Eine Geschichte der Dilemmata

Eine Geschichte der Dilemmata

Konfliktentwicklung im Georgien/Südossetien-Konflikt

von Lara Sigwart

Die Sicherheitslage im Konflikt zwischen Georgien und Südossetien bleibt auch über ein Jahr nach dem Krieg prekär. Die Entwicklung des Konflikts seit 1989 zeigt die Dilemmata auf, die ihn auch heute noch bestimmen: Das Verhältnis zwischen Russland und Georgien wird nicht nur durch den Westen beeinflusst, sondern auch durch Interessenlagen lokaler Gruppen. Internationaler Einfluss auf den Konflikt ist allerdings nach dem Ende der OSZE-Mission stark eingeschränkt.

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Energiekonflikte auf dem »Eurasischen Schachbrett«

Energiekonflikte auf dem »Eurasischen Schachbrett«

Europas weiche Geopolitik im russischen Hinterhof

von Stephan Heidbrink

Da das fossile Energieregime an seine Grenzen stößt, ohne dass bisher durchsetzbare Alternativen erkennbar wären1, erfahren die erdöl- und erdgasreichen Regionen in den geoökonomischen und geopolitischen Kontrollstrategien der Zentrumsstaaten eine starke Aufwertung. Energiesicherung wird zur Zielgröße strategischer Außen(wirtschafts)politik – der Geostrategie. Es ist ein Konflikt um die Macht, die Spielregeln auf den Energiemärkten definieren zu können.

Im Mittelpunkt steht dabei in erster Linie die sog. »strategische Ellipse«, die den Nahen und Mittleren Osten, den Kaukasus sowie große Teile Russlands und Zentralasiens umfasst. Hier konzentrieren sich etwa 70% der konventionellen Weltölreserven und ca. 68% der Weltgasreserven.2 Für die absehbarer Zukunft bedeutet dies, dass insbesondere die Rolle der Russischen Förderation im Mittelpunkt der US-amerikanischen und europäischen strategischen Überlegungen stehen wird.3

Die Versuche des Westens, die strategische Ellipse zu kontrollieren, sind dabei keineswegs nur jüngsten Datums. In dem Versuch, die einzigartigen Chancen zur Ausweitung und Verstetigung der informellen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten im »unipolar moment« (Charles Krauthammer 1990) während und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu nutzen, verfolgten die USA bzw. »der Westen« eine doppelte Strategie. Einerseits galt es, die russische Ökonomie entlang neoliberaler Vorstellungen für westliches Kapital zu öffnen und so für die Disziplinierung durch den (Welt-)Markt bzw. das transnationale Kapital empfänglich zu machen, andererseits sollte Kontrolle über die kaspischen Staaten – den russischen »Hinterhof« – auch mit Blick auf die fossilen Energiereserven erlangt werden.4

Im Rahmen der US-amerikanischen Geostrategie nimmt die Europäische Union – und innerhalb dieser v.a. die Bundesrepublik Deutschland – zunehmend eine »Brückenkopffunktion« bezüglich der Durchsetzung ihrer Interessen auf dem eurasischen Kontinent ein. Für die Europäische Union hat der ungefährdete Zugriff auf Öl- und Gasreserven eine besonders hohe Bedeutung, die in den letzten Jahren noch einmal stark zugenommen hat. Die EU ist heute bereits der weltgrößte Importeur von fossilen Energieträgern (allen voran Erdöl und Erdgas); dabei stammen derzeit etwa 40% aller europäischen Energieimporte aus der Russischen Förderation (und werden zu 80% durch die Ukraine transportiert). Die Europäische Kommission geht jedoch sogar davon aus, dass sich „die Abhängigkeit von Gasimporten […] bis 2030 voraussichtlich von 57% auf 84%“ und „die Abhängigkeit von Ölimporten von 82% auf 93%“ erhöhen werden.5

Die europäische Strategie zur Sicherung der Energieversorgung besteht aus zwei Aspekten. Neben dem Versuch, die europäische Energieversorgung durch neue Pipelineprojekte zu diversifizieren, hat die Absicherung der mittel- und langfristigen Liefer- und Kooperationsbeziehungen mit den Gas- und Ölförderländern durch ein marktliberales vertragliches Rahmenwerk nach dem Vorbild der WTO oberste Priorität. Im Prinzip existiert ein solcher Rechtsrahmen bereits. Die EU hatte in den 1990er Jahren die Initiative ergriffen, eine Europäische Energiecharta auszuhandeln, die zugleich die Grundlage für den Energiecharta Vertrag (ECV) bildete, der im Dezember 1994 von etwa 50 Staaten unterzeichnet wurde.6 In ihm sind Bestimmungen zum Investitionsschutz, zum Handel mit Energieträgern (Öl- und Gas), zu Transitkonditionen und auch ein internationales Streitbeilegungsverfahren enthalten. Die Wirkung ist jedoch äußerst begrenzt. So haben die USA und Kanada den Vertrag nicht unterzeichnet; China und Saudi-Arabien begnügen sich mit einer Beobachterrolle und Norwegen, Australien, Island, Weißrussland und Russland haben den ECV zwar unterzeichnet, nachfolgend jedoch nicht ratifiziert.

Russische Stabilisierungsversuche

Die Liberalisierungsoffensive der EU stößt gerade in Russland auf ein gegenläufiges Projekt: Nach der chaotischen, geradezu »raubtierkapitalistischen« Jelzin-Ära wird seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin (2000) versucht, die Wirtschaftsstruktur zu stabilisieren und zu diversifizieren sowie die eigenen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen auch international deutlicher zu artikulieren. Im Wesentlichen zielt die Putinsche Agenda darauf, den staatlichen Autoritätsverfall aufzuhalten. Im Zentrum steht dabei die Kontrolle über den Energiesektor.7 Er steht – gemeinsam mit den übrigen Rohstoffsektoren – für etwa 25% der gesamtwirtschaftlichen Produktion Russlands.

Deshalb wurde in den letzten Jahren eine Renationalisierung des Energiesektors eingeleitet. Das Projekt begann mit der Wiedererlangung der staatlichen Kontrollmehrheit bei dem Gasmonopolisten Gazprom, an dem der russische Staat nunmehr eine 50,002-prozentige Mehrheit hält, und der nach Jahren als „Selbstbedienungsladen“ (Alexander Rahr) unter der Führung des Putin-Vertrauten Alexej Miller nunmehr zu einem strategisch agierenden Konzern umgewandelt wurde.8 Gazprom hält einen 25%igen Anteil an der Weltgasproduktion und hat Zugriff auf etwa ein Drittel der weltweiten Erdgasreserven. Der Konzern verfügt über das Monopol in den Bereichen Produktion, Transport und Export von russischem Erdgas. Das Tochterunternehmen Gazeksport ist der weltweit größte Gasexporteur und der wichtigste Gaslieferant Europas mit einem Marktanteil von über 20% in Westeuropa und über 50% in Osteuropa (ohne GUS). Damit erwirtschaftet Gazprom ein Viertel der gesamten russischen Deviseneinnahmen.9

Ab 2003 wurden zudem zentrale Segmente des Ölsektors in staatliche Kontrolle zurückgeführt. Staatliche Ölgesellschaften stellten 2003 nur rund 12% der russischen Ölförderung. Insbesondere in den USA ansässige transnationale Öl-Konzerne wie ExxonMobil und Chevron wurden von der neuen russischen Strategie getroffen. Als besonders aggressive Vertreter im Wettlauf um Zugang zu den russischen Ressourcen hatten sie auf die beiden reichsten Männer Russlands und die mächtigsten innenpolitischen Gegenspieler Putins gesetzt: Auf den Oligarchen Roman Abramowitsch (Besitzer von Sibneft; 2003) und Michail Chodorkowski (Besitzer von Yukos; 2003). Bei der geplanten Mega-Fusion zwischen Sibneft und Yukos zur bei weitem größten russischen Ölfirma sollten zugleich ExxonMobil und Chevron beteiligt werden. Darüber hinaus verhandelte Chodorkowski (an staatlichen Stellen vorbei) mit China über den Bau einer transsibirischen Pipeline. Aus Sicht der russischen Administration drohte damit ein beachtlicher Kontrollverlust über strategisch wichtige Öl- und Gasvorkommen sowie Pipeline-Routen. Die Verhaftung Chodorkowskis 2003 wegen Steuerhinterziehung beendete das Projekt. In den folgenden Jahren wurde Yukos durch Steuernachforderungen (etwa 28 Mrd. $) zum Verkauf gezwungen, die größte Fördergesellschaft von Yukos erwarb der staatlich kontrollierte Rosneft-Konzern.

Ende 2005 wurde auch das Abramowitsch-Unternehmen Sibneft für über 13 Mrd. $ von Gazprom übernommen. Damit entfielen Ende 2005 35% der russischen Ölförderung auf staatliche Gesellschaften (Rosneft, Sibneft, Gasprom sowie Tatneft und Baschneft, die unter Verwaltung der Behörden von Tatarstan und Baschkirien stehen). Gegenüber 2003 hat sich der Produktionsanteil der staatlichen Ölgesellschaften somit etwa verdreifacht. Obwohl man weiterhin an ausländischen Investitionen interessiert ist, sind die Tendenzen unübersehbar, den Zugriff westlicher Konzerne auf russische Ressourcen stärker kontrollieren zu wollen. Im Jahr 2006 erließ der Kreml ein Gesetz, in dem Öl-, Gas- und Metalllagerstätten explizit zu strategischen Reserven aufgewertet wurden. Deren Ausbeutung muss nunmehr unter der Führung russischer Unternehmen stattfinden. Bestehende Mehrheitsbeteiligungen westlicher Firmen an der Exploration werden mit Hilfe der Anwendung bereits vorher bestehender Umweltauflagen oder auch Steuerfahndungen zugunsten russischer Konzerne (allen voran Gazprom) zurückgedrängt.

»Weiche« Geopolitik

Aufgrund der Schwierigkeiten, den russischen Energiesektor für westliches Kapital umfassend zu öffnen, wird nunmehr verstärkt versucht, Gas- und Ölvorkommen durch die Diversifizierung der Energieinfrastruktur unter Umgehung Russlands an Europa zu binden. Hierdurch soll die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen reduziert werden, um so zu verhindern, dass Moskau diese unter Umständen als politisches Druckmittel einsetzen könnte.

Dabei sind in das europäische Projekt zur Energiesicherung schon seit den frühen 1990er Jahren Elemente einer »weichen« Geopolitik eingelassen. Die umkämpfte und konfliktreiche Aufbereitung des Raumes im Energiebereich bezieht sich dabei vor allen Dingen auf die Entwicklung der Energieinfrastruktur, d.h. vor allem Pipelines sowie Verkehrswege in der Türkei und dem Kaukasus. Letztlich geht es aber um den Zugriff auf zentralasiatisches Öl und Erdgas, dessen Transport derzeit nur durch Russland erfolgen kann und daher deutlich unter Weltmarktpreisen erworben und strategisch eingesetzt wird – insbesondere durch Gazprom.

Die durch die EU angestrebte Diversifizierung in der Energieversorgung wurde bislang insbesondere durch zwei (komplementäre) Unterprogramme des TACIS-Programms10 (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) vorangetrieben, wobei sich der Auf- und Ausbau des Pipelinenetzes sowie die Erschließung der dazu gehörigen Verkehrswege als inkohärent erweisen. Zum einen handelt es sich dabei um das Programm INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe), das seit 1994 mittels des Auf- und Ausbaus eines Pipelinenetzes kaspisches Öl und Gas an den europäischen Markt anschließen soll. Zum anderen existiert das TRACECA-Programm (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia), das auf die Entwicklung eines alternativen Transportkorridors zu der traditionellen Handelsroute durch Russland ausgerichtet ist. Die Russische Föderation ist als einziger Staat des eurasischen Raumes nicht Mitglied in dem Programm.11

Vor allem das TRACECA-Programm ist recht eindeutig darauf ausgerichtet, mit der »Neuen Seidenstraße« das Raummonopol Russlands zu brechen. Zwar sind die Ergebnisse bislang bestenfalls bescheiden. Da seit einiger Zeit innerhalb der Europäischen Union die Transatlantiker, die für eine konfrontative Politik gegenüber Russland eintreten, immer mehr die Oberhoheit gewinnen, dürften derartige Versuche künftig jedoch intensiviert werden.

Die Dominanz der transatlantisch orientierten Fraktion im Bereich der »weichen« Geopolitik ist in der europäischen Unterstützung für das Pipeline-Projekt NABUCCO besonders deutlich ausgeprägt. Die über 3.000 Kilometer lange Pipeline ist das zentrale EU-Projekt bei der Suche nach einer „unabhängigen Versorgung durch Erdgasrohrleitungen von der kaspischen Region“.12 Die Pipeline soll von Aserbeidschan durch die Türkei, Rumänien, Bulgarien und Ungarn bis nach Österreich geführt werden. Unter der Führung der österreichischen OMV wird das Projekt von einem Konsortium aus Botas (Türkei), MOL Natural Gas Transmission (Ungarn), Bulgargaz (Bulgarien) und SNTGN Transgaz SA aus Rumänien und inzwischen auch RWE vorangetrieben.13

Das Konsortium kann sich auf die massive Unterstützung durch die EU verlassen, die (genau wie Deutschland) dem Projekt höchste Priorität einräumt.14 Die Machbarkeitsstudie wurde von der EU mit 4,8 Mio. Euro unterstützt und die Europäische Investitionsbank (EIB) sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) signalisieren ihre Bereitschaft, bis zu 70% der Finanzierung zu übernehmen.

Inzwischen mehren sich Überlegungen, die Pipeline bis zur Ostseite des kaspischen Meeres weiterzuführen, um so auch die zentralasiatischen Ressourcen unter Umgehung Russlands aber auch Irans dem Europäischen Markt zuführen zu können.

Das politisch, finanziell und technisch anspruchsvollste Projekt ist jedoch die BTC-Pipeline. Sie ist neben der geplanten NABUCCO-Trasse der bisher größte Erfolg der Atlantiker. Insbesondere die USA als wichtigster Kunde Aserbeidschans wollen damit ihre Abhängigkeit vom nahöstlichen Öl verringern. Gleichzeitig umgeht die Pipeline Russland und den Iran und passt sich insofern in die Diversifizierungsstrategie der Europäischen Union ein. Die jetzige Streckenführung ist die teuerste und technisch aufwendigste Variante, die zudem noch mit enormen Umweltrisiken behaftet ist, da die Trasse durch stark erdbebengefährdetes Gebiet verläuft. Das betreibende Konsortium steht unter der Leitung der britischen BP, der US-amerikanischen Unocal sowie der Turkish Petroleum Inc. Dass die an dem Projekt beteiligte EBRD nicht auf einer Sicherung der Trassenführung nach EU-Standards bestanden hat, zeigt die Dominanz geopolitischer Überlegungen hinter der europäischen Beteiligung an dem Projekt. Die BTC ist ein offensichtlich gegen Moskau gerichtetes Projekt: Die Stationierung US-amerikanischer Truppen schon 2001 in Georgien, die folgende Finanzierung der »Caspian Guard« zum Schutz der Pipeline durch das Pentagon und Pläne zur Errichtung einer Militärbasis in Aserbeidschan können hier als Indizien gelten. Darüber hinaus ist das Projekt nicht nur aus umweltpolitischen Überlegungen höchst zweifelhaft, auch die wirtschaftliche Rentabilität ist in Zweifel zu ziehen. Die ehemals euphorischen Schätzungen des Ölreichtums des Kaspischen Meeres sind nunmehr deutlich ernüchterten Prognosen gewichen. Ob die Pipeline überhaupt ausreichend (lies: rentabel) gefüllt werden kann, ist derzeit eine offene Frage. Gleichzeitig erweisen sich jedoch die Erdgasreserven der Region (zwischen 6% und 8% der Weltreserven) zunehmend als Objekt der Begierde, gerade wenn es darum geht, gegenüber Russland oder genauer: Gazprom unabhängiger zu werden.

Russische Gegenstrategie

In Russland wird das NABUCCO-Projekt als Versuch interpretiert, das russische Raummonopol zu brechen. Hier decken sich die Wahrnehmungen von Gazprom und der russischen Regierung. Der russische Gaskonzern bemüht sich daher, das Projekt überflüssig zu machen und damit gleichzeitig näher an das europäische Verteilersystem heranzurücken. Bereits 1999 hatte Gazprom gemeinsam mit der italienischen ENI und unter heftigen Protesten der US-Administration begonnen, mit dem Blue Stream Projekt unter Umgehung der Ukraine eine Gaspipeline durch das schwarze Meer zur türkischen Stadt Samsun zu verlegen. Dieses Projekt richtete sich (unter Beteiligung japanischer und türkischer Firmen) gegen die Pläne eines anglo-amerikanischen Konsortiums, eine Pipeline (Trans-Caspian Gas Pipeline; TCP) durch das Kaspische Meer nach Turkmenistan zu führen. Das Gazprom-Unterfangen war bereits 2002 erfolgreich und beendete (vorerst) das TCG-Projekt.15 Aktuell plant Gazprom eine Verlängerung von Blue Stream parallel zum NABUCCO-Vorhaben durch Bulgarien und Rumänien bis nach Ungarn.

Gleichzeitig veräußerte E.On Ruhrgas seine Anteile an der ungarischen MOL (Mitglied im NABUCCO-Konsortium) gegen eine 25%-Beteiligung am russischen Yuschno-Russkoje-Feld an Gazprom. Darüber hinaus nutzt Gazprom die deutliche Abkühlung der Verhältnisse zwischen der Türkei und den USA einerseits sowie der EU andererseits. Frustriert über die Ignorierung türkischer Sicherheitsinteressen im Nordirak durch die US-amerikanische Regierung und die Hinhaltetaktik bzw. inzwischen ablehnende Haltung der Europäischen Union in der Beitrittsfrage zeigt sich die Türkei gegenüber dem Billig-Erdgas-Angebot von Gazprom aufgeschlossen. Die Spannungen zwischen Frankreich und der Türkei aufgrund des Armenien-Beschlusses der französischen Nationalversammlung haben bereits dazu geführt, dass Gas de France die Beteiligung an dem NABUCCO-Konsortium verwehrt wurde, obwohl deren Kapital dringend zur Realisierung benötigt wird. Das Projekt, die Türkei zur Energiedrehscheibe vis-a-vis Russland auszubauen, ist ernsthaft bedroht.

Für die Europäische Union kommt erschwerend hinzu, dass NABUCCO, um halbwegs rentabel betrieben werden zu können, auf zentralasiatisches Gas, vor allem aus Turkmenistan angewiesen ist. Insofern war es ein schwerer Schlag, als Wladimir Putin im Mai 2007 mit dem turkmenischen Präsidenten Gurbanguli Berdymuchamedow vereinbarte, dass große Teile des turkmenischen Erdgases über das russische Leitungsnetz geleitet werden.16

Das Vorhaben, mittels NABUCCO die zentralasiatischen Reserven aus der russischen Kontrolle zu lösen, droht damit zu scheitern. Einzig russisches und iranisches Gas könnten die Pipeline nunmehr ausreichend füllen, aber sowohl die iranische Option als auch ein Einstieg von Gazprom in das Konsortium stoßen sowohl auf heftigen Widerstand der Vereinigten Staaten wie auch auf große Skepsis in Europa.

Derzeit führt für die europäische Gasversorgung kein Weg an Gazprom vorbei. Dies ist aus westlicher Sicht umso Besorgnis erregender, als sich Gazprom bemüht, ein integrierter Energiekonzern zu werden. Das zielt sowohl auf die Ausdehnung des Geschäftsfeldes von der Förderung über den Transport bis hin zur Raffinierung von Erdöl als auch auf die Übernahme von Gasinfrastruktur und den direkten Zutritt zu Endverbrauchermärkten in Europa. Die Gazprom-Strategie kann als Lehre aus den Nationalisierungen der Ölgesellschaften im Nahen und Mittleren Osten gedeutet werden. Damals kontrollierten die neuen staatlichen Unternehmen zwar die Ölförderung (upstream), aber der Transport (mid-stream) und die Verarbeitung/Vermarktung (downstream) blieb von westlichen Firmen dominiert. Das gab den mehrheitlich anglo-amerikanischen Unternehmen (sowie dem Westen als dem zentralen Absatzmarkt insgesamt) ein entscheidendes Druckmittel an die Hand.17 Gazprom hingegen versucht, Quellen, Transportwege und Absatzmärkte unter ihrem Dach zu integrieren.

Der Konzern benutzt dazu seine marktdominierende Stellung in Russland und insbesondere seinen exklusiven Zugriff auf billiges zentralasiatisches Gas (und Öl). Die abrupten Preiserhöhungen gegenüber der Ukraine (März 2005/Anfang 2006) und Weisrussland (Ende 2006/Mai 2007) wurden durch Kompromisse beigelegt: Beide Staaten zahlen nicht den vollen Weltmarktpreis, aber sie treten die Kontrolle über ihre Gasinfrastruktur ab.18 Ein ähnliches Bild zeigt sich im Kaukasus: Das westlich orientierte Georgien weigerte sich, seine Infrastruktur abzutreten und zahlt nunmehr Weltmarktpreise. Demgegenüber zeigte sich Armenien kooperativ und zahlt statt 230 $ pro 1000 Kubikmeter Gas nur 110 $. Innerhalb der EU wird dies wiederum als ein gezielter russischer Versuch interpretiert, die europäische Energieversorgung unter Kontrolle zu bringen, um sich so ein erhebliches machtpolitisches Druckmittel zu verschaffen.19

Eskalationsdynamiken – Droht ein neuer Kalter Krieg?

Die geoökonomischen Erfolge des Westens – in erster Linie durch die BTC-Pipeline – sowie die geopolitischen Verschiebungen – insbesondere durch die mit z.T. massiver westlicher Unterstützung erfolgten sog. »bunten Revolutionen« in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisistan (2005) – erweisen sich zunehmend als kontraproduktiv in dem Bestreben, Energiesicherheit herzustellen. Kooperationsangebote Russlands wurden ausgeschlagen, und stattdessen wird auf eine konfrontativere Politik gesetzt, die letztlich der Russischen Förderation nur wenige Optionen ließ. Darüber hinaus erschütterte der Georgienkrieg im August 2008 die Vorstellungen des Westens, in Georgien über einen sicheren Transportkorridor jenseits Russlands zu verfügen, nachhaltig.20

Der Ton wird immer rauer und die Auseinandersetzungen verlagern sich mittlerweile auch in andere Regionen. So richtet sich der Blick der Europäischen Union nach den Rückschlägen im Bereich der »weichen Geopolitik« nunmehr einerseits verstärkt auf Afrika, wo sich derzeit ein neuer Wettlauf zwischen der EU und Gazprom abzeichnet.21 Andererseits intensiviert die EU ihre Anstrengungen, einen globalen Gasmarkt zu errichten. Bislang ist Erdgas fast ausschließlich durch Pipelines zu transportieren; dies soll sich mit der Flüssiggastechnologie ändern. Tiefgekühltes und damit verflüssigtes Gas lässt sich auf Tankschiffen transportieren und würde Erdgas so zu einer global handelbaren Ware wie Öl aufwerten. In Reaktion darauf wurde am 23. Dezember 2008 in Moskau die »Gas-OPEC« als Kartell erdgas-exportierender Länder durch 16 Staaten gegründet. Wie handlungsfähig diese neue Organisation sein wird, ist bislang noch unklar. Doch ihre Existenz wurde vom NATO-Wirtschaftsausschuss in einem Bericht als Bedrohung eingestuft, da Russland hiermit beabsichtige, Energielieferungen als machtpolitisches Druckmittel einzusetzen.22 In diesem Zusammenhang sind die Forderungen etwa des einflussreichen US-Senators Richard Lugar zur Gründung einer »Energie-NATO« zu sehen. Damit würde eine Unterbrechung der Erdöl- und Erdgaslieferungen als Angriff auf das atlantische Bündnis bewertet.23 Noch sind solche Vorschläge nicht mehrheitsfähig, allerdings wurde die sichere Energieversorgung schon vor einiger Zeit in die Sicherheitskonzeptionen des Westens integriert.

An der Energiefrage entzündet sich daher ein europäischer neuimperialer Diskurs. Die bescheidenen Fortschritte in der Internationalisierung des europäischen neoliberalen Binnenmarktregimes in den europäischen Nachbarschaftraum und die Rückschläge in der »weichen« Geopolitik bereiten das Feld, auf dem weit reichendere Vorschläge fruchtbaren Boden finden. Aufgrund der Weigerung der russischen Förderation, auf die Kontrolle über die Energiewirtschaft zugunsten (westlicher) privater Akteure zu verzichten, wird Russland zunehmend als Gefahr für die westliche Energiesicherheit wahrgenommen.

Anmerkungen

1) Vgl. Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Münster; Leggett, Jeremy (2006): Peak Oil. Köln.

2) Barthel, Fritz Gerling, Peter (Koord.) (2003): Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2002. Rohstoffwirtschaftliche Länderstudien XXVIII. Hannover, S.55.

3) Kalicki, Jan H. Goldwyn, David L. (eds.) (2005): Energy Security. Toward a New Foreign Policy Strategy.

4) Vgl. Van der Pijl, Kees (2006): Global Rivalries. From the Cold War to Iraq. London, S.347ff.

5) Europäische Kommission (2007): Eine Energiepolitik für Europa. Brüssel, den 10.1.2007, KOM (2007) 1 endg., 4.

6) Westphal, Kirsten (2006): Energy Policy between Multilateral Governance and Geopolitics: Wither Europe? In: Internationale Politik und Gesellschaft 4/2006, S.53f.

7) Vgl. FN 4, S.347ff.

8) Vgl. Pörzgen, Gemma (2008): Gasprom. Die Macht aus der Pipeline. Hamburg.

9) Windisch, Nancy (2007): Gazprom – Unternehmenspolitik des größten Erdgaskonzerns der Welt. www.weltpolitik.net/

10) Inzwischen wurde das TACIS-Programm durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) ersetzt.

11) Ehlers, Kai (2006): Reicht Europa bis nach Kasachstan? In: Pflüger, Tobias Wagner, Jürgen (Hrsg.): Weltmacht Europa. Hamburg, S.183-197.

12) Europäische Kommission (2005): Grünbuch über Energieeffizienz. Brüssel, S.17

13)Ob es Zufall oder Absicht ist, das Konsortium setzt sich aus eben jenen Staaten zusammen, die im ersten Weltkrieg Verbündete gegen Russland waren.“ Kneissl, Karin (2006): Der Energiepoker. Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen. München, S.38.

14) Vgl. Wagner, Jürgen (2007): Der Russisch-europäische Erdgaskrieg. Studien zur Militarisierung Europas 30/2007.

15) FN 4, S.352

16) Wolkowa, Irina (2007): Masterplan der Energiestrategie. www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Russland/kaspi.html

17) Yergin, Daniel (1991): The Prize. The Epic Quest for Oil, Money Power. New York, S.389-541.

18) Lindner, Rainer (2007): Blockaden der Freundschaft. SWP-aktuell 3. Januar 2007. Dabei erhielt Weissrussland 2,3 Milliarden $ für Beltransgasanteile, deren Wert auf 800 Millionen Dollar geschätzt wurden.

19) Vgl. FN 14. Darüber hinaus bemüht sich Gazprom nunmehr, Anteile an europäischen Verteilernetzen zu erwerben. Die Liberalisierungsstrategie der EU hat dafür die Vorrausetzungen geschaffen und dies erweist sich unter den veränderten Bedingungen nunmehr als zunehmend kontraproduktiv für das Bestreben, die geopolitische Position der EU zu stärken.

20) Vgl. Hantke, Martin (2008): »Alles wieder offen«. Georgienkrieg und imperiale Geopolitik. IMI-Studie 2008-10. Tübingen.

21) Vgl. Wagner, Jürgen (2009): Gas-OPEC und afrikanische Nabucco. http://www.imi-online.de/download/JW-Gas-OPEC-Nabucco.pdf

22) Kreimeier, Nils Wetzel, Hubert (2007): EU und USA zittern vor neuer »Opec«, Financial Times Deutschland, 06.03.2007.

23) U.S. Senate Committee on Foreign Relations, Senator Richard G. Lugar Opening Statement for Hearing on Oil, Oligarchs and Opportunity: Energy from Central Asia to Europe, 12.06.2008.

Stephan Heidbrink promoviert in Marburg über Energiesicherungsstrategien der Europäischen Union und ist Mitglied der Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI).

Zentralasien, Europa und die Balance der Gewichte

Zentralasien, Europa und die Balance der Gewichte

von Arne C. Seifert

BND-Analysten schätzten in einer vertraulichen Studie vom Februar 2009 ein, dass sich eine Verschiebung der „Gewichte zwischen den großen Blöcken USA, EU und China langsam nach Osten“1 vollzieht. In den Diskussionen über Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise wird die Frage erörtert, dass künftig veränderte Kräfteverhältnisse die internationalen Beziehungen prägen werden. Vorbei sind Bipolarität und Unipolarität, bestimmend wird »Multipolarität« als Konkurrenz alter Großmächte (USA, EU, Japan) und neuer, weiter aufsteigender (vor allem die »BRIC«2-Staaten) sein.

Die internationalen Beziehungen bewegen sich auf eine Phase von »Nichtpolarität« zu. Zwar hat man sich zu einem solchen Terminus noch nicht durchgerungen, er entspräche aber besser der Logik, da es der Pole immer nur zwei geben kann. Unbestritten dürfte jedoch auf der Hand liegen, dass mehrere große Mächte mit ihren Bewegungen und Gegenbewegungen miteinander kollidieren werden. Um hier konfliktvorbeugend und verhütend zu steuern, wird die Bedeutung von Politikinstrumenten der friedlichen Koexistenz erneut zunehmen.

Friedliche Koexistenz und Kooperation – Schlüsselworte des neuen Jahrhunderts

Eine Politik, die in ihren Mittelpunkt die Konfliktvermeidung stellt, hat ein Grundprinzip zu beachten: Alle Seiten müssen bedingungslos demokratisch miteinander umgehen. Egon Bahr erkannte dies, als er bereits 2007 voraussagte: „Es ist eine europäische Verantwortung, dass »Kooperation« zum Schlüsselwort unseres Jahrhunderts wird.“3 In internationalen und zwischenstaatlichen Beziehungen bedingungslos demokratisch miteinander umzugehen, impliziert allerdings, dass »der Westen« sich auch gegenüber autoritären Regierenden demokratisch verhalten müsste. Letzteres würde einer Erkenntnislogik folgen, dass veränderte internationale Bedingungen auch die Verhaltensregeln in den internationalen Beziehungen verändern.

In diesem Kontext kann als erstaunlich gelten, dass aus den öffentlichen Debatten um die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, in welcher sich zugleich das Scheitern der Strategie des Neoliberalismus manifestiert, die westliche, gleichfalls neoliberal gesteuerte Außenpolitik ausgeklammert bleibt. Dabei ist offensichtlich, dass dem Neoliberalismus auch die internationale Politik des westlichen Bündnisses zu Diensten stand, von denen sich Europas außenpolitische Eliten und ihre intellektuelle Dienstleistungsbranche offensichtlich bisher nicht zu lösen gedenken. Das mag auch daran liegen, dass der Entwurf neuer Verhaltensregeln für den eigenen politischen Raum, nämlich den der OSZE, nicht ohne selbstkritische Bilanzierung eigener Politik in den letzten zwanzig Jahren auskäme. Paradox erscheint dabei, dass sich die westlichen Mitgliedstaaten der OSZE ausgerechnet in dieser Organisation von den Prinzipien ihres Mutterschoßes, der KSZE, nahezu völlig verabschiedet haben: nämlich den Prinzipien der friedlichen Koexistenz. Sie erneut auf den Prüfstand zu stellen, wäre für Europa ein Anpassen an »Nichtpolarität«, und Gewichteverschiebung in Richtung Osten eine lohnende intellektuelle Investition. Man sollte dieses Experiment, neben dem Imperativ Russland, mit den Staaten Zentralasiens beginnen. Dazu gehört auch das Erlernen eines demokratischen Umgangs mit autoritär Regierenden. Dafür spricht, dass Zentralasiens autoritäre Regierungen die »Mitte des Stocks« eines weltweit unvergleichlichen Kontinentalraums – Europa, Russland, Zentralasien, China, Indien u.a. – in ihren Händen halten.

Neue Weichenstellungen für den östlichen euro-asiatischen Kontinentalraum

Dieser Raum könnte sich für Europa als wichtigste »strategische Reserve« erweisen – von seinen wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen bis zu seinem zukünftigen internationalen Gewicht. Keine andere geopolitische »Einheit« der Welt verfügt über ein derartiges Potential und eine solche Chance gemeinsamer Entwicklungsmöglichkeiten. In den USA ist das erkannt. Sowohl unter dem Gesichtspunkt eines europäischen Gewichtszuwachses unter den neuen internationalen Bedingungen, als auch der eigenen Kontrolle jenes euro-asiatischen Kontinentalkolosses. Die strategische Stoßrichtung der USA erfolgt aus dem Süden. Daraus erklärt sich auch die Entschlossenheit der Obama-Regierung, Afghanistan zu halten, dafür dort ihr militärisches Engagement zu erhöhen und Pakistan einzubeziehen. Diese als »Afpak« für Afghanistan und Pakistan apostrophierte Strategie trägt dem Wunsch der USA Rechnung, hier den Grund für langfristige Präsenz zu bereiten, sozusagen für ein »Standbein«, um ihrem »Spielbein« Mobilität zu ermöglichen in Richtung Zentralasien, Iran, Indien sowie dem Persischen Golf und dem Arabischen Meer. Insofern kann eine von der Obama-Regierung ins Spiel gebrachte regionale Afghanistanregelung unter Einbeziehung der Nachbarstaaten, darunter Zentralasiens, weniger als Eingeständnis des Scheiterns der bisherigen Afghanistanintervention interpretiert werden denn als politische Umarmungsgeste gegenüber den Zentralasiaten. Daher dürften sich die USA auch in den kommenden Monaten darum bemühen, in der Afghanistanfrage politisch sowohl gegenüber der EU als auch Zentralasien offensiv zu bleiben. Dazu benötigen sie aber gegenwärtig noch die Führung in militärischer Hinsicht.

Neuen Realitäten Rechnung tragen

Die europäische Transformationsstrategie der letzten rund zwanzig Jahre gegenüber Zentralasien und anderen Teilen des post-sowjetischen Raums erhellt, wie unter den neuen Bedingungen einer in östlicher Richtung verlaufenden Gewichtsverschiebung ein strategisch weitsichtiger Umgang mit autoritär Regierenden nicht funktionieren wird.

Für Westeuropas politische Eliten war die Transformation des sozialistischen in ein kapitalistisches Gesellschaftssystem von vornherein ein Projekt äußerer politischer Einflussnahme und Drucks. Als sicherster Weg dazu erschienen ihnen Reformen, die möglichst direkt und schnell, ohne »evolutionäre« Verzögerungen, vollendete Tatsachen schufen: die Implantierung von Marktwirtschaft und eines politischen Systems westlichen Typs. Außerdem musste er sich die äußeren Tore in die jungen Staaten des postsowjetischen Raums öffnen, um die Durchführung der Reformen zu forcieren.

Diese Politik war als bewusste Schock-Strategie eine Komponente der neoliberalen Gesamtstrategie. Deren drei typische Forderungen Privatisierung, Deregulierung und tiefe Einschnitte bei den Sozialausgaben charakterisieren heute die Bedingungen in allen zentralasiatischen Staaten. Versagt hat die Transformationsstrategie bei der dringend erforderlichen Schaffung und Konsolidierung ökonomischer Grundlagen für die weiteren Staatsformungsprozesse und die Staatskonsolidierung, weshalb einige dieser Staaten heute äußerst labil sind (besonders Kirgisistan und Tadschikistan) und sie die internationale Wirtschaftskrise besonders hart trifft. Eindeutig negativ ist die Bilanz auch hinsichtlich der Lebensqualität der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die sich erheblich verschlechtert hat. Hier erweist sich die neoliberale Transformation nicht nur als zutiefst regressiv. Sie behindert auch die Transformation zur Demokratie, da sich keine ökonomische Basis für eine soziale Marktwirtschaft und Demokratie herausbilden konnte. In Zentralasien bildet sich eine Kluft zwischen Armut und Reichtum heraus, wie sie uns aus der Mehrheit der Entwicklungsländer bekannt ist – mit all ihren sozialen und politischen Risiken, einschließlich der rasant zunehmenden politischen Instrumentalisierung des Islams.

»Der Westen« übte von vornherein über seine internationalen Organisationen und bilateralen Beziehungen auf alle Transformationsprozesse und die Führungen der zentralasiatischen Staaten, welche diese zu implementieren hatten, einen gewaltigen äußeren Druck aus. Die OSZE spielte und spielt als „einer der Agenten des Wandels“ in diesem Szenarium eine zentrale Rolle. Indem sie die menschliche Dimension als „Kern der Anstrengungen zur Gewährleistung umfassender Sicherheit“4 in Zentralasien sieht, machte sie sich zu einer zentralen Trägerin der bisherigen westlichen Strategien gegenüber den zentralasiatischen Gesellschaften und deren Führungen.5

Sein Ziel, politische Systeme seines Typs zu etablieren, hat »der Westen« bislang nicht erreicht. Nüchternheit sollte das Nachdenken über die Frage bestimmen, ob und in welchen Zeiträumen das nachgeholt werden könnte. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es nicht gelingen, das Modell liberaler Demokratie in den zentralasiatischen Gesellschaften in absehbaren Zeiträumen zu verwurzeln. Vielmehr wird sich Europa hier auf eine Situation einzustellen haben, in der der Charakter der wirtschaftlichen Systeme kapitalistisch und der politischen nicht liberal-demokratisch sein wird. Das heißt, Europa wird eine Koexistenz-Politik entwickeln müssen gegenüber nicht am westlichen Gesellschaftsmodell fixierten ordnungspolitischen Orientierungen. Welche Zusammenhänge erlauben diese Hypothese?

Erstens hat die Einordnung der zentralasiatischen Führungen in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SchOZ)6 das Kräfteverhältnis zwischen Europa und der zentralasiatischen Region schon heute zu Gunsten Letzterer verändert und verändert es weiter. Mit China und Russland sowie Indien als Beobachter der SchOZ eröffnet sich für die Staaten Zentralasiens die Möglichkeit, sich an die Gruppe der BRIC-Staaten anzulehnen. Sie sind Nutznießer jener Verschiebung der Gewichte nach Osten, aus der die zentralasiatischen Führungen ihren Honig saugen können.

Zweitens hat sich im Ergebnis einer von IWF, Weltbank und deren westlichen Migliedsstaaten vorgegebenen neoliberalen ökonomischen Transformationsstrategie in Zentralasien ein »bürokratischer Familienclan-Kapitalismus« etabliert. Seine Träger, die großen Clans, haben die frühere Allmacht des KPdSU-Apparates gegenüber der Gesellschaft abgelöst durch eine weitgehende Monopolisierung der ökonomischen, politischen und militärischen Macht. Das Wesen dieses neuen Herrschaftsmechanismus zu verstehen, ist deshalb wichtig, weil er sich in vielen jungen Staaten des post-sowjetischen Raums beobachten lässt. Er ist das Produkt einer Transformationsstrategie, die westliche Demokratie und Marktwirtschaft für ein geeignetes Bedingungsgefüge für die Überführung (nicht nur) der zentralasiatischen Gesellschaften zum kapitalistischen System hielt. „Die einzige Bedingung, unter der Marktwirtschaft und Demokratie gleichzeitig implantiert werden und gedeihen können, ist die, dass beide einer Gesellschaft von außen aufgezwungen und durch internationale Abhängigkeitsverhältnisse für längere Fristen garantiert werden.“7

Diese Strategie erweist sich heute als gravierende Fehlkalkulation. »Der Westen« verschätzte sich völlig im Typ des Kapitalismus und seiner Unternehmerklasse, die vor dem Hintergrund der sozialen, traditional-paternalistischen Spezifik der zentralasiatischen Gesellschaften (und nicht nur dieser) entstehen würden. Dabei war voraussehbar, dass die großen Clans die Gewinner einer Transformationsstrategie sein würden, welche auf die Privatisierung des staatlichen Eigentums als oberste Priorität setzte. Nach der Demontage der UdSSR verfügte nur diese erste Transformationsgeneration über die administrativen und finanziellen Ressourcen, um die Privatisierung zu ihren Gunsten umzulenken und zu entscheiden. Nie zuvor hat das Clansystem einen solch gewaltigen Aufschwung erfahren wie durch jene Privatisierung »von oben«. Da es eine in sich und für sich geschlossene Gesellschaftsschicht darstellt, widersetzt es sich der Öffnung der Gesellschaft und ihrer Demokratisierung. Selbst in der sowjetischen Periode war die Verquickung von politischer, ökonomischer und möglichst auch militärischer Macht in Personalunion nicht so eng wie heutzutage bei den Clans jener ersten Generation von Transformationssiegern, aus der die heutigen Entscheidungsträger kommen.

Das Paradoxon besteht weiter darin, dass »der Westen« von dieser neuen Unternehmerklasse politische Systeme präsentiert bekam, welche das Gegenteil zu dem von westlicher Feder vorgeschriebenen Postulat der KSZE-Charta von Paris für ein neues Europa von 1990 ist. Ihr zufolge verpflichten sich alle OSZE-Staaten „die Demokratie als die einzige Regierungsform […] aufzubauen, zu festigen und zu stärken“.8 Um zu dem vom Westen eingeforderten Typ von Demokratie zu gelangen, müsste er jedoch jenen Typ von bürokratischem Familienclan-Kapitalismus erst wieder abschaffen. Das aber wird der Westen nicht wagen, was die Herrschenden in Zentralasien wissen. Darin besteht das große Dilemma der westlichen Demokratisierungsstrategie.

Mehr noch: dieser Zustand wird sich selbst dann nicht ändern, wenn die Clan-Oligarchen der ersten Generation der Konkurrenz neuer zweiter und dritter Unternehmergenerationen weichen müssen. Letztere werden zwar nach politischer Macht streben, auf ihre ökonomische jedoch nicht verzichten. Also werden solche inneren Auseinandersetzungen weder den herrschenden Typ von Unternehmerklasse noch deren Aversion gegen eine Trennung von politischer und ökonomischer Macht, gegen eine offene Gesellschaft und Demokratie westlichen Typs, aus der Welt schaffen.

Heißt das, seine Transformationsstrategie hat »dem Westen« gar nichts gebracht? Keineswegs. Er erreichte für ihn Vorrangiges – die Beseitigung der politischen und ökonomischen Grundlagen des sowjetischen Gesellschaftstyps. Ein Zurück zum einstigen sowjetischen Imperium wird es nicht geben, was er als Erfolg historischen Ausmaßes wertet. Auch bei der Transformation zur Marktwirtschaft ist der Rubikon überschritten. Selbst wenn westliche Unternehmen noch nicht auf allen Gebieten zufrieden sind – ein Zurück in die Planwirtschaft wird es ebenfalls nicht geben. Folglich könnte man sich in Europa ein etwas entspannteres Nachdenken über eine Neujustierung politischer Prioritäten gegenüber Zentralasien leisten und über den Sinngehalt des Hinweises Egon Bahrs nachdenken: „[…] wer die Beschwörungsformel von der Wertegemeinschaft undifferenziert benutzt, muss wissen, dass daraus Unterwerfungsformeln werden können, wenn die eigenen Werte nicht mehr klar vertreten werden.“9 Was heißt – wer Achtung der Demokratie als universellen Wert einfordert, darf sie aus seinem internationalen Verhalten nicht ausklammern.

Welches Fazit könnte gezogen werden?

Erstens: In den letzten knapp zwei Jahrzehnten haben sich im zentralasiatischen Teil des OSZE-Raums die geostrategischen Konstellationen verschoben, die gesellschaftssystemischen Bedingungen verändert und die Eliten sich ebenso umgeschichtet wie deren Charakter, Interessenlagen und Kooperationsvoraussetzungen. Die Zeiten hochfliegender Hoffnungen, dass »der Westen« seine »Demokratie als die einzige Regierungsform« im riesigen, seiner sozialen Natur und politischen Kultur nach höchst pluralistischen post-sowjetischen Raum durchzusetzen vermag, neigen sich ihrem Ende zu. Er muss auch Obacht geben, dass neue Widersprüche die noch bestehenden Voraussetzungen für strategische Partnerschaften und Kooperation nicht unterlaufen. Die OSZE haben sie bereits eingeholt. Als wichtigster Widerspruch kann derjenige zwischen den internationalen demokratiepolitischen Gestaltungsansprüchen »des Westens« und den real existierenden Herrschaftsstrukturen gelten. Es sind die praktisch-politischen Konsequenzen zu prüfen, die sich aus der richtigen Erkenntnis ergeben, dass „[e]xterne Demokratieförderung […] nicht oktroyiert, exportiert oder exekutiert werden kann. Sie kann nur eine optimierende Katalysatorrolle einnehmen von im Empfängerland bereits vorhandenen Liberalisierungs- und Demokratisierungsansätzen.“10

Zweitens: Das politische und ökonomische Überleben der zentralasiatischen Führungen hängt zukünftig immer weniger von Europas Verständnis oder Unverständnis der in ihrer Großregion ablaufenden gesellschaftspolitischen Prozesse ab. Die neue »nichtpolare« Großmachtkonstellation eröffnete ihnen die Wahl zwischen Großmächten unterschiedlicher Herrschaftssysteme und politischer Orientierungen. Dieser Umstand und das in Europa erwachende Verständnis für die besondere Rolle Zentralasiens stellen die europäische Politik vor eine völlig neue, aber ganz zentrale Aufgabe: Wenn die zentralasiatischen Staaten schon nicht mehr darauf angewiesen sind, ins europäische Boot zu steigen, aber dennoch daran interessiert sind, mit ihrem eigenen Boot an unseres anzudocken, dann ist für Europa die Zeit gekommen zu prüfen, wie mit autokratischen Führungen auf gleicher Augenhöhe demokratisch umzugehen ist.

Drittens: Zum Glück gibt es dafür die OSZE mit ihren wichtigen politischen Erfahrungen aus der Konstruktion von Zusammenarbeit und friedlicher Koexistenz unterschiedlicher Systeme. Die europäischen Staaten sollten abwägen, ob sie bereit sind, ihr Verständnis der OSZE als Kontrollinstrument und ein Motor der »Proliferation« des liberalen Demokratiemodells in den postsowjetischen Raum in das einer Zukunftsvision von der OSZE als »Regulator« von Zusammenarbeit und Sicherheit im Sinne euro-asiatischer, kontinentaler Partnerschaft zu transformieren, der hilft, den euro-asiatischen Raum als gemeinsamen zu erschließen. Entscheidet sie sich für Ersteres, würde die OSZE Europa eine strategisch unverzichtbare Dienstleistung erweisen: die Justierung ihrer Prinzipien und Steuerungsinstrumente für eine solche Partnerschaft im Sinne kooperativer Sicherheit und Zusammenarbeit, des Ausgleichs und der Harmonisierung von Interessen. Zum anderen würde der Entwurf eines solchen neuen Verhältnisses es wichtigen euro-asiatischen Staaten – Russland und Zentralasien eingeschlossen – erleichtern, ihre strategische Partnerschaftswahl, in der sie heute noch schwanken, zugunsten einer gesicherten Zukunft mit Europa auf einem gemeinsamen Kontinent zu treffen. Auch ließen sich Misstrauen stiftende Konkurrenzängste, insbesondere der Russischen Föderation bezüglich seiner asiatischen und zentralasiatischen Nachbarschaftsregionen, ausräumen. Die so zu öffnenden neuen Perspektiven und ihr gemeinsames Gestalten könnten auch dazu beitragen, die Krise zu überwinden, in der sich die OSZE heute befindet.

Fiele die Abwägung zugunsten von Sicherheit und Zusammenarbeit im Sinne einer euro-asiatischen kontinentalen Partnerschaft aus, so wäre das für Europa keine »Rolle rückwärts«, sondern vorwärts, da der Ausgleich und die Harmonisierung von Interessen Potenziale einer euro-asiatischen Kooperation mobilisieren könnten, die noch nicht in vollem Umfang erkannt wurden: in wirtschaftlicher, außenpolitischer und weltpolitischer Hinsicht sowie im Sinne gegenseitiger kultureller Befruchtung.

Das Nachdenken über ein neues Verhältnis zueinander müsste selbstverständlich ein gemeinsames sein. Geographisch bräuchte der jetzige OSZE-Raum nicht überschritten zu werden. Zunächst geht es um Vertrauensbildung zwischen den europäischen und den euro-asiatischen OSZE-Teilnehmerstaaten. In weiteren Schritten könnte Vertrauensbildung durch Letztere gegenüber deren asiatischen Partnern angestrebt werden. Die Verschiebung der internationalen Gewichte nach Osten wartet nicht auf Europa.

Anmerkungen

1) Rinke, Andreas: Metamorphose der Geopolitik, in: Internationale Politik, Juni 2009, S.40.

2) BRIC-Staaten: Brasilien, Russland, Indien, China

3) Egon Bahr: Europas strategische Interessen, in: Internationale Politik, April 2007, S.87.

4) Organization for Security and Co-operation in Europe (2001): OSCE Meetings on Human Dimension Issues 1999-2001. Warschau, S.7 (eigene Übersetzung).

5) „Fragen der menschlichen Dimension sind zum wichtigsten Tätigkeitsfeld der OSZE geworden […]“ zit. nach Wolfgang Zellner (2006): Managing Change in Europe: Evaluating the OSCE and Its Future Role: Competencies, Capabilities, Missions. CORE Working Paper Nr. 13, S.26 (eigene Übersetzung).

6) SchOZ-Mitglieder: China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan. Beobachterstatus haben Indien, Pakistan, Iran und Mongolei.

7) Claus Offe (1994): Der Tunnel am Ende des Lichts. Erkundungen der politischen Transformation im Neuen Osten, New York, S.65 (Hervorhebung durch den Autor).

8) Charta von Paris für ein neues Europa. Erklärung des Pariser KSZE-Treffens der Staats- und Regierungschefs, Paris, 21. November 1990, in: Ulrich Fastenrath (Hrsg.): KSZE/OSZE. Dokumente der Konferenz und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Neuwied u.a., Loseb.-Ausg., Kap. A.2, S.2 (Hervorhebung durch den Autor).

9) Bahr, a.a.O. (Anm. 5), S.87.

10) Wulf Lapins (2007): Demokratieförderung in der Deutschen Außenpolitik, Berlin, FES, S.16.

Dr. Arne C. Seifert, Botschafter a. D., ist Mitglied des Vorstands des Verbands für internationale Politik und Völkerrecht, Berlin

Keine NATO des Ostens

Keine NATO des Ostens

Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit als eurasisches Großprojekt

von Peter Linke

Alle Hoffnungen auf eine »multipolare Welt« haben sich bislang nicht erfüllt. Die Welt von heute ist eher »nicht-polar« (Richard Haass) – mit all den daraus resultierenden Gefahren für globale und regionale Sicherheitszusammenhänge. Verstärkt richtet sich daher das Augenmerk auf Strukturen, die einer multipolaren Welt potentiell Vorschub leisten. Dabei von besonderem Interesse: Die Neustrukturierung des postsowjetischen Raums, die Herausbildung verschiedener postsowjetischer »Subräume«, ihr Verhältnis zueinander, die Konstituierung regionaler und subregionaler politischer Kulturen im Spannungsfeld zwischen säkularer Krise und religiöser Wiedergeburt sowie die dabei zutage tretende Rolle externer Akteure.

Im postsowjetischen Raumkonglomerat tummeln sich inzwischen nicht wenige Organisationen: von der so genannten GUAM (gegründet 1997 durch Georgien, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldowa unter aktiver Mithilfe Washingtons) über die »Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit« (ODKB) – ein 2002 auf Initiative Moskaus aus der Taufe gehobener militärischer Beistandspakt, dem neben Russland Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan angehören – bis hin zur »Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft« (EwrAsES), deren Gründungsvertrag 2000 im kasachischen Astana von Belarus, Kasachstan, Kirgisien, Russland und Tadschikistan unterzeichnet wurde.

Die geostrategisch und geokulturell interessanteste Struktur ist und bleibt jedoch die »Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit« (russisch: SchOS).

Vorläufer der SchOS war die so genannte Schanghaier Fünfergruppe, deren Mitglieder China, Russland, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan sich Mitte der neunziger Jahre in mehreren Abkommen zu „militärischer Vertrauensbildung und gegenseitiger Streitkräftereduzierung im grenznahen Raum“ verpflichtet hatten. Nach dem Beitritt Usbekistans konstituierte man sich 2001 zur SchOS. Hauptanliegen der neuen Organisation war „der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus, Separatismus und Extremismus, die Förderung wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten, die Gewährleistung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region sowie die Etablierung einer neuen, demokratischen und gerechten Weltordnung.“1 2004 gewährte die Organisation der Mongolei und 2005 Indien, Pakistan und dem Iran den Status von Beobachtern und erweiterte damit ihren geopolitischen Spielraum um ein Vielfaches.

Neben diversen Gesprächsforen verfügt die SchOS über zwei ständige Organe: ein Sekretariat in Peking sowie eine »Regionale Antiterrorstruktur« in Taschkent. Deutlich verstärkt hat sich in den letzten Jahren die sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Rahmen der SchOS, was insbesondere in diversen multilateralen »Antiterror-Manövern« zum Ausdruck kommt.

Doch auch wirtschaftspolitisch rückt man immer enger zusammen. Jüngstes Beispiel: die zwischen Moskau und Peking im April 2009 vereinbarten Maßnahmen zur gemeinsamen Entwicklung des Russischen Fernen Ostens.

Wohin die weitere Reise der Organisation gehen soll, machte der Kreml vor wenigen Wochen deutlich, als er im ostrussischen Jekaterinburg den inzwischen 9. SchOS-Gipfel elegant mit dem 1. BRIC-Gipfel2 verband.

Insbesondere US-Strategen taten sich zunächst schwer damit, die SchOS ernst zu nehmen, verspotteten sie als „widersprüchlichste Organisation der Gegenwart“, die versuche, zu umfassen, was sich nicht umfassen lasse, und daher eine „Todgeburt“ sei.3 Ein Sinneswandel setzte erst 2005 ein, als die geopolitischen Schwergewichte Indien und Iran Beobachterstatus erhielten: Während sich einige Analysten damit begnügten, die SchOS als anti-amerikanische Verschwörung zu verteufeln, die einzig und allein das Ziel verfolge, Washington den Stuhl vor die eurasische Tür zu stellen, versuchten andere, mit Hilfe alternativer Konzepte wie dem eines »Greater Middle East« oder einer »Greater Central Asia Partnership for Cooperation and Development« der SchOS geopolitisch den Wind aus den Segeln zu nehmen. Unterstützung fanden Letztere insbesondere unter japanischen Kollegen, die SchOS durchaus aufgeschlossen gegenüberstanden und mit Vorschlägen wie dem einer »Eurasischen Interaktionsinitiative« danach trachteten, ihr eigenes Land sowie die USA und EU-Europa als »Dialogpartner« an die SchOS anzudocken. Mit Blick auf die Europäische Union ein durchaus kurioses Anliegen, zeigte sich diese doch an der neuen Struktur im Osten wenig interessiert. Ein Zustand, an dem sich bis heute wenig geändert hat.

Nüchtern betrachtet, ist die SchOS weder eine Todgeburt, noch eine Bedrohung für die »freie Welt«, sondern eine junge Organisation auf der Suche nach einem eigenständigen, unverwechselbaren Platz im künftigen transeurasischen Sicherheitsgefüge.

Eine »Organisation neuen Typs«

Laut Generaloberst Leonid Iwaschow, Präsident der Moskauer Akademie für geopolitische Probleme, strebt die SchOS als eine »Organisation neuen Typs« (Jewgenij Primakow) ein Sicherheitssystem an, das sich von dem der NATO, der ODKB und anderer militärischer Blöcke prinzipiell unterscheidet. Gleichzeitig bemühe sich die Organisation um ein eigenes Entwicklungsmodell, basierend auf einem System gemeinsamer, transzivilisatorischer Werte.

Dies sei besonders wichtig angesichts erheblicher Armut in vielen Mitgliedsländern sowie anhaltender ethnokonfessioneller Spannungen in der gesamten Region. Die SchOS brauche mehr als eine bloße Wachstumsideologie, sie brauche eine komplexe Entwicklungsstrategie, die die Veränderung der Wirtschaftstruktur in den einzelnen Mitgliedsstaaten zum Ziel habe und darauf orientiere, die Lebensqualität durch die Förderung von Kultur, Wissenschaft, Bildung sowie einer komfortablen Lebensweise bei gleichzeitiger Schonung der Natur nachhaltig zu verbessern.

Vor allem Russland mit seinen gewaltigen »Transformationsproblemen« habe dies frühzeitig erkannt. Es sei kein Zufall, so Iwaschow, dass gerade russische Diplomaten und Militärs bereits 1998 Kurs auf die Umwandlung der Schanghaier Fünfergruppe in eine stärker strukturierte Organisation genommen hätten. Dazu gedrängt habe sie eine zunehmend unipolare Weltordnung mit Hang zur Schaffung einer „Diktatur der militärischen Stärke“, aber auch die Dominanz liberaler Marktbeziehungen, in deren Folge die Zerrüttung der Weltwirtschaft, die Störung des globalen ökologischen Gleichgewichts sowie die Behinderung friedlichen zivilisatorischen Miteinanders eine neue, gefährliche Qualität angenommen hätten.

Einen Kontrapunkt habe man damals setzen, der individualistisch-konsumorientierten Gesellschaft des Westens eine Art Gegenentwurf präsentieren wollen: die Vision eines „zweiten Pols der Menschheit“, der aufgrund alternativer lebensphilosophischer Ansätze – basierend auf neuen Einsichten in das Verhältnis von Mensch und Natur sowie gemeinschaftsorientierten Wertmaßstäben – „harmonische Beziehungen zwischen Staaten und Zivilisationen“ aktiv befördere sowie ein „auf ausbalancierten Kräften und Potentialen fußendes Sicherheitssystem“ anstrebe.4 Mit der Gründung der SchOS habe man dieser Absicht erstmals praktisch Nachdruck verliehen. Die Suche nach einem komplexen Sicherheitsverständnis sei sehr schnell zum Markenzeichen der neuen Organisation geworden.

Russisch-chinesische Missverständnisse

Iwaschows Ausführungen verdeutlichen auf recht anschauliche Weise, welch gewaltige globalpolitischen Absichten russische Strategieplaner von Anfang an mit der SchOS verfolgten. Ein Ansatz, der aber von Strategieplanern anderer Mitgliedsländer, insbesondere Chinas, so nicht geteilt wird. Im Unterschied zu Russland war Chinas Engagement in der Organisation bislang eher taktischer Natur.

Seit Deng Xiaoping betrachtet Peking als zentrales Ziel seiner Außenpolitik, sich mit den entscheidenden internationalen Akteuren über eine (Neu-)Aufteilung der Welt in Interessen- und Verantwortungssphären zu verständigen, ohne dabei selbst eine globale Führungsrolle anzustreben oder (insbesondere gegenüber den USA) konfrontativ aufzutreten. Offiziell »Strategie der harmonischen Entwicklung« genannt, lässt dieser Ansatz letztlich wenig Raum für aktives globalpolitisches Engagement.

China weigere sich, Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Stabilität im Weltmaßstab zu übernehmen, begnüge sich mit stabilen Verhältnissen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, so Alexander Koltjukow, Chef des Instituts für Militärgeschichte des Russischen Verteidigungsministeriums. Der Weg dorthin führe aus Sicht der chinesischen Führung über die Anbindung der benachbarten Volkswirtschaften an die eigene Volkswirtschaft. Aus genau diesem Grunde verweigere sich Peking militärischen Blöcken oder wirtschaftlicher Integration nach dem Vorbild der EU; es bevorzuge, sämtliche politische und wirtschaftliche Fragen auf bilateraler Ebene zu klären.

Vor diesem Hintergrund sieht Koltjukow wesentliche Unterschiede im Herangehen Russlands und Chinas an mögliche Kooperationsformen im Rahmen der SchOS: Während Russland nach vertiefter Integration auf Grundlage einer teilweisen Delegierung staatlicher Souveränitätsrechte an supranationale Organe (etwa des ODKB oder der EwrAsES) strebe, weigere sich China, seine Souveränität mit irgendjemandem zu teilen. Pekings Interesse sei darauf gerichtet, gegenüber Moskau und Delhi eine Abgrenzung von Interessen- und Verantwortungssphären in der Region durchzusetzen. Russland freilich betrachte die ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken längst als Sphäre seiner Interessen.

Zentralasiatische Schaukelpolitik

Die offensichtlichen Interessengegensätze zwischen Russland und China verführten die Zentralasiaten selbst zu einer teilweise abenteuerlichen Schaukelpolitik, von der letztlich, wenn überhaupt, nur Dritte profitieren würden. Koltjukow: „Die zentralasiatischen Republiken sind noch nicht lange genug souverän, um wirklich bereit zu sein, in supranationalen Strukturen mitzuarbeiten. Von gefestigten außenpolitischen Traditionen kann keine Rede sein. Noch suchen die Staaten der Region nach einem eigenständigen, das bestehende Kräftegewicht berücksichtigenden Entwicklungspfad. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Suche zur Aufkündigung der strategischen Partnerschaft mit Russland führt…“5

Moskaus Integrationsverheißungen irritieren viele zentralasiatische Entscheidungsträger, ist deren Durst nach Souveränität doch längst nicht gestillt. Gleichzeitig beunruhigt sie Pekings massive wirtschaftliche Expansion in die Region. Um zwischen Integrationsdruck einerseits und wirtschaftlicher Überfremdung anderseits nicht zerrieben zu werden, spielen sie nur allzu gern die US-Karte.

Gefährlicher Bilateralismus der »Beobachter«

Den Scharaden der Vollmitglieder skeptisch gegenüberstehend, konzentrieren sich die vier Beobachter bislang auf die Pflege bilateraler Kontakte, was die Organisation nicht wirklich voranbringt: Delhi versteht die SchOS vor allem als Vehikel, preiswerter als je zuvor an russische Waffen zu gelangen, seine militärpolitische Präsenz in Zentralasien zu festigen (etwa durch den Ausbau des Luftwaffenstützpunktes Ajni in Tadschikistan) sowie den Einfluss Pakistans in der Region möglichst klein zu halten. Islamabad versucht mit Hilfe der Organisation nicht nur, seine gravierenden Energieprobleme in den Griff zu bekommen, sondern auch Delhis wachsendes Engagement in und um Afghanistan zu konterkarieren. Teheran nutzt seinen Beobachterstatus, um seine sicherheitspolitischen Aktivitäten in der Region zu diversifizieren sowie bei fortgesetzter Frontstellung gegen Washington die Integration der Islamischen Republik in die Weltwirtschaft voranzutreiben. Ulan-Bator hofft, über die SchOS zusätzliche Mittel zur Entwicklung seiner Verkehrs- und sonstigen Infrastruktur akquirieren zu können, ohne dabei (erneut) in allzu große Abhängigkeit von Moskau oder Peking zu geraten.

Mangelnde Abstimmung zwischen den »SchOS-Lokomotiven« Russland und China, latentes Misstrauen der »Kleinen« (Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien) gegenüber den »Großen« (Russland, China, Kasachstan) sowie ein die Organisation überwuchernder Bilateralismus, insbesondere zwischen den »Kleinen« und den Beobachtern verhindern bislang die tatsächliche Etablierung der SchOS als »Organisation neuen Typs«.

Strategische Reserven

Nach Meinung vieler Beobachter handelt es sich bei den o.g. Differenzen im Wesentlichen um Kinderkrankheiten einer noch im Werden begriffenen Struktur. Diese zu überwinden sollte der SchOS perspektivisch möglich sein, wurde sie doch als ein Instrument praktischer Vertrauensbildung konzipiert.

Als solches kann die Organisation einen einzigartigen Beitrag zum Abbau gegenseitiger negativer Klischees (etwa im Verhältnis Russland-China) bzw. Feindbilder (insbesondere im indisch-pakistanischen Kontext), zur Förderung multilateraler Sicherheitsarrangements zwischen Vollmitgliedern und Beobachtern, zu effektiver wirtschaftlicher Kooperation und damit ultimativ zur räumlichen Neustrukturierung Transeurasiens mit erheblich gesteigerten geopolitischen Handlungsoptionen, insbesondere für die Staaten Zentralasiens (direkter Zugang zum Meer dank strategischer Infrastrukturprojekte mit Pakistan und dem Iran etc.) leisten.

Neuer Eurasismus

Auf diesem Wege könnte die SchOS tatsächlich zum Rückgrat eines alternativen eurasischen Sicherheitssystems werden, das transregionalen Verkehrsinfrastrukturprojekten ebenso viel Aufmerksamkeit entgegen bringt wie Initiativen zur nachhaltigen Bodennutzung oder kulturellen Selbstbehauptung. Damit würden sich der SchOS reale Handlungsoptionen weit über den eigenen, unmittelbaren Tätigkeitsrahmen hinaus eröffnen (Vernetzung mit OSZE, ASEAN/ARF etc.).

Die »eurasische Option« wird immer mehr zu einer Grundkonstante geopolitischen Denkens im postsowjetischen Raum. Bereits Mitte der 1990er Jahre trat der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew mit der Idee einer Eurasischen Union an die Öffentlichkeit. Auch wenn Nasarbajews Ansatz im Kreml zunächst eher skeptisch gesehen wurde, stieß er bei russischen Geostrategen sofort auf offene Ohren: Russland als einzige Kontinentalmacht mit massiver Territorialpräsenz in Europa und Asien sowie mit mehr eurasischen Nachbarn als irgendein anderer Staat, so der bekannte Moskauer Militärhistoriker Wjatscheslaw Simonin, könne entscheidend zur Schaffung eines einheitlichen und universellen »Eurasischen Systems der Sicherheit, Zusammenarbeit und Entwicklung« (EASBSR) auf Grundlage existierender institutioneller und nichtstaatlicher Organisationen beitragen, wobei der OSZE, der SchOS, dem ASEAN-Regionalforum (ARF) sowie dem Asien-Europa-Treffen (ASEM) eine Schlüsselrolle zukomme.

Dass dem Kreml derartige Gedanken nicht gänzlich fremd sind, demonstrierte Wladimir Putin erstmals im Dezember 2001, als er auf einer Pressekonferenz mit kargen Worten umriss, was faktisch einem eurasischen Sicherheitssystem vom Atlantik bis zum Pazifik gleichkam.

Wie ein derartiges System praktisch-konkret aussehen könnte, beschreibt Jahre später der Petersburger Geograph Jurij Krupnow. Seiner Meinung nach besteht die wichtigste geopolitische und diplomatische Aufgabe Russlands in den nächsten zwanzig Jahren in der Umwandlung Zentralasiens und des Mittleren Ostens – von Kasachstan bis Nordindien und dem Persischen Golf – in eine prinzipiell neue Makroregion, die für Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung auf Grundlage beschleunigter Industrialisierung und systemischer Zusammenarbeit zwischen Russland, Indien, China, dem Iran, Afghanistan, Pakistan, der Mongolei, Kasachstan, Turkmenistan, Kirgisien, Tadschikistan, Aserbaidschan und der Türkei steht. Ausgangspunkt eines solchen Makroprojektes müsse die Schaffung eines einheitlichen geoökonomischen und geokulturellen Raums sein, der weder geopolitische Grenzziehungen, noch nationale geostrategische Egoismen kenne. Fern jeder Instrumentalisierung durch einzelne Länder könne eine solche Makroregion den Kern eines zentraleurasischen gemeinsamen Marktes sowie ein Dialogforum für die in der Region beheimateten Zivilisationen und Völker bilden.

Spätestens die von Krupnow vorgeschlagene Bezeichnung »Neuer Mittlerer Osten« (NSW) für die geplante Makroregion macht deutlich, dass sie nicht zuletzt als Antwort auf die US-Konzeption eines »Greater Middle East« gedacht ist. Sie darauf zu reduzieren, wäre jedoch grundfalsch. In Krupnows Ansatz widerspiegelt sich vor allem der Versuch, auf eine Reihe für Russland sehr realer Herausforderungen mit einem ganzheitlichen Lösungsansatz zu reagieren:

Mobilisierung dringend benötigter externer Ressourcen für die Entwicklung des asiatischen Teils Russlands;

infrastrukturelle Entwicklung Sibiriens und des russischen Fernen Ostens, nicht zuletzt durch systematische Nutzung zentralasiatischer Arbeitskräfte;

Ausbau strategisch bedeutsamer Pipeline-Systeme und Transportkorridore, insbesondere durch enge Kooperation mit dem Iran;

nachhaltige Boden- und Wassernutzung, vor allem im sibirisch-zentralasiatischen Grenzgebiet;

Gewährleistung transregionaler Nahrungsmittelsicherheit;

Delegitimierung ethnischer Gewalt durch Kultivierung eines neuen Transkulturalismus.

Gesucht: Eine neue strategische Kultur

Insbesondere die letzten drei Herausforderungen bedingen einen Sicherheitsansatz, der weit über das hinausgeht, was gemeinhin als »vernetzte Sicherheit« bezeichnet wird. Ein solcher Ansatz müsste vor allem prophylaktischer Natur sein, was wiederum eine qualitativ neue strategische Kultur6 voraussetzt. Qualitativ neu bedeutet dabei nicht, das Militärische nachhaltig zu marginalisieren, sondern eher im Gesamtkoordinatensystem moderner sicherheitspolitischer Herausforderungen anders zu verorten.

Dem wiederum müsste ein neuer Gewaltbegriff zugrunde liegen, der dem zunehmend dualen Charakter moderner Waffensysteme ebenso Rechnung trägt, wie der wachsenden Komplexität von Mensch-Maschine-Systemen sowie praktischer künstlicher Intelligenz. Auf diesem Wege könnte ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Formierung einer neuen, die Grenzen zwischen militärischer und nichtmilitärischer Selbstbehauptung des Menschen aufhebenden Ethik für das heraufziehende posthumane Zeitalter geleistet werden. Ein ideales Betätigungsfeld für die SchOS, will sie tatsächlich eine »Organisation neuen Typs« sein.

Die SchOS als Wiege einer neuen transeurasischen Zivilisation, basierend auf einer neuen strategischen Kultur – eine ehrgeizige Vision, aber dennoch realistisch unter der Voraussetzung, dass sich die beiden »Lokomotiven« der Organisation endlich ihrer kollektiven Potenz bewusst werden.

Höchste Zeit, dass beide »Großen« gemeinsam und in enger Abstimmung mit den nicht ganz so Großen sowie allen Beobachtern über Grundbausteine einer neuen strategischen Kultur für den transeurasischen Raum nachdenken. Moskaus Entscheidung vom April 2009, der wirtschaftlichen Expansion Pekings in Russlands Fernen Osten sowie nach Zentralasien nicht länger im Weg zu stehen, kann durchaus als eine vertrauensbildende Maßnahme gelten, ist jedoch noch kein Schritt hin zu einer wirklich neuen strategischen Kultur.

Notwendig wäre eine gewaltige intellektuelle Anstrengung in Sachen eurasischer Idee jenseits aller Nationalismen. Ein komplexes Geschichtsbewusstsein, die genaue Kenntnis der weltlichen und religiösen Traditionen Eurasiens sind dafür ebenso Voraussetzung wie ein fundiertes Gespür für neue und neueste Trends in Wissenschaft und Gesellschaft.

Woran es der SchOS nach wie vor ermangelt, ist eine Art Grand Strategy, eine Vision, die den Menschen Transeurasiens eine gemeinsame Zukunft verheißt, ohne sie ihrer individuellen Vergangenheit zu berauben.

Chinas Vision für die SchOS, kritisiert der bekannte chinesische Geostratege Jia Qingguo, bleibe abstrakt und schlecht definiert, da das Land nicht in der Lage sei, einen konkreten Wertekatalog vorzulegen, der sowohl Chinesen als auch andere Völker in den Mitgliedstaaten der Organisation ansprechen würde. Die Schwäche der SchOS, resümiert Leonid Iwaschow, bestehe darin, dass sie über keinerlei fundamentale Theorie zur Beschreibung eines derartigen transzivilisatorischen Gebildes verfüge, über keinerlei formierte philosophische Weltanschaung, Konzeptionen und Algorhythmen zur Strukturierung dieses gewaltigen Raums. Es bleibt also viel zu tun!

Weiterführende Literatur

Lusjanin, Sergej (2007): Wostotschnaja Politika Wladimira Putina (Die Ostpolitik Wladimir Putins), Moskwa, Wostok-Sapad.

Zhao, Quansheng (1996): Interpreting Chinese Foreign Policy, Oxford University Press.

Anmerkungen

1) Siehe Erklärung über die Gründung der SchOS vom 15. Juni 2001 unter www.sectsco.org/RU/show.asp?id=83.

2) Informelle Verabredung zwischen Brasilien, Russland, Indien und China, „neue ökonomische Programme zu erarbeiten“ sowie „die internationalen Finanzbeziehungen zu reformieren.“ (Dmitrij Medwedjew).

3) Siehe z.B. Thomas Ambrosio (2005): Challenging America´s Global Preeminence: Russia´s Quest for Multipolarity, Aldershot: Ashgate, S.138.

4) Leonid Iwaschow (2007): SchOS i geopolititscheskije interesy Rossii w Jewrasii (Die SchOS und die geopolitischen Interessen Russlands in Eurasien), in: Schanchajskaja Organisazija Sotrudnitschestwa i jejo rol w sosdanii alternatiwnoj besopasnosti w Asii (Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit und ihre Rolle bei der Schaffung einer alternativen Sicherheitsarchitektur in Asien), Moskwa, ROPZ, S.22.

5) Alexander Koltjukow (2008): Wlijanije Schanchajskoj organisazii sotrudnitschestwa na raswitije i besopasnost Zentralno-Asiatskowo regiona (Der Einfluss der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit auf die Entwicklung und die Sicherheit der zentralasiatischen Region), in: Schanchajskaja Organisazija Sotrudnitschestwa – k nowym rubesham raswitija (Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit – auf zu neuen Entwicklungshorizonten), Moskwa, IDW, S.282.

6) Im Sinne einer Garnitur aus „gemeinschaftlichen Glaubenssätzen, Annahmen und Verhaltensweisen, abgeleitet aus gemeinsam gemachten Erfahrungen und allgemein akzeptierten Erzählungen (mündlicher wie schriftlicher Art), die kollektive Identität stiften, das Verhältnis zu anderen Gruppen prägen sowie von zentraler Bedeutung bei der Wahl angemessener Mittel und Wege zum Erreichen von Sicherheitszielen sind.“ Siehe Darryl Howlett (2006): The Future of Strategic Culture, Defense Threat Reduction Agency, Advanced Systems and Concepts Office, 31 October 2006, S.3.

Peter Linke leitet das Moskauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Der Islam in Russland

Der Islam in Russland

von Alexey Malashenko

In den Medien ist oft von der wachsenden Gefahr einer Islamisierung Russlands zu hören. Neben dem Christentum gehört der Islam auf dem Gebiet der Russischen Föderation zu den dort seit Jahrhunderten verwurzelten Religionen. Eine in sich fest geschlossene Gemeinschaft haben die hier lebenden muslimischen Völker allerdings zu keinem Zeitpunkt ihrer Entwicklungsgeschichte gebildet. Vielmehr existiert in Russland eine Vielzahl islamischer Gemeinschaften, die von verschiedenen Strömungen beeinflusst seit dem Zusammenbruch der UdSSR und infolge der damit einhergehenden globalen Veränderungsprozesse um eine Neuordnung ihrer islamischen Werte in Russland ringen.

Der vereinheitlichende Begriff russischer bzw. post-sowjetischer Islam, der von manchen Wissenschaftlern verwendet wird, ist nicht ganz korrekt. Die in Russland zahlreichen muslimischen Ethnien, wie beispielsweise Tataren, Baschkiren sowie Völker des nördlichen Kaukasus, sind von verschiedenen Kulturen und Erfahrungen geprägt und betonen die Differenzen in ihrer religiösen Tradition. In Russland existieren westlich und östlich des Uralgebirges zwei islamische Gebiete wobei jedes als Teil Russlands seine Besonderheiten aufweist. Der russische, bzw. post-sowjetische Islam als homogenes Phänomen existiert nicht, weshalb in der vorliegenden Abhandlung der Terminus »Islam in Russland« verwendet wird.

Muslimische Vielfalt in der Russischen Föderation

Es ist schwierig, die Größe der muslimischen Bevölkerung in Russland exakt zu beziffern. Nach der Volkszählung im Jahr 2002 betrug sie 14,5 Millionen Menschen. 2006 überstieg die Zahl der Muslime mit russischer Staatsbürgerschaft 15 Millionen. In sieben Gebieten der Russischen Föderation stellen Muslime die Mehrheit in der Bevölkerung, namentlich in Inguschetien (98%), Tschetschenien (96%), Dagestan (94%), Kabardino-Balkarien (70%), Karatschai-Tscherkessien (63%), Baschkortostan (54,5%) und Tatarstan (54%). Wenn es um eine Schätzung der in Russland lebenden Muslime geht, gilt es, neben jenen, die die russische Staatsbürgerschaft von Geburt an besitzen, auch solche Muslime zu berücksichtigen, die nach Russland emigriert sind. Fasst man beide Gruppen zusammen, so ergibt sich in etwa die Zahl von 20 Millionen Muslimen, die heute auf dem Gebiet der Russischen Föderation leben. Diese Zahl wird von den muslimischen geistlichen Führern1 als realistisch eingestuft und auch von der russischen Führung als Referenzzahl genannt.

Was die soziale Vernetzung der russischen Muslime betrifft, so lässt sich für den Zeitraum der vergangenen zwei Jahrzehnte festhalten, dass diese nicht nur ihre Beziehungen zur Umma, der religiösen Gemeinschaft der Muslime pflegen, sondern auch enge Kontakte zur nicht-muslimischen Welt unterhalten. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es zu einer zunehmenden Konfrontation mit anderen, fundamentalistischen Strömungen des Islam, wie beispielsweise dem Wahhabismus aus dem arabischen Raum. Der sich daraus entwickelnde so genannte neue Islam, wird heute mit dem religiösen Radikalismus assoziiert. Sein Aufschwung erfolgte in den 1990er Jahren, als auf dem sich neu formierenden russischen Territorium eine Vielzahl von radikalen Gruppen aktiv wurde, die auf das religiöse und politische Bewusstsein der dort lebenden Muslime massiv Einfluss zu nehmen begannen.

Der neue islamische Radikalismus

In Russland wird im Zusammenhang mit dem radikalen Islam am häufigsten der Terminus »Wahhabitismus« verwendet, bei dem eine Verbindung zwischen religiösen und politischen Komponenten besonders stark zum Ausdruck kommt. In einem von ihr propagierten Kampf für soziale Gerechtigkeit opponiert diese Strömung des Islam in Russland nicht nur gegen die regierende Macht. Zugleich wendet sie sich gegen die eingangs erwähnten, in Russland traditionell vorherrschenden islamischen Strömungen, die nach ihrer Auffassung von der Sowjetmacht deformierte Traditionen in sich aufgenommen haben. Besonders stark zeichnet sich die Einflussnahme dieser radikalen Strömung im Nordkaukasus ab. Hier entwickelte sich in den 1990er Jahren ein separatistischer Dschihad, der von einem systematischen Terrorismus auf dem Territorium von Zentralrussland begleitet wurde. Die mit dieser Entwicklung einhergehenden Terroranschläge waren in der öffentlichen Wahrnehmung religiös motiviert, verfolgten aber das Ziel, die Behörden zu Verhandlungen mit Separatisten zu zwingen. Zu den Terroranschlägen, denen Hunderte von Menschen zum Opfer fielen, werden unter anderem die Bombenanschläge in der Moskauer Metro (2001), die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater (2002), der Bombenanschlag auf ein Musikfestival in Moskau (2003), eine Reihe von Bombenanschlägen in der Region Stawropol (2002-2003), der Bombenanschlag in Grosny auf das Sportstadion »Dinamo« (2004), die Bombenanschläge auf Linienflüge (2004), die eintägige Eroberung der inguschetischen Hauptstadt Nasran (2004), die Geiselnahme von Beslan (2004) und der Überfall auf Naltschik, der Hauptstadt von Kabardino-Balkarien (2005) gezählt. In Dagestan wurde in den Jahren 1997-99 mit der Unterstützung wahhabitischer Glaubensanhänger ein »schariatisches Territorium der Russischen Föderation« ins Leben gerufen, das vier Siedlungen umfasste (Karamachi, Tschabanmachi, Chankurbe und Kadar) und die Schari‘a, das Gesetz des Islam, einführte. Im Jahr 1999 verübte der 2006 ums Leben gekommene Rebellenführer des äußeren Flügels der tschetschenischen Separatisten, Schamil Bassajew, einen Angriff auf Dagestan mit dem Ziel, auf dem Territorium von Tschetschenien und Dagestan ein Vereinigtes Islamisches Emirat zu schaffen.

Der traditionelle Islam

Im islamischen Alltag der Republiken Baschkortostan und Tatarstan machen sich die Radikalen weniger bemerkbar. Hier treten Islamisten nur vereinzelt auf, sie kontrollieren keine Moscheen. Ihnen nahestehende Imane werden von der regierenden Administration in Kooperation mit konformen Geistlichen von offiziellen Ämtern ferngehalten bzw. verdrängt. Gleichwohl besitzen auch in diesen Republiken entsprechende Kräfte die Fähigkeit, Schläge gegen die föderalen Regierungsorgane zu führen.

Der traditionelle Islam in Russland wird für unpolitisch gehalten, weshalb die Beteiligung von islamischen Kräften am politischen Prozess mit radikalen Strömungen in Verbindung gebracht wird. Zum traditionellen Islam werden die religiös-rechtlichen und in Russland anerkannten Schulen der Hanafiya (Hanafiten) und Schafi‘iya (Schafiiten) gezählt, die beide dem sunnitischen Islam zuzuordnen sind. Anhänger der erstgenannten Schule sind beispielsweise Tataren, Baschkiren und ein Teil der kaukasischen Muslime. Die letztgenannte Schule der Schafiiten ist in Dagestan und Tschetschenien verbreitet. Zum traditionellen Islam zählt auch der Sufismus, dem sich in Russland Glaubensbruderschaften (Tarikaten), wie beispielsweise die Nakschbandija, Kadirija und Schadhiliya, zugehörig fühlen.

Politisierung des Islam

Vor allem in Nordkaukasien hat der traditionelle Islam seit Anfang des 21. Jahrhunderts infolge anhaltender sozialer und politischer Spannungen den Weg der Politisierung genommen, obwohl es gegen den sufistischen Geist verstößt, für den laut dem dagestanischen Islamforscher Mustafa Bilalov die Nichteinmischung in die Politik2 bisher charakteristisch war. Die Politisierung der hier ansässigen islamischen Glaubensbruderschaften, deren Strukturen in Russland als Tarikatismus bezeichnet werden, geschieht auch mit Unterstützung des Tschetschenischen Präsidenten, Ramzan Kadyrov. In der Resolution eines im Juni 2008 in Grosny gehaltenen wissenschaftlich-praxisorientierten Seminars mit dem Titel »Islam in Tschetschenien: Geschichte und die Gegenwart« heißt es: „Islam wird heute zu einem der legitimen Faktoren des gesellschaftlichen und politischen Lebens der Tschetschenischen Republik.“3 Viele kaukasische Politiker und Beamte verstehen sich als Müriden (Schüler) einer der im Kaukasus aktiven Glaubensbruderschaften und streben danach, von ihren religiösen Oberhäuptern politisch legitimiert zu werden. In der Kaukasusregion ist diese Art von Beziehungsgeflecht von großer Bedeutung, weil die Unterstützung durch das religiöse Oberhaupt dem Politiker in der Gesellschaft zusätzliche Legitimität verleiht.

Islamisierung des Alltags

Grundsätzlich lässt sich in den Regionen, in denen Muslime die Mehrheit stellen, wie beispielsweise in den Republiken Dagestan und Tschetschenien, der Versuch beobachten, einen vom Islam geprägten Lebensraum zu schaffen. Und auch in Tatarstan und Baschkortostan lassen sich entsprechende Anzeichen erkennen. Zu den Bemühungen gehören Versuche, das System der »Vakf«, eine Institution zur Überwachung religiöser Aktivität, sowie Prinzipien des islamischen Rechts auf verschiedenen Ebenen einzuführen. In Tschetschenien und Dagestan sind Spielhäuser und Saunen verboten. In Dagestan wurde in jüngster Zeit außerdem ein Verbot für eine Reihe von Gastvorstellungen berühmter Sänger und Schauspieler ausgesprochen, deren Bühnenauftritte und Lebenswandel angeblich die Gefühle der Gläubigen verletzt. Die islamische Kleiderordnung für Frauen, zu der auch das Kopftuch (Hijab) gehört, tritt zunehmend in Erscheinung. In Tatarstan werden Kurse angeboten, in denen Frauen ein für muslimische Ehefrauen vorbildliches Verhalten gelehrt wird. Es ist geplant, ähnliche Kurse in Ufa, der Hauptstadt der Republik Baschkortostan, anzubieten. Traditionell muslimische Cafés werden eröffnet, ebenso wie Geschäfte mit Halal-Lebensmitteln, also Produkten, die für den gläubigen Muslim zum Verzehr erlaubt sind, und Läden mit religiösem Zubehör und Literatur. In Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, wird regelmäßig das internationale Festival des muslimischen Films, das so genannte goldene Minbar, veranstaltet. In der russischen Hauptstadt Moskau fand kürzlich ein Wettbewerb zum besten Werk über den Islam statt. 2008 wurden auf Initiative des Rates der Muftis von Russland unter dem Titel »Fleisch und Religion« Weiterbildungskurse im russischen wissenschaftlichen Forschungsinstitut der Fleischindustrie zur Produktions- und Vertriebsorganisation von Halal-Lebensmitteln ausgeführt. Seit 2009 gilt in Tschetschenien „der internationale Maßstab für die Halal-Lebensmittelproduktion“4. In Baschkortostan gibt es das erste Taxiunternehmen in Russland, »Safar«, das nach dem Gesetz der Schari‘a organisiert ist. Der Hauptunterschied besteht darin, daß die in diesem Taxiunternehmen arbeitenden Fahrer keinen Alkohol trinken.

Auch andere Entwicklungen befördern in manchen Regionen die Schaffung eines vom Islam streng geprägten Alltags. So äußerten sich 2008 einige Imame, ob es nicht sinnvoll wäre, einen muslimischen Wohnbezirk im Moskauer Stadtbezirk Butovo zu schaffen, und diesen durch den Einsatz von muslimischen Patrouillen gegen Überfälle nicht-muslimischer Nationalisten zu schützen. 2009 schlug der Vorsitzende des Islamischen Komitees Russlands, Geidar Dschemal, vor, eine „internationale Union für die Unterstützung von Arbeitsmigranten“ zu bilden. Tatsächlich verbarg sich dahinter so etwas wie eine »islamische Genossenschaft«.

Wandel unter innerem und äußerem Druck

Wie überall in der Welt, so lassen sich bezüglich des Islam in Russland verschiedene Strömungen ausmachen. Ihre Entwicklungen reichen von traditionell konservativen über radikale bis hin zu modernen Ansätzen. Die mit dem Zusammenbruch der UdSSR einhergehenden und vielfach noch ungelösten sozioökonomischen Probleme haben in Russland den Vertretern des radikalen Islam Zulauf verschafft. Inzwischen haben sich auch Vertreter des traditionell gemäßigten Islam der sozialen Fragen angenommen und bringen sich zunehmend in den politischen Alltag ein. Ungeachtet ihrer Differenzen eint beide Strömungen die Kritik am Westen und der Wunsch, die zerrüttete Ordnung innerhalb der muslimischen Gesellschaft durch eine konsequente Anwendung der islamischen Rechtsprinzipien zu festigen. Wie schon eingangs erwähnt, ergibt sich die Rolle des Islam in Russland aus unterschiedlichen religiösen und weltlichen Erfahrungen und Problemen. Unter dem Einfluss innerer und äußerer Veränderungsprozesse steht der Islam auf dem weitläufigen Gebiet der russischen Föderation unter ständigem Veränderungsdruck auf politischer, sozial-ökonomischer und religiöser Ebene. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Russland sieht sich mit ernsthaften Schwierigkeiten demographischer Natur konfrontiert, vor deren Hintergrund das muslimische Bevölkerungswachstum an Bedeutung gewinnt. Während die russische Bevölkerung statistisch betrachtet jährlich um 0,47% schrumpft, ist insbesondere der aus dem Kaukasus stammende Teil der muslimischen Bevölkerung in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen.5

Der Strom der muslimischen Migranten aus Zentralasien und den transkaukasischen Gebieten wird weiter zunehmen. Angaben des für Migration und Beschäftigung zuständigen Regierungskomittees von Kirgisistan zufolge, siedelten von dort in den ersten neun Monaten des Jahres 2008 mehr als 430.000 Menschen nach Russland über.6 Aus Usbekistan kamen ca. 600.000 Menschen nach Russland.7 Aus Tadschikistan ungefähr 500.000 Menschen. Die Zahlen der aus Aserbaidschan stammenden Migranten in Russland bewegen sich zwischen ein bis zwei Millionen. Während die muslimischen Migranten durch ihren Wegzug in andere Gebiete der russischen Föderation einerseits ihr gewohntes islamisches Umfeld verlieren, dient ihnen der Islam andererseits als Hülle in ihrer neuen Umgebung. Als Klammer übernimmt der Islam für sie in Russland damit eine ähnliche Funktion wie für die in Europa lebenden Migranten muslimischer Herkunft.

Zukünftige Herausforderungen

Im 21. Jahrhundert wird sich das Zahlenverhältnis zwischen orthodoxen und muslimischen Gläubigen innerhalb der russischen Bevölkerung weiter verändern. Im Jahr 1937 zählten die Muslime etwa 5,9% der russischen Bevölkerung, 1989 waren es ca. 7,9% und 1994 9%8. Im Jahr 2009 gehören ca. 11% der russischen Bevölkerung der muslimischen Glaubensgemeinschaft an. Der stetig wachsende Anteil der Muslime an der russischen Bevölkerung wirkt sich zweifellos auf ihr Selbstbewusstsein aus und hat Einfluss auf ihre politischen Ansichten und ihr Verhalten. Man darf daher annehmen, dass sich in Zukunft die Bemühungen der in Russland lebenden Muslime verstärken werden, ihre religiöse Identität und Zugehörigkeit zur islamischen Gemeinschaft, der Umma, zu bewahren und zu vertiefen. Im besonderen Maße wird dieser Prozess für den Nordkaukasus charakteristisch bleiben. Was die Aktivität der muslimischen Radikalen betrifft, so wird diese wohl von zwei wesentlichen Faktoren bestimmt werden, nämlich der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung im Land und dem Vermögen der traditionell moderaten Strömungen, den theologischen und ideologischen Wettkampf innerhalb des Islam für sich zu entscheiden. Vielleicht ergibt sich zwischen ihnen die Möglichkeit einer sich ausbalancierenden Wechselwirkung. Der russische Staat wird sich jedenfalls daran messen lassen müssen, ob es ihm gelingt, ein taktvolles und zugleich effektives Modell für das Miteinander der auf seinem Gebiet existierenden unterschiedlichen Religionen zu entwickeln. Ein Modell, das er bisher noch nicht gefunden hat.

Anmerkungen

1) Sergej Bitschkov: Tsentrovoj muftij (Zentraler Mufti). Moskowski Komsomolez, 27. Februar 2006.

2) Ì.I. Bilalov: Sufism i posnavatelnaja kultura (Sufismus und erkenntnisreiche Kultur). Dagestanskoje knischnoje isdatelstvo, Machatschkala, 2003, S.98.

3) Islam v Tschetschne: istorija i sovremennost (Islam in Tschetschenien: Geschichte und Modernität). Tschetschenskaja Respublika, 2008, S.63.

4) An-Nur, 30 September, 2008, S.4.

5) Michail Sergeev: Glavnaja nationalnaja Ugrosa (Die nationale Hauptbedrohung). Nezavisimaja Gazeta, 14. Mai 2009, S.4.

6) Regnum, 26. Januar 2009.

7) Ferghana.ru [www.analitika.org/article.php?story=20070806030627537]

8) Alexey Malashenko: Islamskoje Vosroschdenije v sovremennoj Rossii (Islamische Wiedergeburt im modernen Russland). Moskau, 1998, S.8.

Dr. Alexey Malashenko ist Wissenschaftler am Carnegie Moscow Center, einer Abteilung der Carnegie Endowment for International Peace in Washington, DC. Darüber hinaus war er über viele Jahre Professor am Moscow State Institute of International Relations (MGIMO), der diplomatischen Ausbildungsstätte des Außenministeriums der Russischen Föderation. In seiner Forschung beschäftigt sich Dr. Malashenko insbesondere mit den Themen Religion, Gesellschaft und Sicherheit.
E-mail: amalashenko@carnegie.ru

Übersetzung: Victoria Storozenko. Sie promoviert am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg.

Russlands Sicherheitsinteressen und die instabile Südflanke

Russlands Sicherheitsinteressen
und die instabile Südflanke

von Jürgen Nieth

Liebe Leserinnen, liebe Leser, 1991 zerfiel die Sowjetunion und der Warschauer Pakt löste sich auf. Das Militärbündnis war vier Jahrzehnte auf der Weltbühne Gegenpol zur NATO gewesen. Russland blieb in der Folge zwar eine der beiden großen Atommächte, verlor aber seine Weltmachtrolle. Die NATO nutzte unter Führung der USA die »Gunst der Stunde«, um für sich – endlich unbehindert durch das östliche Militärbündnis – neue Zuständigkeiten zu reklamieren und ihr Operationsgebiet auszudehnen.

Für Russlands Sicherheitsinteressen eine fatale Entwicklung. Heute reicht die ständige Truppenpräsenz der NATO bis fast an seine Westgrenze und sie soll noch weiter vorgeschoben werden: Die Ukraine und Georgien bleiben im Gespräch als neue NATO-Mitglieder.

Doch nicht nur durch die NATO-Osterweiterung musste sich Russland bedroht fühlen. Auch die Entwicklungen an seiner Südflanke beeinträchtigten seine Sicherheitsinteressen. Genannt seien nur

die bewaffneten Konflikte im eigenen Süden: Tschetschenien und Inguschetschien;

die Kriege und Aufstände in ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus: um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan, in den georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien;

instabile Staaten im post-sowjetischen Raum Zentralasiens;

der Krieg in Afghanistan.

Russland reagierte auf die Entwicklung in seinem Süden politisch und ökonomisch. Dafür stehen u.a. die unterschiedlichen Bündnisse mit ehemaligen Sowjetrepubliken und angrenzenden Ländern, wie die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SchOZ) sowie eine Reihe bilateraler Abkommen.

Russland reagierte aber auch militärisch. Dafür stehen zwei lange Tschetschenienkriege und dafür steht der erste Militäreinsatz gegen ein anderes Land: Georgien 2008. Die russische Regierung nutzte den Überfall der georgischen Armee auf die ossetische Minderheit im eigenen Land, um militärisch einzugreifen und nach einem gewonnenen Fünf-Tage-Krieg Abchasien und Südossetien als selbstständige Staaten anzuerkennen. Dass dieser Schritt nicht in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht war, konnte negiert werden, schließlich hatte der Westen mit der Anerkennung des Kosovo vorher den Präzedenzfall geschaffen.

Die militärische Karte wird auch weiter in der Hand gehalten. So gab es im Sommer gemeinsame Militärübungen der beiden mächtigsten Staaten der SchOZ, China und Russland, in den nordchinesischen Provinzen Jilin und Shandong. Auch hier haben sie vom Westen gelernt, die Übungen standen unter dem Thema »Kampf gegen den Terrorismus«.

Jetzt hat Barak Obama das Lieblingsprojekt seines Vorgängers, die Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen, gestrichen, das die Russen immer als gegen sich gerichtet betrachtet haben. Vor der UNO hat Obama eine atomwaffenfreie Welt propagiert und sich für eine Verkleinerung der A-Waffen-Arsenale ausgesprochen.

Gibt es eine neue Phase der Vertrauensbildung, vertraglich vereinbarter Rüstungsbegrenzungs- oder sogar Abrüstungsabkommen? Punktuell – auf einige internationale Vereinbarungen bezogen – scheint es dafür eine Chance zu geben. Sicher ist auch diese Entwicklung nicht, schließlich liegen bereits Pläne der US-Militärs auf dem Tisch, die Raketenabwehr, die für Polen und Tschechien gestrichen wurde, jetzt seegestützt zu installieren und US-Verteidigungsminister Robert Gates möchte – trotz Obamas Vision – eine neue Generation von Atomsprengköpfen erproben lassen.

Kommt hinzu: In anderen Bereichen prallen die Interessengegensätze zwischen den USA, Russland, China u.a. auf jeden Fall weiterhin aufeinander. Das trifft auch für die Kaukasusregion und Zentralasien zu:

Es darf bezweifelt werden, dass die US-amerikanischen (und NATO-)Truppen nur zur Taliban-Bekämpfung nach Afghanistan entsandt wurden, die Bush-Administration hatte bereits vor 9/11 an einer Dauerstationierung US-amerikanischer Truppen in diesem Raum ein strategisches Interesse.

Auch für die NATO war die Sicherung der Rohstoffressourcen und ihrer Transportwege längst vor den Terroranschlägen von New York erklärtes strategisches Ziel und der Mittlere Osten damit im Fokus. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

In den autoritär regierten Zentralasiatischen Staaten wächst extrem die Kluft zwischen Armut und Reichtum, es bildet sich ein Nährboden für eine zunehmende politische Instrumentalisierung des Islam und die Instabilität der Regime ebnet den Weg für eine Einflussnahme von außen.

Vor diesem Hintergrund hat W&F den Schwerpunkt dieser Ausgabe beschlossen: Darauf hoffend, dass wir Ihnen einen näheren Einblick vermitteln können in die komplizierte Gemengelage in dieser Region und einige Anregungen dafür, wie eine Politik aussehen sollte, die konfliktreduzierend wirkt.

Ihr Jürgen Nieth

Krisenkarussell: Russland und die NATO

Krisenkarussell: Russland und die NATO

von Matthias Dembinski und Hans-Joachim Spanger

Der Krieg im Kaukasus im August 2008 hat die Frage nach dem Verhältnis zwischen Russland und der Nordatlantischen Allianz mit neuer Dringlichkeit auf die Tagesordnung gesetzt. Er unterstrich, dass die Gestaltung der Beziehungen zu Russland die zentrale Aufgabe der NATO bleibt und dass deren Bewältigung auch über ihre eigene Gestalt entscheidet.

Bisher hat sich die NATO dieser Aufgabe weitgehend entzogen. Statt dem Verhältnis zu Russland die beanspruchte »strategische« Qualität zu verleihen, hat sie es lediglich verwaltet und – mehr noch – Russland im Sinne einer vagen »Risikovorsorge« präventiv eingedämmt. Für diese Haltung tragen die USA als Führungsmacht der Allianz die Hauptverantwortung. Russland, so die bis in die jüngste Zeit gehegte Einschätzung Washingtons, sei zu schwach und unbedeutend, Rücksichtnahme auf seine Interessen angesichts der amerikanischen Machtfülle daher nicht angezeigt. Zudem widersprach Russlands innenpolitische Entwicklung der amerikanischen Vision eines Siegeszugs der Demokratie, der mit den farbigen Revolutionen in Tiflis, Kiew und Bischkek zu einer neuen Welle anzusetzen schien. Und in dem Maße, in dem sich unter Putin restaurative Tendenzen durchsetzten, verstellte die in Washington gängige Interpretationsfolie des »demokratischen Friedens« mit ihrer Annahme eines engen Zusammenhangs zwischen autoritären Strukturen im Inneren und aggressivem Verhalten nach außen konzeptionell Möglichkeiten der Kooperation. In Russland wiederum galt diese Haltung vor dem Hintergrund westlicher Doppelstandards, die Russland prügelten, Kasachstan und Aserbaidschan aber hofierten, als neuerlicher Beweis, dass der Westen kein starkes, sondern allein ein schwaches Russland zu akzeptieren bereit sei.

NATO: Keine »privilegierte« Beziehung zu Russland

Die wechselseitige Entfremdung gipfelte im Kaukasus-Krieg. Er eröffnet gleichzeitig Chancen für einen Neuanfang. Ein konstruktives Verhältnis zwischen Russland und NATO kann allerdings nur im Rahmen einer gesamteuropäischen Architektur gelingen, und diese setzt eine Selbstbeschränkung der NATO voraus.

Mit der Entscheidung zur NATO-Erweiterung Mitte der 1990er Jahre gab die Allianz eine Antwort auf die Frage nach ihrer raison d’etre, setzte zugleich ihre Beziehung zu Russland auf eine abschüssige Bahn. Dieser Beschluss hatte viele Urheber. In Deutschland war es der damalige Verteidigungsminister Rühe, in den USA sind die Anhänger des »Europe first« um Außenministerin Madeleine Albright zu nennen. Sie argumentierten, die EU sei zu schwach, um allein den östlichen Teil des Kontinents zu stabilisieren. Die amerikanische Vormachtstellung und die herausgehobene Rolle der NATO zu bewahren, diene also nicht nur amerikanischen Interessen, sondern ebenso der europäischen Sicherheit. Sie setzte sich gegen die insbesondere vom ehemaligen Vize-Außenminister der USA, Strobe Talbott, vertretene Linie durch, der dem Ausbau der sicherheitspolitischen Kooperation mit Russland Vorrang einräumen wollte. Fand bis dahin die Vision eines geeinten Europa mit gesamteuropäischen Institutionen wie der KSZE und ihrer Nachfolge der OSZE im Westen noch prominente Unterstützung, reklamierte nun die NATO dieses Ziel für sich. Dies waren zunächst nicht nur leere Worte. Denn auch die Anhänger des »Europe first« akzeptierten, dass Russland durch die NATO-Erweiterung nicht an den Rand gedrängt und vom Westen isoliert, sondern eingebunden werden solle. Es wurde allerdings nie geklärt, wie dieser Anspruch jenseits der ziemlich amorphen Hoffnung auf graduelle Annäherung umgesetzt werden könnte. Dass die NATO, nachdem sie die Büchse der Pandora einmal geöffnet hatte, neuerliche Erweiterungen in Aussicht stellte, erwies sich hier als durchaus hinderlich. Und so entschloss sie sich nach der ersten Erweiterungsrunde 1999 um Polen, Tschechien und Ungarn auf amerikanisches Drängen 2001, weitere sieben Staaten einschließlich des Baltikums aufzunehmen.

Auf diese Frage entwickelte die NATO eine Reihe von Antworten, die zumindest konstruktive Absichten erkennen ließen. Zunächst schlossen die USA mit ihrer Erweiterungsformel, nach der alle europäischen Demokratien der NATO beitreten könnten, mehr oder weniger deutlich auch Russland ein.1 Aktuell billigte die NATO Russland insoweit einen privilegierten Status zu, als sie noch vor der ersten Erweiterungsrunde eine gemeinsame »Grundlagenakte« verabschiedete und Moskau über einen NATO-Russland-Rat an die Allianz anband. In diesem verfügte Russland zwar nicht über Stimmrechte, gewann aber eine Plattform wechselseitiger Konsultationen, die zumindest informellen Einfluss versprach. 2001 wurde im Vorfeld der zweiten Erweiterungsrunde dieser Rat noch einmal aufgewertet und operativer ausgestaltet. Darüber hinaus stellte die NATO in Aussicht, dass sie ihren Charakter als reine Militärallianz verändern und politischer werden wolle. Dies basierte zum einen auf der Erwartung, die innere Kohärenz der Allianz werde ab- und das europäische Gewicht zunehmen. Sie stützte sich aber ebenso auf konkretere Zusagen wie die Zusicherung, keine »substantiellen Kampfverbände« in die neuen Mitgliedstaaten zu verlegen, d.h. also dass die Erweiterung sich auf den politischen Artikel 4 des Nordatlantikvertrages, nicht auf die integrierte Militärorganisation des Artikel 5 beziehen würde. Schließlich betonte das offizielle Washington unermüdlich, die Erweiterung diene gerade auch russischen Sicherheitsinteressen, da die NATO die neuen Mitglieder und Beitrittskandidaten einbinde, sozialisiere und so deren Kooperationsbereitschaft gegenüber Russland erhöhe. Damit kündigten die USA implizit an, bei der Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder deren Kooperationsbereitschaft gegenüber Moskau zu berücksichtigen bzw. die Zuverlässigkeit der neuen Mitglieder und Kandidaten sicherzustellen.

In der Praxis jedoch setzte die NATO ihre Doppelstrategie der Erweiterung und parallelen Einbeziehung Russlands nur partiell um. Das lag zum einen an dem konzeptionellen Spagat, mit der Erweiterung nicht nur zur Stabilisierung Osteuropas beitragen, sondern ebenso Vorsorge für die Sicherheitsrisiken, die exklusiv mit Russland verbunden wurden, treffen zu wollen. Daraus resultierte das praktische Dilemma, Integration und Kooperation auf einen Nenner zu bringen. Vor allem aber löste die Bush-Regierung das implizite Versprechen, eine privilegierte Beziehung zu Russland aufzubauen, nie ein. Im Gegenteil bestand eine ihrer ersten Amtshandlungen darin, den Raketenabwehrvertrag, aus Sicht Moskaus ein Eckstein der bilateralen Beziehung, zu kündigen. Statt der von Russland angestrebten Fortsetzung einer vertraglich abgesicherten und von beiden Seiten überprüf- und einklagbaren Abrüstung der strategischen Nuklearwaffen ließ sich Bush 2002 nur auf das unverbindliche SORT-Abkommen ein, das lediglich die ohnehin geplanten Maßnahmen der USA notifizierte. Auch auf anderen Feldern berücksichtigten die USA russische Anliegen und Einwände kaum, am deutlichsten wurde dies bei der Anerkennung des Kosovo. Diese Attitüde eines ignoranten Unilateralismus der USA übertrug sich auch auf die Haltung der NATO zu Russland. Diskussionen im NATO-Russland-Rat blieben auf eher periphere Felder gemeinsamer Sicherheit beschränkt, wobei die Terrorismusabwehr zu den gravierendsten Herausforderungen zählte. Bei den Kernfragen der kollektiven Verteidigung sowie allen Diskussionen über künftige NATO-Erweiterungen blieb Moskau außen vor. Auch wurde die NATO keineswegs politischer. Vielmehr oszillierte sie zwischen Donald Rumsfelds NATO-Konzept eines Werkzeugkastens für ad-hoc-Koalitionen und der Vision einer NATO als militärischem Arm einer globalen Union von Demokratien. Ebenso wenig lösten die Regierung in Washington und das NATO-Hauptquartier in Brüssel ihre frühen Zusagen zur militärischen Integration der neuen Mitglieder ein. Die USA verschleppten eine Definition »substantieller Kampfgruppen« und bereiteten statt dessen die Stationierung von schnell verlegbaren »Stryker«-Verbänden in Rumänien und Bulgarien sowie den Aufbau von US-Raketenabwehrsystemen in Tschechien und Polen vor. Die in Polen stationierten Abwehrraketen sollen zudem von Patriot-Systemen mit amerikanischer Besatzung geschützt werden. Schließlich ist weder eine Zivilisierung der neuen noch gar der – wie der Kaukasus-Krieg demonstrierte – künftigen Mitglieder feststellbar. Tatsächlich unternehmen Washington und Brüssel nur begrenzte Versuche, die Aussicht auf NATO-Mitgliedschaft an ein kooperatives Verhalten der Kandidaten zu koppeln. Im Fall Georgiens erwies sich dies Versäumnis als fatal.

Russland beklagt Arroganz der NATO

Das Verhalten Georgiens stellte denn auch für Russland den ultimativen Beweis dar, dass die amerikanischen Versprechungen über den Sicherheitsgewinn, der mit der NATO-Erweiterung für Russland einhergehe, nichts anderes darstellte als ein Rauchvorhang, hinter dem das westliche Bündnis und seine Vormacht ungeniert seine Einflusszone bis an die russischen Grenzen auszudehnen trachtete. Diese Vermutung prägte das russische Verhältnis zur NATO fast seit Gründung der Russischen Föderation. Es war eine nur sehr kurze – später als »romantisch« diskreditierte – Periode, in der sich so etwas wie ein entspanntes Verhältnis zwischen Russland und der westlichen Allianz anbahnte, den „natürlichen Freunden und künftigen Verbündeten“ des neuen Russland, wie sich dessen Außenminister, Andrej Kosyrew, 1993 vernehmen ließ. Sie währte kaum länger als ein Jahr und endete geraume Zeit, bevor sich die NATO im Januar 1994 erstmals offiziell zur Öffnung des Bündnisses bekannte.

In den darauf folgenden zwei Jahren, in der Auseinandersetzung um die russische Beteiligung am NATO-Programm eines »Partnership for Peace« (PfP) ebenso wie bis zum Abschluss der »Grundlagenakte«, bildeten sich alle Vorbehalte und Argumentationsmuster heraus, die das offizielle Moskau bis heute der NATO und ihren Erweiterungsabsichten entgegenhält. Das beginnt mit der Klage, dass der Westen sich anders als der Warschauer Pakt geweigert habe, am Ende des Kalten Krieges seine Militärallianz aufzulösen. Er würdige folglich nicht den entscheidenden russischen Beitrag zur Beendigung des Kalten Krieges, sondern zelebriere unverändert seinen vermeintlichen Sieg. Dieser arroganten Haltung entsprächen die gebrochenen Versprechen des Westens und sie finde ihre Fortsetzung in den kaum verhüllten Anstrengungen, Russland eindämmen zu wollen. Allein die mit der NATO-Ausweitung einhergehende Gefährdung der demokratischen Entwicklung Russlands durch Stärkung revanchistischer und isolationistischer Kräfte ist heute – aus nahe liegenden Gründen – nicht mehr Bestandteil der Argumentation. Es finden sich aber bereits damals selbst beim liberalen russischen Außenminister Kosyrew Hinweise auf die GUS als einer Zone »vitalster russischer Interessen«. Auch sollten die mitteleuropäischen Beitrittskandidaten einen vorzugsweise »semi-demilitarisierten« Gürtel von Staaten bilden, da sie nur so, ausgestattet mit einem russischen droit de regard, ihre Brückenfunktion nach Westen wahrnehmen könnten. Und dem Westen wurde angeraten, Russland trotz seiner temporären Schwäche als „große Weltmacht“ anzuerkennen, deren Außenpolitik sich durch „Selbständigkeit und Selbstvertrauen“ auszeichne – so erneut Kosyrew. Ganz in diesem Sinne erhob Russland bereits damals Klagen über die belehrende Tonlage aus dem Westen, die mit der gleichen Entschiedenheit zurückgewiesen wurden wie heute und daher weitgehend ungehört verhallten.

Ähnlich vertraut klingen die schon 1994/95 erhobenen Drohungen, mit denen Russland seinem Ansinnen Geltung zu verschaffen suchte. Sie reichen von der Kündigung der Abkommen über die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) und das Verbot von Mittelstreckenwaffen (INF-Vertrag) sowie Ratifikationsvorbehalten beim nuklearen Abrüstungsvertrag START-II bis hin zur angedrohten Stationierung nuklearer Kurzstreckenraketen an der polnischen Grenze (oder zur offiziös lancierten Drohung, Militär einzusetzen, sollte auch das Baltikum den Weg in die NATO finden). Putins Suspendierung des KSE-Vertrags, die Ankündigung des amtierenden russischen Präsidenten Medwedjew, in der Region Kaliningrad »Iskander«-Raketen stationieren zu wollen, oder seine Verlautbarung, in den Nachbarstaaten (und bei Bedarf auch darüber hinaus) »besondere Interessen« zu haben, wirken vor diesem Hintergrund so ungewöhnlich nicht und können kaum als russische Neuauflage des Kalten Kriegs gewertet werden.

Diese Übereinstimmung lässt die retrospektive Idealisierung der Jelzin-Periode als ein Aufbruch zu neuen demokratischen Ufern im breiten Strom westlich definierter universaler Werte nun doch in einem etwas anderen Licht erscheinen. Russlands Vorbehalte sind denn auch weniger Ausfluss des Putinismus und unheilvoller russischer Absichten, die sich unter Putin vermeintlich aggressiv geändert haben, vielmehr deuten sie auf die strukturellen Dilemmata der russischen Sicherheitspolitik. Es sind dies die Dilemmata einer Macht, die einerseits mitbestimmen, aber andererseits ihre Handlungsfreiheit bewahren will. Vor diesem Hintergrund klagt Moskau zwar beständig über das Vordringen der NATO sowie deren Konstituierung als paneuropäischer Sicherheitsorganisation und fühlt sich ausgeschlossen, will sich andererseits aber der NATO weder unterwerfen noch ihr beitreten. Stattdessen bemüht sich die russische Regierung darum, das Bündnis von außen zu steuern und in seiner Reichweite zu begrenzen. Zur Lösung dieses Dilemmas kursierten Mitte der 1990er Jahre in Moskau mancherlei Modelle, die etwa die Schaffung eines Europäischen Sicherheitsrats im Rahmen der KSZE und als Filiale der Vereinten Nationen vorsahen, dem die militärischen Fähigkeiten der NATO gleichrangig mit denen Russlands bei- und untergeordnet sein sollten. In diesen Rahmen fügt sich auch Medwedjews Forderung nach einem europäischen Sicherheitsvertrag, der im wesentlichen nichts anderes darstellt als ein neuer diplomatischer Anlauf, um dem seit 1992 verfochtenen Ziel einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung unter Einschluss Russlands näher zu kommen.

Die Erweiterungsdynamik, in der sich in vielerlei Facetten »push« und »pull« vorzüglich ergänzten, war so indes nicht zu stoppen. Moskau konnte folglich nie die Initiative gewinnen, blieb immer reaktiv und daher von 1994 bis heute mit der akuten Frage konfrontiert, wie es die jeweils unerwünschten Nebenwirkungen einer kooperativen und einer konfrontativen Haltung gegenüber der NATO neutralisieren kann. Das zeigte sich beim Umgang mit der »Partnerschaft für den Frieden« und deren schillernder Gestalt als ausgedehntem Warte- oder kurzem Durchgangsraum zur NATO-Mitgliedschaft ebenso wie später beim NATO-Russland-Rat, der russischen Kritikern kaum mehr als die Illusion der Mitbestimmung, der NATO hingegen zusätzliche Legitimität vermittelte.

Es kann nicht verwundern, dass sich vor diesem Hintergrund schon früh die Auseinandersetzung um die NATO und deren Erweiterung zu einem Symbolkonflikt verengte, an dem sich der internationale Status und das Gestaltungspotential Russlands zu erweisen hatten. Unter Jelzin ging es dabei um das Spannungsverhältnis zwischen den unbefriedigten Ambitionen und den unbefriedigenden Fähigkeiten einer romantisch verklärten einstigen Großmacht. Unter Putin und seinem Nachfolger ist die russische Großmachtrolle zumindest in der eigenen Wahrnehmung weit weniger virtuell. Folglich haben die Demonstrationen eigener Stärke mehr Substanz und bergen deutlich höhere Risiken. Erschöpfte sich Jelzins rote Linie, die er 1999 um das Baltikum gezogen hatte, noch in bloßer Deklaration, wurde die rote Linie Putins und Medwedjews um Georgien und die Ukraine im Kaukasus-Krieg von Panzern gezogen. Der Westen tut gut daran, diese Warnung nicht erneut mit seiner schon sprichwörtlichen Ignoranz zu strafen.

Anmerkungen

1) Vgl. etwa die Zusicherung der damaligen Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Russland könne, wenn es dies wolle und die Kriterien erfülle, der Allianz beitreten, in: FAZ, 4.8.2001, S.2.

Dr. Matthias Dembinski ist stellvertretender Vorsitzender des Forschungsrates und Projektleiter, Dr. Hans-Joachim Spanger Programmbereichsleiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

Der Fünf-Tage-Krieg

Der Fünf-Tage-Krieg

von Jürgen Nieth

Am 7. August startete das georgische Militär eine Blitzoffensive zur Eroberung Südossetiens. Dabei wurden nach Information des georgischen Außenministers 9.000 Soldaten eingesetzt, der »Spiegel« (Nr.35/2008, S.129) spricht von 12.000. Die Zivilbevölkerung der südossetischen Stadt Zchinwali und die dort stationierten russischen Friedenstruppen wurden bombardiert. Dutzende Zivilisten und 18 russische Blauhelme starben. Am frühen Morgen des 8. August drangen nach westlichen Schätzungen 5.500 bis 10.000 russische Soldaten nach Südossetien vor, später auch bis vor die georgische Hauptstadt Tiflis. Ein Faktor, der zu einer einhelligen Verurteilung Russlands in der westlichen Presse führte.

Die Schuldzuweisung

„Im Westen hielt man sich mit der Frage, wer für den Kaukasuskonflikt verantwortlich ist, nicht lange auf“ schreibt S. Halimi in »Le Monde diplomatique« (Sept. 2008). „Die Melodie hatte der neokonservative US-Politikberater Robert Kagan vorgesungen: Es sei »relativ unwichtig« wer angefangen hat… »Wäre Michail Saakaschwili nicht dieses mal in Putins Falle getappt, hätte irgend etwas anderes den Konflikt ausgelöst«.“

Eine Position, die in der »Neuen Zürcher Zeitung« (NZZ) noch sechs Wochen später vertreten wird (20.09.08): „Man beschäftigt sich damit, wer den ersten Schuss abgefeuert hat, so als ob das feststellbar und überhaupt die zentrale Frage wäre.“ In der »Süddeutschen Zeitung« dagegen die späte Einsicht (08.09.08): „Die kurz nach dem Ausbruch des Krieges geläufige Formel vom imperialen Russland, dass das arme Georgien überfallen hat, trägt nicht mehr. Wir wissen inzwischen, dass der georgische Generalstab gegen das militärische Abenteuer eines Einmarsches in Südossetien war.“

Unbeleuchteter Hintergrund

Der Hintergrund des Konflikts blieb zu Beginn des Krieges bei uns weitgehend unbeleuchtet. Erst am 16.09. weist Noam Chomsky in der FR darauf hin, dass es Stalin war, „der Südossetien und Abchasien… seiner Heimat Georgien zuteilte… Die Provinzen waren bis zum Ende der UdSSR relativ unabhängig. 1990 jedoch verbot Georgiens ultranationalistischer Präsident Swiad Gamasachurdin die Autonomie einzelner Gebiete und marschierte in Südossetien ein. Der daraus folgende Krieg forderte 1.000 Todesopfer und machte Zehntausende zu Flüchtlingen.“ Die FAZ informiert ihre LeserInnen am 27.08., dass Russland „1992 in Südossetien und 1994 in Abchasien Waffenstillstandsverträge (vermittelte und seitdem) den Großteil der Friedenstruppen in beiden Provinzen (stellte), die diese Waffenruhe überwachen sollten.“

Die Rolle der USA

Unterbelichtet blieben in den ersten Wochen auch die US-Interessen in dieser Region. 2002 schickten die USA ihre ersten Militärberater nach Georgien. 160 sind laut »Spiegel« (Nr.35/2008, S.126) noch Mitte August in Tiflis. Am Manöver »Direkte Antwort 2008« der 4. georgischen Infanteriebrigade nahmen „an die 1.000 US-Amerikaner“ teil (S.128). »Le Monde diplomatique« (Sept. 2008) zitiert Zbigniew Brzezinski, der am 12. August einen weiteren Aspekt der US-Strategie benannte: „Georgien garantiert uns den Zugang zum Erdöl und demnächst auch zum Erdgas in Aserbaidschan, im Kaspischen Meer und in Zentralasien. Es ist deshalb für uns von enormer strategischer Bedeutung.“ Unterstrichen wird dieses US-Interesse durch das Drängen der USA auf NATO-Mitgliedschaft Georgiens.

J. Radvanyi (Le Monde diplomatique, Sept. 2008) schlussfolgert: „Was immer das Pentagon behauptet: Die USA-Regierung war mit Sicherheit über die Einmarschpläne Saakaschwilis unterrichtet, hat diese aber nicht gebremst.“ Für diese These spricht auch die zügige Verlegung von 2.000 georgischen Soldaten aus dem Irak zurück nach Georgien.

Russlands Interessen

Glaubt man D. McShane in »Die Welt« (08.09.08), hat der Westen nie versucht Russland einzukreisen, denn „kann man einen Kontinent einkreisen?“. Die NZZ liegt auf derselben Linie (20.09.08): Für sie ist „die plakative Anprangerung der »Expansion der NATO bis an die Grenzen Russlands« ein russisches Schlagwort.“ Anders Florian Hassel in der FR (11.09.08): „Russland empfand schon die … Osterweiterung der NATO um die baltischen Länder, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Slowakei als Betrug des Westens. Nicht ohne Grund.“ Er weist darauf hin, dass US-Außenminister Baker 1990 Gorbatschow zugestimmt habe, dass „jede Erweiterung der Zone der NATO… unakzeptabel“ ist.

Für den Friedensforscher Johan Galtung (Freitag, 05. 09.08) ist der Kaukasus „zur Hauptbühne eines sich aufbauenden »Zweiten Kalten Krieges« geworden. Das Kesseltreiben zielt auf eine langfristige Einkreisung Russlands, Indiens und Chinas… Dazu expandiert die NATO nach Osten, während das amerikanisch-japanische Sicherheitssystem AMPO, zu dem auch Südkorea und Taiwan gehören, westwärts aufgerollt wird.“

Doppel-Standards beim Völkerrecht

Die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens als selbstständige Staaten „rüttelt“, schreibt Reinhard Müller in der FAZ (27.08.08) „an den Fundamenten der internationalen Ordnung“. Übereinstimmung in der Presse: Die Anerkennung ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar. Gleichzeitig vielfach Doppel-Standards im Vergleich mit der Kosovo-Anerkennung durch westliche Staaten. Karl Grobes Position (FR 27.08.08) – Wer über die Anerkennung „überrascht ist, kann in den letzten Monaten nicht zugehört haben. Seit Kosovo nicht. Die Aufwertung dieser einst serbischen Region zum Staat hat den Herren an der Moskwa ein Argument geliefert.“ – wird nicht überall geteilt.

Wie weiter

Jetzt beginnt das Ringen um die Konfliktlösung. In der »Welt« (01.09.08) setzt T. Matsulevitis auf Konfrontation: „Die Antwort des Westens an Russland sollte in rascher Anbindung Georgiens an transatlantische und europäische Strukturen… bestehen. Das Gebot der Stunde lautet: vergesst Russland, denkt an Georgien.“ Eine Gegenposition formuliert Martin Winter in der SZ (16.09.08): „Wenn die Europäer berücksichtigen, dass es nicht nur um Georgien geht, sondern vor allem um die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Russland, …dann gibt es eine Chance für erfolgreiche politische Verhandlungen. Die eines Tages sogar in einer Stabilitätskonferenz für den gesamten Kaukasus enden können.“

Alternative zur NATO-Erweiterung: Sicherheitsgürtel auf Gegenseitigkeit

Alternative zur NATO-Erweiterung: Sicherheitsgürtel auf Gegenseitigkeit

von Nikolai Izvekov

In den Diskussionen über die NATO-Erweiterung wurde bisher scheinbar darauf verzichtet, eine vernünftige Alternative zur Ausdehnung der Allianz nach Osten zu erörtern. Zumindest auf der offiziellen Ebene herrscht im Westen die beharrlich vertretene Ansicht, es gebe keine reale Alternative zur Erweiterung. Der in Rußland wiederholt vorgetragene Vorschlag eines gesamteuropäischen Systems kollektiver Sicherheit blieb sehr allgemein und wurde bisher nicht ausreichend ausgearbeitet. Doch in verschiedenen russischen Zeitungen, insbesondere in der »Nezavissimaya gazeta«, erschienen Artikel mit wichtigen Elementen und Anregungen für ein alternatives Konzept zur NATO-Osterweiterung.

Als eine mögliche Variante für einen Kompromiß über die bisherigen Erweiterungspläne der NATO wurde Rußlands Beitritt zur politischen Organisation der NATO genannt. Das würde sicher Wesen und Struktur der Allianz stark verändern. Ein weiterer Vorschlag – an dem vor allem eine Gruppe kompetenter russischer Politikwissenschaftler arbeitet – betrifft die Formulierung gegenseitiger Sicherheitsgarantien für die Staaten Zentral- und Osteuropas seitens der NATO und Rußlands sowie die Schaffung einer Zwischenzone in dieser Region des europäischen Kontinents.

Allerdigs fehlt bisher eine – der Komplexität des Themas entsprechende Zusammenfassung der Vorschläge in einem einheitlichen Konzept; ein Entwurf, dessen Umsetzung zur Errichtung eines neuen Systems kollektiver Sicherheit in Europa führen könnte. Schlüsselelement für die Realisierung eines solchen Entwurfs wäre ohne Zweifel der Abschluß eines weitreichenden »Sicherheitsvertrages« zwischen Rußland (GUS) und der nordatlantischen Allianz. Dieser Vertrag sollte nicht nur Verpflichtungen bezüglich des Gewaltverzichts (Nichtangriffspakt) enthalten, sondern auch umfassende Vorkehrungen vorsehen. Er sollte die gleichberechtigten Kooperationenen zwischen den Beteiligten auch im militär-politischen Bereich umfassen und sowohl der Wahrung einer gesamteuropäischen Sicherheit als auch der Neutralisierung neuartiger Bedrohungen der internationalen Stabilität (internationaler Terrorismus etc.) dienen. Die Umsetzung eines solchen Vertrages könnte zur Schaffung bilateraler Konsultationsmechanismen in Sicherheitsfragen führen.

»Sicherheitsvertrag« NATO-Rußland

Die Idee, einen besonderen Vertrag zwischen NATO und Rußland auszuarbeiten, ist nicht neu. In einigen Staaten wurde sie bei verschiedenen Gelegenheiten angesprochen, jedoch nie im Detail ausformuliert.

Der Abschluß eines »Sicherheitsvertrages« hätte den Beitritt Rußlands zur Allianz nicht zwangsläufig zur Folge. (Die direkte Mitarbeit Rußlands in der NATO wird weder in den europäischen Staaten noch in unserem Land als die vielversprechendste Lösung angesehen.) Sie bedeutete vielmehr die vertragsmäßige Institutionalisierung der strategischen Partnerschaft zwischen der atlantischen Gemeinschaft und der Gemeinschaft der nordeurasischen Staaten. So ließe sich eine der wichtigsten Säulen des zukünftigen gesamteuropäischen Systems kollektiver Sicherheit aufstellen, die noch langfristiger gedacht zu einem grundlegenden Element für die Bildung einer globalen Sicherheitsstruktur im Rahmen der UNO werden könnte. Die Vorbereitung eines solchen Vertrages erfordert fraglos einige Zeit, wichtiger noch wären die notwendigen Überlegungen über die neuen geopolitischen und geostrategischen Gegebenheiten auf dem europäischen Kontinent und in den umliegenden Gebieten.

Die Verwirklichung einer vertraglich gesicherten Partnerschaft mit Rußland würde zweifellos eine Transformation der NATO von einer geschlossenen militär-politischen Formation hin zu einer offeneren Organisation erleichtern, die nicht nur Probleme gemeinschaftlicher Verteidigung, sondern auch die Fragen allgemeiner Sicherheit in der nördlichen Hemisphäre lösen könnte.

Nichtmitglieder der Allianz einschließlich Rußlands – sind an einer Transformation der NATO interessiert, die dem Aufbau eines wirklichen Sicherheitssystems für ganz Europa dienlich wäre.

Mehr Sicherheit für »Zwischenstaaten«

Wie bereits gesagt, könnte ein Sicherheitsvertrag zwischen der NATO und Rußland zu einer der tragenden Säulen für das vorgeschlagene gesamteuropäische System werden. Für eine große Gruppe von Staaten in Zentral-, Nord- und Südosteuropa (dem Balkan), ist der militär-politische Status z. Zt. unsicher. Einige dieser Staaten streben den Beitritt in die NATO an, während andere wie Österreich, Finnland und Schweden danach trachten, ihren gegenwärtigen Nichtalliierten-Status zu erhalten, und wieder andere Staaten zwischen dem Beitritt zur NATO und der Schaffung eines neuen, zwischen den Parteien stehenden Blocks hin- und herschwanken.

Viele Staaten haben inzwischen verstanden, daß eine einfache Erweiterung der NATO nach Osten keine Lösung ihrer Sicherheitsprobleme bringen wird. Im Gegenteil, eine solche Erweiterung könnte vielmehr zu einer neuen Zuspitzung, zu neuen Teilungslinien auf dem europäischen Kontinent führen. Es muß damit gerechnet werden, daß durch die Abgrenzung neue Spannungen entstehen, die nicht nur die Beziehungen zu Rußland belasten, sondern auch das Verhältnis der »neuen« NATO-Mitgliedsstaaten in Zentraleuropa zu jenen Nationen, die außerhalb der Allianz verbleiben. Schließlich können wir mit Sicherheit sagen, daß die Aufnahme einiger neuer Mitglieder in die NATO auch die Probleme innerhalb der Allianz, z.B. zwischen alten und neuen Mitgliedern, nicht aus der Welt schaffen wird.

Die Schaffung eines die genannten Staaten einschließenden »Sicherheitsgürtels auf Gegenseitigkeit« (SGG) wäre die sinnvollste Antwort auf die sicherheitspolitischen Probleme dieser Länder, die im geographischen Sinne zwischen Ost- und Westeuropa liegen. Mit einem solchen »Gürtel« soll kein neuer militär-politischer Block oder Zusammenschluß von Nationen in Zentral- und Osteuropa geschaffen werden.

Sinnigerweise sollte ein Vertrag über einen SSG beinhalten, daß die Territorien der »Gürtel«-Staaten in keiner Weise für aggressive und feindliche Aktionen gegen den Westen oder gegen Osteuropa genutzt werden dürfen. Als Gegenleistung erhalten die Staaten des SGG klar definierte Garantien sowohl von der NATO als auch von Rußland. Das Prinzip doppelter Garantien könnte bei Bedarf durch einige bilaterale oder multilaterale Gewaltverzichtsabkommen zwischen einzelnen »Gürtel«-Staaten gestärkt werden. Die SGG-Staaten sollten sich ihrerseits verpflichten, auf ihrem jeweiligen Territorium weder Atomwaffen noch fremde Truppen und Stützpunkte zu stationieren. Von größter Bedeutung ist auch, daß diejenigen Staaten des »Gürtels«, die dem Vertrag über konventionelle bewaffnete Streitkräfte in Europa nicht angehören, diesem nach seiner Neuformulierung beitreten. Damit würde der KSE-Vertrag zu einem wirkungsvollen Instrument für die Konsolidierung der Sicherheit nicht nur in diesem »Gürtel«, sondern in Gesamteuropa.

Ökonomische und politische Integration bei militärischer Neutralität

Diese Staaten müssen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum SGG nicht darauf verzichten, sich an dem natürlichen Prozeß wirtschaftlicher und politischer Integration z.B. in der EU zu beteiligen. Einige der »Gürtel«-Staaten gehören bereits der EU an. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß einige der »Gürtel«-Staaten schlußendlich der NATO beitreten werden (vorausgesetzt, sie bleiben bei ihrem »Nein« zu fremden Truppen und Stützpunkten auf ihrem Boden), während andere wahrscheinlich eine engere militärische Kooperation mit der GUS vorziehen. Diese Fragen könnten in der Formierungsphase des SGG gelöst werden, die im Rahmen und unter aktiver Mitwirkung der OSZE-Strukturen ablaufen könnte. Im Rahmen ihrer Verteidigungsmöglichkeiten könnten die SGG auch an friedenserhaltenden OSZE- oder UNO-Maßnahmen mitwirken.

Die Idee, im Zentrum Europas eine besondere, von Atomwaffen freie und nicht weiter mit der extremen Konzentration konventioneller Truppen belastete Zone einzurichten, ist zumindest einige Jahrzehnte alt. Es sei an den einst bekannten »Rapazki-Plan« (Rapazki war in den fünfziger Jahren polnischer Außenminister) erinnert sowie an die polnischen Vorschläge, die einige Jahre später unterbreitet wurden. Der Kalte Krieg verhinderte damals ihre Umsetzung. Doch das SGG-Konzept ist nicht einfach eine Rückkehr zu der »guten alten Idee« der fünfziger Jahre. Heute geht es darum, Schlußfolgerungen aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu ziehen und Vorschläge entsprechend den neuen Bedingungen auf dem europäischen Kontinent nach dem Kalten Krieg zu entwickeln.

Eine tatsächliche Realisierung des SGG-Konzepts könnte:

  • die gegenwärtigen, aus der Unsicherheit ihres militär-politischen Statuses entstehenden Sorgen vieler Staaten in einer strategisch wichtigen Region Europas zerstreuen;
  • die Gefahr einer neuen Blockkonfrontation in Europa bannen, die aufgrund der vorliegenden Pläne, die NATO-Strukturen auf einige neue Gebiete auszudehnen, bereits im Werden begriffen ist;
  • es ermöglichen, die gegenwärtige militär-politische Struktur zu erhalten und gleichzeitig die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, sie im Rahmen eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems unter Berücksichtigung der neuen Gegebenheiten in Europa auf optimale Weise zu transformieren;
  • günstigere Möglichkeiten für die SGG-Staaten schaffen, so daß diese in der Zukunft ihre natürliche Rolle erfolgreich ausfüllen können – eine »Brücke« zwischen West und Ost zu sein;
  • die ungeheure Verschwendung von Geld und Ressourcen neuer und alter NATO-Staaten verhindern, die diese für die Umrüstung aufwenden müßten und deren Folge zumindest eine neue Welle des Rüstungswettlaufs auf dem europäischen Kontinent wäre.

Schließlich sollte erwähnt werden, daß – neben dem Vertrag zwischen der NATO und Rußland – die Realisierung des SGG-Konzepts, wenn sie unter aktiver Teilnahme der OSZE geschieht, eine der bedeutenderen Grundlagen für das vorgeschlagene gesamteuropäische kollektive Sicherheitssystem werden könnte.

Nikolai Izvekov, Foreign Policy Association, Mitglied der International Information Academy. Übersetzung aus dem Englischen: Marianne Kolter.

Kosten der NATO-Osterweiterung

Kosten der NATO-Osterweiterung

Nur eine amerikanische Debatte?

von Jutta Koch

Unstrittig ist die auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel am 8./9. Juli 1997 in Madrid geplante Konkretisierung der NATO-Osterweiterung ein politisch-strategisches Groß-Ereignis, das der europäischen und globalen Sicherheitspolitik der neunziger Jahre Konturen verleiht. Dort wollen die Staats- und Regierungschefs die Namen der ersten Gruppe von Ländern nennen, die zu Beitrittsverhandlungen eingeladen werden. Dem Vernehmen nach handelt es sich mindestens um Polen, Tschechien und Ungarn. Aus Sicht der US-Regierung und des Senats hat noch am ehesten Slowenien gewisse Chancen, zur genannten Gruppe der ersten drei hinzuzustoßen. Für die Slowakei, die baltischen Staaten, Rumänien, Albanien, Bulgarien und Moldawien gilt dies als praktisch ausgeschlossen. Zunehmend wird allerdings von einer zweiten Erweiterungswelle gesprochen. Im Frühjahr 1999 soll, so US-Präsident Clinton am 22. Oktober 1996, der am 04. April 1949 in Washington gegründete Verteidigungspakt pünktlich zum 50. Geburtstag den Vollzug seiner Erweiterung verkünden können.

Die Debatte über das Pro und Contra dieser Erweiterungspolitik ist außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika bislang träge verlaufen. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer sorgfältigen Politik der Regierungen in den betroffenen Ländern, ihre Bevölkerungen nicht mit sicherheitspolitischen Kontroversen zu behelligen. Ihren gemeinsamen Nenner bildet die These, zur Osterweiterung der NATO gebe es keine Alternative – sie verleihe wirksamen militärischen Schutz und verkörpere zugleich das Zukunftsmoment einer Sicherheitspolitik, die sich von der bipolaren Trennlinie des Kalten Krieges emanzipiert habe.

Die Kostenfrage ist hochpolitisch, weil sie das Potential bereithält, eine kritische öffentliche Debatte über Sinn und Zweck der NATO-Osterweiterung zu entfachen. Sie wird hierzulande als so brisant eingeschätzt, daß Volker Rühe ihre Erörterung bis Anfang Mai 1997 im Parlament und in der deutschen Fachpresse fast gänzlich mit dem sehr deutschen Argument zu verhindern vermochte (Schwennicke, 1997 und Kuhn, 1997), angesichts der Größe der politischen Aufgabe sei es kleinlich, über deren Kosten zu reden. Das könnte sich mit der Antwort der Regierung auf die jüngst eingebrachte Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zu den Kosten und Konsequenzen der Erweiterung ändern (Bundestags-Drucksache 13/7537).

Volker Rühe war es selbst, der als erster unter den NATO-Kollegen seit 1993 nachdrücklich für eine NATO-Osterweiterung geworben hatte. Der große Ärger der anderen NATO-Partner darüber legte sich erst, als der US-Verteidigungsminister Perry im Oktober 1994 den NATO-Osterweiterungszug bestieg. Bei dieser Erweiterung handelt es sich offensichtlich um ein vorrangiges Ziel deutscher Sicherheitspolitik. Da erhebt sich die Frage, wie es mit dem deutschen Anteil für die aus der Erweiterung folgenden Kosten bestellt ist. Zu den Kostenschätzungen gibt es aber bislang nur drei Studien aus den USA. Die Bundesregierung hat sich zu den mutmaßlichen finanziellen Konsequenzen für die deutsche Verteidigungspolitik noch nicht geäußert.

Die US-Studien stammen vom Budgetbüro des US-Kongresses, von drei Autoren der RAND Corporation sowie jüngst vom amerikanischen Außen- und Verteidigungsministerium: Das Congressional Budget Office (CBO) hat seine Analyse im März 1996 publiziert (Eland, 1996). Die drei RAND-Autoren Asmus, Kugler und Larrabee haben ihre Studie im Herbst 1996 veröffentlicht (Asmus, 1996). Die amerikanische Regierung hat ihre Studie am 24. Februar 1997, durch einen Geleitbrief von Präsident Clinton mit besonderem Gewicht versehen, an die zuständigen Ausschüsse in Senat und Repräsentantenhaus gesandt (Report to the Congress, 1997)1.

Im Hinblick auf die »Quellenkritik« ist anzumerken, daß die Analytiker von RAND als dem Pentagon sehr nahestehend betrachtet werden können. Dagegen ist es geradezu die Aufgabe des CBO als Institution, den Abgeordneten im Kongreß eine unabhängige Meinungsbildung zu ermöglichen, damit sie Regierungsinformationen kritisch überprüfen und mögliche Folgekosten neuer Programme des Präsidenten einschätzen können. Allerdings sind viele den Demokraten zugeordnete Experten der CBO sofort nach dem Wahlsieg der Republikaner im November 1994 entlassen und durch der Gingrich-Partei nahestehende Analytiker ersetzt worden. Eine dem CBO vergleichbare Institution gibt es in Deutschland nicht.

In den USA hat die heiße Phase der innenpolitischen Auseinandersetzung um die NATO-Osterweiterung begonnen. Da der US-Senat einer NATO-Osterweiterung mit Zweidrittelmehrheit zustimmen muß, ist der Hinweis interessant, daß dieser die Kostenbeteiligung der USA auf 15 Prozent festgeschrieben hat; weitere 55 Prozent sollen die bisherigen NATO-Mitgliedsstaaten und die restlichen 30 Prozent die Neuankömmlinge finanzieren (Adam, 1997). Sehr ähnliche Zahlen stehen in dem unten noch eingehender beschriebenen Papier der Regierung vom 24. Februar 1997: 15% der Gesamtkosten in Höhe von 27-35 Mrd. Dollar übernähmen die USA, 50% die übrigen NATO-Staaten, und 35% die Neumitglieder (Lippmann, 1997). Zwar herrschte im Senat nach dem ersten Auftritt von Außenministerin Albright und Verteidigungsminister Cohen überparteiliche Skepsis in bezug auf die generelle Begründung für eine NATO-Osterweiterung vor (Friedman, 1997). Aber ein am 05. Mai 1997 vom republikanischen Senator Richard Lugar präsentierter Bericht einer unabhängigen Gruppe des Council On Foreign Relations unterstützte die NATO-Erweiterungspolitik Clintons, befürwortete allerdings im Gegensatz zur Administration eine rasche zweite Erweiterungsrunde u.a. um die baltischen Staaten.

Die CBO-Studie

Die CBO-Studie umfaßt 71 Seiten; etliche Tabellen erleichtern die Übersicht. Ihr Autor nimmt an, daß die vier Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei) der NATO beitreten. Der Zeitrahmen umfaßt die Jahre 1996 bis 2010. Fünf Optionen der Erweiterung werden diskutiert und mit einem Preisschild versehen: Die anfallenden Gesamtkosten liegen zwischen 60,6 und 124,7 Milliarden US-Dollar. Diese fünf Optionen bauen aufeinander auf – die Option 5 etwa kann nur unter Einschluß der Optionen 1 bis 4 gewählt werden –, und entsprechend kumulieren ihre Kosten.

Eine Billigversion, welche nach CBO-Ansicht nicht ernsthaft in Frage kommen sollte, da sie die Verteidigung der Neuen nur unzureichend verbessern könnte, wird auch nicht weiter diskutiert. Ihre Gesamtkosten werden mit 21,2 Mrd. Dollar angegeben, wobei die Visegrad-Staaten 15,6 Mrd., die USA 1,9 Mrd. und die europäischen Alliierten 3,7 Mrd. Dollar berappen müßten. Dabei würden Übungsmöglichkeiten verbessert, Kontroll-, Kommunikations- und Überwachungssysteme verstärkt sowie die Luftverteidigungssysteme NATO-integrierbar gemacht.

Die erste diskussionswürdige Option heißt: Enhance Visegrad Defense Forces and Facilitate NATO Supplemental Reinforcement. Die hierbei anfallenden Kosten – alle sind in 1997er Dollars angegeben – werden mit 4,8 Mrd. für die USA, 13,8 Mrd. für die Allierten und für die Neumitglieder mit 42 Mrd. Dollar beziffert, insgesamt also auf 60,6 Mrd. Dollar. Hierfür würden die bei der Billigversion begonnenen Maßnahmen ausgebaut; zusätzlich würde in die Infrastruktur der Neuen investiert (Straßen, Schienen, Häfen, Übungsplätze). Spezielle Maßnahmen für Polen würden angegangen, das über das größte Territorium, die meisten Soldaten und die einzige Küste verfügt.

Die zweite Option lautet Project NATO Airpower East und soll – zusätzlich zu den Kosten der ersten Option von 60, 6 Mrd. Dollar – weitere 18,6 Mrd. US-Dollar kosten: 4,6 für die USA, 10,3 für die Alliierten, 3,6 für die Neumitglieder. Hierfür ist vorgesehen, elf Operationsbasen auf den Territorien der Neuen auszubauen, um 11,5 NATO-Luftgeschwader im Krisenfall von dort einsetzen zu können. Von diesen 11,5 Geschwadern würden 8 aus Deutschland kommen. Hinzu kämen ein britisches, das in Deutschland, sowie 2,5 amerikanische »Air Wings«, die in Europa stationiert sind.

Die dritte Option wird Project Power Eastward with NATO Ground Forces Based in Germany genannt und ist zusätzliche 30,1 Mrd. Dollar wert: 3,6 für die USA, 20,3 für die Alliierten und 6,2 für die Neuen. Die Hauptlast der hier vorgesehenen Entsendung von Bodentruppen in die Visegrad-Staaten trüge die Bundeswehr. Insgesamt 10 in Deutschland stationierte NATO-Divisionen gingen nach Osten, darunter 6 der 7 deutschen.

Die vierte Option heißt Move Stocks of Prepositioned Equipment to Visegrad States und kostet 1,2 Mrd. Dollar: 0,3 für die USA, 0,9 für die Alliierten und 0,1 für die Neumitglieder. Die fünfte und letzte Option – nach derzeitigem Stand der Verhandlungen zwischen der NATO und Rußland um das Partnerschafts-Dokument erscheint sie als unrealistisch – lautet Station a Limited Number of Forces Forward und beträgt 14,2 Mrd. Dollar: 5,5 für die USA, 8,7 für die Alliierten und 0 für die Neumitglieder. Dabei würden 2 und zwei Drittel Divisionsäquivalente gemischter Nationalität sowie ein britisches und ein amerikanisches Geschwader dauerhaft in den Visegrad-Staaten stationiert.

Die CBO-Studie sagt, den Optionen 2 bis 5 sei die Annahme gemeinsam, daß eine Bedrohung durch Rußland wiederentstehen könnte. Tatsächlich aber sind alle diskutierten Optionen auf eine militärische Bedrohung durch Rußland, dessen Potential stark übertrieben dargestellt wird, bezogen.

Die RAND-Studie

In diesem 21seitigen Aufsatz werden gleichfalls die vier Visegrad-Staaten als Neumitglieder angenommen, der Zeit-rahmen beträgt 10 bis 15 Jahre. Die Autoren üben grundsätzliche Kritik an dem CBO-Report, der auf der Annahme fuße, einen Krieg gegen Rußland führen zu können. Sie selbst nehmen für sich in Anspruch, keine bedrohungsorientierte, sondern eine auf Ziele und Fähigkeiten ausgerichtete Analyse vorzulegen.

Anschließend werden mehrere Preispakete durchdekliniert: Das erste kann als »Hilfe zum Selbstschutz« beschrieben werden und würde maximal 20 Mrd. Dollar kosten, mit denen allein die Neuen ihr Militär modernisierten. Die NATO brächte Führungs- und Logistikkomponenten ein. Falls die mittelosteuropäischen (MOE)-Staaten das russische Flugabwehrsystem SA 10 einführten, koste dieses erste Paket nur 14 Mrd. Dollar; falls sie sich für das amerikanische Patriot-Flugabwehrsystem entschieden, beliefen sich die Kosten insgesamt auf 20 Mrd. Dollar (Griephan, 1996: 3).

Das zweite Paket der Verlegung von NATO-Luftstreitkräften im Krisenfall baut auf der ersten Option auf und käme auf zusätzliche maximal 10, also insgesamt 30 Mrd. Dollar. Damit träfen die Alliierten Vorbereitungen, um 10 bis 15 Divisionen und 10 Kampfgeschwader auf dem Gebiet der Neuen zu stationieren.

Auch die dritte Variante fußt auf den beiden zuvor beschriebenen Paketen und würde eine gemeinsame Verlegbarkeit von NATO-Luft- und -Bodentruppen bedeuten. Für diese Option wurde angenommen, daß die Alliierten eigene Truppen auf dem Territorium der Neuen stationierten. Zu den zuvor genannten Kosten von insgesamt 30 Mrd. Dollar kämen im Falle dieser »Joint-Power-Projection« noch zwischen 8 und 22 Mrd. Dollar hinzu, je nachdem, wieviel NATO-Bodentruppen im Krisenfall zum Eingreifen vorgesehen wären. Genauer untersuchen sie das mittlere 42 Mrd. Dollar teure Paket. Dabei dürften die jetzigen Alliierten etwa 61%, also 25,6 Mrd. Dollar, übernehmen.

Eine vierte Option der Vornestationierung – etwa von 3 Divisionen und 5 Geschwadern – wird auf einen (mit den vorherigen Optionen kumulierten) Preis von 55 bis 110 Mrd. Dollar geschätzt und von den Autoren selbst für militärisch nicht erforderlich gehalten.

Kernaussage von Asmus und Co. – einige ihrer Formulierungen finden sich wörtlich in dem jüngsten Regierungspapier wieder – ist die politische Steuerbarkeit der Erweiterung und die Bezahlbarkeit ihrer Kosten. Mit der Erweiterung würden, so sagen sie, zwei militärpolitische Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die zunehmenden Projektionsfähigkeiten, welche die bisherigen europäischen Alliierten – Deutschland wird in der Fußnote ausdrücklich genannt – in Verbindung mit der Osterweiterung erwerben und verbessern würden, seien genau diejenigen Fähigkeiten, die für die künftige Allianzpolitik jenseits der europäischen Grenzen entscheidende Bedeutung hätten. Gemeint sind hier alle »Nicht-Artikel-V-Missionen«, also das ganze Spektrum von Aufgaben jenseits des Angriffs auf das Territorium eines Mitgliedslandes.

Studie der Clinton-Administration vom 24. Februar 1997

Die gesamten Erweiterungskosten für die Jahre 1997 bis 2009 werden in dieser Regierungsstudie mit 27 – 35 Mrd. Dollar beziffert. Die jährlich fällige Summe betrage daher kombiniert für die USA, die Alliierten und die (ungenannten) Neuen 2,1 – 2,7 Mrd. Dollar. Diese Gesamtsumme wird noch einmal in drei Kategorien unterteilt: erstens die »Kosten der Neumitglieder für militärische Umstrukturierungsmaßnahmen« (10 – 13 Mrd. Dollar), zweitens die »Verstärkung regionaler Fähigkeiten« der bisherigen europäischen Alliierten und Kanadas (8 – 10 Mrd. Dollar), und drittens die »direkten Erweiterungskosten« (9 – 12 Mrd. Dollar).

Die USA wollen sich nur an dieser dritten Kostenkategorie beteiligen, da die Kosten für die beiden anderen genannten Kategorien – nämlich »new members' military restructuring« (10-13 Mrd.) und »NATO regional reinforcement capabilities« (der bisherigen Alliierten, 8-10 Mrd.) – in jedem Fall, also auch ohne Osterweiterung der Allianz, entstanden wären.

Als Schlüssel für die Aufteilung der direkten Kosten wird genannt: 40% durch die Neuen selbst, 60% aus gemeinsamen Töpfen. Die Neuen zahlten damit 3-4,5 Mrd. bis 2009, die jetzigen Allianzmitglieder ohne die USA 4,5-5,5 Mrd. Die USA wollen sich danach zwischen 2000 bis 2009 lediglich mit 1,5-2 Mrd. Dollar an den gemeinsamen Kosten beteiligen, das sind 150-200 Millionen Dollar jährlich.

Die (nicht namentlich genannten) Neumitglieder sollen bis 2009 für 10 – 13 Mrd. Dollar ihre Bodentruppen modernisiert, ihre Luftwaffe »verwestlicht« und passende Luftabwehrsysteme erworben haben. Nur für die Luftwaffe gibt es eine recht konkrete Vorgabe: Die Beschaffung einer »squadron« (etwa 15-20) von westlichen, modernisierten Kampfflugzeugen pro Neumitglied sei vorzusehen. Die 15 NATO-Partner (ohne die USA) sollen mit Hilfe der 8 – 10 Mrd. Dollar die Fähigkeiten ausbauen, welche ihre Truppen auswärts – d.h. jenseits der Aufgabe der Landesverteidigung – schnell verwendungs- und einsatzfähig werden lassen. Eine Kombination aus vier Divisionen und sechs Luftgeschwadern wird unter Hinweis auf das ARRC (Allied Commander Europe Rapid Reaction Corps) für erforderlich erklärt. Die 9 – 12 Mrd. Dollar teuren Maßnahmen der »direkten Erweiterung« dienen der Interoperabilität zwischen bisherigen Alliierten und Neuen sowie der Ausdehnung von NATO's integrierter Kommando- und Kommunikationsstruktur und den Luftverteidigungs- und Luftüberwachungssystemen.

Im übrigen wird wiederholt argumentiert, daß auch ohne die NATO-Erweiterung für die mutmaßlich demnächst neu aufgenommenen Staaten erhebliche Kosten für die Modernisierung ihrer Streitkräfte anfielen. Die Partizipation an einem Bündnis sei dagegen mittelfristig billiger, da sie Arbeitsteilung ermögliche. Mehrfach wird als politisch-strategisches Ziel formuliert, daß eine erweiterte NATO sich künftig besser für die Wahrung ihrer Interessen jenseits der Territorien der Mitgliedsstaaten und jenseits der Grenzen Europas einsetzen könne. Damit ist eine Zielvorstellung künftiger NATO-Politik ausgesprochen, welche die USA im Gegensatz zu den meisten europäischen Verbündeten schon länger verfolgen.

Vergleichendes Fazit

Bedrohungsszenarien und Konkretion:

Bei allen drei Analysen ist Vorsicht gegenüber den Aussagen angezeigt, welche die Autoren selbst über ihre Bedrohungsannahmen machen. Faktisch rechnen alle drei mit der Notwendigkeit für die NATO, die neuen Mitgliedsstaaten gegen russische Angriffe verteidigen zu können. Sagen tut dies allerdings nur die CBO-Studie. Die RAND-Autoren und das Regierungspapier vermeiden explizite Aussagen, schließlich sollen – so die politische Vorgabe – weder der US-Congress noch Rußland gegen die Erweiterung aufgebracht werden (Drozdiak, 1997). Deshalb sind auch die selbstverpflichtenden »drei No's« der NATO vom Dezember 1996 explizit im Text enthalten, es bestünden weder Absicht noch Pläne noch ein Grund, Atomwaffen auf dem Territorium der Neuen zu stationieren.

Die CBO-Studie ist nicht nur die bei weitem ausführlichste, sondern auch die konkreteste der drei vorgestellten Arbeiten. Aus den Rahmendaten der fünf Optionen werden detaillierte militärische Folgerungen auf nachvollziehbare Weise abgeleitet. Es handelt sich um eine militärpolitisch konservative, konsistente und gründliche Studie mit einer umfangreichen Aufrüstungsperspektive. Sowohl die RAND-Analyse als auch das Regierungspapier sind viel kürzer, »politischer« und oberflächlicher. Vor allem letzteres ist aufgrund der wenigen militärischen Angaben nur scheinbar konkret, zudem recht unübersichtlich geschrieben. In beiden Arbeiten finden sich keine klaren Ableitungen und Schlußfolgerungen, was die Erweiterung für die Alliierten und die Neumitglieder militärisch und finanziell bedeuten könnte.

Militärisch-konzeptionelle Aspekte:

Hinter den Arbeiten von RAND und von der Regierung steckt die mit dem Strategischen Konzept der NATO von 1991 veränderte Vorstellung von Kriegführung. Da auf dem Territorium der Neuen keine Atomwaffen und keine NATO-Truppen dauerhaft stationiert sein sollen, liegt die strategische Absicht vor allem der US-Regierung in der Verbesserung der Rapid Reaction-Fähigkeiten der bisherigen europäischen Alliierten sowie in dem Aufbau der Fähigkeiten in den neuen Mitgliedsstaaten, im Krisenfall diese Kräfte zu beherbergen. Beabsichtigt ist explizit eine Fortschreibung der Verstärkungs- und Projektionsfähigkeiten der erweiterten Allianz, wie sie bisher schon mit dem Aufbau des ARRC begonnen wurde.

Die Rolle deutscher Soldaten in künftigen Krisenfällen auf dem Territorium der Neuen wird daher von RAND gar nicht explizit und in der Regierungsanalyse nur indirekt behandelt. Letztere spricht von vier Divisionen (und sechs Geschwadern), die im Zusammenhang mit dem insgesamt zehn Divisionen umfassenden ARRC nach Osten entsandt werden könnten. Damit dürften die nördlichen Divisionen gemeint sein – neben zwei britischen eine deutsche Division und eine deutsche Brigade der insgesamt vier Brigaden umfassenden Multinational Division Central. Das ARRC steht unter britischem Kommando. Hier wäre die Rolle der deutschen Soldaten eine starke, aber nicht unbedingt dominante.

Anders bei der CBO-Studie, welche den erdrückenden militärischen Anteil der Verteidigung der neuen NATO-Mitglieder dem deutschen Heer und der Luftwaffe zuteilt. Konkrete Hinweise auf das ARRC und dessen Philosophie der schnellen Truppen-Verlegbarkeit außerhalb der NATO-Region werden hier vermieden.

Was die finanziellen Konsequenzen dieser unterschiedlichen Gewichtung des deutschen Anteils an der möglichen Verteidigungsanstrengung für die Neumitglieder betrifft, darüber gibt es nirgends exakte Angaben. Beide Pfade – sowohl die künftige Rolle Deutschlands als militärische »Schutzmacht« für die MOE-Staaten, wie CBO sie anzupeilen scheint, als auch die stärkere Beteiligung der Bundeswehr an ARRC-Einsätzen innerhalb und außerhalb des NATO-Territoriums, wie sie RAND und US-Administration wünschen – machen erhöhte Investitionen in bestimmte Systeme »notwendig«, welche eine Ausweitung des deutschen Wehretats unabweislich werden ließen.

Rüstungswirtschaftliche Überlegungen:

Es scheint noch nicht entschieden zu sein, welche Form der militärischen Ausstattung oder Strukturhilfe zunächst für Polen, Tschechien und Ungarn angestrebt wird.

Die bereits zitierte Ausgabe des der deutschen Rüstungsindustrie nahestehenden Griephan Reports prognostiziert, daß die deutsche Rüstungsindustrie nicht kurzfristig von der NATO-Osterweiterung profitieren kann. Besser sehe die mittelfristige Perspektive aus, wenn es um die Modernisierung der »Landsystemtechnik« gehe. Für den Fall, daß die Bundeswehr die Rolle des Protektors der mittelosteuropäischen Staaten übernimmt, dürfte die deutsche wehrtechnische Industrie mittel- und langfristig davon in erheblichem Ausmaß profitieren.

Die Vereinigten Staaten machen insbesondere im Bereich der Luftfahrt die aggressivste Industriepolitik. Es besteht in dem »NATO Enlargement Facilitation Act« von 1996 die Vorgabe, »advanced fighter aircraft« in die neuen Mitgliedsstaaten zu transferieren. Viele votieren für die verbilligte Abgabe gebrauchter amerikanischer Kampfflugzeuge (F-16 und/oder F/A-18), um die amerikanische Luftwaffenindustrie zu unterstützen. Die US-Regierung unterstützt die eigene Rüstungsindustrie mit der Regionalen Luftraum-Initiative, die vier Staatengruppen in Osteuropa eine Mitfinanzierung von Modernisierungsmaßnahmen der jeweiligen zivilen und militärischen Luftraumüberwachung und Flugsicherung anbietet (Griephan, 1996: 7). Dazu zählt auch die Anpassung der Freund-Feind-Erkennung sowie die Einrichtung regionaler Luftraum-Überwachungs-Koordinationszentren. Manche Experten in der US-Regierung und in den europäischen Hauptstädten befürworten dagegen den Einsatz der begrenzten Ressourcen dieser neuen Mitglieder zunächst für Peacekeeping-Aufgaben und sodann für die Umstrukturierung auf »defensive Systeme« (Gallis, 1997: 13f.).

Die tschechische Regierung scheint sich prinzipiell für den Kauf von 10 bis 20 westlichen Kampfflugzeugen entschieden zu haben, wobei deren Finanzierung noch weitgehend ungeklärt ist. Vielleicht erfolgt sie auf dem Weg einer ausländischen Beteiligung an dem kriselnden tschechischen Rüstungsunternehmen Aero Vodochody, das zur Teil-Privatisierung ansteht (NZZ 10.02.1997 und BGA 30.03.97). Den Polen wird Interesse an 150 bis 200 gebrauchten Kampfflugzeugen aus dem Westen nachgesagt. Ungarn scheint an dem schwedischen Gripen-Jäger großes Interesse zu haben. Wie all dies finanziert werden soll, ist noch unklar. Jedenfalls konkurrieren mehrere NATO-Staaten und Schweden scharf gegeneinander um die mittelosteuropäischen Rüstungsmärkte (Wetzel, 1997 und Griephan, 1996).

Es gibt warnende Stimmen, die – basierend auf den jüngsten Zahlen von Gesamtkosten zwischen 27 und 35 Milliarden US-Dollar vom 24. Februar 1997 – einen so hohen Anteil der Europäer an der Finanzierung für unrealistisch halten (Gordon, 1997). Insofern liegt die Vermutung nahe, daß weder die bisherigen Alliierten noch die Neumitglieder über eine Erhöhung ihrer Verteidigungsbudgets die notwendigen Summen bereitstellen können oder wollen. CBO sagt, daß die Visegrad-Staaten zur Finanzierung ihres Anteils an der ersten Option den Anteil investiver Ausgaben an ihren Wehrhaushalten um 600% steigern müßten. Dagegen spricht eine neuere Kostenstudie der polnischen Regierung, die besagt, die Anpassung der Kommando- und Kommunikationssysteme sowie die Beschaffung einer kompatiblen Luftverteidigung für Polen werde als Erweiterungsleistung zunächst ausreichen und nur 1,26 Mrd. Dollar kosten (Gießmann, 1997).

Aus all' diesen Aspekten wird deutlich, daß die Höhe und die Verteilung der Kosten für die NATO-Osterweiterung noch ungeklärt sind. NATO's National Resource Board, der die gemeinsamen Gelder für militärische Infrastrukturprojekte – derzeit betragen sie jährlich 780 Millionen Dollar – verwaltet, wird in diesen Tagen einen neuen Bericht über die mutmaßlichen Kosten der Ausweitung der NATO-Infrastruktur nach Osten fertigstellen, der den NATO-Außenministern Ende Mai 1997 im portugiesischen Sintra vorgelegt wird. Auch diese Zahlen sollen niedrig gehalten sein, indem sie nur Minimalziele für infrastrukturelle Kompatibilität der Neuen mit NATO-Systemen formulieren (Tigner, 1997).

Literatur

Schwennicke, Christoph (1997): Was Rühe nicht paßt, wird totgeschwiegen, SZ, 28.04.1997.

Kuhn, Gisbert (1997): Die NATO-Erweiterung wird Deutschland Milliarden kosten, Bonner Generalanzeiger, 03.05.1997.

Eland, Ivan (1996): Congressional Budget Office, The Costs of Expanding the NATO Alliance, CBO Papers, Washington, D.C., March 1996.

Asmus, Ronald D./Richard L. Kugler/F. Stephen Larrabee (1996): What Will NATO Enlargement Cost? Survival 38 (Autumn 1996) 3, 5-26.

Report to the Congress on the Enlargement of the North Atlantic Treaty Organization (1997): Rationale, Benefits, Costs and Implications. Released by the Bureau of European and Canadian Affairs, U.S. Department of State, February 24.

Adam, Werner (1997): Neues aus dem Kummerkasten, FAZ, 24.04.97.

Lippman, Thomas W. (1997): U.S. Share of NATO Expansion Costs Estimated at $ 200 Million Yearly, The Washington Post, 23.02.1997.

Friedman, Thomas L. (1997): Expand NATO? The Senate Should Just Say No, International Herald Tribune, 29.04.1997.

Griephan Special Wehrdienst (1996): Die NATO-Osterweiterung. Auswirkungen auf die Rüstungsindustrie, (Oktober) 4.

Drozdiak, William (1997):The Price of an Enlarged NATO 'on the Cheap' Is High in Problems, International Herald Tribune, March 13, p. 7.

Gallis, Paul E. (1997): NATO: Congress Adresses Expansion of the Alliance, CRS Issue Brief, Updated February 20.

NZZ 10.02.1997: Sorgen Prags mit der Luftverteidigung.

BGA 30.03.1997 (Bonner Generalanzeiger): Prag kauft westliche Kampfflugzeuge.

Wetzel, Hubert (1997): Sturmangriff auf die östlichen Waffenkammern, SZ, 29.01.1997.

Gordon, Philip H. (1997): Will Anyone Really Pay to Enlarge NATO – and If So, Who?, International Herald Tribune, 30.04.1997.

Gießmann, Hans-Joachim (1997): Fast umsonst? Was Polen für einen NATO-Beitritt zahlen will und was es dafür erwartet. In: Streitkräfte und Strategien (verantwortlicher Redakteur: Karl-Heinz Harenberg), NDR 4, 02.05.1997, S. 7-13.

<>Tigner, Brooks (1997): Infrastructure Complicates NATO Growth, Defense News, April 21-27, p. 4.<>

Anmerkungen

1) Das 25seitige Papier mußte die Administration auf Geheiß des mittlerweile ausgeschiedenen Senators Sam Nunn im Rahmen des FY 1997 Defense Authorization Act vorlegen. Zurück

Jutta Koch ist freie Publizistin und Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag.