Totgeglaubte leben länger
Totgeglaubte leben länger
Die Wiederbelebung der Friedensbildung in Deutschland
von Bernd Rieche
Trotz der Erfolge der Friedensbewegung in den 1990er Jahren, war Friedensbildung um die Jahrtausendwende in Deutschland kaum noch sichtbar. Es bedurfte der stärkeren Präsenz der Bundeswehr in den Schulen und der kritischen Auseinandersetzung damit, dass Friedensbewegte wieder verstärkt Friedensbildung als ihre Aufgabe wahrnahmen. In der Folge wurden neue Strukturen geschaffen, aber auch die verfügbaren Materialien und Methoden vielfältiger und das Selbst- und Rollenverständnis geschärft.
Die Friedensbewegung feierte Ende der 90er Jahre große Erfolge: die Mediation hatte sich in Deutschland etabliert, die Zivile Konfliktbearbeitung wurde staatlicherseits anerkannt und dafür Strukturen geschaffen – wie der Zivile Friedensdienst oder das Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF). Nicht zuletzt wurden die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF) und später neue Studiengänge der Friedens- und Konfliktforschung aufgebaut. Vermutlich war es noch nie so vielfältig und einfach möglich, mit unmittelbarer Friedensarbeit – als Mediator*in, Konfliktbearbeiter*in oder als Friedensfachkraft sein tägliches Brot zu verdienen. Selbst in den Schulen gab es große Erfolge. Unter anderem wurden Streitschlichtungsprogramme eingeführt und sind heute fast flächendeckend etabliert.
Allerdings wurden alle diese Programme nicht als Friedensbildung (oder Friedenspädagogik, bzw. -erziehung) markiert. Dies beginnt bei der Bezeichnung und reicht bis hin zu den angebotenen Inhalten. Dieser Eindruck bestätigt sich auch mit einem Blick in das Archiv dieser Zeitschrift. Der letzte Artikel, der Friedensbildung/-erziehung/-pädagogik explizit erwähnte, erschien 1995 (vgl. Nolz 1995). Anschließend herrschte für zehn Jahre Stille zu diesem Thema. Gleichermaßen gab es kaum aktuelles Material für die Schule, das militärisches Handeln in aktuellen internationalen Konflikten kritisch behandelt hätte. Fast alle militärkritischen Unterrichtsmaterialien waren aus Zeiten der Ost-West-Konfrontation vor 1990 oder thematisierten Fragen der Kriegsdienstverweigerung. Lediglich im Bereich der Zivilen Konfliktbearbeitung waren, analog zu den Erfolgen und der Etablierung der zivilen Konfliktbearbeitung, einige Materialien entstanden.
Externe Impulse um die Jahrtausendwende
Es brauchte offenbar erst den Anstoß der erneuerten Werbungsanstrengungen des Militärs, um einer Vielzahl an Akteuren die Notwendigkeit von Friedensbildung wieder deutlich zu machen. Eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Schule begann im Jahr 2008. Das Kultusministerium Nordrhein-Westfalen und das zuständige Wehrbereichskommando II der Bundeswehr unterschrieben eine Kooperationsvereinbarung, wonach Jugendoffizier*e im schulischen Kontext über die „zur Friedenssicherung möglichen und/oder notwendigen Instrumente der Politik“ informieren sollten und dabei
„Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen einzubeziehen“ seien (NRW und Bundeswehr 2008, S. 1). Jugendoffizier*e sollten darüber hinaus in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften eingebunden werden, das Besuchen von Einrichtungen der Bundeswehr wurde ausdrücklich vorgesehen und die Bildungsangebote der Bundeswehr wurden durch das Ministerium verbreitet. In den Jahren 2008 bis 2011 folgten in der Grundausrichtung ähnliche Kooperationsvereinbarungen zwischen der Bundeswehr und den Kultusministerien in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Sachsen. Obwohl es seit den 1950er Jahren übliche Praxis ist, dass Lehrkräfte Jugendoffizier*e als externe Referent*innen in ihren Unterricht einladen, gingen diese Kooperationsvereinbarungen darüber weit hinaus. Auch wenn die Jugendoffizier*e nicht für Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr werben – denn so ist es zumindest in den Kooperationsvereinbarungen festgelegt – sind doch in der Praxis Information und Werbung oft schwer voneinander zu trennen. Jugendoffizier*e vermitteln eine Sicht auf die politischen und militärischen Handlungsspielräume und Notwendigkeiten, die in der Friedensarbeit in ihrem Grundansatz kritisch gesehen werden.
Diese zunehmende Präsenz der Bundeswehr an Schulen war Anlass, dass sich in zahlreichen Bundesländern Akteure der Friedensbewegung zu Bündnissen wie »Schulfrei für die Bundeswehr« zusammenschlossen. Durch kreative Aktionen und politische Arbeit soll die Präsenz der Bundeswehr an Schulen verhindert werden. Die Kooperationsvereinbarungen der Bundeswehr waren jedoch eher Anlass, nicht Grund, sich intensiver mit Friedensbildung an Schulen zu beschäftigen. Denn Friedensbildung ist unabhängig von Bundeswehr und Militär notwendig.
Entstehung neuer Netzwerke
Um Friedensbildung bundesweit zu fördern, schlossen sich in der Folge die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK), die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), die in Schulen aktive Gewerkschaft GEW, die katholische Friedensbewegung pax christi und die Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD zusammen, um ab 2009 das Projekt
„Friedensbildung, Bundeswehr und Schule“ zu planen. Ab 2012 konnte das Projekt für drei Jahre in der Praxis erprobt werde, es wurde vorhandenes pädagogisches Material gesichtet und für den Einsatz im Unterricht gemäß der Bildungspläne eingeordnet, weiteres eigenständiges Material erarbeitet und durch die Webseite friedensbildung-schule.de zugänglich gemacht. Die bundesweite Vernetzung von Friedenspädagog*innen wurde durch den sich regelmäßig treffenden Fachrat des Projektes vorangetrieben. Aus diesem entstand nach Ende des Projektes das »Bundesweite Netzwerk Friedensbildung«, unter dem sich auch die inzwischen gegründeten Netzwerke in den einzelnen Bundesländern und Regionen vernetzten. Solche regionalen Netzwerke existieren mittlerweile in NRW, Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Norddeutschland, Mitteldeutschland, im Saarland und seit jüngstem in Niedersachsen.
Neben der Bereitstellung von Material war es auch erklärtes Ziel, einen Pool an Referent*innen für den Bildungseinsatz in Schulen aufzubauen. Dabei wurde nach 2012 schnell deutlich, dass es nicht sinnvoll ist, eine zentrale Vermittlung aufzubauen, da es hierfür regionale Strukturen braucht – die sinnvollerweise bei den regionalen Netzwerken liegen sollten. Einige Qualifizierungsfortbildungen für Friedensbildner*innen haben seitdem stattgefunden. Beispielhaft können das Kursangebot der evangelischen Kirchen in NRW (vgl. PI-Villigst o.J.) und die Fortbildung des niedersächsischen Netzwerkes mit Förderung des Landes Niedersachsen (Friedensbildung Niedersachsen o.J.) angeführt werden. So stehen mittlerweile einige Friedenspädagog*innen für den expliziten Unterrichtseinsatz zur Verfügung.
Einige der neu gegründeten Netzwerke richten zudem Fachtagungen aus und fördern so die regionale Vernetzung und Fortbildung von pädagogisch Arbeitenden zu Friedensthemen (u.a. das norddeutsche und das mitteldeutsche Netzwerk).
Gemeinsame Definition von Friedensbildung?
In den Netzwerken wurde immer wieder versucht, den Begriff der Friedensbildung umfassend zu definieren. Ein Ergebnis dieser Diskussionen ist die Definition des »Bundesweiten Netzwerks Friedensbildung«.
Die Netzwerke beziehen sich darin auf ein Bildungsverständnis, das zur Mündigkeit befähigen will und sowohl auf die individuelle als auch gesellschaftliche Ebenen abzielt. In der Tradition der Friedensbildungswerke, die in den 1980er Jahren gegründet wurden, fasst das bundesweite Netzwerk die Friedensbildung als „Teil einer umfassenden politischen Bildung und damit [als] eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Frieden wird dabei verstanden als ein zielgerichteter, dynamischer Prozess kontinuierlicher Konfliktbearbeitung mit gewaltfreien Mitteln – zur Realisierung der Menschenrechte, zur Etablierung von Gerechtigkeit sowie zur Überwindung von Gewalt und Unfreiheit. In diesem Verständnis ist Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg und mit militärischen Mitteln nicht zu erreichen.“ (BNF o.J.). Dabei ist dem Netzwerk „die Entwicklung von Kompetenzen zu einem konstruktiven und zivilen, an der Philosophie der Gewaltfreiheit orientierten Umgang in innergesellschaftlichen und internationalen Konflikten“ (ibid.) besonders wichtig. Dazu zählen die Vermittlung von Kompetenzen für die Analyse von Konflikten sowie für die gewaltfreie Bearbeitung von Konflikten. Nur so kann sich in den Augen des Netzwerkes eine
„Kultur des Friedens“ (ibid.) entwickeln, in der die Lernenden auch zu selbstständig Agierenden werden können und das wahre Potential von Konflikten als „Chancen für eine positive Veränderung“ (ibid.) zur Geltung kommen kann.
Neutralität der Friedensbildung?
Friedensbildung wird dabei immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie politisch oder normativ sie sein soll und darf. Für den schulischen Bereich gibt der »Beutelsbacher Konsens« den Rahmen vor. In diesem wurden 1976 drei Grundprinzipien des Politikunterrichts festgelegt: das Überwältigungsverbot (auch: Indoktrinationsverbot), das Gebot der Kontroversität (auch: Gegensätzlichkeit) und das Prinzip der Schülerorientierung, d.h. Schüler sollen zu eigenem politischen Verständnis und Handeln befähigt werden.
Das Kontroversitätsgebot bietet dabei auch erst einmal ein Argument dafür, dass auch friedensbewegte Referent*innen eingebunden werden müssten, wenn andererseits die Bundeswehr privilegierten Zugang zu Schulen erhält.1
Erste eigenständige Kooperationsverträge der Friedensbildungsnetzwerke mit den jeweiligen Kultusministerien, u.a. in Rheinland-Pfalz, riefen allerdings heftige Debatten innerhalb der Friedensbewegung hervor. Einerseits bot sich die Chance für die Verankerung von Friedensbildung, anderseits sahen Kritiker*innen aber die drohende Funktion als Feigenblatt für die Legitimierung sowohl des zivilen als auch des militärischen Ansatzes, die als Legitimierung für die Präsenz der Bundeswehr in Schulen missbraucht wurden. Nach einiger Zeit der Klärung des Konfliktes einigten sich die meisten Akteure darauf, beide Forderungen parallel zu vertreten und dabei auf je unterschiedliche Bündnisse zu setzen:
„Bundeswehr raus“ steht also gleichzeitig neben „Friedensbildung rein“.
Die Begründung von Friedensbildung an Schulen ist jedoch keine Frage des Ausgleichs zur Bundeswehr, sondern ergibt sich grundlegend aus dem in den Verfassungen festgeschriebenen Auftrag zur Förderung des Friedens (vgl. für Baden-Württemberg: Meisch, Jäger und Nielebock 2018).
Zum Zweiten müssen Aktive der Friedensarbeit auch für sich ganz direkt reflektieren, wie sie sich in Bezug auf den Beutelsbacher Konsens verhalten. Zwei mögliche Rollen deuten sich an: die Verantwortung verbleibt bei den Lehrer*innen, wenn Friedensbildner*innen als Zeitzeug*innen oder Fachleute in die Schule eingeladen werden. Wenn sie jedoch Friedensbildung in Form von Projekten oder selbstverantwortetem Unterricht durchführen, müssen sie den Beutelsbacher Konsens einhalten, wobei allerdings zentrale normative Bezugspunkte der Friedensbildung (u.a. Menschenrechte oder die allgemeine Friedensliebe) Verfassungsrang haben und nicht kontrovers sind.
Nicht zuletzt gilt Drittens der Beutelsbacher Konsens auch für die Bewertung friedenspädagogischer Materialien. Diese sollten nicht allein aufgrund der primären Rolle eines Auftraggebers (wie der Bundeswehr) ausgeschlossen werden. Für die Webseite friedensbildung-schule.de wurden daher passende Qualitätskriterien entwickelt. Diese sind:
- allgemeine pädagogische Kategorien wie die methodisch-didaktische Eignung und die Nutzungsfreundlichkeit,
- inhaltlich-konzeptionelle Kriterien, wie die Mehrdimensionalität des dargestellten Themas und
- friedenspädagogische Kriterien. D.h. „friedensfördernde Werte wie Gewaltlosigkeit und Menschenrechte. Militäreinsätze werden kritisch reflektiert, Möglichkeiten und Beispiele ziviler Konfliktbearbeitung betont.“
Positionen zur Stärkung der Friedensbildung in der schulischen und außerschulischen Bildung
(Bundesweites Netzwerk Friedensbildung, gekürzter Auszug, Juni 2021)
Friedensbildung soll dazu beitragen, auf gesellschaftlicher und individueller Ebene Friedensprozesse zu ermöglichen und zu unterstützen.
Sie ist Teil einer umfassenden politischen Bildung und damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. […]
Damit die Friedensbildung ihren Auftrag und ihre Funktion erfüllen kann, muss sie ausgebaut, abgesichert sowie strukturell und politisch verankert werden.
Hierzu fordern wir folgende Maßnahmen:
- Personelle und finanziellen Ressourcen
Die schulische und außerschulische Friedensbildung wird bisher vielfach auf Projektbasis geleistet und ist abhängig von Förderkonjunkturen. Zur strukturellen Verankerung von Friedensbildung und zur konkreten Umsetzung in Bildungsprozessen gehören institutionelle Unterstützungsstrukturen. Dies können Koordinations- und Servicestellen auf Landes-, regionaler und kommunaler Ebene leisten, die Qualifizierungs-, Beratungs-, Vernetzungs-, Veranstaltungs- und Materialangebote entwickeln.
Das ist zum Beispiel zu schaffen durch (a) Servicestellen Friedensbildung bei den Landeszentrale für politische Bildung (Beispiel Baden-Württemberg), (b) den Ausbau von Lehre, Beratung und Weiterbildung an Hochschulen (Beispiel Rheinland-Pfalz), die Schaffung von Stellen an Landesinstituten für die Lehrer*innenfortbildung und -beratung (Beispiel Saarland) bzw. für die landesweite Koordinierung der Friedensbildung (Beispiel Niedersachsen), oder (c) die finanzielle Förderung von Friedensbildung örtlicher, regionaler, landes- oder bundesweit tätiger NGOs, Vereine und Jugendverbände durch Kommunen, Länder und Bund. - Curriculare Verankerung
Friedensbildung muss systematischer und verlässlicher in den Angeboten von Trägern der Jugendarbeit und Jugendbildung sowie in den Bildungs-, Lehr- und Rahmenlehrplänen der Schulen verankert werden.
Dasselbe gilt für Angebote und Curricula der Aus-, Fort- und Weiterbildung des pädagogischen Personals, z. B. an Hoch- und Fachschulen, Studienseminaren, Landesinstituten und anderen öffentlichen und freien Weiterbildungsträgern. Schulische Friedensbildung hat ihren Ort zumeist in den sozialwissenschaftlichen Fächern, Politik, Ethik, Religion oder auch im Rahmen der Projektarbeit. Sie muss aber auch als fächerverbindende und fächerübergreifende Aufgabe implementiert werden.
Friedensbildung ist nicht in Konkurrenz zu anderen gesellschaftspolitisch relevanten Bildungszielen zu sehen – wie etwa Demokratiebildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, die Umsetzung und Vermittlung der Weltnachhaltigkeitsziele (SDGs) oder die rassismuskritische Bildungsarbeit. Vielmehr müssen diese verschiedenen Bildungsaufgaben und ihre »Verwandtschaften« sinnvoll aufeinander bezogen und miteinander verbunden werden, ohne dass die Friedensbildung ihre eigenen Spezifika und ihr Profil einbüßt. - Institutioneller Rahmen
Die Friedensbildung ist nicht nur als »Bildungsinhalt«, sondern auch als Philosophie bzw. Kultur der Bildungseinrichtungen selbst zu verstehen, zu der alle Fächer sowie die Bildungseinrichtungen selbst ihren Beitrag leisten (»whole institution approach«). Friedensbildung lässt sich nur erfolgreich vermitteln, wenn die Träger, die Bildungseinrichtungen, das Personal und die Rahmenbedingungen ein friedliches und auf Respekt und gemeinsame Werte gegründetes Lernen und Leben ermöglichen. - Medien
Von besonderer Bedeutung sind die Förderung und Entwicklung von Bildungsmaterialien sowie die Aufnahme von Themen und Perspektiven der Friedensbildung in Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern. - Verankerung an Hochschulen
Um die Friedensbildung wie auch die notwendige Qualifizierung und Professionalisierung zu verstetigen und wissenschaftsorientiert zu gestalten, müssen entsprechende Professuren und Institute an Hochschulen eingerichtet und deutlich ausgebaut sowie Forschungsprogramme zur Friedensbildung entwickelt werden.
Zivilgesellschaftlicher Impuls, staatliche Förderung?
Inzwischen konnten auch staatlich getragene Strukturen der Friedensbildung etabliert werden. In Baden-Württemberg startete 2015 eine staatlich finanzierte »Servicestelle Friedensbildung«, angesiedelt bei der Landeszentrale für politische Bildung in gemeinsamer Trägerschaft von Kultusministerium, Berghof Foundation und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen. In jüngster Zeit hat das Land Niedersachsen eine Stelle für die Koordination der Friedensbildung ausgeschrieben und auch die 2014 gegründete Friedensakademie an der Universität Landau in Rheinland-Pfalz hat u.a. einen friedenspädagogischen Auftrag. Diese Initiativen werden von den Akteuren der Friedensbildung aktiv vorangetrieben und unterstützt, auch wenn es im Konkreten dabei Konflikte mit staatlichen Stellen beispielsweise um die Rolle der Bundeswehr in Schule gibt.
Generell ist jedoch die Friedensbildung strukturell immer noch schwach aufgestellt und die Arbeit in den Netzwerken wird durch die mehr oder weniger ehrenamtliche Arbeit der Beteiligten getragen. Unter diesen Bedingungen ist der bundesdeutsche Bildungsföderalismus eine große Herausforderung, da Lobbyarbeit für Friedensbildung auch Ressourcen vor Ort benötigt. Im Gegensatz zu anderen Bildungsansätzen, wie Globalem Lernen oder der Bildung für nachhaltige Entwicklung, bei denen sich einzelne Bundesministerien für zuständig erklären, gibt es auch kein entsprechendes Gegenüber für Friedensbildung auf Bundesebene.
So versucht sich Friedensbildung derzeit über Fördertöpfe des Globalen Lernens, der politischen Bildung oder der Bildung für Nachhaltigkeit zu finanzieren, unterliegt in dieser Einschränkung aber immer einer klaren Begrenzung ihres Themenspektrums. Eine umfassende Friedensbildung, wie vom bundesdeutschen Netzwerk postuliert, ist so nur schwer zu gestalten.
Doch »Totgesagte leben länger« und die ermutigenden Entwicklungen der regionalen und bundesweiten Netzwerke für Friedensbildung lassen für die Zukunft hoffen. So ist die Friedensbildung inzwischen wieder lebendig, entwickelt viele kreative Bildungsangebote und kämpft für angemessene Ausstattung und Strukturen.
Angebote zur Friedensbildung
netzwerk-friedensbildung.de
Seite des Bundesweiten Netzwerkes mit Links zu den regionalen Netzwerken, die Referent*innen der Friedensbildung vermitteln
friedensbildung-schule.de
Sammlung von Materialien für den Unterricht
ziviler-friedensdienst.org
Ausstellung »Wir scheuen keine Konflikte« mit umfangreichem Material für Unterricht und Projektarbeit
friedensbildung.de
»Frieden geht anders!« – Ausstellung plus Unterrichtsmaterial
peace-counts.de
Ausstellung, Reportage und Material für Bildungsarbeit über Friedensmacher*innen aus aller Welt
friedenskreis-halle.de/projekt/weltentausch.html
»ene mene muh – und raus bist DU!«- Interaktives Lernspiel zu Flucht und Asyl in Deutschland
civilpowker.de
ein systemisches Lernspiel zum zivilem Engagement in internationalen Konflikten
integrationsmatrix.de
Ein Spiel und Workshops zum Verbindenden und Trennenden
Anmerkung
1) Nach entsprechendem Druck aus der Friedensbewegung verlieh die von der rot-grünen Landesregierung überarbeitete Kooperationsvereinbarung für NRW von 2012 dem Ansinnen Ausdruck, dass „unterschiedliche Institutionen und Organisationen gleichberechtigt und gleichgewichtig einbezogen und berücksichtigt werden“ sollen (NRW und Bundeswehr 2012, S. 2). Andere Bundesländer folgten mit ähnlichen geänderten Kooperationsverträgen.
Literatur
Bundesweites Netzwerk Friedensbildung (o.J.): Unser Gründungspapier. URL: netzwerk-friedensbildung.de
Friedensbildung Niedersachsen (o.J.): Vermittlung von Expert*innen in ziviler Konfliktbearbeitung als Referent*innen für sicherheitspolitische Fragen in den schulischen Unterricht. URL: friedensbildung-niedersachsen.de
Meisch, S.; Jäger, U.; Nielebock, Th. (Hrsg.) (2018): Erziehung zur Friedensliebe. Annäherungen an ein Ziel aus der Landesverfassung Baden-Württemberg. Baden-Baden: Nomos.
Nolz, B. (1995): Atomare Frage und Individualisierung. Handlungsmöglichkeiten im Kontext von Unterricht und Erziehung. In: Wissenschaft und Frieden 1/1995.
NRW und Bundeswehr (2008): Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr. 29.10.2008.
NRW und Bundeswehr (2012): Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr. 30.08.2012.
PI-Villigst (o.J.): Ausbildung zur Friedensbildungsreferentin/zum Friedensbildungsreferenten an Schulen, Modularisierte Ausbildung. URL: pi-villigst.de
Bernd Rieche ist Referent für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensbildung bei der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). Er koordiniert u.a. das Bundesweite Netzwerk Friedensbildung mit.