Konflikt und Kooperation bei der Wassernutzung in Mittelasien

Konflikt und Kooperation bei der Wassernutzung in Mittelasien

von Kai Wegerich

In Mittelasien sind Mensch, Natur und Wirtschaft auf das Wasser zweier Flusssysteme angewiesen: des Syr Darja im Norden und des Amu Darja im Süden. Beide Ströme sind in hohem Maße zur Stromgewinnung und landwirtschaftlichen Bewässerung erschlossen. Die Nutzung des Wassers birgt erhebliches Potential sowohl für Konflikte als auch für Kooperationen zwischen den einzelnen Anrainerstaaten: Am Oberlauf wollen sie die Wasserkraft zur Stromerzeugung nutzen, am Unterlauf sehen sie die Bewässerung ihrer Felder in Gefahr.

Der Syr Darja und der Amu Darja und fast sämtliche ihrer Zubringer fließen durch das Hoheitsgebiet oder entlang der Grenzen von fünf Staaten (vgl. Abb.): Kirgistan (Oberlauf des Syr Darja), Tadschikistan (Oberlauf des Amu Darja), Kasachstan (Unterlauf des Syr Darja), Turkmenistan (Unterlauf des Amu Darja) und Usbekistan (Unterlauf des Amu Darja und Mittellauf des Syr Darja). Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion spielten bei der Wasserbewirtschaftung administrative Grenzverläufe und die gerechte Verteilung des Wassers unter den Republiken keine große Rolle. Von Interesse waren vielmehr die hydrologischen Gegebenheiten.

So bot das Aralseebecken die Möglichkeit, an den Flussoberläufen Projekte zur Flussregulierung und Stromerzeugung zu planen und zum Teil auch umzusetzen, die an den Unterläufen eine Ausweitung der bewässerten Landwirtschaft zuließen. Ein Beispiel für diese Aufteilung ist der Toktogul-Staudamm am Naryn in Kirgistan: 75% des Wasserabflusses wurden für die Bewässerung der Unteranrainer während der Wachstumsperiode im Sommer zugewiesen. Als Folge musste Kirgistan im Winter, wenn sein Energiebedarf besonders hoch ist, Energie aus flussabwärts gelegenen Republiken importieren.

Noch zu sowjetischen Zeiten wurden im Aralseebecken weitere Staudammprojekte konzipiert, um sowohl im Winter die Gewinnung von Hydroenergie als auch im Sommer die Wasserversorgung für die Landwirtschaft sicherzustellen. Der Bau des Rogun-Staudamms am Wachsch in Tadschikistan und der Staudämme Kambarata 1 und 2 am Naryn in Kirgistan kam durch die Auflösung der Sowjetunion allerdings ins Stocken. Und während die Großprojekte an den Flussoberläufen von den Republiken an den Unterläufen zuvor nicht als Bedrohung wahrgenommen wurden, hat sich dies mit der staatlichen Unabhängigkeit der früheren Sowjetrepubliken inzwischen geändert.

Im April 2009 kamen daher die Präsidenten der fünf mittelasiatischen Staaten im kasachischen Almaty zusammen, um die Wasserproblematik zu beraten. Im Vorfeld kristallisierten sich zwei Fronten heraus: auf der einen Seite Kirgistan und Tadschikistan, die an den Oberläufen der Flüsse weitere Staudämme bauen wollten, und auf der anderen Seite die Unteranrainer Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan, die sich dagegen wehrten. Am Ende des Treffens konnten sich die fünf Länder nicht auf eine gemeinsame Wasserbewirtschaftung, die allen Seiten gerecht wird, einigen (siehe Karte Seite ).

Geographie im Aralseebecken und Wassernutzung in der Sowjetunion

Der Amu Darja ist 2.450 km lang und hat ein Einzugsgebiet von 309.000 km2. Er entsteht aus dem Pjandsch, der am Vakjdjir-Pass von Gletscherbächen gespeist wird und auf weiten Strecken die Grenzen zwischen Afghanistan und Tadschikistan bildet, und dem Wachsch, der im Gebirge von Kirgistan entspringt, durch Tadschikistan läuft und kurz vor der Grenze zu Usbekistan auf den Pjandsch stößt. Der Syr Darja entsteht durch den Zusammenfluss von Naryn und Kara Darja, die im Tianshan-Gebirge von Kirgistan entspringen und im Ferghana-Tal zusammenfließen. Mit 3.019 km ist der Syr Darja der längste Fluss in Mittelasien; sein Einzugsgebiet beträgt 219.000 km2. Amu Darja und Syr Darja lenken die Fließwasservorräte des gesamten Beckens oder zumindest das, was davon übrig bleibt, in den Aralsee.

Ein Vergleich des Wassereinzugs der beiden Flüsse mit der zur Bewässerung verwendeten Wassermenge zeigt, wie ungleich der Wasserverbrauch für landwirtschaftliche Zwecke zwischen den einzelnen Staaten verteilt ist (vgl. Tab. 1). Wird das Aralseebecken unter Hintanstellung der heutigen Staatsgrenzen als geographische Einheit betrachtet, bietet es sich an, am Oberlauf Staubecken zu bauen, die am Unterlauf die Ausweitung der bewässerten Flächen erlauben. Diese Möglichkeit wurde in der Vergangenheit am Syr Darja stärker genutzt als am Amu Darja. Einige der Staudammprojekte erstrecken sich auch über Republikgrenzen hinweg.

Tabelle 1: Wassereinzug von Syr Darja und Amu Darja
(jährlicher Durchschnitt in km³) und bewässerte Fläche (in ha)
Syr Darja Amu Darja
km³ ha km³ ha
Kasachstan 2,4 786.000
Kirgistan 27,6 410.000 1,6 65.000
Tadschikistan 1 271.000 49,6 467.000
Turkmenistan 1,5 1.700.000
Usbekistan 6,2 1.883.000 5,1 2.250.000
Afghanistan 21,6 385.000
Gesamt 37,2 3.350.000 79,3 4.317.000

Am Syr Darja sind drei Speicherseen von besonderem Interesse (vgl. Tab. 2). Der Toktogul-Stausee bietet Kirgistan die Möglichkeit, die Wassermenge des Naryn und damit des Syr Darja aktiv zu regulieren. Der Andischan-Stausee liegt im Grenzgebiet von Usbekistan und Kirgistan. Der Kairakkum-Stausee wurde in Tadschikistan an einer strategischen Stelle am Ausgang des Ferghana-Tals gebaut, von wo aus Usbekistan und über den Dustlik-Kanal auch ein kleineres Gebiet der kasachischen Provinz Ontüstik (Südkasachstan) mit Wasser versorgt werden, bevor der Syr Darja zum Tschardara-Stausee in Kasachstan weiter fließt. Da die Oberanrainer in sowjetischen Zeiten Energie aus den anderen Republiken geliefert bekamen, dienten die Stauwerke am Syr Darja damals vorwiegend zur Flussregulierung für die landwirtschaftliche Bewässerung. Die Gewinnung von Wasserkraft war eher ein Nebeneffekt.

Tabelle 2: Stauseen am Syr Darja
Syr Darja-Becken
Stausee Land Fluss Gesamtspeicher-
volumen (km³)
Nutzbares Speicher-
volumen (km³)
Toktogul Kirgistan Naryn 19,4 14
Andischan Usbekistan/Kirgistan Kara Darja 1,9 1,8
Kairakkum Tadschikistan Syr Darja 4 2,6
Tscharwak Usbekistan Tschirtschik 2 1,6
Tschardara Kasachstan Syr Darja 5,7 4,7

Im Amu Darja-Becken befindet sich der wichtigste Wasserspeicher für die landwirtschaftliche Bewässerung, der Tujamujun-See am Unterlauf des Flusses (vgl. Tab. 3). Auch er liegt in einem Grenzgebiet, nämlich dem von Usbekistan und Turkmenistan. Der Nurek-Stausee am Wachsch, dem kleineren der Zubringer, hat nur ein relativ kleines nutzbares Speichervolumen und war ursprünglich vor allem zur Gewinnung von Wasserkraft für die Nachbarstaaten gedacht. Da sich der Bau von Übertragungsleitungen aber als sehr teuer erwies, wird ein Teil der Hydroenergie nun doch direkt im Süden von Tadschikistan genutzt, wo ein Aluminiumwerk entstand.

Tabelle 3: Stauseen am Amu Darja
(* Sangtuda 1 ging erst
2009 in Betrieb)
Amu Darja-Becken
Stausee Land Fluss Gesamtspeicher-
volumen (km³)
Nutzbares Speicher-
volumen (km³)
Nurek Tadschikistan Wachsch 10,5 4,5
Baipasa Tadschikistan Wachsch 0,12 0,08
Sangtuda 1* Tadschikistan Wachsch 0,25 0,12
Tujamujun Usbekistan/ Turkmenistan Amu Darja 7,8 5,4

In Mittelasien verfügen die Länder am Oberlauf über erhebliche Wasserkraftpotentiale, während die Anrainerstaaten an den unteren Flussläufen wertvolle Bodenschätze wie Kohle, Gas oder Öl besitzen. Innerhalb der Sowjetunion waren die Länder wirtschaftlich sowohl im Agrarsektor als auch in der Energieerzeugung und -versorgung eng miteinander verflochten. Während die Oberanrainer im Sommer ihre überschüssige Energie in das mittelasiatische Übertragungsnetz einspeisten, wurden sie im Winter von den Unteranrainern mit fossilen Brennstoffen beliefert. So lieferte Tadschikistan 1990, d.h. im letzten Jahr vor der Unabhängigkeit, 2.668 GWh an seine mittelasiatischen Nachbarrepubliken und importierte selbst 3.927 GWh; Kirgistan exportierte 3.080 GWh und importierte im Gegenzug 601 GWh (Weltbank 2004). Auch bei der Nahrungsmittelversorgung wurde von den mittelasiatischen Sowjetrepubliken keine Autarkie erwartet.

Auflösung der Sowjetunion und Unabhängigkeit der mittelasiatischen Staaten

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Privatisierung der Industrie stiegen die Preise für Rohstoffe wie Kohle, Erdgas und Öl auf Weltmarktniveau, während der Energiepreis künstlich niedrig gehalten wurde. Da sich Kirgistan im Winter den Import der fossilen Brennstoffe für Heizung und Energieerzeugung nicht mehr leisten konnte, brachte es dem Land nur Nachteile, die Kapazitäten des Toktogul-Stausees am Syr Darja für die Bewässerung der Unteranrainer vorzuhalten. Also reduzierte Kirgistan in den Jahren 1991-2000 die durchschnittliche Abflussmenge des Toktogul-Sees im Sommer von 75% (8,1 km³) auf durchschnittlich 45% (6,1 km³). Diese Zahlen dürfen allerdings nicht überbewertet werden, da vor 1990 gelegentlich erhebliche Wassermengen abgelassen wurden, um ein Überlaufen des Stausees zu verhindern. Für Bewässerungszwecke wurden damals etwa 6,5 km³ benötigt.

Auch der Kairakkum-Stausee im Norden Tadschikistans wurde in der Sowjetunion zur Kontrolle der Bewässerung genutzt. Dieses Wasserkraftwerk (125 MW) bildet jedoch die einzige Stromquelle im Norden Tadschikistans. Nach der Unabhängigkeit wurde das Nutzungsregime des Stausees auf eine Maximierung der Stromerzeugung ausgerichtet, was für die Unteranrainer des Syr Darja Probleme schafft. Das Stauvolumen des flussabwärts gelegenen Tschardara-Stausees reicht nämlich nicht aus, um im Winter die zusätzlichen Wassermassen aus dem Toktogul-See beziehungsweise Kairakkum-See aufzunehmen. Obendrein ist der ungehinderte Abfluss des überschüssigen Wassers aus dem Tschardara-Stausee Richtung Aralsee blockiert, weil dann der Unterlauf zufriert. Das Hochwasser des Tschardara-Stausees wurde nach Usbekistan abgeleitet und führte zu Überschwemmungen in der Arnasai-Senke.

Um die Wasser- und Wasserkraftnutzung im Syr Darja-Becken besser zu regeln, schlossen die Regierungen von Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan im März 1998 ein zwischenstaatliches Abkommen. Darin sagten die Unteranrainer des Flusses zu, Kirgistan im Sommer Hydroenergie abzukaufen und das Land im Gegenzug im Winter mit anderen Brennstoffen zu beliefern. Wie viel Energie die Unteranrainer aufkauften – und damit auch, wie viel Wasser sie erhielten – sollte jährlich ausgehandelt werden. Im Juni 1998 wurden auch Tadschikistan und der Kairakkum-Stausee in das Abkommen eingebunden.

Eigentlich profitieren Usbekistan und Kasachstan doppelt von diesem Abkommen: Zum einen könnte Usbekistan den billigen Strom während der Wachstumsperiode in Usbekistan für die Pumpbewässerung verwenden, und Usbekistan wie Kasachstan könnten fossile Brennstoffe einsparen und für gutes Geld exportieren. Zum zweiten hätten sie genug Wasser für die Landwirtschaft. Leider sahen die beiden Länder den Zusatznutzen der billigen Stromversorgung nicht und versuchten, sich in der Stromversorgung von Kirgistan unabhängig zu machen. Um ihre Abhängigkeit vom Abfluss des Toktogul-Stausees zu reduzieren, suchten Usbekistan und Kasachstan nach Möglichkeiten, die anderen Zuflüsse des Syr Darja besser auszunutzen. Der Naryn ist zwar der größte Zufluss des Syr Darja (14,5 km³), jedoch ermöglichen kleinere Zuflüsse im Grenzland des Ferghana-Tals (Gesamtabfluss 11,7 km³), beispielsweise der Kara Darja (3,9 km³) oder der Tschirtschik (7,9 km³), Usbekistan einen weitgehenden Verzicht auf Wasser vom Toktogul-Stausee. Dadurch hängt die Menge Hydroenergie, die Kirgistan im Sommer exportieren kann, nun davon ab, wie viel Wasser die anderen Zuflüsse führen. Im Jahresdurchschnitt konnte Kirgistan seit 1998 noch 1.910 GWh exportieren und musste 300 GWh importieren.

Bilaterale Abkommen existieren momentan u.a. zwischen Kasachstan und Kirgistan sowie zwischen Usbekistan und Tadschikistan. Das Abkommen zwischen Kasachstan und Kirgistan regelt den Betrieb des Toktogul-Stausees. Allerdings scheint am Unterlauf des Syr Darja in Kasachstan zu wenig Wasser aus Kirgistan anzukommen. Ryabtsew (2008: 2) führt dies darauf zurück, dass das für Kasachstan bestimmte Wasser „teilweise in Usbekistan und Tadschikistan abgezweigt wird“, also von den Ländern am mittleren Flusslauf. Ein weiteres Abkommen zwischen Usbekistan und Tadschikistan bezüglich des Kairakkum-Stausees sieht wechselseitige Energielieferungen der beiden Partnerländer vor.

Datenerhebungen der Verwaltungseinheit, die für die Wasserzuweisungen an die Anrainerstaaten im Syr Darja-Becken zuständig ist, bestätigen, dass die Wasserzufuhr für Usbekistan im Vergleich zu anderen Anrainern in den meisten Jahren zuverlässiger funktioniert (vgl. Tab. 4). Im mittleren und unteren Amu Darja-Becken liegt die Infrastruktur für die usbekische Wasserversorgung in Turkmenistan. Daher hatte für die Sicherheit von Usbekistan eine zuverlässige Regelung mit Turkmenistan höchste Priorität. Die beiden Staaten einigten sich schon 1996 auf folgenden Modus: Usbekistan bezahlt jährlich 11,4 Millionen US$ als Pacht für die Pumpstationen der Wasserkanäle Richtung Buchara und Karschi sowie für die anteilige Wasserspeicherfläche im Tujamujun-Stausee. Über das Nutzungsregime des Nurek-Stausees in Tadschikistan gibt es keine Verträge mit den Unteranrainern, obwohl der Wasserstand in diesem See während der Winter- und Frühlingsmonate konstant sinkt und im Mai seinen niedrigsten Stand erreicht. 2002 exportierte Tadschikistan lediglich 266 GWh, musste aber 1.058 GWh importieren (World Bank, 2004). Auch zwischen den Provinzen ist das Wasser innerhalb von Usbekistan und Turkmenistan ungleich verteilt (vgl. Tab. 5). Dies ist aber eine innenpolitische Frage und wirkt sich auf den Betrieb des Nurek- oder Tujamujun-Stausees nicht aus.

Tabelle 4: Prozentuale Abweichungen von den
Wasserzuweisungen im Syr Darja-Becken
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Syr Darja (bis zum Tschardara-Stausee) 96 108 86 90 99 106 98 109 78
Kirgistan 125 105 74 52 64 56 56 81 65
Tadschikistan 107 120 91 93 93 90 89 99 66
Usbekistan 97 107 87 91 99 112 98 113 75
Kasachstan 60 81 61 72 86 90 95 99 85
Tabelle 5: Prozentuale Abweichungen von den
Wasserzuweisungen
im mittleren und unteren Amu Darja-Becken
Land Provinz/Region Flussabschnitt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Turkmenistan Karakum-Kanal Mitte unterhalb der Messstation Kerki 79 79 95 95 88 95 92 102 82
Usbekistan Karschi-Kanal 91 117 101 88 97 91 98 112 96
Usbekistan Amu-Buchara-Kanal 86 119 116 102 105 97 117 115 98
Turkmenistan Lebap 82 105 121 100 103 98 101 111 99
Usbekistan Chorezm unterhalb von Tujamujun 64 52 115 100 101 100 102 98 52
Turkmenistan Taschaus 45 54 127 95 103 102 104 102 48
Usbekistan Karakalpakstan 43 37 113 101 90 97 94 95 41

Der aktuelle Konflikt

Auch wenn Kirgistan und Tadschikistan sich um Energieautarkie bemühten, konnten sie doch ihre Spitzenlasten im Winter nicht abdecken. Da sie über ein erhebliches Potential zur Erzeugung von Wasserkraft verfügen, ist es nicht verwunderlich, dass beide Länder alte sowjetische Pläne zum Bau weiterer Wasserkraftwerke aus der Schublade zogen. Dabei geht es um Kambarata 1 und 2 am Naryn sowie Rogun am Wachsch. Bei dem Treffen der fünf Staatspräsidenten im April 2009 waren sowohl Kambarata 1 als auch Rogun umstritten.

Der Protest von Usbekistan und Kasachstan gegen Kambarata 1 scheint zunächst nicht nachvollziehbar zu sein, da etwas weiter flussabwärts der Toktogul-Stausee ohnehin schon den Naryn reguliert. Würde Kirgistan allerdings gleichzeitig Kambarata 1 und den Toktogul-Stausee ablassen, könnte die Überschwemmungsgefahr in der Arnasai-Senke weiter steigen. Tadschikistan wiederum könnte den Pegel des Wachsch vollkommen kontrollieren, sollte der Rogun-Staudamm tatsächlich in voller Höhe (335 m) gebaut werden. Den Unteranrainern scheinen die ersten beiden Baustufen des Stauwerks (auf 225 m bzw. 285 m) keine Sorgen zu machen. Der Wasserablass im Winter könnte auch bei geringerer Dammhöhe so minimiert werden, dass im Sommer mehr Wasser für die Landwirtschaft zur Verfügung stünde. Die entscheidende Frage ist also, ob sich die Ober- und Unteranrainer der beiden Flüsse gegenseitig vertrauen und ob sie miteinander kooperieren.

Russland sagte kürzlich zu, den Bau und auch die Betriebsverantwortung von Kambarata 1 zu übernehmen. In Kirgistan scheint die politische Opposition gegen eine Kontrolle nationaler Infrastruktur durch Russland zu sein. Für die Unteranlieger des Syr Darja könnte dieses Arrangement jedoch eine Garantie für den bedrohungsfreien Betrieb der Staustufen darstellen. Russland sagte außerdem zu, den Rogun-Staudamm zu finanzieren, konnte sich mit Tadschikistan aber weder darauf einigen, bis zu welcher Dammhöhe gebaut werden soll, noch darüber, bei wem nach Fertigstellung des Damms die Entscheidungshoheit in Nutzungsfragen liegen soll. Momentan baut Tadschikistan den Staudamm daher aus eigener Kraft.

Beim Vergleich des Kostenaufwands der einzelnen Projekte mit den gültigen subventionierten Strompreisen fällt auf, dass sich beim momentanen Preisniveau kaum eines der Projekte wirtschaftlich rechnet (vgl. Tab. 6). In den Ländern rings um Mittelasien schwankt der Preis zwischen 3 und 5,6 US-Cent pro kWh (Angaben für Russland und Pakistan). Der durchschnittliche Preis liegt bei 3,5 US-Cent. Daraus ergibt sich, dass am Wachsch Rogun wirtschaftlich betrieben werden könnte und am Naryn höchstens Kambarata 2. Sollte allerdings Kambarata 1 nicht in Betrieb gehen, würden sich die Leistung und somit auch die Wirtschaftlichkeit von Kambarata 2 verringern. Überdies würde Kambarata 2 die Energiesicherheit von Kirgistan im Winter nicht ohne die erste Staustufe sichern können. Momentan ist das ganze Übertragungsnetz auf die usbekische Hauptstadt Taschkent ausgerichtet. Übertragungsleitungen in die mittelasiatischen Länder stecken noch in der Bau- oder sogar Planungsphase. Die Fokussierung des Versorgungsnetzes auf Taschkent könnte sich als Hindernis erweisen, wenn Strom von Tadschikistan Richtung Norden (sogar in die eigenen nördlichen Landesteile) oder von Kirgistan Richtung Süden geleitet werden soll, da die Leitungsgebühren wahrscheinlich aus politischen Gründen steigen würden.

Tabelle 6: Geplante Stauprojekte im Amu Darja- und
Syr-Darja-Becken
(Kapazitäten und Kosten)
Staudamm Land Fluss Gesamt-
speicher­
volumen
(km3)
Nutzbares Speicher-
volumen (km3)
Wasserkraft-
potential
Kosten/kWh (in US-Cent) Durchschnitts-
preis 2003 pro kWh (in US-Cent)
Kambarata 1 Kirgistan Naryn 5,4 3,4 5.200 GWh 7,17 1,4
Kambarata 2 Kirgistan Naryn minimal minimal 1.200 GWh 3,72
Rogun Tadschikistan Wachsch   13.100 GWh 2,46 – 2,83 0,5
  1. Baustufe 2,8 1,9
2. Baustufe 6,8 4,0
3. Baustufe 13,3 10,3

Schlussfolgerungen

Auch wenn sich bei dem Präsidententreffen in Almaty zwei Fronten zu formieren schienen, wird bei genauerer Betrachtung klar, dass dies nur oberflächlich gilt. Dies ist insbesondere bezüglich des Syr Darja-Beckens der Fall, wo der Mittelanrainer Usbekistan und der Unteranrainer Kasachstan jeweils mit unterschiedlichen Oberanrainern Abkommen schlossen. In dieser Konstellation hat Kasachstan die schlechtesten Chancen, ausreichend Wasser abzubekommen. Im Amu Darja-Becken haben sich zwar Turkmenistan und Usbekistan über das Nutzungsregime geeinigt, jedoch beschwert sich Usbekistan unter der Hand häufig, dass Turkmenistan zu viel Wasser abzweigt. Die Unteranrainer sind sich also in beiden Flussbecken nicht einig. Die Oberanrainer eint zwar der Wunsch, jeweils große Stauwerke zu bauen, jedoch unterscheiden sich ihre Interessen und Positionen abhängig von der Geschichte der bereits existierenden Stauwerke, den bestehenden Speichervolumina (und damit der Fähigkeit, den Unterlauf zu regulieren), der Relevanz der Zuflüsse für das jeweilige Flussbecken und der wirtschaftlichen Machbarkeit der geplanten Projekte.

Wie erläutert bringen die unterschiedlichen Nutzungsregime der projektierten Stauwerkkaskaden jeweils bestimmte Vor- oder Nachteile für die Unter- bzw. Oberanrainer der Flussbecken mit sich:

Ein maximaler Wasserabfluss im Winter ist für die Unteranrainer nachteilig.

Ein maximaler Wasserabfluss im Sommer ist für die Unteranrainer vorteilhaft, für die Oberanrainer aber nachteilig.

Ein gestufter Wasserabfluss – im Winter aus dem Stausee am Oberlauf und im Sommer aus dem Stausee am Unterlauf – hat kaum wirtschaftliche Auswirkungen auf die Unteranrainer, wird von diesen aus politischen Gründen jedoch als Nachteil empfunden, da diese Lösung die Unabhängigkeit und Machtposition der Staaten am Oberlauf stärkt.

Seit der Unabhängigkeit waren die fünf mittelasiatischen Staaten vor allem auf Autarkie bedacht und haben sich deshalb vom integrativen sowjetischen Ansatz verabschiedet, der für einen Nachteilsausgleich zwischen den Nachbarrepubliken sorgte. Eine Beteiligung von außen, z.B. von Russland, könnte in dieser Situation zur Stabilisierung beitragen. Könnte sich Tadschikistan dazu durchringen, den Rogun-Staudamm zusammen mit einem anderen Partner zu bauen, wäre dies ebenfalls ein positives Signal. Dabei sollte allerdings auch kritisch hinterfragt werden, welchen Vorteil sich Russland davon verspricht, im Syr Darja-Becken ein Staudammprojekt mitzufinanzieren, das zumindest vorläufig nicht wirtschaftlich zu betreiben ist.

Literatur

Forschungsstelle Osteuropa (2008): Zentralasienanalysen 08/2008. http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen08.pdf.

Ryabtsev, A.D. (2008): Threats to Water Security in the Republic of Kazakhstan in the Transboundary Context and Possible Ways to Eliminate Them. http://www.icwc-aral.uz/workshop_march08/pdf/ryabtsev_en.pdf.

World Bank (2004): Central Asia. Regional Electricity Export Potential Study. http://siteresources.worldbank.org/INTUZBEKISTAN/Resources/REEPS_Main_Report_Final_English.pdf.

Dr. Kai Wegerich ist Assistant Professor in der Irrigation and Water Engineering Group der Wageningen University in den Niederlanden.

Energiekonflikte auf dem »Eurasischen Schachbrett«

Energiekonflikte auf dem »Eurasischen Schachbrett«

Europas weiche Geopolitik im russischen Hinterhof

von Stephan Heidbrink

Da das fossile Energieregime an seine Grenzen stößt, ohne dass bisher durchsetzbare Alternativen erkennbar wären1, erfahren die erdöl- und erdgasreichen Regionen in den geoökonomischen und geopolitischen Kontrollstrategien der Zentrumsstaaten eine starke Aufwertung. Energiesicherung wird zur Zielgröße strategischer Außen(wirtschafts)politik – der Geostrategie. Es ist ein Konflikt um die Macht, die Spielregeln auf den Energiemärkten definieren zu können.

Im Mittelpunkt steht dabei in erster Linie die sog. »strategische Ellipse«, die den Nahen und Mittleren Osten, den Kaukasus sowie große Teile Russlands und Zentralasiens umfasst. Hier konzentrieren sich etwa 70% der konventionellen Weltölreserven und ca. 68% der Weltgasreserven.2 Für die absehbarer Zukunft bedeutet dies, dass insbesondere die Rolle der Russischen Förderation im Mittelpunkt der US-amerikanischen und europäischen strategischen Überlegungen stehen wird.3

Die Versuche des Westens, die strategische Ellipse zu kontrollieren, sind dabei keineswegs nur jüngsten Datums. In dem Versuch, die einzigartigen Chancen zur Ausweitung und Verstetigung der informellen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten im »unipolar moment« (Charles Krauthammer 1990) während und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu nutzen, verfolgten die USA bzw. »der Westen« eine doppelte Strategie. Einerseits galt es, die russische Ökonomie entlang neoliberaler Vorstellungen für westliches Kapital zu öffnen und so für die Disziplinierung durch den (Welt-)Markt bzw. das transnationale Kapital empfänglich zu machen, andererseits sollte Kontrolle über die kaspischen Staaten – den russischen »Hinterhof« – auch mit Blick auf die fossilen Energiereserven erlangt werden.4

Im Rahmen der US-amerikanischen Geostrategie nimmt die Europäische Union – und innerhalb dieser v.a. die Bundesrepublik Deutschland – zunehmend eine »Brückenkopffunktion« bezüglich der Durchsetzung ihrer Interessen auf dem eurasischen Kontinent ein. Für die Europäische Union hat der ungefährdete Zugriff auf Öl- und Gasreserven eine besonders hohe Bedeutung, die in den letzten Jahren noch einmal stark zugenommen hat. Die EU ist heute bereits der weltgrößte Importeur von fossilen Energieträgern (allen voran Erdöl und Erdgas); dabei stammen derzeit etwa 40% aller europäischen Energieimporte aus der Russischen Förderation (und werden zu 80% durch die Ukraine transportiert). Die Europäische Kommission geht jedoch sogar davon aus, dass sich „die Abhängigkeit von Gasimporten […] bis 2030 voraussichtlich von 57% auf 84%“ und „die Abhängigkeit von Ölimporten von 82% auf 93%“ erhöhen werden.5

Die europäische Strategie zur Sicherung der Energieversorgung besteht aus zwei Aspekten. Neben dem Versuch, die europäische Energieversorgung durch neue Pipelineprojekte zu diversifizieren, hat die Absicherung der mittel- und langfristigen Liefer- und Kooperationsbeziehungen mit den Gas- und Ölförderländern durch ein marktliberales vertragliches Rahmenwerk nach dem Vorbild der WTO oberste Priorität. Im Prinzip existiert ein solcher Rechtsrahmen bereits. Die EU hatte in den 1990er Jahren die Initiative ergriffen, eine Europäische Energiecharta auszuhandeln, die zugleich die Grundlage für den Energiecharta Vertrag (ECV) bildete, der im Dezember 1994 von etwa 50 Staaten unterzeichnet wurde.6 In ihm sind Bestimmungen zum Investitionsschutz, zum Handel mit Energieträgern (Öl- und Gas), zu Transitkonditionen und auch ein internationales Streitbeilegungsverfahren enthalten. Die Wirkung ist jedoch äußerst begrenzt. So haben die USA und Kanada den Vertrag nicht unterzeichnet; China und Saudi-Arabien begnügen sich mit einer Beobachterrolle und Norwegen, Australien, Island, Weißrussland und Russland haben den ECV zwar unterzeichnet, nachfolgend jedoch nicht ratifiziert.

Russische Stabilisierungsversuche

Die Liberalisierungsoffensive der EU stößt gerade in Russland auf ein gegenläufiges Projekt: Nach der chaotischen, geradezu »raubtierkapitalistischen« Jelzin-Ära wird seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin (2000) versucht, die Wirtschaftsstruktur zu stabilisieren und zu diversifizieren sowie die eigenen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen auch international deutlicher zu artikulieren. Im Wesentlichen zielt die Putinsche Agenda darauf, den staatlichen Autoritätsverfall aufzuhalten. Im Zentrum steht dabei die Kontrolle über den Energiesektor.7 Er steht – gemeinsam mit den übrigen Rohstoffsektoren – für etwa 25% der gesamtwirtschaftlichen Produktion Russlands.

Deshalb wurde in den letzten Jahren eine Renationalisierung des Energiesektors eingeleitet. Das Projekt begann mit der Wiedererlangung der staatlichen Kontrollmehrheit bei dem Gasmonopolisten Gazprom, an dem der russische Staat nunmehr eine 50,002-prozentige Mehrheit hält, und der nach Jahren als „Selbstbedienungsladen“ (Alexander Rahr) unter der Führung des Putin-Vertrauten Alexej Miller nunmehr zu einem strategisch agierenden Konzern umgewandelt wurde.8 Gazprom hält einen 25%igen Anteil an der Weltgasproduktion und hat Zugriff auf etwa ein Drittel der weltweiten Erdgasreserven. Der Konzern verfügt über das Monopol in den Bereichen Produktion, Transport und Export von russischem Erdgas. Das Tochterunternehmen Gazeksport ist der weltweit größte Gasexporteur und der wichtigste Gaslieferant Europas mit einem Marktanteil von über 20% in Westeuropa und über 50% in Osteuropa (ohne GUS). Damit erwirtschaftet Gazprom ein Viertel der gesamten russischen Deviseneinnahmen.9

Ab 2003 wurden zudem zentrale Segmente des Ölsektors in staatliche Kontrolle zurückgeführt. Staatliche Ölgesellschaften stellten 2003 nur rund 12% der russischen Ölförderung. Insbesondere in den USA ansässige transnationale Öl-Konzerne wie ExxonMobil und Chevron wurden von der neuen russischen Strategie getroffen. Als besonders aggressive Vertreter im Wettlauf um Zugang zu den russischen Ressourcen hatten sie auf die beiden reichsten Männer Russlands und die mächtigsten innenpolitischen Gegenspieler Putins gesetzt: Auf den Oligarchen Roman Abramowitsch (Besitzer von Sibneft; 2003) und Michail Chodorkowski (Besitzer von Yukos; 2003). Bei der geplanten Mega-Fusion zwischen Sibneft und Yukos zur bei weitem größten russischen Ölfirma sollten zugleich ExxonMobil und Chevron beteiligt werden. Darüber hinaus verhandelte Chodorkowski (an staatlichen Stellen vorbei) mit China über den Bau einer transsibirischen Pipeline. Aus Sicht der russischen Administration drohte damit ein beachtlicher Kontrollverlust über strategisch wichtige Öl- und Gasvorkommen sowie Pipeline-Routen. Die Verhaftung Chodorkowskis 2003 wegen Steuerhinterziehung beendete das Projekt. In den folgenden Jahren wurde Yukos durch Steuernachforderungen (etwa 28 Mrd. $) zum Verkauf gezwungen, die größte Fördergesellschaft von Yukos erwarb der staatlich kontrollierte Rosneft-Konzern.

Ende 2005 wurde auch das Abramowitsch-Unternehmen Sibneft für über 13 Mrd. $ von Gazprom übernommen. Damit entfielen Ende 2005 35% der russischen Ölförderung auf staatliche Gesellschaften (Rosneft, Sibneft, Gasprom sowie Tatneft und Baschneft, die unter Verwaltung der Behörden von Tatarstan und Baschkirien stehen). Gegenüber 2003 hat sich der Produktionsanteil der staatlichen Ölgesellschaften somit etwa verdreifacht. Obwohl man weiterhin an ausländischen Investitionen interessiert ist, sind die Tendenzen unübersehbar, den Zugriff westlicher Konzerne auf russische Ressourcen stärker kontrollieren zu wollen. Im Jahr 2006 erließ der Kreml ein Gesetz, in dem Öl-, Gas- und Metalllagerstätten explizit zu strategischen Reserven aufgewertet wurden. Deren Ausbeutung muss nunmehr unter der Führung russischer Unternehmen stattfinden. Bestehende Mehrheitsbeteiligungen westlicher Firmen an der Exploration werden mit Hilfe der Anwendung bereits vorher bestehender Umweltauflagen oder auch Steuerfahndungen zugunsten russischer Konzerne (allen voran Gazprom) zurückgedrängt.

»Weiche« Geopolitik

Aufgrund der Schwierigkeiten, den russischen Energiesektor für westliches Kapital umfassend zu öffnen, wird nunmehr verstärkt versucht, Gas- und Ölvorkommen durch die Diversifizierung der Energieinfrastruktur unter Umgehung Russlands an Europa zu binden. Hierdurch soll die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen reduziert werden, um so zu verhindern, dass Moskau diese unter Umständen als politisches Druckmittel einsetzen könnte.

Dabei sind in das europäische Projekt zur Energiesicherung schon seit den frühen 1990er Jahren Elemente einer »weichen« Geopolitik eingelassen. Die umkämpfte und konfliktreiche Aufbereitung des Raumes im Energiebereich bezieht sich dabei vor allen Dingen auf die Entwicklung der Energieinfrastruktur, d.h. vor allem Pipelines sowie Verkehrswege in der Türkei und dem Kaukasus. Letztlich geht es aber um den Zugriff auf zentralasiatisches Öl und Erdgas, dessen Transport derzeit nur durch Russland erfolgen kann und daher deutlich unter Weltmarktpreisen erworben und strategisch eingesetzt wird – insbesondere durch Gazprom.

Die durch die EU angestrebte Diversifizierung in der Energieversorgung wurde bislang insbesondere durch zwei (komplementäre) Unterprogramme des TACIS-Programms10 (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) vorangetrieben, wobei sich der Auf- und Ausbau des Pipelinenetzes sowie die Erschließung der dazu gehörigen Verkehrswege als inkohärent erweisen. Zum einen handelt es sich dabei um das Programm INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe), das seit 1994 mittels des Auf- und Ausbaus eines Pipelinenetzes kaspisches Öl und Gas an den europäischen Markt anschließen soll. Zum anderen existiert das TRACECA-Programm (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia), das auf die Entwicklung eines alternativen Transportkorridors zu der traditionellen Handelsroute durch Russland ausgerichtet ist. Die Russische Föderation ist als einziger Staat des eurasischen Raumes nicht Mitglied in dem Programm.11

Vor allem das TRACECA-Programm ist recht eindeutig darauf ausgerichtet, mit der »Neuen Seidenstraße« das Raummonopol Russlands zu brechen. Zwar sind die Ergebnisse bislang bestenfalls bescheiden. Da seit einiger Zeit innerhalb der Europäischen Union die Transatlantiker, die für eine konfrontative Politik gegenüber Russland eintreten, immer mehr die Oberhoheit gewinnen, dürften derartige Versuche künftig jedoch intensiviert werden.

Die Dominanz der transatlantisch orientierten Fraktion im Bereich der »weichen« Geopolitik ist in der europäischen Unterstützung für das Pipeline-Projekt NABUCCO besonders deutlich ausgeprägt. Die über 3.000 Kilometer lange Pipeline ist das zentrale EU-Projekt bei der Suche nach einer „unabhängigen Versorgung durch Erdgasrohrleitungen von der kaspischen Region“.12 Die Pipeline soll von Aserbeidschan durch die Türkei, Rumänien, Bulgarien und Ungarn bis nach Österreich geführt werden. Unter der Führung der österreichischen OMV wird das Projekt von einem Konsortium aus Botas (Türkei), MOL Natural Gas Transmission (Ungarn), Bulgargaz (Bulgarien) und SNTGN Transgaz SA aus Rumänien und inzwischen auch RWE vorangetrieben.13

Das Konsortium kann sich auf die massive Unterstützung durch die EU verlassen, die (genau wie Deutschland) dem Projekt höchste Priorität einräumt.14 Die Machbarkeitsstudie wurde von der EU mit 4,8 Mio. Euro unterstützt und die Europäische Investitionsbank (EIB) sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) signalisieren ihre Bereitschaft, bis zu 70% der Finanzierung zu übernehmen.

Inzwischen mehren sich Überlegungen, die Pipeline bis zur Ostseite des kaspischen Meeres weiterzuführen, um so auch die zentralasiatischen Ressourcen unter Umgehung Russlands aber auch Irans dem Europäischen Markt zuführen zu können.

Das politisch, finanziell und technisch anspruchsvollste Projekt ist jedoch die BTC-Pipeline. Sie ist neben der geplanten NABUCCO-Trasse der bisher größte Erfolg der Atlantiker. Insbesondere die USA als wichtigster Kunde Aserbeidschans wollen damit ihre Abhängigkeit vom nahöstlichen Öl verringern. Gleichzeitig umgeht die Pipeline Russland und den Iran und passt sich insofern in die Diversifizierungsstrategie der Europäischen Union ein. Die jetzige Streckenführung ist die teuerste und technisch aufwendigste Variante, die zudem noch mit enormen Umweltrisiken behaftet ist, da die Trasse durch stark erdbebengefährdetes Gebiet verläuft. Das betreibende Konsortium steht unter der Leitung der britischen BP, der US-amerikanischen Unocal sowie der Turkish Petroleum Inc. Dass die an dem Projekt beteiligte EBRD nicht auf einer Sicherung der Trassenführung nach EU-Standards bestanden hat, zeigt die Dominanz geopolitischer Überlegungen hinter der europäischen Beteiligung an dem Projekt. Die BTC ist ein offensichtlich gegen Moskau gerichtetes Projekt: Die Stationierung US-amerikanischer Truppen schon 2001 in Georgien, die folgende Finanzierung der »Caspian Guard« zum Schutz der Pipeline durch das Pentagon und Pläne zur Errichtung einer Militärbasis in Aserbeidschan können hier als Indizien gelten. Darüber hinaus ist das Projekt nicht nur aus umweltpolitischen Überlegungen höchst zweifelhaft, auch die wirtschaftliche Rentabilität ist in Zweifel zu ziehen. Die ehemals euphorischen Schätzungen des Ölreichtums des Kaspischen Meeres sind nunmehr deutlich ernüchterten Prognosen gewichen. Ob die Pipeline überhaupt ausreichend (lies: rentabel) gefüllt werden kann, ist derzeit eine offene Frage. Gleichzeitig erweisen sich jedoch die Erdgasreserven der Region (zwischen 6% und 8% der Weltreserven) zunehmend als Objekt der Begierde, gerade wenn es darum geht, gegenüber Russland oder genauer: Gazprom unabhängiger zu werden.

Russische Gegenstrategie

In Russland wird das NABUCCO-Projekt als Versuch interpretiert, das russische Raummonopol zu brechen. Hier decken sich die Wahrnehmungen von Gazprom und der russischen Regierung. Der russische Gaskonzern bemüht sich daher, das Projekt überflüssig zu machen und damit gleichzeitig näher an das europäische Verteilersystem heranzurücken. Bereits 1999 hatte Gazprom gemeinsam mit der italienischen ENI und unter heftigen Protesten der US-Administration begonnen, mit dem Blue Stream Projekt unter Umgehung der Ukraine eine Gaspipeline durch das schwarze Meer zur türkischen Stadt Samsun zu verlegen. Dieses Projekt richtete sich (unter Beteiligung japanischer und türkischer Firmen) gegen die Pläne eines anglo-amerikanischen Konsortiums, eine Pipeline (Trans-Caspian Gas Pipeline; TCP) durch das Kaspische Meer nach Turkmenistan zu führen. Das Gazprom-Unterfangen war bereits 2002 erfolgreich und beendete (vorerst) das TCG-Projekt.15 Aktuell plant Gazprom eine Verlängerung von Blue Stream parallel zum NABUCCO-Vorhaben durch Bulgarien und Rumänien bis nach Ungarn.

Gleichzeitig veräußerte E.On Ruhrgas seine Anteile an der ungarischen MOL (Mitglied im NABUCCO-Konsortium) gegen eine 25%-Beteiligung am russischen Yuschno-Russkoje-Feld an Gazprom. Darüber hinaus nutzt Gazprom die deutliche Abkühlung der Verhältnisse zwischen der Türkei und den USA einerseits sowie der EU andererseits. Frustriert über die Ignorierung türkischer Sicherheitsinteressen im Nordirak durch die US-amerikanische Regierung und die Hinhaltetaktik bzw. inzwischen ablehnende Haltung der Europäischen Union in der Beitrittsfrage zeigt sich die Türkei gegenüber dem Billig-Erdgas-Angebot von Gazprom aufgeschlossen. Die Spannungen zwischen Frankreich und der Türkei aufgrund des Armenien-Beschlusses der französischen Nationalversammlung haben bereits dazu geführt, dass Gas de France die Beteiligung an dem NABUCCO-Konsortium verwehrt wurde, obwohl deren Kapital dringend zur Realisierung benötigt wird. Das Projekt, die Türkei zur Energiedrehscheibe vis-a-vis Russland auszubauen, ist ernsthaft bedroht.

Für die Europäische Union kommt erschwerend hinzu, dass NABUCCO, um halbwegs rentabel betrieben werden zu können, auf zentralasiatisches Gas, vor allem aus Turkmenistan angewiesen ist. Insofern war es ein schwerer Schlag, als Wladimir Putin im Mai 2007 mit dem turkmenischen Präsidenten Gurbanguli Berdymuchamedow vereinbarte, dass große Teile des turkmenischen Erdgases über das russische Leitungsnetz geleitet werden.16

Das Vorhaben, mittels NABUCCO die zentralasiatischen Reserven aus der russischen Kontrolle zu lösen, droht damit zu scheitern. Einzig russisches und iranisches Gas könnten die Pipeline nunmehr ausreichend füllen, aber sowohl die iranische Option als auch ein Einstieg von Gazprom in das Konsortium stoßen sowohl auf heftigen Widerstand der Vereinigten Staaten wie auch auf große Skepsis in Europa.

Derzeit führt für die europäische Gasversorgung kein Weg an Gazprom vorbei. Dies ist aus westlicher Sicht umso Besorgnis erregender, als sich Gazprom bemüht, ein integrierter Energiekonzern zu werden. Das zielt sowohl auf die Ausdehnung des Geschäftsfeldes von der Förderung über den Transport bis hin zur Raffinierung von Erdöl als auch auf die Übernahme von Gasinfrastruktur und den direkten Zutritt zu Endverbrauchermärkten in Europa. Die Gazprom-Strategie kann als Lehre aus den Nationalisierungen der Ölgesellschaften im Nahen und Mittleren Osten gedeutet werden. Damals kontrollierten die neuen staatlichen Unternehmen zwar die Ölförderung (upstream), aber der Transport (mid-stream) und die Verarbeitung/Vermarktung (downstream) blieb von westlichen Firmen dominiert. Das gab den mehrheitlich anglo-amerikanischen Unternehmen (sowie dem Westen als dem zentralen Absatzmarkt insgesamt) ein entscheidendes Druckmittel an die Hand.17 Gazprom hingegen versucht, Quellen, Transportwege und Absatzmärkte unter ihrem Dach zu integrieren.

Der Konzern benutzt dazu seine marktdominierende Stellung in Russland und insbesondere seinen exklusiven Zugriff auf billiges zentralasiatisches Gas (und Öl). Die abrupten Preiserhöhungen gegenüber der Ukraine (März 2005/Anfang 2006) und Weisrussland (Ende 2006/Mai 2007) wurden durch Kompromisse beigelegt: Beide Staaten zahlen nicht den vollen Weltmarktpreis, aber sie treten die Kontrolle über ihre Gasinfrastruktur ab.18 Ein ähnliches Bild zeigt sich im Kaukasus: Das westlich orientierte Georgien weigerte sich, seine Infrastruktur abzutreten und zahlt nunmehr Weltmarktpreise. Demgegenüber zeigte sich Armenien kooperativ und zahlt statt 230 $ pro 1000 Kubikmeter Gas nur 110 $. Innerhalb der EU wird dies wiederum als ein gezielter russischer Versuch interpretiert, die europäische Energieversorgung unter Kontrolle zu bringen, um sich so ein erhebliches machtpolitisches Druckmittel zu verschaffen.19

Eskalationsdynamiken – Droht ein neuer Kalter Krieg?

Die geoökonomischen Erfolge des Westens – in erster Linie durch die BTC-Pipeline – sowie die geopolitischen Verschiebungen – insbesondere durch die mit z.T. massiver westlicher Unterstützung erfolgten sog. »bunten Revolutionen« in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisistan (2005) – erweisen sich zunehmend als kontraproduktiv in dem Bestreben, Energiesicherheit herzustellen. Kooperationsangebote Russlands wurden ausgeschlagen, und stattdessen wird auf eine konfrontativere Politik gesetzt, die letztlich der Russischen Förderation nur wenige Optionen ließ. Darüber hinaus erschütterte der Georgienkrieg im August 2008 die Vorstellungen des Westens, in Georgien über einen sicheren Transportkorridor jenseits Russlands zu verfügen, nachhaltig.20

Der Ton wird immer rauer und die Auseinandersetzungen verlagern sich mittlerweile auch in andere Regionen. So richtet sich der Blick der Europäischen Union nach den Rückschlägen im Bereich der »weichen Geopolitik« nunmehr einerseits verstärkt auf Afrika, wo sich derzeit ein neuer Wettlauf zwischen der EU und Gazprom abzeichnet.21 Andererseits intensiviert die EU ihre Anstrengungen, einen globalen Gasmarkt zu errichten. Bislang ist Erdgas fast ausschließlich durch Pipelines zu transportieren; dies soll sich mit der Flüssiggastechnologie ändern. Tiefgekühltes und damit verflüssigtes Gas lässt sich auf Tankschiffen transportieren und würde Erdgas so zu einer global handelbaren Ware wie Öl aufwerten. In Reaktion darauf wurde am 23. Dezember 2008 in Moskau die »Gas-OPEC« als Kartell erdgas-exportierender Länder durch 16 Staaten gegründet. Wie handlungsfähig diese neue Organisation sein wird, ist bislang noch unklar. Doch ihre Existenz wurde vom NATO-Wirtschaftsausschuss in einem Bericht als Bedrohung eingestuft, da Russland hiermit beabsichtige, Energielieferungen als machtpolitisches Druckmittel einzusetzen.22 In diesem Zusammenhang sind die Forderungen etwa des einflussreichen US-Senators Richard Lugar zur Gründung einer »Energie-NATO« zu sehen. Damit würde eine Unterbrechung der Erdöl- und Erdgaslieferungen als Angriff auf das atlantische Bündnis bewertet.23 Noch sind solche Vorschläge nicht mehrheitsfähig, allerdings wurde die sichere Energieversorgung schon vor einiger Zeit in die Sicherheitskonzeptionen des Westens integriert.

An der Energiefrage entzündet sich daher ein europäischer neuimperialer Diskurs. Die bescheidenen Fortschritte in der Internationalisierung des europäischen neoliberalen Binnenmarktregimes in den europäischen Nachbarschaftraum und die Rückschläge in der »weichen« Geopolitik bereiten das Feld, auf dem weit reichendere Vorschläge fruchtbaren Boden finden. Aufgrund der Weigerung der russischen Förderation, auf die Kontrolle über die Energiewirtschaft zugunsten (westlicher) privater Akteure zu verzichten, wird Russland zunehmend als Gefahr für die westliche Energiesicherheit wahrgenommen.

Anmerkungen

1) Vgl. Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Münster; Leggett, Jeremy (2006): Peak Oil. Köln.

2) Barthel, Fritz Gerling, Peter (Koord.) (2003): Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2002. Rohstoffwirtschaftliche Länderstudien XXVIII. Hannover, S.55.

3) Kalicki, Jan H. Goldwyn, David L. (eds.) (2005): Energy Security. Toward a New Foreign Policy Strategy.

4) Vgl. Van der Pijl, Kees (2006): Global Rivalries. From the Cold War to Iraq. London, S.347ff.

5) Europäische Kommission (2007): Eine Energiepolitik für Europa. Brüssel, den 10.1.2007, KOM (2007) 1 endg., 4.

6) Westphal, Kirsten (2006): Energy Policy between Multilateral Governance and Geopolitics: Wither Europe? In: Internationale Politik und Gesellschaft 4/2006, S.53f.

7) Vgl. FN 4, S.347ff.

8) Vgl. Pörzgen, Gemma (2008): Gasprom. Die Macht aus der Pipeline. Hamburg.

9) Windisch, Nancy (2007): Gazprom – Unternehmenspolitik des größten Erdgaskonzerns der Welt. www.weltpolitik.net/

10) Inzwischen wurde das TACIS-Programm durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) ersetzt.

11) Ehlers, Kai (2006): Reicht Europa bis nach Kasachstan? In: Pflüger, Tobias Wagner, Jürgen (Hrsg.): Weltmacht Europa. Hamburg, S.183-197.

12) Europäische Kommission (2005): Grünbuch über Energieeffizienz. Brüssel, S.17

13)Ob es Zufall oder Absicht ist, das Konsortium setzt sich aus eben jenen Staaten zusammen, die im ersten Weltkrieg Verbündete gegen Russland waren.“ Kneissl, Karin (2006): Der Energiepoker. Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen. München, S.38.

14) Vgl. Wagner, Jürgen (2007): Der Russisch-europäische Erdgaskrieg. Studien zur Militarisierung Europas 30/2007.

15) FN 4, S.352

16) Wolkowa, Irina (2007): Masterplan der Energiestrategie. www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Russland/kaspi.html

17) Yergin, Daniel (1991): The Prize. The Epic Quest for Oil, Money Power. New York, S.389-541.

18) Lindner, Rainer (2007): Blockaden der Freundschaft. SWP-aktuell 3. Januar 2007. Dabei erhielt Weissrussland 2,3 Milliarden $ für Beltransgasanteile, deren Wert auf 800 Millionen Dollar geschätzt wurden.

19) Vgl. FN 14. Darüber hinaus bemüht sich Gazprom nunmehr, Anteile an europäischen Verteilernetzen zu erwerben. Die Liberalisierungsstrategie der EU hat dafür die Vorrausetzungen geschaffen und dies erweist sich unter den veränderten Bedingungen nunmehr als zunehmend kontraproduktiv für das Bestreben, die geopolitische Position der EU zu stärken.

20) Vgl. Hantke, Martin (2008): »Alles wieder offen«. Georgienkrieg und imperiale Geopolitik. IMI-Studie 2008-10. Tübingen.

21) Vgl. Wagner, Jürgen (2009): Gas-OPEC und afrikanische Nabucco. http://www.imi-online.de/download/JW-Gas-OPEC-Nabucco.pdf

22) Kreimeier, Nils Wetzel, Hubert (2007): EU und USA zittern vor neuer »Opec«, Financial Times Deutschland, 06.03.2007.

23) U.S. Senate Committee on Foreign Relations, Senator Richard G. Lugar Opening Statement for Hearing on Oil, Oligarchs and Opportunity: Energy from Central Asia to Europe, 12.06.2008.

Stephan Heidbrink promoviert in Marburg über Energiesicherungsstrategien der Europäischen Union und ist Mitglied der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI).

Kampf gegen internationale Bergbaufirmen

Kampf gegen internationale Bergbaufirmen

Ecuador: Indigener Protest im Amazonas

von Miriam Seemann

Der ecuadorianische Regenwald gehört zu den artenreichsten Gebieten der Welt. Im Oriente – wie das Amazonasgebiet in Ecuador genannt wird – leben heute noch etwa 150.000 »Indigenas«. Die Shuars gehören zu diesen Völkern, die noch vor ca. 40 Jahren in einem der abgeschiedensten Gebiete des Regenwaldes lebten und dadurch ihre traditionelle Lebensweise erhalten konnten. Vor ca. zehn Jahren versuchten internationale Bergbaufirmen, speziell in der Shuar-Gemeinde Warints, wertvolle natürliche Ressourcen großflächig abzubauen. Die Shuars versuchten, sich mit Macheten und Jagdwerkzeugen dagegen zu wehren. Sie fordern die Einhaltung der internationalen Menschenrechte und die Umsetzung der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention zum Schutz indigener Völker.

Die Lebensverhältnisse der Shuar

Es ist 5 Uhr morgens, als Miguel Arutam zusammen mit seinen zwei Frauen und drei Kindern in Wartins, einem kleinen Dorf mitten im ecuadorianischen Regenwald, aufsteht. Miguel gehört zum Volk der Shuar, die auf der Bergkette »Cordillera del Cóndor« im Grenzgebiet zwischen Südecuador und Peru leben. Jedes Familienmitglied – selbst die Kinder – verfolgt nun routiniert seinen gewohnten Tagesablauf. Die Frauen bereiten das Frühstück vor, das aus Yucca-Wurzeln und »Chicha«, einem Getränk aus gegährten Maniok-Wurzeln, besteht. Die Kinder holen frisches Wasser vom kleinen Bach in der Nähe.

Währendessen beratschlagt Miguel mit weiteren Männern, wie sie bezüglich der Bergbauarbeiten in ihrem Dorf vorgehen sollten. Miguel sagt: „Wir Shuars unterscheiden nicht zwischen dem Eigentumsrecht auf Land und Erdboden. Wir sehen uns als Besitzer unseres Landes, in dem schon unsere Urvorfahren gelebt haben. Das beinhaltet alle Resourcen und somit auch den Erdboden. Wir akzeptieren nicht die ecuadorianische Gesetzgebung, die Bergbaukonzessionen für den Erdboden vergibt, insbesondere weil wir dabei gar nicht erst gefragt wurden.“ Warints gehört zu der Shuar-Provinz Nukui, zu der noch fünf weitere Shuar-Gemeinden gehören. Warints hat ungefähr 150 Bewohner. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diese Shuar-Gemeinde zu erreichen: Mit einer kleinen Propellermaschine nach einer halben Stunde Flugzeit oder zu Fuß nach 12 Stunden strammem Fußmarsch von der nächst größeren Stadt, Sucúa, entfernt. Die Shuar allerdings haben selten die finanziellen Mittel zu fliegen. Die Flugpiste wird meistens von den BergbaumitarbeiterInnen genutzt.

Miguels Familie bewohnt ihr eigenes Land und lebt wirtschaftlich autark, wie auch die anderen Shuar-Familien im Dorf. Sie leben von der Landwirtschaft, der Jagd, der Fischerei und dem Sammeln von Insekten, Früchten und Pflanzen. Heutzutage werden auch Rinder gehalten, die zum festen Bestandteil der Ernährung geworden sind. Fast 70% der Nahrungsmittel stammen aus natürlichen Ressourcen, so wie auch Produkte für Haushalt, Gesundheit, sowie Werkzeuge und Baumaterial. Daher ist die die Shuars direkt umgebende Fauna und Flora von essentieller Lebensbedeutung für sie. Trotzdem sind sie darauf angewiesen, einige Dinge aus der Stadt zu besorgen, insbesondere Salz, Kleidung, Bildungsmaterialien und einige Medikamente, was wiederum den finanziellen Druck auf viele Familien erhöht.

Der Einfluss von »Außen«

Berühmt wurden die Shuar durch den Brauch, ihren Feinden den Kopf abzuschlagen und zu einem Schrumpfkopf, der »tsantsa«, zu verarbeiten. Als einziges der bisher »entdeckten« Völker der Welt haben sich die Shuar erfolgreich gegen die europäische Eroberung ihres Lebensraumes durchgesetzt. Erst im 20. Jahrhunders kam es vermehrt zu Kontakten mit Missionaren und Kolonisten. Mit der infrastrukturellen Erschließung der Territorien hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Lebens- und Wirtschaftsweise vieler Shuar weitgehend verändert. In den 1960er Jahren begannen sich die Shuar mit Unterstützung der salesianischen Missionare zu organisieren. Anlass hierfür war eine Agrarreform und die Aufforderung der damaligen Regierung Ecuadors, das Amazonasgebiet zu besiedeln.

Mit der Besiedlung des Regenwaldes und der dadurch verbesserten Infrastruktur erreichten auch vermehrt Vertreter der Öl- und Bergbauindustrie die Gemeinden der indigenen Bevölkerung im Amazonas, um die reichhaltigen natürlichen Ressourcen der Region auszubeuten. Dies hatte letztendlich oft die Rodung von Regenwaldgebieten zu Folge, was wiederum für die Landwirtschaft verheerende ökologische Konsequenzen hatte.

Widerstand gegen die Bergbauunternehmen

In der Region »Cordillera del Cóndor« gibt es mehrere Bergbaukonflikte, die aus dieser Entwicklung entstanden sind. Der letzte Konflikt fand in der Shuar-Gemeinde von Warints statt. Er begann vor ca. zehn Jahren, als internationale Bergbaufirmen1 in Warints eintrafen. Diese versuchten in der Shuar-Gemeinde mit Unterstützung einiger »Mestizos«2 und in einigen Fällen von Vertretern der lokalen Regierung Bergbauaktivitäten aufzunehmen. Ihre Strategie ist simpel, aber effektiv: Sie versuchen, die Shuar-Familien mit finanziellen Mitteln zur Unterzeichnung von Verträge zu überreden, die die Zustimmung zu Bergbauaktivitäten auf ihrem Land bedeuten.

Dies hatte die soziale Spaltung der Shuar-Gemeinden zur Folge. Denn während einige Shuar-Familie weiterhin versuchen, sich gegen den Bergbau in Warints zu währen, profitierten andere Familien in finanzieller Hinsicht von seiner Umsetzung. In diesem Fall war es die Bergbaufirma Lowell, die die Spaltung der Gemeinde Warints ausgenutzt und ihre Bergbauaktivitäten dann auch 2004 begonnen hat. Die anderen 45 Shuar-Gemeinden der Region, die in der Shuar-Regierung »El Consejo de Gobierno Pueblo Shuar Arutam« (CGSHA)3 in der federalen Shuar-Dachorganisation »Federación Interprovincial de Centros Shuar« (FICSH)4 organisiert sind, lehnen Bergbauaktivitäten in der Region strikt ab.

Bereits am 11. September 2001 fand der erste offensive Wiederstand gegen die Bergbaufirma in Warints statt. Während die Zwillingstürme in New York einstürzten, haben die Shuars im tiefsten Regenwald Vertreter der Katholischen Kirche, der die Fluglinie in der Region gehört, spontan davon überzeugen können, alle Flüge nach Warints einzustellen. Das hatte zur Folge, dass alle Bergbaumitarbeiter der Firma EcuaCorriente Resources S.A., die später mit Lowell fusionierte, gezwungen waren, zu Fuß zwölf Stunden aus dem Regenwald zu laufen. Ganze zwei Jahre hatten die Shuars daraufhin Ruhe.

Eskalation des Konfliktes

Im Jahr 2003, nachdem zwei Jahre lang keine Bergbauaktivitäten in Warints zu verzeichnen waren, nahmen einige Shuar-Anführer neue Kontakte mit der amerikanischen Bergbaufirma Lowell Mineral Exploration auf. Ein Jahr später trafen Mitarbeiter der Firma zusammen mit Mitarbeitern des Ecuadorianischen Ministeriums für Bergbau und Energie in Warints ein, um die widerspenstigen Shuar-Familien davon zu überzeugen, ein neues Abkommen zu unterzeichnen und damit den Bergbauaktivitäten auf ihrem Land für die kommenden 30 Jahre zuzustimmen. Zunächst erfolglos. Doch nur sechs Monate später war es soweit: Die Shuar-Anführer unterzeichneten den Vertrag und erhielten dafür eine Zahlungszusage seitens Lowell über $100.000 Dollar. Die Verträge gelten bis heute. Nur: Nicht ein Cent kam bei den Unterzeichnern an.

Der nächste Widerstand war damit vorprogrammiert: Am 1. November 2006 taten sich mehrere Shuar-Gemeinden zusammen und entschieden, die Bergbaufirma Lowell aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Frauen, Kinder und Männer stürmten auf die Fluglandebahn in Warints, bewaffnet mit Macheten, Stöcken und Jagdwerkzeugen. Mit Erfolg. Am nächsten Tag verließen die Mitarbeiter der Firma das Dorf. Bis heute sind die Bergbaufirmen nicht zurückgekommen.

Die weiteren Pläne der Bergbaufirmen

Zwischen 1995 und 2004, als die Bergbauaktivitäten noch in der Explorationsphase waren, wurde eine erste Bestandsaufnahme der vorhandenen Ressourcen gemacht und noch nicht mit dem Abbau von Mineralien begonnen. Eigene Untersuchungen der Bergbaufirmen ergaben, dass die Gebiete, für die sie Bergbaukonzessionen haben, hauptsächlich Kupfer, Molybdän und Gold beinhalten. Die Oberfläche dieses Kupfergürtels soll insgesamt 3.200 m² betragen (Sandoval 2004).

Aller Voraussicht nach wird diese Entdeckung langfristig zum Aufbau einer großflächig angelegten Tagebauindustrie in Ecuador führen. Dies wäre ein weiteres Beispiel in Lateinamerika, wo in naher Zukunft enorme Sozial- und Umweltschäden vorhersehbar sind. Allein der »Import« von Arbeitern durch die Bergbauunternehmen hätte eine enorme soziale Auswirkung auf die Kultur der Shuars. Die von den Konzernen importierte Geld- und Marktwirtschaft würde die nachhaltige Wirtschaftsweise der Shuars verdrängen und einen radikalen Bruch mit ihrer vorherigen Lebensweise darstellen. Darüber hinaus fehlen dem ecuadorianischen Staat die personellen, materiellen und finanziellen Mittel, um die Einhaltung der Umweltgesetze zu kontrollieren und durchzusetzen.

„Wir Shuars stehen dem sozialen und kulturellen Einfluss der »mestizos« kritisch gegenüber“, sagt Miguel Arutam. „Konkret fürchten wir uns vor Problemen wie Prostitution, Krankheiten, Alkohol- und Drogenkonsum und steigenden Preisen der Grundnahrungsmittel. Wir haben Angst davor, dass sie unsere Umwelt schädigen und unser Grundwasser verschmutzen. Wir wissen von den enormen Umweltschäden im Norden Ecuadors, die von internationalen Ölfirmen verursacht worden sind.“ Eine weitere Bergbaufirma (EcuaCorriente Resources S.A.) plant bereits den Bau von Autobahnen and Camps sowie eine Zugstrecke vom Regenwald zur Pazifikküste, um die Mineralien schnellstmöglich über den Hafen Machala zu exportieren. Bis 2001 hatte diese Firma bereits über vier Millionen Dollar in ihre Aktivitäten vor Ort investiert und über zwei Millionen Dollar für Bergbaupatentrechte gezahlt (Sandoval 2004).

Fehlende Konsultation und Verstoß gegen internationale Menschenrechte

Ein Ausgangsproblem des Konfliktes ist die mangelhafte Konsultation der betroffenen Shuar-Gemeinden sowohl durch die Bergbaufirmen als auch durch die ecuadorianische Regierung. Denn laut Artikel sechs der von Ecuador unterzeichneten ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker „(…) haben die Regierungen die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren könnten, erwogen werden“. Diese Konsultationen sind „mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen“. In Ecuador selbst ist dieser Mechanismus im Artikel 88 der Verfassung verankert.

Da nicht alle Shuar-Vertreter der indigenen Gemeinden dem Projekt zugestimmt haben, ist die Entscheidung der Bergbaufirma Lowell, mit dem Bergbau zu beginnen, nicht in Übereinstimmung mit der Verfassung. Darüber hinaus seien sie nicht ausreichend konsultiert wurden, argumentieren die Shuars. Vor allem seien ihnen wichtige Informationen, wie die möglichen Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt, vorenthalten wurden.

Neben sozialen Menschenrechten, wie dem Recht auf Nahrung oder dem Recht auf Wohnen, werden auch zunehmend die bürgerlichen und politischen Rechte der Shuars beschnitten. In anderen Bergbaukonlifkten Ecuadors wurden bereits Proteste gegen die Minen mehrmals mit Hilfe der Polizei oder des Militärs blutig beendet.

Konkrete Forderungen an die Regierung und an die Bergbauunternehmen

Die Shuars fordern, im frühen Stadium der Planung der Bergbauaktivitäten mit einbezogen zu werden und so ihre freie, auf umfassende Information basierende Zustimmung (free prior informed consent)5 zu ermöglichen. Außerdem fordern sie, dass alle relevanten Dokumente wie Umweltverträglichkeitsprüfungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Projektpläne in die Sprache der Shuars übersetzt und veröffentlicht werden.

Die Shuars sind nicht partout gegen die Bergbauprojekte. Miguel Arutam sagt dazu: „Wir fordern, dass der Reichtum, der aus unserem Boden geschöpft wird, in unsere Gemeinden zurückfließt und nicht einfach abtransportiert wird. Auch wir Shuar-Gemeinden haben das Recht, vom Bergbau zu profitieren.“ Dies könnte durch die Schaffung von Arbeitsplätzen mit angemessenen Löhnen oder durch die Entwicklung der lokalen Infrastruktur (wie den Bau von Schulen und medizinischen Zentren) gelingen.

In Ecuador wurde im Januar diesen Jahres trotz massiver Demonstrationen und Straßenblockaden ein neues Bergbaugesetz verabschiedet. Die Hauptkritikpunkte daran sind, dass es inhaltlich nicht ausreichend debattiert wurde. Seine Umsetzung, so die Angst von Miguel, würde Schäden für die Umwelt nach sich ziehen und gegen die Souveränität der indigenen Bevölkerung verstoßen. Daher bliebe ihnen keine andere Wahl: Miguels Protest und der der anderen Shuars gegen die großflächige Ausbeutung von natürlichen Ressourcen auf ihren angestammten Gebieten und die Zerstörung ihrer Lebenswelt geht weiter.

Literatur

Fundación Natura (2004): Paz y Conservación Binacional en la Cordillera del Cóndor, Ecuador – Peru, Ministerio del Ambiente del Ecuador, CDC-Ecuador and Fundación Acroiris, Quito, Ecuador

Neumann, S. (1994): »Solo unidos somos fueretes«, Entstehung und Festigung ethnisch-politischer Organisationen im Tiefland vom Ecuador am Beispiel der »Federación de Centros Shuar«, Holos Verlag, Bonn.

Sandoval, F. (2004): Análisis de la actividad minera corporative en la Cordillera del Cóndor (Ecuador), Conservation International and Ambiente y Sociedad. Nicht veröffentlicht.

Anmerkungen

1) Diese sind u.a. die Firma Gastro Ecuador Gemsa (Ecuador) (1995), BHP Billington (British) (1999), EcuaCorriente Resources S.A. (Canada) (2000), und Lowell Mineral Exploration (USA) (in 2004 und aktiv bis vor kurzem) (Sandoval 2004).

2) Mestizo ist der spanische Begriff für Nachfahren von Weißen und der indigenen Bevölkerung.

3) Die CGSHA ist ein Pilotprojekt der FICSH mit dem Ziel eine unabhänige indigene Regierung zu gründen und basiert auf dem Ecuadorianischen Dezentralisierungsgesetz von 1997. Es umfasst sechs Shuar-Provinzen (Nunkui, Mayaik, Santiago, Limón y Bomboiza), 60 Shuar-Gemeinden, 8000 Personen und hat eine Fläche von ca. 211.000 Hektar (Fundación Natura, 2004).

4) Die FICSH wurde 1964 in Sucua gegründet. Es ist eine Organsiation mit einer hierarchischen Struktur, demokratisch gewählten Vertretern und einer administrativen Jurisdiktion über ein eingegrenztes Gebiet. Ziel ist der Schutz ihres Landes gegen die Interessen von anderen Siedlern, der Bergbauindustrie und der Regierung sowie der Erhalt ihrer eigenen Kultur. Heute gehören den Shuar rund 80 Prozent ihres angestammten Landes (Neumann 1994).

5) Das Konzept des »Free, Prior and Informed Consent« ist in der Erklärung zu den Rechten der indigenen Völker und in der Indigenenkonvention ILO 169 verankert.

Miriam Seemann, M.A., ist Trägerin des Nachwuchspreises 2008 der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung. Sie studierte Lateinamerikanistik in Portsmouth, England und »Interkulturelles Konfliktmanagement« an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Internationale Menschenrechte, Konfliktmanagement und die Rechte der indigenen Bevölkerung. E-Mail: miriam.seemann@yahoo.com

Ressourcenkonflikte zwischen China und Indien

Ressourcenkonflikte zwischen China und Indien

von Saskia Hieber

Berichte über die Konkurrenz und das gegenseitige »Ausbooten« chinesischer und indischer Energiefirmen im Persischen Golf oder in Afrika haben Diskussionen über mögliche Ressourcenkonflikte zwischen den asiatischen Großmächten befördert. Tatsächlich bewirkt der wirtschaftliche Aufstieg der asiatischen Schwellenländer einen wachsenden Rohstoffbedarf. Asiatische Firmen kaufen Gasfelder, Öllieferungen, Konzessionen, Minen, Metalle, Farmen und Landwirtschaftsprodukte auf der gesamten Südhalbkugel – gleichzeitig suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten.

Einerseits ist diese Entwicklung insofern potentiell problematisch, weil dies in einem größeren sicherheitspolitischen Kontext zu verorten ist und zusätzlich die »Energiekonkurrenz« mit älteren, erfolgreichen Volkswirtschaften in Asien – wie Japan – besteht, das fast 90% seiner Energie importieren muss. Strategische Planungen wie etwa Pipelinerouten und der Ausbau von Verkehrsverbindungen, Kommunikationswegen und militärischen Anlagen in den jeweiligen Nachbarländern tragen genauso zum gegenseitigen Misstrauen bei wie die historischen Feindseligkeiten zwischen China und Indien und alte Machtkonstellationen im asiatischen Raum (Indien und die Sowjetunion gegen China und Pakistan).

Andererseits dürfen die Möglichkeiten und Schritte zu regionaler Kooperation nicht unterschätzt werden. Neben bilateralen Einigungen besteht ein großes Potential, regionale und flexible Lösungen zu entwickeln. Als Beispiel sei der »Code of Conduct« der Anrainer des Südchinesischen Meeres genannt.1 Schließlich sind die Notwendigkeit wirtschaftlichen Handels und der in der Region traditionelle Pragmatismus, der eine Kooperation auch auf wenig institutioneller Ebene ermöglicht, konstruktive Merkmale.

Der politische Rahmen

Die Beziehungen zwischen China und Indien waren schlecht. Als Gründe gelten die Grenzkriege 1962 und die Konkurrenz um Einfluss in Südostasien, in der Himalayaregion und auf der Südhalbkugel. Die Territorialdispute, Atomprogramme und Rüstungsvorhaben sind weitere Belastungsfaktoren, ebenso wie die Instrumentalisierung alter Machtkonstellationen in Bezug auf Strukturen des Kalten Krieges, terroristische Bedrohungen und die Zukunft Pakistans. Ebenfalls für Misstrauen hat der Ausbau von Verkehrs- und Kommunikationswegen und militärischer Anlagen in Nachbarstaaten gesorgt. Hier ist insbesondere Myanmar zu nennen, durch das sich China einen Zugang zum Indischen Ozean verspricht. Auch Chinas Engagement in Pakistan und der Ausbau des Golf-Hafens Gwadar wurden in Neu-Delhi kritisch betrachtet. Umgekehrt trifft Indiens neue Präsenzstrategie, die nicht nur auf die eigenen Küstengewässern abzielt, sondern auf das gesamte Arabische Meer und den Indischen Ozean, auf Besorgnis in ganz Asien. Mohan Malik argumentierte 2004, dass die bilateralen Beziehungen eher von Wettbewerb als von Kooperation geprägt werden, da das Verbindende bzw. die ähnlich gelagerte Herausforderung genau das sei, was China und Indien trenne.2

Nun haben die Piratenüberfälle im Golf von Aden und vor der afrikanischen Küste neue Bedingungen und neue Notwendigkeiten der Kooperation geschaffen. Etwa zwei Drittel des Golf-Öls geht nach Asien. Asiens Volkswirtschaften sind nicht nur abhängig von Energieimporten, sondern auch von den Exportwegen, um die produzierten Güter auf die Märkte der Erde zu bringen. Die Offenhaltung und Freiheit von Seeverkehrswegen ist nirgendwo wichtiger als in Ostasien, das alleine weit über die Hälfte des Weltcontainerverkehrs ableistet. Das indische Militär hat in der Vergangenheit mehrfach Piraten nicht nur vor den eigenen Küsten, sondern auch in internationalen Gewässern bekämpft. Die Indische Marine beschreibt in ihrem »Vision Document« von 2006 etwa die Bedeutung, die ein dreidimensionaler, flexibler Ansatz für die Fähigkeit hat, im gesamten Konfliktspektrum sowohl in den eigenen Küstengewässern, als auch auf hoher See zu operieren.3

Chinas jüngstes maritimes Engagement Richtung Westen hat noch keine Tradition und steht in zeitlichem Zusammenhang mit dem Piratenüberfall auf einen chinesischen Frachter am 16. November 2008 im Indischen Ozean. Zwei Aussagen der Zeitung »China Daily« zu diesem Zwischenfall sind interessant: »Beijing ready to combat pirates« und der fast anklagende Hinweis, dass der Überfall im Verantwortungsgebiet der 5. Amerikanischen Flotte stattgefunden hatte (und nicht verhindert wurde). So kritisch das Pentagon und asiatische Nachbarn Chinas Marineaktivitäten betrachten, so erstaunlich ist es, dass Beijing nicht schon früher Schiffe entsandte. Ein entsprechendes Papier, in dem die Chinesische Regierung beispielsweise ankündigt, Auslandsinvestitionen im Rohstoffsektor nicht nur zu fördern, sondern auch zu schützen, liegt seit 2003 vor.4

Energiepolitik und Energieträger

In China und Indien bestimmen ähnliche Faktoren die Ressourcenproblematik und die Energiepolitik: Auf der Versorgungsseite stehen in beiden Ländern sehr große Kohlevorräte, deren Nutzungsausbau aus Gründen der Luftqualität aber problematisch ist; die eigene Öl- und Gasproduktion und die vorhandenen Anlagen sind nicht ausreichend. Beide Länder müssen immer mehr Öl importieren (Indien ca. 2/3 des Bedarfs, China fast die Hälfte); beide Länder verfügen über noch unerschlossene Energiereserven, diese liegen allerdings z.T. Offshore oder in anderweitig schwierig zu erschließenden geologischen Strukturen. Die Infrastrukturmängel stellen jeweils einen empfindlichem Engpass in der Sicherung der Energieversorgung dar. Beide Länder verfügen über große Wasserkraftpotentiale, die aber aufgrund von Umwelt- und anderen Bedenken nicht mehr so massiv ausgebaut werden können. Hinzu kommt, dass Wasserkraftprojekte die Beziehungen zu den im Vergleich zu Chinas und Indiens Größe immer kleineren Flussnachbarn belasten. Im Falle Chinas sind das südostasiatische Staaten; in Bezug auf Indien sind es Nepal, Pakistan und Bangladesch.

Auf der Bedarfsseite ist zu sehen: Das hohe Wirtschaftswachstum führt zu steigendem Energieverbrauch und der wachsende Transportsektor benötigt immer mehr Treibstoff. Der Wohlstand der wachsenden Mittelschicht vervielfacht den Strombedarf für Haushaltselektronik; Ineffizienz und Stromausfälle zeichneten die staatlichen Versorger aus. Die bisher zu niedrigen Verbraucherpreise haben zu Verschwendung und zu Einkommensverlusten bei den Energiefirmen geführt und die Erfolge von Sparprogrammen geschmälert. Beide Länder sind zunehmend auf Ölimporte angewiesen und haben ihren Jahres-Ölverbrauch in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: China von 160 auf fast 370 Millionen Tonnen, Indien von 75 auf fast 130 Millionen Tonnen. Es geht auch anders – wie der Vergleich mit hochindustrialisierten und produktiven Volkswirtschaften zeigt: Japan konnte seinen Ölverbrauch in den vergangenen 10 Jahren von 268 Millionen Tonnen auf 230 Millionen Tonnen reduzieren. Das industriell hoch entwickelte Deutschland verbraucht »nur« 112 Millionen Tonnen Öl pro Jahr.5 Dies hängt unmittelbar mit den durch die Ölkrisen der 1970er Jahre entstandenen Energiesparmaßnahmen und Effizienzsteigerungen zusammen.

China ist heute nach den USA der zweitgrößte Ölverbraucher und Ölimporteur der Welt. Indien steht an sechster Stelle. Chinas Ölindustrie gehört inzwischen zu den weltgrößten Produzenten, der größte Teil der Produktion wird aber im Land selbst verbraucht. Auch Indiens Ölindustrie muss sich immer mehr um internationale Projekte und Konzessionen bemühen, um den steigenden Ölbedarf des Landes zu decken. Die großen asiatischen Energiefirmen investieren inzwischen auf dem gesamten Globus, um ihre Lieferungen, Lieferanten und Lieferrouten zu diversifizieren. Zwar fließen etwa zwei Drittel des Öls des Persischen Golfs nach Ostasien und die Zahl der »Strategischen Ölpartnerschaften« mit den Öllieferanten der arabischen Welt wächst. Doch werden zunehmend Afrika und Lateinamerika zu wertvollen Energiepartnern. Angola beispielsweise liefert seit 2006 mehr Öl nach China als Saudi-Arabien.6

Die Gasmärkte sind regionalisiert: Südostasien liefert hauptsächlich an die ostasiatischen Großabnehmer, vornehmlich an Japan; Nordafrika und Russland liefern an Europa. Japan hat die Gasnutzung früh ausgebaut, in Südostasien den weltgrößten Flüssiggasmarkt aufgebaut und gehört zu den größten Gasnutzern. Erstaunlich ist der geringe Gas-Anteil von unter 4% in Chinas Energiestruktur und etwa 8% in Indien. Dies hat industrietraditionelle Gründe (Gas wurde zur Düngemittelproduktion verwendet) und mit der fehlenden Infrastruktur zu tun. Zur Gasnutzung ist ein Leitungsnetz von der Quelle bis zum Endverbraucher notwendig, was angesichts der geographischen Ausdehnung und der politisch-strategischen Landschaft Probleme bereitet. Ungeachtet vieler Pipelinepläne und Projekte und mit Ausnahme kleiner nationaler Anschlüsse verbinden bisher keine transkontinentale Leitungen etwa China mit den reichen Gasfeldern Sibiriens oder Indien mit Iran. Russlands Gas fließt bisher fast ausnahmslos nach Westen. Bis 2015 und 2020 sollen jedoch Leitungen von Sibirien nach China und Japan gebaut werden. Ein Grund für die Verzögerungen liegt in der Frage über die Kontrolle und das Aufbringen jeweils zweistelliger Milliardensummen für diese Bauvorhaben. Indien und China sind auch im Gasbereich Konkurrenten. Nicht nur vor Indiens Westküste liegen Gasvorkommen, auch Myanmar verfügt über reiche Offshore-Felder.

China verfeuert über 1.300 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zur Energieerzeugung, Indien 208 Millionen Tonnen. Kohle hat in China immer noch einen Anteil von 68% an der Gesamtenergiestruktur und die chinesische Regierung hat wenig Spielraum, dieses Dilemma zu lösen, ohne den Ölanteil (ca. 20%) und damit die teuren Ölimporte zu erhöhen. In Indien liegt der Kohleanteil bei 53% und der Ölanteil am Gesamtenergieverbrauch ist mit über 30% sogar noch höher als in China. Die erneuerbaren und »sauberen« Formen (dazu gehört Atomkraft) stellen nur einen Anteil von etwa 8% in China und ca. 7% in Indien an der Gesamtstruktur.7 Auf China fällt die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs; nimmt man Indien und das restliche Asien hinzu, entsteht das erschreckende Bild, dass auf Asien ca. drei Viertel des Weltkohleverbrauchs entfallen. Regelungen zur Emissionskontrolle und zum Klimaschutz müssen folglich asiatische Regierungen stärker mit einbeziehen und in Verantwortung nehmen. China steht aber vielen internationalen Vereinbarungen, z.B. über verbindliche Ziele zur Reduzierung von Emissionen, zögerlich gegenüber.8 Indien setzt sich aus Gründen der Armutsbekämpfung gegen Vereinbarungen über Emissionsreduzierungen ein. Weitere indische Interessen beinhalten die Beziehungen zu den USA, auch unter dem Gesichtspunkt des Ausbaus des indischen Nuklearprogramms.

Um die Energieversorgung zu sichern, müssen die Staaten Asiens die vorhandene Energieindustrie ausbauen, Sparmaßnahmen durchsetzen und die Nutzung aller Energieformen und -träger ausbauen.9 So hat die Verwendung von Biomasse in Asien eine gewisse Tradition, wird aber erst langsam entwickelt. Dies liegt zum einen an der Dominanz der Kohle im Versorgungssystem, an der Bedeutung von Ölprodukten für den rasant wachsenden Verkehrssektor und an Mängeln in der Infrastruktur. Wasserkraft wird überall in Asien gefördert. China hat das größte Wasserkraftpotential der Welt und wird in diesen Sektor weiter investieren – ungeachtet ökologischer, sozialer und kulturhistorischer Bedenken. Indiens große Staudammprojekte haben schon früher durch ihre rücksichtslose Durchsetzung gegenüber Einheimischen für Schlagzeilen gesorgt. Nuklearkraft spielt nur in Japan eine große Rolle für die Energiegewinnung. China will zwar in den kommenden Jahren bis zu 40 Atomkraftwerke bauen, da der Energiebedarf insgesamt jedoch so stark steigt, wird diese Energieform auch in Zukunft nur etwa 2% zur Energieversorgung beitragen. In Indien beträgt der Nuklearkraftanteil ca. 1%.

Konflikt und Kooperation im Auslandsengagement

China und – mit etwas Verspätung – Indien betreiben heute eine diversifizierte Wirtschaftspolitik und sorgen durch weltweite Investitionen und den Kauf von Konzessionen im Rohstoffbereich für Versorgungssicherheit. So verschafft sich die Volksrepublik nicht nur in Nachbarstaaten, sondern auch im weiteren Asien, in Ozeanien, Afrika und Südamerika Zugang zu Energie- und Metallvorkommen.10 In Afrika wird beispielsweise ein ganzes Bündel von wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten bemüht, nicht nur Rohstoffausbeutung und Handel, sondern auch die »Süd-Süd-Solidarität« gegen amerikanisches »Hegemoniestreben«, kaum konditionierte Hilfs- und Aufbauleistungen und Schuldenerlässe. Chinas Afrikagipfel hatte seinen Ausgangspunkt 2003, der erste Indien-Afrika Gipfel fand erst 2008 statt. Asiatische Regierungen zeigen hier einerseits neue Machtansprüche, sind aber im Gegensatz zu vielen westlichen Ländern auch bereit, Milliardensummen in den Kontinent zu investieren. Afrikanischen Länder sind alternative Ordnungsmodelle und das Nichteinmischungsprinzip willkommen. Es muss allerdings klar erkannt und kritisch kommuniziert werden, dass Chinas unkonditionierte Leistungen internationale Bemühungen in Bezug auf Korruptionsbekämpfung, »good governance«, Finanztransparenz und damit insgesamt Konfliktprävention unterlaufen.

Die chinesische Regierung hat ihrem Energie- und Rohstoffsektor ein Auswärtsprogramm verordnet und fordert Investitionen im Ausland. Im Ergebnis hat China im Vergleich zu Indien bisher etwa die zehnfache Summe in internationale Ölrechte investiert. Doch auch China hat nicht immer Erfolge – wie das abgewiesene Angebot von CNOOC (China National Offshore Oil Corporation) für Unocal zeigte. Indische Energiefirmen hatten bisher beim Versuch, ihr internationales Engagement zu vergrößern, oft das Nachsehen gegenüber der chinesischen Konkurrenz und wurden beispielsweise bei Ölgeboten in Sudan, Angola, Indonesien und Ecuador von China ausgestochen. Ein Ausdruck der chinesisch-indischen Rivalität war das chinesische Gebot von 2,3 Milliarden US-Dollar für einen 45%-Anteil am Nigerianischen Akpo-Offshore-Feld, wogegen Indien chancenlos war.11 Ein weiteres prominentes Beispiel war der indische Versuch, Ende 2005 die kanadische PetroKazakhstan zu kaufen, dabei jedoch gegen CNPC (China National Petroleum Corporation) verlor.12 Indiens Diplomatie kann sich selten gegen chinesische Interessen durchsetzen, die außerdem massiv durch außenpolitische Initiativen gestützt werden. Dennoch engagieren sich indische Firmen inzwischen in Energieprojekten in Russland, Vietnam, Indonesien, Sri Lanka (offshore), Kasachstan, Algerien, Libyen, Syrien, Yemen und Iran und investieren zunehmend auch in Afrika und Lateinamerika. Mit Iran hat Indien beispielsweise einen 40 Milliarden US-Dollar Vertrag über die Lieferung von 7,5 Millionen Tonnen Flüssiggas über 25 Jahre abgeschlossen und investiert in iranische Häfen und Straßennetze, die Verbindungen nach Afghanistan und Zentralasien verbessern sollen.13 Das indisch-iranische Hafenprojekt Chabahar steht in Konkurrenz zum chinesisch-pakistanischen Hafen Gwadar.

Allerdings erschweren angespannte Beziehungen zu Nachbarstaaten Indiens die Energiepolitik zusätzlich. Eine Gasleitung von Iran oder Turkmenistan nach Indien führt durch pakistanisches Gebiet und ist daher ohne Einigung mit der Regierung in Islamabad nicht zu realisieren. Ähnliches gilt für eine Gasleitung von Myanmar nach Indien, die durch Bangladesh laufen müsste. Myanmar gilt als Schlüsselspieler für Chinas Zugang zum Indischen Ozean – entsprechend wurde der Ausbau von Verkehrswegen von Südwest-China nach Myanmar und der Ausbau von Hafenanlagen betrieben.

China und Indien hoffen auf neue Projekte in Iran, Irak, Zentralasien und im Pazifik. Viele asiatische Länder folgen dem Instrumentenkatalog der Internationalen Energieagentur zur Versorgungssicherung: Energiesparmaßnahmen, Ausbau der eigenen Energieindustrie, Diversifizierung und Investitionen in die Infrastruktur. Offshore-Produktionen haben sowohl im Indischen Ozean als auch in den ostasiatischen Meeren neue Vorkommen erschlossen. Einige dieser Felder sind aber teilweise aufgrund technischer Schwierigkeiten (Tiefe, Qualität) und territorialer Dispute nicht erfolgreich zu bewirtschaften. Ein weiteres Problem bestand und besteht für die relativ jungen chinesischen und indischen Energiefirmen darin, dass sie im Vergleich zu den älteren westlichen Multis wie BP, Royal Dutch Shell oder Exxon Mobil weder am Gewinn der Hochpreisjahre teilhaben konnten noch über ausreichend Erfahrung verfügten und feststellen mussten, dass die »billigen« und leicht zugänglichen Felder in der Welt des Öls schon lange vergeben waren und sie zumindest bis Ende der 1990er Jahre unter einem Mangel an Managementqualifikation und Kapital litten.

Ein weiteres Feld in der Energiekonkurrenz sind ausländische Investitionen in die eigenen Raffinerien und Pipelines. Arabische Länder haben Interesse, insbesondere in China zu investieren: Saudi-Aramco und Kuwait steckten fast 8 Milliarden US-Dollar in südchinesische Raffineriekomplexe. Bei den Pipelineplänen ist auf die hohe Komplexität, die politischen Unsicherheiten, die Interessen der Großmächte und die großen Investitionssummen hinzuweisen. Deshalb erstaunt die Fülle der Projekte nicht. In Ost-West-Richtung verlaufen folgende Planungen: Russland-China-Japan, Russland-Kasachstan-China, Russland-Japan direkt, Iran-Indien und weiter im Westen SouthStream und die BTC-(Baku-Tbilisi-Ceyhan)-Leitung. In Nord-Süd-Richtung verlaufen Pläne, China mit dem Indischen Ozean, Russland mit Iran und Indien und jeweils Iran und Pakistan mit West- und Zentralasien zu verbinden. Zu den kleineren Projekten gehört die White-Oil-Pipeline, die den pakistanischen Hafen Qasim mit dem Norden des Landes verbindet und von der chinesischen China Petroleum Engineering and Construction Company gebaut wurde.14

Inzwischen gibt es aber auch Beispiele für Kooperationen zwischen chinesischen und indischen Energiefirmen. Im Iran haben sich beide Länder für die gemeinsame Nutzung einer Konzession entschieden: Irans größtes Ölfeld, Yadavaran, wird von China (50%), Indien (20%) und Iran (30%) gemeinsam betrieben. In Syrien kauften indische und chinesische Firmen gemeinsam die Rechte der kanadischen Petro-Canada an Al Furat Petroleum.15 Nach der »Strategischen Partnerschaft« 2005 wurde im Januar 2006 endlich ein chinesisch-indisches »Memorandum on Cooperation in Oil and Gas« beschlossen.

Zu der Bekämpfung der Umweltzerstörung stehen in den meisten asiatischen Ländern ausreichende Gesetze zur Verfügung – es hapert an der Umsetzung. Das Prinzip »Öffentlichkeit« birgt Chancen. So ist die chinesische Sepa (State Environmental Protection Agency) zwar relativ machtlos, konnte aber mit der Drohung, Umweltverstöße öffentlich zu machen z.B. einen Stahlproduzenten bewegen, fünf große und veraltete Werke zu schließen. Die indische Regierung tut sich durch eine andere und längere juristische Tradition leichter, Rechtsverstöße zu ahnden. Regionale Kooperation wäre hier wünschenswert, eine über Absichtserklärungen und Machbarkeitsstudien hinausgehende Umsetzung ist allerdings nicht sichtbar.

Fazit

Asien spielt für die internationale Energiesicherheit eine entscheidende Rolle durch seine wirtschaftliche Entwicklung und den anhaltend wachsenden Energiebedarf. Nicht nur China beeindruckt seit fast drei Jahrzehnten mit Wirtschaftswachstumsraten von 8-11%, auch andere asiatische Länder haben die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise von 1996/76 längst überwunden und benötigen immer mehr Energie. Die Sicherung von Asiens Energieversorgung erfordert eine langfristige regionale und internationale Kooperation. Dazu wäre eine Art »asiatische Energieagentur« sinnvoll. China und Indien wären ein machtvolles Käuferkartell auf internationalen Ölmärkten. Ein weiterer Baustein in der regionalen Energiesicherheit wären gemeinsame regionale strategische Lager. Insgesamt ist ein konfrontativer Ansatz nicht förderlich und die Einbeziehung Japans unerlässlich. Für den Westen gibt es Gründe, angesichts des asiatischen Ölverbrauchs dennoch nicht in Panik zu verfallen: Die anlaufenden Sparprogramme und Preissteigerungen, das Produktionspotential der OPEC, die nicht genutzten Produktionskapazitäten in Iran und Irak und die Tatsache, dass mit Ausnahme der USA der Ölbedarf der westlichen Welt nicht mehr wächst. Die IEA sollte die Hand weiter nach Asien ausstrecken. Schließlich kommen von dort nicht nur Nachfragen nach verschiedenen Energieträgern, sondern auch nach der entsprechenden Förder-, Verarbeitungs- und Transporttechnologie und auch gewaltige Investitionen in die internationale Energieindustrie. Die gegenwärtige Situation allerdings lässt trotz gelegentlicher Zusammenarbeit chinesischer und indischer Energiefirmen durch die nationalstaatlich geprägte Interessenpolitik und innenpolitische Zwänge bisher zu wenig Raum für kooperative, regionale Lösungen.

Anmerkungen

1) Joint Declaration on the Conduct of Parties in the South China Sea, 2002, http://www.aseansec.org/13163.htm.

2) Mohan Malik (2004): India-China Relations. Giants Stir, Cooperate and Compete; In: Special Assessment Asia’s Bilateral Relations; APCSS.

3) Headquarters of the Ministry of Defence – Indian Navy: Vision Document 2006; New-Delhi, http://indiannavy.nic.in/vision.pdf.

4) State Council Information Office: China’s Policy on Mineral Resources, Beijing, http://www.china.org.cn/e-white/20031223/index.htm.

5) BP Statistical Review of World Energy 2008, www.bp.com.

6) Vgl. FACTS Inc.: China Oil and Gas Monthly, 2006.

7) Energy Information Administration (EIA): Country Analysis Brief China, Country Analysis Brief India, www.eia.doe.gov.

8) Vgl. G8 Research Group – Oxford: »Outreach Five« Country Objectives Report; Heiligendamm Summit, 2007; www.g7.utoronto.ca/oxford/g8org-ox-objectives2007.pdf, S 7 ff.

9) Chinas moderne Energiepolitik ist beispielsweise im White Paper von 2007 abgebildet: State Council Information Office: White Paper on Energy, www.china.org.cn.

10) Vgl. Saskia Hieber: Chinas Energiesicherheit; In: China aktuell; 33 (April 2004) 4.

11) People’s Daily, 13. Januar 2006.

12) Energy Security, 16. Januar 2006, www.iags.org.

13) India, China locked in energy game; in: Asiatimes, 17. März 2005.

14) www.gasandoil.com, 21. Februar 2002

15) International Herald Tribune, 22. Dezember 2002.

Dr. Saskia Hieber ist als Sinologin und Politikwissenschaftlerin an der Arbeitsstelle Internationale Politik der Akademie für Politische Bildung Tutzing und als Lehrbeauftragte am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München tätig.

Schatzkammer Arktis?

Schatzkammer Arktis?

von Jürgen Nieth

Im August 1989 öffnete Moskau zum ersten Mal für westeuropäische Journalisten die Tore von Barentsburg, mit 1.500 Einwohnern die zweitgrößte Siedlung auf dem zu Norwegen gehörenden Spitzbergen. Damals baute die Sowjetunion Untertage Steinkohle ab, genau wie Norwegen nahe der Inselhauptstadt Longyearbyen. Angesichts des Permafrostes, extremer Witterungs- und komplizierter Transportbedingungen sind damit hohe Risiken verbunden und die Produktion ist völlig unrentabel. Unter Gorbatschow demonstrierte die Sowjetunion auch auf Spitzbergen »Glasnost«, trotzdem war allen Beteiligten klar: Auch wenn es in Barentsburg keine sichtbaren militärischen Anlagen gab, der Steinkohleabbau war nur Vorwand, um während des Kalten Krieges aus strategischen Gründen auf der Insel Dauerpräsenz zu zeigen. Die Route über den Pol ist die kürzeste Verbindung zwischen den USA und der Sowjetunion und möglich wurde die sowjetische Siedlung auf Grund des internationalen »Spitzbergen-Abkommens« von 1920. 20 Jahre später hat sich die Situation völlig gewandelt: Jetzt ist die Ressourcenausbeutung in der Arktis-Region nicht Vorwand, sondern Ziel. Für den Zugriff auf Öl und Gas werfen die Anrainerstaaten ihre politische Macht in die Waagschale, mobilisieren sie fast alles, was wissenschaftlich-technisch möglich ist. In der Folge wird statt von Glasnost und Tauwetter wieder von „Kalter Krieg am Nordpol“ (Titel einer ARTE-Sendung vom 27.01.09) oder „Vom Kalten Krieg zur heißen Arktis“ (NZZ, 22.01.09) gesprochen.

Das Nordpolarmeer ist der kleinste der fünf Ozeane. Es ist von der eurasischen Landmasse (Europa und Asien) sowie von Nordamerika und Grönland eingeschlossen. Dieser Ozean besteht aus einem Tiefseebecken und den Randmeeren Barents-, Kara-, Laptew-, Tschuktschen-, Beaufort-Lincoln- und Grönland-See. Das Besondere an diesem Ozean ist, dass der Festlandsockel weit in das Meer hineinreicht und genau in diesem Festlandsockel werden große Rohstoffreserven vermutet.

Run auf Gas und Öl

Bereits heute wird ein Zehntel allen Erdöls und ein Viertel allen Erdgases in der Arktis gefördert. Den größten Anteil hat Russland. Die USA fördern Öl in Alaska und die Norweger drängen immer weiter in den Norden. Auf halben Weg zwischen Nordkap und Spitzbergen unterhalten sie in der Barentssee die nördlichste Bohrplattform. Das Gasfeld Ververis gilt „als Testgebiet für die weitere Erschließung der arktischen Energieressourcen“ (Spiegel, 15.09.08). Es geht vor allem um Öl und Gas, aber auch bei der Ausbeutung anderer Rohstoffe dringen die Anrainerstaaten immer weiter nach Norden vor.

Das kanadische Arktisterritorium Nunavut erlebt zur Zeit einen Run auf Basismetalle, Eisenerz, Edelsteine und Uran; im Nordwestterritorium geht es um Nickel, Kupfer und Platin und im Yukon um Gold, Diamanten und Öl (Handelsblatt, 14.04.08). Auf der Kola-Halbinsel fördert Russland Nickel, Kupfer und Eisenerz, in Norilksk Nickel und Kupfer, in Ostsibirien Zinn und Gold. Skandinavien baut Eisen, Kupfer und Gold ab und Alaska Zink und Blei. Hier lagern auch bedeutende Mengen nichtmetallischer Rohstoffe wie Diamanten und Gesteine.

Die Ergebnisse einer Expertenuntersuchung aus den USA dürften jetzt den Drang nach Norden weiter verstärken. Nach Schätzungen der US Behörde für geologische Forschung (USGS) vom Juli 2008 lagern geschätzte 90 Milliarden Barrel Erdöl, 47,3 Billionen Kubikmeter Erdgas und 44 Milliarden Barrel Flüssiggas nördlich des Polarkreises (USGS 2008); das ist mehr als ein Fünftel aller bisher unentdeckten Öl- und Erdgas-Ressourcen. Ein Drittel der geschätzten 90 Milliarden Barrel Öl befindet sich nach Angaben der USGS auf dem Gebiet Alaskas. Drei der fünf größten Lagerstätten von Öl und Gas liegen vor der russischen Küste (siehe Kasten).

Die Euphorie etwas dämpfend hielten die Wissenschaftler fest, dass es sich nur um Schätzungen handelt, die erst durch Probebohrungen bestätigt werden müssten; auch gebe es noch keine Berechnungen über die Erschließungskosten und damit keine Wirtschaftlichkeitsprognosen.

Trotzdem herrscht ungebrochener Optimismus in Russland: „Wir erhoffen uns Vorkommen von Öl und Gas, die etwa 20 Prozent der russischen Reserven entsprechen“, so Sergej Donskoii, russischer Vizeminister für Umwelt und Naturressourcen auf der Konferenz »Arctic Frontiers« im Januar 2009 im norwegischen Tromsö (Spiegel, 26.01.09). Ungetrübt ist auch der Optimismus in Norwegen: „Zurzeit werden im Öl- und Energieministerium in Oslo Anträge von 46 Ölgesellschaften zu insgesamt 301 neuen Bohrprojekten untersucht. 129 davon befinden sich in der Barentssee zwischen dem norwegischen Festland und Spitzbergen.“ (NZZ, 22.01.08) (siehe Tabelle)

Die fünf größten
Öl- und Erdgasvorkommen
in der Arktis
Öl Gas Gesamt *
Millionen
Barrel
Milliarden
Kubikmeter
Millionen
Barrel
1 Westsibirisches Becken 3.660 18.448 132.572
2 Arktisches Alaska 29.961 6.269 72.766
3 Östliche Barentssee 7.406 8.992 61.755
4 Ostgrönländischer Graben 8.902 2.440 31.387
5 Jenisei-Chatanga-Becken 5.584 2.831 24.920
* Summe aus Öl- und Gasvorkommen.
Gas Volumina umgerechnet in energie-äquivalente Mengen Erdöl
(Quelle: USGS 2008)

Klimawandel und neue Technik

Dass bei der Rohstoffgewinnung die Arktis stärker ins Blickfeld rückt, hat zwei Voraussetzungen: den Klimawandel und neue wissenschaftlich-technische Entwicklungen.

Klimawandel

Die Eisgrenze zieht sich im Sommer immer weiter Richtung Pol zurück. Die minimale Eisausdehnung betrug 2008 nur noch etwa 4,3 Millionen Quadratkilometer. Das ist die zweitniedrigste Ausdehnung, die jemals beobachtet worden ist, nach 2007 mit etwa 3,9 Millionen. In den 1980er Jahren waren es noch sieben Millionen. In der Süddeutschen Zeitung (20.09.08) schreibt Georg Heygster, Akademischer Direktor am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen: „Wir haben im Sommer 2008 keine Eisfläche vorgefunden, die nur annähernd im Mittel der jahrelangen Messungen läge.“ Bereits 2007 hatten Messungen der Meereseisdicke des deutschen Forschungsschiffes »Polarstern« „eine deutliche Reduktion von etwa einem Meter ergeben“ (Bild der Wissenschaft, Juli 2008). In der Folge waren 2008 erstmals die Nordwest- und die Nordost-Passage rund um den Pol gleichzeitig schiffbar.

Nach Temperaturaufzeichnungen im nördlichsten ganzjährig bewohnten Ort der Welt, dem norwegischen Ny Alesund auf Spitzbergen, sind zwischen 2003 und 2006 die Temperaturen im Jahresmittel um 3,2 Grad gestiegen (Bild der Wissenschaft, Juli 2008). Und zahlreiche WissenschaftlerInnen befürchten, dass sich das arktische System in einem »selbstverstärkenden Erwärmungsprozess« befindet, der in den nächsten Jahren nicht zu bremsen ist. Der zunehmende Abschmelzungsprozess im Sommer führe dazu, dass weniger Sonnenstrahlen durch das Eis reflektiert und mehr durch das Wasser aufgenommen würden. Die erhöhte Wassertemperatur führe wiederum zu einer späteren Vereisung im Herbst. Die »American Geophysical Union« spricht davon, dass im November 2008 die Fläche mit neu gefrorenem Wintereis 680.000 Quadratkilometer kleiner war als im Durchschnitt der Jahre 1979 bis 2000. Der kanadische Klimaforscher David Barber kommt zu der Schlussfolgerung, dass man unter Umständen bereits 2015, 100 Jahre früher als bisher erwartet, mit einer eisfreien Arktis rechnen kann (TAZ, 19.12.08).

Der Geophysiker Wilfried Jokat vom Alfred-Wegner-Institut in Bremen weist in der Frankfurter Rundschau (26.05.08) auf weitere Faktoren hin, die zu einer Beschleunigung der Erwärmung führen können, wie z. B. die Freisetzung von Millionen Tonnen Methan bei einem Auftauen der Permafrostböden. „Das Gas ist 21 mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid. Werden diese Treibhausgase frei, wird sich der Klimawandel noch einmal beschleunigen.“ (WWF-PE vom 25.04.08)

Neue Techniken

Während in Kanada und den USA bisher noch weitere Erkundungsbohrungen vor der Arktisküste durch Gerichtsklagen verhindert werden, strebt Norwegen die führende Rolle bei der Erschließung arktischer Lagerstätten an. In Trondheim sitzt eine ganze Abteilung daran, „neue Techniken für die harsche Umgebung der Arktis zu entwerfen. Die Ingenieure erproben, wie man mit Schleppern Eisberge wegzerrt. Sie testen spezielle Lösungsmittel, die das Öl im eiskalten Wasser binden. Sie entwerfen Tankerrümpfe, die nicht vom Eis zermalmt werden. Im ersten produzierenden Gasfeld der Barentssee, Snöhvit genannt, hat (der norwegische Staatskonzern) StatoilHydro die gesamte Produktionsanlage auf den Meeresboden verlegt, ungestört können die Eisberge über eine solche Anlage hinwegdriften.“ (Spiegel, 15.09.08)

Auch Russland plant nach Angaben der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona Unterwasserbohrplattformen, die in 70 bis 400 m Tiefe auf dem Meeresboden verankert werden. Bellona sieht hier aber eine besondere Gefährdung der arktischen Umwelt, weil zur Energieversorgung dieser Stationen Reaktoren mit einer 100 MW Leistung zum Einsatz kommen sollen. Auch in anderen Bereichen setze Russland auf die Atomkraft: „Mithilfe schwimmender Atomkraftwerke, atomgetriebener Eisbrecher und Tanker sowie dem Einsatz nuklearer Unterwasser-Bohrschiffe“ sollen die besonderen klimatischen und geologischen Hindernisse der Arktis überwunden werden (TAZ, 21.11.08).

Die rechtlichen Bedingungen

Die Seerechtskonvention enthält die Regeln für die Grenzziehung im Meer. Sie legt zum Beispiel fest, ob und wann ein Staat seine Wirtschaftszone über die übliche 200-Meilen-Grenze (370,4 km) ausdehnen darf. Entscheidend ist dabei, wie weit der Festlandsockel in den Ozean reicht. (siehe Kasten, S.30)

Ob die Ansprüche eines Staates gerechtfertigt sind, entscheidet eine Kommission der Vereinten Nationen. Sollten sich die Gebietsforderungen mehrerer Staaten überlappen, so kennt die Seerechtskonvention kein Schiedsverfahren, die Regierungen müssen diese Konflikte untereinander lösen.

Konfliktfelder

Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Varianten zur Aufteilung der Arktis:

Die eine möchte das Gebiet wie einen Kuchen aufteilen, indem eine Linie von den Landesgrenzen zum Nordpol gezogen wird. „Dieses Verfahren ziehen die USA vor, weil es ihnen auf Kosten Dänemarks und Kanadas ein besonders großes Stück bescheren würde.“ (Tagesspiegel, 16.08.08)

Die andere Variante sieht eine Grenzziehung entlang der Mittellinie zwischen den jeweiligen Territorialgewässern vor.

Russland steht bei beiden Varianten etwa die Hälfte des Gebietes zu. Während Russen, Kanadier, Dänen (mit den Grönländern) und Norweger ihre geologisch untermauerten Gebietsansprüche einer UN-Kommission vorlegen wollen, haben sich die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit geweigert, die Seerechtskonvention zu ratifizieren. Mit der Deklaration von Ilulissat/Grönland 2008 sichern sie jedoch ihren arktischen Nachbarn diese Ratifizierung zu.

Doch es bleiben einige große Konfliktfelder:

Der Nordpol

Am 2. August 2007 setzten die Russen von der Tauchkapsel Mir-1 direkt unter dem geographischen Nordpol die russische Fahne aus. In den anderen Anrainerstaaten des Pols wurde das als aggressiver Akt gedeutet, es wurde als Bestätigung dafür gesehen, dass Russland Gebietsansprüche auf zwei Drittel der Arktis – inklusive des Nordpols – erhebt. Verstärkt wurden die Befürchtungen durch die Tatsache, dass das russische U-Boot auf seiner Fahrt auch Gesteinsproben aufnahm, die dazu dienen könnten, die Verbindung des Lomonossowrückens zum sibirischen Festland zu belegen. Da das Meer über diesem Unterwassergebirge sehr flach ist, könnte Russland dann tatsächlich nach der Seerechtskonvention Ansprüche auf den Nordpol erheben. Dagegen gibt es allerdings Stimmen, die davon ausgehen, dass der Lomonossowrücken in der Höhe der Ellesmere-Inseln auch mit Kanada verbunden ist; dann müsste die Seegrenze genau auf der Mitte des 1.800 km langem Unterseerückens gezogen werden. Dänemark wiederum hält dagegen, dass Unterwassergebirge grenze auch an Grönland.

Im Rahmen der Konferenz von Ilulissat/Grönland hat der russische Außenminister Lawrow versichert, dass Russland alle völkerrechtlichen Verträge über das arktische Meer weiterhin voll respektieren werde. „Die Positionierung der Flagge am Nordpol sei eher eine werbeträchtige Aktion gewesen, vergleichbar mit dem Aufstellen der amerikanischen Fahne auf dem Mond 1969.“ (FAZ, 29.05.08)

Die Hans-Insel

Kanada und Dänemark haben sich 1973 vertraglich auf den Grenzverlauf zwischen Grönland und der kanadischen Ellesmere-Insel geeinigt, nur die kleine unbewohnte Hans-Insel wurde ausgespart. Beiden Ländern geht es nicht so sehr um das trostlose Fleckchen Erde als vielmehr um die territorialen Ansprüche in der Naresstraße (vgl. Lambach, S.215).

Die Barentssee

Die Barentssee ist geologischen Studien entsprechend reich an Erdöl und Gasvorkommen. Sie liegt zwischen dem Nordkap und Spitzbergen (beide norwegisch) und den Inseln von Nowaja Semlja und Franz-Joseph-Land (beide russisch). Hier schwelt nicht nur der Streit um den völkerrechtlichen Sonderstatus von Spitzbergen, in der Barentssee sind auch die Grenzen zwischen beiden Staaten nur in Teilen festgelegt. Ein 155.000 Quadratkilometer großes Stück gilt als umstritten. Allein in diesem Gebiet werden die Erdöl und Gas-Vorkommen auf 12 Milliarden Barrel Öleinheiten geschätzt (Spiegel, 15.09.08 / Lambach, S.216).

Die Beaufortsee

Die Beaufort-See liegt vor dem US-amerikanischen Alaska und dem kanadischen Yukon-Territorium. Im August 2008 hat Kanada seinen größten Eisbrecher in dieses Gebiet entsandt. Bodenproben sollten seinen Anspruch auf Teile des Meeresbodens untermauern. Strittig ist „ein 6.250 Quadratkilometer großes Gebiet“, in dem riesige Gas- und Ölvorkommen liegen (Tagesspiegel, 16.08.08).

Die Nord-West-Passage

Die Nord-West-Passage ist das zweite Konfliktfeld zwischen Kanada und den USA. Von Asien nach Europa haben die Frachtschiffe bei Benutzung des Suezkanals zur Zeit rund 21.000 Kilometer zu bewältigen. Bei einer im Sommer dauerhaft eisfreien Nord-West-Passage verringert sich die Strecke um in Viertel auf rund 16.000 km und bei einer eisfreien Nord-Ost-Passage sogar um ein Drittel auf rund 14.000 km.

Kanada betrachtet den Wasserweg durch sein nördliches Inselarchipel als kanadisches Territorialgewässer, das auch kanadischem Recht unterliegt. Demgegenüber vertreten die USA die Position, es handele sich bei der Nord-West-Passage um eine internationale Meerenge, in der Kanada den internationalen Schiffsverkehr nicht behindern dürfe. Ähnlich argumentiert die Europäische Union.

Im August 2008 hat der kanadische Regierungschef angekündigt das kanadische Hoheitsgebiet im Polarmeer auf 200 Seemeilen – statt bisher 100 – zu erweitern. Kanada unterstreicht damit seinen Rechtsanspruch über die in dieser Zone verlaufende Nord-West-Passage. „Die fünf arktischen Länder haben zwar erst im Mai… feierlich versichert, es gebe keinen »Wettlauf zum Pol«, alle Gebietsstreitigkeiten ließen sich friedlich und nach internationalem Seerecht regeln. Die plötzliche Vergrößerung Kanadas aber zeigt, dass die Grenzen in der Arktis nach wie vor sehr flexibel sind, weil die internationalen Regeln genügend Raum für Interpretationen lassen.“ (SZ, 29.08.08)

Konfliktbearbeitung

Zur Unterstützung ihrer territorialen Ansprüche lassen die Arktis-Anrainer-Staaten von Zeit zu Zeit auch ihre (militärischen) Muskeln spielen:

Kanada schickte trotz dänischer Proteste Militär auf die Hans-Insel. Es stockt seine „arktischen Ranger-Truppen um 1.000 Mann auf, steckt über drei Milliarden Dollar in den Bau neuer eisgängiger Schiffe für die Küstenwache und baut für hundert Millionen Dollar einen neuen Marinehafen in Nanisivik.“ (Spiegel, 15.09.08)

Die USA bauen neue Eisbrecher für geschätzte 1,5 Milliarden Dollar und erhöhen die Ausgaben für die Küstenwache.

Auch Russland kündigt die Modernisierung seiner Eisbrecherflotte an. In der Barentssee führte es »angekündigte« Militärmanöver durch, die prompt von norwegischen Jagdbombern beobachtet wurden.

Selbst Dänemark übt den Militäreinsatz im Eis.

Doch trotz aller militärischer Aufrüstung, Manöver und Drohgebärden ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Anrainer am Verhandlungstisch über die Nutzung des Polarmeeres und ihre Claims einigen. Auf der Nordpolkonferenz in Ilulissat im Mai 2008 haben sich Dänemark (mit Grönland), Kanada, Russland, USA und Norwegen darauf verständigt, die Differenzen in der Arktis künftig unter UN-Regime friedlich zu lösen. Das ist zwar keine Garantie gegen militärische Abenteuer, aber alle „fünf wollen so bald wie möglich Rohstoffe fördern. Klare Grenzen sind eine Voraussetzung dafür, der Anreiz für eine Einigung ist somit stark“ (SZ, 27.05.08).

Derzeit bestimmt noch der Arktische Rat, dem die fünf Anrainer-Staaten sowie Island, Finnland und Schweden angehören, im Wesentlichen das Forschungsgeschehen und die Diskussion über Umweltfragen. Auf der Konferenz »Das Zeitalter der Arktis« im norwegischen Tromsö wurde im Januar 2009 dagegen stärker für eine neues arktisches Verwaltungssystem geworben, das auf der Basis der Internationalen Seerechts-Konvention arbeitet. Eine internationale Zusammenarbeit wurde als notwendig erachtet und die EU möchte mit ins Boot.

Als gutes Beispiel für Zusammenarbeit wird die Erschließung des gigantischen Shtokman-Gasfeldes in der russischen Arktis – rund 550 km von der Küste von Murmansk entfernt – angeführt. Aus diesem Gasfeld sollen über die Ostsee-Pipeline wesentliche Teile des europäischen Gasbedarfs gedeckt werden. „Der russische Konzern Gazprom hält 51 Prozent der Anteile, der Rest verteilt sich auf ausländische Partner.“ (NZZ, 22.01.09)

Die deutsche Industrie setzt offensichtlich mit staatlicher Unterstützung auch auf eine »profitable Kooperation« bei der Ausbeutung der Arktisressourcen. Die deutsche »Polarstern«, eines der modernsten und bestausgerüsteten Forschungsschiffe für die Polarregionen, hatte z.B. im Jahr 2008 russische Wissenschaftler an Bord, was der Stern (11. Sept. 2008) wie folgt wertet: „Die Russen könnten mit den (von der Polarstern gewonnenen) Daten ihre Ansprüche auf riesige Gebiete um den Lomonossow- und den Mendelejew-Rücken untermauern, während deutsche Firmen im Gegenzug Joint Ventures mit Gazprom eingehen.“ Der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent, Wintershall, besitzt bereits eine Partnerschaft mit diesem russischen Konzern, um ein 600-Milliarden-Kubikmeter-Feld im hohen Norden zu erschließen.

Ungelöste Umweltprobleme

Doch auch dann, wenn alle Streitigkeiten über noch nicht festgeschriebene Grenzen gelöst werden, wenn bei der Ausbeutung der Rohstoffe internationale Zusammenarbeit groß geschrieben werden sollte, gibt es neue große Gefahrenpotenziale bei der Energieausbeutung im Hohen Norden. Zunächst muss festgehalten werden, dass dort genau die Rohstoffe gefördert werden, die für den Klimawandel wesentlich mitverantwortlich sind. Förderung und Verbrauch beschleunigen also den Erwärmungsprozess, dessen weltweite Folgen nicht abzuschätzen sind. Außerdem nehmen mit zunehmender Öl- und Gasförderung sowie einem wachsenden Schiffsverkehr die Gefahren einer Umweltkatastrophe zu. Die Folgen des Tankerunglücks der Exxon-Valdez vor 20 Jahren vor der Südküste Alaskas sind z. B. bis heute spürbar. Der »Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council« stellt fest, dass auch nach zwanzig Jahren das „Öl in der Umwelt weiter fortbesteht und stellenweise nahezu ebenso toxisch ist wie in den ersten Wochen nach dem Unfall.“ Er geht davon aus, dass das Öl durch die Kälte nur mit einer Rate von null bis vier Prozent pro Jahr abgebaut wird. Somit könne es „Jahrzehnte und möglicherweise Jahrhunderte dauern, bis das Öl der Exxon Valdez vollständig verschwunden ist.“ (FR, 24.03.09)

Die TAZ (07.02.08) berichtet über eine Konferenz von AMAP (Arctic Monitoring and Assessment Programme): „Beiträge von ForscherInnen in Tromsö machten deutlich, dass nach ihrer Auffassung mehrere Öl- und Gasgewinnungsprojekte in Angriff genommen wurden, obwohl es bislang an grundlegender Forschung über deren mögliche Auswirkungen fehlt. So gebe es kaum belastbare Dokumentationen über die Folgen bisheriger Aktivitäten. Auch wisse man viel zu wenig über die möglichen kumulativen Konsequenzen aller neuen Projekte auf das arktische Ökosystem. Unerforscht seien auch die Folgen eines Ölaustritts in eisbedeckten Gewässern und wie dort eine Ölpest bekämpfte werden könnte.“ Im selben Artikel heißt es, die USA würden 60 Empfehlungen von WissenschaftlerInnen zurückhalten, die in ihrem Auftrag die Gefahren der Öl- und Gasgewinnung in der Polarzone untersucht hätten. Ein zusätzliches Gefahrenpotenzial käme hinzu, wenn die norwegische Umweltorganisation Bellona Recht hat und Russland zur Öl- und Gasausbeutung tatsächlich auf nukleare Techniken setzt.

Für die Antarktis existiert ein Moratorium, das jegliche Nutzung von Mineralien, Erdöl und Erdgas verbietet. Doch dieses Abkommen ist über 50 Jahre alt und es wurde sicher damals auch deshalb möglich, weil eine Förderung von Rohstoffen in den Polregionen nicht im Bereich des Möglichen lag. Ein internationales Abkommen, das dem Umweltschutz in der Arktis Rechnung trägt, ist angesichts abschmelzender Polkappen und neuer Technik heute viel schwerer zu erreichen, aber es ist notwendiger denn je.

Die Seerechtskonvention

Hoheitszonen

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ist im Wettstreit um die Arktis das maßgebliche Dokument. Es teilt die Meere in nationale und internationale Hoheitsgebiete. Mit 320 Artikeln ist sie sehr umfangreich. Sie trat 1994 in Kraft und wurde bisher von 155 Staaten ratifiziert. Als einzige große Industrienation haben die USA die Konvention bisher nicht ratifiziert.

Allgemeine Regel

Küstenstaaten haben ein Recht auf eine »ausschließliche Wirtschaftszone« von 200 Seemeilen. Dieses Hoheitsrecht erlaubt ihnen die alleinige Fischerei und die Ausbeutung der Bodenschätze.

Wichtige Ausnahme

Kann ein Staat nachweisen, dass sich der eigene Festlandsockel unter der Meeresoberfläche fortsetzt, können die Vereinten Nationen dem Land einen größeren Nutzungsbereich auf dem Meeresboden zugestehen. Die Konvention setzt als Grenze 350 Seemeilen. Diese kann aber weiter über dem Festlandsockel in das Meer hinaus verlagert werden bis zu einem Punkt, wo das Meer 2500 Meter tief ist und darüber hinaus noch 100 Seemeilen.

Zeitplan

Der Wettlauf um die Arktis ist aktuell auch deshalb so stark entbrannt, weil es Fristen für die Anmeldung von Ansprüchen gibt. Die Staaten müssen ihre Ansprüche zehn Jahre nach Ratifizierung angemeldet haben. Für die meisten Staaten ist das der Mai 2009 (die Staaten, die die Konvention vor 1999 ratifiziert haben, haben eine entsprechende Verlängerung erhalten). Kanada hat erst 2003 ratifiziert und entsprechend Zeit bis Ende 2013 und Dänemark sogar bis 2014.

Literatur

Lambach, Daniel: Die Arktisregion – Von Kooperation zu Konfrontation, in Friedensgutachten 2008, Lit-Verlag, Münster, S.207-218.

Oster, Lisa: Goldgräberstimmung in der Arktis, IMI-Analyse, 2008-017, Tübingen.

USGS 2008: http://certwapper.cr.usg.gov/rooms/we/index.jsp, abgerufen 10.02.09.

Winkelmann, Ingo (2007): Wem gehört die Arktis?, SWP-Studie.

Zitierte Zeitschriften:

Bild der Wissenschaft

Der Spiegel

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

Frankfurter Rundschau (FR)

Handelsblatt

Neue Zürcher Zeitung (NZZ)

Stern

Süddeutsche Zeitung (SZ)

Tagesspiegel

tageszeitung (TAZ)

Jürgen Nieth ist seit 1995 im Redaktionskollektiv von »Wissenschaft und Frieden«. Der Arktis gilt seit Jahren sein besonders Interesse und er gehörte zu den Westeuropäern, die 1989 als erste ins russische Barentsburg auf Spitzbergen einreisen konnten.

Ressourcenkonflikte in Afrika

Ressourcenkonflikte in Afrika

von Jürgen Oßenbrügge

Die Ressourcenabhängigkeit afrikanischer Staaten wird im entwicklungspolitischen Diskurs als Auslöser verschiedener wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme angesehen. Ressourcenprobleme entladen sich häufig auch in militanten Auseinandersetzungen, Bürgerkriegen und Dauerkonflikten mit internationaler Beteiligung. Dabei können sowohl Ressourcenverknappungen als auch die Ausbeutungsformen ressourcenreicher Regionen den Ausschlag geben.

Der immer wieder aufflammende Krieg im östlichen Kongo ist als afrikanischer Weltkrieg um Rohstoffe bezeichnet worden, das Nigerdelta ist ein Prototyp für Krieg um Öl, der Darfurkonflikt gilt als erster Klimakrieg, die Bezeichnung Blutdiamanten spricht für sich selbst. Es ist nahe liegend, das Krisen- und Konfliktgeschehen in Afrika als Ausgangspunkt für Überlegungen darüber zu wählen, in welchen Formen Ressourcen als Ausgangspunkt für konflikthafte Zuspitzungen und gewaltförmige Auseinandersetzungen anzusehen sind. Dieses soll hier in zwei Schritten erfolgen. Zunächst wird auf das Argument des »Ressourcenfluchs« eingegangen. Hierzu besteht eine breite Forschung, deren Ergebnisse am Beispiel der weltwirtschaftlichen Integration der Kriege im Kongobecken dargestellt werden. Danach werden Konflikttypen präsentiert, die auf Verknappungsphänomene zurückgeführt werden können. Hier werden Beispiele aus Kenia verwendet.

Der Ressourcenfluch als Konfliktursache

Die heutige Debatte über »schwache Staaten« beruht im afrikanischen Kontext häufig auf einem Faktorenkomplex, der mit der Bezeichnung »Ressourcenfluch« die scheinbar paradoxe Wirkung eines natürlichen Reichtums betont. Die Argumentationskette kann vereinfacht folgendermaßen zusammengefasst werden: Ressourcenreiche Staaten realisieren durch den Export des Rohöls oder der Mineralien hohe Renten. Diese werten die einheimische Währung auf, wodurch sich einerseits Exporte der weiterverarbeitenden Güter verteuern, andererseits Importe billiger werden. Beide Wirkungen befördern die monostrukturelle Abhängigkeit von Primärgütern und erhöhen die Anfälligkeit von Preisschwanken für Rohstoffe. Weiterhin etablieren sich Bereicherungsnetzwerke, die sich die Renten überproportional aneignen und entsprechende politische Macht ausüben. Diese Verteilungsmuster führen zu ausgeprägten gesellschaftlichen Polarisierungen und behindern die Ausbildung einer starken Staatlichkeit und damit Möglichkeiten, die partikulare Rentenaneignung zu unterbinden. Folglich sind ressourcenreiche Staaten in Afrika fragil und latent gewaltsamen Konflikten ausgesetzt (Kappel 1999, Auty 2004, Bulte u.a. 2005).

Politische Geographie des Ressourcenfluchs

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ressourcenreichtum politische Verwerfungen und gewaltsame Konflikte auslöst oder zumindest beschleunigt, wird durch weitere geographische Faktoren verstärkt. Eine interessante Typologie hat beispielsweise Le Billon (2004) vorgelegt, der zwischen der Art der Lagerstätten und regionalen geopolitischen Ausstattungsmerkmalen unterscheidet. In Hinblick auf Lagerstätten sieht er eine wesentliche Differenzierung, ob es sich um sogenannte »point resources« handelt, d.h. Lagerstätten, die von einem oder wenigen Standorten mit hohem Kapitalaufwand erschlossen werden müssen. Dieses ist beispielsweise bei der Mineralölförderung oder großen Erzlagerstätten der Fall. Solche Ressourcenextraktion kann staatlicherseits vergleichsweise leicht kontrolliert werden. Eine Übernahme durch gegnerische Parteien setzt die territoriale Kontrolle der Lagerstätten voraus und ist daher verbunden mit Bestrebungen zur Sezession, wie es beispielsweise in Nigeria, im Sudan oder in Angola mit unterschiedlichen Ergebnissen versucht worden ist. Die zweite Kategorie bilden die sogenannten »diffuse resources«, also Rohstoffe, die vergleichsweise großflächig verteilt sind und daher leicht extrahiert werden können. Dazu gehören hochwertige Mineralien, aber auch wertvolle Holzbestände oder der Anbau pflanzlicher Drogen. Um die Ausbeutung derartiger Ressourcenbestände haben sich besonders im Kongo, aber auch in westafrikanischen Konfliktgebieten lokale Kriegsökonomien entwickelt, in denen sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit ressourcenbezogenen Geschäftsinteressen vermischen. Besonders alluviale Fundorte für Gold und Diamanten, aber auch Coltan und Zinnstein sind häufig auch Standorte von lokalen und regionalen »Warlords« mit ihren Söldnern, die über schattenökonomische Netzwerke an die Weltwirtschaft angeschlossen sind und auf diese Weise ihr Kriegsgeschäft finanzieren.

Neben der Art der Lagerstätten ist auch die Frage entscheidend, ob der Staat sein Gewaltmonopol territorial durchsetzen kann. Im afrikanischen Kontext ist die innerstaatliche Geopolitik fragmentiert. Schwer zugängliche Gebiete, poröse Grenzen, aber auch große Distanzen, die Erreichbarkeitsbarrieren darstellen, geben den Raum für die Entfaltung gewaltbereiter Gruppen. Während die Förderstandorte von Öl noch vergleichsweise leicht zu kontrollieren sind, können beim Transport zu den Exportterminals wie in Nigeria Zugriffe erfolgen. Flüsse, Berge, Urwälder sowie die Möglichkeiten der Distanzüberwindung (Verkehrsinfrastruktur) bilden einen wesentlichen Faktorenkomplex, der erklären hilft, warum, wo und in welcher Intensität und Dauer Konflikte um die Extraktion und den Transport von Ressourcen auftreten.

Ressourcenfluch: Konflikte um Mineralien in der Demokratischen Republik Kongo

Ressourcenbezogene Konflikte haben in der DR Kongo eine lange und sehr gewalttätige Tradition. Diese begann mit der brutalen Ausbeutung der Rohstoffe durch den belgischen König Leopold II (v.a. Kautschuk und Elfenbein). Sie setzte sich im 20. Jahrhundert als belgische Staatskolonie und während der Unabhängigkeit Kongos (Zaire) in der Kleptokratie Mobutus fort. Internationale Verflechtungen der Rohstoffwirtschaft spielen auch in den jüngeren Konflikten eine Rolle, die im Zuge der Flüchtlingsbewegungen aus Ruanda und dem Aufstand gegen Mobutu Mitte der 90er Jahre ausgebrochen sind. Eine ergiebige Informationsquelle zur Aufdeckung dieser Bereicherungsnetzwerke jenseits gewalttätiger Warlords und lokaler Milizen stellt das »Panel of Experts on the illegal exploitation of the natural resources and other forms of wealth of the Democratic Republic of Congo« dar (Oßenbrügge 2007). Diese Expertengruppe ist von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 eingesetzt worden und hat bis Ende 2003 die weltwirtschaftlichen Beziehungen der Kriegsökonomien in Zentralafrika untersucht. Sie hat aufgezeigt, dass die Ausbeutung von Diamanten, Gold, Coltan, Zinnstein und Kupfer mit ihren gewalttätigen Begleiterscheinungen im hohen Maße außengesteuert erfolgt, was die Expertengruppe sehr anschaulich an der Produktions- und Wertekette von Coltan aus dem Ostkongo aufzeigt.

Die Coltanvorkommen im östlichen Kongo entsprechen nach der Einteilung von Le Billon dem Typ disperser, staatsferner Ressourcen und sind mit vergleichsweise einfachen Gerätschaften zu heben. Coltan erzielte Anfang 2000 Rekordpreise auf den internationalen Märkten. In dieser Zeit intensivierten sich die ressourcenbezogenen Auseinandersetzungen im östlichen Kongo und besonders Milizen mit Unterstützung aus Ruanda und Uganda begannen im großen Stil die Coltanlager zu plündern bzw. den Abbau zu organisieren. Ein wichtiger Indikator dafür sind die Exportzunahmen aus den Nachbarländern. Sie belegen, dass Coltan aus dem Kongo geschmuggelt und aus den Nachbarländern als legalisierter Rohstoff auf den Weltmarkt gebracht worden ist. Mit dem in Analogie zur Geldwäsche gefassten Begriff »Ressourcenwäsche« lässt sich dieser Zusammenhang beschreiben, denn der grenzüberschreitende Schmuggel und die geringe Kontrolle bzw. die Unterstützung staatlicher Stellen der Nachbarstaaten verleihen den Ressourcen eine Herkunft aus konfliktfreien Staaten und können daher – politisch korrekt – von internationalen Unternehmen weiterverarbeitet werden (vgl. Global Witness 2005; Human Rights Watch 2005).

Vor dem Hintergrund der transnationalen Akteurs- und Produktionsnetze, die Gewaltmärkte prägen, sind Kriegsökonomien als »gewaltsame Knoten in globalen Netzwerken« anzusehen. Denn nur über die »erfolgreiche« Integration der gewaltförmigen Extraktion von Ressourcen ist diese Form der Kriegsökonomie aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt, dass globale Vernetzungen auch Voraussetzungen für Gewaltmärkte sind, indem besonders Kleinwaffen und logistisches Material in die Krisengebiete geliefert werden. Wenn Ressourcen wie Coltan, Gold, Diamanten, Öl etc den Output der Gewaltmärkte bilden, sind Handfeuerwaffen, Landminen, Fahrzeuge und manchmal auch die Kombattanten notwendige Elemente des Input. Die verschlungenen Wege der Ausrüstungsgegenstände in die Konfliktregionen und der nichtformellen Ressourcen in die Weltwirtschaft und die dabei auftretenden Formen der Ressourcenwäsche sind bisher eher unterbelichtete Forschungsfragen. Einige Autoren wie z. B. Carolyn Nordstrom (2004) gehen in ihrer Interpretation afrikanischer Gewaltökonomien soweit, in diesen Netzwerkkonfigurationen ein strukturierendes Moment zukünftiger globaler Veränderungen zu sehen: „Man mag der Meinung sein, dass sich die Internationalisierung am stärksten in den kosmopolitischen Zentren dieser Welt manifestiert. Aber vielleicht sind Mozambique und Angola, Afrika und Asien die Orte, wo die neuen Machtkonstellationen, die die Welt prägen, am deutlichsten sichtbar sind“ (Nordstrom 2004:130f.).

Ressourcenverknappung als Konfliktursache

Neben der These des Ressourcenfluchs wird seit einigen Jahren auch das Argument der Ressourcenverknappung verfolgt. Dabei bilden zwei Überlegungen den Ausgangspunkt für Erklärungen von Ressourcenkriegen. Die erste knüpft an Erscheinungsformen des globalen Wandels an und leitet bestehende und zukünftige Ressourcenkonflikte aus der abnehmenden Verfügbarkeit von Süßwasser, zunehmender Bodendegradation und häufigerem Auftreten von Extremereignissen wie Dürre, Stürmen oder auch Starkregen mit Überschwemmungen ab. Die Forschungsergebnisse von Th. Homer Dixon und G. Baechler haben bereits in den 1990er Jahren auf Folgen derartiger Verknappungen aufmerksam gemacht, die zur gewaltsamen Aneignung verbliebener Ressourcen durch einzelne Gruppen, Clans oder Ethnien führen. Die Szenarien, die dem Klimawandel zugeschrieben werden, ergeben weitere Brennpunkte in Afrika, so beispielsweise in Nordafrika, in der Sahelzone, in flachen Küstenzonen des westlichen Afrikas und im südlichen Afrika mit der Ausweitung der Trockengebiete der Kalahari (WBGU 2007, Scheffran 2008). Das zweite Argument zielt auf das demographische Wachstum ab und verweist auf das Überschreiten der regionalen Tragfähigkeit, die sich in einem Kampf um landwirtschaftlich nutzbares Land, um energetische Rohstoffe oder um den Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln artikuliert. Allerdings ist der Begriff der Tragfähigkeit schwierig und sollte nicht als absolut bestimmbare Größe angesehen werden. Auslöser von Konflikten sind in der Regel umstrittene Verfügungs- und Eigentumsrechte um Wasserressourcen oder um Land. Unabhängig davon sind aus dem Zusammenspiel geo- und bioökologischer Veränderung und dem demographischen Wachstum erhebliche Folgeeffekte für afrikanische Gesellschaften zu erwarten, die das Potential für zukünftige auch gewaltsam ausgetragene Konflikte erhöhen.

Ressourcenverknappung: Konflikte um Land und Wasser in Kenia

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat in einer aktuellen Nachricht vom 2. Februar 2009 gemeldet, dass es im Nordosten Kenias zu zahlreichen gewalttätigen Konflikten besonders zwischen Viehzüchtern wegen der anhaltenden Trockenheit kommt. Die Auseinandersetzungen haben zu zahlreichen Toten, Vertriebenen und Flüchtlingen sowie zu Folgeproblemen der Nahrungsmittelversorgung und medizinischen Hilfe geführt. Derartige Konflikte sind leider nicht neu, sondern wiederkehrendes Moment der Dürregefahren in ariden und semiariden Regionen. Die regionale Vulnerabilität Kenias ist allerdings differenzierter und Möglichkeiten zur Identifizierung besonderer Problemräume lassen sich anschaulich am Vorgehen einer Arbeitsgruppe der Universität Mailand aufzeigen. Sie nutzen das Konfliktmodell von Thomas Homer Dixon (1999), das Konfliktkonstellationen auf drei Ursachen komplex zurückführt: a) Knappheiten durch zunehmende Nachfrage nach Ressourcen, die durch hohes Bevölkerungswachstum hervorgerufen werden; b) Angebotsverknappung durch Veränderungen der geo- und bioökologischen Systeme; c) gesellschaftliche Ungleichheit in Form von Einkommensdisparitäten und Verfügungsrechten.

Das gewählte Vorgehen zur Aufdeckung latenter Regionalkonflikte basiert auf der Integration raumbezogener Daten in einem Geographischen Informationssystem (GIS). Dadurch wird eine kartographische Zusammenschau verschiedener Einzelkarten ermöglicht, die Bodendegradation, Wasserpotential, Entwaldung, Bevölkerungsvariablen sowie Entwicklungsindikatoren abbilden. GIS-Anwendungen erlauben somit eine Annährung an mögliche Konfliktregionen unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenverknappung. Sicherlich ist der Ausbruch eines gewaltsamen Konflikts von weiteren Faktoren abhängig, die sich nicht einfach kartographisch lokalisieren lassen, aber als Werkzeug für die Benennung von Maßnahmen der Konfliktprävention und der Modellierung verschärfender Effekte des Klimawandels sind derartige Systeme hilfreich.

Konfliktursache Kenia: Potentielle Konfliktregion
  Mount Kenya Mount Elgon / Viktoriasee Mombasa Nordgebiete (östlich des Turkanasees Somalisch-äthiopischer Grenzsaum
Nachfrageinduzierte Knappheit
Bevökerungsdichte und -wachstum Hohe Dichte / starkerAnstieg Hohe Dichte / starker Anstieg Hohe Dichte in der Stadtregion Geringe Dichte Geringe Dichte
Angebotsinduzierte Knappheit
Böden Hohe / zunehmende Bodendegradation Hohe / zunehmende Bodendegradation Geringe Degradation Degradation durch Überweidung Degradation durch Überweidung
Wasser Folgeeffekte der Gletscherschmelze Knappheiten Knappheiten Wassermangel Wassermangel
Wald Massive Entwaldung Massive Entwaldung Nicht vorhanden Nicht vorhanden Nicht vorhanden
Ungleichheit
  Gebiete mit relativer Deprivation Sozialräumliche Ungleichheiten Gebiete mit relativer Deprivation Verbreitete Armut Sozialräumliche Ungleichheiten
Tabelle: Identifikation potentieller Ressourcenkonfliktregionen in Kenia nach Bocchi u.a. 2004

Die in der Tabelle aufgezeigten potentiellen Konfliktregionen Kenias verweisen auf drei mögliche Konflikttypen, die sich in Afrika als Folge von Ressourcenverknappungen ergeben können. Der erste Typ nimmt die eingangs geschilderten gegenwärtigen Gewaltformen auf, die in den Nordregionen Kenias und dem nordöstlichen Grenzsaum zu Somalia zu finden sind. Hier führen geo- und bioökologische Angebotsverknappungen zu Konflikten besonders um den Zugang zu Wasser und Weideflächen. Als Gewaltakteure können hier Gruppen mit gleichen ökologischen Raumansprüchen (Viehzüchter) und konfligierenden Landnutzungsinteressen (Viehzüchter gegen Ackerbauern) auftreten. Derartige Konflikte bilden auch einen wichtigen Hintergrund für den Krieg im Darfur und finden sich in unterschiedlichen Intensitätsstufen in den tropischen und subtropischen Trockenräumen, die durch Dürre- und Desertifikationserscheinungen geprägt sind.

Der zweite Typ veranschaulicht den demographisch-ökologischen Verknappungskonflikt, der durch Bevölkerungswachstum (Kombination aus natürlichem Bevölkerungswachstum und Zuwanderung) und die Überbeanspruchung bestehender ökologischer Potentiale hervorgerufen wird. Entscheidend ist hier der konkurrierende Zugang zur landwirtschaftlichen Nutzfläche, der Landkonflikte erzeugt. Neben den konfliktträchtigen, allerdings auch abnehmenden Möglichkeiten zur inneren Kolonisation, d.h. die Erweiterung agrarwirtschaftlicher Nutzfläche durch Rodung von Primärwälder, spielen auch Landrechte eine große Rolle, da sie über die Verteilungs- und Zugangsmodi entscheiden. In Kenia bestehen private, staatliche und diverse traditionelle Landrechte nebeneinander, auf die sich Akteure im Konfliktfall berufen und gewalttätige Aktionen legitimieren. Ähnliches gilt für unterschiedliche ethnisch oder territorial definierte Gemeinschaften, die angestammte Rechte zur Geltung bringen. Derartige demographisch-ökologische Konflikte finden sich nicht nur in Kenia am Berg Elgon, sondern im gesamten zentralafrikanischen Konfliktraum und auch im feuchttropischen Westafrika. In einer beeindruckenden Studie weisen André und Platteau (1998) nach, dass Zugang zu Land auch im Hintergrund des Genozids in Ruanda 1994 eine wichtige Rolle gespielt hat.

Urbane Räume stellen den dritten Typ potentieller Konfliktregionen dar, die von Ressourcenverknappungen massiv betroffen sein können und in denen als Folge massive gewaltförmige Auseinandersetzungen ausbrechen können. Mombasa steht hier stellvertretend für die Proteste und Revolten, die als Folge der Preiserhöhungen und Knappheiten in verschiedenen afrikanischen Städten aufgetreten sind. Sicherlich handelt es sich dabei um vermittelte Konflikte, die nicht linear auf umliegende Ökosysteme zurück bezogen werden können. Jedoch ist die Ressourcenlage für urbane Räume angesichts der rapiden Verstädterung in Afrika und der schnell anwachsenden und sich räumlich ausbreitenden Stadtregionen generell sehr prekär.

Fazit

Die Geschichte der Kolonisierung Afrikas, das Eindringen der Siedler und die koloniale Aufteilung im Zuge der Berliner Konferenz 1884/85 ist gleichzeitig eine Geschichte der Aneignung von Ressourcen durch externe Akteure und Mächte. Gewalttätige Beziehungen bei der Extraktion von Rohstoffen, der territorialen Kontrolle und dem Transport von Rohstoffen und harte Konflikte über die Aneignung und Verteilung der Renten gehören seit Jahrhunderten zur afrikanischen Alltagsrealität. Diese problematischen Strukturen haben sich in der postkolonialen Phase nahezu ungebrochen fortgesetzt und damit von Beginn an die Eliten in den nun formal unabhängigen Staaten kompromittiert und auf struktureller Ebene verhindert, dass sich Formen moderner Staatlichkeit ausbilden konnten. Gegenwärtig erfahren die Ressourcenbestände in Afrika durch das zunehmende Interesse der USA, Europas und neuerdings Chinas an Rohstoff- und Energiesicherung eine geopolitische Neubewertung (Kneissl 2008). Neue Verbindungen von Militär- und Entwicklungspolitik bilden sich aus und artikulieren sich beispielsweise in Forderungen nach robusten Eingriffsrechten von Blauhelmsoldaten, um illegale Ressourcenausbeutungen zu unterbinden oder in der Errichtung eines eigenständigen U.S. Kommandos AFRICOM, um die Präsenz der USA in Afrika zu erhöhen wie in verschiedenen Initiativen der EU, eine aktive Energiesicherheitspolitik zu etablieren. Neben der in diesem Beitrag in den Vordergrund gestellten lokalen und regionalen Ebene besteht demnach ein geopolitischer Diskurs, der auf die Interventionsbereitschaft der Welt- und Großmächte abzielt. Die militärische Option scheint für sie nach wie vor naheliegender zu sein als die Abkehr von ressourcenintensiven Entwicklungsstilen. Dieses steigert sich zu einem schwer erträglichen Zynismus, wenn der im Norden verursachte Klimawandel zur sicherheitspolitisch legitimierten Kontrolle der Ressourcenverknappung im Südens aufruft (vgl. dazu Beiträge im Friedensgutachten 2008, v.a. Brzoska).

Literatur

André, Catharine/Platteau, Jean (1998): Land relations under unbearable stress: Rwanda caught in the Malthusian trap. Journal of Economic Behavior and Organization 34 (1), 1-47.

Auty, Richard M. (2004) Natural Resources and Civil Strife: A Two-Stage Process. Geopolitics 9, 29-49.

Bocchi, Stefano/Disperati, Stefano/Rossi, Simone (2006): Environmental Security: A Geographic Information System Analysis Approach – The Case of Kenya. Environmental Management 37 (2), 186–199.

Brzoska, Michael (2008): Der konfliktträchtige Klimawandel – ein Sicherheitsproblem. Friedensgutachten 2008, 195-207

Bulte, Erwin H./Damania, Richard/Deacon, Robert T. (2005): Resource Intensity, Institutions and Development. World development 33 (7), 1029-1044.

Global Witness (2005): Same Old Story. A background study on natural resources in the Democratic Republic of Congo. Washington D.C.

Homer-Dixon, Thomas (1999): Environment, Scarcity, and Violence. Princeton, NJ.

Human Rights Watch (2005) The Curse of Gold. Democratic Republic of Congo. New York.

Le Billon, Phillip (2004): The Geopolitical Economy of Resource Wars. Geopolitics 9, 1-28.

Kappel, Robert (1999): Wirtschaftsperspektiven Afrikas zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Strukturfaktoren und Informalität. In: ders. (Hrsg.): Afrikas Wirtschaftsperspektiven. Strukturen, Reformen und Tendenzen. Hamburg.

Kneissl, Karin (2008): Die neue Kolonialisierung Afrikas: China, die USA und Europa im Kampf um die Rohstoffe. In: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.) Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen? Münster: LIT, S.177-191.

Nordstrom, Carolyn (2005): Leben mit dem Krieg. Menschen, Gewalt und Geschäfte jenseits der Front. Frankfurt.

Oßenbrügge, Jürgen (2007): Ressourcenkonflikte ohne Ende?. Zur Politischen Ökonomie afrikanischer Gewaltökonomien. Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 51, 150-162.

Scheffran, Jürgen (2008): Climate Change and Security. Bulletin of the Atomic Scientists 64, 19-25.

WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung – Globale Umweltveränderungen) (2007): Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel. Berlin.

Prof. Dr. Jürgen Oßenbrügge lehrt Wirtschaftsgeographie und Politische Ökologie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkten zur Stadt- und Konfliktforschung europäischer und afrikanischer Regionen.

Ressourcenkonflikte

Ressourcenkonflikte

von Matthias Basedau

Beispiele wie der Irakkrieg seit 2003 oder die Unruhen im ölreichen Niger-Delta in Nigeria legen nahe, dass gewaltsam ausgetragene Konflikte um wertvolle natürliche Ressourcen eine reale Gefahr sind. Der Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland Anfang 2009 führte zu einer weiteren Beunruhigung der Öffentlichkeit. Endliche, aber für viele Staaten unerlässliche Rohstoffvorkommen, ihre ungleiche Verteilung weltweit und die daraus erwachsenden Machtvorteile und ökonomischen Profitpotentiale lassen viele Beobachter verschärfte Konflikte um Ressourcen in der Zukunft befürchten.

Der Zusammenhang zwischen natürlichen Rohstoffen und Konflikten ist gleichwohl komplexer als dies in weiten Teilen der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Um sich der Komplexität anzunähren, wird der vorliegende Beitrag vor allem folgende Aspekte näher beleuchten: Zwischen welchen Akteuren können Ressourcenkonflikte ausbrechen? Welche Kausalmechanismen verbinden natürliche Rohstoffe und Gewaltkonflikte? Welche empirischen Befunde gibt es zur Rolle von Konflikten in Ressourcen und welche Kontextfaktoren müssen generell in Rechnung gestellt?

Welche Akteurskonstellationen von Ressourcenkonflikte gibt es?

Für Konstellationen von Ressourcenkonflikten ist zunächst sinnvoll zwischen Akteuren, zumeist Staaten bzw. Regierungen, zu unterscheiden, die Ressourcen besitzen und exportieren können, und solchen, die auf Importe angewiesen sind. Modellhaft lassen sich fünf Konfliktformationen unterscheiden.

Die erste Variante sind internationale Konflikte zwischen Ressourcenimporteuren, die um den Zugang zu Rohstoffen rivalisieren wie z.B. die VR China und die USA, die ein besonderes und wachsendes Interesse am wichtigen strategischen Rohstoffen wie Öl haben.

Internationale Konflikte zwischen Exporteuren und Importeuren von Rohstoffen könnten mit dem eingangs genannten Angriff der USA (und der »Koalition der Willigen«) auf den Irak 2003 illustriert werden, auch wenn hier die Rolle des Motivs Rohstoffsicherung im Vergleich zu anderen Beweggründen unklar ist. Theoretisch kann die Offensive aber auch von Exportländern ausgehen, die ihre Verfügung über strategische Rohstoffe und die daraus fließenden Erlöse nutzen. Das neu erwachte Selbstbewusstsein Russlands, die Petrodiplomatie Venezuelas und die iranische Resistenz gegen Außendruck sind von deren Status als Energiegroßmächte nicht zu trennen.

Internationale Konflikte zwischen Exporteuren von Rohstoffen können ausbrechen, wenn es Streitigkeiten um die Kontrolle von in Grenzgebieten liegenden Rohstoffvorkommen gibt oder die Ressourcen von Nachbarländern schlichtweg als Beute angesehen werden. Beispielsweise nutzte Saddam Hussein die Revolutionswirren im Iran 1980 und versuchte, dem Irak die ölreiche iranische Provinz Khuzestan einzuverleiben. Nach dem teuren Krieg gegen den Iran schien 1990 das benachbarte Kuwait ein lohnendes Opfer.

Für interne Konflikte in Exportländern – für Importländer sind Ressourcenkonflikte allenfalls indirekt – gibt es zahlreiche Beispiele mit beträchtlicher Gewaltbelastung, wozu z.B. Angola, die DR Kongo, Indonesien, Kolumbien, Nigeria, Sierra Leone und der Sudan zu zählen sind. Auch hier scheint es häufig um die Kontrolle der Ressourcen zu gehen oder die Rohstofferlöse tragen zur Verlängerung der Konflikte bei.

Daneben sind zusätzlich Konflikte mit Ressourcentransitländern (die zugleich entweder Export- oder Importländer sind) zu nennen, die an wichtigen Lieferrouten für begehrte Rohstoffe liegen (z.B. Anrainer an wichtigen Tankerrouten und Pipeline-Länder). Diese Länder können sowohl mit Export- als auch Importländern in Konflikt geraten. Ihre strategische Position kann sowohl Begehrlichkeiten von außen wecken und zu Interventionen führen als auch offensiv genutzt werden. Im angesprochenen Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland Anfang 2009, als Streitigkeiten um den von der Ukraine zu entrichtenden Gaspreis zur Einstellung der Exporte an zahlreiche europäische Importländer führten, waren sich beide Seiten bewusst, dass viele EU-Staaten von ihren Gaslieferungen abhängig sind und versuchten deshalb, sich gegenseitig als Schuldigen für den Exportstopp darzustellen.

Natürlich können in allen Konflikttypen, besonders innerhalb von Ländern, auch substaatliche Gruppen und transnationale Konzerne beteiligt sein, die in dieser modellhaften Darstellung nicht berücksichtigt wurden. Die tatsächlich auftretenden Konflikte sind in aller Regel Mischformen: Der häufigste Typus ist offenbar ein interner Konflikt mit einer mehr oder weniger direkten internationalen Komponente. Paradigmatisches Beispiel ist der Bürgerkrieg in der DR Kongo, in den insgesamt sieben Nachbarstaaten (u.a. Angola, Ruanda und Uganda) eingriffen. Genauere Angaben über die Häufigkeit von Konfliktformationen – oder der Existenz von Ressourcenkonflikten überhaupt – werden aber durch den Umstand erschwert, dass im Einzelfall nicht ohne weiteres nachgewiesen werden kann, ob der Konflikt tatsächlich ein Ressourcenkonflikt ist.

Ressourcenspezifische Variablen Nicht-ressourcenspezifische Variablen
Endogen
  • Ressourcenreichtum (v.a. pro Kopf)
  • Ressourcenabhängigkeit
  • Ressourcentyp(en)
  • Modi der Förderung
  • Streuung der Vorkommen im Inland
  • Revenue Management System (Generierung, Verteilung und Nutzung der Ressourcenerlöse)
  • Beziehungen von Identitätsgruppen (ethnisch, religiös)
  • Sozioökonomie (Potential und Dynamik)
  • Demographie (Migration, »youth bulge«)
  • Geographie (z.B. »rough terrain«)
  • Institutionenqualität (Legitimität und Effizienz)
  • Elitenverhalten (Integrität und Kompetenz)
Exogen
  • Streuung der Vorkommen (grenz-übergreifend, regional, global)
  • Internationale Nachfrage (Höhe, Dynamik, Importeure)
  • Außenpolitische Verwendung der Ressourcenerlöse
  • Governance des Ressourcensektors (Interessen von Staaten, Firmen, Organisationen, Regelungen durch Regime)
  • Verhältnis zu Anrainern, Regional- und Großmächten
  • Generelle Konfliktanfälligkeit und Gewaltprävalenz der Region (spill-over-Effekte)
  • Interdependenz des Landes
  • Internationale Regelungsdichte (regionale / ggf. internat. Organisationen)
Tabelle: Wichtige Kontextbedingungen in Ressourcenkonflikten

Warum kommt es zu Konflikten um Ressourcen?

Einen Gewaltkonflikt als Ressourcenkonflikt zu bezeichnen, erscheint dann als statthaft, wenn die Kontrolle von Rohstoffen bei mindestens einer Partei das Motiv der Gewaltanwendung ist oder die Verfügung über Rohstoffe oder deren Erlöse eine Konfliktpartei in die Lage versetzt, Krieg zu führen. Dabei ist stets auch zu unterscheiden, ob Rohstoffe den Konfliktbeginn beeinflussen oder zu dessen Dauerhaftigkeit beitragen. Eine indirekte Rolle spielen Rohstoffe, wenn Effekte der Rohstoffproduktion auf Institutionen oder Volkswirtschaft indirekt zu einer gewaltförmigen Entwicklung führen. In der Tat gibt es zahlreiche Varianten, auf welche Weise Ressourcen zu gewaltsamen Konflikten führen können (vgl. Humphreys 2005).

Direkte Mechanismen

Die oben genannten Konfliktformationen legen nahe, dass es vor allem der Kampf um die Kontrolle der Ressourcen bzw. ihrer (potentiellen) Erlöse ist, die gewaltsame Konflikte herbeiführt. Diese sind in mehreren Varianten möglich:

Verschiedene gesellschaftliche Akteure kämpfen um die Macht des Zentralstaates, da dessen Kontrolle mit dem Zugriff auf Ressourcen(erlöse) verbunden ist (»greed«). Als solche Beispiele gelten etwa Angola oder Sierra Leone.

Dies kann auch in einer externen Variante auftreten, wenn auswärtige Akteure zur militärischen Sicherung der Ressourcen im betreffenden Staat bereit sind (»greedy outsiders«). Externe Akteure können Konflikte auch verschärfen, ohne dass diese notwendigerweise direkte Konfliktparteien sind. In Kongo-Brazzaville führte 1997 die rivalisierende Unterstützung von Kriegsparteien durch Frankreich und die USA zu einer Verschärfung des Konflikts. Beide Konfliktparteien standen mit französischen bzw. US-amerikanischen Ölkonzernen in Verbindung.

Möglich ist auch, dass ressourcenreiche Regionen mit Waffengewalt Autonomie oder Sezession anstreben, weil sie ihre Ressourcenerlöse nicht mit dem Zentralstaat teilen wollen, sich in deren Verteilung übervorteilt sehen und/oder unter den ökologischen und sozioökonomischen Folgen leiden müssen, die mit der Produktion einhergehen. Typische Beispiele sind die Konflikte in Indonesien (Aceh), Angola (Cabinda) oder Nigeria (Biafra/Niger-Delta).

Der Handel mit Ressourcen ermöglicht die Aufstellung und den Unterhalt von Militärkräften oder Rebellengruppen, so dass Gewaltkonflikte als Folge des Ressourcenreichtums eher ausbrechen und vor allem länger anhalten. Ressourcen beeinflussen hier primär nicht die Motivation der Akteure, sondern die Möglichkeit oder Gelegenheit zur Gewaltanwendung. Beispiele sind die Dauer der Konflikte in Angola und der DR Kongo. Die Beobachtung solcher Effekte hat zur Entwicklung der Konzepte »Kriegsökonomie« oder »Gewaltmärkte« und der »Neuen Kriege« beigetragen. In einer pointierten Variante wird davon ausgegangen, dass Rebellionen lediglich ökonomische, quasi-kriminelle Motive haben und gar keine – oder nicht mehr – politischen Ziele verfolgen. Die Kriegssituation mag aufgrund fehlender staatlicher Kontrolle für Bereichung besonders günstig sein.

Zudem sind Stätten der Ressourcenproduktion, Personal und Transporteinrichtungen lohnende Ziele für gegnerische Parteien, da dadurch der ökonomische Nerv des Gegners getroffen werden kann. So haben im Niger seit Anfang 2007 Tuareg-Rebellen gezielt die Infrastruktur der Uranproduktion attackiert.

Indirekte Mechanismen

Die Kriegswahrscheinlichkeit kann auch durch eine Reihe von indirekten Effekten von Ressourcenreichtum oder -abhängigkeit erhöht werden, die vor allem aus wirtschaftlichen und institutionellen Effekten hervorgehen, die unter den Bezeichnungen »Ressourcenfluch« oder dem »Rentierstaat« bekannt geworden sind (vgl. Basedau/Lay i.E.).

Der plötzliche Reichtum, Preisschwankungen, vernachlässigte Entwicklung anderer Sektoren oder Verschwendung von Einnahmen für Prestigeobjekte führen zu wirtschaftlichen Problemen, die dann wiederum gewaltsame Konflikte wahrscheinlich machen (z.B. »Dutch Disease«).

Einnahmen aus Rohstoffen sind überdies besonders anfällig für Korruption, die dann zu wirtschaftlichem Niedergang oder Unzufriedenheit führt. Außerdem wird der Staat insgesamt geschwächt, weil eine ordentliche Staatsbürokratie, etwa zur Erhebung von Steuern, nicht notwendig erscheint, so dass die fehlenden Leistungen des Staates wiederum die Kriegswahrscheinlichkeit erhöhen (»rentier state«; »weak state«).

Des Weiteren bedeutet die Dominanz einer Ressource in der Ökonomie eine einseitige Einbindung in die Weltwirtschaft und von Kontakten in die Außenwelt allgemein (»sparse networks«). Ein dichtes Netz von Außenbeziehungen wurde aber empirisch als ein Faktor identifiziert, weshalb Länder Konflikte untereinander und innerhalb eines Landes vermeiden können.

Ressourcen für den Frieden?

Die öffentliche Wahrnehmung fokussiert vor allem auf den Zusammenhang von Rohstoffen und Gewaltkonflikten. Dadurch gerät etwas in den Hintergrund, dass Rohstoffe auch für den Frieden genutzt werden können, besonders wenn – wie in einigen Emiraten im Persischen Golf – die Einnahmen im Überfluss fließen: Innenpolitisch können hohe Erlöse aus dem Ressourcengeschäft durch die gezielte Kooptierung von Oppositionellen, eine großzügige Verteilungspolitik oder durch den Aufbau eines effektiven Sicherheitsapparats zur Friedenssicherung genutzt werden (Le Billon 2003).

Internationale Gewaltkonflikte sind möglicherweise auch deshalb selten, weil grundsätzlich nicht nur die Importeure, sondern auch die Exporteure Interesse daran haben, dass ein friedlicher Handel zustande kommt. Nicht wenige Wissenschaftler befürworten deshalb auch eine wechselseitige Abhängigkeit, wobei der Kooperationsanreiz nicht zuletzt durch »Friedenspipelines« gestärkt werden kann. Ölreiche Staaten genießen sehr häufig auch besonderen Schutz von außen. Regierungen, welche ihre Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft zur Aufrüstung nutzen, mögen zudem eher vor Angriffen von außen (und innen) geschützt sein. Dieser »negative Friede« durch Ressourcen hat freilich auch eine dunkle Seite, da es häufig autoritäre Regierungen sind, die mittels Ressourcen bzw. gewaltsamer Repression stabilisiert werden, wobei die dabei eigentlich fehlende Legitimation der Regime langfristig Konflikte verursachen könnte.

Empirische Befunde und Kontextbedingungen

Jenseits anekdotischer Evidenz von Einzelfällen und theoretischer Möglichkeit gibt es eine umfangreiche quantitative Literatur zum Zusammenhang von Ressourcen und Gewaltkonflikten, auch wenn diese sich vor allem auf Bürgerkriege konzentriert – über internationale Ressourcenkonflikte gibt es kaum quantitative Ergebnisse. Als besonders einflussreich erwies sich die Studie von Collier und Hoeffler (zuletzt 2004) zu »greed and grievance«. Demnach führt die Abhängigkeit von Primärgütern zu einer erhöhten Bürgerkriegswahrscheinlichkeit, was Collier und Hoeffler vor allem durch gewaltökonomische Gelegenheit (»greed«) erklären. Dieser Zusammenhang wurde von nachfolgenden Studien jedoch nicht bestätigt (Ross 2004). So fanden die befürchteten Wasserkriege bislang kaum statt (Wolf 2002). Als noch relativ robuste Ergebnisse gelten, dass Erdöl produzierende Länder – jedenfalls als Gruppe – weltweit ein erhöhtes Risiko für Bürgerkriege haben (Ross 2004; 2006). Diamanten exportierende Länder sind nicht von einem erhöhten Bürgerkriegsrisiko betroffen, laufen aber Gefahr, dass Konflikte länger andauern, wenn sie erst einmal ausgebrochen sind. In jedem Fall lässt sich festhalten: Zahlreiche Ausnahmen beweisen, dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Rohstoffvorkommen oder -förderung und dem Ausbruch von (Bürger)Kriegen gibt. Selbst die genannten Kausalmechanismen zeigen ja nur auf, dass es zu Konflikten zwischen Akteuren kommen kann, nicht aber dass diese notwendigerweise gewaltsam ausgetragen werden. Es handelt sich allenfalls um eine erhöhte Wahrscheinlichkeit und dies bedeutet zwingend, dass andere Faktoren eine Rolle spielen müssen.

Welche Kontextbedingungen sind dies? Prinzipiell ist eine Vielzahl möglicher Bedingungen in Rechnung zu stellen, die sinnvoll nach ressourcenspezifischen, und nicht-ressourcenspezifischen Bedingungen einerseits und internen bzw. externen Faktoren andererseits unterschieden werden können (vgl. Abb. 1). Bei den nicht-ressourcenspezifischen Variablen handelt es sich um alle Bedingungen, die zu Gewaltkonflikten beitragen können (oder nicht) und die nicht direkt in Verbindung mit der Ressourcenproduktion stehen. Dazu gehören etwa die Beziehungen zwischen Identitätsgruppen (z.B. ethnische oder religiöse Gruppen), das Niveau und die Dynamik der sozioökonomischen Entwicklung sowie die Qualität von Institutionen wie der staatlichen Bürokratie, dem Sicherheitssektor oder dem politische System im Allgemeinen. Erwähnt werden sollte ferner das Verhalten von politischen Eliten. Nicht zuletzt sind externe Bedingungen wie die Interessen von auswärtigen Mächten oder die Konfliktanfälligkeit der Region zu berücksichtigen.

Diese Bedingungen sind insbesondere wichtig vor dem Beginn der Rohstoffproduktion bzw. bevor Rohstoffvorkommen entdeckt wurden. Einerseits können stabile Institutionen, unproblematische Beziehungen zwischen Identitätsgruppen, ein erhöhter Wohlstand, verantwortliche und integre Eliten sowie ein günstiges internationales Umfeld ein Land vor negativen Entwicklungen bewahren wie das Beispiel Norwegen belegt. Andererseits können sich diese nicht-ressourcenspezifischen Bedingungen durch die Entdeckung von Vorkommen oder den Beginn der Produktion negativ verändern, insbesondere was die Institutionenqualität, das Elitenverhalten und die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung angeht. Bei den indirekten Effekten von Rohstoffproduktion auf die Gewaltwahrscheinlichkeit wurde bereits auf diese möglichen Zusammenhänge hingewiesen. Das Bild sei gestattet: Einen labilen Charakter könnte ein Lottogewinn aus der Bahn werfen, einen etwas stabilerer Charakter aber weniger.

Ob die skizzierten direkten oder indirekten Effekte auftreten, hängt aber nicht zuletzt von den ressourcenspezifischen Bedingungen ab: In den meisten Studien wird relativ unreflektiert von Ressourcenreichtum gesprochen. Zumeist wird dies aber anhand des Anteils der Exporterlöse am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Dies ist aber ein Maß für Abhängigkeit. Setzt man hingegen die Höhe der Erlöse in Beziehung zur Bevölkerungsgröße (oder ggf. zum Anteil der weltweiten Vorkommen), so zeigen sich große Unterschiede. Nigeria und Saudi-Arabien sind etwa gleichermaßen von Erdölexporten abhängig, aber ein Nigerianer würde pro Jahr pro Kopf etwa $ 150 erhalten, während dieser Wert in Saudi-Arabien etwa das 40fache betrüge. Und wie es scheint sind Länder mit hohen Pro-Kopf-Einkommen aus Ressourcen besonders selten von Bürgerkriegen betroffen (Basedau/Lay i.E.). Einbrüche bei den Einnahmen können wie in Algerien in den 1980er Jahren gesellschaftliche Spannungen verschärfen,

Die Auswirkungen von Ressourcenproduktion hängen zudem davon ab, wer die Einnahmen erhält und wie sie anschließend verwendet werden. Häufig werden diese für Prestigeprojekte verschwendet oder verschwinden in den Taschen der transnationalen Konzerne und Eliten. Als klassisches Beispiel gilt Angola, wo nach Untersuchungen von »Global Witness« etwa US$ 4 Mrd. auf Privatkonten der Regierung verschwunden sein sollen. Beispiele wie Botswana oder Chile zeigen, dass Rohstofferlöse aber auch in Infrastruktur und die Bildung investiert oder für die Zukunft zurückgelegt werden können.

Des Weiteren hängt die Gewaltwahrscheinlichkeit auch vom Rohstofftyp ab. Strategisch wichtige, lukrative und weltweit überdies knappe (und knapper werdende) Rohstoffe wie Erdöl erhöhen eher die Gewaltwahrscheinlichkeit als landwirtschaftliche Güter oder auch Diamanten, bei denen »nur« die Dauer der Konflikte verlängert wird. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Modi der Förderung interessant. Zur Aufstellung von Rebellengruppen sind alluviale Diamanten (die z.B. in Flussbetten vorkommen), Tropenholz oder Drogen weitaus besser geeignet als Diamanten, die aufwändig mit Bergbau gewonnen werden müssen. Dies erklärt teilweise, warum Sierra Leone (alluviale Diamantenvorkommen) oder Kolumbien (Drogen) von jahrelanger Gewalt erschüttert wurden, während Botswana (deep shaft Diamanten) seit seiner Unabhängigkeit ein bemerkenswert friedliches Land ist.

Sezessions- oder Autonomiekonflikte hängen vor allem von der Streuung der Vorkommen im Inland ab. Wenn – wie in den genannten Beispielen Angola, Indonesien oder Nigeria – die Rohstoffvorkommen in einer Region konzentriert sind und – wie oben skizziert – die Region überdies schlechte Beziehungen zum Zentralstaat unterhält und sich in der Verteilung übervorteilt fühlt, dann ist eine besonders problematische Mischung gegeben.

Die internationale Streuung der Vorkommen ist gegebenenfalls geeignet, internationale Konflikte auszulösen, und dies ist global insbesondere für die Schlüsselressourcen Erdöl und Erdgas der Fall, die vorwiegend in der »Strategischen Ellipse« (Kaukasus, Mittlerer Osten, Afrika) vorkommen, aber hauptsächlich von westlichen Industriestaaten verbraucht werden.

Die Liste der relevanten ressourcenspezifischen Kontextbedingungen lässt sich fortsetzen: Ressourceneinnahmen lassen sich auch für aggressive oder offensive außenpolitische Ziele verwenden wie Iran, Venezuela und – in der Vergangenheit – Libyen belegen. Wer die Rohstoffe nachfragt bzw. von deren Import abhängig ist und wie sich die Preise entwickeln, ist natürlich ebenso relevant. Staaten wie die USA haben in der Vergangenheit Putsche unterstützt (Iran 1953) oder direkt in ölreichen Ländern interveniert. Dass der Sudan vor Sanktionen wegen der Gräueltaten in Darfur relativ sicher sein kann, liegt auch daran, dass die Sicherheitsratmitglieder China und Russland an Ölimporten bzw. Waffenexporten interessiert sind.

Schließlich sei auf Regelungen im jeweiligen Ressourcensektor hingewiesen, die sich nach Ressourcentyp stark unterscheiden können. Im Bereich der Konfliktprävention ist man hier im Bereich von Diamanten wahrscheinlich am weitesten. Das Kimberley Process Certification Scheme (KPCS) sieht vor, dass für alle Diamanten nachgewiesen werden muss, dass diese nicht aus Konfliktregionen stammen.

Die große Anzahl der zu berücksichtigenden Kontextfaktoren führt eindrücklich die Komplexität des Sachverhalts vor Augen, besonders wenn man die gegenseitige Beeinflussung der genannten Bedingungen bedenkt. Solche Befunde schmecken in der Regel besonders Praktikern aus Politik und Entwicklungszusammenarbeit nicht, deren Wunsch nach einfachen und handhabbaren Lösungen angesichts eines gewaltigen Problemdrucks allzu verständlich ist. Die Betonung von Kontextbedingungen ist aber tatsächlich eher Chance als Problem. Denn der »Ressourcenfluch« ist nicht unvermeidlich und es sind gerade die Kontextbedingungen, an denen sinnvolle Präventions- und Konfliktlösungsstrategien ansetzen können. Die Kenntnis der Kontextbedingungen und deren Zusammenspiel – gerade im Einzelfall – ist die Voraussetzung der Entwicklung von solchen Strategien. Die Voraussetzung einer Erfolg versprechenden Therapie ist eine genaue Diagnose.

Literatur

Basedau, Matthias/Lay, Jann (2009): Resource Curse or Rentier Peace? The Ambiguous Effects of Oil Wealth and Oil Dependence on Violent Conflict, Journal of Peace Research 46 (i.E.).

Collier, Paul/Hoeffler, Anke (2004): Greed and Grievance in Civil War, Oxford Economic Papers 56 (4): 563-595.

Humphreys, Macartan (2005): Natural Resources, Conflict and Conflict Resolution, Journal of Conflict Resolution 49 (4): 508-537.

Le Billon, Phillippe (2003): Fuelling War: Natural Resources and Armed Conflicts, Adelphi Paper 357.

Ross, Michael L. (2004): What Do We Know about Natural Resources and Civil War?, Journal of Peace Research 41 (3): 337-356.

Ross, Michael L. (2006): A Closer Look at Oil, Diamonds, and Civil War, Annual Review of Political Science 9: 265-300.

Wolf, Aaron (Hg.) (2002): Conflict Prevention and Resolution in Water Systems, Cheltenham.

Dr. Matthias Basedau arbeitet seit 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Afrika-Kunde und ist seit 2005 Forschungsschwerpunktleiter »Gewalt, Macht und Sicherheit« am German Institut of Global and Area Studies.

Ressourcen, Risiken, Konflikte

Ressourcen, Risiken, Konflikte

von Jürgen Scheffran

Russland wolle das Rennen um die aktischen Ressourcen gewinnen, meldete die britische Zeitung Times am 28. März 2009. Einer neuen nationalen Sicherheitsstrategie zufolge werde die Einrichtung militärischer Basen entlang Russlands nördlicher Küste geplant sowie die Schaffung eines Aufklärungsnetzwerks zur Kontrolle ökonomischer, militärischer und ökologischer Aktivitäten. Unter westlichen Sicherheitsexperten werden russische Bestrebungen in der Arktis mit Argwohn verfolgt. Nach einer internen norwegischen Studie von 2007 könne der Kampf um Energie und andere Ressourcen in der Arktis zu Konflikten mit Russland führen. Dabei geht es um Milliarden von Tonnen an Öl- und Gasreserven, die durch das Abschmelzen des Polareises zugänglich werden.

Dass vitale Ressourcen im militärischen Denken eine wichtige Rolle spielen, ist bekannt. In der Geschichte gibt es genügend Beispiele für Kriege um natürliche Ressourcen, oft genug, weil diese für das Führen von Kriegen gebraucht wurden. Die Problemlage spitzt sich heute durch eine nicht-nachhaltige Ausbeutung der Ressourcen zu: immer mehr Menschen beanspruchen einen kleiner werdenden Ressourcenpool. Eine abnehmende Verfügbarkeit von Trinkwasser, die Degradation von Böden und Nahrungsmitteln, häufigere Wetterextreme wie Dürren, Stürme oder Überschwemmungen zwingen Millionen von Menschen zur Flucht und können bestehende Konflikte verstärken.

In welchem Maße Umweltveränderungen zu Konflikten führen, ist umstritten. Ein einfacher Zusammenhang zwischen Umweltdegradation und Krieg konnte nicht belegt werden, in einigen Fällen war das Gegenteil der Fall: mehr Kooperation (etwa bei Vereinbarungen zur gemeinsamen Wassernutzung). Die Verknüpfungen sind komplex und multikausal. Bei wertvollen Ressourcen kann es zu Steitigkeiten kommen, wer wieviel von einer Ressource erhält. Dabei kann Waffengewalt den Zugang und die Verteilung von Ressourcen beeinflussen. Umgekehrt sind Ressourcen eine Voraussetzung zum Aufbau militärischer Kapazitäten und können die Rüstungsdynamik anheizen. Eine falsche Ressourcennutzung kann neue Risiken erzeugen (Beispiel Klimawandel), und die Ressourcenproduktion kann selbst Ziel militärischer Aktionen sein (z.B. Staudämme oder Kernkraftwerke).

Ob eher der Mangel oder der Reichtum an Ressourcen Konflikte befördert, hängt von verschiedenen Kontextbedingungen ab. Hierzu gehören die Lage und der Transport der Ressourcen ebenso wie die Interessen, Finanzmittel, Macht- und Gewaltinstrumente von Akteuren. Entscheidend ist wie betroffene Menschen reagieren, wie fragil bzw. stabil Gesellschaften sind und ob Institutionen eine Problemlösung unterstützen. Während die theoretischen Fragen noch unzureichend verstanden sind, stellen Ressourcen und Umweltveränderungen in vielen Regionen einen wichtigen Konfliktfaktor dar. Beispiele sind Öl im Nigerdelta, Erdgas zwischen der Ukraine und Russland, Wasser in Nahost, Landnutzung in Darfur, Diamanten im südlichen Afrika, Rohstoffe im Kongo, Dürre in Kenia, Bergbau in Ecuador oder Überfischung am Horn von Afrika.

Meist sind nicht-staatliche Akteure beteiligt, in einzelnen Fällen (Kongokrieg) sind mehrere Nachbarstaaten involviert. Die Entwicklung von Kriegsökonomien schafft die Voraussetzung für neue »totale Kriege«. Die Konkurrenz um knappe Ressourcen beeinflusst zunehmend das Verhältnis zwischen Regionalmächten, etwa zwischen Indien und Pakistan oder zwischen Indien und China. Auch im Verhältnis der Industrieländer untereinander kann es zu Spannungen kommen, wie das eingangs erwähnte Beispiel der Ressourcenkonkurrenz in der Arktis zeigt.

Der globale Klimawandel verschärft mit der Ressourcennutzung verbundene Risiken und Konflikte noch – eine Einschätzung, die sich zunehmend in Analysen und Stellungnahmen von Politikern, Militärs und Sicherheitsexperten findet. Da eine globale Temperaturerhöhung viele natürlichen Systeme unter Stress setzt, verringert sich ihre Tragfähigkeit und Ressourcenproduktivität, wodurch menschliche Bedürfnisse nach Wasser, Nahrung und Gütern in Brennpunkten (Hot Spots) nicht mehr zu sichern sind. Der Multiplikatoreffekt der globalen Erwärmung kann zu einer Kaskade katastrophaler Risiken führen, die die gesellschaftliche Stabilität ganzer Regionen gefährdet. Darauf zu hoffen, dass das Militär als Katastrophenmanager einspringen und die Risiken eingrenzen könnte, dürfte sich als Trugschluss erweisen.

Was kann getan werden, um den Teufelskreis zwischen Ressourcen, Risiken und Rüstungsdynamik zu durchbrechen? Eine nachhaltige und gerechte Nutzung, die die Ressourceneffizienz optimiert, Risiken minimiert und allen Menschen eine lebenswerte Existenz erlaubt, wäre ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung. Der Aufbau nationaler und internationaler Institutionen und Regime ist wesentlich, um Konflikte vorbeugend zu bewältigen, Risiken zu managen und kooperative Lösungen der Probleme zu finden.

Jürgen Scheffran

Vom Energiepoker zum Ressourcenkrieg?

Vom Energiepoker zum Ressourcenkrieg?

Das Ende der NATO am Ende des fossilen Energiezeitalters?

von Thomas Roithner

Die NATO ist im Irak, in Afghanistan und im Sudan stationiert oder patrouilliert im Mittelmeer und am Horn von Afrika, um dort u.a. den Fluss von Rohstoffen in den Westen zu kontrollieren. Die USA operieren im Kampf um Rohstoffe spürbar direkter und auch die »friedensmächtige« EU handelt deutlich und spricht Klartext. Trotz der militärischen Auslandseinsätze ist die NATO betreffend Energiesicherung nicht zum zentralen Bindeglied zwischen den USA und der EU geworden. Warum ist das westliche Militärbündnis so zögerlich?

Die Debatte um Energie und Ressourcen hat in den letzten Jahren die internationale Politik in wichtigen Punkten bestimmt. Der steigende Verbrauch von Öl und Gas führt – gepaart mit sinkenden Förderquoten in den USA und der EU – zu einer Importabhängigkeit von fossilen Energieträgern aus politisch instabileren Regionen. Die USA unter George W. Bush setzten auf konfrontative »hard power« und die EU versucht mit »soft power« zum gleichen Ziel zu kommen: langfristige Kontrakte und Koalitionen zur Sicherung der fossilen Energiereserven viele Jahre über den »peak oil« hinaus. Die Russische Föderation, Saudi Arabien, Iran oder Venezuela als Energielieferanten und China als künftige energiedürstende Weltwirtschaftsmacht Nummer 1 werden gemäß ihrer Rolle wahlweise auf die Liste der »Schurkenstaaten« oder jener der »strategischen Partner« gesetzt. Die zum Teil instabilen Ölförderregionen werden durch westliche Interventionspolitik politisch nicht stabiler.

US-Interessen

Das im Frühjahr 2001 von der National Energy Policy Group in den USA vorgelegte Konzept über die Energiesicherung der nächsten 25 Jahre – auch als »Cheney-Report« bekannt – steht mit der Nationalen Sicherheitsdoktrin (NSS) der USA im engen Zusammenhang. Der Anteil des importierten Öls werde demnach im Jahr 2020 von 52% auf 66% ansteigen. Für die USA ging es 1993 nach Bill Clinton u.a. um „die Sicherung uneingeschränkten Zugangs zu Schlüsselmärkten, Energievorräten und strategischen Ressourcen“. Doch schon 1980 tönte der heute als »Taube« gehandelte US-Präsident Jimmy Carter: „Jeder Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet und (…) mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer zurückgeschlagen werden“ (zit. nach Nassauer 2007). Die »Mission Accomplished« im Irak wirft heute Fragen für die gesamte Region auf: „Zentralasien ist in eine Art ‚Pipelineistan’ im Rahmen der US-amerikanischen Petrostrategie verwandelt worden, ebenso wie die Kaukasus-Region westlich des Kaspischen Meeres“, so Elmar Altvater (2006: 76).

Vor dem Hintergrund des steigenden Energiebedarfs hat auch Afrika für die USA wieder geostrategische Bedeutung erlangt und es wurde ein eigenes Afrika-Kommando (AFRICOM) eingerichtet (Ruf 2008). Die US-Militärpräsenz in Afrika nimmt zu. Afrika verfügt über rund 10% der globalen Öl- und 8% der Gasvorräte, wobei große bislang unentdeckte Lagerstätten vermutet werden (Wagner 2007: 2 f.). Diesen Wunsch nach dem Zugriff auf afrikanisches Öl teilt die US-Administration mit Brüssel – EU-PolitikerInnen sprechen von einer Diversifizierung – und Peking.

Die Interessen der EU

Nationale Armeen der EU-Staaten haben den Zugang zu Rohstoffen längst zur militärischen Aufgabe erklärt. Schon 1992 hieß es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr, es gehe u.a. um die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung“ (Kapitel II, Punkt 8. 8). Das 2006 erschienene Weißbuch befürchtet „Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie“ (BMVG 2006: 22). Deutschland ist diesbezüglich innerhalb der EU kein Einzelfall.

Für wesentliche Teile der politischen und militärischen Eliten des neutralen Österreich ist die Schaffung deckungsgleicher Interessen mit Berlin und Brüssel ein zentrales Element der Außenpolitik geworden. In der österreichischen Sicherheitsdoktrin (2001) erklärt man die „Sicherstellung lebensnotwendiger Ressourcen“ als eine der wichtigen politisch-strategischen Zielsetzungen. Der mittlerweile aus seinem Amt entfernte Erich Reiter ging ein Stück weiter: „Für Österreich ist die Teilnahme an EU-Einsätzen mit großem Nutzen verbunden (…) Als wesentliche Zielsetzung der europäischen Sicherheitspolitik nennt Prof. DDr. Erich Reiter, Beauftragter für Strategische Studien des BMLV: (…) Kooperation mit den USA und mit Japan zum globalen Management von Konflikten und zwecks Zugang zu strategischen Rohstoffen, der Aufrechterhaltung des freien Handels und der Schiffahrt“ (BMLV 2001). Die Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr lassen grüßen.

In der Öffentlichkeit der EU-Staaten hat man durch die 2006 ausgelöste Debatte um die Energiesicherheit den Versuch gemacht, Rohstoffinterventionismus unterschiedlichster Intensität – und hier sei nicht nur an militärische Aspekte gedacht – in die Diskussion zu bringen, um ihn als offizielle Doktrin festzuschreiben. Flankiert von Teilen der nationalen politischen und militärischen Eliten hat die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS 2003) den ersten offiziellen Schritt in diese Richtung bereits unternommen. Die Energieabhängigkeit ist darin ein „Anlass zur Besorgnis“. Der Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik rief zum „gemeinsamen Handeln“ auf und legte dar: „Schließlich müssen wir unser Engagement im Nahen Osten ausbauen. Dieser wird auf Jahre die Hauptquelle für Europas Energie bleiben“ (zit. nach Financial Times Deutschland, 09.03.2006). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn der deutsche Energiestaatssekretär Joachim Wuermeling am 22. September 2006 meinte: „Im globalen Kampf um Energiequellen muss die EU härtere Bandagen anlegen“; er erklärte damit, was Peter Struck am Hindukusch »verteidigen« wollte.

Das vom EU-Rat in Auftrag gegebene »European Defence Paper« (ISS 2004) geht von der „Transformation Europäischer Streitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Intervention und Expeditionskriegszügen“ aus. Im Paper wird ein Szenario entworfen, bei dem gegen ein fiktives Regime militärisch vorgegangen wird, welches das Öl als Waffe einsetzt und den Fluss von Öl in den Westen verhindert. Es kommt in diesem Beispiel zu einer transatlantischen Militärintervention, um die Kontrolle über die Öl-Infrastruktur wiederzuerlangen. Allein der Beitrag der EU beträgt 60.000 SoldatInnen zuzüglich einer stark ausgerüsteten Luftwaffe und Marine.

Nachdem China und Indien nach Ressourcenquellen in Asien, Afrika und dem Nahen Osten suchen, werden die Sicherheitsinteressen der EU nicht nur auf die Nachbarschaft beschränkt bleiben, so die EU-Rüstungsagentur (EDA 2006: Punkt 11). Für die EU ortet die EDA noch stärkere Importabhängigkeiten als das »Cheney-Papier« für die USA. Die Energiefrage wird bei einer Beibehaltung des auf fossile Energieträger setzenden Systems zu einen zentralen Legitimationsgrund für offensiven Interventionismus werden: „Was im Cheney-Bericht explizit ausgeführt wurde, bestimmt auch die Energiepolitik der EU: Rekurs auf die Regeln und Wohltaten des freien Handels (…) und schließlich politischer und militärischer Druck, wenn die anderen Mittel versagen“ (Altvater 2008: 54).

Von neuen Bedrohungen zur neuen NATO

Anlässlich des Gipfels von Rom vom 8. November 1991 wurde ein neues strategisches Konzept verabschiedet. Risiken seien „schwerer vorauszusagen“ (Ziffer 8) und ergeben sich „weniger aus der Wahrscheinlichkeit eines kalkulierten Angriffs auf das Hoheitsgebiet der Bündnispartner“ (Ziffer 9). Bedrohungen könnten sich aber aus „der Störung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten“ (Ziffer 12) ergeben. Der Einsatzraum der NATO wurde auf Gebiete außerhalb des Bündnisses ausgedehnt. Die Sicherheitsinteressen der NATO können gemäß ihres Strategischen Konzepts 1999 von der „Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen“ berührt werden (Ziffer 24). Mit der gefährlichen militärischen Besetzung des umfassenden Sicherheitsbegriffes bescherte sich die NATO – besonders im Konzept 1999 (Ziffer 3) – mit klassisch zivilen Aufgaben neue Tätigkeitsfelder.

Wem gehören knappe Ressourcen?

NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer (2008 a: 24) sprach auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2008 von der Herausforderung der „Verwundbarkeit unserer Energieversorgungsleitungen“ und legt auf Einladung von Lloyds – ein Publikum, welches in dieser Frage einsatzbereite und geölte Muskelpakete vermutlich gerne bestaunt – nach: „Die Schlüsselfrage ist: Wie können wir all die aufkommenden neuen Wirtschaftsgiganten überzeugen, dass Energie allen gehört und sie mit uns im Management dieser knappen Ressource kooperieren“ (de Hoop Scheffer 2008 b).

Jaap de Hoop Scheffer (2008 b) analysiert, dass die steigende Knappheit auch steigende Preise nach sich zieht und wiederum steigende Einnahmen für die ölproduzierenden Staaten: „Was wir wissen ist, dass der massive Anstieg an Einnahmen den Ölproduzenten nicht nur mehr ökonomische Kraft gibt, sondern natürlich auch wachsende politische Stärke und Einfluss bei der Gestaltung der neuen globalen Sicherheitsordnung bedeutet.“ Damit spricht er die wachsende Bedeutung der Russischen Föderation in der Gestaltung der Weltpolitik an. Der rüde Ton gegenüber Russland (u.a. Tom Lantos, NATO Review 4/2007) hat seinen Ursprung nicht nur in den Debatten um »politische Preise« für Gas in der Ukraine oder anderen Staaten mit »farbigen Revolutionen«, sondern „dass der kaspische Raum und der Kaukasus inzwischen allein wegen der dortigen Ressourcen als amerikanisches bzw. westliches Interessengebiet definiert sind – ja sogar schon Russland selbst“ (Scheer 2006: 141). Wer mit einem ressourcenfixierten Blick auf Zentralasien im nackten Eigeninteresse agiert, „kann schnell den politischen Verstand verlieren“ und die NATO würde damit „Feuer in das Ölfeld“ legen (Scheer 2006: 142).

NATO-Dialog mit Ölkonzernen

Aus Sicht des NATO-Generalsekretärs kann das westliche Militärbündnis Unterstützung in mehrerlei Hinsicht geben. Die NATO kann eine Polizeifunktion einnehmen und die reibungslose Schifffahrt auf hoher See schützen. Marineeinheiten seien immer mehr als Schnittstelle zwischen nationaler Sicherheit und internationaler Sicherheit zu sehen. Seit 2001 ist die NATO mit der »Operation Active Endeavour« neben der Terrorabwehr „auch indirekt eine Unterstützung, um Versicherungsprämien für die kommerzielle Schifffahrt niedrig zu halten“ (2008 b). Derzeit sind NATO und EU im Rennen, um die Piraterie vor Somalia zu stoppen. Allerdings, so räumt der NATO-Generalsekretär auf Anfrage der vier größten Ölkonzerne ein, gibt es durchaus Probleme bei der militärischen Eskortierung privater Tankerflotten. Zu diesen Problemen zählt er beispielsweise die offene Frage nach der Übernahme der Kosten für die Einsätze. Die NATO ist aber selbstverständlich bereit, einen Dialog mit den Ölkonzernen zu beginnen, um „Öl und Gas so sicher und billig wie möglich zu uns nach Hause und zu unseren Industrien zu bringen“. Daneben sieht die NATO ihre Aufgabe im Aufbau von Partnerschaften, die sich nicht nur auf die Förderländer (Kaukasus, Zentralasien, Nordafrika und die Golfregion), sondern auch auf die Transitrouten (Georgien oder die Ukraine) erstrecken.

Der ehemalige NATO-Sprecher Jamie Shea plädiert auf operativer Ebene für eine flexibel funktionierende „security assistance“ für die Verbündeten, wobei „unter extremen Umständen energetische Besitztümer auch durch die Aktivierung von schnellen Reaktionskräften – welche ständig auf stand-by gehalten werden könnten – beschützt werden könnten“ (Shea 2006). Shea schlägt angesichts der »Operation Active Endeavour« eine maritime Überwachung und bedrohungsbezogene Antworten als Denkoption vor. Eine rasche Stationierung der Marine ist dabei wichtig, da die NATO nicht alle kritischen Nadelöhre überwachen kann. Als zweite operative Variante bringt Shea die „Interdiction operations“ ins Gespräch. Es handelt sich um „Militärinterventionen, die explizit entwickelt werden, um die Lieferung von Öl oder Gas aus aktuellen Krisen- oder Konfliktsituationen zu sichern“. Pate dieses Gedankens ist die »Operation Earnest Will« von 1987-1988, die seinerzeit den Schutz kuwaitischer Öltanker im Iran-Irak-Krieg gewährleistet hat. Diese Maßnahmen könnten auch den Schutz von Ölterminals, den militärischen Schutz von Verladestationen sowie von Raffinerien umfassen. Nach Shea verlangen diese Militärinterventionen eine eigene Planung und eigene multinationale Übungsszenarien für die Marine und andere involvierte Militäreinheiten. Hermann Scheer sieht den Weg der NATO als „Eskorte von Öl- und Gaskonzernen“ vorgezeichnet. (Scheer 2006: 143).

Offizielle Zurückhaltung bei gleichzeitiger Offensive

Der NATO-Gipfel in Riga am 29. November 2006 (Punkt 45) legte in Fragen der Energiesicherheit den Arbeitsauftrag offen, „die Bereiche zu definieren, in denen die NATO zur Gewährleistung der Sicherheitsinteressen ihrer Mitglieder einen Mehrwert einbringen und auf entsprechendes Ersuchen nationale und internationalen Anstrengungen unterstützen kann“. Beim NATO Council in Bukarest am 3. April 2008 ließ das Bündnis im Bereich Energiesicherheit (Punkt 48) alle Interpretationen offen: Zusammenführung von Information und Wissen, Projektion von Stabilität, Förderung von internationaler und regionaler Kooperation, Unterstützung beim Schutz kritischer Energie-Infrastruktur. Die offizielle Haltung ist aus bündnispolitischen Gründen wesentlich zurückhaltender als die Ausführungen von Shea oder die Reden de Hoop Scheffers für die Industrie.

Anlässlich der Parliamentary Assembly (2008) zeigten sich die NATO-Mitglieder besorgt, dass energetische Ressourcen unter extremer staatlicher Kontrolle als außenpolitisches Instrument genützt werden. Mehrdeutig „erkennt man, dass die NATO gegründet wurde, um ‚hard security’-Bedrohungen zu begegnen und andere Organisationen wie die EU und die IEA historisch die zentrale Aufgabe haben, sich energiebezogenen Herausforderungen zuzuwenden.“ Bei der NATO sollte ein „center of excellence“ eingerichtet werden, „um energiebezogene Bedrohungen zu identifizieren und zu analysieren und um Ratschläge anzubieten, wie man diese überwinden kann“. Der vorletzte Punkt legt in einer knappen Zeile dar, dass Forschung und Entwicklung alternativer Energien beschleunigt werden sollten.

Von den aktuell laufenden NATO-Missionen (Varwick 2008: 147 f) weisen beinahe alle einen sehr deutlichen Bezug zur Energiesicherheit auf:

NATO Assistance in Sudan (seit 07/2005)

NATO Assistance in Irak (seit 07/2004)

ISAF in Afghanistan (seit 08/2003)

Operation Active Endeavour, Mittelmeer (seit 10/2001)

Operation Enduring Freedom, Horn von Afrika (seit 10/2001)

Kosovo Force (KFOR) im Kosovo (seit 06/1999)

Die erste Übung unter dem Titel »Steadfast Jaguar« der erst jüngst einsatzbereit erklärten NATO Response Force (NRF) auf den Kap Verden – in kurzer Distanz zur westafrikanischen Küste – fand unter folgendem Szenario statt: „Über 7.000 Soldaten, inklusive deutscher und französischer Infanterie, amerikanische Bomberpiloten und spanische Seeleute werden sich einer Auseinandersetzung rivalisierender Fraktionen gegenüberstehen, die um die Kontrolle der Ölvorkommen der Insel kämpfen“ (Hallian Conn 2007, zit. nach Wagner 2007: 5).

Transatlantische Rohstoffagenda – Transatlantischer Dissens

Die NATO-Staaten wurden bis 1989 durch den gemeinsamen Feind zusammengehalten. Seither ist man in Brüssel und Washington in unterschiedlicher Intensität auf der Suche nach einer neuen gemeinsamen Klammer. Weder der Terrorismus, noch die Massenvernichtungswaffen oder Huntingtons »Clash of Civilizations« haben dafür eine nachhaltige Grundlage geschaffen. Eher haben sich die zentrifugal wirkenden Ereignisse wie der Irak-Krieg, der Dissens um den Strafgerichtshof, Terrorbekämpfung à la Guantanamo und Abu Ghraib oder die Raketenabwehr durchgesetzt und den transatlantischen Beziehungen einen spürbaren Riss beschert. Die Ursachen liegen in weltordnungspolitischen Interessen.

Der NATO die Aufgabe der Rohstoffsicherung für »den Westen« zuteil werden zu lassen, ist aus heutiger Sicht aus zumindest dreierlei Gründen zweifelhaft. Erstens brauchen die USA die NATO aus militärischer Sicht nicht. Komplizierte Beratungen über die unzureichende militärische Beteiligung und politische Wünsche der europäischen Verbündeten wären die Folge. Internationale militärische Einsätze unter US-Führung, denen auch nur die Idee des Geruchs von Rohstoffinterventionismus anhaftet, werden in der UNO ein Veto zumindest von Seiten der Russischen Föderation und China zu erwarten haben. Die EU-Staaten mögen – trotz ihrer deutlich sichtbaren Relativierung eines nötigen Sicherheitsratsmandats für Interventionen – Zweifel vorbringen. Die EU hat – und damit zu zweitens – 2007 ihre »battle groups« für einsatzbereit erklärt und ist fähig und willens, autonome Militäreinsätze im gesamten Petersberger Aufgabenspektrum abzudecken. Beispielsweise hat das Georgien-Mandat der EU explizit u.a. die Beobachtung der Energie-Infrastruktur und die entsprechenden Versorgungseinrichtungen (Artikel 3.2. der Council Joint Action vom 15.9.2008) zum Inhalt. Die »battle groups« sollen nach Auffassung wesentlicher EU-Eliten vorwiegend in Afrika eingesetzt werden. Die gegenwärtige militärische EU-Präsenz vor der Küste Somalias, die laufenden oder abgeschlossenen militärischen oder zivil-militärischen Missionen im Kongo, Tschad oder in Aceh demonstrieren, dass die EU – unabhängig von den USA und der NATO – eigenständig die blaue Flagge mit dem Sternenbanner hisst. Statt im Namen der NATO, im Dienste der USA und auf Kosten der EU zu potenziellen Militäreinsätzen zu schreiten, scheint die Weiterentwicklung eigener EU-Interventionskapazitäten aus Sicht der politischen und militärischen EU-Eliten wohl sinnvoller. Auch der verbale Einstieg der EU in den Ressourcenwettlauf in der Arktis – u.a. in Konkurrenz zu den USA, Russland oder Kanada – deutet darauf hin. Der dritte Punkt, der gegen die NATO als militärisches gemeinsames Ressourcensicherungsinstrument von USA und EU-Staaten schwer wiegt, sind die globalen Widerstände aus der Zivilgesellschaft, den Nationalstaaten und den Staatenkooperationen wie BRIC (Brasilien, Russland, Indien, China), der SCO (Shanghai Cooperation Organization mit Russland, China, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan), der UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen), einer venezulanisch-iranischen Allianz oder der Arabischen Liga.

Die Ansprüche der transatlantischen Akteure USA und EU sind derzeit zu gegensätzlich, um sie unter dem Dach der Ressourcensicherung in der NATO militärisch, diplomatisch oder ökonomisch zu vereinigen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass der Druck der russischen, chinesischen oder indischen Politik die USA und die EU wieder zusammenführen und sie zu einem »transatlantischen Griff nach den globalen Ressourcen« verleiten. Allerdings ist dies unter dem Dach der heutigen NATO wenig wahrscheinlich.

Zukunftsfähige Alternativen

Westlichem (militärischem) Rohstoffinterventionismus ist in einer zukunftsfähigen und gerechteren Weltordnung nur noch ein Platz in den Geschichtsbüchern reserviert. Wir können feststellen, dass Konflikte um Ressourcen heute auch im Kleid der Sicherung der Menschenrechte, »Abrüstungskriege«, des »war on terror«, der Militärpräsenz in Sinne der Sicherung einer »good governance« oder künftig vielleicht im Gewand der »responsibility to protect« auf uns zukommen.

Angesichts der ökologischen Grenzen des Planeten ist der EU-Sicherheitsstrategie zuzustimmen, wenn sie Armut, Hunger, Flüchtlinge, globale Erwärmung u.v.a. als Herausforderungen benennt. Diese Herausforderungen sind allesamt nichtmilitärischer Natur und verlangen nichtmilitärische, demokratische und multilaterale Ansätze zur Bearbeitung. Dazu zählt auch die Forschung zum weitergehenden und effektiven Einsatz alternativer Energieversorgungsmöglichkeiten. Weder die NATO Response Force (NRF) noch die EU-»battle groups« könnten diese Probleme lösen.

Literatur

Altvater Elmar (2006): Geopolitische Konflikte am Ende des fossilen Energieregimes, in: ÖSFK/Thomas Roithner (Hg.): Die Weltunordnung von Ökonomie und Krieg, 3. Aufl., Münster/Wien: Lit, 58-81.

Altvater Elmar (2008): Sicherheitsdiskurse beiderseits des Atlantik – In Zeiten von Peak Oil und Klimawandel, in: ÖSFK/Thomas Roithner (Hg.): Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen?, Münster/Wien: Lit, 44-71.

Bundesministerium der Verteidigung (2006): Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin.

Bundesministerium für Landesverteidigung (2001): Web-Dokument „Sicherheit mit moderner Technik“ (http://www.bmlv.gv.at/cms/artikel.php?ID=1783 [download 28. November 2008]).

Bundesministerium für Landesverteidigung (2001): Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin, Analyse-Teil, Wien.

de Hoop Scheffer, Jaap (2008 a): Rede anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz, 8.-10. Februar 2008, in: Europäische Sicherheit Nr. 3/2008, 57. Jg., 24-26.

de Hoop Scheffer, Jaap (2008 b): Keynote speech by NATO SG at the Economist Energy Security dinner „Energy security in the 21st century“, Lloyd’s, London, 23. October 2008.

European Defence Agency (EDA) (2006): An Initial Long-Term Vision für Euroepan Defence Capability and Capacity Needs, endorsed on 3rd October 2006, Brussels.

Institute for Security Studies (ISS) (2004): European Defence – A Proposal for a White Paper, Paris.

NATO (1991): The Alliance’s New Strategic Concept, 7th-8th November 1991.

NATO (1999): The Alliance’s Strategic Concept, 23rd-24th April 1999.

NATO Parliamentary Assembly (2008): Resolution 372 on Energy and Security, 18. November 2008.

Nassauer, Otfried (2007): Der Ruf nach Energiesicherheit. Herausforderungen für eine neue Sicherheitspolitik, NDR-Info, Berlin.

Scheer, Hermann (2006): Kein friedliches Europa ohne solare Revolution, in: ÖSFK/Thomas Roithner (Hg.): Die Weltunordnung von Ökonomie und Krieg, 3. Aufl., Münster/Wien: Lit, 133-146.

Scheer, Hermann (2008): Kein Frieden ohne Wechsel zu erneuerbaren Ressourcen, in: ÖSFK/Thomas Roithner (Hg.): Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen?, Münster/Wien: Lit, 259-274.

Shea Jamie (2006): Energy security: NATO’s potential role, in: NATO review, Autumn 2006.

Ruf, Werner (2008): Geopolitik und Ressourcen. Der Griff der USA nach Afrika, in: ÖSFK/Thomas Roithner (Hg.): Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen?, Münster/Wien: Lit, 160-173.

Varwick, Johannes (2008): Die NATO. Vom Verteidigungsbündnis zur Weltpolizei? München: C.H. Beck.

Wagner, Jürgen (2007): Das neue Objekt der Begierde: Afrikanische Ölkriege und die Rolle des »Westens«, IMI-Studie 2007/09, Tübingen.

Mag. Dr. Thomas Roithner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK, Burg Schlaining) und Lektor für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Die sieben energiebedingten Weltkrisen

Die sieben energiebedingten Weltkrisen

von Hermann Scheer

Die Anhänger des fossil-atomaren Weltbildes machen ihre Rechnung ohne die weltweiten Krisen, die direkt und indirekt von atomaren und fossilen Energien generiert werden. Sieben schwerwiegende Krisen lassen sich ausmachen. Und sie sind in der Zusammenschau zu sehen.

1. Die Weltklimakrise: 1998 hieß es in der Abschlusserklärung der Weltkonferenz der Klimawissenschaftler, dass sich die Welt mit ihrem fossilen Energieverbrauch auf ein Experiment eingelassen habe, dessen Folgen denen eines globalen Atomkriegs gleichkämen. Die Zahl einzelner Katastrophen – Stürme, Fluten, Dürren – steigt, und sie werden heftiger. Sie treten sogar frühzeitiger ein, als vielfach vorausgesagt.

2. Die Erschöpfungs- und Abhängigkeitskrise: Das brisanteste Problem der fossilen Energieversorgung ist die wachsende Abhängigkeit immer mehr Länder von immer weniger Förderquellen, allem voran bei Erdöl und Erdgas. Die USA sind heute bei 56% ihres Energiebedarfs importabhängig, Deutschland zu 80% und Japan zu 95%. Die relativ leicht und kostengünstig zu fördernden Erdölvorkommen gehen in wenigen Jahrzehnten zu Ende. Gleiches gilt für Erdgas. Zur Neige gehende Reserven einerseits und wachsender Bedarf andererseits führen zwangsläufig zu steigenden Energiekosten, die einschneidende Gefahren für die Weltwirtschaft bergen und das soziale Gefüge von Gesellschaften zu zerreißen drohen. Verfügbarkeitskonflikte bis hin zu Kriegen um »billige« Restressourcen sind in dieser Entwicklung angelegt.

3. Die Armutskrise: Entwicklungsländer ohne eigene fossile Ressourcen, also die Mehrzahl, müssen auf den Weltmärkten dasselbe für Energieimporte zahlen wie alle anderen, und das bei einem Bruttosozialprodukt pro Kopf, das deutlich unter 10% der westlichen Industrieländer liegt. Gleichzeitig sind sie wirtschaftlich noch mehr vom nicht leitungsgebundenen Erdöl abhängig. Die Folge der Energiearmut sind Raubbau an Biomasse, Versteppung, Landflucht in überquellende Slums der Städte, Zerstörung sozialer Strukturen und Staatszersetzung, sich zu internationalen Konflikten entwickeln.

4. Die Atomkrise: Seit den 1990er Jahren wollen immer mehr Länder Atomwaffen besitzen, vor allem weil die Atomwaffenstaaten auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts an der Atombewaffnung festgehalten haben. Der Zugang zu atomaren Waffenpotenzialen und die Anheuerung diesbezüglicher Spezialisten ist leichter geworden denn je. Damit ist der Schritt zu Atomwaffen schnell vollziehbar. Die Kündigungsfrist der Mitgliedschaft zum Nichtverbreitungsvertrag beträgt nur drei Monate. Die technische und politische Trennlinie zwischen ziviler und militärischer Nutzung kann also schnell überschritten werden. Hinzu kommt die wachsende Gefahr durch Atomterrorismus.

5. Die Wasserkrise: Die Gesamtwassermenge des Erdballs bleibt zwar konstant. Aber in die Atmosphäre geleitetes kondensiertes Süßwasser, das als Regen in Meeresgewässer fällt, wird dort zu Salzwasser. Die Süßwasserkrise in vielen Regionen des Erdballs geht zu einem erheblichen Teil auf die atomare und fossile Energieversorgung zurück. Drei Viertel des statistisch erfassten Wasserverbrauchs in Deutschland und etwa 50% in den USA gehen auf den Bedarf atomar-fossiler Dampfkraftwerke zurück! Noch gravierender ist das Problem in wasserarmen Regionen. Erheblichen Wasserbedarf gibt es zudem auch für das Waschen geförderter Kohle oder für die Erdölförderung, um damit Förderdruck zu erzeugen. Die Wasserkrise ist damit zu einem erheblichen Teil Resultat des atomar-fossilen Energiesystems.

6. Die Landwirtschaftskrise: Gleiches gilt für die Krise der modernen Landwirtschaft. Durch ihre Umstellung von eigenerzeugter auf chemische Energie sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten in dem der landwirtschaftlichen Produktion vorgelagerten Bereich ständig gewachsen. Die Kosten für den Einkauf von Energie und Düngemitteln sind erheblich gestiegen und reduzieren die Einkommen der Landwirte. Die Reaktion darauf sind weitere Produktionssteigerungen durch vermehrten fossilen Energie- und Düngemitteleinsatz – ein ökologischer und wirtschaftlicher Teufelskreis.

7. Die Gesundheitskrise: Dass schon beim Normalbetrieb von Atomkraftwerken Gesundheitsschäden durch radioaktive Strahlenbelastungen entstehen, wird immer wieder bestritten. Unbestreitbar sind solche im Uranbergbau. Bei Gesundheitsschäden durch fossile Energien sind die Resultate eindeutiger. Etwa ein Viertel der Menschheit ist demnach durch Energieemissionen gesundheitlich beeinträchtigt. Auf 1,8 Millionen jährliche vorzeitige Todesfälle kommt eine WHO-Schätzung allein in Afrika, wo besonders Kinder und Frauen vor allem durch »indoor emissions« betroffen sind, also durch traditionelle Holzverbrennung in Häusern und Hütten in Ermangelung technischer Alternativen zur Energienutzung.

Die wechselseitige Krisenansteckung: Nicht zufällig treten die skizzierten Krisen gleichzeitig auf. Je höher der Energieverbrauch, desto mehr heizen sich die damit einhergehenden Probleme an. Man muss nicht einmal die oft beschriebenen Horrorszenarien beschwören, dass das nördliche Europa den warmen Golfstrom verliert und deshalb vereist oder dass weltweit Küstenregionen überschwemmt und dauerhaft unbewohnbar werden, und auch nicht die Gefahren des Durchbrennens eines weiteren Atomreaktors. Solche Gefahren sind mehr oder weniger wahrscheinlich, werden aber immer noch als hypothetisch bewertet. Nicht mehr hypothetisch ist die geschilderte, womöglich immer häufigere Kriseneskalation.

Hermann Scheer ist Präsident von EUROSOLAR und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien