkeiten und die verstärkte internationale Konkurrenz um Ressourcen lassen die gezielte Suche nach Rohstoffen im Südchinesischen Meer inzwischen als potentiell lukratives Geschäft erscheinen. Gesteigerte militärische Möglichkeiten vermitteln überdies die Illusion, einmal Erobertes auch behalten zu können. Daher ist die Zahl der auf den Inseln stationierten Soldaten aller Parteien kontinuierlich angewachsen. 2002 einigten sich die Parteien in einem Memorandum darauf, keine weiteren Aktionen zur »Destabilisierung« der Situation zu unternehmen – allerdings mit begrenztem Erfolg.

Chinas territoriale Ansprüche …

Auch die Volksrepublik China hat das Memorandum 2002 unterzeichnet, erhebt gleichzeitig aber die wohl weitreichendsten Ansprüche in der Region. Die VR China reklamiert nicht nur fast alle Inseln beider Inselgruppen für sich, sondern auch noch den Raum dazwischen als eigenes Hoheitsgebiet. Ein Gebiet so groß wie das Mittelmeer. Auf Landkarten, die in der VR China gedruckt werden, wird das Gebiet als Staatsgebiet gekennzeichnet. Einzelne Inseln (Riffe) wurden zu regelrechten Festungen ausgebaut und sind von rotierenden Einheiten der Volksbefreiungsarmee »bewohnt«. Dieses Muster der Okkupation wird von fast allen Anrainern betrieben – doch von niemanden so konsequent wie von China.

Begleitet werden die Besetzungen von einer geradezu grotesken Propaganda in den chinesischen Medien. Regelmäßige Berichte über den Zustand der Inseln und der »aufopfernden Hingabe« ihrer militärischer Bewohner werden im Fernsehen und in Hochglanzmagazinen verbreitet. Zur Untermauerung der Ansprüche wurden Delegationen von Archäologen auf die Inseln entsandt, um anhand von Porzellanscherben eine frühe Besiedelung durch Chinesen nachzuweisen. Dies verweist auf die innenpolitische Dimension, die der Konflikt hat. Seit den erste »Okkupationen« in den 1970er Jahren wird darüber aus einer Militärperspektive berichtet, die den »Kampf« um die Inseln zur nationalen Ehrensache erhebt.

In Taiwan, sonst von Beijing als abtrünnige Provinz bezeichnet, findet die VR China einen gleich gesinnten Verbündeten. Anders als die VR China verfügt Taiwan auf einer der Inseln über eine Landebahn und kann die von ihr beanspruchten Inseln ganzjährig schnell erreichen. Aber auch dort ist man inzwischen besorgt über den Ton, der auf dem Festland angeschlagen wird.

In einem Artikel für die in Beijing auf Englisch erscheinende Zeitung »Global Times« Ende September 2011 kam der Analyst Long Tao zu dem Schluss, es sei Zeit, den Anrainern eine militärische Lektion zu erteilen.2 Die Global Times gilt als ein wichtiges Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas in Fragen der Außenpolitik. Long Tao schlug in dem Artikel vor, dass ein begrenzter Krieg gegen Vietnam und die Philippinen die Möglichkeit böte, dem »aggressiven Verhalten« dieser Staaten ein Ende zu bereiten. In einem Online-Kommentar zwei Tage später wiederholte er seine Kernaussagen und behauptete mit Verweis auf das russische Eingreifen in Georgien 2008, dass die internationale Gemeinschaft ein solches Verhalten hinnehmen würde.3 Auch wenn in Beijing kein Politiker sich öffentlich hinter eine solche Aussage stellen wollte, verfehlte sie ihre Wirkung nicht. In Vietnam und auf den Philippinen war die Aufregung groß, und Taiwan, selbst um seine Inseln besorgt, beeilte sich zu betonen, dass die Lösung des Konfliktes nur friedlich und einvernehmlich erfolgen sollte.4 Longs Ausbruch an Nationalismus unmittelbar vor dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober ist nicht ungewöhnlich für einen Kommentar in der chinesischen Presse, doch in seinem drastischen Ruf nach Krieg und Eskalation einzigartig.

Das Jahr 2011 sah eine stufenweise Eskalation, die vorläufig in Longs Aufruf gipfelte, aber sicher nicht ihr Ende gefunden haben dürfte. Im Februar 2011 bedrohten chinesische Kriegsschiffe vietnamesische Fischer. Im März 2011 attackierten chinesische Schiffe ein philippinisches Explorationsschiff, das in dem Gebiet nach Öl suchen sollte. Im Mai eskalierte der Streit mit Vietnam, das Konzessionen für Explorationen in strittigem Gebiet an eine amerikanische Ölfirma vergeben hatte: Chinesische Schiffe kappten ein Kabel eines Forschungsschiffes. Im gleichen Monat riefen vietnamesische Fischer dazu auf, die Gewässer stärker vor der Überfischung durch chinesische Fabrikboote zu schützen – was Beijing mit der Entsendung eines der größten Fischereischutzboote beantwortete, um seinerseits für die »Pflege« des Bestandes an Fischen zu sorgen. Vietnam reagierte mit einem Seemanöver gemeinsam mit der US Navy vor der Küste als Machtdemonstration. Der Verteidigungsminister der VR China, General Liang Guanlie, stellte im Juni bei einem Treffen der ASEAN in Singapur die Lage im Südchinesischen Meer als stabil und sicher dar – eine Einschätzung, die von keinem der anwesenden Diplomaten geteilt, sondern als Ignoranz gegenüber der tatsächlichen Situation gewertet wurde. Die Reaktionen, insbesondere der Anrainer ans Südchinesische Meer, reichten von Unverständnis bis Protest.

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… und wachsende Rüstung zur See

Die chinesische Marine wird seit Jahren systematisch aus- und umgebaut. Wie im Bereich des Heeres und der Luftwaffe verfolgt die VR China einen Umbau von der Masse zur Klasse, d.h. eine Reduktion der Mannstärke bei gleichzeitiger technischer Aufrüstung. Dabei erscheint die Ankündigung eines Flugzeugträgers besonders hervorzustechen, ist aber nur ein kleiner Teil der eigentlichen Aufrüstung.5 Neue Fregattenklassen und Verbesserungen bei den U-Booten sind hier letztlich ausschlaggebendere Faktoren. Die Marine baut zudem ihre Kapazitäten bei Landungsbooten aus und erwirbt damit die Fähigkeit, größere Truppenmengen anzulanden – ein wichtiger Faktor sowohl für mögliche Taiwan-Szenarien wie auch für Szenarien im Südchinesischen Meer. Der Ausbau der Basis Sanya zu einem nicht einsehbaren U-Boot-Hafen an der Südspitze von Hainan, dem südlichsten Zipfel des chinesischen Festlandes, erregte viel Aufmerksamkeit.

Mit der Weiterentwicklung der DF-21 Mittelstreckenrakete verfügen die Chinesen erstmals über eine ballistische Rakete, die in der Lage sein soll, fahrende Ziele zur See zu treffen. Diese Waffe, auch als Carrier-Killer bezeichnet, ändert die Spielregeln zur See deutlich und gleicht Defizite, die die chinesische Marine in einer direkten Auseinandersetzung z.B. mit den USA hätte, aus.

Ebenfalls von Bedeutung ist, dass China die Struktur seiner Landesverteidigung ändert. Die Fischereiaufsichtsbehörde, früher eher ein vernachlässigtes Anhängsel der Armee, hat eine höhere Autonomie und neues Material erhalten. Die größten Boote der Behörde kommen in Größe und Geschwindigkeit an ältere Fregatten heran, sind aber nicht in gleicher Weise bewaffnet. Die unmittelbare Küstenverteidigung ist neu organisiert und wird teilweise der Bewaffneten Polizei (People’s Armed Police) überlassen. Auch hier bilden Neuanschaffungen wie die Boote der Houbei-Klasse/Type 22 (schnelle Katamaranboote mit Raketenbewaffnung) einen Zugewinn an Einsatzfähigkeit. Die Marine versucht sich in ihren Einsatz- und Trainingsszenarien zusehends auf Aufgaben zur hohen See zu konzentrieren.

Als Begründung für die Aufrüstung zur See werden die gestiegene Bedeutung Chinas in der Welt und seine Exportabhängigkeit angeführt, die – in Analogie zur Argumentation in Europa – sichere Handelswege erfordere.6 Eines der expliziten Ziele der chinesischen Aufrüstung ist es, in begrenzten, lokalen und hoch technisierten Konflikten bestehen zu können.7

Behält das Land das Tempo und den Fokus seiner Aufrüstungsbemühungen bei, wie es sich mit dem jüngst bekannt gegebenen Zuwachs der Militärausgaben um 11,2% für 2012 andeutet, werden die Nachbarn wohl versuchen, hier mitzuhalten. China verlässt mit dieser Haushaltssteigerung auch die Kopplung an die Steigerungsraten des Brutto-Inlandprodukts (BIP), die in der Region üblich ist. Um der stärker werdenden chinesischen Marine etwas entgegen zu setzen, versuchen jetzt schon fast alle Anrainer, ihre maritimen Fähigkeiten auszubauen.8

Aufrüstung der Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres

Land 2004
in Mio US$
2004
% BIP
2010
in Mio US$
2010
% BIP
Importe 2006-2010*
in Mio US$
Rang*
China** 52.954 2,1 119.400 2,2 7.724 2
Taiwan 7.864 2,2 9.078 2,4 947 32
Malaysia 3.640 2,3 3.626 2,0 3.500 11
Philippinen 1.310 0,9 1.626 0,8 57 91
Singapur 6.382 4,6 8.399 4,3 4.402 7
Vietnam 1.369 2,0 2.385 2,5 793 37
Indien 26.679 2,8 41.284 2,8 11.139 1
Australien 14.705 1,8 23.972 1,9 4.054 9
zum Vergleich
EU 282.000   285.000      
Deutschland 46.183 1,4 45.152 1,4 813 36
USA 527.799 4,0 698.281 4,7 3.995 10
* Volumen der Waffenimporte nach SIPRI-Berechnungen (Trend Indicator Values) 
** Berechnungen von SIPRI
Quelle: SIPRI Yearbook 2011

Rüstungstrends in Asien

Der Konflikt um die Inseln hat nicht zuletzt durch seine Implikationen für die Aufrüstungsbemühungen der Anrainerstaaten eine weit über die Region hinaus gehende Bedeutung erreicht. Dies gilt für zwei große Mächte in der unmittelbaren Nachbarschaft besonders: Japan und Indien.

Mit Japan ist die VR China durch den Streit um die Diaoyu/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer durch einen ähnlichen Konflikt entzweit. Auch hier geht es nicht um die weitestgehend unbewohnbaren Inseln (die seit neuestem alle sowohl einen chinesischen wie ein japanischen Namen tragen), sondern um die Nutzung des Meeresbodens. Das Vorhaben einer gemeinsamen Erkundung der Ressourcen am Meeresgrund durch China und Japan wird immer wieder durch Provokationen der einen wie der anderen Seite unterbrochen. Das Drohgespenst eines hoch gerüsteten China hat in Japan die Diskussion um die Aufrechterhaltung des Artikels 9 der Verfassung befeuert, der Japan eine reguläre Armee untersagt und in der Praxis bisher die Größe und Ausrüstung der japanischen Streitkräfte auf »Selbstverteidigungskräfte« limitiert. Konservative Kräfte in Japan haben bereits die Anschaffung von Hubschrauberträgern der Hyuga-Klasse durchgesetzt, die aufgrund ihrer Größe und Fähigkeiten in China als (gemäß japanischer Verfassung) verbotene, offensive Flugzeugträger gewertet werden. Japans Interesse an sicheren Handelswegen und die Angst, von den Energieströmen aus dem Mittleren Osten abgeschnitten zu werden, spiegeln die Argumente der chinesischen Strategiepapiere wider. Auf beiden Seiten heizt Nationalismus die Debatte an und droht immer wieder gemeinsame Interessen zu verdecken.

Indien perzipiert die Aufrüstung in China und das chinesische Bündnis mit Pakistan als direkte Bedrohung. Die Präsenz der VR China im Indischen Ozean aufgrund seiner Beteiligung an der UN-Flotte vor der somalischen Küste und der Ausbau verschiedener Häfen in Myanmar und Pakistan mit chinesischer Beteiligung9 haben diesen Eindruck verstärkt und zu einer nahezu beispiellosen Aufrüstungsoffensive in Indien geführt. Die angenommene »Einkreisung« durch chinesische Kräfte hat den bisherigen Fokus der Aufrüstung vom Heer – eine Folge der gestörten Beziehungen zum nördlichen Nachbarn Pakistan – auf die Marine verschoben. Der betagte, ehemals britische Flugzeugträger INS Viraat soll 2013 durch ein russisches Modell ersetzt werden, bis die Eigenentwicklung Vikrant in Dienst gestellt werden kann. Angestrebt wird der parallele Betrieb von zwei Flugzeugträgern. Auch bei Atom-U-Booten verfährt Indien in dieser Form. Ein Boot der russischen Akula II-Klasse sollte im Frühjahr 2012 an die indische Marine übergeben werden, während Indien gleichzeitig an einer entsprechenden Eigenentwicklung arbeitet. Die Entwicklung von Lenkwaffen zur Unterstützung des Küstenschutzes wie auch die Verbesserung der Mittelstreckenrakete Agni-IV mit einer Reichweite bis 3.000 Kilometer sind ebenfalls vorgesehen. Die Verstärkung des Militärpostens auf den Nicobaren, direkt vor der Einfahrt in die Straße von Malakka, und auch die Einrichtung einer Basis auf Madagaskar deuten den Einflussrahmen an, den Indien sich für seine Streitkräfte wünscht: Das Land versucht, sich im Indischen Ozean als dominante Militärmacht zu etablieren.

Ohne an dieser Stelle auf die spezifische Rolle und die Motive des US-amerikanischen Engagements in den Seegewässern Ost- und Südostasiens genau eingehen zu können, sei zumindest erwähnt, dass eine stärkere Rolle der USA in der Region nur bedingt als stabilisierender Faktor angesehen werden kann. Der offensive Charakter exklusiver Manöver, die z.B. nur Teile der im Südchinesischen Meer auftretenden Parteien einbinden, wirkt nachhaltig gegen vertrauensbildende Maßnahmen an anderer Stelle. So üben US-Marineverbände zusammen mit südkoreanischen oder vietnamesischen Verbänden in der Reichweite chinesischer Gewässer.

Von einer Lösung weit entfernt

Mit vielen beteiligten Parteien und der Vermischung territorialer Ansprüche und ökonomischer Interessen im Südchinesischen Meer wurde eine prekäre Situation geschaffen, die im Gefüge des militärischen Gleichgewichts in Asien insgesamt die Tendenz zur Eskalation aufweist. Gegenseitige Provokationen und direkte Auseinandersetzungen nehmen an Zahl und Intensität zu. Vorhandene Möglichkeiten, den Konflikt einer friedlichen Regelung zuzuführen, z.B. über die ASEAN, werden nicht genutzt. Grund dafür sind einerseits Vorbehalte gegenüber multilateralen Verträgen (so bei der VR China), andererseits wurden historische Erfahrungen nicht in adäquater Weise aufgearbeitet. Dies betrifft auch die Vermittlung der Ansprüche der jeweiligen Länder auf die einzelnen Inseln. Am Beispiel Chinas wurde mit Verweis auf den Kommentator Long Tao gezeigt, welche autistische und arrogante Weltsicht die Konzentration auf nationalistische Interessen in dem Konflikt hervorbringen kann. Für Vietnam und die anderen Anrainer ließen sich ähnliche, wenngleich weniger gravierende Beispiele aufführen. Die unglückliche chinesische Darstellung des Konflikts gibt Dritten (wie Japan, Indien, den USA oder den europäischen Mächten) die Rechtfertigung, sich ihrerseits in Position zu bringen.

Deutlich wird dabei erkennbar, dass der Konflikt um die Inseln einen Vorwand bietet, Kapazitäten für größer angelegte strategische Programme zu schaffen, um Seeräume (nicht nur in Asien) in Einflusszonen aufzuteilen. »Kontrolle« über Ozeane bestimmten Mächten zuzuschreiben wird jedoch weit mehr Konflikte heraufbeschwören als Sicherheit z.B. für die Handelsschifffahrt schaffen. Letztlich ist es diese Perspektive, die es notwendig macht, den Konflikt um die Spratly- und Paracel-Inseln einer friedlichen und kooperativen Lösung zuzuführen.

Anmerkungen

1) Zentraler Bedeutung kommt dabei der »Schlacht« vom März 1988 zwischen chinesischen und vietnamesischen Kriegsschiffen zu, bei denen neun Tote, 32 Verletzte und über 60 Vermisste gezählt wurden. Der chinesischen Darstellung nach haben die Vietnamesen versucht, auf einem der Riffe die Nationalflagge zu hissen; laut vietnamesischer Darstellung wurden Versorgungseinheiten der Inseln ohne Vorwarnung angegriffen.

2) Long Tao: The Time to Use Force Has Arrived in the South China Sea. Global Times, 27.9.2011.

3) Long Tao: Time to teach those around South China Sea a lesson. Global Times, 29.9.2011.

4) J. Michael Cole: Chinese analyst calls for war in South China Sea. Taipei Times, 30.9.2011.

5) Siehe hierzu genauer: Andreas Seifert und Shi Lang: Chinas erster Flugzeugträger. In: Ausdruck, Ausgabe 3/2011, S.27-29.

6) Information Office of the State Council of the People’s Republic of China: China’s National Defense in 2010. 31. März 2011.

7) Ibid.

8) Beispielsweise baut Taiwan seine Flotte von raketenbestückten Patroullienbooten des Typs Kuang Hua VI aus, und Vietnam schafft umfänglich russische Gepard-Fregatten, Svetlyak-Kanonenboote und Molinya-Raketenboote an.

9) Der Hafen Gwadar in Pakistan wurde mit Hilfe chinesischer Konstrukteure und Mittel gebaut. Äußerungen der pakistanischen Führung, Beijing möge den Hafen doch als Basis nutzen, haben den Eindruck einer Versorgungskette chinesischer Militäreinrichtungen auf dem Weg vom Südchinesischen Meer Richtung Mittleren Osten entstehen lassen, der als »String of Pearls« Eingang in verschiedene europäische Bedrohungsszenarien gefunden hat (z.B. James Rogers: From Suez to Shanghai. European Union Institute for Security Studies/ISS, Occasional Paper 77, März 2009).

Andreas Seifert ist freier Wissenschaftler und im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen.

Gold und Lithium hätt ich gern…

Gold und Lithium hätt ich gern…

von Jürgen Nieth

„Gold und Silber hätt ich gern“, heißt es in einem alten deutschen Volkslied. Aber was ist schon Silber gegenüber Lithium. Schon heute ist der Rohstoff für die Produktion von Akkus für Laptops und Handys heiß begehrt. Lithium wird bisher vor allem aus Salzseen in Südamerika gewonnen sowie mit viel Aufwand in China und Australien aus Mineralien erzeugt. Mit der Zunahme von Hybrid- und Elektroautos sowie dem Ausbau erneuerbarer Energien wird die Nachfrage in den nächsten Jahren enorm steigen. Sonne und Wind liefern nicht kontinuierlich Elektrizität, die Spitzen müssen gespeichert werden. Der Konzern Evonik – der zur Zeit Großspeicher testet – spricht von einem „Megamarkt der Zukunft“ (FR, 15.06.10). Er schätzt das Marktvolumen langfristig auf mehr als zehn Milliarden Euro.

Passgenau kommt da die Meldung, dass sich aus einigen Salzseen unter der afghanischen Provinz Ghazni vermutlich Lithium im Wert von über einer Billion Dollar gewinnen lasse. Die Information stammt aus dem Pentagon. Geologen des US-Verteidigungsministeriums haben jahrelang das afghanische Territorium nach Bodenschätzen untersucht. Gefunden haben sie übrigens nicht nur Lithium, sondern auch Gold und Niobium, ein für Supraleiter benötigtes Metall.

Ein Blick zurück: Als die USA vor fast neun Jahren in Afghanistan einmarschierte, war die Begründung der »Kampf gegen den Terror« und die Zerschlagung von Al Kaida – aber Usama Bin Laden lebt und Al Kaida operiert längst aus anderen Ländern: Somalia, Jemen, Pakistan.

Danach wurden die Menschenrechte bemüht, für deren Verwirklichung die Talibanherrschaft zerschlagen werden musste. Tatsächlich gibt es ein paar Fortschritte: Nach einem Bericht der UNO (UNDPD) gibt es beim Zugang der Kinder zur Grundschule einen Anstieg von 54 auf 60 Prozent, bei der Alphabetisierung einen Anstieg um 2,5 auf 36 Prozent und bei der Kindersterblichkeit einen Rückgang von 257 auf 191 bei 1.000 geborenen Kindern. Insgesamt ist die Bilanz aber erschreckend: Die Zahl der in Armut Lebenden ist von 33 auf 42 Prozent und die Zahl der Unterernährten von 30 auf 39 Prozent gestiegen. Die Zahl der in Slums Wohnenden hat sich von 2,4 Millionen auf 4,5 Millionen fast verdoppelt, während sich der Anteil der Menschen mit Zugang zu sanitären Einrichtungen von 12 auf 5,2 Prozent mehr als halbiert hat. Die Jugendarbeitslosigkeit ist von 26 auf 47 Prozent gestiegen.

Heute ist Afghanistan nicht nur der weltgrößte Hersteller von Opium, Heroin und Haschisch, sondern auch Konsument: Über eine Million Afghanen – das sind acht Prozent der Bevölkerung – sind drogenabhängig. Die Zahl der regelmäßigen Opiumkonsumenten stieg in den letzten fünf Jahren um 53 Prozent, die der Heroinabhängigen sogar um 140 Prozent, Zugang zu medizinischer Hilfe hat nur jeder Zehnte. Das für den Kampf gegen Drogen und organisiertes Verbrechen zuständige UN-Büro in Wien (UNODC) kommt zu dem Schluss, dass viele Afghanen Opiumdevirate konsumieren, um die Härten ihres Lebens zu vergessen. Für die UN-Berichterstatter besonders schockierend, dass im Süden Afghanistans die Hälfte der Opiumkonsumenten ihren Kindern regelmäßig vom Saft des Schlafmohns geben: „Die nächste Generation des Landes ist damit schon zur Sucht verurteilt.“

»Stabilisierungseinsatz« hieß die nächste Begründung für den Einsatz des deutschen Militärs, aber nichts ist stabiler geworden. Die Wahlen wurden gefälscht, ein großer Teil der Gelder für den zivilen Aufbau fließt auf private Konten, die Korruption blüht. Statt Hilfe beim zivilen Aufbau – jahrelang die vorgebliche Hauptaufgabe der Bundeswehr – steht jetzt mehr und mehr die Sicherung der eigenen Truppen im Mittelpunkt. Ein militärischer Sieg ist nicht in Sicht. Mit 102 toten Soldaten ist der Monat Juni 2010 der verlustreichste für die Nato seit Beginn des Krieges.

Was hält die USA und die Nato angesichts dieser Bilanz in Afghanistan?

Es gab sie immer, die Stimmen, die den Afghanistankrieg begründet sahen in den geostrategischen Interessen der USA: von Afghanistan aus die erdöl- und erdgasreiche Region des Mittleren Ostens und der Zentralasiatischen Republiken kontrollieren, sich militärisch festsetzen an der Südflanke Russlands und der Nordostgrenze des Iran.

Diese Stimmen dürften Auftrieb bekommen, wenn sie hören, dass ein Pentagon-Memo von einem „Saudi Arabia of Lithium“ spricht, also von einem strategischen Rohstoff allerersten Ranges; wenn am 14. Juni US-General David H. Petraeus schwärmt: „Das gibt atemberaubende Möglichkeiten… Es gibt zwar noch eine Menge an Wenn und Aber, doch ich denke, dass die Funde sehr bedeutend sind.“

Seit dem 4. Juli ist derselbe Petraeus Oberkommandierender der US- und Isaf-Truppen in Afghanistan. Damit dürfte sich auch für diejenigen, für die ökonomische Interessen bisher kein Kriegsgrund waren, die Frage stellen, ob sie jetzt nicht ein Grund sind, um militärisch einen Fuß in der Tür zu halten. Petraeus hat sich nie zu dem von Obama angekündigten Truppenabzug 2011 bekannt.

Ihr Jürgen Nieth

Konflikt und Kooperation bei der Wassernutzung in Mittelasien

Konflikt und Kooperation bei der Wassernutzung in Mittelasien

von Kai Wegerich

In Mittelasien sind Mensch, Natur und Wirtschaft auf das Wasser zweier Flusssysteme angewiesen: des Syr Darja im Norden und des Amu Darja im Süden. Beide Ströme sind in hohem Maße zur Stromgewinnung und landwirtschaftlichen Bewässerung erschlossen. Die Nutzung des Wassers birgt erhebliches Potential sowohl für Konflikte als auch für Kooperationen zwischen den einzelnen Anrainerstaaten: Am Oberlauf wollen sie die Wasserkraft zur Stromerzeugung nutzen, am Unterlauf sehen sie die Bewässerung ihrer Felder in Gefahr.

Der Syr Darja und der Amu Darja und fast sämtliche ihrer Zubringer fließen durch das Hoheitsgebiet oder entlang der Grenzen von fünf Staaten (vgl. Abb.): Kirgistan (Oberlauf des Syr Darja), Tadschikistan (Oberlauf des Amu Darja), Kasachstan (Unterlauf des Syr Darja), Turkmenistan (Unterlauf des Amu Darja) und Usbekistan (Unterlauf des Amu Darja und Mittellauf des Syr Darja). Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion spielten bei der Wasserbewirtschaftung administrative Grenzverläufe und die gerechte Verteilung des Wassers unter den Republiken keine große Rolle. Von Interesse waren vielmehr die hydrologischen Gegebenheiten.

So bot das Aralseebecken die Möglichkeit, an den Flussoberläufen Projekte zur Flussregulierung und Stromerzeugung zu planen und zum Teil auch umzusetzen, die an den Unterläufen eine Ausweitung der bewässerten Landwirtschaft zuließen. Ein Beispiel für diese Aufteilung ist der Toktogul-Staudamm am Naryn in Kirgistan: 75% des Wasserabflusses wurden für die Bewässerung der Unteranrainer während der Wachstumsperiode im Sommer zugewiesen. Als Folge musste Kirgistan im Winter, wenn sein Energiebedarf besonders hoch ist, Energie aus flussabwärts gelegenen Republiken importieren.

Noch zu sowjetischen Zeiten wurden im Aralseebecken weitere Staudammprojekte konzipiert, um sowohl im Winter die Gewinnung von Hydroenergie als auch im Sommer die Wasserversorgung für die Landwirtschaft sicherzustellen. Der Bau des Rogun-Staudamms am Wachsch in Tadschikistan und der Staudämme Kambarata 1 und 2 am Naryn in Kirgistan kam durch die Auflösung der Sowjetunion allerdings ins Stocken. Und während die Großprojekte an den Flussoberläufen von den Republiken an den Unterläufen zuvor nicht als Bedrohung wahrgenommen wurden, hat sich dies mit der staatlichen Unabhängigkeit der früheren Sowjetrepubliken inzwischen geändert.

Im April 2009 kamen daher die Präsidenten der fünf mittelasiatischen Staaten im kasachischen Almaty zusammen, um die Wasserproblematik zu beraten. Im Vorfeld kristallisierten sich zwei Fronten heraus: auf der einen Seite Kirgistan und Tadschikistan, die an den Oberläufen der Flüsse weitere Staudämme bauen wollten, und auf der anderen Seite die Unteranrainer Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, die sich dagegen wehrten. Am Ende des Treffens konnten sich die fünf Länder nicht auf eine gemeinsame Wasserbewirtschaftung, die allen Seiten gerecht wird, einigen (siehe Karte Seite ).

Geographie im Aralseebecken und Wassernutzung in der Sowjetunion

Der Amu Darja ist 2.450 km lang und hat ein Einzugsgebiet von 309.000 km2. Er entsteht aus dem Pjandsch, der am Vakjdjir-Pass von Gletscherbächen gespeist wird und auf weiten Strecken die Grenzen zwischen Afghanistan und Tadschikistan bildet, und dem Wachsch, der im Gebirge von Kirgistan entspringt, durch Tadschikistan läuft und kurz vor der Grenze zu Usbekistan auf den Pjandsch stößt. Der Syr Darja entsteht durch den Zusammenfluss von Naryn und Kara Darja, die im Tianshan-Gebirge von Kirgistan entspringen und im Ferghana-Tal zusammenfließen. Mit 3.019 km ist der Syr Darja der längste Fluss in Mittelasien; sein Einzugsgebiet beträgt 219.000 km2. Amu Darja und Syr Darja lenken die Fließwasservorräte des gesamten Beckens oder zumindest das, was davon übrig bleibt, in den Aralsee.

Ein Vergleich des Wassereinzugs der beiden Flüsse mit der zur Bewässerung verwendeten Wassermenge zeigt, wie ungleich der Wasserverbrauch für landwirtschaftliche Zwecke zwischen den einzelnen Staaten verteilt ist (vgl. Tab. 1). Wird das Aralseebecken unter Hintanstellung der heutigen Staatsgrenzen als geographische Einheit betrachtet, bietet es sich an, am Oberlauf Staubecken zu bauen, die am Unterlauf die Ausweitung der bewässerten Flächen erlauben. Diese Möglichkeit wurde in der Vergangenheit am Syr Darja stärker genutzt als am Amu Darja. Einige der Staudammprojekte erstrecken sich auch über Republikgrenzen hinweg.

Tabelle 1: Wassereinzug von Syr Darja und Amu Darja
(jährlicher Durchschnitt in km³) und bewässerte Fläche (in ha)
Syr Darja Amu Darja
km³ ha km³ ha
Kasachstan 2,4 786.000
Kirgistan 27,6 410.000 1,6 65.000
Tadschikistan 1 271.000 49,6 467.000
Turkmenistan 1,5 1.700.000
Usbekistan 6,2 1.883.000 5,1 2.250.000
Afghanistan 21,6 385.000
Gesamt 37,2 3.350.000 79,3 4.317.000

Am Syr Darja sind drei Speicherseen von besonderem Interesse (vgl. Tab. 2). Der Toktogul-Stausee bietet Kirgistan die Möglichkeit, die Wassermenge des Naryn und damit des Syr Darja aktiv zu regulieren. Der Andischan-Stausee liegt im Grenzgebiet von Usbekistan und Kirgistan. Der Kairakkum-Stausee wurde in Tadschikistan an einer strategischen Stelle am Ausgang des Ferghana-Tals gebaut, von wo aus Usbekistan und über den Dustlik-Kanal auch ein kleineres Gebiet der kasachischen Provinz Ontüstik (Südkasachstan) mit Wasser versorgt werden, bevor der Syr Darja zum Tschardara-Stausee in Kasachstan weiter fließt. Da die Oberanrainer in sowjetischen Zeiten Energie aus den anderen Republiken geliefert bekamen, dienten die Stauwerke am Syr Darja damals vorwiegend zur Flussregulierung für die landwirtschaftliche Bewässerung. Die Gewinnung von Wasserkraft war eher ein Nebeneffekt.

Tabelle 2: Stauseen am Syr Darja
Syr Darja-Becken
Stausee Land Fluss Gesamtspeicher-
volumen (km³)
Nutzbares Speicher-
volumen (km³)
Toktogul Kirgistan Naryn 19,4 14
Andischan Usbekistan/Kirgistan Kara Darja 1,9 1,8
Kairakkum Tadschikistan Syr Darja 4 2,6
Tscharwak Usbekistan Tschirtschik 2 1,6
Tschardara Kasachstan Syr Darja 5,7 4,7

Im Amu Darja-Becken befindet sich der wichtigste Wasserspeicher für die landwirtschaftliche Bewässerung, der Tujamujun-See am Unterlauf des Flusses (vgl. Tab. 3). Auch er liegt in einem Grenzgebiet, nämlich dem von Usbekistan und Turkmenistan. Der Nurek-Stausee am Wachsch, dem kleineren der Zubringer, hat nur ein relativ kleines nutzbares Speichervolumen und war ursprünglich vor allem zur Gewinnung von Wasserkraft für die Nachbarstaaten gedacht. Da sich der Bau von Übertragungsleitungen aber als sehr teuer erwies, wird ein Teil der Hydroenergie nun doch direkt im Süden von Tadschikistan genutzt, wo ein Aluminiumwerk entstand.

Tabelle 3: Stauseen am Amu Darja
(* Sangtuda 1 ging erst
2009 in Betrieb)
Amu Darja-Becken
Stausee Land Fluss Gesamtspeicher-
volumen (km³)
Nutzbares Speicher-
volumen (km³)
Nurek Tadschikistan Wachsch 10,5 4,5
Baipasa Tadschikistan Wachsch 0,12 0,08
Sangtuda 1* Tadschikistan Wachsch 0,25 0,12
Tujamujun Usbekistan/ Turkmenistan Amu Darja 7,8 5,4

In Mittelasien verfügen die Länder am Oberlauf über erhebliche Wasserkraftpotentiale, während die Anrainerstaaten an den unteren Flussläufen wertvolle Bodenschätze wie Kohle, Gas oder Öl besitzen. Innerhalb der Sowjetunion waren die Länder wirtschaftlich sowohl im Agrarsektor als auch in der Energieerzeugung und -versorgung eng miteinander verflochten. Während die Oberanrainer im Sommer ihre überschüssige Energie in das mittelasiatische Übertragungsnetz einspeisten, wurden sie im Winter von den Unteranrainern mit fossilen Brennstoffen beliefert. So lieferte Tadschikistan 1990, d.h. im letzten Jahr vor der Unabhängigkeit, 2.668 GWh an seine mittelasiatischen Nachbarrepubliken und importierte selbst 3.927 GWh; Kirgistan exportierte 3.080 GWh und importierte im Gegenzug 601 GWh (Weltbank 2004). Auch bei der Nahrungsmittelversorgung wurde von den mittelasiatischen Sowjetrepubliken keine Autarkie erwartet.

Auflösung der Sowjetunion und Unabhängigkeit der mittelasiatischen Staaten

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Privatisierung der Industrie stiegen die Preise für Rohstoffe wie Kohle, Erdgas und Öl auf Weltmarktniveau, während der Energiepreis künstlich niedrig gehalten wurde. Da sich Kirgistan im Winter den Import der fossilen Brennstoffe für Heizung und Energieerzeugung nicht mehr leisten konnte, brachte es dem Land nur Nachteile, die Kapazitäten des Toktogul-Stausees am Syr Darja für die Bewässerung der Unteranrainer vorzuhalten. Also reduzierte Kirgistan in den Jahren 1991-2000 die durchschnittliche Abflussmenge des Toktogul-Sees im Sommer von 75% (8,1 km³) auf durchschnittlich 45% (6,1 km³). Diese Zahlen dürfen allerdings nicht überbewertet werden, da vor 1990 gelegentlich erhebliche Wassermengen abgelassen wurden, um ein Überlaufen des Stausees zu verhindern. Für Bewässerungszwecke wurden damals etwa 6,5 km³ benötigt.

Auch der Kairakkum-Stausee im Norden Tadschikistans wurde in der Sowjetunion zur Kontrolle der Bewässerung genutzt. Dieses Wasserkraftwerk (125 MW) bildet jedoch die einzige Stromquelle im Norden Tadschikistans. Nach der Unabhängigkeit wurde das Nutzungsregime des Stausees auf eine Maximierung der Stromerzeugung ausgerichtet, was für die Unteranrainer des Syr Darja Probleme schafft. Das Stauvolumen des flussabwärts gelegenen Tschardara-Stausees reicht nämlich nicht aus, um im Winter die zusätzlichen Wassermassen aus dem Toktogul-See beziehungsweise Kairakkum-See aufzunehmen. Obendrein ist der ungehinderte Abfluss des überschüssigen Wassers aus dem Tschardara-Stausee Richtung Aralsee blockiert, weil dann der Unterlauf zufriert. Das Hochwasser des Tschardara-Stausees wurde nach Usbekistan abgeleitet und führte zu Überschwemmungen in der Arnasai-Senke.

Um die Wasser- und Wasserkraftnutzung im Syr Darja-Becken besser zu regeln, schlossen die Regierungen von Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan im März 1998 ein zwischenstaatliches Abkommen. Darin sagten die Unteranrainer des Flusses zu, Kirgistan im Sommer Hydroenergie abzukaufen und das Land im Gegenzug im Winter mit anderen Brennstoffen zu beliefern. Wie viel Energie die Unteranrainer aufkauften – und damit auch, wie viel Wasser sie erhielten – sollte jährlich ausgehandelt werden. Im Juni 1998 wurden auch Tadschikistan und der Kairakkum-Stausee in das Abkommen eingebunden.

Eigentlich profitieren Usbekistan und Kasachstan doppelt von diesem Abkommen: Zum einen könnte Usbekistan den billigen Strom während der Wachstumsperiode in Usbekistan für die Pumpbewässerung verwenden, und Usbekistan wie Kasachstan könnten fossile Brennstoffe einsparen und für gutes Geld exportieren. Zum zweiten hätten sie genug Wasser für die Landwirtschaft. Leider sahen die beiden Länder den Zusatznutzen der billigen Stromversorgung nicht und versuchten, sich in der Stromversorgung von Kirgistan unabhängig zu machen. Um ihre Abhängigkeit vom Abfluss des Toktogul-Stausees zu reduzieren, suchten Usbekistan und Kasachstan nach Möglichkeiten, die anderen Zuflüsse des Syr Darja besser auszunutzen. Der Naryn ist zwar der größte Zufluss des Syr Darja (14,5 km³), jedoch ermöglichen kleinere Zuflüsse im Grenzland des Ferghana-Tals (Gesamtabfluss 11,7 km³), beispielsweise der Kara Darja (3,9 km³) oder der Tschirtschik (7,9 km³), Usbekistan einen weitgehenden Verzicht auf Wasser vom Toktogul-Stausee. Dadurch hängt die Menge Hydroenergie, die Kirgistan im Sommer exportieren kann, nun davon ab, wie viel Wasser die anderen Zuflüsse führen. Im Jahresdurchschnitt konnte Kirgistan seit 1998 noch 1.910 GWh exportieren und musste 300 GWh importieren.

Bilaterale Abkommen existieren momentan u.a. zwischen Kasachstan und Kirgistan sowie zwischen Usbekistan und Tadschikistan. Das Abkommen zwischen Kasachstan und Kirgistan regelt den Betrieb des Toktogul-Stausees. Allerdings scheint am Unterlauf des Syr Darja in Kasachstan zu wenig Wasser aus Kirgistan anzukommen. Ryabtsew (2008: 2) führt dies darauf zurück, dass das für Kasachstan bestimmte Wasser „teilweise in Usbekistan und Tadschikistan abgezweigt wird“, also von den Ländern am mittleren Flusslauf. Ein weiteres Abkommen zwischen Usbekistan und Tadschikistan bezüglich des Kairakkum-Stausees sieht wechselseitige Energielieferungen der beiden Partnerländer vor.

Datenerhebungen der Verwaltungseinheit, die für die Wasserzuweisungen an die Anrainerstaaten im Syr Darja-Becken zuständig ist, bestätigen, dass die Wasserzufuhr für Usbekistan im Vergleich zu anderen Anrainern in den meisten Jahren zuverlässiger funktioniert (vgl. Tab. 4). Im mittleren und unteren Amu Darja-Becken liegt die Infrastruktur für die usbekische Wasserversorgung in Turkmenistan. Daher hatte für die Sicherheit von Usbekistan eine zuverlässige Regelung mit Turkmenistan höchste Priorität. Die beiden Staaten einigten sich schon 1996 auf folgenden Modus: Usbekistan bezahlt jährlich 11,4 Millionen US$ als Pacht für die Pumpstationen der Wasserkanäle Richtung Buchara und Karschi sowie für die anteilige Wasserspeicherfläche im Tujamujun-Stausee. Über das Nutzungsregime des Nurek-Stausees in Tadschikistan gibt es keine Verträge mit den Unteranrainern, obwohl der Wasserstand in diesem See während der Winter- und Frühlingsmonate konstant sinkt und im Mai seinen niedrigsten Stand erreicht. 2002 exportierte Tadschikistan lediglich 266 GWh, musste aber 1.058 GWh importieren (World Bank, 2004). Auch zwischen den Provinzen ist das Wasser innerhalb von Usbekistan und Turkmenistan ungleich verteilt (vgl. Tab. 5). Dies ist aber eine innenpolitische Frage und wirkt sich auf den Betrieb des Nurek- oder Tujamujun-Stausees nicht aus.

Tabelle 4: Prozentuale Abweichungen von den
Wasserzuweisungen im Syr Darja-Becken
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Syr Darja (bis zum Tschardara-Stausee) 96 108 86 90 99 106 98 109 78
Kirgistan 125 105 74 52 64 56 56 81 65
Tadschikistan 107 120 91 93 93 90 89 99 66
Usbekistan 97 107 87 91 99 112 98 113 75
Kasachstan 60 81 61 72 86 90 95 99 85
Tabelle 5: Prozentuale Abweichungen von den
Wasserzuweisungen
im mittleren und unteren Amu Darja-Becken
Land Provinz/Region Flussabschnitt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Turkmenistan Karakum-Kanal Mitte unterhalb der Messstation Kerki 79 79 95 95 88 95 92 102 82
Usbekistan Karschi-Kanal 91 117 101 88 97 91 98 112 96
Usbekistan Amu-Buchara-Kanal 86 119 116 102 105 97 117 115 98
Turkmenistan Lebap 82 105 121 100 103 98 101 111 99
Usbekistan Chorezm unterhalb von Tujamujun 64 52 115 100 101 100 102 98 52
Turkmenistan Taschaus 45 54 127 95 103 102 104 102 48
Usbekistan Karakalpakstan 43 37 113 101 90 97 94 95 41

Der aktuelle Konflikt

Auch wenn Kirgistan und Tadschikistan sich um Energieautarkie bemühten, konnten sie doch ihre Spitzenlasten im Winter nicht abdecken. Da sie über ein erhebliches Potential zur Erzeugung von Wasserkraft verfügen, ist es nicht verwunderlich, dass beide Länder alte sowjetische Pläne zum Bau weiterer Wasserkraftwerke aus der Schublade zogen. Dabei geht es um Kambarata 1 und 2 am Naryn sowie Rogun am Wachsch. Bei dem Treffen der fünf Staatspräsidenten im April 2009 waren sowohl Kambarata 1 als auch Rogun umstritten.

Der Protest von Usbekistan und Kasachstan gegen Kambarata 1 scheint zunächst nicht nachvollziehbar zu sein, da etwas weiter flussabwärts der Toktogul-Stausee ohnehin schon den Naryn reguliert. Würde Kirgistan allerdings gleichzeitig Kambarata 1 und den Toktogul-Stausee ablassen, könnte die Überschwemmungsgefahr in der Arnasai-Senke weiter steigen. Tadschikistan wiederum könnte den Pegel des Wachsch vollkommen kontrollieren, sollte der Rogun-Staudamm tatsächlich in voller Höhe (335 m) gebaut werden. Den Unteranrainern scheinen die ersten beiden Baustufen des Stauwerks (auf 225 m bzw. 285 m) keine Sorgen zu machen. Der Wasserablass im Winter könnte auch bei geringerer Dammhöhe so minimiert werden, dass im Sommer mehr Wasser für die Landwirtschaft zur Verfügung stünde. Die entscheidende Frage ist also, ob sich die Ober- und Unteranrainer der beiden Flüsse gegenseitig vertrauen und ob sie miteinander kooperieren.

Russland sagte kürzlich zu, den Bau und auch die Betriebsverantwortung von Kambarata 1 zu übernehmen. In Kirgistan scheint die politische Opposition gegen eine Kontrolle nationaler Infrastruktur durch Russland zu sein. Für die Unteranlieger des Syr Darja könnte dieses Arrangement jedoch eine Garantie für den bedrohungsfreien Betrieb der Staustufen darstellen. Russland sagte außerdem zu, den Rogun-Staudamm zu finanzieren, konnte sich mit Tadschikistan aber weder darauf einigen, bis zu welcher Dammhöhe gebaut werden soll, noch darüber, bei wem nach Fertigstellung des Damms die Entscheidungshoheit in Nutzungsfragen liegen soll. Momentan baut Tadschikistan den Staudamm daher aus eigener Kraft.

Beim Vergleich des Kostenaufwands der einzelnen Projekte mit den gültigen subventionierten Strompreisen fällt auf, dass sich beim momentanen Preisniveau kaum eines der Projekte wirtschaftlich rechnet (vgl. Tab. 6). In den Ländern rings um Mittelasien schwankt der Preis zwischen 3 und 5,6 US-Cent pro kWh (Angaben für Russland und Pakistan). Der durchschnittliche Preis liegt bei 3,5 US-Cent. Daraus ergibt sich, dass am Wachsch Rogun wirtschaftlich betrieben werden könnte und am Naryn höchstens Kambarata 2. Sollte allerdings Kambarata 1 nicht in Betrieb gehen, würden sich die Leistung und somit auch die Wirtschaftlichkeit von Kambarata 2 verringern. Überdies würde Kambarata 2 die Energiesicherheit von Kirgistan im Winter nicht ohne die erste Staustufe sichern können. Momentan ist das ganze Übertragungsnetz auf die usbekische Hauptstadt Taschkent ausgerichtet. Übertragungsleitungen in die mittelasiatischen Länder stecken noch in der Bau- oder sogar Planungsphase. Die Fokussierung des Versorgungsnetzes auf Taschkent könnte sich als Hindernis erweisen, wenn Strom von Tadschikistan Richtung Norden (sogar in die eigenen nördlichen Landesteile) oder von Kirgistan Richtung Süden geleitet werden soll, da die Leitungsgebühren wahrscheinlich aus politischen Gründen steigen würden.

Tabelle 6: Geplante Stauprojekte im Amu Darja- und
Syr-Darja-Becken
(Kapazitäten und Kosten)
Staudamm Land Fluss Gesamt-
speicher­
volumen
(km3)
Nutzbares Speicher-
volumen (km3)
Wasserkraft-
potential
Kosten/kWh (in US-Cent) Durchschnitts-
preis 2003 pro kWh (in US-Cent)
Kambarata 1 Kirgistan Naryn 5,4 3,4 5.200 GWh 7,17 1,4
Kambarata 2 Kirgistan Naryn minimal minimal 1.200 GWh 3,72
Rogun Tadschikistan Wachsch   13.100 GWh 2,46 – 2,83 0,5
  1. Baustufe 2,8 1,9
2. Baustufe 6,8 4,0
3. Baustufe 13,3 10,3

Schlussfolgerungen

Auch wenn sich bei dem Präsidententreffen in Almaty zwei Fronten zu formieren schienen, wird bei genauerer Betrachtung klar, dass dies nur oberflächlich gilt. Dies ist insbesondere bezüglich des Syr Darja-Beckens der Fall, wo der Mittelanrainer Usbekistan und der Unteranrainer Kasachstan jeweils mit unterschiedlichen Oberanrainern Abkommen schlossen. In dieser Konstellation hat Kasachstan die schlechtesten Chancen, ausreichend Wasser abzubekommen. Im Amu Darja-Becken haben sich zwar Turkmenistan und Usbekistan über das Nutzungsregime geeinigt, jedoch beschwert sich Usbekistan unter der Hand häufig, dass Turkmenistan zu viel Wasser abzweigt. Die Unteranrainer sind sich also in beiden Flussbecken nicht einig. Die Oberanrainer eint zwar der Wunsch, jeweils große Stauwerke zu bauen, jedoch unterscheiden sich ihre Interessen und Positionen abhängig von der Geschichte der bereits existierenden Stauwerke, den bestehenden Speichervolumina (und damit der Fähigkeit, den Unterlauf zu regulieren), der Relevanz der Zuflüsse für das jeweilige Flussbecken und der wirtschaftlichen Machbarkeit der geplanten Projekte.

Wie erläutert bringen die unterschiedlichen Nutzungsregime der projektierten Stauwerkkaskaden jeweils bestimmte Vor- oder Nachteile für die Unter- bzw. Oberanrainer der Flussbecken mit sich:

Ein maximaler Wasserabfluss im Winter ist für die Unteranrainer nachteilig.

Ein maximaler Wasserabfluss im Sommer ist für die Unteranrainer vorteilhaft, für die Oberanrainer aber nachteilig.

Ein gestufter Wasserabfluss – im Winter aus dem Stausee am Oberlauf und im Sommer aus dem Stausee am Unterlauf – hat kaum wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unteranrainer, wird von diesen aus politischen Gründen jedoch als Nachteil empfunden, da diese Lösung die Unabhängigkeit und Machtposition der Staaten am Oberlauf stärkt.

Seit der Unabhängigkeit waren die fünf mittelasiatischen Staaten vor allem auf Autarkie bedacht und haben sich deshalb vom integrativen sowjetischen Ansatz verabschiedet, der für einen Nachteilsausgleich zwischen den Nachbarrepubliken sorgte. Eine Beteiligung von außen, z.B. von Russland, könnte in dieser Situation zur Stabilisierung beitragen. Könnte sich Tadschikistan dazu durchringen, den Rogun-Staudamm zusammen mit einem anderen Partner zu bauen, wäre dies ebenfalls ein positives Signal. Dabei sollte allerdings auch kritisch hinterfragt werden, welchen Vorteil sich Russland davon verspricht, im Syr Darja-Becken ein Staudammprojekt mitzufinanzieren, das zumindest vorläufig nicht wirtschaftlich zu betreiben ist.

Literatur

Forschungsstelle Osteuropa (2008): Zentralasienanalysen 08/2008. http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen08.pdf.

Ryabtsev, A.D. (2008): Threats to Water Security in the Republic of Kazakhstan in the Transboundary Context and Possible Ways to Eliminate Them. http://www.icwc-aral.uz/workshop_march08/pdf/ryabtsev_en.pdf.

World Bank (2004): Central Asia. Regional Electricity Export Potential Study. http://siteresources.worldbank.org/INTUZBEKISTAN/Resources/REEPS_Main_Report_Final_English.pdf.

Dr. Kai Wegerich ist Assistant Professor in der Irrigation and Water Engineering Group der Wageningen University in den Niederlanden.